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Full text of "Xenophon's von Athen Werke"

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| HARVARD C OLLEGE 
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FROM THE LIBRARY OF 


KON RADVON MAVRER | 


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THE GIFT OF 


ARCHI BALD CARYCOOLIDGEIF 
— CLASS OF 1887 — 
ASSISTANT PROFESSOR OF HISTORY 
1904 


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Xenophon's von Athen 


Bert e. 














| Stu ttgart,. 
Verlag der. I. B. Metzzle r'ſchen Buchaddlung, 
Für Deftreih in Commiſſion von Mörfchne ud Jaſper 
| in Wien. u 
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’ - Rarvard Covscze Library 
Von Maurer CGokertive 
Gift of A. C. Cool age 
Ju:y 13, 1906 








Xenophon's von Athen 


Rer 


Viertes Bändchen. 


son 


Erinnerungen an Socrates, 
überſetßt 
von 


Chriſtoph Eberhard Finckh, 
Doktor der Philoſophie, Repetenten am evangeliſch⸗theologiſchen 
Seminarium zu Tuͤbingen. 





Erſtes Baͤndchen. 





Stuttgart, 
Verlag der J. B. Metzzler' ſchen Buchhandlung. 


Für Oeſtreich in Commiſſion von Mörſchner und Jaſper 
in Wien. 


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Einleitung. 





Der Griechiſche Titel unferer Schrift ifl "Anouvn- 
uovevuare. Damit wird fie, bezeichnet ald eine 
Sammlung Deffen, was dem Verfaffer von feinem 
Umgange mit Socrated im Gedächtniffe geblieben 
war. Der Titel entſpricht alfo ganz Dem, was wir 
unter Erinnerungen verftehen. Die gewöhnliche Ue- 


berfegung deſſelben ift „Denkwuͤrdigkeiten““, ein Aus⸗ 
druck, der zundchft non dem feit mehreren Jahrhun⸗ 


derten Üblichen lateinifchen Titel Memorabilia aus: 
gegangen zu feyn fcheint. Wir haben gegen venfelben 
nicht viel einzuwenden, und wären fogar geneigt, aus 
Achtung für die Tradition ihn aufzunehmen. Indeß 
fcheint und der Ausdruck ‚Erinnerungen‘ neben Dem, 
daß er deu Vorzug der MörtlichEeit und Aehnlichkeit 
mit dem Griechifchen Worte hat, geeigneter zu ſeyn, 
das hier Geſammelte als Gegenftaud theuren Anden 


tens für Kenophen zu bezeichnen, ats der Ausdruck 


„Denkwuͤrdigkeiten““, weicher mehr Für Gegenſtaͤnde 
von weltgefchichtlicher Wichtigkeit gebräuchlich It. 





406 Einleitung. 


Sn diefem Titel ift auch der Zweck der Schrift 
hinreichend ausgefprochen. Es kann weder der feyn, 
den Socrates zu vertheidigen ;*) — die Zeit der Aner: 
fennung feiner Verdienfte, von welcher er felbft noch 
in feinen Gefängniffe geweiffagt bat, war längft, 
nad) Diogenes Laërtius B. II. G. 43. gleich nad) ſei⸗ 
nem Tode eingetreten ;— noch Tann es der ſeyn, einen 
Abriß feiner Philofophie **) der Nachwelt zu überlies 
fern; denn dazu ift die hier gegebene Sammlung 
theils zu reichhaltig, theild zu mangelhaft. Der 
Zwed der Schrift ift Fein anderer, als der von Xe⸗ 
nophon felbft, wie im Zitel, fo in der Schrift, Far 
angegebene. B. I. C. 3: „Wie er feinen Freunden 
fich näßlich gemacht fowohl durch das Beifpiel, das 
er ihnen thätlich gab, als durch mündlichen Unter: 
sicht, davon will ich fofort verzeichnen, was mir 

*) Melden der Verfafier des fünfzehnten Kenophontifchen 

Briefes, ebenfo Dionyf. von Salicarnaß Art. Rhetor, 
B. II. ©, 105. und Valkenaer annehmen. 

+) Etwas Anderes ift, wenn die Schrift ald glaubwürdigſte 
Duelle der Socratifhen Philofophie betrachtet wird. 
Dafür wird fie faft allgemein anerkannt, wenn man 





auch Einfiuß des Kenophontifchen Laconismus und der 


mehr praßtifchen Richtung der Philofephie des Verfaſ⸗ 
ſers darin annimmt.  - 


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Gas Einleitung. 407 


noch im, Gedächtniffe iſt“ Und am Ende des Wer 
kes B.IV. C. 8.: „Mir fchien Socrates als ein Sol | 
cher, wie ich ihn gefchildert — cr fchien mir ald ein 
Solcher das vollfommenfte Bild eines trefflihen und 
glädlihen Mannes zu ſeyn.“ Cine Lobrede alfo ift 
die Schrift auf Socrates als Menfchen und Lehrer, 
ausgeführt nicht in Lobfprächen und matten Erguffe 
| ber Sehnfucht nach ihm, fondern in.einer Neihe von 
r Thatfachen aus der Zeit feiner Wirkſamkeit in Lehre 
| und Leben. Aber wie hätte Zenophon daran gehen 
koͤnnen, die Vortheile des Umganges mit dieſem 
Weiſen zu fchildern, ohne zuvor Befchuldigungen zu 
entfräften, welche ihn als einen Verworfenen, und 
feinen Umgang als einen gefährlichen darftellten ? da⸗ 
ber der Anfchein einer Apologie, den die Schrift in 
ihrem Beginne hat, der aber mit B. J. Cap. 3: auf 
einmal verfchwinder, und faum am Ende B. IV: C. 8. 
wieder hervortritt. Denn hier find nicht einmal ihm 
gemachte Befchuldigungen berührt. 31Rur nachdem 
Zenophon feinen Lehrer als den trefflichften Dann 
dargeftellt hat, fürchtet er, ed Tonnte der Tod Deffel- 
ben für Andere etwas Störendes haben, weil der 
| Trefflichfte Doch der Gottgefälligfte, und damit auch 
| Gluͤcklichſte ſeyn muͤſſe; er weist daher, wozu er 
früher noch Feine Veranlaffung hatte, nach, wie eben 


"Ip 


. 408 Einleitung. 
Sorrates in feinem Tode ald Liebling der Gottheit 


und als der Gluͤcklichſte erfcheine. And auf diefe - 


Weile komme in unfere Sammlung der Bericht eines 
Fremden, ba fie eigentlich nur eigene Erinnerungen 
geben folfte. 
Auch über die Ordnung der Schrift gibt der Titel 
die befte Auskunft. Es find Erinnerungen, bald ane 
einander gereiht nach den Gefeßen des Erinnerungee 
Vermoͤgens, bald wieder ohne allen Zufammenhang, *) 
wie oft eine Erinwerung unerwartet die Reihe unferer 
Borftellungen unterbricht. Uber fo wenig aud) zwi- 
fhen den einzelnen Stüden der Sammlung ein 
durchgehender Zufammenhang fid) nachweifen laͤßt, 
fo haben fie doch gleich den Lichtſtrahlen, die von 
. einem leuchtenden Punkte aus nach alten Richtungen 


fich verbreiten, ohne fih zu berühren, alle Einer 


*) Dieb erfennen auch Meiste und Schneider an. Eine 
durchgehende Ordnung fol der Engländer Edwards bes 
hauptet haben, daß nämlich das erfte Buch die Pfſtichten 
gegen-fich ſelbſt, das zweite die Pflichten gegen Andere 
im natürlichen Gefellfchaftszuftande, das dritte die 
Pflichten, die wir ald Glieder eines Staates gegen 
Andere haben, dus vierte die Lehrmethode des Socra⸗ 
tes zum Gegenftande hätte. Was Wahres daran fey, mö⸗ 
gen die Inhaltsanzeigen der einzelnen Bücher Fehren. 











Einfeitung. 409 


gemeinfchaftlichen Mittelpunft ‚ namlich den, daß 
Sperates.nüßlich gewefen fey feinen Freunden in al- 
Ten Stüden und auf allerlei Weife. B.IV. C. ı. 

Für die Zeit. ihrer Abfaffung gibt die Schrift 
felbft, weil blos bei Vergangenem verweilend, Feine 
Data. Nach Weiske's Behauptung hätte Zenophon 
die Lehrgefpräche de3 Socrates mittelft tachygraphi⸗ 
fcher Zeichen nachgefchrieben, und dann fpäter in bie 
gegenwärtige Geftalt gebracht. Allein fchon von 
Schneider ift zur Genüge dargethban, daß die Stelle 
des Diogenes Laert. B. II. G. 48., *) auf welde 
Weiske fih beruft, von einem Nachfchreiben nicht 
fpreche ; fchon wegen der Stelle des Diog. L. B. I. 
6. ı22. **) Als Erinnerung kündigt fi ja das 
Merk nicht nur auf dem Zitel, fondern auch- im 
Texte B. J. C. 3. an, und felbft die einzelnen Stüde 
tragen das Gepräge derfelben, wenn fie bald voll- 
ftändige Gefpräche, bald nur den Inhalt derfelben 
audführlicher oder EZürzer geben, wie 3.1.€. 5, 


*) dxpoarg Zwxparsg Tv, xal npwrog könoor- 
keimoauevog Ta Asyoueva eig AvFEW@TagG ray, 
anouvniovevuara dnypdıpar- 

*) ov äuvmkovevev, Unoonuswosig änossiro. (Bom 
Socratiker Simon). 


Kenophon. 49 Bochn. 2 


410 j Einleitung. 


B. II. C. 4, B. II. C. 2.8, 9. 12.14. Nicht einmal 
die in der erften Stelle ded Diogenes enthaltenen An⸗ 
. gaben, daß RXRenophon zuerft Socratifhe Geſpraͤche 
befannt gemacht, hält Stidy nad) den Erinnerungen 
3.1 €. 4. im Anfange. Wir bleiben daher bei der 
allgemeinern Angabe ded Diogenes Laört. II, 52. ſte⸗ 
hen, welche die fchriftftellerifche Thaͤtigkeit des RXeno⸗ 
phon in feinen Aufenthalt zu Scillus in Elis verfegt. 
Vielleicht daß diefer Aufenthalt auch in der Gelau- 
figfeit und Beſtimmtheit, mit weldyer fein Socrates 
das Bild von der Jagd *) gebraucht, ſich ausfpridht. 

Zu unferer Ueberſetzung wurden die Ausgaben von 
Schuͤtz, Schneider und Herbft benigt. Die 
Auswahl der bedeutendern Lesart echtfertigen kurze 
Anmerkungen. 


*2) Nach Diogenes Laẽrt. II, 52. brachte Xenophon feine 
Muße in Scillus mit Jagen, Bewirthung feiner 
Freunde, und Abfaſſung feiner Schriften zu. 


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Ro; 





Xenophon's 
Erinnerungen an [aus den Lehrgeſpraͤchen und 
dem Leben des] Socrates. 


Subalt des erfien Buches. 





Cap. 1. 2. Widerlegung der gegen Socrates von feinen 
Antlägern erhobenen Beſchuldigungen. 

Eap ı. Socrates war tein Gottesverächter. Cap. 2. Er 
war and kein Werberber ber Juͤnglinge. Beſondere Ruͤckſicht 
auf Eritiad und Alcibiades. Eap. 3. Vielmehr nüste er Des 
nen, welde mit ihm umgingen, durdy Lehre und Beifpiel, Hiers 
ber gehört fein Benehmen gegen die Götter; fein Verhalten in 
Abſicht anf Speife und Trank; feine Grundſaͤtze über ben 
Genuß ber Kiebe nah feiner Unterredung mit Kenophonz 
Cap. 4. feiner feine Unterreöung mit Ariftodem Aber bie 
Gottheit; Eap. 5. feine Empfehlung ber Selbfibeherrfchung. 
Cap. 6. Den Werth und Nutzen feines Unterrichts weiß So⸗ 
crates felöft gegen Antiphon geltend zu machen, der ihn herabs 
zufegen ſucht. Cap. 7. Auch betämpfte Gocrates bei feinen 
Freunden eitle Scheinfucht,, und drang auf wirkliche Vorzüge, 











I. 
x 


Erſtes Bud. 


1. Oft ſchon fann ic) verwundert darüber nach, durch welche, 
Beweife doch die Ankläger des Socrates die Athener bereben 
konnten, er habe den Tod am Staate verfchuldet. Die Klages 
Schrift gegen ihn lautete nämlid, folgendermaßen: „Socrates 
frevelt, indem er die Götter, welche der Staat anerkennt, 
nicht annimmt, fondern Neuerungen in göttlichen Dingen *) 
dafür aufbringt; er frevelt ferner, indem er die Fünglinge 


+) Nenerungen in göttlihden Dingen. Andere über 
ſetzen hier: ‚‚neue Gottheiten aufbringen.” Daß Die dem 
Socrates vorgeworfen wurde, ift wohl nad ber Apologie 
5. 24. und Plato im Euthyphr. Eap. ». aufier Zweifel. 
Denn auch bie Unechtheit dieſer beiden Schriften zugegeben, 
fo find fie doch fo alt, daß fie diefe Beſchulbigung aus glaub⸗ 
wärbiger Quelle haben mußten. Die Worte unferes Textes 
Hingegen find wohl allgemeiner zu faffen, wie ſchon Dieas 
rind zu PHiloftratus Leben bes Apollonius IV, 18. gezeigt 
bat, und auch Schleiermacher zur Platonifhen Apologie 
(Anm. ©. 432. ff.) annimmt. Wenn and dauuionov 
bei den Griechen die Gottheit, die Gefammtheit der gbtts 
lichen Wefen bedeutet, ſo doch nie einzelne göttliche Indivi⸗ 
den. Der Sprachgebrauch des Philoſtratus (ſ. Olear. a. a.O.) 
xauvog za dmuuovıa iſt In dieſer Hinſicht beſonders 
„ merfwärbig, und zeigt, daß xcLvc Sauovıa eig Posıv 
nichts Anderes iſt, als was bei Plato Euthyphr. a. a. O. xau- 
vorousiv neel Ta Hein iſt. Nicht, einmal nähere 
Beriehung auf das Daͤmonium des Socrates, und abfichts 
tige Zweibentigteit in der Wahl ber Mehrzahl möchten 





Erſtes Bud. 413 


verderbt.“ Fürs erfte nun, daß er die Götter nicht ange: 
nommen, welche die Stadt annimmt, womit konnten fle Dieß 
beweifen? Sah man ihn ja doc) öfters fowohl zu Haufe als 
auf den gemeinfamen Altären der Stadt fein Opfer darbrin⸗ 
gen; und aud daß er von der Wahrfagerfunft Gebraud) 
[4 machte, Eonnte nicht unbemerkt bleiben; allgemein sing ja 
die Sage, daß Socrates behaupte, die Gottheit gebe ihm 
Andentungen, und hauptſaͤchlich hierauf fcheint fidh die Bes 
fehufdigung gegründet zu haben, daß er Neuerungen in götts 
lichen Dingen aufbringe, Allein er brachte bamit fo wenig 
Neues auf, als jeder Andere, der auch auf die Wahrfager- 
kunſt Etwas Hält, und dazu Vögel, Stimmen, Begegnende 
und Opfer gebraucht. Auch Diefer traut ja, wie er, die Kennt» 
giß Defien, was den Rathfuchenden frommt, nicht den Vögeln 
noch den Begegnenden zu, fondern leitet die Andeutungen, 
die fie hierüber geben, von den Göttern her. Nur drüden 
fi) die Meiften fo aus, ald ob ihnen von den Vögeln und 
Begegnenden abs oder zugerathen würde; Socrates dagegen 
drückte fid, ganz fo aus, wie er dachte, daß nämlich die Gott: 
‚heit ihm Andeutung gebe. Mit. Berufung auf folche Voran⸗ 
1 deutungen der Gottheit ſprach er Vielen ſeiner Freunde zu, 
bald Etwas zu thun, bald Etwas nicht zu thun; und Wer 
ihm folgte, befand ſich gut dabei; Wer nicht folgte, mußte 
es bereuen. Doch Wer möchte es in Abrede ziehen, daß er 





wir darin erfennen, außer fo weit jene Beziehung auf 
das Daͤmonium in der Sache ſelbſt liegt. Auch Aſt zu 
Plato's Leben und Schriften S. 485. f. hat fein Beiſpiel 
vorgebracht, wo —RXV ein concretes gdttliches 
Weſen waͤre. 


+ 


416. Xenophon’d Erinnerungen an Socrates. 


Meiften, daß er die Einrichtung des von den Sophiften *) ſo 


genannten Kosmos [Meltgebändes], und die Geſetze, nach 
denen jede einzelne Veränderung am Himmel erfolgt, unters 
fucht hätte. Sm Gegentheile wies er fogar die Thorheit Sol⸗ 
cher nad), welche über Derley grübelten. Zuvörderſt ſtellte 
er die Frage auf, ob fie denn, was für den Menfchen Werth 
habe, mit ihrer Weisheit fchon erfchöpft zu haben glauben, 
daß fie anifolche Grübeleien gehen, ober ob fie es für recht 
halten, was für den Menfchen Werth habe, zu überfpringen, um 
die Gcheimniffe der Gottheit zur ergründen. Er äußerte ferner 
fein Befremden darüber, wie ihnen nicht in die Augen leuchte, 
daß die Ergründung folder Dinge für Menfchen etwas Un⸗ 
mögliches fey, da felbft Diejenigen, die fih auf-die Erkläs 
rung diefer Gegenftände am meiften Etwas zu Bute thun, 
weit entferne, mit einander übereinzuftimmen, wie Wahnflus 
nige ſich zu einander verhalten. Denn von den Wahnfinnigen 
fürchte auch Ein Theil nicht einmal das Furchtbare, und ein 
anderer Theil erfchrecte ſelbſt vor dem Nichtſchrecklichen; die 
Einen ſchämen ſich nicht einmal vor den Leuten alled mög⸗ 
liche Unanftändige zu fagen und zu thun, unb die Anderen 
fcheuen fih auch nur unter die Leute zu gehen; die Einen 
achten weder Tempel noch Altar, noch fonft etwas Göttliches, 
und die Anderen ermweifen fogar den gemeinften Steinen und 
Holzkloͤtzen, und gewiſſen Thieren göttliche Verehrung. So 
fey es nun bei Denen, die über dem Weſen der Wert fid) 
den Kopf zerbrechen. Die Einen **) nehmen an, es gebe nur 

*) Philoſophen jener Zeit, die ihre Wiffenfchaft als Sands 

wert trieben. 
*a) Xenophanes, der Stifter der Eleatiſchen Schule, 





BE - ‘ 


Ä Erfied Buch. og 


ein Seyendes, Untere, *) es gebe eine unendliche Vielheit 

von Dingen; ein Theil **) Laffe- Alles in befländiger Bewer 

gung begriffen ſeyn, Andere **) leugnen durchaus alle Bewe⸗ 

sung; Einige +) lehren ein durdgängiges Entftehen und Ver⸗ 
‚sehen, Andere ++) heben alles Entfiehen und Vergehen auf. 

i Auch diefe Betrachtung ſtellte er in Beziehung auf fie an: 
Wer lerne, was für den Menfchen Werth habe, glaube fich 

im Stande, was er gelernt habe, ſich und Wem er fonft wolle, 

zu verfertigen; ob nun Diejenigen, welche nad) dem Göͤttli⸗ 

chen forfchen, auch, wie Jene, meinen, wenn fie die Geſetze 

jeder Veränderung in der Natur erkannt haben, nad) Belie⸗ 

ben Wind, Regen, Sommer und Winter und was fie font 
der Art nöthig haben, herporbringen zu können 1, Dder od fie, - 

ohne auch nur den Gedanken an fo Etwas zu haben, mit 

dem bloßen Wiffen um die Art, wie es bei Diefem und Je⸗ 

nem zugehe, flch begnügen ? So üäufferte er fich über Dieje- 
nigen, bie fich mit foichen Sachen bemühten. Er felbit un⸗ 
terhielt fi. immer von Dem, was für den Menſchen Werth 
hatte, und unterfuchte die Begriffe von religidg und ir 
religidg, von edel und unedel, von gerecht und ums 

L gerecht, von Nüchternhett und TZollheit, von Taps 
ferteit und Seigheit, von Staat und Staatsfunft, 
von Vorſteherſchaft und Vorſteherkunſt, und von 
andern Dingen, deren Kunde ihm zu einem gebildeten Manne 


‘ 


*) Reucipp, ber Atomiftifer, Lehrer ‚des Demoerit. 
+) Heraclit von Ephefus. 
***) Die Sleaten Parmenides und Zeno. 

+) Heraklit. 

+) Die Eleaten. 





418 Xenophon's Erinnerungen an Socrateß. 


zu gehören fchien, und ohne deren Kunde man mit Recht 
eine Sclavenfeele genannt werde, Wenn nun die Richter in 
Sachen, worüber feine Geflunungen nicht öffentlich vorlagen, 
unrichtig über ihn urtheilten, fo kann Dieb nicht auffallend 
feon; aber daß fle allgemein Bekanntes unbeachtet ließen, Das 
bleibt auffallend. Er war nämlich einmal Rathsherr gewors 
den, und hatte den Rathsherreneid geſchworen, worin unter 
Anderem mit enthalten war, er wolle den Geſetzen gemäß bie 
Prichten diefer Würde erfüllen. Als nun das Volk gegen 
die Geſetze neun Feldherren, den Thrafplus*) und Erafinides 
mit ihren Amtsgenoſſen durch eine einmalige Abftimmung 
Alte zumal zum Tode verurtheilen wollte, fo weigerte er fich 
als Epiftat**), die Abftimmung vor fid) gehen zu laſſen. 
Zwar zürnte ihm das Volk, umd es drohten ihm Diele der 
Mächtigen, aber ihm war mehr daran gelegen, feinen Eid 
zu halten, als die Gunſt des Volkes durch Widerrechtlichkeit 
zu erkaufen und gegen die Drohungen fid, ſicher zu ſtellen. 
Denn von der göttlichen Weltregierung hatte er ganz andere 
- Begriffe, ald der große Haufe, welcher glaubt, die Götter 
wiffen Einiges, und Anderes wiſſen fie nicht. Er war über: 





*) Die Geſchichte ſ. bei Kenophon Griechiſche Geſchichte I, 7, 
Diodor XUI, 74. 

25) Epiſtat ift Derjenige von den Prytanen, voelcher gerade an 
einem Tage dur das Loos den Worfig im Rathe führte, 
Prytanen hießen bie Rathöherren besjenigen Stammes, 
der in einer Prytanie, d. H. in einem der zehn Jahres⸗ 
abfeynitte von 35 Tagen gerade wie Gefchäfte des Raths 
beforgte. Unter dem Rathe ift der Nath der Fuͤnfhun⸗ 
derte gemeint. 


Erſtes Buch. | 419 


zeugt, daß die Götter Alles willen, fowoht Worte und Hands 
lungen, als aud Die ſtillen Gedanken, daß fie Überall gegen 
mwärtig feyen, und den Menfchen über alle menfchlichen An⸗ 
gelegenheiten Undentungen geben. Darum ift mir's uner⸗ 
Elärbar, wie doc, die Athener ſich Eonnten überreden laſſen, 
Socrates habe irrige Anſichten von den Göttern, er, der 
nie eine goffestäfterliche Rede oder Handlung ſich beigehen 
fieß, vielmehr in Beziehung auf die Götter flets fo redete . 
und handelte, daß feine Gottesfurcht über allen“ Zweifel 
erhaben ſeyn follte. 

3. Mir ift ferner unerflärbar, daß Jemand glauben Eonnte, 
Sorrates habe die Jünglinge verderbt, er, der außer Dem, 
was bereit bemerkt ift, im Bezug anf den Geſchlechtstrieb, 
und auf Effen und Trinken ein Muſter von Selbftbeherrfchung 
war, in Kälte und Hitze und in jeder Art von Anftrengung 
ausdauernd, wie Fein Anderer, und auf Befchränkung feiner 
Bedürfniffe fich fo gut verftand, daß er, fo wenig er auch 
hatte, doch leicht das Nöthige fand. Wie folte er nun bei 
den Tugenden, die ihn felbft zierten, Andere zur Gottesver⸗ \ 
achtung, zur Webertretung der Gefebe, zur Schwelgerei, Wol⸗ 
fuft oder MWeichtichkeit verführt Haben? Vielmehr bradyte ex 
Diele von diefen Laſtern zurück, indem er ihnen Liebe zur 
Tugend einflößte und ihnen Hoffnung machte, dereinft edle 
und wärdige Männer zu werden, wofern file nur auf fi 
Acht haben wollten, Wiewohl Lehrmeifter hierin zu werden 
machte er ſich nie anheifchig; nur die Tugenden, die er aner⸗ 
Fanntermaßen hatte, gaben feinen Freunden Hoffnung, daß 
fie e8 eben fo weit bringen Eönnten, wenn fie ihn ſich zum 
Mufter nähmen. Auch ten Körper vernadhläßigte er weder 


- 


420 Zenophon’d Erinnerungen an Socrated. 


felbft, noch Lobte er ed an Andern, wenn fie ed thaten. Er 
verwarf Veberfüllung ded Magens mit darauf folgender übers 
triebener Anſtrengung, Dagegen empfahl er die Gewohnheit, 
fo viel als man mit Appetit effe, gehörig hinauszuarbeiten. 
Ein ſolches Verhalten, ſagte er, fei nicht nur ganz gefund, 
fondern auch der Ausbildung der Seele nicht hinderlic. Das 
bei war von Ueppigkeit und Eitelfeit an feinem Gürtel, feinen 
Schuhen, und in feinem übrigen Aufzuge nichts zu merken. 
And, nicht geldgierig machte er Die, welche mit ihm umgins 
gen; von dem Verlangen nach andern Dingen bradyte er fie 
ja ab, und Wer nad) ihm verlangte, von Dem nahm er fein 
Geld. Durch diefe Uneigennüsigfeit glaubte er für feine 
Unabhängigkeit zu ſorgen; Diejenigen hingegen, welche fich 
für ihren Unterricht bezahlen ließen, nannte er Verkäufer 
ihrer eigenen Freiheit, weil ſte ſich die Verbindlichkeit aufs 
erlegen, Jedem ſich zu widmen, von dem fle bezahlt werben. 
"Er fand ed and) fonderbar, wie ein Lehrer der Tugend Geld 
nehmen, und flatt den Gewinn eines waderen Freundes für 
den höchften zu achten, noch fürchten könne, der zum edeln 
und tugendhaften Manne Herangebildete möchte ihm für die 
orößte aller. Wohlthaten nicht den größten Dank wiffen. Er 
ferbft ging gegen Niemand eine Verbindlichkeit in diefer Hin 
fiht ein; aber er hegte die Zuverficht, Diejenigen aus feinem 
Umgange, welche an feine Borfchriften fid, Halten, werden 
Zeit ihres Lebens ihm und einander felbft wadere Freunde 
fegn. Wie Fönnte nun ein ſolcher Maun die Jünglinge vers 
derben ? ed müßte nur die Bildung zur Tugend Derderbniß 
heifien. Doch nady Angabe feines Anklaͤgers hätte er die 


Erfted Bud. 42 


Leute von feinem Umgange au Veraͤchtern der beſtehende 

- Geſetze gemacht. Er hätte es für eine Thorheit erklärt, d 
Henter im Staate durdy Bohnenflimmen zu befeben, d 

Doc, Niemand Luft habe, einen durch Bohnen Gewählten zu: 
Steuermanne, Baumeifter, Flötenfpieler oder zu anbern ähr 

3 lichen Beſtimmungen zu nehmen, wo ein Verſtoß weit wen 
ger gefährlich fey, als in Angelegenheiten des Staats; ur 
ſolche Aeußerungen müßten die Tünglinge zu Berachtun 
der beftehenden Verfaſſung verleiten und fie gewaltthäti 
machen. Sc meines Orts bin ganz anderer Meinung. ° 
mehr Einer feinen Berftand ausbildet, und fid die Fähigke 
zutraut, feine Mitbürger über ihren wahren Vortheil 3 
belehren, defto weniger wird er gewaltthätig; ihm kann nid 
entgehen , daß Sewaltchat ohne Berfeindung und Gefat 
nicht abgeht, während durdy die Macht der Beredſamkeit ohr 
Gefahr und im Frieden eben fo viel zu: Stande gebrad 
wird. Denn Wer gezwungen wird, wird zum Feind, ai 
würde ihm Etwas genommen; Wer in Güte zu Etwas beri 
det wird, wird wohlwollend, als häfte man ihm Efwas gı 
ſchenkt. Nicht alfo Diejenigen, die den Verſtand ausbilder 
Sondern Die, welche Stärke befiben ohne Weisheit, find eg, di 
zur Gewaltthätigkeit ihre Sufluche nehmen, Auch Gehülfe 
Braucht Der, welcher ſich Gewaltthaͤtigkeiten erlaubt, in ziem 
Sicher Anzahl; Wer auf das DBereden fich verſteht, gar Feine 
er denkt, er koͤnne allein damit zu Stande Eoanmen. Und wi 
konnten Solche am Biutvergießen eine Freude haben? Wer 
ſollte ed nicht Fieber ſeyn, Einen lebend für feine Swede ; 
gewinnen, als ihn zu tödten? Doch nad) Angabe des Kıd 


422 Xenophon's Erinnerungen an Socrates. 


gers wäre Eritias *) und Alcibiades **) in Umgang 
mit Socrates geflanden und häften über den Staat das 
größte Unheil gebradyt. Critias wäre der Habfüchkigfte und 
Bewaltthätigfte unter allen Dligarchen, Alcibiades unter als 
len Democraten der Woilüftigfle und Webermüthigfte gewejen. 
Ich nun bin weit entfernt, fie wegen des Unheils, dag fie 
über den Staat bradyten, in Schus zu nehmen; nur von ih⸗ 
rer Verbindung mit Socrates will id) das Nähere berichten. 
Beide Männer waren von Natur die Ehrfüchtigften unter 
alten Athenern, Beide wollten, daß Alles was geſchah, durch 
fie gefchebe, und an Ruhm Alte übertreffen. Sie wußten, daß 
Socrates bei einem ganz Pleinen Vermögen zufrieden lebte, 
alle feine Begierden in feiner Gewalt hatte und Diejenigen, 
welche fich mit ihm in ein Geſpraͤch einfließen, nach Gefallen 
lenkte. Sollten nun, Zeute von ihrem Charakter nad) Dem, 
was ihnen von Socrates bekannt war, feinen Umgang gefucht 
haben, um feine Lebensweiſe und Nüchternheit***) fich anzus 
eignen, oder nicht vielmehr darum, weil fle bei ihm die befte 
Anleitung zur Beredfamkeit und zum thaͤtigen Leben zu finden - 
hofften? Ich meines Orts bin überzeugt, wenn ihnen ein 
Gott die Wahl freigegeben hätte, ihr Xeben lang fo zu leben, 


- wie fie den Socrates leben fahen, oder zu fterben, fie hätten 


tieber das Sterben gewählt. Dazu lieferte ihr Benehmen 





*) Eritiad. ©. über ihn Xenoph. Griech. Gef. UI, 3. 


**) Alcibiades. Seine Biographie f. bei Plutarch u. Nepos. 


+++) Ein für allemal fen Hier bemertt, daß Nuͤchternheit 
als Veberfegung von o@gppoovvn im weiteften Sinne 
(als vernünftiges Map im Denten und Handeln) genoms 
men wird, 


Erftes Buch. A: 


den beiten Beweis, Sobald fie glaubten, vor den übrin 
Zuhörern voraus zu feyn, ließen fle alsbald den GSocra: 
fiten, und warfen ſich auf die Staatögefchäfte, denen zu li 
fie eben ihn aufgefucht hatten. - 
Vieleicht möchte nun bier Jemand die Einwendung m 
X chen, Socrates hätte feine Freunde nicht früher zu d 
Staatsgeſchäften anleiten follen, als zur Nüchternheit. U 
diefer Bemerkung widerfpreche ich nicht. Aber Socrat 
that nichts Anderes, ald was alfe Lehrmeiſter thun, daß 
nämlich fich feibft den Lehrlingen ald Muſter hinſtellen, m 
fie felbft ihre Worfchriften befolgen, und dann mit Hül 
ihrer Beredſamkeit fie dazu anleiten. So flellte auch © 
crates fich felbft feinen Freunden ald Mufter eined ede 
umd tugendhaften Mannes Hin, und verband damit die fchd 
ften Geſpräche über Tugend und menfchliche Angelegenheit 
überhaupt. Und auch jene Beiden blieben, wie ich we 
nüchtern und gemäßigt, fo fange fie mit Socrates in V 
bindung flanden, nicht aus Furcht vor der Strafe oder Rut 
des Socrates, fondern weil fie wirklich Damals von dem f 
hen Werthe der Tugend überzeugt waren. Manche nun v 
, Denen, welche fid für Philofophen ausgeben, möchten vi 
Leicht hier entgegenhalten, der Gerechte könne nicht wı 
ungerecht werden, noch der Nüchterne und Befonnene fre 
noch überhaupt in irgend einem Gegenflande des Unterrich 
Derjenige unfundig, der darin unterrichtet ſey. Ich bin d 
fer Meinung nicht, Sch Habe die Erfahrung vor mir, d 
geiftige DVerrichtungen- Denen, welche ben Geift nicht üb 
eben fo ſchwer und unmdglich-werden, als Lörperliche. V 
richtungen Denen, welche dein Körper nicht üben; fle vern 


- 


* 


424 Xenophon's Erinnerungen an Socrates. 


gen weder zu hun, was fie follen, noch zu laffen, was fie 
ſollen. Daher fuchen auch Bäter ihre Söhne, wenn Diefe 
noch fo geſetzt und erufthaft find, dennoch von verborbenen 
Menfchen ferne zu halten, weil fie den Umgang mit Solchen 
für die Tugend eben fo gefährlich finden, als der Umgang 
mit Guten für dieſelben heilſam iſt. Damit ſtimmen bie 
Dichter überein, wenn Einer *) derfelben fagt: 

Gutes lerneſt du nur von Guten: böfe Gefellfchaft 

Riichtet bie Bildung auch, die Dir geworden. zu Grund, 
und ein Anderer: **) 

Tadelich ift ein waderer Mann oft, bfter zu Ioben. 
Und auch id) trete ihnen bei; ich finde, daß die Vorfchriften 
der Lehrer eben fo leicht durch Nachläßigkeit in Vergeffenheit 
tommen, als man Derfe von Dichtern ohne fortgehende Ein: 
übung vergißt. Vergißt aber Einer warnende Vorfchriften, 
fo find auch die Empfindungen in ihm erftorken, durch welche 
die Seele für die Tugend gewonnen wird; und find einmal 
tiefe erſtorben, fo ift es kein Wunder, wenn auch die Tugend 
in ihm erſtirbt. So finde ich auch, daß Diejenigen, welde 
fi) dem Trunke ergeben, oder den Ausfchweifungen in ber 
Liebe fich überlaffen Haben, von be an weniger im Stande 
find, was ſeyn follte, zu beobadyten, und was nicht ſeyn follte, 
zu unterlaſſen. Viele, die ihr Geld zu Rathe zu halten wifs 
fen, fo lange fie nicht der Liebe ſich ergeben, können es nicht 
mehr, fobald fie Dieb gethan haben; und Arten des Erwer⸗ 
bes, die fie. früher verfchmähten, weil fie fle für erniedrigend 





N 


*) Theognis B. 55. 
“) Ein unberaunter Dieter, 


5 





, 


Erſtes Buch: | .. 435 


Hielten, verfchmähen fle nicht mehe, wenn fle ihr Geld durchs 
gebrachte haben. Wie follte es daher unmöglich feyn, daß 
Leute, die früher geſetzt waren, es fpäter nicht mehr find, 
und Solche, die früher gerecht handeln konnten, es fpäter 
nicht mehr können ? Wie überhaupt alles Gute und Edle, ſo 
t ift namentlidy auch Gefestheit und Nüchternheit nach) meintr 
Veberzeugung Segenftand der Uebung. Die Lüfte und Bes 
' gierden, mit der Seele in einem und demfelben Körper zufams 
menwohnend, reizen jene, an Peine Ordnung fi zu halten, 
- and je eher je lieber ihnen und dem Körper zu Willen "zu 
werden. Auch Eritiad und Alcibiades waren allerdings, fo 
lange fie mit Socrates in Verbindung flanden, durch feine 
Unterftübung flart genug, um unedle Begierden zu unters 

drücken; aber nady der Trennung von ihm kam Gritias leider 
in ZTheffalien, wohin er flüchten mußte, *) unter Zeute, bei 
denen Gefeswidrigfeit mehr galt, als Gerechtigkeit; dem-Als 
cibiades auf der andern Seite gereichten die Nachſtellungen, 
die ihm feine Schönheit bei vielen Frauen vom erften Range 
zuzog, die Schmeicheleien, womit ihm wegen- feines Einfluffes 
bei Bürgern und Bundesgenoffen von Seiten vieler gewandter 

y Schmeichler der Kopf verrüdt wurde, fo wie die Ehrenbezeus " 
gungen des Volkes zum Verderben; es ward ihm zu leicht, 
der Erfte zu ſeyn, und darum ging es ihm, wie den Yechtern 
in den gymniſchen Kampffpielen, denen der Sieg nicht fchwer 
gemacht wird: er wurde faumfelig in feiner Fortbildung. Uns 
ter folchen Umständen flolz auf Geburt und Reichthum, aufs 





*) Xenophon Griech. Geſch. 81, C. 3. 
Kenophon. 468 Bochn. 3 


4236 Zenophon’s Erinnerungen an Socrates. 


gebtäfen über ihre Macht, verwöhnt durd, eine Menge Mens 
ſchen, und noch überdieß verführt, und lange Zeit von So— 
crates getrennt, — kann es auffallen, wenn fie da übermüs 
thig wurden? Sodann legt der Anklaͤger ihre Fehler dem 
Socrates zur Laſt; daß aber Derfelbe fie in ihrer Jugend, 
wo doch am wenigften Folgfamkeit und Selbſtbeherrſchung 
bei ihnen vorausgeſetzt werden darf, in der Ordnung erhalten, 
Das findet er keiner Anerkennung werth. So urtheilt man 
doch fonft nicht. Wo wird ein Flöten: oder Citherfpieler, 
oder fonft ein Lchrmeifter, der gute Schüler geliefert . hat, 
dafür verantwortlich gemadht, wenn fie zu Andern kommen 
und ‚dort fchlechter werden? wo mißt ein Dater, wenn fein 
Sohn bei einem Lehrer ſich gut gehalten hat, und nachher be; 

einem andern Lehrer verborben wird, dem erftern die Schuld 
bei? Wird er nicht vielmehr das DVerdienft des Erfteren um 
fo höher anfchlagen, je fchlimmer es mit feinem Sohne bei 
dem Zweiten geht? Sogar, wenn die Väter ſelbſt mit ihren 
Söhnen fid, abgeben, legt ihnen Niemand die Vergehungen 
der Kinder zur Laft, wofern fie nur felbft Beine Blößen ges 
ben, So hätte man aud dem Socrates follen fein Recht 
wibderfahren laſſen. Hätte er felbft Schlechtes gethan, fo 
hätte er billig für fchlecht 'gegolten; war er aber felbft immer 
gefebt und geordnet, welche Ungerechtigkeit, Fehler auf ihn 
zu fdhieben , die ihm fremd waren? Doch auch ohne daß er 
felbſt Schlechtes gethan hätte, Fönnten ihm dennoch gerechte 
Vorwürfe gemacht werden, wenn er bei Jenen Schlech⸗ 
tes gefehen und gut geheißen hätte. Allein bei Critias 
einmal war Dieß nicht der Fall. Als er bemerkte, daß Dies 


— 





’ 


Erſtes Buch. 4427 


fer in Euthydemns *) verliebt war, und auf eben die Weiſe, 
wie die Gefchlechtsiuft befriedigt wird, fid feiner bedies 
nen wollte, fo fuchte er. ihn davon abzubringen und flellfe 
ihm vor, wie unedel ed fey, und wie unanfländig für einen 
Mann von Ehre, den Gegenftand feiner Liebe, um deſſen 
Werthſchaätzung ihm doch zu thun fey, anzubekteln wie um ein 
Almoſen, und noch Gefchente zu feiner Bitte hinzuzufü⸗ 
gen, **) wo es dody nicht einmal um Etwas fidy handle, was 
nur den Namen eines Gutes verdiente. Und als Eritiad auf 
foiche Vorftellungen nicht hörte und fich nicht abbringen ließ, 
that Socrates in Gegenwart des Egthydemus und mehrerer: 
Anderer die Weußerung, es fcheine ihm in Eritiad etwas 
Schweiniſches fi) zu regen; er begehre fih an Euthhdemus 
zu reiben, wie ein Serkel an einem Steine. Deßwegen wurde: 
auch Eritind dem Socrates feind, und gedachte es ihm, da 
er als Mitglied der dreißig Tyrannen mit Charicles Geſetz⸗ 
geber ***) wurde. Das Verbot nämlich, in der Nedekunft Unter⸗ 
richt zu geben, nahm. er blos darum unter die Gefehe auf, 


*) Euthydem, auch IV, 2. 3. 5. erwähnt, Sohn des Diocles 
(Plato im Gaſtmahl) zu unterſcheiden von dem Bruder des 
Dionyfidor, nach welchem Plato einen Dialog benannt hat. 

**) Schneider ſchlug als Berbefferung diefer dunteln Stelle vor: 
ixerevovroæ xal, deouevov ueradovva xal Tavıa 
"undevog dyads’ db. h. „zu bitten nnd zu fliehen um 
die Mittheilung von Etwas, dad noch dazu Fein wahres 
Gut iſt.“ Ungefähr in diefem Sinne uͤberſetzt auch Hot⸗ 
tinger. In der dritten Ausgabe kehrt aber Schn. gewiſ⸗ 
ſermaßen zur Vulgata zuruͤck, mit dem Sinne, den unfere, 
Veberfegung ausbrädt, 

4), Vergl. Xenoph. Griech. Geſch. II, 3. im Anfange, 


⸗ 





426 Xenophon's Erinnerungen an Socrates. 


um dem Socrates einen Stoß zu geben, dem er nicht anders’ 
beizukoymmen wußte, und daher die, gemeiniglich den Philos 
- fophen überhaupt gemachte Beichuldigung zuſcheb, und ihn 
bet dem großen Haufen verleumbete. Denn weder ich ſelbſt 
hoarte jemals von Socrates einen Vortrag über dieſen Gegens 
fland, noͤch ift mir fonft Jemand bekannt, der Etwas darüber 
von ihm gehört zu haben behauptete. Die Abſicht des Ges 
ſetzes erhellte aus folgendem Umftande: da die dreißig Tyran⸗ 
sen einen großen Theil der angefehenften Bürger hinrichten 
ließen, und Andere zur Begänftigung ihrer Ungerechfigkeiten 
verleiteten, fo ließ fide Socrates irgendwo verlaufen, es 
komme ihm fonderbar vor, wenn ein Kuhhirte, bei dem die 
Heerde immer Bleiner und die Kühe immer magerer werden, 
nicht. gelten Taffen wolle, daß er ein fchlechter Hirte fey; aber 
noch) weit fonderbarer fey ed, wenn Einer ald Vorſtand eines 
Stäntes die Bevölkerung und. die Sittlichkeit deffeiben in 
" Berfall bringe, und fich body nicht fchäme und nicht zur Ue⸗ 
berzenaung Somme, daß er ein fchlechter Vorſtand des Staa⸗ 
‚tes ſey. Dieß wurde angebradyt. Critiad und Charickes 
tießen den Socrates vor ſich kommen, wiefen ihm das Gefet 
vor, und unterfagten ihm, mit den Jünglingen ſich zu unter: 
‚reden, Socrates fragte fle, ob es erlaubt fey, über etwaige 
Dunkelheiten in dem Verbote fich.nähere Erklärung. auszu⸗ 
bitten. Die Antwort war Ja. „Nun denn,’ fuhr er fort, 
„ich bin bereit wich den Gefehen zu unterwerfen; um aber 
nicht: aus Unwiſſenheit gegen dieſelben zu verfloßen, fo 
wünfchte ich darüber beftimmte Auskunft von euch, ob ihr 
die Nedekunft in die Nichtigkeit und Wahrheit ber Rede 
feßet, daß. ihr fie verbietet, oder. in ihre Unrichtigkeit. Sept 





Erfies Buch. 429 


\ 


ihr fie in die Richtigkeit, fo müßte man freilich aufgeben, 
richtig zu reden; ſetzt ihr fie aber in die Unrichkigkeit, fo ift 
klar, daß man fid) befleißigen muß, richtig zu reden.‘ Cha: 
ricles wurde unwillig über ihn, und fagte: „Da du und nicht 
verftehft, Socrates, fo geben wir dir folgende faßlidyere Vers 
ordnung: daß du mit den Jünglingen did, durchaus nicht 
unterreden ſolleſt.“ „Nun denn,‘ fuhr Gocrates fort, „da⸗ 
mit alle Ungewißheit wegfalle, daß ich der Verordnung zuwi⸗ 
der handle, fo gebt mir beſtimmt an, bis zu weichen Alter 
Einer nody unter die Zünglinge gehört. „So lange. Einer 
noch nicht rathsfähig ift, aus. Mangel an der gehörigen 
Reife des Verſtandes;“ erwiederte Charicles, „du ſollſt did) 
mithin mit Leuten unter dreißig Jahren nicht unterreden.“ 
„Auch dann alfo,“ eitgegnete Socrates, „wenn id) Etwas 
einfaufe, und ein Menſch unter dreißig Fahren bietet es feil, 
auch dann foll id) nicht fragen, wie er e8 zu kaufen gebe? 
„Ja, ſolche Sachen wohl,” antwortete Charicles, „aber du 
bift eben gewohnt, Socrates, nad) einer Menge von Dingen 
zu fragen, die div gar wohl bekannt find. Nach foldyen Sa= 
| chen ſollſt du alfo nicht fragen.” „Soll ich alfo and) nicht 
antworten, wenn ein Jünglisg mid) Etwas fragt, wenn idys 

weiß, 3. B. wo Eharicled wohne, oder wo Critias fidy be: 

finde?’ „O ja, auf foldhe Fragen wohl,” erwiederte Chari: 

cled. „Aber Das wirft du dir zu merken haben, Socrates,“ 

fiel hier Gritias ein, „daß du die Schufter, Bimmerleute und 

Schmiede in Ruhe läffeft; denn die find, denke ich, durch 

deine wiederholten Erwähnungen fchon ganz abgenügt.‘‘ 

„Ufo werde ich aud) Das Iafien müflen,‘ fuhr Socrates 

fort, „was ich damit in Verbindung fege, die Begriffe von 


4350 Xenophon's Erinnerungen an Socrates. 


Hecht und Pflicht und von andern verwandten Gegenſtänden.“ 
„Ja,“ antwortete Eharicles, ‚und auch die Kubhirten; wo 
nicht, fo nimm dich in Acht, daß nicht auch du die Zahl der 

- Kühe einer macheſt!“ Diefe Aeußerung gab zu erkennen, 

- Haß eine von der Dergleichung mit den Kühen erhaltene 

"Kunde die Urfache ihres Unwillens über Socrates gewefen 

“war. Und damit von der Verbindung des Gritiad mit Go: 

crates umd von ihren gegenfeitigen Verhältniſſe genug. Ue⸗ 

- berhaupt möchte ich behaupten, daß ein Lehrer nie großen 

- @influß auf feinen Zögling haben FLönne, wenn Diefer fein 

- Mohfgefallen an ihm findet. Dieß war aber bei Eritiad und 
Alcibiades der Fall. Nicht aus Wohlgefallen an Socrates 
gingen fie mit Diefem um, fo lange fie mit ihm umaingen; 
{ondern gleich von Anfang war ihr Streben darauf geridhs 
‚tet, ſich an die Spite des Staates Zu Stellen. Noch fo Tange 
fie mit Socrates in Verbindung fanden, Tießen-fie fich mit 
Niemand lieber ein, als mit Solchen, die am Staatsruder 
»faßen. So ſoll Alcibiades, noc ehe er zwanzig Jahre alt 
War, mit Pericles, feinem Bormunde und damaligem Vor: 

Atande des Staats, folgendes Gefpräd über die Gefebe 
‚gehalten haben: — Alcibiades. Höre, Pericles, könnteſt du 
mich belehren, wa3 ein Befeh it? — Pericles Gar 
wohl. — Alec Sp belehre mich denn, ich befchwöre dich; ich 
höre gewifle Leute als gefeglihe Männer loben, und ich 
glaube, diefed Lob könne man nicht verdienen, ohne zu wiſſen, 
was Geſetz ift. — Der. Es iſt gar nicht fchwer, Atcibiades, 
deinen Wunſch zu befriedigen. Geſetz ift alled Dasjenige, 
was dad Volk in der Verſammlung nad) vorangegangener 
Drüfung fchriftlic, feitgefegt hat, fen ed als Befehl oder ale 


- 


- 


\ 


Erſtes Buch. 48 


Berbot, — Ale Was es feftgefeht hat, in ber Meinung, 
dad man das Gute thun müffe oder das Böfe? — Per. Das 
Eritere, mein Sohn, natürlich: das Böſe aber nicht. — 
Arte, Aber wenn es nicht das Volk iſt, fondern, wie in einer 
Oligarchie, nur einzelne Wenige, die ſich verfammeln und 
\ ſchriftlich reftfepen, wad man zu Chun hat: wie nennt man 
Dieb? — Per. Alles, was die höchſte Gewalt im Staate 
nad) vorangegangener Berathung über Das, was zu thun if, 
fchrifttich feftfebt, nennt man Geſetz. — Alc. Wenn aber ein 
Tyrann die Gewalt in Händen hat, und den Bürgeru bor- 
fchreibt, was fie thun ſollen: ift dieß auch ein Geſetz? — 
Der. Auch was ein Tyrann während feiner Negierung feſt⸗ 
fest, auch Das heißt ein Geſetz. — Alc. Was foll dann aber 
Gewalt und Geſetzloſigkeit ſeyn, Pericles? Kann es etwas 
Anderes fenn, ald wenn der Stärfere den Schwächeren nicht 
durch bie Macht der Beredfamkeit, fordern durch Zwang dazu 
bringt, ſich in ſeinen Willen zu fügen? — Per. So meine 
ih. — Alc. Alles alſo, wozu ein Tyrann die Bürger durch 
fchriftfiche Anordnungen nöthigt, ohne fle.durdy gütliche Vor: 
ſtellungen dafür geftimmt zu haben, ift Geſetzloſigkeit? — 
Der. Fa, und ich nehme meine frühere Behauptung zurüc, 
Daß fehriftliche Anordnungen von Tyrannen ohne vorange⸗ 
gangene Webereinkfunft mit den Bürgern Gefebe feyen. — 
Alc. Und wenn eine Kleine Anzahl von Bürgern, ohne vor: 
her nachgefuchte Einwilligung der Mehrzahl, bios dermöge 
des im Staat erlangten Webergewichtes Etwas fchriftlich 
feftfebt, werden wir Dieß Gewalt nennen, oder nicht? — 
Der. Ueberhaupt was Einer dem Andern für eine Verbind— 
dichkeit auferlegt, ohne vorher feine Einwilligung erhalten zu 





432 Xenophon's Erinnerungen an Socrates. 


haben, geſchehe ed nun fchriftlich oder nicht, Tcheint mie 
Gewalt und kein Geſetz zu ſeyn. — Ale. Alfo auch fchrifte 
liche Verordnungen, weldhe die Gefammtmafle des Molke 
vermöge ihrer Webermaht Aber die Reichen feftfegt, ohne 
deren. Einwilligung zu erhalten, dürften Gewalt und keine 
Geſetze ſeyn? — Per. Ganz richtig, mein Alcibiades. Auch 
wir waren in dieſem Alter in derlei Dingen flard; denn es 
war auch unfer Fleiß und Scharffinn eben auf die Gegen: 


ſtaͤnde gerichtet, die jetzt audy deinen Fleiß in Anſpruch zu 


nehmen fcheinen. — Alc. Hätte ich doch damals mit dir 
fprechen durfen, wie du hierin chen am flärkften warf! 
Kaum glaubten ſich nun Critias und Alcibiades den damalis 
gen Staatsmännern überlegen, fo gaben fie ihre Befuche bei 
Socrates auf, und widmeten fid den Staatsgeſchäften, dem 
eigentlichen Zwecke, der fle zu Socrates geführt hatte, Eie 
hatten überhaupt nie Freude an ihm gehabt, und noch oben⸗ 
drein waren ihnen, wenn fie ihn befuchten, die Verweiſe, 
die er ihnen über ihre Unarten gab, fletd zuwider gewefen. 
Aber Sorrates hatte andere Schüler, den Erite, Chärephon, 
Ehärecrates, Hermocrates, Simmias, Cebes, Phaädondas und 
Andere, die nicht in der Abſicht, Volkerenner und Sachwals 


‚ter zu werden, feinen Umgang fuchten, fondern um fidy zu 


rechtfchaffenen und tugendhaften Männern zu bilden, unb 
gegen Familie und Gefinde, Verwandte und Sreunde, Staat 
und Mitbürger fich gut benehmen zit lernen; und unter dies 
fen Allen ift auch nicht Einer, der irgendwo in jüngeren 
Sahren oder fpäter Schlechtes fi erlaubt hätte, oder auch 
nur deffen bezüchtigt worden wäre. — Doch nach Angabe des 
Klägers hätte Socrates feine Freunde zu Mißhandlung der 








. 
£ 


Baͤter angeführt, fie berebet, er mache fie weifer als ihre 
Bäter feyen, und auf die in den Gefeben ausgeſprochene Be⸗ 
fugniß, ſelbſt feinen Dater zu feſſeln, wenn man fidy non defs 
fen Bahnfinn überzeugt habe, den Beweis Hegründet, daß 
ed nicht anders als den Geſetzen gemäß fey, wenn der Unwifs 
fendere von dem Weiſeren gefeffelt werde. ‚Altein Socrates 
meinte vielmehr, :wensi Einer einen Andern wegen Unwiſſenheit 
feßle, fo Habe Derjenige, welcher wife, mas Jener nicht wille, 
gleiches Recht auch ihn zu feſſeln; er ſtellte fid) deßwegen 
öfters die Frage, worin der Unterfchied zwifchen Wahnflın 
‚und Unmiffenheit Tiege, und fand es bei den Wahnfinnigen 
ſowohl für fie felnft, als für ihre Sreunde zwedimäßig, wenn, 
‚fie gefeffelt werden; Denjenigen gegenüber aber, welche das 
Nöthige nicht wiften, meinte er, haben Die, welche es wiflen, 
das Recht, Jene darüber zw befehren. Doc nad) Angabe 
des Klägers hätte Socrates nicht nur die Väter, fondern 
auch die übrigen Anverwandten bei feinen Syreunden um bie 
ihnen fchuldige Werthſchaͤtzung gebracht; er hätte gelehrt, Vers 

. "wandte helfen weder in Krankheiten noch in Rechtshändekn 
etwas; im erften Falle niliffe man den Arzt, im Febtern ben 
Rechtsverſtändigen zu Mathe ziehen. Ja and) von den Freut: 
den hätte er gefagt, ihr Wohlwollen helfe ung nichts, wenn 
fie ung zu Nichte behülflich feyn können, nur Diejenigen 
hätte er der Werthſchätzung für würdig erklärt, die das Nö⸗ 
thige wiffen, und fich darüber mitzucheilen verftehen, und da 
er nun die Fünglinge beredet, daß er nicht nur der größte 

Weiſe, fondern auch der befte Lehrer der Weisheit für An⸗ 
dere fen, fo hätte er es bei ihnen dahin gebracht, daß fie gegen 


! 


434 Xenophon's Erinnerungen an Socrates. 


ihn alle Anderen für Nichts achteten. Ich erinnere mid nun 
wohl, daß er über die Väter und andern Verwandten und 
über die Freunde auf die angegebene Art ſich ausſprach; er 
tagte nod) überdieß, wenn die Seele, der alleinige Sitz des 
Verftandes, hinaus fen, fo fchaffe man ben Leib ſelbſt der 
nächtten Angehörigen fo bald als möglich fort, und beflatte 
ihn. Er fette hinzu, fo lange der Menfch lebe, gehe ihm 
Nichts über feinen Körper; dennoch nehme Jeder von feinem 
Körper alles Unbrauchbare und Schädliche entweber felbft 
ab, oder er laffe es durch Andere abnehmen. Dan fchneide 
fid) die Nägel, Haare und Hautverhärtungen feibft ab, und 
Kaffe fie and) durch die Aerzte nicht ohne Befchwerden und 
Schmerzen wegfchneiden und wegbrennen, und glaube dafür 
ihnen noch Belohnung fhuldig zu fern. So fpude man aud) 


‚ven Speichel aus dem Munde fo weit ald möglidy aus, weil 


er darin wicht nur nichts helfe, fondern vielmehr fchade. 
ber damit wollte er nicht Ichren, man folle den Water bei 
febendigem Leibe begraben und ſich verſtümmeln; er wollte 
nur beweifen, daß das Unvernünftige verachtet fey, und grüfts 
dete darauf die Ermahnung, man folle ſich's angelegen ſeyn 
Kaffen, immer verftändiger und mühlicher zu werden; denn 
man möge von Vater, Mutter, Bruder oder fonft Jemand 
geachtet feyn wollen, fo dürfe man nicht im Vertrauen auf 
die Derwandtfchaft nachläßig feyn; man müffe fihfbeftreben, 
Denen nützlich zu werben, deren Achtung man ſuche. Nach 
Angabe des Klägers hätte er auch aus den vorzügtichften 
Dichtern die gefährlichflen Stellen ausgewählt, und mit 
Hülfe diefer Autoritäten Diejenigen, die mit ihm umgingen, 








ö/V/ ————————— 


Erſtes Buch. 45 


zu Verbrechen und Gewaltthaͤtigkeiten angeleitet. Die Stelle 
aus Heflod* z. DB. 
Thun ift niemals Schande, nur Muͤßiggehen ift Schande. 
hätte er fo ausgelegt, als ob der Dichter Ichrte, man folle 
| ſich keines Thuns, auch nicht ungerechten und entehrendem 
enthalten, fondern Alles ſich erlauben, wo Gewinn zu hoffen 
fey. Allein wenn Socrates zugab, bag thätig feyn dem Mens 
ſchen nüslich und etwas Gutes, müßig ſeyn aber ſchaͤdlich und 
ein Fehler fey, und wieder Thun etwas Gutes, Müßiggehen 
aber etwas Yehlerhaftes, fo verfland er unter Thun und 
Thaͤtigſeyn fo viel als etwas Gutes thun; Spielen aber und 
andere verwerfliche und verderbliche Befchäftigungen nannte er 
Müpiggehen, und fo gefaßt hat der Ders einen richtigen Sinn: 
Thun ift niemals Schande, nur Müßiggehen ift Schande, 
Serner hätte er nach Angabe des Klägers die Homerifchen 
Merfe**) oft im Munde geführt, wo Ulyſſes, 
Weiden der Könige nun und ebleren Männer er antraf, 
Freundlich hemmt er Diefen, mit ſchmeichelnden Worten 
ibm nahen: 
Seltfamer, nicht dir ziemt’s, wie ein feiger Mann zu 
verzagen! 
Sig in Ruhe du felbft, und heiſſe auch ruhen bie Anderen ! 
Welchen Mann ded Volkes er fah und ſchreiend ihn antraf, 
Diefen ſchlug fein Scepter und laut bedrohte das Wort ihn: 
Sertſamer, rege dich nicht, und Hör’ auf Anderer Rebe, 
Die mehr gelten, denn du! Untriegerifh Bift du umd 
fraftloß, 
Pie aum weder im Kampf ein Gerechneter, noch in dem 
Rathe. 


*) Heſiod. Werte und Tage, V. 311. 
**) Homer JIliad. II, Fu88 — 103, nach Voß, 





436 Xenophon's Erinnerungen an Socrates. 


Dieß hätte Socrates fo erklaͤrt, als ob der Dichter es billigte, 
daß dad gemeine und arme Volk Schläge befomme. Allein 
Socrates nahm ſich wohl inAcht, fo Etwas zu ſagen; fonft 
hätte er ja der Meinung feyn müflen, daß aud ihm Schläge 
gehören, Er wollte fagen: bei Denjenigen, die weder durch 
Rath noch durch That ſich nüslich machen, die weder dem 
Heere, noch dem Staate, noch aud) nur dem gemeinen Volke 
im Falle der Noth einen Dienft erweifen können ; bei ſolchen 
Leuten dürfe man, zumal wenn fie noch dazır frech fenen, Fein 
Mittel ſcheuen, um fie in Ordnung zu bringen, auch wenn 
fie noch fo reich wäre. Socrates zeigte ſich vielmehr im 
. Gegentheil als einen Freund des Volkes und der Menfchen 
überhaupt. So groß and) der Andrang zu feinem Unterricht 
unter Bürgern und Fremden war, fo nahm er doch von Keis 
nem irgend eine Belohnung für die Zeit an, die er ihm 
- widmete, fondern theilte Allen willig von dem Seinigen mit; 
wogegen Einige Eleine Stüde von Diefen, die fie unentgeld⸗ 
lich von ihm befommen hatten, um hohen Preis an Andere 
verkauften, und nicht, wie er, ſich ald Freunde des Volkes 
bewiefen; denn ſie fdyloffen Diejenigen von ihrem Unterricht 
ans, die nicht bezahlen Eonnten. Ya, Socrates machte auch 
auswärts dem Vaterland Ehre, weit mehr, als der in diefer 
Hinſicht ſo berühmt gewordene Lichas *) dem Staate der 
Lacedämonier, Denn während Licha nur an den Gymno⸗ 
pädien**) die in Sparta anwefenden Fremden bewirthete, 


*) Lichas, auch aus Thucyd. V, 50, und Kenoph. Griech. 
Geſch. III, 2. betannt. 

**) Gomnopabien, ein hohes Feſt in Sparta, welches burch 
mimiſche Taͤnze von Juͤnglingen und Maͤnnern, ſo wie 


Erſtes Buch; 437 


ſo wendete Socrates ſein ganzes Leben hindurch das Seinige 
auf, und erwies Jedem, der nur wollte, den größten Dienftz 
ten er ihm erweifen konnte, indem er Die, welche feinen Um⸗ 
gang benüsten, gebeffert eatließ. Mir fohien daher Socrates 
bei einem ſolchen Verhalten vielmehr. eine Ehrenauszeichnung, 
aber nicht den Tod um den Staati verdient zu haben. Und 
auch nad) den Gefegen kann man auf Bein. anderes -Ergebniß. 
fommen. Nach den Gefenen tritt Zodesftrafe in den Faͤllen. 
ein, wo Einer des Diebftahls, des Kleiderraubs, der Beutels 
fchneiderei, des gewaltfamen Einbruches, des Verkaufes freier 
Menſchen oder des Tempelraubs ſich fchuldig gemacht hat; 
- Sauter Berbrechen, von denen Niemand weiter entfernt war, 
als Socrates. Nie konnte der Staat an dem unglüdlichen _ 
Ausgang eines Krieges, an einer Empdrung, an.einem Ver⸗ 
rathe oder fonft an einem Unheile, das ihn traf, dem Socrates 
Schuld beimeſſen; nie brachte er einen einzelnen Menfcher 
um ein Gut, noch bereitete er ihm Uebel; nie traf ihn in- 
“einer der genaunten Hinſichten auch nur eine Beſchuldigung. 
Wie Sonnte er nun der ihm zur Laſt gelegten. Verbrechen 
schuldig feyn, er, der ſtatt die Götter nicht anzunehmen, wie 
in der Klageſchrift ſtand, fich. unter allen Menfchen als den 
eifrigften Verehrer der Götter bewies, und flatt.die Jüng⸗ 
Tinge zu verderben, wie ihm fein Anklaͤger vorwarf, int Ges. 
gentheile ſichtbar Diejenigen, welche ihm näher kamen‘, vom. 





durch Rieder, vorzüglich zu Ehren des Apollo und Bacchus 
im Anfange des Athenienfifhen Monats Kecatombdon auf 
dffentlichem Markte gefeiert wurde. Der Urfprung bes 
Seftes iM unbekannt. S. Manfo Sparta, erfien Banbes 
zweiten Theil, ©. 210. ff. . 


J 


—3 


458 Zenophou'6 Erinmerungen an Socrates. 


verberblihen Neigungen zurüdzubringen und fie für die 
Schönheit und DBortrefflichkeit der Tugend, der Duelle alles 
bürgestichen und häuslichen Glüdes, zu gewinnen fuchte ? 
That er aber Diefes, wie hätte er nicht die höchften Ehren⸗ 
auszeichnungen um das Vaterland verdient ? 

3. Wie er num feinen Freuuden ſich nützlich gemacht, (ds 
wohl durch das Beifpiel, das er ihnen thätlich gab, als durdy 
mündlichen Unterricht, davon will ich Hinfort verzeichnen, fo 
viel mir noch im Gedaͤchtniſſe ift. In Beziehung auf die 
Goͤtter handelte und redete er jederzeit fo, wie die Pythia 
Denen antwortet, weldye fie wegen eines Opfers, wegen Ver⸗ 
ehrung der Voreltern oder fonft einer ähnfichen Angelegenheit 
befragen, wie ed damit zu halten fey. !Diefe gibt naͤmlich zur 
Antwort: Wer gottesfürchtig feyn wolle,,müffe ſich nadı den 
Öefeben,des Staates richten. Und eben Diefes beobachtete 
Socrates ſelbſt, Diefes fchärfte er aucdy Andern ein; Wer 
Anders handelte, den hielt er für übertrieben und einfältig. 
Im Gebete fiehte er die Götter fchlechtweg um Das, was aut 
fey, an, weil die Götter am beften willen, wag in jedem eitt« 
zeinen Falle gut fen; um Gold, Silber, Alteinherrfchaft oder 
fonft Etwas der Art zu bitten kam ihm gerade vor, wie 
wenn Einer darum bitten wollte, in ein Spiel oder in eine 
Schlacht öder in etwas Anderes, wovon der Erfolg fidy uns 
möglich voraus berechnen läßt, ſich einfaflen zu dürfen. Die 
Dpfer , die er darbrachte, waren Elein, wie fein Dermögen, 
aber er glaubte darum nichts gegen Diejenigen zu verlieren, 
die don einem großen Vermögen große Opfer darbrachten. 
Schon der Götter, meinte er, wäre es unwürdig, wenn ſie an 
den großen Opfern größeres Wohlgefalten hätten, als an den 


Erftes Buch. , 439 


Heinen; fonft müßten ihnen ja oft die Gaben fehlechter Mens 
fdyen angenehmer feyn, ald die der Tugendhaften; und für die 
Menfchen wäre es nicht mehr der Mühe werth zu leben, 
wenn Letzteres der Fat wäre. Die Gottesfurcht des Darbrins 
genden hielt er vielmehr für den Maßſtab, nad) welchen fidy 
das Mohlgefallen der Götter an der ihnen bezeisten Vereh⸗ 
rung richte, Auch berief er ſich auf nachflehenden Vers: *) 
Nach Vermögen zu thun den unfterblichen Göttern die Opfer, 
Auch für unfere Verhältniffe zu Freunden und Gaſtfreunden 
und für alle Fälle des Lebens eigne ſich die Vorſchrift, nach 
Dermögen zu thun, zu einem herrlichen Sittenfpruche. Glaubte 
er über Etwas Andeutung von den Göttern zu haben, fo 


‚Hätte er fih um Alles in der Welt nicht beftimmen laſſen, 


dieſem Winke zuwider zu handeln; cher häfte er einen Blin⸗ 
den und des Weges Unkundigen flatt eined Sehenden und 


des Weges Kundigen fidy zum Wegweifer anfchwasen laffen. 


Auch an Anderen nannte er es Thorheit, wenn fle aus Scheue 
vor Uinehre bei den Menfchen den Andeutungen der Götter 
‚zuwider handelten. Er felbft nahm auf Menfchliches durch⸗ 
aus keine Rüdfiht, wo er den Rath der Götter vor 


fi) Hatte. 
Leib und Seele hatte 'er ferner an eine Hrdnung ges 


wöhnt, daß, Wer fie annimmt, fo Tange nichts Aufferordents 


liches in den Weg tritt, frei von Sorgen und Gefahren 
feben kann, ohne wegen großen Aufwandes in Verlegenheit 
zu fommen. Er lebte fo fparfam, daß unmöglih Jemand 
mit feiner Hände Arbeit fo wenig verdienen Bann, ohne fo 


*) Heſiob. Tage und Werte V. 356. 


J 


440 Xenophon's Erinnerungen an Soerates. 


viel zu gewinnen, als für Socrates hinreichte, Speife nahm 
er nie mehr zu fich, als ihm fchmedte, umd er war jederzeit 
fo darauf vorbereitet, daß ihm der Appetit nad Brod die 
Stelle der Fleischfpeifen vertrat; auch jeder Trank war ihm 
angenehm, weil er nie trank, ald wenn er Durft hatte, 
Nahm er einmal eine Einladung zu einer Mahlzeit an, fo 
war es ihm etwas Leichtes, was Andern mit alfer Mühe 
kaum gelingt: ſich vor Weberfülung zu hüten. Wer. Dieß 
nicht Eonnte, dem gab er den Rath, fich vor den Genüſſen 
zu hüten, die zum Effen reizen, ohne daß man Hunger, und 
zum Trinken, ohne daß man Durſt Hat. Denn die feyen es 
vorzüglich, die auf Magen, Kopf und Seele nachtheilig wirken. 
Auch Eirce, fepte er fcherzend hinzu, habe ohne Zweifel durch 
reichliche Portionen folcher Reizmittel die Menſchen in Schweine 
verwandelt ; und Odyſſeus fen eben darum einft auch ein 
Schwein geworden, weil er auf den Rath des Hermes [Mer« 
eur] und aus eigener Enthaltſamkeit ſich gemäßigt, und vor 
Veberfällung mit folchen Genüffen ſich in Acht genommen - 
Habe. So ſcherzte er über diefen Gegenftand, aber in dem 
Scherze Tag zugleich eine ernfthafte Lehre. In Anfehung des 
Genuffes der Liebe warnte er nachdrücklich vor der Wahl 
(höner Perfonen. Denn mit Sotchen ſich einzulaffen und bei 
Berftande: zu bleiben, hielt er für Beine leichte Aufgabe. 
Fa er Hatte-nur einſt von: Eritobulus *), dem Sohne des 





*) SEritobulus, IT, auch 6. erwähnt. Athenaͤus V, 20, ſpricht 
ihm Kenntniffe und edlen Character ab, Vergl. noch Des 
eon. 3. und Gaftmanı E. 4 





Erſtes Buch. u Kkı, 


Erito, gehört, daß 'er den fehönen Sohn des Wlcibiades *) 
geküßt habe; da richtete er in Anweſenheit des Critobulus 
die Frage an Kenophon: „Höre, Kenophon, zählteſt du nicht 
bisher den Critobolus unter die nüchternen Menfchen eber 
als unter die frechen, und unter die vorfichkigen eher als 
unter die thörichten und tolfühnen? — Xenoph. Aller 
dings. — Socr Don nun an denn befradhte ihn als den 


"größten Feuerkopf und Wagehals; er wäre im Stande, mit 


dem Kopfe fih in Schwerter zu flürzen, und mitten in’s 
euer zu fpringen. — Zenoph. Und was ſaheſt du denn 
Hihn thun, daß du eine folhe Meinung von ihm faſſeſt? — 
Socr. Hat er nit die Kühnheit gehabt, den Sohn bes 
YAlcibiades zu küſſen, der das fchönfte Geſicht und das blüs 
Hendfte Ausfehen von der Welt hat? — Kenoph. O wenn 
Das den Wagehals machen heißt, fo, denke ich, hätte auch 
id) diefes Wageſtück befanden. — Soer. Unglüdlicher! 
and was meint du, daß Dieß für Solgen für dich haben 
würde, wenn du einen fchönen Jüngling küßteſt? Glaubſt 
Du nicht, daß du mit Einemmale ein Sclave würdeft aus 
einem Freien, daß du große Summen aufwenden müßte, 
um eine fchädliche Leidenſchaft zu befriedigen; daß du alle 
Zeit verlöreft, um auf etwas Rechtes dich zu legen; daß bu 
endlich gendthigt wäreſt, Dingen dich zu widmen, beiten 
nicht einmal ein Wahnfinniger fid) widmen möchte? — Fe⸗ 
noph. Beim Herenles! was du dem Kuffe für eine furcht⸗ 
bare Kraft beilegſt! — Socr. Und das ift dir auffallend ? 


*) Iſocrates bielt eine Schutzrede für einen Sohn des Alei⸗ 
biabes. Ob Hier Derfeine gemeint ft, ift ungewiß. 
- Zenophon, kb Ohm. 4 


* 


442 Zenophon’d Erinnerungen an Socrates. 


Weißt du nicht, daß die Biftfpinne, in der Größe kaum, 
wie ein halber Obolus *), wenn fie nur mit dem Munde den 
Menfchen berührt, ihm die heftigften Schmerzen verurfacht, 
amd ihn von Sinnen bringt? — Xenoph. Allerdings; 
die Giftſpinne theift ja durch den Biß von ihrem Gifte mit. 
— GSocr. Thor, glaubft du denn nicht, daß die Schönen 
mit dem Kuffe Etwas mittheilen, weil du es nicht ficheft ? 
Weißt du nicht, daß diefes Thier, welches man Schönheit 
und Blüthe nennt, noch weit gefährlicher ift, als die Gift⸗ 
fpinne? Diefe kann nur durch Berührung fchaden ; jenes 


Hingegen flöBt auch ohne zu berühren, wenn man es nur . 
‚anfieht, aus beträdhtlicher Entfernung ein Gift ein, welches 


uns zur Raferei bringt. Und vielleicht bezeichnet man auch 
die Lichesgötter darum als Bogenſchützen, weil die Schönen 
auch ans der Ferne verwunden. Ja, Kenophon, ich rathe 
dir, wenn du einen fchönen Jüngling ſiehſt, aus Leibeskräfe 
ten zu fliehen; und dir, Critobulus, gebe ich den Rath, 
anf ein ganzes Jahr auf Reifen zu gehen; all diefe Zeit reiche 
vieleicht kaum bin, Did von deinem Biffe zu heilen. 
So meinte er auch zum Genuſſe der Liebe müffen Leute, die 
in diefem Punkte nicht feſt feyen, ſich folche Gegenftände 
wählen, zu denen man ohne dringendes Bedürfniß nicht Teiche 


Luft befäme, und bei denen man-im Falle bes Bedürfniſſes 


nicht wohl Schwierigfeiten zu befürchten habe. Er ferbft 
hatte ſich gegen die Reize der Schönheit fo gewaffnet, daß 
— — — 
*) Ein halber Obolus war die kleinſte Silbermuͤnze, etwa den 
dlyadrog ausgenommen, ber jedoch auch in Kupfer 
geprägt wurde. , 








° Erſtes Buch. 445 


er leichter gegen bie ſchoͤnſten und blühendflen Geſtalten 
gleichgültig blieb, als Andere gegen die häßlichſten und vers 
brühteften. So hatte er ſich in Abſicht auf Speife und Trank 
und Genuß der Liebe gewöhnt, und er glaubte dabei nicht 
weniger Befriedigung und weit weniger Unluft zu haben, als 
Andere, die ſich mit diefen Dingen große Mühe geben. 

4 &8 fehlt nun nicht an Solchen, welche auf die fchriftlichen. 
und mündlichen Berichte Einiger über ihn die Meinung gräns 
den, Gocrates habe zwar in hohem Grade das Talent bes 
fefien, die Menfchen zur Zugend anzuregen, aber nicht fle 
zu derfelben zu führen. Möchten Diefe dody nicht blos die 
Unterredungen, worin er die Sophiften mit ihrem Allwiſſens⸗ 
dünkel durch feine Fragen in Derlegenheit ſetzte, um fie zu: 
recht zu weifen, fondern auch feine täglichen Gefpräcde mit 
feinen Freunden in Erwägung ziehen, und dann urtheilen, 
ob er im Stande gewefen, Diejenigen beffer zu machen, die 
mit ihm Umgang pflogen! Zuerſt will idy die Unterredung 
berichten, welche er einft in meinem Beiſeyn mit Ariftodemus *), 
dem fogenannten Kleinen, über die Gottheit führte. Cr 
hatte bemerkt, daß Diefer nie mit einem Anliegen fi an die 
Bötter wendete, und daher weder opferte, nad) der Wahr- 
ſagerkunſt fic) bediente **), fondern fogar Andere, die es tha⸗ 


*) Ariſtodem, auch von Plato im Gaſtmahl erwähnt, wo er 
als ein fleißiger Zuhbrer des Socrates geſchildert ift, ber 
immer barfuß gegangen, Wis fein Geburtort ift dort Ey⸗ 
dathene angegeben. 

**) Vulg. unyavwuevov. Nach der von Schneider uns 
Schuͤt adoptirten Emendation bes Keundavius, gr EÜ- 
4* 


4 





444 Xenophon's Erinnerungen an Socrates. 


ten, verlachte. Er fing daher an: Höre, Ariſtodem, gibt es 
Menſchen, die du wegen ihrer Weisheit bewunderſt ? — Arift. 
Allerdings. — So er. So nenne fie und dod, mit Namen! — 
Ariſt. Ich bewundere vornemlich den Homer in der Epiſchen 
Dichtdunft, den Melanippides *) in der Dithyrambifchen, 
den Sophocles , in der Tragifchen, ferner den Polycletus **) 
in der Bildhauerkunft, und den Zeuxis ***) in ber Materkunft. — 
Syer. Welche Künftter fcheinen dir größere Bewunderung 
zu verdienen, Diejenigen, welche Geftalten ohne Berftand 
und Bewegung hevorbringen, oder Diejenigen, welche leben: 
Dige Wefen mit Verftand und Thatkraft ? — Arift. Weit grö⸗ 
Bere in der That Diejenigen, welche lebendige Wefen her: 
verbringen, wenn fle anders nicht das Merk des Zufalls, 
-fondern einer vernünftigen Kraft find. — Socr. Und nun, von 
Dingen, deren Zweck fldy nicht einfehen Läßt, und von folchen, 
‚bie offenbar einen nüblichen Zweck haben — welche von beiden 
Halt du für Werke des Zufalls, welche für Werke der vernünfs 
tigen Meberlegung? — Ariſt. Was zu einem nützlichen Zwecke 





xouevov wäre zu überfegen: „bag Diefer weber opferte, 
“noch Gelũubde that, noch u. ſ. w.’’ wir wagen bie wenig⸗ 
ſtens eben fo leichte Eonfeckur ur) xosväuevor. 
*) Melanippibes aus Melod, Sohn bed Erito, lebte um bie 
65 Olympiabe. 
++) Polyclet von Sicyon, einer ber beruͤhmteſten Bilbhauer 
des Alterthums, lebte na Phidias, ungefähr Hundert 
Jahre vor Alexander ben Großem. Werte find von ihm 
genannt bei Plin. Naturgeſch. XXXIV, 8.) 
+) Zeuxis von Heraden lebte um bie Zeit des Peloponneſi⸗ 
ſchen Kriegs. 





Erſtes Buch. Au 


geſchieht, ift natürlich das Werk vernünftiger Ueberlegung. — 
Socr Scheint bir nun nicht Derjenige, welcher urfprüng- 
lich die Menfchen fchuf, zu einem nuͤtzlichen Zwecke ihnen jedes 
einzelne Sinnenwerkzeug beigegeben zu haben, die Augen, um 
dad Sichtbare zu fehen, die Ohren, um das Hörbare zu hö⸗ 
ven? Was hälfen ung die Gerüche, wenn wir vorn Feine 
Naſen hätten? Und wie hätten wir eine Empfindung von 
Süß und Scharf, und von allem Angenehmen, was durch 
den Mund eingeht, wenn nit darin die Zunge als Beur⸗ 
theilerin der Empfindungen angebracht wäre? Weiter, ift 
nicht anch das ein Wer? der Vorficht, daß Derfelbe die Aus 
gen., weil es etwas Zärtliches darum ift, mit Augenliedern, 
wie mit Fallthuren verfehen hat, die ſich Öffnen, wenn jene 
gebraucht werden, und im Schlafe ſich fchließenz; daß er, um 
auch die Winde unfchädlich zu machen, Augenwimper als. 
Seiher angebracht, und, damit nicht einmal der Schweiß vom 
Haupte nachtheilig werde, die Gegend über den Augen mit 
YAungenbraunen verwahrt hat; daß ferner das Gehör alle Töne 
anfsimme, ohne je voll zu werden; daß die Vorderzähne bei 
allen Thieren zum Schneiden eingerichtet find, die Baden: 
zähne zum Zermalmen deffen, was fie von jenen befommen ; 
Daß endlich der Mund, durch welchen die lebendigen Weſen 
ihre Nahrung zu fid, nehmen, in die Nähe der Augen und 
der Nafe gefeut, dagegen wegen Widerlichkeit der Excre⸗ 
mente die Kanäle derfelben anderswohin geleitet, und fo -weit 
als möglich von den Empfindungsmwerkzeugen entfernt find; 
lauter Einrichtungen der größten Vorfiht, und du kannſt 
noch zweifeln, ob ed Werke des Zufalld oder einer vernünf⸗ 

tigen Kraft feyen? — Ariſt. Nein, in ber That, von diefer - 


446 Xenophon's Erinnerungen an Socrates. 


Seite angefehen, fcheinen fle ganz dad Kunſtwerk eines weifen 
und bie lebendigen Weſen liebenden Meifters zu ſeyn. — Socr. 
Daß .er ferner ihnen den Zrieb zur Fortpflanzung, den Weis 
bern, wenn fie Mütter geworben, den Trieb zum Auferziehen 
ihrer Leibesfrucht,, den Auferzogenen hinwiederum Liebe zum 
Leben und Furcht vor dem Tod in folder Stärke eingepflanzt 
hat? — Ariſt. Unleugbar fieht aud) Diefes den Anordnungen 
eined Weſens glei), welches das Dafenn Iebendiger Werfen 
beabfihtigt. — Socr. Du glaubft für Dich Vernunft zu beſitzen. 
IAriſt. Frage nur weiter; ich will dir antworten ). Socr.] 
Meinft du nun, fonft fey nirgends Etwas von Vernunft zu 
finden? Mußt du ja dody willen, daß bie Erde und die 
Feuchtigkeit, und die übrigen Beſtandtheile deines Körpers 
in großen Quantitäten vorhanden find, und nur ein Fleiner 
Theil von jedem an deinem Körper ſich findet; meinft du nun, 
nur die Vernunft fen fonft nirgends zu finden, und du habeit 
fie durdy ein glüdliches Ungefähr aufgehafcht, die ungeheuren 
und unzähligen Weltkörper dagegen verdanken ihre herrliche 
Drdnung einem blinden Spiele? — Arift. Fa, aber ich fehe 
eben die Gebieter derfelben nicht, wie ich von Dem, was hier 
bei ung entfteht, die Werkmeifter fehe! — Socr. Sieheft du 
ja doch deine eigene Seele, die Gebieterin deines Leibes, eben 
fo wenig. Wenn ed darauf ankäme, Bönnteft du auch fagen, 
Yes, was du thueſt, ſey Zufall, nicht Folge vernünftiger 
Veberlegung. — Ariſt. Es ift nicht von meiner Seite Verach⸗ 
tung der Gottheit, Sosrates; ich achte nur fie für zu erha: 


*) Ohne Zweifel .frembartiger Beifaß, ber ben Zufammenhang 
durchaus ftört. 


2 





Erſtes ch. 447 - 


ben, als daß fie meiner Verehrung bedärft. — Socr. Nun 
ja, eben je erhabener fie ift, defto mehr mußt bu fie vereh⸗ 
ren, wenn fie dennoch dich ihrer Pflege würdigt. — Arift. Du 
darfſt überzeugt feyn, daß ich nicht ſäumen würde, die Götter zu 
ehren, wenn ich glauben Eönnte, daß fie fi um die Menfchen 
befümmern. — Socr. So glaubft du alfo nicht, daß fie ſich 
um uns befümmern, fie, die fürs Erſte dem Menfchen allein 
‚ unter allen lebendigen Wefen bie aufrechte Stellung gegeben, 
Die ihm das Vor fichs, wie das Leber fich = fehen erleich⸗ 
tert, und Augen, Ohren und Mund gegen manche Unbe⸗ 
quemlichkeit gefichert *); fodann, während fie den übrigen gegen 
‚die Erde gebücten Thieren nur Füße zum Gehen gaben, dem 
Menſchen außerdem nody Hände verliehen, welche und zu dem 
Meiften verhelfen, was wir an Glüdfeligkeit vor den Thieren 
voraus haben; ja unter allen lebendigen Weſen, deren Feines 
der Zunge ermangelt, allein bei den Menfchen der Zunge die 
Eigenfchaft gaben, daß fle mittelft Berührung bald dieſes, 
bald jenes Theiles im Munde articulirte Töne hervorbringt 
und die gegenfeitige Mittheilung der Gedanken vermittelt? 
Und was fol ich von dem gefchlechtfichen Genuffe fagen, ben 


*) Wir Üiberfegen fo, al8 dem Zuſammenhang am meiften ge: 
mäß, auf die Handfariften, bie Ertoinoav ftatt &ve- 
nolnoav haben, geftügt, mit leichter Abänderung der 
Interpunction. Weiste, Schneider, Schäs und Heindorf 

- (der fogar EV hineingefegt haben will) erklären bie Vul⸗ 
gata fo: „die das Geſicht, dad Gehör, den Mund erhaben 
geſtellt Hottinger hat bie Worte: xacl O'ıv - ZvEnoinoav 
in feiner Ueberfegung ganz und gar ausgelaſſen und auch 
Heröſt Hält fie für nnaͤcht. 





- 


448 Xenophon's Erinnerungen an Socrates. 


fie den Menſchen ununterbrochen bis in’s hohe Alter gewäh- 
ven, während er bei den übrigen Thieren auf eine beſtimmte 
Jahrszeit eingefchränft ift? Und nicht auf den Körper bes 
fchränkte fich die Gottheit mit ihrer Sorgfalt; fondern, was 
die Hanptfache ift, auch die Seele, die fe in und legte, iſt 
mit den herrlichiten Vorzügen begabt. Denn welches andere 
lebendige Gefchöpf trägt in feiner Seele eine Ahnung von 
dem Daſeyn der Götter, der Ordner des Größten und Herr⸗ 
lichſten? Welches andere Gefchlecht verehrt die Götter, als 
die Menſchen? Weldyes andere Weſen weiß durch die Kraft 
feines Geiftes beffer gegen Hunger und Durft, gegen Kälte 
und Wärme Vorfichtsmaßregeln zu treffen, Krankheiten zu 
heilen, feine Stärke durch Uebungen zu vermehren, zu Er⸗ 
weiterung feiner Kenntniffe fich anzuflrengen, oder das Ges 
hörte, Gefehene und Gelernte dem Bedächtniffe einzuprägen ? 
Iſt es nicht klar, daß die Menfchen neben den übrigen Ge⸗ 
ſchöpfen, wie Götter leben, und fchon von Natur an Leib 
und Seele weit den Vorzug vor ihnen haben? Denn in dem 
Körper eines Stier würde der Menfdy mit all feinem Ver⸗ 
ftande fo wenig ſich zurecht zu finden wiſſen, als den Thie— 
ren mit Händen geholfen ift, fo lange es ihnen an Vernunft 
fehlt. Und du Haft Beides, Leib und Seele, in der höchſten 
Volkommenheit erhalten, und willſt nicht glauben, daß die 
Götter fih um did, befümmern ? Was müffen fle denn thun, 
bis du glaubft, daß fie fich um dich befümmern ? — Ariſt. Sie 
müffen mir Rathgeber fchiden, wie du fagft, daß fie dir 
ſolche ſchickken, und mir durch fie fund than, was ich thun 
fol und was nicht. — Socr. Und wenn file den Athenern 
auf ihre Anfragen Etwas durch die Wahrfagerfunft Fund 


⸗ 


Erſtes Buch. 449 
than, ift Das nicht auch dir kund gethan? Anch nicht, wenn 
fie den Griechen durch außerordentliche Erfcheinungen das 
Zukuͤnftige andenten, oder allen Menfchen? Biſt du da der 
Einzige, den fie ausnehmen und außer Acht Kaffen? Und 
meinft du, die Götter Hätten ten Menſchen den Glauben 
eingepflanzt, daß fie im Stande feyen zu beglücken und zu 
(haben, wenn fle es nicht vermöchten? und die Menſchen 
hätten fo lange ſich täuſchen Inffen, und wärden niemals 
ihren Irrthum erkannt haben? Siehſt du nicht, daß das 
Heltefte und Dernünftigfte im Menfchenleben, dag gerade 
Staaten und Völker am meiften auf Verehrung der Götter 
Halten, und daß auch der Einzelne, je mehr er mit den Jah 
ren zu Verflande kommt, um fo mehr die Götter achten lernt ? 
Fa, befter Ariffodem, bevente, daß auch deine Vernunft mit 
dem Körper, den fie bewohnt, nach Gefallen ſchaltet. So mußt 
du denn auch annehmen, daß die Vernunft, die in dem Weltall 
wohnt, Altes nach Gutdünken anordne. Wenn tein Auge 
auf viele Stadien reicht, folte denn Gottes Auge nicht im 
Stande feyn, mit Einem Blicke Alles zu überfehen? Wenn 
deine Seele zu Einer und derfelben Zeit mit den Angelegeits 
heiten hier und in Aegypten und Sieilien ſich befaflen kann, 
folite denn die Vernunft der Gottheit zn ſchwach ſeyn, im 
demfelben Augenblicke mit ihrer Zürforge Alles zu umfaffen ? 
Doch um bei Menfchen zu erfahren, ob fle geneigt ſind, ers 
wiefene Aufmerkſamkeit zu erwiedern, muß man ihnen vorher 
ſelbſt ſolche erweiſen; um zu erfahren, ob fie Gefätigkeiten _ 
erwiedern, muß man erfl gegen fie gefällig ſeyn; ihren Vers 
fand zu prüfen, muß man fie über Etwas um Rath fragen. 
Sp mußt dur nun auch bei den Göttern den Verſuch machen, 





450 Zenophon’d Erinnerungen an Socrates. 


und fie vorher ehren, ob fie etwa geneigt feyen, dir in Din: 
gen, die den Menfchen verborgen find, zu rathen, und daun 
wirft du finden, daß es der Gottheit weder an der Macht 
noch an dem Willen fehlt, in jedem Augenblick Alles zu 
ſehen, Altes zu hören, überall gegenwärtig zu ſeyn, und im 
Einem Augenblide Altes mit ihrer Zürforge zu umfaflen. 
Durch diefe Darftellung ſchien er mir feine Freunde wirk⸗ 
lich zu bewegen, das Unheilige, lingerechte und Schäudliche 
nicht nur, wenn fie von den Menfchen gefehen wurden, fondern 
auch in der Einſamkeit zu unterlaffen, da er fie zu der Ue⸗ 
berzeugung führte, daß Keine ihrer Handlungen den Göttern 
verborgen bleiben koͤnnte. j 

5. Auch die Selbftbeherrfchung gehört unleugbar zu dem 
Schönften und’ Beften, was ein Mann fic zu eigen machen Bann. 
Wir wollen fehen, ob es dem Socrates gelungen fey, zu ders 
ferben zu führen. Er ſprach fidy über fle auf folgende Weiſe 
aus: „Liebe Freunde, wenn Wir einen Krieg befämen, und 
wir wollten einen Mann wählen, der alle Eigenfchaften be⸗ 
fäße, und zu retten und die Feinde zu beflegen, würden wir 
Denjenigen wählen, der und als ein Frefler, Säufer, Wols 
lüſtling, Weichling und Langfchläfer bekannt wäre? Wie 
£önnten wir erwarten, baß ein Soldher ung retten und die 
Feinde befiegen werde? Geſetzt ferner, wir fähen unfer Les 
bensende vor ung, und fuchten einen Mann, dem wir Söhne 
zum Erziehen, unverheirathete Töchter zur Bewahrung ihrer 
Ehre, oder Gelder zur Sicherung anvertrauen könnten, wür⸗ 
den wir da unfer Zutrauen einem Menfchen fchenten, der 
ſich ferbft nicht zu beherrfchen weiß? Würden wir einem 
Sclaven, der diefen Fehler hat, Herden, Vorrathskammern, 


Erſtes Buch. #1 


oder die Aufficht über Feldgefchäfte überlaffen? . Möchten wir 
einen Solchen auch nur unentgeldlich zum Aufwarten bei 
Zifche oder zum Einkaufen für die Küche nehmen ? Dulden 
wir aber nicht einmal einen Sclaven, der fidy nicht zu bes 
Herrchen weiß, wie viel mehr müflen wir bei uns ſelbſt anf 
der Hut feyn, daß wir nicht eben fo werden? Denn es 
ift mit Dem, der ſich nicht ſelbſt zu beherrfchen weiß, wicht 
wie mit dem Habfüchtigen. Dieſer glaubt fid, ſelbſt zu bes 
reichern, wenn er Andere um das Ihrige bringt; ber Genußs 
füchtige dagegen findet feinen eigenen Vortheil dabei nicht, 
wenn er Andere in Nachtheil bringt, fondern er fchadee ſich 
ſelbſt noch weit mehr, als Anderen, fo lange wenigftend Das 
für den größten Schaden gilt, den man ſich thun ann, wenn 
man nicht nur feine Vermögensumftände,, fondern auch Leib 
und Seele zerrüttet. Wer kann endlich ald Freund an einem 
Menfchen Wohlgefallen finden, von dem er weiß, daß ihm 
Tleifchfpeifen und Wein lieber find, als feine Freunde, und daß 
es ihm bei einer Dirne beffer behagt, als im Kreiſe feiner 
Geſellſchafter? Sollte nicht doch Tedermann in der Selbſt⸗ 
beherrfhung die Grundlage aller Tugend erkennen, und fie 
äuerft in feiner Seele feftzufteiten bemüht feyn ? Denn was 
ließe fi) ohne fie Rechtes Iernen, oder gehörig treiben? Wo 
hätte nicht der Sclavendienft ber Lüfte auf Leib und Seele 
den verberblichften Einfluß? Wahrhaftig, wenn jeder freie 
Mann wünfchen muß, Beinen folchen Sclaven zu befommen ; 
fo. follte ein Sclave folcher Lüfte auf den Knieen die Götter 
bitten, ihm gute Herren zu ſchenken; denn Dieß möchte nod) 
Das einzige Mittel feyn, ihn zu retten. Wenn er fo über 
die Selbftbeherrfchung ſprach, fo zeigte er noch größere Strenge 


462 RXenophon's Erinnerungen an Socrates. 


in ſeinem Beiſpiel, als in ſeiner Lehre. Nicht nur dem 
Reize der ſinnlichen Lüſte widerſtand er, ſondern auch dem 
dos Geldes. Sich von dem nächſten Beſten, der komme, be⸗ 


zahlen laſſen, hieß nach ſeiner Meinung ſo viel, als ihn zum 
Herrn über ſich ſeßen, und der ſchimpflichſten Selaverei im 


der Welt ſich unterziehen. 

6. Auch wie er dem Sophiſten Antiphon *) Beſcheid gege⸗ 
ben, darf nicht mit Stillſchweigen übergangen werden. Die⸗ 
ſer Antiphon wollte einmal dem Socrates ſeine Zuhörer ab⸗ 
wendig machen. In dieſer Abſicht ging er zu ihm und ließ 
ſich in ihrer Gegenwart auf folgende Weiſe vernehmen: „Ich 
war immer der Meinung, Socrates, Wer ein Philoſoph ſey, 
müſſe gluͤckſeliger werden; aber du ſcheinſt mir eher die ent- 
gegengefebten Früchte von der Philofophie einzuernten. Wie 
du lebſt, würde es ja Fein Sclave bei feinem Herrn aushalten. 
Du genieheft die fchlechteften Speifen und Getränke. Dein 
Mantel ift nicht beffer, und muß dir noch dazu im Winter 
dienen, wie im Sommer; an Schuhen und Unterfleid fehlt 


.. e8 dir ganz. Geld nimmſt du gay Feines an, und doch macht 


m 





ſchon fein Erwerb Vergnügen, und fein Bells gewährt ein 


ankändigeres und angenehmeres Leben, Wenn du num deine 
Freunde aud) nach deinem Muſter bildeft, wie Dieß die Lehr⸗ 
meifter in allen anderen Fächern fo machen, fo bift du offens 
bar ein Lehrmeiſter der Unſeligkeit.“ Socrates gab ihm bier 





*) Diefer Amtiphon ift nach Sen meiften Neueren zu unters 
fpeiden von dem Antiphon aus Rhamnus, der bei Plato 
im Menerenus vorkommt; alſo nicht ein Nebner, fondern 
ein Zeichendeuter,, von Deffen Eiferfucht auf Socrates bei 
Diogenes Laërtius II, 46, die Rede ift, 


“ ⁊ 


Erſtes Bud. 7, 


auf zur Antwort: „Du mußt dir mein Leben ſo verdrießlich 
vorfiellen, Antiphon, daß du fiher lieber flächeft, ald daß 
du lebteſt, wie ich. Laß nnd daher fehen, was du Hartes 
an meiner Lebensart findet. Soll es Das fegn, daß Andere, 
wenn fie ſich bezahlen laſſen, gendthigt find, ihren Lohn ab- 
zuarbeiten, ich dagegen, weil ich Nichts nehme, auch nicht 
nöthig Babe, mich mit Einem abzugeben, der wir nicht ge⸗ 
fällt? Oder finde du meine Koft ſchlecht? Sind meine- 
Speifen weniger gefund, weniger nahrhaft, als die Deinigen ? 
Oder find meine Lebensmittel ſchwerer zu bekommen? find fie 
feltener und thenrer, ald die deinigen? Der fchmedt bir 
‚dein Tiſch beſſer, ald der meinige mir? Weiße dir nicht, 
daß, Wer mit Appetit ist, Fleifchfpeifen Leicht entbehren kaun, 
und Wer mit Appetit trinkt, Bein Derlangen nad) einem Trauke 
Kat, der nicht bei der Hand ik? Was die Mäntel anbelangt, 
fo weißt du, daß man fie nur der Käfte und Wärme wegen 
wechſelt, und Schuhe trägt man, um nicht im Gehen durch 
Begenftände, bie den Füßen wehe thun, gehindert zu werden. 
Haft du nun einmal bemerkt, baß mic, bie Kälte mehr als 
einen Andern zu Haufe zurüdgehalten, oder ich der Hitze wegen 
mid mit Einem um den Schatten .geftritten, oder weil mir die 
Füße wehe gethan, nidyt hätte gehen können, wo ich nur 
wolte? Weißt du nicht, baß Leute, welche von Natur einen 
ganz ſchwachen Körper haben, durch Uebung es den Gtärk: 
den, die ed au Uebung fehlen Taffen, in Dem, worin fie fich 
ben, zuvorthun, und darin beffer ausdauern, und glaubſt 
du nicht, daß ich, da ich ſtets gegen jeden Zufall meinen 
Körper abhärte, in Allem Teichter ausdaure, als du, ber bu 
es an der Uebung fehlen läſſeſt? Und warum bin ich kein 


N 


+‘ 


434 Xenophon's Erinnerungen an Socrates. 


Sclave des Magens, bes Schlafes und der Woluft? Was 
kann fonft die Urſache ſeyn, ald daß ich andere Vergnügiingen 
kenne, die nicht bios im Augenblicke des Genuffes ergögen, 
fondern auch durch die Hoffnung eines dauernden Gewinneg, 
die fie ung gewähren ? Du weißt ferner, daß freilich Dem,-wels 


- chem Nichts gelingen will, auch nicht wohl zu Muthe ift; daß hin⸗ 


gegen Derienige, bei dem die Landwirthfchaft, oder Schif- 
fahrt oder fonft ein Gewerbe gut bon Statten geht, über das 
Gelingen feiner Bemühungen vergnügt ift. Glaubſt du num, . 
irgend Etwas der Art gewähre fo großes Vergnügen, als 


das Bewußtſeyn, felbft beffer zu werden und auch feine 
‚Freunde beffer zu machen? Und diefes Bewußtfeyn verläßt 


mich keinen Angenblid. Gilt es ferner, Freunden zu dienen 
oder dem Baterlande, Wer hat dann die befte Zeit dazı ? 
Der, welcher lebt, wie ich, oder Wer Iebt, wie du ihn glüd- 
Sich preifeft? Wer wird es Teichter nehmen, in's Feld zu 
ziehen, Wer ohne eine koſtbaͤre Tafel gar nicht leben kann, 
oder Wer mit dem vorlieb nimmt, was er gerade hat? Und 
Wer würde bei einer Belagerung weniger fid halten £önnen ? 
Wer Dinge bedarf, die mit aller Mühe kaum anfjutreiben 
find, oder Wer fi an Dem genügen läßt, was am leich⸗ 
teften zu haben iſt? Es komme mir vor, Antiphon, du febeft 
die Slüdfeligkeit in Weppigkeit und Pracht; ich hingegen bin 
der Meinung, wenn audy, gar keine Bebürfniffe haben, allein 
den Göttern vorbehalten fey, fo komme body, fo wenig als 


‚möglid, zu bedürfen, dem Göttlichen am nächften; und, fey 


andy) das- Göttliche das Befte, fo doch, was dem Goͤttlichen 
am nächften komme, bem Beften am naͤchſten.“ 





Erfies Bub. "499 


Bei einer anderen Gelegenheit fagte Antiphon zu Socrates: 
„sch halte dic, zwar für einen uneigennügigen Mann, Socra⸗ 
tes, aber für einen großen Weifen nicht im mindeften. Das 
von fcheinft du ſelbſt and, überzeugt zu fepnz du nimmſt wes 
nioftens von Niemand Geld für deinen Unterricht an. Gleich⸗ 
wohl würdeft du deinen Mantel oder dein Haus oder fonft 
Etwas von deinem Eigenthum, was du für geldeswerth hältſt, 
Niemand unter dem Werthe, gefchweige denn umfonft übers 
laſſen. Offenbar würdeft du alfo auch von deinem Unterrichte 
den vollen Geldwerth dir bezahlen Laffen, wenn du überhaupt 
ihn für Etwas werth hielteſt. Uneigennützig magft bu alſo 
feyn, weil du Niemand übervortheilft; aber weife kannſt du 
nicht feyn, wenn Das nichts werth ift, was du weißt. So⸗ 
crated antwortete ihm hierauf: „Unter uns ift angenommen, 
Antiphon, daß fi von der Weisheit eben fo gut als von: 
der Schönheit, ein edler und ein unedler Gebrauch machen 
laffe. Wenn Jemand feine Reize Jedermann ohne Unterfdyieb 
um’s Geld verkauft, fo heißt man ihn einen Lohnhurer; 
wern Einer Hingegen einen ihm als edel und rvedhtfchaffen 
befannten Liebhaber fih zum Freunde gewinnt, fo gilt Die 
für ehrbar. Eben fo iſt es mit der Weisheit. Wer feine 
Weisheit an Jedermann ohne LUnterfhiebJums Gelb vers 
tauft, den nennt man Lähnlid dem Lohnhurer *)] einen 
Sophiften; wenn hingegen Einer einen ihm als talentvoll 
bekannt gewordenen Jüngling in allem Guten, was er vers 
ſteht, unterrichtet, und zum Freunde gewinnt, fo denken wir, 
er thue, was einem ehrbaren und achtungswürdigen Bürger 


*) Diefe Worte find ohne Zweifel undcht. 


” 


n 


466 Xenophon’s Erinnerungen an Socrates. 


zuſtehe. Und gerade fo mache icdy’s, Antiphon. Ein Anderer. 
bat feine Freude an einem guten Pferde, an einem Hunde 
oder an einem Vogel; ich finde noch weit größeres Vergnü⸗ 
‚gen an guten Freunden. Weiß ich etwas Gutes, fo theile. 
ich's ihnen mit, und empfehle fie auch Andern, die ihnen im 
Fortfchreiten in der Tugend behüfflich feyn Eönnen. Auch die 
Schäge der alten Weifen, welche Diefe in ihren Schriften 
niedergelegt haben, durchiuche ich gemeinfchaftlicy mit meinen 
Freunden; und wenn wir etwas Gutes finden, fo leſen wir's 
auf, und achten es für einen großen Gewinn, wenn wir ein⸗ 
ander nüslich werden.‘ Ich meines Orts, wenn ich ihn fo 
fpredyen hörte, zweifelte Leinen Augenblick mehr, duß er nicht 
nur felbft glücklich ſey, fondern auch, feine Zuhörer zur Tus 
gend führe. Noch ein andermal fragte ihn Antiphon, was 
zum er doch, wenn er Andere zu Staatsmännern zu bilden 
fid) getraue, feldft nie Theil an den Staatsgefchäften nehme, 
auf die er ſich doch verfichen müfle. Er antwortete: „in 
weichem Falle meinft du, Antiphon, daß ich mehr an ben 
Staatsgefchäften Theil nehme, wenn ich allein daran Theil 
nehme, oder wenn ich dafür forge, daß immer Mehrere tüch⸗ 
tig werden, daran Theil zu nehmen 2’ 

7. Sept wollen wir fehen,ob er auch dadurch den Fleiß in 
Der Tugend bei feinen Freunden beförderte, daß er fie von 
eitler Scheinfucht abbrachte. Er wiederholte es immer, es 
gebe keinen fchöneren Weg zum Ruhme, als in Dem fidy tüch- 
tig zu machen, worin man bafür gelten wolle. Die Wahr⸗ 
beit diefes Sabes wies er auf folgende Weile nach: „geſetzt 
es wollte Einer für einen vorzüglichen Flötenſpieler gelten, 


- 








Erſtes Buch. 467 


ohne es wirklich zu fen, was müßte er thau? Mußte er 
nicht in Dem, was nicht zur Kunfl gehört, es vorzüglichen 
Stöteufpielern gleich ehun? Alſo: haben Diefe glänzende Ge⸗ 
zöthe, führen fie eine zahlreiche Dienerichaft bei ſich; fo 
mußte er's and) fo machen; finden Diefe eine Menge Lobred⸗ 
ner, fo mußte auch er fi um Solche umfehen. Nur mit 
Proben feiner Kunft dürfte er ſich nirgends befaſſen, oder er 
würde fogleich zum Gefpötte, nicht nur als ein fchlechter 
Zlötenfpieler, fondern auch als ein eitler Scheinheld. Uber 
ſo großen Aufwand machen müffen, und erſt Beinen Ruben, 
ja oben drein noch Schande davon haben, ift Dieß nicht ein 
mühfeliges, zweckloſes und fchmähliches Leben? Ebenſo wenn 
Einer für einen vorzügliden Feldherrn oder Steuermann 
gelten wollte, ohne ed zu feyn, was kaͤme dabei heraus? _ 
Entweder ed gelänge ihm gar nicht, die Leute auf den Glau⸗ 
den zu bringen, daß er ſich darauf verftehe, und fchon das 
würde ihm wehe genug thun; oder es gelänge ihm: fo wäre 
er noch mehr zu bedauern, Zum Feldheren oder Stenermann 
beſtellt, ohne von feinem Beruf Etwas zu verfiehen, würde 
er offenbar Diejenigen, welche er am wenigften wollte, zu 
Grunde richten, nnd ſelbſt mit Schande ımd Schaden ab- 
ziehen. Ebenſd wies er. nach, wie unvortheilhaft es fey, 
wenn man für reich, tapfer oder flark gelte, ohme es wirk⸗ 
ih zu fern. Man mache an Solche Anforderungen, bie 
ihre Kräfte überfteigen, und habe Seine Nachſicht mit ihnen, 
wenn fie nicht im Stande feyen, Das in's Werk zu ſetzen, 
worin fie tücdhtig fchienen. Betrug nannte er es Dagegen, 
und zwar fchon feinen Eleinen, wenn @iner bon einem Andern 
Renophon. 46 Boͤchn. 


Zu 


458 Xenophon'd Erinnerungen an Socrates. 


Geb oder Geraͤthſchaften durch gute Worte zu befommen 
ſuche, und ihn dann darum bringe; aberfhei weitem für den 
größten erklärte er ed, wenn Einer, ohne irgend Auſprüche 
machen zu können, fich bei den Leuten einfchmeidhie, als ob 
er fd) auf bie Leitung des Staates werftärde. Mir num we⸗ 
nigſtens ſchienrer durch ſolche Vorſtellungen auch von eitter 
Schein ſucht feine Ferunde abzubringen. 








— — 


| Kenopßon’s 
Erinnerungen an [aus den Lehrgefprächen und 
dem Leben des] Socrates. 


Inhalt des zweiten Buches. 





Cap. 1 — 3. Sverates weißer Schlenbe zurecht. 

Eay. 1. Dem Ariſtipp, der fih in nichts Zwang anthut, 
empfiehtt er, fih in der Selbſtbeherrſchung zu uͤben. Eingefloch⸗ 
ten ift die Erzaͤhlung des Prodieus von Hercules auf dem Schei⸗ 
dewege zwiſchen Tugend und Laſter. Cap. 2. Seinem Sohne 
Eamprocles, ber. mit der Mutter zuͤrnt, empfiehlt er die Pfͤcht 
ser Dankbarkeit gegen bie Eitern. Say. 3. Dem Chärecrates. 
der mit feinem Bruder Ehdrephon in Uneinigkeit lebt, ſtellt er 
den Werth eines Bruders vor. 

Eap. 4 — 10. Ornnöfine des Socrates Aber bie Freund⸗ 
ſchaft, und zwar feine Lehre von ber Freundſchaft E. 4 — 6. 

Eap. 4. Socrates fpricht von dem Werthe eines Freundes. 
Eay. 5. eine Unterredtung mit Antififenes Aber bie Nothwen⸗ 
digkeit, ſich ſelbſt zu prüfen, wieviel man feinen Freunden werth 
fo. Ev. 6. Umnterrebung mit Sritobuius Aber die Raufich⸗ 
tn, die man bei bee Want eines Freundes zu nehmen habe, 
and Aber bie. Mittel, Denjenigen , welchen bie Wahl getroffen, 
fig zum Freunde zu machen, | 

Schann ..7— 10. Beiſpiel des Socrates In Beziehung 
anf das Verhalten gegen Freunde, wie er ihnen namii aus 
Werleyenheiten haif Ban guten Wüth, E.7 — 9. 

Ep, 7. Wir er dem Ariſtarch vieth, der bei einer Theue⸗ 
zung in Noth war, feine zahlreichen Hausgenoſſen zu ersähren. 
Cap. 8, Wie er dem Untheuus nisch, der 8* Varbeit FR 


R 





460 Xenophon's Erinnerungen an Socrates. 


feinen Unterhalt fuchen mußte. Cap. 9. Wie er dem Eriton 
zieth , der mit Sycophanten zu impfen hatte. Cap. 10. Die 
Socrates ferner feinen Freunden aus Verlegenheiten half, durch 
ſeine Vorſchrift, einander nach Vermoͤgen zu unterſtuͤtzen. Auf⸗ 
forderung an Diodorus, ſich des Hermogenes anzunehmen. 


Zweites Buch. 





1. Auch fobzendes Geſpraͤch von Socrates ſchien mir ge- 
eignet, ſeine Freunde zur Maͤßigkeit im Genuſſe der; Speiſen 
und Getränke, der Liebe und des Schlafes, fo wie zur Ab⸗ 
härtung gegen Kälte und Hitze und gegen Anftrengungen zu 
ermuntern. Er wußte, daß Einer von ihnen in diefer Hin: 
fiht fi gar zu wenig Zwang anthat. Er fing daher an: 
„Höre, Ariftippus,*) geſetzt du befämert "zwei Jünglinge zum 
@rziehen; der Eine follte zu hohen obrigkeitrihen Würden 
tüchfig werden, der Andere nicht einmal daran denten, je 
ſolche Würden zu fuchen; wie würdeſt du Jeden von Beiden 
behandeln? Wir wollen gleich von der Nahrung ausgehen, 
als von der erften Grundlage. — Arift. Allerdings fcheint 
mir die Nahrung das. Erfte zu ſeyn; ohne Nahrung könnte man 
ja gar nicht leben. — Socr. Natürlic werden Beide, wenn 
die Zeit da ift, fi zu Zifche ſetzen wollen? — Ariſt. Sehr 
wahrfcheintih. — Socr. Welchen von Beiden würden wir 
nun gewöhnen, lieber feinen Magen warten zu laſſen, als ein 
dringendes Geſchäft aufzufchieben? — Ariſt. Natürlich Den, 
weicher zu obrigkeitliden Würden erzogen wird, bamit- nicht 
das Interefie des Staats darunter leide, daß er am Ruder 


+) Ariſtipp, der Stifter der Tyrenaiſchen Schule. 





Zweites Buch. 461 


iſt. — Soer. Denſelben wird man alſo auch gewöhnen müſ⸗ 
ſen, den Durſt zu bekaͤmpfen, wenn ſie an's Trinken gehen? — 
Ariſt. Allerdings. — Socr. Und Welchen von Beiden wer⸗ 
den wir gewöhnen, den Schlaf zu beſiegen, um fpät zu Bette 
sehen, frühe aufftehen, und wachen zu können, fo oft es 
nöthig iſt? — Ariſt. Wieder den Nämlichen. — Socr. Und 
dem Werlangen nad) dem Genuſſe der Liebe zu widerftchen, 
um. nicht dadurch von nöthigen Geſchaͤften ſich abhalten zu 
laſſen? — Ariſt. Abermals den Nämlichen. — Socr. Fer: 
ner ſich Beinen Anftrengungen zu entziehen, vielmehr freiwillig 
fle zu übernehmen, Welchen von Beiden würden wir dazu 
anhalten? — Arift. Immer noch Den, der zu obrigkeitlichen - 
Würden erzogen werden fol. — Socr. Endlid, wenn es 
eine Kunft gibt, weiche den Sieg über die Gegner erleichtert, 
Welchem von Beiden ziemt es fie zu lernen? — Arift. Offen 
- bar weit mehr Dem, weldyer zu obrigkeitlichen Würden exzo⸗ 
gen.wird. Denn ohne ſolche Kenntniffe und Kunftgriffe hilft 
ibn auch das Uebrige nichts. — Socr. Glaupbſt du nun nicht, 
daß, Wer fo erzogen ift, nicht fo leicht, wie. fonft die 
Thiere, fid) von ſeinem Gegner fangen laffe? denn von dieſen 
freitichäwird ein Theil durch Speifen geködert, und fo ſchen 
andy einige derſelben find, dennoch durch feine Lüſternheit zum 
Köder hingezogen und gefangen; einem andern Theile wird durch 
Setränte nachgeſtellt. — Arift. Ganz richtig. — Socr. Noch 
andere laſſen ſich durch den Geſchlechtstrieb in die Nete 
locken, wie die Pachteln und Rebhühner, indem fie anf die 
Stimme des Weibchens hörend, dem Triebe und der Hoffe 
nung zum gefchlechtlichen. Senuffe folgen und alle Gedanken 
an Gefahr ſich aus dem Sinne ſchlagen. — Ariſt. Delle 





+‘, 


462 Xenophon's Erinnerungen an Socrates. 


kommen richtig. — Socr. Iſt's nun nicht eine Schande für 
den Denfchen, wenn er in biefelbe Falle geht, wie bie un⸗ 
vernänftigften unter den Thieren? So wiſſen die Ehebrecher, 
daß fie bei dem Ehebrude Gefahr laufen, nicht wur in bie 
. von dem Gefeb angedruhte Strafe zu verfallen, fonbern auch 
belauert, ertappt und befchimpft zu werden, und gehen nichts 
defto weniger "in die Gemaͤcher der Frauen. So ſchweror 
Strafe und Schmach nun, bie ihrer wartet, ungeachtet, umb 
£ros der vielen Mittel und Wege, wodurch jenem Zrieb anf 
eine ganz gefahrlofe Weiſe abgeholfen werben kann, bei allem 
Dem dennody fi in die Gefahr zu flürzen, iſt das nicht 
eine ganz unglücfelige Berirrung? — Arifl. O freilich. — 
Socr. Da ferner viele der nothwendigften Berrichtungen im 
Leben, wie 3. B. die Eriegerifchen, die landwirthſchaftlichen und 
auch von den übrigen nicht Die unwichtiäften, unter freiem Hime - 
mel vorgenommen werben müſſen, tft es da nicht_die under 
zeihlichſte Nachläßigkeit, wenn fo viele Menſchen gegen Kälte 
und Hibe gar nicht abgehärtet find? — Ar iſt. Unläugbar. — 
Socr. Scheint dir baher nicht, daß, Wer einft obrigkeitliche 
Würden beileiden wolle, ſich üben mäffe, auch diefe Be⸗ 
ſchwerlichkeiten Teiche zu ertragen? — Arift. Allerdings. — 
SocEr. Wenn wir fonach Diejenigen, welche in allen genann⸗ 
tem. Mückficyten fich ſelbſt zu beherrſchen willen, unter bie me 
obrigkeitlichen Würben Tüchtigen zähfen, werben dann niche 
Diejenigen, welche Jenes nicht Lönnen, unter die Klaſſe De⸗ 
zer zu feben ſeyn, die auch nicht einmal baren denken ſollen, 
je obrigkeitliche Würden zu ſuchen? — Arifl. San; einver⸗ 
fanden. — Socr. Run denn, ba du diefen beiben Mens. 
fdengattungen fo gut ihre Kfaffe anzuweifen weißt, Haft dw. 





zweites Bud), 463 


auch fchon nachgebacht, in weiche von beiden Ktaffen du 
ſelbſt gehört? — Arift. Ich meines Drts fehe mich auch 
nicht von ferne in die Klaſſe Derer, bie obrigkeitliche Wür⸗ 
den. beffeiden wollen. Es ift fchon ſchwer genug, für feine 
eigenen Bebärfniffe zu forgens unb num. vollends auch noch 
Die Gorge für die DBebürfniffe ber übrigen Bürger ſich auf 
den Hals zu laden? Rein, da mug Einer feinen Verſtand 
ganz aufgegeben Haben, IR es nicht Die groͤßte Thorheit von 
der Welt, ſich felbft einen Wunſch um ben andern zu verfas 
sen, und fih dann dafür firafen zu laffen, wenn man als 
Vorſtand des Staates micht fo glücklich war, alle Wünſche 
der DBürgerfchaft befriedigen zu können? bie Bürgerfchaft hat 
elumal die Laune, Ihre Obrögteiten anzufehen, wie ich meine 
Slawen. Bon Diefen verlange ich, daß fie mich mit: Allem, 
was ich brauche, im Ueberfluſſe verfehen, für ſich aber Nichts 
daron anrühren; und gerabe fa, meinen die Bürger, müffen 
es ihre Obrigkeiten machen: ihnen ſollen fle alles “Mögliche 
zum Genuffe zuführen, feibft aber won Allem bie Hand ferue 
Salten. Wenn nun Jemand Luft Hat, fich-feibft uud Anderen 
u thun zu machen, fo wäre ch ihn auf die angegebene 
Weile erziehen, und ihm einen Platz unter den zu obrigkeit⸗ 
lichen Würden Züchtigen anweiſen. Mich ſelbſt ſehe ich un⸗ 
tee Diejenigen, welche möglichft: forgenfrei und angenehm zu 
Sehen wänfden. — Soc Wollen wir nicht andy nachfehen, 
Wer von Deiden angenehmer lebt; Die, welche die Oberge⸗ 
walt haben, ber bie Untergebene? — Ariſt. Gang. 
recht. — Soer. Um zuerſt von deu und. bekannten Völkern 
zu ſprechen, fo haben in Alten: die Perſer die Obergewalt, die 
Syorier, Phrygier und Exdier Dagegen. finb Die Untertebenen, 





464 Xenophon's Erinnerungen an Socrates. 


in Guropa haben die Schthen die Dbergewalt,, und die 
Maͤoten find die Untergebenen, in African haben die Gars 
thager die Obergewakt, und die Lybier find die Untergebe⸗ 
nen. Bon Welchen glanbft du nun, daß fie angenehmer 
leben? Oder um bei den Hellenen zu bleiben, denen du 
ſelbſt angehört, welcher Theil fcheint dir angenehmer zu 
leben ? der, welcher die DOberherrichaft in Händen hat, ober 
derjenige, welcher unter der Oberherrfchaft des andern 
fiept? — Ariſt. Mir it Dieß gleich viel; wenn ich von 
obrigkeitlichen Würden Nichts will, fo feße id) mid, darum 
eben fo wenig unter bie Sclavenz es muß einen Mittelweg 
geben, wo man weder Herr nad, Schave, fondern nur frei 
zu feyn bramcht, um glücklich zu ſeyn, und diefen ſuche ich 
zu gehen. — Sper. Ja, wenn diefer Weg, wie er weder 
durch das Gebiet der Herrfehaft, noc durch das der Schar 
verei gehen fol, auch nicht durch das Gebiet der Menfchen 
führte; dann Fönnteft du vselleicht Recht Haben, Wenn du 
aber unter Menfchen bleiben, und doch weder Herr noch Uns 
tergebener fepn, nod) Denen die am Ruder find, freiwillig 
dienen willff, fo mußt du doch fehen, wie ſowohl, wo ganze 
Staaten, als wo nur Einzelne einander gegenüber ſtehen, 
immer der Mächtigere den Schwächeren fo lange zu drücken 
weiß, bis er ihn zu feinem Sclaven haben kann. Dber 
weißt dus Nichts davon, wie der Yeind die Saatfelder, die 
ein Anderer gefäet, verheert, die Bäume, bie ein Anderer 
gepflanzt, umhaut, ımd auf jede Weite den Schwäheren, 
der fid) ihm nicht fügen will, in die Enge treibt, bie Dies 
fer es vorzieht, dem Mächtigeren fich zu unterwerfen, fast 
den umgleichen Kampf fortzufegen ? Und auch für ſich ſucht 





+ Zweite Buch. 465 


ja, Wer nur Macht und Muth dazu hat, den Furchtſamen 
und Schwachen zu unterdräden und zu brandfchagen., — 
Ariſt. Eben um Dem zu entgehen, banne ic) mich in Peinen 
Staat ein, fondern Lebe überall als Fremder. — Socr. Kein 
Adler Kunſtgriff. Fremden thut Niemand mehr Etwas zu 
Leide, feitdem Sinnis, Sciron und Procruftes *) todt find. 
Aber es gibt jebt andere Plagen. Leute, die in ihrem Va⸗ 
terlande an ber Spitze des Staates ſtehen, geben fich alle 
erdenkliche Mühe, ſich gegen Feindfeligkeiten ficher zu ftels 
ten: fie geben Geſetze dagegen; fie fuchen ſich neben ihren 
Berwandten noc den Beiftand anderer Freunde ; fie umges 
ben ihre Städte mit Feftungswerken; fie verfehen ſich mit 
Waffen, um Yeindfeligkeiten abzuwehren, und fchließen nody 
überdieß Bündniffe mit Auswärtigen; und bei allen dieſen 
Hülfsmitteln können fie dennoch Yeindfeligkeiten nicht ent: 
schen. Und du haft Bein einziged Hülfsmittel der Art, 
mußt einen großen Theil der Zeit auf den Straßen did) 





+) Namen von drei Raͤubern, welde Theſeus töbtete. Sins 
nis hatte feinen Sig am Iſthmus von Eorinth; er band 
die Leute an zwei herabgebogene Bäume, und ließ dann 
diefe ſchnell losfahren, fo daB fie zerriffen werben mußten. 
Sciron hauste im Gebiete von Megara; er nöthigte 
die Voruͤbergehenden, an einer abfchäffigen Stelle am 
Meere, ihm die Süße zu wafchen, und ftieß fie dann 
durch einen Tritt in’E Meer. Procrufted am Eephiſſus 
in Attica Jegte bie Sremben auf ein Bette, und ſchnitt 
von Denen, welhe zu lang waren, ab, die Kürzeren 
behnte er auf dem Amboße. Verst. Hogin. Tab, 38., 
DR im Thefens Eap. 8, 9. i1. Ovid. Metam, VII, 
440. 1. 





466 Xenophon's Erinwerungen an Socrates. 


aufhalten, wo bie meiſten Feindſeligkeiten verübt werben ; 
ftehft in den meisten Stäbten, wo da hinkommſt, nochzunter 
dem niebrigfien Bürger, haft alfo ganz die Eigenſchaften 
Derer, welchen Diejenigen, die nach Unrecht gelüftet, haupt⸗ 
fächtich nachſtellen: und bu glaubſt dennoch vor Feindſeligs 
keiten gefichert zu fen, weil du ein Fremder feneft? Oder 
bit du darum fo voll Suverfiht, weil dir die Staaten 
ihren Schup verbeiffen für Kommen und Gehen? oder weil 
du auch als Sclave für Leinen Herrn ein großer Gewinn 
wäreft ? denn Wer möchte auch einen Menfchen unter. feinem 
Geſinde behalten, der nichts arbeiten wollte, und aups koſt⸗ 
barfte leben? Aber wir wollen auch feben, wie es die Leute 
mit folgen Sclaven machen. Wertreiben fie ihnen nicht bes 
Kitzel durch Hunger ? das Gteblen dadurch, daß fie ads 
fchlieffen, wo Etwas zu nehmen ift? das Entlaufen durch 
Feſſeln ? die Trägheit durch Schläge? Oder wie macht denn 
Du ed, wenn bu dergleichen bei Einem beiner Sclaven bes 
mertft ? — Ariſt. Sch laſſe kein Zuchtmittel an ihm under: 
ſucht, bis er ſich unter die Ruthe gibt. Aber, Soerates, 
die Lehrlinge dev Königekunft, welche du, wie mir fcheint, 
für die wahre Glückſeligkeit Hättit, was haben fie vor Denen 
noch voraus, welche zur Strafe gepeinigt werben, wenn fie 
Hunger und Durft, Kälte und Schlaftofigkeit und mas es 
fon Beſchwerliches gibt, freiwillig aushalten müſſen? id) 
weiß wahrhaftig nicht, was Das für einen Unterſchied ma- 
chen fol, ob Einem daffelbe Leder freiwillig ober unfreis 
willig gegerbt wird, oder ob überhaupt alle ſolche Pein mit 
unferem Willen oder ohne ihn über unfern Leib engehe, fo 
ange es der alte ift. Und ift ed etwas Anderes als Thors 








Erſtes Buch. 469 


heit, wenn man ſich freiwillig wehe thut? — Gocr. Wie, 
Ariſtipp? Soll Das in ſolchen Faͤllen keinen Unterfchieb zwi⸗ 
ſchen freiwillig und unfreiwillig machen, daß der 
freiwillig Hungernde eſſen könnte, fo oft er wollte, und der 
freiwillig Dürſtende trinken, und fo durchaus: hingegen, Wer 
unfreiwillig fo &twas auszuftehen hat, nidyt nadı Gefallen 
aufhören kann? Sodann wird freiwillige Pein verfüßt durch 
die gute Hoffnung, in der man ſich ihr unterwirft. So Täßt 
der Waldmann gerne ſich eine Anſtrengung gefallen, aus Hoffe 
nung, eine gute Beute zu machen. Und Dieb ift noch ein 
Beifpiel von Preifen der Arbeit, die Faum der Mühe werth 
finds; denke bir erſt Diejenigen, welche fi Verſagungen 
anferlegen, um würdige Freunde ſich zu erwerben, um Feinde 
zu überwinden, oder um an Leib und Seele erftartt, gute 
Hausväter, Wohlthäter ihrer Zreunde, und verbienftvolle 
Staatsbürger zu werden; wie follten Diefe nicht im Hinblick 
auf Diefes fi) Müpfeligkeiten fröhlich unterziehen, und 
MWerfchönerung des Lebens finden in der Achtung, die fie 
vor fich felbft gewinnen, und in dem Lob und der Bewuns 
derung, bie ihnen von Undern zu Theil wird? Ferner 
durch kurzweilige Befchäftigungen und augenblidliche Ge⸗ 
nüffe kann weder ber Körper an Geſundheit und Stärke ges 
wisnen; wie auch bie Gymnaſten verüchern, noch wächst 
dadurch der Seele irgend eine Kenutniß von Bedeutung 
zu; Webungen dagegen, welche Anftrengung erfordern, fühs 
ren nach dem Urtheile preiswürbiger Männer sum Edeln 
und Guten. 





468 Xenophon's Erinnerungen an Socrates. 


© fagt auch Heſiodus *) irgendwo: 
Eiche bad Böfe vermapft du auch ſchaarweis dir zu 
gewinnen, 
Ohne Bemüh’n; denn kurz ift der Weg, nnd nahe 
dir wohnt es. 
Ber die Trefflichkeit feuten den Schweiß die unſterbli⸗ 
en Götter. 
Lang auch windet und fleil die Bahn zur Tugendb 
ſich aufwärts, . 
Und fehr rauh im Beginn; doch wenn du zur KHoͤhe 
gelangt biſt, 
Leicht dann wird fie hinfort und bequem, wie ſchwer 
fie guvor war, 
Und damit ſtimmt auch Epicharmus **) überein, wenn 
er ſagt: 
„Nur um Mühe wägen und die Götter alled Gute zu.“ 
Und anderswo fagt er: 


„Traͤger, nicht dad Weiche fuche, hab du nicht das 
Harte trifft!” 

Auch der weife Prodicas ***) ſpricht fich in der Schrift 

von Hercules, welche er ſchon Vielen vorgelefen Hat, nicht 


*) Werte und Tage, V. 287. ff. 


**) Epicharmus, ein comifcher ‚Diterr zugleich Arzt und Na⸗ 
turforfcher, lebte um’ Jahr 550 zu Syracus. Nach 
Diog. Laert, VIII, 78. hinterließ er Denkblaͤtter phyſiologi⸗ 
fen, gnomologiſchen und jatrologiſchen Inhalts. Wach 
Demſelben II, 9. f. benüägte ihm auch Plato Häufig. Er 
wird für einen Schuͤler bes Pythagoras ausgegeben, 


rt), Prodicus von ea gab ſich vornehmlich mit Erziehung ber 
Tugend ab, nach Plato Apol. ı9. E, und Xheag. 127. E., 
und zwar nach der Yegten Stelle, nicht ohne ſich aut bes 


zahlen zu Yaffen, wie denn and feine TEVrNXoVrd- 


Zweites Buch. 469 


anders über die Tugend aus. Seine Worte find, fo viel id) 
mich erinnere, ungefähr folgente: „Hercules ſtand im Bes 
griffe aus dem Knabenalter in dasjenige Alter überzutreten, 
wo die Fünglinge nunmehr felbftfländig werden, und zeigen, 
ob fie für die Zukunft die Bahn der Tugend oder des %a- 
fters einfchlagen wollen. Um dieſe Zeit ging er in die Eins 
ſamkeit hinaus, ſetzte fich hin, und war unfchlüffig, welchen 
Weg er wählen folle- Da fah er auf Einmal zwei Frauen 
von hoher Geſtalt auf fid zukommen. Die Eine hatte ein 
wohlanftändiges Ausfehen und in ihrem ganzen Wefen etwas 
Edles; ihren Leib ſchmückte Reinheit, ihre Augen Schants 
Haftigkeit, ihre Haltung Sittſamkeit; ihr Kleid war weiß, 
Die Andere war wohlgenährt bis zu Beleibtheit und fdywels 
Sender Fülle, ihre Farbe gefchmintt, fo daß fie weißer und 
röther ausſah, alfafle wirklich war; ihre Haltung fo, Daß 
fie aufrechter erfchien , als von Natur; ihr Auge weit offen; 
ihr Kleid aus dem feinften Gewebe, fo daß ihre Reize un: 
gehindert durchſchimmern konnten; fie betrachtete wiederholt 
ſich felbft, blickte danıı wieder auf, ob nicht auch Andere auf 
fie ſehen; oft auch blickte fie nach ihrem eigenen Schatten 





deayuog Enideakıg Plato Eratyl. im Anf. bekannt ift, 
Nach Diog. Kaert..1X, 50, las er namentlich Auffäge um’s 
Gerd ab, wie Protagoras. Seinen Auffag uͤber Hercules 
in Proſa erwähnt auch Plate Sompof. 177. B. Nach 
Philoſtrat. Keben der Sophiften I, 2. hörte ihn Kenos 
phon in feiner Gefangenfhaft zu Theben denſelben vors 
lefen. Das Ganze, worin dieſer Auffag über Hercules 
ftand, hatte den Titel apa (Xebenbalter), nach dem Scho: 
liaſt. zu Ariftophan. Wolten, V. 360. 


470  Xenophon’s Erinnerungen an Socrates. 


zurück. Wie fie nun dem Herentes näher Tamen, ging die 
Erſtere in gleihmäßigem Schritte fort; die Andere dagegen, 
am ihr zuvorzakommen, rannte in vollem Lauf auf den 
Hercules zu, und redete ihn an: „Hercules, fagte ie, ih 
fehe, dab du unfchlüffig bit, weichen Weg bu für bie Zus 
kunft — ſolleſt. Wenn du mich zu deiner Freundin 
waͤhlſt, fo will ich did, den angenehmſten und gemächlichſten 
Weg führen; du ſollſt Beine Luft ungekoſtet laſſen, keine Un⸗ 
aunehmlichkeit erfahren dürfen. Um Kriege und Geſchaͤfte 
Aberhaupt Iwirſt du dich nicht zu bekuͤmmern haben; du wirſt 
einzig darauf denken dürfen, welche Speiſen und Getraͤnke 
dir behagen, was deine Augen oder Ohren ergögen, deinen 
Bernd, ober Gefühlsſinn angenehm erregen, weldye Jüng⸗ 
linge dir den größten Genuß gewähren, wie bn am weichften 
fehlafen, und ale diefe Wünfche mit der leichteſten Brühe 
erreichen koͤnneſt. Soltten dir jemals die Hülfsquellen dazu 
zu verlegen drohen, fo darfſt du ruhig ſeyn; ich werde bir 


weber körperliche noch geiftige Unftvengungen und Beſchwer⸗ 


den aufbärden, um dich zu dieſen Benäffen gu führen, füs 
dern Andere werden arbeiten müfen; du wirft nur die 
Früchte ihres Fleißes zu ernten, nur Nichts auszufchlagen 
haben, was dir Gewinn bringen könnte. Denn meinen 
Freunden gebe ich das Recht, aus Allem Vortheil gu zies 
Yen.’ Als Hercules Soiches höste, Spray er: „D Weib, wie 
iſt denn aber den Name?“ Gie antwortete: „meine 
Freunde nennen mid) Grädfeligteit; Uebelwollende aber, 
die mid) herabfepen wollen, geben mir den Namen: Laſter.“ 
Indeſſen war auch die-andere Ftau herbeigekommen. „Auch 
ich,“ ſagte fie, „komme zu Sir, Horenles; denn ich kenne 





| 


Zweites Bud). 47a 


deine Erzeuger und habe deine glücklichen Anlagen bei deis 
nem Zugendunterrichte bemerkt; ſie geben mir bie Hoffnung, 
wenn du den Weg zu mir einſchlagen wollteft, würdeſt du 
in allem Edlen und Großen ein tüchtiger Meifter werden, 
und ich noch weit werthvoller und heilbringender erfcheinen, 
Ich will did, nicht mit einer Vorrede von Genüffen, bie 
Deiner warten ſollen, tänfhen: ich will dir die Sache ferbft, 
Wie die Götter es gewollt haben, der Wahrheit gemäß vors 
ſtellen. Bon Dem, was wahrhaft gut und edel iſt, geben 
die Bötter den Menfchen Richts ohne Anſtrengung und ernfls 
Hide Demühung. Wuͤnſcheſt du, daß die Götter bir anddig 
Teen, fo mußt du die Götter verehren; willft du von Freuns 
ven geliebt ſeyn, fo mußt du den Frennden nützlich werden; 
ſtrebſt du darnach von irgend einem Staate geehrt zu wer⸗ 
den, fo mußt du dieſem Staate Dienfte leiſten; machft be 
Anſprüche anf die Bewundernuug von ganz Griechenland, um 
Deiner Tugend willen, fo mußt du did, um Griechenland ver: 
dient machen; ſoll die Erde dir reichfiche Fruchte tragen, fo 
mußt du die Erde anbauen; meinft du, du folftefl durch Her⸗ 
den reich werden, fo mußt du dich der Herden annehmen; 
treibt es dich, im Kriege dein Glück zu machen, und willſt 
du dich in Stand gefent fehen, beine Freunde zu befreien 
und Die Feinde zu befiegen, fo mußt du nicht nur mit ben 
Lehren der Kriegskunſt bei Kennern dich bekannt machen, 
fondern auch in ber Anwendung berfelben auf die befondern 
Yale dich aben; willſt du endlich deinen Körper ganz in deine 
Gewalt bekoumen ), fo mußt du den Kökper daran gewöh⸗ 

*) 27 Yvaum Unnpereiv mit Herbſt, zu To ompars 

Surarog Bivas conftenirt. 





472 Zenophon’d Erinnerungen an Socrateb. 


nen, und mit Unftrengung und Schweiß ihmmbhärten.‘ Hier 
wurde fie von der Andern, dem LZafter, unterbrochen. „Merkſt 
du, Hercules, “ fagte Diefe, „was das für ein mühleliger und 
langer Weg ift, auf dem dich dieſes Weib den Genuß fuchen 
heißt; ich hingegen werde dich auf einem gemächlichen und 
kurzen Wege zur Glückſeligkeit führen. „Elende,“ entgeg⸗ 
nete die Tugend, „wie kannſt du etwas Gutes beſitzen? oder 
wie kannſt du ein Vergnügen kennen, wenn dir Alles zu 
viel iſt, was du dafür thun ſollſt? wenn du nicht einmal wars 
ten Eannft, bis dich nach Vergnügen gelüftet , fondern zum 
Voraus mit Ullem, was Raum findet, dich anfüllft, — und 
iffeft, ehe du Hunger, trinkeft, ehe du Durſt fühleft; um mit 
Luft zu effen, nad Köcen tradhteft; und um mit Luft zu 
trinken, Eoftbare Weine dir anfchaffft, und ded Sommers nadı 
Schnee unhergehft; wenn du, um gut zu fchlafen, nicht nur 
bei den Betten, fondern audy bei den Bettſtellen auf Weichs 
heit bedacht bift, und diefe mit Stollen verfehen Läffeft. 4 Denn 
nicht weil du müde bift, fehnft du dich nach dem Schafe, 
fondern weil du nichts anzufangen weißt. Den Genuß der 
Liebe erzwingft du, che ein Bedürfniß dazu vorhanden ifl; 
ob durch dieſes oder jenes Mittel, und ob ein Weib oder ein 
Mann ihn gewähre, ift dir gleich viel. Denn das ift die Ers 
ziehung, die du deinen Freunden gibft, dab du fie des Nachts 
zur Woluft mißbraucht, und den beften Theil des Tages im 
Scylaf legſt. Du bift eine Unfterbliche, aber verfloßen aus 
dem Kreife der Götter, und bei den Beſſeren der Menfchen 
verachtet. Das Angenehmſte was man hören kaun, dein eige⸗ 
nes Lob, Haft du nie gehört; das Schönfte, was man fehen 
Tann, ein -eigenes gutes Werk, Haft du nie gefehen. Mer 








Zweites Bud. . 473 


möchte ferner deinen Worten Glauben fchenten? Wer im Fall 
eines Bedürfniffes dir helfen? oder welcher vernünftige 
Menſch zu deinem Gefolge gehören wollen? zu Leuten, bie in 
der Jugend körperlich⸗, ım Alter geiſtig⸗ſchwach find; bie 
forglos, von Salben glänzend, durch die Jugend hüpfen, aber 
kümmerlich ſich im Schmutze durch das Alter ſchleppen, bes 
ſchäaͤnt über Das, was fie gethan, und faſt erliegend unter 
der Laſt Deffen, was fie thun müffen, weit fle das Angenehme 
in der Jugend durchflogen, und die Mühfeligkeiten auf das 
Alter aufgefparf haben? Ich Dagegen lebe mif ben Göttern, 
lebe mit den Befferen der Menfchen zuſammen; J teinkfchönes 
Bert, weder von Göttern noch von Menſchen, Fommt ohne 
mich zu Stande; in den Höchften Ehren ftehe ich bei den 
Goͤttern und bei denjenigen Menfchen, bei denen es fich ges 
pähre*). Sch bin eine willkommene Mitarbeiterin den Künfts 
tern; eine getreue Wächterin den Hausvätern; eine wohlwol⸗ 
{ende Gehülfin dem Gefinde; eine gute Theilnehmerin an 
den Gefchäften bes Friedens; eine zunerläßige Verbündete 
für die Anffzengungen bed Krieges; die beite Benoffin der 
Freundſchaft. Meine Freunde genießen Speife und Trank 
mit Zuft und ohne Weitläufigteiten; denn fie warten,ibis fie 





9 An der Stelle des dunkeln olg nEO0Nxeı vermuthet 
Schneider: oic nooonixc, „vei den Menſchen, mit de⸗ 
nen ih Umgang pflege.” Schuͤtz verſteht zu olc TTE00- 
nxeı dad Wort Tuufogaı. „Ich ſtehe bei Gbttern und 

Menſchen in ben gebührenden Ehren.” Wir ertia⸗ 
ren die Bulgata mit Heinborf "und Herbſt darch ap 
olg neoenze:. 


Kenophon. 48 Bbehn. 6 


474 Xenophon's Erinnerungen an Socrates. 


Verlangen darnach bekommen. Der Schlaf ſchmeckt ihnen 
beſſer, ald Denen, die nicht arbeiten; und es fäut ihnen eben 
fo wenig ſchwer, fich ihm zu entreiſſen, als fie nöthige Ge⸗ 
fhäfte ihm zu Liebe unterlaffen. Die Jüngern freuen ſich 
des Beifalls der Alten; die Aelteren gefallen ſich bei den 
Ehrenbezeugungen der Jüngeren; mit Freuden erinnern fie 
ſich ihrer früheren Handlungen, mit Freuden befleißen fie ſich 
des Guten auch bei den gegenwärtigen, weil fie mir die Huld 
der Götter, die LKiebe der Freunde, die Ehrenbezeugungen des 
Vaterlandes verdanken. Und Eommt das Ende, dad ihnen 
beftimmt ift, fo Liegen fie nicht im ruhmlofer Vergeſſenheit 
begraben, fondern gefeiert von der Nachwelt, blühen fie fort 
im Angedenken aller Zeiten. Zu ſolchen Anſtrengungen, 
Sohn edler Eltern, Hercules, entfchließe dich, und die feligfte 
Gluͤckſeligkeit ift dir aufgefchloffen.” So ungefähr trägt Pro: 
dieus die Belehrung des Hercules‘ durch die Tugend vor; 
freifich Eleidet er Die Gedauken in erhabenere Ausdrüde, als 
ih fo eben that. Doch Dem fey wie ihm wolle, du, Ariſtipp, 
ſollteſt dir dieſe Belehrung zu Herzen nehmen, und auch 
einmal an deine Zukunft zu denken verſuchen. 

2. Socrates bemerkte einmal, daß Lamprocles, der Aelteſte 
feiner Söhne mit der Mutter zürnte. — Socr. Höre, mein 
Sohn, Pennft.du Leute, die man undankbar nennt? — Lampr. 
O ja. — Socer Weißt du and, was Die thun, dene 
man diefen Namen gibt? — Lampr. Allerdings, Wer 
Wohlthaten empfangen hat, und fie nicht vergilt, wenn er 
doc) kann, den nennt man undantbar. — Socr.. Die Uns 
dankbaren werden alfo wohl in die Klaffe der Ungerechten ges 
fest? — Lampr. Allerdings. — Socr. Uber haft du die 


Zweites Buch. 475 


Sache nicht auch fchon von einer andern Seite betrachtet? 
Einen als Eclaven zu verkaufen, gilt für ungerecht, 
wenn e3 ein Freund ift, aber für gerecht, wenn es ein 
Feind iſt. Iſt nicht vielleicht eben fo Undankbarkeit gegen 
Freunde allerdings etwas Ungerechted, aber gegen Yeinde et⸗ 
was ganz Gerechtes? — Lampr. Mir fcheint überhaupt 
Saumfeligteit in Vergeltung einer Wohlthat, habe man fie 
nun von Freund oder Feind empfangen, ungerecht zu ſeyn. 
— Socr. So wäre alfo die Undankbarkeit unbedingt eine 
Ungerechtigkeit? — Zampr. Unleugbar. — Socr. Und die 
Ungerechtigkeit wäre um fo größer, je größer die MWohlthat 
ift, die man empfangen hat, und nicht vergilt? Lampr. 
Eben fo richtig. — Sper. Und Pönnte nun Jemand von eis 
sem Andern arößere Wohlthaten empfangen haben, als Kitts 
der von den Eltern, denen fie ihr Dafeyn, und den Anblick 
fo vieled Schönen, und den Genuß fo vieles Guten verdan⸗ 
ten, das die Götter den Menfchen gewähren: einen Genuß, 
der und auch fo über Alles geht, daß wir allgemein vor 
Nichts und mehr fürchten, ald von ihm ſcheiden zu müffen, 
und daß die Staaten auf die fchwerften Verbrechen den Tod 
als Strafe gefeut haben, weil fie es für unmöglich halten, 
ein größeres Weber zu finden, um durch die Furcht vor dem⸗ 
felben den Verbrechen zu fleuern? Du glaubſt doch nicht, 
daß die Meufchen bios, um ihre Wolluſt zu befriedigen, Kin 
der zeugen, denn dazu bieten ja Straßen und Luſthütten Ge⸗ 
legenheit in Menge dar. Und che wir mit ben. Weibern zu 
Erzeugung von Kindern uns verbinden, fehen wir ja baranf, 
von Welcher wir wohl die beften Kinder befommen Lönnten. 
Der Wann muß dann dad Weib, mit der er Kinder erzeu⸗ 


- 


476 Xenophon's Erinnerungen an Socrates. 


gen will, erhalten, und zum Beten feiner Fünftigen Kinder 
Alles, was er glaubt, das ihm zum Leben nüglich ſeyn koͤnne, 
ſo reichlich als möglih zum Voraus beforgen. Die Fran 
aber muß ihrerfeitd, nachdem fie empfangen hat, diefe Bürde 
nit Beihwerden und Gefahr ihres eigenen Lebens Kragen, 
dem Kinde einen Theil ihrer eigenen Nahrung abgeben, und 
nachdem fie mit vieler Mühe es ausgetragen und geboren 
hat, ed ernähren und pflegen, ohne vorher von ihm etwas 
Gutes empfangen zu haben, und ohne daß das Kind weiß, 
Wer feine Wohlthäterin ift, oder zu verfiehen geben kann, 
wo es ihm fehlt; fie muß feibft errathen, was dem Kinde 
gut oder angenehm feyn kann, und lange Zeit, mit der größs 
ten Anftrengung bei Tag und bei Nacht, ed warten, ohne 
zu wiffen, welchen Dank fie dafür bekommen wird. Hub 
nicht genug, daB man für ihre leiblichen Bebürfniffe forgen 
muß: die Kinder kommen in dad Alter, wo fie Etwas ler⸗ 
sen können: die Eltern müſſen fie unterrichten, fo weit fie 
ſelbſt im Beſitze nühlicher Kenntniſſe find, und wo fie glau⸗ 
Heu, daß ei Anderer befferen Unterricht ertheilen könne, 
noch Geld aufiwenden, umd fie zu Diefem in die Lehre ſchicken, 
amd überhaupt alle erdenkliche Mühe fid geben, damit ihre 
Kinder fo tüchtig ale möglich werden. — Lampr. Und wenn 
fie auch das Alles geihan hat, und noch tauſendmal mehr, 
als Dieſes; fo ift es doch niche möglich, daß ein Meufch ihren 
Ungeftüm ertragen kann. — Socr. Was hältfi du denn für 
unerträglicyer, die Wildheit eines Thieres oder einer Mutter ? 
— Lampr. Gewiß die einer Mutter, wenigfiens wie dieß 
ine iſt. — Socr Hat ſie dich denn ſchon gebiffen ober ges 
sreten, wie Dieß,fchon Dielen von Thieren widerfahren if? 





Zweites Bud. 417 


— Lampr. Rein, aber fie fagt Einem in der That Dinge, 
die mau für fein Leben nicht hören möchte. — Socr. Und 
wie viel meinft du, daß fie von die Unausſtehliches ſich habe 
gefalten Laffen mäffen? Wie viel machfeft du Ihr durch Ges 
fehrei und Unarten von Kindheit an zu fchaffen, wenn du 
weder bei Tage noch bei Nacht dich zufrieden geben wollteft 
Wie viel Herzeleib machteft du ihr, wenn bu ktank waref 
— Zampr. Aber niehabe ich. meder in Worten noch in Hand⸗ 
Imngen ihre Ehrgefühl verletzt. — Socr. Wie? Meinft ber 
ed härter nehmen zu mitffen, wenn fie dir Etwas ſagt, als 
die Schanfpieler, wenn fie einander in ben Tragddien die 
ürgftien Dinge fagn? — Lampr. Dieß ift etwas Anderes; 
Die uchmen «8 freilich nicht fo hart, weil fie wiffen, baß 
weder die Schmähenden die Abficht haben, - wehe zu thun, 
noch die Drohendeu bie Abficht, Schaden zu thun. — Socr. 
Fun, das weißt du ja auch, daß beine Mutter bei Allem, 
was fie bir fagt, es nie böfe meint, fondern fogar dir alles 
mögliche Gute wünſcht, wie Eeinem Andern; und bennody- 
faunft du anf fie zürnen? Oder meinft du wirklich, bie 
Mutter meine ed böfe mit dir? — Lampr. Ach nein, Das 
gerade meine ich nicht. — Socr. Und diefe Mutter, die es 
fo gut mit dir meint umd in deinen Krankheiten alled Möge 
liche thut, damit du wieder gefund werdet und dir ja Bein 
Bedürfniß abgehe, die noch überdieß altes Gute für dich von 
den Göttern erficht, und ihre Gelübde erfüllt, diefe Mutter 
. 66% unausftehlich feyn ? In der That, wenn du eine foldhe 
Mutter: nicht eriragen kannſt, fs mußt du das Gute nit 
ertragen innen. Uber fage mir, glaube du überhaupt, 
daß man Andere zu ehren brauche? Oder Haft du im Sinne, 





478 Xenophon's Erinnerungen an Socrates. 


did) um Feines Menfhen MWohlgefallen zu bemühen, und 
weder einem Feldherin, noch fonft Einem, der zu befehlen 
bat, zu gehorhen? — Lampr. O ja, roh! — Socr. & 
wirft du denn auch deinem Nachbar zu gefallen fuchen, 
damit er dir Feuer gebe, wenn du es bendchigt bift, und 
überhaupt dir zu deinem Glücke die Hand biete, und im 
Falle eines Unglücks wohlwollend dir nachbarlichen Beiſtand 
Teifte? — Lampr. Ganz gewiß. — Socr. Ferner, wenn 
du mit Jemand auf einer Reiſe zu Waller oder zu Land 


oder fonft bei einer Gelegenheit zufammentommft, ift ed dir - 


gleichgültig, ob er bein Feind oder dein Freund werde, oder 
Hlaubft du auch in folhen Fällen um Anderer Wohlwollen 
dich bemühen zu müſſen? — Lampr. Ohne Weitered. — 
Sper. Um Solche alfo haft du im Sinne dic, zu befümmern, 
und deine Mutter, die dich fo aufrichtig Tiebt, meint du 
nicht ehren zu mäflen? Weißt dunicht, daß felbft der Staat 
fonft fid) um feine Undankbarkeit befümmert, und fie auch 
nicht vor feinen Richterſtuhl ziehe, fondern fie) gleichgültig 
dagegen verhält, wenn Einer eine empfangene Wohlthat nicht 


vergilt; wenn aber Einer feine Eltern nicht ehrt, fo zieht *) 





— 


+) Nach Diogenes Laert. I, 55. gab Solon das Geſetz: „wenn 
Einer feine Eltern nicht ernährt, der ſoll ehrlos ſeyn.“ 
Nach Aeſchines gegen Timarchus durfte Der, welder Bas 
ter ober Mutter ſchlug ober nicht nährte, oder ihnen Feine 


Wohnung gab, nicht ald Redner auftreten, Unter den 
hier genannten Prüfungen verfichen Andere, Prüfungen: 
für die Archontenwärde, und ‚wirklich koͤnnte bie Erwaͤh⸗ 
nung der Opfer dafür zu ſprechen fcheinen; aber nach Dis. 


narchus gegen Ariftorgiton Neist. p. 86. kam überhaupt bei 





Zweited Bud). 479 


er ihn zur Strafe, und fchließt ihn beider Vorprüfung für obrigs 
Feitliche Würden aus, in der Vorausſetzung, daß weder die 
für den Staat darzubringenden Opfer auf die gehörige Art 
Dargebracdht würden, wenn Diefer fie darbräcdhte, noch übers 
haupt von einem Solchen bei irgend einer Verrichtung, Sinn 
für Recht und Pflicht zu erwarten fey. Ja fogar, wenn 
Einer nad) dem Tode feiner Eltern ihr Grabmal nicht ſchmückt, 
auch darnady fragt der Staat bei den Prüfungen für obrigs 
Leitlihe Würden. Wenn du daher vernünftig bift, mein 
Sohn, fo wirft du die Götter um Nachficht bitten für den 
Mangel an Achtung, den du gegen beine Mutter- an den Tag 
gelegt Haft, damit nicht auch fie auf deine Undankbarkeit hin 
ihre Wohlthaten dir entziehen; vor den Menfchen aber 
wirft du dich in Acht nehmen, Etwas von Geringſchätzung 
gegen deine Eltern bliden zu laſſen, damit fle nicht indges 
famme bich verachten, und du von allen Sreunden verlafien 
da ſteheſt. Denn wenn fie glaubten, daß du gegen deine Ef: 
tern undankbar wäreft, fo würde Keiner für Wohlthaten, 
Die er dir erwiefe, ſich Dank von dir verfprechen. 

3. Einmal wußte er, daß Ehärephon und Ehärecrates, zwei 





ben Präfungen Deffen, ber ein dffentliches Amt fuchte, 
bie Trage vor, 05 er feine Eltern gut bebandle. Der 
Griechiſche Ausdruck laͤßt bie Eine Erklärung, wie die - 
andere zu, und daß biefe Frage auch bei der Prüfung 
für die Urchontenwärde vorkam, laͤßt ſich in jedem Falle 
erwarten, wie ed bann nach Pollux Onomast, VIII, 9, 85. 
Pi nach Demoft. gegen Eubulides p. 1320 wirklich ſtatt 
nd, 








480 RXenophon's Erinnerungen an Socrates. 


Brüder *), und Beide feine Freunde, in Uneinigkeit lebten. 
Er fah zufällig den Chärecrated. ‚Höre, Chärecrates, fagte 
er, du bifk doch nicht etwa Einer von Denen, welchen das 
Geld mehr gilt, als ein Bruder? Jenes ift ja doch vernunfs 
108 ‚Diefer vernünftig; jenes bebarf ber Dertheidigung, Dies 
fer Eann vertheidigen; und überdieß ift jened in Menge vors 
handen, Diefer in der ganzen Welt nur einmal. Auch ift es 
Tonderbar, wenn Einer durch feine Brüder zu kurz zu kom⸗ 
men glaubt, weil er nicht auch das Ihrige bekommt. Was 
rum meint er denn nicht audy durch feine Miebürger zu kurz 
zu kommen, weil er nicht auch das Ihrige befist? Hier 
kann doch Jedermann begreifen, daß es beffer ift, mit Vielen 
zufammen zu wohnen, und ein mäßiges Vermögen in Sichers 
heit zu befiten, als allein zu leben, und unter befländigen 
Gefahren das gefammte Vermögen feiner Mitbürger zu bes 
fisen. Uber bei den Brüdern will Dieß Niemand einfehen. 
Sclaven Fauft, Wer kann, nm Gehülfen bei der Arbeit zw 
baben , und Freunde fucht man ſich zu erwerben, weil man 
eines Beiflandes zu bedürfen glaubt; die Brüder, die man 
doch ſchon hat, flieht man gar nicht an, wie wenn aus ihnen - 
nicht eben fo gut Freunde werden könnten, ald aus den Wit- 
bürgern. Und doch trägt es zur Freundfchaft fchon fehr vief 
bei, von denfelben Eltern entfproffen und miteinander erzogen 
au ſeyn; ferdft Die Thiere haben ein Verlangen nach Denen, 
welche mit ihnen aufgezogen worden. Endlich ehren auch die 
übrigen Menfchen Diejenigen, welche Brüder Haben, mehr, 


*) &, über Beide I, 3, Ende, Sie waren aus bem Attifpen 
Demos Sphettos, 


Zweites Buch. 4Bı 


ald Die, welche keine haben, und freten ihnen weniger zu 
nahe. — Ehärecr. Allerdings, wenn die Urfache des Streits 
von keiner Bedeutung ift, muß man den Bruder mit Geduld 
tvagen, und nicht wegen Kleinigkeiten ihn meiden. Denn - 
wie du ſagſt, es ift eine wahre Wohlthat um einen Bruder, 
wenn er ift, wie er ſeyn ſoll; wenn aber Dem gar nicht fo iſt, 
und wenn ſtatt Deflen das gerade Gegentheil fich finden follte, 
Mer möchte das Unmögliche verfuhen? — Socr. Dermag 
ſich denn Chärephon Niemand gefällig zu machen, oder gibt 
e8 vielleicht Leute, denen er ſich recht fehr gefällig erweist ? — 
Ehäreer Eben Diefes ift ed, Socrates, warum ich ihn 
baflen muß, daß er Anderen zu gefallen weiß, mir aber, 
wo er hinkommt, überalt durch Wort und That nur zum 
Schaden ftatt zum Nutzen if. — Socr. Iſt es nicht viel- 
feicht mit einem Bruder, wie mit einem Pferde, daß nämlich 
sur Der übel wegtommf,. der fih mit ihm einläßt, 
‚ohne mit ihm umgehen zu können? — Ehärecr. Wie könnte 
es mir an ber Kunſt fehlen, mit einem Bruder umzugehen? 
Wer freundlich ift,-gegen ven bin ich wieder freundlich; Wer 
gefällig ift, gegen den bin ich wieber gefällig 5; Das verſtehe ich 
ganz gut. Allein Wer es mit Wort und That darauf aulegt, 
mich zu. Eränten, gegen Den Bann ich freilich weder freundlich 
noch gefähig ſeyn; ich werde mir auch nicht einmal Mühe 
damit geben! — Soer. Sonderbar! Gefest, du haͤtteſt ei- 
nen guten Schäferhund, der den Hirten fchmeichefte, wenn 
aber du Bämert, belferte; würdeſt du nicht, flatt böfe zu 
werden, ihn durch einen guten Biſſen zu begütigen fuchen ? 

Bon deinem Bruder fagft du ſelbſt, was es für eine große 
Wohlthat um ihn wäre, wenn er gegen dich ſeyn wollte, wie 





0} " — 


482 Xenophon's Erinnerungen an Socrates. 


er follte; du willſt auch verfichen, gegen ihn gefällig und 
freundlich zu feyn, und du macht bei ihm Beinen Verſuch, 
ihn für dich fo gut als möglich zu mahen? — Chäreecr. 
Sch fürchte, Socrates, alle meine Kunft möchte nicht fo weit 
zeichen, ed bei Chärephon fo weit zu bringen. — Socr. 
Ich denke doch, dazu bedarf es weiter nicht viel Verſchmitzt⸗ 
heit und Scharffinn; mit Dem, was du felbft fchon weißt, 
folteft du ihn gewinnen können, daß er dich hoch. fchäten 
lernte. — Chärecr. Gage es mir doch je eher je lieber! 
Haft du bei mir Etwas von einem Liebesmittel bemerkt, auf 
Das ich mich verftände, ohne es zu willen? — Socr. Nun 
ja, wenn du einen Freund dahin bringen wolteft, fo oft er 
opferte, dich zum Mahle zu Iaden, Was würbeft du Chun ? — 
EChärecr Ich würde natürlich den Anfang machen, und 
ihn’ feibft einladen, wenn ich opferte. — GSocr Und Was 
würdeſt bu thun, wenn du einen Freund bewegen wollteft, 
die Beforgung deiner Angelegenheiten zu übernehmen, fo oft 
du verreißtett ? — Chärecr Ach würde nätärlich vorher _ 
die Beforgung der feinigen übernehmen, wenn er verreißte — 
Socr Und wenn du einen Fremden dazu bringen wollteft, 
dich zu beherbergen, wenn du in fein and kaͤmeſt? — Chärecr. 
Natürlich würde id) ebenfalls ihn zuerft beherbergen, wenn 
er nach Athen käme: und wollte ich, baß er mir meine Au⸗ 
gelegenheiten betreiben hälfe, wenn ich käme, fo müßte ich 
begreiflich, denfelben Dienft ibm zuerſt erweiſen. — Soecr. 
Sp waren dir alfo alle Liebesmittel, die unter Menſchen ſich 
finden, längft befannt, und du thateft nur Damit geheim. 
Oder ift es nur der Anfang, was bu fürdhteft, um deiner 
Würde nichts zu vergeben, wenn bu zuerſt gegen beinen Bru⸗ 


Zweites Bud). 483 


der gefällig wäreft? Iſt ja doch Fein Mann acdhtnngemerther, 
ald Wer den Feinden des Etaates im Schaden, feinen Freunden 
im Wohlthun zuvorkommt. Hätte ich nun gedacht, Chäres 
phon tauge beffer dazu, hierin den Zon anzugeben, fo hätte 
ic Ihn zu bewegen geſucht, dir zuerft die Hand zur Aus⸗ 
fühnung zu bieten. Aber es fcheint mir, Du müffeft den Ans 
fang madyen , wenn die Sache gelingen fol. — Ehärecr.- 
Eine ganz eigene Forderung von bir, die dir gar nicht an⸗ 
fiehen will. Sch, der Jüngere, meinft du, folle vorangehen ; 
tft es doch in der ganzen Melt gerade umgekehrt, daß der 
Aeltere vorangeht, in Allem, wo Etwas zu thun ober zu 
fagen if. — Goer. Wie? Iſt es nicht überall eingeführt, 
Daß beim Begegnen der Jüngere dem eltern aus dem Wege 
geht, daß er vor Diefem von feinem Sitz aufſteht, ihm durch 
ein weiches *) Lager ehrt, und ihm das Wort läßt? Ja, 
mein Beſter, befinne dich nicht Länger; verfuche ed den Mann 
zu befänftigens er wird bir gewiß bald entgegenfommen. 
Siehft du nicht, wie ehrliebend und edel er it? Cr ift feine 
von den gemeinen Seelen, die man nur bekommen kann, 
wenn man ihnen Etwas gibts: als ein Mann von Ehre und 
Charakter ift er durch freundliche Behandlung Teicht zu ges 
winnen. — Ehärecr Wenn ih nun Dieß thue, und er 
doch nicht anders wird? — Gocr Was kannſt du’ denn 
dabei verlieren, als daß dann Jedermann fleht, es fehle nicht 
bei dir an gutem Willen und Liebe zu deinem Bruder, ſon⸗ 


*) Dieß, wie zum Theil auch dad Vorhergehende, und Nach⸗ 
folgende , wohl Anfpielung auf Homer, namentlih auf 
Iliad. IX, 195. 614. 655 ff. Daher hat man wohl keinen 
Grund, bie Worte mit Valkenaͤr und Schneider zu ſtreichen. 








484 Eenophon's Erinnerungen an Socrates. 


dern er babe ein ſchlechtes Herz und ſey einer guten Behand⸗ 
fung gar nicht werth? Aber ich bin überzengt, dieſer Fall 
tritt gar nicht ein. Ich deube, ſobald er bemerkt, daß ba ihn 
zu diefem Kampfe heransforderft, werbe er ſich alle Mähe 
geben, in Freundlichkeit und Gefaͤlligkeit dich zu überwinden. 
est ift es euch gerade, wie wenn die Hände, weldye bie 
Gottheit zu gegenfeitiger Uuterſtützung gefchaffen hat, ſtatt 
deffen darauf ausgingen, einander zu hindern; oder went die 
Füße, durch göttliche Ordnung zum Bufammenwirken beſtimmt, 
flatt deffen einander verftriden wollten. Könnte es eime grö⸗ 
Bere Ungeſchicklichkeit und eine unglüdfeligere Berirrung 
geben, äls Das, was zum Nuben beftimmt ift, zum Schaden 
zu gebrauchen? Aber eben die. Brüder, fcheint es mir, follen 
nach den Abſichten der Gottheit einander noch weit näglicher 
werden, als Hände, Füße und Augen, und was fie fonft den 
Menfchen in gefchwiftertichen Paaren anerkbaffen hat. Go 
wären die Hände außer Stand, einander auf einen Zwiſchen⸗ 
raum von mehr, als einem Klafter zu unterſtützen; bie Füße 
tönnten nicht einmal auf Klafterweife zufammengeben; die Augen, 
die ja noch am weitelten zu reichen ſcheinen, Pönnen nicht einmaf 
in nody größerer Nähe, was vorn und hinten tft, zugleich 
fehen, Brüder dagegen, wenn fie miteinander gut fliehen, 
kann Beine Entfernung hindern, auch für einen gemeinfchaft- 
lichen Zweck zufammen zu wirken. 

4. Auch von der Sreundichaft hörte id) ihn einmal ſpre⸗ 
chen; und was er ſagte, ſchien mir Manchem ſehr nuͤtzlich 
werden zu können, ſowohl wo es gilt, Freunde ſich zu er⸗ 
werben, als mit ihnen zu leben. Er ſagte, Das könne man 
von Jedermann hören, daß ein zuverlaͤſſiger und rechtfchaffe⸗ 





Zweites Buch. 485 


wer Frenud das Beſte fey, was man ſich erwerbenTkönne; 
aber die Erfahrung lehre, daß Dieß das Lebte ſey, was man 
fich zu erwerben ſtrebe. Käufer, Aecker, Sclaven, Herden 
und Geräthfchaften fuche man angelegentlich fidy zu verfchaffen, 
und wenn man fle habe, fey man bemüht, fie fich zu erhal⸗ 
ten; bei einem Freunde, den man doch für das größte Gut 
erkläre, gebe man fich feine Mühe, weder Einen zu erwers 
ben, noch wenn man ihn habe, ihn ſich zu erhalten. Ja fos 
gar, wenn Freunde und Sclaven zugleich krank feyen, Eönne 
man fehen, daß man zu den Sclaven Yerzte hole, und Altes, 
was zu ihrer Sefundheit diene, eifrigft beforge, während man 
um die Freunde ih gar nicht befümmere; und wenn Beibe 
fterben, fey man über den Tod eines Sclaven tief betrübt, 
und achte ihn ald Verluſt; an den Freunden hingegen glaube 
man Nichte verloren zu haben. Sefbft bei anderen Gefchöpfen. 
die zum Hauſe gehören, laſſe man es an Pflege und Aufficht 
nie fehlen; Freunde, die einer Wartung bedürftig feyen, 
überlaffe man fidy ſelbſt. Ferner bei anderen Gegenftänden, 
die man auch in noch fo großer Menge befibe,, wife man die 
Zahl genau; bei den Freunden wiſſe man nicht nur die Zahl 
nit, fo Bein fie audy wäre; fondern fogar, wenn man anfs 
gefordert werde, ſie anzugeben, führe man Manchen unter 
den Freunden anf, den man -hinfennac wieder zurückneh⸗ 
men müſſe. So viel befümmere man fi um Freunde! „Und 
gleichwohl“, fur er fort, ‚weiches Befitzthum koͤnnte fonft auch 
nur von Ferne mit einem vechtfchaffenen Freunde die Der- 
gleichung aushalten? Welches Pferd, welches Stiergefpann 
bat den Werth, wie ein würtiger Freund? welcher Sclave 
ift fo vedlich und treu? welches. andere Beſtthum fo nüslich 





486 Xenophon's Erinnerungen an Eocrates. 


in jeder Hinſicht? Ein vechtfchaffener Freund tritt überall 
für den Freund ein, wo es ihm fehlt, fowohl in befonderen 
Angelegenheiten, als in öffentlichen. Gilt ed Jemand einen 
Dienft zu erweifen, er ift dabei; droht eine Gefahr, er hilft 
fie abwenden; er theilt die Koften, theilt die Mühes hilfe 
BSüte, hilft Gewalt brauchen; verfchönert die glückliche, vers 
beffert die unglückliche Lage. Was aud) die Hände durch ihre 
GSefchicktichkeit, die Augen durch Sehen, die Ohren durdy 
Hören, die Füße durch Gehen uns für Dienfte leiften, in 
Peiner diefer Hinfichken fteht der Freund ihnen nad. Oft hat, 
was für fi Einer mit Händen, Augen, Ohren oder Füßen 
nicht vermochte, ein Freund für den Freund geleifter. Den 
noch finden fid) eher Leute, welche Bäume warten um ihrer 
Frucht willen, als daß das in jeder Hinficht fruchtbarfte Bes 
ſitzthum, der Freund, nur and, mit einiger Aufmerkfamkeit 
und Sorgfalt gepflegt würde,‘ 

5. Nod) erinnere ich mich auch eines andern Gefprädes 
von ihm, welches mir befonders geeignet fchien, die Zuhörer 
zu bewegen, fi) felbft zu prüfen, was fie ihren Freunden 
werth ſeyen. Er hatte bemerkt, daß Einer feiner Bekannten 
eines in drüdender Armuth Iebenden Freundes ſich gar nicht 
annahm. Er richtete daher in Gegenwart des Erfteren und 
mehrerer Anderer die Frage an Untifthenes *): „Antiſthe⸗ 
nes, haben die Freunde ihren beftimmten Werth, wie die 
Scaven? Denn you Diefen ift der Eine zwei ** Minen 


*) Antiſthenes, Hier ber Stifter der Cyniſchen Schule. 

**0) Eine Mine ift gleich hundert Dramen, ungefähr breis 
undvierzig Gulden nach unferem Gene, - oder vierunds 
zwanzig Sachſiſche Thaler. 








Zweites Buch. 487 


werth, der Andere nicht einmal eine halbe, ein Anderer fünf, 
oder wohl gar zehn. Ja man verfihert, Nicias *), der 
Sohn des Niceratus, habe für einen Auffeher in feine Sil« 
bergruben ein Talent **) bezahle. Wir wollen alfo fehen, ob 
die Freunde ebenfo ihren beflimmten Werth haben, wie die 
Sclaven. — Anthiſth. In der That, ich glaube eg; bei 
dem Einen wollte id) gerne zwei Minen geben, wenn 
ih ihn zum Freunde befommen könnte; bei dem Andern 
wäre mir meine halde Mine lieber; ein dritter wäre mir 
wieder lieber, als zehn Minen, und noch bei einem Andern 
wäre mir gar Fein Preis zu viel, wenn er um Geld zu ha= 
ben wäre. — Socr. Nun denn, wenn Dem fo ift, fo 
könnte Einer nichts Beſſeres thun, als ſich ferbft prüfen, 
was er wohl feinen Freunden werth fey, umd fich beftreben, 
ihnen recht viel werch zu werden, damit ihn feine Frennde 
weniger im Stiche laſſen. Denn oft laſſe ich mir erzählen 
von dem Einen, er fey von einem Freunde im Stiche gelaffen 
worden, von einem Anderen, Derjenige auf Deffen Freund: 
ſchaft er gerechnet habe, habe ihn um eine Mine aufgeopfert. 
Solche Betrachtungen laffen mid fürchten, es fey mit einem 
ſchlechten Freunde, wie mit einem ſchlechten Sclaven. Die⸗ 


*) Nicias, der bekannte Feldherr im Peloponneſiſchen Kriege, 
ſ. Thucydides ſechſtes und ſiebentes Buch, und Plutarch 
in ſeinem Leben. Hierher gehoͤrt namentlich Xenoph. von 
den Zoͤllen 4. 

**) Das Talent ift gleich ſechzig Minen, und ungefähr zwei 
taufend ſechshundert und fünf Gulden unferes Greldes, oder 
ae tauſend vier hundert und ſieben und vierzig Saͤchſiſche 

aler 





488 Zenophon’d Erinnerungen an Socrates. 


fer ift um jeden Preis feil und zu haben, fo möchte bei eis 
nem fchlechten Freunde and, die Verfuchung zu groß feyn, 
ald daß man ihn nicht fallen ließe, fobald man mehr *) bes 
kommen kann, als er wertb ifl. Hingegen was Werth hat, 
wird weder, wenn es ein Sclave ift, verkauft, noch wenn 
ed ein Freund ift, im Stiche gelaffen. , 

6. Auch über die Eigenfchaften, anf die man bei ber 
Wahl eines Freundes zu fehen babe, ſchien er mir nüsliche 
Erinnerungen zu geben. Folgende Unterredung von ihm bes 
zieht fich auf diefen Gegenfland: — Soecr. Höre, Erito: 
bulus **), faus wir einen rechtfchaftenen Freund brauchten, 
wie würden wir es anfangen? Müßten wir nicht vor 
Allem einen Mann fuchen, der dem Gaumenkitzel, der Trink⸗ 
luſt, der Woltuft, dem Schlafe und der Bequemlichkeit zu 
widerftehen vermöchte? Denn Wer in diefen Hinfichten nicht 
fein eigener Herr ift, kann weder für fich noch für Andere 
Etwas beforgen, wie ſich's gebührt. — Erit, Nein, Dieß 
iſt nicht zu erwarten. — Socr. Du meinft alfo mit einem 
Solchen fey Nichts zu machen. — Erit. Das meine id. — 
Socr. Ja fcheint die nicht auch Derjenige ein widerwärtiger 
Freund zu ſeyn, der großen Aufwand liebt, und ihn aus eis 
genen Mitteln nicht beftreiten Kann, fondern immer Andere 


*) Nach dem Terte müßte es heißen: wenn man nur ben groͤ⸗ 
Beren Theil feines Werthes erhalten Tann. Aber ber 
ſchlechte Freund ift eigentlich Der, welcher Teinen Werth 
hat, und wird hier verglichen mit einem Sclaven, ber 
um jeden Preis feil iſt. Deswegen ift vorausgeſetzt, 
Kenophon habe geſchrieben, ſobald nur Einem moͤglich 
fey, mehr zu bekommen. 

+) Critobulus f. zu 1, 3. 


Zweites Bud). 489 


in Anſpruch nehmen muß, und wenn er Etwas bekommt, es 
nie wieder zurückgeben kann, im entgegengefesten Falle Dem, 
der ihm Etwas abjchlägt, feind wird! — Erit. Allerdings. — 
Sper. Yıd mit einem Soldyen wird alfo nicht viel anzus 
fangen feyn? — Crit. Ich glaube nicht. — Gocr. Und 
wenn Einer fi Geld zu machen weiß, aber auch deſſen nie 
genug befommen ann, und deswegen zum Verkehr un: 
tauglich ift, immer nur einnehmen, nie aber bezahlen will? — 
Critob. Der fcheint mir noch fhlimmer zu feyn, ale der 
Erſte. — Socr. .Und wenn Einer aud lauter Freude am 
®e.ve ſich zu gar nichts Yinderen Zeit nimmt, ald wie er 
nod) mehr gewinuen könne? — Critob. Auch mit Dein 
iſt nichts zu machen, wie mir fcheint; denn er ift ganz un⸗ 
nüg für Den, der mit ihm umgeht. — Socr. Und wenn 
Einer ein unruhiger Kopf ift, und feinen Freunden Nichts, 
ale Feinde machen wiL 2? — Critob. Auch Den muß man 
warrhıftig vermeiden. — Socr. Und wenn Einer and) von 
Diefen Fehlern feinen an ſich hätte, aber ſich Gefäligkeiten 
erweifen ließe, ohne auch nur daran zu denken, flefzu erwies 
dern? — Critob. Auch mit Dem wäre Einem wenig ges 
dient. Uber, Gocrates, was müßte denn Der_für Eigen⸗ 
fchaften haben, den wir zum Freunde wählen follten? — 
Speer. Er müßte gerade umgekehrt über die finnlichen Bes 
gierden Herr, ein Dann von Wort *), und zum Verkehr 





4) Nach ber von Schneider und Herbſt wieber aufgenammenen 
Bulgata: EVopxog. Ruhnken und nach ihnen Gepüg 
fespitnisen SsUopyYog, was bezeichnen fol: wohlge 
ittet. 
Renophon. 48 Bbehn ˖ 7 





490 Xenophon’d Erinnerungen an Socrates. 


tauglich fenn und Ehrgefühl genug haben, um es in Ers 
wiederung von Wohlthaten nie fehlen zu laffen; fo könnte 
fein Umgang auch von Nutzen feyn. — Critob. Wie Fönnte 
man nun darüber ſich vorher Gewißheit verfchaffen, ehe man 
fid) mit ihm einfiße? — Socer Wenn wir einen DBilt- 
haner prüfen, fo gehen wir nicht auf Das, was er fagt, 
fondern wir müffen durch den Augenſchein ung überzeugen 
gönnen, ob Einer früher fchon fehöne Arbeit geliefert habe, 
um zu glanben, daß er auch andere Arbeiten gut ansführen 
werde. — Eritob, Du meinft alfo, ed müffe Einer eben fo 
fchon gegen feine früheren Freunde fidy gefallig erwie fen haben ; 
dann laſſe ſich annehmen, daß er ed auch gegen die fpäteren 
feyn werde? — Socr. So ift ed ja aud) mit der Behand⸗ 
Inng der Pferde: Wer mit den bigherigen gut umzuge⸗ 
hen wußte, der wird wohl aud) mit andern umzugehen 
wiffen. — Critob. Ganz recht; aber wie muß man es 
angreifen, Den fidy zum Freunde zu machen, den man eilts 
mal feiner Freundſchaft würdig gefunden hat? — Soer. 
Das Erfte ift, daß man auf die Andeutungen der Götter 
ächte, ob fie zurathen, ihn fich zum Freunde zu machen, — 
Eritob. Und wenn wir über Einen mit uns und den Göt⸗ 
fein im Reinen find, wie mug man auf ihn Jagd machen? — 
Socr. Wahrlich, hier Hilft Schnelligkeit der. Füße nicht, 
wie bei den Hafen, auch nicht Täuſchung, wie bei den Vö— 
geln, oder Gewalt, wie bei den Feinden. Es hält fehr 
fchwer, einen Freund wider feinen Willen zu erhafchen, und 
noch fchwerer ihn in Banden zu halten, wie einen Sclaven; 
damit würde man ihn eher zum Feinde als zum Freunde bekom⸗ 
men, — Erito b, Wie kann man ihn denn zum Freunde ma⸗ 


- 











nn Zweites Bach. | 49: 


hen? — Soer. Man fagt, ed gebe gewiſſe Zauberlieder, die, 
Wer fie wife, nur herfingen dürfe, um, Wen er wolle, fid) zum 
Freunde za machen; fo wie auch gewifle Baubermittel, die, Wer 
fie wiffe, nur anwenden bütfe, um, Wen erTwolle, Liebe gegen 
fi, einzuflößen. — Eritob, Und woher koͤnnten wir diefe 
erfahren ? — Socr. Das Sauberlied, das die Sirenen 
bem Ulyſſes vorſangen, iſt dir ans Homer bekannt. Es fängt 
mit den Worten * an: 

Komm, pretsvoller Obyſſens, erhabener Nuhm der Achaͤer! 
Eritob. Sangen bie Sirenen mit dieſem Liede auch 
andere Menſchen feſt, daß ſie nicht mehr von ihnen loskom⸗ 
men konnten? — Socr Rein; ed wurde nur Denen zu⸗ 
geſungen, die ſich auf ihre Tapferkeit Etwas zu Gute thaten. — 
@ritob. Du wit wohl fagen, der Inhalt eines Zauber⸗ 
liedes müffe von dev Art ſeyn, daß Der, dem man es vor⸗ 
fings, nicht meinen Fönne, man Iobe ihn, um feiner zu ſpotten. 
Denn fo würde man ſich eher verhaßt machen; und die Leute 
von ſich abſtoßen, wenn man Jemand, ber ed weiß, daß er 
Hein, ungeſtaltet und ſchwach ift, das Lob ber Schönheit, 
Groͤße und Stärke beilegen wollte. Sind bir vielleicht noch 
andere Banberlieder bekannt? — Socr. Nein; aber, ich 
babe mir fagen laſſen, Perickes Habe deren viele gewußt, und 
der Bürgerfchaft vorgeſungen. Sie eben haben ihm die Liebe 
berfelben zu Wege gebracht, — Eritob. Wie brachte ſich 
denn Themifkocles die Liebe der Bürger zu Wege? — Goer, 
Wahrlich nicht durch, Vorfingen ; feine Verdienſte waren bie 
Zaubermittel, deren er fic, bebiente, — Eritob, Ich glaube 





2) Homer. Odyſſ. XII, 184, . 
7 





192 Xenophon’s GEriunerwagen an Socrates. 


dich zu verfichen: Wer ſich einen tüchtigen Freund erweuben 
wid, müfe ſelbſt tüchtig ſeyn, ſowohl im Meden ale im Hat 
den — Socr. Sertefl denn du Dicher es fir möglich, 
daß ein Nichtswürdiger ſich wadere Freunde erwerben könne? 
Eritob. Ich ſah wenigftend, daß ſchlechte Redekünſtler wit 
großen Volksrednern auf dem beſten Fuße Tlanden, und Zente 
ohne alles Feldherrntalent Die tägliche Ghefeifchaft ausgezeich⸗ 
neter Seldherren waren. — Socr. Haſt du aber unch, denu 
davon ift hier die Rebe, haft du auch Leute gekannt, weldye 
ohne Verdionft zu beſitzen, Leute von Derdienft fich zu Aremms« 
den gewannen? — Eritob. Wein, gewiß nicht. Wenn es 
aber unmöglich ift, daß ein Nichtswürdiger edle und recht⸗ 
ſchaffene Freunde ſich erwerbe, fo fage mir nun auch: brautht 
es fonft Nichts, als daß man ſelbſt edel nnd rechtſchaffen ſey, 
um ohne Weiteres mit den Eden und ‚Rechifchaffenen in 
Sreundfchaft zu ſtehen? — Soer. Ich weiß fchon, Tweran 
du dich ſtoͤßeſt: nicht zwahr, du ſtehſt, daß oft Maͤnner ven 
rechtſchaffenem und unbeſcholtenem Wandel, ſtatt Freunde gr 
ſeyn, in Uneinigkeit leben, und einander noch unausehlichen 
find, als Leute ohne allen Werth? — Critob. In; usb 
nicht nur bei Privasperfonen ift Dieb der Fall; ſogar gauge 
Staaten, welche die größte Achtung vor der Tugend und 
den flärkften Abſcheu vor dem Unedeln begen, nehmen ft 
eine feindfelige Stelfung gegen einander an. Und diefe Dex 
trachtung nimmt mir allen Muth, ob es je möglich ſey⸗ 
Freunde ſich zu erwerben. Wuf der Einen Seite ſehe ich, 
daß Nichtswürdige unmöglich untereinander Freunde ſehyn 
können; denn wie könnten undankbare, felbftfüchtige, habfüch⸗ 
tige, treufofe oder fchweigerifche Menſchen Freunde werden 2 





Zweites Bd, 495 


- Ya, ich bin feſt davon Aberzengt, daß die Nichtswurdigen 
cher zur Feindſchaft, als zur Freunbdſchaft untereinander ges 
ſchaffen ſind. Eben ſo wenig aber, wie du richtig bemerkt 
haft, moͤchten die Schlechten mit den Rechtſchaffenen zur 
FJreundſchaft zufammen taugen. Denn wie könnten Diejeni- 
gen , Die ſchlecht handeln, Freunde Derer werden, die Dieß 
verabfihenen? Wenn nun vollends auf der andern Geite 
auch Hin Verehrer der Tugend ſich ontzweien Aber den Ein-⸗ 
ah, den fie im Staate Haben, und ans Mißgunſt einander 
verfolgen, wo bleiben dann die Leute, die Freunde werden, 
nnd Treue und Redlichten Aden ſollen? — Socr. Es iſt 
wahr, es findet: im dieſer Hinſſcht keine genaue Sonderung 
ſtatt. Die Natur leitet den Menſchen eben ſowohl zur Feinb⸗ 
ſchaft als zur Freundſchaft hin. Sie leitet ihn zur Freund: 
fchaft. x’ berm Einer bedarf des‘ Andern, Einer fühlt: mit 
dem Andern Mitleid, fle werden durch gegenfeitige Unters 
fitgıma: in der Arbeit einatider nützlich, und um deßwillen 
einander zu Daunk: verpflichtet. Sie leitet ihn zur Feindſchaft: 
denn entweder finden Mehrere einerlei Dinge ſchön and an⸗ 
genehm, ſo ſtreiten ſie ſich um dieſe; oder fie find verſchie⸗ 
dener Meinung, fo entſtehen darüber Zwiſtigkeiten. Zur 
Keindichaft führt ferner Streit und Zorn. Auch iſt es etwas 
Uebelwellendes um den Eigennub, etwas Gehäffiged um die 
Mißguuſt. Dennoch findet die Freundſchaft durch ae dieſe 
Schwierigkeiten hinbürch den Weg, und knüpft zwifchen Edeln 
und Rechtfchaffenen ihre Bande, Denn wegen ihrer innern 





*) ivev nOVE. Nach Heindorfs treffiisger Conjectur, die 
Schneider in feiner neneften Aufgabe in den Text aufges 





494 Xenophon's Erianerungen an Socrates. 


Zrefflichkeit wollen Diefe lieber ohne Harm *) nur Weniges 
beſitzen, ald durch Krieg ſich Alles unterwerfen. Müſſen fie 
dann auch hungern und durften, Speife und Trank bekommt 
ihnen immerhin gut, und, werben fle auch von den Meigen 
der Schönheit ergrifien, fo willen fie ſich zu mäßigen, um 
nicht durch Zudringlichkeit da, wo es fich nicht ziemt, bes 
fhwerlich zu werden *). Aus demfelben Grunde haben fie 
nicht nur nicht nöthig, zu unrechtmäßigem Gewinn ihre Sun 
flucht zu nehmen, um felbft leben au Lünnen, fondern fie uhr 
fogar im Stande, mit dem Ihrigen noch einander auszuhelfen; 
find fie ferner im Stande, Streitigkeiten nicht nur ohne Bes 
"einträchtigungen, fondern auch zu gegenfeitisem Vortheile 
beizulegen, und dem Zorne Schranten zu fegen, fo daß. er 
nicht mit Reue endiges verbannen fie endlich die Mißgunft 
gaͤnzlich, indem fie, was fie felbft Gutes haben, den Freun⸗ 
den zu eigen hingeben, und hinwiederum was Diefe haben, 
als ihr Eigenthum betrachten. Wie follten daher die Edlen 
und Nechtfchaffenen nicht auch den Einfluß im Stante mit 
einander theifen, wie lieber einander fdyaben, als nüben 





nommen, waͤre zu leſen avev toA&us. „Ohne Krieg.“ 
Schuͤtz und Herbft beharren auf ber Vulgata. Wir bes 
merten zu Gunſten ber Heindorf'ſchen Verbeſſerung, daß 
in den Handſchriften des Dionys von Halitarnaß gerade ſo 
noA&umv zweimal (UI, ı2 und 28) mit novov verwech⸗ 
ſelt ſcheint. Anm. eines Dritten. 

*) Es ſey erlaubt zu bemerken, daß in Hottinsgers Ueber⸗ 
ſetzung (Zuͤrich, Orell, Fuͤßli u. Comp. 1819), von hier 
an bis zum Schluſſe des Sapitels durch eine wirklich ums 
ne Nachlaͤſſigkeit Alles — 6 Herevſeiten) 

ehlt. 


zweites Bud. 499 


wollen? Wer freilich darum nad Ehrenftellen und obrig- 
keitlichen Würden ſtrebt, um Gelegenheit zu befommen, Gel: 
der zu unterfchlagen, Seenfihen zu unterdrüden, und fich 
wohl feyn zu laſſen, das wäre ein ungerechter und nichke- 
würdiger Menfch und der kann mit Niemand zufammentaugen; 
ſucht aber. Einer im Staat in der Abficht fid zu erheben, 
am für ſich gegen Ungerechtigfeiten gefichert zu feyn, und 
feinen Freunden in erlaubten Fällen Beiftand leiſten zu kön⸗ 
zen, und läßt er ſich's, wenn er an das Ruder gelangt iſt, 
- angelegen feyn, ſich um fein Vaterland verdient zu machen: 
warum folite ein Solcher mit einem Andern feines Gleichen 
nicht zufammen taugen? Soll er denn in Verbindung mit 
edeln und rechtlichen Männern weniger feinen Freunden die⸗ 
nen .oder dem Staate nüslich feyn können? Auch bei den 
gymniſchen Weltkänpfen würden offenbar die beften Kämpfer, 
wenn fie vereint gegen die fchlechteren auftreten dürften, in 
allen Kämpfen fiegen und alle Preife davon fragen. Nur 
ift Diefes dort nicht erlaubt. In den politifchen Wettkämpfen 
Hingegen, wo die Edeln und Nechtfchaffenen die beften Kaͤm⸗ 
fer find, bleibt es Jedem unbenommen, zur Beförderung des 
allgemeinen Beſten ſich au vereinigen, mit Wen er will. 
Wie könnte ed alfo anders als vortheilhaft feyn, wenn man 
an der Spike des Staates fteht, fidy die Beften zu Freunden 
zu machen, und an ihnen eher Genoffen und Gehülfen, als 
Gegner zu haben? Ja auch, wenn Einer Krieg führt, be- 
darf er Bundesgenoffen, und deſto mehrere, wenn er es mit 
ebein und waceren Gegnern zu thun hat. Run muß er aber 
Diejenigen, welche fi ihm zum Beiſtand erbieten, durch 
Bergünftigungen an fich zu Betten ſuchen. Da ift nun doch 





46 Xenophon's Erinnerungen an Socrates. 


diefer Zweck bei den Bellen als ber kleineren Zahl weit 
teichter zu erreichen, ald bei dein Arpfien Haufen der Schlech⸗ 
teren, bei denen man mit derfelben Anzahl von Vergänftigenr- 
aen bei weiten nicht zurecht kommen würde, Faffe daher 
Muth, Critobulus; bemühe dich ein rechtfchaffener Mann zu 
werden, und je mehr du es wirft, deſto zuverfichtlicher fuche 
die Edeln und Guten zu fangen. Bielleicht Bann auch ich 
dir dabei an die Hand gehen; denn ich verftehe mich anf’Xiebe, 
und wenn ich ein Auge auf Jemand werfe, fo gehe ich mit 
Zeib und Seele daran, für meine Liebe Gegenliebe, für meine 
Sehnfucht wieder Sehnfucht, Für mein Verlangen nad, fet- 
nem Umgang auch wieder Verlangen nad, dem meinigen zu 
erweden. Und Das wird es auch bei bir brauchen, wenn 
du mit Jemand Freundfchaft fchließen willſt. Mache daher 
vor mir fein Geheimniß daraus, wenn du ein Anliegen der 
Art haft; weil ich mich beffrebe, Denen zu gefallen, die mir 
defalfen, glaube ich in der Menfchenjagd nicht ganz umer: 
fahren zu feyn. — Critob. Gerade Diefes ift die Kunſt, 
nad) der ich fchon Tängfk ftrede, zumal wenn ihr Beflg gegen 
Männer von geiffigen Vorzügen und genen ſchöne Geſtalten 
zugleich mir Gtüd gäbe. — Socr. Nur Das, Eritobulug, 
darfſt du in meiner Kunft nicht fuchen, daß fle die Schönen 
gegen Griffe mit den Händen geduldig made. Auch vor der 
Scylla *) fliehen die Leute gewiß aus keinem andern Grunde, 


*) Scylla, das belanute Meerungeheuer, das in einem Fel⸗ 
fen in Unteritalien, an der Gicilifhen Meerenge, dem 
Strudel Eharybdis gegenüber, feinen Sig hatte. und den 
en fehr gefaͤhrlich war, Vgl. Kom. of. Au, 
79 1I* 








Zweites Buch. 494 


ats-weil fie mit ben Haͤnden nach ihmen greift, während ben 
Sirenen der Sage nach Alles Stand hielt und ‚ganz begau⸗ 
dert zubörte, weit fie NRiemand mit den Händen nahe kamen, 
fordern Allen von der Ferne zufangen. — Eritob. Lehre 
mich nur, was du von Mitteln weißt, am ſich Areunde zu 
erwerben. Du davfft did, darauf verfaffen, ich bringe. feine 
Hatd an fa — GSoer Auch nicht Mund an Mund? — 
&ritob. ey außer Sorgen; an Mund an Mund: werde 
ih Keinen berüßren, außer er wäre etwa ſchoͤn. — 
Socr. Auf einmal ſagſt du da wieder Etwas, Eritobulus, 
was nicht taugt. Denn eben- die Schonen lafſſen ſich ſolche 
Freiheiten nicht gefallen; die Häüßlichen dagegen: fühlen ſich 
ſogar dadurch ſgeſchnieichelt, und meinen, was man ſchön 
uenne, ſey ihr Geiſt. — Critob. So haft bu denn moin 
Wort, daß ich die Schönen nur-füffen, die Guten Dagegen 
verkäffen werde; dafür lehre mich jetßt bie Kunſt auf Freunde 
Zagd zu machen. — Socr. Wenn du alfo Eines Frennud 
werden wilft, darf ich did bei ihm anſchuldigen, du 
achteſt ihn und wünſcheſt fein Freund zu werden ?— Eritob. 
Mur angefchuldigt! ich weiß Niemand, der Einen bafür haßte, 
wenn man ihn Tobt. — Goer Und wenn ich noch die Ber - 
ſchuldigung hinzufüge, du feyeft auch wohlwollend gegen ihn 
gefinnt, weit du ihm achteſt, wirft du fürchten, durd) mich) 
bei ihm angefchwärzs zu werden? — Critob. Im Ges 
gentheil, ich fühle ſelbſt Wohlwollen gegen Diejenigen, bei 
denen ich Wohlwollen gegen mich vorausſetzen darf. — Socr. 
Alſo Dieſes darf ich ſagen zu Denen, welche du zu Freunden 
gewinnen willſt? Erlaubſt du mir noch weiter von dir zu 
fagen, daß du fehr beforge für deine Freunde ſeyeſt, am Nichts 





498 RXenophon's Erinnerungen an Socrates. 


eine größere Freude babeft, als an guten Yreunden, über die 
rühmfichen Handlungen deiner Freunde nicht minder Vergnü⸗ 
gen empfindeft, als über deine eigenen, über ihr Glück fo 
gut, wie über tag deinige dich freueft, und für daſſelbe thäs 
tig zu fenn nicht müde werdeft, und daß buferfannt habeſt, 
die Tugend des Mannes beftehe darin, die Yreunde im 
Wohlthun, die Feinde im Schadenthun zu übertreffen — 
erlaubft du mir Dieß noch zu fagen, fo kannſt du keinen befe 
feren Genoffen für ‚die Jagd auf gute Freunde finden, ale 
ich dir einen abgebe. — Critob. Was brauchſt du denn mir 
noch davon zu fagen? Steht e3 denn nicht bei Dir, von mir 
zu fagen, was du nur willſt? — Socr, Nein, wahrhaftig 
sicht, nach Dem, was mir einft Afpafia *) ſagte. Sie meinte, 
gute Yreiwerberinnen taugen portrefflich dazu, Ehen zu flifs 
ten, wenn fie. bei ihren Anpreifungen der Wahrheit getreu 
bleiben ; fobald fie aber Lügen, ftiften fie mie ihrem Lobe zur 
Schaden. Die Zolge fen Leine andere, als daß die Betroge⸗ 
sen einander gegenfeitig feind werden, und ber Stifterin 





Alpafia, von Milet, nicht ſowohl die Lehrerin als die Ge⸗ 
liebte des Pericles, die aber auf das politiſche Benehmen 
dieſes Staatsmannes Einfluß zu uͤben wußte. Vielleicht, 
daß Pericles ſeinen Umgang mit ihr durch das Vorgeben 

zu beſchoͤnigen ſuchte, es ſey nicht der ſinnliche Genuß, 
ſondern die geiſtreiche belehrende Unterhaltung, was er bei 
ihr ſuche. Dieß gab dann dem Socrates Weranlaſſung, 
zuweilen im Scherze ſich auf fie, als auf eine bedeutende 
Auctoritär zu berufen, wo das Einleuchtende feiner Be: 
hauptungen weiter keine Beſtaͤtigung erfordert hätte, 
Plato's Menexenus ©. 2355. E, Der Erfte, dee hierauf aufs 
mertfam machte, ift Weiske. ; 





Zweite& Bud.  . 499 


ihrer Ehe noch dazu. Diele Ueberzengung theife ich mit ihr, 
und glaube Nichts zu deinem Lobe fagen zu dürfen, was 
wicht der Wahrheit ganz gemäß wäre. — Critob. Ei, da 
bit du mir ein fchöner Freund, Gocrates! du willſt mir 
heifen, wenn ich feibfi die nöthigen Eigenfchaften dazu beffbe; 
mir Freunde zu erwerben; ohne Diefes wäre es dir zu viel, 
zu: meinem Beften Etwas Hinzu zu dichten. — Socr. Wie 
meint da denn, daß ich dir mehr nüsen Könnte? wenn ich 
Die falſche Vorzüge ‚andichtete, oder wenn ich Dich bemege, 
dich wirklicher Vorzüge zu befleigigen ? Oder wenn es dir fo 
och. nicht deutlich ift, fo betrachte: die Sache auf folgende 
Weite: Wenn ich dir das falfche Lob eines guten Steuer= 
mann. ertheilte, um dir die Freundſchaft eines Schiffsherrn 
zu Wege zu bringen, und Diefer auf meine Enpfehtung Sin die 
das Steuerruder des Schiffes anvertraute, ohne daß vu dich 
darauf verſtaͤndeſt, kaunſt du hoffen, daß du dich nicht fammt dem 
Schiffe dem Verderben in die Hände Tiefern würdeſt? Dover 
‚wein ich. den ganzen Staat mit Zügen dazu brachte, dir als 
einem Meifter in der Feldherrufunft, Rechtspflege und Staates 
klugheit ſich anzuvettrauen, wie meinft du, daß es dir umd 
dem Staate unter deiner Zeitung gehen würde 2 Oder wenn 
ich einen. einzelnen Bürger dazu brächfe, dir als einem der: 
fländigen und forgfamen Haushälter das Geinige zu überge⸗ 
ben, was würdeft du bei einer Probe gewinnen ? Würdeft du 
nicht Beides, Schaden ſtiften und dich Tächerkich machen ? Ja, 
Eritobul, der kürzeſte, ſicherſte und ſchönſte Weg“ iſt, daß man 
die Vorzuge fich zit verſchaffen bemüht ſey, die mati in ben 
Augen Anderer haben will. Betrachte alle Tugenden, die 
unter Menfchen genannt werden,. und du wirft finden, daß 


1 





500 Zenophon’d Seinnerungen an Socrates. 


Urterricht und Hebung zu: ihrem Gedrihee unentbehrtich fiat; 
Meine Meinang ift alfo, daß wir es fo *) anzugreifen haben 
bei unferer Jagd; bift du anberer Meinung, fo belchre mich 
eines Beſſeren. — Eritob, Nein, Socrates, id) würde mid 
kämen, Etwas dagegen zu fagen; benn ich kdunte es weder 
mit Ehren, nody mit Grund der Wahrheit thun.“ 

7. Und nun davon, wie er ſeinen Freunden and Veile⸗ 
genheiten zu helfen fuchte: Beſtand die Berlegenheit an Rath⸗ 
Iofigfeit, fo war er: mit verfländigem Rathe zur Hanbis 
beſtand fie in Mittellofigkeit, fo forgte er dafür:durd bie 
Borfchrift, einander nad, Vermögen zu unterſtützen. Auch 
über dieſen Punkt will ich herſetzen, was ich von ihm weiß. 
Er bemerkte einſt, dab. Ariſtarchus **) finſter ausſah. u 
Socr. „Du mußt Etwas auf dom Herzen haben, Ariſtarch. 
Du ſollteſt deinen Freunden davon zu tragen geben; deine 
vieleicht Fönnten audy. wir dir einige Erleichtorung ver⸗ 
ſchaffen. — Ariſt. Dir haft Necht, Socrates, :id; bin nr 
großer Derlegenheit. Da wegen ber Unruhen ’**) in der 
Stadt eine Menge Leute ſich in den Piraͤus flüchtete, fo ſind 
nun bei mir fo viele zurächgelaffene Schweſtern und Bafen 





H mit Erneftt, Schneider und Hervſt 8Tog oluor deiv 
'  Imoav, oder mit Ss 6. d. nuag Tavem Imeaden; 
ftatt der Vulgata TaVrac. 
+, Ariſtarch ſcheint fonft nicht befannt zu fehn. 
++) Diefe Unruhen entſtanden nach der Einnahme Athens bar 
Lyſander und Einführung. ber Dligarchie der dreißig Ty⸗ 
vannen. Dad Haupt der Gegenrevolution, die vornehmlich 
von ben Verbannten ausging, War Tyraſvouins. S. Ee⸗ 
nophon's Griech. Geſch. II, 4. 


Be ch 50 


beiſammen, daß bie Zahl mir ber Sreigebornen in meinem 
Hauſe bis zu vierzehn geſtiegen ift. Bekommen koönnen wir zon 
feiner Seite Etwas; von Grundſtücken Nichts 5 denn die find 
in der Hand des Feindes; von deu Häufern Nichts; dem bie 
Stadt iſt gang tobt; Hausgeraͤthe finden Feinen Känfer, nnd _ 
Getd borgen .geht chen fo wenig. Ich glaube, man könnte 
eher auf ner Straße welches finden, wenn man ſuchte, als . 
daß man durch Borgen befüme. So ift es hart, Sucrates, 
fehen zu müſſen, wie die Seinigen verfchmachten; und der 
iſt es unmöglich, munter ſolchen Umſtaͤnden fo viele, Menichen 
zu ernähren. — Soer. Über wie geht es denn zu, daß Ges 
ramon *) trat der Menge Menichen, die er zu ernähren bat, 
nicht nur feine und der Seinigen Bedürfniffe befriedigen 
aan, ſondern noch fo viel übrig behält, daß er fogar reich 
heifien kann, wenn doch dir wegen ber Menge, bie du zu ers 
hatten Haft, in Roth bift, ihr möchtet aus Mangel Alle mike 
einander zu Grunde gehen? — Ariſt. Dieß iſt wahrhaftig 
gut wiffen: er hat Sclaven zu unterhalten und ich Freige⸗ 
borne. — Socx. Ran, und anf Wen haͤltſt du mehr? Auf 
die Freigebornen bei bir oder auf die Schaven:bei Cera⸗ 
man? — Ariſt. Auf Wen werde sc, mehr halten? auf die 
Aveigebornen bei mr: — Secr Iſl's nun nicht eind Schaude, 
wenn er durch die Schlechteren reich wird, und du bei weit 
vorzüglicheven Hausgenoſſen in Werlegenheit gerät? — 
Ariſt. Aber was er zu ernähren hıt, find Handwerker, bei 
mir find es lauter Leite von guter Erziehung. — Sto er. Sind 
Haudwerker nicht Leute, Die etwas Rützliches zu verfertizen 





+, Iſt fonft nicht vetannt. 





502 Zenophon’s Erinnerungen an Socrates. 


verfichen? — Arift. Ganz wohl. — Socr. Iſt nun nicht 
Mehl etwas Nüslihes ? — Arifl. D ja. — Socr. Um 
Brod? — Arift. Nicht minder. — Socr, Ferner, für beie 
derlei Geſchlecht Röde, Unterkleider, Mäntel, Leibröde? — 
Hrift. Ohne Anſtand ebenfalls Tauter nüsliche Arbeiten. — 


Socr. Und die Leute in deinem Hanfe verftehen von dem 


Allem Nichts zu verferfigen? — Arift. D wohl alles Dies 
fes. — Socr. Iſt dir ferner nicht bekannt, daß Nanfiehs 
des *) nur von Einem diefer Erwerbszweige, von der Mehls 
bereitung, nicht nur ſich und feine Sclaven erhält, fondern 
auch noch dazu Schweine und Stiere in Menge, und noch fo 
viel dabei erübrigt, um je und je fogar für den Staat auſſer⸗ 
ordentlicher Weife damit einzutreten? *) daß Ciribus mit 
der Bäckerei fein ganzes Hans burchbringt, und noch aut das 
bei lebt? ebenfo Demeas von Kolyttos***) durch Mantelmas 
hen, Meno durch Rockmachen, und der größte Theil der Mes 
aarenfer durch Leibrockmachen fic, fortbringen? — Arift. Ich 
glaube 28; Die Eaufen ſich Barbaren; die ann man anhalten 
zu verfertigen, Was man will; es fteht Nichts im Wege; ich 
dagegen habe Freigeborne und Verwandte zu Haufe. — 
Socr. So meinft du, weil fle Freigeborne feyen und Ver: 
wandte von dir, viren fie nichts Anderes thun, als eſſen 





*) Nauſicydes, nach Ariſtophanes Wahlverfammt, 424. ein 
Mehlhaͤndler. 

+) \EITBOYEIV, b. i. Koſten fuͤr gewiſſe Volksfeſte beſtreiten, 
was den angeſehenern und vermoͤglichern Bürgern der Reihe 
nach oblag, wie 3. B. den Aedilen zu Nom. 

++) Kolyttos, ein Attifher Demos im Aegeiſchen Stamme, 


Zweites Buch, 508 


und fchlafen ? Findeſt du es auch fonft fo bei den Freigebor⸗ 
nen, daß Diejenigen, welche auf die angegebene Weife leben, 
ſich glücklicher fühlen und dir glücklicher erfcheinen, oder Die, 
weiche auf irgend eine nüpliche Beichäftigung, die fle verftes 
hen, ihren Fleiß verwenden ? Oder hörft du, daß Unthätigs 
feit und Sleichgültigkeit den Menfchen förderlich wären, die 
nöthigen Kenntniffe, die leibliche Gefundheit und die Bedürf⸗ 
niffe des Lebens fich zu erwerben und zu fihern, Thaͤtigkeit 
Dagegen und Eifer durchaus unnütz? Und für was lernten 
denn deine Hausgenoſſen die Gefchäfte, wovon du ihnen 
Kenntniß beilegſt? Hofften fie Leinen Nuben für das Leben 
davon, und wollten fle nie Gebrauch Davon machen, oder hat- 
ten fie im Gegentheile die Abficht dabei, fich damit abzugeben, 
und Die Hoffnung, Vortheile davon zu ziehen? Was erhält 
denn die Menfchen mehr in der Ordnung? Nichts thun oder. 
ein auf etwas Nübliches gerichteter Fleiß? Was erwedt in 
ihnen mehr den Sinn für Gerechkigkeit? wenn fie arbeiten, 
oder wenn fie ohne Arbeit über den täglichen Unterhalt fid) bes 
rathen ? Fa, jebt, das bin id) überzeugt, haft du fo wenig Freude 
an ihren, als fie an dir: du denkſt an die Unkoſten, in die 
fie dich bringenz; Sie müſſen das verdrießlicdye Geſicht anfehen, 
dad du wegen ihrer machfl. . Dieß laͤßt fürchten, der Miß- 
muth Eönnte fleigen, und des Dankes für die frühere Wohls 
that immer weniger werden. Wirft du dagegen darauf hals 
ten, *) daß fie ein Gefchäft treiben , fo wirft du an ihnen 
Sreude bekommen, weil fie dir nüblich werden, und fie wers 
den mit dir zufrieden werden, wenn fie fehen, daß du an 





*) nposarrjong mit Reidte, Schneider, Schuͤt und Lervſt. 








504 Zenophon’s Erinnerungen an Socrates. 


ihnen Wohlgefallen findefl. Ihr werdet der früheren Wohle 
shaten mit mehr Dergnügen gedenken, und diefe Erinnerung 
wird den Dan? dafür erhöhen, und ein freumdlicheres, trau⸗ 
licheres Derhältniß zwifchen euch begründen. Müsten fe 
freitich auf ein fchändliches Gewerbe fidh Segen, fo wäre der 
Tod noch vorzuziehen; allein fie verfichen fid ja anf ganz 
edfe Befchäftigungen,, die bem weiblichen Geſchlechte vorzüg⸗ 
. Kid) wohl *) anftehben, und Das, worauf ſich Femand vers 
ſteht, ift ja allgemein der leichteſte, fehneltfte, glücklichſte und 
angenehmfte Weg, fih Etwas zu erwerben. Beflnne did, Des 
her nicht länger , ihnen einen Vorſchlag zu machen, der fir 
dich und für fie gleich Heikfam iſt; fle werden ihn. gewiß gern 
annehmen. — Arift. In der That, Socrates, dein Rath ger 
faͤllt mir aufferordentlih. Bisher nahm ic, Anſtand zu bor⸗ 
gen, weil ic) meine Unfähigkeit vorausſah, das Geborgte, 
wenn es einmal aufgegangen wäre, zuräd zu bezahlen; jest 
aber getraue ich mir Geld aufzunehmen, um damit ein Ges 
fehäft treiben zu Eönnen.” Jetzt wurde Geld herbeigeſchafft, 
und Wolle gekauft; die Frauen arbeiteten fort, während fie 
das Mittagsmahl einnahmen; fie hatten gearbeitet, wenn fie 
zu Nacht (peisten. Sie waren heiter fast finfters ſtatt ſcheel 
auf einander zu fehen, fahen fie einander freundlich in’d Ges 
fiht. Sie liebten den Ariſtarch ats ihren Pflegevater, er fle 
als nüäsliche Arbeiterinnen. Zuletzt kam er wieder zu ©0s 





*) Schuͤtz irrt, wenn er noenwdssara anftatt IoENO- 
Ötseg@ für eine bloße Eonjectue Meisters Hält. Schnei⸗ 
der hat es aus brei Parifer Handſchriften und einer des 
Victorius aufgenommen, > 


Zweites Buch. 505 | 


crates und "beriihtete ihm mit Frenden Diefes alles, und daß ie 
ifm den Vorwurf machen, er fen das einzige Glied des Hau⸗ 
ſes, welches eſſe, ohne zu arbeiten. Gocrates fragte ihn: 
Und du erzählt ihnen dann nicht die Zabel vom Hunde? 
„Dur Zeit, Da die Thiere noch fprechen konnten, fagte das 
Schaf zu feinem Herrn: Es iſt doch fonderbar von bir, wir 
oben die Wolle, Lämmer und Butter, und du gibft uns 
Nichts, was wir nicht vom Boden wegnehmen; der Hund gibt 
Der Nichts der Art, und vu theilſt mit ihm dein eigenes 
Brod. Der Hund Hafte Die gehört: in der That Tem 
Munder, fagte ers ich bin es fa, der euch felbft befchüst, daß 
ihr weder von Menfchen geſtohlen, och von Wölfen zerriflen 
werdet; ihr für euch könntet vor lauter Furcht mit einmal 
auf die Waide gehen, wenn ich euch nicht hütete. Auf Die 
ſes Hin ergaben ſich nun auch die Schafe darein, daß ber 
Hund ihnen vorgezogen wurde. So fage du ihnen auch, du 
ſeheſt fkatt des Hundes ihr Hüter und Beſchuͤtzer; dir haben 
fie es zu danken, daß fle gegen jede Kränkung gefichert, in 
Ruhe und Zufriedenheit bei ihrer Arbeit leben können.“ 

8 Ein anderer alter Freund war ihm nad) langer Zeit 
zum erftenmale wieder zu Geſichte gekommen. Gocr. We 
kommſt denn Du ber, Eutherus? ) — Euth. Hm das Ende 
des Krieges **) kam ich ans der Fremde; gegenwärtig jedoch 





*3) Entherus, fonft nicht bekannt. 

*) Sehneider uud Hinbenburg denten bier nad Simſon an 
ben erſten Friedensſchluß mac ben erſten zehn Jahren bes 
Peloponnefifmen Krieges; richtiger worl Neuere an dem 
Srieden des Theramenes, ber dem Peloponneſiſchen Kriege - 


en Ende maste, 


Kenoppon, Ad Bgm, 8 





Mm6 Zenophon’s Erinmerungen an Socrates. 


bin ich hier. Um die auswärtigen Beflgungen find wir gekom⸗ 
men, und in Attika hat mir mein Vater Nichts hinterlaſſen; 
darum bin ich jebk in die Nothwendigkeit verſetzt, "Hier mit 
meiner Hände Arbeit mein Brod zu verdienen. Es will mir 
fo beffer gefallen, ald mich an Jemand zu wenden, zumal. da 
ich Nichts habe, worauf ich borgen könnte — Socr. Und 
wie lange meinft du, daß du die Kraft haben werdeft, mit 
Lohnarbeit dein Brod zu vesdinen? — Euth. In Wahr 
heit, nicht Tange. — Socr. Nun aber wirft bu in jedem 
Halte, wenn du Alter wire, natürlich immer noch Geld brau« 
chen, und doch wird dir Niemand für deiner Hände Arbeit 
Etwas bezahlen wollen. — Euth. Du haft ganz Recht. — 
Soer. Würdeft du nun nicht beffer daran thun, gleich von 
Anfang an dir eine Befchäftigung zu wählen, bei der du auch 
im Alter berathen wäreft, und zu einem begüterten Manne, 
der einen Gehülfen zu Werwaltung feines Vermögens 
brauchte, hinzugeben, die Aufſicht ‚über feine Arbeiter zu 
übernehmen, ihm feine Früchte einfammeln, fein Vermögen 
erhalten zu helfen, und für die Dienfte, die tu ihm leifteteft, 
dir Gegendienſte leiſten zu laſſen? — Euth. Einen Mann, 
wie ich, Socrates, würde es fauer anfommen, fi zur Sclas 
verei zu verſtehen. — Socr. Gibt ed doch auch in des 
Staaten Yuffeher und Verwalter des öffentlichen Gutes, und 
man häft fie darum nidyt für felavifcher, im Gegentheil nur 
für defto edler und vornefmer. — Euth. Ich Habe überhaupt 
Peine Luft, Socrates, Einem Rede und Antwort ſchuldig zu 
feon. — Soer. Da wirft du aber Mühe haben, Eutherus, 
ein Geſchäft zu finden, bei dem man fich nicht auf Zadel ges 
faßt halten muß. Es ift ſchon ſchwer, bei. Etwas keinen Feh⸗ 


Zweites ‚Buch. 507 


fer zu”machen, und wenn man auch Beinen Fehler gemacht 
bat, fo jſt· es ſchwer, einer unbilligen Beurtheilung zu entges 
ben. Es wäre fogar ein Wunder, wenn es dir gelänge, bei 
deinem gegenwärtigen Geſchäfte ohne Tadel davon zu kom⸗ 
men. Du mußt daher eben tadelfücdhtige Beurtheiler meiden, 
amd billige auffuchen, und Bein Gefchäft übernehmen, das über 
deine Kräfte ginge; was du aber einmal übernommen haft, 
anf. das beine - ganze Kraft und allen deinen Eifer verwenden. 
So wirft dur fo viel möglich allem Tadel entgehen, am beften 
in Derlegenbeiten dir zu Heffen willen, das bequemſte und 
forgenfreiefte Zeben führen, und bis in’ Alter dein ſicheres 
Auskommen finden.“ 
9. Einf klagte ihm Erits *), es fey doch um das Le⸗ 
Den in Athen elwas Werdrießliches für einen Mann, der für 
-fich feinen Gefchäften leben wolle. ‚Gegenwärtig‘ fehte er 
hinzu, „werfen mir gewifle Leute Prozeffe an den Hals, nicht: 
weis fie von mir zw leiden haben, fondern fie denken, ich 
werbe lieber Geld bezahlen, als mid, in Weitläufigkeiten eins 
laſſen. — So er. Höre, Erito, nicht wahr, Hunde häfsft du, 
daß fie dir Die Wölfe von den Schafen abhalten? — Erit. Al⸗ 
lerdings, denn es bringt mir mehr Vortheil, fie zu halten, 
als nicht. — Socr. Und du willft keinen Mann halten, der. 
geneigt und im Stande wäre, did) gegen boshafte Angriffe 
zu verwahren? — Erit. Sehr gerne hielte ich Einen; aber 
ich fürchte, er Eönnte fi gegen mic felbfl wenden. — 
Socr. Wie? fiehft du nicht, daß es weit angenehmer iff, 


*) Derſelbe Erito , deſſen Namen ein Platonifcher Dialog 
führt. Vergl. I, 2. Ente. g» 


508 Zenophon's Erinnerungen an Socrates. 


gegen einen Maun, wie bu bift, gefäftig zu ſeyn, als ſich ihn 
zum Feinde zu machen, wenn man Wortheil von ihm ziehen 
will? Sey verfihert, es gibt hier ſolche Männer, die ſichs 
gar fehe zur Ehre vechnen würden, dich zum Freunde zu has 
den.’ Sie fanden fofort den Archedem, *) einen gewandten 
Redner und Geſchäftömann, der aber in Dürftigbeit lekte. 
Damm er gehörte nicht unter Diejenigen, denen es gleich gilt; 
anf weiche Weife fie zu Gelde kommen, fondern als ein 
Freund der Beſſeren, und als ein Mann von Tatent ſuchte 
er es den Sycophanten abzunehmen. **) Diefen gab nun 
Crito jedesmal feinen Theil, fo oft er Getreide, Oehl, Bein, 
Wolle oder fonft ein für das Leben nützliches Grzeugniß des 
Landes einthat; zog ihn zum Mable, fo oft er opfeste, und 
erwies ihm alle Freundſchaft Der Art. Auchedem fah in 
@ritos Haufe fi) eine Zuflucht eröffzet, und gab fich für ihm 
ale Mühe. Es währte nicht Iange, fo hatte er von ben 
Sycophanten, von weichen Eritv zn leiden hatte, eine Menge 
Vergehungen und viele Feinde ausfindig gemacht, und erhob ges 
gem Einen Derſelben eine Staatsklage, in Folge weicher eine Lei⸗ 
bes⸗ oder Geldfirafe ihm hätte angeſetzt werden müſſen. 
Diefer Hatte in mandyer Hinſicht ein böfes Gewiffen, umb 





*) Archedem, wohl verfhteben von Archebem, dem Triefkugis 
gen, ber Hei Ouſias gegen Atcib. 5. 25. und bei Ariſtoph. 
Trbſche 595. u. 419., und Kenoph. rien. Bein, 1, y. 
erwähnt, unb als ein mächtiger Demagog und Wollüftling 
aefwidert wird, obwohl Schneider und Herbft ihn für 
Denfelsen Halren, 


“r) Nach ber Sreldrung von Eichneiken, ber auch Schutz u 
Hervoſt Beigetreten, - ’ " 


’ 
N 





Zweites Bad. Sog 


wandte Alles an, um nen Archedem los zukommen. Uber Ars 
chedem ließ nicht nad), bis Derſelbe feine Klage gegen Crito 
zurücknahm, und ihm ſelbſt Geld bezahlte. Nach diefem und 
einigen aͤhnlichen Prozeflen, die Archedem ebenfalls mit Gtüd 
beendigt haste, ging es gerate, wie wenn ein Hirte einen 
guten Hund bat, und dann auch die andern Hirten in fa: 
ner Nähe mit ihven Heerden Kalt machen, um von feinem 
Sunde Genuß zu haben. Eine Menge Yreunde wandte fi 
an Erito mit der Bitte, auch ihnen den Archedem als Waͤch⸗ 
ber zu überlaffen. Archedem that Dieb dem Erito gerne zu 
Gefallen, und fo Katte nicht nur Diefer allein Ruhe, fondern 
auch feine Freunde. Wenn dann dem Archedem Einer feiner 
Zreunde vorwarf, er mache den Schmeichler und Schmarsger 
bei Erito, fo gab er zur Antwort: „Was foll eine Schande 
feyn ? wenn man von rechtlichen Leuten Wohithaten annimmf, 
und durch Das, was man dagegen thut, fie zu feinen Freunden, 
macht, mit fchlechten Leuten dagegen in Fehde lebt; oder 
wenn man mit den Edeln und Hechtfchaffenen durc, boshafte 
Angriffe Ad) verfeindet, dagegen fchlechte Menfchen durch 
Theilnahme an ihren Verbrechen fich zu Freunden macht, und 
mit Diefen flatt mit Jenen umgeht 2’ Archedem gehörte 
feitdbem nicht nur zu den Freunden des Erito, fundern er war 
and) bei ben übrigen Freunden Deſſelben geachtet, 

ı0. Auch, mit feinem Frennde Diodor *) ift mir fols 
gende Unterredung vom Socrates befannt: Socr. „Höre, 
Diedor, wenn dir ein Sclave entläuft, gibft du dir Mühe, 
ihn wieder zu befommen? — Diod. Wahrhaftig, auch Ans 


*) Sonft nicht weiter bekannt. 


510 Zenophon’s Erinnerungen an Socrates. 


dere rufe ich noch zu Hülfe, und febe eine Belohnung dar⸗ 
auf; wenn mir Einer ihn zurädbringt. — Socr. Und wenn 
dir ein Sclave krank wird, pflegft du feiner ,"und berufft du 
Yerzte, daß er nicht ſtirbt? — Diod. Ja wohl. — So er. Aber 
ein Bekannter kann dir nod) weit nüblicher werden, als ein 
Selave. Wenn nun Einer von Diefen in Gefahr”ift, im 
Elende zu verfchmachten, dann hältit du es nicht für deine 
Pflicht, für feine Rettung beforge zu fen? Nun weißt du, 
Daß Hermogenes *) nicht unerkenntlich ift, und fid, fchämen 
würde, von dir Genuß zu haben, ohne es bir zu vergelten. 
Und ein folcher Gehülfe, der willig, redlich und teen, und *) 
nicht nur, was ihm anbefohlen wird, zu beforgen, fondern 
auch, wo er fich ſelbſt überlaffen ift, ſich nützlich zu machen, 
und mit Vorfiht und Kiugbeit zu Werke zu gehen im 
Stande ift, ein Gehülfe der Art ift doch, denke ich, mehr 
wer. als eine Menge Sclaven. Gegen. doch gute Hauss 
wirthe, Sachen von großem Werthe müffe man dann einkau⸗ 
fen, wann fie um ein Geringes zu haben feyen. Und jest iſt 
eben die Seit, wo man wegen ber obwaltenden Umflände am 
wohlfeitften zu guten Freunden kommen kann. — Diod. Du 





*, Hermogenes, hier ber Sohn bes Hipponicus. Seine Ars 
muth deutet auch Pato an im Cratyl. ©. 384. C, und 
&.391. C., aus welchen Stellen erhellt, daß das aroße 
Mermögen des Hipponicus nach feinem Tode in die Hände 
des Callias, bed Bruders von Hermogened, gekommeñ war, 
Kenopbon erwähnt ihn auch unten IV, 8. und im Gaſt⸗ 

mahle dfter. 

*) Mit Schneider und Schuͤtz, welche bie vorbern Worte 
xal TE xElEVOuEVoV ixavdv noreiv ſtreichen. 


Zweites Buch. 511 


Haft vollkommen Recht, Socrates. Gage nuur dem Hermoge⸗ 
nes, er ſolle zu mir kommen. — Socr, Nein, in der That 
ich nicht. Du haſt ſicher mehr Ehre davon, wenn du ſelbſt 
zu ihm gehſt, als wenn du ihn rufen läßeſt, und auch der 
Gewinn bei der Sache faͤllt ja mehr auf deine Seite als auf 
die ſeinige.“ So ging denn Diodor zu Hermogenes hin. 
Er durfte nicht viel bezahlen, fo war er im Beſitze eines 
Freundes, der eigentlidy darauf dachte, wie er nur immer 
durch Wort oder That dem Diodor Gewinn und Freude 
bereiten könnte. 


N 








Xenophon''s 


Erinnerungen an [aus den Lehrgeſpraͤchen und 
dem Leben des] Socrates. 





Inhalt des dritten Buches. 


XXRR 


Eap. 1 — 7. Wie Gocrates feinen Freunden nuͤtzlich 
wurde in Beziehung auf Bekleidung obrigkeitlicher Wuͤrden und 
Theitnahme an der Leitung des Staates. 

Cap. 1. Aufforderung an einen Freund, ber Feldherr wer⸗ 
den will, Unterricht in der Feldherrnkunſt zu nehmen, und Un⸗ 
terredung mit ihm Über Das, was ein Feldherr wiſſen muͤſſe. 
Eap. 3. Worte an einen Freund, der Feldherr geworden war, 
fiver ben Beruf eines Feldherrn. Cap, 3. Unterrebung mit eis 
nem Freunde, ber Neiterfeidhere geworden war, über ben Bes 
ruf eines Reiterfeldheren. Cap. 4. Unterredung mit Nicoma⸗ 
chides, einem alten Krieger über den Demfelben bei der Feld 
herrnwahl voraezogenen Antifthenes, worin Socrates zeigt, wie, 
Mer fein eigenes Beftes wahrzunehmen wiffe, auch dad Beſte 
des Staates wahrzunehmen geeignet fey. Cap. 5. Unterredung 
mit dem jüngeren Pericles, wie ein befferer Geift und befjere 
Zucht im Arbenifchen Heer einzuführen wäre, nebft einem Ra⸗ 
the für einen Arhenifhen Feldhberrn. Cap. 6. Unterredung mit 
Glaucon, ber, ehe er die gehörigen Einfihten und SKenntniffe 
batte, ſich als Staatsmann verſuchte. Cap. 7. Unterredbung mit 
Erarmides, der mit den beften Kenntniffen und Talenten zu 
fnüctern war, als Staatsmann aufzutreten. Eap. 8, Auf Aris 
ſtipp's verfängliche Tragen anıworter GSocrated fo, daß feine 





Anhalt des dritten Buches, 518 


Scennbe von feinen Streitübungen mit ihm Mutzen hatten. 
Daburch veranlaßte Erklaͤrung uͤber den Begriff von Schoͤn und 
Gut, nebſt Anwendung deſſelben auf Gebäude, Sap. 9. Fer⸗ 
nere Erklaͤrungen bed Socrates über verſchiedene andere Begriffe. 
Eap. 10. Auch Kuͤnſtlern und Hanbwerkern wurde Soerates 
durch feine Unterrebungen mützlich. Unterrebung mit dem Ma⸗ 
ler Parrhaſius, mir dem Bilbhauer Cliton, und mit dem Pau⸗ 
zermacher Piſtias. Cap. 11. Alehnliche Unterrebung mit ber 
Hetare Theodota. Cap. 12. Socrates ſtellt dem Epigenes die 
Wichtigkeit Ebrperlicher Vebungen ver. Cap. 13. Nuͤtzliche Er⸗ 
innerungen von Socrates an Verſchiebene bei verfchiebenen Ges 
legenheiten gerichtet. Cap. 14. Socrates dringt bei Gaftmahlen 
anf Mäßigteit. 





Drittes Bud. 


[US 7 


1. Diejenigen, welche nady Ehren und Würden firebten, 
wußte er dahin zu bringen, daß fie ſich um Das, was fie ſich 
zum Ziele gefegt hatten, keine Mühe verdrießen ließen. Wie 
nüslich er ihnen ſich dadurch machte, davon will id) jetzt die 
Beweiſe geben. Er hatte einmal gehört, daß Dionnfivor *) 
fi in der Stadt aufhielt, und ſich zum Unterrichte in der 
Feldherrnkunft erbot. Er richtete daher an Einen feiner 
Zuhörer, von dem er wußte, daß er auf die Feldherrnwürde 
im Staat ein Auge Hatte, folgende Worte: „Es ift denn 
doch eine Schande, junger Mann, wenn Einer Feldherr im 


*) Dionpfibor von Ehios, Bruder des Enthydem, Seine tat 
tifyen Kenntniffe hat auch Plato im Euthydem ©. 273. C. 
erwähnt, 


514 Xenophou's Erinnerungen an Socrates. 


Staate werden will, und fo ſich eine Gelegenheit darbietet, 
fi) dazu zu bilden, gar einen Gebrauch davon macht. Dar⸗ 
auf würde noch weit eher eine Strafe gehören, ald wenn 
Einer auf Bildfäulen Beflelungen übernähme, ohne die Bild: 
hanerkunft erfernt zu haben. Einem Feldherrn ift im Kriege 
das Schickſal des ganzen Staates in die Hände gegeben: Un⸗ 
ternehmungen, die er mit Glück ausführt, Fönnen fehr wohl⸗ 
thätige, Fehler, die er macht, fehr traurige Folgen haben. 
Wie folite daher Derjenige nicht mit allem Rechte beftraft 

‘werden, der zu bequem ift, die Kunft eines Feldherrn zu er⸗ 
lernen, und doch fidy alle Mühe gibt, dazu gewählt zu wers 
den ?'! Diefe Vorflelungen verfehlten ihren Zweck nicht. 
Der junge Mann ging hin umd Tieß fich Unterricht geben. 
Als er nad) Beendigung deſſelben wieder fich einfand, wandte 
fid) Socrates fcherzend an ihn, und fagte: „Ihr wißt, 
Freunde, daß Homer *) feinen Agamemnon ehrwürdig nennt, 
und kommt eudy fo nicht auch Diefer, feitdem er die Feld⸗ 
herrnkunſt erlernt hat, ehrwürdiger vor? Mer die Either 
fpielen gelernt hat, ift audy, wenn er Leinen Gebrauch davon 
macht, ein Eitherfpieler, und Wer die Heilkunde erlernt hat, 
ift, wenn er auch den Arzt nicht macht, doch ein Arzt: fo 
bleibt auch Diefer von nun an Zeit feined Lebens ein Felt: 
herr, wenn ihn auch Beine Seele dazu wählt. Wer aber die 
Kenntniffe nicht dazu hat, iſt kein Feldherr und fein Arzt, 
und wenn ihn auch die ganze Welt dazu wählt. Uber, fuhr 
er fort, an den Jüngling fid) wendend, es könnte ja Einer 
von uns Hauptmann oder Dberfter bei dir werden; damit 


*) Homer Stiad, III, 170, 





Drittes Buch. 515 


⸗ 


nun auch wir uns auf das Kriegéweſen beſſer verſtehen, fo 
fage ung : von Was ging dein Xehrmeifter bei feinem Unters 
richte in der Yeldherrnfunft aus?" „Von dem Nämlichen, 
womit er aufhörte, war die Antwort. Er lehrte mid Zacs 
tie und fonft Nichts." „Da gehören ja aber, entgennete 
Socrates, noch tauſend andere Stüde zur Kunft eines Feld: 
herren. Er muß für die Krieges und Lebend: Bedürfniffe 
feines Heeres zu forgen willen; er muß erfinderifch an neuen 
Dianen, thätig, ſorgſam, ansdauerud in Strapazen, fruchte 
bar an ſchnellen Lichtblicken ſeynz er muß Güte mit Härte, 
Offenheit mit Verftelung, Vorficht im Befchügen,. mit Vor⸗ 
Sicht im heimlichen Abfangen, Berwegenheit im Preisgeben, 
mit Derwegenheit im offenen Rauben, ferner reigebigkeit mit 
Eigennus , Aufmerkſamkeit auf eigene Blößen, mit Aufmerks 
famfeit auf die Blößen des Feindes verbinden, und wie die 
Anlagen und Kenntniffe weiter heißen, welche ein guter Feld⸗ 
herr beſitzen muß. Freilich ift es auch gut, wenn er Tactik 
verſteht. Ein in Ordnung aufgeflelltes Heer ift etwas ganz 
Underes, als ein in Unordnung befindliches. Es ift gerade, 
wie bei den Beflandtheilen eines Hauſes. Ungeordnet hine 
geworfen find die Steine und Siegel, Balken und Dadıfteine 
durchaus nublos; wird aber nad) den Regeln der Baukunft 
Drdnung in fle gebracht, und Dem, was weder fault nod) 
ſchmilzt, wie Steine und Dachziegel, oben und unten, und den 
Ziegelfteinen und Balken in der Mitte ihre Stelle angewiefen, 
fo entfteht ein Werk von großem Werthe, ein Haus, — 
Jüngl. Dein Sleichniß paßt ganz vortrefflich, Socrates, 
denn auch im Kriege müffen die Vorderſten und Hinterten 
die Beten feon, und die Schlechteften in der Mitte, damit 


€ 


516 Zenophon’s Erinnerungen an Socrates. 


fie von Jenen nachgezonen, und von Diefen vorwärts ges 
ſchoben werden. — Socr. Er durfte dich alfe nur bie 
Guten und Schiechten unterfcheiden Ichren. Denn, wenn er 
Dieb unterlaffen hätte, fo hätte all dein Lernen dich fo wes 
nig geholfen, als wenn er dich beim Gelde vorn und hinten 
hin das Beſte und in die Mitte das Schlechteſte hätte legen 
beißen, ohne dir zu fagen, wie das Gute vom Unächten zu 
unterfcheiden fy. — Jüngl. Ja, wahrhaftig, Das hat er 
mich nicht gelehrt; fo bliebe denn die Unterfcheidung von 
Buten und Schlechten uns felbft überlaffen. — Socr, Wollen 
wir alfo nicht fehen, wie man bier fih vor Irrthum im 
Acht tnehmen kann. — Jüngl. Sehr gerne. — Soer. 
Geſeht, es gälte Geld wegzunehmen, würde es da wicht am 
angemeflenften feyn, die Geldgierigften voranzuftellen ? — 
Jüngl. Allerdings. — Socr. Und wie meinft du, wenn 
Etwas gewagt werden müßte? Gehören hier nicht die Ehr⸗ 
gierigften voran? — Jüngl. Die find wenigflend immer 
dabei, wo Ehre einzuernten ift. Und was dad Gute an ihnen 
ift, fie bleiben nicht unbemerkt; fle machen fih überall kennt⸗ 
lich und find daher Teiche zu finden. — Socr. Über Ichrte 
er dich nur die Kunſt, ein Heer in Schlachtordnung zu flellen, 
und nicht auch, wo und wie jeder einzelne Theil des Heeres *) 
zu gebrauchen iſt? — Jüngl. Das Lebte Ichrte er wicht 





*) Aus Stebaͤus mit Schneider und Schuͤtz Tayııdrov ftatt 
raxreov. Herbſt heat ohne Rechtfertiguns in den No⸗ 
ten, ben Vorſchlag von Schutz: dxasın Tav rakewv 
in ben Text anfoenommen. Aus Stotaus. gleich nachher 
&ysıy ſtatt Adya. 


Dritte Buch. 517 


eigentlich, — Socr. Und doch gibt es eine Menge Fälle, 
wo die Ordnung in ber Schlacht oder auf den Marſch eine 
Befondere Abänderung erleiden muß. — Jüͤngl. Wahr 
baftig, davon brachte ex mir feinen Begriff fi. — Socr. 
So bitte ich dich, gehe doch wieder Hin und frage ihn. Denn 
wenn er ed weiß, und nit alle Schaam abgelegt hat, fo 
muß er ſich fchämen, für das Geld, bad er bekommen, dich 
mit einem fo mangelhaften Unterrichte abgeſpeist zu haben.’ 

» Ein andermal kam er mit Cinem zufammen, ber 
zum Feldheren erwählt war. „Barum meinft bu,’ fagte er 
zu Diefem, „daß Homer *) den Agamemnon einen Hirten der 
Mötter genannt habe? Meinst du nicht deswegen, weil ber 
Hirte und der Feldherr, Beide für das Nämliche zu forgen 
haben, Jener dafür, daß die Schafe nicht gefährdet werden 
und feinen Mangel leiden, Diefer dafür, daß feine Krieger 
nicht gefährdet werden, und Peinen Mangel leiden, und daß 
fle den Zweck des Feldzuges, nämtich Verbeflerung ihrer Lage 
Durch Bofiegung der Feinde erreichen ? Oder was hafte er 
in aller Welt für einen Grund, wenn er den Agamemnon 
Ioben **) wollte, fi) fo auszudrücken: 

Beides, ein treffliher König zugleich und ein tapferer 

Streiter. 

Muß er nicht damit, daß er ein fapferer Streiter ſey, 
mehr haben fagen wollen, als bios, daß er für fich gegen die 
Feinde wader kämpfe; naͤmlich, daß er auch fein ganzes Heer 
zu waderen Kämpfern bilde? und bamit, daß er ein treffli⸗ 





*) Homer JIliab. IT, 243. 
*) Homer Itiad, III, 179. 





518 Xenophon's Erinnerungen an Socrates. 


cher König fey, nicht blos, daß er für feinen eigenen Haushalt ber 
ſtens beſorgt ſey, fondern auch, daß er das Glück feiner Uns 
tergebenen zu begründen wife? Man wählt Einen ja auch 
sum Könige, nicht damit er feine Perfon gut berathe, ſon⸗ 
dern damit durch ihn auch Die, welche ihn wählen, glücklich 
werden. Und auch bei einem Feldzuge hat man allgemein 
Befefligung feines Wohlſtandes zum Zwede, und man wählt 
den Feldherrn eben dazu, damit er diefen Zweck erreichen 
beife. Daran darf es alfo ein Feldherr nicht fehlen laſſen. 
Es ift auch nicht leicht etwas Schöneres zu finden, als dies 
fen Beruf zu erfüllen, und nicht leicht etwas Schaͤndlicheres, 
als das Gegentheil.“ Go löste ſich Socrates die Aufgabe, 
worin das Verdienſt eines guten Feldherrn beſtehe; er bes 
ſchränkte es lediglich darauf, daß er Diejenigen zum Gfüde 
füsren müffe, die unter. feinen Befehlen flehen. 

3. Ferner mit Einem, ber zum Reiterfeldherrn ernannt. 
war, hielt er folgende Unterredung: — Socr. Kannfl du 
mir fagen, junger Mann, warum du die Stelle eines Rei⸗ 
terfeldheren ſuchteſt? Doch gewiß nicht darum, um vor der 
Reiterei herzureiten ; denn dieſe Ehre genießen eigentlich die 
leichten Reiter, die noch vor den Feldherrn reiten. — Jüngl. 
Du haft ganz Recht. — Socr. Und aud nicht um bekannt 
zu werden, denu es darf Einer ja une wahnflunig *) feyn, 





*) ol navonevor Dieſer Gedante kommt unerwartet. 
Sqchuͤr vermuthet, es ftede onuaivovreg ober ONIaLOPO-. 
e0: hinter dem Wort: „denn es braucht ja Einer nur 
Trompeter“ — ober „benn ed braucht ja Einer-nur Tah⸗ 
nenträger 5 zu kon. U 


Drittes Buch. Hg 


fo-ift er allgemein befannt. — Jüuͤngl. Auch hierin haft 
du Recht. — Socr. Uber vielleicht Hoffft du, dem Staate 
die Reiterei in befferen Stand zu fegen, und wenn man zu 
Etwas Reiter braucht, an ihrer Spitze ihm Vortheile zu ers 
ringen? — Jüngl. Allerdings. — Socr. Das wäre in 
der That nicht übel, wenn es dir gelänge. Aber nicht wahr, 
dein amtlicher Wirfungskreis erſtreckt fi über Pferde und 
Reiter? — Süngl So iſt es, ja. — Socr. So fage 
mir einmal vor Allem, wie gedenkſt du die Pferde in beſſe⸗ 
ren Stand zu ſetzen? — Jüuͤngl. Nun, Dieß iſt wohl nicht 
meine Sache; ein Jeder insbeſondere hat für ſein Pferd zu ſor⸗ 
gen. — Soer. Wenn fiedir alſo Pferde bringen mit fo ſchlechten 
Tüßen und Beinen, und fo ſchwach, oder fo ſchlecht gefüttert, 
Daß. fie nicht nadytommen können, oder fo wenig zugeritten, 
daß fie nirgends bleiben, wo du fie hinftellft, oder fo uns 
bändig, daß man fie gar nicht in die Reihen brauchen Bann; 
was haft du vom deiner Reiterei? wie willft du an der Spitze 
einer ſolchen Etwas ausrichten? — Jüngl. Ich muß ges 
ſtehen, du haft Recht, und ich will auch fo viel als möglich 
ein Auge auf die Pierde haben. — Socr. Nun, und die 
Reiter ſelbſt wilift du nicht auch in befferen Stand zu feben 
traten? — Jüngl. O freilich — Gocr Wirkt du 
nicht für's erfte darauf bedacht ſeyn, Daß fie ſich beffer auf 
die Pferde fchwingen lernen? — Jüngl. Ja, Das muß 
ſeyn; fällt dann Einer herunter, fo ift er noch nicht ſogleich 
verloren. — Socr. Und auf ben Fall eines Gefechtes? 
Willſt du die Feinde auf den Sand befcheiden, mo ihr die 
Schule reitet, oder gedenkſt du die Uebungen in ſolche Derte 
lichkeiten zu verlegen, wie diejenigen find, in weldyen ſich 


520 RXenophon's Erinnerungen an Socrates. 


die Yeinde beiten? — Jüngl. Es mag fo beſſer ſeyn. — 
Socr. Wirſt du aud) darauf fehen, daß recht Diele im 
Lanzenwerfen zu Pferde Etwas leiſten? — Jüngl. Auch 
Das mag aut fen. — Gocr. Und den Much deiner Reis 
ter anzufeuern, und fie gegen bie Feinde zu erbittern; 
wodurch *) ihre Zapferkeis noch erhöht wird? Haft 
du dirs vorgenommen? — Jüngl. Es müßte mir jebt 
wenigftens gefchehen, wenn ich auch noch nie den Gedanken 
gehabt hätte. — Bocr. Wie fleht es ferner mit dem Ges 
horfame der Reiter ? Haft du auf Mittel gedacht, dich deffel« 
ben zu verfihern? — Denn ohne Diefes helfen dich weder 
Dferde noch Reiter Etwad, und wären es auch die beften 
and mutbigften. — Jüngl. Du haft Recht, Gocrates; 
aber wie kann man fie am beften dazu bringen?! — Speer. 
Das weißt du ja doch wohl, daß die Menſchen überall Des 
nen am liebften folgen, zu welchen fle in einer Sache bad 
befte Zutrauen haben. Yun Krankheiten folgt mankanı liebſten 
Dem, zu weldyem man ale Urzte, auf dem Schiffe Dem, gu 
welchem man ald Steuermaunn, in der Landwirthfihaft Dem, 
zu welchem man als Zandwirthe das befte Zutrauen hat. — 
Fänge Allerdings. — Soecr. Iſt's alfo nicht Das Na⸗ 


tuͤrlichſte, daß auch im Reiterdienſte Derjenige am leichteſten 


bei Anderen Gehorſam findet, der die beſten Einſichten m: 
feinen Beruf an den Tag legt? — Juͤngl. Wenn fie 
nun zeigt, daß mit mir fid, Keiner von ihnen meſſen Fans, 
wird Died genug feyn, um mir Gehorfam zu verfchaffen? — 
Socr. Ja, wenn du fie noch überzeugen kannſt, daß fie, 





% MM Sehneibder: Zee — nel. 


ar 


Drittes Buch. 521 


wegn fie dir gehorchen, zugleich für ihre Ehre nud Sicher 
heit forgen. — Jüngl. Und wie kann ic, fie davon über: 
zeugen? — Soecr. Wahrhaftig weit leichter, als wenn du 
fie überzeugen müßtert, daß das Schlimme beffer und nüslis 
cher fen, als das Gute. — Züngl. Du meinft, ein Reis 
terfeldherr mäfe neben den übrigen Erforberniffen auch noch 
der Beredfamkeit ſich befleißen? — Socr. Glaubteſt du 
denn, man mäffe MHweigen, wenn man bie Reiterei befeh⸗ 
Tide? Haft du nit bedacht, daß die herrlichſten Lehren, 
worin wir vermöge unſrer Staatseinrichtungen unterrichtet 
wurden, fo wie alle edeln Erkenntniffe, die ſich @iner er⸗ 
wirbt, uns durch das Mittel der Sprache beigebradyt werden ; 
daß überhaupt die beiten Lehrmeifter am meiſten ſich der 
Sprache bedienen, und die tieften Kenner der wichtigſten 
Begenftände des Willens am fchönften fprechen? Oder haft 
du nicht bedacht, daß, wenn Einer der Ehjdre *) ans hieſiger 
Stadt fommt, wie zum Beifpiel nadı Delos, Keiner ans eis 
wem andern Staat ed mit ihm aufnimmt, und daß auch im 
2einem audern Staat ein Wettflreit **) in Männerfchönbeit, 
wie hier zu Stande kommt? — Jüngl. Du haft Recht, — 










*) 88 ift Hier von religibfen Geſandtſchaften, Wallfahrten, die 
Nede, wo Haufen von Gängern ober Tängern zu Ehren 
—F Irr eit fangen oder tanzten. Die Deliſche iſt IV, 

erw nt. " 
*6), Gin feier Wettſtreit in maͤnnlicher Schoͤnheit fand mas 
mentli an den Panatbenden ftatt, wo bie Schoͤnheit ent⸗ 
ſaeb, Wer den Oehlzweis (HaAAcag) tragen durfte. Es 
nahmen ſowohl Sünglinge als Greije daran Antheil. Bar. 
Gaftmapl, €, 4. 
Renophon. Bochn. 9 


320 Xenophon’s Erinnerungen an Socrates. 


die Feinde beiten? — Jüngl. Es mag fo beſſer ſeyn. — 
Soer. Wirſt du auch darauf fehen, daß recht Diele im 
Lanzenwerfen zu Pferde Etwas Leiften? — Jüngl. Auch 
Das mag aut ſeyn. — Socr. Und den Much deiner Reis 
tex anzufenern, und fie gegen die Zeinde zu erbitten; 
wodurd *) ihre Tapferkeit noch erhöht wird? Haft 
du dird vorgenommen? — Jüngl. Es müßte mir jept 
wenigſteus gefchehen, wenn ich “auch nuch nie ben Gedanten 
gehabt hätte. — Socr. Wie ſteht ed ferner mit dem Ge: 
horfame der Reiter? Ka du auf Mittel gedacht, dich deſſel⸗ 
ben zu verfihenn? — Denn ohne Dieſes helfen didy weder 
Dferde noch Reiter Etwas, und wären es auch die beften 
and mutbigften. — Jüngl. Du haft Recht, Sorratessz- 
aber wie kann man fie am beften dazu bringen? — Soer. 
Das weißt du ja doch wohl, daß die Menſchen überall. Des 
nen am liebften folgen, zu welchen fle in einer Sache bad 
befte Sutrauen haben. In Krankheiten folgt mankanı liebften- 
Dem, zu weldhem man ald Urzte, auf dem Schiffe Dem, gu 
weihem man ald Gtenermann, in der Landwirchfihaft Dem, 
zu welchem man als Zandwirthe das befte Zutrauen hat. — 
Juͤngl. Allerdings. — Socr. Iſt's alfo wicht das Na⸗ 
tuͤrlichſte, daß auch im Reiterdienſte Derjenige am leichteſten 
bei Anderen Gehorſam findet, der die beſten Einſichten im 
feinen Beruf an den Tag legt? — Juüngl. Wenn fi 
nun zeigt, daß mit mir fidy Keiner von ihnen meſſen kann, 
wird Died genug ſeyn, um mir Gehorfam zu verfchafften? — 

Socr. Ta, wenn du fie noch überzeugen Eannft, daß fie, 





H mt Sqhneider: Enee— noıel. 





Drittes Buch. 52:1 


wenn fie dir gehordyen, zugleich für ihre Ehre und Sicher 
heit forgn. — Jüngl. Und wie kann ich fie davon über: 
zeugen? — Soer. Wahrhaftig weit leichter, als wenn du 
fie überzeugen müßten, daß das Schlimme beffer und nützli⸗ 
her fen, als das Gute. — Züngl. Du meinft, ein Reis 
terfeldherr mäfe neben den übrigen Erforderniffen auch noch 
der Beredfamteit ſich befleißen? — Soer. Glaubteſt du 
denn, man mäffe MHweigen, wenn man die Reiterei befeh⸗ 
lige? Haft du n bedacht, daß die herrlichſten Lehren, 
worin wir vermöge unfrer Staatseinvichtungen unterrichtet 
wurden, fo wie alle edeln Erkenntniffe, die ſich @iner er⸗ 
wirbt, uns durch das Mittel deu Sprache beigebracht werden ; 
daß überhaupt die beiten LTchrmeifter am meiſten ſich der 
Sprache bedienen, und bie tiehften Kenner ber wichtigſten 
Gegenſtände des Wiſſens am fchönften fprechen? Oder haft 
du nicht bedacht, daß, wenn Einer der Ehöre *) aus hieſiger 
Stadt fommt, wie zum Beifpiel nadı Delos, Keiner and eis 
nem anbdern Staat ed mit ihm aufnimmt, und dab auch in 
deinem audern Staat ein Wettflreit **) in Männerfchönbeit, 
wie hier zu Stande kommt? — Jüngl. Du bat Recht, — 









*) Es ist Hier von veligibfen Geſandtſchaften, Walfahrten, die 
Rede, wo Haufen von Sängern ober Tängern su Ehren 
Fre F ſaugen ober tanzten. Die Deliſche iſt IV, 

nt. 
++), Gin feier Wetifteeit in männlicher Schoͤnheit fand mas 
mentlich an deu Panathenden ſtatt, wo bie Schoͤnheit ents 
ſaeb, Wer den Oehlzweis (HaAAog) tragen durfte. Es 
nahenen ſowohl Juͤnglinge als: Greiſe daran Antheil. Bat. 
Gaſtwmaahl, E. 4. 
Renophon. 46 Bochn. 9 


* 


522 RXenophon's Erinnerungen an Socrates. 


Soer. Gleichwohl zeichnen ſich die Athener vor den Uebri⸗ 
gen weder durch Wohlklang der Stimme noch durch körper⸗ 
liche Größe und Staͤrke fo auffallend aus, als durch ihre 
Ehrbegierde, die fie für alles Edle und Große begeiftert, — 
Jüngl. Auch Dieß ift wahr. — Soer. Glaubſt du nun. 
nie, wenn Einer fi unferer Reiterei annehmen wollte, 
baß fle auch hierin an Pracht der Waffen und Pferde, an 


guter Ordnung und an. Willigbeit zum pfe es den An⸗ 


dern weit zunorchun würden, wofern ſie Mi dadurd, Ruhm. 
und Ehre zu erlangen hoffen ? — Jüngl. Ganz natürlich, — 
Socr. So befinne dich nicht mehr, und thue dein Möge 
Yichftes , die Leute dazu aufzumuntern. Du felbft wirft dic: 
dabei gut befinden, und die übrigen Bürger durch did. — 


Jüngl. In der That, Dieß muß geſchehen.“ 


4. Eines Tages fah er den Nicomachidbes.von der Wahls 
verfammiung nad) Haufe gehen. — Socr. ‚Was find für. 


Feidherren gewählt worden, Nicomachides)? — Nicom. 


Sind Dieb nicht wieder ganz bie Athener, Socrates? — 
Sch bin zum Soldaten ausgehoben **), ald Hauptmann und 
DHberfter gran geworden, und Chier entblößte.ee fid) and zeigte 
feine Narben) mit Wunden vom Feinde bedeckt, und mich. 
wählten fie nicht; Antiſthenes hat weder jemals beim Fuß⸗ 
volke gedient noch als Reiter fi) ausgezeichnet, verſteht über⸗ 


haupt weiter Nichte als Geld zuſammen zu ſcharren, und 





*) Weber Nicomachides noch ber folgende Antiſthenes ſcheinen 
weiter befannt zu feyn, 

+) Unsgehoben wurden nur die Fußgänger, fo lange die ererusig 
(Reiter). ein eigener Staud, dem Kriegädienftr fig nicht 
entzogen, 








kB __ 


Dritted Bud). 525 


Den wählten fi. — Socr. Iſt es denn nicht gut, "went 
er-im Stande ift, feinen Leuten für ihre Bedürfniffe zu for- 
gen? — Nicom Auch die Kaufleute können ja Geld zu⸗ 
fammenfcharren, fie taugen darum noch nicht zu Feld⸗ 
herren. — Socr, Uber Antiſthenes hat auch Ehrgeiz, eine” 
wefentliche Eigenfchaft für einen Feldherrn. Siehſt du nicht, 
daß, ſo oft er die Koſten von einem Chore beſtritten, er noch immer 
Den Preis davon getragen hat. — Nicom. Aber es iſt wahre 
haftig zweierlei, einen Chor und ein Heer unter ſich zu haben. — 
Socr. Verſtand er ſich doch anf Gefang und Einübung des 
Ehors eben fo wenig, und wußte dennoch die beften Meifter 
darin aufzufinden. — Nicom Nun, fo wird er denn auch 
im Heer Andere finden‘, et ihn das Heer in Schlacht⸗ 
ordnung flellen, und wieder Andere, die für ihn fechten! — 
Socr. Braudt ed etwas Anderes, als daß er aud) in der 
Kriegskunſt die größten Meifter herauszufinden und hervor 
zuziehen wiffe, wie in Chorgefange, um ihm auc) hier dem 
Sieg zu ſichern? Und darf .man nicht annehmen, daß er 
auch die Koften noch lieber dazu hergeben werde, um in Ge⸗ 
meinfcdhaft mit dem ganzen Staat im Kriege, als mit feis 
nem Stamme bei Aufführung eined Chors den Sieg davon 
zu tragen? — Nicom. Du meinft, Socrated, ed könne 
. Beides in Einer Perfon beifammen ſeyn, die Aufführung. 
eines Ehors mit Ehren zu beforgen und ein Kriegsheer an⸗ 
zufühten? — Socr. Id) meine, es mag Einer der Vor⸗ 
fteher. feyn, von was er will, wenn er weiß, was dazu ges 
hört, und für Diefes zu forgen vermag, fo iſt er ein guter 
Vorſteher eines Chors, eines Haufes, eines Staates, eines 
Heers, je nachdem er von dem Einen oder dem Andern Vor⸗ 
“.9 


X& 





50; Xenophon's Erinnerungen. an Socrates. 


Fieber if. — Nicom Ja in der That, Socrates, ich hätte. 
es nie erwartet, Daß id Das von dir hören würde, gute Haus⸗ 
wirthe geben gute Heerfuͤhrer. — Socy Run, fo wollen 
wir ihren beiderfeitigen Beruf näher in ge. faffen, um 
zu fehen, ob es derſelbe iſt, oder ob ſich ein Unterſchied 
dazwiſchen findet? — Nicom. Ban wohl. — Gocr. Ge⸗ 
Hört es nicht zu ihrem beiderfeitigen Berufe, ſich Gehorſam 
und Folgſamkeit bei ihren Untergebenen zu verichaffen *) ?— 
Nicom. Allerdings. — Socr. Und daß über jedes ein: 
zelne Geſchaͤft nur Leute gefept werden, die bamit umzu⸗ 
gehen wiflen? — Nicom. Auch Dieſes. — Socr. Auch 
vie Beftrafung Derer, bie fich ſchlecht finden Yaffen, und 
die Belohnung Solcher, die fichgauszeichtten, fommt, diente 
ich‘, Beiden zu? — Nicom. DMne Weiteres: — Soer. 
Und die Liebe der Untergebenen ſich zu erwerben, follte es 
nicht Beiden zuträglih feyn? — Nicom. Immer einvers 
ſtanden. — Gocr. Und den Beiſtand ganzer Völker und 
einzelner Perfonen zn gewinnen, iſt es für Beide gut oder 
nicht? — Nicom Allerdings für Beide. — Socr. Mt: 
fen nicht ferner Beide, was fie haben, ſicher zu fielen ſu⸗ 
dien ? — Nicom. Ganz gewis. — Socr. Und müſſen dann 
nicht auch Beide gleidy pünktlich umd thätig in Erfüllung 
ähued Berufes ſeyn? — Nicom. Alles, was bu dba ſagſt, 


*) Schus und Schneider leſen: rd NpOOTaTTew äxdsag. 
za inırndae nparrev. Ber Ketztere gibt jedoch ber 
Resart einiger Handfegriften in einer Note Beifall: ooc- 
Terra Ixasa roig dänirndsioıc noarrev. Und 
nam dieſer Kesart, bie Herbſt in den aufnimmt, 
haben wir: Kberfent, 





Drittes Bud), 525 


gehört ſich für Beide auf gleiche Weiſe; aber der Eine muß 
Ad) ſchlagen, der Audere nicht; Dieß macht einen Unterfihieh. — 
Ener. Es haben doc, Beide ihre Feinde? — Nicom. 
Das allerdings. — Socr. Fordertes nun nicht der Bars 
theil des Einen, wie des Andern, daß fie über Diefeiben 
Meifter zu werden fahen? — Nicom. Freilich; aber In 
einmal Dieß bei Seite! Was mag Die Haushaltungskunſt 
beifen, wenn ed zur Schlacht kommt? — Soecr. m der 
That vielleicht nirgends mehr, als da. Gin guter Hauswirth 
weiß, daß Nichts mehr Nuben und Vortheil bringen kann, 
als eine Schlacht zu gewinnen, und Nichts mehr Schaden 
und Nachtheil, als eine Schlacht zu werlieren. Daher wird 
er, was zum Siege beifragen kann, mit aller Bereitwillige- 
keit auffachen und herbeifckaffen; was eine Niederlage her⸗ 
‚beiführen. Bönnte, mit aller Sorgfaft auszuforfchen, und fidy 
von diefer Seite zu verwahren fuchens und wenn er alle Au⸗ 
falten zum Siege getroffen Hebt, mit allem Ernfte ſich ſchla⸗ 
gen, aber nichts defto weniger, wenn es daran fehlt, ein 
Treffen zu vermeiden fuchen. Verachte mir ja die Haushal⸗ 
tungskunſt nicht, Nicomachided, Die Zeitung eigener Ange⸗ 
fegenheiten unterscheidet fi) nur dem Umfange nach non der 
der Staatdangelegenheiten ; alles Uebrige iſt gleich. Die Haupts 
fache ift, daß weder zu dem Einen noch zu dem Andern Men= 
ſchen entbehrt werden können, und eben fo wenig das Eine 
mittelft anderer Menfchen betrieben wird, als das Undere *). 
Denn die Schaven, deren man fid) in der Verwaltung eiges 
ver Ungelegenpeiten bedient, find fo gut Menfchen, ald Dies 


) Herbſt ſchließt mit Dinborf biefen Sau als undcht ein. 


- 





526 Zenophon’d Erinnerungen an Socrates. 


jenigen, deren man ſich in Staatsangelegenheiten bedient *) 
aud es kommt nur darauf an, ob man mit ihnen umzugehen 
wiſſe. Wer fich darauf verfteht, der wird an der Spiße gro: 
$er Gefchäfte, wie die der oberſten Staatsbehörden find, fo 
‚gut, als in eigenen Gefchäften feine Rolle mit Ehren fpielen; 
Wer fih nicht Darauf verfteht,, der wird in feinem von beiden 
Verhättniffen vier leiſten.“ 

5, Einmal hielt Socrates mit Pericles **), dem Sohne 
des großen Pericles, eine Unterredung. — Socr. „Ich 
Habe die Hoffnung, Wericles, wenn du Feldherr werdeft, 
‚werde der Staat fein Heer in befferem Stande, feine Waffen 
wieder in Ehren, und feine Feinde ſich demüthigen fehen. — 
Mericl. Es wäre fo mein Wunſch, Socrated, aber id) 
kann nicht abfehen, wie Dieb möglich wäre. — Socr. If 
Dir’s angenehm, die Sache weiter zu befprechen und zu fehen, 
wo erft die Möglichbeit liegt? — Pericl. Recht gerne — 
Socr. Du wirft wiffen, daß Athen in der Berdlferung den 
Böotiern nicht nachſteht? — Pericl. Das weiß id. — 


*), Schneiter und Ehät Halten biefen Sag „denn — bes 
dient” für ein Einſchiebſel; Wir folgen ber Eonftruction 
(jedoch nicht der Erklärung) Hindenburgs, der die Vulgata 
0001 Znısausvor läßt. 


+*) Dericled, der hier gemeint ift, war ein natuͤrlicher Sohn 
des großen Staatsmannes; aber nach dem Tode ber ges 
fegtihen Söhne räumten ihm die Athener den Vater zu 
Gefallen die Nechte eines geſetzlichen Sohnes ein. Plutarch, 
Leben des Pericles. E. 537. In dem Treffen bei den Ars 
ginufen war er mit Thraſylus und Eraſinides Feldherr, 
umd wurde mit Diefen zum Tode verurtheilt. f. zu I, 1. 


Drittes Buch. 527 


Sper. Und wo glaubft du, daß fich mehr Fräftige und. fchöne 
Zeute finden laffen? In Böotien oder unter den Athe⸗ 
nern? — Pericl. Auch darin, denke ich, follen fie nicht zu= 
rückſtehen. — So er. Auf welcher Seite wird. ferner mehr 
Einigkeit fyn? — Pericl. Ich dene, auf Seiten der 
Athener; denn von den Böotiern ift ein großer Theil gegen 
die Thebaner übel geſtimmt, weil fie fehen, daß fie von Die: 
fen gemißbraucht werden; in Athen finde ich Nichts dergleichen. 
— Socr. Ga, man findet auch nirgends diefe unbegrenzte 
Ehrliebe und wohlwollende Sefinnung, Eigenfchaften, welche 
die mächtigften Antriebe enthalten, für Ruhm und Daterland 
jeder Gefahr zu trotzen. — Pericl. Auch hierin Bann man 
den Üthenern Nichts anhaben. — Socr. Auch die Helden 
thaten der Vorältern haben für Manche etwas Erhebendeg, 
was fie zur Tapferkeit begeiftert, und ihren Muth entflammt, 
und wieder kann fein Volk fo große und fo viele Helden 
thaten von feinen Vorältern aufzählen, als die Athener. — 
Pericl. Altes ift wahr, was du ſagſt. Aber du weißt, 
daß feit dem Unfalle bei Xebadea *),_ wo wir unter Tolmides 
die taufend Mann verloren, und feit der Niederlage bei Des 
ſeum **) unter. Hippocrates der Waffenruhm Athens gegen 
Die Böofier gefunken, und den Thebanern der Muth gegen 
die Athener fo gewachfen ift, daß fie, bie vorher nicht einz 
mal auf eigenem Boden ohne den Beifland der Lacedämonier 





*) Stadt in Bhotien, in der Nähe von Chaͤronea, heut zu 
Rage Livadia. Dad hier erwähnte Treffen berichtet Thu⸗ 
cydides I, 113. 

++) Helium, in Böotien in der Möge des Euripus. Die Sqchlacht 
erwähnt Thucydides IV, 95 ff. 


Drittes Buch. 52g 


febten, der maͤchtigſte Staat von der Melt werben würden. — 
Pe ricl. Und wie fönnten wir fle hiervon überzeugen ? — Socr. 
Ich denke, wenn wir ihnen ihre früheſten und befannten Vor⸗ 
ältern in’d Gedaͤchtniß riefen, von deren ausgezeichneten 
Heldenmuthe fie ſelbſt ſchon gehört haben müſſen. — Perick. 
Meinft du den befannten Götterftreit *), worin Cecrops um 
feiner Berdienfte willen zum Schiedsrichter erwählt wurde? — 
Soer. Fa, und bie Geburt und die Erziehung des Erech⸗ 
theus **), und den Krieg, den die Athener zu feiner Zeit 
gegen das ganze angrenzende ***) Feſtland zu führen hatten, 
fo wie den Krieg, den fie zur Zeit der Heracliden +) gegen 
die Peloponnefler, und allejene ++), die fie unter Theſeus führ⸗ 


*) Es ift der Streit mit Neptunns und Diinerva um ben Be- 
fig Athens; Cecrops entſchied dabei für Minerva. ol. 
Apollodor. Ill. 14. i 

+*) Bezieht fih auf Homer Iliad. II, 547. wo Erechtheus ers 
waͤhnt ift, als 
„Der König, weichen Athene 
Pflegte, die Tochter des Zeus, (ihn gebar die frucht⸗ 
bare Erbe), 

Und in Athene fegt’ in ihren besäterten Tempel.’ 
***) Die Thracier, die bamald Grenznachbarn von Attica was 
sen. Der Krieg ſelbſt heißt gemeiniglich der Eleuſiniſche, 
weit die Thracier von Eumolpus, König der Eleufinier, 
angeführt wurden. Vgl. Iſocr. Panes. €. 19. Thucnb. 11, 15. 

7) Der Krieg gegen Euryfipeus zu Gunften ber Seracliten, 

Bol. Iſoer. Paneg. €. 15 — ı7. Lyfias Epitaph. S. 12 - 15. 

+7) Die Kriege gegen die Amazonen vom Fluſſe Thermodon. 
LEyſias Epitaph. 5. 4. ff. Iſocr. Paneg. E. 19. Nach 
der letztern Stelle hatten fie ſich mit den Scyrhen verbun⸗ 
ben. Der Antaß des Krieges war ber Raub der Hippo⸗ 
Inte durch Theſeus. 





550 Xenophon's Erinnerungen an Soerates. 


ten, in welchen fie ſtets vor ihren Zeitgenoffen den unbezwei: 
felten Vorrang in der Tapferkeit behaupfeten. Ferner Das, 
wenn du willft, was fpäter zunächſt vor unferen Tagen ihre 
Nachkommen vollbracht haben, bald für ſich Eämpfend gegen 
ein Volk *), das ganze Affen und Europa bis nad) Maces 
donien hin beherrfchte, das über das größte Heer und bie 
bedeutendften Hülfsmittel in der ganzen Vorzeit Ph gebieten, 
und die fcheinbar **) unausführbarften Werke zu Stande ge- 
bracht hatte, bald in Verbindung mit den Peloponnefiern zu 
Waſſer und zu Lande fi) Ruhm erfechtend, weßmwegen ihnen 
and) allgemein weit über ihren Zeitgenoffen der Plab einges 
räumt wird. — Pericl. Dieß ift außer Streit, — Soer. 
Daher blieben fle auch, ungeachtet der vielen Wanderungen, 
denen Sriechenland unterworfen war, ruhig in ihrem Stamms 
Iande; in einer Menge Streitigkeiten unterwarfen fich die 
Vebrigen ihrer Entfcheidung, und nicht felten wurde gegen 
die Bedrürungen der Machthaber ihr Schub angerufen. — 
DMericl. Ic kann mid nur wundern, Socrates, wie ber 
Staat fo in Verfall gerathen konnte. — Socr. Ich denke, 
es ging bei den Athenern wie bei einigen Athleten ***), bie 
im Gefühle ihrer hohen Weberlegenheit, Eraft der fle jeder: 
zeit den Sieg davon frugen, fi) feine Mühe mehr geben, 


*) Die Perfer unter Darius und Kerxes. 

++) Die Brüde Aber den Hellefpont und bie Durdgrabung 
des Athos unter Kerxes. Iſocr. Paneg. C. 25.’ Lyſias 
Epitapf. 5. 35. Bol. Uefchines gegen Etefiph, p. 522. 


6. 133, 
+) Nach Weiske's Eonjectur mit Schneider, Schäg und Herbſt. 
Die Vulgata: aAAoı Tıväc ift wohl kaum zu veriheidigen. 





” "Drittes Buch. . 531 


und fo am Ende hinter ihren Gegnern zurückbleiben. Ihr 
Verfall hatte Beinen andern Grund, ald die Höhe anf der fie 
ftanden, und die Nachläßigkeit, der fie eben, deßwegen fich 
überfießen.: — Peric. Und was müßten fie nın thun, um 
den alten Heldenmuth wieder zu erlangen? — Socr. Das 
läßt fich Teicht errathen! fie dürften nur die Sitten und die 
Lebensweiſe der Voreltern herporfuchen , und fih fo unver 
brüdtich, wie fie, daran halten, fo Eönnten fie nicht hinter 
ihnen zurüchleiben. Wo nicht, fo müßten fie wenigftens 
Diejenigen, *) die jebt den Vorzug behaupten, fi zum Mu⸗ 
fter nehmen, und ihre Sitten und Lebensweiſe ſich aneignen, 
Thaten fie ed ihnen in Allem gleich, fo könnten fie nicht tie= 
fer; thäten fie es ihnen noch an Ernft und Eifer zuvor, ſo 
müßten fie nody höher ftehen, als Gene. — Periel. Damit 
gibft du zu verftehen, unfer Staat ſey noch weit von der 
Tugend entfernt, Denn wann wird es mit den Athenern fo 
weit Eommmen, daß fie, wie die Zacedämonier das Alter in 
Ehren halten ? gleich bei den Vätern machen fie ja den Ans 
fang, die Welteren zu verachten. Wann werden wir erleben, 
Daß fie fo fich körperlich üben? weit entfernt, ſelbſt an Kräf: 
tigung ihres Leibes zu arbeiten, verfpotten fie. ja noch die 
Anderen, die fich damit Mühe geben, Wann werden fie fo 
den Dbrigkeiten gehorchen? fie thun fich ja fogar Etwas dars 
auf zu gute, wenn fie fi nichts um die Obrigkeiten befüms 
mern. Wann werden fle endlich fo in Eintracht leben? ftatt 
fich zu ihrem gegenſeitigen Vortheile zu vereinigen, thun ſie 


*) Die Spartaner, für welche Xenophon betanntiich eine Vor⸗ 
liebe hatte. 


532 RXenophon's Erinnerungen an Soerates. 


ja einander zu Leide, was fle nur Fönnen, und gönnen noch 
viel weniger einander Etwas, als fremden Leuten; mehr, als 
irgend ein anderes Volk entzweien fie fi in beſondern und 
öffentlichen Verſammlungen, werfen einander Prozefle über 
Prozeſſe an den Hals, und ziehen Tieber auf biefem Wege 
Gewinn von einander, als durch gegenfeitige Dienftleiftungs 
mit dem Staatsgute gehen fie um, als ginge es fie nichts 
an, und ftreiten ſich dann wieder um daffelbe, und kennen 
nichts Höheres auf der Welt, als die Mittel, welche zu dies 
fem Zwecke behülfficy find. Daher jene Unerfahrenheit*) und 
Feigheit, unter welcher der Staat leidet; daher die Feind⸗ 
schaft und der Haß der Bürger untereinander: Webel, vie 
mich ftets fehr beforgt machen, es möchte den Staat ein grö- 
ßeres Unglüd treffen, ald er zu tragen im Stande wäre. — 
Socr. Nein, Pericles, glaube ja nicht, daß die Athener an 
einer fo unheifbaren Verdorbenheit leiden. Siehft du nicht die 
ſchöne Ordnung, die auf ihrer Flotte herrfcht, den pünktlichen 
Gehorſam, welchen fie in den gumnifchen Kampffpielen den Aufs 
-fehern beweifen, und die Folgſamkeit gegen die Chormeiſter, 
worin unfere Chöre denen Feiner Nation etwas nachgeben ?— 
Merict. Das ift eben dad Sonderbare, daß foiche Leute ih⸗ 
ren Borftehern Folge leiften, und die Hopliten **) und -Rits 
ter, denen doch ihre höhere Trefflichkeit den erfien Rang 


*) ansıpla. Sehyneider und Schuͤtz in den Noten ‚neigen ſich, 
jedoch mit Recht, zu Hindenburgé Eonjectur: ANELEOXG- 
Ala, was niedrige Dentungsart bezeichnet, und 
hier allerdings paſſender ftänbe, 

**) Schwer bewaffnete Fußgänger. 





Drittes Buch, 533 


unter den. Bürgern angemwiefen zu haben ſcheint, gerade die 
Widerfpenftigften find. — Socr. Und der Rath im Arco: 
pag, *) Pericles, befteht er nicht aus Denienigen, **) weldye 
in der gefeglichen Vorprüfung beſtanden find? — Perict, Als . 
lerdings. — Socr. Kennft du num einen Gerichtehof, der 
fein Richteramt und feine übrigen Obliegenheiten mit mehr 
Gewandtheit, Gewiſſenhaftigkeit, Ernſt und Gerechtigkeit er⸗ 
füllte? — Periel. Ich kann diefem nichts anhaben. — 
Gscr. So darfft dus alfo an den Athenern nicht verzweifeln, _ 
ats 05 fie für Ordnung nicht empfänglich wären. — Pes 

rich. Wenn fie nur im Kriege, wo Zucht, Ordnung und Gehors 
ſam am wefentlichten find, an eine diefer Tugenden daͤchten! — 
S'ocr. Vieleicht daß gerade hier ihre Vorgeſetzten am we⸗ 
nigſten fangen. Siehſt du nicht, daß auch nicht Einer daran 
denkt, bei Eirherfpielern, Sängern, Zänzern, Ringern oder 
Paneratiaſten ***) die oberfte Zeitung zu übernehmen, ohne 
ſich darauf zu verfiehen ? Da Pan fich ein Jeder darüber 
ausweisen, wo er die Kunſt gelernt, in welcher er den Mei⸗ 
ſter macht; von den Feldherren dagegen treten die Meiften 
unporbereitet ihr Amt an. Bei bir ift Dieß freilich nicht 


*) Areopag, ein. Gerichtehof in Athen, deſſen Urſprung ſchon 
in die mythiſche Zeit faͤllt. Er hatte vorgägtich über 
Mordverbrechen zu richten, und war durch feine Gewifiens 
baftigteit bekannt. 

“+, Wie andere Obrigkeiten in Athen, fo mußten aud bie 
Arenpagiten vor ihrer Beſtaͤtigung in ihrem Amte, fie 
einer Prüfung unterwerfen. Iſocr. Areopag. g. 37. 

90) Bon Paneration, einer Art Mrisesäbung, welche den Kants 
tampf und das Ringen zugleich in fick faßt, 





534 &Xenophon’s Erinnerungen an Socrates. 


der Fall; du kannſt fiher eben fo gut die Zeit angeben , wo 
bu die Feldherrnkunſt, als die Zeit, wo du die Ringkunſt zu 
erlernen anfingft, und ich meine, du habeft nicht nur viele 
von den Kunftgriffen behalten, die dein Water dich gelehrt, 
fondern gewiß Alles and) fonft gefammelt, was nur irgendwo 
für deine Kunft fich finden ließ. Du gibft dir gewiß alle 
Mühe, dag dir ja Beine für einen Feldherrn nützliche Kennt 
niß unbemerkt bfeibt, die dir noc, abgehf, und wenn du dann 
Etwas findet, was du auch nicht verftehft, fo fuchft du ſach⸗ 
verftändige Männer auf, und läffeft es weder an Gefchenten 
noch an Gefältigkeiten fehlen, um von ihnen zu fernen, was 
du noch nicht weißt, und an ihnen Leute zu gewinnen, die 
dir mit Rath und That an die Hand gehen. — Pericl. Ich 
merke wohl, Socrates , daß es bir Fein Ernft damit ift, als 
od ich wirklich das Alles thäte; du willſt mir bios damit 
fagen, daß man Dieb hun müfle, wenn man Feldherr wer- 
den wolle, und darin flimme ich dir vollkommen bei. — 
Socr. Über Haft du auch bemerkt, Pericled, daß vor unferm 
Lande große Gebirge gegen Böotien hin fid) ausdehnen, durch 
welche nur enge und fleile Sugänge in unfer Laud führen, 
und daß es mitten von unzugänglichen Gebirgen durchſchnit⸗ 
ten iſt? — Perich Gar wohl, — Soer. Nun, und haft 
du gehört, wie bie Myſier *) und Pifidier mittelft Beſetzung 
fefter Pläbe im Lande des großen Könige und mit leichter 
Bewaffnung dem königlichen Gebiete durch ihre Einfälle gro= 
fen Schaden thun, umd ſich ſelbſt unabhängig erhalten? — 





*) Bölterfhaften in Kteinaften; vgl. Aber bas hier Erwähnte 
Kenoph, Anab. IL 2. J,. ı, 


Drittes Buch. 535 


Derich, Auch das höre ich. — Socr. Glaubſt du nun nicht 
auch, wenn die Athener im rüſtigen Alter, leicht bewaffnet, 
die Gebirge an der Grenze ihres Landes beſetzen würden, 
daß fie den Feinden großen Schaden thun, und ihren Mit—⸗ 
bürgern eine mächtige Vormauer um ihr Gebiet bilden fünn- 
ten? — Pericl. Auch von der Zweckmäßigkeit diefes Vor— 
ſchlags bin ich vollkommen überzeugt, — Socr, Nun denn, 
- wenn du mit mir einverffanden bift, mein Beſter, fo bringe 
meine Rathfchläge in Ausführung. Denn was dir daran 
gelingt, Bann nur dir zur Ehre und dem Staate zum Vor— 
theile gereichen; und follte dir Etwas nicht von Statten 
gehen; fo kann Diefes weder dem Staate Schaden, noch dir 
Unehre bringen.” 

6. Glaucon *), der Sohn des Arifton, hatte einen fol- 
hen Drang, an die Spitze des Staates fid, zu flellen, daß. 
er noch, ehe er fein awanzigftes Jahr erreicht hatte, als 
Volksredner fid) verſuchte. Er Hatte **) eine Menge Freunde 
und Verwandte, aber von Keinem ließ er ſich's nehmen, ſich 
von der Rednerbühne herabreiffen und auslachen zu laſſen. 
Pur dem Socrates gelang Dieß. Er nahm ſich feiner an, den. 
Charmides, Sohne des Glaucon, ***) und dem Plato zu Liebe. 
Ars. er ihm daher begegnete, Pnüpfte er zumächft folgendes- 
Befpräd mit ibm an, zuerft nur, um ihn zu feflen: — 
Socr „Geht deine Abfiht dahin, Glaucon, did, an die 
Spite des Staates zu flelen? — Glauc. Ja, Sorrates, — 





*) Bruder des Plato. 
+) Zurcoy, mit der Vulgata und Schuͤtz. 
*+*) Diefer Glaucon war ein Bruber von Plato's Water, 





526 Zenophon’d Erinnerungen an Socrates. 


zjenigen, deren man ſich in Staatdangelegenheiten bedient *) 
und es kommt nur darauf an, ob ınan mit ihnen umzugehen 
wiſſe. Wer fi darauf verfteht, der wird an der Spike gro: 
Ser Gefchäfte, wie die der oberften Staatsbehörden find, fo 
‚gut, als in eigenen Gefchäften feine Rolle mit Ehren fpielen; 
Wer fit) nicht darauf verfleht,, Der wird in feinem von beiden 
Verhältniffen viel leiſten.“ 

5, Einmal hielt Socrates mit Pericles **), dem Sohne 
Des großen Pericles, eine Unterredung. — Socr. „Ic 
habe die Hoffnung, Pericles, wenn du Yeldherr werdeft, 
werde der Staat fein Heer in befferem Stande, feine Waffen 
wieder in Ehren, und feine Feinde ſich demüthigen fehen. — 
Pericl. Es wäre fo mein Wunſch, Socrates, aber id 
kann nicht abfehen, wie Dieß möglich wäre. — Sper. If 
Dir’d angenehm, die Sache weiter zu befprechen und zu fehen, 
wo erſt die Möglichkeit liegt? — Periecl. Recht gerne. — 
Socr. Du wirft wiffen, daß Athen in der Berölferung den 
Böotiern nicht nachſteht? — Pericl. Das weiß id. — 





2) Schneiter und Schuͤtz halten biefen Gag „denn — ber 
dient“ für ein Einſchiebſel; Wir folgen der Eonfteuction 
(jedoch nicht der Erklärung) Hindenburgs, der die Bulgata 
0001 Enuısauevor Väßt, 


**) Mericled, der hier gemeint ift, war ein natürlicher Sohn 
des großen Staatsmannes; aber nach dem Tode ber ges 
festigen Söhne räumen ihm die Athener dein Water zu 
Gefallen die Rechte eines geſetzlichen Sohnes ein. Plutarch, 
Leven des Pericies. €, 37. In dem Treffen beiden Ars 
ginufen war er mit Thrafylus und Erafinites Beldherr. 
umd wurde mit Diefen. zum Tode verurtheilt. f. zu I, 1. 


% 


-- — ah 





Dritte Buch. 537 


Sper. Und wo glaubft bu, daß ſich mehr kraͤftige und. fchöne 
Zeute finden laſſen? In Böotien oder unter den Athe⸗ 
nern? — Periel. Auch darin, denke ich, follen fie nicht zu⸗ 
räditehen. — Sper. Auf weldyer Seite wird ferner mehr 
Einigkeit ſeyn? — Pericl. Ic denke, auf Seiten der 
Athener; denn von den Böotiern ift ein großer Theil gegen 
Die Thebaner übel geſtimmt, weil fie fehen, daß fie von Die: 
fen gemißbraucht werden; in Athen finde ich Nichts dergleichen. 
— Socer. Ga, man findet auch nirgends dieſe unbegrenzte 
Ehrliebe und wohlwollende Sefinnung, Eigenfchaften, welche 
die mächtigften Antriebe enthalten, für-Ruhm und Vaterland 
jeder Gefahr zu frogen. — Perich. Auch bierin Bann man 
Den Üthenern Nichts anhaben. — Socr. Auch die Helden: 
thaten der Vorältern haben für Manche etwas Erhebendes, 
was fle zur Tapferkeit begeiftert, und ihren Muth entflammt, 
und wieder kann Bein Volk fo große und fo viele Helden 
thaten von feinen Vorältern aufzählen, als die Athener. — 
Periel. Alles ift wahr, was du ſagſt. . Uber bu weißt, 
daß feit dem Unfalle bei Lebadea *),_ wo wir unter Tolmides 
die kaufend Mann verloren, und feit der Niederlage bei Des 
Teum **) unter. Hippocrates der Waffenrunm Athens gegen 
Die Böotier gefunden, und ben Thebanern der Muth gegen 
die Athener fo gewachfen ift, daß fie, die vorher nicht eins 
mal auf eigenem Boden ohne den Beifland der Lacebämonier 


*) Stadt in Bbotien, im der Nähe von Sbaͤronea, heut zu 
Tage Kivadin, Das Hier erwähnte Treffen berichtet Thu⸗ 
cydides I, 115. 

++) Delium, in Bdotien in der Nähe des Euripus. Die Schlacht 
erwähnt Thucydides IV, 93 ff. 








NN 
SB RXenophon's Erinneruugen an Socrates. 


und übrigen Peloponnefler den Athenern die Spitze zu bieten 
wagten, nun für fich allein mit einem Einfall in Attica dro⸗ 
ben, und die Athener, die früßer, fo lange die Böotier allein 
ftanden, Böntien verheerten, nun in Sorgen And, die Bör⸗ 
tier möchten Attiea verwüften. — Gocr Ich weiß leider 
wohl, baf es fo iſt, aber ich denke, um fo leichter würden 
jest die Büger einem waderen Anführer zu Willen werben. 
Nadyläffigkeit, Leichtſinn und Ungehorfam find die Folgen 
der Sicherheit: aber Furcht macht die Leute aufmerkfamer, 
folgfamer und ordnungsliebender. Man kann Dieb fchon an 
der Mannfchaft auf einem Schiffe fehen. So lange die Leute 
wahrhaftig Nichts zu fürchten haben, fo find ſie voll Unfugs; 
fobald innen aber ein Sturm oder der Feind auf dem Naden 
it, fo thun fe nich nur Alles, was befohlen wird, fondern 
fie horchen auch auf die Befehle mit einer Stile, wie kaum 
ein Ehortänzer auf feinen Ehormeifter. — Pericl. Aber 
wenn gerade jest ein fo guter Erfolg zu hoffen ift, fo könn⸗ 
tet du nichts Beſſeres thun, als wenn du mir fagtefl, wie 
wir fie durdy die Erinnerung an den alten Heldenmutb, Glanz 
‚und WBohlftand Athens aufs neue entflammen könnten. — 
Socr. Geſetzt, mir wollen, daß fie auf Schäte Anſprüche 
machten, welche Audere in Händen hätten, würde es ein 
befferes Mittel geben, fie dazu zu bewegen, als wenn wir 


ihnen nachwiefen, daß fie als ein vom ihren Ahnen auf fie - 


vererbtes, und rvechtmäßiges Eigenthum ihnen augehören? 
So müffen wir nun aud) jest, wenn fie an Heldenmuth vie 
Erften zu werden fireben follen, auf gleiche Weife von diefem 
Vorzuge nachweifen, daß er vom Alters her ihnen eigenthüms 
lich gewefen, und daß fie, wenn fie Diefes ſich zum Siele 


A 


febten, der mädyigfte Staat von ber Melt werben würden. — 
Pericl. Und wie fönnten wir fle hiervon Überzeugen ? — Socr. 
Ich denke, wenn wir ihnen ihre früheften und befannten Vor⸗ 
ältern in's Gedaͤchtniß riefen, von deren audgezeichnetem 
Heldenmuthe fie ſelbſt fchon gehört Haben müſſen. — Perict. 
Meinft du den bekannten Götterftreit *), worin Gecrops um 
feiner Berdienfte willen zum Schiedsrichter erwählt wurde? — 
Socr. Fa, und die Geburt und die Erziehung des Erech⸗ 
theus **), und ben Krieg, den die Athener zu feiner Seit 
Hegen das ganze angrenzende ***) Feſtland zu führen hatten, 
fo wie den Krieg, den fie zur Zeit der Heracliden +) gegen 
die Peloponnefier, und allejene ++), die fle unter Theſeus führz 


*) Es ift der Streit mit Neptunns und Minerva um den Be 
fig Athens; ECecrops entſchied babei für Minerva. Mol. 
AyoHodor, III. 1%. . 

**) Bepieht fi auf Homer Stiad, II, 547. wo Erechtheus ers 
waͤhnt ift, als 
„Der König, weichen Athene 
Pfiegte, die Tochter des Zeus, (ihn gebar bie frucht⸗ 
. bare Erbe), 
Und in Athene feut’ in ihren begäterten Tempel.’ 
+44) Die Xhracier, die damals Grenznachbarn von Attica was 
ren. Der Krieg ſelbſt Heißt gemeiniglich der Eleuſiniſche, 
weil die Thracer von Eumolpus, König der Eleufinier, 
angeführt wurden. Vgl. Iſocr. Paneg. E, 19. Thucob. 11, 15. 
+) Der Krieg gegen Euryſtheus zu Gunften ber SKeracliten, 
Bol. Iſoer. Paneg. E. 15 — 17. Kyfias Spitaph. S. 12 - 15. 
+7) Die Kriege gegen die Amazonen vom Fluſſe Thermobon. 
LEyſias Epitaph. 8. 4. ff. Iſocr. Paneg. €. 19. Nach 
ber letztern Stelle hatten fie fi mit ben Scythen verbuns 
den. Der Anliaß des Krieges war der Raub der Hippo⸗ 
Inte durch Theſens. 


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550 Xenophon's Erinnerungen an Socrates. | 


ten, in welchen fie ſtets vor ihren Seitgenoffen den unbezwei- 
felten Vorrang in der Tapferkeit behaupfeten. Ferner Das, 
‘wenn. du willft, was fpäter zunächſt vor unferen Tagen ihre 
Nachkommen volbradyt haben, bald für fi Fämpfend gegen 
ein Volk *), das ganze Alten und Europa bis nach Mace- 
donien hin beherrfchte, das über das größfe Heer und die 
bedentendften Hilfsmittel in der ganzen Vorzeit Pr gebieten, 
und die fcheindbar **) unausführbarften Werke zu Stande ge- 
bracht hatte, bald in Verbindung mit den Peloponnefiern zu 
Waſſer und zu Lande ſich Ruhm erfechtend, weßwegen ihnen 
and) allgemein weit über ihren Zeitgenoffen der Plab einge: 
räumt wird. — Pericl. Dieß ift außer Streit. — Soer. 
Daher blieben file auch, ungeachtet der vielen Wanderungen, 
denen Griechenland unterworfen war, ruhig in ihrem Stamm⸗ 
Iande; in einer Menge Streitigkeiten unterwarfen ſich die 
Vebrigen ihrer Entfcheidung, und nicht felfen wurde gegen 
die Bedrürungen der Machthaber ihr Schu angerufen, — 
Pericl. Ich kann mid nur wundern, Socrates, wie der 
Staat fo in Verfall gerafhen konnte. — GSocr. Ich denke, 
28 ging bei den Athenern wie bei einigen Athleten ***), bie 
im Gefühle ihrer hohen Weberlegenheit, Eraft der fie jeder: 
zeit den Sieg davon frugen, fid Feine Mühe mehr geben, 





*) Die Perfer unter Darius und Kerxes. 

++) Die Bräce über ben Sellefpont und bie Durchgrabung 
bes Athos unter Xerxes. Iſocr. Paneg. €. 25.’ Lyfiag 
Epitaph. 5. 35. Vgl. Aeſchines gegen Etefiph. p. 522, 


$. 192, 
***) Nach Weiske's Eonjectur mit Schneider, Schuͤtz und Herbft, 
Die Vulgata: &AAos Tiväg ift wohl kaum zu vertheidigen. 





En nn 


" "Drittes Buch. . 531 


und ſo am Ende Hinter ihren Gegnern zurüdbleiben. Ihr 
Verfall hatte keinen andern Grund, als die Höhe auf der fie 
ftanden,, und bie Nachläßigfeit, der fie chen, deßwegen fich 
überließen.: — Peric. Und was müßten fie nun thun, um 
den alten Heldenmuth wieder zu erlangen? — Soecr. Das 
läßt fich leicht errathen! fie dürften nur die Sitten und die 
Lebengweife der Voreltern hervorſuchen, und fih fo unver 
brüchlich, wie fie, daran halten, fo könnten fie nicht hinter 
ihnen zurückbleiben. Wo nicht, fo müßten fie wenigflene 
Diejenigen, *) die jebt den Vorzug behaupten, fih zum Mu: 
fter nehmen, und ihre Sitten und Lebensweiſe fich aneignen. 
Thaͤten fie es ihnen in Allem gleich, fo könnten fie nicht tie⸗ 
fer; thäten fie es ihnen noch an Ernft und Eifer zuvor, ſo 
müßten fie nody höher flehen, als Sene. — Pericl. Damit 
gibft du zu verftiehen, unfer Staat fey noch weit von der 
Tugend entfernt. Denn wann wird es mif den: Athenern fo 
weit kommen, daß fie, wie die Zacebämonier das Alter in 
Ehren halten ? gleich bei den Vätern machen fie ja den Ans 
fang, die Welteren zu verachten. Wann werden wir erleben, 
Daß fie fo ſich Eörperfich üben? weit entfernt, ſelbſt an Kräf⸗ 
tigung ihres Leibes zu arbeiten, verfpotten fie ja noch die 
Anderen, die fid, damit Mühe geben. Wann werden fie fo 
den Obrigkeiten gehorchen? fie thun fich ja fogar Etwas dars 
auf zu gute, wenn fie fich nichts um Die Obrigkeiten befüms 
mern: Wann werden fle endlich fo in Eintracht Teben ? ſtatt 
fich zu ihrem gegenfeitigen Vortheile zu vereinigen, thun fie 


*) Die Spartaner, für welche Kensphon betannttich eine Vor⸗ 
liebe hatte. 





552  Xenophon’s Erinnerungen an Socrates. 


ja einander zu Leide, was fle nur koͤnnen, und gönnen noch 
Biel weniger einander Etwas, ald fremden Leuten; mehr, als 
irgend ein anderes Volk entzweien fie ſich in befondern und 
Öffentlichen Derfamminugen, werten einander Prozeffe über 
Prozeſſe an den Hals, und ziehen lieber auf diefem Wege 
Gewinn von einander, als durd) gegenfeitige Dienftleiftungs 
mit dem Staatsgute gehen fie um, als ginge es He nichts 
an, und ftreiten fid) danıı wieder um daflelbe, und kennen 
nichts Höheres auf der Welt, als die Mittel, welche zu dies 
fem Zwecke behülflich find. Daher jene Unerfahrenheit*) und 
eigheit, unter welcher der Staat leidet; daher die Feind: 
ichaft und der Haß der Bürger untereinander: Webel, vie 
mid) flets fehr beforgt machen, es möchte den Staat ein grö⸗ 
Beres Unglücd treffen, ald er zu fragen im Stande wäre — 
Soecr. Nein, Pericles, glaube ja nicht, daß die Athener an 
einer fo unheilbaren Verdorbenheit leiden, Siehft du nicht die 
fchöne Ordnung, die auf ihrer Flotte herrfcht, den pünktlichen 
Gehorſam, welchen fie in den gumnifchen Kampffpielen den Aufs 
-fehern beweifen, und die Folgſamkeit gegen die Chormeifter, 
worin unfere Ehdre denen Feiner Nation etwas nachgeben ?— 
Pericl. Das ift eben das Sonderbare, daß folche Zeute ih⸗ 
ren Borftehern Folge Teiften, und die Mopliten *) und Rits 
ter, denen doch ihre höhere ZTrefflichfeit den erfien Rang 


*) ansıpla. Sehneider und Schuͤtz in ben Noten ‚neigen fi, 
jedog mit Recht, zu Kindenburgs_Eonjectur: ATEIEOXG- 
Alo, was niedrige Dentungsart bezeichnet, und 
hier allerdings paſſender ftänbe, 

**) Schwer bewaffnete Fußgaͤnger. 





Drittes: Buch 533 


unter den. Bürgern angewiefen zu haben fdyeint, gerade die 
Widerfpenftigften find. — Socr. Und der Rath im Arco: 
pag, *) Perieles, befteht er nicht aus Denienigen, **) weldye 

in der gefeslichen Vorprüfung beſtanden find ? — Perict, Als. 
lerdings. — Socr. Kennſt du nun einen Gerichtöhof, der 
’ fein Richteramt und feine übrigen Obliegenheiten mit mehr 
| Gewandtheit, Gewiffenhaftigkeit, Ernſt und Gerechtigkeit er 
füllte? — Periel. Ih kann diefem nichts anhaben. — 

Gacr. So darfft du alfo an den Athenern nicht verzweifeln, 
| als 06 fie für Ordnung nidyt empfänglid wären. — Pe 
rich. Wenn fienur im Kriege, wo Zucht, Ordnung und Gehors 
ſam am wefentlichften -find, an eine diefer Tugenden dachten! — 
Soer. Vieleicht daß gerade hier ihre Vorgeſetzten am wes 
nigften fangen. Siehſt du nicht, daß auch nicht Einer daran 
denkt, bei Eicherfpielern, Sängern, Tänzern, Ringern oder 
Paneratiaſten ***) die oberfte Leitung zu übernehmen, ohne 

fig darauf zu verfiehen ? Da kann ſich ein Jeder barüber 
ausweiſen, wo er die Kunft gelernt, in welcher er den Mei⸗ 
fler. macht; von ben Feldherren dagegen treten die Meiften 
unporbereitet ihr Amt an. Bei dir iſt Dieß freifich nicht 





*) Arevpag, ein. Gerichtähof in Athen, deffen Urſprung ſchon 
in bie mythiſche Zeit faͤllt. Er hatte vorgägtich über 
Morbverbrechen. zu richten, und war durch feine Gewiflens 
baftigteit bekannt. 

*) Wie andere Obrigkeiten in Athen, fo mußten aud bie 
Arenpagiten vor ihrer Beftätisung in ihrem Amte, ſich 
einer Prüfung unterwerfen. Iſocr. Areopag. S. 37. 

+90) Won Paneration, einer Art Eibesauͤbung, weiche den FJauſt⸗ 
tampf und das Ringen zugleich in ſich faßt. 


534 Xenophon's Erinnerungen an Socrates. 


der Fall; du kannſt ſicher eben fo gut die Zeit angeben, wo 
du die Feldherrnkunſt, als die Zeit, wo du die Ringkunft zu 
erlernen anfingft, und ich meine, du habeft nicht nur viele 
von den Kunftariffen behalten, die dein Water dic, geiehrt, 
fondern gewiß Alles aud) fonft gefammelt, was nur irgendwe 
für deine Kunft ſich finden ließ. Du gibft dir gewiß alle 
Mühe, dag dir ja Peine für einen Feldherrn nützliche Kennt: 
niß unbemerkt bleibt, die dir noch abgehf, und wenn bu dann 
Etwas findeft, was du auch nicht verftehft, fo fuchft du fach 
verftändige Männer auf, und läffeft ed weder an Gefchenken 
noch an Gefältigkeiten fehlen, um von ihnen zu fernen, was 
du noch nicht weißt, und an ihnen Leute zu gewinnen, die 
dir mit Rath und That an die Hand gehen, — Pericl. Id 
merke wohl, Socrates , daß es bir Fein Ernſt damit ift, als 
ob ich wirklich das nes thäte; du willſt mir bios damit 
fagen, daß man Dieb hun müffe, wenn man Feldherr wer- 
den wolle, und darin flimme ich dir vollkommen bei. — 
Socr. Über haft du auch bemerkt, Pericles, daß por unferm 
Lande große Gebirge gegen Böotien hin ſich ausdehnen, durch 
welche nur enge und fleile Zugänge in unfer Land führen, 
und daß es mitten von unzugänglichen Gebirgen durchſchnit⸗ 
ten iſt? — Pericl. Gar wohl, — Socr. Nun, und haft 
du gehört, wie bie Myſier *) und Pifidier mittelft Beſetzung 
fefter Plätze im Lande des großen Könige und mit leichter 
Bewaffnung dem Eöniglichen Gebiete durch ihre Einfälle gro= 
fen Schaden hun, und ſich felbft unabhängig erhalten? — 





*) Bölterfgaften in Kleinaſten; vgl, über das hier Erwähnte 
Kenoph, Anab. II, 2. I, ı, 


U ä ä ä ä IIII 
Drittes Buch. 535 


Pericl. Auch das höre ich. — Socr. Glaubſt. du nun nicht 

auch, wenn die Athener im rüſtigen Alter, leicht bewaffnet, 

die Gebirge an der Grenze ihres Landes beſetzen würden, 

dag fie den Feinden großen Schaden thun, und ihren Mit—⸗ 

bürgern eine mächtige Vormauer um ihr Gebiet bilden Eönn- 

ı tn? — Pericl. Auch von der Zweckmäßigkeit diefes Vor— 

ſchlags bin ich vollkommen überzeugt. — Socr. Nun denn, 

wenn du mit mir einverſtanden biſt, mein Beſter, fo bringe 

meine Rathſchläge in Ausführung. Denn was dir daran 

gelingt, kann nur dir zur Ehre und dem Staate zum Vor— 

theile gereichen; und ſollte dir Etwas nicht von Statten 

gehen, ſo kann Dieſes weder dem Staate Schaden, noch dir 
Unehre bringen.” 

6. Glaucon *), der Sohn des Ariſton, hatte einen ſol⸗ 
chen Drang, an die Spitze des Staates fid, zu flelen, daß. 
er noch, ehe er fein zwanzigſtes Jahr erreicht hatte, als 
Volksredner fich verfuchte. Er Hatte **) eine Menge Freunde - 
und Verwandte, aber von Keinem ließ er fidy’s nehmen, ſich 
von der Rednerbühne herabreiffen und auslachen zu laſſen. 
Pur dem Socrates gelang Dieß. Er nahm fich feiner an, dem. - 
Charmides, Sohne des Glaucon, ***) und dem Plato zu Liebe. _ 
Als er ihm daher begegnete, knüpfte er zunächſt folgendes- 
Geſpräch mit ihm au, zuerft nur, um ihn au feflein: — 
Socr.. „Seht deine Abſicht dahin, Glaucon, did, an die 
Spitze des Staates zu ftelen? — Glauc. Ja, Socrates. — 





*) Bruber des Plato, 
**) Zurcoy, mit ber Vulgata und Schuͤtz. 
*++) Diefer Glaucon war ein Bruder von Plato'd Water, 


556 XRXenophon's Erinnerungen an Socrates. | 


Soer. In der That, das ift auch das fchönfte Ziel, das ſich 
ein Menſch feben kann! Wenn du es erreicht, fo darfft du 
wünfdhen, Was du wilft, und es muß dein werben; du 
kannſt deinen Freunden dienen, beine Familie heben, das 
Daterland beglücken; du bekommſt einen Namen in der Stadt, 
in Griechenland, vielleicht, wie Themiftoctes, ſelbſt unter den 
Barbaren, und wo du hinkommft, macht du Aufſehen.“ 
Glaucon bildete ſich nicht wenig ein, als er Das hörte; er 
dachte an Fein Weggehen mehr, und Sorrates fuhr fort: 
Socer, ‚Das verfteht fic natürlich, von felbft, Glancon; 
wenn du geehrt ſeyn wilft, mußt du dich um den Staat vers 
dient mahen? — Blaue. Allerdings. — Sper. So bitte 
ich dich um der Götter willen, mache vor mir Fein Geheim—⸗ 
niß daraus, und fage mir, womit willſt du den Anfang dei: 
ner Verdienfte um den Staat machen!‘ Glaucon fchwieg, 
und that, als dächte er eben erft nach, womit er anfangen 
ſollte. — Sper. „Wenn du dad Haus eines Freundes empors 
bringen wollteft, fo würdeft du wohl daranf ausgehen, in 
reicher zu machen. Haft du alfo Diefes auch mit dem Staate 
vor? — Glauc. Allerdings. — Soecr. Würde nicht ber 
Staat reicher werden, wenn feine Einkünfte zunähmen? — 
Glauc. So muß ed wohl ſeyn. — Soecr. Sp fage mir 
denn, woher bezieht der Staat gegenwärtig feine Einkünfte 
und Was betragen fie? du haft natürlich fchon darüber nach⸗ 
gedacht, um, falls eine oder die andere Quelle fparfamer köße, 
den Ausfall zu deden, und wenn fle ganz verfiegen follte, 
eine neue zu eröffnen. — Glauc. Nein, wahrhaftig, daran 
gerade Habe ich noch nicht gedacht. — Sorr. Run, wenn du 
Dieb übergangen haft, fo-nenne und wenigſtens bie Ausgaben 


Drittes Buch, 537 


des Staats; denn du gehſt ohne Zweifel darauf um, auch 
bier die wnnöthigen Ausgaben aus der Liſte zu ſtreichen. — 
Blaue. Wahrhaftig, auch dazu habe ich nicht Seit gefun⸗ 
den. — Soer. Nun, ſo denke ich, wollen wir damit noch 
warten, den Staat reich zu machen, Denn wie kann man 
damit anfangen, ohne die Ausgaben und Einnahmen zu ken⸗ 
nen ? — Glauc. IAber, Socrates, man kann ja den Staat 
auch) von den Feinden bereichern. — Socr. In der That, du 
haft Recht, wenn man Meifter über fie if; denn wenn man 
ihnen nicht gewachſen ift, fo könnte man noch das Seinige 
dazu einbüßen. — Glauc. Da fagft du die Wahrheit, — 
Spcr. Geſetzt nun, es hätte Einer die Frage in Ueberlegung 
zu ziehen, mit Wen man Krieg anfangen folle, müßte er nicht 
die Macht des Staates und die der Feinde genau Eennen, 
um, wenn die Weberlegenheit auf Seiten des Stantes wäre, 
zum Kriege zu vathen, und wenn fie auf Seiten der Feinde 
waͤre, davor zu warnen? — Glauc. Ich muß dir Recht ges 
ben. — Socr. So fage mir denn zuerfi die Lands und See 
macht des Staates, dann die der Feinde. — Glauc. Id 
kann dirs wahrhaftig nicht ſo aus dem Kopfe herfagen. — 
Socr. Nun, wenn du es fchrifstich haft, fo hole eds ich 
möchte es gar zu gerne hören. — Glauc. Ich habe es wahts 
baftig auch nicht ſchriftlich — Socr. So müßten wir vors 
erft auch in Kriegsangelegenheiten mit unferem Rathe zurück⸗ 
halten. Vielleicht waren dir auch die Sachen für den Ans 
fang deiner politiſchen Laufbahn zu weitläufg, um dich auf 
ihre Unterfuchung einzulaſſen. Aber das weiß ich, daß du 
Did) der Bewachung des Landes angenommen haft. Du weißt, 
wie viele Poften zweckmäßig find, und wie viele nicht; wie 
Renophon. 46 Bbchn. 


538 Zenophon’s Erinnerungen an Socrates. - 


viele Mannschaft dazu hinreichend iſt, und wie viele nicht; 
u wirft die zweckmäßigſten Poſten zu verftärken, die unnd- 
thigen einzuziehen vathen. — Glauc. Wahrbaftig, alle müß- 
‘ten fie mir eingezogen werben; denn fie verfehen ihre Poften 
fo, daß Alles auf dem Lande geftohfen wird. *) — Socr. Wenn 
Man aber die Poften einzieht, wird dann nicht auch offen raus 
"pen können, Wem es nur einfättt? Uber bift du ſelbſt hinge⸗ 
gangen, und haft ed unterfucht, oder woher weißt du, daß 
‘die Poſten fchlecht beſtellt ſtnd? — Glauc. Ic, vermuthe 
.— Socr. Sp wollen wir auch über dieſen Punkt unfern 
Math auffparen, bis wir nicht mehr blos vermuthen, fordern 
gtunmehr wiffen. — Glauc. &s ift vielleicht fo beſſer. — 
Soer. In die Silbergruben aber, "das weiß ich, biſt du uke 
gekommen, und kaunnſt alfo auch nicht fagen, warum fie jest 
weniger ertragen, als früher. — Gawe Nein, dahin din 
ich nie gekommen. — Socr. Man fagt aud) in der That, 
"der Dre’ ſey ungeſund. Mehr braucht es zu deiner Entſchul⸗ 
digung nicht, "wenn 'du dariiber ein Sutachten geben ſollteſt. 
rauc Man Tpsteet' meirer. *) — Socr. Nur Das, weiß 
Ich, Haft du nicht verſaͤumt: "du Heft nachgedacht, wie lange 
der Ötaat mit dem Betreide, das wir ſelbſt im Lande gewin⸗ 
nen, ausreichen kaun, “nd wie viel ‘er noch anderes dazu 
bendthigt iſt, "um Jederzeit davon zu wiſſen, wenn Mangel 
+) „AenreFaı Mit Sundern,” Süß und Herbſt aus "den 
Batitan. Handſchriften. 
+) gxo@rtrolia, "Ans Antigen nHecksſthriften mit Schutz, ftatt 
gro Woncgu. Herbſt; narh Sthnetders Tonjeerne: onmıponaı. 

er werde inich Allerdings aufWieſen Vorwand ſtuͤrnnge n.“ 





GER 
Drittes Buch. 359 


im Staat entſteht, und bei ſeinen nothwendigen Bedurfmſ⸗ 

ſen ihm nit gutem Rathe zn Hülfe kommen zu koönnen, und 

ihn zu retten. — Glauc. Du machſt gar ein Riefengefahäfe | 
darand, wenn man auch um folche Dinge ſich annehmen ſoll. — | 
Soer. Kann ja doch Einer nicht einmal feine eigene Haus⸗ 

J haltung ordentlich beſorgen, wenn er nicht Alles weiß, was | 
er noch anderswo her bekommen muß, und wenn er ſich nicht | 
die Mühe gibt, jede Lüde auszufüllen. Da nun Aber die | 
Stadt aus mehr ats zehntaufend Hdufern beſteht, und es | 

| 





fchwer it, für viele Haushaltungen zumal zu forgen,, warum 
haft dm nicht zuerft dich daran gemacht, einer einzelnen: Haus⸗ 
haltung, der deines Oheims aufzuhelfen ‚ Se bedayf deſſen. 
Gelingt es dir bei tiefer, fo masft Du auch ‚mit mehreren den 
Verſuch machen; kannſt du aber einer einzelnen nicht helfen, 
wie koͤnnteſt du bei vielen etwas ausrichten? Wenn Einer 
Ein Talent *) nicht tragen kann, muß man es ähm nech-fa= u 
gen, daß er es mit -mehreren auch nicht Eimmal verſuchen | 
fote? — Blanc. Da ſollte es bei mir nicht fehten. cd, 
weilte ſchon meinem Ohein wieder aufhelfen, wenn er mir 
nur folgen wollte. — Soecr. Die? du kannſt deinen Ohelm 
nicht dazu bewegen, und meinſt, “bu würdeſt ganz Mühen 
ſammt deinem Oheim dahin bringen koaͤnnen, bir Zu gehor⸗ 
chen ? Nimm dich in Acht, Glaucon, daß du nicht über dem 
Streben nach Ruhm dir das Gegentheil zuziehſt. Sieht du 
nicht: wie gefährlich es ift, wenn man Etwas nicht verſteht, 





5 Kalent, ‚hier qls Gewicht, und gwar als Attiſches. Es be⸗ 
trug zwiſchen 55 und 536 Pfund .unfetes Cewichts. Wurm, 
de ponderibus etc, ©, 47. 


10 * 


540 Renophon's Erinnerungen an Socrates. 


and doch davon reden oder ſich damit befaffen will? denke an 
Andere, die diefen Zehler machen, und fprechen und thun, 
was fie nicht verſtehen. Was gewinnen fie damit ? Lob .oder 
Tadel ? Bewunderung oder Beratung? And denke dann 
auc an Die, welche verfichen, was fie fagen und was fie 
thun. Ich meine, du werdeft finden, daß durhaus Ruhm 
und Bewunderung den Einſichtsvollſten zu Theil wird, Schande 
und Verachtung dagegen die Unwifjendften trifft. Iſt es dir 
daher um Ruhm und Bewunderung im politifchen Fache zu 
thum, fo laß dir vor Allem angelegen ſeyn, in den Beruf, 
den du bir wählft, die nöthige Einſicht dir zu verfchaffen s 


biſt du darin den Andern überlegen, wenn du als Staats: 


wann auftrittſt, fo fol micdy’s wundern, wenn es dir nicht 
eine Kleinigkeit ift, deine Wünfche zu erreichen.‘ 
: .9. Bei Charmides, *) dem Sohne des Glaucon, war es 


gerade umgekehrt, Er befaß fehr achtungswerthe Eigenſchaf⸗ 


7 


ten, und fand an Talenten und Einſichten weis über den 
damaligen Staatsmännern; dennoch Eonnte er ſich nicht ents 
fehließen, vor dem Volke aufzutreten, und ſich in die Leitung 


des Staates zu mifhen. Dieß veranlaßte den Socrates gu 


‚folgender Unterredung mit ihm: Socr, „Höre, Charmides, 


‚wenn Einer die erforderlichen Cigenfchaften hätte, um ben 


Preis in den äffentlihen Wettkämpfen zu gewinnen, und das 


durch ſich ſelbſt Ruhm und Ehre, und feinem Vaterlande 





*) Derſelbe, deſſen Namen ein platoniſcher Dialog fuͤhrt. 
Ueber feine Berwandtſchaft mit Plato, ſ. zu C. 6. Seinen 
Todb erzählt Xenoph. Griech. Geſch. II, 4, 


Drittes Bud). 541 


‚neuen Glanz in Griechenland zu erwerben, und er wollte 
nicht in den Kampf ſich einlaffen: was würdeſt du von dem 
Manne benken? — Charm. Daß er weichlid, und feig fey, 
begreiflich — Soc Und wenn Einer das Talent und Die 
Kunſt befäße, wofern er nur ſich der Staatsgefchäfte anneh⸗ 
men wollte, den Staat empor zu bringen und ſich ſelbſt in 
Anſehen zu ſetzen, aber er koͤunte ſich dazu nicht entſchließen, 
würde er dann nicht mit allen Rechte für feig gelten? — 
Eharm. Es mag ſeyn; aber wozu machſt du diefe Frage an 
mih? — Soer. Weil ich finde, daß du mit allen Talenten 
und Einſichten dich nicht entfchließen kannſt, dich um Angele⸗ 
genheiten zu befümmern, welche dir ſchon als Bürger unmögs 
lich gleichgültig ſeyn können. — Charm. Was haft du denk 


für Proben von meinen Fähigkeiten, daß du fo won mir ur⸗ 


theiſſt? — Soer. Du unterhälk did je und je mit den 
Staatsmännern, und da finde ich ſtets deine Rathſchlaͤge aut, 
wenn fie dich über Etwas befragen, und deine Ausſtellungen 
richtig, wenn fie einen SGehler machen. — Charm, & if 
darum doch nicht einerlei, Socrates, in Eleineren Eirkeln 
feine Meinung zu fagen, und vor einer Menge Volkes mit 
einer formlichen Rede aufzutreten. — Socr. Aber Wer eins 
mal rechnen kann, rechnet doch vor einer Menge Volks fo 
gut, als allein, und Wer für fi am beften die Cither fpielt, 
trägt auch vor einer Menge Volks den Preis davon. — 
Charm. Ja, wenn Schüchternheit und Angft nicht wäre ! 
Siehft du denn nicht, daß die den Menfchen angeboren find, 
und Einem in dffentlihen Verſammlungen weit mehr, als in 
kleineren Cirkeln zu ſchaffen mahen? — Soer. Eben bar: 





543° Xenophon's Erinnerungen An Socrates. 


amp wollte th did, hinteiten, daß, *) während die Verſtaͤn⸗ 
digſten dich nicht einzuſchüchtern, die Mächtigften dich nicht 
in Augſt zu bringen vermögen, du vor.einem-unwiffenden und 
unmaͤchtigen Volkshaufen aufzutreten dich fchämft.- Vor Wem 
braͤuchſt du denn dich zu fehamen? Bor den Walken, Zim⸗ 
merleuten, Schuftern, Schniieden, Bauern‘, Kanflenten oder 
Marktkrämern, deren Trachten dahin geht, wohlfeil einzu: 
kaufen unb theuer zu veraufen ? denn aus diefen Allen iſt 
die Boiksverſammlung zufammengefebt, Kommſt du dir nicht 
felbſt ſo vor, wie wenn Einer den Fechtmeiſter zu Schanden 
macht, und vor einem Stümper Augſt hat? du machſt dir 
Michtes davand, **) vor den erſten Männern im Staate, deren 
Einitge hoch auf Dh herab’ fehen, beine Meinung zu fagens 
du biſt Denen, die fich mit oͤfſentlichen Vorträgen beichäfti« 
gen, weit Überlegen, und vor Leuten, die noch nie fich um 
Politiſches bekümmert und did, nicht gering gefchägt haben, 
nimmſt du Anſtand dic Hören zu laſſen, aus Furcht, du 
önntert verlacht werden. — Charm. Wie? bu glaubſt nicht, 
daß in der Volksverſammlung oft Solche ausgelacht werben, 
die ganz vernunftig ſprechen? — Socr. Rım, Dieß geſchieht 
auch bei ben Andern. Darum eben kann ich dich nicht bes 
greifen, daß dit mit Jenen, wenn fie lachen, fo leicht fertig 
wirft; und mit Diefen auf keine Weife umgehen zu koͤnnen 
mein, Mein Berker, bleibe nicht mit Bir ſelbſt unbekannt, 
und hüte bich vor dem Fehler, im den ſo viele Menſchen ver⸗ 
5 
*) Orte mit Weiste, Say und Heebft. 
+) mit Ei: iv ya - : . Scyeider eV Ydo . « +3 
als Frage. Ebenſo Herbſt. 


— 


Drittes Buch. 949 


fallen. Der größte Theil geht darauf ans, in-die Angele— 
genheifen Underer hineinzufehen, und. denkt nicht daran, ſich 
felbft zu prüfen. Verſäume Dieſes ja nicht; firenge vielmehr 
alle deine Kraft an, auf dic ſelbſt Acht zu haben, und ver⸗ 
nachläßige den Staat nicht, wenn du Etwas zu Verheſſerung 
feines Zuſtandes beitzagen kannſt. Denn wenn es mit dem, 
Staate gut fteht, fo werden die heilfamen Folgen danon nicht 
nur anf. die übrigen Bürger, fonbern aud) auf deine eigenen, 
Freunde und auf dich ſelbſt ſich erſtrecken.“ 

8. Einf verſuchte es Yriftipp, *) den Socrates in Ver: 
legenheit .zu feßen, wie er. von ihm vorher darein geſetzt 
worbeu war. Socrates wollte diefe Unterhaltung für feine 
Fraunde nüslic machen und. antwortete nicht, wie Einer, 
der. ſich in Acht nimmt, daß. er nicht. irgendwie den. Streitz 
punft aus den Augen verliere, **)- fondern mit der. vollen Zu⸗ 
verficht, daß er die Sache recht asıgyeife. ***) Ariftipp fragte 
ihn, ob er Etwas .wiffe, das gut wäre. Würde Secrates 
Speife, Trank, Geld, Gefundheit, Stärke, Muth oder Aehn⸗ 
liches nennen, fo wollte er. ihm nämlich zeigen, daß biefe 
Dinge zuweilen Uebel feyen. Aber Socrates ging von dem 


% 





*) Vol. II, 1. 

**) Mit Herbſt aus Handſchriften: og Ay TIETTELGLEVOL 
dlısa noaTTEv Ta dEovra. Oder nad Schneiders 
hnlichen Vorſchlaͤgen. 

2) So eretaͤren wir den etwas dunkeln Ausbruc ZnaAlayIi. 
Schneider und: Herdſti vorſtehen ihn fü: „daß bie fiveitige 
Game nicht zweidentͤg und zweifelhaft gemacht werde.“ 
Schuͤn ſchlaͤgt 7 TomanadAaxIT vor: „daß ihnen bie 
Streitfrage nicht entriffen werde. 





I 


544 Xenophon's Erinnerungen an Socrates. 


beftimmten Tal aus, wo man Beichwerben empfindet unb 
ein Gegenmittel fucht, und gab ihm fo die befte Antwort, 


. die fich geben ließ. „Fragſt du mich,” fagte er, „ob ich Et: 


was kenne, was für das Fieber gut it ? — Arift. Nein, — 
Socr. Oder für das Augenäbel? — Ariſt. Auch Dieß 
nicht. — Soer. Oder für den Hunger? — Ariſt.«Auch das 
für nicht. — Socr. Nun, wenn du mid, fragft, ob ic) etwas 
Gutes wife, das zu Nichts gut tft, fo geftehe ih, ich weiß 
Peines, umd fuche Feines der Art.‘ 

Yriftipp fragte ihn ferner, ob er irgend einen fchönen 
Gegenſtand Tenne? Socr. „Sa, mehr ald nur Einen. — 
Ariſt. Sind fle alle einander ähnlich ?- Socr. Zum Theil 
fo wenig, als nur möglich if. — Arift. Wie kann nun Et⸗ 
was fchön ſeyn, was mit Anderem, das fchön ift, Unaͤhnlich⸗ 
keit Hat? —J Soer. In der That: ift doch dem Menfchen, 
der zu einem Läufer fchön ift, ein Anderer unähnlich, ber 
ſchön ift zum Ringers und kann doch auch ein Schild zu 
einer Schupwarfe fchön ſeyn, und ift doch himmelweit vers 
ſchieden von einem WBurffpieße, der für den Zweck eines kraͤf⸗ 
tigen Schwunges und rafchen Fluges ſchön genug if, — 
Arift. Deine Antwort iſt nicht um das mindefte anders, 
als wie ich did fragte, ob du etwas Gutes kenneſt. — 
Socr. Findeft du denn einem Unterfchied zwifchen Gut und 
Schön? Weißt bu nicht, daß Alles aus Einem und ebendems 
ſelben Grunde fhön und gut if? die Tugend, zum Beifpiek, 
iſt nicht aus dem einen Grunde gut, und aus dem andern 
ſchön; fo find es auch bei den Menfchen diefeiben Eigenſchaf⸗ 
ten und diefelden Rüdfihten, um welcher willen man fie 
ſchön und gut nennt; und aus denfelben Rückſichten, aus 


Drittes Buch. 545 


welchen man einen Körper für fchön erkennt, wird er auch 
für gut erkannt, und fo ift es durchaus mit Allem, was bie 
Menſchen gebrauchen. Es gilt für fhön und fir gut, immer 
in derfeiben Beziehung, in welcher es ſich brauchbar ers 
weißt. — Arift. Sp ift alfo auch ein Miſtkorb etwas Schoͤ⸗ 
nes? — Soer. In der That, und ein goldener Schild etwas 
Haͤßliches, fo bald jener für feine Beſtimmung fchön gemacht 
ift, und diefer fchlecht. — Arift. Du meinft ein und derfelbe 
SGegenftand Fönne fchön und häßlich fun? — Socr. Ia, 
und gut und ſchlimm zugleich. Denn oft ift, was für den 
Hunger gut ift, für dad Fieber fchlimm, und was für das 
Fieber gut ift, für den Hunger ſchlimm; und was für das 
Laufen fchön ift, ift für das Ringen Häßfich, und was für 
das Ringen fchön ift, ift für das Laufen häßlich. Alles ift 
eben fchön und gut, wie es ſich zu Etwas wohl eignet, und 
ſchlimm und haͤßlich, wie es fih zu Etwas fchlecht eignet.‘ 
Wenn er auf diefelbe Weife von den Hänfern fagte, daß 
bei ihnen Schönheit und Zweckmaͤßigkeit zaufammenfallen,, fo 
finde ich darin einen lehrreichen Wink, wie ein Haus ſeyn 
müffe, wenn man eined baue. Er nahm dabei folgenden 
Bang. Er fragte: „Iſt's nicht fo? Wer ein Haus haben will, 
wie man es braucht, der muß es daranf anlegen, daß es zum 
Darinwohnen alle möglichen Annehmlichkeiten und Gelegen⸗ 
heiten bdarbieter Gab man ihm Dieß zu: fo fragte er: 
„Gehoͤrt es nicht zur Annehmlichkeit eines Hanfes, daß es 
im Sommer kühl und im Winter warm ſey?“ Wurde auch 
Diefes bejaht, fo fuhr er fort: „Scheint nicht die Sonne bei den 
gegen Mittag fehenden Hänfern des Winters ın die Hallen hin⸗ 
ein, und läßt und des Sommers im Schatten, weil fie da gerade 


. 546  Zenophon’d Erinnerungen an Socrated. 


über und und den Däcdern hinweg geht. Sol Dieß nun 
fo: ſeyn, fo wird das Haus gegen Mittag höher gebaut. wer» 
den müflen, damit die Winterfonne nicht ausgefchloffen werde, 
und gegen Norden niedriger, damit die Falten Winde nicht 
hinein Pönnen? mit Einem Worte, die angenehmfle und 
ſchönſte Wohnung ift die, wo man in jeder Jahreszeit für ſich 
die angenehmfte Zufludyt, und für feine Habfeligkeiten bie 
ſicherſte Niederlage findet. Gemälde und Verzierungen dage 
gen rauben mehr Genuß, als fie geben.’ Für Tempel und 
Altäre ferner, meinte er, fey ein Plab un fo geeigneter, je 
mehr der Anblick deffelben freigegeben, der Zutritt zu ihn 
erſchwert ſey. Es ſey fo angenehm, bei’m Gebete ihn vor 
Augen zu haben, und bei dem Gange dahin vor Verunrei⸗ 
nigung *) fiher zu feon. 

9 Man fragte ihn auch wegen der Tapferkeit, ob fie 
Gegenſtand des Unterrichts oder eine Gabe der Natur ſey. 
Er gab zur Antwort: „Wie ein Körper fchon von Natur 
mehr ertragen kann, als der andere, fo denke ich, kann 
auch eine Seele fchon von Natur den Gefahren mehr froben, 
als eine andere. Denn die Erfahrung lehrt, daß zwifchen 
Zeuten, die ganz nad) denfelben Gefegen und Gebräuchen ers 
zogen werden, in Abſicht auf Herzhaftigkeit ein bedeutender 
Unterſchied Statt findet. Gleichwohl glaube ich, daß die na⸗ 
gürliche Tapferkeit, fie mag.fo groß oder fo Elein ſeyn, ale 
fie will, bei jedem Dienfchen durch Uebung und Unterricht 
noch gewinnen tönne. Denn offenbar würden die Scythen 





*) Die auf betretenen Straßen häufiger ift, als auf einfamen 
Plaͤtzen. 


Drittes Buch; 547 


und Thracier ed nicht wagen, mit Schild und Lanze gegen 
die Lacedaͤmonier zu fechten, und eben fo wenig würden bie 
Lacedämonter Luft haben, mit leichten Schilden und Wurfs 
fpießen gegen die Thracier oder mit dem: Bogen gegen bie 
Schthen zu kämpfen, Auch in allen andern Stüden findet 
fih, wie ich fehe, dieſelbe natürliche Verſchiedenheit dev 
Menſchen vpn einander und dieſelbe Faͤhigkeit, durch Uebung 
ſich zu vervollkommnen, wieder; woraus erhellt, daß alle 
Menſchen, die fähigeren fo gut, als die minder begabten, in 
dem Fache, worin fie etwas Teiften wollen, Uebung und Uns 
terricht nöthte haben.“ Weisheit und Sittlichkeit *) trennte 
er nicht von einander; er behauptete, Wer das Schöne und 
Gute kenne, wende es auch aufs Leben am, -und Wer wifle, 
was unedel fey, Der fliehe es, und fey Beides inkEines 
Derfon, weife und fittlich. Als man ihn noch überdieß 
fragte, ob er Diejenigen für weife und mäßig erkenne, welche 
wiffen, was fie thun follten, aber das Gegentheil thun, fo 
antwortete er: „So wenig, als Einen, der unweife und uns 
mäsig zugleich ift. **) Denn nach meinem Dafürhasten wählt: 
ich der Menſch, wenn er Etwas thut, aus Allem was mögs 
lich tft, Dasjenige aus, was er für fi am vortheilhafteften 
achtet: Wer daher wicht recht handelt, kann fo wenig weile, 
als ſittlich ſeyn.“ Auch Die Gerechtigkeit und überhaupt, Was 





*) gtoppoovn. Hier wohl raum bush Nuͤchternheit zu 
uͤverſetzen. 

*) Nach Herbſl's richtigerer Ertärung, die er der Schneider'⸗ 
ſchen entgegen ſetzt. Ebenſo Schuͤtz, der mit Hindenburg 
ben Artitel Tag hinzufuͤgt. 





548 Xenophon's Erinnerungen an Socrates. 


man fonft unter Tugend verfteht, rechnete er zur Weisheit. 
Die Aeußerungen ber Gerechtigkeit, fo wie Alles, was die Tu⸗ 
gend wirkte, feyen fchön und aut. Das Schöne und Gute dürfe 
man nur kennen, um ihn nichts Anderes vorzuziehen; ohne 
daß man es kenne, feyg man nicht einmal im Stande es zu 
üben; felbft, wenn man es verſuche, müfle es dann mißlin⸗ 
gen. So fey alfo auch die Hebung des Schönen und Guten 
Sache des Weifen, und Wer nicht weife ſey, fey wicht im 
Stande ed zu vollbringen. Da nun, wie fcdhon angegeben, 
die Yeußerungen der Gerechtigkeit und Alles, was die Tugend 
fonft wirft, eben unter dad Gute und Schöne gehöre, fo 
‚sehdre offenbar auch die Gerechtigkeit und Was fonft Tugend 
heiße, zur Weisheit. Wahnſinn erklärte er für das Gegen: 
theil von Weisheit; body erkannte er Unwifienheit noch nicht 
für Wahnfinn. Aber ſich ſelbſt nicht Lennen, und Anderes, 
als man weiß, anzunehmen, und fogar glauden, man wiſſe 
es, Das, meinte er, grenze zunächft an Wahnfinn, Gewöhns 
lich jedod) nenne man Das nody nicht Wahnfinn, wenn Einer 
fih in Etwas irre, was die Meiften nicht willen; nur ein 
Irrthum in Dingen, bie ein Feder wiſſe, werde fo genannt. 
Wenn 3. B. Einer fi) für fo groß halte, daß er ſich büde, 
wenn er durch das Stadtthor gehe, oder für fo flark, daß er 
es verfuche, Häufer auf die Schultern zu nehmen, oder fonft 
an offenbare Unmödglichkeiten gehe, Den erkläre man für 
wahnfinnig. Uber Eleinere Irrthumer gelten gewöhntich nicht 
für Wahnfian, fondern wie man, um verliebt zu heißen, 
einen mächtigen Trieb haben müfle, fo werde auch nur eine 
bedeutende Verrücktheit des Verſtandes Wahnfinn genannt. 
Wenn er über dad Wefen des Neides Betrachtungen an⸗ 


Drittes Buch. 549 


fieite, fo fand er, daß es in einer Art von Mißvergnägen 
beftebe, fo wenig jedoch mit dem Mißvergnügen über das 
Unglück von Freunden, als mit dem über bad Glück von 
Feinden etwas gemein habe; Neid ſey einzig und allein bie 
wnangenehme Empfindung Aber das Glück unferer Freunde, 
Und als Einige es nicht begreifen wollten, wie man Einen 
Sieben und über deffen Glück mißvergnügt feyn könne, fo ers 
innerte er, es komme fehr häufig vor, daß Leute Einem in 
der Noth ihre Theilnahme nicht verfagen köͤnnen, und ihm 
fein Unglüd zu erleichtern fuchen, und doch es ungerne fehen, 
wenn ed ihm glücklich gehe. Nur einem vernünftigen Manne 
könne Dieß nicht wohl begegnen; die Thoren eben feyen ſol⸗ 
er Empfindungen fähig. Be feinen Betrachtungen über den 
Müßiggang glaubte er zu finden, daß zwar dberfigrößte Theil 
Etwas thue; *) and die Spieler und Poffenreißer thun Et⸗ 
was; aber Diefe feyen doc, lauter Müßiggänger; denn fie 
feyen ja nicht gehindert, an etwas Beſſeres zu gehen. Hin⸗ 
gegen habe Niemand Muße, von befferen Befchäftigungen zu 
ſchlechteren überzugehen; und wenn ed Jemand thue, fo thue 
er übel daran, weil er keine Muße dazu habe, Könige. und 
Obrigkeiten, fagfe er, feyen nicht Diejenigen, welche ben 
Scepter führen, noch Die, welche es durdy die Wahl der 
niebrigften Volksclaſſe oder durch das Loos, oder durch Ges 
walt oder durch Betrug geworden ſeyen, fondern Diejenigen, 
welche zu herrichen verfichen. Sobald ihm Jemand zuges 
geben hatte, daß der Beruf des Herrichers ſey, zu befehlen, 





+) Wir verwerfen mit Erneſti, Zeune, Schuͤtz und Herbſt 
Schneiders aus dem cod. Voss. 1. entiehnten Zuſatz. 


550 Xenophon’s Erinnerungen an Socrates. 


was gefchehen folle, und ber bes Untergebenen, zu gehorchen, 
49 zeigte er, daß auf dem Schiffe der Kundige berrfche, und 
der Eigenthümer des Schiffes nebfl der ganzen übrigen Mann⸗ 
ſchaft dem Kundigen gehorche, und ebenfo in der Landwirth⸗ 
ſchaft der Sigenthümer des Gutes, in Krankheiten die Kraus 
ten, bei den Leibesübungen Die, welche fi) üben; und daß 
durchaus einteber, beffen Eigenthum einer Aufficht bebürfe, 
zwar in dem alle fie ſeibſt übernehme, wenn er ſich dazu 
die Einfichten zutraue, im entgegengefshten Falle dagegen den 
Kundigen nicht nur gehorche, wenn er fie bei der Hand 
Habe ,S fondern auch, ‚wenn fle nicht da feyen, nad) ihnen 
ſchicke, um fi) von ihnen vorſchreiben zu laſſen, und eine 
Sache verht anzugreifen. Bes Wollenarbeiten wies er fogar 
sach, daß Hier die Weiber das Regiment über die Männer 
führen, weit Jene ſich auf die Bearbeitung der Wolle ver⸗ 
stehen, und Diefe nicht. Brachte man hingegen bas Beifpiel 
eines Tyrannen“) vor, als fen Diefer durch Nichts gehunben, 
erftändigen Rathgebern zu gehorchen, fo erwicherte.er: „Mie 
ſollte ex durch Nichts gebunden ſeyn zu gehorchen, wenn auf 
dem Ungehorfame gegen gute Rathgeber eine "Strafe -ficht ? 
Henn es mag Siner -onten: Rath verachten in Was «6 and) 
ſey, fo macht er gewiß einen Fehler, und ber Fehler zieht 
immer Strafe nach ſich.“ Sagte Einer‘, ein Thrann babe 
iſogar die Macht, den Verſtaͤndigen zu todten, fo fragte er 





) Tyrann, im Einne der riechen, iſt verſchieden non Dem, 
was wir jetzt Tyrann heiſſen, und bezeichnet blos Den, 
welcher gagen hie Geſetze ſich zum Regenen aufwirft, und 
wiber den Willen feiner Unterthanen, nicht nach ben Ge⸗ 
ſetzen, ſondern nach eigener Willkuͤhr regiert, Vgl. IV, 6. 


Drittes Buch, 551 


ihn: „Meint du, wenn Einer die Beſten feiner Kampfge⸗ 
noffen tödte, fo komme er ungeflraft oder etwa mit einer 
feichten Strafe davon? Was glaubft du denn, daß die Folge 
davon ſeyn werde? daß er eher fein Leben davon trage, oder 
daß er um fo fihneller feinen Tod finde?" Jemand fragte 
ihn, was er für das Beſte halte, worauf fih ein Mann le⸗ 
gen inne? „Sein Glück zu machen’ *) antwortete ex. Auf 
die weitere Frage, ob er glaube, daß man auch darauf fi 
tegen könne, Glück zu haben, entgegnete er: „Haben und 
Machen find mir ganz verfchiedene Begriffe; Gluͤck Haben 
nenne ich, wenn Einer ungeſucht Etwas findet, wie er’s 
braucht; es mache Einer fein Glück, fage ich dann, wenn ihm 
Etwas gelingt, wozu er fi "durch Unterricht und Uebung 
vorbereitet hat.“ Auch erklärte er für die vortrefflichſten 
und von den Goͤttern am meiften geliebten Menfchen in der 
Landwirthſchaft Diejenigen, die als Landwirthe, in ber Heil⸗ 
kunde Diejenigen, die ald Aerzte, in der Stautskunſt Dieje⸗ 
nigen, die ald Staatsmänner ihr Glück machen; Wer hin⸗ 
‚gegen in gar Nichts fein Glück mache, Dem ſprach er alle 
Brauchbarteit und Bunft ber Gbtter ab. 

ı0. Auch den Künftlern und Handwerkern, bie mit 
Ihrer Kunſt ein Gewerbe trieben, wußte er ſich nüstich zu 
machen, wenn er ſich mit ihnen in ein Sefpräd) einließ. So 





*) „Sein Gluͤck machen” Mi zwar als ein. aus dem Branzdfis 
Segen herlber gekonmmener Ausbruit: gewoͤhnlich nicht mehr 
und nit weniger, als Biäcd Haben. Über an: dem «Eries 
chiſchen möglichft nahe zu kommen, ift hier Machen in 

. feiner urfpränglicden Bebentung, wenn auch gegen ben 
Sprachgebrauth, genommen, 


554 Kenophon’s Erinnerungen an Socrates. 


Stellung gegeben werden, und weißt ba fo fie treffender und 
täufchender zu mahen? — Elit, Genau fi. — Soer. 
Macht es aber nicht den Betraditenden Vergnügen, wenn 
auch die Gemüthsbewegungen an den in Handlung vorgeftelffen 
Körpern nachgebitdet fund? — Elit. Natürlich. — Soer. 
Sp müffen alſo aud) die Kämpfenden_mit drohendem Blicke, 
die Steger mit fröhlichen Antlitze abgebilvet werden? — 
Erlit. Sicher. — Soecr. Der Bildhaner muß alſo die 
Thätigbeiten der Seele in dem Bilde ausdrücken.“ 

Alszer [ein andermal] zu dem Panzermacher Piſtias *) 
kam, fo zeigte ihm Diefer mehrere ſchön gearbeitete Panzer. — 
Socr. „In der That, Piltiad, eine fchöne Erfindung, daß 
der Panzer diejenigen Theile des -Menfchen bededt, die es 
nöthig haben, umd doch den Freien Gebrauch der Hände nicht 
beſchränkt. Aber höre, Piſtias, warum verfaufft du deitte 
Danzer theurer, und fie find doch nicht: flärker und koſtbarer, 
als andere? — Piſt. Sie Hnd beffer proportionire, So⸗ 
rates E— GSocr Wenn es alfo die Proportion ift, was 
du dir befier bezahlen läßſt, nach was taxirſt bu fie, nad) 
dem’ Maße oder nach dem Gewichte ?F Denn du kannſt fie 
doc, nicht alle gleich oder einander ähnlich machen, wenn fle 
anders paflen follen. — Piſtias. Fa, paſſen müffen fie 
freilich; denn fonft taugt ein Panzer gar nichts. — Socr. 
Sind num nicht einige Menſchen gufffproportionirt, andere 
ſchlecht? — Piſt. Allerdings. — Sver. Wie kann mın 


*) Pitias nach Einigen Derſelbe mit Piſton bei Athenaͤue 
, 20. 


A 


Drittes Buch. 555 


bein Panzer gut proportionirt ſeyn, wenn er einem Schlecht⸗ 
- peoportionirten paßt? — Piſt. So gut ald er paßt; denn 
paffen heißt gut proportionirt feyn — Socr. Du fpridft, 
wie es fcheint, nicht von Proporeionirtfeyn an ſich, fendern 
in Beziehung auf Den, welcher fid, einer Sache bedient; ger | 
N rade wie wenn du fägen wollteft, ein Schild ſey proportio⸗ 
nirt für Den, welchem er paſſe, und fo müßte es nach deiner 
Anfiche auch mit einem Mantel und mit Allem durchaus ſeyn. 
Vislleicht hat ed übrigens auch fonft nicht geringe Vortheile, 
wenn ein Panzer paßt, — Piſt. Sage mird, wenn du 
einen weißt. — Socr. Ein Panzer, ber paßt, drückt nicht 
fo ſchmer, als ein andrer von demfelben Gewichte, der nicht 
paßt. Ein folcher muß unbequem und Täftig ſeyn, weil er 
entweder ganz an den Schultern hängt, oder einen andern 
Theil des Körpers ſtark drüdt; wenn er hingegen paßt, fo 
ift die Schwere auf Schlüffelbeine, Schultern, Bruft, Rüden 
und Magen vertheilt; man betrachtet ihn eigentlich nicht als 
Etwas, was man zu tragen hat, ſondern als eine bloße Zugabe. 
— Piſt. Eben Dieß iſt es, warum ich meinen Atbeiten ſo 
hohen Werth beilege. Gleichwohl kaufen Einige lieber Pan⸗ 
zer mit Verzierungen und Gold. — Socr. Allein, went 
fie darum Peine paffende kaufen, fo Laufen fie fich ja ein vers 
zierted und vergoldeted Uebel, Indeß, wenn der Körper 
nicht in der Ruhe ift, fondern bald ſich krümmt, bald fid) 
aufrichtet, wie kann dann ein genau anliegender Panzer paffen 2 
— Piſt. Unmoͤglich. — Socr. Du meinfl, um zu paffen, 
dürfe der Panzer nidyt genau anliegen; er folle nur beim 
Gebrauche Feine Befchwerde machen? — Pit. Du machſt 
11 


wu. u 


.- tr up. 


356 Kenophon’s Erinnerungen an Socrates. 


mich erft hierauf aufmerkſam *), und ich finde deine Anficht 
vollkommen richtig.” j 

11. Einmal befand ſich in Athen eine fchöne Frau, mit 
Namen Theodota”**), die um Geld und gute Worte leicht den 
"Männern gefällig wurde. Einer’ der Anweſenden erwähnte 
ihrer, und bemerkte, ihre Schönheit gehe über allen Aue: 
druck; die Maler befuchten fie, um fie abzubilden, und fie 
zeige ihnen alle ihre Reize, fo weit es der Anſtand erlaube. 
„So wäre ed der Mühe werth, fagte Socrates, daß man 
Hinginge und fie fähes denn durchs Hörenfagen bekommt man 
Seine Anfchauung von Dem, was über allen Ausdruck erha⸗ 
den if. „Kommt nur mit mir, fiel der Berichterftatter 
ein, und gleich brac Alles auf zu Theodota. Sie ſtand chen 
einem Maler, wie fie hinfamen, und konnte von ihnen mit 
aller Bequemlichkeit betrachtet werden. Wie der Maler fer: 
tig war, fing Socrates an: „Lieben Freunde, Wer ift dem 
Andern mehr Dank fchultig, wir der Theodota, daß fie ung 
ihre Schönheit fehen ließ, oder fie ung, daß wir fie gefehen 
haben? Entweber fie hat von dem Schenlaffen mehr Nutzen, 
fo muß fie und Dan? wiffen; oder wir von dem Sehen, fo 
find wir ihr Dank ſchuldig.“ Us man ihm hierin Recht 
gab, fo fuhr er fort: „Hat num fie nicht bereits gewonnen 





*) Nach der Vulgata auTog-Atyeıg mit Zeune und Hervſt. 

**) Tyeodota wird, nad Saneider, von Libanius unter bie 
erften Hetären Griechenlands gerechnet. Nach Athenaͤus 
im dreisehnten Buche hatte fie naher mit Alcibiades Um⸗ 
gang gehabt, und ihn nach feinem Tode mit ihrem Ge 
wande bedeckt, verbrannt. Auch Aelian XIII, 32. ers 
mwähnt fie, 





Drittes Buch, 997 


an unferm Zobe, und noc, größeren Gewinn zu hoffen, wenn 
wir die Sache unter die Leute bringen, während wir ſchon 
jest zugreifen möchten nach Dem, was wir.gefehen, mit 
- Getüften weggehen, und zu Haufe nach ihr ſchmachten werden ? 
Auf diefe Art find wir die Sclaven, fie ift die Gebieterin.“ 
„In der That, unterbrach ihn Theodota, wenn die Sache fo 
fteht, fo müßte Ich Euch für dad Schen Dank willen.’ Hier 
bemerkte Socrates den koſtbaren Anzug an ihr felbft, neben 
ihr ihre Mutter in einem Gewande und Putze von nicht ge= 
meiner Art, eine Menge wohl geftalteter Dienerinnen, an 
denen eben fo wenig etwas verfäumt war, fo wie die ganze 
reiche Einrichtung des Hauſes. „Höre, Theodota, fing er 
an, haſt du ein Grundeigenthum? — Theod. Mein. — 
Socr. ber ein Haus, von dem du Einkünfte Halt?! — 
Thod. Auch Fein Haus. — Socr. Aber vielleicht Sclaven, 
die ein Handwerd treiben? — Theod. Auch Dieß nicht. — 
Socr. Von Was lebſt du denn? — Theod. Wenn Einer, 
den ich zum Freunde gewonnen, mir erfenntlich feyn will, 
darin befteht mein Einkommen. — Gocr. In der That, 
Zheodota, es ift ein ſchönes Befisthum, ein ohne allen Ber: 
gleich herrlicheres, als Schaafe, Stiere.und Ziegen, wein man 
eine Heerde Freunde befist. Uber überläßft du Dieß dem 
Zufalfe, ob ein Freund, wie eine Mücke zu dir herfliegt, 
oder wendeſt du felbft auch Mittel an? — Theod. Wie 
könnte ich dazu Mittel finden? — Socr. Wahrhaftig mie 
allem Zug noch eher, ald die Spinnen; denn du weißt doc), 
Daß diefe auf ihre Nahrung Jagd machen; fie weben feine 
Netze, und Was darein geräth, das muß ihnen zur Nahrung 
dienen. — Theo». Du wilft alfo auch mir den Rath =. 





558  Zenophon’d Erinnerungen an Socrated. - 


"hen, eine Art Fangneß zu weben? — Gocr Du] mußt 
-eben nicht meinen, es werde fo ganz einfach damit zugehen, 
das vorzüglichfte Weidwerk, die Freunde, zu fangen. Sichft 
du nicht, DAB man fchen um dad fchlechtefte, die Hafen, zu 
fangen , eine Menge Kunftgriffe anwendet? Weil fie bed 
Nachts auf die Weide geben, fo fchafft man ſich Hunde an, 
die bei Nacht jagen, und fängt fie mit diefen; weil fie bei 
Tage wieder ſich flüchten, fo Eauft man fid) anbere Hunde, 
welche den Weg, welchen die Hafen von der Weide in ihr 
Lager genommen, auswittern, und fie fo auffindens weil 
ſte vermöge ihrer Schnelligkeit, aud wenn man fie laufen 
ſieht, leicht entkonımen, fo fieht man ſich wieber um andere, 
ſchnelle Hunde nm, fie im Laufe einzuholen; weil fie aber 


auch diefen zuweilen entkommen, fo ftelt man Garne auf bie 


Pfade, auf denen fie- entfliehen, damit fie in diele fallen und 
fi verwickeln. — Theod. Welches Biefer Mittel könnte 
ih nun gebrauchen, um Freunde zu fangen? — Soer. 
Du Fönnteft in der That ſtatt eined Hundes dich um Jemand 
umſehen, der die Gabe hätte, die Liebhaber des Schönen 
und die reichen Herren aufzufpüren, und es fo zu richten, 
daß er fie in deine Ttebe triebde. — Theod. Und was habe 
ich denn für Rebe? — Socr. Das eine und zwar eines, 
wit den du fehr wohl zu umfchkingen weißt, ift dein Körper; 
Bas andere ift im demſelben, deine Seele, welche dich lehrt, 


darch Blüte zu beglücken, und durch Worte zu ergdben; Die, - 


welche ſich deiner annehmen, frenndfich einzufaffen, und Des 
en, welche vornehm thun, die Thüre zu verfchfießen; in 
Krankheiten fergfättig nach ben Freunde zu fehen, amd wenn 
er etwas Schönes zu Wege gebracht, herzlichen Ancheil an 


Drittes Buch. 839 


ſeiner Freude zu nehmen, und Dem, ber ſich angelegentlich 
um deine Gunſt bewirbt, van ganzer Seele gefällig zu wer⸗ 
den. Zu lieben weißt bu -ferner, wie mir wahl befannt iſt, 
wicht blos wollüſtig, ſondern auch mahlwsliend, und daß dir 
deine Freunde  werth *) find, daron pflegſt du nicht mit dem 
Munde, ſondern durch die That fie zu vergewiſſern. — Theod. 
Wahrhaftig ich bediene mich Feines diefer Mittel. — Socr. 
Und doch konmt fo viel darauf an, daß man einen Menſchen 
feiner- Natur gemäß und richtig behandle. Denn mit Ge⸗ 
- walt läßt fih ein Freund weder fangen noch feſthalten; nur 
Gefaͤlligkeiten und Annehmlichkeiten ud die geeigneten Mättel, 
dieſes Thier zu fangen und zum Bleiben zu gewöhnen. — 
Theod. Ganz richtige. — Socr. Das mußt. daher vor 
Allem son Denjenigen, welche. fi um deine Gunft£bewerben, 
nur ſolche Gefältigkeiten fordern, auf die ihnen nicht diel au⸗ 
kommt; fodann felbft ihre Gefälfigfeiten durch Gunftbezeu- 
gungen ähnlicher Urt erwiekern. "Denn Dieß Hi die beſte 
Weiſe, fie zu Freunden zu gewinnen, der Fortdauer ihrer 
Liebe Ach zu verfichern, uud felbft wichtige Dienſterweiſun⸗ 
gen von ihnen zu erzielen. Worzägfich werden deine Gunſt⸗ 
Bezeugungen dann Anerkennung finden, wenn du damit war⸗ 
teſt, bis fe nach ihnen verlangen. Die lederiten Gpeifen 
verlieren ihren Geſchmack, wenn mau fie aufträgt, ebe der 
Appetit ſich einflellt, und fie werken fogar zum Efel, wenn 
dieſer geſtillt ifks macht wan dagegen, das die Bäfte hungert, 
— — 

*) Nach Schneiders allgemein gebilligter Eonjectur dossol 

ftatt & 4504. 





560 Zenophon’s Erinnerungen an Socrated. 


ehe man die Speiſen aufträgt, fo werden ſelbſt fchlechtere 
Speifen ganz fkmadhaft. — Theod. Wie könnte ich num 
machen, daß Einen nad) meinen Bunftbezeugungen hungerte ? 
— Socr. In der That, gar wohl; du dürfteſt nur Denen, 
die fchon fatt find, dieſelben weder aufbringen, noch fie dazu 
auffordern, bis die Sättigung vorüber und das Verlangen 
darnach wieder eingetreten wäre; und um Diejenigen aufzus 
fEdern, welche ein Verlangen haben, ja recht züdytig mit 
ihnen kofen, und bald Dich geneigt zeigen, ihnen gefällig zu 
werden, bald wieder fpröde fhun, bis ihr Verlangen auf das 
höchfte gefteigert wäre. . Denn da bekommt eine und diefelbe 
Gabe einen weit höheren Werth, als wenn fie gewährt wird, 
ehe man fie begehrt. — Theod. Wollteſt du nicht mein 
Gehülfe werden, Sotcrates, wenn idy auf den Freundefang 
ausgehe ?— Gocr Ya der That, recht gerne, wein du 
mich dazu gewinnſt. — Theod. Wie bift du denn zu ges 
winnen? — Gocr. Da wirt du fchon felbft auf Mittel 
und Wege denken, wenn bu mic, nöthie haft. — Theod. 
Sp ſtelle Dich vecht oft bei mir in. — Socr (Seine Zu⸗ 
rüdgezogenheit von allen Geſchaͤften in’s Scherzhafte ziehend.) 
Es will mir eben nicht recht gelingen, Zeit zu finden, Then» 
dota. Eine Menge eigener und öffentlicher Geſchäfte raubt 
mir alle meine Zeit. Und dann. habe ich noch Freundinnen *), 
die ich Liebesmittel amd Zauberlieder lehre; die werden midy 
Tag und Nacht nicht von fich Iaffen. — Theod. WVerſtehſt 
du denn dich auch auf ſolche Mitte? — Socr. Warum 


*) Er verfieht darunter feine Freunde und Scquͤler. 


Drittes Buch. 561 


meinft bu denn, daß Apollodorus*) hier und Antifthenes **) 
nie von mir weihen? Daß Cebes ***) und Simias von Thes 
ben herkommen ?_ Das kann ohne eine Menge von Zauber 
mitteln, Zauberliedern und Bauberrädern +) nicht abgehen. — 
Theod. So leihe mir doch dein Zauberrads; dann kann ich 
ed wegen deiner umdrehen. — Socr. Wahrhaftig, ich will 
nicht zu dir hingelockt feyn, fondern du fouft zu mir kommen. 
— Theod. Ohne Anftand, ich komme, laß mich nur ein. — 
Socr. Es bleibt dabei, ich laſſe dich ein, wenn nicht ges 
rade eine Fiebere Freundin bei mir iſt.“ 

12. Epigenes +1), Einer feiner Freunde, war jung und kör⸗ 
perlich vernadhyläffigt. Als daher Socrates ihm einmal bes 
gegnete, fing er an: „an dir fieht man ja audy nicht eine 
Spur von Gymnaſtik, Epigenes! — Epig Mit der Gym 
naſtik bin ich freifich quitt. — — Socr. Du? fo wenig, als 
Einer, der in Olympia mitkämpfen wit. Oder achteft du 
den Kampf mit den Feinden auf eben und Tod, den bie 





*) Mvellohor vol. Xenoph. Apologie $. 28. Plato Gaſtmahl. 
2. Phaͤdo 6. 2. und 66. 

**) ointifthenes, bier das belfannte Haupt ber Epniter. 

***) Mor, J, 2, Ende, 

1) Im Griechiſchen ivy&, ein Vogel, Wendehals genannt, 
dem man befondere Zauberkraft beilegte. Namentlich band 
man ihn an ein Nad, das man umdrehte, den Liebhaber 
herbeizuholen, ober Einen verliebt zu machen, und dieſes 
Rad hieß dann, wie der Vogel. 

++) Epigenes, Sohn des Antiphon von Athen; Socrates führt 
bu unter feinen Geſellſchaftern auf bei Plato in der Apo⸗ 
Iogie. Ein Anderer Epigenes, Sohn bes Erito; bei Diog. 
Eaërt. II, 121. 





362 Zenophon’d Erinnerungen an Socrates. 


Uthener alle Augenblide verauflalten können, fo wenig? 
Muß doch mehr ald Einer im Kriege wegen Vernachläffigung 
des Körpers fein Leben hergeben, oder mit feiner Ehre ed 
erkaufenz Mancher aus demfelben Gruude fich lebendig ger 
fangen geben, und entweder fein übriges Leben , vielleicht *) 
in der drüdendften Sclaverei hinbringen, oder nachdem er 
Sammer und Noth genug ausgeftanden, und oft mehr, ale 
er überhaupt hatte, für feine Loslaſſung bezahlt hat, Zeit 
feines Zebens in Dürftigkeit und Elend ſchmachten; Mandyer 
endlich fi) in übeln Auf gebracht fehen, weil man es ihm 
als Feigheit auslegt, wenn er wegen körperlichen Unvermö⸗ 
gend den Gefahren fich entzieht. Oder febeft du did, über 
diefe Strafen körperlicher DVeruachläffigung hisweg, und 
meinft du fie leicht überfichen zu können ? Da-finde ich bad) 
die Uebungen noch weit leichter. und angenehmer, denen man 
fi unterwerfen muß, um den Körper zu Härten *). Oder 
meinft du Vernachläſſigung bes Körpers fey für die Geſund⸗ 
heit und in anderer Hinſicht zuträglicher, ald Hebung? Ders 
achteft du die Vortheile, welche Uebung gewährt? Geht es 
doch Denen, welche den Körper üben, ganz anders, ald Des 
nen, welche ihn vernachläffieen. Wer den Körper Abt, iſt 
gefund und ſtark, und Mancher ift dadurch in den Stanb ges 
fept, mit Ehren fein Leben aus den Schlachten davon zu 
tragen und duch ale Gefahren ſich durchzuhelfen; Manz 
her, feinen Freunden zu dienen und dem Daterlande zu nüben, 


*) JavBro TUXWOL Rubnten, Zeune, Schneider uud Schäs 
| halten che zureichenden GBrunb biefe Torte für unaͤcht. 
*) Auch diefe orte haͤlt Schneider für undst. 


Drittes Buch. 563 


dadurch Dank, Ruhm und die ausgezeichnetſten Ehrenbezeu⸗ 
‚gungen einzuernten, den Reſt feines Lebens vergnügter und 
geehrter hinzubringen, und feinen Kindern anfehnlichere Mittel 
zum Fortkommen zu hinterlaften. Darım, daß der Staat 
fi nicht der Bildung für den Kriegsdienft annimmt, muß 
man nicht auch für. fich diefelbe vernachläffigen, fondern mit 
- nicht geringerem Eifer ihr obliegen. Denn es kann bei keinem 
andern Kampfe und überhaupt bei Feiner Verrichtung Nach» 
£heilbringen, wenn man den Körper beffer gewöhnt hat; er wird 
zu Allem, was die Menfchen treiben, gebraucht, und wo er 
gebraucht wird, da kommt ja Alles darauf an, daß man ihn 
aups beſte geübt habe. Ja ſelbſt da, wo man meinen follte, 
daß der Körper am wenigften dabei zu thun habe, beim Den- 
fen, Wer weiß ed nicht, daß felbit hier oft große Fehler ges 
macht werben, wenn der Körper nicht in gefundem Zuſtande 
it? Auch Vergeßlichkeit, Muthlofigkeit, Mißlaune umd 
Wahnſinn falten oft in Folge Förperlicher Vernachläffigung 
wit ſolcher Macht über die Denkkraft her, daß fie felbft den 
Verluſt der erworbenen Kenntaiffe herbeiführen. Wer den 
- Körper übt, kann ruhig fern, und hat wenigftend wegen Ders 
nachläffigung deſſelben Nichts der Art zu fürchten. Im Ge: 
gentheife muß Uebung des Körpers gerade die entgegenges 
ſetzten Wirkungen Hervorbringen. Was folfte daher einem 
vernünftigen Menfchen zu viel fega, um dieſer Vortheile fich 
theiihaftig zu machen? Aber es ift auch eine Schande, vor 
ianter Nachlaͤſſigkeit alt zu werden, che man ſich auf dem 
Gipfel feiner möglichen Schönheit und Stärke gefehen hat. 
Dieß kann man dod) unmöglich, ohne daß man ſich übt; denn 
von feld Yommi es nicht.“ 





⸗ 


564 Xenophon's Erinnerungen an Socrates. 


13. Einer war einmal böfe, daß ihm ein Anderer ben 
Gruß nicht erwiebert hatte. „Es ift doch Tächerlich, fagte 
Socrates, daß du nicht böfe wirft, wenn du Einem mit vers 
nachläffigterem Körper begegneft, und es dich verbrießen Läffeft, 
daß du auf Einen mit roherer Seele geftoßen biſt.“ Ein An- 
derer klagte, daß ihm das Effen nicht ſchmecke. „Akumenns *), 
fagte Soerates, weiß ein gutes Mittel dagegen.” „Was für 
eines, '' fragte Jener. Sccrated antwortete, man folle das 
Effen aufgeben, und dann, fagte er, werde man wieder mit 
mehr Luſt und wohlfeiler und gefunder effen. 

Wieder ein Anderer Elagte, daß in feinem Brunnen das 
Waſſer, das er trinke, warm ſey. Socrates ſagte: „Wenn 
du alſo warm baden willſt, fo haft du die beſte Gelegenheit 
dazu. — Der And. Es ift zu kalt zum Baden. — Soer. 
Bekommt ed alfo auch deinen Sclaven übel, wenn file es 
trinken, und fidy darin baden? — Der And. Wein, id 
habe mic, im Gegentheil fhon oft wundern mäflen, wie gut 
es ihnen zu beiden Zwecken zuſagt. — Socr. Welches 
Waſſer iſt denn waͤrmer, das in deinem Brunnen oder das im Tem⸗ 
el) des Aesculapius? — Der And. Das Letztere **). — 





*) Akumenus, ein berühmter Arzt jener Zeit, mit dem So: 
rates gut befannt war. Er und fein Sohn Eryximachus 
find dfters Hei Plato erwähnt, befonders im Phaͤdrus, im 
Protagoras und im Gaſtmahl. 

*+) Der Tempel ded Aesculapius Tag nah Pauſanias I, 21. 
am Wege vom Theater auf die Ucropolis. Auch der Quelle 
gedenkt er, aber ohne ihre Heilkraft zu berühren. Daß 
übrigend Kranke diefen Tempel befuchten, erhellt aus Ari⸗ 
ſtophanes Plutus. 655 ff. 

*+*) Hier nimmt Herbſt ans einigen Handſchriften deu allerdings 


Drittes Buch. 565 


Sper. So merke dir’d, daß bu fchwerer zufrieden zu ſtellen 
bift, ald Sclaven nnd Kranke. 

Einen, der feinen Bedienten füchtig abzüchtigte, fragte 
Socrates, warum er über den Sclaven böfe fey? Die Ante- 
wort war: „weil er immer Nichts will, als Fleifch effen und 
für Nichts forgen, und Geld einftreichen und Nichte arbeiten.‘ 
„Gut, fagte Socrates, und haft du auch fchon nachgedacht, Wer 
von Beiden beffer Schläge brauchen kann, dur oder dein Sclave?“ 

Einem war bange vor der Reife nad) Olympia. „Was 
rum ift bir bange vor der Reife ?'’ fragte Socrates. „Gehſt 
du nicht andy) zu Haufe den ganzen Tag hin und hers und 
was haft du auf der Reife dahin Anders zu thun, «ld zu 
gehen, und zu Mittage zu fpeifen, und wieder zu gehen und 
zu Abend zu fpeifen und did, zur Ruhe zu legen? Siehſt du 
nicht ein, daß du nur die Gänge, die du. in fünf bis feche 
Tagen: machſt, an einander reihen dürfteſt, um ganz bequem 
von Athen nach Olympia zu fommen? Und od) angenehmer 
ift es, wenn du lieber um einen Zag früher abgehft, als zu 
fpät kommſt. Denn die Zagereifen über Gebühr verlängern 
zu möüffen, ift befchwerlichs Hingegen zu den Reifefagen einen 
Hinzu zu ſetzen, macht große Erleichterung. Beſſer alfo, man 
eile mit dem Abgang, ald auf der Reiſe.“ 

Ein’ Anderer beſchwerte fi, daß er von einer langen 


EZ 


—NNU 





paſſenden Zuſatz auf. — „Socr. Und wo läßt es ſich 
kuͤhler baden, in Deinem Waſſer, oder in dem des Am: 
phiaraus? — Der Andere: in dem des Amphiaraus.“ 
(Die fogenannte Amphiarausquelle befand fi in der Nähe 
der. Bbotiſchen Stadt Dropus, bei einem Seine, nad 
Pauſanias Aitica I, 34, 3.) 


In 3 


566 Xenophon's Erinnerungen an Socrates. 


Reiſe her ganz gelähmt ſey. Socrates fragte ihn, od er audy 
Etwas getragen habe? — Der And. Nein, Das nicht, 
anßer meinen Mantel. — Gocr Und reifteft du allein, 
oder hatteft du nody einen Bedienten bei dir? — Der And. ' 
Den hatte ich bei mir. — Soer. ing er leer, oder hatte 
er Etwas zu tragen? — Der And. Ja, er frug die Tep⸗ 
piche *) und mein übriges Gepäcke. — Socr. Und wie kam 
er bei der Reife weg? — Der Und Mir feheint, beffer 
als ih. — Sper Nun, und wenn bu fein Gepäde hätteft 
fragen müffen, wie meinft du, daß dir’s ergangen wäre? — 
Der And, Schlimm, in der That, oder vielmehr ich hätte 
ed gar nicht dabei ansgehaften. — Socr. So wenig kannſt 
du es deinem Sclaven im Ausdauern gleich thun ? Wie meinfk 
du, vertrage fih Das mit einem Manne, der ſich der Leis 
besübung beftiffen ? 

14. Wenn bei gemeinfchaftlichen Gaſtmahlen ein Theil 
Beine, ein anderer große Fleifchportionen mitbracdhte, fo hieß 
Socrates den Aufwärter die Eleinen Portionen entweder für 
Federmann in die Mitte ftellen, oder Jedem davon austhei⸗ 
fen. So fchämten fih Die, welche die großen Portionen 
mitbrachten, von Dem, was in der Mitte ftand, Nichts zu 
nehmen ‚- und fchämten fich davon zu nehmen, ohne das Ih⸗ 
rige dagegen vorzuſetzen. Sie ftellten daher auch das Ihrige, 
in die Mitte, und da fie um Nichts beffer daran waren, als 
Die, welche wenig brachten, fo unterließen fie es, für die 
Zukunft viel für Fleifch auszugeben. 





*) Hier find Decken uͤber Betten gemzint, bie man auf Reifen 
bei ſich zu führen pflegte, 


Drittes Buch, 567 


Einft bemerkte er, daß Einer der Tifchgenoffen aufgehört 
hatte, Brod zu effen, und das Fleifch allein af. Da gerade 
von dem Grunde der einzelnen Benennungen die Rede war, 
fo fing Sorrates an: „Könnten wir fagen, Freunde, warum 
man einen Menfchen ein Fleiſchmaul nennt? Es ift je 
doch Jedermann zu feinem Brode Fleifch, wenn er's hat; 
aber darum nennt man ihn, wie ich denfe, noch Fein Fleifchs 
mat. — Einer der Anwefenden. Bei Leibe nicht. — 
Soer. Nun, und wenn Einer Fleifch allein ohne Brod ißt, 
nicht der Leibesübnngen wegen, fondern zum Vergnügen, fol 
Dieß ein Fleiſchmaul feyn oder nit? — Der Bor. Schwer: 
lich ein Anderer, wenn Der keines if. — Ein Anderer 
der AUnwefenden Wenn aber Eimer wenig Brod und 
vier Fleifch dazu ißt? — Socr. Mir fcheint, auch Den 
nenne man mit Recht ein Fleiſchmaulz und wenn andere 
Menfchen die Götter um ein gutes Fruchtjahr bitten; fo muß 
er von Rechts wegen um ein gutes Fleifchjahr bitten.” Heer 
führte fich der junge Mann getroffen, und aß zwar Fleiſch 
fort, aber nahm Brod dazu. „Gebt Acht auf Diefen, rief 
Socrates, der es bemerkte, ben Nachbarn Deſſelben zu, ob 
er das Brod als Fleiſch, oder das Fleiſch ald Brod ißt.“ 

Einen Andern unter den Tifchgenoffen fah Socrates zu 
Einem Biffen von mehreren Fleifchgerichten nehmen, „Kan 
es, faste er, eine Eoftfpieligere oder die Speifen mehr ver- 
derbende Kochkunft geben, als die iſt, wenn man vielerlei 
zumal ißt, und zu gleicher Zeit Speifen von dem verfchiedene 
ftien Gefhmad in de Mund nimmer Einmal werden hier 
die Speifen aus mehreren Beftandtheilen zuſammengeſetzt, 
als bei den Köchen, und daher theurerz dann werden bier 


568 Xenophon's Erinnerungen an Socrates. 


Dinge gemifcht, welche Gene als mit einander unverfräglid, 
nicht mifchen, und dadurch wird, wenn anders Jene richtig 
verfahren ‚ein Fehler gemacht; und ihre Kunft vernichtet. 
Und ift es nicht Tächerlich , fich die gefchickteften Köche anzu⸗ 
ſchaffen, und felbft, ohne auch nur ihrer Kunft ſich zu be⸗ 
fleiffen, mit ihren Zubereitungen Aenderungen vorzunehmen ? 
Auch Hat die Gewohnheit, von Mehrerem zumal zu eflen, 
noch einen andern Nachtheil. Wenn nicht mehrere Gerichte 
vorhanden find, fo kommt man ja eigentlich zu kurz, wenn | 
man nad) dem Gewöhnfichen fidy fehnt; ift man dagegen ges 
wöhnt, nur Ein Gericht zu Einem Stüde Brod zu effen, 
fo kann man, wein nicht mehrere Gerichte vorhanden find, 
ganz bequem mit dem Einen’ fidh begnügen.‘ 

Auch bemerkte er, daß Eſſen in der Sprache der Athener 
„wohl Ichen” heiße *), das Wörtchen „wohl“ ftehe dabei, weil 
zu Eifen Speifen gehören, welche weder die Seele noch den 
Leib befchweren, und nicht ſchwer aufzufinden ſeyen. And 
damit fprady er auch den Vorzug des Wohllebens Denen zu, 
welche mäßig leben. 





.*) eboxXeidaı kommt von öx, bie Speife, ber, nad 
Athenaͤus und Euſtachius. 


Kensphons von Athen 


Fuͤnftes Bändchen. 





Erinnerungen an Socrates, 
viertes Bud; 
Bertheidigung des Socrates 


und r 
Saftmapl; 
überſetzt 


von 
Chriſtoph Eberhard Finckh, 


Ooktor der Philoſophie, Repetenten am evangeliſch⸗etheologiſchen 
Seminarium zu Tuͤbingen. 


— 


—— — —— — — 


Stuttgart, 
 Derlag der I. B. Metz ler ſchen Buchhandlung. 


Kür Oeſtreich in Commiſſion von Mörſchner und Jaſper 
in Wien. 


1828. 





Ä Xenophon's 
Erinnerungen an [aus den Lehrgeſpraͤchen und 
| dem Leben bes] Socrates. 





Subalt des vierten Buches. 





Cap. 1. Socrates war auf jede Weife und in allen Stuͤcken 
nüglih Denen, welche mit ihm umgingen. Namentlich fuchte er 
Juͤnglinge, bei denen er gute Anlagen entdeckte, an fich zu ziehen; 
aber er behandelte fie verſchieden nach ihrer verfchiedenen Eigenthuͤm⸗ 
lichteit; anders Die, welche wegen ihrer guten Anlagen alle Bil 
dung verſchmaͤhten; anders Die, welche wegen ihres Reichthums 
feiner Bildung zu bedärfen glaubten; Cap. 2. anders Die, welche 
die Hefte Bildung erhalten zu haben meinten, und fit auf ihre 
Weisheit Etwas einbitdeten. LUnterredung mit Euthydemus, der die⸗ 
fen Sehler Hatte, worin er ihn zur Erkenntniß feiner Unwiſſenheit 
fünt. Cap. 3. Das Erſte, worauf Socrated bei feinen Lehr⸗ 
lingen Hinarbeitete, war Befonnenheit, zuerft in Beziehung auf bie 
Götter ober Gottesfurcht. Unterredung mit Euthydenus hierüber, 
Eap. 4: Sodann in Beziehung anf bie Menfchen, oder Gerechtig⸗ 
Kit, Sein Beifpiel in dieſer Hinſicht, und Unterrebung mit bem 
Eleer Hippias Über den Begriff der Gerechtigkeit, Cop, 5. Aber 
auch für das tHätige Leben machte er fie brauchbar durch Em⸗ 
pfehlung ber Selbſtbeherrſchung. Unterredung mit Euthydemus 
hieruͤber. Cap. 6. Er Hildete fie ferner zu guten Nebnern, 
indem er fie zu richtiger Beſtimmung ber Begriffe von den 








574 Xenophon's Erinnerungen an Socrates. 


Dingen anleitete. Beifpiele davon. Eigenes Verfahren des So⸗ 
crates, wenn er Jemand zi widerlegen ober Etwas zu bemweifen 
hatte. Cap. 7. Er fuchte fie endlich felsftftändig zu machen für 
alle Berhältniffe des Kebens durch ben Unterricht, den er ihnen 
gab oder verſchaffte In Allem, was ein Gebildeter zu wiffen braucht, 
durch die Hinweiſung auf die Grenzen, wie weit fie in ber Meß: 
kunſt, Sternkunde und Rechentunſt fid, einlaffen ſollen, durch Em⸗ 
pfehlung ber Sorge für Geſundheit und der Wahrſagerkunſi. 
Eap. 8. Die Thatſache, daß Socrates vernetheilt wurde, fpricht 
nicht gegen feine Behauptung, daß die Gottheit ihm andente, was 
er thun und Laffen ſolle. Er hätte ohne Diefes nicht mehr lange 
gelebt ; er entging fo den Beichwerben bes Alters und erwarb 
fiy noch Ruhm durch die Art, wie er feinen Rob ertrug. 
Dieß ertannte Socrates ſelbſt. Seine Erklaͤrung hierüber am 
Hermogened. 





| Vierte Bud. 


(| 


1. Die Fälle in welchen, und die Art und Weife auf 
welche Socrates ſich nüslich zu machen wußte, waren fo mans 
nichfaltig, daß Einer nicht wohl fo wenig DBerftand haben 
konnte, um nicht einzufehen, daß Nichts vortheilhafter war, 
als mit Socrates umzugehen und bei ihm zu feyn, wo nur 
und bei weldyem Falle ed auch fenn mochte; da fchon die Er⸗ 
innerung an ihn, wenn er nicht da war, bei Denen, weldye 
gewöhnficdh mit ihm umgingen und fi) an ihn hielten, nicht 
geringen Nutzen ftiftete. Denn bei ihm war ber Scherz fo 
gewinnreich für feine Freunde, als der Ernſt. So erklärte 
er fich oft für den Liebhaber diefes oder jenes Jünglings; 
aber man konnte wohl fehen, daß er nicht auf jugendliche 


Viertes Buch. x 595 


Schönheit des Körpers, fondern auf Leute von edeln Anlagen 
des Geiftes ein Auge Hatte. Auf gute Anlagen fchloß er 
naͤmlich, wenn Einer ſchuell faßte, was er angriff, im Ges 
daͤchtniſſe behielt, was er gelernt hatte, und Zrieb nach allen 
den Kenutniffen und Einſichten an dert Tag legte, welche er: 
forderlich find, um fowoh! dem eigenen Haufe als dem Staate 
mit Ehren vorzuftehen, und überhaupt mit Menfchen und im 
Menfchenteben ſich benehmen zu können. Denn Einer, bei 
dem fich diefe Eigenfchaften finden, meinte er, würde, wenn 
er Unterricht bekomme, nicht nur ferbft glücklich werden, und 
feinen eigenen Haushalt gut befürgen, fondern aud, andere 
Menſchen und ganze Staaten glüdtich machen können. Die 
Art ferbft, wie er ihnen beizufommen fuchte, war nicht bei 
Allen diefelbe. War Einem alles Lernen gleichgüftig, weil 
ex dachte, er habe einen guten Kopf, fo zeigte ihm Socrates, 
daß gerade die beften Köpfe den Unterricht am nöthigften 
haben. Er wies ihm an den Pferden nad), daß diejenigen. 
. welche am meiften verfprechen, weil fie muthig und rafch 
feyen,. nur dann auch die frömmften und beften Pferde abge: 
ben, wenn fie in Zeiten zugeritten werben; wenn aber Diefes 
unterbleibe, die wildeften und fchlechteften. Auch die Hunde 
führte er an: bie beften haben von Natur einen Trieb, ſich 
Etwas zu thun zu machen, und auf das Wild Toszugehen; 
werben fie nun abgerichtet, fo gebe es gar Beine beffere Hunbe 
zur Jagd und Feine nuͤtzlicherg; bleiben fle aber unabgerichtet, 
fo werden fie Käppifch, böfe und widerſpenſtig. So fey es 
num auch bei den Menfchen. Je befiere Anlagen fie haben, 
deſto mufhiger feyen fie an Geift und deſto tüchtiger, was fie 
einmal angreifen, and) durchzuführen; deſto beffer und nüslis 


v 





576 Xenophon's Erinnerungen an Socrates. 


cher werden fie daher auch, wenn fie durch Unterricht gebifs 
def werden, und lernen, was file zu thun und zu laffen haben; 
fie wirken dann Vieles und Großes zum Beften ihrer Nebens 
menfchen; aber auch defto fchlechter und verderblicher werben 
fie, wenn file ohne Bildung und Unterricht bleiben; außer 
Standes zu beurtheilen, was fie zu thun und zu laffen ha⸗ 
ben, befchäftigen fie fich oft mit fchlechten Dingen, und ſeyen 
dann als Männer von hochfahrendem Geiſte und heftiger Ges 
mäthsart weder im Zaume zu halten noch abzubringen; daher 
stifte au) Niemand mehr und größeres ‚Unheil, ats fit. 
Fünglinge, die anf ihren Reichthum pochten, und Beine Bil: 
dung nöthig zu haben glaubten, in der Meinung, mit ihrem 
Reichthum überall zum Ziele gelangen und bei den Leuten 
fi) in Anſehen ſetzen zu Eönnen, fuchte er auf folgende Weife 
zurecht zu bringen. Es müßte Einer ein Thor ſeyn, ſagte 
er, wenn er glauben wollte, er kͤune Räslicdhes und Schab⸗ 
liches unterfcheiden, ohne es gelernt zu. haben; und ebenſo 
müßte Einer ein Thor ſeyn, wenn er, ohne: diefen Unterſchieb 
machen zu Fönnen, forert auch das Nuͤtzliche treffen gu fünnen 
meinte, weil er vermöge ſeines Reichthums fid, baufen könne, 
was er wolle; es müßte endlich Einer eimfältig fegn, wenn 
er, ohne das Nutzliche treffen zu können, ſich glücklich uud 
fein. Fortkommen gut oder hinreichend geſichert glaubte; ein⸗ 
fältig müßte Einer aber. auch daun ſeyn, wenn er auf feinen 
Reichthum die Hoffnung gründgge, ohne auch nur das Mine 
befte zu verfichen, in. Etwas Yıh das Zutrauen Anderer 
erwerben, ober, ohne diefes zu beiisen, in Gewas-glängen 
zu können. _ 


Bierted Buch. 577 


2. *) Wie aber Socrates ſich gegen Diejenigen benoms 

men, welche die trefflichſte Bildung genoffen zu haben glaube 
ten, und auf ihre Weisheit id) Etwas einbildeten, mag aus Fol⸗ 
gendem erhellen. Er wußte, daß Euthydemus, **) mit dem 
Beinamen der Schöne, einen großen Vorrath von Schriften 
der berühmteften Dichter und Sophiften ſich gefammelt hatte, 
und auf Diefes hin ſchon ſich fchmeichelie, an Weisheit weit 
über feinen Altersgenoſſen zu flehen, und ſich große Hoffnung. 
machte, als Redner und Geſchaͤftsmaun mit der Zeit Alles 
Hinter fi zu laſſen. Er hatte ferner gehört, daß Euthyde⸗ 
mus, weil er wegen feiner Jugend noch nicht in die Ver⸗ 
fammlungen den Zutritt hatte, in einer Riemerswerkftätte in 
der Nähe des Verſammlungsplatzes fi aufhalte, wenn er 
Etwas durchgeſetzt wiſſen wollte. Dahin ging er daher auch, 
und nahm anfangs Einige feiner Freunde mit fih. Das 
erftemal nun fragte Semand, ob Themiſtocles durch den Um⸗ 
gang mit Einem der Weifen oder durch natürliches Geſchick 
fihh fo hoch unter feinen Mithürgern gehoben habe, daß der 
Staat auf ihn fein Auge geworfen, went er einen vechten 
Mann bendthigt gewefen fey? Socrates, der den Euthydemus 
heraus fordern wollte, nahm von diefer Frage Veranlaffung 
zu fagen: es fey doch einfältig zu glauben, daß die größte 
Kunft von allen, die, einen Staat zu regieren, den Menfchen 
vor felbft Eomme, wenn doch allgemein anerkannt werde, daß 





*) Scyneider bemertt, daB diefes Capitel ungefchict von bein vos. 
‚rigen geitennt, vielmehr dem Inhalt und der Wortftellung 
nach unzertvennlich von demfelben fey. 


**) Euthydem, hier Derſelbe, wie I, 2, 
Kenophon. 58 Boͤchn. 2 


578 Xenophon’s Erimerungen an Socrates. 


man es in bem: gemeinſten Künfen. ohne gute Lehrmeiſter 
nie zu etwas. Mechtem: bringen könne. Ein andermal, wie 
Euthydemus wieder zugegen war, ſah Soerates, wie er ſich 
aus der Gefellfchaft beifeits machte und gefliffentfich alfen: 
Anſchein vermied, als ob er ihn um feine Weisheit anfinunte, 
Socrates fagte daher zu ben: Mebrigen: „daß diefer Euthy⸗ 
demus hier, wenn er einmal das gehörige Alter erreicht Hat, 
bei Aufforderungen von Seiten ded Staates nicht ermangein 
wird, mit feinen Rathfdylägen: hervorzutreten, das läßt ſich 
fchon jebt nad, feinem ganzen Treiben erwarten Er muß: 
übrigend auf einen ſchönen Eingang zu. feinen Volksreden 
hedacht ſeyn; denn er gibt ſich ale Mühe, ja nicht das Anſe⸗ 
hen zu haben, als ob er von Jemand Etwas lerute. Ohne 
Zweifel wird er bei feinem erften Auftritt alſo anfangen: 
„„Nie zwar, ihr Männer von Athen, habe ich von irgenb- 
Jemand Etwas gelernt, nod wenn ich von tüchtigen Rednern 
und Gefchäftsmännern hörte, ihren Umgang. gefucht, noch 
unter. den Kunſtverſtändigen mich um einen Lehrmeiſter umges 
fchen; im Gegentheite, ich habe ſteto mich‘ in Acht genom⸗ 
men, vor Jemand Etwas zw lernen; fogar den: Schein davon 
habe icy zu vermeiden geſucht. Dennoch Was mir von ſeibſt 
in den Sinn kommt, will. ich euch nicht vorenthalten.““ Gin 
ſoicher Eingang würde fi befonders auch in. dem Munde 
Derjenigen gut ausnehmen, die bei dem Staat eine Auſtel⸗ 
lung als Aerzte ſuchen. Ganz zwedmäßig würden fie ihre 
Rede damit eröffnen: „„Mie zwar, ihr Männer von: Vishen, 
habe ich von irgend Jemund die Heilkunde erlernt, noch irs 
gend einen Arzt zum, Lehrmeifter zu bekommen gefrachtetz 
denn ich hätete mid, jeder Seit ſchon vor dem bloßen Scheine, 


Viertes Buch. 579 


Diefe Kanſt gelernt zu haben, geſchweige deun davor, wirklich 
Etwas von den. Aerzten zu lernen. Aber macht :mich- immer⸗ 
hin zu eurem Arzte; ich will mir alle Mühe geben, durch 
Berfuche- an euch zu lernen.““ Alle Anweſende lachten über 
dieſen Eingang. Euthydemus wurde jest: ſichtbarlich anf Das, 
was Socrates ſprach, aufmerkſam, aber noch nahm er ſich in 
Acht, ſelbſt einen Laut vom ſich zu geben, und glaubte durch 
fein Stillſchweigen ſich das: Anſehen eines nachdenkenden 
Maunnes zu geben. Um ihm auch: Dieſes abzuthun, fing So⸗ 
erates an: „es iſt dach fonderbar, daß Diejenigen, welche die 
Zither oder die Flöte fpielen oder reiten oder: fonfk: etwas 
Dergleichen lernen wollen, in der Kunſt, worin fleı es: zur 
Fertigkeit bringen. wollen, unahbäßig: und nid nur für: ſich 
und. allein; fondern bei Denen, bie: für. die größten: Meier 
darin gelten, ſich üben, und Alles ſich gefallen Iaffen, um: 
nur Nichts gegen: den Nach Diefer: zu than, als: ob fie-andere- 
unmöglic, es zu etwas: Hechtem bringen koͤnnten; und: daß 
bagegen von Denen; weiche. Redner und: Staatsmaͤnuer wer⸗ 
ben: wolten-, @inige ſich einbilden, fie werden ohne Vorberei⸗ 
tung und Uebung. mit. Einemmale von: ſeibſt dazu tüchtig 
werden. Und gleichwohl ſind dieſe Kuͤnſte ſo ungleich ſchwie⸗ 
riger abs jene, daß, wenn ſie auch weit mehrere Liebhaber finden, 
dennoch bie Zahl Derer, welche ihrer mächtig. werden, weit 
kleiner iſt, als bei den üͤbrigen. Offenbar :maß-alfe auch bie 
Uebung bei Deuen:, welche für die letzteren fick: hefkimmen, 
weit häufigen und: angeftreugten ſehn, als bei Denen, welche 
für die zuerft genannten ſich entfchieden haben.“ Ga ließ 
fi Soerates anfangs vernehmen, und Euthydemas fpielte 
dabei den bloßen Zuhorer; wie aber Socrates mextie, daß 
2 


580 Eenophon's Erinnerungen an Socrates. 


Euthydemns wilfiger Stand hielt, wenn er ſprach, und auf⸗ 
. merbfamer zubörte, fo begab er ſich nunmehr allein in die 
Riemerswerkftättes Euthydemus feste fid) zu ihm hin, und 
Soerates fing an: „Höre einmal, Euthydemus, verhält es 
ſich wirklich fo wie ich höre, daB du fo viele Schriften ber 
Männer, die man unter die Gelehrten zählt, beifammen 
haft? — Euth. Ja, Socrates; umd ich febe die Sammlung 
noch fort, bis ich fie fo vonftändig als möglich befomme. — 
Socr. In Wahrheit, ich habe Achtung vor dir, daß es dir 
mehr um Schäbe der Weisheit zu thun iſt, als um foldhe 
von Gold und Silber; man flieht, du bift der Meinung, daß 
Gold und Silber die Menfchen um nichts beffer machen, hin⸗ 
gegen die Lehren weifer Männer Diejenigen, die in ihrem 
Befipe find, mit Tugend bereichern.” Euthydemus war voller 
Freude, Dieb zu hören, und meinte, Socrates fey ganz ein⸗ 
verftanden mit der Ark, wie er ſich der Weisheit befleiffige. 
Socrates bemerkte, daß ihm diefes Lob fchmeichelte, und fuhr 
fort: „Auf Was ift denn dein Augenmerk gerichtet, DaB du 
dir jene Schriften ſammelſt?“ Euthydemus ſchwieg und befann 
fid) auf eine Antwort. Socrates fragte weiter: „Willſt du 
ein Arzt werden? denn auch von Aerzten gibt es eine Menge 
Schriften. — Euth. Nein, wahrhaftig nicht. — Socr. Aber 
vielleicht ein Baumeifter ? denn. auch dazu gehört ein belefes 
ner Wann. — Euth. Keineswegs. — Socr. Oder wiltft du 
ein guter Beometer werden, wie Theoborus? ) — Euth. 
Auch kein Geometer, — Socr. Oder ein Sternkundiger? — 





*) Theodorus von Cyrene, Lehrer des Socrates in der Geomes 
wieke, auch bei Plato im Theaͤtet erwähnt, Bel. unten ©, 7. 


Diertes Buch. 581 


Euth. Auch Dieß nicht. — Socx. Aber doc, ein Ahapfode ? 
benn du folk ia auch die Gedichte des Homer alle *) be⸗ 
fisen. — Euth. Nein, gewiß nicht; die Rhapfoden haben zwar 
die Gedichte ganz genau im Kopfe; aber fie ſelbſt find die 
eiafältigften Leute von der Welt. — Soer. Du wirft doch 
nicht etwa nach der Vollkommenheit fireben, weiche Einen zu 
dem Berufe eines Staatsmannes und Staatswirthes und 
zu obrigkeitlihen Würden befähigt, und in den Stand 
fest, fid) und Anderen nüblicdy zu werden? — Euth. Aller: 
dings ift es’ diefe Vollkommenheit, nad) der ich ſtrebe. — 
Soer. In der That, die fchönfte Vollkommenheit und die 
größte Kunft, nach der man ftreben kann; es ift Dieß die 
Kunft der Könige, und fie Heißt die Königskunſt. Aber haft 
du ſchon erwogen, ob ed moͤglich iſt, es darin zu Etwas zu 
bringen, ohne gerecht zu fen? — Euth. Freilich habe ich 
Dieb erwogen; ohne Gerechtigkeit kann man nicht einmal ein 
guter Bürger ſeyn. — Socr. Nun, und ift es bei dir damit 
fhon richtig? — Euth. Ich ſchmeichle mir, in der Gerech⸗ 
tigkeit Niemand nachzuftehen. — Socr. Haben die Gerech⸗ 
ten nicht auch ihre beftimmten Verrihfungen, wie die Sim: 
mermeifter zum Beiſpiel? — Euth. Sanz fü. — Socr. Die 
Zimmermeifter können und ihre Verrichtungen vorzeigen: 
können nicht die Gerechten ebenfo die ihrigen angeben? — 
Euth. Meinft du etwa, ich werde die Heußerungen der Ge: 
rechtigkeit nicht angeben können ? Du follft fogar die ber Un⸗ 
gerechtigkeit noch dazu erfahrens denn die Fann man jeden 





+) Mit Herbft, der das Wort navre aus den Codd. als un⸗ 
verdaͤchtig wieder hergeftellt. 


582 Zenophon’s Erinnerungen an Socrates. 


:Zag in Menge :feben und hören, — Socr. Nun, wenn es 
dir gefaͤllt, ſo wollen wir auf die eine Seite ein ® feben, 
und auf die andere ein U, und was wir dann als Aenße⸗ 
rung der Gerechtigkeit erkennen, fol unter ©, und was wir 
zur Ungerechtigkeit redinen, unter U zu flehen kommen. — 
Euth.’ Wie du wilft, wenn du es für nöthig hältfl. — 
Ener Nun, die Buchſtaben flehen ſchon: kommt nicht unter 
den "Menichen das Lügen vor? — Euth. Allerdings — 
Socr Wohin fegen wir Dieſes? — Enth. Verfteht ſich, 
-anter die Ungerechtigkeit. — Socr: Findet fich unter ihnen. 
nicht auch das Beträgen ?— Euth. Freilich. — Soer. Wo: 
hin feßen wir num Dieſes? — Euth. Verſteht ſich, ebens 
falls zur Ungerechtigkeit, — Socr. Und daß fie einander 
Schaden zufügen ?— Euth. Ebenfalls. — Soer. Und daß fle 
einander in die Sclaverei verfaufen — Euth. Gleichfalls. — 
Soer. Alſo zur Gerechtigkeit kommt Nichts davon? — 
Enth. Das wäre auch fhlimm. — Soer. Nun, wenn Ei⸗ 
ner als Feldherr die Einwohner einer feindlichen Stadt, die 
fi) Ungerechtigkeiten gegen uns erlaubt hat, als Sclaven 
verkauft, Fönnen wirDiefes ungerecht nennen ?— Euth. Nein, 
gewiß nicht, — Socr. Werden wir es nicht vielmehr gerecht 
finden? — Euth. Allerdings. — Soecr. Und wenn er fle 
im Kriege betrügt? — Enth. Auch Diep iſt gerecht. — 
Soer. Wenn er ferner dem Feinde mit Lift oder Gewalt 
das Geinige nimmt, verfährt er dabei nicht ganz gerecht? — 
Euth. Allerdings. Aber ich meinte anfangs, du habeſt bei 
deinen Fragen blos das Verhältniß gegen Freunde im Auge. — 
Socr. So müßten wir alfo Alles, was wir unter Ungerech⸗ 
tigkeit gefebt haben, auch unter Gerechtigkeit ſetzen? — 


— 








Bierted Buch. : 583 


‚Enth. Demnad. — Socr. Wollen wir nun, nachdem Diek 
gefchehen, unfern Sab fo ſtellen, folhe Handlungen feyen 
zwar gerecht gegenüber vom Feinde, aber gegenüber ven 
Freunden feyen fie ungerecht; gegen Diefe müfle man gerade 
und offen ſeyn ? — Euth. Sanzeinverflanden. — Socr. Run, 
gut, -wenn ein Feldherr ſieht, daß ſeine Leute keinen Muth 
haben, und er belügt ſie, es ſeyen Hülfstruppen im Anzuge, 
‚uud macht durch dieſe Lüge ben Soldaten wieder Muth, auf 
welche Seite haben wir diefe Art von Betrug zu ſetzen? — 
Buth, Sch denfe, unter Gerechtigkeit. — Soer. Ober es 
hat Einer ein Kind, das Arzeneimittel ‚bedarf und dad) 
-Zeine einnehmen will; er bringt ihm nun durch Betrug das 
Apzeneimittel ald Speife bei, und macht es fo gefund: wohin 
gehört wieder diefer Betrug? — Euth. Ich denke, wieder 
nnter dieſelbe Claſſe. — Socr. Ferner, ein Freund von dir 
ift ſchwermüthig; du fürchteft., er möchte fih Etwas am Ye: 
ben thun, umd nimmſt ihm ein Schwert oder fonft ein Mords 
‚gewehr heimlich oder mit Gewalt weg: wohin würde wieder 
Dieſes gehören? — Euth. In der That ebenfalls unter Ge: 
-vechtigkeit. — Socr. Du meinft alfo, audy gegenüber vou 
Freunden brauche man nicht durchaus gerade und offen zu 
ſeyn? — Euth. Nein, wahrhaftig nicht, und ich nehme das 
Geſagte wieder zurüd, wenn ich darf, — Socr. Das mußt 
du allerdings: dürfen, noch viel eher, als Etwas an die une 
vrechte Stelle fegen. Um nun aber auf Die zu Eommen, 
weiche ihre Freunde zu. ihrem Nachtheile betrügen (denn aud) 
‚diefen Fall dürfen wir nicht unerörtert laffen): Wer handelt 
Aungerechter, Wer ‘ed abſichtlich oder Wer es unabſichtlich 
thut? Euth. Ach, Sorvates, ich trane meinen Untworten 


584 RXenophon's Erinnerungen an Socrates. 


nicht mehr recht; fbenn auch Das, wovon wir vorhin fpras 
chen, fehe ich jebt ganz anders an, als ich damals meinte, 
Aber dennoch wit ich ed fagen: Wer abfichtlich die Unwahr⸗ 
heit fagt, handelt ungerechter, als Wer es unabfichtlich thut. — 
Socr. Glaubſt du die Gerechkigkeit fey Gegenſtand des Uns 
terrichts und des Wiſſens, wie Lefen und Schreiben? — 
Euth. Ja. — Socr. Und Wer, glaubft du, daß fi Darauf 
beffer verftehe, Wer abſichtlich nicht richtig ſchreibt und liest, 
oder Wer unabfihtiich? — Euth. Sch meines Orts glaube, 
der Erftere; denn wenn er wollte, könnte er's auch recht 
machen. — Socr. Alſo Wer abfihtlich nicht richtig fchreibt, 
ſoll ſich darauf verſtehen, und Wer unabſichtlich, nicht? — 
Euth. Unſtreitig. — Socr. Wie iſt ed nun mit der Ges 
rechtigkeit? weiß Derjenige beffer, was gerecht ift, der ab- 
ſichtlich lügt und betrügt, oder Derjenige, der cs unabſicht⸗ 
ich thut? — Euth. Natürlich der Erſtere. — Socr. Yups 
Lefen und Schreiben alſo, meinft du, verftehe fid, Derjenige 
beffer, der weiß, wie man lefen umd fchreiben muß, ald Mer 
es nichtfweiß ? — Euth. Ja. — Soer. Und fo aud), Wer 
weiß, was gerecht ift, fey gerechter, ala Wer es nicht weiß? — 
Euth. So muß idy fagen; aber ich weiß wieder nicht recht, 
wie ich dazu komme. — Socr, Nun, wenn Einer doch bie 
Wahrheit fagen will, und nie in feinen Aeußerungen über 
den nämlichen Gegenftand mit ſich übereinftimmet, ſoudern wo 
er einen und denfelben Weg zu zeigen hat, bald gegen More 
gen, bald gegen Abend weist, und wo es um bdiefelbe Rech⸗ 
nung ſich handelt, bald eine größere, bald eine Bleinere 
Summe herausbringt: was hältft du von einem Solden ?— 
Euth. Offenbar muß Der nicht willen, was er zu wiffen 


Wiertes Bud). 585 


glaubte. — Soer. Kennft bu gewifie Leute, die man Scla⸗ 
venfeelen nennt? — Euth. Ja. — Soer. Iſt ihre Weiss 
heit oder ihre Unwiſſenheit Schuld daran? — Euth. Nas 
türlich ihre Unwiſſenheit. Gocer. Etwa ihre Unwiſſen⸗ 
heit in der Schmiedefunt? — Euth. Gewiß nicht. — 
Sper. Dder in dem Zimmerhandwerf? — Euth. Eben 
fo wenig. — Socr. Dder in dem Schufterhandwert? — 
Euth. Alles Diefes nicht; es findet cher das Gegentheit 
ftatt ; gerade Diejenigen, welche dergleichen Dinge verftehen, 
find größtentheild Sclavenfeelen. — Socr. Iſt demnach 
diefed etwa der Name für Diejenigen, ‚welche nicht willen, 
was fchön und aut und gerecht it? — Euth. So glaube 
id, — Socr. Muß man num nicht alle feine Kräfte zus 
fanımen nehmen, um Fein Sclave zu werden? — Euth. Ich 
glaubte auch in der That, Socrates, ganz auf dem’ Wege zu 
ſeyn, auf dem man am beften alle Bildung erhalten könne, 
wie fie ein nad) dem Schönen und Guten firebender Mann 
bedürfe. Aber wie meinft du, daß mir jebt zu Muthe fey, 
ba ich fehe, daß mich alle meine bisherige Mühe nicht ein 
mal fo viel hilft, um nur auf Das *), was id) gefragt werde, 
in. den unerläßlichften Gegenfländen des Willens Rede und 
Antwort zu gebenz und ein anderer Weg, auf dem ich es 
weiter bringen Pönnte, ift mir gar nicht befaunt. — Socr. So 
fage mir doch, Euthydemns, bift du fchon einmal nad) Del: 
phi gekommen? — Euth. Sogar fon zweimal. — 
.Sper, Fiel dir nicht irgendwo an dem Tempel die Inſchrift 
auf: „Lerne dich felbft kennen.“ — Euth. O ja. — 





*) 588 — Was nicht angefochten werben barf. 





566 Xenophon's Erinnerungen an Socrates. 


Sort. Waren bir die Worte gleichgültig, oderachteteſt du 
darauf, und nahmſt Anmaß davon, did) ſelbſt zu prüfen, 
er du ſeveſt? — Euth. Rein, wahrhaftig Das nicht; 
ich badıte auch, Das wifle ich ja fchon zur Genüge, und in 
der That könnte ich.ifchwerlich fonft von Etwas Kenntniß 
haben, wenn ich mich feibft nicht Eennte, — Socr. Was 
Heißeft du, ſich ſelbſt kennen? Wenn Einer nur feinen 
Damen weiß, oder wenn Einer ed macht, wie bei einem 
Pferdekaufe, wo man, um ein Pferd zu Bennen, wicht Zzu⸗ 
frieden iſt, bis man unterfucht bat, ob es folgfam fen oder 
widerſpenſtig, Fark oder ſchwach, ſchnell oder Sangfam, und 
wie es fonſt in Beziehung auf die Vorzüge und Mängel, 
bie bei der Brauchbarkeit eined Pferdes in Betracht kommen, 
befchaffen fey: wenn Einer alfo. auf ähnliche Weiſe vorker 
unterfucht hat, wie es bei ihm mit der Brauchbarfeit für 
das Menſchenteben ftehe, und feine Eigenfchaften kennt? — 
Euth. Ja, Dieß ift meine Meinung: Wer feine Eiget- 
fchaften nicht weiß, Der kennt fich auch nicht. — Sser. If 
es nun nicht offenbar, daß Selbſtkenntniß den Menfchen zum 
größten Vortheile gereicht, und Irrthum in Anſehung ſeiner 
fesbft zum größten Nachtheile? Wer ſich ſelbſt kennt, weiß, 
was für ihm gut iſt, und kennt die Grenze, wie weit ſeine 
‚Kräfte reichen und wie weit nicht; nur Das treibend, mas 
er verſteht, findet er - fein nöthiges Auskommen und lebt glück⸗ 
lich; was er nicht verfteht, läßt er ſeyn, und bleibt dadurch 
nicht nur vor Fehlgriffen, ſondern auch vor Unglück bewahrt; 
und da er ebendeßwegen auch Andere zu prüfen verſteht, ſo 
weiß er auch durch Beihülfe Anderer ſeinen Vortheil zu för⸗ 
dern und gegen Nachtheil ſich zu Sichern. — "Wer aber dieſe 





Biertes Buch. 58% 
Kenntmiß nicht beſißt, fondern Aber feine Eigemfchaften ſich 
im Irrthum befindet, dem geht es mit andern Menſchen und 
mit den menfchfichen Angelegenheiten überhaupt ebenfo: er 
kennt weder feine Bedärfniffe noch feine Gefchäfte, noch bie 
Menſchen, deren er ſich bedient; nichts als Mißgriffe macht 
er in alten dieſen Hinſichten, verfehlt daher feinen Vortheil 
and ſtuͤrzt in’s Unglück. Ferner, Wer ſich auf Das verſteht, 
was er treibt, erreicht feinen Zweck amd erwirbt ſich dadurch 
Achtung und Ehre; Leite feines Seichen bedienen:fich gerne 
feiner Dienfle; Andere, die fein Glück nicht haben *), wun⸗ 
fchen ſich unter feine Leitung -geftett zu fehen, wählen ihm 
zw ihrem Vorſtande und dauen auf ihn die Hoffaung ihres 
Glückes; und aus allen dieſen Urfachen find fie Ihm mit un⸗ 
‚begrenzter Ergebenheit zugethan. Wer Dagegen keine Kennt⸗ 
niß hat von Dem, was er treibt, Wer Rich feine Aufgabe 
fchtecht wählt und mie feinen Unternehmangen verungfkickt, 
‘der kommt nicht nur ſchon in fo fern in Schaden und Strafe, 
fondern verliert deßhalb noch alfe Achtung, wird zum Ge⸗ 
fpötte und muß in Verachtung und Schande fein Leben 
Hinbringen. Auch ganzen Städten geht es ja ‚nicht beffer, 
wenn fie Ihre Kräfte mißkennen, und mit viner überlegenen 
Madıt Krieg anfangen: fle werden entweder zerftört oder 
ihrer Freiheit beraudt und unterjocht. Euth, Sep ver: 
fichert, "Socrates, icy bin von dem hohen Werthe der Setbſt⸗ 
kenntniß voltommen überzeugt; wber darüber wünfchte ich, 
wenn es div gefällig wäre, noch Auffchluß von die zu er⸗ 





*)..Uimfere Ueberſeung läßt ETIOTUPXRVoVTEG unangefochten 


2 





588 Xenophon's Erinnerungen an Socrated. 


halten, wovon man bei ber Selöftdenntniß ausgehen müffe. — 
Sper. Nun, Das weißt bu doch ohne Zweifel, was ein 


Gut und was ein Uebel it? — Euth. Ya, gewiß; dem 


wenn ich Dieß nicht wüßte, fo wäre ich ja noch elender als ein 
Sclave. — Soecr. Wohlan, fo theile did) auch mir da⸗ 
rüber mit! — Euth. Dieß wird fo fchwer nicht ſeyn; 
fürs erfte ift Geſundheit felbft ein Gut, und Krankheit ein 
Hebel; fodann ferner die Speifen, Getränke, Befchäftigungen 
und Gewohnheiten, welche das Eine oder das Undere zur 
Folge haben; befördern fie die Gefundheit, fo find fie Güter 5 


geben fie zu Krankheiten Anlaß, fo find fie Ueber. — | 


Socr. Alfo auch Geſundheit und Krankheit find Güter, 
wenn fie Gutes zur Folge haben, und Uebel, wenn Uebles? — 
Euth. Wann follte denn Gefundheit Uebles zur Folge haben, 
und Krankheit Gutes? — Socr. Solche Fälle gibt es in 
Menge; denke bir nur einen fchimpflichen Feldzug oder eine 
unglückliche Seereife: Ein Theil zieht mit, weil er gerade 
gefund und ſtark ift, und ift verloren; Andere werden durch 
Krankheit zurüdgehalten, und bleiben am Leben. — Euthr Du 
haft Recht; aber du ſiehſt, daß Gefunbheit auch Manchen in 
den Stand febt, an vortheilhaften Gelegenheiten Theil zu 
nehmen; und Krankheit Manchen davon zurüdhält. — 
Socr. So ift alfo Beides bald nützlich, bald ſchaͤdlich, und 
eben fo wenig ein Gut, als ein Uebel? — Euth. Nadı 
dem Bisherigen wenigftens fcheint ed wahrhaftig fo. Uber 
Meisheit ift doch umleugbar ein Gut, Socrates. Deun wo 
ift ein Gefchäft, dem Einer nicht beffer obläge, wenn er weife 
iſt, ale wenn er. unwiſſend it? — Socr. Wie? Du haft 





Viertes Buch. 69 


Nichts von Daͤdalus *) gehört, wie ev wegen feiner Weiss 
Heif don Minos gefangen, bei ihm den Sclaven machen mußte, 
und des Daterlandes und der Freiheit zugleich beraubt wurde; 
und als er den Verſuch machte, mit feinem Söhne zu ent: 
fliehen, Diefen verlor und auch für ſich nicht entfommen 
konnte, fondern unter die Barbaren und damit aufs neue 
in Sclaverei geriet? — Euth. Im der That, fo erzäfft 
man, — Soer. Haft du ferner nicht gehört, wie es dem 
Dalamedes **) erging? Von :ihm heißt ed ja allgemein, 
dag er durch Uinffes umgefommen, weil diefer feiner Weis⸗ 
heit wegen ihn beneidete. — Euth. Auch Dießz erzählt 
man, — Soer. Und wie Viele meinft dus, dag fonft um ihrer 
Weisheit willen vor den Perferkönig gefchleppt worden feyen, 
and dort in Schaverei haben fchmachten müflen? — Euth. Es 





*) Daͤdalus, Her .berähmte Künftler, hatte den Sohn feiner 
Schweſter, Namens Perdir, aus Neid darüber, daß er— die 
Säge erfunden, von der Burg zu Athen herabgeftürzt. Bon 
dem Areopag verurtheitt, floh er nach Ereta zu Minos. 
Don Minos in's Gefängniß geworfen, entfloh ‘er mittelſt 
tünftliher Flügel mit feinem Sohne Icarus. Diefer fiel 
in's Meer, weil er zu hoch flog, fo daB ihm dad Wachs an 

. ven Flügeln ſchmolz; Daͤdalus ſelbſt kam nach Sicilien "zu 
dem Könige Cocalus. Panfanias VII, 4, 5. p. 551. Dvid, 
Metamorph. VII, 159. ff. Hygin. Tab. 39. 40. ' 

**) Palamedes Hatte enthedit, daß Ulyſſes nicht ‚wirklich wahn⸗ 
finnig war, fondern nur fich fo ftellte, um den Zug gegen 
Troja nicht mitmachen zu dürfen. Dieß gedachte ihm Ulyſſes 
und brachte ed dahin, daß er als Derräther von dein Grie⸗ 
chiſchen Heere gefteinigt wurde. Hyain: Tab, 105. Ovid. 
Metamorph. XHT, 56. ff. Bol. Xenoph. Vertheidigung. 
8. 236; . 





590. Zenophon’s Erimmerungem an Socrates. 


ſcheint, Socrates, das unzweideutigſte Gut ſey die- Gluͤcfe⸗ 
ligkeit. — Soer. Ja, wenn man fie nicht aus zweidentigen 
Gütern zuſammenſetzt. — Euth. Was ſoll denn. bei der 
Glückſeligkeit Zweideutiges ſeyn? — Socr. Gar Nichts, 
ſo lange wir nicht Schönheit, Stärke, Reichthum, Ruhm 
oder. ſonſt Etwas dergleichen damit in Verbindung feben. — 

Euth. Aber Dieb werden wie thun; denn wie ließe fid) 
ohne diefe Dinge eine Glückſeligkeit denken? — Socr. So 
werden. wir eben damit Dinge in Verbindung ſetzen, welche 
für den Menfchen oft fehr franrige Folgen haben, Wie Viele 
werben wegen ihrer Schönheit von Denen verführt, welchen 
der Anbrick eines ſchͤnen Menfchen den Kopf verrädt? Wie 
Diele kommen wegen ihrer Stärke, weil fie an zu große Uns 
ternehmungen fid) wagen, in Peine, kleine Unfälle? Wie 
Mancher wird wegen feined Reichthums durch Schmeiche- 
leien und Nachſtellungen ins Verderben geftirzt? Wie man: 
hen Anderen hat fein Anfehen und Einfluß im Staat in 
große Noch gebraht? — Euth. Nun ja, wenn ich auch 
darin Unrecht habe, daß. ich die Gückſeligkoit für ein Gut 
erkenne, fo weiß: ic) auch: gar nicht, was mam fich: von ben 
Göttern erbitten fol. — Speer. Runde haft vielleicht über 
dieſe Gegenflänbe gar nicht: nachgedacht, weil di: glaubteft, 
du wiſſeſt fie aus dem runde: aber da du darauf ausgehſt, 
Dich anı die: Spitze eines demokratiſchen Staates: zu: flelfen, 
fo weißt du hoch, was eine Volksherrſchaft iſt? — Euth. Al⸗ 
lexrdings. — Soecr. Hältit du es num, für möglich, ven 
Volksherrſchaft einen Begriff zw haben, ohne von: Volk 
einen zu haben? — Guth. Dein, wahrhaftig. nicht. — 
Socr. Und was denkſt du dir unter dem Belle? — 


N 





Wiortes Buch: S5ꝛ 


Enth; Die Armen unter den Bürgern. — Socr. Ge 
weißt: da alſo, wad die Armen find? — Euth. Warum 
folfte ich nicht? — Soſcr. Weißt du auch, was die Rei⸗ 
chen find? — Euth. So gut, aldı mas die Armen find. — 
Socer. Was nennft du denmarn, unb was nennſt du reich? — 
Enth. Arm nenne ich, wenn Einer nicht: genug hat, um zu: 
bezahlen, was er foll; und wenn Einer: mehr, ald genug: hat, 
das: nenne-idy reich. — Socr. Haft du: nicht ſchon bemerßt, 
dad Einige mit einem ganz. geringen. Bermögen nicht nur 
ausreichen, fondern noch davon Etwas erübrigen, und Ans 
dere wieder mit einan fehr bedeutenden nicht genug haben? — 
Euth. In der That, du haft ganz Rechte, daß du: mich 
daram erinnert; ic, kenne fogar Herrfcher auf den Thronen, 
die, weil ed nirgends bei ihnen zureichen: will, gleich den 
Aermſten zu Ungerechtigteiten: genöthigt find. — Socr. So 
müßten: wir, went: Dem fo. wäre, die. Herrſcher unter das 
Bolk ſehen, und die minder Bemitteiten, wofern fie nur Haus 
zu: halten: wiſſen, unter die Reichen? -- Euth. And Dieß 
muß ic) einräumen, einzig wegen meiner Schwäche; ic) farge, 
ed: möchte. das: Befte ſeyn, wenn:ich ſchweige; denn ed komme 
darauf horaus, daß ich ſchlechterdings Nichte: weiß.“ 

Und: Damit: zog er ganz entmukhigt: ab: Cr hatte: alle: 
Adytnag vor fic, verkonen, und gbanhte in: Wahrheit ein. Schaue 
zu / ſeyn. Uber wenn Viele, denen es bei Soerates eben [0 em 
gangeniwar, hinfort ihm abs dem Wege gingen, mwomus er 
dann ihre geiftige Leerheit abnahm, fo glaubte Euthydemus 
auf keinem andern Weg. es zu Etwas. bringen zu können, als 
wenn, er ſich gauz an Soerates hielte, und ließ aud) nicht 
meh: nom: ihm, außer wenn: dringende Rothwendigkeit es er⸗ 





592 Zenophon’s Erinnerungen an Socrates. 


forderte; in einigen Stüden nahm er fogar feine Gewohns 
heiten an. Gocrates aber fchonte ihn fo viel ale möglich, 
wie er einmal ſah, daß es fo mic ihm fland, und theilte 
ihm. mit aller Offenheit umd Deutlichkeit fowohl die Kennts 
niffe mit, deren Beſitz er bei Euthydemus für nothwendig 
hielt, ald die Borfchriften, von deren Befolgung er ſich am 
meisten Dortheile für ihn verfprad). 

3. Bei feinen Freunden auf Fertigkeit im Reden *), auf 
Brauchbarfeit für das thätige Leben und auf Gewandtheit **) 
hinzuarbeiten, damit eilte Socrates nicht; er glaubte vorher 
noch in ihnen den Grund zu einer richtigen Erkenntniß Tegen 
zu müfjen. Denn ohne diefe, meinte er, Eönnen jene Vor: 
züge nur dazu dienen, Einen zu noch größeren Ungerechtig« 
feiten zu verleiten und ihn in der Ausführung feiner uns 
beildringenden Plane zu unterſtützen. Vor Allem ſuchte er 
bei feinen Freunden eine, richtige Erfenntniß von den Göttern ' 
zu begründen. _ Unterredungen, die er in diefer Abſicht mit 
Anderen hielt, find von Anderen, die dabei zugegen. waren, - 
bekannt gemacht worden; Ich war bei folgender Unterredung, 
die er mit Euthydemus hielt: — Socr. Höre, Enthyde⸗ 
mus, ift Mir auch fchon eingefallen, darüber nachzudenken, 
mie welcher Sorgfalt die Götter Alles nach den Bedürfniffen 
der Menſchen eingerichtet haben? — Euth Nein, wahr 
haftig noch nie. — Socr. Run, du weißt doch, daß wir 


*) Aextıxag aus mehrern Codd. wie Schneider nach Ernefti 
mit einiger Vedentficheeit, Schi und Herkft aber unbedenk⸗ 
ich ſtatt der Vuigata dexrıxgc liest. 
* UNYARVIXBG, was eigentlich die Faͤhigkeit ausdruͤckt, fih bei 
. Senverfchiebenen Vortommniſſen de& Lebens zu helfen zu wien,‘ 








Viertes Buch. 595 
fürs erfle bes Lichtes bedürfen, und bie Bätter geben es 
um? — Eutb. In der That, wenn wir Dieß nicht hätten, 
fo wären wir gleid) den Blinden, fo lange ed nur auf un: 
fere Augen antäme. — Soer. Wir bedürfen: ferner ber 
Ruhe, und fie geben ung die Nacht, die bequemſte Gelegens 
heit zum Ausruhen. — Euth. Auch Dieß iſt ſehr dankens⸗ 
werth. — Socr. Rod mehr, des Zages laͤßt uns bie 
Senne als ein leuchtender Körper die Zeiten und alles Ue⸗ 
drige erkennen; die Nacht dagegen iſt finſter und ermangelt 
beſtimmter Merkmale, nach denen man fich richten könnte; 
da laſſen die Götter Geſtirne in der Nacht leuchten, die ung 
ihre Zeiten anzeigen, und: damit find uns viefe weſentliche 
Berrihfungen erleichtert. — Euth. So iſt es. — Soer. 
Ja, der Mond macht uns nice nur bie Theile der Nacht, 
fpntern and die des Monats kenntlich. — Euth. Alters 
dinge. — Socr. Wir bedürfen ferner Nahrung; Tie laffen 
fie aus der Erde aufkeimen, und ſchenken ums angemefiene 
Sahreszeiten dazu, die uns nicht nur zu Befriedigung bed 
Bedürfniffes, ſondern auch zu einem angenehmen Genuffe 
Altes in: Fülle und Mannigfaltigkeit bereiten. — Euth. 
Auch Dieb ift ein Beweis ihren Liebe zu den Menichen. — 
Soer. Auch das Waffer geben fie uns, biefes unfchäbbare 
Geſchenk, das in Gemeinfchaft mit der Erde and den Jahres: 
jeiten alle ung nüblichen Gewaͤchſe hervorbringt und in ihrein 
Wachsthume hefärdert, tms ſelbſt ernähren hilft und alfe un⸗ 
fere Nahrungsmittel durch feinen Hinzutritt verdaulicher, ger 
$under und fchmadhaffer wicht; und fie geben es ung im fa 
reichlichem Maße, weil auch das Bebürfniß deffelben fo groß 
it. — Euth. Und Dieß ift ein Beweis ihrer Sirferee. — 

Kenophon. 58 Boͤchn. 





594 RXenophon's Erinnerungen an Socrates, 


Socr. Und was fagft du dazu, daß fie uns auch bas Feuer 
verfchafften, ein Schutzmittel gegen die Kälte, ein Gegen« 
mittel gegen die Finfterniß, ein Hilfsmittel bei jeder Kunft 
und bei Atem, was die Menfchen?zu ihrem Nutzen verfer 
tigen? Denn mit Einem Worte, ohne Yeuer bringen die 
Menfchen von Allem, was für das Leben nüslich ift, fo vier 
als Nichts zu Stande. — Euth. Auch hierin erkenne ich 
ihre überfchwengliche Menfchenlieber — Socr. Und daß 
die Sonne, wenn fie im Winter fid) gewendet hat, ſich une 
nähert und Einiges zeitiget, Anderes dörrt, nachdem feine 
Zeit vorüber ift, und wenn fie Dieß bewirkt hat, nicht näher 
rüct, fondern umbehrt, un nicht durch allzu große Hitze und 
zu fchaden, und wenn fle wieder fo weis fich entfernt hat, 
bag wir feldft einfehen, wir müßten vor Kälte erftarren, 
wenn fie weiter ginge, daß fle dann wieder ſich wendet, und 
herbeicückt, und in der Gegend des Himmels fid) herumdreht, 
wo ihre Anwefenheit. am wohlthätigften für uns if? — 
Euth. In der That, auch Diefes ficht wieder ganz einer 
Beranftaltung zum-Beflen der Menfchen gleich — Soer. 
Und.daß -fle endlich, da wir offenbar weder die Kälte nody 
bie Hite aushalten könnten, wenn fie mit Einemmale käme, 
baf die Sonne deßwegen fo allmählig heraurückt, und fo alle 
mählig wieder fich entfernt, daß wir, ohne es zu merken, its 
beiden den höchſten Grad erreihen? — Euth. Ich ſtelle 
mir bereits die Frage, ob überhaupt die Götter etwas Anz 
beres thun, ale für die Menfchen Sorge fragen; nur das 
Eine macht mir noch Bedenklichkeiten, daß auch die anderen 
febendigen Weſen an biefen Wohlthaten Theil nehmen. — 
Socer, Iſt denn nicht Klar, daß auch diefe um des Men⸗ 





Diertes Bud). Ä 595 


fchen willen erzeugt und groß gezogen werden? — Denn 
welches andere lebendige Wefen hat von den Siegen, Schwei⸗ 
nen, Pferden, Stieren, Efeln und anderen Thieren fo viel 
Nutzen, ald der Menſch? Ich glaube, er Hat non ihnen 
noch mehr Nuben, ald von den Pflanzen; wenigſtens nährt 
und bereichert er fich von jenen. fo gut, als von biefen. Biele 
Menſchen bedienen fid) der Erzeugniffe der Erbe gar nicht zu 
ihrer Nahrung, fondern Teben von ihren Heerden, von denen 
fie mit Mitch, Butter. und Fleifch verfehen werden; und als 
gemein findet es ſich, daB man die nüslichen Thiere zähme 
und bändigt, und zum. Kriege und zu vielen andern Verrich⸗ 
tungen ihrer Hülfe fich bedient. — Euth. Auch darin bi 
ich mit dir einverſtanden; denn ich fehe, daß feibft ſolche 
Zhiere, die uns an Stärke weit überlegen find, dem Mens 
fchen fo gehorfam werden, daß er mit ihnen anfangen Fan, 
was er nur will. — Socr. Was fol ich endlich davon 
fagen, daß fie für das viele. Schöne und Nüsliche in ber 
Welt, weil es fo verfchiedener Art it, für jedes uns die 
geeigneten Sinneswerkjeuge gegeben haben, mittelſt welcher 
wir Alles, was gut ift, genießen; daß fie uns die Vernunft 
eingepflanzt, welche durch Nachdenken über die Wahrneh⸗ 
mungen der Sinne und durch Rüderinnerung an fie die Nuss 
barkeit jedes Dinges ausmittert, und allerlei Mittel erfindet, 
um und den Senuß des Guten zuzuwenden, und das Schäbs 
liche von uns abzuhalten! daß fie uns auch die Fähigkeit, 
ung einauder verftändlic zu machen, gegeben, mittelft weicher 
wir alles Gute durdy Belehrung einander mittheilen und von 
einander empfangen, über Gefebe uns vereinigen und in 
Staaten zufammen leben? — Euth. Durchaus, Socrates, 








# 


596 Zenophon’s Erinnerungen an Socrates. 


müffen bie!@ötter für die Menſchen ſehr beſorgt ſeyn. — Gocr. 
a, da wir außer Stande find, für Das, was erſt zu ers 
warten fieht, die geeignesen Maßregeln zum; Voraus zu ers 
greifen, fo gehen ſie uns auch hierin an de Hand :Yfie machen 
durch die Wahrfagerfunf Denen, welche fie befragen, bie zit 
fünftigen Ereigniſſe fund, und Ichren fie, wie ſich denſelben 
anch die beſte Wendung geben ließe, — Euth. Und nod) weit 
mehr, als Anderen, Socrates, ſcheinen fle Dir hold zu ſeyn, 
wenn fie, ohne auch nur eine Anfrage von dir abzuwarten, 
dir bedeuten, was du thun folleft, und was nicht. — Soer. 
Daß ih übrigens die Wahrheit fage, davon wirft auch Du 
dic, überzeugen, Euthydemus, wenn du nicht erſt warteſt, 
bis du die Goͤtter leibhaftig ſichſt, fondern Dir genügen Läffeft, 
ihre Werke zu ſehen, um fie auzubeten und zu Nverehren. 
{Darauf leiten dich die Götter felbft bins denn auch die Mes 
beigen von ihnen kommen bei Ertheilung ihrer Güter eben fo- 
wenig für uns zum Morfchein, als diejenige Gottheit, welde 
Das ganze Weltall, dieſen Inbegriff alles Schönen und Guten 
ardnet und zuſammenhaͤlt, und durch welche ed, fo wenig es 
je zur Ruhe kommt, doc) flets unverfehrt, gefund umd jung 
bleibt, und ſchneller als ein Gedanke fehlerios feinen Dienft 
verzichtet: ich fage, als diefe Gnttheit, wenn fie zwar bie 
größten Werke vor unferen Augen vollbringt, aber ihr Wir⸗ 
ten felbft vor unferen Blicken verborgen Hält *).] Selbſt die 
Some, die doch für Jedermann fichtbar zu ſeyn fcheint, ge⸗ 
ftattet den Menſchen nicht, fie genau in’d Auge zu fallen, 
*) Schon Meiste und fpäter Schneider ftraucheln Über der Dun⸗ 
telheit diefer ohne Zweifel corrumpirten Stelle, Herbſt vers 
bannt fie, als eingedrungen , ‚ganz aus dem Texte, 


N Viertes Buch. 507 
rd Mer fich unterfaͤngt fie fresh anzubliden, dem raubt fie 
das Geſicht. Und fo wirft du auch finden, daß die Diener 
der Götter unfichtbar find, Daß ber Blitzſtrahl von oben 
kommt, und Alles beswingt, was ihm in den Weg kommt, 
ift offenbar; aber man ſieht ihn weder wenn ex kommt, noch 
wenn er eingefchlagen hat, noch wenn er acht. Auch Die 
Binde find ſelbſt nicht. ſichtbar; nur ifre Wirkungen find 
wahrnehmbar für und, umd ihr Wehen läßt fih empfinden. 
Da auch die Seele des Menſchen, die, wenn irgend Etwas 
unter der Sonne verwandt ift mit dem Göttlichen, andy fie 
iſt nicht ſichtbar; nur daß fie in nnd herrſcht, laͤßt fih wahr⸗ 
nehmen. A Und darum muß man gegen das Unfichtbare wicht 
gleichgültig feyn, fonbern aus ben Exfcheinungen feine Macht 
erkennen, und die Gottheit ehren. — Euth, Gewiß, Se 
crates, von Achtloſigkeit gegen die Götter wird bei mir nie, 
auch nur im Mindeflen, die Rede ſeyn; nur Das bekuͤmmert 
mid, daß mir fheint, als vb auch wicht Ein Menſch den 
Göttern mit würdigem Dank ihre Wohlthaten erwiedern 
könnte. — Soer. Laß did, Dieb nicht bekümmern, Euthy⸗ 
demus, du weißt ja, wenn man bun Soft in Delphi fragt, 
wie manfden Göttern fi gefaͤllig machen könne, fo gibt er 
zur Antwort: „nach den Gebräuchen bed Staates.“ Und 
Gebrauch ift es bach ficher überall, nach Vermögen durch 
Dpfer-die Götter fid, geneigt zu machen. Wie konnte man 
daher würdiger und ehrerbietiger die Götter ehren, ats wenn 
man thut,Kwie fle ſelbſt vorfchreiden? Uber unter fein Ver⸗ 
mögen darf man richt herumtergehen; wenn Einer Dieb thut, 
fo darf man mit Gewißheit annehmen, daß er in jenem Aus 
genblicke die Götter nicht ehrt. Läßt man es num nicht feh⸗ 





508  Zenophön’s Erinnerungen an Sockates. 


len, nad) Vermögen die Götter zu ehren, fo darf man ges 
troft feyn und alles Gute fich verfprechen. Denn man kaun 
vernünftiger Weife von Niemand mehr Gutes ſich verfprechen, 
als von Denen, welche im Stande find, ums die größten 
Wohlthaten zu erweifen, und auf feine Weife zuverfichtlicher, 
als wenn man Diefen gefält, Wie Lönnte man ihnen aber 
eher’ gefallen, als wenn man ihnen fo viel immer möglich ges 
horcht?“ 

Durch ſolche Lehren und durch das damit uͤbereinſtim⸗ 
mende Beiſpiel, das er ſelbſt gab, ſuchte er feinen Freunden 
Ehrfurcht vor den Göttern und [die von diefer unzertrennliche] 

Sittlichkeit beizubringen. 
- 4 Auch aus feinen Grundſaͤtzen über Gerechtigkeit 
machte Socrates kein Geheimniß, ſondern gab fie ſchon durch 
die That zu erkennen. Gegenüber von Privatperſonen be⸗ 
trug er ſich immer fo, wie es den Geſetzen gemäß und für 
Andere nützlich ) war; in feinem Verhältniſſe zum Staate 
leiſtete er den Obrigkeiten allen in den Geſetzen vorgeſchrie⸗ 
benen Gehorſam, und war zu Hauſe und im Felde ſo ord⸗ 
nungsliebend, daß er vor allen Anderen ſich auszeichnete. 
Als Epiſtat **) in den Verſammlungen, was er einmal war, 
erlaubte er dem Volke nicht, in der Form eines Befchluffes 
von den gefeblichen Beſtimmungen abzuweichen, fondern wis 
derfebte fich in Gemaͤßheit der Geſetze einem ſolchen Ungeſtüm 


*) Schneider macht das Wort —XRXRV an dieſer Stelle ohne 
Grund verdaͤchtig. Socrates trennt, wie nach ihm beſonders 
die Stoiker thaten, den wahren Nugen nie von der Tu 


send. 
”) &, zu l, ı. 





N Viertes Buch. 599 


des Volks, dem nicht wohl ein Anderer die Spitze würde 
geboten haben. Wenn die dreißig Tyrannen Etwas gegen 
die Geſetze von ihm forderten, ſo gehorchte er nicht. So 
verboten fie, ſich mit den Jünglingen zu unterreden, und 
einmal hatten fie ihn und einige andere Bürger befeh- 
ligt *), Einen zur Hinrichtung abzuholen; aber er allein 
siftete nicht Yolge, weil die Forderungen gefehwidrig waren, — 
Er war von Melitus angeklagt. Andere pflegen vor Gericht . 
den Ridytern gute Worte zu geben, ihnen zu fchmeicheln, 
und gegen das ausdrückliche Verbot der Geſetze fle mit Bitten 
zu beflürmen, und Mancher wird ans folchen Urfachen von 
den Richtern losgeſprochen. Socrates Eonnte es nicht über 
fid) bringen, vor Bericht Etwas ber Art gegen die Geſetze 
fid) zu erlauben; ob er gleich Leicht feine Freifprechung bei 
den Richtern Hätte bewirken können, wenn.er nur einiger: 
maßen fi dazu verftanden hätte, fo wollte er doc, Lieber 
ſterben und den Gefeben gefren bleiben, als leben und. fie 
übertreten. Diefelben Grundfäbe äußerte er auch in Ge⸗ 
ſprächen gegen verfchiedene Perfonen kei mehreren Gelegen⸗ 
heiten; mir ift über die Gerechtigkeit namentlich folgende 
Anterredung von ihm mit bem Eleer Hippias **) bekannt. Die: 
fer war nach langer Zeit wieder nach Athen gekommen, und 
war gerade dabei, wie Socrates in Gegenwart mehrerer 


*) Die Gefchichte fteht bei’ Kenoph. Grich. Gef, I, 3. und 
Plato Apologie $. 20. 

**) Hippias von Elis, ein berühmter Sophift, aus damaliger 
Zeit, der Alles zu wiffen ſich einbitdete, von Plato aber in 
zwei Dialogen, die feinen Namen führen, als ein eitler 
Prahler dargeſtellt wird. 


600 Xenophon's Erinnerungen an Socrates. 


Perfonen feste, es fey doch ſonderbar: wenn Einer Finn 
das Handwerk eines Schuflers, Zimmermeifters „der Schmie⸗ 
des oder die Reitkunſt lernen laſſen weite, fa fey er nid 
in Verfegenheit, wohin er ihn zu ſchicken Habe: man fage 
ſogar, wenn Einer- ein Pferd oder einen Stier. ſich wolle 
gerecht machen laffen, fo ſey es überall voll mit Leuten, bie 
fid) dazu erbieten *); wolle Eimer aber eutweber felbft le 
men, was gerecht fen, oder einen Sohn oder Schauen es 
lernen laſſen, fo wife er nicht, wo er feinen Zweck erreichen 
könne. Wie Dippiad Dieß hörte, fagte er in ſpottiſchem Tone: 
„Bringft du immer noch das Nämliche, Socrates, was ich 
fchon vor Fahren von die hörte?“ — Goer. Ge, was nad) 
ärger ift, niche num immer das Nämliche, fondern auch über 
das Nämliche *). Du bringſt natürlich nie das Namliche 
über das Nämliche; du biſt ein Mann von vielſeitigen Kennt⸗ 
niſſen. — Hipp. Allerdings, ich fuche flets etwas Neurs 
zu bringen. — Socr. Auch über Dinge, worüber Du um 
terrichtet bift? Wenn man dich zum Beifpiel aus bem Al⸗ 
phabet fragt, wie viele und welche Buchflaben man zu bem 
Namen Socrated brauche, wird da deine Antwort .jebt anders 
-ausfalfen, als früher ? oder wenn man did aus dem Einmals 
eins fragt, ob zweimal fünf zehn fey, wirkt da jest nidye 

* Wir glauben mit Herbſt, daB diefe Worte „man füge — er⸗ 
bieten,’ die Ruhnken, Valkenaͤr, Zeune, Schüg und Schneider 
een wenigftend ihrem Hauptinhalte nach nicht uns 

ind. 

* Die Bitterteit in dieſen Worten liegt darin, daB Socrates 
dem Hippias zu verftehen gibt, er fey bereit, Aber bie n aͤ m⸗ 
lichen Gegenftände widerfprehende Meinungen zu 
vertheidigen. 





- 





Viertes Buch. 6e1 


ebenfo antworten, wie vor biefem?_ — Hipp. Ueber 
viche Dinge bringe freitich auch Ich, wie Du, immer das Naͤm⸗ 
liche; aber Über Gerechtigkeit getraue ich mir allerbings jest 
m zu fprechen, daß weder du noch fonft Jemand Etwas wird 
Dagegen fagen könuen. — Soecr. Run, da haſt bu im der 
That einen guten Fund geshan, wern die Richter nicht mehr 
verſchieden finnmen, die Bürger nicht mehr über ihre Rechte 
flreiten, Prozeſſe führen und in Parteien ſich heilen, die 
Staaten nicht mehr über ihre Rechte in Zwiſt gerathen und 
Krege Fähren ſollen. ch Bann unmöglich von dir laſſen, 
ohne vorher dich Über den herrlichen Fund zu Bören, den du 
gethan haſt. — Hipp. Daraus kann nur dann Etwas 
werden, Socrates, wern du zuvor ferbft deine Auſicht über 
Gerechtigkeit vorgetragen haft. Du möchteft immer nır Ans 
Vere ausfragen und in die Enge treiden, und felbft Miemand 
Rede fichen und Über Nichts deine Meinung preis geben. 
So hade ich feine Luſt mic, zum Beſten haben zu laffen; es 
iſt genug, wenn Andere es fich gefalfen Taffen. — Socv. Wie, 
Hippias? Haft da nicht bemerkt, daß ich nie aufhöre, an 
den Tag zu legen, was ich für gerecht halte? — Hipp. 
Bas meinft du da für Worte? — Gocr Sind es audı 
keine Worte, fo ift ed doch die That, wodurch ich es au 
den Tag lege. Oder meinft du nicht, daß auf die That mehr 
zu schen fen, als auf dad Wort? — Hipp. D gewiß 
weit mehr; dein Mancher iſt in feinen Worten gerecht, 
und handelt doch ungerecht; Mer hingegen thut, wad geredyt 
ft, kann nie ungerecht fern — Socr. Haft du num je 
bemerkt, daß ich falſch gezeugt, boshafter Welle Jemand in 

Anklageſtand verfegt, zwifchen Freunden oder im Staafe 


602 Zenophon’s Erinnerungen an Socrätes. 


Uneinigkeit gefliftet , oder ſonſt eine Ungerechtigkeit begangen 
hätte? — Hipp. Nein. — Socr. Und nennſt du Das 
sicht geredyt feyn, wenn man das Ungerechte läßt? — 
Hipp. Man fieht wohl, Socrates, daß du auch jebt wieder 
ausweichen willſt, um nicht fagen zu dürfen, was nach deiner 
Anficht Gerechtigkeit fey; denn du fprichit nicht von Dem, 
was der Gerechte thut, fondern von Dem, was er nicht thut. — 
Socr Je nun, ich dachte, Ungerechtiaßeiten meiden, ſey 
ein binreichender Beweis von ©erechtigkeit. Wenn du übri- 
gens anders meinft, fo fieh einmal, ob did, Folgendes mehr 
befriedigt. Ic behaupte, Gerecht fey fo viel als Geſetzlich. — 
Hipp. Du meinft alfo, Socrates, Gerecht und Gefeslich 
fey ein und daffelbe? — Socr. So meine id» — Hipp. Da 
weiß ich nur nicht, was du Gefeblich, oder was du Gerecht 
nennft. — Socr. Du weißt doch, was Geſetze des Staats 
find? — Hipp. Ja. — Soer. Und wand dentft du dir 
Dabei? — Hipp. Schriftliche, durch gemeinfchaftliche Ue⸗ 
bereinfunft von den Bürgern feftgefebte Beflimmungen über 
Dad, was man zu hun und zu laffen hat. — Soecr. If 
nun nicht Geſetzlich Derjenige, der nad) diefen Beflimmungen 
im Staate lebt, und Ungefehlich Derjenige, der fie übertritt ? — 
Hipp. Allerdings. — Socr. That Derjenige, welcher fie 
befolgt, nicht auch, was gerecht ift, und Wer ihnen nicht 
folgt, was ungerecht iſt? — Hipp. Allerdings. — Socr. Iſt 
nun, Wer thnt, was gerecht ift, nicht gerecht, und Wer 
thut, mas ungerecht iſt, nicht ungerecht? — Hipp. Wie 
könnte es anders feyn? — Soecr. So ift alfo der Geſetz⸗ 
liche gerecht, und der Ungefepliche ungerecht. — Hipp, Wie 
kaun man aber auf die Geſetze oder auf den Gehorfam gegen 





Viertes Buch. ' . 603 


diefelben großen Werth legen, da fie ja oft von Denen ſelbſt 
wieder abgefchafft und abgeändert werden, von welchen fie ges 
geben worden find? — Socr. So wird ja von den Stans 
ten auch oft Krieg angefangen und wieder Friede gefchloffen. — 
Hipp. Ohne Zweifel. — Socr. Meinft du nun, dem 
Gehorfam gegen die Geſetze feinen Werth abzufprechen, weil 
die Geſetze abgefchafft werden könnten, fey- um etwas beffer, 
als wenn du die Mannszucht im Kriege tadeln wollteft, weil 
der Friede zn Stande kommen könnte? Oder haft du auch 
‚daran Etwas auszuſetzen, wenn Einer im Kriege bereitwillig 
fid) der Sache des Vaterlands annimmt? — Hipp. Nein, 
wahrhaftig nicht. Spocr. Und haft du nicht bemerkt, daß 
Lycurg *), der Lacedämonier, Sparta nicht über die alt: 
deren Staaten erhoben hätte, wenn er nicht vorzüglich Ges 
horfam gegen die Gefebe dort eingeführt hätte? Weißt du 
nicht, daß die Vorfieher in den Staaten um fo beffer find, 
je mehr fie Gehorfam gegen die Gefebe unter den Bürgern 
zu befördern wiffen, und daß der Staat, in welchem die 
Bürger den Geſetzen am willigften gehorchen, im Frieden ber 
glüctichfte und im Kriege unüberwindlid it? — Ferner 
fehen die Staaten Eintracht für ihr höchſtes Glück an; taͤg⸗ 
lid) ermahnen die Rathsbehörden und die angefehenften Män⸗ 
ner. ihre Mitbürger dazu, und überall in Griechenland ift 
es Geſetz, daß die Bürger eidlich fid zur Eintracht verpflich- 
ten, fund diefer Eid wird überall abgelegt. Dieß gefchieht nun, 
dene ich, nicht damit die Bürger denſelben Ehören den Vor⸗ 

*) Lycurg, der Spartanifche Geſetzgeber. S. Manfo Sparta 


ır Band, und Schiller die Gefengehung bed Lycurg und 
Solon. 





604 RXenophon's Erinnerungen. an Socrates. 


zug geben, dieſelben Flötenſpieler oben, denfelden Dichtern 
den Preis zuerkennen, oder biefelben Neigungen wit einander 
theilen, ſondern damit fle den Gefeben gehorchen. Denn dar⸗ 
auf, daß die Bürger an dieſe ſich halten, beruht die Stärke 
und das Glück der Staaten; ohne Eintracht hingegen kaun 
weder ein Staat noch eine Hauchaltung gedeihen. Und um 
anf die einzelnen. Individnen zu kommen, wie kann Einer 
beffev im Staate wor Strafen ſich ficher ſtellen, wie cher 
Belohnungen erhalten, ass wenn er den Geſetzen gehardyt ? 
ie kann er wewiger vor ben Gerichten verkieren, wie eher 
gewinnen? Wem möchte wohl Einer mit mehr Zuverſicht 
Schaͤtze, Söhne oder Töchter anyertrauen, Wen der ganze 
Staat mehr feines Zutrauens für werth Halten, als den Ge⸗ 
feslihen? Bon Wen Lönnen Eitern, Angehörige und Ges 
finde, Freunde, Bürger umd Fremde cher ihrer Rechte theil⸗ 
baftig zu werden ſich verfprechen? Wen möchten bie Yeinbe 
eher Srauen bei Schließung eines Waffenſtillſtaudes, Bünde 
niffes oder Friedensnertrages, mit Wem Tieber Bundesge⸗ 
noſſenſchaft ſchließen, als eben mit ihm? Wen möchten bie 
Bundesgenoſſen lieber ihre Truppen, ihre Befabumgen, ihre 
Städte anvertvauen? Don Wem möchte Einer eher Erwier 
berung einer Wohlthat erwarten, als von bem Gefeplichen, 
und Wern eher eine Wohlthat erweifen, als Dem, von wels 
hen er Erwiederung berfelben hoffen Sann? Wen möchte 
man lieber zum Freunde, weniger zum Feinde haben wollen, 
als einen Solchen, und mit Wem weniger gerne Krieg an⸗ 
fangen, als mit Dem, welchen man am liebſten zum Freunde, 
am wenigften gerne zum Feinde zu haben, und mit dem 
Altes in Zreundfchaft und Bundesgenoffenfchaft, und Nie 


' 


Mierted Bud. 605 


mand in Feindſchaft und Krieg zu ſtehen wünschte? Alſo 
meine Anficht, Hippias, iſt die, daß Geſetzmaͤßig und Gerecht 
einerlei fey; und wenn du anders meinft, fo laß hören. — 
Hipp. Mein, wahrhaftig, Socrated, ich meine gar nicht 
anders, als du dich über Gerechtigkeit ausgefprochen haft. — 
Socr. Kenuſt du auch ungefchriebene Geſetze, Hippias ? — 
Hipp. Ja, die, welche aller Orten gleich gelten. — Soer. 
Könnteſt du nun behaupten, daß die Menſchen fie gegeben 
hätten? — Hipp. Wie Lönnte ich Die? Sie könnten 
ja weder Alle zufammen kommen, noch baden fie sinerlei 
Sprade. — Soecr. Wer glaubft du nun, daß dieſe Ge⸗ 
feße gegeben Habe? — Hipp. Nach meiner Anfiht haben 
die Götter den Menfchen diefe Gefebe gegeben. Denn in ber 
ganzen Welt gilt es für das erſte Geſetz, daß man die Götter 
ehe. — Soer. Iſt nieht auch überall Gefes, daß man die 
Eitern ehre? — Hipp. Auch Diefed, ja. — Sper, Und 
daß weder die Eitern mit den Kindern, nody die Kinder mit 
den Eltern ſich geſchlechtlich vermiſchen ſollen? — Hipp. Dieß, 
Socrates, ſcheint mir fein Geſetz einer Gottheit mehr zn feyn.— 
Socr. Barum denn? — Hipp. Weit ic fehe, daß es 
Menſchen gibt, die es übersreten. — Socr. Geſete werben 
auch fonft häufig übertreten; aber Wer ein von den Göttern 
gegebenes Geſetz übertritt, muß doch Strafe leiden, der ein 
Menſch auf Feine Weife ſich entziehen kann, anflatt daß, 
Her die von Menfchen gegebenen Geſetze ühertritt, je nnd 
je der Strafe entgeht und entweder gar nicht entdeckt wird, 
sder mit Gewalt es durchſetzt. — Hipp. Und was foll das 
für eine Strafe feyn, Gorrates, der die Eltern nit ent: 
gehen können, wenn fie mit den Kindern, und die Kinder 





606 Zenophon’s Erinnerungen an Socrates. 


nicht, wenn fie mit den Eltern fich geichlechtkich vermifchen? — 
Soer. Die fhwerfte, in der That, die es geben kann. 
Denn was kann einem Menfchen Härtered widerfahren, wenn 
er Kinder zeugt, ald wenn er. fchlechte Kinder zeugt? — 
Hipp. Wie fol denn Dieß zugehen, wenn er felbft aut ift, 
und ihn Nichts hindert, zum Zwecke der Kinderzeugung 
wieder mit einer guten Perſon fi zu verbinden? — Soer. 
Drum ift es in der That nicht genug, wenn Die, welche 
mit einander Finder zeugen, gute Menfchen find; fie müffen 
auch Förperlich in der Brüche ihrer Jugendkraft ſtehen. Oder 
meinft du, es fey in der Zengungskraft Pein Unterſchied zwi⸗ 
fihen Denen, welche in der Blüthe ihrer Jugendkraft flehen, 
und zwiſchen Denen, welche diefe Blüthe noch nicht erreicht 
oder fchon überlebt Haben ? — Hipp. Nein, hier muß wahr 
baftig ein Unterfchied flatt finden. — Socr. Auf welder 
Seite wird nun der Borzug fern? — Hipp. Natürlich, 
auf Seiten Derer, welche in der Blüthe ihrer Jahre ftehen. — 
Soc. Wo diefe Blüthe noch nicht gekommen oder fchon 
vorüber ift, wird es alfo um die Zeugungskraft nicht aut 
fiehen ? — Hipp. Nicht wohl, — Socr. So follte man ſich 
alfo in diefem Falle mit der Kinderzeugung nicht befaffen ? — 
Hipp. Es fcheint mir nicht. — So er. Wer alfo unter 
ſolchen Umfländen es thut, thut ed, wie er nicht follte? — 
Hipp. So denke ih. — Socr. Bon Welchen könnte man 
num fonft fagen, fle zeugen fehlechte Kinder, ald von Diefen ? 
Hipp. Auch Hierin bin ich mit dir einverftanden. — Socr. 
Nun, und ift es nicht ebenfalls ein allgemeined Gefeb, daß 
man empfangene. Wohlthaten vergelte? — Hipp. Das ift 
. ed allerdings; aber es wird auch übertreten. — Socr. Müf: 


N 





Viertes Bud). 607 


fen num nicht and) bier die Webertreter Strafe leiden, indem 
fie von guten Freunden verlaffen, und Feinden nachzulaufen 
genöthigt- werden ? Dder find nicht Diejenigen als gute 
Freunde zu betrachten, weldye ihren Bekannten Wohlthaten 
erweifen; und Wer diefe Wohlthaten nicht erwiedert, macht 
fie durch feine Undankbarkeit ſich zu Feinden, Täuft aber wieder 
Niemand mehr nad), ald Jenen, weil es Feine nüglichere 
Betanntfchaft gibt, als die ihrige? — Hipp. In der That, 
Socrates, alles Diefed hat den Stempel göttlicher Anord⸗ 
nung. Denn daß die Strafen für die Webertrefung in unmit⸗ 
telbarem Sufammenhange mit den Gefegen ftehen, Das bentet 
auf einen mehr als menſchlichen Gefeugeber hin, — Soecr. 
Soil ‚nun Das, was die Götter zum Gefe erheben, das 
Gerechte feyn, oder verfchieden von dem Gerechten? — Hipp 
Wahrhaftig, nicht davon verſchieden; denn ſchwerlich möchte 
in einer anderen Geſetzgebung das Gerechte zu fuchen feyn, 
wenn nicht in der eines Gottes. — Socr. So find alfo ‘ 
auch die Götter der Meinung, daß Gercht und Geſetzlich 
einerlei ſey.“ 

Sp redend und handelnd leitete Socrates feine Freunde 
zur Gerechtigkeit an. 

5. Uber auch zu brauchbaren Menfchen für das thaͤtige 
Leben bildete er Die, welche mit ihm umgingen. Davon ſoll 
jetzt die Rede werden. Ueberzeugt, daß Selbſtbeherrſchung für 
Denjenigen, der etwas Rechtes zu leiſten gedenke, von Nutzen 

ſey, gab er erſtlich am ſich ſelbſt *) feinen Freunden ein Mu⸗ 





*) Mit Schuͤtz und Herbſt das alte avrop, ftatt Erneſti⸗s 
Sonjedur aurıv. 


608 Xenophon's Erinverungen an Socrates. 


ſter von Abhaͤrtung und Eutbehrung; dann empfahl er auch 
feinen Freunden in feinen Geſprächen dieſe Tugend auf das 
nachdrücklichſte. Wie es überhaupt Feine‘ Gelegenheit gab, 
wo er nicht die Beweggründe zur Tugend felbft vor Augen 
hatte, und auch feinen Freunden vorhielt; fo hielt er nament⸗ 
lich einmal mit Euthydemus über die Selbſtbeherrſchung fols 
gende Unterredung: Socr. „Döre, Euthydemus, findet dw, 
daß es um die. yreigeit für den Einzelnen, wie für ganze 
Staaten ein ſchönes und herrliches Gut it? — Euth. Ih 
kenne Nichts, was darüber ginge. — Socr. Hältft du. num 
Denjenigen für frei, der von den finnfichen Lüſten fich bes 
herrſchen und abhalten läßt, das Beſte zu vollbringen ? — 
Euth. Nicht im mindeften. — Soer. Vielxeicht ſetzeſt du 
eben die Freiheit darein, daß man das Beſte vollbringe, 
und nennſt Das unfrei, wenn man Jemand bat, der Einen 
daran verhindert? — Euth. Durchaus, ja. — Soer. Durch⸗ 
aus haͤlſt du: alfo Diejenigen für unfrei, welche ſich ſelbſt 
nicht zu beherrſchen vermögen? — Euth. Gewiß, und zwar 
mit Recht. — Seer. Wie meinſt du? werden Diejenigen, 
weiche fich ſelbſt nicht beherrſchen können, nur gehindert, das 
Scönfte zu vollbringen, oder auch gendkhigt, das Schänd⸗ 
lichſte zu thun? — Euth. Ich glaube, es gefchieht Bas Eine 
fo gut, wie das Andere. — Goer. Was haͤltſt du nun wen 
Herren, welde Einen an dem Beften hindern, unb zu dem 
Schlechteſten nöthigen? — Euth. Das fie die Schlechteſten 
fegen, die es möglicher Weife geben Fanı. — Socr. Und 
welche Sclaverei hälſt du für die fchlimmfe? — Euth. Die 
bei den fchlimmfien Herren. — Socr. So leben alfo Dieje⸗ 
nigen in der ſchlimmſten Schaverei, die ſich febbft nicht beherrs 


Viertes Buch. 609 


ſchen können? — Euth. So denke ih. — Soer. Scheint 
dir nicht auch, daß die Genußſucht den Menſchen von der 
Weisheit, dem größten Gut, entfernt halte, und ihn dafür 
ins Gegentheil ſtürze? Oder glaubſt du nicht, daß fie durch 
die Verführung zu den Dergnügungen ihn hindert, auf Das, 
was ihm nüben kann, zu achten, und ed wahrzunehmen, und 
oft, wenn er weiß, was gut und böfe ift, durch eine wahre- 
Webertäubung ihn dazu bringt, flatt des Beſſeren das Schlech⸗ 
texe zu wählen ?— Euth. So ift es allerdings. — Socr. Bei 
em möchte ferner Nüchternheit weniger zu fuchen ſeyn, ald 
bei dem Genußfüchtigen ? die Aeußerungen der Nüchternheit 
und der Genußſucht find ja das gerade Gegentheil von ein: 
amder. — Euth. Auch Dieß geflehe ich zu. — So er. Kaun 
denn Etwas den Menſchen mehr au Erfüllung ſeiner Pflich⸗ 
ten hindern, als Genußfuht? — Euth. In Wahrheit,- 
Fichte. — Socr. Und kann ed nun etwas Schlimmeres für 
den Menfchen geben, als Das, was ihn veranfäßt, das Schaͤd⸗ 
liche dem Nuͤtzlichen vorzuziehen; was ihn verfeitet, auf 
jenes feine Sorgfalt zu richten, und dieſes auffen Acht zu 
laſſen, was ihn möthigt, das Gegentheil von Dem zu thun, 
was ein DBefonnener thut? — Euth. Unmoͤglich. — Sper. 
Muß Aber nicht die Selbſtbeherrſchung gerade die entgegen⸗ 
gefeste Wirkung auf den Menſchen haben? — Eu,th. Aller: 
dings — Socr Muß nicht auch Das, was- die enfgegens 
gefehte Wirkung hervorbringt, dad Befte ſeyn? — Euth. Ganz 
natärlih. — Socr. So muß alfo die Selbftbeherrfchung für 
den Menfchen das Belle Senn? — Euth; Ganz fiher, So: 
crates. — Soer. Iſt dir aber jemals auch ſchon jener Ges 
Renophon. 56 Bbechu. 4 





610. Xenophon's Erinnerungen an Socrated. . 


danke gefommen, Euthhdemns? — Euth. Welcher ? Socr. Da 
ſelbſt das Vergnügen, das Einzige, was die Genußſucht 
dem Menſchen zu gewähren ſcheint, bei ihr nicht zu ſuchen 
ift, daß vielmehr die Selbftbeherrfhung die Quelle bes höch⸗ 
ften Bergnügens it. — Euth. Wie fo? — Sodr. Die Ge⸗ 
nußſucht Täßt und weder Hunger noch Durft noch Liebespein 
noch Schlaftofigkeit ausftehen, nimmt eben damit das Einzige 
hinweg, was Eſſen und Trinken, den Genuß der Liebe, und 
Ruhe und Schlaf würzen kann, daß man nämlich, harre und 
dulde, bis das Derlangen darnach auf den hoͤchſten Grad ge⸗ 
fliegen ift, und bringt uns fo um allen gehörigen Genuß bei 
Befriedigung der nothwendigften und bleibendften Bedürfniſſe. 
Die Seibftbeherrfchung ift es allein, was uns Duldungen und 
Entbehrungen auferlegt; darum ift fie auch die einzige Duelle 
altes wahren Senufles in den genannten Fällen. — Enth. Ich 
muß dir durchaus Recht geben. — Socr. Ja, aud wenn es 
gilt, ) etwas Schönes und Gutes zu lernen, und ſich mit 
Etwas zu befchäftigen, wodurch man in ben Stand gefept 
wird, für feinen Körper befier zu forgen, feine Haushaltung 
beffer zu führen, Freunden und dem Staate fich nüglidh zu 
madyen , und die Feinde zu beflegen , Tauter Dinge, welhe 
nicht nur die größten Vortheile, fondern auch das teinfte 
Vergnügen gewähren: and) bier ift der Gewinn auf Seiten 
Deſſen, der fidy zu beberrfchen weiß, weil ex wirklich fich dar⸗ 
auf legt, der Genußfüchlige hingegen geht leer dabei aus, 


2 zov nadelv u — of udv dpxpareig ANOAavEsOı 
wie Schuͤtz und Herbſt leſen —— 


- 


Viertes Buch. 61% 


Denn Wer kann wohl weniger Nusen und Vergnügen davon 

haben, als Wen es am wenigften möglich wird, Etwas zu 
Iernen, weil-feine Aufmerkſamkeit auf die zunaͤchſt Fiegenden- 
Vergnügungen gerichtet it ? — Euth. Deine Meinung fcheint 
mir die zu ſeyn, Socrates, daß ein Mann, der fi) von den - 
finnfichen Lüften beherrfchen Laffe, durchaus aller Tugend un⸗ 
fäbig fey. — Socr. Was hat denn auch ein Meufch, der gar 
feine Gewalt über fid) Hat, vor dem unverftändigften Thiere 
voraus? Wer an das Beſte gar nicht denkt, und immer nur 
das Angenehmſte auf jede Weife zu thun ſucht, Was könnte 
Der vor dem unvernünftigften Dich voraus haben? nur - 
Dem, weldyer fidy felbft zu beherrſchen vermag, ift es gegeben, . 
das Beſte in's Auge zu faften, Alles nach Gattungen zu ſon⸗ 
bern, und in Wort und That das Gute vorzuziehen, das’ 
Boͤſe hingegen zu vermeiden.’ Und Die, meinte er, fey ber 
Weg, anf dem Einer am tugendhafteften, glädtichiten und 
im Reden am tüchtigſten werben Zönne. *) Der Ausdruck 
reben, fagte er, komme eben daher, daß man bei gemeins: 
ſchaftlichen Berathungen die Gegenflände nach Gattungen 
gleichſam raͤdere. ) Um fo mehr müffe man ſich befleißen, 
den. Grund hiezu zu legen, und alle Mühe auf eine Uebung 
verwenden, wodurch die tugendhafteſten Männer, die geſchick 
teſten Vorſteher und die beſten Redner ***) gebildet werden. 


Scqhneider und Schuͤtz Halten dieſen Gay für ein Gloſſem. 
**) ſ. v. a. ſiebe, abſoudere. 


*) al Balextıxorarag, was Herbſt für einen aus dem 
Anfange des naͤchſten Eapiteld eingefehlichenen Sufas hält. 


4* 





612 Renophon's Erinnerumgen an Socrates. 


6. Daß er feine Freunde nicht minder im Reden weiter 
ausbildete, auch hievon will ich die Beweife liefern. Socra⸗ 
tes glaubte, Wer einen richtigen Begriff von einer Sache 
habe, der fey anch im Stande, Andern fich darüber mitzu⸗ 
theiten, wo es aber am Begriffe fehle, da feyies fein Wun⸗ 
des, wenn Einer Sic, und Andere täuſche. Daher machte er 
es ſtets fi zur Aufgabe, mit feinen Freunden über bie rich⸗ 
tigen Begriffe von den Dingen ſich zu verftäubigen. Von Als 
lem num feine DBegriffsbeflimmungen anzugeben, würbe zu 
weit führen; nur fo viel möge bier ſtehen, als nöthig ift, 
um auch von der Art und Weife feiner Unterfuchungen fid) 
eine Vorſtellung machen an können. Den Begriff der; Got⸗ 
tesfurcdht behandelte er zum Beiſpiel auf folgende Weife: 
Sper.. „Höre, Euthydemus, was häftft bu von ber Gottes⸗ 
furcht? — Euth. In der That, ich halte fie für etwas fehr 
Sthöned.. — Socr. Kannft du mir vieleicht fagen,Twas ein 
gottesfürchtiger Mann ift? — Euth. Ich denke, Einer, der 
die Gotter ehrt. — Socr. Steht ed Jedem frei, die Götter 
zu ehren, wie er wil ? — Euth. Nein, ed gibt Geſetze, nach 
denen man Diefes thun muß. — Soer. Wer alfo dieſe Ges 
ſetzt kenne, der weiß auch, wie man die Götter ehren muß ? — 
Euth. Sp denke ih. — Socr. Und Wer weiß, wie mas 
die Götter ehren muß, ber glaube auch Dieß auf Beine andere 
Weiſe thun zu dürfen, ald wie er es weiß? — Euth. Ohtte 
Zweifel. — Ener. Ehrt nun Einer die Götter anders, ald 
wie er glaubt, daß er dürfe? — Euth. Nicht wohl, — 
Socr. Wer. alfo weiß, was in Beziehung auf die Götter 
geſetzlich ift, der wird wohl auch die Goͤlter gefeblich ehren ? — 


- 


Viertes Buch, 613 


Euth. Allerdings. — Socr. Und Wer fie geſetzlich ehrt, 
der ebrt fie, wie er ſoll? — Euth. Wie könnte es anders 
ſeyn? — Soer. Und Wer ſie ehrt, wie er ſoll, der iſt got⸗ 
teilig? — Euth. Gauz gewiß. — Soer. So wird 
salfo der Begriff richtig beſtimmt ſeyn, wenn wir ſagen, got⸗ 
<fesfürchtig fen Der, welcher wiſſe, was in Beziehung auf die 
Motter geſetzlich ſey? — Euth. Wenigftens nad, meinem 
Dafürhalten. — Soer. Aber mit den Menſchen ſteht es 
FJedem frei, umzugehen wie er will? — Enth. Nein, ſon⸗ 
dern. auch hier muß Einer wiſſen, Was die Geſetze über das 
Verhalten der Menfchen gegen einander beftimmen, um geſetz⸗ 
dich zu ſeyn. — Soer. Und Diejenigen, weiche diefen Bes 
fimmungen gemäß ſich gegen ‚einander benehmen, benehmen 
fi, wie fie folen? — Euth. Unſtreitig. — Socr. Und 
Wer ſich benimmt, wie er fol, der benimmt fih gut? — 
&uth. Allerdings — Socr. Und Wer ſich gegen die Mens 
ſchen gut benimmt, der kommt auch in menfchlichen Dingen 
gut fort ? — Euth. Natürlich. Socr. Sodann, Wer ben 
Geſetzen gehorcht, thut Der nicht, was gereht if? — 
Euth. Allerdings. — Soer. Und was man gerecht nemnt, 
weißt du? — Euth. Ya, was die Gefese verordnen. — 
Soer. Alſo Wer thut, was die Gefebe verordnen, der thuf, 
was gerecht ift nnd was er fol? — Euth. Wie könnte es 
anders ſeyn? — Socr. Und Wer thut, was gerechtift, der 
iſt gercht ? — Euth. Ich dente] 9 — Soecr. Kann nun 





*) Meiste, Schuͤtz und Herbſt verbannen biefe Frage und Ant⸗ 
wort ans dem Text, als ob fie fi aus dem Nachfolgenden 





614 Zenophon’s Erinnerungen an Soerates. 


Einer den Geſetzen gehorchen, ohne zu wilfen, Was die Ges 
feße verordnen ? — Euth. Ich Kann es nicht glauben. — 
Sper. Und wenn Einer weiß, Was er thun foll, kann er 
-glauben, er follte es nicht hun? — Enth. Nicht wohl. — 
Socr. Dder weißt du Weldye, die etwas Anderes thun, als 
was fie glauben, daß fie folen? — Euth. Ic kann mirs 
nicht denken. — Socr. Alfo Wer weiß, was in Beziehung 
auf die Menfchen gefeglich ift, der thut auch, was gerecht 
iſt? — Euih. Allerdings. — Socr. Und Wer thut, was 
gerecht iſt, ift gerecht nad dem Dbigen? — Euth. Wer 
foßte es fonft feyn? — Socr. Werden wir alfo den Begriff 
richtig beftimmen, wenn wir fagen, gerecht feyen Diejenigen, 
welche wiflen, Was die Gefebe in Beziehung auf die Men 
{chen verordnen? — Euth. So fcheint ed mir wenigftend. — 
Socr. Und was fol Weisheit feyn ? Iſt der Weiſe nur in 
Dem weife, was er weiß, oder aud in Anderem, was er 
nicht weiß? — Euth. Natürlich nur in Dem was er weiß. 
Wie könnte er ed auch in Etwas feyn, was er nicht weiß ? — 
Soer. Sp macht alfo das Willen den Weifen? — Euth. 
Was könnte auch fonft den Weifen machen, ald gerabe das 
Kiffen? — Socr. Kann nun Weisheit etwas Anderes ſeyn, 
ale Das, was den Weifen maht? — Euth. Nicht wohl. — 
Sper. So ift alfo Weisheit Willen ? — Euth. Sp glanbe 
id. — Soer. Hältft du ed nun für möglich, daß ein Menfch 
Altes, was ift, mit feinem Wiſſen umfaffen inne! — Euth. 
D wahrhaftig nicht einmal den taufendften Theil davon. — 


hieher verirrt. Auch Schneiber hat fie in ber dritten Auf⸗ 
Yage aufgegeben. 


\ 





|. 


Viertes Buch. 615 


Sper. So ift es alfo nicht möglich, daß die Weisheit eines 
Menfchen fid, auf Altes erfirede? — Euth, Nein, ‚gewiß 
nicht. — Socr. Ein Feder ift demnach nur weife fo weit, 
als fein Willen geht ?— Euth. So denke id) wenigftend. — 
Sper. Muß nie auch der Begriff bed Guten aufzdiefelbe 
Weife aufgefucht werden, Euthydemus? — Euth. Auf 
weihe? — Socr. Meinft du, daß ein und daffelbe Ding 
Allen nützlich fey 2 — Euth. Nein, id nicht. — Soſer. Ja, 
iſt nicht, was dem Einen nüslich ift, zuweilen einem Andern 
ſchädlich? — Euth. Ja wohl. — Socr. Denkſt du dir nun 
: unter guf etwas Anderes, ald was nützlich iti— Euth. 
Keineswege. — Socr. So ift alfo das Nüsliche gut für 
Denjenigen, welchem es nüslih it? — Euth. So dünkt 
mid. — Socr. Und ließe ſich von der Schönheit eine andere 
Erklärung geben? Oder kannſt du einen fchönen Körper, ein 
ſchönes Geraͤthe oder fonft irgend Etwas nennen, von dem du 
wüßteft, daß ed in jeder Beziehung fchön wäre? *) — Euth. 
Keineswegs. — Sosr. Paßt nun nicht jedes Ding zu dem 
Zwede ſchoͤn, zu welchem es brauchbar it? — Euth. Aller: 
dings. — Sper. Und ift überhaupt Etwas in anderer Bes 
ziehung fchön, als in Beziehung auf den Zweck, zu weichem 
es Schön paßt? — Euth. Unmoͤglich. — Socr. So ift alfo 
das Brauchbare fchön in Beziehung auf den Zweck, wozu es 
brauchbar it? — Euth. So dünkt mid, wenigſtens. — 
Socr. Die Tapferkeit ferner, hältft du fie für etwas Schö⸗ 
nes? — Euth. Fa, für etwas fehr Schönes. — Socr, Du 





*) Nach Weide und Herbſt: 7 EXoıg Ti... 





616 Zenophon’d Erinnerungen an Socrates. 


meinft alfo, fie fey nicht zu den geringen Dingen gut? — 

Euth. Im Gegentheil, zn den wichtigften. — So cr. Meint 

bu nun, es ſey in Neth und Gefahren gut, ſeine Lage nik 

zu kennen? — Euth. Nicht im mindeften. — Soer. Warn 

alfo Einer die Gefahr nicht fürchtet, weil er fie. nicht -feuat, 

fo ift er auch nicht kapfer 2? — Enth. Unſtreitig. Denn ſonſt 

müßte. mancher Rafende und Feige fapfer ſeyn. — S'o er. Und 

wenn Einer auch da ſich fürchtet, wo es Feine Noth hat? — 

Euth. So ift ers noch viel weniger. — Socr. Hältſt vu 

‚vielleicht Diejenigen für tapfer, welche in Noth und Gefahren 

ont find, und Diejenigen für feige, welche in folchen Faͤllen 

fchlecht find? — Euth. Allerdings. — Socr. Und folen 

gut in folchen Fällen Andere feyn, als Diejenigen, welche 

ſich dabei recht benehmen können ? — Euth. Keine Anderen. — 

Sper, Und ſchlecht wären alſo Diejenigen, welche fich: dabei 

Schlecht benehmeni? — Euth. Wer denn fonft ? — Spcr. Be- 

nimmt ſich nun nicht Jeder, wie er glaubt, daß er folle? — 

Euth. Ohne Zweifel, — Sper. Wer ſich nun micht recht- 
benehmen kann, weiß Der, wie er ſich benehmen fall? — 

Euth. Nicht wohl. — Soecr. Ufo Wer weiß, -wie er fi 

- benehmenkfol, Der kann es auh? — Euth. Sonft Fein Uns 

‚derer. — Socr Nun, und Wer fid) nicht verfehlt hat, benimmt 
Der ſich in folchen Fällen ſchlecht? — Euth. Ich denke nicht. — 

Socr. Verfehlt Haben ſich alfo Die, weiche ſich ſchlecht be⸗ 
nehmen? — Euth. Natürlich. — Soer. Demnach Wer in 

Noth und Gefahren ſich vecht zu benehmen weiß, iſt tapfer, 

und Wer dabei das echte verfehlt, ift feige? — aus So 
dünkt mich wenigſtens.“ 


= 








Viertes Vuch. u 617 


Im Tyxannenthum, wie un Koͤnigthum erkannte er -eine 
-Serpchergemalt, aber er nahm einen Unterſchied zwiſchen beis 
ben an. Königthum nannte er diejenige Herxrſchergewalt, 
welche wit dem Willen der Meufchen und den Gefeben ges 
:mäß gehandhabt werde; unter Zyrannenthum Dagegen bers 
Itand er eine folche, welche gegen den Willen der Untertha⸗ 
sen, und nicht in Gemäßheit:mit ben Gefeßen, ſondern nach 
der Willkühr des Herrſchers gehandhabt werde. Wo bie 
:oberfte Gewalt Denen in die Hände gegeben wird, welche bie 
Geſetze erfüllen, ba naunte er die Staatsverfaſſung eine Ari⸗ 
ſocratie Edelherrſchaft); wo die Reichen bie Oberhand has 
ben eine Plutocratie [Gelöherrfchaft]; und wo Alle mitzu⸗ 
‚Sprechen haben, eine Democratie [Volksherrſchaft). Wenn ihm 
Jemand in Etwas widerſprach, und Seinen beftimmten Grund 
anzugeben wußte, fondern ohne Beweis einen Andern, als 
Socrates meinte, für einen größeren Weiſen, Staetsudhn 
‚oder Helden, oder. für fonft Etwas der Art erklaͤrte, fo führte 
gr gewöhnlich den ganzen Streit. auf. die urſprüngliche Frage 
zurüd, ungefähr auf folgende Art: Socr. „Hältft du Den: 
jenigen, welchen du rühmſt, für einen befferen Bürger, als 
Den, welchen ich nenne? — Der Andere. Allerdings. — 
Socr. Wollen wir baher nicht vor Allem fehen, mas zu 
einem guten Bürger gehört? — Der And. Ganz recht. — 
-Gper. Bei Verwaltung einer Kaffe wäre wohl Derjenige 
der Beſſere, welcher die Gelbangefegenheiten bed Staates vers 
befferte ? — Der Und. Ohne Weiteres. — Socr. Und im 
‚Kriege Derjenige, welcher ihm den Sieg über die Feinde 
verſchaffte? — Der And, Unſtreitig. — Socr. Und bei einer 


+4 


618 Kenophon’3 Brinnerungen an Socrates. 


Geſandtſchaft Der, welcher aus den Feinden Freunde machte ?— 
: Der And. Natärlih. — Socr. In der Volksverſammlung 
- endlidy Der, welcher den Parteiungen ein Ende machte,! und 
Eintracht flifteter — Der And. So dünkt wenigftend mic.’ 
Durch diefe Zurüdführung des Streits auf den. Fragepunkt 
machte er auch feinen Gegnern die Wahrheit einleuchtend. 
Wenn er dagegen für fih Etwas ausführte, fo ging er won 
den anerkannteſten Wahrheiten aus, weil er diefe Art der 
Entwicklung für die ficherfte hielt. Daher weiß id) auch Kei⸗ 
nen, der es fo verflanden Hätte, die Beiftimnung der Zuhörer 
zu erhalten, wie er, wenn er auftrat. Daruım,kfagte er, Babe 
aAauch Homer *) dem Ulyſſes das Lob eines fiheren Redners 
beigelegt, weil Diefer das Talent gehabt habe, feine Reben _ 
"In allgemein angenomniene Sätze anzufchließen. 
7. Daß Socrates feine Gedanken Denen, welche mit 
“ihm umsingen, ohne alfen Rückhalt mittheilte, das fcheint mir 
- aus dem Bisherigen fchon. hinreichend zu erhellen; jebt werbe 
ich noch ausführen, daß er fie auch in den nöthigen Verrich⸗ 
tungen zu größerer Seldftfländigkeit zu bilden fuchte, Ich 
‚weiß Niemand, ber fo bemüht gewefen wäre, wie er, bie 
Kenntniffe feiner Freunde zu erforfhen, und zugleich fo 
bereitwillig von Dem, was ein edler und tüchtiger Mann 
wiffen muß, Was er nur felbft wußte, ihnen mitzuthei⸗ 
ien; in Beziehung auf Dasienige aber, worin er ferbft 
weniger unterrichtet war, fie an Andere zu empfehlen, bie 
fi) daranf verftanden. Namentlich lehrte er fie auch, wie 
weit ein Mann von gehdriger Bildung von jedem Gegenflanbe 


*) Homer Odyſſ. VII, 171. 





Viertes Buch. 619 


unterrichtet feyn muͤſſe. Zum Beifpiel, die Meßkunſt müffe 
man fo weit treiben, bis man im Stande fey, im Falle der 
Roth zum Behufe einer Uebernahme oder Uebergabe oder eis 
ner Vertheilung, ein Stüd Landes richtig zu vermeflen oder 
die Richtigkeit der Vermeſſung nachzuweiſen. So viel aber 
lerne fih-fo leicht, daß man nur bei einer Vermeſſung Adıs 
tung geben dürfe, um. nicht nur dad Maß des Grundftüdes, 
fondern auch die Art und Weife, wie gemeffen werde, abzu⸗ 
merden. Hingegen die Meßkunſt bis zu den ſchwerverſtaͤnd⸗ 
lichen Figuren zu treiben, mißbilligte er. Er fagte, er fehe 
nicht ein, wozu diefe nützen follenz wiewohl er felbft mit 
ihnen nicht unbekannt war; aber er meinte, folche Unterſu⸗ 
chungen nehmen ein ganzes Menfchenteben in Anfpruch, und 
manche andere nüsliche Kenntuiß werde tarüber verfäumt. 
Auch mit der Sterntunde ſich bekannt zu machen, empfahl 
er, aber nur fo weit, bis man im Stande fen, die Zeit der 
Tracht, des Monats und des Jahres zu erkennen, zum Behufe 
von Reifen zu Wafler und zu Lande, und für den Wacht: 
dienft, und um and, fonft bei allen an Nacht, Monat oder 
Jahr gebundenen Gefchäften ſich darnach richten zu Fünnen, 
Auch Dieß laſſe ſich übrigens Leicht Ternen von den Nachts 
jägern, *) Seefahrern und vielen Undern, welche Veranlaſ⸗ 
fung haben, ſich damit abzugeben. Dagegen warnte er nadıs 
drücklich davor, die Sternfunde bis zur Bekanntfchaft auch 
mit denjenigen Himmelskörpern, **) welche ihre Lage gegen 


+) yUxTodne@v mit Herbſt; Andere, namentlich Schueider 
und Schüg, leſen vuxrornowv, der Nachtwächter. 
**) Die alte Sterntunde theilte die Geſtirne in folche, welche fich 


620 Zenophon’s Erinnerungen an Socrates. 


ıdie übgigen gerändern, "bis zur Kenntniß der irrenden und 
: smorbentlichen: Seflirne zu tueiben, und wit Unterfuchungen 
über. ihre Sutfernungen, Bervegungen und bie Urſachen ber- 
:fetben ſich abzumühen; er fagfe, er wiſſe dabei: feinen Zweck 
-abzufehen; wiewohl er ſelbſt :andı damit nicht unbekannt ge⸗ 
blieben war: aber er meinte, auch Diefed nehme ein ganges 
Menſchenleben in Auſpruch und halte von manchem Rüs- 
lichen ab. Ueberhaupt mißrieth er Grübeleien über die Urt 
sad Weife, wie die Gottheit: die Beränderungen.am Himmel 
bewirke; er. hielt es für eben fo unmöglich, daß die Men⸗ 
fchen Dies ergründen können, als er daran zweifelte, daß bie 
Götter Gefallen ſinden werden an Unterſuchungen über Dinge, 
Melche fie ſelbſt zu offenbaren nieht faͤr gut gefunden haben. 
:&r meinte, man könnte, wenn man ſich über ſolchen Sachen 
den Kopf zerbreche, eben fo gut Gefahr laufen, zu faſeln, 
als AUnasagoras *) gefafelt habe, er, der ſich auf die Erkläs 
zung ber göttlichen Wirkungsweife am meiften zu gute ges 
than. :Diefer habe die Gteichartigkeit von Sonne und Feuer 
behauptet, und nicht bedacht, daß die Menschen das euer 
mit aller Leichtigkeit anfehen, aber den Aublick der Some 





zugleich mit dem ganzen Simmel, alfo auch zugleich mit kam 


groͤßten Theile der Übrigen Geflirne bewegen, und in folce, 
welche eine .abaefonderte Bewegung haben. Die Unregel⸗ 


mäßigteit der letzteren bezog ficy entweder auf ihre Vahn 


Planeten)‘, oder auf die- Zeit ihrer Erſcheinung (Eoufeten). 
S. Diogenes Laẽërt. VII, 144. 
*) Anaragorad von Klazomene, ein Philoſoph ber Joniſchen 
Schule, Zeitgennffe und Lehrer des Perices, 


m 





Diertes Buch. 621 


nicht ertragen können, und daß die Sonne fie ſchwarz faͤrbe, 
das. Feuer aber nicht; nicht bedacht, daß auch bie Gewächfe 
der. Erde ohne den Sonnenſchein gar nicht recht gedeihen« 
weiten, während durch die Hitze des -Yeuers alle verderben... 
Er habe ferner behauptet, die Sonne fey ein von Feuer: 
durchglähter Stein, und baran gar nicht gedacht, daß ein 
Stein im Feuer weder leuchte, noch Tange fich halte, während: 
die Sonne ohne Aufhören ald der Lenchtendfte Körper da⸗ 
ſtehe, den es gebe. Auch die Erlernung der Rechentunft 
rieth er an; aber andy Hierin, wie in den andern Fächern, 
rieth er vor unnüsen Weitfäufigkeiten fich zu hüten. Alles: 
unterſuchte und erklärte ex vor feinen Freunden nur fo weit, 
als es Nutzen haben konnte. Auch die Sorge für die Ge⸗ 
ſundheit empfahl er feinen Freunden angelegentlich; umd hieß 
fie ſowohl bei Männern vom Fach alten möglichen Aufſchluß 
fuchen, ald auch ihr ganzes Leben hindurch auf fich ferbft Acht 
haben, welche Speife, welches Getränke, welche Bewegung 
ihnen wohl befomme, und welches wohl in Auſehung derſel⸗ 
ben das zwedmäßigfte Verhalten für ihre Gefunbheit wäre, 
er fo auf fich ferbft Acht habe, Lönne nicht wohl einen Arzt 
finden, der beffee wüßte, was feiner Geſundheit zutraͤglich 
wäre, als er ſelbſt. Wenn aber Jemand in Dingen, welche 
menfchliche Weisheit überfleigen, Berathung fuchte, fo ver⸗ 
wies er ihn auf die Wahrfagerfungft. Wer.die Zeichen kenne, 
durch weiche die Gotter fid, den Menfchen über ihre Ange⸗ 
Vegenheiten mittheilen, der werbe nie von dem Rathe der 
Göoͤtter verlaffen feyn. 





622. Zenophon’s Erinnerungen an Socrates. 


8. Freilich ! Socrates behauptete, die Gottheit gebe ihm 
Andeutung, was er thun oder laſſen ſolle, und wurde boch 
son den Richtern zum ode verurtheilt. Wenn nun Jemand 
glaubt, daß er deßhalb in Beziehung auf die Gottheit einer 
Unwahrheit fchufdig werte, fo bedenke er für’s erfte, daß So⸗ 
crates damals fchon in einem Alter war, wo er, wenn auch 
nicht jest ſchon, Doch nicht Tange nachher hätte fterben müfs 
fen; ſodann, daß er dem beſchwerlichſten Theile des Lebens, 
wo: bei Alten die Geiſteskraͤfte abnehmen, entging, und flatt 
deffen durch die Beweife von Seelenflärke, die er gab, nody 
an Ruhm gewann, indem er nidt nur auf das wahrfte, 
freimäthigfte und gerechteſte fi vor Gericht vertheidigte, 
fondern anch feine Verurtheilung zum Tode auf das gelafs 
fenfte und flandhaftefle ertrug. Denn ed wird allgemein au⸗ 
erkannt, daß in der ganzen Geſchichte ſich kein Beiſpiel finde, 
wo Einer fchöner den Tod ertragen. Er mußte nämlich nach 
dem Ausſpruche des Zodesurtheild noch dreißig Zage am 
Leben bleiben, weil das Defifche +) Heft in jenem Monate 
war, und nad) dem Geſetze Niemand hingerichtet werben darf, 





+, Dad Delfine Feſt wurde zu Ehren bed Apollo auf Delos,- - 
einer der Cycladen im Aegeiſchen Meere, die jenem Gotte . 
Heilig war, gefeiert. Es beftand in einer feftlihen Gefandt- 
ſchaft (Chorwallfahrt), welche jeded Jahr von Athen dahin 
gefchicdt wurde. Theſeus Hatte diefe Feſtgeſandtſchaft dem 
Apollo für den Fall gelobt, wenn es ihm gelänge, den Mi⸗ 
notaur zu tödten, und mit den übrigen, biefem Ungeheuer 
u Dpfern beftimmten, Sünglingen und Jungfrauen nach 
then zu enttommen. ol. Pauſan. I, 27., Diodor IV, 61., 
fowie Plato Phaͤdon $. 2. 


Diested Bud), . 625. 


bis die Feftgefandtfchaft von Delos wieder zurückgekommen iſt, 
und diefe Zeit über waren alle feine Vertrauten Zeugen, daß 
er auch nicht im mindeften fi) gegen die frühere Zeit vers 
änderte; und body wurde er bis dahin mehr, als irgend Einer - 
wegenIfeines fröhlichen und heiteren Sinnes bewundert, Und 
wie könnte Einer fihöner fterben, ale fo? Dder weicher Tod 
konnte fchöner feyn, ald wenn man am fchönften flicht 2 Wel⸗ 
cher Zod ferner glücklicher, als der ſchöuſte? und welcher eine 
größere Gnade der Götter, als der glücklichſte? Auch was 
id) von Hermogenes, *) dem Sohne des Hipponicus, über 
ihn gehört, **) will ich erzählen. Wie nämlich Melitus bes - 
reits feine Klage gegen Socrates angeftelit hatte, und Her⸗ 

mogenes ihn von allem Andern, nur nicht von feinem Prozefie - 
reben hörte, fo erinnerte ihn Diefer,. er folle andy an feine 
Wertheidigung denken. Socr. Scheint bir nicht, daß ich mein- 
ganzes bLehen hindurch mid, darauf vorbereitet habe? — 
Herm. Und wie denn? — Socr. Mein Leben lang habe 
ich nichts. Anderes gethan, als Betrachtungen angeftellt über 
das Gerechte und Ungerechte, und das Gerechte geübt, das 
Ungerechte dagegen gemieden, und Dieß halte ih für bie 
fchönfte Vorbereitung zu einer Vertheidigung. — Herm. Lehrt 
nicht die Erfahrung, Socrates, daß bie Richter in Athen oft 
durch ein Wort ſich haben beftimmen Taffen, Solche, die Nichts 
verſchuldet hatten, zu vernrtheilen, und Andere, welche wirks 
lich ſchulbig waren, loszuſprechen? — Socr. Ic) hatte aud) 

*) Hermogenes, f. zu I], 10. 


»*) Kenophon kann hier nur Gehoͤrtes erzählen, weil ex ſelbſt um 
dieſe Zeit in Afien für den jängern Cyrus Kriegdbienfte that, 


634 RXenophon's Erinnerungen an Socrates. 


in ber That ſchon angefangen, Hernrogenes, mid, mit einer 
gerichtlichen Vertheidigung zu befaſſen; aber bie Gottheit war 
dagegen. — Herm. Sonderbarl — Socr. Du wunberft did), 
wenn die Gottheit es für beffer eramtet, daß ich jest mein 
Leben befchließe? Weißt dus nicht, daß ich bis anf biefen Tag 
feinem Menfchen den Vorzug einräumen möchte, beſſer nnd 
arigenehmer gelebt zu haben, als ich? Denn beffer kann wohl 
Niemand leben, als Wer am beften ſich angelegen ſeyn laͤßt, 
immer beffer zu werden, und auch Niemand angenehmer, ale 
Wer am Iebhafteften fühlt, daß er beffer wird. Undz Dieß 
fand ich bisher bei mir, und auch, wenn ich mit Anderen zu» 
fammentraf und mit ihren mich zuſammenſtellte, konnte ich 
nie mich veranlaßt fühlen, meine Meinung von mir ſelbſt zu 
ändern. Fa, nicht nur ich, fondern auch meine Treunde has 
ben fortwährend dieſe Ueberzeugung von mir, nicht aus Vor⸗ 
tiebe für mid (denn fonft wärben auch Andere von- ihren 
Freunden eben ſo urtheilen aus Vorliebe für Dieſe), ſondern 
weit” fie. ſelbſt auch nicht beſſer werden zu koͤnnen glauben, 
als durd) den Umgang mit mir. Würde ich längere Seit noch 
leben, fo müßte ic, vielleicht die Laften des Alters tragen; 
Geſicht und Gehör, Denkkraft, Faſſungskraft und Gedächts 
nig würden bei mir abnehmen, und Andere, die biöher mir 
nachftanden, mir voraneilen. Und würde ich Diefes nicht 
fühlen, fo wäre mein Leben nicht des Lebens werth; fühlte: 
ich es aber, wie könnte ich dann anders, als fchlechter und 
unangenehmer leben? Geſetzt dagegen, ich flerbe durch Unge⸗ 
rechtigkeit, fo möchte wohl Diejenigen, welche mid) ungerechter 
Weiſe töbten, Schande treffen; [bemn ift überhaupt Ungerech⸗ 


Vierte Bud. 685 


Higfeit eine Schanbe?, wie follfe nicht Auch jede ungerechte 
Handlung eine Schande fenn?*)] Aber wie kann es mir 
Schande bringen, wenn Andere zu ſchwach find, in meiner 
Sache zu denken und zu handeln, wie es gerecht wäre? 
Auch aus der Vorzeit ftehen Diejenigen, welche Ungerechtes 
fih erlaubten, nicht in demſelben Lichte bei der Nachwelt, 
wie Die, welche Ungerechtes erduldeten. Und fo habe ich 
denn die Zuverficht, daß and, ich, felbft wenn ich jetzt flerben 
muß, Würdigung finden werde bei der Menfchheit, nicht auf 
gleiche Weife wie meine Mörder. Ich Habe die Zuparficht, 
daß mir ſtets dag Zeugniß wird gegeben’ werden, ich habe 
nie einen Menfchen Unrecht gethan, Keinen fchlechter gemacht, 
wohl aber ſtets mich bemüht, meine Freunde beffer zu ma⸗ 
hen. Sp fprady er”gegen Hermogenes und gegen die Uebri⸗ 
gen. Und Wer ihn Eannte, wie er war, und ein Freund ber 
Zugend ift, der fühlt noch jest in fich die lebhafteſte Sehn⸗ 
ſucht nach ihm, als nad dem beften Führer auf dem Pfade 
der Tugend. Mir fchien fein Geift und Character, wie id) 
ihn gefchifdert, feine Gottesfurcht, die ihn Nichts ohne die 
Einftimmung der Götter unternehmen ließ; feine Gerechtig⸗ 
feit, nach der er Niemand auch nur im Geringften fdyadete, 
vielmehr die größten Dienfte Denen leiftete, die mit ihm um⸗ 
gingenz feine Herrfchaft über fidy ferbft, die ihn nie das An⸗ 
genehme dem Guten vorziehen ließ; fein Verftand, mit dem. 


*) Schneider Hält diefe Worte, als abgeſchmackt, für unterfchopen. 
Herbſt liest im Texte mit Bornemann Eiys und bezeichnet 
nur die zweite Hälfte des Satzes mit ihm ald unddt. Schuͤtz 
laͤßt den ganzen Say gelten ; wir folgen feiner Erklaͤrung. 

Kenophon. 58 Boͤchn. 5 





Fr 
626 Zenoph. Erinner. an Soerated. Viertes Buch. 


er nie -in Beurtheilung bed Beſſeren und Schlechteren irrte, 
und zur Entfcheidung darüber Feines Andern bedurfte, fon= 
dern ſich felbft genug wars feine Fertigkeit, feine Gedanken 
mitzutheilen und in beftimmte Begriffe zu fallen, fowie auch 
Andere zu prüfen, und wenn fle fehlten, zurecht zu weifen 
und zur Tugend und Nechtfchaffenheit zu ermuntern: dieſer 
fein Geift und Eharacter ſchien mir das vollkommenſte Bild 
‘eines trefflihen und glüdtlihen Mannes zu feyn. Und Wen 
Dieß nicht fo dünkt, der flele den Character eines Andern 
daneben, und urtheile ! Ä 





Kenophon’s 
Vertheidiguns des Socrates. 


Einleitung 


Die Vertheidigung des Socrates nach) Xenophon 
fol nicht, wie ‚man vermuthen möchte, den Socrates 
vertheidigen, fündern Socrates vertheidigt fi fih in ihr, 
und er thüt Dieß in ihr nicht, wie in der Plato- 
nifchen, in einer von dem Schriftfteler ihm in den 
Mund gelegten Nede, fondern in dem hiftorifch ges 
treuen Berichte feines Schülers. Die Schrift reißt 
auc nicht diefe einzelne Thatfache der Vertheidigung 
aus ihrem natürlichen Zufammenhange heraus; fie 
umfaßt das ganze Benehmen bed Socrates in Bezie- 
hung auf feine Anklage und Verurtheilung, und fte 
beſchraͤnkt fich eben fo wenig babei blos auf die 
äuffere Erfcheinung; fie führt uns die einzelnen Er- 
Iheinungen vielmehr nur in der Abficht und fo weit 
vor das Auge, um bie Gefinnung, aus der fie her- 


628 Einleitung. 


vorgingen, um den großen Geift, deffen Abdruck jenes 
Benehmen war, zur Anfchauung zu bringen. Go: 
rates, Dieß ift der Grundgedanke unferer Schrift, 
hielt für das größte Gut nicht Das Leben, das feine 
Seinde ihm nehmen wollten, fondern dad Leben, dag 
er geführt hatte, für das größte Uebel nicht den Tod, 
der ihm drohte, fondern die Gottlofigfeit und Unge— 
rechtigfeit, wie man fie ihm zur Laſt legte. Diefe 
Weberzeugung fprad) er aus noch vor feiner gerichtli- 
hen PVertheidigung gegen Hermogenes S. 652 — 634. 
Aus ihr ging hervor, was er vor feinen Michtern 
ſprach ©. 635 — 638, Sie leuchtet noch Flarer hervor 
aus feinem Benehmen nach feiner Verurtheilung un⸗ 
mittelbar. Hieher gehören 1) fein Benehmen in Be- 
ziehung auf Straffhägung ©. 659. 2) in Beziehung 
‚auf die ihm angebotene Gelegenheit*) zu fliehen. Ebend. 
3) Seine Abfchiedsrede an die Richter ©. 639. 640. 
4) Seine Antwort auf feiner Schüler und namentlid) 
des Apollodorus Jammern ©. 640. 641, 5) Seine 
Yeußerungen über Anytus ©. 641 — 645. Ob nun diefe 
Vertheidigung wirklich ein Werk des Xenophon -fey, 





*) Daß Dieh eine andere Gelegenheit ift, als die, welche 
ihm feine Schüler nad) Plato im Crito 8. 4, verfchaffen 
wollten, erhellt aus der Reihenfolge, die hier beob⸗ 
achtet iſt. 








Einleitung.. | 629 


koͤnnte, nad) den Bemerkungen von Balfenner zu den 
Erinnerungen im Anfange und von Schneider zu 
Vertheidigung S. 632,, zweifelhaft fcheinen, wenn man 
fich der Auetorität diefer Männer eben fo unbedingt 
unterwerfen wollte, wie Dieß von den berühmteften 
neueren Philologen gefchehen ift. Allein es braucht 
weiter nichts, als die von Schneider vorgebrachten 
Orände anzuſehen, um die Nichtigkeit des darauf 
gebauten Verdammungsurtheiles einzufehen. *) Und 
ſollte nicht für die Nechtheit unferer Schrift ſchon die: 
Kuͤrze und Einfachheit derfelben ein guͤnſtiges Vor⸗ 
urtheil erweden? Würde ein Sophifte ein fo reiches. 
Feld für, feine Declamationen fo unbenäßgt haben lie= 
gen laffen? Würde er ſich fein Ziel fo enge geftedt, 
wicht eher Plato's Apologie fi zum Muſter genom⸗ 
men, und, wie Libenins, feiner Rednerader den vollen. 
Lauf gelaffen haben? Nur die ‚Trage ift noch zu 
beruͤhren, da. die Uebereinftimmung mehrerer Stellen- 
der Bertheidigung mit folchen in. den Erinnerungen 
offenbar ift, .welche von beiden Schriften aus der: 
anderen gefchöpft und alſo fpäter gefihrieben ift. Ei⸗ 


*) Dieß ift auch von Bornemann in feiner Bearbeitung der 
Apokogie mit aller zu wuͤnſchenden Ausfünrtichkeit nach⸗ 
gewiefen worden. 


630 Einleitung. 


nige Neuere *) haben ſich für die fpätere Abfaſſung 
der Erinnerungen erklärt. Die Beftimmtheit und das 
Maß, welches unfere Schrift beobachtet, gegenüber 
son den Anwandlungen rhetorifchen Schwulftes , die 
bei aller fonftigen Einfachheit in den betreffenden 
Stellen der Erinnerungen fic) finden, möchten eher 
die Annahme begünftigen, daß die Vertheitigung das 
fpätere Werk fey. Ja, fie fcheint in dem ganzen 
größeren Cyclus ber Socratifchen Erinnerungen, dem 
fie nebft dem ‚‚Hauswirthe” und dem „Gaſtmahle“ 
‚angehört, die fpätefte Schrift zu ſeyn. In diefem 
kann wohl kein Merk früher abgefaßt feyn, als die 
vorzugsweife fo genannten Erinnerungen, da allein 
der Anfang diefer Schrift Feine Spuren eines Zuſam⸗ 
menhanges mit früheren Schriften ähnlichen Inhalts 
darbietet. Diefe Schrift flieht num zwar auch durch 
ihren Schluß als ein in fich abgefchloffenes Werk da; 
allein. Dieß hindert nicht anzunehmen, daß Zenophon 
fpäter Einzelneö, was dort nur angedeutet iſt, weiter 
auszuführen fich entichloffen habe. Nur die Verthei- 
digung war in feinem Falle diejenige Schrift, welche 
ſich an die Erinnerungen zunachft anreihte. Zuerft 


°*) Der Derfafler. der Abhandlung vom Prozeß des Socra⸗ 
tes in der Biblioth. d. alten Lit. und Kunft I, ©. 6., 
ferner Weiske und Bornemann. 


Einleitung. 631 


kann fie fhon darum in dem genannten Eyelus nur 
einen Anhang abgeben, weil fie nicht unmittelbar 
Zenophontifche, fondern eigentlich Hermogenifche Er: 
innerungen enthalt. Sodann ift fie auch vermöge 
ihres Inhaltes weniger dazu geeignet, zu dem dar⸗ 
zuftellenden Ideale eines edeln Mannes einen Beitrag, 
als vielmehr dem fchon dargeftellten feine Vollendung 
zu geben. Daber ift derfelbe Stoff auch in den vor⸗ 
zugöweife fo genannten Erinnerungen zulest behan⸗ 


delt. Hiezu kommt noch ein dritter Punft. Born den 


drei Nachträgen zu den Erinnerungen hat ndmlich 
feiner einen Schluß, wodurd) er. als das letzte Stuͤck 
eines größeren Ganzen bezeichnet wurde, als eben 
die Vertheidigung, deren Schluß mit dem der Erin: 
nerungen fo auffallende Aehnlichkeit hat, daß man 
faum verfennen kann, Zenophon lege hier zum zwei⸗ 
tenmale die Feder nieder, mit der er fchon früher 
feinem Lehrer ein fo wärdiges Denkmal gefeht hatte. 
Auch in Stellen der Schrift felbft möchte die hier 
aufgeftellte Behauptung eine Beftätigung finden. 
Aber fchon das Bisherige ift als Einleitung in eine 
fo Heine Schrift vielleicht zu viel geworben. 





VBertheidigung ded Socrates. 


Auch die Art, wie Socrates nad) feiner Vorladung vor 
Seriht in Bezug auf Vertheidigung und Lebensende ſich 
benommen, fcheint mir des Andenkens werth zu ſeyn. Zwar 
haben auch Andere diefen Gegenſtand behandelt, und ſaͤmmt⸗ 
lich feine ſtolze Sprache erreicht, ein deutlicher Beweis, daß 
Socrates in Wahrheit fo gefprochen haben muß; nur daß er 
bereits die Weberzeugung hatte, der Tod fey für ihn wün⸗ 
ſchenswerther, als dad Leben, haben fie nicht auseinanders 
gefest, und Die hat die Folge, daß die ſtolze Sprache, die 
er führt, minder vernünftig erfcheint. Hermogenes*) dagegen, 
der Sohn des Hipponicus, fand nicht nur fehr vertraut mit 
ihm, fondern was er von ihm berichtet, ift auch von der Urt, 
daß die ſtolze Sprache des Socrates feinem Verſtande ange⸗ 
meſſen erfcheint. Wie Diefer erzählt, fo bemerkte er, daß 
Socrates von allem Andern, nur nicht von feinem Prozefle 
redete, und fagte zu ihm: „Waͤre es nicht beffer, Socrates, 
du würdeft auch an deine Vertheidigung deuten? — Soer. 
Scheint dir nicht, daß ich mein ganzes Leben hindurch anf 
meine Dertheidigung mich vorbereitet habe? — Herm. Und 
wie? — Socr. Ich habe mein Leben lang nie Jemand Uns 
recht gethan, und Dieß halte ich für die fchönfte Vorbereitung 


+ &, Erinnerungen an Socr. IV, 8. 








’ 


Renophon's Vertheidigung des Socrates. 633 


zu einer Vertheidigung. —  Herm. Lehrt nicht die Erfahrung, 
daß die Gerichtshöfe in Athen oft Solche, die Nichts vers 
fchutdet hatten, zum Tode verurtheilt haben, bios weil fie 
durch eine Rede dazu geſtimmt wurden, und eben fo oft 
Schuldige freigefprochen , weil Diefe durch ihre Rede ihr 
Mitleiden zu erregen oder ihnen zu fchmeichein wußten? — 
Sper. Ich Habe aber auch in ber That fchen zweimal ange⸗ 
fangen, mit meiner Vertheidigung mid, zu befaffen ; aber bie 
Gottheit ift dagegen. — Herm. Sonderbar! — Socr, Du 
findeft es fonderbar, wenn auch die Gottheit es für beſſer 

Hält, daß ich jene Schon ſterbe? Weißt du nicht, daß ich bie 
auf diefe Stunde keinem Menfchen den Vorzug eingeräumt 
habe, befier, als ic, gelebt zu haben? denn ich hatte das 

wohithuendfte Bewußtſeyn, das es geben Fann; ein ganzes. 
Leben, unfträftidy und gerecht hingebracht, lag vor mir, und 
war ich ſelbſt vollkommen mit mir zufrieden, fo fand ich. 
auch, daß meine Freunde mir diefelbe Gerechtigkeit widerfah⸗ 
ren ließen, Würde mein Leben jebt noch länger dauern, fo 
müßte ich unfehlbar den Tribut des Alters entrichten; mein 

Geſicht und Gehör, meine Faſſungskraft, mein Gedaͤchtniß 
würden abnehmen. Und würde ich Dieß fühlen, daß ich 
ſchwaͤcher würde, und mit mir unzufrieden werden, wie 
könnte dann das Leben noch Reiz für mich haben? Vielleicht 
verhilft mir auch die Gottheit nad, ihrer Güte nicht blos 
dagu, daß ich zu rechter Zeit das Leben ende, fondern auch 
fo leicht als möglich. Denn wenn ich jetzt verurtheilt werde, 
fo iſt mir ja vergönnt, ded Todes zu flerben, welcher für den 
Leichteften erftärt ift von.Denen, die ſich mit dieſem abgege⸗ 
ben, welcher am wenigften befchwerlich wird den Freunden 


ww, 





654 Xenophon's Vertheidigung des Socrates. 


und die größte Sehnfucht erweckt nad) dem Gterbenden. Denn 
wenn dieſer nichts Anftößiges und MWidriges in den Seelen 
der Umftchenden zurückläßt, wenn er mit gefundem Körper 
and mit einem für Freude empfänglichen Geifte dahinwelkt, 
wie müßte er nicht nothwendig Sehnfucht nach ſich zurücklaſſen? 
Die Götter hatten Recht, mir damals bei ber Morbereitung 
auf bie Rede entgegen zu feyn, als ihr meinte, man mäfle 
anf jede Weife Mittel zu meiner Befreiung fuchen. Denn 
wäre mir diefe gelungen, fo hätte ich offenbar Nichte zum 
Beften gehabt, als daß ich, flatt jebt ſchon das Leben zu 
laſſen, entweder an einer fchmerzlichen Krankheit geftorben 
wäre, oder in Folge des Alters, auf welches alle Mühfelig« 
keit ſich zuſammenhäuft vn? alle Freudenloſigkeit. Rein, 
Hermogenes, ich werde mir um Dieſes auch nicht einmal 
Mühe geben; nur was ich glaube, daß mir Schönes zu Theil 
geworden von Göttern und Meuichen, und was ich von mir 
felbft für eine Meinung hege, vorbringend, werde ich, wenn 
ich die Richter befäflige, Lieber wählen zu fterben, als niedrig 
um ein längeres Leben bettelnd, das weit fchlechtere -Zeben 
flatt des Todes davon zu fragen.‘ And dieſen Grundfäben 
benahm er ſich, nach Hermogenes, denn auch wirklich ganz 
gemäß. ) Nachdem feine Gegner ausgeführt hatten, daß 
er bie Bdtter, welche der Staat auerkenne, nicht annehme, 
fondern Neuerungen in göttlichen Dingen dafür aufbringe, 
und die Fünglinge verberbe, fo trat er auf, und fpradr 


*) Nach Schneider, der die Worte oürwg BE yvovra adrov 
äpn eineiv mit Recht zum Borpergehenden zieht, Übrigens 
eineiv wegwuͤnſcht. 





XRenophon's Vertheidigung des Socrates. 655 


„Vor Allem, ihr Männer, muß ich mich darüber wundern 
bei Melitus, auf Was er doch die Beſchuldigung gründet, 
daß ich die Götter, weldye der Staat anerkennt Snicht an- 
nehme. Mußten fle mich doch opfern fehen an ben gemeitt- 
famen Feten und auf "den öffentlichen Altären, ſowohl die 
Andern, die dabei waren, als auch Melitus ſelbſt, wenn er 
wollte. Und Neuerungen in göttlichen Dingen, wie koͤnnte 
ich foiche aufbringen, wenn ich fage, daß eine Stimme der 
Gottheit mir Andeutung gebe, Was id, thun folle? Aud Wer 
auf Gefchrei der Vögel und Wer auf Worte von Menfchen 
achtet, vichtet fich ja nach Stimmen; und, die Donner — Wer 
will beftreiten, daß ſie nicht eine Stimme feyen , "und eines 
der wichtigften Unzeihen der Zukunft? Die Priefterin auf 
dem Dreifuße zu Delphi, verkündet nicht auch fie mittelft der 
Stimme die Dffeubarungen des Gottes? Auch, daß die Gott⸗ 
heit vorher wife, was zufünffig ift, und es zum} Voraus an⸗ 
deute, Wem fie wolle, auch Dieß wird, wie ich behaupte, von 
Allen fo gefant und geglaubt. Nur dräden fich die Uebrigen 
fo aus: die Vögel, die Worte, die Entgegenfommenden und 
die Wahrfager feyen es, was die Zukunft andente; ich bages 
gen nenne Diefes Goftheit, wu glaube hei diefem Ausdrucke 
wahrer und gottesfürchtiger zu veben, als Diejenigen, welche 
den Vögeln die Wirkungen der Götter beilegen. Daß ich 
indeß Dieß nicht fälfchlicdh vorgebe won der Gottheit, dafür 
Zaun ich auch diefen Beweis anführen: Schon Vielen meiner 
Freunde habe ich die Erinnerungen ber Gottheit mitgetheilt, 
and noch nie bin ich als Lügner. erſchienen.“ Als die Rich: 
ter auf Diefed murrten, theitd aus Mißtrauen in feine An⸗ 
gaben, theils auch aus Neid, daß er fogar von den Göttern 


656 RXRenophon's Vertheidigung des Socrates. 


größerer Gunſt als ſie, ſollte gewürdigt werden, fo ſprach 
Socrates weiter: „So höret denn auch noch Anderes, damit, 
Wer Luſt hat von euch, noch mißtrauiſcher werde gegen meine 
Behauptung, daß ich von den Goͤttern*) geehrt fen. Als ein‘ - 
Chärephon**) in Delphi wegen meiner anfragte, fo gab vor einer 


. Menge Anwefender Apollo die Antwort, anf der Welt fey 


Niemand weder edler als ich, noch gerechter, noch weifer.’’***) 
Als Hinwiederum auf Diefes die Richter noch mehr murrten; 
wie zu erwarten war, fo fprach Socrates ferner: „Größeres, 
ihr Männer, hat der Gott noch in Orakelſprüchen von Ly⸗ 
curg, der den Lacebämoniern Geſetze gab, geſagt, als von mir. 
Diefen fol er, wie er in den Tempel eintrat, angeredet has 
ben: ich ſinne, ob ich einen Gott dich nennen foll oder einen’ 
Menfchen. +) Mic) hat er nicht mit einem Gotte verglichen; 
nee vor den Menſchen hat er min bei Weiten den Borzisg 
augeftanden, Dennoch auch Diefes glaubet nicht blindlings 
dem Gotte, fondern Punkt für Punkt unterfüchet, Was der 
Gott geſagt Hat. Wo wißt ihr Einen, der weniger als ich 
den ſinnlichen Begierden fröhnte? Wo einen Edleren, da idy 
von Niemand weder Gefchente noch Belohnung anuchme ? 
Und Wen könntet ihr billiger Weile fir gerechter Halten, ald 
Denjenigen, der in das Vorhandene. fidh-fo zu fchidten weiß, 
baß er nie nach Fremdem verfange? Und’ wie follte man nicht 
bilfig einen weifen Mann mic, nennen, wenn ich, ſeitdem ich 





*) Seife Anſpielung auf Homers Jliad. IX, 607. 
+, Chärephon, f. Erinnerungen an Socr. J, 2. Ende, u. II, 3. 
+1) Goppoväsegov hier wohl in diefer allgemeinen Bedeutung. 

7) Siehe den ganzen DOratelfpruch bei Herodot I, 65. 








Kenaphon’d Vertheidigung des Socrates. 637 


anfing zu verfichen, was gefprodyen wurde, ohne Unterlaß er⸗ 
forfehte und zu lernen fuchte, was ic, nur Gutes. konnte? 
Und daß ich nicht fruchtios mid, bemüht habe, fcheint euch 
nicht die Menge von Bürgern fchon dafür zu fprechen, Die 
nach Tugend fireben, und von Fremden, welche ſaͤmmtlich vor 
allen Andern vorzugeweife meinen Umgang fuchten 2? Wie ift 
Jenes ferner zu erklären, daB doch Alle wiffen, wie id) fo 
wenig im Stande bin, mit Gelde zu vergüten, und bennod) 
fo Viele wünfchen, mir Etwas zu ſchenken? Daß an mid 
andy nicht Einer Wohlthaten zu fordern hat, und für meine 
Schuldner fi) fo Viele erfennen? Daß während der Belage: 
zung *) die Andern ihr Loos bejammerten, id) hingegen fo wenig 
Mangel litt, als in Zeiten, wo der Staat im beflen Wohl: 
ftande ſich befindet? und daß Andere ihre Genüſſe auf dem 
Markte um theures Geld Faufen müſſen, und id in mir 
fetbft ohne Aufwand noch angenehmere finde, als die ihrigen 
find ? Kann mich aber in Dem, was id) von mir felbft ge 
fagt habe, Niemand überweifen, daß ich die Uuwahrheit fage, 
wie folite ich nicht ſofort mie allem Rechte. von Göttern und 
Menfchen gelobt werden ? Aber deilen ungeachtet behanpteft 
Du, Melitus, daß ich bei folhem Verhalten die Jünglinge 
verderbe. Wiffen wir ja doch, auf welcherlei Arten Jüng⸗ 
Kinge verborben werden. So nenne mir Einen, wenn du Ei⸗ 
nen weißt, der durch mich aus einem Verehrer der Götter 
ein Derächter derfelben, aus einem befonnenen Weifen ein 
muthwilliger Frevler, aus einem Haushalter ein Verfchwen- 





*) Es ift die Belagerung Athens durch Lyfander gemeint, nach 
der Schlacht bei Aegospotami. Xenoph. Grich. Gef. II, 2. 





638 RXenophon's Vertheidigung des Socrates. 


der, aus einem mäßigen Trinker ein Weinfänfer, aus einem 
Freunde der Anftvengung ein Weichling ‚oder fonft ein Sclave 
einer verwerflichen Luft geworden wäre. — Melitus. Aber 
ich kenne doch in Wahrheit Solche, weldye du beredet haft, 
dir mehr zu gehorchen, ald den Eltern? — Socr. Ich gebe 
ed zu, in Abſicht auf die Erziehung; denn Das willen fie, 
Daß ich mich darin umgefehen. In Abſicht auf die Gefund: 
heit aber gehorchen die Menfchen den Aerzten mehr, als den 
Eltern ; und in den Volksverſammlungen die Athener indges 
famme den verftändigften Rednern mehr, ald den Anver⸗ 
wandten. Und gebt ihr nicht audy bei Yelbherrnwahlen vor 
euern Vätern und Brüdern, ja in der That fogar vor euch 
ferbft Denjenigen den Vorzug, denen ihe in Beziehung auf 
Das Kriegswefen die meiften Einfichten zutraut? — Mes: 
Lit. So fordert es eben das allgemeine Beſte und das Her⸗ 
kommen. — Soer. Scheint dir num nicht gerabe auch Dies 
fes fonderkar zu feyn, daß in allem Uebrigen die Beſten 
nicht nur gleiches Recht haben, ſondern fogar ben Vorzug; 
Ich aber, der ich in der nützlichſten Kunft für die Menfchen, 
in der Erziehung, für den Bellen von Einigen anerkanht 
werde, wegen Deffen von dir peinlich angeklagt werde 7. 
Natürlich wurde noch Mehreres als Diefes, fowohl von 
ihm ſelbſt, als von den Freunden, die ihm Beiſtand leiſteten, 
gefprochen; allein mein Zwed war nicht, vollfländig zu er⸗ 
zählen, was vor Gericht vorkam, mir genügte barzuthun, daß 
Socrates daran Alles gelegen war, weber ald DBerächter der 
Bötter, noch als ein Ungerechter gegen die Menfchen zu er= 
fcheinen, daß er dagegen, um nicht zu flerben, nicht für 
nöthig hielt zu bitten, ſondern fogar überzeugt war, es fey 





‘ 


Xenophon's DVertheidigung des Socrates. 639 


eben die rechte Zeit für ihn, dad Leben zu enden. Und daß 
er fo dachte, wurde noch offenbarer, als der Prozeß gegen 
ihn entfchieden war, Min forderte ihn auf, ſich ſelbſt eine 
Strafe anzufegen: *) er feste fie wicht an, und ließ es andy 
feine Freunde nicht thun, fondern erklärte, eine Strafe ſich 
anzufeben, komme nur Einem zu, der fi für fchuldig ers 
kenne. Seine Freunde wollten ihn heimlich hinwegbringen : 
er folgte ihnen nicht, fondern fchien fogar ihrer zu ſpotten, 
und fragte, ob fie irgendwo einen Ort wüßten auffer Attica, 
ber dem Tode unzugänglich wäre, Als der Prozeß zu Ende 
war, fagte er: ‚Nun, ihr. Männer, Diejenigen, welche die 
Zengen anftifteten, ihren Eid zu brechen, und falfche Seugniffe 
gegen mich abzulegen, und Diejenigen, welche ihnen gehord)« 
ten, die müffen allerbings ſich ſchwere Vorwürfe zu machen. 
haben wegen Gottesverachtung und Lngerechtigkeit; aber 
warum follte ich jetzt entmuthigter ſeyn, als ehe ich verur- 
theilt war, da id), Feines der Verbrechen überführt worden 

deren fie mich anflagten? Mir konnte nicht nadhgewiefen 
werden, daß ich flatt Zeus **) und Hera ***) und ihrer Mit: 
göfter, gewiſſen neuen Gottheiten opferte, noch daß ich andere 
Götter zu Zeugen anrief oder im Munde führte. Wie könnte 
ic) ferner die Jünglinge verderben, wenn ich fie an Ausdauer 
and Genügſamkeit gewöhne ? Berbrechen ferner, auf welche 
die Todesftrafe gefest ift, -wie Tempelraub, Diebeseinbruch, 
Seelenverkauf, Vaterlandsverrath , legen nicht einmal die 


+) Vergl. die Erzählung bei Cicero vom Nebner, I, 54. - 
**) Zeus, bei den Römern Supiter. 
**2) Sera, bei ben Römern Juno, 


640 Zenephon’s Mertheidigung ded Socrates. 


Gegner mir zur Laft, fo daB mir wenigſtens unbegreiffich 
fcheint, wie ihr dody an mir Etwas *) finden fonntet, wo⸗ 
durch ich den Tod verwirkt hätte. "Fa, nicht einmal darum, 
daß ic) ungerecht verurkheilt bin, branche ich mich zu ent⸗ 
muthigen; nicht mir, fondern Denen, die mich verurtheilt 
haben, bringt Dieß Schande. Mich tröftet aufferdem auch 
Dalamedes, **) der auf Ähnliche Meife, wie ich, geftorben ift. 
Denn noch jest erntet er weit fchönere Loblieder, als Uryffes, 
der ihn ungerechter Weife tödtete. Ich weiß, daß auch mir 
fomohl von der Zuknuft ald von der verfloffenen Zeit das 
Zeugniß wird gegeben werden, .ich habe Niemand jemals Uns 
recht gefhan, Keinen fählechter gemacht, vielmehr Verdienſte 
mir erworben um Diejenigen, welche fidy mit mir unterhiel⸗ 
ten, und unenfgeldlic, ihnen mitgetheilt, was ich nur Gutes 
konnte.“ Nachdem er Diefes gefagt hatte, entfernte er ſich, 
ganz gemäß den von ihm audgefprochenen Geflunungen, voll 
Seiterkeit in Blick, Haltung und Gang. Und ale er merkte, 
dag feine Begleiter weinten, fo fagte er: „Was fol Die ? 
weint ihr jebt erft ? Wißt ihre nicht längſt, daß ich feit mei- 
ner Geburt von der Natur zum. Tode verurtheilt War? Frei: 


lich wenn ein allzu früher Tod mid) aus dem Schooſe des 


Glücks Hinwegraffte, dann hätten idy und meine Freunde 
Urfache zu trauern; num ich aber durch meinen Tod nur dro⸗ 
“ Henden Befchwerbden entgehe, fo dächte ich, ſolltet ihr über 
meinen Gewinn vielmehr ale ench freuen.‘ Ein gewifler 





*) Schneider Ändert die Stelle aus Stobaͤus, ohne daß der Sinn 
ſich Andert. 
*+) Palamedes, f. zu Erinnerungen IV, 2. 


EXenophon's Vertheldigung des Socrates. 641 


Apollodor, *) der dabei war, ein eifriger Anhänger bes So⸗ 
erates, fonft aber ein Bleiner Geift, entgegnete ihm: „Ach, 
Socrates, das Schmerzlichtte ift mir, daß ich dich muß un⸗ 
ſchuldig fterben ſehen.“ Socrates flreichelte ihm ben Kopf, 
und fragte ihn: „Liebſter Apollodor, möchtefl du denn mich 
lieber ſchuldig als unfchulbig ſterben ſehen?“ umb lächelte 
dazu. Und ald er den Anytus **) vorbeigehen fah, fol ex 
auch gefagt haben: „Freilich der Mann da ift flolz, ***) 
als hätte er etwas Großes und Rechtes vollbracht, daß er 
mid) tödtet, dafür daß ich, fehend, wie er der höchſten Eh⸗ 
renftelen von der Bürgerfchaft gewürbiaf wurde, meinte, 
er foltte feinen Sohn nicht beim Leber erziehen. - Der trau⸗ 
rige Mann! der nicht zu wiſſen fcheint, daß, ob er oder ich 





*) Ayollodor, f. zu den Erimmerungen MI, 11. | 
**) Anytus, Sohn, des Anthemion nad Plato’3 Meno, &, 90. A, 
$. 18., ſcheint nach dieſer Stelle ein Gerber oder Zunftgenoffe 
des Lederhaͤndlers Cleon gewefen zu feyn. Auch nach Plato’s 
Apolog. 5.10. S. 33. E., und Diogenes Laert. 1, 38, wear 
er ein Handwerker, ber aber nach unferer Stelle und Pilgto’s 
Meno 9.18, &,90. B, zu den hoͤchſten Ehrenftellen, wie 
Eleon, gelangte. Wielleicht ſchon wegen Alcibiades, in deſſen 
Liebe ihm Socrates im Wege ftand, nach Plut. Alcib. €, &., 
wohl auch wegen Spotted, ben Socrates fich gegen ihm als 
Staatsſsmann, oder ald gebildeten Dann uͤberhaupt erlaubte, 
wie Diogene® Laërt. II, 38. nach Plato’8 Meno annimmt. 
oder aus irgend einer andern Urſache Zeind bed Socrates, 
war Er ed nad Diogenes a. a. O. und nach Aelian. II, 235., 
der gleichſam planmäßig den Socrates verfolgte, den Mrifier 
phanes gegen ihn anftiftete, und auch den Melitus zu feiner 
Klage veranlaßte. oo. 
“er, „uöpüg Sameider aus Stobaͤus flatt der Vulg. pasdpOg- 
Kenophon. 56 Bdchn. 6 - 


- 
. 





652 Renophon's Vertheidigung des Socrates. 


der Sieger ſeyn werde, erſt von der Größe bes Ruhmes uud 


der Verdienſte abhängt, die ein Jeder von und Beiden für 
alle Zeiten fid, erworben hat. Doc, fchon Homer hat Einigen 
‚vor dem Ende ihres Lebens Blide in die Zukunft beigefegt:*) 
fo will nun auch ic, eine Weiffagung verkünden: id, unters 
hiert mich einmal Far; mit dem Sohne bes Anytus, und er 
ſchien mir nicht ohne Muth und Feuer zu feyn. Darum ge⸗ 
- traue ich mie zu behaupten, er wird bei der felavifchen Les 
bensart, die ihm fein Vater angewiefen, nicht aushalten; 
aber aus Mangel an forgfäliger Aufſicht, wird er auf irgend 


eine ſchaͤndliche Leidenſchaft verfallen, und bis zum Aeuſſer⸗ 


ſten in ber Verkehrtheit fortichreiten.‘‘ Der Exfolg verhts 
fertigte die Weiſſagung: der Füngling ergab fi dem Weine, 
und ließ weder bei Tag noch bei Naht vom Trinken abz 


and ward zulebt weder dem Baterlande noch feinen Freun⸗ 


den, noch fich felnft Etwas nuͤtze. So trifft Anytus wegen 


feines Sohnes ſchlechter Erziehung und wegen feiner eigenen 


Unbeſonnenheit noch nach feinem Tode*) Schande. Socrates 
indeß erregte Neid durch die ſtolze Sprache, die er vor Ge⸗ 
richt annahm, und machte, daß ihn die Richter noch eber 
verurtheilten. Mir nun ſcheint Das Loos, das ihm zu Theil 
geworden, große Göstergnabe zu ſeyn. Vom Lehen blieb das 
Laſtigſte ihm fremd, umd fein Tod war der leichteſte. Bugleich 


*) Den Patroclus, Jlias Nhapf. xvi. B. 851.; dem Hector, 
ebendaſ. Rhapſ. XXH, 
*46) Anytus wurde nach Diogenes Rode. H, 43. gltich nach So⸗ 
erated Tode verbannt, in Seracden, im ontus, wohin er 
ſich begab, aus ber Stadt gejagt, und nach Themiſtius Rede II, 
"on den Sinwvohndru bevfeisen Seadt t geſteinigt. 





— — ——— 


— 


Eenophon's Vertheidigung des Socrates. 643 
bewaͤhrte er ſeinen Muth und ſeine Seelenſtaͤrke. So wie er 
erkannt hatte, daß der Tod für ihn beſſer ſey, als ein fer⸗ 
neres Leben, ſo war er, wie er überhaupt gegen das Gute 
nie ſich ſperrte, auch gegen den Tod nicht verzagt, ſondern 
empfing und beſtand ihn frendig. Ich, wenn ich die Weisheit 
amd den edein Sinn ded Mannes mir vergegenwärtige, kann 
weder umhin feiner nicht au gedenken, noch, wenn id) fein 
gedenke, ihn nicht zu loben. Und wenn Einer von Denen, bie 
nach ber Tugend ſtreben, ned) einen heffexen Führer gefun⸗ 
den bat, ald Socrates war, fo kann ich mir keinen gluͤckli⸗ 
deren Menſchen denken. 


. 


642 RXenophon's Vertheidigung des Socrates. 


der Sieger ſeyn werde, erſt von der Größe bes Nuhmes und 


der Verdienſte abhängt, die ein Jeder von ung Beiden für 
affe Zeiten fid) erworben bat. Doch fchon Homer hat Einigen 
‚vor dem Ende ihres Lebens Blide in die Zukunft heigekegt:*) 
fo will nun auch ich eine Weiffagung verkünden: id) unters 
hielt mich einmal kurz mit dem Gohne bes Anytus, und er 


ſchien mir nicht ohne Muth und Feuer zu feyn. Darum gen 


- traue ich mie zu behaupten, er wird hei der felavifchen Les 
bensart, bie ihm fein Vater angewiefen, nicht aushaltens 
aber aus Mangel an forsfäktiger Aufſicht, wird er auf irgend 


eine fhändfiche Leidenſchaft verfallen, und bis zum Aeuſſer⸗ 


ften in ber Verkehrtheit fortſchreiten.“ Der Erfolg vechts 
fertigte die Weillagung: der Jüngling ergab fi dem Weine, 


und ließ weder bei Tag nod bei Naht vom Trinken abs 
"und ward zuleßt weber dem Baterlande noch feinen Freun⸗ 


den, noch fich felnft Etwas näbe, So trifft Anytus wegen 


"feines Sohnes ſchlechter Erziehung und wegen feiner eigenen 


. Unbefonnenheit nody nach feinem Tode **), Schaude. Socrates 
indeß erregte Neid durch Pie ſtolze Sprache, die er vor Ges 
richt annahm, und machte, dab ihn Die Richter noch eher 
verurtheilten. Mir nun fcheint dad Load, das ihm zu Theil 
geworden, große Göstergnabe zu ſeyn. Dom Leben blieb das 
Laſtigſte ihm fremd, und fein Tod war der Telhtefte. Zugleich 


*) Dem Patrodus, Has Rhapf. XVI. 8. 651.5 dem Sector, 
ebendaf. Rhapſ. AXH, 358. 

*) Anytus wurde nach Disgenes Laërt. II, 43. gleich nach So⸗ 

| erated Tode verbannt, in Hevaclea, im Pontus, wohin er 
„ficy begab, aus der Stadt gejagt, und nach Themiſtius Rede II, 
‚von ben Ginwohnden beeſetben int: geftennigt. 





1 
— — 


— 


Renophon's Vertheidigung des Socrates. 643 
bewährte er feinen Muth und ſeine Seelenſtaͤrke. So wie er 
erkannt hatte, daß der Tod für ihn beffer fen, als ein fers 
neres Leben, fo war er, wie er. überhaupt gegen das Gute 
nie ſich fperrte, auch gegen den Tod wicht verzagt, fondern 
empfing und beftand ihn frendig. ch, wenn ich die Weisheit 
amd den edein Sinn des Mannes mir vergegenmwärtige, kann 
weder umhin feiner nicht au gedenken, noch), wenn ich fein 
gedenke, ihn nicht zu loben. Und wenn Einer von Denen, bie 
nach der Tugend ſtreben, noch einen beſſeren Führer gefun⸗ 
den bat, ald Socrates war, fo kann ich mir keinen glückli⸗ 
cheren Menfchen denken. 





- 





Kenophon’s | 


- Einleitung. 


[U U} 


Vlutarch Gaſtmahl der fieben Weifen, €. XII, ©. 156. E. 


„Wenn foldhe Männer ſich zufammenfinden,, fo bebarf es 
weder des Bechers noch des Weinlöffels, Sondern bie Mufen 


ſtellen wie den Krug bei einem weinloſen Weihguſſe, die 
Rede in die Mitte, in welcher Alles, Vergnügen und Scherz 
und Ernft in Fülle ift, und weden friſchen uud erfchließen 
durch diefe die Froͤhlichkeit, den Weinlöffel meift ruhig liegen 
laſſend über dem Schenkkrug.“ 





Wie ber Oeconomicue⸗ ( Hauswirth) ein 
Nachtrag zu den Erinnerungen iſt, welcher uns 


eine laͤngere ernſthafte Unterredung von Socrates 
mittheilt, ſo das Gaſtmahl ein Nachtrag, der uns 


Denſelben als heiteren Geſellſchafter in ausfuͤhrlicher 


Beſchreibung eines Feſtgelages vorſtellt. Der Zweck 


dieſer Schrift iſt, wie Renophon im Anfange angibt, 


Einleitang. 65 


Bein anderer, als den wohlthätigen Einfluß, welchen 
- der Umgang des Socrates auf feine Sreunde felbft 
bei Gelegenheiten hatte,. wo Andere nur auf Bes 
friedigung der eigenen Genußfucht ausgehen, auch 
auf die Nachwelt fo viel möglich fortzupflanzen, alfo 
weder, wie einige Neuere, *) geftütt auf die Zu⸗ 
fammenhaltung mehrerer Stellen des ‘Matonifchen 
Saftmahls mit folchen in dem unfrigen annahmen, 
der gleichnamigen Schrift des Plato eine ähnliche 
gegenüber zu ftellen, noch wie Andere **) die Abficht 
des Schriftftellerd befchränften,, das Urtheil des Pu 
blicnms über Socrates Liebe zu den Jünglingen zu 
berichtigen. «- 
Was die Zeit ihrer Abfaffung- betrifft, fo fieht 
man aus dem Anfange wenigftiens fo viel, daß fie 





2) So befonderd Weiste und Schneider nach Eornarius, 
gegen weiche zuerft Böcdh ausführlich, nachgewiefen Hat, 
daß die genauere Dergleichung beider Schriften jeden - 
Gedanken an eine polemifche Tendenz der Einen gegen 
die Andere niederſchlage. 

20) So Beder in feiner Ueberſegung, Ramdohr in der Ve⸗ 
nus Urania m. A. Die Anſicht von Sail, als wäre 
unfere Schrift eine feine Eritit ber Sophiften unter 
dem Schleier der Ironie, hat fi, wie es fcheint, ſonſt 
nicht geltend gemacht. 


646 Einleitung. 


nach einem , rein Ernflhaftes aus Socrates' Leben 
hersorhebenden Werke, gefchrieben ift, alfo nicht nur- 
nach den Erinnerungen, deren bunte Mannichfaltigs 
keit auch Scherzhaftes in fi) faßt, fondern auch 
mad) dem Hauswirthe. Einen andern Maßſtab zu 
- einer Beftimmung hierüber koͤnnte fein Zeitverhältniß 
zu dem gewiß fpäter gefchriebenen *) Platonifchen 
Saftmahle an die Hand zu bieten fcheinen; allein 
Genaueres läßt fid) auch auf diefem Wege nicht aus⸗ 
mitteln, da fich bei dem Leteren wohl die Zeit anges 
ben läßt, vor welcher es nicht .‚gefchrieben fenn Fann, 
aber nicht das Jahr, in welchem ed wirklich abges - 
faßt wurde. 

Als die Zeit, im welcher unfer Gaſtmahl gehals 
ten, nicht gefchrieben, wurde, bezeichnet Gap. ı. das , 
Jahr, in welchem Autolykus den Sieg im Pancra⸗ 
tium davon trug. Dieß iſt nach der Angabe des . 
Hthendus B. V. ©. 216. D., mit. welcher. auch die 
übrigen biftorifchen Beziehungen unferer Schrift zu⸗ 
- fammenftimmen, das vierte Fahr der neun und acht⸗ 
zigften Olympiade unter dem Archon Ariftion, oder 


*) Dieß ift von Boͤchh in der. Schrift über die Feindſchaft, 
die zwifchen Plato und Kenophon Gtatt gefunden haben 
fol, zu einem hohen Grade von Baberheintähteit 
gebracht worden, 


Einleitung "647 


das Jahr 420 v. Chr. Geburt. Daß ed aber mit 
.biefer Zeitbeſtimmung ernftlic) gemeint, und daB 
Gaſtmahl Fein erdichtetes fey, iſt nicht zu bezwei⸗ 
fein. Nicht nur kann Alles, was bier erzählt ift, 
wirflih fo vorgefallen feyn, fondern aud) die Art 
und Weife, wie es erzählt ift, gleicht viel weniger 
ber eines Erdichterd, als Der eines getreuen Bericht: 
erftatters,, der der Anfchauung, wie er fie.noch im 
Gedaͤchtniſſe hat, nicht einmal durch die Kunft der 
Darftellung zu Huͤlfe fonımt. Für wirkliche Gefchichte 
gibt auch der Verfaſſer felbft feine Erzählung im 
Anfange aus, wenn er fie ald einen der Weberliefe- 
rung an die Nachwelt würdigen Fall bezeichnet, bei 
dem er felbft zugegen geweſen fey. ) Und in den 
Cyclus feiner Soeratifchen Erinnerungen Fonnte er 
auch nur wirkliche Thatfachen brauchen; andere 
fonnte er gar nicht aufnehmen wollen. Ä 


. *) Der von Athenaͤus dagegen erhobene Zweifel, als ob 
Kenophon um jene Zeit mod, gar nicht dem Gaſtmahle 
Hätte beimohnen können, iſt von Schneider zur Genüge 
beleuchtet, indem er aus mehreren Thatfachen bewiefen 
bat, daß Zenophon um jene Zeit wenigftend 23 Jahre 
alt feyn mußte. 


Derfonen des Gaſtmahls. 





Erfte Klaffe 


ı) Eallias. Durch den Zod feines bei Delium, Olym⸗ 


piade 89, 2. gefallenen Waters Hipponicus, war er feit Kurs 
zem in den Beſſttz eines_ungeheuern Vermögens gekommen, 
Nach Plutarch Dericl. Cap. XXIV. wurde er der Reiche 


"schlechtweg genannt. Ihm halfen Schmaroger, Dirnen und 


“ 


Sophiften feinen Reihthum aufzehren. Die Letzteren bezahlte 
Niemand fo theuer wie er, nach Platoꝛs Apolog.C.IV. S. 20,A. 
Um Olymp. 94. war fein Vermögen von 200 Zalenten auf 
zwei herab gefunten, nad) Lyſias über d. Güt. des Ariftos 
phaned ©. 650. Reiske. \ 

») Autolykus. Won ihm fah noch Paufanias B. I. 
C. 18. $. 3. eine Bildfäufe in der Nähe des Prytaneums, 
die ihn als Pancratiaften vorftellte.” Sie war nad) Plinins 
Naturgeſch. B. XXXIV, C. 8. von Leochares verfertigt. Nach 
Plutarch's Lyſand. C. 13. und Diodor B. XIV, C. 5. wurde er 


von den dreißig Tyrannen getödtet, Olymp. 94, 1. vor Ehr. 


Geburt 404. 
Lykon. Sonſt untgkannt. Nur ſo viel bringt Schnei⸗ 
der in der Vorrede zum Feldzuge des jüngeren Cyrus bei, 
daß nad) Eupolid, dem Comiker, bei feinem Weihe Ahodia 
die ganze männlidhe Welt aus⸗ und eingegangen fey. | 
5 Niceratus. Daß dieß der Sohn des reichen im 


Sicilien gebliebenen Nicias fey, iſt nach C. 4. $. 45. und 51, 


nnd C. 3. 6.6. außer Zweifel, Seinen Homer getraute er 
fi) fo gut im Kopfe zu haben, daß er ſich mit den Rhapſo⸗ 
den feiner Zeit in einen Wettſtreit einließ, worin er jedoch 


von Pratys beflegt wurde, nach Ariftoteles’ Rhetorik, DA, 


Bu Junhalt. 69 


@..ı1. $. 13. Uebrigens war er durch feine Guͤte und Mens 
fchenfreundlichkeit ſo beliebt, daß er allgemein beweint wurde, 
als ihn die dreißig Tyhrannen hinrichten ließen, nad) Diodor 
B. XV, 5 
3weite Klaffe 

1) Socrates. 

2) Critobulus, ſ. zu den Erinnerungen B. J. C. 3. 

3) Hermogenes, ſ. ebendaſ. B. II. E. 10. 

4) Antiſthenes, ſ. ebendaſ. B.II. E. 5. 

5) Charmides, ſ. ebendaſ. B. III. C. 6. 
. Auſſerdem 
Philippus, ſonſt unbekannt. 

Der Syracuſer *) mit feiner Kindertruppe. 

Als ſtumme Perfon muß endlich noch angenommen wers 
den Zenophon nad) feiner eigenen Verſicherung, Gaſtm. C. 1. 


a) 


. » ‚ 





„Jnhalt. 


Cap. 1. Die Gaͤſte finden ſich zuſammen und eſſen. Eindruck 
der Schoͤnheit des Autolykus und der niedrigen Spaͤße des Phi⸗ 
Uppus auf ſie. Cap. 2. Nach dem Eſſen werden fie durch die Kine 
dertruppe des Syracuſers unterhalten; Philippus aͤfft die Kunſt⸗ 
ſtuͤcke der letzteren nad; hierauf Mimmt das Trinken den Anfang. 
Alles Dieſes mit Soerated’ treffenden Bemerkungen und Crinnes 
sungen. Cap. 3. Die Kinder geben der Geſellſchaft aufs nene 
Unterhaltung ; auf Betreiben des Socrates fangen die Gäfte an 
fi felsft zu unterhalten, und geben der Reihe nad an, werauf 
ein Jeder ftolz ſey. Cap. 4. ie rechtfertigen ihre Angaben der 
Reine nach. Der fteie Gang der Beweisführung wird vorzüglich 


*) Unter ben Doriern, und namentlich in Syracud, waren die 
mimifgen Tänze zu Hauſe. 





% 


650 | Eenophon's Gaſtmahl. 


von bed Soerates und Antiſthenes Zwiſchenreden unterbrochen. 
Gay. 5. Aus Veranlaſſung des Rundgeſpraͤches laͤßt ſich Socrates 
mit Critobulus in einen Wettſtreit um den Preis der Schönheit 
ein, der von den Kindern bed Syracuſers zu Gunften des Kenteren 
entfiyieden wird. Cap. 6. Socrated macht dem Hermogenes we⸗ 
gen feiner geringen Theilnahme an ber gefelligen Unterhaltung den 
Vorwurf ded Weinabermuthed. Darauf Übt der ſich vernaclaͤßigt 
fünlende Syracuſer an Socrates wirklichen Weinuͤbermuth aus, der 
nur durch Sorrated’ Sanftmuth und des Antifthenes’ Aufruf an Phi⸗ 
lippus gedämpft wird. Cap. 7. Den bald mit neuen Stuͤcken bereit 
ftependen Syracnfer bewegt Socrates, gefahrlofere und ergöglichere - 
Stuͤcke durch die Kinder geben zu Yaffen, ald bisher. Cap. 8. Waͤh⸗ 
xend Derfelse hiezu Anftalten trifft, unterhält Socrates die Gefell: 
fehaft mit einer Rede über die Vorzüge der geiftigen Liebe vor der 
finnlichen, mit befonderer Ruͤckſicht auf alliad und Autolykus. 
Cap. 9. Autolykus und Lykon entfernen ſich nun. Dans wird 
durch die Kindertruppe Bacchus und Ariadne mit einem bis zur 
Begeifterung fteigenden Beifalle aufgeführt, worauf die Gaͤſte aus⸗ 
einander gehen. 





1. Mich dunkt indeflen, von edlen und wadern Mäntern 
en nicht nur, was file mit Ernſt thun, ded Andenkens werth 
—8 auch, wie ſie ſich bei Luſtbarkeiten benehmen. Den 
Fall, anf welchen. ic) als Zeuge davon dieſes Urtheil gründe, 
will id, erzählen. Es war das Pferberennen an ben großen 
Panathenien. *) Eallias, der Sohn des Hipponicus, war 


* Die großen Panathenden, ein Set in Athen, zu Ehren der 
Minerva, welches alle fünf Jahre im legten Drittheile des 
 Stelotombäon mehrere Tage nach einander mit Wettkämpfen 
aller Art und einer Prozeffion, worin. man den Miantel- 
(ndrkoc) der Minerva umhertug, gefeiert wurde. Das 
Dferderennen war jedesmal. am erften Tage. 


Xenophon's Gaftmahl. 61. 
gerade in ben jungen Autolykus verlicht, und hatte Diefen, 
nachdem er im Pancratium *) geflegt, eben zu den Plaͤtzen 
der Zufchaner geführt. Als das Pferderennen vorbei war, 
Hing er mit Autolykus und deffen Vater nad, feinem Lands 
baufe im Piräeus; auch Miceratus begleitete ihn dahin, 
Mitten auf dem Wege fah er den Socrates, Eritobulus, Her⸗ 
mogenes, Antiſthenes und Eharmided bei einander. Er ließ 
daher den Autolykus nebit den Andern durch Jemand ge: 
Veiten, und ging für feine Perfon auf Socrates und feine - 
Geſellſchaft zu. „Eben recht, daß ich euch treffe, fagte er 
zu Diefen; ich bin im Begriffe, dem Autolykus und feinem 
Vater ein Gaſtmahl zu geben; da denke ich follten fic, meine 
Anftalten weit glaͤnzender ausnehmen, wern der Männerfaal 
mit fo innerlich **) gereinigten Männern, wie ihr feyd, ges 
ſchmückt wäre, ftatt mit Strategen, Hipparchen und Groß⸗ 
würdenbewerbern.“ „Immer doch, verfegte Socrates, machſt 
du dich über uns luſtig und ſiehſt auf uns herab, daß wir 
erft Weisheit fuchend, uns ſelbſt abmühen, ſtatt daß du dem 
Protagoras ***) und Gorgias und Proditus und vielen An⸗ 
deren um bie baare Weisheit fchweres Geld bezahlt haft.‘ 


* Vergl. Erinnerungen 3. 11, Cap. 5 und 10. 
*+) Nach der Lesart Fyrsxadapuevorc. 

***) Protagoras aus Abdera, Gorgias von Leontium, Probitus 
von Sen, Sophiften Vergl. Über den Letzteren zu ben Exs. 
innerungen B.1I, C. 1. Unter die vielem Anderen gehört nas 
mentlich Hippias von Elis, der nach Plato’8 Protag. S. 311. A, 
314. B. zugleich mit Protagoras und Prodikus in Athen 
anweſend war und im Haufe des Callias fich aufhielt. Dies 
fer Aufenthalt faͤllt nach Eupolis Hei Athenaͤus S. 339g. in 
Olymp. 89, 3. unter dem Archon Alcaͤus. Gorgias war 








652 Xenophon's Gaſtmahl. 


„Ich muß es geſtehen, entgegnete Callias, du haſt Recht, und 
noch zudem that ich bisher mit meiner Weisheit vor euch ges 
beim; aber jest will ich euch zeigen, wenn ihre bei mir feyb, 
daß ich alle Aufmerkſamkeit verdiene. Gocrates und feine 
Geſellſchaft dankten anfangs für die Einladung, wie zu er⸗ 
werten war, und fagten bie Annahme nicht zu; wie er ſich 
aber anmerken ließ, daß er es fehr übel aufnehme, wenn fie 


auf ihrer Weigerung beharren wollten, ſo folgten fle ihm. 


Nachdem hierauf ein Theil auf dem Ringplatze fid geübt 
und geſalbt, ein anderer aud) gebabet hatte, traten die ſaͤmmt⸗ 


lichen Gäfte ein. Autolykus feste. ſich neben feinen Vater; 


die Anderen aber legten fich nieder, wie fidy’8 gehörte, Weiter 
hätte ed num nicht gebraucht, als zu bemerken was vorging, 
um ſich zu überzeugen, daß die Schönheit ihrer Natur nady 
etwas Königliches ſey, zumal wenn Einer Gittfamkeit und 
Zucht, wie bier Autolybus, damit verbinde. Denn wie ein 
Lichtglanz Aller Augen auf ſich wendet, wenn ein folder in 
der Nacht fihtbar wird, fo 308 aud) die Schönheit des Aufos 
lykus damals die Blicke Hier nad) ihm hin, Auch war un: 
fer Denen , die ihn fahen, Keiner, bei dem er nicht auf die 
Seele Eindrud gemacht hätte; ein Theil wenigftend wurde 
flifer, und Andere gaben fogar Aufferlih die Bewegungen in 


ihrem Innern zu erkennen. Wenn nun Jeder, der von ir⸗ 


gend einem der Götter ergriffen ift, für eine fehenswürdige 
Ericheinung anerkannt. werden ‚muß, fo befommen doch 
die von andern Göttern Ergriffenen einen fchreddareren 


nach Diodor. XII, 53. fiyon Olymp. 88, 2. in Athen, um ein 
Buͤndniß zwifchen Athen und Leontium zu vermitteln. 


* 





XRenophon's Gaſtmahl. | 653 
Blick, *) eine fürdyterlichere Stimme und eine nngeflämere 
Bewegungs die von dem züchligen Eros Begeiſterten dagegen 
find nicht nur freundlicher im Blicke, fondern nehmen auch 
einefanftere Stimme.an, und lenken ſich in ihren Bewegungen 
mehr zum Anſtaude. Und Dieb bewirkte eben damals Eros 
bei Callias, und bereitete daher den Eingeweihten biefer 
Gottheit ein fehenswürdiges Schaufpiel. Während fie nun 
fo in der Stile fpeipten, gerade ald ob ihnen Diefes von eis 
ner höheren Macht geboten wäre, klopfte Philippus, der 
Spaßmacher, an die Thüre, und hieß den Thürhüter melden, 
er er fey, und warum er eingelaflen zu werben wünfche; er 
habe übrigens alle Erforderniffe dei fih, um auf fremde Kos 
ften zu fpeifen, und auch fein Junge werde fehr gedrüdt von. 
feiner Laſt, weil er Nichts zu fragen, und noch nicht gefrühs 
ſtückt Habe. Als. Callias Dieß hörte, fagte er: „es wäre doch 
nicht fchön, Einem das bloße Obdach zu verweigern; man 
Laffe ihn daher herein.‘ Zugleich warf er einen Blick auf. 
Autolykus, um nämlich. zu fehen, wie Dem der Scherz **) ge 
fallen habe. Philippus aber ſtellte fi an den Maͤnnerſaal, 


H Nach ber Lesart yooyoreoov TR 0EAICL, womit zu vers 
gleichen Homer Illad. VII, 3249. YDoy&s öunar' EXoV, 
Die von Anderen vorgezogene Lebart yopyorsgol TE Öpn- 
oa, iſt der gewöhnlichen Sprache näher, aber gibt gu 

Tr öunaTa PiAoppovesdpwng EXsoı !inen Gegenfag, 
a0) Nach Schneider der Scherz. bed Philippus. Natuͤrlicher wäre 
es allerdings, mit Weiste an einen Scherz des Callias ſelbſt 
zu denken. Allein der Nachdruck, der auf exelvo liegt, und 
dab Präteritum Bo&sıe geben ber Scqhneider ſchen Ertlaͤrung 

den Vorzug. 


654 | XRenophon's Gaſtmahl. 


we das Gaſtmahl war, und ſagte: „daß ich ein Spaßmacher 
bin, weißt ihr Alte, und ich bin gerne hergekommen, weit ich 
Yachte,kes ſey fpaßhafter, ungebeten, als gebeten zum Muhle 
zu kommen.“ ‚So nimm denn Platz, verfebte Callias; denn 
die Unwefenden find zwar, wie bu fiehft, mit Ernſt wohl vers 
ſehen; hingegen mangelt es ihnen vielleicht etwas an Spaß.’ 
&o-wie fie nun weiter fpeifften, wollte Philippus fogleich Et⸗ 
was zum Lachen fagen, um es nämlich nicht an Dem fehlen 
zu laſſen, weßwegen er jedesmal zu den Gaftungen geladen 
‚wurde. Als er aber dein Gelädjter hervorbrachte, fo ließ er 


ich ſchon anmerken, daß er ſich beleidigt fühlte. Bald ders _ | 


auf wollte er abermals etwas Anderes zum Lachen ſagen. 
Wie aber. aud) da Kein Lachen erfolgte *) in der Zwifchenzeit, 
fo gab er das Eſſen auf, und Tag nun mit verhüfitem Ange⸗ 
fiht am Tiſche. „Was ift Dieb, Philippus? rief Callias, 
iſt dir wohl gar nicht wohl geworben 7’ Mit einem tiefen . 
Seufzer erwiederte Diefer: „ach ja, recht unwohl, Gallias. 
Denn feitbem das Lachen von der Welt verſchwunden iſt, tft 
es aus mit mir. Bisher wurde ich deßhalb zu den Gaſtun⸗ 
gen geladen, um ber Geſellſchaft Etwas zum Lachen zu ges 
‘ben, aber jent, für Was müßte man mich noch einladen ? 
Ernſthaft ſeyn Fann ich nicht, fo menig, als unſterblich wer⸗ 
ben, und in Heffuung wieder geladen zu werbeu, läbt mich 
doch auch Niemand, da die ganze Welt weiß, daß es von 
vorn herein gar nicht Sitte iſt, daß in mein Haus ein Eſſen 
Augetrasen warde.“ Bei dieſen Worten ſchueute er ſich, 


HD Mit veränderter Interpunction, weil mit ber blöperigen noch 
tein Erklaͤrer zurecht kam. 





- ” . BE. 
Zenophons Gaftmahl. . 655 


and auch nach feiner Stimme ſchien er unverkennbar zu wei⸗ 
nen, Alle tröfteten ihn daher, ſie wollen ein audermat fchen 
Ladyen; er folle nur eſſen; und Eritobulus lachte ſogar wirt: 
lich laut auf über fein Gejammer. Mehr brauchte es nicht, 
Er hatte Baum das Gelächter vernommen, fo enthüllte er ſich 
wieder, hieß feine Seele gutes Muthes ſeyn, daß es nicht am 
Schmaͤuſen fehlen werde, und aß aufs nette, 

2. Als dann die Zifche weggenommen *) und Weihguß 
. uud Zobgefang vorbei waren, fo Fam zu ihnen zum Trunke 
ein Spracufer mit einer gefchidten Flötenfpielerin, einer 
Zänzerin, wie fie Kunftftüde auszuführen verftchen, und mit 
einem Suaben, der Alles war, was man fchön nennt, und 
ganz vortrefflich die Bither ſpielte und tanzte. Diefe Kunfle 
fertigheiten der jungen Leute Tieß er denn and) als etwas 
Auſſerordentliches ſehen, und machte fi Geld damit. Wie 
nun das Mäddyen auf der Flöte, Der Knabe auf der Zither 
fpiefte, und Beide altem Anfcheine nach die Gefelifchaft vet 
angenehm unterhielten, fing Soecrates an: „In der That, 
Eallias, du laͤſſeſt es bei deiner Bewirthuug an gar Nichts 
fehlten: Dean du haft uns wicht nur ein Eſſen vorgeſeßt, 
‚woran nichts zu fadeln it, fonderm auch Augen und Ohren 
gewährft du alle Ergösung. „Wie wäre ed, verfehte Die⸗ 
fer, wenn man uns auch nee) Salben bräckte, damit wir 
auch mit Wohlgerüchen bewirthet wärden?‘ „Bei Leibe 


*) Banz ähnlich ift Platos Gaſtmahl C. IV. ©. 176, A, Nach 

Aufhebung der Tafel wurde nämlich Wein für die Gottheit 
- 6 Trankopfer ausgegoſſen, dann ein Robgefang anf die Goͤt⸗ 

ter abgeſungen, und dann erſt ging das „Trinten ‘(bei Plato 

% 9% D, 10005, bei Xenophon hier Xouog genannt) an. 


8 


666 Xenophon's Gaſtmahl. 


nicht, ſagte Soerates; ; wie eine andere Kleidung für bad _ 
Weib, eine andere für den Mann fchön ift, fo ziemt auch“ 
ein anderer Geruch dem Manne, und ein anderer dem Weide. 


Denn um eined Mannes willen reibt fidy doch kein Mann 


mit Salbe ein; die Weiber aber, zumal wenn fie erft neu 
vermaͤhlt find, wie die des Niceratus hier und des Critobns 
Ins, wozu follten fie noch Salbe bedürfen? Sie riechen ja 
ſelbſt darnad). Dagegen ift der Geruch des Dehles von der 


Ringſchule den Weibern nicht nur, wenn fie ihn empfinden, 


angenehmer, ald der der Salbe, fondern fie vermiſſen ihn 
auch weniger gern, wenn fleihn entbehren. Denn Wer fic mit 


Salbe beduftet, gleichviel ob Schave oder Freier, hat fogleich 


ohne Unterſchied denſelben Geruch; die Gerüche hingegen, 
welche eine Folge edler Anſtrengungen ſind, erfordern erſt 
Uebung und Zeit, wenn ſie angenehm und edel werden ſol⸗ 
len.“ „Dieß alſo, ſagte hier Lykon, wäre für die Junglinge; 


aber wir, die wir nicht mehr den Ringplatz beſuchen, nach 


Was werden wir riechen mäffen ?“ „Nach Rechtſchaffenheit, 


verſteht ſich,“ erwieberte Soerates. — Lykon. „Und woher , 


diefe Salbe nehmen? — Soer. Offenbar nicht von den Sal⸗ 


benträmern. — Lykon. Bohr denn? — Soer. Zheoguid 


fagt : — 
Gutes Terneft du nur von Guten; oöfe Gefentfepaft 
Richtet die Bildung auch, bie bir geivorden, zu.Grumd, 


„Hoͤrſt du Die, mein Sohn?! fagte Lykon. „D gewiß, 


verfegte Socrates, und noch mehr, er hält fih auch darnach. 


Wenigſtens da er ſich *) an did hielt, um Sieger im Pans 


*) Nach Moſche, der das Comma vor oxsıbauevog ſezstt. 





> 


Eenophon's Gaſtmahl. 657 


cratium zu werben, fo wird er nun auch ſich umſehen, umb 
fi) an Denjenigen anfchließen, zu welchem er in dieſem 
Städe das meifte Butrauen hat,” Hier fprachen nun Me: 
rere; ber Eine fagte: „Wo wird er hierzu einen Lehrmeifter 
finden 2° der Andere, Dieß Laffe fi gar nicht ehren; ein 
Dritter, wenn irgend Etwas fonft, fo müffe fidy Diefes fer 
nen laſſen. Socrates aber fagter „Laßt und Diefed, da es 
flreitig ift, für ein andermal bei Seite legen, und für jeßt 


Das zu Ende führen, was und zumächft liegt. Denn wie ih 


ſehe, fleht die Tänzerin dort bereit, und Täßt ſich Reife bies 


fen.’ Sofort fpielte ihr das andere Mädchen anf der Flöte 
vor, und Einer, der neben der Tänzerin ſtand, reichte ihr 
die Reife bis auf zwölfe; fie aber nahm fle und warf fie Hits 
ter fortgehendem Tanze im Wirbel in die Höhe, berechnend, 


wie hoch fie werfen müſſe, um fle im Takte wieder aufzus 


fangen. Da machte Socrates die Bemerkung: „Was and fo 


manchen andern Umftänden hervorgeht, ihr Freunde, das bes . 


ftätigt ſich auch durch Das, was diefed Mädchen leiſtet, daß 
naͤmlich die weibliche Natur nicht ſchlechter iſt, als bie des 
Mannes, und daß fie nur der Uebexlegung *) und der Stärke 
ermangelt. Hat daher Einer von eudy ein Weib, fo Ichre er 
fie getroft, Alles, was er nur wünfchte, daß fle verſtaͤnde.“ 
„Run, wenn du fo denkſt, Socrates, fagte Antifthenes, war: 
um ziehft denn nicht auch, du die Kantippe, fondern lebſt mit 
dem böfeften Weide von allen, die es gibt, ja, die es je ge- 
geben hat und geben wird?“ Socrates antwortete: ‚weil 


*) Na der alten Lesart Yung, welche in Plato, Gaftıhapt 
E. IX. S. 181, C, eine Stäge findet, 
Kenophon. 58 Bochn. m 


r 





658 Zenophon’8 Gaftmahl.- 


ich fehe, daß auch Diejenigen, welche gute Reiter werden 
wollen, nicht die willigften, fondern die muthigen Pferde neh⸗ 
men. Sie denken nämlich, wenn fle diefe im Zaume halten 
fönnen, werden fie mit den andern Pferden leicht zurecht 
kommen. So habe nun au ich, da ich mit Menfchen zu 
eben und umzugehen wünfce, Diefe genommen, weil ich 
fiher weiß, daß, wenn ich es bei Ihr aushalte, ich in alle 
- andern Menfchen leicht mid, finden werde.’ Und mit diefer 
Antwort fchien er den rechten led getroffen zu haben. Hier⸗ 
anf wurde ein Ring. gebradht, um und um vol aufrechtſte⸗ 
hender Schwerter. In diefe fprang die Tänzerin mit einem 
Burzelbaume hinein und wieder ebenfo über fie heraus, fo 
daß den Zufchauern bauge wurde, es möchte ihr Etwas ge- 
ſchehen; aber fie führte mit aller Ruhe und Sicherheit diefe 
Sprünge aus. Da wandte fid, Socrated an Antifthenes und 
fante: „ich denke, es braucht nicht mehr, als hier zuzufehen, 
um nicht länger zu zweifeln, daß aucd die Tapferkeit ſich 
fehren Taffe, wenn doch Diefe, obwohl ein Weib, fo kühn ſich 
in die Schwerter flürzt. „So Eönnte alfo, verfeste Anti⸗ 
ſthenes, auch der Syracufer hier nichts Beſſeres thun, als 
die Bürgerfchaft feine Tänzerin fehen laſſen, und fich erbies 
ten, wofern die Athener ihn dafür bezahlten, zu machen, daß 
aue Athener das Herz faßten, geradezu auf die Lanzenſpitzen 
zuzugehen?“ „In der That, fagte Philippns, und da möchte 
ich Nichts Tieber fehen, als wenn der Volksredner Pifander *) 


*) Piſander. Derfelbe, den auch Ariftophanes, Voͤgel 1556. 
Friede 3g5., Lyſiſtr. 4go. auf dad Theater brachte. Nach Thu⸗ 
cd. B. VIII. €, 53. war er fpäter unter den 400 Tyran⸗ 
nen und kam als folder um's Leben. 





Kenophon’s Gaſtmahl. | 659 


einen Burzelbaum in die Schwerter hinein machen lernte, 
er, ber jezt nicht einmal mit iws Feld sieben will, 
weil er Feine Lanzenſpitze vor ſich fehen kann.“ Sofort tauzte 
ber Knabe. Da ſagte Socrates: „Seht doch, wie der Knabe, 
fo fchön er iſt, dennoch in feinen Bewegungen noch ſchöner 
erfcheint, ald wenn er ſich ruhig verhält.“ „Du will, wie 
es fcheint, den Tanzmeifter loben,“ fagte Charmides. „Ja, it 
der That, antworsete Socrates, denn ich habe fonft noch Et⸗ 
was bemerkt: daß kein Theil des Körpers bei dem Tanze 
unthätig, fondern zu gleicher Zeit Hals, Beine und Hände 
in Bewegung waren, ganz wie Der tanzen muß, der feinen. 
Körper befier fragen lernen will. Und wirkfich, ich für meine 
Derfon hätte große Luft, Syracuſer, in den Bewegungen bei: 
die Unferriche zu nehmen. „Und Was willft du damit an⸗ 
fangen?“ fragte Dieſer. „Nun, tanzen will ich,“ war die 
Antwort. Hier lachte nun Alles zuſammen. Da fragte So⸗ 
crates mit ganz ernſthafter Miene: „Ihr lacht uͤber mich? 
Etwa darum, daß ich durch Bewegung meine Geſundheit 
ſtaärken, oder daß ich zum Eſſen und Schlafen mir mehr Luſt 
machen will, oder daß ich gerade eine ſolche Bewegung ſuche, 
wo ich nicht, wie die Laͤufer, die ſich die Beine dick und die 
Schultern ſchmal, noch wie die Fauſtkaͤmpfer, die ſich die 
Schultern did und die Beine ſchmal arbeiten, ſondern mit 
dem ganzen Leibe mic; anftrenge, und ihn fo durchaus gleich⸗ 
ſtark mache? Oder Yacht ihr darüber, daß ich nicht nöthig 
haben werde, einen Genoffen zu fuchen, wenn ich mir Bewe⸗ 
gung machen will, noch in meinem Alter vor den Leuten mich 
zu entkleiden, ſondern daß ein Gemach mit ſteben Speiſepol⸗ 
ſtern für mic, hinreichen wird, wie auch. jest für biefen Kna⸗ 
7 


660 Renophon's Gaſtmahl. 
ben hier unſer? Zimmer groß genug war, um ſich in ben 


Schweiß zu arbeiten, und daß ic dann Winters mir im 


BG 


Haufe Bewegung machen werde, und bei zu großer Hitze im 
Schatten? Oder tadıt ihr deßhalb, daß ich, weil mein Bauch 


übertrieben groß ift, ihn befcheidener zu machen wänfhe?- 


Dder wißt ihr nicht, daß mic, erft neulich Charmides hier 
in der Frühe beim Tanzen antraf?“ „Ja, in der That, fiel 
CEharmides ein, und anfangs war ich dazu ganz erfchroden, 
und fürchtete, du möchtert rafend feyn, als ich dich aber ums 
gefähr ebenfo ſprechen hörte, wie du bich jetzt aͤußerſt, fo 
machte ich's ſelbſt dir nach, fo bald ic, nad) Hanfe Fam, uhb 
Kanzte nun zwar nicht (denn Dieß hatte ich nie gelernt), aber 
ic) gefticufirte; denn Dig verſtand ich.“ „O gewiß, verſetzte 


Philippus; denn bei dir mällen die Beine mit den Schuls 


tern fo im Gleichgewichte feyn, daß du ſicher ungeſtraft davon 
Lämeft, aud) wenn du, wie beim DBrode den Marftmeiftern, *) 
das Untere gegen das Obere vorwägen mußteſt.“ Dann fagte 


Ealliad: „wende dich nur an mich, Socrates, wenn du tanz" 


zen lernen will; ich will dir gegenäber fanzen, und ed mit 
dir lernen. „Wohlan, rief jebt Philippus, das Madchen 


ſpiele auch mir auf der Floͤte vor, damit auch ich tanze.“ 


Dann erhob er ſich und ahmte nach einander den Knaben und 
das Mädchen im Tanzen nad). Und weil man gerühmt hatte, 
daß der Knabe’ in feinen Bewegungen fich noch fchöner aus: 
nahm, fo war fein Erſtes, jeden Theil des Körpers, den er 
bewegte, noch brolliger erfcheinen zu faffen, als er von Natur 


*%) Im Griechiſchen Aooranomen , die, wie zu Rom sie Aedilen, 
die Auffiht uͤber Kauf und Verkauf Hatten, . 





a 


Zenophen’d Gaſtmahl. 662 


war. Weil dann das Maͤbchen ſich rücklings beugend Mäder 
nachabmte, fo verſuchte er auf gleiche Weiſe ſich vorwaͤrts 
bückend Räder nachzuahmen. Endlich, weil man an dem 
Knaben rühmte, daß er beitm Tanzen ben ganzen Leib im 
Bewegung febe, fo hieh ex die Floͤtenſpielerin in einen ſchnel⸗ 
leren Tat übergehen, und ſchlug mit allem zumal, mit Beis 
nen, Händen und Kopf um ſich. Und wie er dann müde wear, 
legte er fich nieder und fagte: „Ein Beweis, ihre Leute, daß 
auch meine Tänze Einem vortreffliche Bewegung machen: ich 
einmal bin durkig., und der unge ſchenke mir die große 
Schaale ein.’ „Ja, fagte Calliad, und uns auch; denn auch 
uns duͤrſtet vor lauter Lachen über deine Poſſen.“ Socrates 
dagegen fagte: ‚Mit dem Zrinten, ihr Leute, bin auch ich 
ganz einverſtanden; denn der Wein frifcht in Wahrheit die 
Seelen an und -fchläfert die Sorgen ein , wie der Alrann die 
Wenſchen, und wedt dagegen bie Sröhlichkeit, wie das Oehl 
bie Flamme, Indeß fcheint es mir ben Männern mit bem - 
Trinken *) ebenfo zum eugehen, wie den Pflaunzen in ber Exbe, 
Denn auch diefe können ſich unwöglich aufrecht erhalten, und 
von ben Lüften ducchflrichen werden, wenn fie ber Himmel 
auf einmal gar zu reichlich traͤnkt; bekommen fie hingegen 
gerade fo viel zu trinken, als ihnen wohl thnt, fo wachſen 
fie nicht nur volffommen aufrecht, ſondern gebeigen auch und 
werden fruchtbar, Und fo wird es auch bei uns ſeyn. 
Scütten wir den Trauk in Maſſe hinein, fo werden bald 
+) Nach der einzig beftdtigten Kefeart GUUTOGEN. Onluare, 
wie ed bei Athendus heißt, hat ſich auch bei Deut, Onaest, 
Convir. I, ı, 5. an die Stelle des befferen oppnooıe 
eindrängen wollen. 





‘662 Kenophon’s Gaſtmahl. 


Körper und Sinne bei und das Gleichgewicht verlieren, und 
wir werden nicht einmal frei athmen, geſchweige denn fpxes 
chen koͤnnenz wenn und hingegen die Jungen mit Pleinen Des 
chern häufig beträufeln, (damit auch. id, in Gorgias *) 
Sprache rede) auf diefe Weife, wenn man uns mehr ver- 
führt als zwingt, **) vom Weine trunken zu werden, dann wird 
fi unfehlbar die Luſtigkeit bei uns einftellen. Damit war 
Qttes einverflanden; nur feste Phitippus Hinzu, die Mund: 
tchenten mäffen fich die guten Wagenlenker zum Mufter neh: 
men und die Becher ſchneller in die Runde jagen. Und Dieß 
Chaten fie denn auch. 

3. Sofort fpielte der Knabe auf ber nad) der’ Flöte ges 
flimmten Leyer unb fang. Hier war Alles in feinem Lobe 
einig, und Charmides fagfe fogar: „ihr Leute, was Socrates 
von dem Weine bemerkte, das fcheint mir auch auf diefe Mi 
{chung der jugendlichen. Schönheit diefer Kinder and der Töne 
zu paffen : fie fchläfert die Sorgen ein, und werkt die Liebe,‘ 
Sofort fprady wieder Soerates: „Dffenbar, ihr Leute, find 
diefe Kinder im Stande uns angenehm zu unterhalten, und 
wir dünken ung doch weit beffer zu ſeyn, als Diefe; iſt es 
nun nicht eine Schande, wenn wir nicht einmal den Verſuch 
wachen, unfer Beifammenfeyn zu Beförderung unferes gegen: 
feitigen Nupend oder Vergnuͤgens anzuwenden?’ Hier ſag⸗ 





.*) Gorgind liebte befonders ſchimmernden Prunk in feinen Res 
"ben. Zugleich ein Stich auf Callias, der an Gorgiad Unters 
richte ohlgefallen fand. 

**) uͤnoͤ TB olive iſt hier mit ue$Veıv verbunden, wie In 
Cap. VIII, 21.; nicht mit Pic douevoi. 


i Renophon's Gaſimahl. | 665 


‚ten nun Mehrere: „So gib du uns eine Unterhaltung at, 
durch welche wir am beften dafür forgen könnten?“ „Run 
Denn, erwiederfe er, wenn es auf- mid ankommt, ich würde. 
mir am liebſten von Calling feine Zuſage *) erfüllen Laffen; 
denn er gab uns ja das Wort, wenn wir mit ihm fpeifeten, 
wollte er uns Beweiſe von feiner Weisheit geben.” „Das 
werbe ich auch, fagte Eallins, wenn auch von end; indgefammt 
ein Feder zum Beſten gibt, was er Gutes weiß.’ Gut, vers 
feste Socrates, es fchlägt Dieß Keiner ab, das Vorzüglichfte 
mifzutheilen, was er zu willen glaubt.” „Nun fo made id) 
denn den Anfang, fprach Callias, und gebe euch an, auf Was 
id, mis am meiften einbilde: Menfchen getrane ich mir beffer 
zu machen.” „Und wie? fragte Antifihenes. Lehrſt du fie 
irgend ein Handwerk, oder aber Rechifchaffenheit? — Cal⸗ 
lias. Iſt die Gerechtigkeit Rechtfchäffenheit? — Antifthes 
nes, Ja, und zwar die entfchiedenfte Rechtfchaffenheit. Denn 
Tapferkeit und Weisheit befommen hier und da das Anſehen, 
als wären fie beiden, den Freunden und dem Gtaate fchäds 
lich; die Gerechtigkeit hingegen trifft auch nicht in einer ein⸗ 
zigen Hinſicht mit der Ungerechtigkeit zuſammen. — Cal⸗ 
lias. Nun ja, wenn erſt auch von end) ein Jeder angegeben 
Hat, was er Nuͤtzliches weiß, dann will ich auch nicht länger 
euch die Kunſt vorenthalten, durch welche ich Diefes bewirkte, 
Aber fage nun du an, Niceratus, auf welche Kenntniß du 
ſtolz biſt!“ „Mein Vater, fagte Diefer, dem daran gelegen 
war, aus mir einen tüchtigen Mann zu machen, hieit mich 


*) Nach der Lesart amoAaßouu. 





664 XRenophon's Gaſtmahl. | 


an, faͤmmtliche Gedichte von Homer zu lernen, und jetzt wäre 
ich im Stande, die ganze Ilias und Odyſſee aus dem Kopfe 
herzuſagen.“ „Weißt du aber nicht, verſetzte Autiſthenes, 

daß auch die Rhapſoden *) insgeſammt dieſe Gedichte im 


Kopfe Haben? — Nicer. Wie koͤnnte ich Dieß nicht wiſſen, 


‚wenn ich fie doch beinahe jeden Tag höre? — Antiſthe⸗ 
nes, Kennft du nun ein einfältigered Volk, als die Rhapſo⸗ 
den ?— Nicer. Nein, beim Himmel, wie mir däucht, keines.‘ 
„Natürlich, es iſt ja auffer Zweifel, fiel hier Socrates ein, daB 
fie den tieferen Sinn des Dichters nicht verftehen; allein du 
Haft ja dem Steſimbrotus **) und Anarimander und fonft noch 
Dielen viel Geld bezahlt, fo daß bir Nichts von Dem, was 
viel werth ift, ***) entgangen ſeyn kann. — Wie ift es denn 
aber mit dir, Critobulus, auf Was bildeſt du dir am meisten 
ein?’ „Auf die Schoͤnheit,“ gab Diefer zur Antwort. ‚Ges 





*) Vergl. Erinnerungen B. IV. ©, 2. 
**) Steſimbrotus von Thaſus, ein Erklaͤrer des Homer, wie weht 
auch. ber fonft unbekannte Anaximander. 
+++) av noAAB aElov ſteht offenbar in Beziehuug auf rroA® 
. dedonag AEyup:ov, und bedeutet: Was viel Gelb werth 
ift, niht: Was überhaupt Werth hat, wie man ed bisher 
faßte. Nur fo wird der Scherz ded Socrates verftändfich. 
Da aber die ganze Abſicht des Socrates bei diefer Einmi⸗ 
ſchung ift, den pumpen Angriffen des Antiſthenes auf Nices 
ratus ein Ziel zu-fegen, fo paßt auch bie Aufforberung des Gris 
tobulus für Niemand beffer, als für inn. Aus einem aͤhn⸗ 


lichen Grunde ift ihm auch die Aufforderung des Charmided - 


im Folgenden beizulegen, fowie noch vorher die bed Anz 
tiſthenes. 


— BP GE VE VE WE — — 


ug 


Xenophon's Gaſtmahl. 665 


trauſt nun auch du dir, den Beweis zu fügen, *) fragte 


Socrates, daß du mit deiner Schönheit im Stande ſeyeſt, 
und beffer zu machen? — Erik, Wenn id ja Dieß nicht 
baute, würde man mich offenbar. für ungeſchickt halten mifs 
fd. — Socr. Und du, auf was bift du flolz, Antiſthenes? 
„Bat meinen Reichthum,“ antwortete er. Hermogenes fragte 
ihn nun, ob er fo viel Geld beſtze. — Untifth. Bei den 
Göttern, auch nicht einen Obolus. — Herm. Ober befigeft 
du großes Grundeigenthum? — Antiſth. Für Autolykus 
bier würbe es wohl groß genug ſeyn, um darauf zu fechten. — 
Sper. So muß man andy dic, noch hören. — Und du, Ehars 
mides, anf was bift da ſtolz? — „Ich, antwortete er, auf 
meine Armuth.“ „In der That, fagte Socrates, eine herr⸗ 
liche Sache, Sie ift am wenigften dem Reide ansgefest, und 
am wenigſten dem Streite; fle bfeibt Eimem, auch ohne daß 
man fie bewacht, und nimmt noch zu, wenn man fi Nichte 
um fie befümmert.’ „Nun aber du, fagte Eallias, auf was 
biſt du ſtolz, Socrates?“ Dieſer zog ganz feierlich, fein Se— 
ſicht zuſammen, und antwortete: „anf die Kupplerkunft.“ 
Ws fle dann über ihn lachten, fuhr er fort: „Ihr lacht; 
aber ganz gewiß, ich wärde ſchweres Gelb einnehmen, wenn 
ich von meiner Kunflt Gebrauch machen wollte.” „Du freis 
lich, fagte dann Lykon, den Philippus mit Namen nennenb, 


*) Nach der Lesart ip 6 Zoxparıg. Denn Dieß fordert 
die Stelle C. IV, ı16., welche Ge auf die unſrige bezieht, 
Die Lesart ber Haneſchriften und aͤlteſten Auogaben o Io- 
xgureg | entſtand ans Mißverſtaͤndniß von TO OO xaAAEı) 
weihe Worte aber wie ſchon der Ehlaſsmus lehrt blos 
gegen BeArisg quẽg eine Antitheſe bilden. 


x 


666 » Xenophon's Saftmapl.” 


biſt auf dein Spaßmachen ſtolz./ „Mit mehr Recht wenige 


ſtens, erwiederte er, wie ich denke, als der Schanfpieler Cal⸗ 
fippides,*) welcher fid, Wunder was weiß, daß er ein ganzes 
Theater bis zu Thränen rühren kann.“ „Nun, fagte jetzt 


Antifthenes, wirft nicht auch du ung fagen, Zyklon, auf Was 


du ſtolz biſt?“ Lykon antwortete: „Wißt ihr denn nicht 
Alle, daß ich es auf dieſen Sohn bin?“ „Und Dieſer, be⸗ 
merkte Jemand, iſt es natuͤrlich darauf, daß er den Sieg 
davon getragen hat?“ Autolykus erröthete, und ſagte: 


„Nein, wahrhaftig nicht.“ Alles ſah nun voller Freude, ſeine 


Stimme zu hören, nach ihm bin, und Einer fragte ihn: 
„Uber auf Was bift du es denn ſonſt?“ Er antwortete: 
„Auf meinen Vater,’ und Ichnte fich dabei an Diefen an. 
Als Callias Dieß ſah, fagte er: „Weißt du auch, Lykon, daß 
du der reichſte Mann von der Welt biſt?“ „Nein, bei Zeug, 
fagte Diefer, davon gerade weiß ich Nichts. — Callias. So 
iſt dir alfo unbefannt, daß du nicht das Geld des Perfer: 
föniges .nähmeft für deinen Sohn ? — Lykon. Sch kann es 
nicht mehr laͤugnen; ich bin augenſcheinlich der veichfte Mann 
von der Welt.’ „Aber du, Hermogenes, fagte Niceratus, 
auf Was thuſt du dir dm meiften zu gute?” Er antıyors 


tete: „Auf meiner Freunde Trefflichkeit und Macht, und dars 


auf, daß fie bei al ihrer Vollkommenheit dennoch meiner 
fidh annehmen 2" Hier fah ihn denn Alles an, und Mehrere 


.*) Callippides, ein berühmter Schaufpieler im tragifchen Sache, 
zu den Zeiten des Ageſilaus, befonders auch bekannt durch 
fein bis in's Laͤcherliche gehendes Streben, Alled genau nach⸗ 
zuahmen, weßwegen er der Affe (niInxog) genannt wurde. 


aM _ — —_ nA 





u 





Renophon 8 Gaſtmahl. 664 | 


fragten zugleich, ob er fie auch ihnen nennen würde. Erer⸗ 
ſicherte, er werde fie ihnen nicht vorenthalten. " 
4. Sofort fagte Sperates: „Sp wäre alfo noch Tübrig, 
daß ein Jeder von Dem, was er angegeben hat, auch? nach⸗ 
wieſe, inwiefern es ſo großen Werth habe.“ „Höret zuerſt 
mich an, ſagte Callias. In der Zeit, in welcher Ihr mitein⸗ 
ander ſtreitet, was Gerechtigkeit ſey, mache Ich die Menſchen 
gerechter.” „Und wie Dieß, mein Beſter?“ fragte Socra⸗ 
tes. — Callias. „Dadurch, daß ich ihnen Geld gebe, in 
vollem Ernſte.“ Da erhob ſich Antiſthenes gegen ihn, und 
fragte ihn voll Begierde, ihn zu fangen: „Und die Menſchen, 
Callias, ſcheinen ſie dir die Gerechtigkeit in der Seele zu 
haben, oder im Beutel?“ „In der Seele,“ antwortete Cal⸗ 
lias. — Anſtiſth. Und dann machſt du ihre Seelen geredh- 
ter, indem du ihnen Geld in den Beutel gibſt? — Cal⸗ 
ldias. Ganz gewiß. — Antiſth. Wie denn, — Callias. 
Weil Keiner Luſt hat, durch Begehnng von Verbrechen ſich 
der Gefahr auszuſetzen, ſobald er ſich im Stande weiß, um 
Geld das Nöthige ſich anzuſchaffen. — Antiſth. Geben fie 
dir aber auch wieder zurück, was fie empfangen? — Cal: 
Tias, Nein, wahrhaftig, das nicht. — Antifth. Was denn 
flatt des Geldes? Dank? — Callias. Nein, wahrhaftig, 
auch Diefed nicht einmal; vielmehr find Manche mir noch 
mehr feind, als fie es vor dem Empfange waren.” „Sonder⸗ 
bar, fagte Untifthened, indem er ihn dabei anfah, wie wenn 
er ihn jest gefangen hätte, daß du fie gegen Andere gerecht 
machen kannft, und gegen dich felbft nicht!" „Und was ift 
daran Sonderbares ? entgegnete Callias. Siehſt du nicht 
auch Simmerleute und Banmeifter in Menge, die fonft der 


a 


668 Renophon's Gaſtmahl. 


ganzen Welt Hänfer bauen, und doch koͤnnen fie ſich ferhft 
feine bauen, fondern müflen zur Miethe wohnen ? Daher ers 
gib dic, jegt nur darein, Sophiſte, daß du zur Ruhe verwies 
fen wirſt.“ „Ja, in der That, verfepte Socrates, das ſoll 
er auch. Den Wahrſagern ſagt man ja nach, daß ſie ihr 
eigenes Schickſal nie vorausſehen, ob ſie gleich Anderen die 
Zukunft vorher verfündigen.” Und damit hatte dieſes Ge⸗ 
fpräd) ein Ende. N 

Sofort nahm Niceratud das Wort, und fagte: „Höret 
nun aud) von mir alte die Stüde, in welchen ihr beſſer wers 
ben folk, wenn ihr bei mir in die Schule gehet. Ihr wißt 
ja doch wohl, daß Homer, der große Weife, im feinen Gedich⸗ 
ten faft alles Menfchliche umfaßs hat, Wer daher von eich 
ein guter Hauswirth, Volkeredner oder Feldyherr werben will, 
oder ein zweiter Achill, Ajax, Neſtor oder Odyſſeus, der gebe 
Mir gute Werte: denn diefe Dinge verſtehe ich- alle.’ „Ders 
ftehft du auch König zu ſeyn, fragte Antiſthenes, weil bu 
den Lobſpruch keunſt, den er dem Agamemnon ertheilte, daß 
er ein trefflicher König fey und ein tapferer Gtreiter? 
„Ja, und noch dazu, erwiederte er, daß man beim Wagen⸗ 
Ienten nahe an dem Ziele umwenden muß, 

„Selber zugleich fich beugen im fchöngeflocdhtenen Seſſel, 
Sanft zur Kinten Hin; und dad rechte Roß bed Geſpannes 
Treiben mit Geiffer und Ruf, und ein wenig die Zügel 
ihm laſſen.“ *) 

Und auſſerdem weiß idy noch etwas Anderes, und ihr 
könnut den Augenblick einen Verſuch damit anſtellen: 


*) Homer It. XXII, 335. ff. nach Voß. 





N 


Renophon's Safmahl a 669 - 


‚Homer fagt nämlich irgendwo: *) 
— — und Zwiebel, Braten zum Trunte. re 

Wenn daher Jemand Zwiebel bringt, fo werdet ihr den Au⸗ 
genblick wenigftend in diefer Hinſicht Gewinn von mir haben; 

denn das Trinken wird euch befier ſchmecken. Da fagte Char⸗ 
mides: ‚Ihr Leute, Niceratus wünfcht darum mit einem 
Swiebelgeruche nach Haufe zu kommen, damit feine Frau 
glgube, ed wäre Riemanden eingefalfen, ihn zu küſſen.“ „Ja 
gewiß, fagte Socrates; aber wir find in Gefahr, in einen 
andern luſtigen Verbacht zu fommen. Die Zwiebel ***) ſchei⸗ 
nen naͤmlich wirklich die Eigenfchaft eines Braten zu befigen, 
fo weit Dieß bei ihnen möglich ift, da fle ja nicht nur bie 
Speifen, fondern aud) den Trank fchmadhafter machen. Wenn. 
wir num folche auch nach dem Effen genießen, fo möchte es 
heiſſen, wir fegen zu Callias gefommen, um uns wohl feon - 
zu laſſen.“ „Ber Leibe nicht, Socrates, fagte Callias. Wenn 
&iner in den Kampf zieht, darf er wohl Zwiebel nafchen, fo 
gut, wie Manche die Hähne vorher mit Lauch füttern, uud 
dann erft an einander laſſen. Wiewohl wir legen ee, wie es 
Scheint, eher darauf an, Andere fu küſſen, als zu kaͤmpfen.“ 
Und fo ungefähr hörte diefes Gefpräd auf. 


*) Juas. 1,651. 

**) Der Ausdruck iſt offenbar zu modern, aber der verſtaͤndlichſte 
und woͤrtlichſte, der namentlich wegen der folgenden Steile 
coög xE0LVOV Ye gewaͤhlt werben mußte. | 

***) Es iſt hier ganz der Tert der Handſchriften und aͤtteſten 
Andgaben beibehalten, außer daß mit Wottenbach 6 övroc 
fr ovuroc geleſen, und vor OU nad @g xoEOLVOV ys 
das Nelativum 0 eingefent wird. 





4 


670 Xenophon's Gaftmahl. | 


„Sol nun nicht Ich die Gründe angeben, rief jebt Cri⸗ 
tobulus, aus welchen ic auf meine Schönheit flolz bin.‘ 
„Gib fie nur an,‘ hieß es. — Critobulus. „Nun denn, 
wenn ich nicht fchön bin, wie ich mir fchmeichle zu feyn, fo 
möchtet”ihr mit Recht Betrugs halber zur Strafe gezogen 
werden, ba ihr, ohne daß euch Jemand zum Schwören auf: 
fordert, immer fchwöret, ich fen fchön. Jedoch auch ich glaube 
e8; denn ich ‚halte euch für ehrliche und biedere Männer. 
Bin ich aber in Wahrheit fchön, und mache ich auf euch den⸗ 
ſelben Eindruc, wie Der, welchen ic) ſchön finde, auf mid, 
fo fchwöre ich bei allen Göttern, ich nähme nicht das Reich 
bes Perferföniges für den Vorzug, fchön zu feyn. Denn 
gegenwärtig betrachte ich den Clinias *) mit größerer Luft, 
als alles andere Schöne in der Welt; und lieber wollte ich 
für alles Andere blind feyn, als für den einzigen Clinias; 
ich bin mit Nacht und Schlaf unzufrieden, daß fle feinen 
. Anbri mir entziehen, und weiß dem Tage und der Sonne 
nicht genug zu danken, daß fie mir den, Clinias zu fehen ges 
ben. Indeß wir Schöne dürfen aud, darauf flolz feyn, daß, 
wenn ber Starke, um feine Wünfche zu erreichen, arbeiten, 
der Tapfere Gefahren beftehen, und ber Weile das Wort ges 
brauchen muß, der Schöne auch ohne ſich zu rühren, Alles 
ausrichten Fann. Sch wenigſtens, fo gut ich das Angenehme 
eines Gutes, wie. das Geld erkenne, würde dennoch lieber, 
was idy habe, dem Clinias geben, als noch einmal fo viel 
von einem Andern nehmen; würde lieber ein Sclave ſeyn, 
als ein Freier, wenn Elinias mein Herr feyn wollte; denn 


*) Clinias, der jüngere Bruder des Meibiades. 





Kenophon's Gaftmapl. 671 


mich anzuſtrengen, wäre mir für ihn feichter, als auszuruhen, 
und für ihn Etwas zu wagen, ſüßer, als in Sicherheit zu 
leben. Wenn daher du, Callias, darauf ſtolz biſt, daß du 
Andere für das Recht gewinnen kannſt, ſo habe ich noch grö⸗ 
ßeres Recht als du, ſie zu jeder Tugend anzuleiten. Denn 
durch die Begeiſterung, die wir Schöne den Verliebten ein⸗ 
flößen, erwecken wir bei ihnen größere Freigebigkeit mit dem 
Gelde, größere Luft zu Anftrengungen und lebhaftere Ehr⸗ 
tiebe in Gefahren, ja fogar größere Sittfamkeit und Ents 
haltſamkeit, da fie ſelbſt vor Dem fich ſcheuen, wozu fle die 
ftärften Zriebe empfinden. Und auch Diejenigen find Tho⸗ 
ven, welche nicht die Schönen zu Feldherren wählen. Ich 
einmal würde mit Elinias feLbft durch's Feuer gehen, und 
ic) ftehe dafür, auch ihre mit mir. Deßwegen darfft du nicht 
mehr zweifeln, Socrates, ob meine Schönheit die Welt Et: 
was nüben werde. Ja auch nicht einmal in fofern darf man 
die Schönheit gering ſchaͤtzen, als ob fie ſchnell verblühte, 
Denn fo gut der Knabe ſchön ift, iſt es auch der Tüngling, 
der Mann und der Greis. Sum Beweiſe dient: zu Thallo⸗ 
phoren *) für Athene [Minerva] wählt man die fchönen 
Greife, offenbar in der Vorausſetzung, daß die Schönheit eine 
jedes Alter begleitende Eigenfchaft fey. Und wenn es ange- 
nehm ift, mit dem guten Willen Anderer zu erhalten, was 
man wünfcht, fo ftehe id) dafür, daß auch in dem gegenwärs " 
tigen Falle ich, ſelbſt ohne ein Wort zu reden, den Knaben 


*) Thallophoren waren Diejenigen, welche den feierlichen Zug, 
" in welchem man an ben großen Panathenden den Peplos ber 
Goͤttin umhertrug, mit Dehlzweigen ih ber Sand eröffneten. 


672 XRenophon's Gaſtmahl. 


hier und das Mädchen ſchueller dazu brächte, mich zu kuͤſſen, 
als Du, Socrates, wenn du auch al’ beine Weisheit Jaufbö⸗ 
‚tet. „Was gibt's da? fiel ihm hier Socrates in die Rebe; 
willſt du auch fchöner ſeyn als ich, daß du folchen Lärm von 
bir machſt?“ „Verſteht ſich, ja, erwiederte Eritobulns, oder 
ich müßte der haͤßlichſte feyn unter allen Silenen *) an ben 
Satyrſpielen.“ **) Socrates hatte naͤmlich auch? wirkliche 
Aehnlichkeit mit diefen. „Wohlan, verfebte Socrates, daß 
du nicht vergißft, den Streit wegen der Schönheit mit mir 
auszumachen, wenn bie angefangenen Gefpräcde herum find. 
Der Schiedsrichter zwifchen uns fey aber nicht Alexander, 
des Priamus Sohn, ***) fondern eben Diefe, die nach deiner 
Meinung barnadı gefüftet, dich zu küſſen. — Eritob. Und 
ben Clinias, Socrates, möchteft du nicht dazu nehmen? — 
Socr. Wird es denn Fein Ende nehmen, baß du bes Cli⸗ 
nias gedentft? — Eritob. Und meinft du, mean id) ihn 
nicht mit Namen nenne, gedente ich feiner weniger? Weißt 
du nicht, baß ich ein fo lebendiges Bild von ihm in meiner 
Seele trage, daß ich, wenn ich mich aufs Formen oder aufs 
Malen verflände, ihn eben fo gut nach diefem Bilde getroffen 


*) Silenen, ditere Satyre, welche mit einem Kahltopfe, einge: 
druͤckter Naſe, und dickem Bauche vorgeftellt wurben. 
++), Satyrſpiele, eine Art ſcherzhafter Tragoͤdien, welche an den 
hohen Feſten nach den tragiſchen Trilogien zur Erholung 
und Beluſtigung des Publikums aufgefuͤhrt wurden. Satyre 
und Silene ſpielten dabei auf der Buͤhne mit. 
—* Alexander, ſonſt Paris, der bekanntlich, als Venus, Juno 
und Minerva ſich um den goldenen Apfel als Preis der 
Schoͤnheit ſtritten, zum Schiedsrichter aufgeſteut wurde, und 
den Apfel der Venus zuerkannte. 


Zenophon’s Gaſtmahl. | 673 
haben wärbe, als wenn. ic, ihn ſelbſt vor mir gefehen hätte? — 
Socr. Nun, wenn du ein fo getreues Bild Haft, für was 
Läffeft du mir doch Feine Ruhe, und ſchleppſt mid, hin, wo 
bu ihn Teibhaftig zu fehen hoffſt? — Eritob, Aus dem ein- 
fachen Grunde, Socrates, weil der Anblid von ihm ſelbſt 
Genuß iſt, der Anblick feines Bildes hingegen, ohne Genuß 
zu gewähren, nur Sehnſucht einflößt.“ Hier ſagte Hermo⸗ 
genes: „Ich muß geſtehen, Socrates, ich kann es auch an 
die nicht billigen, daß du den Eritobulus fo gleichgültig kannſt 
wor Liebe raſen ſehen. — Socr. Meinſt du denn, er ſey in 
dieſen Zuſtand gekommen, erſt ſeitdem er mit mir Umgang 
Hat? — Hermog. Und warn ſonſt? — Socr. Siehſt du 
nicht, daß Dieſem eben erſt der Flaum an den Ohren herab⸗ 
ſchleicht, waͤhrend er bei Clinias bereits ſich nach hinten hin⸗ 
aufzieht? Es ging daher Diefer in dieſelbe Schule, wie Se: 
ner, und bamals enfbrannt: feine Neigung mit ſolcher Hef: 
tigkeit. Der Vater merkte Dieb, und übergab ihn mir, ob 
ich ihm etwa helfen könnte. Und allerdings flcht es bereits - 
weit beffer. mit ihm. Denn früher war er gerade, wie Die, 
welche bie Gorgonen;*) anfehen: verfteinert fah er nady ihm, . 
verfteinert ging er nirgends von ihm weg; jetzt hingegen habe 
ich ihn fchon fogar mit den Augen blinzeln fehen, Gleichwohl 
bei den Göttern, ihr Leute, er ſcheint mir, unter ung gefagt, 
den Elinias fchon geküßt zu. haben, und einen gefährlicheren | 
under ber Liebe gibt. es gar nicht; denn ex jſt unerſättlich 

) Gorgonen, drei Schweftern, Töchter des Phortys, mit Schlan: 
genhaaren, vor deren Anblicke Jedermann zu Stein erſtarrte. 


Befonderd bekannt ift im dieſer Gigenfchaft Cine derſelben 
Medufe, 


Kenophon. 58 Bochn. | 8 





674 Xenophon's Gaſtmahl. 


und gewaͤhrt gewiſſe ſuͤße Hoffnungen. Und vielleicht macht 
auch der Umſtand, daß von allen Handlungen die gegenſei⸗ 
tige Berührung mit dem Leibe allein mit der gegenſeitigen 
Liebe der Seelen *) gleiche Benennung hat, die eritere ehr⸗ 
barer. Darum iſt meine Behauptung,; Wer da folle befons 
nen ‚bleiben Fönnen, der müffe ſich des Küffend ber Schönen 
enthalten.’ „Aber für Was doc, Socrates, fiel hier Char⸗ 
mides ein, fuchft du und Freunde durch ſolche Schreckbilber 
von den Schönen wegzuſcheuchen, und dich ſelbſt ſah ich doch, 
bei’'m Apollo, als ihr bei dem Alphabetmeiſter Beide in dem⸗ 
ſelben Buche fuchtet, den Kopf an dem Kopfe und die nadte 
Schulter an der nadten Gichufter des Eritobulns haben? 
„Ach, entgegnete Soerates, dafür empfand ich auch, gleich ale 
wäre ich von einem wilden Thiere gebiffen, mehr denn fünf 
Tage fang Schmerzen in der Schulter, und im Herzen meinte 
ih Etwas, wie ein Juden zu haben. Aber jest, Eritobulus, 
fünde ich dir vor al diefen Zeugen,an, mich nicht anzurüh⸗ 
ven, bevor du denn am Sinne ebenfo behaart bift, wie auf dem 
Kopfe.“ Und fo wechfelte bei Diefen Scherz und Craft mite 
- einander ab. 
Callias aber vief: „Es ift an Bir, Charmides uns zu 
ſagen, warum du auf deine Armuth ſtolz biſt.“ „Muß nicht 
zugegeben werden, fing daher Dieſer an, daß es beſſer iſt, 
gutes Muthes zu feyn, als in Augſt, und frei zu ſeyn, as 
in der Knechtſchaft, und fich ſchmeicheln zu laſſen, aid Ande⸗ 


*) Yinfpielung auf die boppelte Bedeutung des Griechiſchen @e-- 
Asiv, welchem ner „lieb Haben’ in der Rinberfprache ent⸗ 
ſpricht. 





..n 


Eenophon's Gaftmahl. 675 


ren zu ſchmeicheln, und in gutem Zutrauen bei. ſeinemVa⸗ 


terlande zu ſtehen, als in ſchlechtem? Nun leble ich hier in 
dieſem Staate, ſo lange ich reich war, erſtens in ſteter Ungft, 
es möchte mir Einer in mein Haus einbrechen und mein Geld 
nehmen, und mir gar noch ſelbſt Leid zufügen; ſodann mußte 


ich noch den Sycophanten ſchmeicheln, weil ich einſah, daß 
ich in meiner Lage cher verfolgt werden konnte, als fie vers 


folgen. Denn befohlen, wurde mir wohl immer vom Staate, 
bafd diefen, bald jenen Aufwand für ihn zu beftreiten, aber 
anderswo meinen Aufenthalt zu itehmen, war mir. nicht ers 
laubt. Fest hingegen , ſeitdem id) meine auswärtigen Bes 
figungen verloren habe, *) von denen ich im Intande Nichts 
beziehe, und mein Hansgeräthe verkauft ift, jest ſtrecke ich 
mich der Zänge nach aus und fchlafe vortrefftich; ich beſige 
Zutranen bei der Bürgerfähaft, und werde nicht mehr bedroht, 
fondern ich drohe nunmehr Andern, und kam als ein freier 
Mann meinen Aufenthalt auswärts und in der Heimath neh⸗ 


men, wie ich will; ja nunmehr ſtehen die Reichen ſogar vor. 


mir von ihren Sisen auf, und gehen mir and dem Wege, 
wo id) wandle. Jetzt bin ich gleich einem Fürften, während 
ich Damals ein offenbarer Knecht war, und wenn damals ich 


dem Volke Abgaben bezahlte, fo iſt jetzt der Staat mir zins⸗ 
bar und ernährt mich. Auch wegen Socrates ſchimpfte man 
auf mich, fo Tange ich reich war, daß ich mit ihm Umgang 


hatte; jest, feirdem ich arm bin, bekümmert man ſich auch 
nicht einmal mehr darum. Noch mehr, fo lange ic, Viel hatte, 
verlor ich immer Etwas, theild durch den Staat, theils durch 


*) Darch den Peloponneſiſchen Krieg, f. Erinner. 3.1, €. 8. 
8 


— 


676 Zenophon’d Gaſtmahl. _ 


‚die Umftände; jest hingegen verliere ich Nichts (denn ich 
Habe nicht einmal Etwas zum Derlieren) und hoffe im Be: 
‚gentheil immer noch Etwas zu bekommen.“ „Beteſt du alfo 
nicht auch darum, niemals reich zu werden, fragte Callias, 
amd opferft den Apotropäen,“) wenn dir auch nur im Zraume 
ein Glück erfheint?‘ „Nein, antwortete Charmides, das 
thue ich doch nicht; ich harre vielmehr ganz unerfchroden 
aus, wenn id) irgend woher Etwas zu befommen hoffe.‘ 
‚Uber wohlan, fagte Socrates, fage num du ung, Ans 
tifipenes, wie du bei dem Wenigen, was du haft, dir fo viel 
einbildeft auf Reichthum? — Antifth. Ich denke, Freunde, 
daß der Menſch. Armuth und Reichthum nit im Haufe 
Habe, fondern in der Seele. Denn die Erfahrung zeigt ung 
eine Menge Bürger, die bei vielem Gelde und Vermögen 
fo arm zu feyn glauben, daß fie jeder Anftrengung und jeder 
‚Gefahr fich unterziehen, um noch mehr zu erwerben; fo gar, 
Daß ſelbſt von Brüdern, die zu gleichen Theilen geerbt haben, 
es dem Einen überall fehlt, während ber Andere genug und 
ueoch Ueberfchuß über feinen Aufwand hat. Und and) von 
Fürften hört man, die ibrerfeitd fo nach Geld dürften, daß 
fe. noch weit Aergeres ſich erlauben, als der dürftigfte 
Menſch. Denn aus Mangel ſtiehlt wohl Mancher, oder er 
Sricht in die Häufer ein, oder verkauft einen Freigebornen in 
die Selaverei; aber unter den Fürften gibt es foldhe, die 
‚ganze Yamilien zu Grunde richten, ‚alle Glieder derſelben 


— — 
*) "Anorponaloı, Averrunci, hießen Zeus und Apollo vei 
den Griechen, ſobald fie Gefahren und Unfälle abwenden ſoll⸗ 

sen. Aus gleichem Grunde hieß Heraces "AAsElxaxog- 





ur Xenophon's Gaſtmahl. 677 


miteinander hinmorden, und oft fogar ganze Städte dem 
Gelde zu Liebe in die Sclaverei verkaufen. Mit diefen Mens 
fchen habe ich nun inniges Mitleiden ihrer gar zu fchweren 
. Krankheit wegen. Denn fie fcheinen mir gerade fo daran zu 
feyn, wie wenn Einer viel vor ſich hätte ) und viel äße, 
und doch nie voll würde. Ich dagegen habe fo viel, daß id} 
ed kaum felbft zu finden weiß; dennoch bleibt mir fo viel 
übrig, um bei'm Effen ed dahin zu bringen, daß mid nicht 
mehr hungert, und bei'm Trinken dahin, daß mich nicht 
mehr dürfte, und um mic, fo zu Beiden, daß ich aufferhalb- 
des Hauſes “fo wenig, ald unfer Callias mit allen feinen 
Reichthümern, frieres und bin idy zu Haufe, fo finde ich im- 
meinen Wänden ganz warme UnterBleider, und ganz dide 
Dberleider in meinen Zimmerdeden. Mein Lager ferner 
iſt fo zu meiner Zufriedenheit, daß man Mühe hat, mid nur 
aufzuwecken. Und hat einmal mein Körper audy das DBedürfs- 
niß der Liebe zu Megen, fo ift mir die nächfte befte Gele⸗ 
genheit fo gut genug, daß eine Jede, an die id) mid) wende, 
mich mit Freundlichkeiten überhäuft, weil fonft Niemand 
Luft bat, fihh an fie zu machen. Und dieß Alles finde ich 
denn fo angenehm, daß ich größeren Genuß bei Befriedigung 
jener Bedürfniffe gar nicht wünfchte,, fondern kleineren; fo 
fehr finde ich Einiges davon angenehmer, ‚als nützlich if. Für 
das vorzüglichite Gut unter meinem Reichthum halte idy 
übrigens jenes, daß, wenn mir Einer-audy nähme, was ich 
jest habe, ich Bein fo fchlechtes Gewerbe kenne, weiches mir 


+ Mit Beibehaltung der alten Leart, noAAG. Exav, xal 
noAMa dIlan. . 


—— — — — — 


% 


678 Renophon s Gaſtmahl. 


nicht hinreichendes Auskommen gewährte Denn wenn ic 
mir wohl ſeyn laffen will, fo Baufe ich mir nicht-Foftbare Ga: 
hen vom Markte; Dieß Fäme theuer; fondern ich hole mir 
meinen Genuß bei meinem Appetit, und es fchmedt mir ohne 
Vergleich beffer, wenn ich zuvor das Bedürfniß abwarte, und 
dann erft Etwas zu mir nehme: als wenn id mid) Eoftbarer 
Sachen auf die Urt bediene, wie ich jett, ohne zu dürften, 
den Thafifchen Wein *) hier trinke, weil ich gerade dazu gekom⸗ 
men bin. Ga, auc weit gerechter müffen Diejenigen ſeyn, 
welche mehr anf Einfachheit in ihrer Xebensart, als auf den - 
Beſitz eines großen Vermögens ausgehen. Denn je mehr 


“ Einer fih an Demigenügen läßt, was er gerade hat, deſto 


weniger gelüfter ihn nach Syremdem, Es darf ferner nicht 
vergeffen werden, daß ein folcher Reichthum auch freigebig 
macht. Denn Goirates hier, von bem id) ihn erworben, hat 
mir ihn weder zugezählt, noch zugewogen, fondern fo viel 
ich fragen Eonnte, mir jederzeit gegeben; und auch ich bin 
Damit gegen Niemand karg; ich gebe vielmehr allen Freun⸗ 
ben nieht nur den großen Vorrath zu fehen, fondern, Wer 


‚da wid, dem theile ich auch mit von dem Reichthum in 


meiner Seele. Endlih auch an dem Tieblichftien Gute von 


‚allen, an der Muße, fehlt es mir, wie ihr fehet, niemals; 
id) kann fehen, was fehenswerth, hören, was hörenswerth 


ift, und was mir über Alles geht, ich kann bei Socrates 
meine Muße den Tag äber zubringen. Und auch Diefer 
Huldige nicht Denen, weiche am meiften Gerd besahfen, fon: 

2) Der Thaſiſche Weln- war im Alterthume beruͤhmt, namentlich 


durch feinen Wohlgeruch. Cr Hatte feinen Namen von Tha— 
fus, einer Inſel des Aegaͤiſchen Meeres nahe hei Thracien. 








Xenophon's Gaſtmahl. 679 


dern, Wer ihm erft gefält, mit dem geht er immer um.’ 
So ſprach Antifthened. „Bei der Hera, ſagte Callias darz . 
auf, ich beneide dich um deinen Reichthum, und wäre ed auch 
ur bewegen, daß weder der Staat dir Laſten auflegt, und 
wit dir, wie mit einem Schauen fchaltef, noch die Leute bir 
zürnen, wenn du ihnen. nicht borgſt.“ „O, verfebte Nicera- 
tus, beneide ihn nicht, denn ich werde non ihm die Kunſt 
borgen, Nichts von Anderen zu bebürfen, dba ich alfo vom 
Homer zählen *) gelernt ; 
„Zehen Talente des Goldes, dazu preifäßiger Keſſel 
Sieben, vom Feuer noch rein, und zwanzig ſchimmernde Becken, 
Auch zwoͤlf maͤchtige Roſſe.“ 
ganz nach Zahl und Gewicht; denn recht großer Reichthum 
iſt mein ewiger Wunſch, und Die ift wohl audy der Grund, 
warum mic. Manche für ein wenig geldluſtig haften.’ Hier 
Kachte nun Alles laut auf, weil man’ dachte, er habe die 
Bahrheit geſagt. 
Sofort fagte Einer: „Es ift an dir, Hermogenes, ſo⸗ 
wohl die Freunde zu nennen, Wer ſie ſind, als den Beweis 





*) as IX, 122. 264. In: ‚ber Interpunktion ift hier von dem 
Ausgaben abgewihen. Erw nenadsvusvog ift vom 

‚ npogdeidaı nur durch ein Comma geivennt, und mit 75 

- daveıoauevog verbunden; sadıp xal aearduo ift 
als Epexegefe von Bro noch zu Kor duETv gezogen, und 
vom Folgenden durch einen Punkt getrennt. Bon Homer hat 
Niceratus nicht blos zählen, fondern große Reichthuͤmer zaͤh⸗ 
len gelernt, und darin liegt zugleich ein Gegenfau gegen bie 
Art, wie Antifihenes feinen Reichthum von Socrates erhielt, 
nämlich weder zugezaͤhlt noch zugewogem. _ 


x 





680 | Zenophon’s Gaſtmahl. 


zn führen, daß fle wirklich viel vermögen und ſich deiner au⸗ 
nehmen, ‚damit wir fehen, mit weichem Rechte dn auf fie 
ſtolz biſt.“ Her mog. „Nun daß fowohl Hellenen ald Bars _ 
baren glauben, bie Götter wiffen Alles, das Gegenwärtige 
und das Zukünftige, Dieß ift offenbar. Alle Staaten wenige 
ftend und alle Völker befragen die Götter mittelft dev Wahre 
fagetunft, Was fie thun und nicht thun follen. Und aud) 
daß wir annehmen, fie können fowohl helfen als ſchaden, 
auch Diefes iſt fiher ; Altes bittet wenigſtens die Götter, das 
Schlimme abzuwenden und dad Gute zu gewähren. Diele 
Götter num, die Altes willen, und Alles vermögen, find mir 
fo gewogen, daß fle mich aus lauter Fürforge für mid) nies 
mals’ *) aus dem Auge verlieren, weder bei Tage noch bei’ 
Nacht, ich mag hingehen, wohin ich will, und mag thun, 
was id wi, und weil fie auch die Folgen von Allem vors 
ber wiffen, fo fenden fie mir Stimmen, Zräume und Vögel 
als Boten zu, und deuten mir durd) diefe an, was ich thun 
fol und was nicht. Folge ich dann diefen, fo habe id) es 
nie zu bereuen; aber ich war ihnen auch fchon ungehorfem, 
und dann wurde ich dafür gezüchtiget.“ „An diefem Allem 
laͤßt ſich freilich Nichts bezweifeln, fagte hierauf Gocrates ; 
aber etwas Anderes möchte ich gerne hören: wie du die Göt⸗ 
ter ehreft, daß fie dir fo gewogen find.” „In der That, ers 
wiederte Hermogenes, ganz einfach. Ich preife fie, ohne daß 
ed mic, Etwas Eoftet; von Dem, was fle geben, bringe ich 
ihnen wieder dar, vermeide foniel möglich Reden, die ihnen 
mißfältig find, und habe ich fie bei Etwas zu Zeugen anfges 


+) Nach Homer Jlias X, 278. ff. 








Zenophon’s Gaftmahl. 68: 


forbert, fo trüge ich mit Willen nie.’ „In Wahrheit, ſagte 
Socrates, wenn fie bei einem-folchen Derhalten dir gewogen 
find, fo. müflen auch die Götter an Rechtſchaffenheit Gefallen 
finden,’ Diefed Gefpräh nun hatte angegebener Maßen 
einen ernſthaften Character. 

Als ſie aber an Philippus kamen, fragten ſie ihn, was er 
denn an der Spaßmacherei finde, daß er auf ſie ſtolz ſey. „Habe 


ich nicht allen Grund dazu, entgegnete er, wenn doch Alle, 


weil fie wiſſen, daß ich ein Spaßmacher bin, bei fröhlichen 


Deranlaffungen mich gleich einladen; wenn ihnen aber etwas 


Schlimmes zuftößt, ohne fich umzufehen, vor mir fliehen, aus 


lauter" Surcht, fie möchten wider ihren Willen Lachen müſſen.“ 
„In der That, verſetzte Niceratus, da haft du freilich alle, 


Urfache, ſtolz zu feyn. Denn mir gehen im Gegentheile von 
meinen Freunden Diejenigen, welche glücklich find, aus dem 


= Wege; Die hingegen, welden ein Unglüd widerfahren ift, 


rechnen mir ihre Verwandtſchaft vor, und gehen mir gar nie 
von der Seite.” 

„Gut, fagte Charmides ‚ aber bu, Spracufer, auf Was 
bift du ſtolz? Natürlich auf den Knaben ?“ ‚Nein, wahrs 
baftig nicht, erwiederte Diefer; ich bin ſogar vielmehr feinet- 
wegen in Sorgen. : Deun ich weiß von inigen, bie ihm 
nachftelien, um ihr zu verderben.‘ „Heracles, fagte Socra⸗ 
tes, wie er Dieß hörte, womit *) fol fie denn der Knabe fe 
fchwer beleidigt haben, daß fie ihn tödten wollen? — Syra⸗ 
enfer. Ach, nicht eben tödten wollen fie ihn, fondern ihr 
bewegen, bei ihnen zu fchlafen. — Socr. Du meinft alfe, 


*) Nach Homer Jlias IV, 31 — 33. 


682 Xenophou's Gaftmahl. 


wie es fcheint, wenw Dieß gefchähe, würbe er verberbt wor⸗ 
den? — Syrac. Ia, von Grund aus. — Socr. Du ſchlaͤfſt 
alſo ſelbſt auch nicht bei ihm? — Syrac. D ja wohl, ganze 
Nächte und ale Naht. — So er. In Wahrheit ein großen . 
Glück, deffen du dich zu erfreuen haft, eine folche Haut von 
der Natur zu haben, daB hu allein Diejenigen nicht ver: 
derbft, die bei dir fchlafen. Wenn daher aud auf nichts 
‚ Anderes, fo dürfteft du ſchon auf deine Haut ſtolz ſeyn. — 
Shrac. Ach nein, Dieß ift es nicht, worauf ich ſtolz bin. — 
Socr. Auf was bift du es deun font? — Syrac. Auf die 
Thoren, fo wahr Zeus iſt; denn dieſe fehen meine Ganke- 
feien an, umd geben mir dafür zu leben.” ‚Das war es 
alfo, verſetzte Philippus, warum ich dich auch renlich die 
Götter bitten hörte, daß fie recht viel Frucht gerathen. lafſen 
möchten und wenig Verſtand.“ *) | 

Genug damit, fagte Callias; aber di, Socrates, Was 
kannſt du dafür anführen, daß du mit Recht flolz ſeyeſt auf 
. die fo unrühmliche Kunſt, die du nannteſt?“ Wir wollen zu⸗ 
erſt ung darüber verftändigen, fagte Diefer, welches die Der: 
richtungen eines Kupplers feyen; Fragen, die ich machen 
werbe, beantwortet mir daher ohne Zögern, damit wir wife, 
wie weit wir miteinander einverflanden find. Iſt es auch 
euch fo angenehm?‘ Sie fagten: ‚Allerdings‘ und wie fie 
ed Einmal gefagt hatten, fo gaben fie ſaͤmmtlich auch ferner, 


*) poevav Ö2 dgopier. Daß Dieb ſich auf den Eyracuſer 
ſeibſt, nach der Abſicht bes Phitippuß, beziehen ſolle, wie 
Meiste meint, macht ſchon unfere Stelle feldft, befonders 
‚aber die Vergleichung von Erinnerung. 8. III. ©, 14. un⸗ 
wahrſcheinlich. Aber xcono dpdovia bezieht ſich auf ihn. 


‘ — 








Renophon's Gafimahl. 63 


Yin Dieb zur Antwort, — Socr. „Scheint euch num nicht 
zu den DBerrichtangen eined guten Kupplers zu gehören, zu 
machen, daß bie Perfon, weldye er verkuppelt, fey es nun 
" eine Sie oder ein Er, je Denjenigen gefalle, mit welchen fie 
zuſammenkommt? — Alle. Allerdings. — Socr. Iſt nicht 
ein nothwendiges Stüd, um zu gefallen, daß man. in Haar⸗ 
putz und im Tragen bes Kleides den Anſtand beobachte? — 
Alle. Allerdings. — Soer. Wiffen wir nicht auch, daß 
man mit denfelben Augen Audere ſowohl freundlich als böfe 
anblicken kann? — Alle: Allerdings. — Socr. Und kann 
man nicht auch mit derfelben Stimme eben fo gut fanft als 
derb reden? — Alle. Allerdings. — Socr. Gibt es ferner 
nicht Neden, welche Feindſchaft, und wieber andere, welche ' 
Freundfchaft erwecken? — Alle. Allerdings. — Socr. Wirb 
num nicht ein guter Kuppler von dem Genannten dasjenige 
lehren, was zum Gefallen gut ift? — Alle Allerdings, — 
Bocr. Und welcher würde dann ber Beſſere ſeyn, Derjenige 
welcher nur Einem gefällig machen kann, oder Derjenige, 
welcher auch Dielen?” Hier theilten fie fi, und die Einen 
fasten ? „Offenbar Derjenige, welcher Andere recht Vielen ge: 
faͤllig machen kann.“ Die Undern aber blieben bei ihrem „Al⸗ 
ſerdings.“ *) „Auch Dieb bejaht ihr? fuhr Socrates fort. 
Wenn Einer aber machen Eönnte, daß man fogar der ganzen . 
*) D. h. fie bejahten ganz gebantenlod die Trage auf dies 
ſeibe fteveotgpe Weife, wie bisher. Im Bolgenden ift dan 

örTı als blos die directe Nebe einführend, und OlLoAoyeiras 

nicht von dem Ginverftandenfenn Aller, fondern von der Ber 
jahung ber Frage durch einen Theil der Geſellſchaft genom: 

men, Nothwendig ift dann aber ber Gay ein fragender. 








684 XRenophon's Gaſtmahl. 


Bürgerfchaft gefiele, wäre nicht dieſes nunmehr vollkommen 
ein guter Kuppler? — Alle. wieder: Unleugbar in der 
That. — Socr. Wenn num Einer es bei den ihm Anver⸗ 
tränten fo weit bringen koͤnnte, follte Der nicht alled Recht 
haben, auf feine Kunſt ſtolz zu feyn, und alles Recht, ſich 
großen Lohn bezahlen zu laſſen?“ Da auch damit Alle ganz 
einverftanden waren, fo fuhr er fort: „In diefer Kunſt ſcheint 
mir allerdings unfer Antiſthenes Meifter zu ſeyn.“ „Mir, 


Socrates, verſetzte Diefer, trittft du deine Kunft ab? — 


Socr. Fa in der That. Ich fehe ja, daß du auch bie dazıs 
gehörige dir zu eigen gemacht haſt. — Antiſth. Welche 
meint Du? — Socr. Die Kunft des Zuführens.“ Ganz 
beleidigt fragte jebt Antifthenes: „Und Was weißt du der 
Art von mir, Socrates? — Socr. Ich weiß, daß bu den 
Callias bier dem weifen Prodikus zuführteft, wie tu ſaheſt, 
daß Callias Verlangen nad) dem Studium der Weisheit em⸗ 
pfand, und Jener Geld brauchte; ich weiß weiter, daß dur 
ihn dem Eleer Hippias zuführteft, von Welchem er aud) die 
Gedaͤchtnißkunſt erlernte; und eben daher ift er auch noch 
‚ verliebter geworden, weil er nie wieder vergißf, was er 
Schönes gefehen hat.Erſt neulich lobteſt du aud) gegen mid 
ben Fremdling von Seraclen, ) und wie du mid, lüſtern ges 
macht hatteſt, ihn Kennen zu lernen, machteft bu ihn mit mir 
-befannt. Und ich weiß ed dir wirklich Dank; denn er fcheint 
mir ein guter und rechtſchaffener Mann zu fen. Lobteſt du 
ferner nicht den Aeſchylus von Phlius “) gegen mich und 


*) Son ber Dialer Zeuxippus ſeyn, den Plato im Protagoras 
erwaͤhnt. Andere denken an Zeurie. 
*) Von dem Tragirer verſchieden, und ſonſt unbekannt. 


N 


MR 





Zenophon’s Gaftmahl. 685 


mich gegen ihn, und bradhteft uns dadurch fo weit, daß wir auf - 
deine Ausfagen bin vor lauter Derliebtheit einander nachlie⸗ 
fen, wie der Jäger dem Wilde, um und zu treffen ? Darum 
alfo Kalte ich dich für einen guten Suführer, weil ich did) 
ſolche Proben deiner Kunft ablegen ſehe. Denn Wer das 
Talent hat, Diejenigen zu erkennen, welche einander nützlich 
feyn werden, und Diefe dann nacheinander lüſtern zu machen 
weiß, der fcheint mir fowohl Staaten miteinander befreunden, 
als paſſende Ehen ftiften zu können, und ihn zum Freunde 
. und Bundesgenoffen zu befiten, muß für Staaten wie für 
Einzelne +) das größte Glück feyn. Und du zürnteft mir, 
als wäreft du befchimpft, Daß ich dich eimen guten Zuführe- 
nannte!” „Aber doch jegt nicht mehr, erwiederte Antiſthe⸗ 
ses. Denn wenn ich bdiefes Talent befise, fo wird meine 
Seele mit Reichthum über und über angefüllt feyn.” Und 
“ damit hatte diefes Rundgeſpraͤch ein Ende. 


*) Die geroöhnliche Lesart ſcheint hier verborben zu feyn. Im 
der Ueberſetzung ift voraudgefegt, daß der urfprängliche Text 
gelantet habe xai noAeoı xal ldiwrmıg Pilog xal 
GUuNaYXoc xexrndar, womit zu vergleichen Griechiſche 
Gefchichte B. 11. E. 5. 5. 14. dEıor NOAAB OVuuaxor 

‘äuelvorg doev. Sonft verbindet Renophon wohl plAoı 
xal ovumaxoı, und wieber smoAsg nal piAory aber 
weder noAsız al PlAos, noch alle drei xal TuAcıg 
xai glAoı xal ovunayoı, wie denn Aud dieſe letzte 
Verbindung feinen Sinn hätte. Dagegen fteht gegenüber von 
id.ötaı auch sroAsıg in der Mehrzahl, Erinner. B,11.€.6.. 
und wie Idsaraıg ausgefallen, fo bald einmal plAoıg nei 
ovumanoıg gelefen wurde, erklaͤrt ſich leicht. 





686 Xenophons Gaſtmahl.? 


5. Da ſagte Callias: „Wie iſt es aber mit dir. Erito⸗ 
bulus?, Stellſt du dic zum Wettſtreite in der Schoͤnheit 
gegen Socrated nicht ?“ „Ja, du haft Recht, verſeßte Se: 
crates. Er flieht ohne Zweiſel, daß der Kuppler bei den Rich⸗ 
tern in Gunft ſteht.“ „Und dennoch, entgegnete Eritobntus, 
ziehe idy mic, vor dir noch nicht zurück; bemeife nur, wenn 
du kannſt, daß du fchöner Teyeft, als ih.” Socr. „Wan 
bringe wur die Lampe näher herbei, — Bor Allem alfo, fuhr 
er dann fort, fchreite ich mit dir zum vorkäufigen Verhöre 
über unfere Rechtsſache. So antworte! — Eritob. Du 
Darfft nur fragen. — Socr. Nun dem, meinft du, das 
Schöne finde fi) nur an den Menfchen, ober auch an Ande⸗ 
em ?— Eritob. O gewiß ſindet es (ich auch au den Pferde, 
Stiere, und an vielen Teblofen Segenftänden. So viel ich 
weiß, "Ban auch ein Schild ſchön ſeyn, und ein Gämmwert und eine 
Lanze. — Socr. Und wie ift es möglich, daß diefe Dinge 
alte ſchön feyen, ohne auch nur in Etwas einander ähnlich zu 
ſeyn? — ‚Eritob. Allerdings, wenn fie je zu den Verrich⸗ 
tungen, wozu wir fie haben, gut verfertigt, ober von Natur 
zu dem Zwecke, wozu wir fie gebrauchen, gut geeignet find, 
fo ſind fle auch fen. — Socr. Weißt du nun von den Aus 
gen, wozu wir fie brauchen? — Critob. Offenbar zum 
chen. — Soer. So wären demnach ſchon meine Augen 
ſchöner, als die deinigen. — Critob. Wie ſo? — Socr. Die 
deinigen ſehen nur gerade aus, die meinigen hingegen auch 
von der Seite, weil ſie ſo weit hervorſtehen. — Crit. Du 
meinſt, der Krebs habe die jehönften Augen unter allen Ges 
fhöpfen? — Socr. Allerdings, denn auch in Abſicht auf 


Zenophon’s Gaſtmahl. 67 


Staͤrke find feine Augen von der Natur aufs beſte einge⸗ 
richtet. — Eritob, Out, uud um auch auf die Nafen zu 
. fommen, welche ift die fchönfte, die deinige oder die mei⸗ 
nige? — Soer. Die meinige, denke ich,"wenn uns anders 
die Goͤtter des Riechens wegen die Nafen gegeben haben. 
Denn deine Naſenloͤcher fehen auf die Erde, die meinen hin⸗ 
gegen ftehen weit offen, fo daß fle überall her die Gerüche 
annehmen Bönnen.. — Eritob. Uber wie kann eine einiges 
drückte Naſe fchöner fenn, als eine gerade? — Gocr, Weit 
fie nicht verfperrt, fondern fogleich die Augen fehen läßt, 
was fie wollen 3 eine Hohe Naſe dagegen macht, wie wenn fie 
es zum Trotze thaͤte, zwifchen den Augen eine Scheidewand. — 
@ritob. Was freilich den Mund anbelangt, fo befcheide I 
mich. Denn wenn er zum Abbeißen gemacht ift, fo möchteft 
du bei weitem ein größeres Stück abbeißen, als id. — 
Socr. Und glaubſt du nicht, weil meine Lippen dider find, 
daß auch mein Kuß weit fanfter iſt, als der deinige? — 
Critob. Wenn man did hört, moͤchte man meinen , mein 
Mund fey ned, Häßlicher, als bei einem Eſel? — Socr. Und 
haͤltſt du jenes für Leinen Beweis, baß ich ſchoͤner bie, als 
du, daß auch die Najaden *) in den Silenen eher mir, atb 
dir aͤhnliche Söhne gebären ?— Eritob. Ich kanu dir nicht 
mebr widerſprechen. Die jungen Leute **) ſollen nur abs 
ſtimmen, damit ich gleich erfahre, was ich für eine Strafe 
auszuftehen oder zu. begahlen Habe. Nur Eines: daß fie - 


* Najaden, Nymphen ber Quellen 


Nach der Erklärung von Samen, welche ſchori durch E. IV. 
$. 20. gefordert wird. . 





688 . . Xenophon's Gaftmahl. 


verdeckt ftimmen! denn ich frame beinem und bes Antifthenes 
Reichthum nicht; der Eöntite mich unterdrücken.“ 

Nun ſtimmten das Mädchen und der Knabe verbedt. 
Socrates aber betrieb indeffen, daß die Lampe jebt näher zu 
Eritobulus gerüdt wurde, damit bie Richter ſich nicht täu= 
ſchen möchten, und daß dem Sieger flatt der Bänder *) Küffe 
als Siegespreis von den Richtern gegeben werden follten. 
Als aber die Stimmfteindyen hervorkamen, und alle zu Gun⸗ 
fien des Eritobulns ausfielen, fo fagte Socrated: „Ach, Eri- 

- tobulug, dein Geld muß nicht von der Art feyn, wie das des 
Callias, denn deffen Geld macht die Leute gerechter, das beis 
‚ nige hingegen ift im Stande, wie das meilte, fowohl im 
Nechtöftreite, als im Wettkampfe die Richter zu verderben.‘ 

6. Hierauf hieß ein Theil den Critobulus die Sieges⸗ 
güfle in Empfang nehmen, ein anderer ihn bei dem Heren 
der Kinder die Erlaubniß dazu nachholen, noch Andere mach⸗ 
ten andere Scherze. Hermogenes aber fchwieg auch hier. 
Da forderte ihm Socrates mit Namen auf, und fragte: 
„Könnteft du uns fagen, Hermogenes, was Weinübermuth 
[napowia) it? — Hermog. Wenn du fragft, was Dieß 
ift, fo weiß ich's nicht; aber Was ich mir darunter denke, 
kann ich wohl ſagen. — Soer. Das meine ich eben. — 
Hermog. Nun denn,, über dem Weine [nap. oivov] 
der Geſellſchaft Verdruß machen, das nenne ich Weinüber⸗ 
much. — Socr. Weißt du nun, daß auch di ung jebt Ver: 





| *) Der Sieger wurde mit Bändern bekraͤnzt. Kenoph. Griech. 
Geſch. B. V. €, 1. | 


® Zenophon’s Gaſimahl. 689 


druß machſt mit deinem Schweigen? Hermogenes. IEtwa 
and), wenn ihr redet? — Socr. Nein, ſondern wein wir 


eine Panfe eintreten laſſen. — Hermog. Geht denn nicht 


das Reden bei euch fo in Einem fort, daß man auchänicht 


Y 


ein Haar, gefchweige denn ein Wort dazwifchen einfchieben 
Eönnte ?"' 8 

Da rief Socrates: „Callias, könnteſt bu nicht einem 
armen Manne, der in Noth ift, zu Hülfe kommen?“ „O wohl, 


erwiederte Diefer; ſobald die Flöte ſich hören läßt, find wir 


ja maͤuschenſtille.““ „Soll ich alfo, fagte Hermogenes, nad) 


. der Flöte mit euch fprechen, wie der Schaufpieler Nicoflras 


tus *) feine Tetrameter zur Flöte vortrug.“ „Ja, bei ben 
Göttern, mad es fo, Hermogenes, ſagte Socrates; dent ich 
tenfe, wie der Gefang durch die Begleitung der Flöte ges . 
winnt, fo konnten auch deine Worte durch die Tonkunſt noch 
gewinnen; zumal wenn du auch, wie die Zänzerin, beine 
Korte mit Geberdenfpiel begleiteteſt.“ Da fragte Calling: 

„Wie wird denn dann auf der Flöte gefpielt werden, wenn 
unfer Antifthenes bei dem Gaftmahle Einen in die Enge 
treibt?“ Antifthenes antwortete: „Für Denjenigen, der ſich 
in die Enge treiben Käßt, gehört ſich, wie ich denke, der Pfei- 
fenton.“ Bei diefer Unterhaltung merkte der Syracuſer, 


„daß die Säfte um feine Kunftftüce fich wenig befümmerten, 
‚and an einander ihre Freude hatten. Voll Aerger fagte er 


daher zu Socrates: „Biſt du der fogenannte Sinner, **) So⸗ 
rate? — Socr. Nun, iſt Dieß nicht ehrenvoller, als wenn 


H Nach Suidas ein komiſcher Schauſpieler. Sein Zelent 


ruͤhmt auch Athenaͤus. 
**) poovrusijç. 
Kenophon, 58 Boͤchn. — 9 











‘690 Zenoyhon’s Gaſtmahl. 


ich ein Unſinner ) genannt würde? — Syrac. Wenn du 
une nicht für einen Steruſinner *) gäfteft? — Socr. Was 
{ft denn mehr bei den Sternen zu ſuchen, als die Götter? — 
Syrac. Ad, nicht um Diefe, heißt es, fey es bir zu thun, 
fondern um die überfläfftgften **) Dinge — Socr. Nun, 
liegt darin nicht auch, daß mir um die Götter zu than ift? 
-Weber ung wohnend +) Taffen fie wenigſtens das Gurte her⸗ 
‚nieder fließen, und über uns Taffen fie das Licht fcheinen. 
Iſt udrigens mein Witz froſtig, ſo haſt du die Schuld; du läßſt 
"mir ja keine Ruhe. — Syrac. So laß Dieß gut ſeyn; dber 
ſage mir, wie viel Schuh +7) es von mir bis zum nächſten 
Floh if. Daran, Heißt es ja, übeſt du deine Meßkunſt.“ 
Hier nahm Antiſthenes das Wort, und fagte: „Philips 
pus, du bift ja im Vergleichen Meiſter; kommt dir nicht der 
"Mann hier vor, wie Einer, der fchelten will ?“ „Ja, in bee 
That, fagte Diefer, und er hat auch fonft noch mit alferhand 
Leuten Aehnlichkeit.“ „Und dennoch, verſetzte Socrates, ſollſt 
du ihn mit deinen Vergleichungen verſchonen, damit nicht 
auch du einem Scheltenden gleichſt. — Philipp. Nun, wenn 


_®) apgovrısog. 
"") Tov HETEOO@V Popovrisng. 
vs) avopeAksator. u 
3) dvadev ulv ya Övreg yellor , avader 
82 etc. 
14) Nach der alten Lesart: nuosg 'GuAda nodug dus 
eniyeı, womit zuſammenzuhalten Ariſtophanes Bolten, 
B. 838, Zoxgaeng 0 Mnluog xai Kagepav, õc 
olds ra YvAlov Iyvn — mit V. 145. 


Eenophon's Gaſtmahl. EGqꝛ 


fie denn aber Alle?) ehrenhafte Männer, wenn es die Beſten 
And, mit Denen ich 'ihn vergleiche, :fo müchte man ımich doch 
mit Recht cher einen Zobenden, als einem Scheitenden ver⸗ 
gleichen. — Soer. Da gleichft du ſchon wieder einem Schel⸗ 
"genden, [wenn du behanpteft, daß fie Alle beſſer ſeyen, als 
er. — Philipp. So willſt du, ich ſolle ihn mit Schlechtes 
ren vergleichen? — Socr. Auch nicht mit Schlechteren. — 
Mbilipp. Alſo mit Richts? — Socr. Mit Nichts, auch mit 
Dieſem nichtz*s) — Philipp. Aber sch weiß doch auch. nicht, 
wie ich mein Eſſen verdienen ſoll, wenn ich gar ſchweige. — 
Soer. O Das geht ganz keicht; du darſſt nur bei dir behal⸗ 
ten, was beſſer verſchwiegen bleibt.“ Und damit war dieſer 
Weinübermuth gedämpft. 
+. Sofort hießen ihn von den Uebrigen Einige Verglei⸗ 
ichungen anſtellen, Andere verwehrten es ihm. Da hierdurch 
ein Geraͤuſch entſtand, fo ſagte Gocrates wieder: Woliten 
wir nicht, Ida Altes zu ſprechen wuͤnſcht, am liebften jetzt zu⸗ 
- fammenzeintStäd ſingen?“ Und kaum Hatte er Dieß gejagt, 
fo ſtimmte er gleich ein Lied an. Als er: damit zu Ende war, 
wurde für die Tänzerin eben ein Reif von Toͤpfererde gebracht 
nuf weichem ſie Kumſtſtücke machen ſollte. Hier ſagte nun 
Soerates: „Ich werde, wie du ſagſt, Syracuſer, wirklich ein 
Sinner zu ſeyn ſſcheinen; in dieſem Augenblicke denke ridy 
nanmlich wach, wie dein Knabe:hier und das Mädchen es um 
" ‚Beaueunten bekennen, and wir auf. der andern Seite als Du⸗ 


*) zoig 2001, find die Genannten alle, naͤmlich die Allerhend 
a Reute, 3 N er Achnlichteit haben ſou. 
) Statt u rsercov ift wohl eroͤrqh zu leſen: aua 
nicht mit Nichts ! und: m 
9* 








692 Zenophon’s Gaftmahl. 
ſchauer am meiften Genuß haben könnten; was, wie id) 


: weiß, auch Dein Wunſch if. Mit einem Burgelbaume nun 
- mitten in die Schwerter hineinzufpringen, ſcheint mir. ein 


Wageſtück zu fenn, das für ein Gaſtmahl nicht paßt. Ge: 


- dann auf dem Reife zu leſen und zu fchreiben, während daß 
- ex herum getrieben wird, ift wohl ein Kunftftüd; aber wenn 
vom Genuſſe die Rede feyn fol, ſo weiß idy auch hier nicht, 


‘wo der zu fuchen iſt. Nicht einmal davon, wenn man fehen 
muß, wie fchöne und brühende Leute die Glieder verbrehen 


- and Räder nachahmen, hat man mehr Vergnügen, ald wenn 


man flegeradezu ruhig flehen ſieht. Denn es ift ja nicht einmal _ 


‚eine große Seltenheit um Wunderdinge, wenn Temand folche 


zu fehen begehrt; man Fann, um das nächte befte Beiſpiel 
zu nehmen, gleich barüber ſich verwundern, wie doch der 
Docht, weil er eine ſtrahlende Flamme hat, Licht gewährt, 
das Lampenblech hingegen, obwohl flrahlend, Kein Licht ‚vers 


breitet, und nur in feinem. Spiegel andere Dinge zu fehen 
‚gibt; und wie das Oehl trob dem, daß es flüffig ift, bie 


Flamme nährt, das Wafler dagegen, weil es flüfflg tft, das 
Feuer löſcht. Doch auch Diefes ift Peine Unterhaltung, welche 
der Stimmung bei dem Weine entfpricht. Würden Dagegen 
die jungen Leute Tänze zur Flöte aufführen, wie die, in wel⸗ 
hen die Grazien, Horen und Nymphen gemalt werpen, ſo 
würden, denke ich, nicht nur fie es weit bequemer haben, 


„Sondern auch das Gaftmahl würde weif vergnügter werden.’ 
„Ja, in der That, Socrated, fagte der Syracuſer, du haft 


Recht, und ich wit auch für Schauftüde forgen, bie euch 
Genuß gewähren follen.‘‘ 


Kenophon’d Gaſtmahl. | 695 


8. Der Gyracuſer entfernte fi nun und machte feine ' 
Anſtalten. Socrates aber brachte wieder eine neue Unter⸗ 
haltung auf die Bahn. „Iſt es nicht billig, Freunde, fagte 
er, eines gegenwärtigen großen Gottes, ber Der Zeit nad . 
gleichen Alters ift mit den ewiswaltenden Göttern, der Ge: 
flatt nach aber der Tüngfte von ihnen, und der der Größe- 
nach Altes beherrfcht, der Seele nad) hingegen noch unter 
dem Menfchen *) ſteht, des Eros nämlich, nicht uneingedenk 
zu bleiben, zumal da wir Alle Verehrer diefes Gottes find? 
denn ‚nicht nur ich Bann Beine Zeit nennen, wo ich nicht ver⸗ 
liebt wäre; von Charmides hier weiß ich, daß er eine Menge 
Liebhaber hatte, und boch nad) Manchen felbft auch fich ges 
füften ließ; Critobulus ferner ift jebt noch Geliehter, und 
läͤßt ſich Schon nad -Andern gefüften. Ja auch Niceratus, 
wie ich höre, liebt fein Weib, und wird eben dafür von ihr 
wieder geliebt. Und Wer von und weiß nicht von Hermoges 


nes, daß er, was num auch die Rechtfchaffenheit fey, von der 


Liebe zu ihr verzehrt wird? Seht ihr nicht, wie eruſthaft 
feine Augenbraunen, wie ruhig fein Blick, wie gemäßigt feine 
YAenperungen, wie fanft feine Stimme, wie heiter fein ganzes 
Weſen ift, wie Er, der die erbabenen Götter zu Freunden 
bat, dennoch auch uns Menfchen nicht verachtet? Aber du - 
altein, Antiſthenes, bift nicht verliebt 2” „O ja, bei ben 
Göttern, erwiederte Diefer, und zwar fterblih in dich.“ 





*) Statt deu gewohnlichen Lesart ardomnse losıdva ift 
wohl vorzuziehen dYFER@TE Noomusve, wie oft jooc- 
ogai rivog ſich findet, und dabei an das ewige Knaben⸗ 
alter des Eros und feine Freude an kindifchen Taͤndeleien 
und Vergnuͤgungen zu benten, 





\ 69 | Kenophon's: Gaſtmahl. j 


Da lächelte Socrates fpöttifch, und fagte, als thaͤte er ſproͤde: 
„Laß mich jebt für Dießmal in Ruhes du ſiehſt ja, daß 
mies un andere Dinge zu thun iſt.“ Antiſthenes ſagte: 
„So machſt du es doch immer, offenbar dein eigener Ders 
kuppler! Bald ſchützeſt di eine Eingebung. von der Gottheit - 
vor, und fpsichft nicht mit mirz bald haft du fonft Etwas dir 
in den Kopf geſetzt.“ „Um der Götter willen, Antiftbenee,. 
verſeßte Socrates, quaͤle mich nur nicht. gar zu Tode; Deine: 
andern Unarten trage idy ja. und-werde.fle tragen nad) Freun⸗ 
des Art; Jedoch mit deiner Liebe laß ung zurückhalten; zu⸗ 
mal: da fie nicht meiner Seele, ſondern ber Schönheit meinen 
Geſtalt gie Daß.aber du, Callias, in Autolykus verliebt 
bift, weiß die ganze Stadt, und, wenn ich mich nicht: irre, 
auch Viele von den Fremden. Dieß kann ſchon nicht anders: 
ſeyn, da ihr Beide nidyt nur berühmte Väter habt, ſondern 
auch ſelbſt augeſehene Männer ſeyd. Habe ich nun von jeher: 
deinen. Character: geſchäht, fo bin ich noch weit mehr jest im 
dieſem Falle, da.ich. fehe, daß du nicht in einen Menſchen 
verfiebt bift, der in Wolluſt erfchlaffte, oder in Weichlichkeit 
fi. entuervte, fondern in Einen, der von feiner Stärke, Aus⸗ 
daner, Tapferkeit. und Befonnenheit vor Jedermann Beweis: 
abtest. Aus dem Streben nad; folchen Vorzügen kaun man. 
aber. auch auf den Character des Geliebten fchließen.. Ob es 
nun nur eine Aphrodite [Benus] gibt. oder zwei, eine 
himmliſche und eine gemeine, weiß ich nicht; denn auch Zend, 
"der. doch angenommener Maßen nur einer ift, hat der Bei⸗ 
_ tamen vieles aber fo viel weiß ich doch, daß Altaͤre und 
Tempel für Beide abgefondert, und; der. Opferdienſt der gemeis 


8Ò 





XRenophau's Gaſtmahl. 69% 
nen ausſchweifender, der. der. himmlifchen reiner iſt. ) Se. 
möchte man denn vermuthen, daß auch, was die Liebe anba« 
langt, die gemeine die Liebe zu den Körpern, die himmlifche dage⸗ 
gen die Liebe zur Seele, zur Zreundfchaft und zu. ehrenhaften - 
Werten zufchictes und von dieſer letztern ſcheinſt mir. eben 
auch du ergriffen zu feyn, Callias. Ich ſchließe Dieß aus . 
der Rechtichaffenheit deines. Geliebten, und daraus, daß ich 
dich den Vater deffelben zu deinen Zuſammenkünften mit. 
ihm- beiziehen ſche. Denn bei einem edeln Liebhaber ges. 
ſchieht nichts ter Urt Hinter dem Rüden des Waters.’ 
„Bei der Hera, Socrates, fiel hier Hermogenes ein, fo. vieles. 
Andere gefällt mir an dir, aber fo Nichte, als mie du jetzt in 
Einem Zuge dem Callias zu Gefallen redeſt und ihm zugleich 
eine Lehre gibft, wie er ſeyn ſollte.“ „Nun, fagte Soerates, 
um denn feine Freude noch zu erhöhen, fo will ich mich auch 
ihm zu Liebe dafür ansprechen, daß die Liebe zur Seele 
weit vortrefflicher ift, ald die zum Körper. Wir Alle willen, 
Daß. ohne Freundſchaft Feine Verbindung von Werth if, Um 
ter Sreundfchaft verfieht man: aber den eigenen und freiwillis 
gen Trieb Derer, welche Jemand von Seiten feines Charac⸗ 
ters ſchaͤßen; von Denen hingegen, welche ſich nach dem Kör-⸗ 
per gelüſten laſſen, mißbilligen Diele und haſſen das Bench: 
wen der Geliebten; **) und wenn auch ihre Liebe auf Beides 


Nach Suidas unter d. W. vnpalıa und dem Scholiaſten 
des Sophokles zum Oedip. auf Colonos V. 101. wurden ber 
himmliſchen Aphrodite Opfer mit weinloſem Weihguſſe 
gebracht. 


rõor Zompduen, für tele: Letert ſich ſoger eine Aure⸗ 
ritaͤt findei. 





66 Eenophon's Gaflmahl. 


fich erſtredt, fo welkt doch die Blüthe der jugendlichen Schon⸗ 
heit ſchnell dahin, und verliert fidy diefe, fo muß nothwendig 
auch die Freundfchaft mit dahin weiten, während die Seele, 


fo lange fie an DVerftandesbildung fortfehreitet , auch an Lies ' 


benswärdigkeit gewinnt. Yerner verbindet fi mit dem Ger 
nuffe des Körpers auch ein gewiffer Meberdruß, fo daß es Ei⸗ 
nem nothwendig mit den Tünglingen gerade fo gehen muß, 
wie niit den Speifen, wenn man fatt ift; die der Seele gels 
tende Freundfchaft dagegen iſt, weil fie rein ift, auch weni⸗ 
ger dem Weberdruffe ansgefebt, und darum doch nicht, wie 
man glauben möchte, auch ärmer an Liebesgennß; vielmehr 
wird ſichtbar die Bitte auch erfüllt, worin wir die Göttin 
anflehen, Liebesgenuß in Rede und Werkleiftung zu gewähs 


ren. Denn baß eine in fchöner Geftalt prangende, und mit - 


züchtiger, edler Sitte geſchmückte Seele, welche gleich unter 
den Tugendgenoffen Herrfchergeift und Wohlwollen zumal beur⸗ 
kundet, daß eine ſolche den Geliebten ſchaͤtzt und werth hält, 
bedarf keiner Worte; aber and, daß ein folcher Liebhaber 
auch von feinem Geliebten ſich Gegenliebe verſprechen dürfe, 
werde ich nachweifen. Denn Wer Eönnte fürs erite Denje⸗ 
nigen haflen, von welchem er fidy als rechtfchaffenen Man 
betrachtet wüßte; ben er ferner auf die Ehre bes Knaben 
ernftlicher, ald auf fein eigenes Vergnügen bedacht fähe; nnd 


von dem er überdießg noch glaubte, daß ihre gegenfeitige 


Freundſchaft, weder wenn er einen Fehler machte, noch wenn 
eine Krankheit ihn entſtellte, darunter Teiden würde? Iſt 
aber die Werthſchaͤtzung zwifchen Beiden gegenfeitig, wie 
müffen fie nicht nothwendig mit Luft einander anſehen, voll 
Wohlwollen mit einander fprechen, Zutrauen zu einander 


— 








Renophon's Gaftmahl.- 697 


haben und bei einander findenz wie für einander forgen, 
und gemeinfchaftlich fich freuen ihres Glückes, gemeinfchaftlicy 
trauern, wenn ihnen ein Unfall zuftdßt; dann frohen Sinnes 
feyn, wenn fie gefund beifammen find, wenn aber der Eine 
ober der Andere erkrankt, noch unausgefester fich zuſammen⸗ 
finden, und Einer des Andern noch mehr, wenn Diefer abs 
wefend, ald wenn er gegenwärtig ift, fih annehmen? Und 'iſt 
Diefes Alles nicht Liebesgenuß? Haben doch eben diefe Werk⸗ 
feiftungen folchen Heiz für fle, daß fie bis in’s hohe Alter fo 
wenig nad) dem Glücke der Freundichaft zu verlangen, als 
es ſich zu verſchaffen aufhören. Wer hingegen an dem Kör- 
per hängt, warum follte Den der Knabe wieder lieben ? Etwa 
weit er feine Gelüfte befriedigt und den Knaben zu dem 
Schaͤndlichſten mißbraucht? Oder weil er, um bei dem Ges - 
Kiebtert feinen Iwed zu erreichen, gerade die Eigenen von 
ihm entfernt Hält? Ja darum, weil er nicht Gewalt braucht, 
ſondern zu bereden fucht, if er noch haffenswürbiger. Denn: 
Wer Gewalt gebraucht, beurkundet wohl feine eigene Schlech⸗ 
tigkeit; hingegen Wer zu bereden fucht, verderbt die Seele 
Deffen, der ſich bereden laͤßt. Und auch Wer um Geld feine . 
Reize verkauft, warum fol er Den, welcher ihm abkauft, 
mehr lieben, aid Wer auf dem Markte feil hat und ver⸗ 


Pauft ? Darum daß er, ein Blühender mit einem Verblühten, 


ober daß er ein Schöner mit Einem, ber ed nicht mehr iſt, 
und mit einem Verliebten, ohne verliebt zu ſeyn, zu Chun 
hat, wird er ihn doch gewiß nicht Fieben, Denn der Knabe 
hat es ja auch nicht, wie das Weib, das mit dem Manne 
die Freuden des Liebesgenuffes theilt, ſondern nüchtern ſieht 


698, Xenonhon’s Gaſtmahl. 


er. dem von Liebe Trunkenen zu. Daher es kein Wunder iſt, 

wenn ſelbſt Verachtung gegen den Liebhaber ſich bei ihm er⸗ 
zeugt. Auch wird man bei weiterem Nachforſchen finden,. 
daß von: Denen, welche einander von Seiten ihres Characters 
liebten, nichts Arges geſchehen ift, während aus dem unzüch⸗ 
tigen Umgange fchon viele abfcheuliche Thaten hervorgegangen 
find. Aber: auch erniedrigend ift der Umgang: mit: dem Ges 
liebten für Den, weicher den Körper licht, weit eher, als für: 
ben Freund der Seele, wie ich Dieß jetzt zeigen werde, Denn - 
Wer reden lehrt, Was fich gebührt, und thun, der möchte 
mit allem Rechte, wie Chiron und Phönix *) von Achill ges. 
ehrt, Wer hingegen auf den Körper fein Auge wirft, billig 
wie. ein Straßenbettler behandelt werben. Denn immer läuft. 
er. hintennach anbetteind und auftehend, fey es um einen Kuß 

oder um ſonſt eine Berührung. Drücke ich mich übrigens au: 
ſtark aus, fo Laßt euch's nicht befremden. Denn der Wein: 
fhon fleigert mich, und ber ſtets mit mir- zufammenwohnende 
Errs ſtachelt und treibt mich gegen den ihm entgegenſtehanden 
Gros: Fed heraus: zu rüden. Und mir fcheint auch wirklich, 

Wer an die Geſtalt fein Herz häugt, einem Manne zu glei⸗ 
chen, ber ein Grundſtück gemiethet hatz Diefem if’s nicht 
derum zu Chun, daß es mehr werth werbe, fondern daß er 

recht viele Früchte davon gewinne. Wer hingegen Freund⸗ 

ſchaft fucht, aleicht Demjenigen, ber fein eigenes Grundſtuck 
befigt. Er bringt wenigftend. von allen Seiten bei, was er 
Sana, und ſucht den Werth feines Geliebten zu erhöhen. Und 
auch bei den Juͤnglingen findet ſich derſelbe Unterſchied. 


*) Homer Ins IX, 443, ff; 





Kenaphan's Gaſtmahl. 6gg, 


Derjenige, welcher weiß, *) daß er, wenn er feine Schönheit. 


hergibt, über. den Liebhaber Herrfchaft übt, ergibt fidy nas.. 


türlidy im Uebrigen allem Leichtfinn; Wer dagegen findet, .. 


Daß er die Freundſchaft verfcherzen würde, wofern er nicht 


ehrenhaft und rechtfchaffen wäre, von Dem läßt ſich erwarten, 
daß er ſich der Tugend eher befleißige. Es if fernen ein 


großer Vortheil für Deu, welcher aus feinem, Geliebten ſich 


einen wadern Freund zu machen ſtrebt, daB er ſelbſt auch 


genoͤthigt if, Tugend zu üben. Denn wenn er ſelbſt Schlech⸗ 
tes ſich erlaubt, kann er Denjenigen., der mit ihm umgeht, 


unmöglidy zum Guten bilden, und wenn er Schamloſigkeit. 
und Unmäßigfeit fih zu Schujden kommen läßt, dem Gelieb⸗ 


ten uumöglic Euthaltfamkeit und. Zucht beibringen. Aber 
auch aus der Fabellehre muß ich Dir zeigen, Callias, daß 
nicht nur Menfchen, ſondern auch Götter und Herven die 


* 


Freundſchaft, die der Seele gilt, Höher achten, als den Ges 


nuß des Körpers. Denn um von Zeus zu reden, fo lieh ex 
die fterblichen Weiber alle, in deren Reize er fich verlichte, 
nad) dem Genuffe in ihrer Sterblichkeit verbleiben; hingegen 
Diejenigen, dir er von Seiten ihrer Seele fchäste,. machte er 
unſterblich, wie zum Beifpiel den Heracled [Hercules] , und 
die Dioscuren. Man nennt: aber aud noch Andere, und 


auch ich behaupte, daß auch Gauymedes nicht des Körpers, ' 





*) Der Text iſt wohl hier fo zu verbeſſern: Tor maudınDv 
ög dv uiv elö} te eidsg inapxav dekav ra 
doasu; eidg avrov etc. worauf auffer einigen alten 

- Ausgaben: auch Ribittus leitet. Die Depravation erklaͤrt ſich 
nach nasdıkon leiqht. 


700 Xenophon's Gaftmahl. 


"fonbern ber Seele wegen von Zend in ben Olymp erhoben 
wurde. Dafür fpricht auch fein Name, Denn bei Homer *) 
findet ſich: 

„yarvras 68 T axsav,“ 
bas heißt: „Er freut fich, es zu hören; 
anb anderswo kommt vor: 

„nvxva portot? undea elduc.“ 
Dieb ift wieder fo viel, als: „weiſen Rath im Herzen wifs 
ſend.“ Nach dieſen beiden Stellen zufammen genommen ſteht 
alfo Ganymedes, nit wegen Eörperlicher Reize, fordern 
wegen des Einnehmenden feines Geiftes fo genannt, bei ben 
Göoͤttern in Ehren. Uber aud) den Achilies, Niceratus, Taßt 
bein Homer **) den Tod des Patroclus nicht als den eines 
Getiebten, fondern ald den eines Genofien fo nachdrücklich 
rächen. Und auch DOrefles und Pylades, ***) und Thefers 
und Pirithous + und noch viele Andere, bie Edelften unter 
ben Halbgöttern, haben den LZobgefängen auf file zu Folge 
nicht darum, weil fie beifammen fchliefen,, fondern weil fie 


*) Bol. Homer Ilias XX, 405. und wegen der folgenden Stelle 
JIlias XVII, 325. Ganz übereinftimmende Stellen finden 
ſich nicht, " 

++), Die Stelle bei Homer ift Slind XVIII, 98. 128. 

***) Oreſtes, Sohn Agamemnons, und Pyladbes, Agamemnons 
Schwefterfohn, ein betanntes Sreundepaar. Diefer begleitete 
Jenen, als er feine Mutter Elytaͤmneſtra und ihren Gemapt 
Aegiſthus erfchlug. 

T) Theſeus von Athen, und Pirithons, König der Lapithen, ein 
eben fo berähmtes Freundepaar. Pirithons half dem Theſeus 
die Helena entführen; Theſeus begleitete ihm dafuͤr in die 
Unterwelt, um ihm die Proſerpina entführen zu helfen. 





8 


EXenophon's Gaſtmahl. 701 


einander achteten, das Größte und Herrlichſte gemeinſchaftlich 
. vollbracht. Und richten wir unfern Blid anf die herrlichen 
Zhaten unferer Zeit, ſollte fid) da nicht finden, daß fie alle - 
‚ am des Ruhmes willen von Denen, weldye weder Anſtren⸗ 
gungen noch Gefahren fcheuen, verrichtet werden, nicht aber 
von Denen, welche fidy gewöhnen, den finnlichen Genuß der 
‚Ehre vorzuziehen? Freilich Paufanias, *) der Liebhaber des 
Dichters Agathon, hat zu Gunften Derer, welche ſich zuſam⸗ 
men in unmäßigem Sinnengenuffe wälzen, die Behaupfung 
‚aufgeftellt, daß auch ein Heer nie fapferer würde, ald wenn 
es aus Geliebten und Liebhabern beftände. Denn Diefe, 
meinte er, würden fi am eheften fchämen, einander im 
Stiche zu laſſen; eine fonderbare Anſicht, wenn Die, weiche 
ſich gewöhnen, fih um Leinen Tadel zu befümmern, und alle 
Scham vor einander bei Seite zu ſetzen, wenn Die fid am 
eheſten fchämen follen, etwas Schimpfliches zu thun! Zum 
Beweiſe dafür berief er fidy noch überdieß auf die Thebaner **) 
und Eleer, weldye ebenfalls diefer Meinung feyen; wenigſtens 


*) Paufaniad von Ceramicus, einem Attiſchen Demos, auch bei 
Plato Protag. ©, 315. D., im Gaftmahle und bei Aelian. 
3.11. € 21. erwähnt. Nach der letzteren Stelle hielt er 
fig mit feinem Geliebten, Agathen, am Hofe bed Macedo⸗ 
nifhen Königs Archelaus auf. Nach Einigen wire bei Xe⸗ 
nophon Beziehung auf eine Erotiſche Schrift des Pauſanias. 

Athenaͤus (B. V. ©, 216.) dagegen Kennt feine Schrift von 
ihm, und man iſt zum wenigften nicht gendthigt, eine foldye 
wegen unferer Stelle vorauszufegen. Sein Geliebter, Aga⸗ 
thon, war ein tragifcher Dichter. 

*5) Vol. Über Heide Renophon vom Staate der Laced. E. 2. 9. 15. 

Aelianes vermifchte Geſchichte B. XII. ©, 5. Plato im Gaſt⸗ 
mahl S. 9. S. 183. B, Bei den Thebanern ging aus diefer 





702 Kenophon’s Gaſtmahl. 


ſtellen fie die Geliebten, ob fie gleich bei ihnen ſchlafen, den⸗ 
noch neben fi in die Schlacht: ein Beifpiel, das Hieher gar 
nicht paßt; denn bei Jenen ift Dieß gefetzlich, bei und hin⸗ 
‚gegen ſchimpflich. Mir ſcheint vielmehr, Diejenigen, welche 
“die Geliebten neben ſich ſtellen, feyen gewiffermaßen mißs 
franifch, als möchten Diefe für fich ftehend nicht Teiften, was 
wackeren Männern gebührt. Die Lacedämonier *) Hingegen, 
weiche von dem’ Grundfage ausgehen, wenn Einer nad) kör⸗ 
verlichem Genuffe auch nur begehrt habe, fo Fönne er nichts 
Rechtes und Treffliches mehr erreichen, bifden aus ihren Ges 
liebten fo vollkommen wadere Männer, daß fie ſelbſt unter 
Fremden und wenn fle nicht bei demfelden Staate in ben 
Heinen flehen, wie ihre Liebhaber, dennoch Die gleiche Schene 
zeigen, bie jeweiligen Genoffen zum verlaffen. Denn als 
Gbttin] erkennen fie nicht die Schamtoflgkeit, fondern die 
Schamhaftigkeit. *%) Webrigens denke ich, wir würden über 
den Gegenftand, wovon ich fpredhe, Alle und verftändigen, 
wenn wir die Frage fo flellten, welcher von beiden Arten 


Sttte fpäter bie heitige Schaar hervor, welthe unter Velo: 
pidas bei Leuttra focht. Plutarches Pelopid..C. 18. 

*) Bol. Xenoph. vom Staate der Laces. ©. 2.5. 13. und Ae⸗ 
Than. verm. Gef. B. III. ©, 10. und ı2. 

**, ‚Eine Btatne der Aldag in der Nähe von Sparta erwaͤhnt 
wirtlich Panfaniad Lacon. C. 20. 5. 10. Auch die Athener 
hatten - zwar einen Altar der Aldodg nach Pauſan. Attic. 
8.17. 5.1. Über fie hatten auch einen Altar -bev Unver⸗ 
ſchaͤmtheit, den fie auf Anrathen bed Epimenides erbaut hat⸗ 
um; und Dieb ift es, was ihnen nicht nur Gier von Socra⸗ 

bed, fondern auch von Cicero Von den: Geſetzen Br. &. 11. 
worgeworfen mid.” Vornemann 3b. en 





= N Is» 


RXenophon's Saftmahl. 403 
von Geliebten Einer mil mehr Suverficht Schaͤtze oder Kin⸗ 
der oder Wohlthaten anvertrauen würde. Denn ich für 
meine Perſon glaube, daß ſelbſt Derjenige, der Bein Behen⸗ 
ken trägt, die Schönheit des Geliebten zu genießen, diefes 
Alles lieber dem von Seiten der Seele Liebenswärdigen an⸗ 
wertranen würde. Und du, Eakias, ſollteſt doch wahrhaftig 
‚alle Urfache haben, auch den Göttern es Dane zu willen, daß 
fle Bir zu Autolykus Liebe einfößten., Denn baß er ehrlie⸗ 
ibend iſt, iſt offenbar, da er, um als Sieger im Pancratiam 
‚ansgerufen zu werben, Beiner Auſtrengung und Zeinem Unge⸗ 
mach ſich entzog. Sollte er nun noch glauben, daß die. Vor⸗ 
zůge eines wackern Mannes nicht nur für ihn ſelbſt und ſei⸗ 
nen Vater wine Sierde ſeyn, fondern ihn auch in den Stand 
ſetzen werden, Sreunden Dienfte zu feiften, und das Waters 
fand durch Belegung feiner Feinde zu höherer Macht zu ers 


heben, und ihm dadurch Unfehen und Ruhm unter Griechen 


md Barbaren verichaffen, wie kaunſt du noch im 23weifel 
ſeyn, daß er Demjenigen nicht alle mögliche Ehre erweiſen 
würde, den er für den beften Führer zu dieſem Ziele: bielte ? 


Aſt dir daher darum zu thun, Diefem zu gefallen, fo mußt 


du einmal ſehen, was Themiſtocles verftanden , :daß es ihm 
gelang, Griechenland zu befreien; du mußt ſodann fehen, 
was doch Pericles für Kenntniffe beſeſſen, daß er für den 
beſten Rathgeber des Vaterlandes galt; du mußt ferner auch 
betrachten, wie Solon ſich vorbereitet, daß er dem Staate fo 


Herrſliche Geſetze geben konnte; du mußt endlich noch erfor⸗ 
Ten, wie die Lacedaͤmonier ſich Aben, daß fle für die beſten 
Heerfübrer gelten, als Staatsgaſtfreunde *) ſteigen ja immer 


*) Xenophon's Griech. Geſch. B. VI. C. 3. 5.4. 








70% Zenophon’d Gaſtmahl. 
bei dir bie Ausgezeichnetſten hderfelben ab. Daß ber Staat 


ſich ohne Weiteres deiner Zeitung anvertrauen würde, wenn 
- dir anders daran gelegen ift, davon barfit du verfichert feyn. 
: Du haft ja die wefentlichflen Vorzüge zum Voraus. Du bift 


2 


ein Eupatride, *) ein Prieſter der Erechtheiſchen Götter, **) 
die auch gegen bie Barbaren mit Jakchus **) zu Felde zo⸗ 
gen, und giltft jest auf dem Feſte +) für den Würbigften 
von Alten, die ed je gewefen; Haft die edelfte Geſtalt in ganz 


Athen, und dabei Kraft genug, Strapazen zu ertragen. Viel⸗ 


Leicht freche ich euch zu. ernfthaft für ein Zrinfgelage, aber 


*) Eupatride, ſ. v. a. Patricier in Rom, nad der angeblich 
Tchefeifchen Eintheilung des Athenifyen Volks in Eupatriden, 
Geomoren und Deminrgen (Put. Theſeus C. 24.), welche in 
Beziehung auf die den Kupatriden zuftehenden religidfen 
Hemter und DBerrichtungen auch in fpäteren Zeiten beibehat- 
ten wurde. Bol. Pollur B. VIII. C. 107. 

**) Nach ber gewöhnlichen Erklärung, Cered und Proferpina , da 
Callias —— war, nach Xenoph. Griech. Geſch. B. VI. 
C. 3. Nach Creuzer Symbolik Bd. IV. ©. 361. fe wären 
es die vergdtterten Toͤchter des Erechtheuns bei Cicero vom 
Weſen der Gotter B. 111. C. 19., die auch bei Philochorus 
(fe Schol. Sophort, Oedip. Col. gg.) mit Dionyſus verbunden 
werden. Daß Übrigens Erechtheus die Müfterien von Eleu⸗ 
ſis eingeführt, gründet fich auf Diodor. 8.1. " . 

*4*) Sarchus, Name ded Dionyfus in den Eleufinifyen Myſterien. 
Die bier Herührte Gefchichte f. Hei Herodot. B. VIII. C. 65. 
Plutarch. Themiſtocl. ©. 15. ‘ 

+) Nach Zeune ift dad Panathenaifche. Feſt gemeint; richtiger 
wohl wird an das Eleuſiniſche Feſt gedacht; an welchen Cal⸗ 

lias bei dem nächtlichen Zuge von Athen nach Eleufid Tadel: 
träger war. So Meiste und Echneider wegen bed Vor⸗ 
hergehenden. j 


Eenophon's Gaſtmahl. 705 


laßt euch Dieß nicht befremden; denn in Leute, die mit einem 
von Natur guten Herzen reges Streben nach Tugend ver⸗ 
binden, bin ich ſtets mit der Bürgerfchaft gemeinſchaftlich 
verliebt. Hierauf unterhielten fich die Andern über das 
zuletzt Gefprochene; Autolykus aber heftete feine Blicke auf 
Callias, und auch Callias ſagte, gegen ihn hinfehend: „willſt 
alſo nicht du es übernehmen, Socrates, mich an die Bürger⸗ 
ſchaft zu verkuppeln, daß ich ihre Angelegenheiten leite und 
bei ihr ſtets in Gunſt ſtehe?“ — „In der That, erwiederte 
Socrates, Das wirft du, fo bald die Leute ſehen, daß du’nicht 
dem Scheine nach, fondern in Wahrheit der Tugend dich bes 
fleißeft. Denn falfcdyer Ruhm wird gleich in feiner Nichtig⸗ 
keit dargeftellt, fo bald es auf eine Probe ankommt; wahrs 
hafte Züchtigkeit dagegen wird, wenn nicht ein Gott im 
Wege fteht, fo wie fie thaͤtig fich erweist, ſtets auch von hö⸗ 
herem Glanze des Ruhmes begleitet,’ Und damit endigte 
ſich diefe Unterhaltung. 

9. Indeß war für Autolykus bereits feine Zeit") gekom⸗ 
men. Er erhob fid) zum Spaziergange, und fein Vater Ly⸗ 
£on, der mit ihm ging, drehte ſich beim Weggehen um, und - 
fagte: „Bei der Hera, Socrates, du fcheinft mir ein edler 
und wackerer Mann zu ſeyn.“ Sofort wurde zuerſt ein 
Thronſtuhl in dem Saale hingeſtellt, banı trat der Gyra- 
cuſer ein, und fagte: „Ihr Leute, Ariadne **) wird in ihr 
und des Dionyſus gemeinfchaftfiches Ehegemach gehen; ſodann 

*) Nach den gymnaſtiſchen Geſetzen, welche eine ſtrenge Lebens⸗ 
art vorſchrieben. 


**) Ariadne, Tochter des Minos von Creta und der Paſiphase, die, 
nachdem fie den Theſeus gerettet Hatte, umd mit ihm nach 


&Kenophon. 58 Boͤchn. 10 


06 | Xenophon's Gaftmahl. . 


wird Dionyſus kommen, etwas betrunfen von bem Göttern 
her, und zu ihre eingeben; hernady werden fie miteinander 
ſchaͤkern.“ Sofort trat zuerft Hriadne ein, als Braut ges 
ſchmückt, und feste fid) auf den Thronfluhl. Bis dann Dies 
ny{us erichien, wurde die Bacchiſche Weife auf der Flöte ger 
fpielt. Da konnten fie denn den Tanzmeiſter nicht genug 
bewundern. Denn fobald Ariadne die Weiſe hörte, benahm 
fie fid) fo, daß Sedermann merken mußte, fie babe fle mit 
Vergnügen gehört: fie ging ihm nicht entgegen, fie ſtand audy 
nicht auf, aber dennoch fah man, daß fie Mühe hatte, ruhig 
zu bleiben, Als jedoch Dionyſus fie erblickte, tanzte er mit 
der lebhafteſten Freundlichkeit auf fie zu, febte füh ihr auf 
den Schoß, nahm fie it die Arme und küßte fie. Sie bages 
gen fchien zwar ſich zu fchämen-, fehlang aber demmsch gegene 
ſeitig ihre Arme um ihn mis aller: Zärtlichkeit. Die: Odfte 
klatſchten Beifall bei dieſem Anblicke, und ſchrieen wieder 
auf's neue. Wie dann aber Dionyſus aufſtand und die 
Ariadne mit ſich aufhob, ba. komter man: fie erſt recht einan⸗ 
der küſſen und drüden ſehen. Die Zuſchauer bemerkten, daß 
Dionyſus wirklich ſchöͤn, Ariadne im Wahrheit reizend war, 
und daß fie nicht blos Scherz trieben, ſondern ernMich ein⸗ 
ander küßten, und ſahen jetzt Alle in dev größten Bewegung 
zu. Denn fie glaubten, fie hören den Diouyſus fie fragen,- 
- ob fie ihn liebe, und fie ihm-davauf: fo ihre Liebe zuſchwören, 
daß. nicht nur Dionyſus, ſondern auch bie Anweſenden ſämmt⸗ 
lich darauf hätten ſchwören mögen, der Knabe und das 


Naxos geflohen war, dort von Bacchus zus feier Gellebten 
wählt wurde. 





Xenophon's Baftmahl. "07 


Mädchen müffen fih in Wahrheit lieben, Sie fahen gar 
nicht aus, wie wenn fie zu dem Stücke abgerichtet. wären, 
fondern wie wenn fie Erlaubniß bekommen hätten, zu thun, 
Was fie laͤngſt gewünſcht haften. -Endlich wie ;die Geſell⸗ 
ſchaft ſah, daß ſie einander umſchlungen hatten, und ſich ent⸗ 
fernten, als ob ſie zu Bette giugen, da ſchwuren die Unver⸗ 
heiratheten, zu heirathen, die Verheiratheten dagegen ſchwan⸗ 
gen ſich auf ihre Pferde, und ritten davon zu ihren Frauen, 
um Dieſer froh zu werden. Socrates aber und Wer: von den 
Uebrigen zurücgeblieben war, ging mit Callias dem Lykon 
und feinem Sohne zum Spaziergange nach. Und Dieb war 
des damaligen Gaſtmahls Ende. 


Nahweifung der Capitel. 





Grinnerungen an Socrates. 


Erſtes Buch, 

&p. 1 Seite 412 
— 2. — He 

7 3. — 43 

— 4. — 443 
— 6. — 452 
Zweites Buch, “ 

Cap. lo — 460 
- 2. — 474 
— 3. — 479 

— 4. — 484 
— 6. — 488 
- m — 500 
— 8. — 505 
— 9. — 507 
— 10% — 509 

Drittes Buch. 

Cap. l, — -513 
— 2. — 517 
— 3. — 518 
— 44 — 522 
— 5. — 536 
— 6 — 535 


Cap. 


— 
— 
— 
— 


Cap. 


Drittes Buch. 


9. Seite 546 
10. — 551 
11. — 556 
12, — 561 
14. — 566 
Viertes Buch. 
Seite 574 
2. — 577 
3 — 2 
4. — 598 
5. — 607 
6. — 613 
7. — 618 
8. — 622 


Vertheidigung des Socrates. 
Seite 652 — 643. 


1111141118 





Gaſtmahl. 
1. Seite 64 
2. — 65 
3. — 662 
4. — 667 
5. — 686 
6. — 688 
7. — 691 
8. — 693 
9. — 705 


Druckfehler im erſten Bändchen der Erinnerungen. 
Seite 568. Note, Statt Cuſtachius l. Euſtathius. 


XRenophon's von Athen 
4 
Sechstes Bändchen, 








Feldzug des jüngern Cyrus, 


überfest 


von “ 


Dr. Leonhard Tafel, 


Erftes Bändchen. i 


————— 
Stuttgart, 
Derlag der I. B. Mesler ſchen Buchhandlung, 
Für Oeſtreich in Commiſſion von Mörfchner und Jaſper 
in Wien. 
ı8 2 8 





Xenophon's 
Feldzug des juͤngern Cyrus. 


Einleitung, 





Der Feldzug der zehntaufend Grieden 
ift eine der glänzendften Thaten diefes Volle. Cr 
hat die Ohnmacht des Perferreihs in allen Bezie- 
hungen aufgedeckt, und die Griechen und Macedonier 
zu feinem Sturze berbeigerufen. 

Als ein junger Mann von 27—32 Sahren (ihn 
als älter anzunehmen, ift vielen Stellen des Buches . 
felbft mittelbar, einigen unmittelbar entgegen) ward 
Zenophon von feinem Gaftfreund, dem Böotier Pro- 
xenus, nach Kleinaften eingeladen, um des jüngern 
Eyrus Bekanntfchaft zu machen. Cr nimmt, ohne 
jedod eine Stelle zu bekleiden, an deſſen Seldzuge 
Theil; nach dem Tode Deffelden und der meuchlerifchen . 
Ermordung der Griechifhen Anführer erhebt er fi) in 





714 Einleitung. 


der höchſten Noth und Rathloſigkeit ſeiner Landsleute 
als ihr Rathgeber, und fordert fie auf, dem Unglücke 
fühn die Stirn zu bieten, und fich durch das Per— 
ferreich mit den Waffen in der Hand Bahn zu ma⸗ 
hen. Mit welchem Muthe, welcher Befonnenbeic, 
welch” aufopfernder Uneigennüßigfeit und unerfchütter- 
licher Nechtlichkeit er, zum Anfahree gewählte, für 
das Wohl feiner Waffengenoffen und den Ruhm feis 
nes Vaterlandes Sorge trug, davon liefert diefe Ge⸗ 
fchichterzählung die fprechendften Beweiſe. 

Die Befchreibung diefes- Feldzugs, oder die Xeno⸗ 
phontifhe Anabafis darf ald Mutter der Cyropä— 
die betrachtet werden; aus ihr Fam dem Verfaffer 
die anfchauliche Vorftelung des Aftatifchen Völferle- 
bens; in dem Charakter feines hochgefchäßten Freun⸗ 
des Cyrus fand er die für den Eroberer und Beherr⸗ 
fcher Aftens allein‘ geeigneten Tugenden, um edlere 
Verhältniffe in diefem Weletheil zu geftalten, und die 
Aftatifhe dem Despotismus Hingegebene Menſchen⸗ 
gattung zu heben und zu civiliſiren; in den Maßre— 
geln des nach feiner Anficht eines Diademd würdigen 
Cyrus fah der freifinnige Grieche Nichte, Denn ges 
rechte Nothwehr gegen die Gewaltherrfchaft und ihre 
Satelliten. Wenn auch Zenophon’s Vorliebe für fet- 
nen Pöniglichen Freund ihn über mehrere minder idea⸗ 
lifche Züge feines Charakters weafehen ließ — immer 
noch bleibt der talentvolle, vorurtheilfreie, thatenku= 


Einleitung. 218 


ſtige Mann, der zuverlaͤßige, wenn auch nicht unei⸗ 
gennützige Freund feiner Freunde, von dem ſich Gro⸗ 
Bes erwarten ließ, Gegenſtand unſerer lebhaften Theil⸗ 
nahme. 

Nach Cyrus Untergang tritt eine plöͤtzliche Wendung 
der Dinge ein; von den kühnſten Hoffnungen herabge⸗ 
ſtürzt, ſieht Renophon ſich und feine Frennde mit einem⸗ 
mal allen Angriffen der beſtehenden Gewalt ſeinblich ge⸗ 
genüber geſtellt; er unternimmt denn, ſich und ſein 
Hänflein nicht nur gegen fie zu vertheidigen , fondern 
auch duch Gründung einer Stadt den Perfern allen 

möglichen Abbruch zu thun und das Gebiet von Grie- 
chenland zu erweitern. Da ihm Lebteres mißlingt, führe 
er die Griechen unter den Fahnen der Spartamer 
neuen Siegen entgegen, und mochte felbft der weifefte 
Rathgeber des tapfern Ageftlans geweſen ſeyn, weil 
ihm die Ueberzeugung geworden war, daß eine Herr⸗ 
ſchaft, welche auf Treue und Glauben verzichtet, und 
Treubruch gegen Götter und Menſchen fankiionirt, 
deren. Ohnmacht und Unbehülflichfeit ev mit eigenen . 
Augen gefehen und erprobt batte, von Keiner Tangen 
Dauer ſeyn Eönne. 

Sn der Vorausſicht, durch die Erzählung der Gin 
zelnheiten diefes ruhmvollen Zuges, an deſſen glückli— 
cher Beendigung er den weſentlichſten Antheil genom⸗ 
men, viele Neider und weniger Glauben zu finden, 
hielt er der Klugheit gemäß, ſich nicht als den Ver⸗ 


716 Einleitung. 


faffer des Werkes zu nennen, fondern feinem jungen 
Sreunde, dem Sprafufter Themiftogenes, die Chre 
dieſer Autorfchaft zuzumenden. Ob nun wohl aus 
diefem Grunde gefliffentlich mehreres von feiner ges 
* wöhnlichen Art zu fchreiben Abmweichendes vorkommen 
mag, fo ift es doch zu unbedeutend, als daß es berechti= 
gen 'follte, gegen das Zeugniß beinahe Des ganzen 
Alterthums KZenophon die Vaterſchaft dieſer Schrift 
abzufprehen; ja felbft Suidas fcheint für feine Ber 
bauptung doch nur Xenophon's eigene Worte anzu⸗ 
führen; wogegen wir an das Urtheil unfrer Lefer aps 
pelliren und behaupten, daß wir auf jeder. Seite, beis 
‚ nahe in jedem Punkte der Erzählung, dem. Augenzeus 
gen, und Zenophon felbft ale Verfaſſer erkennen. 

Die FZenophontifche Anabaſis ward in Zeno- 
phon’s fpäterer Lebenszeit abgefaßt, wahrfcheinlich als 
er, aus feiner Vaterſtadt verbannt, aus Aſien zu⸗ 
rücfgefommen war, und in dem ihm von den Laces 
dämoniern geſchenkten Städtchen Srillus, unweit Olym⸗ 
pin, den Mufen lebte. | 

Bei der Ueberfeßung diefes Werks ift vornehm- 
lich die Poppo’fche Ausgabe (Leipzig, 1827) zu Grund 
gelegt worden. 











Inhalt des erfien Buchs. 





Syrus kommt nach dem Tode feines Vaters Darius durch die 
Verlaͤumdung des Tiffaphernes in Lebensgefahr, wird aber auf die 
Fuͤrbitte feiner Mutter in feine Etatthalterfchaft zuruͤckgeſchickt, wo 
ee aus Herrfchbegierde und Hab gegen feinen Bruder Artaxerxes 
ſich zum Kriege ruͤſtet, und Hiefür theils die Eingebornen bewaff: 
net, theils indgeheim und unter allerlei Vorwaͤnden Griechifche 
Huͤlfsvoͤlker anforingt. Cap, ı. Unter den Worwand eines Zuges 
"gegen die Pifiden faınmelt er bei Sardes feine Truppen; Tiſſa⸗ 
pherned aber durchfchaut feinen Plan und benachrichtigt den König 
perſoͤnlich von den Bewegungen des Cyrus, Auch er ruͤſtet fich 
nun. Cyrus ruͤckt durch Lydien, Großphrygien, Lykaonien durch bie 
Engpaͤſſe Eilicien's nach Tarſus, dev Hauptſtadt des letztern Landes. 
Bei Seläna trifft Klearchus bei ihm ein. Die Arkadier feiern bei 
Deus zu Ehren Pan's feierliche Kefte. Die Königin Epyaxa kommt 
im Lager anz auf ihren Wunfch wird Heerſchau gehalten, wo durch 
eine Bewegung ded Griechifchen Heered die Aftaten in Schrecken ges 
fegt werden. Bet Dana werden zwei verrätherifche Perfer hingerichtet. 
Der König Syennefis von Eilicien befreundet fih mit Eyrus und 
unterftügt ihn mit Geld. Cap, 2. Ein Aufftand des Griechifchen 
Heeres, dad nun vermuthet, der Zug gehe wider ben Werfertönig, 
noͤrhigt Cyrus zu einem zwanzigtaͤgigen Aufenthalt in Tarſus 
Klearchus will fie zum Aufbruche zwingen, Yäuft aber Gefahr, ge 
fteinigt zu werben, Nun gibt er ſcheinbar nach und gewinnt dur 
durch, die Soldaten für fi, die jest von der Ummöglichkeit eines 
Nüczuges, gegen den Willen des Cyrus, überzeugt, Klearchus und 
Andere an Cyrus aborbnen, um ihm Über den Zweck feines Feldzu⸗ 
ged zu befragen. Er gibt vor, gegen einen gewiſſen Abrokomas 
zu ziehen, verſpricht ihnen eine bedeutende Erhöhung des Soldes 


718 Inhalt des erſten Buchs. 


und bewegt ſie zur Fortſetzung des Zuges. Cap. 3. Zu Iſſi fuͤhrt ihm 
Ehiriſophus auf feiner mit Lacedaͤmoniſchen Schiffen vereinigten Flotte 
fiebenhundert Kacedämonier zu; auch treffen vierhundert von Abroko⸗ 
mas abtrännige Griechen bei Cyrus ein. Bon da gelangt er durch 
die von Abrokomas verlaffenen Engpäffe nadı Syrien an den Myrian⸗ 
der; wo Kenins und Pafion heimlich zu Schiffe fi davon machen. 
Cyrus Außert ſich auf eine großmäthige Art über fie. Jenſeits bes 
Chalos lagern fie in den Dörfern der Paryfatis; dad Heer kommt 
an den Urfprung bed Dardax und zerftört dad Schloß und ben Part 
des Satrapen Belefis von Syrien. Bei Thapſakus am Euphrat 
angekommen, eröffnet ex den Griechen den Zweck feines Feldzugs; 
worauf fie, durch glänzende Verfprechungen bewogen, auf ben Vor⸗ 
sang Menon’d über den Euphrat fegen. Cap. 4. In Eilmärfchen 
ruͤckt er nun dur Mefopotamien, wo das Heer durch fehlechte 
Wege und Mangel an Mundsorrath leidet. GegenÄser von Char: 
manda lagert ſich das Heer, um Munboorrath einzunehmen ; Klear⸗ 
chus wird, als er durch Menon's Lager reitet von Deffen Soldaten, 
mit Steinwürfen enpfangen, weil er Einen ihrer Kameraden hatte 
ſchlagen laſſen. Proxenus vennittelt, und die erbitterten Parteien 
werden endlich durch die Worftellungen bed Cyrus befänftigt. E. 5. 
Ein vornehmer Perfer, Orontes, der ſchon zweimal von Cyrus abe 
gefallen, wird bei einem Verſuche, zum Könige Überzugehen, verras 
then und vor einem Kriegsgericht, dem’ auch Klearchus beiwohnt, 
zum Tode verurtheitt. Cap. 6. Cyrus ruͤckt in Babylonien ein, 
muftert, in Erwartung der nahen Antunft ded Königs, in der 
Nacht dns Heer, und macht den Griechen große Verſprechungen. 
Er zieht nun in Schlachtorönung weiter, und fest ohne Wider 
ftand über einen Graben, den der König hatte ziehen laffen, Gi: 
lanus, deifen Weiffagung eingetroffen, erhält die verfprochene Bes 
lohnung, und Cyrus rüdt, in der Meinung, der König werde gar 
teine Schlacht wagen, mit weniger Behntfamteit weiter. Eap. 7. 
Der König erſcheint unerwartet in Schlachtorbnung. Ueberraſcht 
ftellt nun auch Cyrus in Eile feine Leute zum Gegenwehr. Die 
Griechen auf dem rechten Flügel ſchlagen gleich beim erften An⸗ 
griff den Feind gegenüber in bie Flucht. Cyrus hat auch feinerfeits 
gefiegt, verliert aber, bei DBerfolgung der Feinde zu hitzig vordrin⸗ 


“ 





u) 


Inhalt des erfien Buche. zıg 


gend, in einem Zweikampf mit dem König von einem Wurfſpies 
getroffen, das Leben. Cap. 8. Schilderung des Cyrus. Er war 
des Thrones würdig, wenn auch das Schickſal ihm ſolchen ver- 
fügte. - Schon als Knabe zeichnete er ſich in jeder Hinſicht vor ſei⸗ 


nen Alterögenoffen aus. Als Satrap erwarb er fih durch feine 


Tapferteit und fein wuͤrdiges Benehmen Aller Achtung und Liebe, 
hielt ſtreng auf fein Wort, war treu in der Freundſchaft, freigebig 
gegen dad Werdienft, aber ftreng in Verwaltung ber Gerechtigkeit 
und Beſtrafung der Schuldigen, Cap. 9. Den flüchtigen Ariaͤus 
verfolgend, plündert Artarerres dad Nager des Cyrus, fammelt hier 
feine zerſtreute Macht und wendet ſich gegen die fiegreichen Griechen, 
welche, von der Verfolgung der Beftegten abftehend, ſich umwenden, 
um ben Angriff des Königs zu erwarten. Cie greifen noch muthiger 
an als zuvor; bie Perfer fliehen, und die Nacht macht der Verfol⸗ 
sung ein Ende. Ungewiß, warum Eyrus nichts von fich fehen 
laͤßt, kehren fie endlich in ihr Lager zuruͤck, finden es geplündert, 
und bringen die Nacht in Sorgen und ofme Nahrung zu. 





Erfies Bud, 


1. Darins hatte mit Paryſatis zwei Söhnes der Ael⸗ 


tere hieß Artarerres, *) der Jüngere Cyrus. 
Als nun Darius Frank ward, und fein Ende nahe glaubte, 
wünfchte ex feine beiden Söhne um fich zu haben. Der Ael⸗ 


— · 


tere war gerade gegenwärtig; Cyrus aber ließ er aus der 


Statthalterſchaft entbieten, die er ihm nebſt dem Oberbefehl 


über: bie Voölker anvertraut hatte, weiche ſich in ber Kaſto⸗ 


liſchen Ebene **) zu ſammeln pflegen. 


*) In der Geſchichte unter den Namen Artaxrerxes6 I, oder 
Artaxerxes Muemon bekannt. 
”*) Ein Muſterungsplatz in Lydien. 





720 Xenophon’d Feldzug des jüngern Cyrus. 


Cyrus reiste demnach mit Ziffaphernes, feinem vermeint- 
lichen Freunde, und mit dem Parrhafler.*) Kenias, nebft ei: 
nem Gefolge von dreihundert Hellenifchen Hopliten **) nad) 
dem Hofe feines Waters ab. 

Ars aber Darius geftorben, und Artarerres zur Regie⸗ 
zung gelangt war, machte ihn Tiffaphernes bei Diefem ver: 
dächtig, als ob er ihm nachſtelle. Er fand Gehör; Cyrus 
ward gefangen gefebt und follte mit dem Tode beftraft wer: 
den; auf die Fuͤrbitte feiner Mutter aber Tieß ihn der König 
wieder frei, und ſchickte ihn in feine Statthalterfchaft zurück. 
Empört,über die Gefahr, der er fo eben entgangen, und den 
Schimpf, der ihm angethan worden, ging er nun mit ſich zu 
Rath, wie er fih nicht nur der Willkühr feines Bruders 
entziehen, fondern auch, ſtatt feiner, König werden koͤnnte. 
Seine Mutter Parpfatis, die ihn mehr als den regierenden 
König liebte, begünftigte ihn heimlich. Alle, welche vom 
Hofe zu ihm kamen, wußte ex fo für fih zu gewinnen, daß 
fie ihm mehr, Fals feinem Bruder Artaxerxes, zugethan was 
ren. Die ihm untergebenen Barbaren fuchte er zu gleichem 
Zwede auf jede Weife zu tüchtigen Soldaten zu bifden, und 
ihrer Ergebenheit fid zu verfihern. Ein Hellenifhes Heer 
fammelte er gleichfalls, um den König ungerüftet zu über- 
fallen, in größtmöglicher Stille. 

Die, Aufftellung diefer Macht ging auf folgende Weile vor 
fi. An alle Befehlähaber der Befagungen in ben Städten lie 
e. den Befehl ergehen, fi) aus dem Kern der Peloponnefifchen 


*) Aus Parrhaſia, einem Theil von Arkadien. 
+4) Schwerbewaffnete Fußgänger mit Panzern, großen Schilden, 
Schwertern und langen Speeren. 





./ 


Erſtes Bud. naı 


Truppen, fo viert fie Fönnten, zu verflärken, weil Ziffaphernes 
Abſichten auf die Städte zu haben fcheine. Denn die Städte 
Joniens flanden, einer frühern Verfügung des Könige zu 
Folge, unter Ziffaphernes, waren aber, mit Ausnahme von 
Milet, *) ſämmtlich zu Cyrus übergetreten. Als Ziffapher: 
nes in Erfahrung brachte, daß man in Milet eben damit um⸗ 
ging, ließ er die Einen umbringen, die Andern aus der Stadt 
verbannen., Cyrus nahm die Flüchklinge auf, zog ein Heer 
zufammen, nnd fchloß Milet zu Land und zu MWaffer ein, in 
der Abficht, die Verbannten in ihe Vaterland zurüczuführen. 
Diep war ihm ein zweiter Vorwand, ein Heer aufzuftellen. 


" An den König aber fandte er Boten, und ließ ihm fagent, 


doc, lieber ihm, dem Bruder, als Tiffaphernes die Herrſchaft 
über fie zu übergeben. Und da. feine Mutter fein Anfinnen _ 
anterftüste, gelang es ihm, den König über feine wahren Ab⸗ 

Hchten zu täufchen, fo daß Diefer in feinen feindlichen Ruü⸗ 
lungen Nichts als gegen feinen Widerſacher Ziffaphernes ges 
troffene Maßregeln fah; zumal da Eyrus die Steuern von 
Den Städten, die früner unter Ziffaphernes geftanden hatten, 
in den Pöniglichen Schag einfendefe. Ein anderes Heer ward 
für ihn im Eherfones, *) Abydus ***) gegenüber,. geworben, 
Eyrus Fam mit Kleardy, einem Verbannten aus Lacebämon, 
zuſammen, Ternte ihn fchäben, und gab ihm zehentaufend Da: 
siten. 1) Mit diefer Summe fammelte der Spartaner eine 





*) Kariſche Seeftabt, von Griechen bewohnt. 
**) Thraciſche Landſchaft am Hellespont. 
***) Stadt in Kleinaſien an dem Hellespont. 
+) Perſiſche Goldmuͤnze. S. zu Eyrop.V, 2. ©. 211. 


Xenophon. 68 Boͤchn. 2 





722 Xenophon's Feldzug des jüngern Cyrus, \ 


Truppenmacht, bekriegte, vom Cherfones vordringend, ‚bie 
ienfeitd des Hellespont's wohnenden Thracier, und nüßte fo 
den Hellenen; weswegen die Städte vom Helfespont zur Une 
ferhaftung feiner Truppen freiwillig Hülfsgelder zufammens 
fchoßen. Und fo fiel and die Aufftelung dieſes Heers nicht 
auf. Sein Gaftfreund Ariftipp aus Theſſalien, *) der ſich 
gegen eine Partei in feiner Vaterſtadt im Nachtheile fah, 
Sam mit der gelegenen Bitte, ihm zur Bekämpfung berfelben 
zweitaufend Mann fremder Truppen und breimonatlichen Sold 
zu geben. Cyrus gab ihm gegen viertaufend Mann und Sold 
anf ſechs Monate, mit dem Bedeuten, fich nicht früher mit 
feinen Gegnern zu dergleichen, als bis er feinen Rath einges 
holt hätte, wodurch andy Die ‚Unterhattung dieſes Heeres kei⸗ 
nen Argwohn erregte. Seinem Gaſtfreund, dem Bdotier Pro⸗ 
xenus, trug er anf, ſich bei Ihm mit fo viel Leuten als möge 
lich einzufinden, da er einen Feldzug gegen die Pifiden, **) 
vie feine Graͤnzen beunruhigten, beabfihtige, So mußten 
auch zwei Gaſtfreunde, Sophänetus aus Stymphaͤlus, und 


der Achäͤer Sokvates, mit fo viel Mannſchaft, als ſie auf⸗ 


bringen konten, zu ihm ſtoßen, weil er in Verbindung mit 
den Mitefiidren Verbannten Tiſſaphernes zu befriegen ge⸗ 
denk 


æe. 
2. Als Eyrus auf dieſe Weiſe zu einem Zuge gegen 
Perſien gehörig vorbereitet zu ſeyn glaubte, ließ er kund wer⸗ 





*) Aus der Stadt Lariffa, von dom edeln Geſchlechte der Ale u aͤ⸗ 


**) Ein Bote in Kleinaſien, das zwiſchen Pamphylien, PErcygien 
und Lykaonien wohnte, und ſich nicht unter das Joch der 
Perſer fuͤgte. _ 


den, Daß er gegen bie Pifiden zu Felde ziehe, um fle von 
Land und Hof zu vertreiben, und zog zu dem Ende feine theils 
aus Barbaren, theils aus Hellenen beftehenden Streitkräfte 


zufammen. Kleurch entbot er, mit feiner gefemunten Mann⸗ 


ſchaft zu ihm zu flohen, dem Theſſalier Ariſtipp, ſich mit fei- 
nen Miebürgern abzufinden, und feine Schaaren ihm zuzu⸗ 
führen, und dem Arkadier Kenias, welcher die in den Stad⸗ 
ten Fiegenden Hellenifchen Befabungen befehligte, fich met ihm 
zu vereinigen, und nur fo viele zurückzulaſſen, ats zur Be 
fasung der Feſtungen erforderlich wären. Er rief auch bad 
Befagerungsheer von Mile fammt den Vertriebenen von bort 
ab, mit dem DBerfprechen, nad) glücklich beendigtem Feldzug 
nicht eher zu ruhen, als bis er fle wieder in ihre Heimath 
zurücgeführt hätte. Gerne‘ Iteßen ſie fidh”s gefallen, und 
beachen auf, um fi mit ihm in Sardes *) zu vereinigen. 
Ebendaſelbſt fanden ſich auch Kenias mit viertauſend Hopli⸗ 
ten aus den Städten, Proxenus mit fünfzehnhundert Hopli⸗ 
ten und fünffendert Gymneten, **) der Stymphalier ++ 
Sophänetus mit Faufend, ber Achaͤer 4) Sebrutes mit fünf⸗ 
huudert, der Megareer Paſton mit dreihundert Hoptiten und 
dreihundert Peltaſten ein. Beide Letztere waren mit bei der 
Belagerung von Milet geweſen. 


*) Jetzt Sart, in Truͤmmern. 


Erſtes Buch. 723 


++), Eigentlich die Nackten; leichtbewaffnetes Fußvolt, beſonders 


Schleuderer und Bogenſchuͤtzen. Ihre Benennung kam da⸗ 
her, weil fie des Schildes, den die Nater ihrer Waffe nicht 
zulicß, ermangtlren. 
+44) Stymphaͤlus, Stadt in Artadien. 
+) Ahafa, Kanbſchaft im dem Peloponnes. 


724 Xenophon’d Feldzug des jüngern Cyrus. 


Ale Diefe fließen bei Sarbes zu ihm. Als Tiffaphernes 
von biefen Bewegungen Kunde erhielt, und die Suräftungen 
beventender fand, als daß fie den Pifiden gelten Zonnten, 
machte er ſich in größter Eile unter einem Geleite von fünf: 
hundert Reitern auf den Weg, um ben König hievon in 
Kenntniß zu ſetzen. Auf diefe Kunde machte nun auch der 
‚König feine Gegenräftungen. 

Cyrus rückte mit der vorbenannten Heeresmacht von Sar⸗ 
bes aus, und gelangte in drei TZagmärfchen, zwei und zwanzig 
Darafangen, *) durch Lydien an den Mäander. **) ’ Weber 
diefen zwei Plethren ***) breiten Fluß führte eine über ſie⸗ 
ben Fahrzenge gefchlagene Brücde Won da 309 er in Einem 
Marſche, act Parafangen, durch Phrygien nad) der großen, 
voldreichen und biühenden Stadt Koloffä. +) Hier blieb er 
fleben Zage; und Menon aus Theſſalien fließ zu ihm mit 
taufend Hopliten und fünfhundert Peltaften, die aus Dolo⸗ 
pern, ++) Aenianen 1++) und Olynthiern *) beſtanden. Von 
da gelangte er in drei Tagmärſchen, zuſammen zwanzig Pa⸗ 

*) Auf eine Paraſange gingen achtzehntanfend geometriſche Fuß; 
fie betrug alfo beinahe %, einer gengraphifchen Meile. Ihe 
heutiger Name ift bei den Perfern Firfent, in Armenien 

Sarfang, und in Arabien Farſak. 
+) Heut zu Tage Minder, Bojour Minden, Bods⸗ 

jud Minder der Mindres. 

H Pietieon iſt ein Griechiſches Langenmaß von hundert geo⸗ 
metriſchen Fuß. 
+) Jett Konus. 
71) Volt in Epirus. 
+++) Sie wohnten an ben Berge Oeta, und waren Grannach 
barn der Theſſalier. 
*) Oewwohner einer bedeutenden Helleniſchen Pflansitabt in Mas 
cedonien. 


Erſtes Buch. 725 


rafangen, nad) Eeländ, *) einer großen, volfreichen und wohl: 
habenden Stadt in Phrygien, Hier hatte Cyrus ein Schloß, 
nebft einem Park voll wilder Thiere, wo er oft zur Mebung 
für fi und feine Roffe zu -jagen pflegte. Mitten durch dies 
fen Thiergarten fließt der Mäander, deffen Duellen innerhalb 
des Schloßbezirks entfpringen, und nimmt von da feinen Lauf ' 
durch die Stadt Eeländ. Hier hatte auch der König ein fes 
fles Bergſchloß, an deſſen Fuß der Fluß Marſyas entfpringt. 
Auch er fließt durch die Stadt und ergießt ſich in den Maͤan⸗ 
der. Seine Breite beträgt fünf und zwanzig Fuß. Hier ſoll 
Apollo den Marſyas, nachdem er ihn in einem Wettftreit auf 
der Flöte befiegt, geſchunden, und die ihm abgezogene Haut 
in der Grotte, in welcher die Quellen diefes Fluſſes entfprins 
gen, aufgehängt haben — eine Sage, weldyer der Fluß feinen 
Namen verdankt, Kerxes fol auf feiner Flucht aus Hellas 
das Schloß und die Burg in Eelänä erbaut haben. Cyrus 
blieb dreißig Tage, bis der aus Lacedämon verbannte Klearch 
mit taufend Hopliten, achthundert Thracifchen Peltaften und 
zweihundert Kretifchen Bogenfchüsen zu ihm fließ. Zugleich 
mit ihm traf der Syrakuſier Soflas mit dreihundert, und 
der Arkadier Sophänetus mit tauſend Hopliten bei’m Heere - 
ein. Hierauf hielt Eyrus in dem Zhiergarten Zählung und 
Mufterung feiner Hellenifdyen Hülfstruppen, und ihre Zahl 
belief ſich auf eilftaufend Hopliten und zweitaufend Pelta⸗ 
ſten **). Won da kam er nadı zwei Zagmärfchen, zehn Pas 


*) Das heutige Iſchekleh, Schakli, Aſchkly. ⸗ 

**) Hier uͤberhaupt Leichtbewaffnete, mit Einſchluß der fuͤnfhun⸗ 
dert Gymneten des Proxenus und Klearch's zweihundert Kre⸗ 
tiſchen Bogenfyägen, 


726 Zenophon’d Feldzug des jüngern Cyrus. 


"rafangen, im die volfreihe Stadt Peltä, *) mo er drei Tage 
verweilte; während welcher Zeit der Arkadier Xenias die Ly⸗ 
cden **) mit Opfern und Kampffpielen feiertez der Preis be- 
ftand aus goldenen Striegeln. Auch Cyrus beehrte die Feſt⸗ 
LichBeit mit feiner Gegenwart. Won da gelangte er in zwei 
Tagmaͤrſchen, zwölf Parafangen, in die bevoͤlkerte Stadt Ce⸗ 

rami, ***) an der Außerfien Gränze gegen Myſlen hin; fo= 
dann in weiteren drei Tagmärfchen, dreißig Parafangen, in 
die Ebene bei Ceſtrus, +) einer volfreichen Stadt, wo er 
fünf age blieb. 

Die Soldaten, benen ev einen mehr als dreimonatlichen 
Sold ſchuldig war, erfchienen vor feinem Zelt, und verlang- 
ten ihren Sold. Er fuchte fie von einem Tage auf den an⸗ 
dern zu vertröften, und war in fihtbarer Verlegenheit; denn 
ed lag nicht in feiner Art, Etwas vorzuenthalten, wenn er 
geben konnte. Hier Fam nun Epyara, die Gemahlin des Kö: 
nigs von Cilicien, Syenneſis, unter einer Bededung von Cili⸗ 
eifchen und Afpendifchen Kriegslenten bei ihm an, und brachte 
ihm, wie es hieß, große Summen Geldes mif, worauf er dem 
Heere einen viermonaflichen Sold auszahlen Tieß, Cyrus 
war, wie man ſich ſagte, während ihres Aufenthalts in feis 

nem Lager, fehr vertraut mit ihr gewefen. 

Don hier zog er in zwei Zagmärfchen, zehn Parafangen, 





*) Bei den morgenländifhen Geographen Pelatis genannt, 
*r, Ein Felt zu Ehren bed Arkadiſchen Jupiter. 
***) Wahrſcheinlich des Plinius Cerana in Phrygien, nordoͤſtlich 
von ECelaͤnaͤ, vielleicht das heutige Kermian. 
+) Die Stadt wurde fonft zu Iſaurien geichlagen. 


Erſtes Bud). 727 


nach der volkreichen Stadt Thymbrion. *) Hier war an der 
Heerftraße die bekannte Midasquelle, von einem Phrygiſchen 
Könige diefes Namens fo benannt, der bei: ihr den Satyr 
dadurch, daß er Wein in die Quelle aͤoß, gefangen haben fol. 

Don hier Fam er nach zwei TZagmärfchen, zehn Parafan: 
gen, in die volfreihe Stadt Tyräon, **) umd blieb daſelbſt 
drei Tage. Die Eilicierin erfuchte ihn, wie ed hieß, ihr das 
Heer zu zeigen. Um ihr zu willfahren, hielt er in der Ebene 
Heerſchau über die Hellenen und die Barbaren. Die Hellenen 
ließ er nach ihrer Landesfitte fi in Schlachtordnung ſtellen, 
und jeden Führer feine Leute ordnen. Sie zogen nun vier 
. Mann body in Schlachtordnung auf; den rechten Flügel be- 
.febligte Menon, den linken Klearch, das, Mitteltreffen die 
übrigen Anführer, 

Zuerft mufterte Cyrus die Barbaren, welche in Geſchwa⸗ 
dern und Rotten vor ihm aufzogen, fodann die Hellenen, an 
weldhen er auf. einem offenen, die Eilicierin aber in einem 
bederkten Wagen hinfuhr. Das ganze Hellenenheer trug eherne 
: Helme, purpurrothe Röcke, Beinharnifche und entblöste Schil⸗ 
de. Als fie an ihnen hinabgefahren, hielt er vor dem Heere 
und fertigte feinen Dolmetſcher Pigres an die Hellenifchen 
- Heefführer ab, fie follten mit vorgehaltenen Schifden die ganze 
Phalanx vorrüden laffen. Diefe machten den Befehl ihren 
Zeuten bekannt; und auf das Zeichen mif der Trompete rüds 


*) Suͤdweſtlich von Tyraͤon. 

Gewoͤhnlich wird es für das Heutige Arſcheher genommen ; 
nach Kinneir aber iſt es die jegige Stadt Eilgoun, Uel⸗ 
gün oder Ilgoun. 





— 


728 Xenophon's Feldzug des juͤngern Cyrus. 


ten fie mit vorgehaltenen Schilden an. Als fie nun unter 
Kriegsgefchrei heranzogen, kamen fie von feldft in vollen Lauf 
und vanıten gegen die Zelte der Perfer heran. Diele von 
den Barbaren geriethen darüber in Beſtürzung; felbft bie 
Cilicifdhe Königin fprang vom Wagen und floh. Die Markt: 
leute ließen ihre Waaren im Stich und ergriffen eilig die 
Flucht; die Hellenen aber kamen unter Tautem Gelächter bei 
den Zelten an. Die Eilicierin bewunderte den Glan; und 
die Ordnung des Heeres. Cyrus aber ergöste ſich hoͤchlich 
an dem Schreden, den die Hellenen den Barbaren eingejagt 
hatten. 

Von da erreichte er in drei Zagmärfhen, zwanzig Pa⸗ 
rafangen, die Außerfte Phrygiſche Stadt Ikonion. ) Nach⸗ 
dem er drei Zage geraſtet, durchzog er in fünf Tagmaͤrſchen, 
dreißig Parafangen, Lykaonien, das er als Feindes Land *) 
den Hellenen zur Plünderung preisgab, Don hier ***) Tief 
er die Königin unter der Bededung bed Theſſaliers Menon 
und deffen Leuten auf dem kürzeſten Wege nach Eilicien ges 
feiten; mit dem übrigen Heere aber zog er in vier Tage 
märshen, fünf und zwanzig Parafangen, durch Cappado⸗ 
cien, und gelangte zu der großen und blühenden Stadt Da= 
na. 3) Hier ließ er den Perfer Megaphernes, einen könig⸗ 


*) Sept Kunjah, Kogni oder Konje genannt, 

++) Die Lykaonier fuchten, fo wie die Myfier und Pifie 
den, ihre Unabhängigkeit gegen die Perfer zu behaupten, 
und lagen daher beftändig mir Denfelden im Kampfe. 

*2*) Nämlich von Ikonion aus, wohin er von ben Plünderungds 
zügen in Lykaonien zuruͤckgekehrt war, 

) Sollte wahrſcheinlich Tyana oder Thoana heißen; fie ift 
das fpÄtere Tana dara oder Coniſus. 





⸗⸗ 


N 


Erfies Bud. 729 


Then Vaſallen, dem der Purpur zukam, und einen andern 
Dberftatthalter, *) weil er fie ber DVerrätherei gegen fidy 
beſchuldigte, hinrichten, 

Hier verfuchten fie, in Eilicien einzubringen. Der Paß war 
aber nur von Wagenbreite, außerordentlich ſteil, und im Fall 
eines Widerflandes dem Heere unzugaͤnglich. Es ging auch 
das Gerücht, Syenneſis liege auf den Höhen, und bewache 
den Eingang. Deshalb blieb Eyrus einen Tag auf der Ebes 
ne. Am folgenden kam die Nachricht, Syennefld habe die 
Höhen verlaffen, nachdem er in Erfahrung gebracht, daß Mes 
non's Heerhaufe ſich bereits in Cilicien innerhalb der Ges 
birge befinde, und Tamos mit einer Flotte von Lacedämonis 
fhen und dem Cyrus zugehörigen Dreirudern von Jonien 
her Eilicien dedrohe. Eyrus erſtieg nun, ohne Widerftand zu 
finden, die Berge, und fand noch die Zelte, in denen die Ci⸗ 
ficier auf ber Wache zu Tiegen pflegten. Von da zog er ſich 
in eine große Ebene herab, welche fchön, waflerreich, mit Baͤu⸗ 
men aller Urt und mit Weinftöden reichlich ausgeftaftet war ; 
auch trägt fie viel Sefam, Yennich, Hirfe, Weizen und Gerfte, 
Ein hohes, fchon durch die Natur befeftigted, von der einen 
Graͤnze am Meere bis zur andern hinfaufendes Gebirge ums 
fchließt fie allentharben. Diefe Ebene entlang zog er in vier 
Zagmärfchen, fünf und zwanzig Parafangen, nadı der großen 
und reichen Ciliciſchen Stadt Tarfos, **) Hier hatte Syen⸗ 
neſis, Ciliciens König, feine Hofftadt. Mitten durch fie fließt 


* Sie verehrten in ihm wahrſcheinlich ſchon jetzt den König, 
ober hatten ſich Hazu verpflichtet. 
*5) Fuͤhrt noch heut zu Tage diefen Namen, 





730 RXenophon's Feldzug des jüngern Cyrus. 


der Cydnus, deflen Breite zwei-Plethren beträgt. Die Ein- 
wohner verließen die Stadt und flüchteten ſich mit Syenneſis 
in einen feften Ort auf dem Gebirge, die Gaſtwirthe ausge⸗ 
nommen; auch die Bewohner von Soli *+ und Iſſt *) am 
Meere blieben. 

Epyara, die Gemahlin des Syennefls, war fünf Tage 
‚früher als Cyrus in Tarſus eingefroffen. Bei ihrem Weber: 
gang über die Berge vor der Ebene. gingen zwei Rotten von 
Menon’s Heerhaufen zu Grunde. Sie wurden nach Einigen 
von den Ciliciern über dem Plündern niedergemacht; nach 
Andern hatten fie ſich verfpätet, und waren, da fie weder 
das Heer, noch den Weg finden Fonnten, in der Irre umges 
kommen. Aufgebracht über den Verluſt ihrer Waffenbrüder 
plünderten die Uebrigen bei ihrer Ankunft in Tarſus Stadt 
und Schloß. Als aber Eyrus daſelbſt eingetroffen war, entbot 
er den König Syenneſis zu fi. Diefer erklärte, er habe ſich 
noch nie einem Mächtigern in die Hände gegeben, und werde 
es auch nicht bei Cyrus thun; bis er fich auf Zureden feiner 
Gemahlin umd- gegen gehörige Sicherheit dazu bewegen ließ. 
Als ſie zufammen gefommen waren, händigte Syennefis dem 
Eyrus große Summen Geldes für fein Heer ein; Cyrus gab 
ihm dagegen Gefchenfe, die bei Königen in großem Werthe 
flehn, ein goldgezäumtes Pferd, eine goldene Halskette, Arm⸗ 
geichmeide, einen goldenen Säbel und ein Perfifher Feſtge⸗ 
gewand, nebft der Berfiherung, fein Land nicht weiter zu ' 





*) Das nachmalige Pompejopolis, jegt aber nad, Karcher 
Ajaffez nad Andern aber die Trümmer von Mezottu. 
+, Wahrfcheinti das jepige Defeler. 


- 


2 Erftes Buch. | 751 


plündern, und die genommenen Sclaven wieder auszuliefern, 
falls ſich deren irgendwo vorfinden ſollten. 

3. Cyrus blieb daſelbſt mit dem Heere zwanzig Tage. 
Denn die Soldaten erklärten, fle zögen nicht mehr weiter, 
da fie bereits argwöhnten, es gehe gegen den König, und 
dazu ſeyen fle nicht in Sold getreten. Suerft wollte fie 
Klearchus hiezu zwingen; als er aber aufbrechen wollte, war- 
fen fle-ınit Steinen nah ihm und feinem Gefolge. Da er 
nun fah, daß ſich mit Gewalt Nichts ausrichten Tafle, rief er 
feine Zeute zufammen und fland lange Zeit weinend vor ihz 
nen. Sie erftaunten und fehwiegen. Dann redete er fie fol: 
gendermaßen an: „Wundert Eudy nicht, Soldaten, daß mir 
diefe Auftritte nahe gehen. Cyrus nahm mid, da id, ale 
Verbannter zu ihm kam, gaftfreundfchaftlid) auf, und erwies 
mir nicht nur viele Ehre, fondern befchenfte mich noch mit 
zehntauſend Dariken, die ich nicht als mein Eigenthum zu 
meinem Bergnügen, fondern einzig auf Eudy verwandt habe. 
Zuerft befriegte ich die Thracier, und nahm mit Euch für 
Hellas Rache an ihnen, dadurch, daß ich fie, welche die Hel⸗ 
Venen aus dem Eherfones verdrängen wollten, felbft daraus 
vertrieb, Test rief Eyrns, unb wir brachen auf, um ihm 
für die erwiefenen Wohlthaten, fo es nöthig wäre, nuͤtzlich 
zu werden. Da Ihr nun aber nicht weiter mit ihm ziehen 
wollt, ſo bin ich in die Rothwendigkeit verſetzt, entweder Euch 
verlaſſend, dem Chrus Freundſchaft zu halten, oder, treu⸗ 
los gegen ihn, mit Euch zu ziehen, — Ob ich recht handle, 
weiß ich nicht. — Genug, ich, entſcheide mich für Eud, 
und theile mit Euch, was ba kommen mag. Niemand ſoll 
fagen, daß ich Hellenen ben Barbaren zugeführt, und fle, im 





32 Zenophon’s Feldzug des juͤngern Eyrus. 


Stich Laffend, die Freundfchaft der Barbaren vorgezogen habe. 
Da Ihr mir nicht gehorchen und folgen wollt, wohlan, fo 
folge ih Euch, und heile mit Euch, was da kommen wird! 
In Euch fehe ich mein Baterland, meine Freunde und Wafs 
fenbrüder — an Eurer Seite Ehre, wo ed auch immer fe. 
Ohne Eud) vermag ich weder Freunden Gutes zu thun, noch 
dem Feinde zu wehren. Seyd alfo überzeugt, daß ich, wohin 
es aud) fey, Euch, folgen werde.’ So fprach er. Seine Sol⸗ 
daten und die übrigen Anmwefenden hörten mit Vergnügen, 
daß er Nichte von einem Zuge gegen ben König ſprach, und 
von Xenias und Paflon’s Leuten traten über zweitaufend 
Mann mit Waffen und Gepäd zu Klearchus über. Cyrus 
ward darüber verlegen und betrübt, und fandte nach Klears 
chus; Diefer aber erPlärfe, er. werde nicht vor ihm erfcheinen, 
ließ ihm aber, ohne daß feine Soldaten es wußten, ſagen, 
er follte nur guten Muthes ſeyn, es würde noch Alles zum 
Guten ausfchlagen. Zugleich rieth er ihm, ihm nochmals 
vorzufordern, worauf er wieder nicht erfcheinen würde. Hier⸗ 
auf ließ er feine Soldaten, nebſt den zu ihm Webergetretes 
nen, und Wer fid) noch einfinden wollte, zufammen kommen, 
und redete fie alfo an: 

„Soldaten! offenbar fleht nun Eyrus zu ums in demfels 
ben Verhaͤltniß, wie wir zu ihm. Da wir ihm nicht weiter 
folgen, find wir nicht mehr feine Söldner, und er ift niche 
mehr unfer Soldherr. — Daß er fi) von uns beleidige 
glaubt, weiß ich; daher, habe ich auch, wenn er mid, rufen 
räßt, Beine Luft, zu ihm zu gehen, befonders, weil ich mir 
nicht ohne Befchämung geftehen muß, ihn durchaus hinter 
sangen zu haben; und dann fürchte ich auch, er möchte we⸗ 


N 


- 





Erſtes Buch. er} 


gen Defien, worin er von mir beleidigt zu feyn glaubt, an 
mir Rache nehmen. Nach meinem Bedünten dürfen wir 
nicht unthätig und forglos hier Tiegen bleiben, fondern haben 
ernfllihe Maßregeln für unfre Zukunft zu treffen. Bleiben 
wir hier, fo muß unfre erfte Sorge feyn, wie wir mit Si⸗ 
cherheit bleiben fünnen; wollen wir hinweg, wie wir mit 
Sicherheit fortfommen. mögen, und woher wir Lebensmittel 
nehmen. Denn ohne diefe kann weber Feldherr noch Soldat 
das Seinige thun. Cyrus ift ein unfchäsbarer Freund für 
feine Sreunde, allein auch der gefährlichfte Feind für feine 
Feinde. Weberdieß ift er mächtig an Fußvolk, Neiterei und 
Schiffen, wie wir Alle mit eigenen Augen uns überzeugen 
fönnen; denn wir find, den!’ ich, nahe genug bei ihm. Es 
ift alfo Seit, daß Jeder angibt, was er für's Beſte haͤlt.“ 
Damit ſchloß er fein? Rede. 

Sogleich erhoben ſich Einige von freien Stüden, um ihre 
Meinung ausdzufprechen; Andere, von ihm aufgefordert, zeige 
gen, wie mißlich es fey, ohne Eyrus Einwilligung zu bleiben, 
oder abzuziehen. Einer, der fi) das Unfehen gab, als wollte 
er auf eiligen Aufbruch dringen, fchlug vor, wenn Klearchus 
fie nicht miehr anführen wolle, fogleidy andere Anführer zu 
wählen, bie nöthigen Lebensmittel einzukaufen (der Markt 
war aber im Perfifchen Lager), und fih zum Abzug anzu⸗ 
fchicden; fodann zu Eyrus zu gehen, und ihn um Schiffe zur 
Rückfahrt zu bitten; falls er ſich Deſſen weigerte, ihn um ei⸗ 
zen Führer zu erfuchen, unter deffen Zeitung fie ungefährdet 
wieder zurück in ihre Heimath zögen; ſollte er fich auch Deſ⸗ 
fen weigern, dann müßte man fich fogleich in Vertheibigungs- 
ftand feben und die Höhen befeben Yaffen, damit nicht Eyrus 


734 Kenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus, 


ober die Gificier, denen fie viele Gefangene und große Beute 
abgeführt, ihnen zuvorkommen möchten. 

Nach ihm nahm Klearchus das Wort und ſprach: „Keiner 
von Euch möge mich zum Führer für deu Rückzug vorſchla⸗ 
gen; viele Rüdfichten verbiesen mir, den Dberbefehl anzuneh⸗ 
men; aber Dem, weldsem Ihr deufelben übertragt, werde ich 
in alten Städen Gehorfam Teiften, damit Ihr feht, daß ich 
fo gut ale irgend ein Sterblicher zu gehorchen weiß.‘ Nach 
ihm trat ein Anderer *) anf, und zeigte, wie thöricht ed Wäs 
ve, nach dem Vorſchlag feines Vorgängers von Cyrus Schiffe 
zu verlangen, als ob Diefer den Feldzug nicht weiter fort⸗ 
feßen würde; wie thöricht, Den um einen Führer anzugehen, 
deffen Unternehmen man zu vereitein ſuche. „Wenn wir,’ 
fprady er, „dem Führer vertrauen, welchen Eyrus uns geben 
fol, warum laſſen wir nicht auch eben ſowohl die Höhen 
durch ihn beſetzen? Ich meines Theils würde mich fehr be⸗ 
denken, Zauch nur den Fuß in ein Schiff au feben, das er uns 
überließe, aus Furcht, er ließe uns fammt den Schiffen zu 
Grunde richten, oder einem Führer zu vertrauen, da er und 
Teicht wohin führen möchte, wo wir keinen Ausgang mehr 
fändenz; Fieber noch machten wir und, wenn er nicht darein 
willigt, uhne fein Vorwiſſen davon, wenn es möglich wäre, 


Aber ale diefe Vorfchläge find unverſtaͤndig. Um klügſten 


ſcheint es mir, wir fenden mit Klearchus geeignefe Männer 
an Cyrus, und fragen ibn, wohin er und zu führen gedenke 3 
ift die Verwendung eine gfeihe mit der fräbern, fo folgen ' 
wir ihm und laſſen und nicht unmännkicher finden, als Tee, 


HWahrſcheinüch war biefer Andere XReuophon ſelbſt. 


Erſtes Buch. 735 


welche früher mit ihm nad) Oberaften zogen. Hat er aber eis 
nen weiter ausfehenden, mühevollern und gefährlichern Plan, 
fo mag er fidy mit uns verftändigen, oder und auf unfre 
Gründe hin in Frieden heimziehen Faffen. Folgten wir ihm 
alsdann, fo würden wir ihm als treu ergebene Freunde fol: 

gen, im andern Falle aber einen fihern Ruͤckzug erhalten;— 
ſeine Untwort wird uns wieder hinterbracht, und wir können - 
nach Gutdünken unfre Maßregeln nehmen.” 

Der Vorſchlag fand Beifall. Klearchus begab ſich an 
der Spitze auserwählter Männer zu Cyrus, und trug ihm . 
das Anliegen des Heeres vor. Diefer antwortete; fein Feind 
Abrokomas ftehe dem Bernehmen nad) in der Nähe des Eus 
phrat, zwölf Tagmärſche von hierz Diefem wolle er zu Leibe 
gehen, und, wenn er ihn treffe, Strafe an ihm nehmen, falls 
er flöhe, weitere Rüdfprache mit ihnen halten. Mit diefem 
Beſcheid Eehrten die Abgeordneten zu dein Heere zurück; und 
obgleich man noch immer argwöhnte, daß er gegen den König 
zöge, befchloß man dennoch, ihm zum folgen. Als fie fobann 
Erhohung ihres. Soldes verlangten, verſprach ifmen Eyrus, 
ihn um die Hälfte zu erhöhen, und Jedem ſtatt eines Dari⸗ 
ten einen und eitren halben des Monats zu geben; daB ber 
Zug aber dem König gelte, ließ er guch damals noch gegen 
Niemanden verlauten. 

h. Bon da ridte er in zwei Tagmaͤrſchen, zehn Para⸗ 
fangen, bis zum Fluffe Saros *) vor, deſſen Breite drei 
Plethren betrug; von hier in einem Tagmarſch, fünf Para⸗ 





*) Sept Seifan, Sifan oder Sechan. 





736 Xenophon's Feldzug des jüngern Cyrus. 


fangen, bis zum Fluß Pyramus, *) ber ein Stadium breit 
war. Don hier. gelangte er in zwei Tagmärſchen, fünfzehn 
Darafangen, nad) Iſſi, **) der Außerften Stadt in Cilicien; 
fie liegt am Meere, ift groß und biühend. Hier blieb er brei 
Tages wo denn auch fünf und dreißig Schiffe aus dem Pelo⸗ 
vonnes, die der Lacedämonier Pythagoras befehliate, bei ihm 
anlangten. Der Egyptier Tamos hatte fie nebft einer an⸗ 
dern Flotte des Eyrus, die fünf und zwanzig Segel ſſtark 
“ war, womit er bad dem Tiffapherned, gegen ben er gemein⸗ 
ſchaftlich mit Cyrus gekriegt, zugethane Milet belagerte, 
von Epheſus aus hergeführt. Auf dieſer Flotte kam auch 
der Lacedämonier Chiroſophus, welchen Cyrus hatte kommen 
laſſen, mit flebenhundert Hopliten an, die er unter Cyrus bes 
fehligte. Die Schiffe legten beim Zelte des Eyrus an. Hier 
trafen auch vierhundert Hopfiten, die von Abrokomas, unter 
dem fie gedient hatten, abgefallen waren, in feinem Lager ein, 
und fchloßen fi feinem Zuge gegen den König an. 

" Dann gelangte er in einem Zagmarfch von Fünf Para⸗ 
fangen an die Engpäfle Eiliciend und Syriens. Dieß waren 
zwei Schanzen: bie eine dieſſeits Eiliciend bewachte Syennefld 
mit Eiliciern, die jenfeitige gegen Syrien hielten dem Verneh⸗ 
men nad) koͤnigliche Truppen beſetzt. Mitten durch fließt der 
Karfus ***) in einer Breite von einem Plethrum. Der ganze 
Zwifchenraum zwifchen den Scanzen betrug drei Stadien, 
und mit Gewalt durchzudringen, war nicht möglich; denn 


* Jetzt Gehoun (Jeiſan, Dsjiſhan auch Dſchihan) 
genannt. 
*H Bol, Cap. 
++), Jetzt Meeres, Marerfi, auch Maherfi genannt. 


Erſtes Buch. 737 


der Weg daueben war ſchmal, und die Schanzen liefen bis 
zum Meere hin; oberhalb waren unerſteigliche Felſen. Au 
dieſen beiden Schanzen waren bie Engpaͤſſe. Wegen dieſes 
Durchgangs hatte Cyrus die Flotte kommen laſſen, um in⸗ 
nerhalb. und außerhalb der Engpaͤſſe Hopliten auszuſetzen, 
und ſo den Durchgang zu erzwingen, wenn der Feind etwa 
den Syriſchen Engpaß beſeßt Halten ſollte, was Cyrus von 
Abrokomas, der ein großes Heer befehligte, erwarten mußte. 
Allein Dieſer that es nicht; ſondern verließ auf die Nachricht, 
daß Cyrus in Cilicien ſey, Phönicien, und zog mit feinem, 
wie ed hieß, dreimal hundert fanfend Mann flarken Heere 
dem Könige zu. 

Bon da rückte er durch Sprien in einem Tagmarſch von 
fünf Paraſangen bis nach Myriandrus, einer Phöniziſchen 
Seeſtadt. Hier war .ein Stapelplatz, wo viele Frachkfchiffe 
vor Anker lagen. Das. Heer blieb fieben Tage; die Heerfüh- 
rer Keniad aus Arkadien und Paflon aus Megara brachten 
ihre befte Habe zu Schiffe und fuhren davon; bie Meiften 
glaubten, aus gekraͤnktem Ehrgeiz, daß ihre Leute, um nicht 
gegen den König zu ziehen, fondern heimzukehren, zu Klear⸗ 
chus übergefreten waren, und Enrus Dieß gefchehen ließ. Als 
fie verfchwunden waren, hieß ed, Eyrus Laffe ihnen mit einis 
gen Dreirudern nachlesen; Diele hätten es gerne gefehen, 
"wenn man fie einholtes Andere dagegen wünfchten aus WMits 
Teid, daß fie entkommen möchten. 

Cyrus berief die Heerführer zu ſich und ſprach in ihrer 
Mitte: „Xenias und Paflon haben und verlaffen; allein fie 
ſollen bald erfahren, daß fie mir noch nicht entronnen find 
(denn ich weiß, welche Richtung fie. genommen), noch daß fie 

Kenophon. 68 Boͤchn. 


738 Xenophon’s Zeldzug bes jüngern Cyrus. 


aus meinem Bereiche find; denn ich habe Schiffe, fie einzus 
boten. Uber bei den Göttern, ich werde fie nicht verfolgen; 
Keiner ſoll fagen, daß ich mich Eines nur bebiene, fo lang er 
bei mir bleibt, wenn er aber fort will, ihn ergreife, ihm Ue⸗ 
beis thue, und ihn des Seinigen beraube. Mögen fie immer: 
hin gehen und das Bewußtfeyn in fid tragen, fchlechter an 
uns,’ ale wir an ihnen, gehandelt zu haben! Hab’ ich 
body ihre Weiber und ihre Kinder zu Tralles *) in meiner 
Gewalt; allein audy fie will id) ihnen nicht vorenthalten; 
mögen fie auch Diefe hinnehmen, ihrer mir früher gefeifteten 
Dienfte wegen. So fprady er; und wenn noch Einer unter 
den Hellenen gegen den Feldzug war, fo folgte er ihm jest, 
durch feinen Edelmuth gerährt, mit Luft und Eifer. 

Hierauf rückte Cyrus in vier TZagmärfchen, zwanzig Para= 
fangen,Zan den Fluß Chalog, **) der ein Plethron breit und 
reich an großen und zahmen Fifchen war, die hei den Syrern 
als Götter verehrt werden, und gleich den Zauben das 
Recht der Unverlesbarkeit genießen. Die Dörfer, in denen 
fie fi) Tagerten, waren der Paryſatis als Leibgeding für ih⸗ 
zen Gürtel ***) angewiefen. Bon da zog er in-fünf Tagmaͤr⸗ 
fhen, dreißigtParafangen, bis zu den Quellen bes Fluſſes 





*, Stadt in Indien am Fluſſe Maͤander. 
+4, Nach Mannert ber Fluß Chaleb der Syrer,welcher durch 


die Stadt Bersa fließt, und hei den Abendlaͤndern Aleppo, 


bei Abulfeda Kowaik heißt. 
*0*) 83 war bei den Perfern Bitte, die Jahrgelder der fuͤrſtlichen 
Derfonen, dem Namen nach, zu einem gewiffen Gebrauch zu 
beſtimmen. 





Erſtes Buch. 739 _ 


Darabdar, *) befien Breite ein Plethron betrug. Hier war 
das Schloß des Belefis, Statthalters in Syrien, und ein 
fehr großer und fchöner Garten, der die Erzeugniffe aller 
Yahrszeiten darbot. Eyrus ließ ihn verwäften und das 
Schloß niederbrennen. 

Don bier gelangte er in drei Tagmärfchen, fünfzehn Pas 
safangen, an den Fluß Euphrat, der eine Breite von vier 
Stadien hatte; es liegt an ihm bie große und blühende Stadt 
Thapſacus. **) Hier biieben fie fünf Tage; Cyrus ließ die 
Heerführer zu fih rufen, und erklärte ihnen, daß er nad) 
Babylon gegen den großen König ziehe; fie follten Dieß den 
Soldaten verkfündigen, und fie dazu bereitwillig machen. Sie 
ließen ihre Leute zufammen kommen und eröffneten es ihnen, 
Diefe, aufgebracht über ihre Anführer, warfen ihnen vor, fie 
hätten es fchon lange gewußt und ihnen nur verheimlicht, 
und erklärten, daß fie nicht weiter gehen würden, wenn fle 
nice denfelben Sotd befämen, den Jene bekamen, welche Cy⸗ 
zus zu feinem Water. begleitet hatten, und zwar nicht in den 
Krieg, fondern weil Diefer ihn zu ſich befchieden hätte. Dieß 
berichteten die Anführer dem Eprus, Er verfpracd nun je: 
dem Krisger, der nach Babylon Fame, fünf Silberminen, und 
den volfen Sold, bis er fie wieder nad Jonien gebracht 
hätte, Dadurch hatte er fchon den größten Theil des Helles 
nenheers auf feine Seite gebracht. Menon berief nun, ebe 





” ut Sedsjur bei Aintas, dem alten Antiochia am Taurus, 
*+) Das vibliſche Tiphſah Ing dicht wei Europus, den jegie 
an Jerabeas, ober Jeraboles. 3* 





740  Zenophon’d Feldzug des jängern Cyrus. 


entfchieden war, wozu ſich die Soldaten entfchließen würden, 
feine Leute befonders zufammen, und redete fie alfo an: 
„Wenn Ihr mir folgen wolltet, meine Freunde, jo habt 
Ihr, ohne weitere Gefahr ober Mühe, von Cyrus größere 
Auszeichnung als Eure übrigen Waffengenoffen zu erwarten. 
Wie aber, fragt Ihr? Es Tiegt jest Eyrus Alles daran, 
daß die Hellenen mit ihm gegen den König ziehen; ich fchlage 
Euch deßhalb vor, noch ehe entſchieden iſt, was bie übrigen 
Hellenen dem Eyrus antworten werden, über den Euphrat zu 
gehen. Denn wenn fie ſich entfchließen, ihm zu folgen, fo 
werdet Ihr, als die Erften, die den’ Fluß überfchritten, für 
Die Urheber davon angefehen; und Eyrus wird Euren Eifer 
zu ſchätzen und zu befohnen wiflen, wie nur irgend Einer. 
Entſchließt ſich das Heer nicht dazın, fo kehren wir um, und 
Cyrus wird Euch, den einzig treu Gehfiebenen,, ald zuvers 
laͤßigen Männern, Beſahungen in Feſtüngen oder Hauptmanns⸗ 


ſtellen anvertrauen; und auch in andern Stücken werdet Ihr 
Euch des Eyrus ald eines gefälligen Freundes zu erfreuen 


haben.” Sie forgten feinem Rath und ſetzten, noch che ſich 
die Adern erklärt hatten, über den Fluß. Als Eyrus ges 
wahrte, daß fie über den Fluß gegangen waren, fandte er fo= 
gteich feinen Dolmetſcher Glus an fie ab und ließ ihnen ent= 
bieten: „Ihr Habt Euch meinen Beifall erworben, wackere 
Männer; mid daß auch ich den Eurigen habe, foll meine erſte 
Sorge ſeyn, fo wahr ich Cyrus heiße!" Die Soldaten hegten 
nun große Hoffnungen, und wünfchten ihm alles Glück und 
Heil. Dem Menon aber fol er koſtbare Geſchenke überſandt 
haben. Hierauf fehte er ferbft über den Fluß, und das ganze 

übrige Heer folgte ihm. Das Waſſer ging Keinem über bie 


\ 





Erfies Buch, _ 7,74 


Bruft. Die Thapfacener behaupteten, daß man noch nie zu 
Fuß über diefen Fluß gefebt habe, fondern immer auf Schif⸗ 
fen ; diefe aber hatte Abrofomas vorher verbrannt, damit Cy⸗ 
rus nicht überfegen könnte. Man hielt es für einen göttlichen 
Wink, und glaubte, der Fluß habe fich dadurch vor Chrus 
als feinem Fünftigen Herrfcher gebeugt. Don da durchzog er 
Syrien *), in neun Tagmärfchen, fünfzig Parafangen, und 
gelangte. an den Fluß Araxes. **) Hier waren viele Dörfer, 
in denen ſich ein großer Vorrath von Wein und Getreide 
vorfand. Man blieb daferbft drei Tage, und verfah ſich mit 
Lebensmitteln. 

5: Don hier 308 er durch Arabien, **) den Euphrat 
zur Rechten, und legte in fünf Tagmärſchen durch öde Land⸗ 
ſtriche fünf und dreißig Paraſangen zurück. Su dieſer Ges 
gend war der Boden ſo eben wie das Meer, und mit vielem 
Wermuthkraut bewachſen. Alles andere Geſträuch und Rohre 
gewächfe, das er etwa noch trug, hatte einen gewürzhaften. 
Geruch; aber Fein Baum war weit und breit zu fehen; wohl 
aber erblickte man mancherlei Thiere, größtentheild Waldeſel 
und viele Strauße; auch Trappen und Gnzellen fanden ſich. 
Auf diefe Thiere machten Me Reiter zuweilen. Jagd. Die 
wilden Efel liefen, wenn man fle verfolgte, davon, und flans 

*) Kenophon Yäßt Syrien ſich bis über den Euphrat, das ei 

gentliche Mefopotamien, erftrecden. i 
+) Der heutige Fluß Khabur, fonft Ehaboras ‚genannt, 

Der obere Theil deffelben erfcheint fpäter IV, 5) unter 

dem Namen Centrites; er mündet ſechs Stunden unterhalb 
Dar in den Euphrat. 

”*) Darunter ift hier der füdlihe Theil von Mefopotas - 
mien zu verftehen; er gehbrte fpäter zu Irak Arabi. 


"42 Xenophon’d Feldzug des jüngern Cyrus. 


den dann flilfe (denn fie Tiefen viel fehneller als ein Pferd); 
nnd wenn das Pferd nahe kam, machten ſie es wieder fo; 
man konnte fie-nicht fangen, wenn fich die Reiter nicht fo 
aufſtellten, daß fie diefelben einander entgegentrieben. hr 
Fleifch kam dem Hirfchfleifdhe nahe; -nur war ed etwas 
zarter, Einen Strauß fing Keiner: die Reiter, die fie ver: 
folgten, ließen bald nach; denn dieſe hatten durch die Schnel: 
ligteit ihrer Füße und den Schwung ihrer Flügel, die fie 
wie Segel gebrauchen, ſogleich einen Vorfprung gewonnen, 
Die Trappen aber, wenn man fle nur ſchnell aufjagte, waren 
Veicht zu fangen; denn fie fliegen nur kurz und werben fehr 
bald müde, Ihr Fleifch war Außerft ſchmackhaft. 

Durch diefes Land zogen fie hin, und Samen dann at 
den ein Plethron breiten Fluß Maskas. *) Es Tag an ihm 
eine verödete große Stadt, mit Namen Korföte, **) von 
dem Fluffe rings umfloffen, Hier blieben ‘fie drei Tage und 
verforgten fidh mit Lebensmitteln. Won da gelangte man, 
den Euphrat zur Rechten, durch wuͤſte Gegenden in dreizehn 
Zagmärfchen, neunzig Parafangen, nach Pylä. Auf dies 
ſem Marſche raffte der Hunger viel Zugvieh wen; denn bie 
ganze Gegend war kahl, und weder Gras noch Gefträud, ir- 
gendwo zu finden. Die Einwohner leben davon, daß fie am 
Fuße Muͤhlſteine ausgraben und verarbeiten, und damit nad) 
Babylon handeln, wofür fie Lebensmittel eintauſchen. Dem 
Heere gebrach es an Mundvorrath, und man konnte Nichts 


*) Nach Mannert der Saokoras des Ptolemaͤus. 
**) Rennel ſetzt fie in die Naͤhe der Traͤmmer der Stabdt an 
oder Ir ſah. 


Erftes Buch. 743 


zu kaufen bekommen, als auf dem Lydiſchen“) Markt im Las 
ger der Barbaren, wo die Kapithe Weizens oder Gerſtenmehl 
anf vier Siglos **) zu fliehen Fam. Der Siglos beträgt 
achtehalb Attiſche Obolen, die Kapithe hält zwei Attiſche 
Chönir. ***) Die Soldaten aßen deßhalb gewöhnlich, nichts ale 
Fleiſch. —— 

Zu mehreren Malen waren die Tagmaͤrſche ſehr angeſtrengt, 
wenn man entweder einen Waſſerort oder einen Weideplak 
erreichen wollte. Cinmal konnten die Wagen, ald fie auf eis 
nen engen. Weg und einen Moraft fließen, nicht weiter kom⸗ 
men; fogleich Fam Eyrus mit feinem aus den vornehmſten 
und reichften Perfern beftehenden Gefolge herbei, und befahl 
dem Glus und Pigres, mit Hülfe der Barbaren den Wagen 
fortzuhelfen. Als es damit nicht von Statten ging, hieß er, 
wie im Aerger, die Perfer in feiner Umgebung Hand anle: 
gen, und es war eine Luſt, mit anzufehen, wie Alles eilte, 
feinen Befehl zu erfüllen. Sie warfen, wo fle landen, die 
purpurnen Kaftane ab, fprangen in ihren koſtbaren Zeibröcen 





*) Die Lydier beſchaͤftigten fich nach Larcher feit den Zeiten des 
aͤltern Cyrus, der ihnen den Gebrauch der Waffen unterfagte, 
mit Handel und Martetenderei. 

++, Ein Siglos galt 7% Attifche Obolen; ein Obolos betrug 
nach unferem Gelbe 10", Pfennig, alſo ı Siglos — 6 Gr. 
ua PR, und 4 Siglos ı Rthlr. ı Gr. 7% Pf. Ein Ober 
108 war der fechdte Theil einer Dradıme und beirug 10, 4 
oder 11, 3 Pfennig. 

*25) Betrug fo viel, als gewöhnlich auf eined Mannes Tagetoſt 
gerechnet ward, etwas Über Ys einer Mege nach Berliner 
Mab; das Gewicht eines Ehoͤnix = Pfb. 5 Unzen Rbomiſch; 
das Römifche Pfund ader ı2 Unzen ober 24 Loth. 


744 Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus. 


und bunten Hoſen, Einige noch mit goldenen Ketten um beu 
Hals und Spangen an den Armen, die fteite Unhöhe herab 
in den Koth, und hoben, fchneller als fidy erwarten ließ, die 
Wagen heraus. Man ſah wohl, daß es Eyrus darum zu 
thun war, fchlennig vorwärts zu kommen; er hielt fich nir⸗ 
gende auf, ale wo es die Herbeifchaffung von Lebensmitteln 
oder andere Bedürfniffe nochwendig machten, indem er, je 
mehr er eilte, den König deſto unvorbereiteter anzugreifen 
hoffte; da er dagegen, je mehr er zögerte, defto größern Wi⸗ 
derftand vorausfehen mußte. Dem verfländigen Beobachter 
Fonnte nicht entgehen, wie zwar der Perfifche Staat über ein 
weites Land und eine ungeheure Bevölkerung zu verfügen 
hatte, unerwarteten, raſchen Angriffen aber, wegen der Weit⸗ 
laͤufigkeit ſeines Gebiets und der Serfplitterung feiner Streits 
Präfte, Eeinen bedeutenden Widerftand entgegenzufehen hatte. 
Jenſeits des Euphrats nad, den Wüſten zu lag eine blühende, 
große Stadt, Eharmande; *) aus diefer holten ſich die Sol⸗ 
daten Lebensmittel, indem fie in Fahrzeugen auf folgende 
Weife dahin ‚überfesten: fle ftopften die Selle, die fle zu 
Deden gebrauchten, mit Heu aus, zogen und nähten fie zu⸗ 
fammen, daß das Wafler nicht eindringen konnte, und fuhren 
dann auf ihnen hinüber und holten ſich Xebensmittel, Palms 
wein und Yendybrod, dergleichen in der Gegend im Ueberfluß 
zu haben war. 

Als daferbit ein Paar Soldaten von Menon's und Klearz 
chus Leuten mit einander in Streit geriethen , meinte Klear⸗ 


») Auf ihren Truͤmmern erhob ſich nach Mannert das ſpaͤtere 
Diakira, nach Rennel die Stadt Hit. 





Erſtes Bud). nk 


us, Menon's Soldat habe Unrecht und fchlug ihn. Der 
Soldat ging zu feinen Kameraden und beſchwerte ſich bei ihnen. 
Diefe wurden hierüber entrüftet und auf Klearchus erbost. 
An demfelhen Zage noch Fam Klearchus von der Beſichtigung 
ber Weberfahrt und des Marktes, und wollte mit einem Blei 
nen Gefolge zwiichen den Zelten von Menon's Leuten hin⸗ 
reiten. Cyrus war noch nicht da, fondern erft im Anzuge 
begriffen. Als nun Einer von Diefen, der eben Holz fpal« 
tete, Klearchus vorbeireiten fah, warf er die Art nad) ihm, 
verfehlte ihn jedoch. Da warf ein Anderer einen Stein nad) 
ihm, dann nod) Einer, und endlich, als Lärm wurde, nod) 
Mehrere. Er floh. in fein Lager und rief ſogleich zu den 
Waffen; die Hopliten hieß er fchlagfertig zurückbleiben. Er 
felbft 308 mit den Thraciern und den Reitern, deren in feis 
nem Heere über vierzig, meiftens gleichfalls Thracier, was 
ren, auf Menon’s Leute los; worüber Diefe und felbft Menon 
erfchraten und zu den Waffen Tiefen. Die Andern flanden 
da, und wußten ins Augenblic nicht, was fie weiter Chun 
foliten. Proxenus aber, der mit feiner Abtheilung von Ho⸗ 
pliten zufällig erft anfam, warf fich fogleich mie ihnen zwi⸗ 
fchen beide Parteien, und bat, fchlagfertig, wie er war, Kles 
arch, von feinem Vorhaben abzuflehen. Diefer, unwillig bars 
über, daß, da er doch beinahe wäre gefteinigt worden, Pros 
xenus die ihm angethane Unbill für gar Nichts achten wollte, 
und befahl ihm, ſich zu entfernen. Indeſſen Fam Eyrus her⸗ 
an, und ritt, fobald er den Vorfall ekfuhr, mit den Wurf: 
fpießen in den Händen, an der Spitze feiner Vertrauten dazwi⸗ 
fhen umd rief: „Klearchus, Proxenus und Ihr übrigen anwes 
fenden Hellenen, Ihr bedenkt nicht, was Ihr thut. Wenn 


[4 


= 








7456 RXenophon's Feldzug des jüngern Cyrus. 


Ihr Euch unter einander ſelbſt bekriegt, fo iſt es noch an 
demſelben Tag um mich geſchehen, und nicht viel ſpäter anch 
um Euch; denn alle die Barbaren, die Ihr vor Euch habt, 
fallen, wenn wir nicht feſt zuſammenhalten, über uns her, 
Pi werden uns gefährlichere Feinde, als felbft des Könige 
eer.“ 
Auf dieſe Einrede ging Klearchus in ſich; beide Theile 
gaben ſich zufrie den, und legten die Waffen nieder. 
6. Als ſie von hier weiter rückten, fand ſich Huffchlag 
"und Mift von etwa zweitaufend Pferden. Diefe waren vor 
ihnen hergezogen und hatten Alles verheert und verbrannt. 
Hier war ed, wo der Perſer Drontas, -ein Verwandter des 
königlichen Haufes, der unter feinen Landsleuten für einen 
der beften Krieger galt, und früher einmal gegen Eyrus ge= 
fochten, aber fich wieder mit ihm ausgefähnt hatte, Diefen zu 
verrathen ſuchte. Er erbot fih nämlich, mit taufend Pferden 
die Reiterei, die jene Verheerung vor ihnen anrichtete, ent 
weder aus einem Hinterhalt niederzußauen, oder ‚einen Theil 
davon gefangen zu nehmen, ihnen das weitere Verwüſten zu 
wehren, und Keinen, der des Heeres von Cyrus anfichtig 
würde, dem König Nachricht überbringen zu laſſen. Eyrns 
leuchtete diefer Borfchlag ein, und er ward von ihm ermäch- 
tigt, ſich von jedem der Sinführer eine Anzahl Pferde geben 
zu Taffen. 
Als nun Drontas meinte, die Reiter zu feiner Verfü⸗ 
gung zu haben, ſchrieb er an den König, daß er fo viele 
Meiter, als ihm ner immer möglid, wäre, ihm zuführen 
würde; er folle den Seinigen Befehl geben, ihn als Freund 
aufzunehmen ; auch erinnerte er ihn feiner frühern Ergebenheit 


N " \ 


Erſtes Buch. ee 77; 


und Treue. Diefen Brief übergab er einem, wie er glaubte, 
auverläffigen Manne; Diefer aber händigte ihn dem Cyrus ein. 
Nach Durdylefung deſſelben Tieß Cyrus den Drontad gefangen 
nehmen, und befchied fieben der vornehmſten Perfer in ſei⸗ 
sem. Lager zu fich in's Zeitz den Helleniſchen Anführern aber 
befahl er, mit Hopliten vor feinem Zelte aufzuziehen. Sie 
kamen mit dreitaufend Mann. Den Klearchus, der ihm und 
den Andern in dem größten Anſehen unter den Hellenen zu 
fliehen fchien, vief er in’s Zelt, um an den Berathungen Theil 
zu nehmen. Da er wieder herauskam, berichtete ev feinen 
Freunden das über Orontas gehaltene Kriegsgericht, aus dem 
man Fein Geheimniß machte. CEyrus hielt, fagte er, an die 
Berfammelten folgenden Vortrag: 

„Ich habe Euch berufen, meine Freunde, um mich in 
Gemeinſchaft mit Euch zu berathen, wie ich auf die vor 
Gott und den Menſchen gerechteſte Weiſe mit dieſem Oron⸗ 
tas hier verfahren ſoll. Als er, wie er ſelbſt ſagte, auf Au⸗ 
trieb meines Bruders die Waffen gegen mich ergriffen und 
fi) der Burg in Sardes bemächtigt hatte, brachte ich ihn 
endlich durch Gewalt der Waffen dahin, daß er für gut fand, 
vom Kampfe abzuftehen, und wir beflegelten durch Handſchlag 
gegenfeitig denTFrieden. „Habe ich dich, Drontas, nachher,‘ 
fragte er ihn, „auf irgend eine Weife beleidigt 27 — „Nein,“ 
war feine Antwort. — „Haſt du nicht," fuhr Cyrus fort, 
„nachdem du, ohne von mir befeidige zu fegn, zu den My⸗ 
fiern *) bgefall en warft, mein Zand auf jebe Meife beunruhigt ? 





” Eine wotherſchaft in Kleinaſien, die fü ch ſtets von der Herr⸗ 
s ſchaft der Perfer unabhängig zu erhalten firebte, 


745 Xenophon's Feldzug des jüngern Cyrus. 


Drontas bejahte es. „Biſt du nicht, als’ du deine Ohnmacht 
fühlteſt, zum Altare der Artemis geflohen, und haft dort dein 
Vergehen reuig bekannt, mir Treue zugefchworen und dir 
von mir fchwdren laſſen?“ Auch Dieß bejahte Drontas. 
Womit hatte ich ed nun verfchuidet,‘ fragte Cyrus, „daß 
du zum: dritten Mal gegen mid) zum Verräther werden wolls 
teſt?“ Als Orontas antwortete, er habe es durch Nichts 
verſchuldet, fo fragte er ihn: „Du befenneft aljo, daß du 
trenlos gegen mid) gehandelt haſt?“ Drontas: „Ja ich muß 
es freilich.“ — „Würdeſt du wohl noch,“ fragte ihn Cyrus 
endlich, „gegen meinen Bruder mir treu ſeyn?“ — Wenn 
ich's auch wollte,“ autwortete er, „ſo würdeſt du mich doch 
nie mehr dafür halten.“ 

Hierauf wandte ſich Cyrus an die Anweſenden: „Das 
Alles hat der Mann gethan, das Alles bekennt er. Du, 
Klearchus, ſage zuerſt deine Meinung. Klearchus antwor⸗ 
tete: „Ich rathe dir, den Mann, ſobald wie möglich, un⸗ 
ſchaͤdlich zu machen, damit wir uns nicht mehr vor ihm zu 
hüten haben, und die Zeit, die wir auf Dieſen verwenden 
müßten, lieber dazu verwenden, Denen Gutes zu thun, die 
aus Neigung unfere Freunde ſind.“ Dieſer Meinung ſeyen 
dann auch die Uebrigen beigetreten. Hierauf ftanden Alle, 
auch feine Verwandten, auf, und faßten ihn-auf Eyrus Be⸗ 
fehl, zum Zeichen der Verurtheilung, am Gürtel; und Die, 
denen es aufgetragen war, führten ihn hinaus. Als ihn Dies 
jenigen erblidten, die ihm früher ihre Ehrerbietung bezeug⸗ 
ten, fielen fie auch jetzt noch vor ihm nieder, obgleich fie wuß⸗ 
ten, daß er zum Tode geführt wurde. Nachdem man ihn in 
das Zelt des Artapatas gebracht hatte, der unter den Zepterträs 


Erftes Buch. i 749 


gern *) des Enrus Vertrautefter war, warb er nachher nie⸗ 
mals, weder Tebendig noch todt, gefehen; auch konnte Nies 
mand mit Gewißheit fagen, wie er umgefommens **) man 
war darüber verfchiedener Meinung; fein Grab hat gleichfalls 
Reine jemals gefehen. 

. Bon hier 309 Eyras in drei Zagmärfchen,. zwölf Da: 
cafangen, durch Babplonien. Am dritten Tage mufterte er 
anf freiem Felde um Mitternacht Hellenen und Barbaren; 
denn er glaubte, der König werde mit anbredendem Morgen 
ihm eine Schlacht anbieten. Klearchus mußte den rechten, 
Menon den linken Flügel befehligen ; er ſelbſt führte die Seis 
nigen an. 

Mach beendigter Muferung famen mit Anbruch des Ta⸗ 
ges Ueberlänfer vom großen Könige, und brachten dem Tyrus 
Nachricht vom feindlichen Heere. Auf deren Bericht berief 
Eyrud die Heerführer und Hauptleute des NHellenenheers zu 
ſich, und munterte fie durch foldende Rede auf: 

„Helleniſche Frennde, nidyt aus Mangel an einheimifchem 
Kriegsvort führe ich Euch. als Mitftreiter hieher, fondern 
weil ich Euch für beffer und tapferer als viele Zanfende von 
Darbaren hate. Darum beweifet Euch nun ald Männer, 
würdig der Freiheit, die Ihr befist, und um derenwillen ich 
Euch glücklich preife; denn feyd überzeugt, daß ich fie Allem, 
was id) befige, und noch viel Mehrerem vorziehen würde. 
Sp vernehmt denn von mir, der id) Deffen kundig bin, wel- 
dyer Kampf Euch erwartet. Die Anzahl der Yeinde ift aroß, 
*) Verſchnittene von der Leibwache, welche Zepter trugen, 


I Nach einer Stelle in Herodot (VII, 114) laͤßt fich vermu⸗ 
then, daß Orontas im Zelte lebendig begraben wurde, . 





- 


50 Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus. 


und unter großem Geſchrei gefchieht ihr Angriff. Haltet Ihr 
nur Diefen aus, fo werdet Ihr, fast. ſchaͤm' ich mich's zu fas 
gen, bald finden, welche Leute Ihr vor Euch habt. Beweist 
Ihr Euch ald Männer, die kühnen Muth befigen, fo will ich 
Euch, wenn Ihr nad Haufe Eehret, fo bedenfen, daß Eure 
Mitbürger Euch beneiden, Viele von Euchjaber, der Heimath 
vergeffend, bei mir zu bleiben vorziehn ſollen.“ 

Da trat ein Verbannter aus Samos, mit Namen Gau⸗ 
lites, ein treuer Anhänger des Cyrus, vor, und entgegnete 
ihm: „Es fagen Biele, o Cyrus, daß du im Drange nahender 
Gefahr Großes verſprecheſt, im Glücke aber deiner Verhei⸗ 
ßungen nicht weiter gedenken werdeſt; Andere meinen, daB 
du, wenn du fpäter das Andenten daran und den Willen hät: 
teft, nicht. im Stande feyn würdeſt, alles Das, Iwas bu une 
verheißen, in Erfüllung zu bringen.‘ 

Eyras-erwiederte: „Mein väterliches Reid) erſtreat ſich 
gegen Mittag bie dahin, wo man vor Hitze, und gegen Mit⸗ 
ternacht, wo man vor Kälte nicht wohnen kann. Alles, was 
in der Mitte Liegt, fleht unter Satrapen, die meinem Bru⸗ 
der befreundet find; flegen wir, fo folet Ihr, als meine 
Freunde, an deren Stelle treten. Daher fürchte ich nicht, 
daß es mir an Mitteln fehlen werde, alle meine Sreunde zu 
befohnen, wohl aber au Freunden, die deſſen würdig find. Je⸗ 
dem von Euch, Hellenen, ſchenke ich überdieß eine goldene 
Krone. 

Ars fie Solches hörten, wurden fie Alle noch bereitwilli⸗ 
ger, und verkündeten es den Uebrigen. Da Famen denn andy 
noch andere Helleuen vor ihn, unb begehrten von ihm zu er= 
fahren, Was fie zu hoffen hätten, wenn fie fliegen würden, 


' Erſtes Bud). 751 


Cyrus entließ Alle mit den fchönften Hoffnungen. Alle, wel⸗ 
de mit ihm ſprachen, forderten ihm auf, nicht perfönlichen 
Antheil am Kampfe zu nehmen, fondern fid hinter ihren 
Reihen zu halten. „Glaubſt du wirklich, Cyhrus,“ fragte ihn 
Klearchus bei diefer Gelegenheit, „daß dein Bruder es zur 
Schlacht kommen läßt?’ — ‚Bei den Göttern,“ entgegnete 
Eyrus: ‚er müßte fein Sohn des Darius und der Parpfatis, 
noch mein Bruder feyn, wenn ic) dieß Altes ohne Schwerte 
flreich in meine Gewalt befommen follte.‘‘ 

Das Heer wurde nun unter dem Gewehre nochmale ge⸗ 
zählt. Die Hellenen befanden aus zehntaufend vierhunder - 
Hopliten, *) zweitaufend fünfhundert Peltaften; der Barba⸗ 
ren waren ed hunderttaufend Mann, nebſt zwanzig Sichelwa⸗ 
gen. Die Zahl der Feinde dagegen belief fid,, wie man hörte, 
anf eine Million zweimal hunderttaufend Mann, nebſt zweihun: 
dert Sichelmagen, and weiteren fechstaufend Mann Reiterei, 
die unter den Befehlen des Artagerfed vor dem Könige felbft 
aufgeftellt waren. Das königliche Heer fand unter vier Feld⸗ 
herren, Abrokomas, Ziffaphernes, Gobryas, Arbaces, von de: 
nen Jeder dreimal bunderttaufend Mann befehligte. Won 
Diefen waren nur neunmal hundertiaufend Mann nebft hun 
dert und fünfzig Sichelwagen im Treffen; Abrokomas traf 


+) Hier gibt Kenophon wahrſcheinlich blos die Anzahı Derer an, 
die unmittelbaren Antheil am Zreffen nahmen, ohne Dieje- 
nigen mitzurechnen, die zur Dedung bed Gepaͤckes zuruͤckblei⸗ 
ben mußten; auch mochten bei dem langen, befchwerlichen 
Zuge Biele in Abgang gefommen feyn. Die vierhundert 
weiteren Peltaften aber wurden entweder aus den Hopliten 
genommen, oder waren die von Abrokomas Übergegangenen 
nicht Hopliten, fondern Peltaſten. 


752 Xenophon’s Feldzug des jüngern Eyrus. 


erft fünf Tage nach der Schlacht aus Phönicien ein. Dieß 
binterbrachten dem Cyrus noch vor der Schlacht Weberläufer 
vom Heere des großen Königs; auch ward es nadı dem Tref: 
fen von den Gefangenen beftätigt. 


Eyrus rüdte nım einen Zagmarfch, drei PDarafangen, 


mit dem eigenen und dem KHellenifchen Heere in Schlachtord⸗ 
nung vor, weil er glaubte, daß der König fidy noch an dem⸗ 
felben Zage fchlagen würde; denn auf der Hälfte des Zuges 
ftieß man auf einen tiefen Graben, von fünf Klaftern Breite 
und drei Klaftern Tiefe. Er Tief landeinwärts über die 
Ebene, zwölf Parafangen weit, bie an die Medifche Mauer. *) 
_ Hier find die Kandle, die aus dem Tigris kommen; es find 
vier, ein Plethron breit, und von foldyer Tiefe, daß fie von 
Kornfchiffen befahren werden; fle ergießen fi in den Eu⸗ 
phrat, eine Parafange weit von einander, und es gehen Brüden 
über fie. Am Euphrat war zwifchen dem Fluß und dem 
Graben ein fchmaler Durchgang, etwa zwanzig Fuß breit. 
Den Graben hatte der große König auf die Nachricht von 
Cyrus Anzug als Schubwehr anlegen laffen, Dutch biefen 
Daß z09 Cyhrus mit dem Heere und betam fo den Graben 
hinter fih. An diefem Tag ließ fid) der König in kein Tref- 
fen ein, und man fah an den Fußſtapfen von Pferden und 
Menfchen, daß er ſich zurückzog. Da ließ Eyrus den Wahr; 
fager Silanus aus Ambrakia **) zu fich rufen, und gab ihm 
dreitaufend Darifen, weil er ihm eilf Zage vorher bei’m 


+, Eine von den Babyloniern gegen die Einfälle der Meder zwi- 
ſchen dem Euphrat und dem Tigris errichtete Schugmaner. 

**) ae Stadt in Epirus, an dem nach ihr genannten Meer⸗ 
ufen. 





— — — — we ———— — — —— ne ü 


x * 


Erſtes Buch. 753 


Dpfer gefagt hatte, der König würde ſich binnen zehn Tagen 
noch nicht fchlagen. Eyrus hatte dagegen behanptet: „er wird 
fih gar nicht fehlagen, wenn er ſich nicht in zehn Tagen 
fehlägt; wenn deine Weiffagung eintrifft, gebe ich dir zehn 
Talente. Diefe Summe zahlte er ihm jest; denn die zehn 
Tage waren verfloffen. Als Eyrus aber mit dem Heer an 
dem Graben feinen Widerfland fand, ſchloß er und Aue, daß 
der König e8 nicht zum Treffen Eommen Iaffen wolle, fo daß 
man fihon am folgenden Tage mit geringerer Vorſicht vor: 
rücte. Am dritten Tage machte er fogar den Weg zu Was 
gen, und hatte nur wenige gerüftete Mannſchaft vor fidh her. 
Der größte Theil zog ohne Ordnung einher ; und viele Sol⸗ 
daten -ließen fidy fogar ihre Waffen auf den 1 Wagen und Laſt⸗ 
thieren nachführen. 

8. Schon fand die Sonne hoch am Himmel und ber 
Drt, wo man lagern wollte, war nicht mehr fern, als der 
Perſer Pategyas, ein Dertrauter des Eyrus, auf ſchwitzendem 
Hoffe danergefprengt Fam, und Alten, auf die er fließ, auf 
Perſiſch und Helleniſch zurief, daß der König mit einem gro⸗ 
gen Heere in Schlachtordnung im Anzuge begriffen fey. Da 
ging es nun gewaltig durch einander, und Hellenen und Bars 
baren glaubten, daß er fie in ihrer Unordnung überfalien wür⸗ 
de. Cyrus fprang ſogleich vom Wagen, warf ſich in den Har⸗ 
niſch, ſchwang ſich aufs Pferd, ergriff die Wurfſpieße und 
befahl allen Andern, fih zu waffnen und fid) auf ihre Poften 
zu begeben. Dieß geſchah in größter Eile: Klearchus lehnte 
fidy mit dem rechten Flügel an den Euphrat; nächſt ihm bes 

fehligte Prorenus, und fo der Reihe nach die übrigen Anfühs 
rer; Menon aber bildete mit feinem Heerhaufen den linken Fluͤ⸗ 

Kenophen, 6 Bin _ 4 





754 RXenophon's Feldzug des jüngern Cyrus. 


del des Hellenifchen Heeres. Don den Barbaren ftauben ges 
gen taufend Paphlagonifche Reiter nebft deu Hellenifchen Pels 
taſten auf dem rechten Flügel des Klearchus. Auf dem lin⸗ 
Ben fand Ariäus, ein Unterbefehlöhaber des Cyrus, mit deu 
andern Barbaren. Im Mitteitrefen befand fi; Cyrus mit 
ſechshundert Reitern, die Alte mit großen Panzern, Beins 
harnifchen und Helmen bewehrt waren. Cyrus aber erwar⸗ 
tete mit unbehelmtem Haupt den Kampf, fo wie überhaupt 
die Perfer mit unbewehrtem Haupt in den Kampf gehen 
follen, Alle Pferde beim Heere des Cyrus haften Schilde 
auf Stirn und Bruſt, und die Reiter führten Hellenifche 
Schwerter. 

Schon war es Mittag und noch immer wollte ſich Fein 
Feind fehen laffen. Nachmittags aber gewahrte man eine 
weiße Staubwolke, die nicht lange darauf in ein ungewiffes 
Dunkel überging., und die ganze Fläche einnahm. Als fie 
näher kamen, ſchimmerte das Erz; man erkannte nun deute 
lid) die Zangen, und konnte die Glieder unterfcheiden. Dem 
linken Flügel der Zeinde bildeten Reiter in weißen Panzern, 
welche, wie es hieß, Ziffaphernes befehligte; nächft Dieſen 
kamen Truppen mit geflechtenen Schilden, an welche fidy 
Schwerbewafinete mit hölzernen Schilden reihten, bie bis 
zum- Kuöchel reichten, dem Vernehmen nad) Aegyptier. Dann 
Samen wieder Reiter, und auf Diefe Bogenſchützen. Alle wa⸗ 
ven ach ihren verfchtedenen Volkerſchaften geſtellt, und zo⸗ 
den in gefchloffenen Bierecken auf. Bor ihnen fuhren in 
weiten Swoifchenräumen die fogenannten Sichelmagen. Die 
Sicheln flauden an den Achſen hervor , und waren unter den 
Wagenſitzen erdwaͤrts gebogen, fo: daß fie Alles zerfchwitten, 


Erftes Buch. | „55 


was fie erreichten. Man hatte die Abſicht, mittelſt ihrer die 
Hellenifhen Schlachtreihen zu brechen. Was Corus in feis 
ner Rede an die verfammelfen Hellenen fagte, fle follten nur 
das Geſchrei der Barbaren aushalten, erfolgte nicht; denn 
fie kamen nicht mit Gefchrei, fondern in möglichſter Stille in 
gleichem, laugſamem Schritte herangezogen. Während Deſſen 

‚rise Cyrus mit feinen Dolmetfcher Pigres und brei oder vier 
Andern vorüber, und rief dem Klearchus zu, er folfe mit ſei⸗ 
nen Leuten auf das Mitteltreffen der Feinde einbrechen, weil 
dort der König fich befinde. „Wenn wir dort fiegen,’' fprady 
er, „fo ift Ülles gewonnen.’ Ob nun gleich Klearchus die 
feindliche Reiterei in der Mitte fah, und von Cyrus hörte, 
daß der König weit außerhalb des Tinten Flügels der Helles 
nen fiche — denn er war dem Cyrus fo fehr an Menge 
überkegen, daß er fehon mit dem Mittelpunft feines Heeres 
die linke Flanke von Cyrus Heer überflügelte — fo wollte er 
dennoc den rechten Flügel nicht vom Fluſſe abziehen, indem 
er fürchtete, fo von beiden Seiten eingefrhloffen. zu werben; 
und antwortete dem Cyrus nur, er werde dafür forgen, daß 
Alles ont gehe. on 

Indeſſen zog das feindliche Heer in gerader Linie heran. 
Des Hellmenheer ftellte ſich nach uud nach, fo wie es eins 
rüdte, in Schlachtordnung auf. Cyrus kam in einiger Ent- 
fernung von feiner Schlachtlinie heraufgeritten, und beobach⸗ 
tete bald Freunde, bald Feinde. Als ihn der Athener Xeno⸗ 
phon erblickte, - vitt er zu. ihm heran, und fragte ihn, ob er 
no Etwas zu -befehlen hätte; Eyrus hielt an und befahl 
ihm, Allen. zu fagen, daß die Opfer einen glücktichen Erfolg 
verſprechen. In. diefem Augenblid hörte er ein Gemurmet 


756 Xenophon’d Feldzug des jingern Cyrus. 


durch die Reihen hin und fragte, was Dieß zu bedeuten 
Hätte. Xenophon fagte ihm, es: gehe die zweite Loſung *) 
herum, Cyrus fragte verwundert, Wer fle ertheile, und wie 
ſie heiße? „Zeus der Retter und Sieg!’ war Deſſen 
Antwort. „Wohl denn,“ fprach Eyrus, „das ſoll fie ſeyn!“ 
und riet auf feinen Standort ab; und nitht volle vier Sta⸗ 
dien waren beide Schlachtlinien mehr von einander, da erho⸗ 
ben die Hellenen ihren Schlachtgefang und vüdten auf die 
Feinde los. Als durch das fehnelle Vorbringen die Linie eine - 
Bengung bekam, fo Samen die Andern, um nicht zurüdzubleis 
ben, in Lauf; während fie num Ale im Sturmfchritt dahin- 
rannten, erhoben fie dad Gefchrei, das dem Kriegsgott gilt, 
indem fle.aud, wie Einige fagen, um die Pferde fühen zu 
machen, mit den Lanzen an bie Schilde ſchlugen. Bevor man 
aber noch in Schußweite Fam, wandte ſich die feindliche Rei- 
ferei und floh. Die Hellenen verfolgten fle aus allen Kräf⸗ 
ten, indem fle einander zuriefen, nicht im Laufe, fondern ge: 
fchloffen, ihnen nacyzufegen. Die Sichelwagen vannten nım 
ohne Lenker theils durch die Feinde ſelbſt, theild aber aud) 
- purch die Hellenen. Diefe machten, fobatd fie folhe fommen 
fahen, Bahnz es ward zwar hier und da Einer überholt, 
wenn er, wie es oft beim Wagenrennen geht, in der Beſtür⸗ 
zung nicht eilig genug war; doch hörte man nicht, daß Einer 
dabei Schaden genommen hätte. Auch war überhdupt Fein 


+) Die Hellenifchen und Nbmifchen Feldherrn pflegten der Si⸗ 
cherheit wegen häufig mit dev Loſung zu wechfeln; befonders 
geſchah Dieb ummitteldar vor der Schlacht, wo die legte Kor 
fung jedesmal in einem gluͤckweiſſagenden Ausdruck beftand. 





Erſtes Bud). 797° 


Hellene, Einen auf dem Tinten Flügel ausgenommen, der ei 
nen Pfeitfchuß erhielt, befchädigt worden. 

As Cyrus fah, daß die Hellenen ihrerfeits flegten, und 
den entgegenftehenden Feind verfolgten, war er hocherfrent, 
und wurde von feiner Umgebung bereits als König begrüßt; 
fieß fih aber aud fo nicht vermögen, an der Verfolgung 
Theil zunehmen, fondern hielt feine fechehundert Reiter beis 
fammen, und beobachtete: die Bewegungen des Königs, der, 
wie er wußte, fih im Mitteltveffen des feindlichen Hee⸗ 
res befand. Auch die übrigen Anführer der Barbaren was - 
ren im Mittelpunft ihres Treffens, weil fie fich dort am 
fiherften glaubten, wenn fie ihre Macht zu beiden Seiten 
hätten, und von da auf dem Eürzeften Wege ihren Leuten 
die nöthigen Befehle ertheilen Eönnten. Obgleich nun der 
König im Mitteltreffen war, fo veichte diefes doch über dei 
linken Flügel des Cyrus hinaus. Da er nun Beinen Feind 
vor ſich fand, der ihn oder die vor ihm flehende Schaar an- 
gegriffen Hätte, fo machte er eine Schwenfung, um den 
Feind einzufchließen. Als Cyrus Dieb gewahrte, mußte er 
befürchten, daß er den Hellenen in den Rüden fallen und fie 
fo zu Schanden hauen würde, und brach jebt mit feinen 
fechshundert Reitern auf die Feinde ein, warf Alles nieder, 
was vor dem Könige ftand, fchlug die fechstanfend Reiter in 
die Flucht, und foll mit eigener Hand ihren Anführer Arta⸗ 
gerfes niedergemacht haben, 

Hierauf zerftrenten ſich in der Hibe des, Verfolgend auch 
die Sechshundert des Eyrus, und nur fehr Wenige, faſt 
nur feine Tifchgenoffen, waren um ihn geblieben. Da er: 
bfidte er den König unter feinem Gefolge, bielt fi nicht 





58 Kenophon’d Feldzug des jüngern Cyrus. 


Känger, ſondern fprengte mit dem Rufe: Ich fehe ihn! anf 
Artarerres los, und verwundete ihn mit einem Stoße durch 
den Panzer auf die Bruft, wie der Arzt Kteflas, der feiner 
Ausſage nach die Wunde geheilt Hat, verfiihert. 

Während dieſes Stoßed traf Einer mit aller Gewalt 
den Eyrus mit einem Wurffpieß unter das Auge. Wie Viele 
bei dieſem Kampfe der Brüder und ihrer Gefolge von Bönig: 
licher Seite blieben, berichtet Ktefiad, der ſich bei’m Könige 
befand. WUndererfeits fiel Cyrus, und acht feiner vornehmſten 
Freunde lagen über ihm. Artapates aber, der trenefte unter 
feinen Zepterträgern, foll, ald er Cyrus falfen ſah, vom 
Pferde gefprungen ſeyn und ſich über ihn hingemorfen ha: 
ben. Hier ward er, wie Einige behaupten, auf Befehl des 
Könige getödtet; nad Andern ftieß er über dem Leichnam 
dee Eyrus ſich das Perfifche Schwert in die Bruftz es war 
Son Gold; aud) trug er Halskette, Armbänder und dergleis 
hen Schmud, wie der vornehmften Perſer Einer; denn er 
hatte wegen feiner Auhänglichkeit und Zreue bei Eyrus in 
hoher Gunſt geflanden. 

9 Ein folhes Ende nahm Cyrus, nad) dem einftimmi- 
gen Urtheil Derer, die ihn Fannten, feit Eyrus, dem Xel: 
tern, unter allen Perfern der Würdigfte, ein Diadem zu fra 
gen. Schon ald Knabe, da er mit feinem Bruder und den 
andern Knaben erzogen ward, hatte er es in jeder Hinficht 
Allen zuvorgethan. Die Kinder der Perfifchen Großen nam: 
‚ Ti) werden am Hofe erzogen, wo fie -Selegenheit haben, ihz 
ven Geiſt zu bilden, und nichts Unanftändiges zu hören noch 
zu fehen bekommen. Sie fehen und hören es and), wenn 
Einer vom Könige ausgezeichnet, oder mit Schimpf belegt 


— 


Erſtes Buch. 759 


wird, ſo daß ſie gleich von Kindheit an die Kunſt zu befeh⸗ 
len und zu gehorchen lernen. Hier zeichnete ſich Cyrus vor 
allen ſeinen Geſpielen durch ein ſittſames, beſcheidenes Be⸗ 
tragen aus, und bewies gegen Aeltere mehr Folgſamkeit als 
Andere, die unter ſeinem Stande waren. Er ſaß gerne zu 
Pferd, und wußte auch ſehr gut mit Pferden umzugehen; 
auch in Eriegerifchen Künften, dem Bogenfchießen und Wurf⸗ 
fpießwerfen,, zeigfe er die größte Gelehrigkeit und Fertigkeit. 
Als es: fein veiferes Alter erlaubte, war er ein leidenfchaftli» 
her Jagdliebhaber, und bewies dabei den Pühnften Muth. 
Einft, da ein Bär auf ihm loskam, nahm er nidyt die Flucht, 
fondern ‚feste fidy zur Wehr, und ob ihn diefer gleich vom 
Dferde riß und ihm einige Wunden beibracdhte, wovon er nod) 
fihtbare Narben trug, erlegte er ihn doch, und verfeste 
Den, der ihm zuerft zu Hülfe Bam, in beneidenswerthe Glücks⸗ 
umſtaͤnde. 

Da er von feinem Vater zum Satrapen über Lydien, 
Großphrygien und Cappadocien, und zum Oberbefehlshaber 
über Alle geſetzt ward, die ſich zur Muſterung in der Kaſto— 
liſchen Ebene verfammeln mußten, fo zeigte er durch die 
That, wie viel es ihm gelte, bei Bündniffen, Verträgen und 
Zufagen aufs pünktlichfle einzuhalten. Daher febten auch 
die ihm untergebenen Städte das vollfte Vertrauen auf ihn; 
auch Einzelne, felbft Feinde, beforgten Nichts von ihm, fo 
wie er einmal ſich mit ihnen verglichen hatte, 

Aus diefem Grunde traten alle Städte, da er wider 
Tiffaphernes zu Felde ging, zu Eyrus über, die Milefier 
ansgenommenz; Diefe fürchteten ihn, da er die Sache der 
Vertriebenen nicht aufgeben wollte ; denn er erklärte und be- 


- * 


760 RXenophon's Feldzug des juͤngern Cyrus. 


wies es durch die That, daß er, einmal ihr Freund gewor⸗ 
den, und wenn Ihrer auch weniger würden, oder ihre Lage 
fchlimmer wäre, ihnen nie entfliehen würde. Sichtlich ftrebte 
er, ſowohl Dem, der ihm Gutes erwielen, ald Dem, der ihr 
befeidigt hatte, im Webermaß zu vergelten, und äußerte, wie 
@inige fagen, einmal den Wunfch, nur fo lange zu eben, 
bis er e8 Freunden und Feinden durch Wiedervergeltung zu= 
vorgethan hätte. In unfern Tagen ift er daher wohl der 
einzige Mann, für den fo viele Menfchen Schäge, Vaterland 
und felbft ihr Leben bereitwillig dahingegeben hätten. 

Doc konnte auch Keiner fagen, daß er fi von Ders 
feumdern und Böſewichtern zum Beften haben ließ; im Gegen⸗ 
theit, feine Rache wer fdhonungslos. Oft fah man auf offe- 
ner Straße Menfchen ohne Hände, Füße uud Augen; Dieß 
hatte zur Folge, daß in feinem Gebiete, Hellenen und Barbaren, 
wenn fie ſich Nichts zu Schulden fommen ließen, mit Hab und 
But, wohin fie wollten, unangefochten verßehren konnten. Maͤn⸗ 
nern von Tapferkeit erwies er, wie allgemein bekannt ift, befon= 
dere Auszeichnung. Sein erfter Feldzug galt den Piflden und 
Myfieın; da er nun ſelbſt mitzog, und fo Gelegenheit hatte, 
zu fehen, Wer Muth und Kühnheit befaß, fehte er Diefe als 
Statthalter über die eroberten Landſchaften, und zeichnete 
fie noch durch andere Gunftbezeugungen aus, fo daß man die 
Zapfern bei ihm ihr Glück madhen, die Feigen aber ihnen 
untergeben fah. Daher fanden ſich auch eine Menge kühner 
Üdenteurer bei ihm ein, die unter feinen Augen dienen wollten, 

. Sah er, daß Einer den Ruf der Uneigennügigßeit und 
Mechtlichkeit au behaupten ftrebte, fo fuchte er ihm auf jede 
Weife in Rückſicht feines Vermögens über Diejenigen zu ers 


De nn — —7— 


— 


Erſtes Buch. 761 


heben, die ſich durch ungerechte Mittel bereichern wollten. 
Sp ging nicht nur in der Verwaltung feines Landes Alles 
anf ehrenhaftem Fuß, fondern er hatte aud) ein Heer, auf 
das er fich verlaffen Eonnte. Denn hohe und niedre Krieges 
befehlshaber kamen an feinen Hof, um in feine Dienfte zu 
treten, nicht fowohl des Geldes wegen, als weil fie unter 
Eyrus zu dienen fchon für größeren Vortheil hielten, als des 
nipnatlichen Soldes wegen. Auch ließ er, wenn man in andern 
Dingen feinen Willen zu vollfireden wußte, ſolchen Eifer nie 
unbelohnt, und hatte deshatb zu jedem Gefchäfte die willig: 
ften und thätigften Leute. Wenn er einen tüchtigen Wirth: 
fchafter hatte, der das Land, über das er gefebt war, in 
Aufnahme brachte und dabei auf rechtlichem Wege feinen 
MWontftand verbefferte, fo entzog er ihm nichts, fondern gab ihm 
noch mehr dazu. Dieß machte Luft; man verbefferte getroſt 
feinen Erwerb, und fuchte ihn vor Eyrus nicht geheim zu 
halten ; denn man wußte von ihm, daß er Keinen beneidete, 
der feinen Reichthum offen fehen Tieß, Denen aber auf jede 
Weife die Flügel befchnitt, die damit hinter dem Berge hiels 
ten. So Viele er ſich zu Sreunden machte, deren Ergebens 
heit und Tüchtigkeit für feine etwaigen Unternehmungen er 
erprobte, Denen fuchte er, wie Alle einftimmig geftehen, auf 
jede Urt gefällig zu werden. Denn wie er fih für feine 
Zwecke des Beiftandes feiner Freunde verfah, fo ſuchte er 
feinerfeitö Denfelben, in Befriedigung ihrer Wünfche, jegli⸗ 
chen Vorſchub zu leiſten. Niemand bekam aus mancherlei 
Veranlaſſungen ſo viele Geſchenke wie er; er ließ ſie aber 
meiſtens ſeinen Freunden mit Rückſicht auf ihren beſondern 
Geſchmack und ihre eigenthümlichen Bedürfniſſe zu gute kom⸗ 


"62 Xenophon’d Feldzug des jüngern Cyrus. 


men. Bon dem Waffenſchmuck und dem Kleiderpus, den er 
erhielt, äußerte er, er könne die fchönen Sachen alle nicht zu 
eigener Bierde gebrauchen; des Mannes fchönfter Schmud aber 
fey, feine Freunde zu ſchmücken. Daß er im Wohlthun, bei 
bedentendern Mitteln, feine Freunde übertraf, ift weniger zu - 
verwundern, als es ihm Ehre brachte, daß er es. ihnen auch 
in zuvorfommender Aufmerkfamkeit und dem Eifer, ihnen zu 
Gefallen zu leben, zuvorthat. Dft ſandte er ihnen halbe Fäß: 
chen Wein, wenn er befonders Lieblicdyen befam, und ließ fa: 
gen, fchon Lange her hätte er Keinen fo trefflichen über den 
Mund gebradht: „Cyrus fendet ihn dir, damif du ihn mit 
Denen, die du lieb Haft, trinken magſt; “ — oft halbe Gänfe, 
halbe Brode und dergleichen mehr, wobei er durdy den Ue⸗ 
berbringer fagen Tieß: „bein Cyrus, dem ed gemundet bat, 
wünſcht, den Genuß mit dir zu theilen.“ Wenn ed an Fut⸗ 
ter gebrach, weldyes er bei feiner Fürforge und der Menge 
von Dienern noch am beften auftreiben konnte, ließ er feinen 
Freunden Davon bringen, um es ihren Pferden vorzumer- 
fen, „damit diefe, wenn fie feine Freunde frügen, nicht huns 
gern dürften.‘ Während der Reife rief er, wo er erwarten 
Eorinte, von Dielen beobachtet: zu werden, feine Freunde zu 
ſich heran, und beſprach fidy mit ihnen über ernfthafte Ge: 
senftände, damit man fehen möchte, Wen er in Ehren hal—⸗ 
te: Dem zu Folge, was ich gehört habe, ward wohl nie- 
Semand von fo vielen Hellenen und Barbaren geliebt. -Ein 
Beweis hiefür ift aud) der Umftand, daß von ihm, dem Va⸗ 
falten, Niemand zum Könige abfiel. Nur Drontas machte 
den-Derfuch; und auch Diefer, den der König für feinen ‚Ges 
freuen bielf, zeigte bald genug, daß er dem Cyrus gemoge: 








Erſtes Buch. . 765 


ner war, als ihm. Bon dem Könige aber traten, fobald die 
‚Feindfeligteiten zwifchen ihnen ausbradhen, Viele, und zwar 
gerade die Lieblinge Deffelben, zu Eyrus über, indem fie bei 
“ihm für ihre guten Dienfte würdiger belohnt zu werden hoffe 
ten. Dafür, daß er felbft von guter Gemüthsart war, umd 
wohl zu beurtheilen wußte, Wer ed gut mit ihm meinte, 
und anf Wen er vertrauen Eonute, ſpricht auch Das, was ſich 
bei feinem Tode zutrug, laut genug. Als er fiel, farben 
alte feine Freunde und Tifchgenoffen über feiner Leiche, den 
einzigen Ariänsd ausgenommen, der auf dem linken Flügel 
die Reiterei befehligtes Diefer erfuhr nicht fobald den Tod 


des Cyrus, ald er mit dem ganzen Heere, das er befehfigte, 


die Flucht ergriff. 

ı0. Hierauf wurden dem Eyrus der Kopf und die rechfe 
Hand abgehauen, Der König fließ beim Nachfegen auf des 
Ehrus Lager; Ariäus aber hielt mit feinen Leuten nicht mehr 
Stand, fondern floh durch Das Lager hin dem Standorte zu, 
von dem fie ausgezogen waren, und der, wie es hieß, vier 
Daranfangen entfernt war. Der König bemächtigte fich hier 
mit den Seinen nebft vieler andern Beute auch Einer der 
Beifchläferinnen des Eyrus, einer Phocderin, eines fehönen 
und klugen Weibes. Die jüngere, eine Mileflerin, ent⸗ 
floh den Verfern, die fie ergriffen hatten, nadt, unter dem 
Schuge der Griechen, die das Gepäde deckten, und, auf die 
Pluͤnderer ſich werfend, Viele tödteten; und obgleich auch fie 
einigen Verluſt erlitten, flohen fie doch nicht, fondern veftes 
ten ſowohl Diefe, ald auch was noch fonft im Lager an Habe 
und Menfchen war. 


x 





764 Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus. 


Der Königtund die Helfenen fanden ungefähr dreißig 
Stadien von einander. Die Einen verfolgfen ihre Feinde, 
als ob fie Alte beflegt hätten; die Andern plünderten drauf 
(08, als ob ihr Sieg vollftändig fey. 

Endlich erfuhren die Hellenen, daß der König das Lager 
plündere ‚und der König vernahm dagegen von Tiffapherneg, 
daß die Hellenen ihrerfeits geſiegt hätten und ihren Feind 
immer weiter verfolgten. Er fammelte daher feine Leute und 
ſtellte fiegin Schlachtordnung; Klearchus aber berieth fich mit 
Prorenus, den er rufen ließ, da er am nächften bei ihm fland, 
od man nur mit einer Abtheilung, oder dem ganzen Heer 
dem Lager zu Hülfe kommen follte. 

Indeffen fah man den König wieder anrüden, und zwar, 
wie ed fchien, von hinten. Die Hellenen wandten fld und 
hielten ficy bereit, um ihn, wenn er hier anrüden würde, 
zu empfangen. Uber der König kam diefes Weges“ nicht, fon 
dern 309 fid in derfeiben Ridytung, in der er jenfeits der 
(inten Seite des Heeres von Cyrus vorgerückt war, wieder 
zurüe, nachdem ev Die, welche während des Treffens zu den 
Hellenen übergegangen waren, nebft dem Ziffaphernes mit feis 
nem SHeerhaufen an fich gezogen hatte. Denn Diefer war 
bei dem erften Angriff nicht geflohen, fondern hatte ſich ne- 
ben dem Fluſſe auf die Hellenifchen Peltaften geworfen; die 
Helienen hatten aber dabei Beinen Mann verloren; denn fie 
Öffneten ihre "Reihen und fesfen dem Feind in der Nähe und 
aus der Ferne mit Wyrffpießen zu. Epifthenes aus Amphi⸗ 
polig *) befehfigte. fie, und fol dabei große Klugheit gezeigt 


*) Stadt in Macedonien. 


Erftes Buch. 765 


haben. Da er ſich hier im Nachtheife ſah, kehrte er nicht 
wieder um, fondern wandte fich nach dem Lager der Hellenen, 
wo er den König traf; und fo zogen fie vereint in Schlacht: 
srdnung ab, Ä 

As fie gegen den linken Flügel der Hellenen anrüdten, 
befürchteten Diefe, fie möchten fie überflügeln und in bie 
Mitte nehmen; und befchloßen daher, den Flügel fo auszu⸗ 
dehnen, daß fie den Fluß im Rücken hätten, 

Indeß fie fo berathfchlagten, wandte fich der König fchon 
gegen die Hellenen, und zwar in derfelben Stellung, in der 
er den erften Angriff gethan hatte. Als die Hellenen fahen, 
daß die Feinde ſchon nahe und in Schladhtortnung flanten, 
begannen fie den Schlachtgefang, und rüdten noch weit mu⸗ 
thiger an, als zuvor. Allein die Barbaren! erwarteten fie 
nicht, fondern flohen noch viel früher, ald das erſtemal. Die 
Hellenen verfolgten fie bis zu einem Dorfe. Hier machten 
fie Halt; denn jenfeits' deſſelben war- ein Hügel, auf dem fid) 
die königliche Schaar wieder fammelte. Fußvolk war nicht 
mehr dabei. Die Unhöhe war von lauter Reiterei bededt, fo 
daß man nicht wiffen Fonnte, was hinten vorging. Einige woll⸗ 
ten auch das königliche Panier, einen goldenen Adler auf ei. 
nem Schafte, erbliden. Als die Hellenen aud) hier vorrück⸗ 
ten, verließen die Reiter den Hügel, nicht mehr gefchaart, 
nach verfchiedenen Richtungen hin, fo daß Jener nad) und 
nach ganz von ihnen geräumt ward. Klearchus rückte nicht 
hinauf, fonderit hielt unten mit dem Heere, und fchidte den - 
Syrakuſier Lycius nebft einem Undern auf denfelben, um zu 
fehen, was hinter ihm vorginge. Lycius ging hin und brachte 
die Nachricht, daß Alles in eiliger Flucht begriffen fey. Dieß 





766 Xenophon's Feldzug des jängern Cyrus ıc. 


geſchah Eurz vor Untergang der Sonne. Nun machten die 
Helienen Halt, legten die Waffen nieder und ruhten aus. 
Indeſſen wunderten fie fih, daß Cyrus fidy nirgends- fehen 
tieß, noch auch Jemand von feinem Gefolge kam; fie wußten 
nicht, daß er todt war, fondern meinten, daß er dem Feind 
nachſetze, oder aus irgend einem andern Grunde weiter vor⸗ 
gerückt ſey; fle berathfchlagten zun, ob fie hier bleiben, und 
das Gepäde nadführen kaflen oder in's Lager zurüdfehren 
ſollten. Sie entfchloffen ih zu Letzterem und kamen zur 
Abendzett bei. ihren Zelten an. So wurde diefer Tag bes 
fihloffen. Hier fanden (ie ihre Habe, Speife und Getränfe 
zum größten Theile geplündert, Die mit Mehl und Wein. 
beiadenen Wagen, deren, wie man verficherte, vierhundert 
ſwaren, und welche Cyrus, um fle auf ben Fall eines Mans 
geis in dem Heere an die Hellenen auszutheilen, hatte nach⸗ 
fahren laflen, waren fämmtlich den Königlichen in die Hände 
gefallen. Sp mußten denn die meiften Helfenen, die auch 
nicht zu Mittag gefpeist hatten, da der König, che fie Zeit 
dazu gewonnen, erſchienen war, ohne Abendorod die Nacht 
zubriugen. 





! 


Inhalt des zweiten Bude. 


Cap. 1. Am folgenden Morgen kommen Abgeordnete von 
Ariaͤus, die fie von des Cyrus Tod, und von Aridus Flucht 
und Entſchluß, nad Jonien zurück zu ziehen, benachrichtigen. 
Klearchus ladet Ariäns in das Griegifhe Lager ein und vers 
Spricht, ihn auf. den Perfifgen Thron zu fegen., Gegen Mittag 
laͤßt ihnen der König die Waffen abfordern, und bietet. einen 
Waffenftillftand an, wenn fie fiehen bleiben; im Weigerungsfall 
droht er mit, Krieg. Die Hellenen geben einen entfchloffenen 
Beſcheid. Cap. 2. Aridus fchlägt die Krone aus; die Hellenen 
brechen in der Nacht auf und vereinigen fi mit ihm. Man 
ſchließt ein. Buͤndniß und rathfchlagt Über die Ruͤckkeyr. Auf 
Ariaͤus Rath ſchlagen fie einen zwar längern, aber ber Kebensinittet 
wegen geeigneten Weg zur Heimkehr ein. Sie kommen in die 
Träne des koͤniglichen Heeres und Ingern ſich in der Nachbarſchaft 
deſſelben. Die Hellenen befällt in der Nacht ein paniſcher Schre⸗ 
dien ; dieſer wird aber durch Klearches Klugheit geftillt. Cap. 3. Durch 
das muthige Vorrüden dev Griechen beftärzt, läßt der Konig einen 
Vertrag anbieten. Klearchus erklärt, die Griechen könnten ſich 
nicht daranf einlaffen, bis für ihren Unterhalt geſorgt waͤre. 
Der König verfpricht, dafuͤr Sorge zu tragen; fie werden in mit 
Vorrath verfehene Dörfer geführt, Tiſſaphernes ermahnt in einer 
Unterredung die Feldherrn, dem König auf bie Frage, warum fie 
die Waffen gegen ihn getragen Lätten, eine gemäßiste Antwort 
zu geben. Klearchus erklärt im Namen der Andern, daB fie ur⸗ 
fpränglich nicht gewußt hätten, Wen der Zug gelte; fpäter Hätten 
fie Cyrus, durch Wohlthaten ihm verpflichtet , nicht verlaffen koͤn⸗ 
nen; nun aber Cyrus tobt fey, Hätten fie keine weitern feind- 

x Tichen Anfichten gegen ben König und Perfien, fondern wünfchten 





168 ° Inhalt des zweiten Buches. 


‚einzig, ungefaͤhrdet nach Haufe zu ziehen. Tiſſaphernes fohließt 
ein Buͤndniß mit ihnen, kraft deffen fie von den Perfern unange- 
fochten auf ihrem Zuge geleitet, und mit den nöthigen Xebensmitteln 
verforgt werden follten. Cap. 4. Während bie Hellmen auf Tiſſa⸗ 
phernes Ruͤcktunft warten, wird Ariaͤus mit dem König aus: 
geſoͤhnt und aͤußert gegen fie nun eine auffallende Kälte, Sie 
ſchoͤpfen Argwohn. Endlich kommt Tiffephernes an und der Ruͤck⸗ 
zug wird angetreten. Die Griechen ziehen und Ingern abgefon= 
dert von den Perfern. Sie Tommen an die Medifhe Mauer in 
der Naͤhe von Babylon, fegen über zwei Handle des Tigris und 
Zoınmen vor der Stadt Gitace an. Wie gehen über den Tigris 
und den Physkus, und begegnen bei der Stadt Opis dem Baſtard⸗ 
vbruder des Königs, der ihm Huͤlfstruppen herbeiführen wolfte, 
Sie ziehen. durch Medien und kommen in bie Dörfer der Pary- 
fatis, welche Ziffaphernes ihnen zur Plünderung uͤberlaͤßt. Gie 
kommen bei'm Fluffe Zubatus an. Cap. 5. Der: Argwohn fteigt 
auf beiden Seiten. Klearchus fucht in einer Unterredung mit 
Tiffapnernes dad gute Vernehmen voieder herzuftellen. Ziffapher- 
sed antwortet ihm verbindlich. Dadurch fiher gemacht, begibt fich 
Klearchus auf Tiffaphernes Einladung mit den meiften Heerfuͤhrern 
und Hauptleuten, von zweihundert Soldaten begleitet, zu ihm, um 
mit ihm die Urheber der gegenfeitigen Mißverhältniffe Heraus zu 
finden; allem. auf ein gegebenes Zeichen werden Alle niederge⸗ 
macht. Ariaͤus erfcheint nun mit andern vornehmen Perfern vor 
dem Lager ber Hellenen, und fordert fie anf, die Waffen zu 
ſtrecken; aber vergeblich. Lay. 6. Characterifiit der ermordeten 
Feldherren, Klearchus, Proxenus, Menon, Agias und Soktrates. 








769 


Zweites Bud. 


1. Wie Cyrus, im Begriff, gegen feinen Bruder Arta⸗ 
xerres zu Felde zu ziehen, fein NHellenenheer verfammelte, 
Was auf dem Zuge nad) Hberaflen vorfiel, Was fi im Der: 
Iaufe der Schlacdyt begab, wie Cyrus endete, und die Helle: 
nen, im Wahn, der Sieg fen allgemein und Eyrus noch am 
Leben, im Lager angelommen, die Nacht zubrachten, ift im 
erften Adfchnitte gezeigt worden. 

Mit Anbruch des Tages traten die Sreerführer zuſammen, 
und fanden es fehr auffallend, daß Eyrus weder felbft er- 
ſchien, noch einen Boten mit Verhaltungsbefehlen ſandte. 
Man beſchloß daher, mit dem noch übrigen Gepäcke aufzu⸗ 
brechen und ſchlagfertig vorzurücken, bis man ſich mit Eyrus 
vereinigt haͤtte. 

Schon waren ſie im Aufbruch begriffen, als mit Son⸗ 
nenaufgang Prokles, der Statthalter von Teuthrania, ) ein 
Nachkomme des Laconiers Demaraͤtus,*“) nebſt Glus, dem 


*) Teuthrania war eine Stadt und Landſchaft im weſtlichen 
Kleinaſien, am Fluſſe Kaitus. 

**) Demaraͤtus, aus dem Koͤnigsgeſchlecht des Prokles zu Sparta, 
hatte, weil man ſeine eheliche Geburt bezweifelnd, ihn von 
der Thronfolge ausſchloß, ſich unter den Schutz des Perſer⸗ 
koͤnigs Darius Hyſtaſpis begeben, und befand ſich feitbem 
mit feinen Nachkommen in einer Lage, die vielleicht mit 
mehr Macht, als felsft die Koͤnigswuͤrde in Sparta, verbun: 
ven war. S. Herodot. VI, 67. ff. 


RXRenophon. 68 Böchn. 5° 





770 RXenophoy's Feldzug des jüngern Cyrus. 


Sohne des Tamod, im Lager eintrafen, und die Nachricht 
brachten, Eyrus fen gefallen, Ariäus aber habe fid, mit dem 
übrigen Barbarenheer zurüdgezogen, und ftehe auf dem La= 
gerplabe, von dem fie Tags zuvor ausgezogen wÄren, und 
wolle noch diefen Tag warten, ob fle ſich mit ihm vereinigen 
würden ; am nächſten Tage gedenke er den Rüdzug nach Jo⸗ 
nien anzutreten. Diefe Nachricht derfegte die Anführer und 
die übrigen Hellenen in große Beſtürzung. Klearchus nahm 
das Wort und fprady: „„ Wollte Gott, Eyrus wäre noch am 
Leben! nun er aber todt ift, berichtet Ariäus, dag wir unfe- 
rer Seits den König gefchlagen habEn, daß uns Kein Yeind 
mehr Stand Hält, und wie wir, wenn ihr nicht gefommen 
wäre, auf dem Zuge gegen den König und befinden. Wir 
verfprechen nun dem Ariäus, wenn er hieher komme, ihn auf 
den Thron von Perfien zu ſetzen; denn die Sieger feyen anch 
zu herrfihen berechtigt. Mit diefer Erklärung enfließ man 
die Abgefandten, mit ihnen den Laconier Chirifophus und 
den Theffalier Menon; wozu fi Letzterer als Gaftfreund 
und Vertrauter des Ariäus von freien Stücken erboten hatte. 
Nach ihrem Abgehen wartete man, nad, dem Rath des Klear⸗ 
chus, auf eine Antwort, 

Das Heer beköftigte fi nun, fo gut es die Umftände 
erlaubten, indem es von dem Laſtvieh Dchfen und Eſel fchlady- 
tete; zur Feuerung bedienten fie ſich derZin geringer Ent: 
fernung auf dem Schlachtfelde liegenden vielen Pfeile (welche 
die Hellenen die Föniglichen Weberläufer wegzuwerfen gend« 
thigt hatten), geflochtener Schilde, Höfzerner Egpptifcher 
Schilde, auch der Tartfchen und verlaffenen Wagen. Alles Die- 
ſes benüsten fie, um an diefem Tage Fleiſch dabei zu Eochen, 


Zweites Band). » 771 


Gegen Mittag kamen vom Könige und Tiſſaphernes He- 
rolde, Alte Barbaren; nur ein Hellene, mit Namen Phaly⸗ 
nus, war unter ihnen, der bei Ziffaphernes fehr viel galt; 
denn er gab ſich für. einen Kenner der Taktik und ber Fecht⸗ 
kunſt aus. 

Bei ihrer Ankunft verlangten ſie die Helleniſchen Heer⸗ 
führer zu fprechen, und eröffneten ihnen, der König befehle 
ihnen als Sieger, nachdem er Cyrus getöbtet, die Waffen zu 
fireden, in fein Lager zu kommen, und fi) ihm auf Gnade 
und Ungnade zu ergeben. Weber diefe Boffchaft der Herolde 
waren die Hellenen äufferft aufgebracht; Klearchus aber bes 
deutete ihnen: „Nicht will es fid, für den Sieger geziemen, 
die Waffen zu ftreden. Indeſſen antwortet Shr den Leuten, 
Heerführer, was Eud am beften und ehrenvoliften daͤucht. 
Ich bin im Augenblicke wieder hier.’ Es hatte ihn nämlich 
Einer der Dpferdiener abgerufen, um von dem Befund der 
ausgeweideten DOpferthiere Einficht zu nehmen. 

Da antwortete der Arkadier Kleanor, ald der Aelteſte, 
daß fie lieber flerben, als die Waffen abliefern wollten. 
„Bas mich betrifft," fagte der Thebaner Prorenus, „ſo 
wünſchte ich zu willen, Phalynus, ob der König unfere Waf⸗ 
fen als Sieger, oder als Freund von Freunden verlangt. Ber: 
langt er fie ald Sieger, was bittet er lange, und kommt nicht 
lieber ſelbſt gleich, fie fih zu holen? Witt er fie auf dem 
Wege des Vertrags, was bietet er dem Heere, wenn es 
ihm zu Gefallen ift? 

Darauf entgegnete Phalynus: „Der König betrachtet 
ſich als Sieger, da er Eyrus getödtet Hat. Denn Wer wi 

5% 





772 Xenophon's Feldzug des jüngern Cyrus. 


J 


ihm num feine Herrfchaft weiter freitig machen? Auch glaube 
er Euch in feiner Gewalt zu haben, da er Euch mitten in 
feinen Landen hat, von undurchgänglichen Flüffen umfchloffen, 
und gegen Eudy eine Heeresmacht in's Feld führt, ob 
deren Niedermebelung, flände es Euch frei, Eure Kräfte 
erfägen.‘’ 

Der Athener Kenophon erwicderte ihm: „Wie du fichft, 
Phalynus, ift und außer unfern Waffen und unferer Tapfer⸗ 
feit Nichts mehr geblieben. Im Beſitze Ver erftern fol es 
ung jedod an letzterer nicht gebrechen. Hoffe nicht, daß wir 
die einzigen uns gebliebenen Gitter dahin geben werden: 
geben wir diefe hin, fo ift ed um unfere Rettung gefchehen; 
im Beflge unferer Waffen aber wollen wir ſelbſt Eure Güter 
noch erkämpfen.“ 

Phalynus entgegnete lächelnd: „Du ſprichſt wie ein Phi— 
loſoph, junger Menſch; deine Rede klingt gar nicht übel. 
Wiſſe, daß es Wahnſinn iſt, wenn ihr Euch träumen laßt, 
daß Eure Tapferkeit der Macht des Königs obfiegen werde.” 
Andere, fagt man, führten eine gelindere Sprache, und meine 
ten, wie fle Eyrus freu gedient, fo würden fie auch den Kö⸗ 
nige, wenn er fich mit ihnen befreundete, auf einem Heerzug 
gegen Egnpten oder bei irgend einer andern Unternehmung 
wichtige Dienfte leiften. In diefem Augenblick kam Klear⸗ 
chus zurüd, und fragte, was fie geantwortet hätten. 

Da nahm Phalynus das Wort, und fagte: „Won Diefen 
da will der Eine rechte, der Andere linke; fag du ung, Klear- _ 
dus, was deine Meinung ift.’ — „Mit Vergnügen,” ver 
feste Diefer , „habe ich gefehen, daß du zu und gefonmen 
pift, Phalynus, und glaube auch von den Andern das Näm- 





Zweites Buch. , 773 


liche verfichern zu dürfen, Du bift-ein Hellene, und wir Alle, 
die du bier fiehft, find es auch. In diefer Lage nun fragen 
mir dich: was ift in der Sache zu thun? Gib uns, ich be- 
fchwöre dich bei den Göttern, nad) beftem Wiſſen und Gewif: 
fen einen Rath, den du für den beften und ehrenvoliften 
haͤltſt, und der dir nod) in der Folge, wenn man erzählt, daß 
Phalynus einft vom Könige gefandt ward, die Hellenen zur 
Miederlegung ihfer Waffen zu vermögen, Ehre bringen kann. 
Denn du weißt, ed wird nothwendig in Hellas kund, was du 
ung rathen wirft.’ 

Dieß fagte Klearchus, weil er wünſchte, daß der Eänig- 
liche Abgefandte felbft ihnen den Rath geben möchte, bie 
Waffen nicht abzuliefern; auf daß die Hellenen größere Hoff: 
nung faßten. Phalynus wic, ihm aus, und erwiederte gegen 
fein Erwarten Folgendes: 

„sch für meinen Theil ratbe Euch, wenn Eudy unter 
faufend Hoffaungen auch nur eine bleibt, nut den Waffen 
in der Hand Euch durch das Bönigliche Gebiet durchzuſchla⸗ 
gen, die Waffen nicht niederzulegen ; wenn Ihr Euch aber ohne 
den Willen des Könige nicht retten Bönut, Euch zu retten, 
wie ſich's am beften ſchicken will.“ 

Klearchus antwortete hierauf: „Dieß ift dein Rath; 
von uns aber berichte dem König, wir feyen der Meinung, 
als Freunde des Königs müßten wir ihm bewaffnet noth: 
wendig nützlicher fenn, als unbewaffnet; als feine Feinde da⸗ 
gegen bedürften wir der Waffen, um gegen ihn zu flreiten; 
weßhalb wir ihrer in feinem Fall entbehren könnten.“ 

„So wollen wir denn,‘ erklärte Bhalynus, ‚dem König 
Eure Antwort überbringen. Noch Eins aber befahl mir der 


Tran — 


774 Xenophon's Feldzug des jüngern Cyrus. 


König Euch zur eröffnen, daß Ihr, fo Ihr bleibt, einen Waf⸗ 
fenftiliftand, fo ihr vorrüdt oder abzieht, Krieg haben ſollt. 
Saget alfo an, ob Ihr bleiben und Waffenſtillſtand, oder 
ob Ihr Krieg haben wollt 2" 

„Sage nur,” erwiederte Klearchus, „daß wir hierin mie 
dem Könige gleicher Meinung wären.‘ — „Weldyer Meie 
nung alfo ?” fragte Phalynus. — „Waffenſtillſtand, wenn 
wir bleiben, Krieg, wenn wir weiter ziehen.‘ Jener mieders 
holte feine Frage, Diefer feine Antwort, und ließ fich auf 
Das, was er vorhäfte, nicht weiter ein. 

3. Phalynus zog mit feinen Begleitern ab. Von Ariäus 
famen hierauf Prokles und Chiriſophus — Menon war bei 
ihm geblieben — und überbrachten folgenden Beſcheid von 
ihm: „Es gebe noch viel vornehmere Perſer als er, die ihn 
nicht als ihren König dulden würden; wollten ſie aber mit 
ihm abziehen, ſo müßten ſie noch dieſe Nacht kommen; wo 
sicht, fo trete er am andern Morgen feinen Rückzug an.‘ 
Klearchus erwiederte: „So müffen wird machen, wenn wir 
kommen; wo nicht, fo thut, wad Euch am beiten däucht.“ 
Was er aber thun wollte, erfuhren auch Diefe nicht. 

Schon ging die Sonne unter, als er die Heerführer und 
Hauptleute zu fi) berief und folgender Maßen anredete: 
„Die Opfer, meine Freunde, weldhe ich für ben Zug gegen 
den König zu Rathe z0g, waren mir nicht günftig, und Das 
mit Recht. Wie id jent erfahre, Nießt zwifchen und und 
dem König der ſchiffbare Tigeis, *) über den wir ohne Schiffe 


5 Es ift hier der Heine Tigris, jegt Didjel, gemeint, der 
in frühern Zeiten weit größer war, 


\ 


Zweites Bud). 775 


nicht ſetzen köͤnnen; Schiffe haben wir nun aber nicht, uud 
bleiben können wir nicht, weil Peine Lebensmittel zu haben 
finds; doch für unfere Vereinigung mit des Cyrus Freunden 
gaben ung die Opfer die glüctichften Unzeichen. Wir müffen 
alfo unfere Maßregeln darnad) nehmen; geht daher, und 
fpeife Jeder zu Nacht, was er hat. Wenn mif dem Horn 
das Zeichen zur Nachtruhe gegeben wird, fo padt ein; bevim 
zweiten Beichen beladet das Zugvieh, und auf das dritte folgt 
Eurem Anführer: das Vieh Taßt Ihr am Fluſſe gehen und 
deckt die Seiten mit Hopliten.“ 

Damit entfernten fi) die Heerführer und Hauptleute, 
und thaten, wie er befahl; auch in der Folge gehorchten fie 
ihm als ihrem Oberfeldherrn, nicht als ob fie ihn dazu 
gewählt hätten, fondern weit fie in ihm die erforderlichen 
Feldherrn⸗Eigenſchaften vereinigt fahen, und fle felbft Keine 
Erfahrung hatten. Die Länge des Zuges von Ephefus in 
Sonien bis zu dem Schlachtfelde betrug drei und neunzig 
Zagmärfche, fünfhundert fünf und dreißig Paraſangen, 
fechzehn taufend und fünfzig Stadien; *) von dem Schlacht: 
felde nach Babylon waren ed, wie es hieß, dreihumdert und 
ſechzig Stadien. 

Als ed finfter ward, ging der Thracier Miltochthes mit 
ungefähr vierzig Reitern und dreihundert Mann Fußvol zu 
dem König über. 


*) Das Nautifche oder Perfifye Stadium, das etwas Türzer als 
das Griechiſche oder Olympiſche iſt; es gehen von jenem 
ho auf eine geographiſche Meile; es find alſo beinahe 
dreihundert neun und fünfzig geographiſche Meilen, 


76 Xenophon's-Feldzug des jüngern Cyrus. 


Das übrige Heer trat unter Klearchus Anführung, der 
Derabredung gemäß, den Rüdzug an, und traf um Mitter- 
nacht an dem frühern LZagerplab bei Ariäus ein, 

Die Heerführer und Hauptleute kamen, fo bald fe ihre 
Leute hatten unter die Waffen treten Taffen, bei Ariäus zu— 
ſammen, wo fi) die Hellenen und Ariäud mie den vornehm— 
fen Perfern, die bei ihm waren, durch einen Eid verbans 
den, einander nicht zu verrathen, fondern treulich einander 
beizuftehen. Die Barbaren fchwuren noch überdieß, daß fie 
fonder Gefährde Wegweifer feyn wollten. 

Die Eidesleiſtung gefhah unter Abfchlachtung eines 
Stiers, eines Wolfs, eined Ebers und eines Widders; 
wobei in einen mit Opferblut gefüllten Schild die Hels 
Ienen ein Schwert, die Barbaren eine Lanze eintauchen. 
Nach Abſchließung des Bündniſſes ſprach Klearchus: „Wohl⸗ 
an denn, Ariäus, da wir nun den Rückzug gemeinſchaftlich 
machen, ſo ſage uns deine Meinung über die Richtung deſſel⸗ 
ben. Wollen wir denſelben Weg wieder ziehen, auf dem wir 
hergefommen find, oder weißt du uns einen beſſern?“ 

„Wenn wir, erwiederte er, „das Erftere thun, fo müffen 
wir Alle Hungers fterben; denn wir haben jebt ſchon Feine 
Lebensmittel. In den leuten flebzehn Tagmärfchen bot ung 
das Land auf umferem Hermege gar Nichts mehr; und was 
noch vorhanden war, haben wir auf dem Durchzug vollends 
‚ aufgezehrt. Nun müfjfen wir zwar einen längern Weg neh⸗ 
men, auf dem es ung aber nicht an Lebensmitteln fehlen fol. 
An den erften Tagen müſſen wir flarfe Märfche machen, 
damit wir fo weit als möglich von dem feindlichen Heere abs 
kommen. Haben wir aber erſt zwei oder drei Tagmaͤrſche 


De 


Zweites Bud). 777 


voraus, fo kann uns der König nicht mehr) einholen; denn 
mit geringer Macht wagt er nicht und zu verfolgen, und mit 
dem großen Heere bewegt er fid) nicht fchnell genug; auch 
wird es ihm bald an Lebensmitteln fehlen. Dieß, fagte ev, 
it meine Meinung.” 

Der ganze Plan war nur darauf berechnet, dem Feinde 
durch die Flucht zu entgehen; das Glück aber gab ihm eine 
rähmlidyere Wendung. Mit Anbrucd des Tages traten fie, 
die Sonne zur Rechten, den Zug an, in der Hoffüung, mit 
Sonnenuntergang Babylonifche Dörfer zu erreichen. Ä 

Nachmittags glaubte man feindliche Reiterei zu erbliden; 
von den Hellenen eilten Diejenigen, die nicht in Reihe und 
Glied waren, ſogleich unter die Waffen; Ariäus aber, der 
wegen einer Wunde in einem bedeckten Wagen fuhr, flieg 
fogleih"aus und ließ fich den Panzer anlegen; ein Gfeiches 
that fein; Gefolge. 

Während fie ſich waffneten brachten die vorausgeſchick⸗ 
ten Kundſchafter die Nachricht, daß Das, was ſie ſehen, nicht 
Reiterei, ſondern weidendes Zugvieh ſey. Daraus erkannten 
Alle ſogleich, der König müſſe hier irgendwo im Lager ſtehen; 
man ſah auch nicht weit davon aus den Dörfern Rauch auf⸗ 
fteigen. Klearchus führte nun zwar dad Heer nicht gegen 
den Feind — denn er wußte, daß die Soldaten müde wa- 
ren und nicht gegeffen hatten — lenkte aber auch nicht vom 
Wege ab, um nicht den Schein von Flucht zu geben, fondern 
309 in gerader Richtung vorwärts, und rückte mit dem Vor⸗ 
dertreffen in die naͤchſten Dörfer ein, wo die Königlichen 
altes Holzwerk von den Käufern: herunter geriffen haften. 





78 Xenophon's Feldzug des jüngern Cyrus. 


Die Erften bezogen in derfelben Ordnung, die man im 
Felde beobachtet hatte, die Lagerſtätte; die Nachkommenden 
aber lagerten ſich, wie es der Zufall fügte, und machten da⸗ 
durch, daß fie einander zuriefen, einen foldhen Lärm, dag ihn 
feibft die Yeinde hörten, und die Nächften von ihnen aus ih: 
ren Selten flohen. Dieß zeigte fi) am folgenden Tage; denn 
weder Zugvieh, noc, Lager, noch Rauch war weit und breit 
mehr zu fehen. Selbft der König mußte, wie es fih aus 
den Maßregeln ergab, die er Tags daranf ergriff, durch den 
Anzug des Heeres in Schreden gerathen feyn. 

Indeſſen wurden in fpäterer Nacht auch die Hellenen in 
Furcht gefest, und es entfland daraus, wie es zu gehen 
pflegt, allgemein Lärm und Getümmel. 

Klearchug ließ daher durch den leer Tolmides, den 
beften Herold feiner Seit, welchen er gerade bei ſich hatte, 
Stiliſchweigen gebieten und ausrufen: „Die Heerführer ver: 
ſprechen Dem, welcher angebe, Wer den &fel*) in das Lager 
babe laufen laffen, zur Belohnung ein Silbertalent.“ Durch 
diefen Aufruf erkannten die Hellenen, daß es leerer Schrecken 
war, und ihre Anführer in Sicherheit fegen. Am frühen Mor: 
gen ließ Klearchus die Griechen wieder fo aufziehen, wie fie 
in der Schlacht geftanden hatten. 

3. Daß der König, mie ich vorhin bemerkte, durd, Das 
Vorrücken der Hellenen in Schrecken gerathen war, beftätigte 
fih, Tags zuvor hatte er den Hellenen noch ihre Walken 
abfordern laſſen, und nun erfhhienen mit Sonnenaufgang 
königliche Herolde, um ihnen einen Waffenftiliffand anzubieten. 


*) Was natuͤrlich eine Erdichtung der Heerführer war. 


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E . oo. - ” — — — — — 





; Zweites Bud). 779 


As fie zu den Vorpoſten Famen, verlangten fie die 
m Heerführer zu ſprechen. Da Dieß gemeldet wurde, ließ ih⸗ 
nen Klearchus, der eben die Schlachtreihen mufterte, durch 
wi. die Vorpoften fagen, fle follten warten, bis es ihm gelegen 
g wäre. Als er das Heer fo geftellt hatte, daß es in eine 
„ı Dichte Phalanz gedrängt, einen herrlichen Anblick gewährte, 
umd kein Unbewaffneter zu fehen war, ließ er die Boten 
rufen, trat ihnen an der Spise feiner beftbewaffneten und 
* an ſehnlichſten Krieger entgegen und hieß die andern Heerfüh⸗ 
rer dad Gleiche thun. Auf feine Frage, was ihr Begehren 
fey, antworteten fie, der König habe in Betreff eines Waffen: 
' ftillkandes die geeigneten Männer bevollmächtigt, den Helles 
nen feinen Willen Eund zu hun, und ihre Vorſchläge an ihn 
y 5W bringen. 
| Klearchus entgegnete: „Sagt Eurem König, daß wir 
uns vor Allem fchlagen müffen, da wir fein Frühſtück haben; 
und Niemand foll uns etwas von Waffeunſtillſtand fagen, be⸗ 
vor er nicht Dafür geforgt haben wird.’' 

Auf diefen Befcheid vitten die Boten davon, erfcdhienen- 
aber in Eurzer Zeit wieder; fo daß es klar war, der König, 
oder ein von ihm Beauftragter, müſſe in der Nähe feyn. 
Sie erklärten, daß ihre Forderung dem König billig fcheine ; 
fie hätten Wegweifer bei ſich, die ihnen, nach abgefchloffenem 
N WBaffenftiliftaud, die nöthigen Lebensmittel anweifen ſollten. 
Klearchus fragte, ob der Waffenſtillſtand bios für die 
Abs⸗ und Bugehenden, oder ob er für Alle gelten ſollte. „Für 

Alle,’ war ihre Antwort, „bis dem Könige Eure Bedingun— 
gen zugekommen ſind.“ 


780 Zenophon’d Feldzug des jüngern Cyrus. 


Auf diefe Erklärung ließ fie Klearchus abtreten, und 
berieth fi} mit den Andern. Man fand für gut, den Waf—⸗ 
fenftilfftand anzunehmen, um ſich in Bälde der benöthigten 
Lebensmittel zu verfichern. 

„Auch ich,“ fagte Klearchus, „bin diefer Meinung. Doc) 
will ich mic, nicht fogleich erklären, fondern noch eine Weile 
damit zögern, daß fle beforgt werden, wir möchten uns übers 
haupt nicht darauf einlaffen wollen; auch wird es, glaube idy, 
bei unfern Soldaten diefelbe Beforgniß erregen.‘ 

Als es ihnen nun Zeit zu feyn fchien, eröffnete er, daß er 
fid) zu einem Waffenftiliftand bereit finden laffe, und verlangte, 
man follte fie fogleich zu Lebensmitteln führen. Dieß geſchah; 
Klearchus brach auf, um den Waffenſtillſtand zu fchließen, 
und ließ das Heer in Schlachtorbuung den Bug antreten; er 
ſelbſt deckte die Nachhut. Da man auf viele Gräben und 
Ganäle vol Waffers ftieß, über die man ohne Brüden nicht 
ſetzen konnte, fo bewerkftelligte man den Uebergang dadurch, 
dab man Palmbäume, die theils fchon da Tagen, theils gefällt 
werden mußten, darüber warf. 

Auch bier zeigte “ch Klearchus als Feldherr non der 
frefflichften Seite; in der Tinten Hand die Lanze, in ber 
rechten den Stock haltend, fchlug er auf den Nächften Beſten, 
der ihm faumfelig fchien, zu, trat felbft in den Schlamm, 
und legte Hand an's Werk; fo daß ſich's Jeder zur Schande 
rechnete, nicht gleichen @ifer zu zeigen. Es wurden dazu nur 
Leute bis in's dreißigfte Jahr beordert; da aber die Aelteren 
fahen, daß Klearchus felbft mit Hand anlegte, griffen auch fie 
mit zu. Klearchus betrieb das Ganze um fo mehr, da er 
argwoͤhnte, die Gräben feyen nidyt immer fo vol von Waller 


PLIY -. 


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Zweites Buch. 731 


(es war nämlich nicht die geeignete Jahreszeit zur Waͤſſe⸗ 
rang der Felder), fondern der König habe das Wafler nur 
darum fchießen laffen, damit die Hellenen fich die Schwierig: 
keiten und Gefahren des Heimwegs um fo größer dächten. 

So gelangten fle in die Dörfer, wo ihnen die Führer ' 
Lebensmittel anwiefen. Man fand hier viel Getreide, Palm: 
wein und Palmeſſig. Die Datteln, wie man fie in Hellas 
findet, werden für's Gefinde weggelegt, die für die Herren 
waren ausgefucht, von wunderjamer Schönheit und Größe, 
und glichen an Farbe dem Bernſtein. Man trodnet fie und 
fest fie zum Nachtiich auf. Auch das Getränk davon war 
angenehm, verurfüchte aber Kopfweh. 

Hier aßen die Soldaten zum erflenmal Palmmark, *) 
und Viele konnten ſich über das feltfame Ausſehen und den 
befondern Wohlgefchmad nicht genug wundern; allein es ver: 
urſachte ebenfalls ſtarkes Kopfweh. Der Baum, aus dem 
Das Mark heraus genommen war, verdorrte ganz. 

Hier blieben fie drei Tages da kamen von dem großen 
Könige Tiffaphernes und der Königin Bruder mit noch drei 
andern Perfern, und einem großen Gefolge von Sklaven an. 
Als ihnen die Heerführer der Hellenen enfgegenfraten, hielt 
Ziffaphernes vermittelft eines Dolmetfcherd folgende Anrede 
an fie: „Ich, Hellenifche Männer, achtete es, als der nächſte 
Grenznachbar von Hellas, da ich Euch in foldhe Gefahren 

*) Es befteht aus den Keimen zu den Blättern ded Palmbau⸗ 
mes, eingehuͤllt in bie Stengel der Blätter, worin jene Reime 
wie in einer Schachtel eingehält find, Es bildet Rollen, 


welche fehr ſchoͤn find, und wenn fie enthällt werben, einen 
- sounderpollen Anbli gewähren. 











82 Xenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus, | 


gerathen fah, für Gewinn, bei dem König die Erlaubniß 
auszuwirken, Euch nach Hellas zurücfüähren zu dürfen; denn 
ich bin überzeugt, daß fowohl Ihr, als ganz Hellas mir es 
dankt. In diefer Meberzeugung bat id, den König, und grün: 
dete meine Anſprüche auf Bewilligung meiner Bitte darauf, 
daß ich ter Erfte war, der ihn von den Abfichten des Cyrus 
unterrichtete, und ihm mit der Nachricht zugleich auch Hülfe 
zugeführt hatte; daß ich ferner von Denen, die gegen Euch 
fanden, der Einzige war, der nicht floh, fondern fich in Euer 
Lager durchfchlug und dort ſich mit dem Könige, der nad) 
des Cyrus Tod dahin gedrungen war, vereinigte; daß ich 
endlich die Eingebornen unter Eyrus mit meiner dem Könige 
vor Alten ergebenen Mannfchaft in die Flucht gefchlagen habe. 
Der König verfpracd mir, die Sache in Weberlegung zu neh⸗ 
men, und hieß mid, Euch fragen, warum Ihr gegen Ihn Die 
Maffen truget. Laßt Euch von mir vathen und antwortet 
vernünftig, auf daß es mir leichter wird, für Euch etwas 
Günſtiges auszuwirken.“ 

Hierauf traten die Hellenen zu einer geheimen Bera⸗ 
thung ab, und Klearchus erwiederte in ihrem Namen: „Wir 
kamen nicht zuſammen, um gegen den König zu kriegen, noch 
ſollte unſer Zug nad) Oberaſten ihm gelten; Cyrus brauchte, 
wie Ihr ſelbſt wißt, allerlei Vorwand, Euch unvorbereitet 
anzugreifen, und uns hieher zu führen.“ 

„Da wir ihn aber im Gedraͤnge ſahen, ſchämten wir uns 
vor Göttern und Menſchen, einen Mann, von dem wir uns 
früher Wohlthaten erzeigen ließen, in der Noth im Stiche 
zu laſſen. Jetzt aber, da Cyhrus todt iſt, haben wir keinen 
Grund, gegen die Herrſchaft des Königs feindſelige Abſichten 


Zweites Buch. 183 


zu hegen, oder fein Land zu verwüſten. Wir möchten ihm 
nichts am Leben thun; nur wünſchen wir, unangefochten in 
unfre Heimath zurückzukehren. Thut man. ung etwas zu 
Leide, fo werden wir und mit der Hülfe der Götter zu vrä- 
chen verfuchen ; erweist und Jemand Gutes, Den werden wir, 
fo viel an ung ift, im Wohlthun übertreffen." Dieb waren 
feine Worte, 

Darauf erwiederte Tiffapherneds: „Ich will Eure Aut⸗ 
wort dem Könige hinterbringen und Euch feinen Befcheid 
wieder zu wiffen thun. Bis ich wieder komme, bleibt der 
Waffenſtillſtand in Kraft, und wir verforgen Euch mit Le⸗ 
bensmitteln.“ 

Am folgenden Tage blieb er and, und die Hellenen fin: 
gen fchon an, beforge zu werden, ald er am dritten Tage 
Fam und ihnen eröffnete, er habe bei’'m Könige ausgewirkt, 
Daß er die Hellenen wohlbehalten nad, Haufe bringen dürfe, 
obgleich Viele wideriprochen und gemeint hätten, es laufe 
der Würde des Königs zuwider, Diejenigen im Frieden zie- 
ben zu laſſen, die gegen ihn die Waffen getragen hätten. 
„Run aber könnt Ihr,“ fo fchloß er, „Euch von uns Sicher: 
heit nehmen, daß Ihr durch Freundesfand ziehet, und daß 
man Euch fonder Gefährde, mit Vorſchub der Lebensmittel, 
nad) Hellas, abfähren wird. Wo man Euch Nichts zu Markte 
bringt, da fol Euch geftattet feyn, das Nöthige aus dem Lande 
fetbft zu nehmen. Aber Ihr ſchwoͤrt uns dagegen, friedlich) 
durch das Land zu ziehen, und nur Speife und Trank zu 
nehmen, we wir Euch Nichts zu Markte bringen, und wenn 
wirs thun, Alles baar zu bezahlen.“ Dieß wurde genehmigt 
und von beiten heilen befchworen; wobei Ziffaphernes,, der 


84 Xenophon's Feldzug des jüngern Cyrus. 


Bruder der Königin und die Hellenifchen” Heerführer und 
Hauptleute fidy einander die Hände reichten. Hierauf fagte 
Ziffaphernes: „nun gehe ic) wieder zum Könige ab;Fwenn ich 
das Nöthige abgemacht, komme ich wieder, reifefertig, um 
Euch nach Hellas zu geleiten, und in meine Statthalterfchaft 
abzugehen.“ 

4. Hierauf warteten die Hellenen und Aridus ‚I die ſich 
nahe zuſammen gelagert hatten, mehr als zwanzig Tage auf 
Tiſſaphernes. Während Deſſen kamen zu Ariäus ſeine Brüder 
und andere Verwandte, ſo wie auch zu den Perſern bei ihm 
einige Königliche, machten ihnen gute Hoffnung, und brach⸗ 
ten Denfelben von dem Könige die Verficherung, „daß et wer 
der ihres unter Cyrus gegen ihn unternommenen Kriegszuges 
weiter gedenken, noch frühere Fehltritte rügen wolle.” Nach 
diefem Vorgang zeigte ſich an Ariäus umd feinen Leuten eine 
ſichtbare Kälte gegen die Hellenen, fo dag es allgemein auf 
fiel, und Diele zu Klearchus und den übrigen Heerführern 
kamen und fagten: „Warum warten wir hier noch? Iſt es 
uns etwa unbefannt, daß des Königs fehnlichfler Wunſch iff, 
und zu verderben, auf daß die übrigen Hellenen von! Feldzü- 
gen gegen ihn abgeſchreckt werden? Nun Hält ev uns hie, 
weit fein Heer noch zerſtreut ift; hat ex diefes exit beiſam— 
men, fo unterliegt e8 Beinen Zweifel, daß er über und her— 
fallen wird. Vielleicht zieht er gar irgendwo Gräben, oder 
verfchanzt fih, um und den Rückweg abzufchneiden. Denn 
kann er es verhüten, fo läßt er ficherlich nicht gefchehen, daß 
wir nady Hellas die Kunde bringen, wir, ein fo kleines 
Hänflein, Hätten die gefammte königliche Heeresmacht vor den 


N 
x 


Zweites Bub. 85 


Thoren der Konigaſtadt aufs Haupt gefchlagen, und ſeven 
mit Hohnlachen davon gezogen. - 

Klearchus erwiederte Denen, die Solches verbrachten: 
„Ich flimme dem Allem bei, aber ich weiß auch, daß cd, 
wenn wir weiter ziehen, ben Unfchein hat, all zögen mir 
feindlich davon, und Hätten den Waffernſtillſtand gebrochen, 
Man wird und erfllich Beine Lebensmettel che zu Märkte 
bringen, noch und folche nehmen laſſen. Ferner haben wie 
feinen Wegweifer mehr; auch fällt, ſobald wir dieſen 
Scyritt thun, Ariaͤus fogleich von uns ab, und wir haben 
alsedann nicht nur Leine Freunde mehr, fenbern Diefe übers 
dieß als Feinde. Ob wir nody über einen andern Fluß zu 
‚ feben haben, weiß ich nicht; aber foyiel wiſſen wir, daß bei 
dem Euphrat an Bein Durchkommen zu denken ift, wenn ber 
Feind es uns fireitig macht. Kommt es zur Schlacht, fo ha⸗ 
ben wir Beine Reiterei entgegen zn fielen; bie der Feinde 
dagegen. iſt zahlreich und im befien Stande. Und geſetzt 
asch, der Sieg wäre unfer, Wem werden wir baun Etwas - 
anhaben wollen? Werden wir Beflegt, fo iſt an Feine Ret⸗ 
tung mehr zu denken. — Wie follte aber der König, dem 
fo Diele zur Gaite ſteht, wenn er und verherben wit, erft 
nothig haben, zu ſchwören, Haudſchlag zu geben, bie Götter 
zu Zeugen aufzufordern, und vor Hellenen und Barbaren fidy 
des Eidbruchs fchuldig zu machen 2 

Diefes und mo“ vieled Jehnliche wußte er einzuwenden. 

Indeſſen Fam Ziffaphernes, um, wie es fdhien, in feine 
GStatthalterſchaft zurückzukehren, mit Orontas,.*) Jeder mit 


+) Statthalter in Armenien. 
Kenophon. 68 Bdchn. 6 





Bd 


786 Xenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus. 


feinem Heerhaufen, an. Letzterer hatte auch ſeine Gemahlin, 
die Tochter des Königes, bei fih. Man zog nun, unter Yılbz 
rung des Ziffapherned, Der auch die Beforgung der Lebens: 
mittel übernahm, weiter. Ariäus, der das Barbarenheer des 
Eyrus befehligte, zog mit Ziffaphernes und Orontas zufam⸗ 
men, und fchlug andy fein Lager bei ihnen auf. 

Die Hellenen fchöpften daraus Verdacht, und zogen beſtu⸗ 
ders und mit eigenen Wegweifern. Sie Iagerten fich jedesmal 
eine Parafange oder etwas weniger auseinander und häteten 
fich gegenfeitig, als ob ſiſe Feinde wären; was gar bald Arg- 
wohn erregte, Einigemal geſchah es, dag, wenn ſie an dem⸗ 
ſelben DOrte Holz, Futter und dergleichen holten, Schläge: 
reien entflanden, was denn auch zu gegenfeitiger Yeindichaft . 
das Seinige beitrug. 

Nach drei Tagen gelangten fie an die fogenaunte Medi⸗ 
ſche Mauer, und zogen innerhalb derſelben weiter, Sie ift 
aus Backſteinen gebaut, mit Erdharz verkittet, zwanzig Fuß 
breit, und Hundert buch, und ſoll fi über eine Fläche 
von- zwanzig Parafangen bis in die Nähe von Babylon er- 
fireden. 

Von da zogen fie zwei Zagmärfche, act Parafangen, 
weiter, und festen über zwei Eandle; über den einen führe 
eine Brücke, über den andern eine aus fieben Fahrzeugen 
beftehende Schiffbrüde. Sie waren aus dem Tigris abge 
feitet, . und von ihnen Tiefen Gräben in dad Land hinein, 
anfangs große, dann Fleinere und zulebt nur Rinnen, wie 
man fie in Hellas auf ben Feuchfeldern ſieht. Hierauf 
famen fie an den Tigris, an welchem in einer Entfernung 


Zweites Buch. 787 


von fünfzehn Stadien die große, bevölterte Stadt Sitace *>- 
liegt, 

Die Hellenen bezogen neben ihr ein Lager, nahe bei eis- 
nem fchönen, .anfehnlichen, dicht mit Bäumen alfer Art bes 
wachſenen Thiergarten. Die Barbaren hatten über den Fluß 
gefebt und waren nirgends mehr zu fehen. 

Nah) dem Abendeſſen gingen Prorenus und. Kenophon 
vor dem Lager auf und nieder; da Fam ein Menfc zu den 
Vorpoften und fragte nach Prorenns und Klearchus; nad). 
Menon fragte er nicht, obgleich er von feinem Gaftfreunde 
Ariäus kam. Als Proxenus fagte: „Ich bin es, den du fu- 
cheſt!“ fagte der Fremde: „Es fenden mid, Ariäus und Ars 
taozus, ald Eure und des Cyrus treue Freunde, und Laflen 
Euch durch mich anempfehlen, diefe Nacht gegen einen Webers 
fall der Barbaren auf Eurer Hut zu ſeyn: es ift viel Krieges 
vol in bem nahen Thiergarten; aud) follt Ihr die Brücke 
über den Tigris beſetzen; denn Tiſſaphernes will fie wo mög⸗ 
lich in diefee Nacht abwerfen fallen, damit Ihr nicht hinüber 
koͤnnet und fo mitten zwifchen dem Zigris und dem Canal **) 

eingefchloffen ſeyd.“ 
j Mit diefer Botſchaft führten fie ihn zu Klearchus, der 
Darüber in nicht geringe Beflürzung gerieth. Ein Jüng— 
ling, ***) der zugegen war, und der Sache nachgedacht hatte, 


+) Nach Mannert Yag fie, wo jegt das fogenannte Altbag dad 
Tiegt. Nach d'Anville find ed die Truͤmmer von Aggartuf, 
weftlich von der Stadt Bagdad. 
++) Der Canal warb fpdter Sarfar genannt. 
+++) Diefer Juͤngling War vermuthlich Xenophon felbft, der aus 
Beicheidenheit feinen Namen nicht nennen weite, “ 


88 Xenophon's Feldzug des jüngern Cyrus. 


bemerkte, wie fich das Übwerfen der Beüde mit dem vor⸗ 
geblichen Angriff durchaus nicht zufammenreimen ließe; bei 
dem Weberfalt müßten fle entweder ſiegen, ober. beflegt wer⸗ 
den; flegten fie, was brauchten fie. dann die Brüde abzuwer⸗ 
fen, da taufend Brücken fle nicht retten Fünnten? „Biegen 
wir, fo wäre ihnen durcd das Abwerfen der Brücke der Weg 
zur Flucht verſperrtz auch koͤnnte ihnen, fo wiel Ihrer jenfeite 
der Brüde wären, Riemand zu Hülfe kommen.’ 

Darauf fragte Klearchus ben Boten, wie groß Die Land⸗ 
ſchaft zwifchen dem Tigris und-dem Emmal *) wäre. Er ant⸗ 
voortete, es fey dieß ein großes Laud, das viele Darfer und 
viele anſehnliche Staͤdte im ſich fchliehe. 

Da ergab ſich denn, daß die Barbaren den Mlenfchen ge⸗ 

ſchickt hatten, weil fie befüschteten, die Hellegan märhten bie 
Beide abbrechen und auf ber Juſel bleiben, wo fie einexfeitk 
durch den Zigris, anderenfeitd durch den Canal gededt wären, 
reichliche Lebensmittel bezdgen und Leute zum Bebauen des 
Landes hätten; fo wie dieſer auch leicht ein Sammelplab von 
Unzufriebenen werden könnte, die das Gebiet bei Königs yon 
da aus beunruhigen Lönnten. Man legte ſich baher zur Ruhe, 
schickte jedoch zus Sicyerheit einen Wachpoſten anf die Brücke; 





*) Die Medifche Mauer durchſchnitt vom Tigrid bis zum Cuphrat 
den türzeften Weg von Norbnoröftoft gegen Suͤdſuͤdweſt. 
Der Eanal Gaxſar aber zog ſich in ziemlich gerader Rich⸗ 
tung amd dem, Kigrid nach Weſten, durxxyſchnitt in ſchraͤger 
Linie die Mauer, und endigte ſich nicht, weit davon in dem 
Euphrat. Die Handſchaft zwiſchen dem I ris und dem Ca⸗ 
nal bildete ein ziemlich —2 — der Raum zwi⸗ 
ſchen dem, Canql und dem noͤrhlichern, afa, eine Inſel. 


> 


* 


Zweites Buch. 789 


auein es erfhten Niemand zum Angriff: auch ließ ſich nach 
dem VBerichte des Wachpoſtens Fein Feind in der Nähe der 
Bruͤcke Mecken. 

Mit Anbruch des Tages zog man mit möglichſter Vor⸗ 
ſicht über die Brütke, bie über ſteben und dreißig Fahrzeuge 
gefdyIngen war; Einige der Hellenen nämlich, die bei Tiſſa⸗ 
phernesd waren, fagten aus, daß die Perſer fie beim Uebergang 
angreifen wärben; allein Auch Dieß war unzegründet. Zwar 
tieß fich während des Uebergangs Glus mit einigen Beglei⸗ 
teen fehen, und beobachtete, ob fie wirklich überfesten; eilte 
aber, ald er ſich davon ͤberzeugt hatte, fogleich wieder davon. 

Bon dem Tigris gAangten fie in vier Tagmärfdyen, zwan⸗ 
sig Patafangen, af den Flaß Dhysbus;*) diefer war ein 
Prethrum breit und Hatte eine Beide. An ihm lkiegt die 
große Stadt Dpis. **) Hier kam den Hellenen der Bas 
ftarböruder ded Eyrud und Artaxerxes entgegen, der von Suſa 
und Ekbatana dem Könige ein großes Heer zu Hülfe führen 
woiltez er ließ Halt machen, und Tah die Hellenen an fid) 
voruberziehen. 

Klearchus Tieß'das Heer zwei Mann hoch anßiehen, und 
von Zeit zu Zeit halten. So lange die Spitze des Heeres 
hielt, mußte durch: das ganze Heer nad) und nach Stillſtand 
enſſtehen; fo daß ber Zug ſelbſt in den Augen der Hellenen 
außerſt groß erfchien, und der Anblick deffeiden den Perfer in 
@rftaunen feste, 





*). Wahrſcheinlich ber heutige Dboan oder Odorneh; nach 
' Kinneir heißt ee Kufri— Su 
”*) Na Kinneir wären es vielleicht die Trummer vn Judſea. 





4 


790 Zenophon’s Feldzug des jüngern Eyrus. 


Bon da zogen fie durch Medien Hin, und legten in ſechs 
Tagmärfchen durch wüſte Gegenden dreißig Paratangen zu⸗ 
rück, bis zu den Drtfchaften der Parpfatis, der Mutter des 
Cyrus und des Königes. Tiffaphersies überließ fle, um bag 
Andenken ded Eyrus zu höhnen, den Hellenen zur Pfünde- 
rung; nur follten fie eine Sclaven machen. Man fand viel 
Getreide, Schafe und andere Sachen. 

Bon hieraus zogen fie, den Tigris zur Linken, in fünf 
Zagmärfchen, zwanzig Parafangen, durch wüſte Gegenden 
fort. Auf dem erften Tagmarſch brachte man aus der großen 
and wohlhabenden, jenfeitd des Yluffes gelegenen, Stadt 
Eänd*) auf ledernen Kähnen Brod, Käfe und Wein herüber. 

5. Hierauf kamen fie an den Fluß Sabatuıs, **) der vier 
Plethren breit war. Hier blieben fie drei Tage. Man hatte 
manchfachen Grund zum Argwohn befommen, bis jest aber 
noch Beine offenbare Feindſeligkeit eutdecken koͤnnen. Klear- 
dns hielt demnach für’s beſte, ſich mit Tiſſaphernes zu be⸗ 
ſprechen, um wo möglich allen Grund zu fernerem Verdacht 
zu beſeitigen, und ließ ihm daher ſagen, daß er ihn zu ſpre⸗ 
chen wuͤnſchte; eine Bitte, die ihm auch ſogleich geſtattet 
wurde. 

Als fie zufammentraten, redete ihn Klearchus alfo an: 

„Ich weiß, Ziffaphernes, daß wir ung durch feierlichen 
Eidfhwur und Handſchlag verpflichtet haben, einander Beinen 
Schaden zu thun; und doch muß ich fehen, daß du uns wie 





*) Wahrſcheinlich das heutige Senn. 
*+) Der heutige Fluß Zab; er wird von andern Helleniſchen 
Schriftſtellern auch Lykus genannt. 


Zweites Buch. . 791 


Feinde bewachſt; und Wir, die wir Dieß gewahren, fanden 
für gut, die gleichen Borſichtsmaßregeln zu nehmen. Da id) 
nun aber durchaus finde, daß du und Nichts zu Leibe thun 
wirt, auch Aberzeugt bin,. daß von unferer Seite.an Nichte 
dergleichen gedacht wird, fo habe ich für dienlich erachtet, 
mit dir Rückſprache zu nehmen, damit wir wo möglich bag 
gegenfeitige Mißtrauen verbannen. Die Erfahrung lehrt uns, 
wie Leute durch Verleumdung oder Argwohn ihren vermeint⸗ 


ichen Gegnern’, ohne daß Diefe Böfes vermuthen oder beab⸗ 


fichtigen, zuvorgufommen Kuchen, und unerfeblichen Schaden 
zufügen. Da ich glaube, daß folche Mißverftändniffe durch 
freundfchaftliche Beſprechung fic Heben laſſen, fo komme ich 
zu dir, um dir au beweifen, daß dein Mißtrauen gegen uns 
ungegründes if. Erſtens und hauptſächlich verbietet uns 
der Eid, den wir Angeſichts der Götter fchworen, Euch 
feindficy zu begegnen; und Wer fich Hierin Etwas zu Schul: 
den kommen Fäßt, den wollte ich nicht zu den Glücklichen 
zählen. Denn mit welcher Schnelligkeit will er dem Sorne 
der Götter entfliehen, in welche Finſterniß fid, verbergen, in 
welche Veſte ſich verfchließen? Alles allenthalben fleht unter 
der Allgewalt der Götter. So denke id) von den Göttern 
uud dem Eide, womit wir uns vor ihnen gegenfeitige Freund: 
fchaft zugefchworen haben. Auf Exden halte ic) dich für un: 
fern größten Wohlthäter; denn mit dir ſteht ung jedes Land 
offen, ift ung jeder Fluß zugänglich, wird jedem Mangel vor: 
gebeugt; ohne did, tappen wir im Finftern, wiſſen nicht, 
wohin wir und wenden follen. Ohne dich iſt uns jeder Fluß 
ſchwierig, jeder Wohnfis von Menfchen furchtbar, noch furcht⸗ 
barer die Einöde, wo und an Allem gebricht, Wären wir fo 


792 Xenophon’e Feldzug des jlngern Cyrus. 


vervädt, und wollten dich töbten, was Anderes hätten wir 
Yaven, als daß wir und unſeres eigenen Wohlthäters beranb⸗ 
ten, und mit den Könige ſelbſt, dem furchtbarſten Gegner, 
Kanıpf bekaͤmen? Wie wbeker und wie großer Hoffunngen ich 
mich aber durch ein feindfefiges Benehmen gegen dich beräter 
Sen würde, will ich bir in Wenigem darthun. Ich ſuchte 
des Gyrus Freundſchaft, da ic, ihn damals unter Alfen am 
meiſten in ber Lage fah, feinen Freunden nützlich zu werben. 
Goyt aber fehe ich dich im Beſißz der Markt und der Herrſchaft 
von Eyrırd; du haft überbieh beine eigene Herrſchaft behaup⸗ 
tet und die Macht des Kimigs, die Jenem feindlich entgegen 
ſtand, zu deiner Werfägung geſtellt. Da nen die Sachen 
alſo fliehen, Wer follte fo wahnſiunig feyn, nud nicht dein 
Freund ſeyn wollen ? Und nan will ich bir anführen, worauf 
ich meine Hoffnungen baue, daß auch du unfer Freund ſeyn 
wine. Ich weiß, daß Euch Die Myſier ſchwierig find, und 
getraue mir, mit meiner gegembärtigen Truppenmacht ſie 
Euch zu unterwerfen. — &o die Bifiden, fo noch mehrere 
andere Wölberfchaften, die Enre Ruhe und Euern Wohlſtaud 
zu Hören wagen. Was bie Egyptier betrifft "gegen die Ihr, 
wie ich fehe, am meiften aufzebracht fend, Ho weiß ih Euch 
Beine beffeve Heeresmacht, womit Ihr fie züchtigen Eönntet, 
als diejenige, welche unter meinen Befehlen flieht. Mit un⸗ 
ferer Hilfe follteft bu von deinen Nachbarn, Deren Freund 
wu ſeyn wollteſt, am höchſten geachtet ſeyn; und fie, falls 
fie dich kränkten, alleſammt zu Paaren treiben; und wir 
‚werden die nicht bios Bes Solbes megen, fondern aus 
Dankbarkeit als unfrem Netter dienen. Wenn id) mir altes 
Dieſes vergegenwärtige, fo muß ich mich wundern, wie dm je 


Zweites Bud. ' 93 


uns mißfrauen konuteſt, und möchte gerne den Nanmen des 
Mannes willen, deſſen Beredſamkeit dic) überzeugen bonnte, 
daß wir Böſes gegen did, im Schilde füßren.“ 

So fprady Klearchus. Tiſſaphernes entgegnete ihm: „Es 
freut mich ſehr, Klearchus, dich fo verſtändig ſprechen zu hö⸗ 
ren; denn wenn du alles Dieſes einſiehſt, und noch Schlim⸗ 
es gegen mich im Simme haſt, fo mußt bu es mit dir ferbft 
übel meinen. Damit du aber wiſſeſt, daß du mit Unsecht 
dem Könige und mir mißtraueft, fo Höre denn auch mid. 
Wenn es unfre Ubficht wäre, Euch zu verderben, glaubſt de, 
es würde und an Meiterei, an Fußvolk oder an Waffen feh- 
fen, womit wir gegen Euch, ohne uns felbft irgend einer 
Gefahr auszuſetzen, flreiten Eömnten? Glaubſt du, wir wäß- 
ten wicht alle die geeigneten HRlaͤtze, Euch anzugreifen? Mi 
weicher Gefayr würdet Ihr die vielen und befreundeten Ebe⸗ 
nen durchziehen ? Wie viele Gebirge habt Ihr zu überfteigen, 
Die wir vorher beſetzen und Euch unzugänglich machen könn⸗ 
ten? Bedenkt die Menge von Flüſſen, mittelſt deren es uus 
ein Leichtes ift, mit fo Vielen von Euch, als wir für gut 
finden wärden, nach Bequemlichkeit zu fechtens und über dis 
nen großen Theil würdet Ihr ohne unfere Hälfe gar nicht 
feben können. Stände uns aber ⸗auch alles Dieß nicht zu 
Gebot, kann nicht das Feuer die Ernte verzehren ? und {ft 
dieſe abgebrannt, fo ſtellten wir Euch den Hunger entgegett, 
einen Gegner, weichen Ihr mit al? Eurer Tapferkeit nicht 
Stand halten könntet. Da uns nun fo viele Mittel und 
Wege, Euch zu verderben, offen fliehen, und wir wirgende 
Gefahr dabei hätten, werden wir gleichwohl einen Weg 
wählen, der fündhaft vor Göttern und ſchändlich vor Mens 








94 Xenophon's Feldzug des jüngern Cyrus. 


fen erfcheint? Dieß läßt fi von Leuten erwarten, die, 
von allen Mitteln entblöst und befchränkten Geiftes‘, der 
Nothwendigkeit weichen und ſchlecht genug find, durch Eid⸗ 
bruch gegen Götter und Wortbruch gegen Meufchen ihre 
Zwede zu verfolgen. Nein, Klearchus, weder fo thörichk: 
noch fo unbefonnen find. wir. Uber warum thun wir es 
nicht, da es in unfrer Macht fteht, Euch zu verderben? So 
wiffe beun, daß es mein angelegentlichfter Wunſch ift, mich 
den Hellenen als zuverläßigen Mann- zu zeigen, und eben bie 
Truppen, auf deren befoldete Treue Eyrus ſich ſtützte, als er 
gegen den König heraufzog, durch Wohlthaten an mid, ge⸗ 
feſſelt zurückzuführen. Was dig Dienfte betrifft, die Ihr 
mir leiſten Eönnt, fo weiß ich außer den von dir benannten 
nod) den welentlihen. Das Diadem anf dem Haupfe darf 
nur der König aufrecht *) tragens aber im Herzen trägt es 
wohl auch ein Anderer fo mit Eurer Hülfe.“ 

Diefe Rede hielt Klearchus für unverftellt und antwor- 
tete: „Da wir nun ſolche Gründe zu gutem Vernehmen ha⸗ 
ben, ſollten nicht Diejenigen, welche ſich zum Gefchäfte ma⸗ 
chen, uns bei Euch als feindlich geſinnt zu verleumden, die 
haͤrteſte Strafe verdienen?“ — „Wenn Ihr, Heerführer und 
Hauptleute,“ erwiederte Tiſſaphernes, „zu mir kommen wollt, 
fo will ich Euch öffentlich Diejenigen nennen, die dich des 
Derraths gegen mid und mein Heer befchuldigen.” — „Ich 
werde,’ verfeute Klearchus, „Alle mit mir bringen, und dir 


*) Dem Perfifchen Könige allein ftand es zu, die Tiare aufrecht 
u tragen, indeß fie bei den übrigen Perfern zurüdgebogen 
. stand. 





Zweites Buch. 1396 


dann auch Diejenigen namhaft machen, die mir von dir ein 
Gleiches berichten.“ 

Nach dieſer Unterredung war Tiſſaphernes ſehr vertrau⸗ 
lich gegen ihn, hieß ihn bleiben, und zog ihn zur Tafel. Als 
Klearchus Tags darauf in's Lager zurückkam, merkte man 
gleich, daß er im Wahne war, Tiſſaphernes für ſich gewon⸗ 
nen zu haben; er berichtete Alles, was Jener geſagt hatte; 
auch meinte er, es ſollten alle Diejenigen, welche er ver⸗ 
langte, mit ihm zu Tiſſaphernes gehen, damit Diejenigen un⸗ 
ter ihnen, welche der Verleumdung überwiefen würden, als 
Derräther und Webelgefinnte gegen ihre Landsleute die ver⸗ 
diente Strafe empfingen. 

Dabei hatte er Menon im Verdacht, indem er wußte, - 
daß er ſich mit Ariäus zu Ziffaphernes begeben hatte, und 
gegen ihn Umtriebe machte, um das Heer für ſich zu gewin⸗ 
nen, und fo fich Ziffaphernes zum Freunde zu machen. 

Klearchus hatte nody die Nebenabfiht, durch biefen 
Schritt das Heer für fich zu flimmen und fich feine Gegner 
vom Halfe zu fchaffen. Einige von dem Heere äußerten bes 
denftich, es ſollten nicht alle Anführer und Hauptleute gehen, 
nnd ſich fo in die Gewalt des Tiffaphernes begeben. 

Klearchus ſtritt mit Heftigkeit dafür, big er es durch⸗ 
ſetzte, daß fünf Anführer und zwanzig Hauptleute mit ihm 
gingen. Auch von dem übrigen Heere begleiteten ſie gegen 
zweihundert, um dort Lebeusmittel einzukaufen. 

Als ſie vor dem Zelte des Tiſſaphernes aukamen, wiür⸗ 
den die Heerführer hineingerufen; es waren der Böotier Pro⸗ 
xenus, der Theſſalier Menon, der Arkadier Agias, der Lako⸗ 





6 Kenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus. 


nier Klearchus und der Achäer Sokrates; die Hanptiente 
blieben außen. 

Kurz darauf wurden auf vaſſelbe Zeichen Die, welche 
drinnen waren, gefangen genonnnen, und Die außen niederge⸗ 
macht. Hierauf ſprengten einige Perſiſche Reiter durch»s 
Fun hin, and hieben Alles, was ihnen von Hellenen begeg⸗ 
uete, Sktlaven sad Freie, nieder. 

Die Hellenen wunderten ſich uͤber das Erſcheinen der 
Reiter, die ſie vom Lager aus ſahen, und wußten wicht, wie 
fie es deuten foltten, bie der Arkudier Nikarchus, der in ven 
Unterleib verwundet war und die Eingeweide in den Hanben 
hielt, daher geflohen Fam, und erzählte, was vorgefalfen war. 
Es lief nun Alles unter die Waffen, weil man erwartele, die 
Feinde würden fogfeich vor dem Lager erfcheinen. 

Es kamen jedoch blos Ariaus, Artaozus und Mithridu⸗ 
tes, die des Eyrus vertrauteſte Freunde waren; ach moltte 
der Helleniſche Dolmerfcher den Bruder des Tiſſaphernes un: 
ter ihnen erkennen; fie waren don etwa beeffundert gehar⸗ 
niſchten Perſern begleitet. 

Als fie nahe gekvymmen waren, verlangten fie, daß, Wer 
noch etwa von Helleniſchen Heerführern oder Hauptleuten 
vorhanden ſey, vortrete, damit fie ihm die Botichaft des Kö: 
nigs eröffieten. Nach getroffenen Vorſichtsmaßregeln traten 
bie Helleniſchen Hrerführer vor, Kleanor aus Drchomenns, 
der Stymphalier Sophänetus, und mis ihnen ber Athener 
Renophon, um fü Über das Schickſal des Peoxenus zu er- 
kandigen. Chirifuphes war mit Andern nad, einem Dorfe 
gezogen, um dort Lebensmittel zu holen. 





Zweites Buch, 91 


Als fie nahe genug gekommen waren, ſprach Ariaͤus: 
„Klearchus, ihr Hellenen, Hat, des Meineids und des Ver: 
Iskung. bes Waffenſtillſtandes überwiefen, die vexbiente To⸗ 
desſtrafe erlitten; Prexenus und Menon aber find, weit fie 
deſſen verraͤtheviſche Plane aufgebedt, am Leben und in ho⸗ 
ben Epuen. Bon Euch verlangt des König, daß Ihr bie 
Waffen abliefert, die, ats fruͤheres Gigenthum feines Vaſallen 
Gpeus, ihm acheim gefallen ſind.“ | 

Darauf erwiederte im Namen der Hellenen Kleanor aus 
Orchoemenus: „Schande der Menfchheit, Ariäus, und ihr 
Andern, die Ihr des Cyrus Freunde waret! (chämt Ihr Euch 
nicht var Göttern und Menſchen, daß Ihr, nachdem Ihr ung 
geſchworen, dieſelbes Zreusde und Feinde mit und zu haben, 
uns an Ziffaphermes, den ruchloſeſten, nietertsächtigfen Men: 
ſchen, verrathet, nud nachdem Ihr die Männer, deuen Ihr 
Zieue zuſchmoret, gemordet, und und Andre treules verlaſ⸗ 
fen habt, mit unſern Feinden .uoch vor unſer Angeſicht zu 
treten wagt?“ 

Ariäus erwiederte: „Klearchus warb ja überführt, daß 
er fehon früher gegen Tiffaphernes, Drontas und und Alle, 

die bei ihnen waren, verrätherifch gehandelt hat.“ 
Sierauf entgegnete Xenophon: „Klearchus hat demnach, 
wenn er gegen feinen Eid den Waltenflilifianb brach, wie es 
recht iſt, feine Strafe empfangen; denn es iſt gerecht, daß 
die Eidbrächigen zu. Schanden werben. Sind aber Prorenus 
und Menoa Eure Wohlshäter, fo ſchickt fie ald unfre An⸗ 
‚führer hicherz denn es ſteht zu hoffen, daß De als Eure und 
nuſre Freunde Euch und und das Beſte rathen werden.” Die 





800 Zenophon’s Feldzug bes jängern Cyrus. 


fchaftlih, fo daß es ihm ferbft mandymal vente. Allein er 
ftrafte mit Vorbedacht. Ein Heer ohne Bucht war nad) fei- 
ner Meinung zu Nichts zu gebrauchen. Auch pflegte er zu 
fagen, der Soldat müße fich vor ſeinem Feldherrn mehr ala 
nor dem Feinde fürchten, wenn er forgfäftig Wache Hatten, 
fih am Freunde nicht vergreifen, und. ohne Widersede in den 
Kampf schen Tolle. Im Augenblick dev Gefahr gehorchten 
ibm Alle gern, und wünſchten ſich Feinen andern Führer. 
Seine finftere Miene, fagten file, Märe fich gegen fie auf, und 
feine Strenge erfheine ald Thatkraft gegen den Feind, und 
fey von heilbringender Vorbedentung. War die Gefahr vor: 
über, und kamen fie zu Solchen, die unter anderen Obern 
ftanden, fo verließen ihn Viele; dann fein Weſen hatte burd)- 
ans wichtd Freundliches; er war immer hart und rauh, fo 
daß die Soldaten ihn, wie die Knaben den Suchtmeifler, 
ſcheuten. Niemals folgten fie ihm aus Ergebenheit und Liebe; 
waren ihm aber vom Staat Weihe zugetheilt, oder waren fie 
durch Mangel oder andere Noch dazu getrieben, fo hielt er 
fie im ſtrengſten Gehorfam. Hatten fie einmal unter ihm fies 
gen gelernt, da zeigte es fi, was es hieß, unter ihm zum 
Soldaten gebildet zu feyn: fle fühlten Muth und Sutfchlof: 
fenheit gegen ben Feind; und daB fie Strafe von ihm färdh- 
teten, hielt fle in Orbnung. So war er, wenn er zu befeh- 
Ion hatte; von Andern ließ er fich, fagte man, nicht gerne 
befehlen, Als er flarb, war er ein Mann von ungefähr fünf: 
zig Jahren. 
Der Böotier Prorenus fühlte ſchon von zarter J 
an einen Drang nach großen Thaten in fich, und ging beßhalb 


m. m39CHTE ei 3 — - 


Zweites Buch. . 801 


zit dem Leontiner *) Gorgias in die Schule. Als er” einige 
Zeit Deffen Umgang genoflen hatte, und fidy für tüchtig hielt, 
über Andere zu gebieten, und im Umgange mit Männern 
vom erften Range ihre Gefäkigkeiten erwiedern zu können, 
fieß er ſich auf das Unternehmen des Eyrus ein, weil er ſich 
dadurch einen berühmten Namen, großen Einfluß und glän- 
zende Reichthümer zu erwerben hoffte. Dabei war aber nicht 
zu verfeunen, daß er jene Bortheile nicht auf unrechtem Wege, 
fondern immer auf rechtliche, ehrenvolle Weife zu erlangen 
fuchte.. Weber gebildete, ehrenhafte Maͤnner zu ‚herrfchen, 
war er. tüchtig genug; Soldaten von gewöhnlichem Schlage 
aber mußte er wicht die gebührende Schen und Furcht einzu⸗ 


Hößen, und hatte, fihtbar mehr Schonung gegen fie, als 


fe zu würdigen wußten ; auch fah man wehl, daß er fich mehr 
fchente, fih mis feinen Untergebenen zu verfeinden, ald Diefe, 
ihm ungeherfam zu werben. Um guter Heerführer zu ſeyn, 
und dafür zu gelten, biels er für hinlänglich, die Rechtlich⸗ 
gefinnten zu loben, und die Unzechtlichen unbemerkt zu laſſen. 
Daher kam ed, daß ihm die Gutgeſinnten, welche mit ihm 
au thun hatten, ergeben waren, bie Schlechten aber gegen 
ihn, ale einen Mann, dem leicht beizufonnnen wäre, Raͤnke 
fchmiedeten. Als er das Leben verlor, war er etwa breißig 
Jahre alt. 

: Der Theffalter Menon zeigte ſich als einen Mann, befs 
fen einziges Beſtreben Bereicherung war, der nach Herrſchaft 


*) Leontini war eine Griechifche Pflanzftadt an der Oſtkuͤſte 


von Sicilien. Gorgias war ein großer Redner feiner Zeit; 

und die Athener zählen die Tage, mr denen er bei ihnen df- 

fentlicgen Unterricht hielt, mit zu ihren Feten. ‚ 
Xenophon. 68 Bdchn. 7 


N 


Bo2 RXenophon's Feltzug des jüngern Cyrus. 


trachtete, um mehr zufammen zu füarren, und nad) Aus⸗ 
zeichnumg, weil fie ihm größern Vortheil verfprad. In ber 
Freundſchaft des Märhtigen Tuchte er Strafloſigkeit für feine 
Verbrechen. Um auf dem Fürzefien Wege zum Ziele feiner 
WBünfte zu gelangen, waren ihm Meineid, Lug und Betrug 


die zweck dienlichſten Mittel; Aufrichtigkeit und Wahrheits⸗ 


diebe überließ er dem ſchwaͤchern Kopfe. Er liedte Nieman⸗ 
ben von Herzen; Weſſen Freund er ſich nannte, den hatte er 
ficherlich eine. Falle geſtellt. Kein Feind war ihm zu ugbes 
dautend; über feine Umgebung aber wußte er.Äich immer lu⸗ 
flig zu machen. Das Eigenthum des Feindes war licher wor 
ihm; denn er hielt es zu fchwer, Dem, ber .auf Teiwer Hut 
war, das Seinige zu entreißen; dad Beſitzthum ſeiner Freunde 
glaubte er (uud rühmte ſtch Deſſen) auf die leichtefie Meiſe un⸗ 
bewacht an fich zu briugen. Von Wem er wußte, daß es itzm 
auf einen Meineid oder ein Bubenflüd nicht ankam, nor. dem 
hatte er Achtung, als vor einem wohl bewafjusten Wanne; 


‚mit gewiſſenhaftan, geradfiunigen Leuten hatte er, als: mit 


Schwaͤchlingen, am Heben zu. thum. Wie Andere ihre Luſt 
an Pflichtgefühl, Bahtheitsfiau uud Rechtlichkeit finben , fo 
fand Menon seine Luft darin, Betrug: ga: fpielen, Lügen zu 
innen, und feine Freunde [dcherkich zu machen. Mer Kch 
nicht auf Winkelzüge verftand, der hatte bei ihm Beine Lebeus⸗ 
art; Dielenigen, in deren Gunſt er abenun ftehen wollte, glaubte 
er dadurch gewinmen zu.mißen, daß er Solche anfchwärgte, 
die im Befige jenes Vorzuges waren. Den Gehorfam ſei⸗ 
ner Soldaten glaubte er. ſich dadurch zu fühern, daß er an 
ihren Freveln Autheil nahm. Zuiuuct und. Dienfibeflifien: 
heit aber ſuchte er ſich dadurch zu: ergwingen, daß en merken 





Zweites Buch 803 


ließ, ex habe widrigenfalld die Macht und den Willen, zu 
fhhaden, Wenn Jemand von ihm abfiel, fo rechnete er ſich 
zum Verdienft an, daß er Denfelben während feines Dienftes 
nicht zu Grande gerichtet. hatte. Was ſich wicht auf allge⸗ 
mein betannte Thatfachen fiägt, mag umnveriäfiig ſcheinen; 
das Offentnnuige aber iſt Folgendes: Bei Artftippne*) hurtte 
er es in einem Alter, das durch ſeine Brücke empfahl, dahin 
gebracht, daß er den Oberbefehl über die fremden Söldner be⸗ 
tan. Dem Barbaren Ariäns, der ſich an ſchͤnen Knaben 
wergnügte, gab ev ſich noch bei reifeen Jahren preis; vr ſelbſt 
Hebte Tharypas, der Bartfofe den ſchon Baͤrtigen. 

As feine Mitanführer dad Leben verloren, weil Re un⸗ 
ter Tyrus gegen den König die Waffen getragen hatten, blieb 
er, der Doffelben fehutdig war, am Leben. Nach dem Tote 
der undern Anführer jedoch ward auch er von dem König 
zur Strafe gezogen, und mußte wit. dem Leben büßen. Doc 
er ſtarb wicht den Zod des Klearthus mb: ber Ahvigen Uu⸗ 
führer, werde wwihaupter wireden was Für den ſchnellſten 
Tod gift), fordern ward gemartert wie ein Verbrecher, und 
fall fo exit nad) einem Jahr fein Leben geeudet haben, 

Auch der Arbadier Mgiad und ver Achder "Sokrates 
wurden hingerichtet, Männer, denen man ſowohl in Hinſtcht 
ihres Betragens im Felde, als and) im Umgang mit Freun⸗ 
den, alle Gerechtigkeit widerfahren laflen muß. Sie ſtarben 
Beide in einem Ukter von: etwa viergig ihren. 


*) S. J, 1. 








Suhale des dristen Bude. 





Cap. 1. Beftärzung im Heere der Griechen. Xenophon tritt 
auf und veranlaßt die Wahl neuer Anführer. Der feige Apollo: 
nides wird fortgejagt. Cap. 3. Bor den verfaunmelten Hellenen 
tritt zuerft Chirifophus, dann Kleanor und zuletzt Zenophon auf. 
Die vorläufig gefaßten Beſchluͤſſe werden dem Heere mitgetheilt, 
und von Diefen beftätigt. Cap. 3. Mithridates erfcheint und heu⸗ 

chelt Freundſchaft, wird aber verdächtig und veranlaßt den Befchluß, 

‚nie wieder, während des Heimzuges, mir den Perfern, zu unterhan- 
dein. Mithridates kehrt wieder zuräd und fügt den Griechen be: 
deutenden Schaden zu, weßhalb Kenophon die Ayfftellung von Reis 

tern und. Schleuderern anraͤth und durchſetzt. Cap. 4. Mithrida⸗ 
tes erſcheint zum dritten Male, wird nun aber mit leichter Mühe 
zuruͤckgewieſen. Die Griechen kommen an den Tigris, und rüden vor 

Rariffa und Meſpila. Tiſſaphernes ergeht es wie Mithridates. 
Die Griechen ordnen eine neue Schlachtbewegung an, um die Uns 

ordnung und Trennung ber Phalanr auf dem Marfche zır verhäten. 

Neue Angriffe in einer bergigen Gegend; bie Griechen leiden bebeu- 
tend. Sie gewinnen einen Vorſprung. Wach vier Tagen aber 

holen fie die Feinde wieder ein und beſetzen eine wichtige Anhöhe 

vor innen, werben aber durch Xenophon's Klugheit und Muth aus 
diefer vortheithaften Stellung vertrieben. Cap. 5. Gegen Abend 
tommen die Feinde zuruͤck, toͤdten einige umherftreifende Griechen 
und brennen die Dörfer ab. Die Griechen berathfchlagen über den 

Peg, den fie einzufchlngen Hätten. Hier der Tigris ohne Brüden — 

dort die Hohen Karduchiſchen Gebirge, Ein Rhodier ſchlaͤgt eine 

aus Schlaͤuchen zu fertigende Brücke vor, finder aber nicht Gehör. 

Man macht eine rädkgängige Bewegung, befommt von einem Ges 

fangenen Audtunft Über die Gegend und Lage; woranf beſchloſſen 

wird, Über die. Karduchiſchen Gebirge zu gehen. 





— 





— — — — 


Drittes Bud. 


1. Was die Hellenen auf dem Zuge des Eyrus bis zur 
Schlacht. gethan, was nad dem Tode des: Eyrus vorgefallen, 
als fie in Folge des abgefchloffenen Waffenftiliftandes mit 
Ziffaphernes abzogen , ift in den frühern Abſchnitten gezeigt 
worden. 

Als die Anführer gefangen genommen, und die Haupt⸗ 
leute und die andern Hellenen, welche fie begleitet hatten, 
umgekommen waren, befanden ſich die Hellenen in großer 
Noth, indem fi ihnen der Gedanke aufdrang, wie fie, vor 
den Thoren der Hauptftadf, ringe um fich her nichts denn 
feindliche Städte und Völker hatten, wo ihnen "Niemand 
mehr Lebensmittel zu Eaufen geben würde, und fie, von Hel⸗ 
las mehr als zehntaufend Stadien *) entfernt, weder Führer 
noch Wegweifer hatten, und auf ihrem Heimzuge durch uns 


durchgängliche Flüſſe gehemmt, und verrathen von den mit 


Cyrus heraufgezogenen Barbaren, allein und verlaffen da flan- 
den, auch Beine Reiterei zu ihrem Beiſtande hatten, fo daß 
fie im Fat eines Sieges Feinen der Feinde erlegen Fonnten, 
im Fal einer Niederlage aber bie auf den Testen Mann 


*) Ungefähr zweihundert vier und zwanzig beutfdje Meilen. Go 
viel beträgt etwa der gerade Weg von Ephefus; allein fie 
hatten viele Ummege gemacht, amd menisftens fechzehn tau⸗ 

’ fend Stadien gebraucht. 


806 RXenophon's Feldzug des jdägern Eyrus. 


aufgerieben werden mußten. In dem Bewußtſeyn diefer 
troftfofen Lage nahmen nur Wenige des Abends Speife zu 
fi), zündeten auch nur Wenige Fener an; Diele kamen in 
diefer Macht gar nicht in's Lager, fondern legten fid) nieder, 
wo ed der Zufall fügtes allein Kummer und Sehnſucht nad 
Vaterland, Eltern, Gattinnen und Kindern, die fie nidyt 
wieder fehen foliten, ließ Keinen die Wohlthat des Schlafes 
genießen. In foiher Stimmung hatten fich Alle zur Ruhe 
begeben. " 

Es war aber unter dem Heere ein Athener, mit Namen 
Kenophon, der, ohne Anführer, Hauptmann ober überhaupt 
Soldat zu ſeyn, dem Heere gefolgt war. Sein alter Gaſt⸗ 
freund Prorenus hafte ihn gefchrieben, er ſollte zu ihm kom⸗ 
men, und ihm verfprochen, ihn mit Eyrus, auf ben er felbft 
höhere Hoffnungen, als auf fein Vaterland baute, vertraut 
zu machen. 

Keuophon lad den Brief, und theilte ihn Sokrates . 
mit, um feine Meinung darüber zu hören. Diefer beforgte, 
man möchte Kenophon ein folches Verhäftuiß zu Cyrus von 
Seiten des Staates übel deuten, da man Eyruis in dem 
Kriege der Lacedämonier gegen then im Einperkänbniß mit 
den Erftern glaubte; er rieth ihm daher, nach Delphi zu ge⸗ 
ben, und den Gott über fein Vorhaben zu befragen. 

Tenophon begab ſich dahin, und fragte den Apollo, wel- 
chem der Götter er Opfer und Gelübde darbringen müßte, 
um: die Reife, die er vorbätte, mit beftem Erfolge zu machen, 
und glücklich wieder heimzukebren. Apollo hieß ihn denjenis 
gen Göttern opfern, denen dieſes Opfer gebühre. 





Drittes Bach. 807 


Als er zurüd kam, theilte er Sokrates ben Orakelſpruch 
mit. Dieſer tadelte ihn, daß er nicht vielmehr gefragt habe, 
ob ed überhaupt für ihn beſſer wäre, zu reifen oder da zu 
bfeiben, fondern ſelbſt entfchieden, zu gehen, und blos gefragt 
habe, wie Dieb mit dem beften Erfolge gefchehen könnte, 
„Doch,“ meinte er, „da du einmal die Frage fo geftellt haft, 
must du fhun, was der Gott befohfen hat.’ 

Nachdem alſo Kenophon den vom Drakel- bezeichneten 
Göttern geopfert Hatte, fegeite er ab, und traf Prorenus und 
Eyhrus in Sardes, als fie bereits im Begriff waren, den Zug 
nach Dberaflen anzutreten, und warb dem Eyrus vorgeftelft. 

Proxenus ſprach ihm zu, er folite bei ihnen bleiben, und 
ward darin von Cyrus unterſtützt, der verfprach, ihn nach 
geendigtem Feldzug fogleich zu entlaffen. Diefer galt aber, 
wie es hieß, den Piſiden. 

Sp getäufcht, nicht von Prorenus (denn weder er, noch 
ein anderer Helene, außer Klearchus, wußte, daß es gegen 

"ven König ging), ward Kenophon mit in ein Unternehmen 
gezogen , deffen wahre Abſicht erft in Eilicien Allen klar zu 
werden begann, So ungern nun auch die Meiften den ges 
faͤhrlichen Zug weiter. mitmadyten, fo fiegte doch bei ihnen die 
Scham vor fidy felbft und vor Eyrus über ihre Abneigung; 
und unter Diefen befand ſich and, Xenophon. 

In diefer allgemeinen Rathlofigkeit war aud) er, wie die 
Andern, bekümmert, und konnte in diefer Nacht nicht fchlas 
fen. Als er ein wenig einfchiummerte, hafte er einen Traum. 
Es war ihm, als ob ein Blitzſtrahl mit plötzlichem Donner: 
ſchlag in ſein väterliches Hans einfchlüge, und diefes in lich⸗ 
ten Flammen auffoderte. In voller Angſt fuhr er auf, und 





. B08 Zenophon’3 Feldzug des jängern Cyrus. 


fab in dem Traume einerfeitd ein glüdtiches Seichen (indem 
in foldyer Gefahr und Berrängniß ihm ein großes Licht vom 
Zeus erfchienen wäre); andererfeits fürchtete er, da der Traum 
von Zeus, dem König der Könige, zu kommen, uud das Haus 
ringsum zu brennen fchien, er möchte aus dem ‚Gebiete des 
Königs keinen Ausweg finden. 
Was dieſes Traumgeſicht zu bedeuten hatte, kann man 
aus den Folgen erfehen, die fich bald zeigten. So bald er 
erwadyt war, kam er fegleid auf folgende Betrachtung: 
„Was liege ich hier? Die Nacht -ichreitet fort, und mit An⸗ 
bruch des Zages rüdt der Feind heran. Sind wir in der 
Gewalt bes Königes, was hindert dann, daß wir, nachdem 
wir das Schrediichfte mit angefehen haben, und aufs grau⸗ 
famfte gemißhandelt find, eines ſchmachvollen Zodes fterben ? 
Daß wir Das abwehren, dafür trifft Keiner Auſtalten, ſorgt 
Keiner: wir liegen da, als dürften wir ber, Ruhe pflegen. 
Aus welcher Stadt erwarte idy den Heerführer, der Solches 
thun wird? Bis zu welchem Alter fol ich warten, da id; 
nicht älter werde, wenn ich heute mid) den Feinden ergebe ?’' 
Er ftand auf, und rief zuerſt die Hauptleute des Prores 
nus zufammen. Als fie beifammen waren, fprad) er: „Ich 
kann, wie wahrfcheinlich auch Ihr, weder fchlafen, noch laͤn⸗ 
ger liegen bleiben, wenn ich betrachte, in welcher Lage wir 
ſind. Der Feind iſt nicht eher wider uns im Feld erſchienen, 
als bis er ſich hinlänglich vorbereitet glaubte; von uns aber 
trifft Keiner Vorkehrung dagegen, daß wir mit Ehren den 
Kampf beftehen. Und doch — was wird unfer Schidfal 
feyn, wenn wir und unterwerfen, und in der Gewalt des 
Königs find, eines Königs, der feinem leiblichen Bruder, als 


⸗ 


Drittes Buch. 80g 


er fchon todt war, den Kopf und die Hand abbauen, und 
ihn an’s Kreuz fchlagen ließ? Was haben wir zu erwarten, die 
wir keinen Yürfprecher haben, die wie er gegen ihn zu Felde 
zogen, um ihn vom Könige zum Sclaven zu machen, und ihn 
zu tödten, wenn wir es vermöchten ? Wird er nicht Alles 
aufbieten, um durch die fchmählichften über ung verhängten 
Martern alle Menfchen abzufchreden, die je gegen ihn zu 
Telde ziehen wollten? Darum müflen wir Alles wagen, um 
nicht in feine Gewalt zu kommen. — Noch während des Waf⸗ 
fenftilftandes mußte ich immer ung bedauern, und den König 
und feine Zeute glücklich preifen, wenn ich bedadhte, weldy 
ein großes, herrliches Land, welchen Weberfluß an Lebens⸗ 
mitteln, wie viel Diener, welden Reichthum an Dich, 
Bold und Kleidung fie befipen; wenn ich Dagegen einen 
Blick auf unfere Leute warf, wie wir von al den Gi: 
tern Nichts unfer eigen nennen konnten, weun wir's nicht 
gauften, und nur Menige noch die Mittel Hatten, Etwas 
zu Baufen, und wie der Dertrag uns die Hände band, 
auf andere Weife, ald durch. Kauf, .unfere Beduͤrfniſſe zu be: 
friedigen; wenn id) alles Diefes überdachte, fo fürchtete ich 
den Waffenftiliftand oft mehr, als jebt den Krieg. Da nun 
Jene den Waffenſtillſtand gebrochen haben, fo hat auch, glaube 
ich, ihre Uebermuth und unfer Argwohn ein Ende. Test find 
diefe Güter alle für die Tapferften als Kampfpreis ausge⸗ 
ſtellt. Kampfrichter find die Götter, die, wie billig, auf un⸗ 
ferer Seite ſtehn. Denn Jene find gegen fle meineidig gewors 
ben; wir aber, freu unferem Schwure, obgleich wir Alle 
diefe Güter vor Augen hatten, enthielten uns ftandhaft ders 
felben, und dürfen darum auch mit ungleich höherem Muthe 





810 RXRenophon's Feldzug des jüngern Cyrus. 


in den Kampf gehen, als ſie. Ueberdieß ſind wir gegen die 
Hitze, Kälte und Beſchwerden weit abgehärteter als Jene; 
und ung beſeelt, Dank ſey den Goͤttern! ein eblerer Sinn. 
Ihre Lente find verwundbarer und hinfälfiger als wir, wenn 
ung, wie bieher, die Götter den Sieg fchenten werden. Doch 
vielleicht haben hieran auch ſchon Andere gedacht. Aber bei 
den Göttern, laßt uns nicht anf Andere warten, um von ih⸗ 
nen zu ruhmpollen Thaten aufgefordert zu werden! Laßt und 
die Erften ſeyn, die unfere Maffenbrüder zu Thaten der 
Tapferkeit entflammen! Auf! zeigt Euch als die wackerſten 
Hauptleute, als die würbigften Anführer! Wollt Ihr ſelbſt 
Euch zu Solchem erheben, ſo folge ich Euch; beſtellet Ihr 
mich zu Eurem Anführer, ſo ſchütze ich nicht meine Jugend 
vor, ſondern fühle die volle Manneskraft in mir, das Unglück 
von mir abzuwehren.“ 

So ſprach er; und die Hauptleute forderten ihn einſtim⸗ 
mig auf, die Anführung zu übernehmen. Nur ein gewiſſer 
Apollonides, feiner Mundart nach ein Böootier, erklärte ſich 
Dagegen, und naunte Den einen Schwäbßer, der andere Ret⸗ 
fung als von des Könige Gnade Hoffe, und fing an, die 
Schwierigkeiten aufjnzählen. Xenophon aber unterbrach ihn 
mit den Worten: 

„Unbegreiflicher Menſch, wo haft du deine Augen ? wo 
bleibt dein Gedaͤchtniß? Warſt du doch, wie Dieſe hier, zus 
gegen, ald der König, burch des Cyrus. Fall übermüthig, uns 
die Waffen abfordern ließ. Da wir es aber nicht thaten, 
fondern bewaffnet heranrückten, und neben ihm unfer Lager 
aufſchlugen, was that er da micht Alles, ſchickte Geſandte, 
ließ und Waffenſtillſtand anbieten, Lebensmittel reichen, bis 


Dritte ul. 811 


wir in feine Bitte willigten? Endlich vergriffen die Anführer 
und Hauptleute diefelbe Maßregel, die du uns raäthſt; fie 
Samen ohne Waffen zu ihnen, um fich mit ihnen zu befpre: 
chen; wurden fie da nicht geſchlagen, geftoßen, gemißhandelt, 
die Ungrüclichen, und wünfchen den Tod fich, der vor ihnen 


fließt 2? Dieb weißt du, und willft Diejenigen noch chöricht - 


fcheften, die jur Vertheidigung rathen, und verlangft, fie fol: 
fen hingehen und abermal um Gnade bitten? Mic, dünkt, 
ihr Hellenen, dieſer Menfch darf nicht Länger in unferer 


Mitte geduldet werden; man nehme ihm die Hauptmannsſtelle 


ab, und lege ihm, als einem Laftträger, das Gepäde auf. 
Der Menfc macht feinem Vaterlande, macht dem gefammten 
Hellas Schande, daß er, als Helfene, ſo niedrig denkt.‘ _ 

Da nahm der Stymphalier Agaſtas das Wort und 
ſprach: „O, diefen Menſchen geht weder Böotien, noch das 
gefammte Hellas etwas anz ihm find ja, wie einem Zypdier, 
beide Ohren durchlöcdert.‘‘*) Und fo verhielt es fidy auch. 
Er wurde fortgejagt; und die Anderı gingen durch das La⸗ 
ger an den Heeresabfheilungen hin, und viefen den Befehls- 


haber, wo Diefer nody am Leben war, wo nicht, den Unter: 


befehlshaber, und den Hauptmann, wo noch ein Hauptmann 
war. Us Alle beifammen waren, febten fie fich vor dem 
Lager nieder. Es waren der verfammelten Anführer und 
Hauptleute ungefähr Hundert, Dieß gefchah um die Mitter- 
nachtsſtunde. 
Da nahm der Elder Hieronymus, als der Aelteſte der 
Hanptleute des Prorenus, dad Wort: 
*) Ohrringe trugen (nach Zeugniffen der Alten) Häufig die Bar: 
baren. Vielleicht war diefer Menſch urfprünglich ein Lydier. 


812 Zenophon’s Seldzug des jüngern Cyrus, 


„Anführer und Hauptieute, bie Betrachtung unferer Lage 
ließ es uns ald nothwendig erfcheinen, zufammen zu fommen, 
und auch Euch zu berufen, um wo möglich einen heilfamen 
Entſchluß zu faffen. Wiederhole nun, Kenophon, was du 
und vorgetragen haft.” 

Hierauf ſprach Zenopbon: „Es ift ung Allen bekannt, 
daß der König und Ziffaphernes fo Diele von ung, ale fie 
Ponnten, gefangen genommen, und darnach trachten, pie fie 
uns Ale zu Srunde richten. Wir müflen daher, meines Ers 
achtens, Altes aufbieten, um nicht in der Barbaren Gewalt 


zu kommen, fondern fie vielmehr, fo es möglich wäre, in un⸗ 


fere Gewalt!zu bringen, Wiſſet alfo, daß auf Euch, die Ihr 
bier verfammelt feyd, die ganze Eutfcheidung ruht. Auf Euch 
find aller Hellenen Augen gerichtet: finden file Euch muthlos, 
fo werben fie Alte zagen; fehen fie Euch dem Feinde ent- 
fchloffen entgegen treten, und fid) von Euch aufgefordert, fo 
wißt Ihr wohl, daß fie.Euc) folgen und Euch zum Mufter 
nehmen werden. Auch ift es Eure Pflicht, daß Ihr mis 
rühmlichem Beiſpiel vorangeht. Ihr feyd die Befehlshaber, 
‚die Unterbefehlshaber und Hauptleute. Sm Frieden waret 
Ihr gegen ſie an Geld und Auszeichnung im Vortheil; nun 
es Krieg iſt, müßt Ihr, als die Beſſern, der Menge mit 
Rath und That, wo es Noth thut, vorangehn. Eure erſte 
Sorge zum Wohle des Heeres wird alſo dahin gehen, daß 
Ihr an die Stelle der gefallenen Heerführer und Hauptleute 
Andere erwählt. Denn ohne Führer mag überhaupt in Eei- 
ner Lage, am wenigften im Kriege, etwas Rühmliches und 
Förderliches gedeihen. Die Ordnung erhält, die Unordnung 
hat fhon Viele zu Fall gebracht. Habt ihr die nöthigen 


/ 





Drittes Buch. . 813 


Führer: erwählt, fo ift es, glaube ich, hohe Seit, daß Ihr das 
Heer verfammelt und ihm Muth einfprecht. Denn Ihr habt 
wohl feibft bemerkt, wie muthlos fie in's Lager zurückkehren, 
wie muthlos auf die Poften ziehen; fo daß ich nicht weiß, 
wie ſie in diefer Gemuͤthsſtimmung bei Nacht oder am Zage 
etwas ZTüchtiges leiften würden. Stimmen wir fie aber um, 
daß fie nicht blos an das drohende Unheil, fondern auch daran 
denken, was fie zu thun haben, fo-wird ihre Muth in hohem 
Grade angefenert werben; denn wißt, daß nicht Die Menge, nicht 
die Stärke es iſt, die im, Kriege die Siege entfcheidets ber 
höhere Muth, mit dem der Krieger, im Bertrauen auf den 
Beiftand Ber Gärten, im die Schlachten geht, ift ed, dem der 
Feind nicht zu wiberfiehen vermag. Dagegen finden, wie mir 
dünkt, Die, weiche im Kriege Fein Mittel verfchmähen, um 
nur ihr Leben zu retten, gewöhnlich in #hrer Feigheit und 
NMiederträcdtigteit ihren Tod. Wer aber in dem Tode das 
gemeinfame, unvermeidtiche Schickfal der Menſchheit ficht, 
und nur nad) einem rühmlichen ode ringe, hat fchon oft 
ein hohes und glückliches Alter erreicht. Diefe Ueberzeugung 
nun laßt und durch die That bewähren, als tapfere Männer 
handeln, und die Andern durch unfer Beiſpiel ermuthigen!“ 
Damit endete er,‘ - 

Nah ihm ſprach Ehirifophus: „Bisher, Kenophon, 
kannte ich dich blos ald einen Athener; nun aber muß ich 
dich ob deiner Rede und deinen Thaten rühmen, und wünſchte 
zum Wohle des Ganzen, daß wir mehr folde Männer häts 
ten. Wohlan denn, meine Freunde, Taßt uns nicht zögern, 
fondern geht, wählt die fehlenden Anfuhrer, und führt fie 
nad) beendigter Wahl im die Mitte des Lagers, wo wir das 


814 Renophon's Feldzug des jüngern Cyrus, 


übrige Heer verſammeln wollen. Auch fol der Herold Tol⸗ 
mides zur Stelle ſeyn!“ 

Damit erhob er fi, um ohne Verzug dad Nöthige an⸗ 
zuordnen. Hierauf wurden die Heerführer gewählt, für 
Klearchus Zimaflen aus Dardanuıs, *) für Sokrates Katts 
thikles aus AUchaja, **) für den Arkadier Agias Kleuner-aus 
Drdgomenus, ***) für Menon der Achäer Phileſins, und für 
Proxenus der Athener Kenophon. 

2. Schon begann ed zu tagen, als die Unfüscer und 
vollendeter Wahl zufanımentraten, und nad) Aus ſtellung von 
Vorpoſten das Heer zuſammenriefen. 

Als Alle beiſammen waren, erhob ſich der Lakonier Ehi- 
riſophus, und ſprach: 

„Waffenbrüder, unſere Lage iſt durch tue Veruſt unſe⸗ 
rer Anführer, Hauptleute und anderer Krieger, fo wie durch 
den Verrath des früher mit ums: vaxbündesen Ariäͤus ſehr 
bedenklich gewerden. Laflen wir uns jedoch nicht niederbeu⸗ 
gen, fondern und ald tapfere Männer, fo es möglich iſt, 
durch ruhmvolle Siege daraus befreien, mo nicht, mit Ehren 
ſterben, anf daß wir micht lebendig in der Barbaren Hände 
fallen, ‚und von ihnen erleiden, was bie Bötter über fir 
serhängen mögen !‘’ 

Nach ihm trat Kleanor aus Orchomenus anf! und {pradı 
Folgeudes: 

2) Dardenus war eine Stadt in der Landſchaft Troas, im weſt⸗ 
lchen Kteinaften, 


*+, Eine Landſchaft tn noͤrdlichen Peloponnes. 
***) Eine Stadt in Arcadien. 


Deittes Buch. 815 


„Ihr feht den gottesvergeſſenen Meineid des Könige und die 
Zreulofigkeit des Ziffapherned. Er, der, als Nachbar von Hel⸗ 
las, besheuexte, wie viel ihm daran liege, uns glüdkich zurück 
zu führen, und ſich hiezu durch Eidfchwur und Handfdylag 
verpflichtete, hat uns betrogen, unfese Anführer gefangen ge⸗ 
nommen, uud dadurch, Daß er, ohne fd) vor Seus, dem 
Bchüser des Gaſtrechts, zu ſcheuen, Freundſchaft lügend ben 
Klearchus zur Tafel 309, Die Männer zu Grunde gerichtet. Asch 
Uriäud, dem wir das Diadem anboten, und Den mit uns 
das feierliche Berfprechen band, Beinen Verrath zu begehen, 
ift ohne Scheu vor den Gätsern, ohne Scham vor dem gefals 
lauen Cyrus, von dem er am Leben ſo ſehr geehrt worden ift, zu 
deſſen Todfeinden übergetreten, und fucht mis Diefen, ‚wie er 
und, die Freunde des Eyrus, verderbe. Doch mögen die 
Götter an ihnen Strafe nehmen; wir, die alles Dieß erlei- 
deu mußten, wollen uns nicht weiter non ihnen tänufchen lafs 
fen, fondern rühmlich Fämpfen und erwarten, was die Bätter 
über und verhängen mögen.’ 

Nach ihm trat Zenophon im fchönften kriegeriſchen 
Schmudce auf; denn, meinte er, verleihen und bie Götter 
den Sieg, fo gebühre dem Gieger der ſchönſte Schmuck; fen. 
der Tod verhängs, fo gezieme fich’s, daß, Mer des Schöniten 
Sch würdig erachte, in Diefom auch fein Leben befchließe. Er 
begann nun alfo zu voden: 

„Der Barbaren Meineid und Weribrac has Euch Klea⸗ 
nor fchon gezeigt; auch ſeyd ihr ſelbſt hinlaͤnglich damit bes 
kannt. Wollten wir ung ihnen wieber ale Freunden anver⸗ 
trauen, fo müßte unfer Much bedeutend finden, wenn wir 
uns das Schickſal unferer Foldherrn, die fid) auf Zreu und 


- 


816 RXenophon's Zeldzug des jüngern Cyrus, 


Glauben in ihre Hände gaben, vor Augen rufen; entfdhließen 
wir uns aber, mit den Waffen in der Hand für die veräbten 
Frevel Rache zu nehmen, und fle hinfort mit allen und zu 
Gebot ſtehenden Mitteln zu bekämpfen, fo eröffnen fich und 
mit Hülfe der Götter viele fchöne Ausfichten auf Rettung.‘ 
Als er die letzten Worte ſprach, niefte Eimer, Da 
die Soldaten ed hörten, beteten ſie Alle inbrünſtig zu dem 
Gotte.*) Xenophon begann hierauf: „Weil ung, da wir 
von Rettung fprachen, von Zeus, dem Retter, ein Zeichen 
ward, fo trage ich daranf an, wir geloben, dem Gotte, fo 
bald wir in Freundesland kommen, für unfere Rettung ht 
Dantopfer zu bringen, und auch den andern Göttern nad) 
beftem Vermögen zu opfern. Wer mit mir einſtimmt, hebe 
die Hand auf!" 
Alte hoben die Hände empor, betefen-und fangen den Päan. 
Nachdem dieſe gottesdienſtliche Haundlung zu Ente wer, 
begann Xenophon wieder: | 
„Ich ſprach von den vielen und fhönen Ausfichten auf 
Rettung, die fih uns eröffneten. Erſtlich haben wir die vor 
den Göttern gefchworenen Eide gehalten, die Feinde dagegen 
meineidig den feierlichen Vertrag gebrochen. Go können wir 
mit Zug und Recht erwarten, daß ten Feinden die Götter 
entgegen find, und mit uns wiber fie flreiten werden, fie, 
weiche mächtig genug find, wenn es ihr Wille ift, die Großen 
zu erniedrigen, und die Schwachen, fo fie auch in Noth find, 
*) Daß die Worbedentung zu ihrem Gluͤck ausſchlagen moͤge. 
Da das Nieſen den Alten von Bedeutung war, fo entſtand 
fehon bei ihnen die Gewohnheit, dem Viefenten mit ben 
Worten: Hilf Zeus! Gluͤck zu wuͤnſchen. 





Drittes Buch. 817 


leicht zu erreiten. Ich rufe Euch ferner die Gefahren Eurer 
Voreltern in's Gedächtniß; ihe Beifpiel erhebe Euch zu glei⸗ 
er Tapferkeit und zeige Euch, wie die Zapferı mit Hülfe 
der Goͤtter aus aller, auch der.größten Gefahr errettet wer⸗ 
den. Als die Perfer und ihre Verbündeten mit ungeheurer 
Heeresmacht beranzogen, Athen zu vernichten, wagten bie 
Ythener, ſich ihnen entgegen zu flellen, umd befiegten fie. Gie 
gelobten der Artemis, ihr fo viel Ziegen zu spfern, als fle 
Keinde erlegen würden; da fie nun nicht fo viele aufbringen 
tonnten , befchioßen fie, ihr jährlich fünfhundert zu opfern, 
und briugen noch jetzt dieſes Dpfer dar. Als fpdter 
Zerred mit einem zahflofen Heere in Hellas erfchien, be: 
fiegten gleichfalls Eure Voreltern die Woreltern Diefer zu 
Waſſer und zu Land. Als Denkmäler find nod) jene Sieges- 
zeichen zu fehen; das herrlichite Denkmal aber ift die Frei: 
heit der Städte, in denen Ahr Heboren umd erzogen ſeyd; 
deun Ihr betet Leinen menichlichen Herrfcher, fondern allein 
die Bötter an. Don folchen Voreltern ſtammt Ihr. Nicht 
ſag' ich Diefes, als ob Ihr ihrem Andenken Schande machtet; 
noch vor wenigen Tagen habt Ihr die Nachkommen Derfel: 
ben in weit überlegener Anzahl in offener Feldſchlacht mit 
Hulfe der Götter aufs Haupt geſchlagen. Da galt es noch, 
Eyrus ein Diadem zu erfämpfen; nun der Kampf für Frei⸗ 
heit und Leben geht, muß Tapferkeit und Muth Euch nad) 
in weit höherem Grabe befselen; jept müßt Ihr ben Feinden 
noch entfchloffener entgegen treten. Wagtet Ihr damals, noch 
ehe Ihe Euch gegen fle verfucht hattet, auf die unzählbaren 
Schaaren mit angeflammten Muthe einzubrechen, warım 
foßtten fie jest, da Ihr erfahren habt, daß fle ee in übers 
Kenophon. 68 Bdchn. 


8:8 Xenophon's Feldzug des jüngern Cyrus. 


legener Zahl Euch nicht zum Kampfe ftehen, Euch. furchtbar 
ſeyn? Ihr dürft nicht glauben, daß es viel fdylechter. um 
Euch ftehe, weil Eyrus Truppen, Eure frühern DBerbündes 
ten, von Euch abgefallen find; fie, find noch feiger,' als die 
von uns Beſiegten; darum flohen fie zu Jenen, und verließen 
uns. Die, welche die Erſten auf der Flucht find, fehen wir 
beffer auf Seiten ber Feinde, als in unfern Gliedern. Wenn 
es aber Einem von Euch Kummer macht,Idaß wir feine Rei: 
terei, die Feinde aber eine zahlreiche haben, fo bedenkt, daß 
die zehntaufend Reiter nichts weiter als zehntauſend Men: 
when find, Noch Niemand ift in der Schlacht von einem 
Dferde todtgebiffen oder erfcdlagen worden; die Mäntter find 
es, welche die Schlachten enticheiden. Terner bewegen wir 
ung weit ficherer, als die Reiter; file hängen auf den Pfer-- 
den und haben fich nicht blos vor und, fondern auch vor dem 
Stürzen zu fürchten; wir aber ftehen auf dem Boden und 
fchlagen, wenn Einer und naht, viel nachdrüdlicher drein, 
und treffen viel fiherer, wohin wir wollen. Eins nur haben 
die Reiter vor und voraus: fle koͤnnen ficherer fliehen, als 
wir. Wenn hr aber, unbeforgt wegen des Kampfes, darob 
befümmert feyd, daß ZTiffaphernes nicht mehr Euer Wegweifer 
ift, und der König Euch Feinen Markt mehr gibt, fo fragt 
Euch felbft, ob es vortheilhafter ift, den Tiffaphernes zum 
MWegweifer zu haben, deſſen feindliche Abſichten gegen uns 
offenkundig find, oder und von folchen Leuten den Weg wei 
fen zu laffen, die überzeugt find, daß fie, wofern fie uns irre 
führen, mit Leib und Leben dafür haften. Weberlegt, ob es 
befier ift, daß wir unfere Bedürfniffe von dem Markt, den 
fie und anweifen, in Eleinem Maß gegen vieles Geld beziehen, 





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Drittes Bub. - Big 


das wir bald nicht mehr haben würden, als dag wir felbft 
fie mit fiegreicher Hand in befichigem Maße uns nehmen? 
Wenn Dieß Euch nun beffer erfcheint, und Ihr glaubt dage⸗ 


‚gen in den Flüſſen das größte Hinderniß zu finden, und durch 


den Webergang über dieſelben Euch groß gefchadet zu haben, 
fo feht, ob nicht die Barbaren gerade hierin aufs thörichteſte 
gehandelt haben. Alle Flüſſe werden, find fie auch fern von 
ihren Quellen undurchgaͤnglich, wenn man ficdh jenen nähert, 
durchgaͤnglich, ohne daB man das Knie zu neben brauchte, 


Doch es follen uns die Flüſſe auch nicht hinüber laſſen, wir 


folfen keinen Wegweifer finden, auch fo dürfen wir den Muth 
nicht verlieren. - Wir willen, daß die Myſier, denen wir an 
Tapferkeit wahrlich nicht nachflehen werden, gegen den Wil: 
len des Königs in deſſen Gebiet viele volfreiche und blühende 
Städte bewohnen 5 fo auch die Piflden. Daß die Lykaonier, 
nachdem fie fich der feiten Plätze auf der Ebene bemädhtigt, 
das königliche Gebiet plündern, davon waren wir Augenzeu- 
gen. Ach rathe daher, wir fleilen uns, als wollten wir gar 
nicht mehr in unfer Vaterland zurüdtehren, fondern machten 
Anſtalt, als wollten wir ung irgendwo niederlaffen. Ich weiß, 
daß der König den Myflern Wegweifer und zur Verſiche⸗ 
rung eines ungefährdeten Abzugs noch Beifeln geben würde, 
fo viel fie nur wollten, um ihrer los zu werden, und ihnen 
einen Weg bahnen ließe, auf dem fle vierfpännig abziehen 
könnten. Und gewiß würde er für uns recht gern Daffelbe 
thun, wenn wir Miene machten, da zu bleiben. Allein 
ih fürdyte, haben wir einmal gelernt, in Gemaͤchlichkeit 
und Veberfiuß zu leben, und uns zu den großen, fcehönen 
Frauen und Töchtern der Meder und der Perfer gu haften, fo 


820 Kenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus.’ 


werben wir gleich Denen, die ben Lotos *) afien, ber Heim⸗ 
kehr in's Vaterland vergeffen. Mein Rath ift der, wir ver- 
fuchen, wies recht und bilfig ift, nad Hellas und zu den 
Unfrigen zurüdzufchren, und zeigen den Dellenen, wie fie 
freiwillig arm find, da es ihnen, die in der Heimath mittels 
108 leben, frei ſteht, hieher zu ziehen und Altes vollauf zu 
haben. Alte diefe Güter, Ihr Hellenen, werden dem Sieger 
zur Beute. — Noch müßen wir davon fprechen, wie wir 
aufs fiherfte unfern Rückzug bewerkflelligen, und wenn’s 
zum Kampfe kommt, aufs nachdrücklichſte Fämpfen müßen. 
Erſtlich müßen wir unfere Wagen verbreunen, damit nicht 
das Zugvieh unſere Bewegungen beſtimmt, fondern wir mit 
‚Leichtigkeit und dahin wenden, wo es für das Heer am beiten 
iſt. Auch müßen die Selte verbrannt werden; fie find uns 
auf dem Zuge befchwerlich, und weder zum Kampf, noch zur 
Befriedigung unferer Bebärfniffe förderlih. Wir wollen ung 
ferner alles Geraͤthes, das nicht unmittelbar für deu Krieg, 
für Speife und Tran? erforderlich ifl, entäußern; damit wir 
fo viel wie möglich Kämpfer bekommen, und nur Wenige mit 
dem Zroß ſich befaffen dürfen. Denn unterliegen wir, fo 
fält dieß Altes dem Feinde anheim; flegen wir, fo follen Die 


*) Lotos ift die füße, dattelartige Frucht eines Baumes an dex 
Libyſchen Käfte von Afrika (wahrſcheinlich rhamnus lotus 
Linn.), von der die Bewohner jener Käfte leben, und durch 
deren Genuß die Gefaͤhrten des Obyſſeus fo bezaubert wur⸗ 
den, daß Homer von ihnen ſingt: — 

— „Ber nun die Homigſuͤße der Lotosfruͤchte gekoſtet, 
Diefer dachte nicht mehr an Kundfchaft oder an Heimkehr; 
Sondern fie wollten ſtets in der Kotophagen Geſeilſchaft 
Bleiben, und Kotos pfluͤcken, und ihrer Heimkehr entf “u 


Drifted Bud).  Baı 


Beinde unfre Padträger feyn. — Nun bleibt noch von dem 
wichtigften Punkte zu ſprechen. Ihr feht, daß die Feinde 
nicht eher Etwas gegen und zu unternehmen wagten, als big 
fie fi) unferer Heerführer verfihhert hatten; weil fie glaub: 
ten, fo lange wir Anführer hätten, deren Befehlen wir de 
horchten, würden wir leicht im Felde die Oberhand behanp- 
ten; Hätten fie erft Diefe in ihrer Gewalt, fo würden ſie 
ung durch Mangel an Zucht und Aufſicht zu Grunde richten. 
Deshalb müßen num auch die jesigen Anführer im Dienfte 
nody weit firenger und fchärfer auf Sucht Halten, als ihre 
Vorgänger, und die Untergebenen noch weit georbneter und 
folgſamer als früher feyn. Am gewifleften werden die Feinde 
fidy getäufcht Haben, wenn Ihr zum Geſetze machtet, daß jes 
desmal Derjenige von Euch, der eben zugegen ift, wenn Je⸗ 
mand fich widerfpänftig beträgt, dem Befehlshaber in Beſtra⸗ 
fung Deffelben beiftehen müße; dann würden fie an biefem 
Zage zehntaufend Klearche flatt Eines erbliden, die Keinem 
verftatten, ſich fchlecht zu halfen. Dec, e3 ift Zeit zu hans 
bein; denn alsbald werden die Feinde erfcheinen. Beſtätigt 
alfo aufs eiligſte diejenigen Vorfchläge, die Euern Beifall 
haben, damit wir fie fogfeich in Ausführung bringen. Weiß 
aber Einer, und ſey ed aud) ein Bemeiner, einen beffern 
Rath zu geben, fo theile er ihn ohne Bedenken mit, da es 
unfer Aller Rettung gilt.‘ 

Da ſprach Ehirifophus: ‚Wenn Jemand zu Dem, was 
Kenophon in Vorſchlag gebracht hat, noch Etwas hinzuzu⸗ 
feben weiß, fo kann ed auf der Stelle gefchehen. Indeſſen 
Yaßt ung über feine jebigen Vorfchläge fchleunig einen Beſchluß 
faſſen. Wer fie gut heißt, hebe die Hand empor.“ 


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822 Zenophon’d Feldzug des jüngern Cyrus. 


Sie thaten es Alte. 

Kenophon fand nun wieder auf und fagte: „So vers 
nehmt denn, ihr Hellenen, worauf wir und gefaßt halten dür⸗ 
fen. Es verfteht ſich von felbit, daß unfer Zug dahin gehen 
muß, wo wir Lebensmittel finden. Nun höre ich, daß nicht 
weiter als zwanzig Stadien von hier fchöne Dörfer liegen. 
Es ſollte mich aber fehr wundern, wenn die Feinde, gleich 
furchtfamen Hunden, die den Vorübergehenden nachſpringen, 
und fie beißen, wenn fie Fännen, vor dem Verfolger aber ba- 
von laufen, uns nidıt bei unfrem Abzuge gleichfalls verfol- 
gen foliten. Es wird nun wohl für uns am ficherfien feyn, 
wenn die Bewaffneten auf dem Zuge ein Viereck bilden, um 
den Troß mit dem Gepäde deſto beſſer zu deden. Beſtim⸗ 
men wir nun fogleich, Wer den Zug anführen, und die Vor⸗ 
derlinie in Ordnung halten, Wer die Seiten dedien, und bie 
Nachhut befehligen fol, fo würden wir nicht erft nöthig ha⸗ 
ben, wenn der Feind anrädt, uns zu bevathen, und Jeder 
könnte fogleich auf feinem Poften ſeyn. Weiß inbeffen ein 
Anderer einen beffern Vorſchlag zu thun, fo mache man es 
anders; wo nicht, fo führe Ehirifophus den Zug, zumal da 
er ein Lacedaͤmonier ift; auf den Flanken mögen zwei der aͤl⸗ 
teften Heerführer befehligen, und wir, die jüngften, Timaſion 
und id), wollen vor der Hand den Nachzug deden. Machen 
wir einmal mit biefer Zugordnung den Verſuch! Später 
können wir immer wieder die geeigneten Maßregeln treffen. 
Weiß Jemand etwas Beſſeres, fo theile er ed mit!’ 

Als Niemand widerfprach, fahr er fort: „Wer feine Zu⸗ 
flimmung gibt, der hebe die Hand auf!’ Es warb geneh⸗ 
migt. — „So Tat uns denn aufbrechen, und die gefaßten 


Drittes Buch. 823 


Berchlüffe in Ansführung bringen. Wer von Eudy die Geis 
nigen wieder zu fehen wänfcht, der bewähre fid, als tapferer 
Mann; nur fo erreicht er das erwünfchte Ziel. Wer fein 
Leben liebt, der ringe nach) dem Steg; denn der Sieger gibt 
den Tod, der DBeflegte hat ihn zu gewarten! Begehrt Einer 
Schäbe, fo fuche er obzufiegen; denn nur der Sieger mag 
das Geinige retten, und den Ueberwmundenen nehmen.” . 

3. Nach dieſen Berathungen erhoben fie fi, gingen 
auseinander und verbrannten die Wagen und die Zelte, theil- 
ten einander dad Bendthigte mit, und warfen dad Uebrige 
in's Fener. Als Dieß gefchehen war, frühftüdten fie. 
Während deſſen kam Mithridates mit ungefähr dreißig 

KReitern, ließ die Heerführer in die Hörweite rufen und fprach 
wie folgt: | 

„Ich war, wie Ihr wißt, Hellenen, ein DBertrauter des 
Eyrus und meine ed nody jest mit Euch gut; auch bin ich 
mit großer Gefahr hieher gekommen. Wenn ich nun wüßte, 
daß Ihr einen Weg zur Rettung aufgefunden hättet, fo würde 
ich mit allen meinen Leuten zu Euch flogen. So fagt mir 
nun, ald Eurem Freunde, der ed gut mit Euch meint und mit 
Euch zu ziehen wünfcht, was Ihr gefonnen ſeyd?“ 

Nach gepflogener Berathung antwortete ihm im Namen 
der Heerführer Chiriſophus: „Wir find entfchloffen, wenn 
man uns nach Haufe ziehen läßt, fo friedlich wie möglich 
durch das Fönigliche Gebiet zu ziehen; will man und aber 
den Durchzug vermehren, und gegen bie Feinde auf's tapferſte 
durchzuſchlagen.“ 

Hierauf ſuchte Mithridates ihnen zu zeigen, wie ohne 
den Willen des Königs ihre Rettung unmöglich wäre. Da 


. 


824 Zenophon’d Feldzug des jüngern Cyrus. 


merkte man num, daß er ald Späber gefchidkt war, indem 
and) Einer von Tiffaphernes Dertrauten, um ihn zu beobs 
achten, bei ihm war, Nun ſchien ed den Heerführern am 
beften, den Befchluß zu fallen, den Krieg ohne weitere Zulaſ⸗ 
fung von Ynterhändlern fortzufühten; denn fie ließen ſich 
auch mit den Soldaten ein, und fuchten fie zu werführens 
was ihnen and) bei einem Hauptmann Nitarchus aus Arka⸗ 
dien gelang, welcher Nachts mit etwa zwanzig Mann zum 
Seinde überging. Noch waren fie.nicht weit vorgerüdt, als 
fi) Mithridates mit ungefähr zweihundere Reitern und 
vierhundert fehr leichten und gewandten Bogenſchützen und 
Scyleuderern fehen ließ, und dem Unfchein nad, in friedficher 
Abſicht auf die Hellenen zufam. Als er nahe genug war, 
begannen feine Leute zu Pferde und zu Fuß mit Einem Mat 
zu fchießen und zu fchlendern. 

Die Helleniſche Nachhut litt dabei fehr, ohne Etwas das 
gegen thun zu Pönnen ; denn bie Kreter fchoßen nicht fo weit 
als die Perſer; auch waren fie, da Feine Rüſtung fie dedkte, 
hinter den Hopfiten in der Mitte anfgeftelt; und mit Wurf: 
fpießen konnte man die Schleuderer auch nicht erreichen. 

Kenophon bielt daher für das Befte, ihnen mit den Dos 
pliten und Peltaften, die er in der Nachhut hatte, nachzu⸗ 
feben, vermochte aber nicht Einen der Feinde einzuholen, 
da ed den Hellenen an Reiterei gebrady, das fliehende Fuß⸗ 
volk aber einen beträchtlichen Vorſprung hatte, und fie ſich 
nicht zu weit vom Heere entfernen durften. Die feindli« 
chen Reiter thaten aber auch im Fliehen noch Schaden, its 
dem fie rückwärts von den Pferden ſchoßen, und die Hellenen 


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Drittes Buch. 825 


fidy jedesmal eben fo weit, als file vorgedruugen waren, un⸗ 
ter beftändigem Kampfe auf das Heer zurückziehen mußten. 

So kamen fie den ganzen Tag nicht weiter als fünf und 
zwanzig Stadien und gelangten gegen Abend in die Dörfer. 
Da war denn neue Muthlofigkeit. Chiriſophus und die ältes 
fen Anführer machten Kenophen Vorwürfe, daß er fid, vom 
Heere entfernt und durch Derfolgung der Teinde in Gefahr 
begeben habe, ohne Diefen ſchaden zu Eönnen. 

Kenophon gefland, ihr Tadel fen gerecht, und fchon durch 
den Erfolg gerechtfertigt. „Aber ich ſah mich,‘ fuhr er fort, 
„zum Verfolgen genöthigt, da ich bemerkte, daß wir, went 
wir blieben, großen Verluſt haben, und dennoch nicht im 
Stande ſeyn würden, auch unfererfeits dem Feind Schaden 
zuzufügen. Es mißglückte nun allerdings, wie Ihr mir vors 
werft; und ohne dem Feinde Etwas anhaben zu können, muß⸗ 
ten wir uns mit vieler Gefahr wieder zurüdziehen. Den 
Böttern aber fey es gedankt, daß fie und nicht mit größerer 
Macht angriffen, und ohne großen DBeriuft von unferer 
Seite ung zeigten, woran es uns fehlt. Nun fehen wir, 
daß fte mit Bogen und Schleudern viel weiter veichen, als 
baß es ihnen die Kreter und die Wurffpießichleuberer nach⸗ 
thun Lönuten. Werfolgen wir fie, fo dürfen wir ung nicht 
allzu weit vom Heere entfernen. Da kaun ber gefchwindefte 
Fußgaͤnger den Teind nicht in Schußweite bekommen. Wol⸗ 
ten wir und num Diefer erwehren, daß fie uns auf dem Zuge 
feinen Schaden thun, fo bedürfen wir aufs fchleunigfte Reis 
ter und Schleuderer. Nun Höre ich, daß wir in unferem 
Heere Ahodier haben, von denen die Meiften fi, wie es 
heißt, fehr gut auf die Schleuder verfiehen, und doppelt fo weit 


826 RXenophon's Feldzug des jüngern Cyrus. 


werfen, ald die Perfiichen Schlenderer. Diefe, weil fie Steine 
werfen, welche die Hand füllen, treffen nur auf Enrze Streden ; 
Die Rhodier aber verfichen auc mit Bleikugeln zu werfen. 
Gehen wir mun nach, weiche von ihnen ‚bereits Schleudern 
haben, und geben ihnen Geld dafür, fo wie Denen, weldye 
ih erbieten, dergleichen zu verferfigen, und machen Diejes 
nigen, weiche ſich bereit iuden Taflen, als Schlenderer zu dies 
sten, von Anderem frei; dann würden fid) Manche finden, die 
uns nüslicdh werden könnten. Auch ſehe ich, daß wir eine 
Anzahl Pferde bei'm Heere haben; einige fint bei mir, an⸗ 
dere hat Klearchus hinterlaffen, und noch viele andere, die 
wir dem Feinde abgenommen, tragen das Gepäd. Wenn 
wir nun auch hier die branchbarften ansfuchten, umd das Ge⸗ 
päd dem Zugvieh auflüden, bie Pferde aber beritten mach⸗ 
ten, fo würden vielleicht audy fie dem flüchtigen Feinde Abs 
bruch thun.“ 

Der Vorſchlag fand Beifallz und noch in dieſer Nacht 
wurden gegen zweihundert Schleuderer aufgebracht, und am 
folgenden Tage lad man ungefähr fünfzig Pferde und Reiter 
aus, denen man Koller und Harnifche gab. Zu ihrem Be: 
fehishaber ward Lycius befteltt, Polyſtratus Sohn, aus Athen. 

4. Diefen Tag blieb das Heer in den Dörfern, brady 
aber am folgenden fehr früh auf; denn es hatte über einen 
Hohlweg zu fegen, wo man einen feindlichen Angriff befürch⸗ 
tete. Als fie dieſen fchon hinter fich hatten, ließ ſich Mithri⸗ 
dates von neuem mit taufend Reitern, und viertaufend Bogen⸗ 
ſchützen und Schleuderern fehen. So viele hatte er fid, von 
Ziffaphernes ausgebeten, und fich anheifchig gemacht, mit dies 
fer Mannfchaft ihm die Hellenen in bie Hände zu Tieferns 


Drittes Buch. 827 


weil: er ſich viel darauf zu Gute that, daß er bei feinem letz⸗ 
ten Angriff mit fo wenig Mannſchaft, ohne felbft Etwas eins 
zubüßen, den Hellenen feinee Meinung nach einen beträchtlis 
chen Verluſt beigebracht hatte. Als die Hellenen etwa acht 
Stadien jenfeitd des Hohlweges vorgerüdt waren, febte auch 
Mithridates mit feiner Mannfchaft über denfelben. Es war 
aber vorher beflimmt worden, wie viele Peltaften und Hoplis 
ten dem Feinde nachfegen foliten, und der Steiterei bedeutet, 
herzhaft einzudringen, weil fie von einer hinlängfichen Macht 
unterftüßt werden würden. 

Als fie Mithridates eingeholt hatte, und in die Schuß: 
weite gefommen war, gingen auf das mit der Zrompete ges 
gebene Seichen die dazu beorderten Hellenen nebft der Reiterei 
Schnell auf die Feinde los; allein Diefe warteten den Angriff 
nicht ab, fondern flohen nad) dem Hohlweg zurüd. Bei'm 
Nachſetzen verloren die Barbaren viel Fußvolk, und von den 
Reitern wurden etwa achtzehn in dem Hohlweg gefangen ges 
nommen. Die Hellenen verftümmelten auf eigenen Antrieb 
die Gebfiebenen, um die Feinde durch ihren grauenvollen Ans 
bi abzufchreden. 

Nachdem ed den Feinden alfo ergangen war, zogen fie 
fi) zurüd, und die Hellenen gelangten, ohne weiter angefoch⸗ 
ten zu werden, gegen Abend an den Fluß Tigris. 

Hier lag eine große, verödete Stadt, mit Namen Las 
riſſa, *) ehedem von den Medern bewohnt. Die Breite ihrer 
Mauer betrug fünf und zwanzig, die Höhe hundert Fuß, ihr 
Umfang zwei Parafangen. Sie war von Ziegeln erbaut, und 


*) Wahrſcheinlich die ı Moſ. 12. angeführte Stadt Nefen. 


‘ 


828 Zenophon’s Feldzug des jängern Cyrus. 


hatte einen zwanzig Fuß hohen fleinernen Grund. Diefe 
befagerte zur Zeit, als die Perſer den Medern die Oberherr⸗ 
fchaft entriffen, der Perferkönig, und Fonnte fie auf Teine 
Meife erobern, bis eine verhülfende Wolke die Sonne un: 
ſichtbar machte, *) die Einwohner erſchreckt die Stadt verlies 
fen, und diefe fo eingenommen wurde, Neben diefer Stadt 
fland eine fleinerne Pyramide, die ein Pfethron breit und 
zwei hoch war, Es hatten fich dahin viele Barbaren aus 
den benachbarten Dörfern geflüchtet, 

Bon da gelangten fie in einem Zagemarfch, ſechs Para⸗ 
fangen, an ein verödetes, großes Schloß in der Nähe einer 
Stadt mit Namen Mespila, **) die ehemals von Medern be⸗ 
wohnt war. Der Grund der Stadtmauer beſtand aus ge⸗ 
glättefem Mufchelmarmor, und war fünfzig Fuß breit und 
fünfzig hoch. Auf ihr erhob ſich in einer Breite von fünfzig 
und einer Höhe von hundert Fuß eine Mauer von Ziegelftei- 
nen; ihr Umfang betrug ſechs Parafangen. Hieher- Hüchtere 
ſich der Sage nah, als die Perfer der Meder Herrfchaft 
flürgten, die Gemahlin des Königs, Media, Auch diefe Stadt 
beflagerte der Perferkönig, und Lonnte fie weder durd) Zänge 
der Zeit noch durd, Sturm gewinnen; bis Send die Einwoh⸗ 
ner durch ein heftiged Gewitter fchredte, und fo die Stadt 
eingenommen ward, 


*) Kenophon will hier wahrſcheinlich eine nach den Begriffen 
der Hieräber ihm beichrenden Eingebornen entftandene Sons 
nenfinfterniß befchreiben. 

**) Wahrſcheinlich Neuninive, oder Nunia Nach Kenneir 
iſt es das große Dorf Telitoff oder Tilkaif. 


Drittes Bud). 829 


Don bier aus machten fie einen Zagmarfch, vier Para: 
fangen. Auf diefem Zuge erfchien Ziffaphernes an der Spige 
eines ungeheuern Heeres, das aus feiner eigenen Reiterei, 
der gefammten Macht des Orontas, der die Tochter des Kö⸗ 
nigs zur Gemahlin hatte, dem ehemaligen Heere des Cyrus, 
den Hülfstruppen, welche der Bruder des Königs Diefem zu⸗ 
führen wollte, und der übrigen Macht beftand, welche der 
König ihm beigegeben hatte. Als er nahe kam, ließ er einen 
Theil feiner Heerhaufen im Hintergrund halten; mit den ats 
dern rückte er auf beiden Flügeln weiter herauf, Tieß ed aber 
‚nicht zum wirklichen Handgemeng kommen, fondern gah bios 
Befehl zum Schleudern und Bogenfchießen. 

Als aber die hin und wieder einzeln aufgeflellten Rho⸗ 
Bier zu fchleudern, und Die nach Art der Scythen eingeübten 
Bogenfhüsen zu fchießen begannen, und Keiner feinen Mann - 
verfehlte (denn hätte Einer auch gewollt, fo war es nicht 
leicht möglich), - zog fich Tiſſaphernes in aller, Eile aus ber 
Schußweite meg, und mit ihm die übrigen Schaaren. Die 
Hellenen gingen nun den Reſt des Tages weiter, und bie 
Barbaren folggen, ließen fich aber nicht wieder auf das vor⸗ 
ber verfuchte Scharmügel ein; denn die Rhodier fchleuderten 
viel weiter, als ſelbſt die meiften Bogenfchüben der Perſer. 

Auch die Perſiſchen Bogen find groß; daher Eonnten die 
Kreter alte feindlichen Pfeile, fo viel fie deren auffingen, ges 
bvaudyen; fie bedienten ſich auch beftändig der feindlichen 
Dfeite, und übten fic im Weitfchießen, indem fie diefelben in - 
die Höhe richteten. Es fanden fich auch viele Sehnen und 
"vieles Blei in den Dörfern vor, welches man Alles zum Bes 
Huf der Schleuderer verwendete. 


850 Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus. 


Als an diefem Tage die Hellenen die Dörfer erreicht 
und fidy dort gelagert haften, zogen fidy die Barbaren, weil 
fie in den Scharmübeln den Kürzern gezogen hatten, wieder 
zurüd: die Hellenen aber blieben den folgenden Tag nod) 
bier und verfahen fidy mit Lebensmitteln; denn ed war deren 
ein großer Vorrath in den Dörfern. Tags darauf zogen die 
Hellenen durch die Ebene hin, und unter beftändigen Schar: 
mützeln folgte ihnen Ziffephernes. 

Da fanden nun die Hellenen,, wie das gleichfeitige Vier— 
“er, wenn der Feind auf dem Fuße folgt, von großem Nach⸗ 
theit 'fey. Denn wenn ſchmale Wege, oder Berge, oder 
Brüden die Flügel des Diereds nöthigten, zufammenzu- 
rüden, fo wurden die Hopliten nothwendig heransgebrängt, 
und ihr Zug ward Außerft befchwerlich, da fie beſtaͤndig ans 
gegriffen und in Unordnung gebracht, und To zum Dienfte 
unbrauchbar wurden. Wenn nun die Flügel fidy wieder aus- 
dehnten, fo wurden die Herausgebrängten nochwendig ge- 
trennt, und es entftand zwifchen den Flügeln eine Lücke; Die: 
jenigen aber, welche es traf, mußten, da fie dem Angriff der 
Feinde ausgefebt wurden, den Muth verlieren. Wenn man 
nun über eine Brüde, oder durd, einen andern engen Paß 
ziehen mußte, fo wollte Feder der Erſte feun; und der Feind 
hatte dann die befte Gelegenheit, einen Angriff zu machen. 

Ars die Anführer Diefes wahrnahmen, errichteten fie 
ſechs Lochen [Rompagnien], von denen jeder hundert Mann - 
ſtark war, und einen Hauptmann nebft Führen über fünfzig 
and fünf und zwanzig Mann erhielt. Wenn nun die Flügel 
auf dem Zuge zufammenrüden mußten, fo blieben die Haupt: 
feute, damit dad Ganze nicht in Unordnung gerieth, zurück 


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Drittes Buch. 831 


und zogen hinter dem Heere her. Wenn fich aber die Flügel 
des Vierecks wieder trennten, fo rückten file, wenn bie Züde 
eng war, nad) ganzen, wenn fie größer war, nach halben, 
wenn fie fehr groß war, nad) Vierteld:Lochen*) ein; fo wurde 
die Mitte immer volftändig erhalten, und es entftand, auch 
wenn man durch einen Engpaß oder über eine Brüde zu ge- 
ben hatte, Beine Unordnung, und die Hauptleute zogen, 
jeder in feiner Ordnung, hinüber; wenn dann aber irgend> 
wo der Phalanı wieder nöthig war, fo waren Jene gleich 
bei der Hand. Auf diefe Art machten fie vier Tagmaͤrſche. 
Auf dem fünften Zagmarfch betamen fie ein Fönigliches 
Schloß zu Geficht, dad von vielen Dörfern umgeben war; ber 
Weg dahin führte über Hohe Hügel, **) die von einem Berge 
ausliefen, an deffen Fuße ein Dorf***) lag. Der Anbiid 
diefer Anhöhen war den Hellenen erwünfcht, da der fie ver- 
folgende Feind aus Reiterei beftand. 
Als fie aber von der Ebene den erften Hügel heraufges 
zogen, und wieder hinunter mollten, um den zweiten zu ges 


*) Im erften Fall zogen die Viertheile der Kompagnie Hinter 
einander her, und die Kompagnie hatte fo eine Vorlinie von 
fünf, und eine Tiefe von zwanzig Mann; im zweiten Ball 
zogen bie beiden Hälften ver Kompagnie neben einander, und 
hatten in der Vorlinie sehen, in der Tiefe zehen Mann ; im 
dritten Tall bildete die Kompagnie, wenn die Viertheile ders 
felgen neben einander fich anfftellten, eine Worlinie von zwan⸗ 
zig, und eine Tiefe von fünf Mann. 

**) Diefe Hügel follen nach Rennel zu den Carduchiſchen Bergen 
(Tendidag, Tſchoudidag) gehören, auf dem Wege von Moſul 
nach Jezirah (Son Omar, das alte Bezarba), nahe bei der 
Stabt Zako ſich befinden, und Zatudag beißen. . 

” Wo jegt die Stadt Affee liegt. 





852 Zenophon’d Feldzug des jngern Cyrus. 


winnen, griffen die Barbaren, durch Peitſchenhiebe *) ges 
trieben, an, und warfen, ſchlenderten und fchoßen von oben 
herab; fie verwundeten Viele, ſchlugen die Heltenifchen Leichts 
bewaffneten ans dem Feld, und nötbigten fie, hinter die 
Hopliten ſich zurückzuziehen, fo daß an diefem Tage Schleu⸗ 
derer und Bogenfchüsen, da ſie mit dem Troß ziehen mußten, 
von feinem Rutzen waren. 

Die Hellenen beſchloßen in diefer Bedraͤngniß, den Feind 
anzugreifen, gelangten aber ald Schwerbewaffnese nur mit 
Mühe auf den Gipfel, von dem fid) die Feinde eiligft hinab: 
warfen. Als fie fich dann wieder auf das übrige Heer zu- 
rüdzogen, widerfuhr ihnen Daſſelbe; ebenfo ging es beim 
dritten Hügel; fo daß es die Hellenen rathſam fanden, die 
Truppen auf der erften Anhöhe fiehen zu laffen, und von 
dem rechten Flügel des Vierecks die Peltaften auf den Berg 
zu führen. 

Da Diefe nun höher ftanden, als die ihnen folgenden 
Feinde, fo wagten fie fich nidyt mehr bei'm Herabfleigen hers 
an, aus Furcht, fle möchten abgefchnitten und von den eins 
den in bie Mitte genommen merden. Die Hellenen zogen 
den Reſt des Tages theils über die Hügel, tbeild über den 
Berg Hin, bis fie Die Dörfer erreichten, wo fie acht Wund⸗ 
ärzte beflellten, weil es viele VBerwundete gab. Hier blieben 
fie drei Tage, theild wegen der Bermundeten, tbeils weil fie 
eine große Menge Lebensmittel, die der Satrape *) Liefer Land⸗ 





+, Nach einer bei den Perſern beliehten Weife, den Muth der 
Krieger anzufeuern. 

**) Die Satrapen mußten nämlich für die Betbſtigung ber im 
inrem Bereiche ftehenden Tbniglichen Truppen forgen. 


— — — — 


Drittes Buch. 853 


fchaft aufgebracht hatte, als Mehl, Wein und Gerſte für die 
Dferde vorfanden. Am vierten Tage zogen fie in die Ebene 
hinab. 

Aus Tiſſaphernes fie mit feiner Macht wieder eingeholt 
hatte, gab die Noch den Hellenen die Lehre, beim erſten 
Dorfe, das fie gewahrten, Halt zu machen, und ſich feinem 
weitern Gefechte während des Zuges auszufeben; denn eitte 
große Anzahl vom Heere, die Verwundeten, Die, welche fie 
trugen, und Diejenigen, denen Letztere ihre Waffen aufge: 
packt hatten, konnten au dem Treffen Beinen Antheil neh⸗ 
men. Als fie fid) gelagert Hatten, kamen die Yeinde an das 
Dorf heran und griffen fie ans die Hellenen aber gewannen 
mit leichter Mühe die Oberhand; denn es war ungleich leich⸗ 
ter, den Feind durch Ausfälle aus einemäfeften Standort zu: 
ruckzuſchlagen, als auf dem Sug feine Angriffe abzuwehren. 

Gegen Abend fand es der Feind für gut, ſich zurüdzue 
ziehen; [denn die Barbaren lagerten ſich nie unter fechzig 
Stadien von dem Helienenheer, aus Furcht, fie möchten bei 
Nacht überfallen werden. Denn bei Nachtzeit ift das Per- 
Eiche Lager in der übelften Verfaflungd die Pferde werden 
nämlich angebunden und haben Außfchlingen, damit fie, wenn 


fe ſich losmachen, nicht davon laufen Eönnen. Wenn nun 


ein Laͤrm entftcht, fo muß der Derfer erfi das Pferd fatteln, 
anfzäumen, ſich den Panzer anlegen, und dann erft kann er 
anffigen. Dieß Altes iſt bei Nacht, zumal wenn ein Lärm 
entfteht, von nicht geringer Schwierigkeit; und deßhalb la⸗ 
gerten fie fich flets fo weit von den Hellenen. 
Als die Hellenen wahrnahmen, daß fie abziehen wollten, 
und Diek einander zuriefen, ward innen Angeſichts der Feinde 
Xenophon. 68 Boͤchn. 


3 


824 Xenophon's Zeldzug des jüngern Cyrus. 


merdte man nun, baß er ald Späher gefchidt war, indem 
and Einer von Ziffaphernes Vertrauten, um ihn zu beob⸗ 
achten, bei ihm war. Nun fchien ed den Heerführern am 
beften, den Beſchluß zu failen, den Krieg ohne weitere Zulaſ⸗ 
fung von Unterhändlern fortzuführten; denn ſie ließen ſich 
auch mit den Soldaten ein, und fuchten fie zu verführen; 
was ihnen auch bei einem Hauptmann Nikarchus aus Arka⸗ 
dien gelang, welcher Nachts mir etwa zwanzig Mann zum 
Feinde überging. Noch waren fie.niche weit vorgerüdt, als 
fi Mithridates mit ungefähr zweihundere Reitern und 
vierhundert fehr leichten und gewandten Bogenfhüsen und 
Schleuderern fehen ließ, und dem Anfchein nach in friedlicher 
Abficht auf die Hellenen zukam. Als er nahe genug war, 
begannen feine Leute zu Pferde und zu Fuß mit Einem Mar 
zu fchießen und zu fchleudern. 

Die Helleniſche Nachhut litt dabei fehr, ohne Etwas das 
gegen thun zu koͤnnen; denn bie Kreter fchoßen nicht fo weit 
als die Perfer; auch waren fie, da Feine Ruſtung fle dedite, 
binter den Hopliten in dee Mitte aufgeftelt; und mit Wurf⸗ 
fpteßen Eonnte man die Schleuberer auch nicht erreichen. 

Lenophon hielt daher für das Befte, ihnen mit den Ho⸗ 
pliten und Peltaften, die er in der Nachhut hatte, nachzu⸗ 
feben, vermochte aber nicht Einen der Feinde einzuholen, 
da ed den Hellenen an Reiterei gebrach, das fliehende Fuß⸗ 
volk aber einen beträchtlichen Vorſprung Hatte, und fie ſich 
nicht zu weit vom Heere entfernen burften. Die feindlie 
chen Reiter thaten aber auch im Fliehen nody Schaden, its 
dem fie rüdwärts von den Pferden ſchoßen, und die Hellenen 


Drittes Bud). 825 


ſich jedesmal eben fo weit, als fle vorgedrungen waren, uns 
ter befländigem Kampfe auf das Heer zurücdziehen mußten. 

Sp kamen fie den ganzen Tag nicht weiter als fünf und 
zwanzig Stadien und gelangten gegen Abend in die Dörfer. 
Da war denn neue Muthlofigkeit. Chiriſophus und die ältes 
ften Anführer machten Kensphon Borwärfe, daß er fid vom 
Heere entfernt und durch Derfolgung der Feinde in Gefahr 
begeben habe, ohne Diefen fchaden zu können, 

Kenophon geftand, ihr Tadel ſey gerecht, und fchon durch 
den Erfolg gerechtfertigt. „Aber ich fah mich,‘ fuhr er fort, 
„zum Derfolgen genöthigt, da ich bemerkte, baß wir, wenn 
wir blieben, großen Verluſt haben, und dennoch nicht im 
Stande feyn würden, auch unfererfeits dem Feind Schaden 
zuzufügen. Es mißglückte nun allerdings, wie Ihr mir vors 
werft; und ohne dem Feinde Etwas anhaben zu können, muß 
ten wir uns mit vieler Gefahr wieder zurückziehen. Den 
Göttern aber fey es gedankt, daß fie und nicht mit größerer 
Macht angriffen, und ohne großen DBerluft von unferer 
Seite und zeigten, woran es uns fehlt. Nun fehen wir, 
daß fie mit Bogen und Schleudern viel weiter reichen, als 
daß es ihnen die Kreter und die Wurffpießichleuderer nach⸗ 
thun könnten. WBerfolgen wir fie, fo dürfen wir ung nicht 
allzu weit vom Heere entfernen. Da kann der gefchwindefte 
Fußgaͤnger den Feind nicht in Schußweite befommen. Wol⸗ 
len wir uns nun Diefer ermehren, baß fle und auf dem Zuge 
feinen Schaden thun, fo bedürfen wir aufs fchleunigfte Reis 
ter umd Schleuderer. Nun höre ich, dag wir in unferem 
Heere Rhodier haben, von denen die Meiften fi, wie es 
heißt, ſehr gut auf die Schlender verftehen, und boppelt fo weit 


826 Xenophon’s Feldzug bed jüngern Cyrus. 


werfen, als die Perfifchen Schleuderer. Diefe, weil fie Steine 
werfen, welche die Hand füllen, treffen nur auf Eurze Streden; 
die Rhodier aber verftehen auch mit Bleifugeln zugwerfen. 
Sehen wir nun nad), welche von ihnen ‚bereits Schleudern 
haben, und geben ihnen Geld dafür, fo wie Denen, welde 
ſich erbieten, dergleichen zu verferfigen, und machen Dieje- 
nigen, welche fich bereit finden laffen, als Schleuderer zu die- 
nen, von Anderem frei; dann würden fi) Manche finden, die 
uns nüslic werden könnten. Auch fehe ich, daß wir eine 
Anzahl Pferde bei'm Heere haben; einige find bei mir, an- 
dere hat Klearchus hinterlaffen, und noch viele andere, die 
wir dem Feinde abgenommen, tragen das Gepäd. Wenn 
wir nun auch hier die brauchbarften ausfuchten, und das Ge⸗ 
päc dem Zugvieh auflüden, die Pferde aber beritten mach⸗ 
ten, fo würden vielleicht auch fle dem flüchtigen Feinde Abs 
bruch thun.“ 

Der Vorſchlag fand Beifall; und noch in dieſer Nacht 
wurden gegen zweihundert Schleuderer aufgebracht, und am 
folgenden Tage las man ungefähr fünfzig Pferde und Reiter 
aus, denen man Koller und Harnifhe gab. Zu ihrem Be: 
fehlshaber ward Lycius befteltt, Polyſtratus Sohn, aus Athen. 

4 Diefen Tag blieb das Heer in den Dörfern, brach 
aber am folgenden fehr früh auf; denn ed hatte über einen 
Hohlweg zu ſetzen, wo man einen feindlichen Angriff befürch- 
tete. Als fie diefen fchon hinter ſich hatten, ließ ſich Mithri⸗ 
dated von neuem mit taufend Reitern, und viertanfend Bogen⸗ 
ſchützen und Schleuderern fehen. So viele hatte er ſich von 
Ziffaphernes ausgebeten, und ſich anheifchig gemacht, mit die⸗ 
fer Mannfchaft ihm die Hellenen in die Hände zu liefern; 


Drittes Buch. 827 


weil er fich viel darauf zu Gute that, daß er bei feinem letz⸗ 
ten Angriff mit fo wenig Mannſchaft, ohne felbft Etwas ein- 
zubäßen, den Hellenen feiner Meinung nady einen beträchtlis 
chen DBerluft beigebracht hatte. Als die Hellenen etwa acht 
Stadien jenfeitd des Hohlweges vorgerüdt waren, febte auch 
Mithridates mit feiner Mannfchaft über denfelben. Es war 
aber vorher beſtimmt worden, wie viele Peltaften und Hoplis 
ten den Feinde nachſetzen folten, und der Neiterei bedeutet, 
herzhaft einzudringen, weil fie von einer hinlänglichen Macht 
unterffüßt werden würden. 

Als fie Mithridates eingeholt hatte, und in die Schuß: 
weite gefommen war, gingen auf dad mit der Trompete ges 
gebene Zeichen die dazu beorderten Hellenen nebft der Reiterei 
fchnell auf die Feinde los; allein Diefe warteten den Angriff 
nicht ab, fondern flohen nad) dem Hohlweg zurück. Beir’m 
Nachſetzen verloren die Barbaren viel Fußvolk, und von den 
Reitern wurden etwa achtzehn in dem Hohlweg gefangen ges 
nommen. Die Hellenen verflümmelten auf eigenen Antrieb 
die Gebliebenen, um die Feinde durch ihren grauenvollen An⸗ 
blick abzuſchrecken. 

Nachdem es den Feinden alſo ergangen war, zogen ſie 
ſich zurück, und die Hellenen gelangten, ohne weiter angefoch⸗ 
ten zu werden, gegen Abend an den Fluß Tigris. 

Hier lag eine große, verödete Stadt, mit Namen La⸗ 
riſſa,*) ehedem von den Medern bewohnt. Die Breite ihrer 
Mauer betrug fünf und zwanzig, die Höhe hundert Fuß, ihr 
Umfang zwei Parafangen. Sie war von Ziegeln erbaut, und 





+) Wahrſcheinlich die ı Mof. 12. angeführte Stadt Nefen, 





828 Zenophon’s Feldzug des jängern Cyrus. 


hatte einen zwanzig Fuß hohen fleinernen Grund. Diefe 
befagerte zur Zeit, als die Perfer den Medern die Oberherr⸗ 
fchaft entriffen, der Perferkönig, und konnte fie auf keine 
Meife erobern, bis eine verhülfende Wolke die Sonne un⸗ 
ſichtbar machte, ) die Einwohner erfdjredt die Stadt verlie⸗ 
Ben, und diefe fo eingenommen wurde. Neben diefer Stadt 
fland eine fleinerne Pyramide, die ein Plethron breit und 
zwei hoch war. Es hatten fich dahin viele Barbaren ans 
den benachbarten Dörfern geflüchtet. 

Bon da gelangten fie in einem Tagemarſch, ſechs Para⸗ 
fangen, an ein verödetes, großes Schloß in der Nähe einer 
Stadt mit Namen Mespila, **) die ehemals von Medern be: 
wohnt war. Der Grund der Stadtmauer beitand aus ger 
glättetem Mufchelmarmor, und war fünfzig Fuß breit und 
fünfzig hoch. Auf ihr erhob ſich in einer Breite von fünfzig 
und einer Höhe von hundert Fuß eine Mauer von Ziegelftei- 
nen; ihr Umfang betrug ſechs Parafangen. Hieher- flüchtete 
ſich der Sage nah, als die Perfer der Meder Herrichaft 
flürgten, die Gemahlin des Königs, Media, Auch diefe Stadt 
belagerte der Perferfönig, und konute fie weder durd) Zänge 
der Zeit nody durd, Sturm gewinnen; bis Zeus die Einwoh⸗ 
ner durch ein heftiged Gewitter ſchreckte, und fo die Stadt 
eingenommen ward. 


*) Kenophon will hier wahrfcheintidh eine nach den Begriffen 
der hierüber ihn beichrenden Eingebornen entflandene Sons 
nen finfterniß beſchreiben. 

**) Wahrſcheinlich Neuninive, oder Nunia. Nach Kenneir 
iſt es das große Dorf Telikoff oder Tilkaif. 


Drittes Bud). 829 


Don bier aus machten fie einen Tagmarſch, vier Para: 
fangen. Auf diefem Zuge erfchien ZTiffaphernes an der Spige 
eines ungeheuern Heeres, das aus feiner eigenen Reiterei, 
der gefammten Macht des Drontas, der die Tochter des Kö⸗ 
nigs zur Gemahlin hatte, dem ehemaligen Heere des Cyrus, 
den Hülfstruppen, weiche der Bruder des Könige Diefem zu: 
führen wollte, und der übrigen Macht beftand, welche der 
König ihm beigegeben hatte. Als er nahe Fam, ließ er einen 
Theil feiner Heerhaufen im Hintergrund halten; mit den at: 
dern rückte er anf beiden Flügeln weiter herauf, ließ es aber 
‚nicht zum wirklichen Handgemeng kommen, fondern gak blos 
Befehl zum Schleudern und Bogenfchießen. 

Als aber die hin und wieder einzeln aufgeftellten Rho⸗ 
dier zu fchleudern, und die nach Art der Scythen eingeübten 
Bogenfhügen zu fchießen begannen, und Keiner feinen Mann - 
verfehlte (denn hätte Einer aud, gewollt, fo war es nicht 
leicht möglich), - zog ſich Ziffanhernes in aller Eile aus der 
Schußweite meg, und mit ihm die übrigen Schaaren. Die 
Hellenen singen nun den Reit des Tages weiter, und bie 
Barbaren folgten, ließen ſich aber nicht wieder auf das vor⸗ 
ber verfüchte Scharmügel ein; denn die Rhodier ſchleuderten 
viel weiter, als ſelbſt die meiften Bogenſchützen der Perfer. 

Yuc die Perfifchen Bogen find groß; daher Ponnten bie 
Kreter alle feindlichen Pfeile, fo viel fie deren auffingen, ges 
brauchen; fie bedienten fidy auch befländig der feindlichen 
Dfeile, und übten ſich im Weitfchießen, indem fie diefelben in - 
die Höhe richteten. Es fanden fich auch viele Schnen und 
vieles Blei in den Dörfern vor, welches man Alles zum Bes 
Huf der Schleuderer verwendete. 


850 Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus. 


As an diefem age die Hellenen die Dörfer erreicht 
und fid) dort gelagert hatten, zogen ſich die Barbaren, weil 
fie in den Scharmügeln den Kürzeru gezogen hatten, wieder 
zurüd: die Hellenen aber blieben den folgenden Tag noch 
bier und verfahen fidy mit Xebensmitteln; denn ed war deren 
ein großer Vorrath in den Dörfern. Tags darauf zogen die 
Hellenen durch die Ebene hin, und unter beftändigen Schar: 
müseln folgte ihnen Ziffaphernes. 

Da fanden nun die Hellenen,. wie das gleichfeitige DVier- 
“ed, wenn der Feind anf dem Fuße folgt, von großem Nach⸗ 
theil fey. Denn wenn ſchmale Wege, oder Berge, oder 
Brüden die Flügel des Vierecks möthigten, zuſammenzu⸗ 
rüden, fo wurden die Hopliten nothwendig herausgebrängt, 
und ihr Zug ward Außerft beſchwerlich, da file beftdndig an⸗ 
degriffen und in Unordnung gebraht, und fo zum Dienfte 
unbrauchbar wurden. Wenn nun die Flügel fid) wieder aus⸗ 
dehnten, fo wurden die Herausgebrängten nochwendig ge- 
trennt, und es entfland zwifchen den Flügeln eine Lücke; Die- 
jenigen aber, welche ed fraf, mußten, da fie dem Angriff der 
Feinde ausgefebt wurden, den Muth verlieren. Wenn man 
nun über eine Brüde, oder durch einen andern engen Paß 
ziehen mußte, fo wollte Jeder der Erſte ſeyn; und der Feind 
hatte dann die befte Gelegenheit, einen Angriff zu machen. 

Als die Anführer Diefes wahrnahmen, errichteten fie 
ſechs Lochen [Kompagnien], von denen jeder hundert Mann - 
ſtark war, und einen Hauptmann nebft Führen über fünfzig 
und fünf und zwanzig Mann erhielt. Wenn nun die Flügel 
auf dem Zuge zufamnıenrüden mußten, fo blieben die Haupt: 
leute, damit das Ganze nicht in Unordnung gerieth, zurück 


k 


Drittes Buch. 831 


und zogen hinter dem Heere her. Wenn fi aber bie Flügel 
bes Dieredd wieder trennten, fo rüdten fle, wenn die Lücke 
eng war, nad) ganzen, wenn fie größer war, nad) halben, 
wenn fie fehr groß war, nad) Vierteld:Zochen*) eins fo wurde 
die Mitte immer vollftändig erhalten, und es entfland, auch 
wenn man durd) einen Engpaß oder über eine Brüde zu ges 
ben hafte, Feine Unordnung, und die Hauptleute zogen, 
Feder in feiner Ordnung, hinüber; wenn dann aber irgend: 
wo ber Phalanı wieder nöthig war, fo waren Jene gleich 
bei der Hand. Auf diefe Art machten fie vier Zagmärfche. 

Auf dem fünften Zagmarfch bekamen fie ein Lönigliches 
Schloß zu Geſicht, das von vielen Dörfern umgeben war; der 
Weg dahin führte über hohe Hügel, **) die von einem Berge 
ausliefen, an deffen Fuße ein Dorf***) lag. Der Anbrid 
diefer Anhöhen war den Helfenen erwünfcht, da der fie bet: 
folgende Feind aus Reiterei beftand. 

Als fie aber von der Ebene den erften Hügel heraufge- 
zogen, und wieder hinunter mollten, um den zweiten zu ge⸗ 


*) Im erftien Fall zogen die Wiertheile der Kompagnie hinter 
einander her, und die Kompagnie hatte fo eine Vorlinie von 
fünf, und eine Xiefe von zwanzig Mann; im zweiten Ball 
zogen die beiden Hälften der Kompagnie neben einander, und 
hatten in der Vorlinie zehen, in der Tiefe zehen Mann; im 
dritten Tall bildete Die Kompagnie, wenn die Viertheile ders 
felgen neben einander ſich anfftellten, eine Borlinie von zwan⸗ 
zig, und eine Tiefe von fünf Mann. 

**) Diefe Hügel follen nad) Nenner zu den Carduchiſchen Bergen 
(Teudidag, Tſchoudidag) gehdren, auf dem Wege von Moſul 
nach Jezirah (bon Omar, das alte Bezarda), nahe bei der 
Stadt Zato ſich befinden, und Zakudag heißen. 

+44), Wo jest die Stadt Affee Liegt. 


852 Zenophon’d Feldzug des jingern Cyrus. 


winnen, griffen die Barbaren, durch Peitſchenhiebe *) ges 
trieben, an, und warfen, fchleuderten und ſchoßen von oben 
herab; fie verwundeten Diele, ſchlugen die Heltenifchen Leicht⸗ 
bewaffneten aus dem Feld, und nötbigten fie, hinter die 
Hopliten fih zurüdzuziehen, fo daß an diefem Zage Schleu⸗ 
derer und Bogenfchügen, da fie mit dem Troß ziehen mußten, 
von feinem Ruben waren. 

Die Hellenen beichloßen in dieſer Bebrängniß, den Feind 
anzugreifen, gelangten aber ald Schwerbewaffnete nur mit 
Müpe auf den Gipfel, von dem fidy die Feinde eiligft hinab: 
warfen. Als fie ſich dann wieder auf das übrige Heer zu⸗ 
rüdzogen, widerfuhr ihnen Daſſelbe; ebenſo ging es bei’m 
dritten Hügel; fo daß es die Hellenen rathfam fanden, die 
Truppen auf der erften Anhöhe fiehen zu laflen, und von 
dem rechten Flügel des Vierecks die Peltaften auf den Berg 
zu führen. 

Da Diefe nun höher fanden, als die ihnen folgenden 
Feinde, fo wagten fie fich nicht mehr bei'm Herabfleigen here 
an, aus Furcht, fie möchten abgefchnitten und von den Fein⸗ 
den in die Mitte genommen merden. Die Hellenen zogen 
den Reſt des Tages theild über die Hügel, theils äber den 
Berg hin, bis fie die Dörfer erreichten, wo fie acht Wund⸗ 
ärzte beftellfen, weil es viele Verwundete gab. Hier blieben 
fie drei Tage, theild wegen der Verwundeten, theild weil fie 
eine große Menge Lebensmittel, die der Satrape *) dieſer Land: 





Nach einer bei ben Perſern beliehten Weife, den Muth der 
Krieger anzufeuern. 
**) Die Satrapen mußten nämlich für die Bekbſtigung der in 
ihrem Bereiche ftehenden Tbniglichen Truppen forgen. 


Drittes Buch. | 933 


(haft aufgebracht hafte, ats Mehl, Wein und Gerfte für die 
Herde vorfanden. Um vierten Tage zogen fie in die Ebene 
hinab. - 
Als Ziffaphernes fie mit feiner Macht wieder eingeholt 
hatte, gab die Noth den Hellenen die Lehre, beim erſten 
Dorfe, das fie gewahrten, Halt zu machen, und fid, Feinem 
weitern Gefechte während des Zuges audzufeben; benn eine 
große Anzahl vom Heere, die Verwundeten, Die, welche fie 
frugen, and Diejenigen, denen Letztere ihre Waffen aufge- 
packt hatten, konnten an dem Treffen Leinen Antheil neh⸗ 
men. Als fie fidy gelagert hatsen, kamen die Yeinde an das 
Dorf heran und griffen fie ans die Hellenen aber gewannen 
mit leichter Mühe die Oberhand; denn es war ungleich leidy 
ter, den Feind durdy Ausfälle aus einemäfeften Standort zu: 
ruckzuſchlagen, als auf dem Zug feine Angriffe abzuwehren. 
Gegen Abend fand es der Feind für gut, ſich zurückzu⸗ 
ziehen; [benn bie Barbaren lagerten ſich nie unter fechzig 
Stadien von dem Hellenenheer, aus Furcht, fie möchten bet 
Tracht überfallen werden. Denn bei Nachtzeit ift das Per- 
ſiſche Lager in der übelften Verfaſſung; die Pferde werden 
nämtlidy angebunden und haben Fußſchlingen, bamit fie, wenn 


fe ſich losmachen, nit davon laufen Fönnen. Wenn nun 


ein Lärm entftcht, fo muß der Derfer erſt das Pferd fatteln, 
aufzänumen, ſich den Panzer anlegen, und dann erſt kann er 


anffigen. Dieß Altes ift bei Nacht, zumal wenn ein Lärm 


entficht, von nicht geringer Schwierigkeit; und deßhalb la⸗ 
gerten fie fich ſtets ſo weit von den Hellenen. 

Als die Hellenen wahrnahmen, daß fie abziehen wollten, 
und Dieß einander zuriefen, warb ihnen Angeſichts der Feinde 
EXenophon. 68 Boͤchn. 9 





854 Xenophon's Seldzug des jüngern Eyrus. 


gleichfalls angekündigt, fid) marfchfertig zu halten. Die Bar: 
baren zögerten deßhalb noch eine Weile, zogen aber, als die 
Tracht einbrechen wollte, dennoch ab, da fle es nicht zufräg- 
lich fanden, einen Nachtmarſch zu machen und ein Lager auf: 
zufchlagen. 

Als die Heltenen ihren wirklichen Abzug bemerkten, bra= 
chen auch fie auf, und legten ungefähr ſechzig Stadien zu- 
rüd. Dadurch hatten fie einen ſolchen Vorfprung gewonnen, 
daß ſich die Feinde am zweiten und aud, am dritten Tag 
nicht fehen Tießen. Am folgenden Tage aber hatten die Bar: 
baren, nachdem fie den Hellenen in ber Nacht einen Marfch 
abgewonnen, eine Bergſpitze beſetzt, unter welcher ſich Dieſe 
hinziehen mußten, um in die Ebene zu gelangen. 

Als Ehiriſophus die Bergſpitze beſetzt ſah, ließ er Reno⸗ 
phon von der Nachhut herbeirufen, mit dem Befehl, die Pel⸗ 
taften vor die Vorlinie zu führen. Zenophon führte aber 
die Peltaſten nicht vor, da fich Ziffaphernes mit feiner gau⸗ 
zen Heeresmacht von hinten zeigte, vitt jedoch felbft zu ihm 
heran, und fragte ihn, weßhalb er in rufen laſſe. Chiriſo⸗ 
phus antwortete: „Das ift leicht zu fehen; die Anhöhe, wel: 
che unfern Sug in die Ebene beherricht, ift vom Feinde bes 
fest; wir konnen nicht weiter, bevor wir ihn von dort ver- 
trieben haben. Warum bringft du die Peltaften nicht mit?‘ 
Er entgegnete-ihm, er hätte es nicht rathſam gefunden, dem 
Nachzug zu entbiößen, da die Feinde ſich zeigen. „Aber es 
ift Zeit,“ fagte Chiriſophus, „zu überlegen, wie man ben 
Feind von der Anhöhe wegbringt.“ Da bemerkte Kenophon, 
daß der Gipfel des Berges gerade über ben Seinigen lag, 
und daß man von da auf die von den Feinden befebte Anhöhe 


Drittes Buch. 855 


gelangen Eonnte und fagte: „Es ift am beiten, Chiriſophus, 
wir ſuchen, fo fchnell wie möglich, den Berggipfel zu erklim⸗ 
men; wenn wir diefen haben, fo können ſich Die auf dem 
Hügel nicht Känger halten. Wenn es dir recht ift, fo bleibe 
du bei’m Heer, und ich gehe Hin; wo nicht, fo will ich hier 
bleiben.’ — „Ich überlaffe dir die Wahl,“ fagte Chiriſophus. 
Run,’ fagte Xenophon, „da ich der Jüngere bin, will ich 
hinziehen.“ Zugleich ließ er ſich Mannfchaft von der Vor: 
derlinie geben; denn ed war zu weit ab, file aus der Nach⸗ 
but zu holen. Chiriſophus gab ihm Peltaſten aus dem Vor⸗ 
dertreffen und aus der Mitte der Zugordnung; auch ließ er 
die dreihundert Mann auserlefener Truppen, die er ſelbſt bei 
dem Vordertreffen hatte, ihn begleiten. In möglichiter Eile 
klommen fie den Berg hinan. Kaum aber hatten die Feinde 
auf dem Hügel bemerkt, daß ihr Zug nach dem Berggipfel 
ging, als auch fie aus allen Kräften nad) dem Gipfel liefen. 

Da entitand ein gewaltiges Gefchrei unter den Hellenen, 
die fid) gegenfeitig zusiefen; und auch bei des Ziffaphernes 
Leuten Tieß fich ein gleiches vernehmen. 

Xenophon ritt an ihnen bin und rief ihnen zu: „Nun 
gilt ed Eure Rückkehr nad) Hellas, zu Kind und Weib; noch 
eine kurze Anſtrengung, und der weitere Weg ſteht Euch 
ohne Schwertftreic, offen!‘ Soteridas aus Sichon *) ents 
gegnete ihm: „Du haft gut reden, Xenophon: du veiteft, und 
id) erliege faft unter meines Schildes Laſt.“ Sogleich fprang 
Zenophon vom Pferde, ftieß ihn aus dem Gliede, riß ihm 
den Schild weg, und eilte, fo ſchnell er konnte, voran. Er 


*) Einer Stadt im nörhlichen Peloponnes, 
9 * 





856 Xenophon’d Feldzug des jängern Cyrus. 


hatte einen Reiterharnifch an, der ihm fehr unbequem war, 
Dennoch befahl er den Vorderſten, fchnelfer zu gehen, und 
den Hinterften, die kaum nachkommen Ponnten, ihm zu fol⸗ 
gen. Die Andern fchimpften und ſchlugen den Soteridas, 
bis er fih endlich genöfhigt fah, den Schild wiederz zu neh: 
men und mitzugehen. Xenophon ritt, fo weit ed wegſam war, 
voran. Dann flieg er ab, und eilte zu Fuß hinan. Und wirk⸗ 
lich kamen fle vor dem Feinde auf den ©ipfel des Berges. 

5. Da wandten fich die Barbaren und entfloßen, wie 
Jeder konnte; die Hellenen aber hatten den Gipfel gewonnen. 
Das Heer des Ziffaphernes und Ariäus fchlug einen andern 
Weg ein; Chirifophus aber zog mit dem Heere in die Ebene 
herab und Tagerte in einem Dorfe, wo man einen Ueberfiuß 
von Lebensmitteln fand. Auch noch andere Dörfer, die mit 
Dielem reichlich verfehen waren, Tagen in diefer Ebene am 
Flufſſe Tigris. 

Als es Abend war, erſchienen plötzlich die Feinde in der 
Ebene, nnd hieben mehrere Hellenen, die ſich der Plünderung 
wegen zerſtreut hatten, nieder. Man erbeutete nämlich viele 
Viehherden, die man über den Fluß gebracht hatte. 

Da begann Tiſſaphernes mit feinen Leuten die Dörfer 
abzubrennen. Diefer Umſtand machte viele Hellenen fehr 
verzagt, weil fle befürchteten, fie würden keine Lebensmittel 
mehr befommen. Das Heer war num auf foiche Weiſe ter 
dem Beiftand der abgefandten Abtheilung davon gekommen ; 
Renophon aber 309 fich feinerfeits gleichfalls herab, ritt an 
den Reihen Derer hin, die den Uebrigen zu Hülfe gefommmen 
waren und rief: „Da feht Ihr nun, Hellenen, daß der Feind 
ſchon anfängt, diefes Land als das unfrige zu betrachten; was 


% 


\ 


Drittes Bach. 837 


fle bei Abſchließung des Waffenſtillſtandes ausbedungen, baß 
wir das Land nicht durch Teuer dverheeren dürften, das thun 
fie nun felbft, als fländen fie in Feindes Land. Aber wenn 
fie irgendwo Lebensmittel für fich übrig Iaffen, fo folen fie 
feden, daß auch wir ben Weg dahin finden werben. Id) 
denke, Chiroſophus, wir thun den Mordbrennern Einhalt, da 
es unfer Eigenthum gilt.” Chirifophus antwortete: „Nicht 
doch ! lieber wollen wir’s ebenfo machen, damit fie befto eher 
fertig werben.‘ 

Als fie im Lager angekommen waren, beichäftigten ſich 
die übrigen Hellenen mit den Lebensmitteln; die Heerführer 
und Hauptleute aber traten zufammen. Da war denn”wieder 
große Noth. Auf der einen Seite die himmelhohen Gebirge, 
anf der andern ein Fluß von foldher Tiefe, daß er mit Lan⸗ 
zen nicht zu ergründen war. Nachdem man fid) lange beras 
then hatte, kam ein Rhodier und fagte: „Ich verfprehe Euch, 
je viertaufend Hopliten auf Einmal überzufegen, wenn Ihr 
mir das Nöthige herbeifchafft, und ein Zalent zur Beloh⸗ 
numg gebt.‘ . 

Auf die Frage, Was er dazu bebürfe, erwicberte er: 
„ich brauche zweitanfend Schläuche; num fehe ic) hier viele 
Schafe, Ziegen, Rinder und Efel. Diefe fchlachten wir, ziehen 
Die Haͤute ab, und blaſen fie auf, und bewerkftelligen fo Leicht 
ben Uebergang. Ich werde ferner die Riemen nöthig Haben, welche 
Ihr beim Zugdieh gebraucht. Damit binde ich die Schläude 
zufammen und befeflige fie dadurch, daß ich Steine daran 
binde und diefe gleich Ankern nach entgegengefehten Geiten - 
Kin in's Waffer ſenke, und lege dann, find Diefe an keiden 
Ufern angebunden, Strauchwert und Erde darüber. Daß 





838 Xenophon's Feldzug des jängern Cyrus, 


Ihr nicht unterfintt, folt Ihr fogleich erproben, Jeder 
Schlauch trägt zwei Männer, und gegen das Ausgleiten ſeyd 
Ihr durch das Holz und die Erde geſichert.“ 

Die Heerführer fanden dieſen Einfall finnreich, aber un⸗ 
ausführbar, da jenfeits des Fluſſes viele Reiterei fand, mel: 
che ſchon die erſten Verſuche vereitelt haben würde, 

Am folgenden Tag Echrte man um, lenkte ganz von der 
Straße nach Babylon auf die noch unverbraunten Dörfer ab, 
und ſteckte Diejenigen in Brand, welche man verließ. Die 
Feinde machten ſich nicht heran, fondern es ſchien, als ob fie 
neugierig wären, zu erfahren, wohin ſich die Hellenen wen⸗ 
den würden, und was file im Sinne hätten. Das übrige 
Heer beichäftigte fidh mit den LXebensmitteln; die Heerführer 
und Hauptleute aber traten wieder zufammen, ließen die Ges 
fangenen vorführen und befragten fich nach allen Ländern ums 
her, Diefe fagten, gegen Mittag gelange man nad) Babylon 
und Medien, durch das fie hergefommen; gegen Morgen 
nad) Sufa und Ekbatana, wo der König, wie es hieß, den 
Sommer und Frühling zubringt; jenfeits des Fluffed gegen 
Weiten komme man nad) Xydien und Sonien, über die Ges 
birge aber gegen Norden in der Karduchen *) Land. Diefe 
wohnen, verficherten fle, in den Gebirgen, ſeyen äußerft Pries 
geriſch, und wollen fich nicht unter des Königs Botmäßigkeit 
fügen; es ſey einmal ein Heer von hundert zwanzigtauſend 
Mann in ihr Gebiet eingefallen, von denen, wegen der fchlims 
; men Gegend, nicht Ein Mann zurüdgebehrt fey; wenn fie 


*) Wahrſcheinlich find fie die Vorfahren der heutigen Bilbaer im 
nördlichen Kurdiſtan. 


Drittes Buch. 859 


aber mit dem Satrapen des flachen Landes im Vertrage ftän- 
den, finde wechfelfeitiger Verkehr zwifchen ihnen ftatt. 

Als die Heerführer Diefes vernommen hatten, fonderten 
fie Diejenigen, welche diefe Gegenden zu kennen vorgaben, 
von einander ab, ohne jedoch verlauten zu laffen, wohin ber 
Zug gehen würde. Gie hielten aber für nothwendig, durch 
die Gebirge in das Land der Kardudyen einzurüden; denn 
hinter diefem Lande, fagten Jene, komme man nad) Armes 
nien, einem großen, gefegneten Lande, über welches Drontas 
herrfhe: von da aus könne man leicht überall hinkommen, 
wohin man wolle. 

Hierauf opferten fie, um, fobald es Zeit wäre, aufbre⸗ 
chen zu koͤnnen; denn fle beforgten, der Feind möchte bie 
Berghöhen befeben. Deßhalb gaben fie Befehl, nach dem 
Efien aufzupaden, fi dann zur Ruhe zu begeben, und, ſo⸗ 
bald das Zeichen zum Aufbruch gegeben würde, den Zug 
anzutreten. 


Zenophon 8 von Athen 
Werke. 


Siebentes Baͤndchen. 








Feldzug des juͤngern Cyrus, 


überſetzt 


Dr. Leonhard Tafel. 


— 


Zweites Bäudchen. 





Stuttgart, 
Verlag der J. B. Metzler ſchen Buchhandlung. 
Für Oeſtreich in Commiſſion von Moͤrſchner und Jaſper 
in Wien. | 
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Inhalt des vierten Buchs. 





Cap. 1. Mit Anbruch ded Tages betreten fie die Gränzen der 
Karduchen und ziehen den ganzen Tag bergan, bergab, und nur 
die Nachhut wird etwas von ben Barbaren angefochten. Tags 
darauf ruͤcken fie mit Zuruͤcklaſſung alles nicht durchaus Unentbehrli⸗ 
chen weiter und Haben mehrere Anfälle ver Eingebornen zu beftehen. 
Am folgenden Tag muͤßen fie aus Mangel an Kebensmitteln trog 
dem fahlechteften Wetter weiter ziehen, wobei der Nachzug fehr 
von den Barbaren Leidet. Am Abend Tommen fie an eine von 

Seinden befegte fteile Anhöhe, nöthigen aber einen Gefangenen, ih- 
nen einen andern beauemern Weg zu zeigen. Cap. 2. In ber 
Nacht geht eine anserlefene Mannfchaft nach dem andern Wege ab, 
und ſchlaͤgt die Barbaren in die Flucht, fo daB das Übrige Heer ' 
ungehindert bie Anhöhe erfteist. Kenophon, der mit dem Nachtrab 
und dem Troß den andern bequemern Weg einfhlägt, leidet eini- 
gen Verluſt. Am andern Tag gelangen fie unter beftändigen Ge⸗ 
fechten in Dörfer, die in ber Ebene am Fluffe Sentrited Tagen. 
Cap. 3. Am Fluſſe Centrited ergibt ſich eine neue Schwierigkeit: 
die Barbaren hatten das jenfeitige Ufer befegt, der Fluß ſelbſt war 
tief und veißend, und im Rücken waren fie von den Karduchen bes 
droht. Xenophon's Traum geht in Erfüllung. Zwei Iünglinge 
finden zufällig eine Furt, und der Uebergang wirb gluͤcklich bewert: 
ſtelligt. Eap. 4. In Armenien gehen fie über die Quellen ded Ti⸗ 
gris und gelangen an den Fluß Teleboas im weftlichen Armenien. 
Der Satrape Tiribazus fchließt einen Waffenftilftand mit ihnen, 
den er aber nicht Hält. Die Hellenen veriaffen bie Dürfer und la⸗ 
gern unter freiem Himmel, wo fie viel von dem häufigen Schnee 
leiden. Cap. 5. Sie rüden weiter. Der Feind folgt innen. 





846 Inhalt des wierten Buchs. 


Kälte, Schnee, Hunger. Sie kommen endlich in Dörfer, die mit Allem 
aufs reichlichſte verfehen find, und thun ſich guͤtlich. Cap. 6. Der 
Wegweiſer, unter deffen Sührung fie weiter ziehen, wird von 
Ehirifophus gemißhandelt und entflieht, und fo gelangen fie nad) 
vielen Irrzuͤgen an ben Fluß Phaſis. Nach zwei Tagmaͤrſchen 
fanden fie vor Anhöhen, welche fie durchaus uͤberſteigen mußten, 
und bie von Chalyben, Taochen und Phaſianen befent waren. Auf 
Kenophon’d Rath wird bei Yacht eine auserleſene Mannfchaft ab: 
geſchickt, um die Anhöhen zu befegen; fie vertreiben ben Feind 
durch einen vereinigten Angriff von vorm und im Rüden, und ge: 
langen in die jerfeitige Ebene, wo fie reichlich mit allen Beduͤrf⸗ 
niffen verforgte Dörfer finden. Cap. 7. Im Gebiete der Taochen, 
welche alle Lebensmittel in feſte Ptäge gefchafft hatten, nehmen fie 
ein Kaftel ein, und erbeuten vier Schlachivieh; davon nähren fie 
fi) während ihres fiebentägigen Zugs durch das Kand der tapfern 
Shalyben. Sie kommen an den Fluß Harpaſus, durchziehen das 
Land der Schthinen. Bei der Stabt Gymnias fender der Satrap 
des Landes ihnen einen Wegmweifer, der fie durch das Gebiet Teiner 
Feinde führt. Auf dem Gipfel des Berges Theches erblicken fie 
das Meer. Cap. 8. Mit den Matronen ſchließen fie ein Buͤnd⸗ 
niß und ziehen friedlich dur ihr Land. — Im Gebiete Der Kot 
cher angekommen, finden fie Diefe auf den Bergen gegen fich auf: 
geſtellt. Die Kolcher werden gefchlagen, und die Hellenen ziehen in 
die mit allen Bebärfniffen im Ueberfluß verfeheiien Dörfer herab; 
Diele werden von genoffenem Honig krank. In zwei Tagen ge 
langen fie von da an dad Meer und die Griechifche Stadt Trape⸗ 
zunt. Während ihres Aufenthaltes daſelbſt plündern fie das „Kol: 
chiſche Gebiet, zahlen den Göttern ihr Geluͤbde und feiern gymni⸗ 
ſche Spiele. 





L “ „. 847: 


VBierted Bud- 


— 


1. Was ſich während des Zuges nach Dberafien bis zur 
Schlacht, und nad) der Schlacht während des Waffenſtillſtan⸗ 
des zutrug, ben der König und Tiſſaphernes mit den Helles 
nen fchloß, die mit Enrus heranfgezogen waren, wie der Kö: 
nig und Tiffapherned den Waffenftiliftand gebrochen und fie 
feindlich mit dem Perfifchen Heere verfolgten , ift in den frü⸗ 
hern Abſchnitten gezeigt worden. 

[Als fie nun dahin gekommen waren, wo der Fluß Ti: 
- gris wegen feiner Breite und Tiefe undurchgänglich war, . 
und wo man eben jo wenig ſich Tängs demfelben hinzie hen 
fonnte, da bie fchroffen Karduchifchen Berge felbit über den 
Fluß herüber ragten, beſchloßen die Heerführer, über die Ge- 
dirge zu gehen. Denn fie hatten von den Gefangenen ges 
hört, daß fie nachdem Uebergang über diefe nad) Armenien an 
die Quellen des Tigris kommen würden, welche fle enfweber 
nach Willbühr durchwaten oder umgehen könnten. Auch der 
Euphrat, ſagten die Gefangenen, entſpringe nicht weit davon; 
und ſo verhielt es ſich denn auch. Bei dem Einrücken in das 
Karduchiſche ſuchten ſich die Hellenen der Aufmerkſamkeit des 
Feindes zu entziehen, und ihm in Beſetzung der Berghöhen 
zuvorzukommen.) *) - 








*) Mehrere Neuere halten diefen von uns mit [ ] eingefchloffe 
nen Abſchnitt fuͤr unaͤcht. 


848 Xenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus, 


Um bie lebte *) Nachtwache, da noch fo viel Zeit von 
der Nacht übrig war, daß fle in der Dunkelheit durch bie 
Ebene kommen konnten, traten fie nad) erhaltenem Befehl, 
der mit der Loſung ertheilt ward, den Zug an, und gelangten 
mit Tagesanbruch an das Gebirge. 

Chirifophus z0g mit feinen Leuten und allen Leichtbe- 
waffneten dem Heere voran, und Kenophon führte den Nach⸗ 
zug, der aus lauter Hopliten befland; denn es war nicht zu 
beforgen, daß fie bei'm Hinaufziehen von Hinten angegriffen 
würden. Chirifophus gelangte auf den Gipfel, ehe der Feind 
ed inne ward. Dann 308 er voraus, und das übrige Heer 
folgte ihm, fo wie ed nach und nach den Gipfel überflieg, in 
die Dörfer, welche in den Thälern und Krümmungen der 
Berge Tagen. 

Die Karduchen verließen ihre Wohnungen mit Weib 
und Rind, und flüchteten auf die Gebirge; man fand eine 
Menge Lebensmittel. Die Häufer waren überdieß reichlich 
mit ehernem Geſchirr verfehen; die Hellenen nahmen jedoch 
Nichts davon mit, auch verfolgten fie die Fliehenden nicht, 
in der Hoffnung, die Karduchen würden fie vielleicht, als 
Feinde des Königs, in Frieden durdy ihr Land ziehen laſſen. 
Nur Lebensmittel nahmen fie, wo fie foldye fanden; denn bie 
Noch trieb fle dazu. Allein die Karduchen hörten auf ihre 
Einladungen nichts auch gaben fie ihnen fonft Bein Zeichen 
des Wohlwollens. 

Als die letzten Hellenen, da es ſchon Nacht war, in bie 
Dörfer hinabzogen (denn wegen der engen Wege dauerte ber 





*) Die dritte bei den Hellenen. 


Biertes Buch, 849 


Bug hinauf und hinab den ganzen Tag), ſammelte ſich eine 
Anzahl Karduchen, ſiel über fle her, tödtete Einige, und 
verwundete Andere mit Geſchoßen und Steinen. EsJwaren 


ihrer nur Wenige; denn die Ankunft des Hellenenheers hatte 


fie überrafcht. Wären Mehrere beifammen gewefen., fo lief 
das Heer Gefahr, einen beträchtlichen Verluſt zu erleiden. 
Man bradhte.diefe Nacht in den Dörfern zu; die Karbuchen 
aber zändeten ringe auf den Bergen herum Fener an, und 
gaben ſich Zeichen damit. 


Mit Tagesanbruch verſammelten ſich die Anfuͤhrer und- 


Hauptleute der Hellenen, und faßten den Beſchluß, nur das 
nothwendigſte und kraͤftigſte Zugvieh beizubehalten, das ans 
dere aber, ſo wie die kuͤrzlich gemachten Kriegsgefangenen, 
zurückzulaſſen. Denn die Menge der Gefangenen und des 
Zugviehs hielt ihren Zug auf; und durch die Aufficht über 
fie wurden Viele dem Dienſte entzogens and) mußte man bei 
der großen Menfchenzahl noch einmal fo viel Mundvorratä 


anfchaffen und fortbringen, Diefen Beſchluß ließ man durch 


Herolde zur Nahachtung bekannt machen. 

Nach dem Frühſtück trat man ben Zug wieder an: bie 
Heerführer ſtellten jich in einen engen Weg, und nahmen 
Altes weg, was ihrem Befehl zuwider zurücdbehalten wurde; 
die Soldaten- Tießeu ſich's gerne gefallen, außer wenn hier 
und da Einer einen fchönen Knaben, oder ein hübfches Weib 
aus Liebe mitgenommen hatte. Auf dem Zuge hafte man an 
diefem Tage bald Gefecht, bald wieder Ruhe. 

Tags darauf fiel fchlimmes Wetter ein, und doch war es 
nöthig, weiter zu ziehen; denn der Mundvorrath reichte nicht 
zu. Chirofophus führte den Zug, und Renophon deckte die 

Renophon. 78 Bdchn. 


x 


850 Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus. 


Nachhut. Die Feinde festen ihnen heftig zu, und dba bie 
Däffe fehr eng waren, fehoßen und ſchlenderten fle ganz in 
ber Nähe, fo daß die Hellenen, da fie genöthigt waren, fie zu 
verfolgen und fih dann wieder zurüdzuzichen, nur langſam 
vorrücken konnten, und Kenophon oft in den Fall Bam, Halt 
machen zu laſſen, wenn ihr Angriff gar zu heftig ward. 

Chiriſophus, weldyer fonft auf erfolgte Aufforderung im⸗ 
mer hielt, that es diefes Einemal nicht, fondern zog eilig 
voran, und befahl, ihm zu folgen, fo daß man fchließen muß⸗ 
te, es müße Etwas vorgefallen ſeyn; man hatte aber Feine 
Zeit, fi) nad) der Urfache diefer Eilfertigkeit zu erkundigen ; 
weswegen der Zug der Nachhut das Unfehen der Flucht ges 
wann. Hier bfieb der tapfere Lakonier Kleonymus, dem ein 
Pfeil durch Schild und Koller in die Rippen fuhr, und der 
Arkadier Baflas, der durch den Kopf gefchofen wurde. 

As fie zum Lagerplatze Samen, ging Kenophon fogleich, 
wie er war, zu Chirifophus und machte ihm Vorwürfe, daf 
er dadurch, daß er fa fchnell vorameilte, und nicht warten 
wollte, ihn gendthigt Hätte, fichend zu fechten. „Und fo has 
‚ben wie nun,‘ fuhr er fort, „zwei wadere Männer verloren, 
die wir weder mitnehmen noch begraben konnten.‘ 

Chiriſophus entgegriete ihm: „Sieh dir einmal die Berge 
an, wie unzugänglich alle find. Der fleife Weg vor uns ift 
der einzige, den wir haben: da kannſt du eine Menge Feinde 
fehen, die den Zugang zum Gipfel beſetzt haften und bewachen. 
Darum eilte ich und Eonnte dich nicht erwarten, um wo mögs 
id) dem Feind in der Befebung der Bergſpitze zuvorzukom⸗ 
men; den» die Yührer verfihern, es gebe Leinen andern 
Weg. 


— 


Viertes Bud, . 884 


XRenophon erwiederte: „Auch ich habe zwei Wegweiſer. 
Da fie ung nämlich ſehr beunruhigten, legten wir einen Hin⸗ 
terhalt, wobei wir ung erhofften, tödteten Einige von ihnen, 
und fuchten Andere lebendig zu fangen, in der Abficht, uns 
ihrer ald Wegweifer zu bedienen, da fie der Gegend Fundig 
waren.’ 

Man führte fle fogleich vor und fragte Jeden befonders, 
ob er einen andern Weg als den vor Augen liegenden wüßte. 
Der Eine wollte, frob allen Drohungen, nicht mit der Spra⸗ 
che heraus, und ward, da nichts Erhebfiches von ihm. heraus: 
zubringen war, vor den Augen des Andern niedergemachk. 
Der Leptere fagte aus, Jener habe darum fid, unwiffend ges” 
ftelit, weil er in jener Gegend eine verheivathete Tochter has. 
be; er ferbft aber wollte fie einen Weg führen, auf dem felbft 
das Zugvieh fortkommen könnte. 

Auf die Frage, ob nicht auch auf dieſem Wege an ir⸗ 
gend einer Stelle ſchwer durchzukommen ſey, antwortete er, 
es ſey dort eine Bergſpitze, die man nothwendig vorher 
nehmen müßte, um vorbei zu kommen. Man fand daher 
für gut, die Hauptlente der Peltaſten und Hopliten zuſam⸗ 
menzurufen, ihnen die Lage der Dinge vorzuſtellen, und fle 
34 fragen, ob Jemand von, ihnen den Muth babe, dorthin 
freiwillig mitzuzichen. 

Es erboten fich hiezu von den Hopliten zwei Arkadier, 
Ariſtonymus aus Methydria und Agaſias aus Stymphalus, 
Der Arkadier Kallimachus aus Parrhaſus ſtritt ſich mit ih⸗ 
nen, „Ich will,“ ſagte er, ‚den Zug allein übernehmen mit 
Denen, die vom ganzen Heere mir folgen wollen; denn ich 
weiß gewiß, daß, wenn ich ben Anführer mache ‚ Diele von 

2 





‚852  Xenophon’s Feldzug des. jüngern Chorus. 


- 


den Yüngeren mir folgen werben.‘ Man fragte weiter, ob 
@iuer von den Befehlshabeyn Ber Gchlenderer und Bogen⸗ 
fchügen den Zug mitmachen wolle. Es erbot ſich hiezu Ari⸗ 
ftens aus Ghius, der bei foldyen Gelegenheiten dem Deere fehr 
oft gute Dienfte leiſtete. 

2. Schon begann es Abend zu werden, und man gab 
Befehl, mit dem Eſſen zu eilen und ſogleich aufzubrechens 
den Wegweiſer übergab man ihnen gebunden, und verabre⸗ 
dete, wenn ſie den Berggipfel genommen haͤtten, ſollten ſie 


un die Nacht über beſeßt halten, mit Anbruch des Tages 


«ber mit der Trompete ein Beichen geben, und gegen Dieje⸗ 
nigen, wolche den offenem Paß befest hielten, herayrüden; 
fie wollten dann mit ber möglichften Schnelligkeit ihnen von 
unten zu Hälfe fommen. 

Nach diefer Verabredung traten ungefähr zweitaufend 
Mann umter heftigen Regen den Zug an. Xenophon aber 
führte die Nachhut gegen den offenen Gebirgsweg, um die 
Aufmerkſamkeit des Feindes auf fi zu Wenden, und von 
dem Zuge Derer, die an dem Gebirge Berumsingen, abzu⸗ 
zichen. 

Als die Nachhut an die Schlucht: Fam, durch die man 
zu feben hatte, um die Bergſpitze zu erfleigen, wären die 
Barbaren große Felsftüde und kleinere Steine herab, bie an 
den Golfen abpraiten, fe daß man fi dem Gebirgemege 
durchaus nicht naͤhern konnto. 

Ms es hier nicht möglich war, verfuchten einige Haupt⸗ 
leute auf amdern Puudten vorzudringen. Dieb thaten- fie, 
bis os finſter wurde. Da fie nun glaubten, beim Ruͤckzuge 
wicht mehr bemerkt zu werden, gingen fie zurüd, mm ibre 


Viertes Buch. u 885 


Abendmahlzeit zu halten; denn Manche vom Nachzug hatten 
an diefem Zage noch gar Nichts zu ſich gensmmen. Die 
Feinde aber fuhren bie ganze Nacht fort, Steine herabzu⸗ 
rolfen, wie ans dem, beiländigen Getöſe zu fchließen war. 
Diejenigen aber, welche den Wegweifer bei ſich hatten, 
zagen an dem Berge herum, und fliehen auf einem feindlichen 
Poften, der beitm Feuer ſaß, machten Einige davon nieder 
und jagten die Andern daron; fie ſelbſt aber beſeßten den 
Pins, ‚in der Meinung, He hätten die höchſte Spitze gewon⸗ 
am. Dieß war aber nicht der Ball, ſondorn (le Hatten nad) 
eine Beugfpige über ſich, an welcher der enge, von dem Feinde 
beiehse, Weg vorüberlief; doch Fonnte man von Ba aus an 
bie Yeimde kommen, die den offemen Gebivasweg bewachten. 
Diee Nacht über blieben ‚fie hier fchn Wegen Yubruch - 
vos Tages aber zogen he m: größter Stille in Schlachtord⸗ 
nam gegen den Feind, und gelangten unter dem Schube ei- 
ned Nebels, ohne bemerkt zu werben, ganz in die Nähe 


delſſelben. 


Als fie einander anſichtig wurden, ſtieß man in die Trom⸗ 
pute, und die Hellenen gingen unser wildem Geſchrei auf die 
Feinde los: Diefe warteten jedoch den Angriff nicht ab, fou⸗ 
dern verließen den Wag und flohen; es fielen nur Wenige, 
denn fie waren fehr leicht zu Zub. Als Chiriſophus mis ſei⸗ 
nen. Bentew den Kfang der Tuompete veruahm, rückten fle fo⸗ 
gieich den offenen Gebisgeweg hinan. Audere Heerführer, 
draugen anf ungebahnten Wegen vor, wo und wie es gehen 
wollte, indem fe einander an ben Spießen emporzogen, und 
vereinigten fidy fo zuerft mit Denen, die oben dem Gipfel ges 
wonnen hatten. 


\ 


854 Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus. 


Tenophon ging mit der einen Hälfte des Nachzugs auf 
demfelben Wege, den Die mit dem Wegweifer einfchiugen, vor 
den Laftthieren her denn für fie war dieſer Weg der bes 
quemfte), und ließ die andere Hälfte hinter denfelben gehen. 
Wie fle fo fortzogen, ftießen fie auf eine Anhöhe, bie den 
eg beherrfchte, und von den Feinden befebt war; wollten 
fie fi nun nicht von dem fibrigen Heere trennen Taflen, fo 
mußten Diefe von da geworfen werben, 

Sie häften nun zwar denfelben Meg nehmen können, 
welchen die Webrigen eingefchlagen hatten; allein die Laſt⸗ 
thiere vermochten nur anf dieſem Wege fortzubommen. Sie 
fprachen ſich gegenfeitig Dinth ein, und rückten in Kolonnen 
den Berg hinan, doch nicht von alfen Seiten, um dem Fein⸗ 
de, wenn er fliehen wollte, einen Weg offen zu laffen. So 
ange fie nun, wo und wie fle konnten, heranrückten, fchoßen 
and warfen die Barbaren; als fie aber näher kamen, nah⸗ 
men fie die Flucht umd verließen den Play. Als fie über 
diefe Anhöhe hinweggekommen waren, bemerften fie noch eine 
zweite, welche genommen werden mußte, 

Da nun aber Zenophon bedachte, die Feinde koönnten, 
wenn man die Anhöhe völlig entblösſte, biefe wieder ein⸗ 
nehmen und den vorüberziehenden Troß angreifen, dev wegen 
der engen Wege in einem Fangen Zuge daherkam, fo lieh er 
den Athener Eephifodsrus, Cephiſophon's Sohn, und Amphi⸗ 
trates, den Sohn des Amppidsmus, nebft dem verbannten 
Argiver Archagoras, mit ihren Leuten auf dem Hügel zuräds 
er. ſelbſt rückte mit der übrigen Mannfchaft gegen die zweite 
Anhöhe und nahm fie auf diefelbe Art. 


Viertes Buch. 355 


Noch war ihnen eine dritte Berghöhe übrig, und zwar 
dei weitem die fleilfte, die über dem von den Sreiwilligen 
diefer Nacht überfallenen Feldpoften lag. Als aber die Hels 
lenen nahe kamen, verließen die Barbaren zu Jedermanns 
Erflaunen den Pla, ohne ſich in einen Kampf einzulafien. 
Man vermuthete, die Furcht, eingefchloffen zu werden, habe - 
fie dazu vermocht. Allein fie hatten von der Höhe herab ge⸗ 
fehen, was im Rüden der Hellenen vorging, und warfen fich 
aun Alle auf die Nachhut. | 

Xenophon flieg nun mit den Jüngſten die Bergfpibe hin: 
an, und befahl den Webrigen, langſam zu folgen, damit die 
legten Zochen [Kompagnien) fidy mit ihnen vereinigen könn⸗ 
ten, und dann auf den Weg herab vorzurüden, und auf ber 
Ebene Halt zu machen. 

Während deffen Kam der Argiver Archagoras geflohen, 
und brachte die Nachricht, daß fie vom Hügel geworfen, und 
Gephifodsrns, Amphitrates und Andere, welche ſich nicht 
durch einen Sprung vom Felfen zum Nachtrab gerettet häfz 
ten, geblieben wären. 

Nachdem die Feinde Dieb ausgeführt hatten, befeuten fie - 
die der Bergſpitze gegenüber liegende Unhöhe, und Kenophon 
ließ ihnen durch einen Dolmeticher einen Vertrag anbieten, 
und die Todten abfordern. Sie verfpradyen, fie auszuliefern, 
unter der Bedingung, daß man die Dörfer nicht abbrennte, 
Dieß bewilligte Zenophon. Während das übrige Heer vor: 
überzog, und Zenophon unterhandelte, liefen alle Barbaren 
vom dritten Hügel zufammen und ſtellten ſich auf der An⸗ 
höhe auf. u — 


Sh6 Xenophon's Zellzug Bes füngern Cyrus. 


Da man nun aufs, ſich von der Beupfpige zw. Denen 
harabzuziehen, welche auf der Gbene Hk gemacht hatten, 
ſtürzten die Feinde in großer Auzahl mit wilden Geſchvei 
anf fie los, und als fie auf dem Gipſel des Berges: kamen, 
von welchem Xenophon herabgezogen war, wälzten fle Fels⸗ 
ſtude hevab, und zerfcimesterten @inem den Scheubel; Xens⸗ 
phon war vor feinen Schilbdträgor mis: dem Schalde vorlaſſon 
worden, aber Eurylochns aus Lufl in Arbadien, ein Hoplite, 
Tief herbei und deckte ihn und fid, mit ben Schild; und fe 
bamen fie mit den Andern ghücllich bei ber unter ben Waf⸗ 
ten ſtehenden Heerabtheilung an. 

Hierauf veveinigte ich bad Heer der Hellenen und bezog 
Ye vielen ſchönen Häͤuſer daſekbſt, wo fie Lebensmittel im 
Ueberfluß fanden; fo war der Wein in folder Dienge vor⸗ 
handen, daß fie ihn in ausgetünchten Kellern anfbewahrten. 
Kenophon und Ehirifophus brachten es dadin, daß fe ihre 
Todten gegen den Wegweifer ausgeliefert erbielten. Gie ers 
wisfen nun den Gebtiebenen nach ben Umflänten ale bie 
Ehre, welche braven Männern gebührt. 

Am folgenden Tage zogen fe ohne Wegweifer weiters 

ber Feind ſuchte ihnen durch Angriffe und Befesung ber Enge 
päffe fortwährend ben Durchzug zu vermehren. So oft fie 
nun ben Heereszug vorn aufhielten, erſtieg Kenophon mit dee 
Nachhut vie Berge, umd eroͤffuete dadurch, daß er bie Höhe 
über den Feinden zum gewinnen fuchte, der Verhut den Durchs 
gang; wurden fie von hinten angegriffen, fo flieg Ehirifophars 
hinan, um dem Feinde die Höhe abzugewinnen, und machte 
dem Nachzug freie Bahn. So kamen fie ſich gegenfeitig zw 
Huͤlfe, und leiſteten einander kraäftigen Beiſtand. 


Viertes Baich. gr 


. Über wie: die Feimde ihnen beiem Himanſteigen viel zw 
ſchaffen machten, fo thaten fie. es auch. bei’m Hinabſteigenz 
‚denn fie waren fo beheude, daß fie, ba fle mr mit Bogen 
md Schleudern bewaffnet waren, wenn: man ihnem auch 
ſchon fehr nahe auf dem Leibe war, dennech ewsrannen. Da⸗ 
bei waren fie treffliche Pogemihäben; ihre Bogen hatten 
eine Länge von fat drei Eller,“) und ihre Pfeile von mehr 
als zwei. Sie zogen, wen fie (ofen, bie Beme, die fie 
wit dem linken Fuße fpannten, bis an beit underſten Theit 
dos Bogens.**) Die Pfeile drangen durch Schild und Pan⸗ 
zer; wenn bie Sellenen ihrer habhaft wurden, verfahen -fld 
viefelben mis Riemen und gebrauchten fie atd Wuwſpieße. 
In diefen Gegenden thaten Die Kreter fehr ante Dientte, 
Hr. Anführer war Stratobles aus Kveta, 

3. Diefen Tag blieben fie in den Dörfern über ber ESbe⸗ 
ne, die ſich am Flbufſe Centrites **) Hinsicht, weicher zwei 
Plethren breit it, und die Graͤnze zwifchen Armenien une 
dem Lande der Karduchen madt, und ruhten and. Der Faß 
war von den Karduchiſchen Gebivgen ſechs bis ſieben Eltanien 
ontfernt. 

In dem Beſitze der Lebeusmittel und in der Erinnerung 
on die überſtandenen Mühſeligkeiten genoßen fle bier die an⸗ 
genehmſte Erholung. Denn fie hatten fieben wolle Tage, in 


+). Naͤmlich Helleniſche, ober sie Länge bed Arms vom Eifkogen 
bis an tie Spitze des Mittelfingers. 
+4) Diefe Bogen müßen alfo einen Schaft, wie bie Arubruſt, ge⸗ 
habt haben. 
“ Dev Flug Nicephorius der Mmer, heut zu Tage Ras 
bupr oder Khabur. Mol. J, 4. 


858 Zenophon’s Feldzug des füngern Cyrus. 


welchen fie durch das Gebiet ber Karduchen gezogen waren, 
in beſtaͤndigen Kämpfen zugebracht, und einen größern Ver⸗ 
Inf gehabt, als weder der König, noch Tiffaphernes ihnen 
zugefügt hatte. Bon aller diefer Noth befreit, übertießen fie 
ſich nun der füßeften Nachtruhe. 

Mit Tagesanbruch aber erblickten fle jenfeits des Fluſſes 
Reiterei in Waffenrüſtung ſtehn, welche Miene machte, ihnen 
den Uebergang zu verwehren, und oberhalb dieſer auf den 
Anbohen am Geſtade hin Fußvolk aufgeſtellt, um ſich ihrem 
Einmarſch in Armenien zu widerſetzen. Dieß wareı Sold⸗ 
truppen des Orontas und Artuchas, und beſtanden aus Ar⸗ 
meniern, Mardoniern*) und Chaldäern. Die Letztern, ber 
Erzählung nach ein unabhängiges, ſtreitbares Volk, trugen 
Lange geflochtene Schilde und Lauzen. Die Anhöhen, auf wel⸗ 
chen fie flanden, .waren drei bis vier Plethren vom Fluſſe 
entfernt; einen einzigen Weg fah man, der hinaufführte und 
von Menfchenhänden gebahnt zu ſeyn fchien. Hier verfuchten 
die Helienen den Uebergang. Als fie aber fanden ‚daß ihnen 
das Waſſer über die Bruft ging, und große und fchlüpfrige 
Steine den "Grund unfiher machten, auch die Waffen im 
Waſſer nicht gehalten werden Eonnten, weil der Strom zu 
reißend war, und man fi, wollte man fie auf dem Kopfe 
ragen, den Pfeilen und andern Gefchoßen bloß gab, fo kebr⸗ 
ten ſie um und lagerten ſich am Fluß. 

Da ſahen ſie nun, daß auf dem Berge, auf welchem ſie 
die vorige Nacht geſtanden hatten, viele Karduchen ſich be⸗ 
waffnet zuſammen gezogen hatten. Bei dieſem Anblick wur⸗ 

*) Sonft Marder genannt; fie wohnten am Laſpiſchen Meer 
in der Naͤhe der Hyrkanier. 








Viertes Buch. 889 


den die Hellenen ſehr kleinmüthig: vor ſich ſahen . fte die 
Schwierigkeiten des Uebergangs, und den Feind, Ber ihn u 
vermehren gedachte, und von hinten die Karduchen bereit, 
fie bei’m Ueberſehen von hinten anzugreifen. Sie blieben 
alfo diefen Zag und die folgende Nacht in großer Berüms 
merniß ftehen. Da hafte Kenophon einen Traum: es kam ihm 
por, ale ob er gefeffelt waͤre; allein die Feſſeln fprangen, fo 
Daß er frei hingehen Eonnte, wohin er wollte. 

Als der Morgen graufe, ging er zu Ehirifophus und 
fagte ihm, er habe alfe Hoffnung, daß es aut gehen wiirde, 
und erzählte ihm feinen Traum. Diefer freute fich Tehr; 
und fobald- der Tag anbrach, opferten alle anwefenden Anfühs 
rer. Die Dpfer waren gleich anfangs günftig., Die Anfüh⸗ 
rer und Haupfleute gingen auseinander, und gaben darauf 
den Befehl zur Morgenmahrzeit. 

Während Kenophon fpeiste, Kamen eilig zwei Jünglinge 
gu ihm; denn Alle mußten, daß man ihn Vormittags und 
Abends beim Eſſen fprechen und Nachts aufweden durfte, 
wenn man ihm Etwas in Betreff ded Krieges zu fagen hatte. 
Sie meldeten ihm: „wir waren eben befchäftigt, Reisholz 
zum Feier zufammenzulefen, ald wir einen alten Mann mit 
einer Fran und einigen Dienftmäbchen jenfeits des Flufſes 
gewahr wurden, welche auf den an den Fluß ftoßenden Felfen 
Mantelfäde mit Kleidungsftücden in eine Felſenhoͤhle legten. 
Da kamen wir auf den Gedanken, daß man hier vieleicht 
she Gefahr über den Fluß feben könnte; denn biefe Stelle 
ift der feindlichen Reiterei unzugänglih. Wir zogen uns 
ans und fliegen mit gezogenen Schwertern in den Fluß, um 
hinüberaufchwimmen, Kamen aber hinüber, ohne den Gürtel 


9 RXenophon's Felozug des jangern Cyrus. 


zu beneßen, nahmen dann unſre Kleidungzsſtäcke za ums u 

Bahrten zurück.“ 

Oogleich gab Xenophon ein Trankopfer aus, und hieß auch 
die. Zünglinge einschenten, und zu den Goͤttern, bie den Traum 

und bie Furth gezeigt, beten, daß ſie auch das Hebuige gluc- 

lich endigen ließen. 

Nach vollbrachtem Trankopfer führte er die Tüngkiuge u 
Ehirifophus, dem fie. Daffelbe erzählten. DaChiriſonhus Dieß 
hörte, brachte auch er ein Zrankopfer aus. Herauf befahlen 
be den Andern, ſich nmefchfentig zu halten, viefen die Anfühs 
vor zuſaemmen, und beriethen fi, wie mas Den UNebergang 
am beiten beworkſtolligen und die Feinde wor ſich beilegen 
möchte, ohne von Denen im Nüden Schaben zu keiden. 

Dan warb einig: Chiriſophus follte mit der Hälfte des 
Heeres voranziehen, Xenophon aber mit der andern Hälfte 
‚warden, ımb der Troße mit dem Oepäcke den Mittelzug bilden. 
Als Dieſes in. Richtigkeit war, traten fie unter Fuͤhenng 
der Fünglinge.den Zug den Fluß zum Linken au; der WBeg- bie 
zu ber Furth betrug vier Stadien. 

Während des Zuges bewegten fid, auch die feindlichen 
Geſchwader am Ufer him Als fie an der Furth und den 
haben Ufern dos Fluſſes waren, fleliten fie ch in Schlacht⸗ 
subnumg Chiriſophus war des Erfte, der ſich bekraͤnzte, *) 
enftteibete und fo die Waffern wieder zur Hand nahm, usb 
bau Andern win Gleiches zu thun bafahl. Die Hauptleutr 

ließ er ſich in Marſchkolennen zur NRochtoen und Türken diehen. 


*) Mack der Sitte der Spavtaner, weun ſie in die Schlachten 
gingen. 








BViertes Vuch. 864 


Die Seher ſchlachteten die Opferthiere in den Fluß; die 
Feinde dagegen ſchoßen und ſchleuderten, konnten ſie aber 
nicht erreichen. Als das Opfer Gläück verkündete, ſtimmte 
das ganze Heer den Schlachtgeſang an, und jauchzte ſich zu, 
und alle Weiber — es gab eine Menge Buhldirnen bertm 
Heere — ftimmten mit ein. 

Chiriſophus flieg num mit feinen Leuten in den Fluß; 

Kenophon aber nahm die leichteſten Zruppen vom Nachzug 
und eilte aus alien Kräften an die Stelle des Ufers zurüd, 
die dem aufwärts über die Armeniſchen Berge führenden Paffe 
gegenüber lag, und gab fich das Anſehen, als wollte er hier 
überfeben, und die Reiterei am Fluſſe abfchneiden. 
Als die Feinde nun das Heer unter Chiriſophus mit ſok⸗ 
cher Leichtigkeit über den Fluß feben und Xenophon mit fof- 
cher Eile zurädtaufen fahen, befürchfeten fie, abgefchniften zu 
werden, und flohen nad) Leibesträften dem Wege zu, der von 
dem Fluffe aufwärts führte. Hier angefommen zogen ſie ſich 
noch weiter nach dem Gebirge zurüd., 

Als Lycius, der Berehlshaber des Reitergefchwaders, und 
Aeſchines, welder die Peltaften bei Chiriſophus befehligte, 
fahen, daß der Feind aus vollen Kräften floh, festen fle nady, 
und die Soldaten riefen, fie wolkten nicht zurückbleiben, ſon⸗ 
dern mit ihnen ben Berg erfleigen. 

Epirifophus aber, nachdem er über den Fluß gegangen 
war, verfolgte die Reiter nicht, fondern rückte fogleich auf - 
diejenigen Feinde los, welche auf den vom Ufer aufſteigenden 
Anhöhen fanden. Als Die oben ihre Reiterei auf der Flucht, 
und Hopliten gegen fih im Anzuge fahen, fo verließen fie 
die Anhöhen über dem Flufſſe. 


862 RXenophon's Feldzug des jüngern Cyrus. 


Als Xenophon bemerkte, daß jenſeits des Ufers Alles 
gut ging, zog er fic) eilig auf das überſetzende Heer zurück; 
denn man fah die Karduchen fchon auf -die Ebene herabzie= 
ben, um dev Nachhut in den Rüden zu fallen Chirifophus 
hatte die Unhöhen gewonnen, Lycius mit. weniger Mannfchaft 
den Feind verfolgt, wobei er die Außerflen Parwagen, und 
auf dieſen fchöne Kleidungsflüde nebſt Trinkgefchirren erbeu⸗ 


- tete. 


Eben war der Troß der Hellenen mit dem Gepäde im 
Uebergang begriffen, als fid) Kenophon wandte, gegen die 
Karduchen rüdte, und den Hauptleuten befahl, jeden Lochos 
[Kompagnie] in vier Züge zu theilen, dieſe dann linkshin in 
die Schlachklinie eiurüden zu laflen; die Hauptleute und 
Zührer der Viertelzüge follten fodann gegen die Karduchen 
anrücen, die Führer der Nachhut aber am Ufer ftehen bleiben. 

As die Karduchen bemerkten, daß die Nachhut, vom 
Troffe getrennt, nur aus weniger Mannfchaft befland, fo 
rückten fie unter Anſtimmung einiger Lieder in großer Eile 
gegen fie heran. Da ſchickte Ehirifophus, felbft in Sicher: 
heit, die Peltaften, Scyleuderer und Bogenfchügen zu Xeno⸗ 
phon, und befahl ihnen zu thun, was Dieſer fagen würde. 

Ars fie Kenophon über den Fluß kommen fah, ließ er 
ihnen fagen, fie follten am Fluſſe flehen bleiben, und nicht 
über denfelben kommen; wann er felbft. aber mit feinen Leu: 
ten anfinge überzufesen, dang follfen fie. mit angelegtem 
Wurffpieß und gefpanntem Bogen in den Fluß enfgegenrücen, 
ohne jedoch zu weit in den Fluß ſich zu wagen. 

Seinen Leuten befahl er, wenn ihre Schilde vom Wurfe 
ber Schleuder erklaͤngen, den Schlachtgefang anzuflimmen und 


- 


Viertes Bud), 863 


ſtracks auf den Feind loszurennen; würde Diefer den Rüden 
ehren, und vom Fluſſe her die Trompete dad Zeichen zum 
Angriff geben, fo foltten fie ſich rechtsum ſchwenken und mit 
der Nachhut das WVorbertreffen bilden, Alte aber, Jeder. in 
feiner Ordnung, damit fie einander nicht hinderlich würden, 
in vollem Laufe über den Fluß ſetzen; und Der follte der 
Bravſte fenn, der zuerft das jenfeltige Ufer erreichte. - 

Da aber die Karduchen fahen, daß nur noch wenige 
Mannfchaft auf dem bieffeifigen Ufer ſtand (denn auch Diele 
von Denen, die Befehl Hatten, ſtehen zu bleiben, waren weg⸗ 
gegangen, um für das Zugrieh, dad Gepäde, oder wohl auch 
für ihre Dirnen zu forgen), thaten fie einen kühnen Angriff 
auf fie und begannen zu fchleudern und zu fchießen. Die 
Hellenen flimmten den Schlacdhtgefang an und rückten in vol⸗ 
Tem Laufe auf die Feinde los. Allein Diefe erwarteten den 
Angriff nichts denn als Gebirgsbewohner waren fie zwar 
tüchtig zum Anlauf und zur Flucht, zum Handgemenge aber 
durchaus nicht geeignet. _ 

Während deſſen erflang die Trompete, und die Feinde 
flohen noch viel eilfertiger ; die Hellenen aber kehrten um und 
eiften, fo ſchnell fie Fonnten, über den Fluß. Einige von den 
Feinden, die es gewahr wurden, liefen wieder gegen den Fluß 
und verwundeten Einige mit Pfeilenz den größten Theil aber 
fah man, als die Hellenen fchon auf dem jenfeitigen Ufer was 
ren, nody auf der Sucht begriffen. Die Hellenen am andern 
Ufer Tießen fi, durch ihren Muth verleiten, zu weit vorzus 
dringen, und kamen erſt nach den Leuten des Kenophon über 
den Fluß; und fo wurden auch von ihnen Einige verwundert, 





864 Xenophon’s Feldzug des jüngern Eyrus. 


4. Als fie num über den Fluß geſetzt Hatten, zogen fie 
— es war um Mittagszeit — in Schlachtordnung durch Armes 
wien bin, über lauter flaches Land und fanfte Anhöhen, eine 
Strede von nicht weniger als fünf Parafangen; denn ed wa⸗ 
zen in der Nähe wegen der Kriege mit den Kardudyen keine 
Dörfer. 

“Das Dorf, in weiches fie jebt famen, war groß, und 
hatte ein Schloß für den Satrapen, und auf dan meiften 
Hänfern Thürme. Lebensmittel fand man im Ueberfluß. 

Don hier aus. Tegten fle in zwei Tagmaͤrſchen zehen Pa: 
raſangen zurüd, und kamen fo über die Quellen des Tigrig *) 
hinaus. In weitern drei Zagmärfchen, fünfzehn Parafans 
gen, gelangten fie an den Fluß Teleboas. *) Um diefen 
zwar nicht großen; aber anmuthigen Fluß lagen viele Dörfer. 
Die Landfchaft hieß das weftliche Armenien. 

Statthalter über fie war Tiribazus, ein Freund des Kö⸗ 
nis, der, fo oft Jener zugegen war, von ihm bas Pferd fich 
Halten ließ. - 

Diefer Fam mit Reiterei den Hellenen entgegen, fandte 
einen Dolmetfcher voraus und ließ ihnen fagen, daß er die 
Heerführer zu fprechen wünfche. Man befchloß, ihn zu hören; 
und nachdem fie in die Hörweite gekommen , fragten fie ihn, 
was er begehre., Er erwiederte, er wolle einen Vertrag mie 
ihnen fchließen, zu Folge deffen er ſich verpflichte, den Helles 
nen Nichts zu Leide zu thun, uud ihnen die nöthigen Lebens 


5) Nach Kinneir und Nenner ift ed ein Arm ded Tigris, Erzin 
‚ vder Arzen. 
**) Ehemals Arfanias, Arfanius, Arfinus, Omiras, 
nach Nitter der Heutige Akſu. 





Viertee Buch. 865 
mittel zu reichen, wenn fle dagegen die Häufer nicht anzu- 
zünden verfprächen.. Die -Heerführer gingen darauf ein und 
fchloßen einen Vertrag mit ihm. 

Don da zogen fie in drei "Tagen fünfzehn Parafangen 
weit durd, die Ebene hin; Tiribazus zog in einer Entfernung 
von zehen Stadien mit feiner Heeresmacht neben ihnen her, 
und fo Famen fle bei Schiöffern au, in deren Nähe viele 
reichlich mit Lebensmitteln verfehene Dörfer Tagen. 

Als fie ein Lager bezogen hatten, fiel ded Nachts viefer 
Schnee; man beſchloß daher am frühen Morgen, die Trup⸗ 
pen mit ihren Anführern auf den Dörfern zu vertheilen; 
denn fie fahen Leinen Feind, und glaubten ſich ſchon wegen 
des vielen Schnee’s fiher. Sie fanden bier alle nöthigen 
Lebensmittel in vorzügliher Güte, Schlachtvieh, Getreide, 
alte, gewürzhafte Weine, Roſinen und Hülfenfrüchte aller 
Art. Etliche aber von Denen, welche in einiger Entfernung 
vom Heere herumgeftreift waren, brachten die Nachricht, daß 
fie ein Heer entdeckt und bei Nacht viele Feuer gefehen 
hätten. . . 

Die Heerführer fanden es nicht rathſam, Tänger in ben 
Quartieren zu bleiben, fondern fi, zufammenzuzichen. : Man 
verfammelte fich demnach, um ſich fofort unter freiem Him⸗ 
wel zu lagern. *) 

Ars fie num diefe Nacht unter freiem Himmel zubrachten, 
fiel ein fo tiefer Schnee, daß er die Waffen und die auf dem 


*). I nehme dad da bei daoxvar uno dutpragev 
als Zeitmaß, ſo daß Kenophon das Duartier (oxnun) 
vem freien Zimmer (aiIoLa) entgegenſetzt. 

Renophon. 76 Bdqhn. 3 





886: Xenophon's Feldzug des jüngern Cyrus. 


Boden Tiegende Mannfchaft. überfchneite. Auch dad Vieh war 
durch den Schnee wie in Feſſeln gelegt, und es war eine 
große Verdroffenheit beim Aufftehen; denn fo lang man lag 
und der Schnee nicht ablief, fühlte man ſich warn. 

Are fid) aber Kenophon ermannte, unbekleidet aufzuftes 
hen und Holz zu fpalten, erhob fi) fogleich ein Anderer, und 
nahm ihm die Arbeit ab. 

Da erhoken fich denn auch die Andern, zündeten Fener am: 
und falbten fih; denn fie fanden hier einen großen Vorrath 
Schweinefett, das fie fast des gewöhnlichen Oehls gebraudye 
ten, und Salböhl aus Sefam, bittere Mandeln und Terebin⸗ 
then. Auch wohlriechende Salben, aus denfelben Beſtand⸗ 
theilen ‚gefertigt, fand man hier. 

Nun faßte man den Entſchluß, ſich wieder in die Dörfer 
einzulegen, und die Soldaten Tiefen unter großem Geſchret 
and Jubel nad, den Häufern und ben Lebensmitteln; Welche 
aber bei ihrem Abzug die Häufer in Brand geftedt hatten, 
die mußten zur Strafe fih- unter freiem Himmel lagern. 

Hierauf fandten fie zur Nachtzeit Demokrates aus Zar 
menium *) mit einiger Mannfchaft gegen die Berge ab, wo 
man die Feuer früher gefehen haben wollte; denn. diefer 
Mann hatte fchon öfters in ähnlichen Füllen einen glanbwür⸗ 
digen, zuverläßigen Bericht erftattet. Er fah, wie er bei 
feiner Rückkehr erzählte, keine Feuer, brachte aber einen Ge⸗ 
fangenen, der einen Perfifchen Bogen und Köcher nebſt eines 
Streitart hatte, wie fie die Amazonen fragen. 

Auf die Trage, woher er fey, antwortete er: er fey ein 
Derfer, und komme aus des Tiribazus Lager, um Lebensmit⸗ 

*) Einer Stadt in der Landſchaft Argolis Im bftfichen Peloponnes, 


Viertes Buch. 80 


tet zu holen. Man fragte ihn weiter, wie flart das Herr 

und wäs feine Beftimmung fey? Cr antwortete: das Her 
des Tiribazus beftände aus feinen eigenen Truppen und an® 
Chalybiſchen und Taochiſchen *) Miethſoldaten; es ſey feine 

Abſticht, die Hellenen beim Uebergang über dad Gebirge, we’ 
nur ein einziger Weg fey, anzugreifen. 

Auf diefe Nachricht befchloßen die Anführer, das’ Heer- 
zuſammenzuziehen; dann ließen file unter dem Befehl des- 
Shonphalierrs Sophänetus eine Befabung zurück, und mach⸗ 
ten ſich fogleicy unter der Führung des Gefangenen auf beit! 
Wer. Als ſie über die Gebirge Famen, warteten’ die voraus⸗ 
ziehenden Peltaſten, als fie des [feindlichen] Lagers anſichtig 
wurden, die Ankunft der Hopliten nicht ab, fondern Liefer mir‘ 
großem Geſchrei darauf los. | 

Als die Feinde den Lärm vernahmen, hielten fie nicht 
Stand, fondern flohen; doc blieben Einige von den: Barbası- 
ren aufidem: Pape, und man erbentete außer etwa zwanzig: 
Merden anch' das. Zelt des Ziribazus, worin man einfge 
Ferebetten mit filbernen Füßen, Trinkgeſchirre und’ einige: 
Lente fand, die fich für Bäder und Mundſchenken ausgaben. 

Als Die die" Anführer der Hopkiten erfuhren, hieften fie 
für rathſam, eiligſt fi auf das Lager zurückzuziehen, damit 
der Feind nicht etwa die Zurückgebliebenen überfallen möchte. 
Sogleih ward zum Rückzug geblafen, und man kam noch 
defielden Tages wieder im Lager **) an. 





27891. IV, 6.V. 5. Es waren Graͤnzvdlter von Armenien. 
ꝛ) Die Hoͤhen, auf welchen Tiribazus überfallen wurde, lagen 
nah Haken den Heilenenheer im Rüden, ver, Enopaß aber 
* 


868 Xenophon’s Feldzug des jungern Cyrus. 


5. Am. folgenden Tage befchloß man, fo fchnell wie 
möglidy vorzurüden, bevor das feindliche Heer ſich wieder 
fammelte und den Engpaß wesnähme. 

Sie brachen fogleich auf und zogen unter Führung vie: 
Aer Wegweifer durdy tiefen Schnee, erftiegen noch an bemfel- 
ben Tage die Höhe, auf welcher Ziribazus fle überfallen wollte, 
und bezogen dafelbft ein Lager. 

Bon hier zogen fie drei Tage, fünfzehn Parafangen, ohne 
auf einen Ort zu floßen, an den Euphrat, *) über den fie 
gingen, und nur bis an den Nabel naß wurden, weil, wie 
es hieß, feine Quellen in der Nähe waren. Hierauf legten 
fie in drei Tagen über eine mit tiefem Schnee bedeckte Edene 
fünfzehn Parafangen zuräd, 

Der dritte Tagmarfch war befchwerlich ; denn ein Nord⸗ 
wind, unter deffen Hauch Alles erfror und erftarrte, wehte 
ihnen ‚entgegen. Da rieth Einer der Seher, dem Winde zu 
‚opfern, *) und Alle glaubten deutlich zu fpüren, daß fich das 
Scyneidende des Windes verloren habe. Der Schnee war 
Haftertief, fo daß viele Laſtthiere, Sklaven und felbft gegen 
dreißig vom Heere umkamen. 

Gie unterhielten die Nacht über Zeuer, denn man fand 
an dem Lagerplag Holz in Menge; nur Diejenigen, welche 





nördlich ; fo daß das Heer bei feinem Ruͤckzug auf das Lager 
eigentlich vorwärts ging. 

*) Den ‚Öftlichen Euphrat, wo er aus den Saochalpen des Bing: 
heut, durch die Engpaͤſſe der Provinz Khanuns in das zweite 
weitere Stufenland der Moſchiſchen Ebenen hervorbricht. Rit⸗ 
ter’ $ Geogr. zw. Thl. ©. 757 — 760. 

”*) Die Winde waren den Alten Gottheiten. 





- 


Biertes Buch. 869 


fpäter einrücten, hatten keines mehr. Die, welche früher Pas 
men nnd das Feuer angezündet hatten, ließen die Spätern 
nicht zum Feuer zu, wenn fie ihnen nicht Weizen und an⸗ 
dere Eßwaaren dafür gaben. So theilten fie. nun einander 
mit, was fie hatten. Wo das Feuer brannte, entftanden 
durch das Schmelzen des Schnees tiefe Gruben bis auf ben 


- Boden, fo daß man die Höhe des Schnees meflen konnte. 


Bon hier aus zogen fie den ganzen folgenden Tag durch 
den Schnee, und viele Menfchen fielen vor Heißhunger um. 


' Kenophon, der die Nachhut führte, und fie liegen fah, wußte 


anfangs nicht, wo ed ihnen fehlte. Als ihm aber Jemand, 
der die Krankheit kannte, fagte, daß Dieb ſicherlich vom 
Heißhunger Eomme, und fie, wenn fie was genößen, wieder 
aufftehen würden, fo ging er zu den Vorrathswagen, und wo 
er fonft etwas Eßbares auftreiben Eonnte, und theilte es aus, 
oder fchickte Leute, die aut zu Fuße waren, um es ihnen zu 


bringen. Als fle Etwas genoſſen hatten, fanden fle auf und 


pr 


jogen weiter. 
Gegen Abend erreichte Chiriſophus ein Dorf, wo er vor- 
der Befefligung Weiber und Mädchen traf, die bei einem 


- Brunnen Wafler holten. Diefe fragten Lie Hellenen, Wer fie 


wären. Der Dolmetfcher antwortete Perfifch: fie Fämen vom 
Könige und wollten zum Satrapen. Sie antworteten, er fey 
nicht hier, fondern flehe in einer Entfernung von einer Pas 
rafange. Da es fchon fpät war, gingen fle mit den Waſſer⸗ 
trägerinnen hinein zum Ortsvorſteher. Chirifophus und Alle 
vom Heere, welche ankommen konnten, nahmen dort ihr 
Nachtlager; die Webrigen aber, die den Weg nicht vollends 
zurücklegen konnten, mußten ohne Speife und Teuerung uns 


. 





870 Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus. 


terwegs übernachten, wo denn einige Soldaten um's Leben 
famen. 

Eine Anzahl Feinde, welche fich wieder zufammengefuns 
den hatten, folgte ihnen und raubte die Laſtthiere, die nicht 
mehr weiter kommen konnten, worüber file ſelbſt unter ſich in 
. Streit gerietben. Man mußte anch Einige vom Heere zu: 
rücklaſſen, weil fle durdy den Schnee das Geficht verforen 
batten, oder ihnen bei der Kälte die Zehen abgefroren waren. 

Ein Mittel für die Augen gegen den Schnee war, wenn 
man ſich auf dem Zuge etwad Schwarzes vor die Augen 
hielt, und für die Füße, wenn man fie in beftändiger Bewe⸗ 
gung hielt, und des Nachts die Sohlen losband. Wer. Die 
‚verfäunte, dem drückten fich die Riemen in die Füße ein, 
und die Sohlen froren an; denn, als die alten verbraucht 
‚ waren, hatten fie fid) Karbatinen *) aus frifchen Ochfenhänten 
werfertigt. 

Diefer Mühſeligkeiten wegen blieben Mehrere vom Heere 
zurück, und da fie eine Stelle fanden, welche ſchwarz fchien, 
weit kein Schnee auf ihr lag, vermutheten fie, er fey ges 
. fchmolzen. Und dieß war auch wirktlih der Fall, da eine 
‚worme. Quelle in einer nahen DBergfchlucht ſich befand; fle 
wandten ſich alfo dahin von Wege ab, feuten fich nieder, und 
wollten nidyt mehr weiter, 

Als Tenophon mit dem Nachzug herankam, fuchte er: fie 
durch alle Mittel und Künfte zu vermögen, nicht zurücktu⸗ 
bleiben, und flellte ihnen vor, wie der Feind in großer Au⸗ 


*) Eine Art Helleniſcher Bauernſchuhe, von den Kariern, ibgen 
Erfindern, fo benannt. 





Wierres Buch. 874 


zahl ihnen auf dem Fuße folgte: zulebt ward er böfe; allein 
fie erwiederten, er folite fie niederftoßen, fie könnten nicht 
weiter kommen. - 

Man hielt alfo fürs Beſte , den nachſetzenden Feinden 
wo möglich Schrecken einzujagen, damit fie nicht über die 
Müden herfallen möchten. Es war fchon finfter, als fie mit 
großem ‚Getümmel heranrüdten; denn fie waren über ihre 
Beute unter fidy in Streit gerathen. Da machten fi Dieje- 
nigen vom Nachzug, tie noch bei Kräften waren, auf, und 
ftürzten fi) auf die Feinde los; auch die Müden fchrieen aus 
. Zeibesträften, und fließen mit den Lanzen an die Schilde. Die 
Feinde erfchraten, Tiefen durd) den Schnee nach der Berg: 
ſchlucht hin, und ließen Beinen Laut mehr von fich Hören. 

Xenophon zog, nachdem er den Kranken die Veriicherung 
gegeben, daß er am folgenden Morgen Einige zu ihnen abfens 
den würde, mit feinen Leuten weiter und fließ, bevor ſie noch 
vier Stadien hinter fid, hatten, auf Andere, die fi) einge: 
hüllt hatten, und ohne eine Wache auszuftellen, im Schnee 
auf dem Wege ausrunfen; man wollte fie wieder zum Auf⸗ 
ftehen bringen, fle fagten aber, daß die Vordern auch nicht 
weiter gingen. 

XRenophon ging vorbei und fandte die Eräftigiten Pelta- 
sten ab, um zu fehen, was fie aufhalte, Sie brachten die 
Nachricht, daß das ganze Heer ſich fo_gelagert habe. Run 
Iagerte ſich auch Kenophon mit feinen Leuten und brachte fo, 
‚nachdem fie, fo gut ed ging, Wachen aufgeftellt hatten, uns 
gegeſſen und ohne Feuer anzuzänden, die Nucht zu. Gegen 
‚Morgen fchicte Zenophan die Jüngfte Mannichaft zu den 
Müden ab, mit dem Befehl, fle zum Aufbruch zu nöthigen. 


872  Xenophon’s Feldzug bes jüngern Cyrus. 


Während deffen fchickte auch Chiriſophus aus dem Dorfe, um 
Nachricht einzuziehen, wie es mit dem Nachzuge flände. Sie 
waren hier Außerft wilfommen; man ließ durch fie die Kran 
ten in’d Lager bringens und nach einem Zuge von weniger 
denn zwanzig Stadien traf man bei dem Dorfe ein, wo Chi⸗ 
rifophus ftand. Nach ihrer Bereinigung ward für gut be= 
funden, die Truppen in die Dörfer zu verlegen, Chiriſophus 
blieb, wo er war, die Andern aber Iofeten um die Dörfer, 
die fie vor fih fahen, und rüdten danı dahin, wo fie das 
Loos hinführte. 

Da verlangte der Hauptmann Polykrated aus. Athen, - 
man follte ihn vorrüden laffen; er warf fich mit einer Abs 
theilung leichter Truppen anf das Dorf, Bas Kenophon durches 
2008 zugefallen war, und hob alle Dorfbewohner nebft dem 
Ortsvorſteher auf; auch befam er ſiebzehn Füllen, die zum 
Zribut für den König beſtimmt waren, und die Tochter des 
Drtsvorftehers, die erft feit neun Tagen verheirathet war, in 
feine Gewalt. Ihr Dann war auf die Hafenjagd gegangen, 
und ward nicht in den Dörfern getroffen. 

Die Wohnungen waren unter der Erde, am @ingang 
eng, wie ein Brunnenfody, nad) unten aber geräumig. Die 
Eingänge für’ Vieh waren gegraben, die Menfchen aber flies 
gen auf Leitern hinab. In den Häufern befanden fich Zie⸗ 
gen, Schafe, Rinder, Federvieh nebft den Zungen berfelben. 
Das Vieh ward fämmtlicd, unten gefüttert. Man fand andy 
- Weizen, Gerfte, Hülfenfrücdhte und Gerſtenwein, *) den man 
*) Niebuhr fand in Egypten und Armenien dus Gerftenbier 


noch uͤblich, und in Armenien ſogar noch die Sitte, es aus 
großen Toͤpfen vermittelſt eines Rohrs zu trinken. Auch 





Viertes Bud). 873 


in großen Keſſeln aufbewahrte. Die ganzen Gerſtenkörner 
ſchwammen oben dem Rande gleich; ed waren deßhalb größere 
und Eleinere Halmröhren barin, bie keine Sinoten hatten. 
Mer nun Luft zu trinken Hatte, ber nahm fie in den Mund 
und ſog. Das Getränke war fehr flarf, wenn man nicht 
Waſſer beimifchte, und für Den, der fid, daran gewöhnen 
konnte, Außerft angenehm. 

Xenophon 309 den Drtsvorfteher an feine Tafel und hieß 
ihn auten-Muthes feyn, indem er ihn verficherte, man würde 
ihn feiner Kinder nicht berauben, und ihm beim Abzuge das 
Haus mit Lebensmitteln füllen, wenn er dem Heere gute 
Dienfte Ieiften würde, bis fie bei einem andern Wolfe anges 
kommen feyn würden. Er verfprad’s, und um feinen guten 
Willen zu zeigen, gab er an, wo Wein vergraben war. Go 
brachten nun die Hellenen diefe Nacht unter Dach und im 
Ueberfluſſe zu, hielten den Drtsvorfteher in ſicherem Gewahr⸗ 
fam, und ließen auch feine Kinder nicht außer Augen. 


Am folgenden Tage begab ſich Zenophon mit dem Orts: 


vorfleher zu Chiriſophus; in jedem Dorf, an welches er Fam, 
Sehrte er ein, und traf allenthalben die Soldaten fröhlich und 
guter Dinge, und nirgends Tieß. man fie fort, ohne ihnen ein 
Frühſtück vorzufesen. Da fand man einen Zifch, der nicht 
mit LZämmerfleifch, Ziegenfleiſch, Schweinefleifch, Karbfleifch, 
"Geflügel, mit Weizens und Gerſtenbrod reichlich beſetzt war. 

Wenn Einer dem Andern zutrinten wollte, fo 309 er ihn 
zu dem Keffel, über den er ſich bücken und gleich einem 


— —“ 





die Araber trinken nach Niebuhr ein weißes und dickes 
Getraͤnk aus Mehl, eine Art Bier, Buſa genannt. 


— — — — — 


3874 Xenophon’s Feldzug des füngern Cyrus. 


Ninde fchtärfen mußte. Auch dem Ortsvorftcher erlaubten 
‚fie, zu nehmen, was ihm belichte. Er genoß aber Nichts; 
wenn er jedoch einen Verwandten fah, fo nahm er ihn zu ſich. 

Als fie bei Chiriſophus ankamen, fanden fie auch bier 
Alles bei'm Schmanfe mit Heutränzen geſchmückt und ven 
Armeniſchen Knaben in barbarifher Tracht bedient: ben 
Knaben aber gaben fie wie Taubſtummen durch Seichen zu 
verfichen, was fie wollten. Als Chiriſophus und Kenophon 
fi) bewillkommt hatten, fragten fie Beide vermittelt bed Per: 
fifchen Dolmetfchers den Ortsvorſteher, wie das Land. heiße, 
Er antwortete: ‚Armenien. Dann fragten fie ihn weiter, 
für Wen die Pferde gezogen würden. „Als Tribut für den 
König,” war feine Antwort, „Das angränzende Land,‘ fuhr 
er fort, ‚gehöre den Ehalvbern,“ und beſchrieb ihnen zugleich 
den Weg. 

Hierauf brachte ihn Xeuophon wieder zu den Seinigen 
zurück und ſchenkte ihm ein ſchon etwas altes Beutepferd, 
um ihm fleißig abzuwarten und es dann ald Dpfer zu ſchlachten. 
Er hatte nämlich vernommen, daß ed der Sonne geheiligt 
feys und da es durch den Zug fehr mitgenommen war, be 
fürchtete er, es möchte darauf gehen. Er felbft nahm eines 
der Füllen, und gab auch jedem Heerführer und Hauptmann 
eined. Die Pferde hier zu Land waren zwar Pleiner als bie 
- perüifchen, aber weit muthiger. Hierauf gab ihnen der Orts⸗ 
vorfteher die Anweifung, den Pferden und dem BZugpieh 
Beutel um die Füße zu binden, wenn es über den Schnee 
ginge; denn ohne diefe Vorkehrung fielen fle bis an den Bauch 
hinein. 








Wiertes Buch. 1885 


6. Am achten Tage übergab er den Ortsvorſteher als 
Wegweiſer dem Ehirifophus, and ließ ihm alle feine Angehoͤ⸗ 
rigen außer feinem Sohne, der eben in die Jünglingsjahre 
trat. Er gab ihn dem Epifthened aus Amphipolis in Ders 
wahrung, und der Vater follte ihn, wenn er ald Wegweifer 
feine Pflicht gethan hätte, ‚wieder mit fid nehmen dürfen. 
Auch ward fein Haus mit Allem aufs reichlichſte verſehen; 
dann brach man auf und zog weiter. 
Der Ortsvorſteher zog ungefeſſelt in dem Schnee vor ih⸗ 
nen her. Schon waren ſie auf dem dritten Tagmarſch, als 
Chiriſophus über ihn böſe ward, daß er fie in keine Dörfer 
“ führte. Er fagte zwar, baß es im diefer Gegend keine gäbe, 
altein Chiriſophus ſchlug ihn, ließ ihn aber nicht feſſeln. 
Hierauf lief der Mann Nachts fort, und ließ feinen Sohn 
im Stich. Dieß war während des ganzen Zuges das einzige 
Mal, daß Kenophon mit Chiriſophus in Zwilt gerieth, und 
zwar wegen der übeln Behandlung ded Wegweifers und fei: 
ner Unachtfamkeit. Epifthenes aber gewann den jungen Mens ' 
fchen lieb, und nahm ihn mit nad) Hellas, wo er ihm. äußerft 
treu und ergeben war, 
Hierauf zogen fie in fieben Tagmaͤrſchen, täglichen fünf 
Darafangen, länge dem Fınfle Dhafis, *) der eine Breite von 


” Dieb ift nicht der bekannte Phaſis des alten Kolchis, der ſich 
in's ſchwarze Meer ergießt, ſondern der Fluß Araxes (jedoch 
nicht der oben I, 4. aufgefuͤhrte, ſondern Araſch). Es wäre 
uͤbrigens vergebliche Muͤhe, den Zug der Hellenen nach ver⸗ 

lorenem Fuͤhrer genau nachweiſen zu wollen. Nach Halb⸗ 
kart zogen ſie an ſeinen Ufern hin, bis ſie an eine Furth 
deſſelben kamen, und gingen etwa in der Naͤhe von Artaxata, 
wo auch der Roͤmiſche Feldherr Corbulo hinuͤberging, uͤber 


876 Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus. 


einem Plethron hat. Nachdem fie von da zwei Tagmärfche, 
zehen Parafangen, weiter gezogen waren, ftellten ſich ihnen 
auf einem Berge, über welchen der Weg nach der jenfeitigen 
Ehene fuͤhrte, die Ehalyben, Taochen und Phaſianen u ent⸗ 
gegen. 
Beim Anblick der Feinde auf der Höhe ließ Chiriſophus 
in einer Entfernung von ungefähr breißig Stadien Halt mas 
chen, damit dad Heer nicht in fo langem Zuge fi ihnen 
näherte er ließ daher an die übrigen Anführer die Weifung 
ergehen, die Lochen KKompagnien] neben einander räden zu 
laſſen, damit das ganze Heer eine Phalanı bildete. Als 
auch die Nachhut angelangt war, berief er Anführer und 
-Hauptleute zufammen und trug ihnen vor: „Der Feind Hält, - 
wie Ihr fehet, die Webergänge über das Gebirge befeht; laßt 
uns nun zu Mathe gehen, wie wir aufs rühmlichſte uns mit 
ihm meffen. Mein Vorfchlag ift, wir geben dem Heer den 
Befehl, die Morgenmahlzeit einzunehmen, und beratken ung, 
ob wir heute oder morgen über das Gebirge feben wollen.‘ 
„Ich bin der Meinung,‘ verfehte Kleanor, „wir neh: 
men fogleic, das Morgenbrod und gehn dann ſchleunig uf 
die Feinde los; denn zögern wir heute noch, fo ſteigt dem 


—— 





denfelden; fo daß fie dann von Oſten her. an den Harpams 
gelangten. Diefer Fluß mochte auf einer gewiffen Strecke 
den Namen Phaſis führen, und fo dem Molke der Phaſianen 
sen Namen geben. Doc ferien ſelbſt Kenophon nicht zu 
wiſſen, daß diefer Phaſis nicht der Kolchiſche war. . 

+) Die beiden erftern Voͤlter waren unabhängig, die Phaſianen 
aber, nad Nenner die Bewohner ber Landfchaft Paſſin, 
waren Perſiſche Uinterthanen. 


— u — — 


— — — — — 


Viertes Buch. 7.877 


Feinde, der uns vor fid, fieht, der Muth; und wenn er 
Muth zeigt, fo werden ſich Leicht noch Mehrere verſammeln.“ 

Nach Dieſem fprad) Kenophon: ‚‚meine Meinung ift die: 
thut es Noth, zu kämpfen, fo müßen wir Maßregeln treffen, 
uns aufs tapferfte zu ſchlagen; wollen wir auf die leichteſte 
Art über den Berg Eommen, fo mäßen wir darauf fehen, 
wie wir die wenigften Wunden empfangen, und die wenigften - 
Lente verlieren, Das Gebirge, weldyes wir vor uns haben, 
erſtreckt ſich über fechzig Stadien weit, und nirgends fehen 
wir es von Feinden bewacht als gerade am Wege. Nun ift 


es viel .befier, anf irgend einem unbewachten Punkte des Ber: 


ges ſich durch zuſtehlen, und fl da, wo möglich, ‚vor ihnen 
feftzufepen, als einen Derfuc gegen die feften Poften und 
den gerüfteten Feind zu wagen. Denn es ift doch weit leich⸗ 
ter, ohne Kampf bergauf, als von Feinden umringt auf der 
Ebene zu ziehen; und bei Nacht fieht man, wenn man nicht 
kaͤmpfen darf, beſſer vor fi, als bei Tage, wenn man ſich 
der Angriffe des Feindes zu erwehren hat. Auch befreunden 
fih die Füße weit leichter mit dem rauhen Weg, als mit 
dem ebenen, wenn man nach ben. Köpfen wirft. Es fcheint 
mir and) nicht unmöglich, ſich Hinaufzuftehlen, da man ſich 
bei Nacht auf den Weg machen und fo weit abgehen kann, 
daß fie uns nicht auf die Spur kommen werden. Machen 
wir einen verftellten Angriff auf diefen Punkt, fo werben 
wir, hoffe id, den Übrigen Theil ded Berges um fo weniger 
bewacht finden, da die Feinde mehr hier beifammen bleiben 
werden. — Doch was fpreche ich vom Stehlen, Ehirifophus, 
da Ihr, Lacedämonier, fo weit Ihr ebenbürtig feyd, Euch 


von Jugend auf im Stehlen übt, und es nicht nur nicht für 


878 . KZenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus, 


fchimpflich, fondern fogar für rühmlich haftet, wo ed nicht etwa 
das Geſfetz verbietet. Fa damit Ihr recht Eimftlich ſtehten 
lernt, ift es bei Euch Geſetz, daß Derjenige gegeißelt wird, 
der ſich betreten läßt. Da haft du nun die fchönfte Gele: 
genheit, deiner Erzichung Ehre zu machen, auf daß wir beiem 
Verſuch, den Berg wegzufapern, unentdeckt bleiben und uns 
nicht etwa eine tüchtige Tracht Schläge holen. 

„So vernehme aud ich,“ verfeßte Chiriſophus, „daß 
Ihr, trotz aller Gefahr, die dem Diebe droht, den öffentti⸗ 
chen Schatz gar meiſterhaft zu beſtehlen wißt, und zwar die 
Beſten immer am meiſten, da ja doch die Beſten bei Eudr 
das Ruder führen wollen; fo mache benn auch du deiner Ere 
ziehung Ehre.“ 

„Ich erbiete mich nun,“ begann Kenophon wieder, „nach 
eingenommenem Abendeſſen mit der Nachhut abzugehn, um 
ver Berg zu befepen. Ich habe aud, Führer; denn unfere 
Gymneten *) haben den Dieben, Be uns auf dem Fuße 
folgten, aufgepaßt, und Einige von ihnen aufgegriffen. Dürdh ' 
fie habe ich in Erfahrung gebracht, daß das Gebirge. nicht‘ 
ungugänglich ift, fondern von Ziegen und Rindvieh beweidet 
wird; fo daß, wenn wir. einmal im Befitze eines Punktes 
find, auch das Zugvieh darauf fortkommen wird. Auch baffe: 
ich, daß die Feinde dann und nicht Stand" hafter werben; 
wenn fie und, gleich fich, auf dem Bergrücken ſehen: fonft würe: 
den -fie ja auch zu uns: in Die Ebene herabgekommen ſeyn.“ 

CEhirifophus entgegaete: „Aber warum mußt bu denn 
gehen, und die Nachhut verlaſſen? Schicke doch Andere hin, 
wenn ſich keine Freiwillige finden!‘ 

* Schleuderer und Bogenfihägeni 





x 


Viertes Bud: 78: 


Da? meldeten ſich Ariſtonymus aus Methydrium *) mit 
Hopliten, Ariftend aus Chius und Nikomachus aus Deta **) 
mit Gymneten, und verabredeten, wenn: fie im Beſitze der. 
Berghöhen :wären, viele Fener anzuzünden. 

Nach dem Abendeffen rüdten mit Einbruch der Nacht: 
die hiezu Befehligten aus. und nahmen die Berghöhe; das- 
übrige Heer lagerte fih, wo ed war. Da der Feind. den 
Berg genommen-fah, bfieb er die ganze Nacht wach, und 
hatte viele Feuer angezündet: 

. Hierauf frühftücten fie, und Chiriſophus führte fodanız 
das ganze Heer ungefähr zehn Stadien gegen. den. Feind. vor, 
damit es vollkommen das Auſehen Hätte, ale wollte man: hier 
einen Angriff wagen. 

Mit Tagesanbruch opferte Chirifophus und zog dann ge⸗ 
gen den Weg; Diejenigen aber, weiche. den. Berg befebt hate 
ten, griffen von oben an. Das feindliche Heer blieb größten⸗ 
theits- an. dem Gebirgswege ſtehen; der andere Theil aber 
sing den. Hellenen auf der Höhe des- Berges entgegen, 

Ehe aber die Hauptheere- an einander. geriethen, kamen 
die.oben Beindlidyen zum Handgemeng; die Hellenen ſiegten 
und verfolgten fie. Zu gleicher Zeit gingen auch von .der 
Ebene aus die Peltaften in vollem Lauf'auf die ihnen gegen» 
über ſteheuden Feinde los, und. Ehirifophus folgte raſchen 
Schrittes mis den. Hopliten nach. Als die Feinde ay dem 
hohen Wege gewahrten, daß die Ihrigen oben geſchlagen wa⸗ 
ren, nahmen fie die Flucht; es blieben zwar nur Wenige von 





*) ©. IV, 1, 
+) Einer Stadt in Theffalien an dem Gebirge gleiches Namens. 





830 Kenophon’s Feldzug Des jüngern Cyrus. 


ihnen; es ward aber eine große Anzahl geflochtener Schilde 
erbeutet, welche die Hellenen durch Säbelhiebe unbrauchbar 
machten. Als die Hellenen oben angefommen waren, geapfert 
und ein Giegeszeichen errichtet hatten, zogen ſie nad) der 
Ebene hinab, wo fle in Därfer Famen, die mit allerlei Le⸗ 
bensmitteln aufs reichlichite verfehen waren. 

7. Hierauf zogen fie in das Land der Taochen,*) und 
legten in fünf Tagmärfcdhen dreißig Parafangen zurück. Da 
begann es ihnen an Lebensmitteln zu gebrechen : denn bie 
Taochen wohnen in feſten Plägen, wohin fie auch alle Les 
bensmittel geflüdytet hatten. 

Als Ehirifophus vor einem ſolchen Platze ankam, der 
zwar feine Stadt war, auch Feine Häufer hatte, wohin ſich 
aber viele Männer und Weiber nebft vielem Vieh geflüchter 
hatten, griff er ihn fogleich an. Wenn ein Heerhaufe müde 
war, rückte fogleich ein anderer an; und gleich wieder noch 
einer s denn da ringsum Alles ſteil war, konnte man nicht in 
Maffe angreifen. Als Kenophon mit den Peltaften und Ho- 
pliten der Nachhut ankam, fo fagte Ehirifophns: „Du kömmſt 
mir eben recht; denn diefer Pad muß genommen werben, 
fonft fehlt e8 dem Heere an Lebensmitteln." 





* Ein unabhäniges, Triegerifches Bolt in Aften zwiſchen Arme⸗ 
nien und dem fohwarzen Meer. Da nach Delisie eine Land⸗ 
ſchaft Georgien! Taochir heißt, fo vermuthet Reicharb, 
daß die Hellenen bis dahin ſich verirrt Haben; und dann 
wäre der oben (Capitel 6.) erwähnte Phafis wirklich ber 
Kolchiſche Phaſis, nicht Arares. Allein vielleicht hat 
jenes Volk auch indeſſen feinen Wohnort verändert. 





Viertes Buch. Bu 


Hierauf gingen fie miteinander zu Nathes anf Xeno⸗ 
phon’s Frage, woran es fehle, daß man nicht in den Pas 
einwüde, antwortete Ehirifophus: „der Zugang, den du hier 
fienft, ift der einzige. Verſucht Jemand hinanzutommen, fo 
mwälzen fle Steine über diefen. hervorragenden Fels herab: 
und Wer da getroffen wird, dem geht es, wie du hier ſiehſt.“ 
Damit zeigte er auf Einige, denen Beine und Mippen zer: 
ſchmettert waren. 

„Wenn es nun aber mit ihren Steinen zu Ende geht, 
was hindert uns dann, hinaufzugehen?‘ fragte Xenophon; 


denn wir fehen nur wenige Leute und gegenüber, und unter’ 


Diefen nur zwei oder drei Bewaffnete. Der Raum, den wir 
unter den herabrollenden Steinen zu durchlaufen haben, be⸗ 
trägt, wie du fiehft, nur etwa anderthatb Plethren; ein Pies 
thron ift dicht mie. hohen Fichten in Zwifchenräumen bewach: 
fen; ftellen fich die Xeute hinter diefe, was werden fie dann 
nod) von den herabgeworfenen’ oder gerollten Steinen zu lei⸗ 
den haben? Den nody übrigen Theil durchlaufen fie, ſobald 
Seine Steine mehr herabgerollt werden.“ — „Sobald wir 
uns aber,“ entgegnete Chiriſophus, „gegen das Dickicht in 
Bewegung ſetzen, fangen ſie ſogleich wieder an, Steine in 
Menge herabzuwerfen.“ — „Deſto beſſer,“ verſetzte Xevo⸗ 
phonz „um fo früher werden fie damit fertig ſeyn. Wohlan, 
fo wollen wir uns denn dahin aufmachen, von wo wir. nur 
noch einen Fleinen Weg zu durchlaufen haben, und uns eben 
fo leicht zurückziehen können, wenn wir wollen.“ 

Nun machten fit) Ehirifophus, Kenophon und der Haupt: 
mann Kallimachus aus Parıhafla dahin auf — denn Diefer 
führte an diefem Tag von den Haupileuten den Nachzug — 

Kenophon. 18 Bdchn. 4 


s82 Xenophon’s Felbing bee jüngern Cyrus. 


die andern Hauptlente blieben im ſicherer Stellung zurũck. 
Es zogen ſich nun an ſiebenzig Mann Hinter die Bäume, 
nicht gedrängt, fendern einzeln, indem ſich Jeder hütete, fo 
gut er konnte. Der Stymphalier Agafias und Ariſtonymus 
aus Methydrium, gleihfals Hanptlente des Nechzuges, nebſt 
Andern, blieben auſſerhalb der Bänme; denn hinter denſel⸗ 
ben war es für mehr als Einen Lochos (Kompagnie] nicht 
fiher zu fichen. 

Da hatte Kallimachns deu guten Einfall: er lief vom 
dem Baume, hinter welchem er fand, zwei oder drei Schritte 
vor, und zog fih, wenn die Steine herunter kamen, ſchnell 
wieder zurüd. Dei jedem Berfpringen gingen den Feinden 
zchn Wagen voll Felsſtücke verloren. Als Agafiad fah, was 
Kallimachus that, und wie das gefanımte Heer davon Augen⸗ 
jenge war, befürchtete er, Diefer möchte zuerft den Plab er⸗ 
fleigen, und liei, ohne den nahe ſtehenden Ariftonymus, noch 
den Luſier *) Eurylochus, feine Freunde, herbeisurufen, allein 
Alten vor. 

Da Kallimachus ihn an fidy vorbeieilen fab, faßte ex ihn 
berm Rande des Schilbes; während deffen überholte fie dee 
Methydrier Ariſtonymus, und nach Diefem der Lufier Eurylo⸗ 
chus; denn alle Diefe wetteiferten miteinander um den Preis 
der Tapferkeit, und gewannen durch diefen Wetteifer dem 
Platz. Denn wie fie einmal eingedrungen waren, hörte das 
Steinwerfen auf. _ 

Jun aber gub es ein fchauderhartes Schaufpiel; denn 
bie Weiber warfen ihre Kinder die Felſen hinab, und ſtürz⸗ 


”) Aus ber Kleinen Ortſchaft Zufı in Artabien, 


Biertes Buch: 888: 


ten ſich ihnen: fammt ihren. Männern nad. Der Hauptmann 
Aeneas aus: Stymphalus fah einen: fchön. geBleideten Menſchen 
hinfaufen, um fi hinabzuſtürzen, und faßte ihn, um: ihm zur 
rückzuhalten. Diefer aber riß ihm mit ſich fort, und: Beide 
flarzten über die Felfen und flarben. Man. bekam hier nur 
wenige Menfchen gefangen; von Rindern, Eſeln und Scha⸗ 
fen: aber. erbeutete man eine große Menge. 

Von: da zogen fie in fieben Tagmaͤrſchen, fünfzig Parse 
fangen, durch das Land der Chalyken. *) Gie waren bag 
tapferfte Volk, welches die Hellenen auf ihrem Zuge trafen, ' 
umd ließen fich mit Diefen in ein Handgemeng ein; fle tru⸗ 
gen Teinene Harnifche, die bie an den Unterleib reichten, ſtatt 
der Panzerflügel **) aber eine Bedeckung von dichtgeflochtenen - 
Schnüren. Auch hatten fie DBeinharnifche und Helme, und: 
an dem Gürtel: einen Säbel ungefähr ‚von der Form des 
Labonifchen, womit fie Alte niedermachten, welche ihnen in 
die Hände fielen, Sie fchnitten. ihnen auch wohl die Köpfe 
ab, und trugen. fie unter Tanz und Geſang vor ſich her, wenn 
fie vom Feinde gefehen werden konnten. Ihre Langen: waren 
fünfzehn: Elfen ***) lang und hatten nur Eine +) Spitze. 


+ Die Armeno-Chalybes. bes. Plinius, eigentlich daſſelbe Vote 
mit: den Ehaldaͤrnn Eap. 5. Vergl. bie: Shalyben und Chat: 
daͤer im 5. Buch 

**) Derjenige Theil vom Panzer, welcher. des. Unterleib. deckte, 
und fonft zur Yeichteen Beraegung bed Koͤrpers aus Panzer⸗ 
ſchuppen beſtand. 

—* Verſteht fi) Griſech iſche; bie Mittelelle Herodotes Betrug 
nach Rome vier und zwanzig Querfinger ober anberthal⸗ 
Griechiſche Sup). 

+) Die der Kellenen hatten zwei, oben und unten, 


- 





884 Xenophon's Feldzug des jüngern Cyrus. 


Sie blieben fo Tange in den Städten, bis die Hellenen 
vorüber gezogen waren; dann aber folgten. fie ihnen unter 
beftändigem Kampfe, und zogen fich hierauf in die feſten Plätze 
zurück, wohin fie aud) ihre Lebensmittel geflüchtet hatten, fo 
daß die Hellenen hier gar Nichts bekamen, fondern von dem 
bei den Zaochen erbeuteten Dich eben mußten. 

Bon hier gelangten die SHellenen an den Fluß Harpas 
fus, *) deffen Breite vier Plethreu betrug, Von da zogen 
fie in vier Tagmärſchen, zwanzig Parafangen, durch das 
Land der Schthinen **) über eine Ebene hin, und kamen in 
Dörfer, in welchen fle drei Tage blieben, und ſich mit Mund⸗ 
vorrath verforgten. 

Nach weitern vier Zagmärfchen, zwanzig Parafangen, 
famen fie an eine bevölkerte und wohlhabende Stadt, mit 
Namen Gymnias. ***) Aus diefer fchickte der Beherrfcher der 
- Zandfchaft den Hellenen einen Wegweifer, um fie durch das 
Gebiet feiner Feinde zu führen. 

Als Diefer ankam, verfprach er ihnen, indem er ſich mif 
feinem Leben dafür verbürgte, fie in fünf Tagen in eine Ge⸗ 
gend zu bringen, von der aus fie das Meer erbliden follten, 





*, Jetzt noch Karpafu, von Divdorus Harpagus genannt, 

+) Sin freies Volt in Afıen, an ber Gränze bed weltlichen Ars 
menien’d; fie wohnten nad) Mennel in der Landfhaft Chor⸗ 
fene oder Kars. 

0 Nach Nenner dad. heutige Komafur, oder Kumbas, Rus 
matin, Kumach, wie ed Andere heißen, und nah Nits 
ter wahrſcheinlich eineriei mit dem fpätern, von den Arme⸗ 
niern fogenannten Sinis, 





Viertes Bud). 888 


Da er ſie in das den Seinigen verfeindete Land geführt 
hatte, hieß er fie daſſelbe mit Feuer und Schwert verwüſten. 
Daraus ergab ſich, daß dieß und nicht Wohlwollen für 
die Hellenen der Grund feiner Sendung war. In fünf Tas 
- gen kamen fie an den heiligen Berg, Namens Theches. *) 
Da die Erften auf dem Berge dad Meer erblidten, erhoben 
fie ein großes Geſchrei. 

Als Kenophon und die Helfenen von der Nachhut es vers 
nahmen, meinten fie, daß and) die Vorhut von Feinden ans 
- gegriffen feys denn von hinten wurden fie beftändig von den 
Bewohnern der verheerten LZandfchaft verfolgt; Die vom Nach⸗ 
zuge hatten Einige in einem Hinterhalt niedergemadt, Ans 
dere lebendig gefangen, und dabei an zwanzig geflochtene Schifde 
erbeutet, die mit ungegerbten Ochfenhäuten überzogen waren. 
Als der Lärm immer flärker ward und näher Fam, und die 
Nachrückenden immer. auf die Gchreienden ‚zurannten, und 
fo das Geſchrei immer zunahm, glaubte Xenophon, es habe 
etwas befonders Wichtiges zu bedeuten, fchwang ſich aufs 
Dferd, und fprengte mit Lycius und deſſen Reitern here 
bei, um zu Hülfe zu kommen. In dem Augenblick Härten 
fie die Soldaten in fortlaufendem Zurufe fchreien: Meer! 
Meer! Da lief Altes auch beitm Nachzuge; ſelbſt die Laſt⸗ 
thiere und Pferde wurden zur Eile angetrieben. Als ſie Alte 
den Gipfel erftiegen hatten, umarmten fie ſich wechfelfeitig, 





*) Nach Kennel bad Tek⸗ Saften des Tuͤrkiſchen Geographen 
Hadſchi Kalfa. Er Liegt auf dem Gebirge Agatſchbaſchi, 
zwiſchen Erzerum und Trapezunt. 


886 Zenophon’s Feldzug des füngern Cyrus. 


Anführer und Hauptleute, und weinten vor Freude, Mit 
Einem Male trugen die Soldaten, wie nad) ergangener 2os 
fung, Steine zufammen, errichteten einen großen Hügel, und 
Iegten eine Menge ungegerbter Häute, Knüttel und erbeute 
ter Flechtfchilde daranf. Ihr Führer aber hieb die Schilde 
entzwei, und hieß auch die Andern ein Gleiches Thun. Hierauf 
entließen die Hellenen Denfelben, nachdem fle ihn aus dem 
Gemeingut mit einem Pferde, einer fitbernen Schale, einem 
Perſiſchen Anzuge und zehen Dariken befchentt hatten; bes 
fonders bat er um Ringe und erhielt auch viele von den Sol⸗ 
daten. Nachdem er ihnen ein Dorf, wo fie übernachten korm⸗ 
ten, und den Weg in das Gebiet der Mafronen gezeigt hatte, 
entfernte er fi) gegen Abend, um Nachts in feine Heimath 
zurückzukehren. 

8. Von hier aus zogen die Hellenen in drei Tagmaͤr⸗ 
ſchen, zehen Paraſangen, durch das Land der Makronen *). 
Am erften Tage Bamen fie an den Fluß, welcher zwiſchen 
dem Lande der Makronen und der Scythinen die Sränze 
wacht. Rechts Hatten fie eine Anhöhe, und links einen au⸗ 
deren Fluß, **) in den jener fließt, der die Gränze macht, und 
über den fie gehen mußten. Diefer Tebtere war mit Bäumen 
beſetzt, die zwar nicht ſtark waren, aber-dicht bei einander 


*, Ein freied Volt in Afien, nach Andern Makro Eephati, 
Matrier, Sanner, Zaner genannt. Nennel weist 
innen im Thale Baibot, in der Provinz Erzerum ihren 
Wopnfig an. 

**) Die beiden hier unbenannten Fluͤſſe find nach Reichard Arme 
des Arampſis (Iſcharuk nah Wahn. 








Viertes Buch. 887 


ſanden. Diefe hieben die Hellenen um, und eilten, fo viel 
wie möglich, aus der Gegend wegzukommen. Die Maßronen, 
weldye Flechtſchilde und Lanzen und härene Kleider trugen, 
flanden gegenüber am jenfeitigen Ufer aufgeftellt, und wars 
fen, einander durch Zuruf ermunternd, Steine in den Fluß, 
ohne jedoch die Griechen zu erreichen oder zu befchädigen. 

Da kam einer der VPeltaften zu Kenophon, welcher feiner 
Ausfage nach in Athen ald Sklave gedient hatte, und fagte, 
er verftehe die Sprache der Leute. „Ich glaube fogar,” fuhr 
er fort, „daß dieß mein Vaterland ift; und wenn ed mir 
erlaubt wird, will ich mit ihnen ſprechen.“ 

„Ja,“ erwiederte Kenophon., „beſprich dich mit ihnen, 
und frage vor allen Dingen, wer fie ſind?“ Gie antworteteu, 
als er fragte: „Makronen.“ — „Frage nun weiter,‘ fuhr 
Kenophon fort, „warum fie ung fid) enfgegenftellen, und uns 
ſre Feinde feyn wollen 2’ Sie antworteten: „weil Ihr im 
unfer Land einfalt. Die Heerführer Tießen ihnen erwies 
dern: „Wir wollen Euch Nichts zu Leide thun, wir ziehen 
nad, geendigtem Krieg mit dem Perſerkönig nad, Hellas 
beim, und wünfchen an dad Meer zu gelangen.’ Sie frag⸗ 
ten fie hierauf, ob fie darüber die Gewähr Teiften wollten ? 
Die Hellenen bejahten ed. Hierauf überreichten die Makro: 
nen eine ihrer Lanzen, und die Hellenen dagegen eine Kelle: 
nifhe; denn Dieß, fagten fie, wäre bei ihnen die Gcewährs 
Seiftung ; beide Theile riefen dabei die Götter zu Zeugen an. 

Hieranf halfen ihnen die Makronen fogleich die Bäume 
umhauen und den Weg bahnen, indem fie fih zutraulich uns 
ger fie mifchten, und ihnen auch Lebensmittel, ſo gut fie wel: 


. 888 Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus. 


he hatten, zu Markte brachten; fie führten fle drei Tage 
ang, bis fie an die Gränzen der Kolchier *) kamen. " 

Hier war ein großer, aber erfteiglicher Berg, **) auf wel⸗ 
hem die Kolchier fich aufgefteht hatten. Anfangs zogen die 
Hellenen gegen fie im gefchloffener Schlachtordnung auf, um 
fo den, Berg zu erfleigen; dann aber traten die Heerführer 
zuſammen und beriethen fi, wie man ſich aufs vortheilhaf⸗ 
tefte gegen fie fchlagen könnte. 

Kenophon nahm das Wort und fagte, ihm fcheine ed am 
beften, die geſchloſſene Schlachtordnung zu verändern, und in 
‚ Heerfänlen anzurücen; ‚denn die gefchloffene Schlachtords 

nung wird,” fagte er, „doch bald getrennt feyn, da wir bald 
- guten, bald ſchlechten Weg haben werden; und wenn die Sols 
daten, in gefchloffener Schlachtordnung aufgeftellt, diefe ges 
trennt fehen, fo wird Dieß Muthloſigkeit verurſachen. Rüden 
wir nun mit einer ſchmalen Vorlinie an, fo überflügeft ung 
der Zeind, und kann feine Weberlegenheit, wie und wo er 
will, geltend machen; dehnen wir aber die Vorlinie aud, fo 
wird nnfre Phalanr da, wo der Feind mit befonderem Nach⸗ 
druck eindringe, durchbrochen werden, und wenn Dieß ges 
fchieht, fo hat die ganze Phalanr darunter zu leiden. Ich 
fhlage nun vor, wir laffen die Lochen in Heerſäulen, durch 
ſolche Iwifchenräume getrennt, anrücken, daß die äußerften 
Lochen über die Flügel der Feinde hinausragenz fo überflü- 





*) Das Gebiet derfelsen reichte damals bis an Trapezunt; fpäter 

aber kam die ganze Strede bis an den Aparus zu Pontus, 

*) Wahrſcheinlich das jegt von den Türten Koat Dag (Kut— 
tagy, Koptagh) genannte Gebirge. 


Viertes Buch. 889 


gen wir die Phalanx derfelben, nud die Zapferften von und 
werden mit ihren Zügen zuerft eindringen, und jeder Lochos 
kann da vordringen, wo er am beften fortfommen kann. In 
die Zwifchenränme wird der Feind nicht fo leicht eindringen, 
da er auf beiden Seiten die Lochen hat; und einen Zochos, 
der fänlenförmig aufzieht, zu durchbrechen, wird ihm and) 
fchwer werden.‘ 

Der Vorfchlag fand Beifall, und die Zochen wurden in 
Heerfäulen aufgeftelt. Xenophon ging nun vom rechten Flü⸗ 
get zum linken, und fprady Folgendes zu den Soldaten: 
„Männer, Diefe da, weldhe Ihr vor Euch feht, find noch 
das einzige Hinderniß, daß wir noch nicht an dem Ziele find, 
nach dem wir fo lange -ftrebten: Die follfen wir, wo möge 
Tich, mit Haut und Haar verfchlingen.‘’ | 

Als nun Alle auf ihren verfchiedenen Poften in Heer⸗ 
fäulen aufgeftellt waren, zählte man ungefähr achtzig Lochen 
Hopliten, von denen jeder ungefähr hundert Mann befrug; 
die Peltaften und Bogenfhüsen theilte man in drei Abthei⸗ 
lungen, ftelite die eine aufferhalb des linken, die andere aufs 
ferhalb des rechten Flügels, die dritte in die Mitte, jede 
beinahe fechshundert Mann ftark. 

Hierauf ermahnten die Heerführer das Heer zur Able⸗ 
gung der Gelübde; dann ftimmten fle den Schlacdhtgefang an 
und rüdten vor. CEhirifophus und Xenophon zogen, “Jeder 
mit feinen Peltaften, aufferhalb der feindlichen Schlachtlinie; 
als Dieß die Feinde bemerkten, begannen audy fie Gegenbe⸗ 
wegungen; da ſie ſich aber links und rechts ganz auf ihre 
Stügel warfen, entſtand in der Mitte ihrer Phalanx eine 
Lücke. 





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Viertes Buch. 484 


negt am ſſchwarzen] Meer, im Gebiete dar xoichier, und iſt 
eine Pflanzſtadt von Sinope. *) 

Hier blieben fie ungefähr dreißig Tage in den Dörfern 
der Kolchier, und plünderten von hier aus das Kolchifche Ges 
biet. Die Einwohner von Trapezunt brachten dem Heere Le: 
bensmittel zum Derkauf, bewirtheten die Hellenen bei ſich zu 
Hauſe, und gaben ihnen als Gaftgefchente Stiere, Mehl und 
ein, Sie verwendeten fich auch bei ihnen für ihre Nach⸗ 
barn, die Kolchier, befonders für Die, welche in der Ebene 
wohnten; aud) von Diefen kamen Gaſtgeſchenke, meiftens 
Stiere, an. 

Snierauf brachten fie das angelobte Opfer; ſie hatten eine 
hinlängliche Menge Stiere bekommen, um dem Erretter Zeus 
und dem Herakles für gnädige Führung, fo wie den übrigen 
Göttern die angelobten Dankofer darzubringen. Sie ftellten 
auch auf dem Berge, wo fle im Lager flanden, gymniſche 
Spiele an, wobei fie den Spartaner Drakontius — der ſchon 
als Knabe aus der Heimath entwidhen war, weil er einen an 
dern Knaben mit einem Gäbelhiebe unvorfäglich getödtet 
hatte — zur Bezeichnung der Rennbahn und zur Aufſicht 
über den Kampf 'erwählten. 

Nach vollendetem Opfer übergaben fie die Häute dem 
Drakontius und ließen fi von ihm zu der abgeflodyenen 
Rennbahn führen. Er wies auf den Plab, wo fie eben ſtan⸗ 


den, und fagte: „Diefer Hügel ift in jeder Rücklicht zum 


BWettrennen der beſte.“ — „Wie werden die Leute aber,‘ 





*) Eine Kellenifche Seeftadt, am ſchwarzen Mer in Paphiagos 
nien gelegen, eine anzftodt der Mileſier. 


"892 _ Zenophon’s Feldzug bes jüngern Cyrus, 


entgegnete man ihm, „‚auf dem unebenen, ſtrauchigen Boden 
ringen koͤnnen?“ — „Um fo mehr,“ verſetzte er, ‚wirds 
Derjenige fühlen, welcher fällt.“ 

Im Stadinm liefen die meiſten gefangenen Knaben, *) 
- im Dolichhus **) aber mehr ald fechzig Kreter; Andere fiel: 
ten fi zum Ringen, Fauſtkampf ***) und Pantratium. 1) 
Es war ein herrliches Schaufpiel; denn Diele hatten ſich 
- auf den Kampfplab geftellt; und da ihre DBuhlerinuen ++) 
mit zufchauten, ward mit großem MWetteifer gefämpft. 





*) Es waren dieß erbeutete ſchoͤne Knaben, welche als bie Ges 
kiebten ihrer Herrn (IV, 1. VI, 2.), zumal in fremden 
Landen, um den Abgang der jungen KHellenen zu erfegen, 
fuͤglich für dad Stadium genommen werden konnten. 

er) Die Länge des Dolichus wird verfchieden angegeben, wahr⸗ 
fyeinlich, weil es verfchiedene gab, Nach Sinigen ift e8 eine 
Stredte von vier und zwanzig Stadien oder °/, deutfche Mei 
en, welche die Wettliufer zwoͤlfmal Hin und wieder zurädle 
gen mußten, alfo neun deutfche Meilen; nad Andern war 
ed nur die Hälfte, und wieder nach Andern fogar nur fieben 
Stadien, oder noch Keine ganze Viertelmeile, die ſiebenmal Hin 
und” wieder zurückgelegt werden mußte. Nach Drt und Ums 
ſtaͤnden zu fohließen ift wohl der Dolichus hier in letzter Bes 
deutung genemmen. 

sr), Eine Art Boxen, bei dem ſich die beiden Gegner entweder 
mit unbewaffneten Faͤuſten ſchlugen, oder nachdem fie dieſel⸗ 
ben mit ochfenledernen und mit Bleiſtuͤcken befegten Riemen 
bewaffnet hatten. 

» Ein Rampffpiel, wobei das Ringen und der Fauſtkampf vers 
einigt war. 

tD Ich leſe &rasp@v coat. IV, 3.), da die Leſeart Eralomr 
hiee ſehr matt erfheinen muß. Das Daſeyn folder Dirs 
nen beitm Heere ift erwiefen. 


Viertes Buch. 895 


Auch ein Pferderennen ward gehaltenz die Reiter mußs 
ten bergab nad) dem Meere hin fpringen, und von da wies 
der zum Ultare zurücdtehren. Bei'm Bergabreiten ftürzten 
Diele; bergauf aber konnten die Pferde, weil es fehr fteil 
war, nur in fachten Schritte kommen. Das gab denn zu 
großem Geſchrei, Gelädter und Zuruf Veranlaſſung. 


Inhalt des fünften Bude. 





Cap. ı. Die Hellenen befchließen, zur See meiter zu reifen, 
und fenden Enirifophud ab, um Schiffe zufammenzukringen. Xeno⸗ 
phon trifft für die Reife zu Land wie zur See die nöthigen Vor⸗ 
kehrungen. Dexippus, welcher Schiffe aufbringen follte, entflicht 
mit dem ihm anvertranten Fahrzeuge; Polykrates dagegen erfüllt 
fein Verſprechen. Say. 2. Um Lebensmittel anzufchaffen, ruͤckt ein 
Theil des Heeres auf Anmweifung der Trapezuntier gegen die Dri⸗ 
Ien aus. Diefe ziehen fich in einen feften Plag zufammen, wels 
chen die Griechen aber nach vielen Fährlichkeiten in ihre Gewalt 
betommen. Cap. 3. Als Chiriſophus nicht erfhien, ſchickten fie 
die Kranten, Altersſchwachen, Weiber und Kinder zur Gee ab, fie 
ſelbſt aber zogen zu Rande weiter und gelangten nach Cerafunt. 
Das Heer wird gemuftert. Das aus dem Verkauf der Gefanges 
nen erloͤste Gelb wird vertheiltz den zehnten Theil, für Apollo und 
Diana ausgeſchieden, nehmen die Anführer zu ſich. Xenophon er: 
zaͤhlt die Verwendung der ihn anvertranten Summe. Eap. ı. An 
den Gränzen der Mofimöten verbinden fich die Hellenen mit einem 
Theil, und befiegen den andern, — Die Sitten der Mofynöten. 
Cap. 5. Sie durchziehen das Gebiet der Chalyben und Tibarener. 
und kommen an die Stadt Kotyora, plündern von hier aus Pa⸗ 
phlagonien, theild werden fie auch von der Stadt Kotyora erhal 
ten. Der Gefandtichaft der Sinopeeer, die ſich Über den ihrer 
Pflanzſtadt Kotyora zugefügten Schaden beſchwert, antwortet Xes 
nophon beftimmt und entfchloffen, wodurch er auch die Gefandten 
eines Beſſern belehrt. Cay. 6. Auf den Nat des Hekatonymus 
vefchließt man, die weitere Reife zur See zu machen. Kenophon's 
Plan, eine Stadt zu gründen, wird durch Silanus vereitelt. Die 
Herakleer ſchicken Schiffe, aber keinen Som. Die Anführer, die 


x 


— a 





| 


Inhalt des. fünften. Buchs, 895 


ihn dem Heere bereits. zugefagt, find in Verlegenheit, und rathen 
nun Xenophon felkft, feinen Pan. "auszuführen. Eap. 7. Die 
Soldaten erfahren davon; Kenophon vertheidigt fih in einer mu⸗ 
fterhaften Rede, und rügt die Verbrechen einzelner Griechen; man 
beſchließt, fie zur Strafe zu ziehen. Cap. 8. Die Anführer legen 
Rechenſchaft über ihre Anführung ab. Xenophon wird der Härte 
und Mißhandlung angeklagt, weist aber den Ungrund diefer Be⸗ 
fyuldigungen auf& uͤberzeugendſte nad). 





Fuͤnftes Bud. 


1. Welche Thaten die Hellenen auf ihrem Zuge nady 
Dderaflen unter Cyrus, und auf ihrem NRüdzug Eis zum 
Dontus Eurinus *) verrichteten, wie fie, in der Hellenifchen 
Stadt Trapezunt angekommen, die Rettungsopfer brachten, 
die fie zu bringen gelobt, fobald fie in Freundes Land Päs 
men, ift in den frühern Abſchnitten gezeigt worden. 

Hierauf verfammelten fie fih und berathfchlagten über 
den noch übrigen Theil ihrer Reife. Zuerſt ſtand der Thu⸗ 
rier **) UAntileon auf und fpradh: „Ich für meinen heit, 
ihr Männer, habe das befländige Einpaden, Hinundherzie- 
ben, Laufen, Waffentragen, Das in gefchloffenen Gliedern 
Gehen, Wachehalten und Kämpfen herzlich fatt, und wüns 
fche fehntidhft, da wir doch einmal am Meere find, aller dies 


+, Daß ſchwarze Meer. 


») Aus Thurii, einer Griechifchen Stadt in Unterirallen, an der 
Steile des alten Sybaris. 








a 


896 Renophon's Feldzug des jüngern Cyrus. 


fer Befchwerde enshoben, den Reſt des Weges zu Schiffe zu 
machen, und wie Odyſſeus in behaglichen Schlummer aufge⸗ 
losſt an Hellas Küſte zu landen.“ 

Als die Soldaten Dieß hörten, gaben ſte durch ein freu⸗ 
diges Gemurmel ihren Beifall zu erkennen; nach ihm fpradh 
noch ein Anderer in demfelben Sinne, und fo alfe Anwelens 
den. Da erhob fi Ehirifophus und fagte: „Soldaten, Ana: 
zibius, der gerade eine Flotte befehligt, ift mein Freund; 
wollt Ihr mich abfenden , fo hoffe ich, in Bälde mit Dreiru: 
dern und andern Fahrzeugen zurüczutehren, um Euch abzus 
holen; wollt Ihr nun zu Schiffe abgehen, fo erwartet meine 
Rückkehr.“ Als Dieß die Soldaten hörten, freuten fie fidy 
fehr, und waren dafür, daß er fogleich abgehen follte. 

Nach ihm erhob fid) Kenophon und fagte: „CEhiriſophus 
geht ab, um Schiffe zu beforgen, wir aber bleiben. Nun 
will ih Euch angeben, was wir während unfers Aufenthaltes 
zu thun haben werden. Fürs Erſte müffen wir und aus 
Teindes Land mit Lebensmitteln verfehens denn der Marke 
ift für und nicht hinreichend; auch haben wir, Wenige aus⸗ 
genommen, micht die Mittel, fie ung zu kaufen; das Land 
aber ift feindlich; und wir laufen Gefahr, viele Leute zu vers 
fieren, wenn Ihr unbedacht und unvorfichtig auf Lebensmit⸗ 
tet ausgehet. Ich bin nun der Meinung, wir holen und 
diefelben nur unter gehöriger Bedeckung, und fehweifen nicht 
aufs Gerathewohl herum, damit Ihr Leinen Schaden nehs 
met, wofür wir, die Hrerführer, zu forgen haben.‘ Der 
Vorſchlag fand Beifall. — „So hört denn weiter,’ ſprach 
er. „Es werden Einige von Euch auf Beute ausgehen wols 
len; ich halte deßwegen für's Beſte, daß Der, welcher aus⸗ 





Sunftes Bad). 897 


gehen will, uns anzeigt, daß und wohin er gehe, damit: 
wir Sie Sahl ber Ausgehenden- und Bleibenden wiflen, und 
im Nothfall gemeinfchaftlic Handeln können, auf daß wir, 
wenn es Gelegenheit gibt, Einigen beizuftehen, den Ort ken⸗ 
nen, wohin wir zu Hülfe eilen müßen, und im Stande find, 
Unerfahrenen, die Etwas unternehmen wollen, mit Rath bei- 
zuftehen, indem wir bie Stärke des Feindes, gegen den fle 
ziehen wollen, zu erfahren fuchen.‘ Auch Dieb ward ange: 
nommen, — „Die Feinte haben Muße, auf und Jagd zu 
machen, und wir dürfen’s ihnen nicht verdenten, wenn fie 
ung zu verderben fuchen; denn wir find im Beſitze ihres Ei- 
genthums, und ihre Stellung bedroht die unfrige, Wir müs 
gen daher um das Lager herum Wachen ausftellen. Wenn 
wir fo abwechfelnd Wache halten und den Feind beobachten, 
fo wird Diefer und weniger anhaben können. Ferner : wenn 
wir darauf rechnen dürften, daß Chirifophns und die gehd- 
rige Anzahl Schiffe bringen wird, fo wäre der Vorfchlag, 
den ich nun machen wi, unndthig; da Dieß aber ungewiß 
ift, fo thäten wir wohl, auch hier Fahrzeuge aufzubringen. 
Denn wenn er Schiffe bringt, und wir haben aud) hier, ſo 
fahren wir um fo bequemer; und wenn er Feine bringt, fo 
Zönmen wir diefe hier gebrauchen. ch fehe hier oft Schiffe 
vorbeifegeln; erfuchten wir num bie Trapezuntier um Tange 
Schiffe, und bräcten mit diefen fo viele Fahrzeuge (die 
wir durch Wegndhme dev Steuerruder in Verwahrung hiels 
ten) auf, bis wir” eine hinlängliche Anzahl beifammen hät- 
ten, fo folite uns die beabfichtigte Abfahrt wohl nicht fehl⸗ 
ſchlagen können.“ Auch Die ward gutgeheißen. „Nun 
gebe ich Euch noch weiter zu bedenten, ob es gicht billig 
Kenophon. 78 Voͤchn. 


- 888 Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus. 


‚che hatten, zu Markte brachten; fie führten file drei Zage 
Yang, bis fle an die Gränzen der Kolchier *) kamen. 

Hier war ein großer, aber erfteiglicher Berg, **) auf wel⸗ 
dem die Kolchier ſich aufgeftellt hatten. Anfangs zogen bie 
Hellenen gegen fle in gefchloffener Scylachtordnung auf, um 
fo den Berg zu erfleigen; dann aber traten die Heerführer 
zufammen und beriethen fi, wie man ſich aufs vortheilhafs 
tefte gegen fie fchlagen könnte. 

Kenophon nahm das Wort und fagte, ihm fcheine es am 
beften, die gefchloffene Schlachtordnung zu verändern, und in 
Heerſäulen anzurücken; „denn die gefchloffene Schlachtords 
nung wird,‘ fagte er, „doch bald getrennt ſeyn, da wir bald 
guten, bald fchlecdyten Weg haben werden; und wenn die Sol⸗ 
daten, in gefchloffener Schlachtordnung aufgeftellt, dieſe ges 
trennt fehen, fo wird Dieß Muthloſigkeit verurſachen. Rüden 
wir nun mit einer fchmalen Vorlinie an, fo überflügelt uns 
der Feind, und kann feine WUeberlegenheit, wie und wo er 
will, geltend machen; dehnen wir aber die Vorlinie aud, fo 
wird unſre Phalanx da, wo der Feind mit befonderem Nach⸗ 
druck eindringe, durchbrochen werden, und wenn Dieß ges 
fchieht, fo hat die ganze Phalanr darunter zu leiden. Ich 
ſchlage nun vor, wir laffen die Lochen in Heerſäulen, durch 
ſolche Zwifchenräume getrennt, anrüden, daß -die äußerſten 
Lochen über die Flügel der Feinde hinausragen; fo überflü« 

*) Das Gebiet derfelben reichte damals bis an Trapezunt; fpäter 

aber kam die ganze Strede bi an den Aparus zu Pontuß, 


**) Wahrſcheinlich das jet von den Tuͤrten Koat Dag (Putz 
tagh, Koptagh) genannte Gebirge. 


Viertes Bud). 889 


gen wir die Phalanz derfelben, nnd die Tapferften von und 
werden mit ihren Zügen zuerft eindringen, und jeder Lochos 
kann da vordringen, wo er am beften fortfommen kann. In 
die Iwifchenräume wird der Feind nicht fo leicht eindringen, 
da er auf beiden Seiten die Lochen hat; und einen Lochos, 
der fänfenförmig aufzieht, zu durchbrechen, wird ihm aud) 
fchwer werden. 

Der Borfchlag fand Beifall, und die Kochen wurden in 
Heerfäulen aufgeftelt. Kenophon ging nun vom rechten Flü⸗ 
gel zum linden, und fprad Folgendes zu den Soldaten: 
„Männer, Diefe da, weldhe Ihr vor Euch feht, find nody 
das einzige Hinderniß, daß wir noch nicht an dem Ziele find, 
ftady dem wir fo lange ſtrebten: Die follten wir , wo möge 
ich, mit Haut und Haar verfchlingen.‘‘ 

As nun Alle auf ihren verfchiedenen Poften in Heer⸗ 
fäulen aufgeftellt waren, zählte man ungefähr achtzig Lochen 
Hopliten, von denen jeder ungefähr hundert Mann befvug; 
die Peltaſten und Bogenfchüsen theilte man in drei Abthei⸗ 
Lungen, ſtellte die eine auſſerhalb des finfen, die andere aufs 
ferhatb des rechten Flügels, die dritte in die Mitte, jede 
beinahe ſechshundert Mann ſtark. 

Hierauf ermahnten die Heerführer dad Heer zur Able⸗ 
gung der Gelübde; dann ſtimmten fie den Schlachtgeſang an 
und rüdten vor, Chirifophus und Kenophon zogen, Jeder 
mit feinen Peltaften, aufferhalb der feindlichen Schlachtlinie; 
als Die die Feinde bemerkten, begannen auch fie Gegenbe: 
wegungen 3 da fie ſich aber links und rechts ganz auf ihre 
Sigel warfen, entftand in der Mitte ihrer Phalanx eine 

üce, 


890 Zenophon’s Yeldzug des jüngern Cyrus. 


Als die Arkadiſchen Peltaſten, welche her Akarnane Ae⸗ 
ſchines befehligte, dieſe Trennung der feindlichen Heerhaufen 
bemerkten, meinten ſie, der Feind nehme die Flucht, erho⸗ 
ben ein Geſchrei und liefen auf ſie los, und erreichten zuerſt 
den Gipfel; ihnen zunächft folgten die Arkadiſchen Hopliten, 
welche der Orchomenier Kleanor führte; die Yeinde aber 
hielten, als Diefe in vollem Laufe herankamen, nicht mehr 
Stand, fondern flohen nad, alten Seiten hin. 

Auf der Höhe angelangt, rüdten die Hellenen in bie 
vielen mit allen Bedürfniſſen reichlich verfehenen Dörfer 
ein. Sie fanden daferbft nichts Auffallendes; nur wunder: 
ten fie fich über die Menge von Bienenflöden; und alle Sol⸗ 
daten, welche von den Honigwaben aßen, verloren die Beſin⸗ 
. nung, erbrachen fih, bekamen den Durchfall, und Keiner 
konnte mehr aufrecht flehn. Diejenigen, welche nur wenig 
davon genoffen hatten, glichen Betrunkenen, die viel genoflen, 
- Rafenden, oder ſolchen, die am Sterben find. Es Tagen 
fo Viele da, als hätte man eine Niederlage erhalten, und die 
Muthiofigteit war groß. Doc) war am folgenden Tage Kei⸗ 
ner daran geftorben, fondern beinahe um diefelbe Stunde Fa 
men fle wieder zu fih. Am dritten und vierten Tage erſtau⸗ 
den fie wie aus einer Bezauberung. *) 

Von da gelangten fie in zwei Tagmaͤrſchen, fteben 
Darafangen, an die- Helfenifche Stadt Trapezunt; **) fie 


*) Es war dieß ſolcher Honig, den die Bienen aus ben Blüthen 
des Strauches Chamaerrhodendros Pontica maxima, fo- 
lio Laurocerasi, flore caeruleo purpurescente faugen. 

**, Heut zu Tage Tresifond, oder Tarabofan, wie es 
die Türken nennen. 








— — — — 


Viertes Buch. 684 


fiegt ı am ſſchwarzen] Meer, im Gebiete bar Kolchier, und iſt 
eine Pflanzſtadt von Sinope. *) 

Hier blieben fle ungefähr dreißig Tage in den Dörfern 
der Kolchier, und plünderten von hier aus das Kotchifche Ges 
biet. Die Einwohner von Trapezunt bradıten dem Heere Le⸗ 
bensmittel zum Verkauf, bewirtheren die Hellenen bei ſich yu 
Haufe, und gaben ihnen als Saftgefchente Stiere, Mehl und 
Wein. Sie verwendeten fid) auch bei ihnen für ihre Nach⸗ 
barn, die Kolchier, befonders für Die, welche in der Ebene 
wohnten; auch von Diefen Samen Gaſtgeſchenke, meiftens 
Stiere, an. 

Hierauf brachten fie das angelobte Dpfer ; fie haften eine 
Hinkänglihe Menge Stiere befommen, um dem Erretter Zeus 


‚und dem Herakles für gnädige Führung, fo wie den übrigen 


Söttern die angelobten Dankofer darzubringen. Sie ftellten 
auch auf dem Berge, wo fie im Lager flanden, gymniſche 
Spiele an, wobei fie den Spartaner Drakontius — der fchon 
als Knabe aus der Heimath entwichen war, weil er einen anz 


dern Knaben mit einem Säbelhiebe unvorfäglidy getoͤdtet 


hatte — zur Bezeichnung der Rennbahn und zur AUnffiche 
über den Kampf erwählten. 

Nach vollendetem Opfer übergaben fie die Häute dem 
Drakontius und ließen fih von ihm zu der abgeſtochenen 
Rennbahn führen. Er wies auf den Platz, wo fie eben ſtan⸗ 


den, und fagte: „Diefer Hügel ift in jeder Rüdfiht zum 


Wettrennen der beſte.“ — „Wie werden die Leute aber,‘ 





*) Eine Hellenifche Seeftadt, am ſchwarzen Meer in Paphiagos 
nien gelegen, eine Pflanzftabt dev Mileſier. 





"892 _ Kenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus, 


entgegnete man ihm, ‚auf dem unebenen, ſtrauchigen Boden 
ringen können?“ — „Um fo mehr,” verſetzte er, „wird'es 
Derjenige fühlen, welcher faͤllt.“ 

Im Stadium liefen die meiften gefangenen Knaben, *) 
- im Dolichus **) aber mehr ale fechzig Kreter; Andere fiel: 
ten ſich zum Ringen, Fauſtkampf ***) und Pantratium. 1) 
.&8 war ein herrliches Schaufpiel; denn Diele hatten ſich 
- auf den Kampfplatz geftellt; und da ihre Buhlerinnen ++) 
mit zufchauten, ward mit großem Wetteifer gefämpft. j 





*) Es waren dieß erbeutete fchöne Knaben, welche als die Ger 
hiebten ihrer Herren (IV, 1. VI, 2.), zumal in fremden 
Landen, um den Abgang der jungen Hellenen zu erfegen, 
fuͤglich für das Stadium genommen werden Tonnten. 

er, Die Ränge des Dolihus wird verſchieden angegeben, wahr⸗ 
fpeinlich, weil e8 verfchiedene gab, Nach Einigen ift ed eine 
Strede von vier und zwanzig Stadien oder °/, deutfche Mei⸗ 
len, welche die Wettläufer zwoͤlfmal hin und wieder zurüdles 
gen mußten, alfo neun deutfche Meilen; nad Andern war 
ed nur die Hälfte, und wieder nach Andern fogar nur fieben 
Stadien, oder noch keine ganze Viertelmeile, die ſiebenmal hin 
und" wieder zurucgelegt werden mußte. Nach Ort und Ums 
ftänden zu fohließen ift wohl der Dolichus Hier in legter Bes 
dettung gencinmen, 

4) Eine Art Boxen, bei dem fich die beiden Gegner entweder 
mit unbewaffneten Säuften ſchlugen, vder nachdem fie diefel- 
ben mit ochfenledernen und mit Bleiſtuͤcken befegten Riemen 
bewaffnet hatten. . 

» Ein Kampfſpiel, wobei dad Ningen und der Fauſtkampf vers 
einige war. 

tD Ich leſe öraupwv (ut. IV, 3.), da die Leſeart öralomv 
hier ſehr matt erfcheinen muß. Das Daſeyn folder Dire 
nen beiem Heere ift erwiefen. 


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Viertes Bud, 895 


Auch ein Pferderennen warb gehalten; die Reiter muß⸗ 
ten bergab nad) dem Meere Hin fpringen, und von da wies 
der zum Ultare zurückkehren. Bei'm Bergabreiten flürzten 
Miele; bergauf aber Eonnten die Pferde, weil es fehr fteil 
war, nur in ſachtem Scritte Eommen. Das gab denn zu 
großem Gefchrei, Gelächter und Zuruf Veranlaffung. 





Inhalt des fünften Bude, 





Gap. 1. Die Hellenen befchließen, zur See meiter zu reifen, 
und fenden Chiriſophus ab, um Schiffe zufammenzubringen. Xeno- 
phon trifft für die Reiſe zu Land wie zur Bee die nöthigen Vor⸗ 
Tehrungen. Derippus, welcher Schiffe aufbringen follte, entfliche 
mit dem ihm anvertrauten Fahrzeuge; Polykrates dagegen erfüllt 
fein Berfprehen. Cap. 2. Um Nebensmittel anzufchaffen, ruͤckt ein 
Theil des Heeres auf Anmeifung der Xrapezuntier gegen die Dri⸗ 
len aus. Diefe ziehen fich in eimen feften Pag zuſammen, wel 
chen die Griechen aber nach vielen Fährlicyteiten in ihre Gewalt 
betommen. Cap. 3. Als Chiriſophus nicht erſchien, ſchickten fie 
die Kranken, Altersſchwachen, Weiber und Kinder zur Gee ab, fie 
ſelbſt aber zogen zu Rande weiter und gelangten nach Cerafunt. 
Dis Heer wird gemuftert. Dad aus dem Verkauf der Gefangee 
nen evldäte Geld wird vertheiltz den zehnten Theil, für Apollo und 
Diana audgefchieden, nehmen die Anführer zu fih. Xenophon er: 
zänft die Verwendung ber ihm anvertranten Summe. Cap. 4. An 
den Graͤnzen der Moſyndͤken verbinden ſich die Hellenen mit einem 
Theil, und befiegen den andern. — Die Sitten der Mofynöten. 
Cap. 5. Sie durchziehen das Gebiet der Chalyben und Tibarener, 
und fommen an die Stadt Kotyora, yplündern von hier aus Pa: 
phlagonien, theild werden fie auch von dev Stadt Kotyora erhal 
ten. Der Gefandtfchaft der Sinopeeer, die fi über den ihrer 
Pflanzſtadt Kotyora zugefüsten Schaden befchwert, antwortet es 
nophon beftimmt und entfchloffen, wodurch er auch die Gefandten 
eined Beffern belehrt. Cap. 6. Auf den Nat des Hekatonymus 
veſchließt man, die weitere Neife zur See zu machen. Kenophon's 
Plan, eine Stadt zu gründen, wird durch Silanus vereitelt. Die 
Herakleer ſchicken Schiffe, aber keinen Gold. Die Anführer, die 


“ 


[4 


Inhalt des: fünften Buchs. 895 


ihm den Heere bereits: zugefagt, find in Verlegenheit, und: vathen 
nun Xenophon ſelbſt, feinen Plan auszuführen. Eap. 1. Die 
Soldaten erfahren davon; XRenophon vertheidigt ficy im. einer mu⸗ 
ftechaften Rede, und rügt die Verbrechen einzelner Griechen; man 
befchließt, fie zur Strafe zu ziehen. Cap. 8. Die Anführer legen 
Rechenſchaft Aber ihre Anführung ab. Xenophon wird der Haͤpte 
und Mißhandlung angeklagt, weist aber den Ungrund diefer Bes 
fyuldigungen aufs überzengendfte nach, 





Tünftes Bud. 


1. Welche Thaten die Hellenen auf ihrem Zuge nady 
Dbderaflen unter Cyrus, und auf ihrem Rückzug Eis zum 
Pontus Eurinus *) verrichteten, wie fie, in der Hellenifchen 
Stadt Trapezunt angekommen, die Rettungsopfer brachten, 
die fie zu bringen gelobt, fobald fie in Freundes Land kä⸗ 
men, ift in den frühern Abſchnitten gezeigt worden. 

Hierauf verfammelten fie fih und berafhfchlagten über 
den noch übrigen Theil ihrer Reife. Zuerſt ſtand der Thu⸗ 
rier **) Antileon auf und fpradh: „Ich für meinen Theil, 
ide Männer, habe das befländige Einpaden, Hinundherzie- 
hen, Laufen, Waffentragen, das in gefchloffenen Gliedern 
Sehen, Wachehalten und Kämpfen herzlich fatt, und wüns 
fhe fennfihft, da wir doch einmal am Meere find, aller dies 





+, Das ſchwarze Meer. 
») Aus Thurii, einer Griechifchen Stadt in Unteritalien, an der 
Stelle des alten Sybaris. 


896 KZenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus. 


fer Befchwerde enshoben, den Heft des Weges zu Schiffe zu 
machen, und wie Odyſſeus in behaglichen Schlummer aufge⸗ 
lost an Hellas Küſte zu landen.“ 

Als die Soldaten Dieß hörten, gaben ſie durch ein freu⸗ 
diges Gemurmel ihren Beifall zu erkennen; nach ihm ſprach 
noch ein Anderer in demſelben Sinne, und ſo alle Anweſen⸗ 
den. Da erhob ſich Chiriſophus und ſagte: „Soldaten, Ana: 
xibius, der gerade eine Flotte befehligt, ift mein Freund; 
wollt Shr mich abfenden , fo hoffe ich, in Bälde mit Dreiru⸗ 
dern und andern Fahrzeugen zurüczukehren, um Euch abzus 
holen; wollt Ihr nun zu Schiffe abgehen, fo erwartet meine 
Rückkehr.“ Als Dieß die Soldaten hörten, freuten fie ſich 
fehr, und waren dafür, daß er ſogleich abgehen follte, 

Nach ihm erhob fid) Kenophon und fagte: „Chiriſophus 
geht ab, um Schiffe zu beforgen, wir aber bleiben. Nun 
will ih Euch angeben, was wir während unfers Aufenthaltes 
zu thun haben werden. Fürs Erfle müflen wir uns aus 
Feindes Land mit Lebensmitteln verfehens denn der Marke 
ift für und nicht hinreichend; auch haben wir, Wenige aus: 
genommen, nicht die Mittel, ſie uns zu kaufen; das Land 
aber ift feindlich; und wir laufen Gefahr, viele Leute zu vers 
fieren, wenn Ihr unbedacht und unvorfichtig auf Zebensmits 
tel ausgehet. Ich bin nun der Meinung, wir holen uns 
diefelben nur unter gehöriger Bedeckung, und fchweifen nicht 
aufs Gerathewohl herum, damit Ihr Leinen Schaden neh» 
met, wofür wir, die Hrerführer, zu forgen haben.‘ Der 
Vorſchlag fand Beifall. — „So hört denn weiter,” fprad) 
er. „Es werden Einige von Euch auf Beute ausgehen wols 
len; ich halte deßwegen fürs Belle, daß Der, welcher außs 





Sunftes Bud). \ 897 


gehen wi, uns anzeigt, daß und wohin er gehe, damit 
wir Sie Zahl der Ansgehenden und Bleibenden wiflen, und 
im Nothfall gemeinfchaftlic handeln koͤnnen, auf daß wir, 
wenn es Gelegenheit gibt, Einigen beizuftehen, den Ort ken⸗ 
nen, wohin wir au Hülfe eilen müßen, und im Stande find, 
Uterfahrenen, die Etwas unternehmen wollen, mit Rath bei: 
zuftehen, indem wir die Stärke des Feindes, gegen den fie 
ziehen wollen, zu erfahren fuchen.” Auch Dieb warb ange 
nommen, — „Die Feinde haben Muße, auf uns Jagd zu 
machen, und wir dürfen’s ihnen nicht verdenten, wenn fie 
und zu verderben fuchen; denn wir find im Beflbe ihres Ei- 


genthums, und ihre Stellung bedroht die unfrige, Wir müs 


gen daher um das Lager herum Wachen ausftellen. Wenn 
wir fo abwechfelnd Wache halten und den Feind beobachten, 
fo wird Diefer ung weniger anhaben können. Ferner : wenn 
wir darauf rechnen dürften, daß Chiriſophus uns die gehoͤ⸗ 
rige Anzahl Schiffe bringen wird, fo wäre ber Vorſchlag, 
den ich nun machen will, ufnöthig; da Dieß aber ungewiß 
ift, fo thäten wir wohl, auch hier Fahrzeuge aufzubringen. 
Dein wenn er Schiffe bringt, und wir haben aud) hier, ſo 
fahren wir um fo bequemer; und wenn er Feine bringt, fo 
können wir diefe hier gebrauchen. Ich fehe hier oft Schiffe 
porbeifegeln; erfuchten wir nun bie Zrapezuntier um lange 
Schiffe, und bräcten mit dieſen fo viele Fahrzeuge (die 
wir durch Wegnchme dev Steuerruder in Verwahrung hiel- 
ten) auf, bis wir” eine hinlängliche Anzahl beifammen hät: 
ten, fo follte und die beabfichtigte Abfahrt wohl nicht fehl: 
fdylagen können.“ Auch Dieb ward gutgeheißen. „Nun 
gebe ich Euch noch weiter zu bedenken, ob es nicht billig 
Kenophon. 78 VBoͤchn. 


! 


808 Kenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus. 


it, dab wir die Mannfchaft der aufgebrachten Schiffe auf 
gemeine Roften, fo lange fie unfertwegen bleiben müßen, 
verpflegen, und die Ueberfahrt bezahlen, damit fie für die 
ung geleifteten Dienfle auch einigen Vortheil haben. Auch 
Dieß ward befchloffen. „Wenn es und aber nicht gelingen 
follte, die zureichende Anzahl Schiffe zufammenzubringen, fo- 
wäre wohl gut, wenn wir ben Seeſtädten anbeföhlen, die 
Wege auszubeſſern, die der Befchreibung nach fehr fchlecht 
ſeyn ſollen; fie verfiehen fich gewiß dazu, theils aus Furcht, 
theils audy, um uns bald los zu werden.‘ 

Hierauf fchrieen Alle, fie wollten nicht’zu Lande ziehen. 
Da nun Kenophon ihren Unverfland wahrnahm, fo brachte ex 
zwar den Vorſchlag nicht zur Abftimmung, vermochte aber 
die Seeftädte, freiwillig die Wege auszubeſſern, indem er ih⸗ 
nen vorftellte, fie würden fie um fo eher Los werben, wenn 
die Wege gemacht wären. 

Fi erhielten von ben Zrapezuntiern ein Fünfgigruder, 
über das man den Zacedämonifchen Periöfen *) Derippus zum 
Befehlshaber beftellte. Allein, flatt Fahrzeuge aufzubringen, 
entfloh Diefer mit dem Schiffe aus dem Pontus, Er erhielt 
jedoch dafür in der Folge die gerechte Strafe; denn als er ſich 
bei Seuthes in Thrazien unbernfen in fremde Händel mifchte, 
verlor er durch den Lafonier Nitander das Leben. ' 





\ *) Sie waren, obgleich frei, doch den Spartanern dienſtbar und 
unterworfen, und weil fie nicht als Bürger betrachtet wur—⸗ 
den, von den Öffentlichen Aemtern ausgefchloffen, mußten aber 
nichts en weniger Kriegsdienfte thun. Manfo’d Sparte 

_ ‚2. ©. 69 


..— 


— 


Fünftes Bud). 899 


Aud ein Dreißigruder erhielten fie, über welches ber 
Athener Polykrates beſtellt wurde, der alle Fahrzeuge, wel: 
che er aufbringen Lonnte, dem Heere zuführte. Man nahm 
die Waaren heraus, uud ftellte der Sicherheit wegen Wa: 
chen dabei auf; die Schiffe felbft aber wurden zur Yeberfahrt 
beftimmt. 

Während deffen gingen die Hellenen anf Beute aus; Eis 
nigen glüdte es, Andern aber nicht. So führte Kleänetus- 
feinen und einen andern Lochos in eine gefährliche Gegend, 
und büßte da mit Vielen feiner Leute das Leben ein. 

2. Als man die Lebensmittel nicht mehr fo in der Nähe 
erhalten konnte, daß die Soldaten an demfelben Tage wier 
der in’d Lager zurückkommen konnten, Tieß fi Xenophon 
Wegweiſer von den Trapezuntiern geben, und zog mit der 
Snälfte des Heeres gegen die Drilen; ) die andere Hälfte 
fie er zur Bewachung des Lagers zurüd; denn die Kolchier, 
ans ihren Wohnungen vertrieben, hatten ſich in großer An—⸗ 
zahl zufammengethan, und lauerten auf den Gebirgen. Die 
Trapezuntier ‚aber führten die Helfenen nicht in die Gegenden, 
wo fie fich leichter mit Lebensmitteln verfehen Eonnten, weil 
fie mit den Bewohnern derfeiben befreundet waren; in's Land 
der Drilen aber führten fie Diefelben mit Freuden; da fle 
oft von ihnen beunruhigt wurden. Sie wohnten in einer ums. 
wegfamen Gebirgsgegend, und fInd das ſtreitbarſte Volk in 
dem Pontus. 


*) Das Land der Drilen iſt nach D’Anville das heutige Kat 
dir (Tſchaldir?). 


5 * 


900° Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus. 


Ars die Helfenen in das Bergland kamen, fanden fie ale 
Platze, welche den Briten nicht feſt genug ſchienen, verlaffen 
und niedergebrannt; und ed war Nichts mehr zu bekommen, 
ats Schweine, Ochſen und anderes Dich, das dem Feuer ent- 
fommen war, 

Pur ein Hauptplag war ned) übrig, in den fih Alte 
zufammengezogen haften. Er war mit einem tiefen Hohl: 
weg umgeben, und die Zugänge zu dem Orte waren äußerſt 
gefährkich. 

Die Peltaften waren den Hopliten fünf oder ſechs Sta⸗ 
dien weit vorgeeift, und über den Hohlweg gegangen; umd 
da fie viele Schafe und andere Habe erblickten, griffen fie den 
Ort an. Auch viele Spießträger *) waren ihnen gefolgt, die 
auf Lebensmittel ausgingen, fo daß Derer, welche jenſeits 
des Hohlwegs waren, über zweitaufend Mann ſeyn mochten, 

Da fle aber ten Plab nicht erobern Fonnten, weil ein 
breiter Graben vingsherum aufgeworfen, und der Aufwurf 
mit Pfahlwert und vielen hölzernen Thürmen befept war, 
fo wollten fie fi wieder zurückziehen; der Feind aber fiel ih= 
nen in den Müden. 

Da fie nun nicht zurüdkonnten (indem man von hier in 
den Hohlweg nur Dann für Mann hinabfleigen Eonnte), 
fchieften fie zu Kenophon, der die ſchweren Truppen führte, 
und ließen ihm fagen, es fen in dem Drte eine Menge Vor: 
räthe, fie könnten ihn aber nicht nehmen, weil er feft fep; 


*) Dieß wear feine befondere Truppennattung; fondern Die, 
voelhe auf Beute ausgingen, bedienten fich der Spieße zur 
Fortſchaffung des Erheuteten, und im Nothfall zu ihrer Ver⸗ 
theidigung. 


⸗ 





Bünftes Buch. :904 


anch vermöchten fie nicht, ſich zurückzuziehen, weil, der Zeind 
den an fi ſchon ſchwierigen Rückzug durch Ausfälle bein: 
ruUhige. 

Auf dieſe Nachricht rückte Kenophon on den Hohlweg 
“and ließ die Hopliten Halt machen; er ſelbſt begab ſich mit 
den Hauptleuten hinüber, um zu ſehen, ob es rathſamer ſey, 
die Truppen wieder zurückzuholen, oder auch mit den Hopli⸗ 
ten, in der Hoffnung, den Platz zu erobern, vollends über⸗ 
zufetzen. 

Der Rückzug war ohne bedeutenden Verluſt nicht mög⸗ 
—lich; dagegen meinten die Hauptleute, der Ort wäre mohl zu 
nehmen; womit auch Kenophon, da die Opfer zufagten, über« 
einftimmte. Die Seher hatfen zwar Kampf, aber glüdtichen 
Erfolg deflelben verkündigt. | 

Er ſchickte nun die Hauptleute ab, um die Hopliten 
heruͤberzuführen, ließ die Peltaften zurücktreten, und unters 
fagfe ihnen, auf den Feind zu fchießen oder zu werfen. Urs 
‚die Hopliten ankamen, hieß er die Hauptleute ihre Lochen in 
“eine ſolche Faffung feben, bei der er ſich von ihnen das 
Meifte 'verfpräches denn die Hauptleute, weiche die ganze 
Zeit über um den Preis der Zapferkeit wetteiferten, fanden 
nahe bei einander. Dieß thaten ſie. Hieranf gab er Beschl, 
die Peltaften ſollten fämmtlicy, die Hand an dem Riemen des 
-Murffpießes, vorrüden, um aufs erfte Zeichen abzumenfen, 
die Bogenfchüsen ſollten den Pfeil auf der Sehne haben, um 
gleich auf das Zeichen zum Schuſſe fertig zu ſeyn; die Gym⸗ 
neten ſollten die Taſchen voll won Steinen haben ;z. auch ſchekte 
er Leute ab, die daranf zu achten hatten. Nachdem num Us 
les angeordnet war, die Hauptleute aber und bie Unterhaupt⸗ 





902 Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus. 


feute, und Die, welche es ihnen gleich thun wollten, alle fo 
nebeneinander fanden, daß fie einander fehen Eonnten, weil 
ihre Stellung der Dertlicheit wegen mondförmig war, ſtimm⸗ 
ten fie den Schlachtgefang an, und die Trompete erflangs 
unfer Kriegsgefchrei. ſetzten Die Hopliten ſich in Lauf, und 
mit einander flogen Pfeile, Wurfipteße und Steine, aus 
Echlendern und den bloßen Händen geworfen ; ; Einige brach⸗ 
ten fogar Feuer herbei. 

Die Menge der Befchoße machte, daß die Feinde die 
hölzerne Bruſtwehr und die Thürme verließen; der Stym⸗ 
- phalier Agaſias und Philorenus aus Pellene *) legten deßhalb 
die Rüftung ab, und fliegen in bloßer Kleidung hinan; Ei⸗ 
ner half dem Andern hinauf, und Diele waren fchon oben, fo 
daß der Platz fchon erobert ſchien. Auch die Peltaften und 
die anderu Leichtbewaffneten drangen nun hinein, und plün⸗ 
derten, wo fie Etwas fanden; Xenophon aber ftelite fich an's 
Zhor und verhinderte, fo gut er Eonnte, das Eindringen der 
Hoplitenz; denn auf einigen befefligten Unhöhen ließen. fich 
wieder Feinde fehen. - 

Gleich nachher entitand innen ein Gefchrei: die Einen 
fiohen mit Dem, was fle erbeutet hatten, Andere wohl auch 
verwundet zurüc, fo daß an den Thoren ein großes Gedränge 
entftand. Die Herausflürzenden fagten auf Befragen, inwens 
dig fep eine Burg, der Feind habe im großer Anzahl einen 
Ausfall gethan, und ſchlage die Truppen in der Stadt. 

Da ließ Kenophon den Herold Zolmides ausrufen, Wer 
wändern wolle, Eönne hineingehen. Diele flürzten hinein, 





*, Einer Stabt Achaja's im noͤrdlichen Peloponnes. 





Zünftes Bud. ' 903 


und die Eingebrungenen ſchlugen Die, welche den Ausfall ges 
macht hatten, zurüc, fo daß die Feinde wieder in ihre feſte 
Stellung zurückgeworfen wurden. Alles, was außerhalb des 
feften Plabes war, wurde nun augdgeplündert und herausges 
ſchafft; die Hopliten aber flellten fid, an dem Pfahlwert und 
dem auf die. Burg führenden Wege in Schlachtordnung auf. 

Zenophon unterfuchte hierauf mit den Hauptleuten, ob 
die Burg auf irgend eine Meife zu, nehmen fey; denn nur 
. dann war der Rüdzug gefichert, der fonft äußerft fchwierig 
werden konnte; bei genanerer Unterfuchung aber fanden fie, 
daß dazu durchaus keine Hoffnung war, Sie machten ſich 
demnach zum Abzuge fertig, rißen die Jedem zunächft flehen- 
den Palifaden nieder, und fehicten die zum Kampfe Un: 
brauchbaren oder mit Beute Beladenen nebft dem größten 
Theile der Hopliten wieder hinaus, und die Hauptleute bes 
hielten nur Diejenigen zurüd, auf welche fie das meifte Ver: 
trauen febten. 
Da nun der Ruͤckzug begann, machte wieder eine große 
Anzahl Feinde, mit Flechtfchilden, Lanzen, Beinharnifchen 
"und Paphfagonifchen Helmen ausgerüftet, einen Ausfall auf 
fle; Andere fliegen auf die Häufer, Die auf beiden Seiten des 
nach der Burg führenden Weges ftanden; ſo daß man ſie 
nicht mit Sicherheit zu den auf die Burg führenden Thoren 
verfolgen Eonnte; denn fie warfen große Balken oben herab; 
fo daß es gleich gefährlich war, zu bleiben oder abzuziehen; 
auch die. einbrechende Nacht drohte ihre Lage noch- zu ver: 
fhlimmern. \ | 

Da fie nun fochten und ſich nicht zu rathen noch zu hel⸗ 
fen wußten, gab ihnen ein Gott ein Rettungsmittel an bie 


ie 


904 Xenophon's Feldzug des juͤngern Cyrus. 


Hand. Auf einmal ſtand naͤmlich ein Hans, von irgend Je⸗ 
mand angezündet, in lichten Ylammen. Als das Haus -zu= 
fammenftürzte, ergriffen alle Feinde auf dev rechten Seite 
die Flucht, Wie Kenophon von dem Zufall diefen Wink bes 
kam, befahl er fogleich, auch die Käufer zur. linden Seite in 
Brand zu fleden: da fle von Holz waren, ſtanden fie ſogleich 
in Flammen; da floh der Feind auch von diefer Seite, 

So hatten fie es nur noch mit Denen zu thun, welche 
ihnen gegenüber flanden, und ed war zu erwarten, daß fie. 
ihnen bei’m Abzug aus der Stadt und über den Hohlweg im 
den Rüden falfen würden. «Er gab nun Befehl, daß Dieje⸗ 
nigen, welcye außer dem Schuffe flanden, zwifchen fie ımb 
die Feinde Holz zufanımentragen follten. Als genug beiſam⸗ 
men war, zündeten fie es anz auch wurden, um den Feind 
zu befchäftigen, die Häufer zunächſt dem Walle in Brand 
geſteckt. 

So gelang es ihnen endlich, ſich vermittelſt des zwiſchen 
ihnen und dem Feinde angezündeten Feuers zurückzuziehen. 
Die geſammte Stadt nebſt Häufern, Pfahlwerk, Thürmen 
und allem Andern, außer der Burg, ging in Flammen auf. 

Um folgenden Tage gögen die Hellenen mit Lebensmit⸗ 
teln verfehen wieder ab. Da fie nun wegen ihres Rüdwegs 
nach Zrapezunt, der fehr fteit und ſchmal war, in Sorgen 
‚waren, Fegten fie einen verftellten Hinterhalt. Ein gewißer My⸗ 
fier nämlich, der auch fo [Myfog, d. h. Myſier] hieß, nahm zer 
ben Kreter zu fich, blieb in einem Gehölze zurüd, und ſtellte 
fi, als ſuche er, fich vor den Feinden verborgen zu halten; - 
ihre ehernen Schilde aber glänzten bald hier bald da durch. 
Die Zeinde bemerbten Dieß, und befürdhteten einen Hinter⸗ 


Fünftes Buch. | 905 


halt; mittlerweile 309 fic das Heer hinab. Als man glaubte, - 
einen binlänglichen Vorfprung zu haben, gab man dem My: 
ſos wit der Trompete ein Zeichen zur Alucht, und diefer oh 
nun mit feinen Leuten mit möglichfter Eile. Die Krater 
befürchteten, im Laufe eingeholt zu werden, warfen ſich 
feitwärts vom Wege in den Wald, wälzten fid) die Berghö⸗ 
ben hinab und entkamen glücklich. Myſos aber floh auf dem 
Wege fort und fchrie nad) Hülfe. Dan eilte herbei und vet⸗ 
tete ihn, obgleich er verwundet war. Die, welche ihm bei- 
ſprangen, zogen fi), da anf fle gefchoffen ward, nebft einigen 
Kretern, welche die Schäffe der Zeinde erwiederten, zurüd; 
fd Samen Alle wieder wohlbehalten in dein Zager an. 

3. Da nun weder Ehirifophus Fam, nod) auch eine hinläng- 
tiche Anzahl Schiffe beifammen war, und keine Lebensmittel 
mehr zu bekommen waren, ward endlich der Abzug befchlofe 
fen. Die Kranken, die äber vierzig Jahre Alten, die Kna⸗ 
ben und Weiber nebft den entbehrfichen Geräthfchaften wur: 
den an Bord gebracht, die aͤlteſten Heerführer, Philefius und 
Sopkänetus gingen mit zu Schiffe, um über das Ganze 
Aufſicht zu führen; die Andern zogen zu Lande fort; die 
Wege waren ausgebeflert. 

Sie kamen in drei Tagen an die Hellenifche Seeſtadt 
‚Cevafus, *) eine Pflanzftadt von Sinspe; fie Tag noch in. dem 


*2) Gent zu Tage Kerefun oder Kirafon genannt. Arrhanus 
nennt dieſelbe Stadt Pharnacea. Rennel glaubt, es fey 
“ Hier die Stadt Koralla gemeint, und behauptet, Kenophon 
habe ſich geirrt, ba die Stadt Errafus wenigſtens ſechs Tags 
8 von Trapezunt entfernt ſey, und nicht im Kolchiſchen 

e. 


906 Kenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus. 


Gebiete der Kolchier. Hier blieben fie gehen Tage; das Heer 
wurde gemuftert und, gezählt: es betrug adyktaufend ſechshun⸗ 
dert Mann. So Biele waren übrig, die Andern in den 
Kämpfen, durdy den Schnee und zum Theil auch durch 
Krankheiten zu Grunde gegangen. 

Hier vertheilte man das Durch den Verkauf der Gefange⸗ 
nen eingegangene Geld; den Zehnten aber, welchen man für 
Apollo und die Epheſiſche Artemis zurücklegte, theilten die 
Heerführer unter ſich, ſo daß Jeder derſelben einen Theil 
davon für die Götter in Verwahrung nahm. Den Theil 
des Chiriſophus nahm Neon von Aline *) in Empfang. 

Lenophon Tieß in der Folge ein Weihgeſchenk für Apollo 
verferfigen,, und legte es in dem Atheniſchen Schag zu Del: 
phi nieder. Die Inschrift enthielt feinen und des Prorenus 
Namen, der mit Klearchus umgekommen war. Denn Prore: 
nus war fein. Saflfreund geweien. Das für die Ephefifche 
Artemis zu einem Weihgeſchenk beftimmte Geld ließ er, ale 
er mit Ageſilaus aus Aſien zum Kampf mit den Böotiern 
zurüdkehrte, in den Händen des Tempelauffehers der Arte 
mis, Megabyzus, zurücd, weil er Gefahren entgegenzugehen 
glaubte, mit dem Auftrage, es ihm, wenn er bei’m Leben 
bliebe, wieder auzuftellen, falls ihm ein Unglück zuſtieße, der 
Artemis ein Weihgeſchenk verfertigen zu Taffen, wie er glau- 
be, daß ed der Göttin am wohlgefälfigften wäre. 

Als Kenophon nachher, aus feinem Vaterlande verwies 
> fen, **) in dem-von den Lacedämoniern in der Nähe von Olym⸗ 
*) Eine Stadt in Ratonien, 


#9) Weil er dem Cyrus, welcher mit then | in Seindfchaft lebte, 
gegen Artaxerxes gedient und dadurch ſowohl feine Waters 





Fünftes Bud. 907 


pia erbauten Scillus *) lebte, kam Megabyzus nach Olympia, 
um die Spiele zu ſehen, und gab ihm das anvertraute Geld 
zurück. Xenophon kaufte dafür der Göttin ein Stück Landes, 
das ihm der Gott angewiefen hatte, und welches vom GSeli- 
nus durchfirömt wird. Auch bei Ephefus fließt ein Fluß, 
mit Namen Selinus, an bem Tempel der Artemis vorbei; 
in beiden gibt es Fiſche und Mufcheln; die Gegend um Scil⸗ 
Ind Liefert auch noch alle Arten von Bild. 

Auch einer Tempel und Altar erbaute er von dem heili- 
gen Gelde, und weihte der Göttin den Zehnten von den Er: 
zeugnifien des Bodens zu beftändigem Opfer. Ale Bürs 
ger **) und Graͤuznachbharn, Männer und Weiber, nahmen 
an diefem Feſte Theil, und die Gäfte wurden auf Koften der 
Göttin mit Mehl, Brod, Wein, Nachtifch und einem Au⸗ 
theil an dem Opfervieh, welches die geweihte Zrift, und dem 
Wild, weldyes der Forft lieferte, verforgt; denn Kenophon’s 
und der andern Bürger Söhne flellten für diefes Feſt Jagden 
an, und mit ihnen Männer, die Luſt dazu hatten; man 
brachte theils von dem heiligen Gebiete, theild von dem Berge 
Pholoe **) Schweine, Rehe und Hirfche ein. 





ſtadt, ald den König gegen ſich aufgebracht Hatte, um: fo 
mehr, da er hiedurch mit den Kacebämoniern, die damals 
gegen Athen und Perfien in feindlichen Stellung waren, in 
freundfchaftliche Verhaͤltniſſe getommen war, Soktrates ſcheint 
Dieß geahnt zu haben, als er ihm zu dieſem Schritte nicht 
rathen wollte. 

*, In der Landſchaft Elis im weſtlichen Peloponnes. 

rn) Bon Seillus. 

. #0, Gin Arkadiſcher waldiger Berg, der ſich in Elis in der Nine 

von Olympia zu erheben anfängt. 


908 RXenophon's Yeldzug des jüngern Cyrus. 


Dieb Weihgebiet liegt an dem Wege von Lacedäͤmon nmach 
Dipympia, ungefähr zwanzig Stadien von dem ‚Tempel des 
Zend in Olympia. Es enthält Haine und baumreiche Berge, 
welche Schweinen, Siegen, Schafen und Pferden Weide ge: 
ben; auch die Geſpanne Derer, tie zu dem Felle kommen, 
finden Futter genug. Den Tempel felbft umgibt ein Dein 
von Fruchtbäumen, deren veife Früchte genoffen werden können. 

Der Tempel gleicht im Kteinen dem Ephefifchens auch 
das Stanbbild der Göttin aus Cypreſſenholz gleicht dem 
goldenen in Ephefus. Neben dem Tempel fleht eine Säule 
mit der Inſchrift: „Das heilige Gebiet der Arte 
mid, Wer e8 befist .und feine Früchte erntet, 
ſoll ihr den Behnten jedes Jahres weihen, uud 
Bon dem Vebrigen den Tempel in gutem Stand 
erhalten. Wer es nicht thut, folles der Göttin 
entgelten.“ 

4. Von Ceraſus fuhren Diejenigen, die ſchon vorher 
zur See gefahren waren, wieder ab; die Andern zogen zu 
Lande weiter. Un den Gränzen der Moſſhnöken *) ſchickten 
fie den Zrapezuntier Timeſttheus, der ihr Gaſtfreund war, 
zu ihnen, und ließen fie fragen, ob fie als Freunde oder 
Feinde durch ihr Land ziehen ſollten? „Sie dürften gar nicht 
durch daſſelbe ziehen,’ erwiederten fie; denn fie verließen fich 
auf ihre feften Plaͤtze. 

Zimefitheus erzählte hierauf, daß die weiterhin wohnen⸗ 
den Moſſynöken mit Diefen in Feindſchaft lebten; man bes 

*), Ein von Perſien unabhängiges Bote in Kleinaſien, am ſchwar⸗ 


sen Meer in der Nachbarſchaft der Kolchier ‚und Tibarener 
wohnend. 





' Fuͤnftes Bud. 909 


ſchloß alfo, Jene zu einem Bündniffe einzuladen. Zimefi« 
theus ward abgefandt, und kam mit den Anführern derfelben 
zuräd. Da traten die Heerführer der Hellenen mit den Aus 
führern der Noſſynöken zufammen, und Xenophon ſprach 
durch den Diotmetfher Timeſitheus Folgendes: 

„Moſſynöken, wir wünfchen zu Lande nad Hellas zu 
gelangen, da wir keine Schiffe haben; diefes Volk nun, das, 
wie wir hören, Euer Feind ift, hindert uns daran. Ihr 
Lönnt daher, wenn Ihr wollt, uns zu Bundesgenoflen erhals 
ten, alles von ihnen Euch angethane Unrecht raͤchen, und fie 
für die Zukunft Euch unterwärftg machen. Verſchmäht Ihr 
unfern Antrag, fo möget Ahr aufehen, ob Ihr je wieder eine 
ſolche Heeresmacht zu Eurer Verfügung bekommt.“ 

“> Hierauf erwiederte der oberfte Anführer der Moſſynoken, 
fie feygen mit ihrem Anerbieten zufrieden und nehmen das 
Buͤndniß an. 

„Bohlan denn, begann Tenophon wieder, ‚worin ver: 
langt Shr unfere Hülfe, wenn wir Eure Bundesgenoffen find? 
Wie könnt Ihr uns dagegen für unfern Durchzug Beihülfe 
feiften 2° Sie anfworteten: „Wir Eönnen von der andern 
Seite in das Gebiet Eurer und unferer Feinde einfallen, 
uud auch) Schiffe und Leute hieher fenden, die an Eurer Seite 
fämpfen und den Weg Euch zeigen.‘ 

Pac) gegenfeitiger Gemwährleiftung gingen fie ab, und 
erfchienen am folgenden Tage mit dreihundert einftämmigen 
Kähnen, in deren jedem drei Männer faßen. Je Zwei davon 
fliegen aus und ftellten ſich in Reih und Glied; der Dritte 
blieb zurück. 


x - 
Lo 





910 Xenophon's Feldzug des jüngern Ehrus. 


Diefe Letztern fuhren mit den Kähnen zurück; die Er: 

ftern aber ftellten fi auf folgende Art in Schlachtordnung. 
Sie fraten je zu Hunderten, wie in den Chören, einander ge⸗ 
genüber, Alte trugen Flechtfchilde, die mit weißhaarigen Och: 
fenhäuten überzogen und wie Epheublätter geffclfet waren; 
in der Rechten hielten fie einen fechselfigen Spieß, der vorn 
in eine Spitze auslief, hinten am Schafte aber Fugelförmig 
gerundet war. Weber den Sinieen Erugen fle Unterleider von 
der Dicke leinener Mantelfäce ; auf dem Kopfe haften ſie [es 
derne Helme, ähnlich, den Paphlagonifchen, aus deren Mitte 
ein der Ziare ähnlicher Haarwulſt hervorragfe; fie führten 
eiferne Hellebarden. 
Da begann Einer von ihnen einen Gefang, in welchen 
die Andern Alle mit -einftimmten, nad; dem Takte einher: 
ſchritten und durch die Reiben der Helleniſchen Hopliten hin 
plötzlich auf den Feind, gegen einen feften Plab rückten, dem, 
wie es fchien, am leichteften beizufommen war, Es lag diefer 
vor der Stadt, die fie ihre Mutterfladt nannten, und welche 
die Hauptveſte der Moffyndten in fich ſchloß; über ihr war 
der Krieg entſtanden; denn Diejenigen, welche fie inne hatten, 
hielten fich jederzeit für die Herren aller Moſſynöken. Gie 
aber befaßen fie nad der Ausſage der Moffonöten nicht mit 
Recht, fondern maßten ſich das Gemeingut zur Unterdrüdung 
der Andern an. 

An fie ſchloßen fih, nicht auf Befehl der Heerführer, 
fondern der Beute wegen, einige Hellenen an. Die Feinde 
hielten (ih, da fie anrückten, anfangs ruhig; als fie aber 
nahe genug herangekommen, machten fle einen Ausfall, ſchlu⸗ 
gen fie in die Flucht, machten viele Moſſynöken und audy ei: 











Fünftes Bud). 944 


nige der fie hegleitenden Hellenen nieder, und verfolgten fle 
fo lange, bis fle die Hellenen zu ihrer Hülfe herbeitommen 
ſahenz da kehrten fie um, fchnitten den Gefallenen die Köpfe 
ab und zeigten fie den Hellenen und ihren Feinden, wobei fie 
zugleich nad) einem gewiffen Takte tanzten und fangen. 

Die Hellenen waren fehr aufgebracht, daß fie die Feinde 
£ühner gemacht, und die zahlreichen Hellenen zugleich mit ihs 
sten die Flucht ergriffen hatten ‚ was fie während des ganzen 
frühern Feldzugs noch nie gethan hatten. 

Xenophon rief deßhalb die Hellenen zufammen und ſprach: 
„Soldaten, laßt Euch durch dieſen Vorfall nicht kleinmüthig 


machen; denn er hat, trotz dem Nachtheil, nicht geringen 


Vortheil für Euch; denn nun ſeyd Ihr verſichert, daß unſre 
künftigen Führer wirklich Feinde Derer ſind, gegen welche 
auch wir zu kaͤmpfen haben; dann haben diejenigen Hellenen, 
welche unſre Reihen verließen, und an der Seite der Barba⸗ 
ren Daſſelbe wie an unſerer Seite auszurichten wähnten, 
die verdiente Strafe erlitten; fo daß ſie in Zukunft nicht fo 
Leicht wieder unferer Kampfweife unfreu werden. Un Euch 
ift es nun, den mit uns verbündeten Barbaren zu zeigen, 
daß Ihr tapferer feyd als fie, umd den Feinden, daß fle es 
mit ganz andern Männern zu thun haben, ald da fie gegen 
die ungeordneten Haufen fochten.“ 

Diefen Zag blieben fie ruhig; amı folgenden aber opfers 
ten fie; und da die Opfer zufagten, ſtellten fle fich nach geens 
digtem Frühmahl in Heerſaͤulen [Eolonnen]) auf, ließen die 
Barbaren Daffelbe auf dem linkel Flügel thun, und rückten, 
nachdem fie die Bogenfchüsen und Peltaften in die Heer- 
ſaͤulen aufgenommen, doc, fo, daß fie vorn gegen die Ho⸗ 





942 Zenophon’s Feldzug des jungern Cyrus. 


pliten nur wenig zurückſtanden, vor. Denn eine Schaar 
Feinde Tief behende.hervor und warf mit Steinen. Diefen 
mußten die Bogenfchägen und Peltafen Einhalt hun; Die 
Andern zogen nur Mangfam vorwärts und zwar zuerft. bem 
Platze zu, von dem die Barbaren Tags zuvor mit ihren 
Verbündeten zurücgefchlagen wurden; denn hier hatten ſich 
die Feinde gegen fie aufgeſtellt. 

Gegen die Peltaften hielten die Feinde Stand und lies 
Ben fi in ein Gefecht mit ihnen ein; als aber die Hopfiten 
nahe kamen, nahmen fie die Flucht. Die Peltaften ſetzten ih: 
nen fogleih nad, und verfolgten fie hinauf bie an die. 
Hanptftadt; die Hopfiten aber rüdten in gefchloffenen Glie— 
dern nad). 

Als fie oben an die Häufer der Stadt kamen, empfingen 
fie die Feinde, die fih dort Alle verſammelt haften, mit 
Wurffpießen; aufferdem haften fle Lanzen von folder Dice 
und Länge, daß ein Mann daran zu tragen hatte: damit fud)- 
ten fie die Feinde in der Nähe abzutreiben. 

Als aber die Helfenen nicht wichen, fondern ihnen zu 
Leibe gingen, ergriffen fie die Flucht und verliehen den Plab. 
Ihr König, der in einem hölzernen, auf der Höhe erbauten, 
Zhurm wohnte, wo er auf öffentliche Koften unterhalten und 
bewacht wurde, *) wollte fo wenig, als die Befabung des 
früher eroberten Plabes, heraus; fie wurden alfo ſammt ihs 
ren Wohnthürmen verbrannt. 


*) Er Hatte feine Nefidenz auf dem oberften Stocwert eines 
hölzernen Thurmes, und ſprach ben ftreitenden Parteien 
Recht; wenn er gegen die Gerechtigkeit fündigte, fo wurde er 
gebunden und ohne Speiſe gelaffen, bis er verhungerte, 


— 


— 
. 


Fünftes Buch. ’ ee 7}. 


Die Hellenen fanden bei der Plünderung des Pages 
Borräthe von Broden, die, wie die Moſſynökendausſagten, 
nach hergebrachtem „Gebrauche von einem Jahre her aufbe- 
wahrt lagen; das diesjährige Getreide, meiftens Spelt, war 
noch in den Aehren. Auch fanden fie eingepöfeltes Delphi⸗ 
nenffeifch in Tonnen, nebft dem Thrane deffelben in Gefä: 
Ben; die Moſſynöken gebrauchten diefen, wie die Hellenen 
Das Oehl. In den obern Stockwerken fand fid eine Menge 
Platter Nüffe ohne Spatt, *) deren fie fi häufig zur Speife 
bedienten, indem fie fie kochten, oder Brod daraus badkten. 
Auch Wein ward gefunden: er fchmedte zwar wegen feiner 
Strenge ungemifcht ſäuerlich, gemifcht aber hatte er einen 
MWohlgeruch und war angenehm. 

Die Hellenen zogen, nachdem fie gegeflen hatten, weiter, 
und übergaben den Platz ihren Verbündeten, den Moſſynd⸗ 
ken. Von den andern feindlichen Städten, an welchen fie 
vorüber Famen, wurden die unhaltbarften verlaffen oder frei⸗ 
wilfig übergeben. Die meiften Städte lagen achtzig Stadien 
[zwei deutiche Meilen] von einander; einige jedoch weiter, 
andere weniger. Ihren wechfelfeitigen Ruf Eonnte man von 
einer Stadt zur andern vernehmen: fo hoch und voller Klüfte 
war das Land. | 

Als fie in das Land ihrer Freunde Famen, zeigte man 
ihnen gemäftete Kinder reicher Eltern, die, mit gekochten Ka⸗ 


7 


*) Manrfcheinlich die Kaſtanie ‚bie in Hellas damals noch nicht 
gebaut und erft in der Folge aus Aften nach Europa ge: 
bracht ward; zuerft wurde fie bei der Theſſaliſchen Stadt Ka⸗ 
fon angebaut, woher fie ihren Namen erhalten zu haben 
cheint. 

RXenophon. 78 Bochn. 6 


944 Zenophon’s Feldzug des fjüngern Cyrus. 


ſtanien gefüttert, fehr zart und weiß und beinahe eben fo 
Dick ald Tang waren; ihr Rüden war bunt bemalt, und der 
ganze Vorderleib mit Blumen punktirt. Mit den Buhl— 
dirnen, welche die Heifenem bei fich haften, wollten fie ſich 
vor Aller Augen vermifchen; denn ed war fo Sitte bei ihnen. 
Männer und Weiber waren alle fehr weiß. 

Diefed Volk wurde von Denen, welche biefen Feldzug 
mitmachten, für das ungefittetfte von alfen erklärt, durch der 
ren Zand fie gekommen waren, das aud) am weitellen von 
den Hellenifchen Sitten abwich. Denn was andere Meufchen 
nur dann vornehmen, wann fie allein find, das thaten fie vor 
Aller Augen, und waren fie allein, fo betrugen fie fich eben 
fo, al8 wenn fie in Gefellfchaft wären: fie fprachen mit fidy, 
fachten für ſich, und tanzten, wo fie. flanden, gleich als ob 
fie fi) vor Andern zeigen wollten. 7 

5. Durd) diefed Land, das feindliche und befveundete, 
zogen die Hellenen in acht Zagmärfchen, und kamen zu den 
Chalybern. Diefes Eleine, den Moſſynöken unterwürfige, Volk 
lebt meiftens von feiner Arbeit in den Eiſenbergwerken. 

Bon hier kamen fie zu den ZTibarenern. Ihr Land war 
viel Hacker, amd hatte am Meere hin mehrere jedoch minder 
fefte Pläße, Die Heerführer wollten fie angreifen, um dem 
‚Heere einige Vortheile zuzumenden, und nahmen deßhalb die 
son den Zibarenern angefommenen Gaſtgeſchenke nicht fo- 
gleich an, fondern Ließen die Weberbringer warten, bie fie 
ſich berathen Hätten, und opferten dann. 

Noch vielen Opfern thaten endlich die Scher den Aus⸗ 
‚fprudh, daß die Götter den Krieg durchaus nicht genmehmig- 
ten. Jetzt nahmen fie die Gaftgefchente an, und. nachdem fie 


— — — — 


8 


Fünftes Buch. 915 


zwei Tage als durch Freundesland gezogen waren, kamen ſie 
an die Helleniſche Stadt Kotyéra, ) eine Pflanzung von Si⸗ 
nöpe, die in dem Zibarenifchen Gebiete Liegt. 

Bis hieher war das Heer immer zu Fuß gezogen. Der 
ganze Weg von der Schladyt bei Babylon bis nach Kotyora 
betrug in hundert zwei und zwanzig Tagmärſchen fechshufs 
dert und zwanzig Parafangen und achtzehntaufend ſechshun⸗ 
dert Stadien, und ward in act Monaten zurüdgelegt. 
Hier blieb man fünf und dreißig Tage. Während diefer Zeit 
opferten fle zuvörderft den Göttern, und hielten je nad) ih⸗ 
ren verfchiedenen Stämmen Aufzüge, und flellten gymniſche 
Spiele an. Die Lebensmittel bezogen fie theils aus Paphla⸗ 
gonien, theild aus dem Gebiet von Kotyora; denn fie brach⸗ 
ten ihnen Beine Lebensmittel zu Markte, und woHten auch 
ihre Kranken nicht in die Stadt aufnehmen. 

Unterdeffen kamen Abgeordnete aus Sinöpe, wo man für 
die Stadt Kotyora (demn fie hing von diefer ab, und war ihr 
zinsbar) und für das Land beforgt war, deſſen Plünderung man 
erfahren hatte. Nach ihrer Ankunft im Lager ſprach Hekat⸗ 
onymus, der für einen guten Redner galt, in ihrem Namen: 

„Kriegsmänner, die Stadt Sinspe fendet und ab, Euch 
ihren Beifall zu bezeugen, daß Ihr, geborene Hellenen, die 
Barbaren beflegt habt, und Euch Glück zu wünſchen, daß 
Ihr aus fotvielen Gefahren glücklich hieher entkommen ſeyd. 
Wir glauben aber, ſelbſt geborene Hellenen, von Euch Helle⸗ 


e) Es ift heut zu Tage nichts mehr von ihr zu fehen; Kinneir 
glaubt, fie Habe in der Naͤhe des jegigen Dorfes Drdu ge 
Vegen. 

6* 


916 Renophon's Feldzug des jüngern Cyrus. 


nen nur Gutes, nichts Böſes erwarten zu dürfen, zumal ba 
wir Euch nie etwas Böſes zugefügt haben. Die Kotyoriten 
find unfere Pflanzbürger; wir haben ihnen dieſes Land, das 
wir den Barbaren abgenommen, übergeben; weshalb fie uns 
auch, fo wie die Gerafuntier und Trapezuntier, beflimmte bs 
gaben entrichten. Thut Ihr alfo Diefen Etwas zu Leid, fo 
hält die Stadt Sinöpe ſich dadurch für beeinträchtigt. Nun 
hören wir, daß Ihr mit Gewalt in die Stadt eingedrungen, 
dag Euer Einige fid in die Häufer eingelegt haben, daß 
Ihr ohne Erlaubniß alle Eure Bedürfniffe von dem? Lande 
bezieht. Dieß Eönnen wir nicht gut heißen. Werdet Ihr 
dergleichen ferner thun, fo fehen wir ung gendthigt, ung mit 
Korylas und den Paphlagoniern, und mit Wem wir nur föns 
nen, an verbinden.” 

Auf diefe Rede erhob fid, Kenophon und ermiederfe im 
Namen der Hellenen: „Wir, Sinopeer, müßen froh feyn, 
daß wir unfer Leben und unfre Waffen gerettet haben; denn 
Beute mit fortzufchleppen und zugleich gegen die Zeinde zu 
fämpfen, war nicht möglich. Als wir die Hellenifchen Städte 
erreichten, bezahlten wir bei Trapezunf, weil man und einen 
Markt anwies, unfre Bedürfniffe baar, und erwiefenTihnen 
für die Achtung, welche fie ung durch Weberfendung von Gafts 
gefchenten erzeigten, gegenfeitige Achtung: Welche von den 
Barbaren ihnen befreundet waren, Denen geſchah von uns 
Nichts zu Leid; ihren Zeinden aber, gegen welche fie uns 
ſelbſt anführten, thaten wir Abbruch: fo viel wir konnten. 
Fraget fie felbft, wie wir und gegen fie betrugen; denn es 
find Einige bier, welche und die Stadt aus Freundfchaft als 
Megweifer mitgab, Kommen wis aber in ein Land, fen es 








Fünftes Buch, 927 
nun barbariſches oder Helleniſches, und man ſtellt uns Nichts 


zu Kauf, fo nehmen wir ung ſelbſt unfre Bedürfniffe, nicht 


aus Webermuth, fondern weil wir müßen. So madıten wir 
und die Karduchen, Chaldäer und Taocher, die, wenn gleich 
feine Unterthanen des Königs, doch furchtbar genug find, zu 
Feinden, weil die Noth uns drang, die Lebensmittel, welche 
fie ung nicht zu Kaufe gaben, ung mit Gewalt zu nehmen. 
Die Makronen aber, ob fie gleich- Barbaren find, behandelten 
wir ald Freunde, und nahmen Nichts‘ von dem Ihrigen mit 
Gewalt, weil fie uns Lebensmittel, fo gut fie foldye hatten, 
für Bezahlung überließen. Die Kotyoriten, die, wie Ihr 
fagt, zu Euch gehören, find felbft fchuld, wenn wir ihnen Ets 
was genommen habenz- denn fie begegneten uns nicht ale 
Freunden, fondern fchloßen die Thore und ließen ung weder 
ein, noch ſchickten fie Lebensmittel heraus, woron fie die 
Schuld auf Euern Statthalter fchoben. Wenn du fagft, wir 
feyen mit Gewalt in die Stadt gedrungen und haben uns 
eingelegt, fo haben wir fie gebeten, unfre Kranken unter 
Dadı zu nehmen; da fie und aber die Thore nicht öffneten, 
fo gelangten wir, wie wir Eonnten, in die Stadt, und haben 
weiter Feine Gewalt gebraucht. Die Kranken liegen num in 
den Häufern und zehren für ihr Geld; die Thore Kalten wir 
befegt, damit unfre Kranken nicht in der Gewalt Eures Statt: 
halters find, und ed ung frei ſteht, fle wieder fortzunehmen, 
wenn wir wollen. Wir Andern Tagern, wie hr feht, unter 
freiem Himmel unter den Waffen, und find bereit, Dem, der 
ung Gutes erzeigt, yerällig zu feyn, und und Deren zu ers 
wehren, die ung Webles thun. Was Deine Drohung anbes 
langt, Euch nöthigenfalts mit Korylas und den Paphlago⸗ 





948 enophon’s Feldzug des jüngern Cyrus. 


niern gegen uns zu verbinden, fo wißt, daß wir ed auch mit 
Beiden aufnehmen werden; denn wir haben uns fchon gegen 
andere weit zahlreichere Feinde, als Ihr feyn würdet, ges 
ſchlagen; oder auch verbinden wir ung felbft mit vem Pa⸗ 
phlagonier ; denn wie wir hören, hat er große-Luft zu Eurer 
Stadt und den Plägen hier am Meer; mag er diefe Luſt 
rin mit unferer Hülfe büßen, und und dafiir zu Gefallen 
ſeyn!“ 

Hierauf gaben die übrigen Geſandten ihren Unwillen 
über des Hekatonymus Vortrag ſehr deutlich zu erkennen. 
Es trat Einer von ihnen vor und erklärte: „wir find nicht 
in der Abſicht gefommen, Krieg zu fliften, fondern Euch unfe: 
rer Freundſchaft zu verfihern. Und wenn Ihr nach Sinöpe 
fommt, fo wird man Euch mit Gaſtgeſchenken emprangen ; 
jebt aber werden fie den Befehl geben, Euch Alles zu liefern, 
was fie vermögen; denn wir fehen, daß Ihr in allen Stüden 
wahr gefprochen habt.‘ 

Die Kotyoriten fandten nun Gaſtgeſchenke, und die Heer 
führer der Hellenen bewirtheten die Gefandten von Siuöpe, 
und erkundigten fich unter andern ihre Zage betreffenden Ge: 
genfländen auch nad) der Befchaffenheit des noch übrigen We- 
ges; und fie fprachen hierüber ihre gegenfeitigen Wünſche 
ans. So endigte fich diefer Tag. 

6. Am folgenden Zage verfammelten die Heerführer die 
Soldaten, um mit Zuziehung der Gefandten von Sinöpe 
über ihren fernen; Zug fich zu berathen. Denn mochten fie 
nun zu Zande weiter zichen, fo waren bie Sinopeer ihre 
beten Führer, da ihnen Paphlagonien bekannt war; oder ſich 


Fünftes Buck 940. 


einfchiffen, fo waren ihnen die Sinopeer unentbehrlih; da 
nur fie im Stande waren, dem Heere die gehörige Anzahl 
Schiffe Herbeizufchaffen. 

Sie beriefen deshalb die Gefandten zur DVerfammlung, 


und erficchten fic als Landsleute, ihre gute Aufnahme damit 


zu beginnen, daß fie ihnen ihr Wohlwollen fchenkten und den 
beften Rath ertheilten. 


Da trat Hebatonymus auf und entfchufdigte ſich zuerſt 


wegen feiner Aeußerung, daß fie fih mit dem Paphlagonier 
verbinden würden; er habe damit nicht fagen wollen, daß fie 
die Hellenen befriegen wollten; vielmehr würden fie, obgleich 
fie die Barbaren fi zu Freunden machen könnten die Hel⸗ 


Tenen vorziehen. 
Als man ihn aufforderte, feine Meinung zu fagen, des- 


ganı er, nachdem er gebetet hatte, folgenden Vortrag: „Wenn 
ich Euch nady beftem Wilfen und Gewiffen rathe, was mir 
am beften fcheint, fo möge ed mir wohl, wo nicht, fo möge 
es mir übel ergehen! Denn hier trifft das Sprichwort ein: 
Es ift ein heilig Ding um einen Rath. Rathe ich 
Euch gut, fo werden mir's Diele mit Lob gedenken; rathe ich 
fchlecht, fo erwartet nid Euer Fluch. Wohl weiß ich, daß 
es und viele Mühe machen wird, wenn Ihr zur See abgeht; 
denn wir müffen Euch die Schiffe hiezu liefern; zieht Ihr 
zu Zande heim, fo müßt Ihr Euch den Weg mit dem Schwert 
erfämpfen. Gleichwohl will ich meine Meinung fagen; denn 
ich kenne das Land der Paphlagonier und ihre Macht. Dian 
findet dort Die fchönften Ebenen und die höchflen Berge. 
Gleich bei'm Eingange kommt Ihr an einen Drt, wo fich die 


I} 


920 Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus. 


Straße zwiſchen zwei hohen Bergſpitzen hinzieht. Hat man 
diefe inne, fo Bann man fle mit weniger Mannſchaft behaups 
ten; find fie aber befebt, fo komme Leine menſchliche Macht 
hindurch. Ich kann Euch Davon durch den Uugenfchein Kberzeus 
gen, wenn Ihre mir Jemanden mitgeben wollt: Dann kenne ich 
auch ihre Ebenen und ihre Reiterei, der die Barbaren vor 
der gefammten königlichen Heeresmacht zu Pferde den Vor—⸗ 
zug geben. Erft kürzlich haben fie dem Befehl des Königs, 
der fie berief, nicht Folge geleiftet. Denn ihr Fürft gebt mie 
höhern Dingen um. Gelingt es Euch aber au, daß Ihr 
den Gebirgspaß unvermertt durchzieht, oder vormeg befest, 
ihre Reiterei und ihr Fußvolk, das fid) auf mehr denn hun⸗ 
dert und zwanzigtaufend Mann beläuft, aus dem Felde 
ſchlagt, fo kommt Ihr an die Flüſſe: zuerft an den drei Ple⸗ 
thren breiten Thermödon, *) der fchwer zu durchgehen ſeyn 
dürfte, zumal wenn vorn und hinten Feinde Euch bedrohen; 
dann an den Iris, **) der gleichfalls drei Plethren breit iſt; 
dann weiter an den Halys, ***) der gute zwei Stadien breit 
ift., und über den hr ohne Schiffe gar nicht ſetzen künnt; 
woher wollt Ihr aber die nöthigen Schiffe befommen? Gleiche 


*) Nach Nenner der heutige Termeh oder Tarmeh; er ents 
fpringt in Kappadocien und ergießt ſich in das fchwarze 
Mer. Bot. Vi, 2. 
e*) Nach Andern Tigris. Er Heißt heut zu Tage Kaſalmak, 
Irmak an der Mündung, und weiter Iandeinwärtd To⸗ 
. ſanſu. 
**4) Sy entſpringt in Großkappadocien, fließt von da gegen Abend, 
dann durch Paphlagonien, ergießt ſich in?! fchwarze Meer, 
und Heißt nach Mannert heut zu Tage Kifil Irmak. 


- 





Fünftes Buch. 92% 


Noth habt Ihr bei dem Parthenius, *) an ben Ihr Pämet, 
nachdem Ihr über den Halys geſetzt hättet. Ach halte daher 
einen Durchzug nicht bios für fihwierig, fondern für durdı- 
aus unmöglich. Wenn Ahr zu Schiffe geht, fo Eommt Ihr 
von bier nad) Sinöpe, und von Sinspe nad Heraklea; **) 
von Herakléa Lönnt Ihr zu Land oder zu Wafler ohne alle 
Schwierigkeit weiter fommen; denn es gibt dort viele Schiffe.‘ 

Diefe Rede erregte bei Einigen den Argwohn, er fprecdhe 
fo aus Freundſchaft für Korylas, deſſen Gaſtfreund er war, 
bei Andern, aus Hoffnung auf Belohnung, wieder bei Andern, 
weil er befürchtet habe, ed möchte durch einen Durchzug der 
Helfenen dad Land der Sinopeer zu Schaden kommen. 

Die Hellenen befdyloßen, den Weg zur See zu ma- 
chen. Hierauf erklärte Kenophon: „das Heer, Ihr Sino: 
peer, bat Eurem Rathe gemäß feinen ‚Heimweg gewählt, 
doch nur unter der Bedingung, wenn eine hinfängliche Anz 
zahl Schiffe vorhanden ſeyn wird, daß auch nicht Einer zu: 
rückbleiben darf; wofern gber Einige zurückbleiben, und die 
Andern fid) einfchiffen follen, fo werden wir mit Beinem Fuße 
die Schiffe betreten. Denn wir wiffen, daß wir nur da, 
wo wir in gehöriger Anzahl zufammenpalten, ung retten, 
und das Nöchige zu unferm Lebensunterhalt haben werden; 
da aber, wo uns der Feind überlegen ift, nur das Loos der 
Sklaven zu gewarten haben.’ 





*) Ein Fluß in Bithynien , der ſich in's ſchwarze Meer ergießt. 
Er Heißt bei den heutigen Griechen Bartin, Partheni 
oder Bartan, bei den Türten Dolap 

++), Seeftadt in Bithynien ‚ einer norböftticen Landſchaft Klein⸗ 
aſiens am ſchwarzen Meere. 





— 


922 RXRenophon's Feldzug des jüngern Cyrus. 


Auf dieſe Erklärung riethen ihnen die Abgeordneten, 
Sefandte nach Sinspe zu ſchicken. Es gingen demnach der 
Arkadier Kallimachus, der Athener Arifton und der WUchäer 
Samolas als ſolche dahin ab. 

Während diefer Zeit Bam Xenophon, als er die vielen 
Hopliten, Peltaften, Bogenfchüsen, Schleuderer und Reiter 
anfah, mit Denen fid) wegen ihrer Erfahrung Etwas unters 
nehmen ließ, auf den Gedanken, in Pontus,* wo mit fo 
geringen Mitteln nicht leicht eine ſolche Macht aufgeſtellt 
würde, durch Gründung einer Stadt das Gebiet und ie 
Macht von Hellas zu erweitern. Die Stadt mußte, wenn er 
die Anzahl des Heeres und die Anwohner des Pontud in 
Betracht z0g, von großer Bedeutung werden. 

Er ließ diefer Sache wegen, ohne Einem vom Heere Ef: 
was von feinen Gedanken zu eröffnen, den Wahrfager Silanus 
von Ambrakia, **) deffen ſich Eyrus bedient hatte, Fommen und 
eine Dpferbefchauung anftellen. Silanus, beforgt, der Plan 
möchte zur Ausführung kommen und das Heer fidy irgendwo 
niederlaffen, verbreitete unter dem Heer das Gerede, Zeno⸗ 
phon wolle das Heer da behalten und eine Stadt gründen, 
um für ſich Ehre und Macht zu gewinnen; er, Silanus, da: 
gegen wünfchte, je eher je lieber, nad) Hellas zu Fommen; 
denn er hatte jene dreitaufend Darifen, welche er von Cyrus 
bekommen hatte, weil feine Opferdeutung wegen der sehen Tage 
eingetroffen war, noch alle bei einander. Einem Theile der Sol⸗ 
daten Leuchtete der Plan vollkommen ein, den größeren aber nicht. 


*) Die ſuͤdlichen Küftenländer des ſchwarzen Meeres. 
**) ©, 1, 7 . 


Funftes Buch. 923 


Timaſion aus Dardanus und Thorax aus Böotien äußerten 
gegen einige anweſende Kaufleute aus Heraklea und Sinöpe, 
wein dem Heere nicht vor feiner Abfahrt Hinlänglicher Gold 
zur Beköſtigung verabfolgt werde, fo hätten fie zu beforgen, 
daß fie die ganze Heeresmacht in Pontus behielten. ‚Denn 
Zenophon geht damit um, umd liegt uns an, fobatd die 
Schiffe anfommen, dem Heere zu eröffnen: „„Wir fehen. 
Euch, Ihr Männer, in der Lage, daß Ihr werer bei'm Ab⸗ 
fegeln Lebensmittel habt, noch bei Eurer Ankunft zu Haufe 
den Eurigen Etwas mitbringen könnt. Wenn ihr daher in 
dem Umkreiſe von Pontus Euch eine Gegend auserfehen 
wollt, fo möget Ihr fie einnehmen, und tann Jedem freis 
ftelfen, heimzugehen oder dazubleiben; Ahr habt nun Schiffe, 
um fogleih, wo Ihr nur wollt, eine Landung vorzunchs 
men. vu 

Als Dieß die Kaufleute vernahmen, hinterbrachten fie es 
ihren Städten; der Dardanier Zimaflon gab ihnen nech feis 
nen Landsmann Eurymachus und den Böotier Thorar bei, 
die das Nämliche ausfagen mußten. Die Sinopeer und Hera⸗ 
kleoten ließen dem Timaſion ſagen, er möchte das Geld in 
Empfang nehmen, und durch fein Anſehen das Heer zum Ab⸗ 
fegeln vermögen. 

Er übernahm diefen Auftrag mit Vergnügen und trug 
den Soldaten, die gerade beifammen waren, Folgendes vor: 
„Laßt Euch nicht einfallen, Ihr Männer, bier zu bleiben, 
nody Etwas höher ald Hellas zu achten. Und doch höre id), 
daß gewiſſe Leute über diefe Angelegenheiten, ohne Euch Et: 
was davon zu fagen, die Dpfer befragen. Ich verfpredhe 
Euch, wenn Ihr mit dem Neumond unter Segel geht, einen 





924 Xenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus. 


‚Epzitener *) monatlihen Sold, und will Euch nad) Troas 
führen, woraus ich vertrieben wurde; meine Vaterſtadt wird 
Euch unterflüßen; denn man wird mich mit Freuden aufneh⸗ 
men. Ich will Euch dahin führen, wo Ihr Euch anſehnlich 
bereichern ſollt. Ich bin in Aeolien, Phrygien, Troas und 
dem ganzen Gebiete des Pharnabazus bekannt, in jenem, 

weil ich dort zu Haufe bin, in diefem, weil id) daſelbſt uns 
ter Klearchus und Dercylidas gedient habe.‘ 

Da fland der Böotier Thorar auf, welcher Kenophon be 
ftändig wegen feiner Feldherrnſchaft anfeindete, uud ſagte: 
„Wenn Ihr Pontus verfaßt, fo ſteht Eucdh- der Eherfones 
offen, ein fchönes und gefeauetes Land, wo Jeder nach Belies 
ben bleiben oder nach Haufe gehen kann. Es wäre Lädjerlich, 
einen Wohnplatz unter den Barbaren aufzuſuchen, da man 
in Hellas Land genug und von der beften Beichaffenheit ha⸗ 
ben Bann. Bis Ihr dort ankommt, verfpreche ich Euch, wie 
Timaſton, einen Sold.“ 

Dieß ſagte er, weil er wußte, was die Herakleoten und 
Sinopeer, um die Abfahrt zu bewirken, verſprochen hatten. 

Bis dahin hatte Xenophon geſchwiegen. Als aber die Achäer 
Phileſius und Lykon auftraten, und erklärten, es fey doch 
arg, daß Kenophon fie zum Dableiben vermögen wolle, und 
hierüber die Opfer befrage, ohne vorher dem Heere ed mitzu⸗ 
theilen, oder fonft wo es zur Sprache zu bringen, fo fah 
Diefer ſich genöthigt, folgende Erklärung zu geben: „Sch 


*) Eine goldene Meünze, fo viel ald 28 Attifche Drachmen, oder 
ungefähr 6 Rthlr. Sie hatte den Namen von der Stadt 
Eyzitus in der Landſchaft Kleinmyfien an der Propontis 
(Mare di Marmora)., 


Sünftee Buch. 925 
opfere, Soldaten, wie Shr feht, für Euch und mich, fo viel 
ich Bann, um fo zu reden, zu denken und zu handeln, wie es 
für Eudy am rühmlichſten und beften iſt. So opferte ich num 
auch, um zu erfahren, ob es rathſam fey, Ddiefen Plan vor. 
Euch zu befprechen und zu betreiben, oder die Sache ganz und 
gar nicht zu berühren. Der Seher Silanus gab mir indeffen 
die Antwort, daß die Opfer in der Hauptſache günftig wä⸗ 
ren; denn er wußfe, daß auch ich davon einige Kenntniß 
habe, weil ich den Opfern beftändig beimohne; nur für mid, 
fagte er, verfündigen fie Hintertift und Nachſtellung; Das 
mußte er freilich am beiten willen, da er ſelbſt über (ich 
nahm, mid, bei Eudy zu verleumden. Denn er war es, der 
das Gerücht verbreitete, daß ih, ohne Eure Beiltimmung 
einzuholen, bereitd den Plan in’s Werk zu feen ſuche. Al⸗ 
lerdings würde id, wenn ich Euch in Noch gefehen hätte, 
Darauf gedacht haben, Euch in den Beſitz einer Stadt zu 
feßen, wo dann Jeder die Mittel hätte, entweder fogleich 
heimzufehren, oder erit, nach anfehnlihem Erwerb, bei feiner 
Heimkehr auch den Seinigen eine Freude zu bereiten. Da ic) 
num aber fehe, daß Euch die Herakleoten und Ginopeer 
Schiffe zur Abfahrt fchicden, und Einige vom Neumond an 
Sold verfprechen, fo dünkt mir Das gut, und diefer Sold ift 
ald eine Sugabe zu unferer Rettung nicht zu verfchmähen. 
Ich gebe fomit jenen Gedanken auf, und rathe aud) Denen, 
welche zu mir kamen und mir anlagen, den Plan zu ver: 
wirklichen, fich hierbei zu beruhigen.“ Meine Meinung 
ift die: wenn Ihr in folher Menge, wie jebt, beifammen 
feyd, fo werdet Ihr geachtet ſeyn und den nöthigen Unters 
halt haben; denn dem Sieger fällt auch das Eigenthum des 





926 Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus. 


Befiegten zu: trennt Ihr Euch aber und zerfpliftert Eure 
Macht, fo werdet Ihr weder Nahrung haben, noch nad 
Wunſch davon kommen. Ich halte daher, fo wie Ihr, für 
nothwendig, nadı Hellas heimzukehren, und Denjenigen, wel: 
cher zurüdbleibt, oder Miene macht, uns zu verlaffen, ehe 
das ganze Heer in Sicherheit ift, für einen Verbrecher an- 
zuſehen. Wer damit übereinftimmf, halte die Hand empor." 
Alle thaten es. 

Da fchrie Silanus und fuchte zu zeigen, wie es billig 
fey, das Weggehen Jedem frei zu ftellen. Die Soldaten 
aber Tießen ihn nicht weiter reden, fondern drohten ihm, 
wenn es ihm einfallen würde, wegzulaufen und fie ihn er: 
tappten, fo follfe ed ihm übel befommen, 

Als die Herakleoten erfuhren, daß die Abfahrt befchlofs 
fen fey, und Xenophon felbft darauf angetragen hätte, fchid: 
ten fie zwar die Schiffe, die Gelder aber, welche fie Timafien 
und Thorax zugefagt hatten, blieben auıs. 

Da geriethen Diefe, welche den Sold verfprochen hatten, 
in große Beflürzung; und weit fle fidy vor dem Heere fürch⸗ 
teten, vereinigten fie fi) mit den andern Heerführern, wit 
Denen fie wegen ihrer frühern Maßregeln Rückſprache ge: 
nommen haften (es waren dieß aber Alle, den einzigen Neon 
aus Afine, den Stellvertreter des abweſenden Chiriſophus, 
ausgenommen), und kamen zu Kenophon mit der Erflärung, 
dag ihnen ihr früheres Benehmen Leid thue und fie es fürs 
Rathfamfte hielten, da man jetzt Schiffe hätte, den Phafis” 


*) Hier ift- der wirkliche Phaſis, nicht der IV, 6. von Xeno⸗ 
phon faͤlſchlich für Hiefen genommene Arared gemeint. 





Künftes Buch. 997 


hinaufzuſegeln, und das Zand der Phaflanen, weiche damals 
ein Enkel des Aeetes beherrichte, in Bells zu nehmen. Ze⸗ 
nophon erwiederte: „ich werde hierüber dem Heere Peinen 
Antrag machen; ruft Ihr fie zufammen, wenn Ihr wollt, 
and tragt ed ihnen vor.’ Der Dardanier Timafion meinte 
Dagegen, man dürfte die Sache noch vor Beine Verſammlung 
bringen, es follte vorerft Jeder feine Haupfleute zu gewinnen 
fuchen. Sie entfernten ſich, und thaten alfo, 

7. Die Soldaten erfuhren wieder, was im Werke war. 
Man fagte, Kenophon habe die andern Heerführer auf feine 
Seite gebracht und gehe damit um, die Soldaten trüglidher 
Weiſe wieder an den Phafis zu führen. Als die Soldaten 
Dieß vernahmen, wurden fle fehr erbittert, hielten Zufammen: 
Zünfte und frafen Haufenweife zuſammen; fo daß zu befürdh- 
ten war, es fönnfe zu einer ähnlichen That kommen, wie die 
war, welche fie an den Koldyifchen Herolden und an den 
Marktmeiſtern verübten;s denn Diejenigen, welche ſich nicht 
auf das Meer retteten, waren gefleinigt worden. 

Arts Xenophon Die bemerkte, hielt er für nothwendig, 
die Soldaten zu verfammeln, und nicht zuzulaſſen, daß fie 
ſich eigenmäctig zufemmenrofteten; er ließ daher den He⸗ 
rold zur Verſammlung rufen. Da fie den Herold hörten, 
tiefen fie eilig zufammen, und Tenophon ſprach nun, ohne die 
Heerführer anzuklagen, da fie zu ihm gekommen waren, Sol: 
gendes: 

„Sch Höre, Soldaten, daß mir Jemand nachredet, als 
wollte ich Euch durch Lift an den Phaſis führen. Go hört 
‚mich alfo, bei den Göttern! Wenn ich als fchuldig befunden 
werde, fo fol id) nicht von bannen kommen, ohne daß ich die 





928 Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus. 


verdiente Strafe erlitten habe; wenn aber Diejenigen als 
fchufdig erfcheinen, die mir Soldyes nadyredeten, fo vergeftet 
audy ihnen nad Verdienſt. Ihr wißt doch wohl, wo die 
Sonne aufgeht, und wo fle untergeht, und daß, Wer nad 
Hellas will, ſich gegen Abend, und Wer zu den Barbaren 
will, umgebehrt gegen Morgen ſich wenden muß. Wer ſollte 
End) nan aufbinden wollen, daß die Sonne da aufgehe, wo fie 
untergeht, und daß fie da untergebe, wo fie aufgeht? Auch 
wißt Ihr doch auch wohl, daß der Nordwind aus dem Por: 
tus nach Hellas führt, der Südwind aber nad) dem Phafis 
hin; und daß Ihr, wenn der Nordwind weht, zu fagen pflegt: 
das ift der Wind, der uud nad Hellas bringt. 
Wie könnte man Euch alfo täufchen, fo daß Ihr bei'm Süd⸗ 
winde zu Schiffe ginget? Doch vielleicht fchiffte ih Euch 
während einer Windftille ein. Werde ich dann nicht bios 
in Einem Schiffe, und Ahr dagegen zum wenigiten in Bun: 
dert fahren? Wie könnte ich Eudy nun durdy Gewalt oder 
Lift dahin bringen, daß Ihr mir folgeet? Ihr follt aber 
‚von mir übertiftet und in Sauber befangen, an den Phaſis 
gelangen, und wir fleigen an’d Land: müßtet Ihr da nicht 
gewahr werden, daß Ihr nicht in Hellas ſeyd? Ich, der Euch 
betrog, flände dann als Einzelner gegen beinahe zehentan- 
fend Bewaffnete, die von mir hintergangen wären. Wie 
Eönnte wohl Jemand giner zuverläßigern Beſtrafung entgegen⸗ 
gehen, als wenn er fo gegen Euch und fich felbft verführe? 
Das ift alfo einzig ein Gefhwäs von verrüdten Leuten, 
welche mir Eure Achtung mißgönnen. Gleichwohl iſt ihre 
Mißgunſt ungerecht; denn Welchen von ihnen hindere ich, zu 
reden, wenn er Etwas zu Eurem Wohl vorzutragen bat, 


s 


Fünftes Buch. 929 


oder, wenn er will, für Euch und ſich zu kaͤmpfen, fih Eu⸗ 
rer Sicherheit wegen den Schlaf zu verfagen? Wem ftehe ich 
im Wege, wenn Ihr Eure Führer wählen wolle? Ich trete 
zurüd, mag er befehlen; nur daß er es zu Eurem Beten 
thut! Ich glaube num hierüber genug gefprochen zu haben; 
wenn aber don Eudy Einer glaubt, er ſelbſt würde fich wohl 
haben täufchen laſſen, oder könne einen Andern fäufchen, der _ 
trete auf, -und thue es und dar. — Wenn Ihr nun damit 
befriedigt ſeyd, fo laßt Euch nody bedeuten, welcher Geift in 
dem Heere auffommen will. Wenn diefer einreißt, und, wie 
ed den Anfchein hat, einheimifc, wird, fo ift es hohe Zeit, 
daß wir uns berathen, damit wir nicht vor Göttern und 
Menfchen, Freunden wie Feinden, als die unwürdigften und 
verworfenften Lente erfcheinen.”’ 

Als die Soldaten Dieß hörten, begriffen fie nicht, was 
er damit meinte, und forderten ihn auf, ed zu fagen. Da 
fuhr et fort: 

„Ihr wißt, daß ed auf den Gebirgen einige Ortſchaften 
der Barbaren gab, die mit den Ceraſuntiern befreundet wa⸗ 
ren, von denen Leute herabkamen und Schlachtthiere und 
Anderes, was fie hatten, an Euch verkauften. Auch duͤnkt 
mic), kamen Einige von Euch in den nächften Ort, und aufs 
ten fich dort Einiges ein. Als Dieb der Hauptmann Klea⸗ 
retus erfuhr, fo wie auch, daß ber Platz Elein und unbewacht 
fey, weil fie und für Freunde hielten, zog er, ohne und Et: 
was davon zu fagen - bei Nacht aus, um ihn auszupländern, 
Er hatte deu Plan, nad) Einnahme des Ortes nicht mehr 
zum Heere zurüdzufchren, fondern, was er erbeutet hätte, in 
das Schiff zu bringen, in welchem feine Zeltkameraden die 

Renophon. 78 Bbchn, 7 





930: Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus. 


Käften befuhren, und mit Diefen fogleich aus dem Pontus 
fortzufegeln. So hatte er ed, wie ich jest Höre, mit feinen 
Zeltkameraden in dem Fahrzeuge verabredet. Er fammelte alfo, 
fo Viele er überreden konnte, und rüdte mit ihnen auf die 
Drtfchaft Tod; auf dem Zuge aber überfam ihn der Tag, und 
die Einwohner, welche fich indeffen zufammengethan hatten, 
fhoßen und warfen von den feften Anhöhen herab, und töd⸗ 
teten Klearetus nebft vielen Undernz die Uebrigen entkamen 
nad) Eerafus. Dieß geichah an demfelben Tage, an welchem wir 
zu Lande Hieher den Zug anfraten; von Denen aber, welche zu 
Schiffe abgingen, waren Einige nody nicht abgefegelt, fondern 
hielten fi nody in Gerafus anf. Hierauf kamen, nad) Aus: 
fage der Gerafuntier, drei der älteſten Männer dee Ortes, 
und wollten fi an unfere Heerverfammlung wenden. Da fie 
uns aber nicht mehr trafen, wandten fie ſich an die Eerafun: 
tier und bezeugten Diefen ihr Befremden, daß wir fie. hätten 
überfallen wollen. Da Diefe ihnen erBlärten, daß diefer An: 
griff gewiß nicht, mit allgemeiner Genehmigung gefchehen fen 
ſo waren fie erfreut, und wollten uns nachfegein, um um 
das Dorgefallene anzuzeigen, und die Zobten Denen zur Be 
flattung verabfolgen zu Taffen, die ſich dafür verwendeten 
Einige jener geflüchteten Hellenen jedoch waren nod) in Ce 
zafne ; und als fie erfuhren, wohin die Leute wollten, unter 
fingen fie fi, fie mit Steinen zu werfen, und forderten aud 
ihre Kameraden dazu auf. So verloren die drei Abgeordne 
ten ihr Leben. Die Gerafuntier Bamen hierauf zu uns um 
erzählten uns den Vorfall. Wir Heerführer waren hierübe 
äußerft aufgebracht, und überlegten mit den Gerafuntiern 
wie die gebliebenen Hellenen möchten beftattet werden. In 


Fünftes Bud). 934 


dem wir ſo vor dem Lager ſaßen, vernahmen wir ploͤtzlich ein 
großes Geſchrei: ſchlag zu! wirf! wirf! und im Augen⸗ 
blick ſahen wir eine große Menge daherrennen, von Denen 
die Einen ſchon Steine in den Händen hatten, die Andern 
Pe vom Boden aufhoben. Die Eerafuntier, Augenzeugen der 
bei ihnen verübten That, flohen vor Schreden auf ihre Schiffe; 
und, bei’m Zeus, auch Einige von und fürdhteten für ihr eis 
genes Leben. Ich ging indeflen auf fie zu, und fragte, was 
der Lärm zu bedeuten habe. Da waren Einige, die es felbft 
nicht wußten, obgleich fle Steine in den Händen hatten. 
Als ich aber an Einen kam, der darüber Auskunft geben 
#onnte, fagte mir Diefer: „die Marktmeifter behandeln das 
Heer aufs ſchändlichſte.“ Während Deffen bemerkte Eis 
ner, daß der Marktmeifter Zelarchus nad) dem Meere hin 
entweichen wollte, und fchrie laut aufs und die Andern flürz- 
ten, als ginge es auf ein wildes Schwein oder einen Hirſch, 
auf ihn los. Die GEerafuntier, welche fie auf fich zußommen 
fahen, glanbten, ed gelte ihnen, nahmen in größter Eile die 
Flucht und flürzten fih ins Meer; aud Einige der Unfrigen 
fürgten ihnen nach, und Wer nicht fchwimmen Fonnte, ers 
trant. Was glaubt Ihr, daß Diefe von uns denken? fie hat- 
ten Nichts verbrocdhen, und mußten alfo befürdhten, es habe 
und, wie Hunde, die Wuth befallen. Wenn nun folche 
Dinge vorfallen, was glaubt hr, daß aus unjrem NHeere 


werden wird? Es fteht nicht .mehr in Eurer Gewalt, nad) 


gemeinfamen Befchlüffen Krieg anzufangen und Frieden zu 

fchließen: Jeder, dem es einfällt, führt das Heer, wohin es 

ihm beliebt. Kommen Geſandte zu und, und bitten um Fries 

den, oder in andern Angelegenheiten, fo werben fie von dem 
7 


932 Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus. 


Naͤchſten, Beſten umgebracht, ohne daß ihre Anträge an ung 
gelangen. Die Dbern, welche Ihr insgeſammt wählt, wers 
den Feinen Behorfam mehr finden; Wer ſich aber ferdft zum 
‚Anführer macht, und ſich einfallen läßt: „ſchlag zu! flag 
in!, zu fchreien, der ift der vechte Mann, und bat die 

acht, ohne Urtheil und Recht Anführer und Gemeine nad) 
Gutdünken umzubringen, wenn er Leute findet, die ihm fols 
gen, wie wir eben erft gefehen haben. So feht denn, was 
Diefe felbflgewänlten Führer Euch angerichtet haben. Wenn 
der Marbtmeifter Zelarchus Euch Unrecht that, fo fchifft er 
nun davon, ohne dafür geflraft zu fenn; wenn er Euch nicht 
Unrecht that, fo flieht er vor dem Heer, aus Furcht, ohne 
Urtheil und Recht fein Leben einzubüßen. Die, welche bie 
Sefandten gefteinigt, haben es dahin gebracht, daß wir unter 
alten Hellenen die Einzigen find, weldye ohne Heeresmacht 
nicht mit Sicherheit nach Cerafus gehen dürfen. Die Ger 
bliebenen,, welche uns Diejenigen, die fie getödfet hatten, 
früher felbft zur Beſtattung anboten, können wir jest andy 
nicht einmal durch einen Herold zurüderhalten. Denn Wer 
wird wohl als Herold hingehen wollen, da wir die Ihrigen 
getödfet haben? Wir haben deßhalb die Eerafuntier erſucht, 
fie begraben zu laſſen. Erklärt Euch nun, ob foldy ein Des 
fragen gebilligt werden fan? Damit, wenn Dieß ſo fort⸗ 
gebe, Jeder auf feiner Hut ift, und_fich nach einer befeftigten 

nhöhe für fein Lager umfieht. Haltet aber auch Ihr ein 
ſolches Betragen nicht für das von Menfchen, fondern von 
wilden Thieren, fo ſeyd daranf bedacht, demfelben Einhalt zit 
thun; wo nicht, wie werden wir dann, bei’m Zeus, den Göt- 
tern mit gutem Gewiflen opfern, wenn wir gottestäfterliche 
Handlungen begehen? wie wollen wir gegen die Feinde kaͤm⸗ 
pfen, wenn wir ſelbſt einander mürggn? Welche Stadt wird 
uns in Zreundfchaft aufnehmen, wenn ſie ſolche Geſetzloſig⸗ 
Peiß unter und wahrnimmt? Wer wird ſich gefrauen,, uns 
Lebensmittel zu Markte zu bringen, wenn wir gegen die er» 
ften ‘ Gefeltfehaftspflichten uns verfindigen? Wer wird uns 
nad) ſolchen Vorgängen. noch ded Ruhmes für würdig erachs 


| 


Zünftes Bud). 935 


ten, den. wir dor allen Menfchen zu erringen trachteten ? 
Wir felbft, ich weiß e8, würden, Die ſolches thun, für ruch: 
lofe Menſchen halten.‘ 

Da erhoben fich Alle und .erflärten, daß die Urheber dies 
fer Unordnungen beftraft werden müßten, und daß hinfort 
Peine folche Ausſchweifung verftattet werden follte; Wer fidj 
deſſen unterfinge, müßte bes Zodes flerbens die Heerführer 
folten die Schuldigen zur Derantwortung ziehen, und and 
gegen andere Vergehen, die feit des Cyrus Tode begangen 
worden feyen, gerichtlich verfahren; Richter follten die Haupt» 
fente ſeyn. Auch wurde auf Anrathen Xenophon's und mit 
Zuftimmung der Scher befchloffen, das Heer zu fühnen. Und 
die Sühne ward vorgenommen... ' 

8. Es ward nun andy) befchloffen, daß die Heerführer von 
ihrer bisherigen Amtsführung Rechenfchaft ablegen follten. Es 
geſchah; Philefius und Zanthikles mußten wegen vernachläf: 
figter Bewachung der Sciffsiadungen eine Geldftrafe von 
zwanzig Minen erlegen, Sophänetus von zehen Minen, weil 
er, ale erwählter Dberauffeher,, feinen Drlichten nicht nachge⸗ 
kommen war. Gegen Kenophon traten Einige mit der Klage 
auf, daß er ſie gefchlagen, und fonft übermüthig behandelt 
habe. Xenophon erhob fih, und hieß Denjenigen, der zuerft 
aefprochen hatte, den Ort nennen, wo er gefchlagen worden fey. 
Er antwortete: „Da, wo wir in dem tiefſten Schnee beinahe 
vor Kälte umkamen.“ — „Nun freilich, wenn id) bei fols 
hem Wetter, wie du da ſagſt, wo wir gar Nichts zn effen 
hatten, und nicht fo viel Wein, daß wir dran riechen Eonn- 
ten, wo unter dem Uebermaß von Elend Viele erlagen, indeß 
uns die Feinde auf dem Fuße folgten, wenn id) zu folcher: 
Stunde übermüthig war, fo muß ich, das geftehe ich, noch 
muthwilliger als die Efel feyn, die vor Kitzel, wie man fagt, 
die Müdigkeit nicht fpüren. „Sag' aber an,“ fuhr er fort, 
„warum bekamſt du denn Schläge ? verlangte idy Etwas von 
dir und ſchlug dich, da du mir’s nicht gabft ? oder forderte 
id Etwas von dir zurüd? bekam jd) einer Liebſchaft wegen 
Händel mit dir? oder überwarf ich mid) mit dir in der Trun⸗ 


954 Xenophon's Feldzug des jüngern Cyrus. 


kenheit?“ Als er Nichts von al Dem beiahte, fragte er 
ihn, ob er ein Hoplite fey? „Nein.“ Odb ein Peltafte? 
„Rein. Ic hatte, von meinen Zeltfameraden dazu beſtellt, 
‚ einen Maulefel_zu treiben, ob ich gleich übrigens ein Freige- 
borner bin.‘ Da erkannte Kenophon feinen Mann und fragte 
ihn: „Biſt du nicht Der, welcher: den Kranken fortbrady: 
te?“ — „Ja beim Zeus, Der bin ich; du aber zwangft mich 
Dazu, und warfft mir das Gepäde meiner Kameraden ausein: 
ander.‘ — „Das Uuseinanderwerfen, '' verfegte Kenophon, 
„befand darin, daß ic) es unter Andere vertheilte, und fie 
mir baffelbe wieder zuftellen hieß; und als id, Alles wieder 
wohlbehalten beifammen hatte, gab ich Dir es zurüd, da du 
mir deinerfeitd den Menfchen zeigtefl. Laßt Euch aber doch 
erzählen, wie das Altes zufammenhängt: es iſt der Mühe 
werth. Ein Mann blieb liegen, weil er nicht mehr weiter 
konnte; ich kannte den Mann nur fo weit, daß er der Uns 
fern Einer war; daher zwang ich dich, ihn forfzubringen, dar 
mit ev nicht umfomme; denn die Feinde, dünkt mich, folgten 
und auf der Ferſe.“ Der Menſch bejahte Dieß. „Ich ſchickte 
dich dann,” fuhr Kenophon fort, „voran, und fand did) fpäs 
ter, als ich mit dem Nachzuge herankam, wie du eben eine 
Grube machteſt, um den Dienfchen zu verfcharren, blieb bei 
dir ftehen, und Iobte dich.“) Allein als wir fo da flanden, 
zudte der Menſch mit dem Beine, und Alle riefen: er 
Lebt! Du aber fagteft: meinetwegen fo viel er will! 
ich bringe ihn nicht weiter! Da fchlug ich dich, du 
haft Recht; denn ed Fam mir ganz fo vor, als ob du wuß⸗ 
teft, daß er noch lebte. „Wie? (ſagte der Andere) war ber 
Menſch nicht nachher geftorben, als ich ihn dir zeigte?‘ — 
„Schon recht,’ entgegnete Kenophon, „wir werden Alle eins 
mal fterben; müffen wir aber darum lebendig begraben wer: 
den?“ Da riefen Alle, er habe nody zu. wenig Schläge be« 
fommen. Hierauf forderte Kenophon auch die Andern auf, 


*) Es ward bei den Alten für ein großes Ungluͤck angeſehen, 
wenn Einer unbegraben blieb. 


Fünftes Bud. 7956 


den Grund anzugeben, warum fie gefchlagen worden wären ? 
Als Nimand mehr auftrat, ſprach er felbft: „Ich geftche 
gern, Ihr Männer, daß ich Mehrere wegen Drdnungswis 
drigfeit gefchlagen babe, die ſich's zwar gefallen ließen, daß 
Ihr in gefchlofienen Reihen einherzoget und fochtet, wenn 
es Noth that; welde aber felbft ihre Reihen verließen 
und vorausliefen, um zu rauben und mehr Beute, als hr, 
zu machen. Wenn wir ed nun Alle fo gemacht hätten, fo 
wäre wohl Keiner von uns mehr am Zeben. Go habe ich 
auch den Zrägen, der nicht aufftehen wollte, und ſich den 
Feinden in die Hände geliefert hätte, gefchlagen und mit Ge—⸗ 
walt zum Gehen gebracht. Da ich felbft einmal bei burch- 
dringender Kälte Einige, die mit Aufpacken befchäftige waren, 
erwartete und mic, geraume Zeit niedergefegt hatte, konnte 
ic faum mehr aufflehen und die Beine ftreden. Seit die 
fer eigenen Erfahrung frieb ich Jeden, den ich fi fihen 
and fchläfrig werden fah, zum Gehen an; denn Bewegung 
und Ermannung erzeugte eine gewiffe Wärme und Rührig⸗ 
keit; durch das Niederfigen und Ruhen dagegen verdicte fich 
das Blut, wie ic) bemerkte, und die Zehen froren ab; was 
Dielen, wie Ihr ſelbſt wißt, begegnet ift. Ich habe wohl 
auch Andere, die aus Saumfeligkeit hinten blieben, und Euch 
ſowohl bei der Vorhut, als bei der Nachhut am Gehen hin- 
derten, mit der Fauſt gefchlagen, damit fie nicht von den 
Feinden mit der Lanze gefchlagen würden. Da fie num ge: 
rettet find, können fie mich nody zur Verantwortung ziehen, - 
daß ihnen von mir zu viel gefchehen fey! Wären fie den Fein⸗ 
den in die Hände gefallen, von Wem hätten fie da wohl für 
noch fo großes Unrecht Genugthuung fordern wollen? Ich 
rede, wie mir’d um's Herz iſt. Wenn ic, Einen zu feinem 
Beſten fchlug, fo glaube ich diefelbe Strafe, wie Eltern und 
-Zehrer für die Zucht ihrer Kinder und Schüler, zu verdienen, 
Schneiden und brennen doch auch die Aerzte, um ihre Krai- 
fen zu retten. Wenn Ihr aber glaubt, daß ich Solches aus 
Uebermuth gethan, fo bedenkt, daß ich jeht, den Göttern ſey 
es gedankt, muthigern und vafchern Sinnes bin und mehr 


936 -Kenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus ic. 


Wein trinke, und doch Niemanden ſchlage; denn jebt habt Ihr 
unumwölkten und. heitern Himmel. Wenn aber bei_einem 
Sturme die See hoch geht, feht Ihr da nicht, wie der Boyts⸗ 
mann auf dem vordern, der Steuermann auf dem bintern 
Schiff feinen Leuten oft fchon ob einem Winke zärnt? War: 
um ?.weil hier das geringfte Verfehen Alles zu Grunde rid- 
ten Bann. Daß ich mit Recht ſchlug, habt Ihr felbft beftä= 
tigt; denn nicht mit Stimmtäfelhen, nein mit Schwertern 
flandet Ihr da, und konntet ihnen helfen, wenn Ihr wollte; 
allein, bei'm Zeus, weder ihnen, noch mir wolltet Ihr gegen 
den Strafbaren zu Hülfe fommen; und fo beftärktet Ihr _diefe 
Unwürdigen, indem Ahr ihnen ihren Willen Tießet. Denn 
wenn Ihr unterfuchet, fo werdet Ihr finden, daß Die, welche 
jebt am meiſten pochen, damals die fchlechteften Soldaten 
waren. Der Yauftfämpfer Boisfus aus Theffalien beftand da= 
mals darauf, keinen Schild fragen zu dürfen, weil er Frank 
fey; und nun, höre ich, hat er fchon viele Kofyoriten ausge: 
zogen. Wenn Ihr klug feyd, fo verfahrt Ihr mit ihm auf 
die entgegengeſetzte Weile, wie man mit böfen Hunden ver: 
fährt : böfe Hunde bindet man am Zage an, und läßt fie bei 
Nacht (085 Diefen aber werdet Ihr wohlthun, bei Nacht an⸗ 
zubinden und bei Tag loszulaſſen. Uebrigens wundere id) 
mid), daß Ihr an Das,’ worin id) dem Einen oder Andern 
von Euch zu viel that, gar wohl denkt und Nichts verfchweigt, 
dagegen aber nicht erwähnt, wenn ic hier Einen genen Kälte 
fhüßte, dort Einen dem Feinde entriß, Jenem in_ Krankheit, 
Diefem im Mangel zu Hülfe kam, eben fo wenig, wie id 
den braven Mann lobte, und den kapfern Krieger nach Kräf: 
ten auszeichnete — auch daran will Keiner denken. Und doc 
ift es fhön, gerecht, gewillenhaft-und angenehmer, mehr des 
Guten, als des Böſen zu gedenken.” . 
Hierauf erhoben fie fi, ließen dem Verdienſte Tenophon’e 
Gerechtigkeit widerfahren, und Alles Tief zu feiner Ehre ab. 








KenophomWs von Athen 


Bert oe 





Uhtes Bändchen. 





Feldzug des jüngern Cyrus, 


überſetzt 
vn 


Dr. Leonbard Tafel 





Drittes Bändchen. 





Stuttgart, 
Verlag der J. B. Metz her ſchen Buchhandlung. 
Für Oeſtreich in Commiſſion von Mörfhner und Jaſper 
in Wien, 
1 8 ı 8 





Inhalt des ſechſten Bude. 





Cap. ı. Eine Gefandtfchaft der Paphlagonier wird bei einem 
Gaftmal mit manderlei Waffentänzen unterhalten. — Man fchliept 
ein Buͤndniß mit ihmen, geht vor Kotyora unter Segel und landet 
im Sinopiſchen Hafen Harmene. Xenophon fchlägt den ihm ans 
gebotnen Dberbefehl aus, und der eben zurüdgetehrte Chiriſophus 
übernimmt iin, — Cap. 2. Das Heer fegelt nach Herakléͤa. Es 
gibt einen Aufftand; die Hellenen theilen fi in drei Parteien. 
Sap. 3. Schlimme Folgen diefer Parteiungen. Die Artadier ' und 
Achaͤer, die Urheber der Uneinigkeit, erleiden eine Niederlage, 
werden von Xenophon gerettet und vereinigen fich nebft Diefem mit 
Chiriſophus beim Hafen Kalpe. Cap. 4. Beſchreibung des Ha⸗ 
fens. Die Soldaten, um eine Niederlaſſung zu verhindern, bezie⸗ 
hen kein Lager. Die Gebliebenen werden begraben, und man ſetzt 
Todesſtrafe auf jeden Vorſchlag einer Theilung des Heeres. Neon, 
welcher trotz den unguͤnſtigen Opferzeichen mit einem Heerhaufen 
auf Lebensmittel auszieht, verliert durch die Reiterei des Pharna⸗ 
bazus fünfhundert Mann. Die Uebrigen, welche ſich auf einen 
Berg geflüchtet, führt Renophon in's Lager zurück, Cap. 5. Ge: 
warnt durch die Gefahr beziehen die Griechen endlich auf der Land⸗ 
zunge ein feftes Lager. Xenophon zieht auf Lebensmittel aus, 
äßt unterwegs bie gefallenen Hellenen beerdigen, fchlägt ein feind- 
liches Heer und ehrt mit Bente in’d Lager zurüd, Cap. 6. Nach 
Vertreibung des feindlichen Heeres ylündern die Griechen in Bi: 
thynien. Der Spartanifche Statthalter Kleander von Byzantium 
kommt mit. dem trenlofen Derippus in Kalpe an, und wird von 
Lesterem gegen das KHellenenheer eingenommen. Man bietet ihm 
ben Dberbefehl an; er lehnt ihn ab, da die Opferzeichen ihm nicht 
günftig find; fo zieht das Heer unter feinen bisherigen Anführern 
durch Bithynien und kommt nach Chryſopolis. 





942 Zenophon’d Feldzug des jüngern Cyrus. 
Sechstes Bud. 





1. Während ihres Aufenthalts in diefer Gegend lebten 
Einige von den auf dem Markte gekauften Lebensmitteln, 
Andere von der auf Streifzügen in das Paphlagoniſche Ge: 
biet gemachten Beute. Doc, überfielen auch die Daphlagonier 
fehr oft Die, welche fich zu weit entfernten, und fuchten bei 
Nacht Diejenigen zu beunruhigen, welche weiter vorwärts 
vom Lager Bezelte hatten, fo daß fie fehr auf einander er: 
bitcert wurden. 

Korvlas aber, der zeitige Beherrſcher von Paphlagonien, 
tieß ren Hellenen durch Gefandte, welche Pferde und Ges 
wänder mitbrachten, entbieten, daß er geneigt fey, feinerfeits 
die Feindfeligkeiten einzuftellen, wenn auch fie fid) Feine mehr 
erlaubten. Die Heerführer antworteten , fie wollten hierüber 
mit dem Heere zu Rathe gehen, zogen fie aber Indeffen zur 
Tafel, und nahmen noc Andere dazu, welche fie ſchicklicher 
Weife einladen mußten. Nachdem man einige erbeufete Och⸗ 
fen und anderes Opfervieh gefchlachtet hatte, ſtellten fie ein 
ftaftliches Gaſtmahl an, wobei man auf Binfenlagern ruhte, 
und aus hörnernen Bechern, wie man fie bier vorgefunden 
hatte, trank. | 

Nach dem Trankopfer und der Abfingung des Paäans 
flanden zuerft Thracier auf, und begannen nad) der Floͤte ei- 
nen Waffentanz, wobei fie mit großer Behendigkeit hohe 
Sprünge machten, und die Schwerter ſchwangen; zuletzt hie⸗ 
ben fie auf einander Ins, fo daß Jedermann glaubte, fie träs 
fen einander; es war aber blofe Zäufchung, wenn Einer 


Sechstes Buch. 943 


fan. *) Die Paphlagonier erhoben hiebei ein großed Ges 
fchrei. Der Sieger z0g feinem Gegner die Rüftung aus, und 
ging, den Sitalkas **) fingend, davon; andere Thracier aber 
trugen den Beflegten, als ob er todt wäre, hinweg; er hatte 
aber keinen Schaden genommen. 

Hierauf £raten die Aenianuen und Magneten ++), auf, 
und führten einen Waffentanz auf, den fie Karpda +) naun⸗ 
ten. Er fand auf folgende Weife Statt. Der Eine legte 
die Waffen neben ſich auf den Boden nieder, und ſäete und 
pflügte, während er fich oft umfah, als ob er fich fürchtete. 
Da kam ein Räuber heran. Als Tener ihn erblidte, ergriff 
er die Waffen und ging ihm entgegen, und kämpfte mit ihm 
vor dem Pfluggefpann (alles Dieß thaten fie nad) dem Takte, 
den die Flöte angab); endlic, feflelt der Räuber den Mann 
und treibt das Joch Dchfen weg; Einige Mal überwältigte 
auch der Pflüger den Räuber, band ihm die Hände auf den 
Rüden, fpannte ihn neben die Stiere, und trieb ihn zum 
Ziehen an. 

Hierauf trat ein Myſier auf, in beiden Händen einen 
kleinen Schild Haltend. Bald nahm er im Zanze eine Stel- 
fung, als ob er es mit zwei Gegnern zu thun hätte, bald 
that er, als ob er fi mit den Schilden nur gegen Einen 

*) en der Waffentanz ift noch Heut zu Xage bei den Kor: 
en üblich. 
*r, Wahrſcheinlich ein Lobgeſang auf einen Thracifchen König 
dieſes Namens. 
*2**) Mölterfchaften in Theſſalien. 
p Eigentlich Saattanz oder Saͤetanz. Aehnliche Tänze werben 
— heutigen Tages von den Hellenen und Arnauten aufge⸗ 





944 Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus. 


deckte; bald drehte er fich in Wirbeln umher, bafd ſtürzte er 
die Schilde in den Händen Über den Kopf, und gewährte fo 
ein recht artiged Schaufpiel. Zulett tanzte er perflic, inbem 
er die Schilde zuſammenſchlug, auf die Kniee niederfiel und fich 
wieder erhob. Dieb Alles that er nach dem Takte der Flöte. 

Nach ihm traten die Mantineer und andere Arkadier, 
aufs ftattlichfte ausgerüftet, auf, und ſchritten unter Beglei⸗ 
tung von Flöten umher, fangen den Paͤan und tanzten, wie 
man bei feierlichen Aufzügen zu den Zempeln der Götter 
pflegt. Die Paphlagonier, welche alles Diefed mit anfahen, 
wunderten ſich höchlich, daß alle dieſe Tänze in den Waffen 
gefchahen. Als der Myſter ihr Erftaunen wahrnahm, beredete 
er eine Arbadier, der eine Tänzerin hatte, Diefe einführen 
zu dürfen; er kleidete fie aufs prächtigfte, und gab ihr einen 
leichten Schild in die Hand. Sie tanzte num. mit vieler 
Leichtigkeit die Pyrrhiche.“) Es entſtand ein großes Bei⸗ 
faliktatfchen, und die Paphlagonier fragten, ob denn in Hels 
las auch die Weiber mit in den Kampf zögen; worauf fle 
zur Antwort erhielten, daß eben fie **) es wären, die den 
König aus dem Lager vertrieben hätten. Hierüber ging die 
Nacht hin. 

Am fofgenden Zage führte man die Gefandten in bie 
Derfammlung bes Heeres, und Diefes ließ fidy die gegenfei- 
tigen friedlichen Vorfchläge gefallen. Hierauf begaben ſich die 


*) Nach Strabo ein Friegerifcher Tanz in ven Waffen, nad feis 
nem Erfinder Pyrrhichus fo genammt, ber ihn für junge Leute 
als Vorſchule zum Krieg erfand - 

“+, Vieilleicht eine ſtherzhafte epertveifung Deſſen, was Xenophon 
I, 10. von der Mileſia erzaͤhlt. 





.- — — — - 


@ Sechstes Bud. 946° 


Geſandten hinweg; die Hellenen aber gingen, als die gebd- 
rige Anzahl Schiffe da du ſeyn fchien, an Bord, und ſegel⸗ 
ten mit gutem Winde einen Tag und eine Nacht an Paphla⸗ 
gonien hin, 

Am folgenden Tage kamen fie nach Sinoͤpe, *) und lies 
fen in den Sinopifchen Hafen Harmene ** ein. Die Sinos 
peer wohnen in dem Paphlagonifhen Gebiet, und find eine 
Pflanzſtadt von Milet. Sie fhidten den Hellenen als Gaft- 


geſchenke dreitaufend Sceffel Gerſtenmehl, und fünfzehn⸗ 


hundert Eimer Wein. Hier kam Chiriſophus wieder auf ei⸗ 
nem Dreiruder bei dem Heere an. Die Soldaten hatten er: 
wartet, daß er ihnen Etwas mitbringen werde; allein er 
Grachte Nichts, als die Nachricht, daß der Admiral Anari- 
bins und die Andern viel Rühmens von ihnen hätten, und 
Aneribins verfpräcde, fle, fobald fie aus dem Pontus wären. 
in Sold zu nehmen. 

Sie lagen in dem Hafen Harmene fünf Tage. Ye näher 
fie nun Hellas kamen, deſto Iebhafter ward in ihnen das 
Verlangen, nicht mit leeren Händen heimzukehren. Gie 
glaubten aber, wenn fie einen Oberfeldherrn wählten, fo 
würde diefer Einzige, wenn Etwas auszuführen wäre, bei 
Tag und Nacht das Heer mehr in feiner Gewalt haben, als 
wenn fie ihrer Mehrere wären, und Dinge, die Verſchwie⸗ 
genheit erforderten, würden fo beffer geheim bleiben, erfors 
dere Etwas ſchnelle Ausführung, fo würde es fo am wenig⸗ 


*, Die heutige Stadt Sinop, Sinob, Sinus 
6) Br heut zu Tage Ar Liman, dad Heißt, ber weiße 


Renophon. 88 Bochn 2 


- 





946 Zenophon’s Feldzug des jungken Cyrus, 


ften Verzögerung erleiten, man brauche dann nicht erft mit 
ven Andern Rädfprache zu nehmen, fondern Fönne ausfüh- 
ren, was Einer beſchloſſen Hätte; früher nämlich hatten bie 
Seldheren alle Befchlüffe nady Stimmenmehrheit gefaßt. 

As fie damit umgingen,, wandten fie ſich an Kenophon; 
die Hauptleute Eamen und eröffneten ihm die Gefinnung des 
Heeres, und Jeder fuchte ihn durch Bezeugung ihrer Zunei- 
gung zur Uebernahme des Dberbefehls zu bereden. Zeno- 
phon war dem Antrag infoferne nicht abgeneigt, als ex fid) 
davon größere Ehre bei feinen Frennden, und einen größeen 
Namen in feiner Vaterſtadt verfpradiw vielleicht konnte er 
auch dem Heer einige Dienfte leiften. 

Nun erregten zwar diefe Gedanken in ihm den Wanſch 
nad) dem Oberbefehl. Wenn er aber bedachte, wie wenig der 
Menfch in die Zukunft fchauen koͤnne, und daß er fomit Ges 
fahr Taufe, den fchon erworbenen Ruhm wieder zu verlieren, 
fo wurde er unfchläffig. 

Als er zu Seinem Entſchluſſe kommen konnte, hielt er 
fürs Beſte, die Sache den Göttern vorzufragen. Er brachte atfo 
zwei DOpferthiere dar, und opferte Zeus dem Könige; denn ww 
Dieſen war er burd den Delphiſchen Drakelfpruch gemwiefen, 
und von ihm glaubte er auch, daß das Traumgeſicht her⸗ 
rühre, welches er hatte, als er anfing, fich der Führung des 
Heeres anzunehmen, Auch erinnerte er ſich, daß ihm, als er 
von Epheſus abging, um fi Eyrus vorftellen zu Taffen, zur 
Rechten ein fchreiender, jedoch figender Adler erfhien, uud 
baß der ihn begleitende Scher die Bemerkung machte, es fey 
Dieß ein wichtiges, Bein gewöhnliches Zeichen, beste auf 
Ruhm und Ehre, aber auch auf Mühe und Arbeit; denn 


Sechstes Buch. 947 


wenn ber Adler ſtillſitze, pflegen die andern Vögel am ehe: 
ften fid) an ihn zu wagen; auch verſpreche der Vogel Feinen 
Reichthum, weil der Adler nur im Fuge feinen Unterhalt 
finde. . 

Da er nun opferfe, Hab ihm ber Gott aufs deutlichfte 
zu erkennen, er folle fich weder um den Dberbefehl bewer« 
ben, noch ihn annehmen, wenn er ihm angefragen würde, 
Dieß gefchah auch wirklich. Als das Heer fich verſammelt 
hatte, beftanden Alte darauf, daß man einen Dberfetdheren 
wählen müße; und als Dieß befchloffen, ward Xenophon in 
Vorſchlag gebracht. Da es ſich nun entfchieden hatte, daß 
men ihn wählen würde, wenn Jemand den Antrag daranf 
ftelfte, ftand er auf und fprad) folgende Worte: ‚Soldaten, 
ich freue mich (denn ich bin ein Menfch) über die mir von 
Euch erwiefene Ehre, und bin Euch dafür verbunden und 
flehe zu den Göttern, mid) in den Fall zu fegen, zu Eurem 
Glücke Etwas beitragen zu können. Daß Ihr mich aber, wäh. 
rend ein Zacedämonier gegenwärtig iſt, zum Feldherrn erwählt, 
ft, wie mir daͤucht, weder für Euch, nod für mic, zuträge 
Ti, and) würdet hr, wenn Ihr Etwas bedürfet, Dieß nicht 
To Teicht von ihnen [den Lacedämoniern] erhalten. Aber auch 
für mich wäre die Sache gefährlih. Denn id) weiß, daß fle 
nicht eher aufhärten, meine Vaterſtadt zu befriegen, ald bie 
fie die ganze Stadt dazu gebracht hatten, daß fie den Lace⸗ 
dämoniern auch über fie den Oberbefehl zugeſtand. Nach dies 
{em Dugeſtoaͤndniß Priegten fie nicht weiter, fondern hoben die 
Belagerung anf. Wenn ich nun Alles Dieß weiß und dar⸗ 
auf bächte, meinerfeits ihr Anfehen, fo viel an mir wäre, zu 
ſchmaͤlern, fo würde ich mid) bald von ihnen in bie Graͤnzen 

2 


948 Xenophon’sd Feldzug des jüngern Cyrus. 


der Befcheidenheit zurüdgewiefen fehen. Wenn Ihr nun 
aber glaubt, daß Ihr bei einem Feldherrn weniger, als bei 
snehrern, Parteiungen haben wertet, fo wißt, daß ich, wenn 
Ihr einen Andern wählet, deflen Befehle niemals widerſtre⸗ 
sen werde; denn ich bin der Meinung, dab, Wer fi im 
Kriege gegen feinen Dbern auflehnt, feiner eigenen Wohlfahrt 
entgegenhandelt; wenn Ihr aber mid, wählen würdet, dürfte 
ih mid nicht wundern, wenn fi Weihe über Euch und 
mich befchweren würden.‘ \ 

Auf diefe Aeußerung erhoben ſich noch viel Mehrere, und 
drangen in ihn, den Oberbefehl zu überhehmen. Der Stym⸗ 
Phalier Agaſias bemerkte, es wäre lächerlich, wenn die Lace⸗ 
dämonier fo weit gehen wollten, daß fie ſich darüber aufhiel⸗ 
den, wenn Zechbrüder zufammentämen, und einen Anders 
ald einen Lacedämonier zum Zechkönige ) wählten. „Wenn 
Dieb an der Tagesordnung wäre, fo dürften wir auch nicht 
Sauptleute ſeyn, weil wir nur Urkadier find.” Diefe Rede 
Des Agaſlas ward mit Iautem Beifall auffenommen, 

* Da nun Xenophon fah, daß er noch weiter gehen müßte, 
trat er vor und erklärte: „Soldaten, damit Ihe wißt, wie 
Ihr mit mir fleht, fo fchwöre ich bei allen Göttern und Göt⸗ 
innen, daß, fobald ich Eure Gefinnung erfuhr, bie Opfer zu 


*) Der magister bibendi der Römer, Diefer war entweber 
Derjenige, der ein Gaſtmahl gab, oder welcher, durchs Roos 
gewählt, die Beforgung des Gaſtmahls auf Koften der ge 
ſammten Geſellſchaft uͤbernahm. Das Scherzbafte und Bir 
tere des Einfalls Liegt darin, dab die Gefellfchaft bei einem 
Lacedaͤmonier als Zechtönig Übel gefahren waͤre teil die Lux 
cedaͤmonier fehr auf Maͤßigkeit im Effen und Trinten hielten. | 


/ 


— — — — — — —4 


Sechstes Buch. - 949 


Hathe 309, um zu erforfchen, ob es Euch fromme, mir den 
Dberbefeht zu übergeben, umd mir, ihn anzunehmen; da ga⸗ 
ben mir denn die Götter fo deutliche Zeichen, daß felbft der 
Laie es eingefehen haͤtte, daß ich mid, der Feldherrnſchaft 
enthalten mũße.“ 

Nun wählte man Chirifophus. Als Diefer gewählt war, 
trat auch er vor und erBlärte: „Seyd überzeugt, Soldaten, 
dab auch ich mich micht aufgelehnt hätte, wenn Ihr einem 
Andern gewählt haben würdet. Für Kenophon .aber it es 
ein Glück, daß Ihr ihn nicht gewählt habt, da Derippus ihn 
bereits bei Anaxibius, fo viel an ihm war, anzufchwärzen 
fuchte, bis ich ihm zum Schweigen brachte Er ſagte unten 
Anderem: „„ich glaube, Xenophon wollte licher den Darda= 
nier Timaſion von dem Hecr des Klearchus, ald mich, einem 
gebornen LZaßonier, zum Mitanführer haben.” „Da Ihr num 
mid) gewählt habt,“ fuhr er fort, „ſo will audy ich mich ber 
fireben, nad) allen Kräften Euer Wohl zu förkern. Eo hal⸗ 
tet Euch denn bereit, damit wir morgen bei günfligem Winde 
unter Segel geben. Die Fahrt geht nach Herakla; dahin 
müßen Alle zu gelangen. fuchen; das Weitere wollen wir an 
Drt und Stelle in Weberlegung nehmen.“ 

3. Am folgenden Tage fegelten iTe bei günfligem Winde ab, 
md fuhren zwei Tage längs der Küfte hin. Bei diefer Fahre 
betamen te die Küfte des Jaſon, *) wo der Sage nad die 
Argo **) anlegte, und dann die Mündungen der Flüſſe zu 


»2) Ein Torgebirge. Jetzt Kay Vona. 
”*) Das berühmte Schiff der Argonauten, auf welchem fie unter 
Jaſon's Anführung nach Kolchis ſegelten ‚ um dort das gol⸗ 
dene Vließ zu holen. 


950 Zenophon’s Feldzug des jungern Cyrus. 


Geſicht, zuerſt Die des Thermödon, dann die-des Iris, des Ha⸗ 
lys und endlich des Partbenius;*) nachdem fie hier vorbeigeſe⸗ 
gelt waren,. famen fie nach Herallea, **) einer Helleniſchen 
Stadt und Manzung der Megareer; fie lag in dem Gebiete 
der Mariandyner. Sie legten bei ber Halbinſel Achern⸗ 
flag ***) ap. 

Hier ſoll Herkules zu dem Hollenhunde Cerberus hinab: 
geſtiegen ſeyn; und noch jetzt zeigt man die Wahrzeichen da⸗ 
von, eine mehr als zwei Stadien tiefe Höhle. +) 

Die Herakleoten fandten hieher den Hellenen als Gaſt⸗ 
geſchenke dreitaufen® Sceffel Gerftenmehl, zweitaufend Ei- 
mer Wein, zwanzig Ochſen und hundert Schafe. Durch bie 
dortige Ebene fließt der ungefähr zwei Plethren breite Fluß 
kykus. +7) 

Die Soldaten verfammelten ſich und berathfchlagten, ob 
fie den noch übrigen Heimweg aus dem Pontus zu Land oder 
zu Waffer nehmen ſollten; der WUdrier Lykon trat auf und 
fprach: „Es befremdet mich fehr, Ihr Soldaten, daß unfre 
Heerführer nicht darauf bedacht find, uns die gehörigen Mei: 





x , — 

*) Es find dieſe Punkte nicht nach der geographiſchen Ordnung 
angegeben. Das Jaſon'ſche Vorgebirge nebſt den Fluͤſſen 
Thermoͤdon, Iris und Halys haben ihre Lage zwiſchen Ko⸗ 
tyora und Sinoͤpe. 

*5) Die heutige Stadt Erekli oder Erakli, nach Rennel. 
» Arakali, auch Pendarachi, ans Pont Arachy ver 
-borben. 

HD Nach Andern ftieg Herkules bei dem Vorgebirge Taͤnarus in 
Lakonien in die Unterwelt. 

17) Die ift ‚nicht der bekannte Fluß Lykus in Phrygien,. der ſich 
in den Iris ergießt und Koulaihiſſar heißt, 





[4 


Sechstes Buch. 951 
fegelder zu verſchaffen; *) denn mit den Gaugeſchenken reicht 
das Heer nicht drei Tage and, und doch haben wir auch Beis 


nen Ort, aus dein wir unfen Mundoorrath beziehen könn⸗ 
ten. Ich trage alfo darauf: an, daß wir von den Herakleo⸗ 


‚ten nicht weniger ald dreitaufend Epzicener begehren. Ein 


Anderer meinte, man müßte nicht weniger als zehntaufenk 
Cyzicener, monatliche Löhnung, verlangen, und fogleich, wähs 
send. fie hier noch verfammelt wären, mit diefer Forderung 
Gejandte in die Stadt abfertigen, um ihre Antwort zu ver. 
nehmen, und hiernad) die Maßregeln zu nehmen. 

Hierauf fhlugen fie zum Behuf der Gefandtichaft eriiii 
Ehirifophus als erwählten Dberfeldheren vor; Einige auch 
Kenophon; Beide aber Ichnten das Unfinnen auf's entfchies 
denfte ab, weil fie es für unbilfig hielten, eine Hellenifche 
und befreundete Stadt zu Etwas zwingen zu wollen, was fie 
nicht aus freien Stüden gab, 

Als Diefe keine Luft dazu bezeugten, fandten fie den 
Acker Lykon, den Parrhafler Kallimachus und den Stym⸗ 
»halier Ugaflas ab. Diefe gingen ab und eröfineten den He⸗ 
zableoten die Forderungen des Heeres, und Zufon foll noch 
Deohungen hinzugefügt haben, falls fie fich deffen weigern 
ſollten. Nach Anhörung Deffen erwiederten die Herakleoten, 
fie wollen die Sache in Ermägung ziehen, führten aber fos 


*) Unter zweierlei Namen wurde Zahlung geleiftet: erftlich für 
die Mühe des Dienftes Loͤhnung, welde der Soldat zu: 
ruͤcklegen Eonnte, ausgenommen, was er auf Waffen und 
Kleidung verwenden mußte; dann für die Verpflegung 
(was bier gemeint iſt), welche ſetten in Natura geleiſtet 
wurde. 


952 Zenophon’s Feldzug -des. jüngern Cyrus. 


gleich alle Habe vom Land in die Stadt zuſammen, verlegten 
den Markt nad der Stadt, verfchloßen die Thore, und anf 
den Mauern zeigten fih Bewaffnete. 

Die Urheber alles Deffen befchufdigten jetzt die Heerfüh⸗ 
zer, daß fie die Sache verdorben hätten. Die Arkadier und, 
Achäer thaten fi) unter den Rädelsführern Kallimachus aus 
Parrhaſia und dem Acker Lyfon zufammen, Gie fleiften 
fih darauf: „es fey eine Schande, daß ein Athener über Pelo⸗ 
»onnefler und LZacebämonier befehlige, ohne dem Heere Trup⸗ 
pen zugeführt zu haben; fie hätten die Mühe, Undere den 
Nutzen; und doch feyen fie ed, denen man die Rettung vers 
Dante; fie, die Arbadier und Achder, hätten Alles gethan; 
das übrige Heer komme nicht in Betracht (wirklich beftand 
das Heer audy über die Hälfte aus. Arkadiern und Achäern). 
Wenn fie alfo klug wären, würden fie fi zufammen thun 
und unter Unführern, aus ihrer Witte gewählt, den Rüds 
weg antreten und ſich Vortheile zu verfchaffen ſuchen.“ Dieß 
fand Beifall; was von Arkadiern oder Achäern unter Chi⸗ 
rifophus oder Kenophon fland, verließ Diefe und vereinigte 
ſichz fie wählten unter fid) zehn Anführer, die nach Stim- 
menmehrheit thun follten, was gut befunden würde So 
verlor Ehirifophus am fechsten oder fiebenten Tage nach feis 
ner Ermwählung wieder den Oberbefehl. 

Tenophon wollte Anfangs mit ihnen fortzichen, weil er 
es fo für ficherer hielt, als wenn Jeder einzeln ziehen wollte; 
Neon aber redete ihm zu, allein zu gehen, weil nad) der 
Ausfage des Ehirifophus Kleander, Statthalter von Byzanz 
tium, in den Hafen vor Kalpe mit Dreirudern kommen wollte. 
Dieß vieth er ihm aber, damit fle mit ihren Soldaten allein 


— — — — — — 


—. wu — —— vr — 


Sechstes Buch. 955 


den Dortheiläihätten, auf diefen Schiffen abzuſegeln. Chis 
riſophus, verdrießtidy ;über jene Vorgänge, und deßhalb dem 
Heere abgeneigt, fteltte ihm frei, zu thun, was er für guf 
fände. 

Kenophon trug fi) nun mit dem Gedanken, das Heer au 


verlaſſen und allein zu Schiffe abzugeben; als er aber Her: 


kules, dem Führer, opferte, und ihn um Rath fragte, ob 
ed beffer und vortheilhafter fey, an der Spise der ihm treu⸗ 
gebliebenen Mannſchaft zu bleiben, oder fi von ihr zu 
trennen, bedeutete ihm der Gott durch die Opfer, er ſolle ſich 
zu dem Heere halten. 

So zerſtel das Heer in drei Theile. Die Arkadier und 
Achaͤer waren ihrer mehr denn viertauſend fünfhundert Mann, 
lauter Hopliten; Chirifophus hatte noc gegen tauſend viers 
hundert Hopliten, etwa fiebenhundert Peltaften, die Thracier 
des Klearchus, Kenophon gegen fiebzehnhundert Hopliten 
und an breihundert Peltaſten; auch hatte er allein Reiterei 
an vierzig Mann. 

Die Arkadier wußten fih von den Herakleoten Fahr⸗ 
zenge zu verfchaffen, und fegelten zuerſt ab, um plößlicd, im 
Bithynien *) einzufallen und recht viele Beute zu machen; 
fie landeten im Hafen von Kalpe, **) beinahe in der Mitte ' 
von Thracien. Chirifophus zog von Herakloͤa an zu Lande 


9 — das Aſiatiſche Thracien genannt, eine Landſchaft an der 
Kuͤſte des ſchwarzen Meeres; die Bewohner dieſes Landes 
. hatten gleichen Urſprung mit den europaͤiſchen Thraciern, 
und in Sprache und Sitten vieled Achnliche. 
*0) Nach Rennel Heißt er heut zu Tage Kirpe oder Garpah, 
nad) Reichard Buſadsje. 





954 Renophon's Feldzug des: jüngern Cyrus. 


weiter; als er nach Thruzien am, zog er laͤngs dem Meere 
bin; *) denn er war fchon kraͤnklich. Xenophon aber fchiffte 
ſich ein und landete auf der Gränze zwiſchen Thracien und 
dem Bebiete von Heraklea, und zog nun mitten durdys Land, 

3. Wie Ehirifophus den Dberbefehl verlor und das Heer 
der Hellenen ſich trennte, ift „bereits gezeigt worden. Die 
Unternehmungen der einzelnen Heerhaufen waren folgende: 
die Arkadier liefen Nachts in den Hafen von Kalpe ein, und 
rückten nad) ihrer Landung im die Dörfer vor, weldye unge. 
fähr dreißig Stadien vom Meere lagen. Mit Anbrudy des 
Zages führte jeder Heerführer feine Abtheilung in ein Dorf; 
ſchien eines zu bedeutend, fo zogen je zwei Heerführer mit: 
einander. Sie beftimmten aud einen Hügel, wo fie fi 
ſaͤmmtlich wieder zu vereinigen hätten; und da fie unvermu⸗ 
thet eingefallen waren, machten fie viele Gefangene und brach⸗ 
ten viele Schafe auf, Jetzt zogen ſich die entflohenen Thra—⸗ 
eier zuſammen; ed waren, ald Leichtbewaffuete, Viele unter 
den Händen der Schwerbewaffnefen entfommen. Als fle beis 
fammen waren, machten fle ſich zuerft über den Heerhaufen 
des Smikres, Eines der Arkadifchen Heerführer, her, da er 
eben mit vieler Beute ſich nad) dem verabredeten Sammels 
Plate. zurückziehen wollte. 

Anfangs zogen fi die Hellenen under beftändigem Kam« 
pfe zurück; beim Uebergang über einen Hohlweg aber wur⸗ 
den fie in. die Flucht gefchlagen, und Smikres mit allen feis 
nen Leuten blieb auf dem Plah. Don einer andern Heeres⸗ 


* Um etwaige Gefechte mit den Eingebornen zu vermeiden, und 
fo bald als möglich nach Kalpe zu kommen. 


An —- 


Sechstes Buch | 956 


abthailung, weiche Hegefander, gleichfalts Einer der schen Heer⸗ 
führer, befehligte, Fam nur Hegefander nebft acht Mann mit 
dem Leben davon. Die audern Anführer erafen mit oder ohne 
Beichmerden an dem beflimmten Plate ein. Nach diefen glück⸗ 
lichen Erfolgen riefen die Thracier einander zu, und verfans 
melten in der Nacht eine beträchtliche Macht. Mit Anbruch 
des Tages umringsen fie Ben Hügel, auf dem ſich die Helles 
nen gelagert: hatten, Reiter und Peltaſten in großer Zahl; 
immer frömten noch mehrere herbei, und griffen ohne irgend 
einen Verluſt die Hopliten an. 

Die Hellenen hatten weder Togenfchügen,, noch Solche, 
welche Wurfipieße warfen, noch auch Reiterei; die Feinde 
dagegen liefen oder ritten heran und fchoßen; wollte man ih: 
nen zu Leibe, fo flohen fle wieder eben fo fchnell davon; dieſe 
Angriffe gefchahen von alten Seiten. Won den Hellenen 
wurden Diele verwundet, von ihnen aber Keiner. Auf diefe 
Weile Eonnten fie nicht von der Stelle, und am Ende ſchnit⸗ 
ten ihnen die Thracier auch das Wafler ab. ’ 

In diefer Außerft mißfichen Lage unterhandelten fie wes 
gen eines Waffenſtillſtandes. Man ward über alle Punkte 
einig, nur wollten die Thracier Beine Geißeln geben, was die 
Hellenen verlangten; daran hing noch die Sache. So flans 
den die Angelegenheiten ter Arkadier. 

Chiriſophus zog fih, ohme angefochten zu werden, am 
Meer Hin, und gelangte an den Hafen von Kalpe. Xenophon 
aber nahm feinen Weg mitten durch's Land Hinz feine Reis 
ter, welche vor dem Zuge voraus waren, trafen einige alte 
Leute, die irgend wohin reifen wollten. Da man fie zu Xe⸗ 
nephon geführt hatte, fragte er fie, ob fe von Feinem andern 





956 Renophon's Feldzug des jüngern Cyrus. 


Helleniſchen Heere gehört hätten. Diele erzähiten ihm Alles, 
was vorgefalfen war, wie die Hellenen auf einem Hügel, 
ringsum eingefchloffen, von der gefammten Macht der Thra⸗ 
cier befagert würden. Da Tieß er die Leute in fichere Ver⸗ 
wahrung nehmen, um fid, ihrer nöthigenfalis ald Wegweifer 
zu bedienen, ftelite hierauf zehn Vorpoſten aus, rief Die Sol⸗ 
daten aufammen und ſprach, wie folgt: 

„Soldaten, ein Theil der Arkadier ift geblieben, die Les 
brigen find auf-einem Hügel eingefchloffen. Kommen auch 
Diefe um, fo ift es, fürchte ich, auch um und gefchehen, da 
die Feinde fo zahlreich und fo unternehmend find. Wir thun 
daher am beften, den Leuten in alter Eile zu Hülfe zu kom⸗ 
men, um, wenn fie nod am Leben find, vereint mit ihnen 
gegen den Feind zu Pämpfen, und nicht, allein noch übrig, 
auch die Gefahr allein beftehen zu müßen. Lagern wir und 
alfo erſt dann, wann wir zuvor nod) weiter gerückt find, bie 
ed Zeit zum Abendeſſen feyn wird. Während des Zuges folk. 
Zimafton mit den: Reitern vorausziehen, doc, fo, daß er uns 
im Auge behält, und Alles, was vorn ift, beobachten, damit 
ans Nichts entgeht (zugleich fandfe er einige Leichtbewaffnete 
auf die Seiten. und die nahen Anhöhen ab, um fogfeich von 
da ein Zeichen zu erhalten, wenn fle irgend woher Etwas bes 
merfen follten; auch befahl er ihnen, Altes, was fie könnten, 
in Brand zu fleden). „Denn, fagte er, „hier zu entkom⸗ 
men, ift Beine Möglichkeit; weit int der Rückweg nach Hera 
lea, wenn wir folhen wieder einfchlagen wollten, weit der 
Weg nach Ehryfopoiis, die Feinte find uns nah, den Hafen 
von Kalpe, wo Ehirifoppus, wenn er glücklich durchgekom⸗ 
men iſt, angelangt feyn wird, erieichen wir noch am eheften. 


r 


Sechstes Bud). - 967 


Dort aber haben wir Beine Schiffe, auf denen wir weiter fegeln 
fönnen, und bleiben wir, fo haben wir nicht einmal auf Eis 
nen Tag. hinlänglich Lebensmittel. Weberdieß ift es, wenn 
die Eingefchloffenen ung zu Grunde gehen, weit fchwerer für 
uns, blos mit Chirifophus Leuten vereinigt die Gefahren des 
Kriegs zu beftehen, als wenn wir Diefe erhalten, und ver 
einige mit ihnen auf unfere Rettung denken. Wir müßen in 
der Weberzeugung weiter ziehen, entweder ruhmpoll zu ſter⸗ 
ben, oder die fchönfte That, die Rettung fo vieler Helienen, 
zu bewirken. Vielleicht fügt es die Gottheit fo, indem fie jene 
Sroßfprecher, die ſich für klüger hielten, für ihren Hochmuth 
demäthigen, und ung, die wir Alles mit den Göttern begins 
nen , höhern Ruhm verleipen will. So folgt mir denn, 
und traget Sorge, die gegebenen Befehle aufs genauefte zu 
befolgen.‘ “ ' 

Damit trat er den Zug an. Die Reiter zerftreuten ſich, 
fo weit es ficher war, und fledten Alles, wo fie hinkamen, 
in Brand. Audy;die leichten Trappen flreiften nad, den Hd: 
ben hin, und zündeten alles Breunbare an, und fo auch das 
übrige Heer, wenn Etwas übrig gelaffen wurde; fo daß die 
ganze Gegend in Feuer zu flehen und ein großes Heer anzu: 
rüden ſchien. Als es Zeit war, Tagerten fie fi auf einem 
Hügel, wo fie die Feuer der Yeinde erblidten (denn fie was 
ren noch ungefähr vierzig Stadien entfernt); fle zündeten 
deßhatb auch ihrerfeits fo viele Feuer als möglich an. So⸗ 
bald fie aber die Abendmahlzeit eingenommen hatten, ward 
Befehl gegeben, alle Feuer auszuloͤſchen. 

Sie fteliten nun die Nacht über Wachen aus und begas 
ben fiy zur Ruhe; mit Anbruc des Tages aber beteten fie 


958 Zenophon’s Feldzug "des jüngern Cyrus. 


zu den Göttern und rückten hierauf in Schlachtorbnung mit 
möglichfter Eile vor. Tintaflon, der mit den Reitern und dem 
Megweifern voranritt, kam, che er es vermuthete, anf dem 
Hügel an, anf welchem die Hellenen umzingelt waren. Sie 
fanden da weder Freunde nody Feinde — wovon fie fogleich 
Kenophon und Das Heer in Kenntniß ſetzten — fondern nur 
alte Weiber und Männer, nebft wenigen Schafen und Ochſen, 
welche zurüchgeblieben maren. 

Anfangs wußten fie ſich die Sache nicht zu erklären; 
dann erfuhren fie von den Zurücgebliebenen, daß die Thra⸗ 
cier fogleich Abende, die Helienen früh Morgens abgezogen 
wären; wohin aber, wüßten fie nicht. 

Auf diefe Nachricht brach Kenophon mit feinen Leuten 
nach eingenommenem Fruͤhmahl ſogleich wieder auf, um fid) 
fo bald wie möglich mit den Undern an dem Hafen von Kalpe 
zu vereinigen. Unterwegs fanden fie die Zußftapfen der Ar: 
kadier und Achäer dem Hafen von Kalpe zufgerichtet. 

Nachdem fie dort anfefonmen waren, waren fie hoxh 
erfreut, einander wieder zu fehen, und umarmten ſich als 
Bruͤder. 

Da erkundigten fldy die Arkadier bei Renophones Leuten, 
warum fie die Feuer ausgelöſcht hätten. „Wir glaubten,‘ 
fagten Diefe, „anfänglich, als wir keine Feuer mehr fahen, Ihr 
würdet den Feind in der Nacht noch angreifen; Daffelbe 
fchienen die Feinde zu befärdyten; denn faft um dieſelbe Seit 
nahmen fie ihren Abzug. Als Ihr aber nicht kamet und die - 
Zeit und zu lang däuchte, meinten wir, Ihr hättet unfer 
Schickſal erfahren und Euch nun aus Furcht gegen das Meer 


Sechstes Buch. 959 


zu geflüchtet; wir beſchloßen daher, Euch nicht im Stiche zu 
laſſen, und ſo ſind wir hieher gelangt.“ 

4. Dieſen Tag blieben ſie auf dem Geſtade am Hafen. 
Der Ort, der Hafen von Kalpe benannt, liegt in dem Affe: 
Yifchen Thracien; dieſes Thracien erfiveckt fid von der Müns 
dung des Pontus an, wenn man bon dorther nad) dem Pon⸗ 
tus zu fegelt, rechts bie nach Herakléa. 

Don Byzantium nach Heraklea braucht ein mit Rudern 
wacker unterſtütztes Dreiruder einen vollen Tag. Dazwifchen 
trifft man Peine befreundete oder Helfenifche Stadt: es woh⸗ 
nen da die Bithyniſchen Thracier, welche alfe Hellenen, die 
durch Schiffbruch oder auf andere Weife an ihre Küffe ges 
trieben werden, anfs graufamfte mißhandeln follen. 

Der Hafen von Kalpe *) Tiegt gerade zwifchen Heraflda unb 
Bpzantium in der Mitte. Der Platz ſelbſt erftrecht ſich in's 
Meer hinein; feine Meerfeite bitter ein fchroffer, wo er am 
niedrigften ift, gute zwanzig Klaftern hoher Felfen. Die 
Erdzunge, welche diefe Landfchaft mit dem Feſtlande verbin- 
det, ift höchſtens vier Plethren breit; die Landſchaft ſelbſt 
Hält fo viel Raum, daß zehntanfend Menfchen in ihr mohs 
nen fönnen. Der Hafen liegt unter dem Felſen, und hat 
gegen Welten fein Ufer. Auch fließt dicht am Meere eine 
unverfiegliche Duefe füßen Waſſers, weldye noch in dem Bes 
reich des Piabes ift. Sowohl anderes Holz wächst in Menge 


*) Da dieſer Matz der Beſchreibung nach fehr viel Aehnliches 
mit Gibraltar Hat, und amıy Gibraltar im Alterthum Kalpe 
web fo leitet Dieß nach Rennel auf die fehr wahrſcheinuche 

Vermuthuug, daß dieſer Name bei beiden zugleich bie eigens 
thuͤmliche Dertlichteit bezeichnete. 





960 Zenophon’s Feldzug bes jüngern Cyrus. 


dicht am Meer, als auch ſehr vier fchönes "Sciffdaus 
hol. Der Berg am Hafen erſtreckt fich beinahe zwanzig 
Stadien ind Land hinein und- ift landwärts erdig und flein- 
los; auf der Meeresfeite aber ift er über zwanzig Stabien 
weit dicht mit einem Walde von mancherfei hohen Bäumen 
bewachfen. 

Die Übrige Gegend ift reizend, ausgedehnt, uud ent: 
Hält viele volfreiche Dörfer. Der Boden trägt Gerſte, Weis 
zen, alle Arten von Hülſenfrüchten, Fennich, Sefam, eigen 
in Menge, viele Weinftöcde, die Tiedlichen Wein kiefern, kurz 
Altes, nur Beine Deblbäume. So war das Land befchaffen. 

Sie Iagerten fih am Geſtade, weil fie Fein eigentliches 
Lager beziehen wollten, ba folches leicht in eine Stadt konnte 
umgewandelt werden, Denn fie argwähnten ohnehin fchon, 
man habe fie planmäßig hieher geführt, weil Einige hier eine 
Stadt zu erbauen wuͤnſchten. Die meiften Soldaten nämlich 


waren nicht aus Mangel an Lebensunterhalt in Cyrus Dienfte . 


getreten, fondern weit fie feinen Heldenfinn rühmen hörten; 
Manche brachten noch Andere mit, febten ſogar ihr eigenes 
Vermögen zu, Undere waren von Vätern und Müttern weg- 
gelaufen, noch Undere hatten fogar Kinder zu Haufe, und 
wollten, mit Schägen begabt, zu Diefen zurückkehren; denn 
fie hatten von Andern gehört, daß fie fich bei Cyrus Außerft 
gut fländen. Aus alten diefen Rückſichten fehnten fie ſich 
jest wieder nach Hellas zurück. 

Früh am Morgen nad) ihrer Vereinigung, opferte Kenos 
phon wegen des Auszuges, denn man mußte nad) Lebensmit⸗ 
sein ausziehen; auch gedachte er, die Todten zu beerbigen. 
Nach vollbrachtem Dpfer folgten ihuen auch die Arkadier, und 


— 


x 


Sechstes Buch. 961 
fie begruben die meiften, da wo ſie foldye fanden; denn fie la⸗ 
gen ſchon fünf Tage und Eonnten deßhalb nicht weiter ge: 
bracht. werden; Einige, die am Wege lagen, trugen fie zu: 
fammen., und beftatteten fie fo feierlich, als esldie Umſtände 
erlaubten; Denen zu Ehren, welche fie nicht vorfanden, er: 
richteten fie einen großen Srabhügel und legten Kränze dars 
auf. Nachdem Dieß gefchehen war, Eehrten fie nach dem Las 
ger zurüd. Da legten fie ſich nad) derı Abendeſſen zur Ruhe; 
am folgenden Tage kamen alle Soldaten, vorzüglich auf Zu: 
zeden der Hauptleute Aanflad aus Stymphalus und Hieronys 
mus aus Elis, und einige Andere von den älteſten Arkadiern 
zufammen, und faßten den Beichluß, wenn je wieder Einer 
die Theilung des Heeres in Anregung brächte, der ſollte mit 
dem Tode beftraft, das Heer aber auf den.alten Fuß zurüd- 
gebracht werden und unter feinen vorigen AUnführern flehen. 
Lhirifophus hatte inzwifchen in der Fieberhibe Gift genom: 
wen und war bereifs geftorben ; an feine Stelle trat Neon 
aus Afine. 

Hierauf erhob ſich Kenophon und fprah: ‚Soldaten, 
wir müffen nothwendig unfern Zug zu Lande fortfeben, da 
wir feine Schiffe Haben; und bleiben wir länger hier, fo ge- 
bricht es uns an Lebensmitteln. Laßt uns denn: die Opfer 
zu Rathe ziehen. Ihr aber rüſtet Euch zum Kampfe, wie 
nur je; denn die Feinde haben wieder Muth bekommen.‘ 

Die Heerführer opferten hierauf im Beiſeyn ded Sehers 
Arexion aus Arkadien; Silanus aus Ambracia hatte ſich im 
Heraklea ein Schiff gemiethet, und ſich bereits davon ge⸗ 
macht. Die Opfer aber waren für den Abzug nicht guůnſtig. 

Renophon. 86 Bochn. 


962 Renophon's Feldzug des jüngern Cyrus. 


Man blieb alſo noch dieſen Tag. Da unterfingen ſich 
Einige zu ſagen, Xenophon habe, weil ex hier eine Pflauzung 
anzulegen wünfche, den Scher zu der Erklärung vermocht, 
daß die Opfer für den Auszug nicht günftig wären. Er lief 
deßhalb durch den Herold ausrufen, es dürfe am morgenden 
Zage, Wer da wolle, dem Opfern beitmohnen : und wenn noch 
ein Seher bei’'m Heere wäre, fo folle er erfeheinen, und die 
Beſichtigung der Opfer mit vornehmen. Es ſtellten fich 
ein. Jetzt opferten fie wieder dreimal wegen des Abzuges, 
- ohne gänftige Anzeigen zu erhalten. Die Soldaten waren 
hierüber fehr niedergeichlagens denn die Lebensmittel, weiche 
fie mitgebracht hatten, waren beinahe aufgezehrt, und fle 
konnten nirgend Etwas. zu Kaufe befommen. 

Als fie fi) wieder verfammelt hatten, nahm Kenophon 
dad Wort: ‚Soldaten, die Opfer flimmen, wie Ihr feht, 
nicht für den Abzug, und doch fehe ich Euch Mangel leiden; 
‚wir müßen alfo, glaube ich, hierüber die Opfer befragen.’ 
Da ftand Einer auf und fagte: „die Opfer können freilich 
nicht für den Abzug ſeyn; denn ber Statthalter Kleander 
fommt aus Byzantium, um uns mit Frachtfchiffen und Dreis 
rudern abzuholen.‘ 

Da befchloß man einmäthig, noch fänger zu warten; ins 
deffen mußte man nad, Lebensmitteln ausziehen; man opferte 
deßhalb Dreimal, fand aber Leine günftige Vorbedeutung; 
und bereits kamen die Soldaten vor Kenephon’s Zelt und 
klagten über. Mangel an Lebensmitteln. Er erklärte aber, 
Daß er fie nicht aus dem Lager fügen. würde, bis die Opfer 
: aufagten. 


‚Gechstes Band. 3963 

Am folgenden Tage ward wieder geopfert, und das ganze 
Speer Hatte ſich rings um das Opfer geftellt, weil Alten daran 

. gelegen war. Run gebrady es aud an Dpferthieren. Die 
: Heerführer zogen immer noch nicht aus, fondern riefen die 
Soidaten zufammen, und Xenophon fprach: „Bielleicht find 
die Yeinde beifammen und wir müßen uns ſchlagen; wenn 
wir nun an einem feften Plabe unfer Gepäde zurücklaſſen, 
und in Schlachfordnung ausrückten, fo würden ung die Opfer 
vieleicht günftiger ſeyn.“ 

Da Dieb die Soldaten hörten, fchrieen fie, man brauche 
geinen feften Ort; er folle nur gleich opfern. Sie hatten - 
teine Schafe mehr; es wurde daher ein Stier vom Wagen 
hinweg ‚gekauft und geopfert. Xenophon bat den Arkadier 
Kfeanor, darauf zu achten, ob nicht etwa bei dieſem Opfer⸗ 
thier die Zeichen günftig wären. Allein auch dießmal verfagte 
das Dpfer. 

Als Neon, weldyer als Heerführer an des Chiriſophus 
Stelle getreten war, das Heer folche Roth Teiden fah, fuchte 
er ſich diefem gefällig au machen, und ließ auf die Ausſage 

. ‚eines Herakleoten, daß er in der Nähe Därfer wife, aus 
denen: ſie Lebensmittel ‚beziehen könnten, burd, den Herold 
ausrufen: wenn Jemand Luſt habe, auf Lebensmittel auszu⸗ 
ziehen, fo wolle er die Führung übernehmen. Es zogen ih⸗ 

- rer an zweifaufend Mann, mit Spießen, Schläuchen, Säden 
und andern Geräthfchaften verfehen, aus. Als fie in den 

- Dörfern waren und fi der Beute wegen zerſtrent hatten, 
wurden fle zuerft von der Reiterei des Pharnabazus, *) der 





+, Die Bithyniſchen Thracier wurden eigentlich vn der ‚Satrapie 


* 


964 Xenophon's Feldzug des jüngern Cyrus. 


sen Bithyniern zu Hülfe gekommen war, um die Hellenen 
mit Hülfe der Bithynier, wo möglich, von einem Einfall. in 
Phrygien abzuhalten, angegriffen. Die Reiter machten 
nicht weniger als fünfhundert Hellenen nieder; die Andern 
entflohen auf einen Berg. 

Einer der Flüchtlinge brachte die Nachricht hievon in das 
Lager. 

Da aber die Opfer auch an dieſem Tage ungünflig was 
ren, nahm Xenophon einen Stier vom Wagen hiuweg (man 
Hatte nämlich Fein anderes Vieh mehr), fchlachfete ihn und 
Sam mit Allen, welche nod) nicht dreißig Jahre alt waren, 
zen Audern zu Hülfe. Sie zogen die nod) übrigen Flücht⸗ 
dinge an fidy und kamen wieder in das Lager zurück. 

Schon war ed gegen Sonnenuntergang, und die Helle: 
nen nahmen in großer Niedergefchlagenheit ihre Ahendunpt: 
zeit ein, als auf einmal eine Anzahl Bithynier, die in dem 
Unterholz herangefommen waren, auf die Vorpoſten hervor- 
brachen, die Einen födteten und die Andern bis an dad La: 
ger verfolgten. Auf den entflantenen Lärm eilten alle Helfes 
nen unter die Waffen; allein man fand es nicht rathſam, 
dei Nacht den Feind zu verfolgen und das Zager zu verlaffen; 
Denn ed war ſchon dunkel geworden und die Gegend war wal- 
dig; fie fteliten daher ſtarke Vorpoſten and und blieben die 
Tracht über unter dem Gewehr. 

5. So brachten fie die Naht Hin. Mit Anbruch bes 
Tages zogen die Heerführer nad) dem haltbaren Mate; das 





des Pharnabazus, der über Phrygien geſetzt war, gerechnet. 
obgleich fie dfters gegen ihm Krieg führten. 


Sechstes Bach. 965: 


Heer forgte mit Waffen und Gepdde. Noch vor der Stunde 
bes Frühmahls zogen fie am Eingang in denfelben einen Gra⸗ 
ben, befesten ihn überall mit Pfahlwerk, drei Stellen ausges 
nommen, wo fie Thore ließen. Da kam ein Schiff aus He⸗ 
raklea und brachte Mehl, Schlachtvieh und Wein. 

Tenophon ftand früh auf und opferte wegen des Abzu⸗ 
ges; und gleich auf das erſte Mal fagten die Opfer zu. 
Schon war dad Dpfer beendigt, als der Seher Arerion aus 
Parrhaſus einen glücdweiffagenden Adler erblidte und Xend⸗ 
phen fogleich aufforderte, mit dem Heere audzurüden. Sie 
zogen über den Graben, traten unter die Waffen und der 
Herold machte bekannt, die Soldaten follten nach eingenoms 
menem Frühmahl gerüftet auszichen, Troß und Sklaven aber 
- in dem Lager laſſen. Sie rücdten nun Alle, Neon ausge⸗ 
nommen, aus; denn es ward für gut befunden, ihn zur 
Dedung des Lagers zurücdzulaffen. Als nun die Haupfleute 
und Soldaten fle verließen, hielten die Zurückgebliebenen es 
für fehimpflich, da die Andern auszogen, ihnen nicht au fols 
gen; man fieß Daher nur Diejenigen im Lager, welche über 
fünf and vierzig Fahre alt waren. Diefe alfo blieben; die 
Andern zogen mit. 

Sie hatten noch Feine fünfzehn Stadien zurüdgelegt, als 
fie bereitd auf Todte fließen. Diejenigen nun, welche auf 
dem Flügel, wo man die erften Leichname erblickte, das Hin⸗ 
tertreffen bildeten, machten Halt, und beerdigten Alle, welche 
in den Bereich des Flügels waren. Nachdem fie die Erften 
begraben hatten, rückten fle weiter, und bei den erſten Tod⸗ 
ten, bie fle wieder trafen, blieben wieder Diejenigen ſtehen, 


966: RXRenophon's Feldzug. des jüngern Cyrus. 


weiche das Hintertreffen bildeten, und begraben fie auf gleiche 
Weiſe, fo viel deren dad Heer erreichen konnte. Als fie aber - 
auf den Weg kamen, der zu den Dörfern führte, wo die 
Leichname haufenweis lagen, trugen fle foiche zufammen und 
begruben fie. 

Schon war der Mittag vorbei, als das Heer über die 
Dörfer hinaus weiter vorrückte, und alle Lebensmittel, deren 
mar habhaft wurde, in die Mitte nahm. Da erblickten fie 
auf einmal. die Feinde, Reiterei und Fußvolk in großer Menge, 
in geſchloſſener Schlachtlinie Über einige gegenüber liegende 
Hügel daher ziehen; Spithridates und Rathines nämlich wa⸗ 
ren von Pharnabazus mit diefen Streitkräften angelangt. 
Als die Feinde der Hellenen anfichtig wurden, machten fie in 
einer Entfernung von fünfzehen Stadien Haft. 

Sogleich ſchlachtete der Seher der Hellenen, Arerion, 
ein Opferthier; und ſchon das erſte gab günftige Vorbedeu⸗ 
tung. Da fprach Xenophon: „Heerführer, ich denke, wir 
fielen hinter der Vorlinie einige Kochen in Rückhalt, damit 
fie im Galle der Noth das Hauptheer unterflüben, und bie 
Feinde, wenn fie ſolche geworfen hätten, anf geordnete, frifche 
Heerhaufen ſtoßen.“ Der Vorfchlag fand allgemeinen Bels 
fall. „So gehet Ihr benn,“ fuhr er fort, „auf die Feinde 
los, damit wir nicht zaudern, da die Heere ſich gegenfeitig zu 
Sefiht befommen haben; ich will die Lochen für den Rück⸗ 
hatt ordnen, und da Nachdruck geben, wo Ihr's für dienlich 
ſindet.“ 

Sie rückten hierauf in aller Stille vor; Xenophon aber 
nahm vom Hintertrefſen drei Haufen, je zu zweihundert 


Sechstes Bu 968: 


Mann, und Heß bean Einen unter Anfuͤhrung des Achders- 
Samolas in einer Entfernung von einem Plethron auf dem 
rechten Flügel dem Heere folgen; dem andern, welchen der - 
Arkadier Pyrias führte, fleiite er im die Mitte, und den 
dritten, welchen der Athener Phraſtas befehligte, auf den 
linken Flügel. 

Als die Vordern an eine große, fehr fchwierige Berg⸗ 
ſchlucht kamen, machten fie Halt, da fie nicht-wußten, ob 
fie durch diefe ſezen müßten, und ließen die Heerführer und 
SHanptleute an die Dorlinie herankommen. Xenophon konnte 
fidy nicht erklären, was den Zug’ aufhielte, umd ritt, als er. 
den Auf vernahm, aufs eiligfte Hinzu. Als fie vorn anges - 
tommen waren, fagte Sophänetus, der Aelteſte der Hrerfüh: 
rer, es brauche hier Fein langes Berathen, ob man durch die 
Bergſchlucht da zu ſetzen habe, Kenophen nahm: fogleicy, das 
Wort und fprach Yolgendes: 

„Ihr wißt, Soldaten, daß ich nie gefährlichen Unterneh: 
mimgen bei. Eudy das Wort reden mochte; denn ich glaube, 
daß Ihe jebt tapfer feyn müßt, nicht um Ruhm zu erringen, 
fondern um Euer Leben zu retten. Jetzt aber ſteht es fo: 
ohne Kampf kommen wir nicht los; wenn wir den Yeinden . 
nicht zu Zeibe gehen, fo werden fle und bei'm Abzuge verfolgen . 
and angreifen. So überlege alfo, ob es beffer ift, dem Feinde 
unter dem Schube der Waffen zu Leibe gehen, oder mit dem 
Schild auf dem Rücken ſich von hinten angreifen zu laflen. 
Ihr wißt, daß dem Feinde den Rüden Eehren Schande bringt, 
und daß auch der Feigſte, wenn er nur verfolgen darf, Muth 
bekomnit. Ich möchte lieber auch. nur mit der. Hälfte den. 
Feind angreifen, als mit der doppelten Anzahl ihm den Rüden . 


968 XRenophon's Feldzug des jüngern Cyrus. 


teren. Ich bin überzeugt, daB Ihr ſelbſt nicht glanbt, daß 
fie, wenn wir gegen fie beranzüden, uns Stand halten 
werden; weun wir uns aber zurüdzichen, fo willen wir 
Ale, daß fie Muth genug haben, uns zu verfolgen. Soll⸗ 
ten wir die Gelegenheit, hinter uns die fchwierige Berg: 
ſchlucht, vor uns die Feinde zu haben, nicht mit beiden 
Händen ergreifen ? Den Feinden wünſche ich, daß fle zur 
Flucht Altes offen und eben haben; uns aber laßt in der 
Oertlichkeit feibft die Lehre finden, daß nur der Sieg und 
Rettung bringe. Ich wundere mid), wie dieſe Bergſchlucht 
Einer furchtbarer finden will, als andere Päfle, durch die 
wir ſchon gezogen find. Wird wohl die Ebene, wenn wir 
die Reiter nicht befiegen, für und minder fchwierig feyn ? 
Wie wollen wir aber über die ſchon erfliegenen Berge kom⸗ 
men, wenn und eine ſolche Anzahl Leichtbewaffneter auf 
dem Leibe ift? Und retten wir uns aud an das Meer, 
welch ein Abgrund wird erſt ber Pontus feyn? Dort haben 
wir feine Schiffe, die und von dannen führen, noch Lebens: 
mittel für längern Aufenthalts je eher wir hinkommen, um 
ſo eher müßen wir wieder fort nady Lebensmitteln. Iſt es 
alſo nicht beifer, wir kämpfen heute, da wir gefättigt find, 
als morgen, wenn wir hungern müßen? Die Opfer find uns 
günftig, Soldaten; die Vögel weiſſagen Glück; die Einges 
weide find ganz nad unfern Wünfchen. Auf gegen den 
Feind! Er muß, da er und einmal gefehen bat, nicht ruhig. 
effen, noch, wo er will, fid) Tagern dürfen!’ 

Da verlangten die Hauptleute, er folle fie .gegen dem 
Feind führen, und Niemand widerfprad,, Er that ed, und 
befahl, Jeder folle da, wo er ſtehe, in die Waldſchlucht vor⸗ 


— — 7m nm En 


Sechstes Bud). 969 


dringen ; denn er glaubte, daß fie fo haufenweiſe cher durchs 
fommen würden, als über den ſchmalen Weg, der fd) an der 
Schlucht hinzog. 

Als ſie durch die Schlucht gekommen waren, ritt er an 
der Vorlinie hin und ſprach: „Soldaten, erinnert Euch, in 
wie vielen Schlachten Ihr mit Hülfe der Götter geſiegt habt, 
und was das Schickſal Derer ift, die vor dem Feinde flies 
hen! Bedenkt, daß wir an den Pforten von Hellas ftehen ! 
Folget Herakles, dem Führer, und fordert einander mit 
Namen zu waderem Kampfe auf! Herrlich ift es, durch mann⸗ 
hafte, ruhmvolle Rede und That im Andenten der Freunde 
fortzuleben!“ | 

Solches ſprach er im Borüberreiten, flelite die Peltaſten 
auf beide Flügel und rüdte gegen die Feinde los. Es 
ward Befehl gegeben, Die Lanzen auf der rechten Schufter 
zu halten, bis die Trompete das Zeichen gäbe; dann foliten 
fie fie fällen und langſamen Schritte vorräden, und nicht 
im Laufe angreifen. Hierauf ging die Lofung herum: Zeus 
Netter, und Führer Herakfles. 

Die Feinde, weldye ihre Stellung für vortheilhaft hiel⸗ 
ten, blieben fliehen. Als die Hellenen näher heranrüdten, 
erhoben die Peltaften das Scylachtgefchrei und rannten gegen 
die Feinde los, ehe fie Hoch Befehl dazu hatten; die feindliche 
Heiterei und der Heerhaufen der Birhynier brachen gegen 
fie 108, und brachten fie zum Weichen. 

Als aber die Phalanx der Hopliten in fchnellem Schritte 
herankam, unter dem Schalte der Trompete den Schlacht: 
gefang begann, das Kriegsgefchrei erhob, und die Lanzen 
faͤllte, da hielten die Feinde nicht mehr Stand, fordern war: 





970 Xenophon's Feldzug des füngern Eyrus. 


fen ſich auf Lie Flucht. Timaſion verfolgte fie mit den Heiz 
tern, unAhieb fo Viele nieder, als er mit feiner fleiwen: 
Schaar vermochte. Der linke Flügel der Feinde, gegen welchen 
die Helleniſchen Reiter ftanden, war fogleich zerſpreugt; ber 
rechte Flügel aber, der nicht mit demfelben Nachdruck ver- 
folgt wurde, febte fi wieder-auf einem Hügel, Wis die. 
Hellenen fie wieder Halt machen fahen, hielten fle fürs 
befte und ficherfte, gleich auf fie loszugehen. Sie flimmfen 
den Schlachtgeſang an und drangen fogleich auf fie ein; Dieſe 
aber erwarteten fie nicht. Da festen die Peltaſten ihnen 
nach, bis fie aleichfalls ſich zerftreut Hatten; es blieben We⸗ 
nige auf dem Platz, da die zahlreiche feindliche Reiterei ihnen 
Beſorgniſſe machte. 

Als die Hellenen wahrnahmen, daß die Reiterei des Phar⸗ 
nabazus noch beiſammen war, und die Bithyniſchen Reiter 
ſich zu ihr ſammelten, indem ſie von einem Hügel herabſahen, 
was unten vorging, fo beſchloßen fie, obgleich ſehr erſchoͤpft, 
auch auf Dieſe, fo gut fie koͤnnten, einen Angriff zu machen, 
damit fie fich nicht erhoften, und wieder Muth bekaͤmen. 

Sie rücten nun in Schlachtordnung gegen fle an, Jetzt 
flohen die feindlichen Reiter den Hügel herab, gleich Denen, 
welche von den Reitern verfolgt wurden; denn fie hatten ein 
Waldthal vor ſich; da Dieß die Hellehen nicht wußten, fo 
ftanden file von der Verfolgung ab, denn es war fchen fpät. 
Als fie wieder auf den P las kamen, wo der erfte Angriff 
geſchah, errichteten fle ein Siegeszeichen und kehrten gegem 
Sonnenuntergang an das Meer zurüd; fie hatten at an ſechzig 
Stadien bis zum Lager zu gehen. 


Sechstes Buch 9, 


6. Die Feinde ſuchten hierauf das Ihrige in Sicher - 
Heit zu bringen, und flüchteten Sklaven und Habe, zfo weit 
fie. komten, in’d Land hinein; Die Hellenen dagegen erwar⸗ 
teten den Kleander, der mit Dreicudern und andern Yahr- 
zeugen fommen follte; fie. zogen nun täglich, mit Zugvieh 
und Sklaven aus, und brachten ‚ohne weitere Gefahr. Weis 
zen, Gerfie, Wein, Hülfenfrächte, Fench und Feigen ein; 
denn das Land war mit Allem reichlich verfehen, nur. nicht 
mit Dept. 

Wenn das Heer Rafttag hatte, fo durften Einzelne auf 
Bente ausgehen, und dad Erbentete für ſich behalten; wenn 
aber das ganze Heer ausrüdte,. fo war, was Einer noch 
Hefonders aufbrachte, Eigenthum des Ganzen. Da Hatten 
fie an: Allem Weberfluß; denn von allen Seiten her kamen 
aus den Helleniſchen Städten Lebensmittel an, und die Vor⸗ 
überfchiffenden legten gerne an, weil fie hörten, es würde 
hier eine Stadt und ein Hafen angelegt. 

Auch die Feinde in der Nachbarfchaft fandten, da das 
Gerijcht ging, Kenophon wolle hier eine Stadt gründen, Ab: 
geordnete an ihn, und ließen ihn fragen, was fle zu hun 
hätten, um ald Freunde angefehen zu werden. Er ftellte fie 
immer den Soldaten vor. 

Eben lief Kleander mit zwei Dreirudern ein, hatte aber 
feine andern Fahrzeuge bei fih. Das Heer war gerade aus⸗ 
gerädt, als er Fam. Einige gingen da und dort, in der 
Richtung nad dem Berge zu, auf Beute aus, und hatten 
viele Schafe erbentet. Aus Beforgniß, man möchte fie ihnen 
wegnehmen, verabredeten fle mit Derippns, welcher mit dem 
Fünfzigruder aus Zrapezunt entwichen war, er follte die 


972 Xenophon's Feldzug. des jüngern Cyrus. 


Schafe in Berwahrung nehmen, einen heit davon für ſich 
behalten, und die Andern ihnen zurüdgeben. Sogleich jagte 
Diefer die umftehenden Soldaten, weiche behaupteten, daß fie 
Gemeingut wären, fort, ging zu Kleander und fagfe, man 
wolle ihm die Schafe wegnehmen. Diefer hieß ihn den 
Schuidigen vor ihn bringen. Er ergriff Einen und führte 
ihn fort; da kam Agaflad dazu umd riß ihn wieder los; denn 
der Mann war von feinem Lochos. Die umflehenden Solda⸗ 
ten fchalten Derippus einen Verräther und machten Miene, 
ihn mit Steinen zu werfen. Da geriethen Diele von der 
Schiffsmannſchaft in Beſtürzung und flohen dem Meere zu. 
Auch Kleander floh mit ihnen. 

Kenophon aber und die andern SHeerführer hielten die 
Soidaten ab, und fagten Kleandern, er habe Nichts zu fürdh- 
ten: der Vorfaͤll fen blos die Folge eines Beſchluſſes, dem 
dad Heer gefaßt habe. Kleander aber, theild von Derippus 
aufgereizt, theild ärgerlich, daß er ſich hatte in Furcht fesen 
Iaffen, erklärte, er fegle ab und werde durch Herofde bekannt 
machen laſſen, daß alte Städte fie als Feinde zurückweiſen 
ſollten. Die Lacedämonier hatten nämlich damals über ganz 
Hellas den Dberbefehl. u 

Da fchien- die Sache den Hellenen bedenklich zu werden ; 
fie baten ihn deßhalb, er möchte cs nicht thun. Er aber bes 
ftand darauf, wenn man ihm nicht Den, welcher zuerſt gewor⸗ 
fen, und Den, weldyer- den Mann befreite, ausliefern würde. 
Er hatte ed aber auf Agaſias abgefehen; denn Diefen hatte 
Dexippus, als einen beftändigen Freund Xenophon's, beſon⸗ 
ders bei ihm verleumdet. In dieſer Verlegenheit beriefen die 
Anführer das Heer zuſammen; Einige wollten nicht viel 


Gechstes Buch. u 975 


umfände mit Kleander machen; Zenophon aber, - der die 
- Sache tür bedeutender hielt, ftand auf und fpradh: 
„Spidaten, meiner Meinung ‚nach darf es une. nicht 
gleichgültig feyn, ob Kleander in diefer Geſiunung gegen ung, 
wie er ſich ausgefprochen, abfegein wird. Wir find in der 
Nähe der Kellenifchen Städtes die Lacedämonicr aber haben 
in Hellas die Meifterfchaft, und jeder einzelne Lacedämonier 
ift im Stande, ig den Städten Alles nach feinem Kopfe 
durchzuſetzen. Wenn und diefer Mann vorerft von Byzan⸗ 
tium  andfchließen, und den andern Statthaltern anbefehlen 
wird, und nicht in die Städte aufzunehmen, weil wir ung 
ten Lacedämoniern widerfeßt und uns ordnungswidrig auf- 
geführt hätten, und dann vollends eine folche Schilderung von 
und dem Flottenführer Auaxibius zu Ohren kommt, fo wer: 
den wir, wir mögen bleiben oder abjegeln wollen, einen ſchwe⸗ 
ren Stand befommen: denn zu Waller und zu Land hat in 
diefen Beitläuften - Zacedämon . den Oberbefehl. Wir dürfen 
daher nicht Eines oder zweier Meufchen wegen den Webrigen 
die Rückkehr nach Hellas verfperren, fondern müßen uns 
Dem fügen, was fie Haben wollen; denn die Städte, aus de: 
nen wir find, ftehen unter ihrem Einfluffe. Da ich nun höre, 
vaß Derippus gegen Kleander geäußert hat, daß Anaflas fich 
Solches nicht umterfianden hätte, wenn ich es ihn nicht ges 
heißen hätte, fo wit ich Euch und Agaflad von der Schuld 
befreien, wenn Agaflas fagen will, daß ich an diefen Vorgän- 
gen in Etwas fchuldig ſey, und die härtefle Strafe über mid, 
ergehen ‚Laffen, wenn id) zu dem Steinwerfen, oder irgend 
einer gewaltfamen Handlung Deranlaffung gab. Und fo muß 
ſich, meiner Meinung nach, auch.jeber Andere dem Richter: 





974 Xenophon's Feldzug des -jüngern Cyrus. 


ſpruche Kleanderes unterwerfen 5: weil nur ſo die Schuld von 
dem Ganzen abgewälzt-wird. ‚Denn fo wie die Sachen jest 
ſtehen, ift es Außerft Hart, wenn wir, die wir in Hellas Ehre 
und Ruhm zu erheben glaubten, ftatt deſſen nicht einmal 
den Andern gleich «geachtet , fondern von den Helleniſchen 
Städten ausgeſchloſſen würden. ‘‘ 

Hierauf erhob ih Agaſias und fagte: „Ich fehwäre bei 
alien Göttern und Gdttinnen, daß weder Xenophon noch fonft 
Jemand mid den Mann in Freiheit ſetzen hieß: ſondern es 
empörte mich, einen wadern Mann von meinem Lochos durch 
Dexippus, der, wie Ihr Alle wißt, an uns zum Derräther 
ward, gewaltfam forfgefchleppt zu ſehen. Da ging ich hin 
und riß ihn von ihm los; sch geftehe es offen. Ihr dürft 
mich alfo wicht austiefern; ich ſelbſt will mich, nach dem Ra: 
the Xenophon’s, vor Kleander ald meinem Richter ſtellen, 
und mid feiner Verfügung unterwerfen; deßwegen braucht 
Ihr &uc mit den Lacedämoniern nicht zu verfeinden; fonderu 
ziehet im Frieden, wohm Ihr wollt. Wählt indeffen- Sinige 
unter Euch, die mich zu Kleander begleiten, um, wenn ich 
Etwas übergehen follte, für mid) zu reden und zu fprechen.‘* 

Das Heer erlaubte ihm, feine Begleiter ſelbſt zu wählen. 
Er wählte die. Heerführer. Hierauf begaben fih Agafias 
und die Heerführer nebſt dem Manue, den Agaſtas Insgerif- 
fen :hatte, zu Kleander; und die Heerführer erklärten ihm: 

„Das Heer fendet uns ab, Kleander, umd fordert dich 
auf, wenn du dich über uns Alle beklagit, ſelbſt ein Verhör 
anzuftellen, und nach Gutdünken eine Strafe zu erkennen; 
wenn du aber Einen, oder Zwei, oder Mebrere für ſchuldig 
haͤſtſt, Diefe vor dein Gericht zu ſtellen. Wenn du Dich ges 


’ 





| 


Sechstes Much. .— 97 56 
gen Einen von uns zu beklagen haſt, fo ſtehen wir jetzt vor 


Dir; haft du gegen einen Andern etwas, fo fage an; Keiner 
ſoll :Dir entfliehen, der fid) unfern Befehlen fügt.“ | 


Hierauf. trat Agaſias vor und fprady: 
„Sc bin 88, Kleander, der diefen Mann hier dem Des 


xippus entriß, und Derippus zu fdylagen befaht. "Denn Dies 


fen da kenne ich als einen wackern Mann; von Dexippus 
aber weiß ich, daß er, vom Heere zum Befehldhaber über ein 
Bünfzigruder beftellt, dad wir und von deu Trapezuntiern 
erbeten hatten, um damit Schiffe zu unferer Abfahrt aufjus 
bringen, mit diefem ausriß, umd gegen Die zum Verräther 
ward, mit Denen er ſich fo weit gerettet hatte. Wir has 
ben ſo die Zrapgzuntier am ein Fünfzigruder gebracht, und - 
müßen und darum anfehen laſſen, fo daß wir, fo viel an 
ihm lag, Alle zu Grunde gegangen wären. Denn er wußte, 
fo gut ald wir Alle, wie unmöglich es und fey, auf dem 
Wege zu Land über alle die Flüffe zu kommen und ung 
ac, Hellas durchzuſchlagen. Aus feinen Händen affo, der 


ſich fo gegen und betrug, habe ich den Mann befreit. Wäre 


er von bir oder einem Andern deiner Leute, die uns nicht 
treulos verlaffen hatten, fortgeführt-worden, fo ſey überzeugt, 
daß ich Nichts dergleichen gethan haben würde. Du darfſt 
alfp gewiß fepn, daß du, wenn ic) jetzt flerben muß, um eis 


‚nes feigen.und fehlechten Menfchen willen einem rechtſchaffe⸗ 


nen Mann das Leben nimmſt.“ 
Auf diefe Rede erklärte Kleauder, er könne freilich De⸗ 


xippus nicht Recht geben, wenn er Solches gethan habe; nur 


glaube er, daß Dieſer, wenn er auch der aͤrgſte Böfewiche 
wäre, nicht gewaltthätig behandelt werben dürfe, fondern ‚fo 


- 


976 Zenophon’s Feldzug des füngern Eyrus. 


wie Ihr jept verlangt,“ nach Urtheil und Recht beſtraft wer: 
den müße. „So könnt denn Ihr indeſſen wieder hingehen; 
den Mann aber laffet hier, und erfcheine, wenn ich's Euch 
fagen laffe, zum VBerhör. Da Diefer ſelbſt bekennt, daß er 
den Mann mit Gewalt in Freiheit ſetzte, habe ich weder ges 
‚gen das Heer überhaupt, noch fonft gegen einen Andern Klage 
zu führen.‘ 

Der anf diefe Weife befreite. Soldat erklärte nun feiners 
ſeits: „Was mid) anbelangt, Kleander, fo Habe ich dir, wenn 
du glaubſt, daß ich Unrecht chat, zu entgegnen, daß ich Nie: 
manden weder ſchlug, noch warf, fondern einzig behauptete, 
daß die Schafe Gemeingut wären; denn ed war Heeresbe⸗ 
ſchluß, daß Altes, was Einer bei einem allgemeinen Streif⸗ 
zuge befonderd erbeute, Gemeingut feyn ſollte. Dieß bes 
hauptete ich, und deßhalb griff mich Dexippus, und fchleppte 
mich fort, damit Keiner zu mudfen wagte, und er von. der 
Beute, die er fo, dem Beſchluſſe zuwider, den reibentern 
aufbewahrte, feinen Theil bekäme” Hierauf erwiederte 
Kleander: ‚Da es mit dir eine folche Bewandtniß bat, fo 
bleibe dis hier, damit wir auch über dich zu Rathe gehen.“ 

SHieranf nahm Kleander mit feinen Leuten die Vormahl⸗ 
zeit ein; KZenophon ließ das Heer zufammenrufen und rieth 
ihm, für die Männer Fürfprecher an Kleander abzufenden. 
Man befchloß, die Heerführer, Hauptlente und den Spartas 
ner Drakontius nebft Andern, die ſich hiezu eigneten, an 
Kleander abzufertigen, und ihn angelegentlich zu bitten, die 
beiden Männer freisugeben. Xenophon fprach in ihrem Na⸗ 
men Folgendes: En 





Sechstes Bu. 977 


‚‚Kteander, die beiden Männer find in deiner Gewalt, 
and das Heer bat es in beine Macht gegeben, nadı Willkühr 
über Diefe und fie felbft zu verfügen. Run aber bitten fie 
dich inftändigft, die Männer Inszugeben, und nicht am Leben 
zu firafen; denn fle haben fidy früher um das‘ Heer fehr ver- 
dient gemacht. Wenn fie Dieb von bir erlangen, fo verfpres 
chen fie, dir, wenn du fie anführen willſt, und bie Gbtter 
Gnade verleihen, von ihrer Ordnungsliebe, ihrem Dienſtge⸗ 
Horfam und ihrer Unerfchrodenheit gegen den Feind DBeweife 
zu geben; auch erfuchen fle dich, zu ihnen zu kommen und 
fie anzuführen, wo bu dann aus eigener Erfahrung Dexippus 
und fe ſelbſt kennen lernen, und nad Verdienſt würdigen 
ſolleſt. 

— erwiederte Kleander: „nun bei den Dioskuren, 
hier habt Ihr ſogleich Euern Beſcheid. Ich gebe Euch die 
Männer frei, und werde ſelbſt zu Cuch kommen, und Euch, 
wenn die Göoͤtter es zulaſſen, nach Hellas führen. Dieß lau⸗ 
tet ganz anders, als ich von Einigen unter Euch hörte, daß 
Ahr naͤmlich das Heer gegen ben Vortheil der Lacebämonier 
au flimmen ſucht.“ 

Mit diefer Erklärung vollkommen zufrieben, entfernten fie 
fi) mit den beiden Männern. Kleander opferte hierauf wes 
gen ded Zuges, war gegen Xenophon äußerft freundlich, und 
ſchioß Saftfreundfchaft mit ihm. Da er fah, wie genau bie 
‚Zente den Befehlen nachkamen, befam er noch mehr Luft, ihr 
Führer zu werden. 

Als ihm aber die Opfer drei Tage nach einander verfage 
ten, rief er die Heerführer zufammen unb erklärte ihnen: 
„Die Opfer find meinem Wunſche, Euch anzuführen, entges 

Kenophon. 88 Bäche, 4 


978 KZenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus ıc, 


gen. Laßt Euch Dieß aber nicht kleinmüthig machen; Euch 
ift e8, dem Anſehn nad), vorbehalten, das Heer abzuführen : 
brecht alfo auf; und kommt Ihr nad Byzantium, fo ſollt 
Ihr aufs befte von uns aufgenommen werden.” 

Die Soldaten beſchloßen hierauf, ihm die zu ihrem Ge⸗ 
wieingut gehörige Trift Schafe zu ſchenken. Er nahm fie an, 
machte fie ihnen aber wieder zum Geſchenk und fegelte ab. 
Nachdem die Soldaten das aufgebrachte Getreide vertheilt 
hatten, zogen fle durdy Bithynien. 

Da fie aber auf dem geraden Wege gar Nichts trafen, 
befchloßen ie, um nicht mit leeren Händen in Freundesland 
zu kommen, einen Streifzug von einem Tag und einer Nacht 
in das Bithyniſche zurüd zu unternehmen. Dieß gefchah; 
fie machten reiche Beute an Sklaven und Schafen, und ers 
reichten nad) einem Zuge von ſechs Zagen Chryſopolis *) im 
Chalcedonifchen, **) wo fie fieben Tage blieben und ihre Beute 
verkauften. 





+) Das Heutige Scutari, Skudar ober Eſskudar. Ob⸗ 
gleich durch die Meerenge von Konftantinopel (dem alten 
Byzantium) getrennt, wird ed Koch als eine Vorſtadt von 
dieſem angefehen. 

22) Eine feine Landſchaft am Bosporus, die von feinem KHadytz 
ort Chaleédon ihren Namen hat. 








Subalt bed fiebenten Buchs. 





Cap. 1. Der Spartaniſche Flottenfuͤhrer Anaxibius lockt, durch 
des Pharnabazus Verſprechungen getaͤuſcht, das Hellenenheer durch 
die Verheißung, ſolches in Sold zu nehmen, nach Byzantium hin⸗ 
über, Ohne Wort zu halten, weiß er bie Griechen durch einen 
zyoeiten Vetrug aus diefer Stadt zu bringen. Die Soldaten, dar⸗ 
Aber aufgebracht, brechen mit Gewalt in die Stabt, werben aber 
von Kenophon berufigt und ziehen wieber ab. Kenophon nimmt 
Abvbſchied von dem Heer. Chratades bietet fich zum Belbheren an, 
rann aber die Bebingungen nicht erfüllen und tritt ab. ap. 2. Ins 
deß man fich Über bie zu nehmenden Maßregeln ftreitet, verlaufen 
ſich Viele vom Heer. Anaxibius freut ſich darüber und empfiehlt 
dem neuen Statthalter von Byzantium, Ariftarhud, alle Griechen 
vom Heere, die ſich in Byzantium beireten ließen, ald Stlaven zu. 
vertaufen. Da Pharnabazus dem Anarisius mit dem Verſprechen 
nicht einhält, fordert Diefer Kenophon auf, die Zerfireuten wieder 
zu fammeln und fie wieder nach Aſien uͤberzufuͤhren. Ariſtarch 
von Pharnabazus beftochen, Hintertreibt den Anſchlag. Xenophon 
ſelbſt tommt in Lebensgefahr; da dad Heer in große Noth geräth, 
begibt er fich mit einem Gefolge zu Seuthes, einem Thraciſchen 
Sörften, der ihn ſchor früher mit dem Heer in Sold nehmen wollte, 
und tritt mit ihm im Unterhandiungen. Cap. 3. Außer dem 
Lakonier Neon nebft feinem Heerhaufen treten Alle in Seuthes 
Sold. Ein Thraciſches Gaſtmahl. — Sie brechen bei Nacht auf, 
überrumpeln den Feind, und machen viel Beute. Cap. 4, Seu⸗ 
thes brennt in Feindesland die Doͤrfer ab, die Griechen lagern ſich 
im Gebiete der Thynen und Leiden vier durch Kälte unb Schnee. — 

4 


x 


980 Indhalt des fiebenten Buche, 


Der untriegerifege Theil ber Feinde ergibt ſich, die Andern erſt 
nach, vergeblichen Verſuchen bed Widerſtandes. Cap. 5. Heratlibes 
kehrt nach Vertauf ber Beute zuräcd, zahlt den’ Griechen aber nicht 
den ganzen Gold, — Kenophon macht ihm Vorwürfe Heraklides 
ſucht ihn bei Seuthes anzufhwärzen und um dad Zutrauen des 
Heeres zu bringen. Die Griechen ftehen dem Seuthes noch ferner 
in feinen Eroberungen bei, ohne den ſchulbigen Sold zu erhalten. 
Renophon ift in großer Verlegenheit; bad Heer mißt ihm bie 
Schuld Hei, und auch Seuthes entzieht fich ihm. Cap. 6. Abge⸗ 
fanbie von Baseblmım Iaben Dub Ger ein, ben Felbzug gegen Tif: 
ſaphernes mitzumachen. — Es treten Unfläger wider Xenophon 
anf, die er fiesreich widerlegt. Seuthes Läpt Zenophon aufforchern, 
mit tauſend Hopliten bei ihm zu bleiben, was Diefer ablehnt. 
Cop. 7. Medoſades beſchwert fich, daß bie Griechen die eroberten 
Kandſchaften plünberten. Die Spartanifchen Abgeſandten erwieder⸗ 
ten auf Xenophon's Rath: bie Griechen wärben abziehen, fobalb 
fie ihren vollen Solb erhalten hätten. Geuthes wirb von Reno⸗ 


des it wit enophon zufammen und raͤth ihm, bem Zend Mili⸗ 
ins zu opfern. Er unternimmt von Pergamus and einen Streif⸗ 
zug gegen den Perſer Afibates, befomme ihn nesft einer großen 
Beute in feiner Gewalt, und Abevaikt endlich das Speer dem Spar: 
raner Thibron. 


.. 984 
Siebented Bud. 


1. Was die Hellenen auf ihrem Hinzug mit Eyrus bie 
zur Schlacht und nach defien Tod auf dem Heimwege bis an 
ben Pentus verrichteten, und was .fich nach ihrem Abgang 
von da zu Land und zu Waſſer mit ihnen zutrug, bis fie 
- aufferhaib der Mündung deſſelben vor Chryſopolis in Aſien 

famen, ift in den frühern Ubfchnitten gezeigt worden. 

Test ſandte Pharnabazus, aus Beforiniß, das Heer 
möchte in fein Gebiet einfallen, an den Flottenführer Anaxi⸗ 
bins, der gerade in Byzantium fich befand, und ließ ihn bit- 
ten, das Heer and Aſien überzufsben, wofür er ihm alle . 
möglichen Gegendienite verſprach. Anaribius ließ demnad) 
die Heerführer und Hauptleute nad) Byzantium fommen, und 
verfprach, den Soldaten Lohnung zu geben, wenn fie übers 
feben würden. Die Andern erwiederten, fie wollten mit dem 
Heer Rädipradie nehmen nud ihm Antwort fagen. KXett- 
phon aber erklärte, daß er das Heer zu veriaffen, und zu 
Schiffe abzusehen gedächte. Anaribius ſprach ihm zu, mit 
dem Heere erſt überzufeben, und dann feinen Abſchied zu neh⸗ 
men, wozu ſich Diefer auch verſtand. 

Da fandte Seuthes, König von Thracien, Medoſades an 
Kenophon und ließ ihm exfuchen, zur Heberfahrt des Heeres 
mitzuwirken, mit der Berficherung, feine Bemuͤhung follte ihn 
nicht gereuen. Xenophon erwiederte: „das Heer wird ohne⸗ 
hin überfegen; dafür braucht er weder mir noch fonft Je⸗ 
mand Etwas zu bezahlen, Gleich nach ber Ueberfahrt werbe 


982 Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus. 


id) das Heer verlaffens er mag daher mit Denen, welche bei’m 
Heere bleiben, und die er für feine Abfichten tauglich findet, 
nach Gutdünken in Unterhandlung treten.’ 

Hierauf fepten alle Truppen nach Byzantium über. Ana= 
xibius aber zahlte ihnen Leinen Sold, fondern ließ durdy den 
Serofd ausrufen, fie-follten mit Waffen und Gepäde aus⸗ 
rüden; feine Abſicht aber war, fie zu zählen und dann zu 
entlaffen. Die Soldaten wurden hierüber aufgebracht, weil 
fie Bein Geld haften, um fidy auf den Weg mit Lebensmit⸗ 
teln zu verfehen, und padten fehr verbroffen ein. 

Kenophon, der mit dem Statthalter Kleander Gaſtfreund⸗ 
haft gefchloffen hatte, ging zu ihm, um ſich von ihm zu vers 
abfchieden, weil er fogleich zu Schiffe abgehen wollte. Kleau⸗ 
der aber fagte: „thue Das nicht, du würdeſt fonft Schuib 
auf dich laden; es legen dir ohnehin ſchon Einige zur Laſt, 
daß das Heer mit dem Auszuge ſäumt.“ Er entgegnete: 
„daran habe ich eine Schuld: die Soldaten haben deßhalb 
feine Luft zum Abzuge, weil es ihnen an Mundbedarf ge⸗ 
bricht!“ — „Deſſen ungeachtet rathe ich dir, Lieber fo die 
Stadt zu verlaffen, als wollteft du mit dem Heer abziehen, 
‚und dann dich von ihm zu trennen.’ — ‚So laß und,‘ vers 
feste Kenophon, „zu Anaxibius gehen und die Sache mit ihm 
verabreden.” 

Dieb geſchah. „Macht es fo,’ fagte Diefer, „und zieht 
-fogleich aus und laßt bekannt machen, Wer nicht bei der 
Muſterung und Zählung erfcheine, der babe ſich die übeln 
Folgen felbft zugufchreiben. Da zogen zuerft die Heerfüh- 
rer, und dann auch die Andern aus. Jetzt waren außer ei- 
nigen Wenigen Alle vor dem Thore, und Eteonitus war am 


Siebentes Buch. 983 


Thore aufgeſtellt, um, wenn Alle auſſen wären, bie Thore 
zu fchließen, und die Riegel vorzuſchieben. 

Anaxibius vief nun die Heerführer und Hauptleute zu⸗ 
ſammen und erklärte ihnen: „den Mundbedarf nehmt aus den 
Thraciſchen Dörfern (wirklich gab ed auch dort Gerfte, Weir 
zen und andere Lebensmittel im Ueberfluß); darauf zieht nach 
dem Cherfones, wo Euch Cyniskus die Löhnung geben wird.‘ 

Dieſes hatte einer oder der andere Soldat mit angehört, 
und es unter dem Heer verbreitet, vielleicht audy der Haupt: 
feute Einer. Die Heerführer zogen nun Erfundigung ein, 
ob Seuthes Yreund oder Feind fey, ob man über den heilis 
gen Berg oder um ihn herum mitten durch Thracien ziehen 
müße? 

Während fle fid) hierüber beſprachen, griffen die Solda⸗ 
ten zu den Waffen und rannten auf die Thore zu, um in 
die Stadt einzubringen. Als Eteonikus mit feinen Leuten 
die Hopliten heranlaufen fah, fchloß er die Thore und fdyob 


die Riegek vor. Die Soldaten fchlugen an das Thor und 


fchrieen, daß man fie auf's ungerechtefte behandle, wenn man 
fie unter Feinde verftoße; ſie erklärten, fie würden die Thore 
einfdylagen, wenn man fle nicht freiwillig öffnen würde. An⸗ 
dere Tiefen nach dem Meere hin umd fliegen über die Steine, 
welche zur Abwehr der Meereswellen vor der Mauer lagen, 
in die Stadt; Andere, weldye noch innerhalb der Stadt war 
ren, hieben, als fie die Hemmung an den Thoren fanden, 
mit Aexten die Riegel durd) und fprengten die Zhore. Nun 
ftürzten Alle herein. 

Als Kenophon gewahrte, was vorging, fürdhtefe er, das 
Speer möchte plündern, und fo für die Stadt, für ihn ferbft 





nn ie 


984  Kenophon’s Felbzug des jüngern, Cyrus. 


und die Soldatin das groͤſse Unheil entfichen, lief bias, 
und flürzte_mit dem Haufen zum Shore hinein. Wie bie 
Byzantiner Dieß fahen, flohen fle vom Markte theils nach 
den Schiffen, theils nach Hauſe; und Die zn Haufe waren, 
ſtürzten heraus und zogen die Dreiruder in’s Meer, um (ich 
auf ihnen zu retten; Alle aber yaben fich verloren, als ob 
die Stadt vom Feinde genommen wäre. Eteonikus floh. nad) 
der Burg; Anaribins aber eilte an’s Meer hinab, fuhr in 
einem Fifchertahn nad) der Burg und fandte von ba nad) 
Ehalcedon *) um Hülfsvoͤlker; denn fie hielten fich nicht für. 
flark genug, die Burg gegen das Heer zu behanpten. 

Da die Soldaten Kenophon erblidten, Tiefen Viele auf 
ihn zu und fagten: „Nun, Zenophon, haft du Gelegenheit, 
dich als Mann zu Zeigen: du haft eine Stadt, Kriegsfchiffe, 
Geld und eine ſelche Heeresmacht zu deiner Derfügung. Jetzt 
Bannft du uns nuͤtzlich werden, wenn du willſt, und wir koͤn⸗ 
dien did) dagegen zu einem großen Manne machen.” 

‚Kenophon erwiederte ihnen: „Ihr habt Recht, ich will 
ed thun; wenn Ihr aber darnach trachtet, fo ſtellt Euch 
ſchleunigſt in Reih uno Glied.’ Im der Abſicht, fie zur 
Nuhe zu bringen, gab er ihnen, und. durch fie den Andern 
die Loſung, unter die Waffen zu freien. 

Sie ordneten fi von felbft, und in kurzer Zeit landen 
die Hopliten in einer adıt Mann tiefen Schladhtlinie da, Die 
Peltaſten aber hatten fi in aller Eile auf beiden Ylügeln 
aufgeftellt. Der fogenannte Thraciſche Pia war ganz hiezu 


*) Das heutige Cadikbi, Cadi, Eevi, Byzantium oder 
Sonſtantinopel gegenüber. 


DT — — — 


geeignet, indem er eben und frei von Gebaͤnden war. As 
fie unter den Waffen ſtanden, und Ruhe eingetreten war, 
ließ er fie rings um ihn zufammensüden, und hielt folgende 
Dede an fie: 

„Daß Ihr aufgebracht ſeyd, Soldasen, und Euch hinten 
gangden und unwürdig behandelt glaubt, wundert mich nicht, 
Aber überlegt einmal die Folgen banon, wenn wir Rache neh⸗ 
men, bie Lacedaͤmonier hier ihrer Argliſt wegen zur Strafe 
ziehen, und bie Stadt, die daran Feine Schuld bat, plündeen 
wollten... Dann find wir erklärte Feinde der Lacedämonier 
und ihrer Bundesgenoſſen; und welchen Krieg wir und da 
zuiehen, mögen wir aus Dem abnehmen, was wir erleb⸗ 
ten, und wobon wir Uugenzeugen waren. Als wir Athe⸗ 
ner ben Krieg gegen die Lacedämonier und bie Bundesge- 
noffen begannen, hatten win nicht weniger als dreihundert 
Dreiruder auf der See oder den Werften, große Geldfum- 
nen in der Stadt vorräthig, *) und nicht weniger als taufend 
Talente jährliiher Einfünfte vom Iuland und Ausland, we 
ven Herren über ale EHanbe, befaßen viele Städte in Aflen 
und in Europa, unter nielen andern auch diefes Byzantium, 
we wir jebt find; und doch wißt Ihr Alle, weichen Ausgang 
Diefer Krieg für und genommen hat, Was glauben wir nun, 
daß uns erwarten wird, da Achaͤer, Athener und alle Staa> 
ten, die es früher mit Diefen hielten, auf die Seite der Las 
cedämonier getreten find, da wir Ziffaphernes, und alle Bar: 
baren, bie am Meere wohnen, gegen uns haben, und ber 


*) Sechstauſend Talente gemuͤnzten Geldes Yägen nach Thucydi⸗ 
des (II, 13.) auf der Burg zu Athen. 


‘ 


986 RXenophon's Feldzug des jüngern Cyrus. 


Derfertönig felbft, ben wir, fo wir es vermochten, vom 
Thron geflürzt und getödtet hätten, unſer unverföhnlichfter 
Feind if? Wenn nun alle diefe Umftände ſich gegen uns 
vereinigen, Wer wird fo unvernünftig feyn und glauben, daß 
wir ihnen obilegen werden? Nein, bei den Göttern, Taßt 
uns nicht wahnfinnig feyu und eines unrähmlichen Todes 
fterben, indem wir gegen- Baterland, Verwandte und Feinde 
die Waffen fragen, da fie in allen diefen Städten wohnen, 
welche gegen und zu Felde zögen! Und mit Recht gefchähe 
Diefes, da wir die erfte befte Helleniſche Stadt, in die 
wir kommen, für gute Deute erklären, während wir, obgleich 
wir ed in unfrer Macht hatten, keiner der Barbarenftädte 
uns bemäcdhtigen mochten. Ehe ich diefe Frevelthat von Euch 
erlebe, wollt ich Tieber zehntaufend Klafter tief unter Die 
Erde verfinten! Ich rathe Euch, ald Helienen, ſucht Euer 
Recht, ohne daß Ihr Euch mit Denen verfeindet, welche jest 
in Hellas die Meifterfchaft haben. Und findet Ihr es nicht, 
fo müßt Ihr Euch vorfehen, daß Ihr nicht, obgleich beein= 
trädhtigt, auch noch aus Hellas ausgefchloffen werdet. Mein 
Rath geht alfo dahin, wir Iaffen dem Anaxibius fagen, daß 
wir nicht in die Stadt zurüdgetommen feyen, um Gewalt: 
thätigkeiten zu verüben, fondern von Euch, wo möglich, einige 
Unterftügung zu erhalten, wo nicht, um Euch zum wenigften 
zu zeigen, daß nicht Lift, fondern Gehorfam gegen Euch uns 
zum Abzug vermochte.‘ : 

Dieß fand Beifall; man fandte den Elcer Hieronymus, 
den Arkadier Eurylochus und den Achäer Philefius mit Die: 
fer Botſchaft ab. Als die Soldaten nod) beifammen waren, 
fand fich der Thebaner Cöratades bei ihnen ein, ber fich in Hels 


Giebentes Buch: 98987 


las herumtrieb, nicht als Verbaunter, ſondern aus Luft nach. 
einer Feldherrnſtelle, in weicher Eigenſchaft er ſich jeder Stadt 
und jedem Volke, das eines Heerführers bedurfte, als ſolchen 
anbot. Dieſer trat zu ihnen und erbot ſich, ſie nach dem ſo⸗ 
genannten Delta in Thracien *) zu führen, wo fie viele Beute 
machen fönnten; bis fie dahin kämen, wolle er ſie reichlich 
mit Speife und. Trank verforgen. 

Mit diefem Antrag gelangte zugleich bie Antwort des 
Anaribius an das Heer; er ließ ihnen fagen, dab ihr Ges 
horfam fie nicht gereuen werde, er werde davon an feine Bes 
Hörde zu Haufe berichten, und ihnen nach Vermögen zu bies 
nen fuchen. 

Hierauf wählten die Soldaten Cöratades zu ihrem Ans 
führer und zogen aus der Stadt. Cöratädes verſprach, am 
folgenden Tage mit Opfervieh und einem Seher, nebft Speife 
und Trank ſich beiem Heere einzufinden. 

Nachdem fie die Stadt verlaffen hatten, ließ Anaxibius 
die Thore fchließen und durch den Herold bekannt machen, 
Mer von den Soldaten fidy innerhalb der Stadt betreten 
Kaffe, der folle als Sklave verkauft werden. Tags darauf kam 
Edratades mit Schlachtvieh und einem Seher im Lager an; 
ihm folgten zwanzig Männer mit Gerftenmehl, zwanzig mit 
Wein, drei mit Dehl, einer mit Knoblauch, fo ſchwer er fras 
gen konnte und noch ein Anderer mit Iwiebeln. Dieß Alles 
fieß er niederlegen, damit fich das Heer drein fheilte, und 
opferte dann. 


*) Eine Thraciſche Landſchaft oberhalb Byzantium, fonft auch 
Delkon, Derkon genannt, eine Tagreiſe weit von By⸗ 
zantium entfernt. 


988 Zenophon’s Felezug bes jüngern Cyrus. 


Zenopkon ließ Kleander zu fi herauskommen und übe 
bisten, ihm auszuwirken, Daß er in bie Stadt kommen und 
von Byzantium aus unter Segel gehen dürfte. Keauder 
Bam und fagte: „Nur mit Mühe Gabe ich bir’s ausgewirkt; 
Anaribius ſagt, es laſſe ſich niche wohl thun, daß bie Sal⸗ 
daten in der Nahe der Stadt wären, Tenophon aber inner⸗ 
halb derfelben; die Byzantinen feyen ein unruhiges Bolk und 
unter fi ſelbſt uneinig; du mächteſt jeboch nur kommen, 
wenn du mit ihm abſegeln wolleſt.“ 

Xenophon nahm nun vom Heere Abſchied und beach Ad} 
mit Kleander in die Stadt. Ciratades ſagten am erſten Tage 
bie Opferzeichen nicht zu, auch vertheilte er Nichts unter 
die Soldaten. Am andern Tage ſtanden die Opferthiere ſchon 
vor dem Altare, und Cöratades hatte fi für das Dpfer 
befränzt: da traten ber Dardanier Zimafton, der Wlinder 
Neon und Kleanor aus Drchomenus vor Görataded, und er 
Märten thm, er brauchte nicht zu. opfern, weil er bad Heer 
‚nicht eher anführen könnte, als bis er ihm Lebensmittel m- 
geſchafft hätte. Da ließ er den Munbwerrath austherke, 


Als aber nody viel dazu fehlte, daß her Borrath audy mar - 


auf Einen Tag für das Heer zugereicht haͤfte, that er auf 
feine Yeldherrnfchaft Verzicht und ging mid dem ScHachtzieh 
davon. 

3. Der Allnier Neon, die Achäer Phryniskus, Phile⸗ 
ſius und Fanthikles, und der Dardanier Timaſion blieben 
bei'm Heere, rückten in die Thraciſchen Dörfer. in der Mühe 
von Byzantium vor und bezogen dort ein Lager. 

Die Heerführer wurden uneinig: Kleauor und Phrynis⸗ 
kus wollten zu Seuthes ziehen (er hatte ſie nämlich dadurch 


Siebentes Buch. 889 


gewonnen, daß er dem Einen ein Pferd, dem Andern ein 
Mädchen geſchenkt hatte); Neon aber wollte nach dem Cher⸗ 
ſones, weil er glaubte, daß er im Gebiete ber Eacedämonier 
den Oberbefeht über das gefammte Heer erhalten würde. Ti⸗ 
maflon aber war für die Hädtehr nad) Aflen, weil er von 
da nad) Haufe zu gelangen hoffte. Auch die Soldaten hatte 
er für ſich. | \ 

Weil es ſich aber in die Länge zog, verkauften viele 
Soldaten auf dem Lande Hin und wieder ihre Waffen und 
fegeiten , fo gut fie konnten, ab; Andere zerftreuten fich im 
die Städte umher. Anaribius aber war froh, da er hörte, 
daß fich Dad Heer auflösſte; denn damit glaubte er fid, Phar⸗ 
nabazus befonderd zu verpflichten. Als Anaxibius aus By⸗ 
zantium unter Segel ging, begegnete ihm bei Cyzikus Arts 
ſtarchus, Kieanderrs Nachfolger in der Statthalterſchaft zu 
Byzantium; auch hieß es, daß Polus, fein Rachfolger im 
Dberbefehl der Flotte, eheſter Tage im Hellefpont ankommen 
dürfte, Anaribins trag nun dem Ariſtarchus auf, alle Sol⸗ 
daten von dem Heere des Eyrus, die in Byzantium zurückge⸗ 
blieben wären, zu verkaufen. Kleander hatte Keinen verkauft, 
fondern Die Kranken menfchenfreundfich verpflegen und in die 
Syänfer einlegen laſſen; Ariſtarchus aber war nicht fobalb 
angekommen, als er fogleich nicht weniger als vierhundert 
. verkaufen Tieß. 

Anaxibius fchiffte nun nach Parinm, *) und ließ Phar⸗ 
unbazus an fein Derfprechen erinnern. Als Diefer aber hörte, 





*) Eime Stast in Mieinafien am Helleſpont, zwiſchen Cyzikus 
und Lampſaktus. Das heutige Kemares ober Rimere 





990 KZenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus. 


daß Ariftarchus als Statthalter nad) Byzantium komme, und 
Anaribius nicht länger Ylottenführer feyn würde, fo nahm 
er nicht weiter Rückſicht auf ihn, und trat mit Ariſtarchus in 
biefelden Unterhandiungen, wie früher mit Auaxibius. 

- „Da rief Anaribius Lenophon zu ſich, und hieß ihn ſchleunigſt 
Altes aufbieten, um zum Heere zu kommen, daſſelbe beifammen zu 
behalten, von den Zerſtreuten fo Viele wie möglich wieber zuſam⸗ 
men zu bringen, fie hierauf nad) Perinthus *) zu führen, und 
von da nach Uflen überzufepen, Er gab ihm ein Dreißigeuder 
nebft einem Mann, der die Perinthier anweifen follte, Keno- 
pbon auf's fhleunigfte mit Vorſpann zu dem Heere zu brins 
gen. Zenophon fchiffte hinüber und kam bei dem Deere an; 
die Soldaten empfingen ihn mit Freuden und folgten ihm 
willig, um fich von Thracien nach Aſien überfesen zu laffen. 

Als Seuthes vernahm, daß Kenophon zurückgekommen 
fen, fchickte er Medofades zu ihm an's Meer, und ließ ihn 
erfuchen, das Heer ihm zuzuführen, wogegen er ihm bie 
fdyönften Verfprechungen machte. Diefer erklärte ihm aber, 
daß ſich Nichts der Art würde machen laſſen. Mit diefem 
Bedeuten ging der Abgeſaudte ab. 

Nad) der Ankunft der Hellenen bei Periuthus trennte 
fid) Neon von dem Heer, und bezog mit etwa achthundert 
Mann ein befonderes Lager; das übrige Heer fand fämmtlicdh 
vor den Mauern von Perinthusd beifammen. 

Hierauf unterhandelte XRenophon der Fahrzenge wegen, 
um aufs ſchleunigſte überzufegen. Während dem kam ber 


+) Nadymald KHeraida genannt, eine Stadt an ber Propontis in 
Thracien. J 


‚Siebentes Bud. 994 


Statthalter Ariftarchus von Bozantium mit zwei Dreirudern an 
und unterfagte auf Anftiften ded Pharnabazus den Schiffern, 
Jemand überzufegen, begab fich fofort zum Heere, und vers 
bot den Soldaten die Weberfahrt. Kenophon entgegnete, Ana⸗ 
xibins hätte es ihm befohlen und ihn zu dem Ende hieher 
geſandt. Ariſtarchus erwiederte dagegen: „Anaxibius jft 
nicht mehr Flottenführer, ich aber bin Statthalter hier zu 
Land; wenn fi Einer von Euch auf dem Meere betreten 
laͤßt, ſo wird er über Bord geworfen !’‘ 

Nach diefer Erklärung begab er fih in die Stadt, und 
ließ am folgenden Tage die Heerführer und Hauptleute des 
Heeres zu ſich befcheiden. Schon waren fie an den Mauern 
der Stadt, als dem Kenophon Einer hinterbrachte, daß er 
dort, wenn er hineingehe, ergriffen werde, wo man ihn 
entweder gleich verurtheilen oder an Pharnabazus ausliefern 
würde, Anf diefen Wink ließ er die Andern vorangehen, 
und fagte, er müßte nody über Etwas die Opfer befragen. 
Nady: feiner Ruͤckkehr opferte er, um zu erfahren, ob ihm die 
Götter riethen, das Heer dem Seuthes zuzuführen; denn er 
fah, daß es nicht rathfam war, überzufenen, da Derjenige, 
weicher dagegen fey, Dreirnder zur Verfügung habe; auch 
wollte er fidy nicht. in dem Cherſones einfchließen, und das 
Heer an Allem Mangel Teiden laſſen; hier müßte man ſich 


den Befehlen ded Statthalter fügen, ohne daß dafür das - 


Heer für feine Bedürfniffe gedeckt ſeyn würde. 

Er war nody damit befchäftigt, als die Heerführer und 
Hauptleute von Ariftarchus zurückkamen und ſagten, er habe 
ihmen bedeutet, gegen Abend wieder zu kommen; da fah man 
denn nody deutlicher, daß er Verrath im Schilde führte, Als 


992 Renophon's Feldzug des füngern Cyrus. 


Kenophon glaubte, daß die Opfer ihm und dem Heere für eis 
nen Zug zu Seuthes günſtig wären, nahm er den Haupt⸗ 
mann. Polykrates aus Athen, und aus der Abtheilung jedes 
Heerführers — Neon's ausgenommen — einen Mann , er 
feinem Obern zuverläßig fchien, und begab ſich ın der Nacht 
nach dem fechzig Stadien entfernten Lager des Seuthes. 

In der Nähe des Lagers fließ er auf verlaffene Wachs 
fener, und glaubte zuerft, Seuthes habe feine Stellung ver. 
ändert; ald er aber hörte, daß Lärm gemacht wurde, und Die 
Leute des Geuthes einander Seichen gaben, ba merkte er, 
daß Seuthes die Wachfener deswegen vor den Vorpoſten ans 
zünden ließ, damit die Wachen im Hintergrund nicht gefehen 
würden, dagegen Jeden, ber fich näherte, in dem Scheine 
der Fener erblicken könnten. 

Kenophon ſchickte deßhalb den Dolmetſcher ab, welchen 
er gerade bei fidy hatte, und ließ Seuthes melden: „Xeuo⸗ 
phon ift da, und wünfcht dich zu fprechen.” Sie fragten ihn, 
ob es der Athener Kenophon aus dem Lager wäre. Als er 
es beiahte, fprangen fie auf und Tiefen davon; gleich darauf 
Samen zweihundert Peltaſten und führten ihn und feine Zente 

zu Seuthes. 

Diefer befand fi in einem Zhurm und Hatte alle Bor: 

 fichtsmaßregein getroffen; es flanden rings um den Thurm 
anfgezäumte Pferde; denn aus Furcht ließ er die Pferde bei 
Zage weiden, bei Nacht aber mußten fie aufgezäumt in Bes 
zeitfchaft auf der Wache ftehen; beun es hieß, fein Ahuherr 
Teres, der in diefer Gegend mit einem großen Heere geflanden, 
Habe früher durch die Einwohner diefer Zandichaft viele Leute 
und alt fein Gepäde eingebüßt; die Eingebornen hießen Thy⸗ 


— 


N 


x 


Siebentes Buch. 993 


nier, ) und wurden für die gefahrlichſten Feinde zur Nacht⸗ 
„zeit gehalten. 


. Als fie herankamen, ließ er Renophon mit zwei feiner 
Lente, die ex ſelbſt wählen kounte, zu ſich hereinkommen. 
Nachdem ſie eingetreten waren, bewillkommten ſie ſich, und 
tranken einander nach Thraciſcher Sitte Wein aus Trinkhör⸗ 


‚nern zu (Seuthes hatte Medoſades, den er überall hin zu 


feinem Gefandten brauchte, bei ſich). Xenophon begann hier⸗ 


auf folgenden Vortrag: 


„Früher fandteft du, Seuthes, diefen Medofades zu mir 


‚nad. Chalcedon, und ließeft mic, erfud:en, mit dahin zu wixs 
‚Leu, daß das Heer aus Aſien überfeste, wofür du mir, wie 


diefer Medofades fagte, verfpeachefi, Gutes zu erzeigen.‘ 
Dann fragte er noch Medoſades, ob er wahr gefprochen hätte? 
Diefer hejahte es. „Hierauf Fam,’ fuhr er fort, „nachdem 
id) von Parium aus zu dem Heere zurückkehrte, diefer Me—⸗ 
dofades wieder zu mir und verfprach mir in deinem Namen, 


du wolleft midy, wenn ich das Heer dir zuführte, fowohl im 


Uebrigen als deinen Freund und Bruder behandeln, als: auch 


‚die Pläbe am Meer , die unter deiner Botmäßigkeit fländen, 


mir einräumen.” Da fragte er Medofades- wieder, ob er 
wahr gefprocdhen hätte? Auch Dieß ward von ihm bejaht. 
„Wohlan denn,‘ begann Kenophon wieder, „berichte 
Diefem,. was ich dir gleich anfangs in Ehalcedon geantwortet 
Habe. — „Du gabft mir zur- Antwort,’ verfeste Diefer, 





*) Schon aus biefer Namenaͤhnlichteit laͤßt ſich auf die Ver⸗ 
wandtſchaft der Europaͤiſchen Thracier mit ‚den Heinafıatis 
fchen Bithyniern ſchließen. 


ERenophon. Fr Bocqhn. 5 


994 Zenophon’s Feldzug IE jüngern Cyrus. 


„daß das Heer nach Byzantium Überfesen würde, und deß⸗ 
halb dürfte weder dir, noch ſonſt Jemand Etwas bezahlt 
werben; du felbft würdeft nach der Weberfahrt nad) Hufe ge: 
ben ; ımd Dieß ift Alles fo geſchehen, wie du Tagteft.‘‘ 

„Belchen Beicheid gab ich dir, als du nach Selybrin) 
kamſt?“ 

„Du erklaͤrteſt, daß es nicht angehe: Ihr würdet von 
Perinthus nach Aſien überſetzen.“ 

„Run aber,“ fuhr Xenophon fort, „komme ih mit 
Phryniskus hier, einem der Heerführer, und Polykrates, ei⸗ 
nem der Hauptleute; draußen ſtehen überdieß ans allen Heer⸗ 
‚abtheilungen, der des Lakoniers Neon ausgenommen, die je: 
dem der Führer vertrauteſten Männer; willſt da niitm unſrer 
Verhaͤndlung die größtmögliche Zuverläßigkeit geben, fo Faß 
auch Die draußen rufen. Du, Polykrates, fage ihnen, daß 
ich ihnen befehle, die Waffen zurückzulaſſen: und auch Pu kaß 
dein Schwert zurück und komme wieder!‘ 

Seuthes verficherte, daß er keinem Athener mißtraue; 
denn er wüßte, daß fle feine Verwandten **) ſeyen, und er 
halte fie für feine Freunde, die ed gut mie ihm Meinten. 
Nachdem die Andern hereingetreten waren, fragte Xenophon 
zuerſl Seuthes, wozu er das Heer zu btrauchen gedeiite? 





*) Rad Strabo eigentlich Selysftadt. Sie gehört zu Thra⸗ 

“den und Liege zwiſchen Byzantium und Perinthus. 
Heut zu Tage Silyvria. 

*) Er bezieht ſich Hier auf die Vermahrang des Tereus mit 
Pandions Tochter, Prome ans Arhen. Dieſe fand etwa tau⸗ 
ſend Jahre vorher Star, 





Siebentes Bud. 99% 


Seuthes erwiederte: „Maͤſades war mein Buter, und - 
Diefer herrfchte über die Melanbiten, Thynier und Xra- 
nipfen. Aus diefem Lande ward mein Vater, ald der Staat 
der Odryſler in Verfall gerieth, vertrieben, und ſtarb an eis 
‚wer Krankheit; ich ward als Waife bei dem jetzigen König. 
Medokus auferzogen. Als ich zum Jüngling herangewachſen, 
ward es mir unertraͤglich, an fremdem Tiſche zu fiben; fo 
faß ich eines Tages neben ihm bei Tafel, und bat: ihn fe: 
hentlich, mir eine möglichst zahlreiche Mannfchaft zu geben, 
um an Denen, bie und vertrieben hätten, Rache zu nehmen, 
und nicht, wie ein Hund, von feinem Tiſche mid) füstern zu 
faffen. - Da gab er mir die Leute und die Pferde, meiche Sr 
fehen werdet, fobald es Tag feyn wird. Ich lebte bisher. mit 
‚meinen Leuten von dei Beute, die ich in meinem väterlichen 
-Sebiete mache. Wenn Ihr Euch nun zu mir hieltet, fo hoffe 
id) das Land mit Hülfe der Götter wieder zu ernbern. Das 
ift ed, wozu ich Euch verlange.‘ . 

„So fage denn an, was du dem Heere, den Hauptleuten 
und:den Heerführern geben könnteſt, damit Dieſe die Nach⸗ 
richt überbringen. Er verſprach den Gemeinen einen Eyzi⸗ 
cener, dem Hauptmann zwei und dem Heerführer vier, nebſt 

ſo viel. Land, als er wünſchte, ferner ein Ochſengeſpann und 
einen. ammauerten Pas an bem Meere. 

„Wenn wir Dieß aber,’ fagte Xenophon, „bei’m Heere 
nicht»durcchfegen, und die Leute fich vor den Lacebämoniern 
fürchten, würdeſt du wohl. Diejenigen, weiche zu dir Kommen 
wollten, in dein Land aufnehmen?" Er antwortete: „Sie 
ſollen meine Brüder und Tifchgenuffen -feyn, und au Allem 
Theil haben, was wir erwerben werden. 7 „Kenophon, 


996 Zenophon’s Feldzug bes jüngern Cyrus. 


will ich eine Tochter geben, und wenn da eine Tochter haſt, 


fie dir nach Thracifcher Sitte abkaufen, und ihr Bifanthe *) 


‚zum Sitze geben, die fchönfle Stadt, die ih am Meere 


beſitze.“ 
3. Auf dieſe Erklaͤrung reichten ſie ſich gegenſeitig die 
Rechte, und trennten ſich. Vor Tagesanbruch langten fie 
bei dem Lager an und gaben den Ihrigen Nachricht von dem 
Erfolg ihrer Reiſe. Am Morgen beſchied Ariſtarchus die 
Heerführer und Hauptleute zu ſich; ſtatt aber zu Ariſtarchus 
‚zu gehen, beſchloßen fie, Das Heer zuſammenzuberufen. Alle, 
nur Neon’s Leute nicht, welche sehen Stadien weit entfernt 
ſtanden, verfammelten fi. Als fie beifammen waren, traf 
Kenophon auf und ſprach, wie folgt: 
„Soldaten, dahin zu fchiffen, wohin uns der Sinn fteht, 
verbeut uns Ariftarchus, der Dreiruder zur Hand hat; deß—⸗ 
wegen ift. es nicht vathfam für uns, Frachtfchiffen uns anzu: 
vertrauen; er will dagegen, daß wir mit Gewalt über den 
heiligen Berg nad dem Cherfones ‚vordringen. Wenn wir 


diefen Zug überflanden hätten, und dort angelangt wären, | 


: fo verfpricht er, Euch nicht mehr, wie in Byzantium, als 
Sklaven zu verkaufen, oder länger hinzuhalten, fondern Euch 
dann die Löhnung auszuzahlen, und nicht, wie jetzt, es ge 
fchehen zu laſſen, daß Ihr an Lebensmitteln Noth leider. So 
‚fpricht Diefers Seuthes aber fagt, wenn Ihr zu ihm kom⸗ 
..met, fo wolle er Eudy gufe Tage machen. So überlege min, 
ob Ihr -fogleich hier, oder, nachdem Ihr in einer Gegend aus 


.*) Broifchen Perinthus und Ganos, aud Rhaͤdeſtus genamntı, 
das beutie Rodoſto. 


Siebentes Bud. 99897 


gelangt ſeyn werdet, wo Ihr Lebensmittel habe, einen Ent⸗ 
fchtuß hierüber falfen wollt, Mein Rath ift, wir gehen, da 
wir hier ?ein Geld haben, um Etwas einzufaufen, und 
man und ohne Geld unfre Bedürfniffe nicht nehmen läßt, 
nach den Dörfern, deren Bewohner und Diefed nicht zu vers’ 
wehren vermögen; dort Bönnet Ihr im Beflbe der nöthigen 
Lebensmittel nath den verfchiedenen Wünfchen die geeignete 
Wahl für Euch treffen. Mer hiefür flimmt, der hebe die 
Hand empor. Sie thaten es Alle. „So geht nun,“ ſchloß 
er, „und macht Euch fertig, um auf den erften Befehl En» 
rem Yührer zu folgen.’ 

Hierauf führte fie Renophon an und fle folgten. Neon 
aber und die Partei des Ariſtarchus fuchten fie zum Umkeh— 
ven zu bereden; allein fie fanden fein Gehör. Nachdem fie 
an dreißig Stadien vorgerüdt waren, Bam ihnen Seuthes 
entgegen. Sobald ihn Keunphon auſichtigſwurde, hieß er ihn 
beranveiten, um ihm vor fo viel Ohrenzeugen ale möglich zu 
eröffoen, was er für zweckdienlich hielt. 

Als er herankam, ſprach Renophon: „Unſer Zug geht 
dahin, wo das Heer feinen Unterhalt findet; dort wollen wir 
deine und der Lakonier Anıräge anhören, und ung für Das 
entfcheiden, was wir für das Zuträglichfte halten. Wenn du 
uns dahin führft, wo wir die meiften Lebensmittel finden, fo 
fehen wir’s an, als ob wir von dir gaftlidy bewirthet wür⸗ 
den.’ Geuthcd antwortete: „Ich weiß eine Menge Dörfer, 
die beifammen liegen, und mit allen Lebensmitteln yerichen 
find; fie find nur fo weit entfernt, daß ein Zug dahin Euch 
ef zur Vormahlzeit macht.‘ 


W983 Zenopbon’s Feldzug des füirgern Cyrus. 


„So führe und dahin!’ fiel Kenophon ein Als fir 
gegen Abend in denfelben anlangten, verfammelten fidy Die 
Soldaten, und Seuthes hielt folgende Anrede an file: „Ihr 
Männer, ich erfuche Euch, mit mie zu Felde zu ziehen, umd 
verfpreche dem Soldaten ded Monats einen Epziccher, den 
Hauptieuten und Heerführern nad, Verhältniß das Ihrige; 
außerdem aber werde ic, noc den Würdigen weitere Aus⸗ 
zeihnung verleihen; Speife und Trank bezieht. Ihr, wie andy 
jest, aus dem Lande; die Beute aber, die Ihr macht, fpreche 
ich für mich an, um durch den Verkauf derfelben Euern Sold 
zu bezahlen. Was flieht und davon läuft, mit Dem nehmen 
wir es auf 33 Wer fid aber widerfegt, mit Dem wollen wir 
mit Eurer Hülfe fertig werden.” 

Tenophon fragte noch weiter: „Wie weit vom Meere ab, 
wiltft du, daß das Heer dir folge? Er antwortete: z, Nir⸗ 
gende weiter, als ſieben Tagmärfıhe, oft nicht einmal fo 
weit,‘ 

Hierauf ward Jedem geftattet, feine Meinung zu fagen; 
worauf denn Diele erklärten, daß, Seuthes Bedingungen 
annehmlich wären; es fey Winter; und wenn? Einer auch 
wollte, fo Eönnte er nicht nach Haufe ſchiffen; in Freundes 
fand zu bleiben, fey aber eben fo unmöglich,‘ wenn man bie 
Lebensmittel Laufen müßte; beffer und ficherer fey es, ſich 
auf feindlihem Grund ’iund Boden mit Seuthes zu haften 
und von da den Mundbedarf zn nehmen, als allein, zumaf 
da fo viele Vortheile ſich zeigten; und wenn fie dann vollends 
noch Sofd befämen, fo müßten fie diefen für gefunden bes 
srachten. Da nahm Kenophon.bas Wort und fagfe: „wenn 


| 


Giebantes Bud 999 


Yanand. Etwas dawider hat, fo rede er; wo nice, fo. gebe 
er. feine Zuſtimmung.“ 

Als Niemand widerſprach, fo flimmten fie ab, und Alles 
ward genehmigt. Hierauf erflärte er Seuthes, baß fie den 
Serdzug mit ihm machen mollten. *) 

Die Andern aßen nun nad ihren Abtheilungen unter 
Zelten; die Heerführer und Hauptleute aber lud Seuthes, 
der.ein Dorf in der Nähe hafte, zur Tafel, 

Vor dem Eingange, wo fie fpeifen ſollten, fland ein ger 
wiſſer Heraklides aus Maronea.**) Diefer ging zu Jedem, 
Yon dem er glaubte, daß er Seuthes Etmas fchenten könne. 
Zuerft machte er ſich an einige Männer aus Parium, die ge: 
kommen waren, um mit Medokus, dem Könige der Odryſier, 
ein Bündniß zu fchließen und deßhalb fowohl für ihn ale 
deſſen Gemahlin Gefchente bei ſich hatten, und bemerkte ih: 
nen, daß fie zu Medokus Iandeinwärts nod, einen Weg von 
zwölf Tagen hätten, Seuthes aber, der diefes Heer an ſich 


. gezogen hätte, würde über das Küftenlaud herrfchen. „Als 


Euer Nachbar,’ fagte er, „iſt er am eheflen in dem Fall, 
Eud) Gutes oder Böfes zu thun; wenn Ihre nun Flug feyn 
wollt, fo gebt Ihr Diefem, was Ihr mit Euch gebracht habt, 
and Ihr werdet befier dabei fahren, als wenn Ihr’s Medos 
kus gebt, der weiter von Euch wegwohnt.“ Somit überredete 
er fie, 





*) Nach Renner und Andern geſchah diefe Vereinigung zu Aus⸗ 
sang des Novembers oder zu Anfang bes Decemberd im 
Fahr 400 vor Ehr. 

++, Einer Stadt in Thracden am Aegaͤiſchen Meer, nach Reichard 
jur Maronja genannt. 


1900 Renophon's Feldzug des jüngern Eyrus. 


Hierauf ging er den Darbaner Timaſion an, won Dem 
er hörte, daß er Perſiſche Trinkgeſchirre und Teppchie befäße, 
und fagte, ed fey Sitte, daß die von Seuthes geladenen Gäſte 
ihm -Gefchente machten. „Wenn er einmal hier mächtig ſeyn 
wird, fo ift er im Stande, dich in deine Heimath zurückzu⸗ 
führen, oder auch hier reich zu machen.’ 

Zu XRenophon kam er und fagte: „du ſtammſt aus der 
größten Stadt, bein Name fteht bei Seuthes hoch in Ehren, 
und du wirft, wie fchon Andere von Euch, in diefem Lande 
vielleicht fefte Pläbe nebft Ländereien erhalten wollen; deß— 
halb kommt es dir auch zu, Seuthes mit den glänzendften 
Geſchenken zu beehren; ich gebe dir den wohlgemeinten Rath; 
denn ich bin überzeugt, daß du, je größere Geſchenke du ihm 
mahft, um fo reidhlicher "wieder von ihm bedacht werben 
wirft.‘ Auf diefes Anfinnen war Xenophon in Verlegenheit; 
denn er hatte von Parium Nichts als einen fohönen Kuaben 
und das nöthige Reifegeld mitgebracht. 

Als man eintrat, festen ſich die anweſenden voruehmen 
Thracier und die Helleniſchen Heerführer und Hauptleute 
nebſt den Geſandten ber Städte im Kreiſe zur Mahlzeit. 
Hierauf wurden Allen dreifüßige Tiſche mit zerfchnittenen 
Fleiſch und gefäuerten großen Broden belegt. Die Zifche 
mit den Speifen wurden größtentheitd fo geftellt, daß jeder 
‚vor einem Gafte zu flehen Bam; deun fo wollfe ed die Sit- 
te. Seuthes nahm zuerft die neben ihm liegenden Brode, 
brach fie *) und theilte fie nach Gutdünfen aus. Mit dem 
Fleiſch machte er es eben fo, und behielt nur fo viel, ald ex 








*) Die Brode der Alten Hatten die pintte Form unſrer Kuchen. 


mal — — — — — J 


- 
— 





Siebentes Bu: 4604* 


ſelbſt eſſen wollte. Die Andern, vor welchen die Tiſche zu 
ſtehen kamen, verfuhren auf gleiche Weiſe. Ein Arka⸗ 


dier, Namens Aryſtas, der ein gewaltiger Eifer war, fand: 


das: Vertheilen zu langweilig, nahm ein Brod, au dem Eis 
ner drei Tage hätte effen können, Tegte das Fleiſch auf die 
Knie und aß. Man trug au Trinkhörner herum, und Ale’ 


nahmen fie an; Aryſtas aber fagte, als der Mundfchen? auch 


an ihn Fam, da er Kenophon noch nicht effen fa: „bring es nur 
Jenem dort, der hat fchon Zeit, ich aber nody nicht.‘ Als 
Seuthes die Stimme hörte, fragte er den Mundfchenten, was 
er. wolle. Der Mundſchenk fagte es ihm; denn er verftand' 
Helleniſch; da entitand ein Gelächter. 

Gm Verlaufe ded Trinfgelags Fam ein Thracier mit ei⸗ 
nem weißen Pferd herein, nahm ein volles Trinkhorn und 
ſprach: „Ich trinke dir zu, Seuthes, und ſchenke dir dieſes 
Pferd; auf ihm wirſt duͤ Jeden, Den du willſt, einholen, 
und wenn du fliehſt, dich vor dem Feinde nicht zu fürch— 
ten haben." Ein Anderer brachte einen Knaben herein und 
fchentte ihm ſolchen, indem er ihm gleichfall® zutrank; ein 
Dritter brachte ihm Kleider für feine Gemahlin. ZTimas 
flon frank ihm zu, und fchenkte ihm eine filberne Schafe und 
einen Teppich, der zehen Minen. werth war. Der Athener 
Gneſippus fland auf und fagte: „es iſt eine alte, fehr löbliche 
Sitte, nach welcher die Reichen dem Könige der Ehre wegen 
Etwas fchenken, der König aber Denen, welche Nichts ha⸗ 
ben; fo nur,“ fagte er, „din auch ich im Stande, dich mit 
Geſchenken zu ehren.“ 

Xenephon, welcher der Ehre. wegen auf dem naͤchſten 
Site bei Seuthes ſaß, war in Verlegenheit. Heraklides hieß 


—4 


1004 Kenopbon’s Feldig des jimgern Cyrus. 


dan Mandſchenken ihm das Trinkhorn reichen. Xenophou, 
ſchon etwas trunken, nahm getroſt den Becher, ſtand auf und 
ſagte: „Ich, Seuthes, ſchenke dir mich und dieſe meine Ge⸗ 
noſſen zu treuen Freunden, Keinen gegen ſeinen Willen, ſon⸗ 
dern Alle, noch mehr als ich, von dem Wunſche beſeelt, dir 
treulich zu dienen. Nun ſind wir erſchienen, nicht um Et⸗ 
was zu erbetteln, ſondern vielmehr mit dem Wunſche, Ar⸗ 
beiten und Gefahren für dich zu übernehmen; mit ihrer Hülfe 
magſt du, wenn die Götter Gnade verleihen, dein großes 
väterliched Reich wieder erobern, und nocd mehr dazu ge⸗ 
winnen; viele Pferde, viele Männer und ſchoͤne Weiber wirft 
du erbeuten, die du nicht zu holen brauchſt, fondern freiwillig 
erden fie kommen und dir Gefchenke bringen.’ 

Da fand Seuthes auf, trank zugleich mit ihm aus, und 
goß den Reſt des Weines aud. Hierauf kamen Leute herein, 
die anf Hörnern, wie man fie zum Schlachtzeichen braucht, 
und mit Trompeten aus. ungegerbfer Rindehaut nad, dem 
Takte und gleichfam in der Ditave blieſen. Geuthes felbit 
fand anf, fließ einen Kriegeruf aus und machte mit großer 
Behendigkeit einen Luftfprung, als wollte er einem Geſchoß 
ausweichen. Auch’ Poflenreißer traten herein. 

Gegen Sonnenuntergang flanden die Hellenen auf und 
fagten, es wäre Seit, die Nachtpoften aus zuſtellen und die Lo⸗ 
fung zu geben. „Du, Seuthes, gib Befehl, daß fein Thracier 
zur Machtzeit in's Hellenifche Lager fommt; denn unſre Feinde 
find Thracier, und Ihr, unfre Freunde, ſeyd es auch.‘ *) 


*) So konnten ſich alfo bie Griechen leicht an ihren (Thracifchen) 
Sreunden vergveifen , in ver Meinung, es feyen Feindliche 


er 


ME fie hingausgingen, erhob ſich auch Seuthes, ohne ir⸗ 
gend eine Spur von Beranfhung. Er Pam heraus und rief: 
die Heerführer wieder zu fi und fagte: ‚Ihr Männer, un⸗ 
fer Feind weiß noch nichts von unſerer Bundesgenoſſenſchaft; 
wenn wir ihn num angreifen, bevor er Gegenanſtalten trifft, 
um ſich in Sicherheit zu ſtellen, oder zur Wehr zu feben, fa 
können wir am Teichteften Menſchen und Habe erbeten.‘ 
Die Hersführer billigten feinen Borfchlag und forderten ihn 
auf, fie gegen ten Feind zu führen. Er erwiederte: „haltet 
Euch ſchlagfertig, bis ich zu Euch komme; dann will ich mit 
den Dettaften und End), wann es Zeit ift, aufbrechen, und 
mit Hülfe der Götter gegen die Yeinde rücken.“ 

Zenophon gab ihm nun zum bedenken: „Wenn wir bei 
Macht ziehen, fo ift wohl ber Hellenifche Kriegebrauch der 
befte. Bei Tag bildet nämlich, je nachdem es vermöge der 
Oertlichkeit zuträgkich ift, bald das fchwere Fußvolk, bald die 
Reiterei ven Bortrab; bei Tracht aber ift es bei den Helles 
nen der Brauch, daß immer die langfamften Truppen voran 
ziehen. Denn fo wird verhindert, daß das Heer fich nicht 
zerſtreut, und es bleibt am wenigſten unbemerkt, wenn ſich 
ein Theil davon machen will; denn zerſtreut, fällt man ſich 
oft, da man ſich nicht kennt, gegenſeitig an und kommt ſo 
zu Schaden.“ 

Seuthes antwortete: „Ihr habt Recht, ich will mich 
nach Eurem Brauche richten und Euch die der Gegend kundig⸗ 
ſten, aͤlteſten Maͤnner zu Führern geben, ich ſelbſt aber will 
mit ber Reiterei den Nachtrab bilden; denn, fo ed Noth 
thut, bin ich. fogleich vorn.” Wegen der Verwandtſchaft mit 


4008  Zenophon’d Feldzug. deo ſungern Eyrus. 


den Athenern war die Löfung Atheue gebeben. Damit. 


beaab man ſich zur Ruhe. 


Gegen Mitternacht kam Seuthes mit geharnifchten. Reis: 


tern und gewaffneten Peltaften an. Nachdem er die Weg- 
weifer übergeben hatte, zogen die Hopliten voranz dann folg⸗ 
ten die Peltaften ; die Nachhut dedten die Reiter. 


Mit Tagesanbruch ritt Seuthes voran und lobte den 


Helfenifchen Kriegsbrauch; denn oft, fagte er, fey er ſelbſt 
ſchon bei einem Nachtzug mit feinen Reitern von den Fuß⸗ 
volk abgefommen; „ſo aber find wir, wie ſich's gehört, ‚bei 
anbrechendenm Zage Alle beifamnıen. Bleibt nun hier, und 


ruhet aus; wenn ich Erfundigung eingezogen habe, Fomme 


ich wieder zu Euch.“ \ 

Damit ritt er über einen Berg hin, anf einem Wege, 
den er gefunden hatte. Als er vielen Schnee antraf, fah er 
fidy) auf dem Wege um, ob er Fußſtapfen von Menſchen fän⸗ 
de, die vorwärts oder rückwärts gingen. Da er den Weg 
unbetrefen fand, kam er wieder und faafe: „„Es wird gut 
gehn, Ihr Helkenen, ſo Gott will; wir Bönnen den Feind um- 
vermuthet überfallen. Ic will mit den Reitern vorangeben, 
damit Keiner, der unfrer anffchtig wird, den Feinden Kunde 
gibt; Ihr folge uns; und wenn She nicht ſchnell genug nadız 
komme, fo folge nur dem Huftritt der Pferde; wenn wir 
diefe Gebirge hinter und haben, gelangen wir zu einer Menge 
reicher Dörfer. ’’ 

Gegen Mittag war er fchon auf der Höhe und hatte die 
Dörfer im Geficht; da kam er zu den Hopliten herangefprenget 
und fagte: „ich Laffe nun meine Reiter in die Ebene hinab, 
und die Peltaften ſich anf die Dörfer werfen. Folgt Ihe in 


—— ——— — ER. 2. — een — 


Siebentes Buch. | 410086 


‚möglichfter Eile, damit Ihr, wenn man fid) zur Wehre fept, 
.zu Hülfe kommt.‘ 

Xenophon flieg, als er Dieß vernommen, vom Pferde. 
Auf Seuthes Frage, warum er abfleige, da es doch Eile has 
be, antwortete er: „weil ich weiß, daß man mich allein nicht 
nöthig hat; die Hppliten aber werden ſchneller und freudiger 
apraneilen, wenn ich zu Fuße fle anführe. 

Damit ritt Seuthed davon und. mit ihm Zimaffon , nebſt 
‚ungefähr vierzig berittenen Hellenen. 

Kenophon ließ von den Lochen Alle, bis zu den Dreißi⸗ 
‚gern, leicht gegürtet hernortreten, und fepte fi mit Diefen 
in vollen Lauf; Kleanor Bam mit den übrigen Hellenen nach. 

Als fie an den Dörfern waren, ritt Seuthes zu ihnen 
Heran und fagte: „es iſt gegangen, wie du fagtefl: die Leute 
nd im unferer Gewalt; allein meine Reiter haben fich auf 
der Verfolgung nad) allen Seiten hin zerftreut; und ich bes 
.forge, die Feinde möchten ſich zufammen thus, und ihnen 
Schaden zufügen. Es müßen auch in den Dörfern Einige 
von uns bleiben ; denn fie find vol Menfchen.‘‘ 

„Ich wilt mit meinen Leuten,“ fagte Kenophon, „die 
Höhen beſetzen; du aber gib Kleanor den Befehl, die Pha⸗ 
fanr auf der Ebene an den Dörfern hin auszudehnen.“ Nach—⸗ 
‚dem fie diefe Maßregeln getroffen, brachten fie an faufend 
Gefangene, zweitaufend Stiere umd gegen zehntaufend Stück 
Kleinvieh auf. Sie blieben die Nacht über hier. 

4. Um folgenden Tage ſteckte Seuthes alle dieſe Dörfer 
in Brand, und ließ Bein einziges Haus fiehen, um den An⸗ 
dern Furcht einzujagen, und ihnen zu zeigen, welches Schick⸗ 


4006 Zenpphon’s Feldzug: des Jüngern Cyrus. 


‚ at fie erwartete, wenn fie ſich nicht untermärfen. Dany 
309 er ab, und ließ Heraklides die gemachte Beute in Perins 
thus verkaufen, um den Soldaten den Sold von dem Erids 
zu entrichten. Er felbft bezog mit den Hellenen in ber Thy⸗ 
nifchen Ebene ein Lager. Die Bewohner verließen ihre Be⸗ 
hauſungen und flüchteten auf die Gebirge. 

Es lag ein tiefer, Schnee, und die Kätte war fo Areng, 

daß das Waſſer, welches fie zum Eſſen hoften, und der. Wein 
in den Gefäffen gefrorz ja Vielen von den Hellenen ;verfros 
ren Nafen und Ohren. Da beoriff man, warum die Thra= 
eier Kopf nnd Ohren mit Fuchsbaͤlgen verwmahrten, warum 
ihre Leibröcde nicht bios die Bruſt, fondern auch die ‘Beine 
bedeckten, und warum fie zu Pferde nicht den ‚gewöhnlichen 
‚Unterwurf, fondern bis auf die Fuͤße hinabreichende Mäntel 
tengen. . 
Seuthes ſchickte Einige der Gefangenen auf die Gebirge 
und ließ fagen, wenn fle nicht herabfämen und ſich unters 
wärfen, fo würde er auch ihnen Käufer und Getreide in 
Brand fteden, fo daß fle verhungern müßten. Da kamen 
Weiber und Kinder nebft: den Alten herab: die Füngern flan- 
den in den Dörfern am Fuße des Gebirge. 

Als Seuthes Dieß erfuhr, befahl er Xenophon, ihm mit 
der jüngften Mannfchaft der Hopliten zu folgen. Sie bra⸗ 
hen in der Nacht auf und erfchienen mit Anbruch bed Ta⸗ 
ges vor den Dörfern; die Meiften entkamen wegen der Nähe 
des Gebirges durch die Flucht; Die aber, welche ihm: in die 
Hände fielen, ließ Seuthes uhre Erbarmen mit dem Gpeere 
nieberftechen. 


— — — — — — 


Eictbentes Buch.. 10007 
Der Olhnthier *) Eplſthenes, der in ſchone junge Leute 


verliebt war, fah einen mit einer Pelta bewaffneten Jüngling, 
der eben fterben ſollte; er lief zu Renophon und bat ihn, den 


ſchönen Knaben zu retten. Diefer wandte fi an Geuthes . 
mit der Bitte, dem Knaben das Leben zu fchenten, und er: 
zähfte ihm von Epiſthenes, daß er einmal einen Zochos warb, 


wobei er bios auf fchöne Leute gefehen, und daß er ſich mit 


Diesen fehr brav im Felde gehalten habe, 
Seuthes fragte ihn: „würdeſt du, Epiſthenes, wohl_für 


den Jungen ſterben?“ Er hielt ſeinen Nacken hin und ſagte: 


‚Sau zu, wenn es der Jüngling beſtehlt, und mir dafür 
Dank wiffen will!" Seuthes fragte den Juͤngling, ob er 
ihm ſtatt feiner tödten folte? Der Jüngling ließ es nicht 
zu, fondern fagte, er möchte Beiden das Leben ſchenken. Da 
umfaßte Epifthenesd den ungen und fprach: „Nun mußt du 


dich um ihm mit mir ſchlagen, Seuthes; denn in Gutem laß 
ich dir den Knaben nicht!” Ä 


Seuthes lachte und Tieß ed dabei bewenden; er fand 
aber für gut, die Gegend befest zu haften, damit Die auf 
dem Gebirge ihre Bebürfniffe nicht aus ‘den Dörfern bezie- 
ben könuten. Er ſelbſt zog ſich mehr in die Ebene hinab; 
Zenophon aber blieb mit einer auserleſenen Mannfchaft in 
dem aͤußerſten Dorf am Fuße des Gebirges ftehen; und auch 


‚ die andern Hellenen Tagerten fid, in dem Gebiete der foge: 


genantiten Gebirgsthracier. 
Nach Verlauf weniger Tage kamen die Thracier von 
Tem Gebirge zu Seuthes herab, und-unterhandelten mit ihm 





erg, I, 2. ’ 


41008 Zenophon’s. Feldzug des jüungern Cyrus. 


‚über Geißeln und Bertragsbebingungen. Auch Xenophon 
Sam zu Seuthed und flellte ihm vor, wie fie in der Nähe 
der Feinde einen harten Stand hätten, und fie lieber auffer- 
‚halb des Dorfes an irgend einem haltbaren Plage unter 
freiem Himmel, als unter Dach und Fach blieben, wo ihnen 
augenblicklicher Untergang drohe. Seuthes aber hieß ihn gu: 
ten Muthes ſeyn, und zeigte ihm die aumwefenden Geißeln. 
Man wandte fi) auch an Kenophon, zur AÜbfchließung eines 
Friedensvertrages mitzuwirken. Er verfland fid dazu und 
Sprach ihnen Muth ein: es fole ihnen nichts zu Leite gethan 
‚werden, wenn fie ſich Seuthes unterwürfen. Sie thaten 
dieß Alles aber bios, um die Stellung ihrer Feinde auszu⸗ 
kundſchaften. 

Dieß geſchah noch am Tage; in der ſolgenden Nacht 
machten die Thracier vom Gebirge einen Angriff auf ſie. 
Ihre Führer waren die jedesmaligen Hausbeſitzer; denn ſonſt 
mochte es ſchwer ˖halten, in der Finſterniß die Käufer in den 
Dörfern anfzufinden; zumal da fie, des Kleinviehs wegen, 
‚ringsum mit hohem Pfahlwerk eingezäunf waren. 

An den Thüren der Häuſer angefommen, warfen fle 
Wurfſpieße hinein; Andere fchlugen mit Keulen an, womit 
fie, ihrer Ausfage nach, die Epigen der Lanzen abfc)lagen 
wollten; . wieder Undere legten Feuer ein, und riefen Keno- 
phon beim Namen, herauszukommen und den Zod zu ems 
pfangen; fonft würden fie ihn innen mit lebendigen ‚Leibe 
verbrennen. 

Schon fihlug die Flamme zu dem Dache heraus, und Xe⸗ 
nophon war mit feinen Gepanzerten (fie waren mit Scyilden, 
Schwerter und Helmen ausgeräftet) noch innen. Da ſtieß 











Siebentes Bub. 1009 


Silanus aus Maciftus*), ein Füngling von achtzehn Jahren, 
‚in die Zrompete; und mit einem Mat ftürzten auch die Andern 
aus .den übrigen Häufern mit gezogenen Schwertern hervor, 

Die Thracier nahmen mit auf den Rüden gehaltenen 
Schilden, wie es bei ihnen Sitte ift, die Flucht. Einige 
wurden, als le über das Pfahlwerk [prangen, und mit den 

Schilden fid darin verfingen, anfgegriffen; Andere wurden 
niedergehauen, weil fle die Ausgänge nicht mehr fanden; die 
Hellenen verfolgten fie bis zum Dorf hinaus. 

Einige der Thynier kehrten in der Dunkelheit, um wars 
fen aus der Zinfterniß in's Helle auf Diejenigen, welche an 
einem brennenden Haufe vorüberliefen, und verwundeten Nies 

ronymus und bie Hauptleute, Euodens und Theogenes, den 
Lokrier; es blieb jedoch Fein Einziger; Einigen aber ver- 
srannten Kleider und Gepäde. 

Seuthes Fam mit den erflen fieben Reitern zu Hülfes 
auch hatte er den Thracifchen Trompeter bei ſich. Sobald 
er wußte, was vorging, ließ er auf dem ganzen Herweg 
den Trompeter blafen, was auch dazu beitrug, die Feinde 
in Furcht zu fegen. Als er ankam, reichte ex ihnen die Rechte 
und fagte, er hätte geglaubt, viele Todte zu finden, 

Hierauf erſuchte ihn Kenophon, ihm die Geißeln zu übers 
geben, und, wenn er wollte, mit ihm-einen Zug auf den Berg 
zu machen, wo nicht, ihn allein ziehen zu laſſen. Am fol⸗ 
‚genden Tag überlieferte Seuthes die Geißeln, Männer, die 
ſchon fehr betagt waren, und bei den Bergthraciern, wie es 
hieß, in großem Anſehen ftanden, und ftieß mit feiner gan⸗ 


*) Aus der Stadt Maceftus in Triphylin im Peloponnes. 
Kenophon, 85’ Bhchn, 6 


4010 Zenophon’s Felbzug bes füngern Cyrus. 


zen Macht zu ihnen. Diefe wer berrits am das Doeifade 
ftärter;; denn viele Ddryflier waren auf die Kunde Don feinen 
Unternehmnngen herabgelommen, um an dem Feldzuge Theil 
zu nehmen. Als die Thynier von dem Gebirge herab die 
Menge Hopliten, Peltaften und Beiter -fahen, Lamen fie 
herab und daten demüthig um Frieden. Sie gelobten, Alles 
su than, und darüber die Gewähr zu Teilen, 

Sengthes berief Kenopken zu ſich und legte ihm ihre An- 
träge vor, mit dem Bebenten, er werde ſich in Beinen -Ber- 
trag einlaffen, wenn er wegen bed Ueberfalls au ihnen Rache 
nehmen wollte. 

Kerophon erffärte dagegen: „ſie find, glaube ich, ſchon 
geftraft genug, werm ſie ſtatt freier- Leute nun Sklaven wer: 
den; jedoch rathe ich Bir, in Zukunft Bofkhe-zu Geißeln zu 
nehmen, die dir am meiſten ſchaden Tönen, die Alten aber 
‘zu Haufe zu laſſen.“ Hiezu verſtanden fich alle Shvarier im 
dieſer Gegend. 

5. Hierauf rückten fie Über die Berge ‚gegen vie Thra⸗ 
cier, welche oberhalb Byzankium in dem fogenaumen Delta 
"wohnen; dieſes gehörte nicht mehr zu dent Sebiete des Maͤ⸗ 
ſades, ſondern zu dem eines alten Odryſenfürſten Tores, 
Hier kam Heraklides mit dem aus der Beute erldsten Gelde 
an. Seuthes ließ drei Manleſelgeſpanne — denn er hatte nicht 
"weiter — und mehrere Joch Ochſen vorführen; rief Xencep hon 
herbei und hieß ihn nach Belieben nehmen, das Uebrige aber 
unter die Heerfuͤhrer und Hauptleute vertheilen. 

Xenophon ſagte: „ich bin zufrieden, wenn ich erſt ſpäter 
Etwas erhalte; vertheile es nur unter die Heerfuüͤhrer und 
Hauptleute, die mit mir kamen." Da bekam von den Maul: 





- — — — — 


Siebentes Buch. 4041 


efelgeipannen Eines ber Derbanier Zimaflon, der Orchomes 
nier Kleauor Eines, und Eines der Achäer Phryniskus. Die 
Ochſengeſpanne wurben unter :bie Hauptleute vertheilt. Am 


Sold zahlde er, obgleich der Monat abgelaufen war, nur 
zwanzig Tage; denn Heraklides gab vor, er habe nicht 


mehr aus ber Beute erlöst, Xenophon war. Haider aufge: 
bracht und fagte zu ihm: „Du ſcheinſt mir nicht. gehorig auf 
ben Vortheil ded Seuthes Bedacht zu nehmen; denn würbeft 
du es, fo haͤtteſt du die volle Lähmung: gebracht, und wenn 
dues and) Hätteft borgen, aber das Kleid vom Leibe .vestanfen 
müßen. “ 

Dieß nahm Heraklibes Fehr Abel muf, und mar Heforgt, 
er möchte aus bes Seuthes Gunf verdrängt werden, und 


ſuchte von dieſem Tage an, ſo viel er konnte, Xenophon hei 
GSenthes zu ſchaden. Die Soldaten gaben Kenephon-Schuid, 
daß ſie nicht den vollen Gold. erhielten; Seuthes aber mar 


empfindlich darüber, daß er fo ſehr auf die Vezahlnug des 


BSoldes für die Soldaten draug. 


Bisher hatte er immer davon geſagt, er wolle ihm bei 
ihrer Ankunft an. der: Küſte Se Veſten Biſanthe, Ganns ynd 


Neonteichus geben; allein von dieſer Seit an wollte er. nichts 


mehr davon wiſſen; denn Hrraklides wußte ihm beizubringen, 
wie es dicht rathſam ſey, einem Manne, der am. ber. Spitze 
einer Heerecsmacht ſtände, feſte Pläte anzuweiſen. 

Kenophon ging nun zu Rath, was in Betzeff Des. bevor⸗ 
flehenden Zuges in das Binnenland anzufangen ſey; Hexa⸗ 
klides führte die andern Neerführer zu Seuthes und Tagte, 
fie follten erklären, daß fie eben. fo gut als Fenophon das 
Heer anführen; daun verſprach er ihnen, ‚dahin Suenisen Ta⸗ 


4042 Xenophon’s Feldzug des jüngern Eyrus. 


gen eine zweimonatliche Löhnung verabreicht werden follte, 
wenn fie fid zur Fortſetzung des Feldzuges entfchlößen. 

Zimaflon erklärte: „Ich wollte, wenn auch für fünf Mo⸗ 
nate Sold bezahlt würde, ohne Kenophon den Feldzug doch 
:nicht mitmachen.‘ Dieſelbe Erklärung gaben auch Phrynis⸗ 
kus und Kleanor ab. 

Da fchalt denn Seuthes den Heraklides, dab er Xeno⸗ 
phon nicht auch gerufen hätte. Er ward nun allein vorbefchie: 
den. Allein er merkte die Argtift des Heraklides, wie:er ihn 
den andern Heerführern verdächtig machen wollte, und er: 
ſchien in Begleitungädiefer und der gefammten Hauptlente. 
Da fih Alle zur Theilnahme an dem fernern Feldzug bereit: 
willig fanden, zogen ‚fie aus und gelangten, den Pontus zur 
Hechten, durch die Thraciſche Landfchaft der Melinophagen *) 
nach Salmydeſſus. Hier werden viele der in den Pontus 
ſegelnden Schiffe auf Untiefen ‚getrieben und firanden; denn 
das Meer ift weithin ſeicht. ' 

Die Thracifchen Küftenbewohner haben die Gegend durch 
-Sränzfäulen abgeſchieden, und nach diefen bekommen fie die- 
jenige Dente, welche in ihrem Bezirk an's Land gekrieben 
wird; denn vorher ‚Yfagten fie, feyen oft über der, Plünde⸗ 
zung Viele um's Leben gekommen. Man fand daſelbſt viele 
Polſter, Kiften, Roten Papier und andere Waaren, welche 
die Schiffer in hölzernen Behältern mit fi führen. 

Nachdem diefe Gegend bezwungen war, 308 man wieder 
ab. Des Seuthes Heer war nun bereits zahlreicher, als das 

H D h. Fencheſſer; ige eigentlicher Name war After In 
dieſe Gegend ließ nach Strabo der Macedoniſche König Wh: _ 

Kppns feine aͤrgſten Verbrecher deportiren. 





Siebentes Buch. | 1045 


Hellenifhe; denn von den Ddryfiern waren immer Mehrere. 
herabgefommen, und Die ſich unterwarfen, fchloßen. fich dem 
Heere an. Das Lager ftand auf der Ebene, oberhalb Sely⸗ 
bria, ungefähr dreißig Stadien vom Meer entfernt. Immer. 
aber wollte nody Fein Sold erfcheinen; die Soldaten waren 
gegen Xenophon Äußerft aufgebracht; auch Seuthes war nicht 
mehr fo verfrant mit ihm, fondern fchüßte, wenn er ‚ihn be⸗ 
füchen wollte, überhäufte Geſchäfte vor. 

6. So waren beinahe zwei Monate verfloſſen, als der 
Lakonier Charminus und Polynikus von Thibron mit der 
Botſchaft kamen, die Lacedämonier hätten gegen Tiſſaphernes 
den Krieg beſchloſſen, Thibron ſey bereits gegen ihn mit der 
Flotte ausgelaufen, und bedürfe biefes Heer, wofür er dem 
Gemeinen einen Dariten monatlichen Sold, den Hauptleuten 
das Doppelte und den Heerführern dus Vierfache verfprecdhe. 

Sobald Heraklides ihre Ankunft und Abſicht erfuhr, 
ging er zu Seuthes und ſprach: „es fügt ſich allerliebſt! Die 
Lacedämonier kommen, und bedürfen diefes Heer, da du es 
nicht mehr brauchſt; wenn du es ihnen abtrittft, machſt du 
fie dir geneigt; die Soldaten werden den Sold dir niche mehr 
abfordern, und du wirft ihrer auf eine bequeme Urt aus dem 
Lande los.“ 

Seuthes hieß ihn nun die Gefandten bei ihm einführen, 
Als fie ihm erklärten, daß fle des Heeres wegen kommen, er- 
soiederte er, daß er es ihnen abtrete und ihr Freund und Ver⸗ 
bündeter zu werden wünſche. Er lud fie an feine Tafel und 
bewirthete fie aufs glänzendſte. Kenophon aber und bie 
übrigen Anführer wurden nicht geladen. 





41046 Zenophon’s Feldzug des füngern Cyrus. 


Weberfahrt verwehrte, ließ ich Eu, wie es meine Pflicht 
war, zuſammenkommen, damit wir rashfchlagten, was nun 
anzufangen wäre. Wriftarchus hieß uns, wie Ihr hörtet, 
nad) dem Eherfones aufbrechen, Seuthes dagegen, bei ihm 
in Dienfte treten. Da erflärtet Ihr einflimmig, Ihr wol⸗ 
Vet mit Diefem gehen, und faßtet darüber einen förmlichen 
Beſchluß. Habe ich alfo Unrecht gefhan, daß ic Euch dahin 
führte, wohin Ihr Alle wolltet? Wenn ich des Seuthes 
Verfahren, nachdem er Eudy die Löhnung verkürzte, gut 
bieße, fo hättet Ihr ein Recht, mid) darob zu haffen und at= 
zuklagenz da ich aber, der ich vorher von Euch Allen am 
meiften mit ihm befreundet war, mid) am meiften mit ihm 
verfeindet habe, ift es nun Recht, daß Ihr mir, der ih Euer 
Beftes vor dem des Seuthes im Auge habe, aus demfelben 
Grunde, aus dem ich mit Jenem zerfallen bin, eine Schuld 
beimefjet? Aber vielleicht jagt Ihr: ,, „beit Belragen gegen. 
Seuthes ift blos WVerftelung, und du bift doch im Bells 
Deffen, was Seuthes uns hätte geben ſollen.““ Allein ift es 
nicht natürlich, daß Seuthes, wenn er mir Etwas gab, es 
gewiß nicht fo gegeben hätte, daß er ſich durch. die für midy 
beftimmfe Summe in Koften feste, und-Eud) eine andere ' 
auszahlte? Ich glaube vielmehr, wenn er mir Etwas gege- 
ben hätte, fo häfte er es im der Abficht gegeben, durch die 
geringere, an mich gezahlte Summe, die größere. Euch ſchul⸗ 
dige nicht zahlen zu dürfen. Glaubt Ihr nun, daß es ſich 
fo verhätt, fo könnt Ihr unfern ganzen Handel dadurch ver⸗ 
eiteln, daß Ihr das Geld von ihm einfordert. Aber ich bin fo 
weit entfernt, euer Eigenthum zu befigen, daß ich Euch foger 
bei allen Göttern und Göttinnen ſchwöre, daß ich nicht eins 





. Biebentes Buch. 1017 


mal Das bekommen habe, was Seuthes mir noch befonders 
verfprochen hat. Da ſteht er ferbft, und weiß ale Ohren 
zeuge, ob ich einen Meineid fchwor. Aber damit Ihr Ench 
noch mehr verwundert, fo fchwöre ich noch weiter, daß id) 
nicht. fo viel bekommen habe afs die andern Heerführer, ja 
nicht einmal fo viel, als Einige der Hauptleute. Und warum 
that ich fo? Weil ich hoffte, Ihr Männer, wenn ich mit ihm 
feinen zeitigen Mangel ertrüge, dann einen um fo zuverläßis 
gern Freund an ihm zu haben, wenn er -in beffern Umſtän⸗ 
den wäre Run fehe ich ihn im Glück, und kenne feine 
Dentungsart. Es könnte aber Einer fagen: „„ſchämſt du 
Dich nicht, daß du ein folcher Narr warft, dich alfo von ihm 
äffen zu laſſen?““ Sa, beim Zeus, ich würde mich Deffen 
fehämen, wenn mie von einem Feind fo mitgefpielt wäre; in 
ber Freundfchaft aber ift es fchimpflicher, zu betrügen, als 
betrogen zu werden. Denn wenn bei Freunden von Vorſicht 
bie Rede feyn Bann, fo habt Ihr es, ic, weiß es, an Nichts 
ermangeln laffen, wodurd er gerechten Vorwand zur Nicht⸗ 
erfüllung feiner Iufage Hätte; denn wir haben ihm Nichts 
zu Xeide gethan, und weder durch Saumfeligkeit feinem Bor: 
theil gefchadet, nod) durch Feigheit ihn mie feinen Planen im 
Stiche gelaffen. Aber Ihr wendet vielleicht dagegen ein: 
„„man hätte foldhe Gewähr nehmen follen, daß er, went 
er auch wollte, uns nicht hätte hintergehen können.” Dars 
auf erwiedere ich, was ich in Gegenwart diefed Mannes 
nie würde gefagt haben, wenn Ihr Euch nicht durchaus uns 
billig und undankbar gegen mic, bewiefen hättet: Erinnert 
Euch, in welcher Lage Ihr Euch befandet, aus der id Euch 
riß, indem ih End Senthes zuführte. Verwehrte Euch nicht 





4018 Renophon's Jelbnug des jüngern Cyrus. 


der Lacedamonier Ariſtarchns, nach Perinthus zu kommen, in⸗ 
dem er die Thore verſchleß? Mußtet Ihr Euch nicht mitten. 
im Winter auffen unter freiem Himmel lagern ? Nrauchtet Ihr 
nicht Lebensmittel, deren man Eud) mer wenige zu Kauf bradwe? 
Und auch das Wenige konntet Ihr kaum erfichen, Ihr hattet Beine 
Wahl: in Thracien mußtet Ihr bleiben; denn es lagen Drei 
ruder im Hafen, die Euch die Ueberfahrt wehrten ; blieb man 
aber, fo war man in Feindesland, und hatte es mit einer 
zahlreichen Reiterei, mit zahlreichen leichten Truppen zu thus. 
Mit unfern Hopliten konnten wir vieleicht, wenn wir in 
flarten Haufen in Dörfer eindrangen, . einigen, aber nur 
fpärfichen, Mundvorrath anftreiben, zur Verfolgung aber 
uud zum Erbenten! von SHaven und Scafen befaßen wir 
Seine Mittel; denn ich fand weder Reiterei, uoch leichtes 
Fußvolk mehr in braudhbarem Stande vor. Wenn ich nen 
unter fo traurigen Umfländen, ohne irgend eine Löhnung 
auszubedingen, Seuthes, der Beides, Reiterei- und leichtes 
Fußvolk zur Derfägung hatte, mit Euch verbüudete, konnte 
ich auch den Schein haben, als ob ich Euch übel berathen 
wollte ?_ Vereinigt mit Diefen fandet Ihr doch wohl reichlis 
dern Mundvorrath in den Dörfern, wenn Ihr die Thracier 
nöthigtet, mit aller Gewalt zn fliehen, uud konnte fo mehr 
in den Beh von Sklaven und Schafen kommen. Seitdem 
die Reiterei zu ung gefloßen war, befamen wir Beinen Feind 
mehr zu Gefiht; bis dahin folgte uns der Feind mit Reite⸗ 
rei und Fußvolk überall hin, und ließ und nirgends mit ge⸗ 
singerer Mannſchaft reichlichern Mundbedarf gewinnen. Wenn 
nun der Mann, welcher Euch diefe Sicherheit verfchaffte, 
nicht auch den erwarteten großen Seid Euch zahlte, ift Dieß 





Siebentes Buch. 1649 


ein: fo hartes Schichſal, daß Ihr glaubt, Ihe müßet mir 
darob dad Leben nehmen? In welcher Lage ſeyd Ihr merm 
bei Eurem Abzug? Habt Ihr richt den Winter hindurch alle 
Bedurfniſſe reichlic, befriedigt und Das zurückgelegt, wa 
Ihr noch aufferdem von Seuthes bekamet? Lebtet Ihr de 
anf Koſten der Feinde, und veyloset dabei nicht einen einzi⸗ 
sen Mann, weder durch den Tod, noch durch Gefangenfchaft! 
Wenn Ihr nun den in Aften gegen die Barbaren erfochtenen 
Rahm behauptet, und durch die Beflegung der enropäifchen 
Thraetier, gegen die Ihr zu Felde zoget, neuen Ruhm ein⸗ 
geerntet habt, fo ſeyd Ihr nach meinem Beduͤnken für Das, 
worüber Ihr mir zürnet, den Göttern als für eine Wohl⸗ 
that zum Dante verpflichtet, So fieht es mit Euch. Wohlen 
denn bei den Göttern, werft num einen Blick auf meine Lage. 
Ars ich im Begriff war, nach Haufe zu reifen, fegelte ich 
ab, begleitet von Eurem Beifall, fand in großem Ruhme bei 
den andern Hellenen, und genof das Vertrauen der Lacedä⸗ 
monier; denn fonft hätten fie mich nicht wieder zu Euch her⸗ 
gefandt. Nun aber fdjeide ich, von Euch bei den Lacedaͤms⸗ 
nieen verleumdet, mit Seuthed Euretwegen verfeindet, wit 
ihm, von dem ich hoffte, daß er für die Verdienſte, die ich 
mir mit Eurer Hülfe um ihn erwarb, mich für mid und 
meine Kinder, wenn ich Deren hätte, einen ehrenvollen Zu⸗ 
Auchtsort finden ließe. Ihr, deretwegen id) mit Mäns 
nern, die mächtiger find, denn. ich, alſo zerfallen bin, für 
deren Wohlfahrt ich noch immer nad Kräften thätig bin, 
möget ein ſolches Urtheil über mich fällen? Wohlan! id 
bin hier in Eurer Gewalt, wollte Euch weder offen, noch 
heimlich entlaufen; wenn Ihr mir aber thut, wie Ihr fagt, 





1020 Zenophon’s Feldzug des jüngern Eyrus, 


fo wißt, daß Ihr Euch au einem Manne vergreift, ber für 
Euch viele Nächte durchwachte, mit Euch fi vielen Mü- 
hen und Gefahren nad unb über Gebühr unterzog, der, 
unter dem Beiftande der Götter, in den Landen der Barbas 
ren viele Siegesdenkmale errichtele, und jederzeit alle feine 
Kräfte aufbot, damit Ihr Euch mit Feineni Hellenen verfeins 
den möchtet. Nun könnt Ihr unangefochten zu Waffer und 
zu Lande Euch wenden, wohin Ihr wollt. Da fich Euch fols 
che Ausfichten eröffnen, und Ihr dahin abgehet, wohin Euch 
ſchon lange der Sinn fland, da Euch die mächtigſten Helles 
nen in ihre Dienfte und ihren Sold begehren, die Lacedaͤmo⸗ 
nier Eure Führer find, denen der Ruf den Preis der Ta⸗ 
pferkeit fichert; jest meint Ihr, fen es hohe Zeit, mir dad 
Leben zu nehmen! Geht doch Nichts über Euer glückliches 
Gedaͤchtniß! dachtet Ihr doc) ganz anders, als Ihr in Euern 
Nöthen Euch nicht zu vathen und zu helfen wußte! Da 
war ih Euch Vater, Wohlthäter, der ewig, wie Ihr ſagtet, 
in Euren Herzen fortieben follte. Auch die Männer hier, 
welche zu Euch gekommen find, haltet nicht für fo unbillige 
Richter, daß Ihr glauben dürft, durch Euer Betragen gegen 
mic, in ihrer Achtung zu gewinnen.” Damit fchloß er und 
trat ab. 

Hierauf erhob fih der Lacebämonier Charminus und 
ſprach alfo: „Ich glaube, Soldaten, Ihr thut dem Maune 
hier großes Unrecht, wenn Ihr auf ihn böfe feyd; ich ſelbſt 
“ Bann bezeugen, daß Seuthes auf meine und des Polynikus 
Frage, was Xenophon für ein Mann fen, gegen ihn Nichts 
einzuwenden hatte, ald daß er, wie er ſich ausdrückte, ein zu 
großer Soloatenfreund fen; wodurch er fich ſowohl bei ung 











Siebentes Buch. 41024 


Lacedämoniern, als and) bei ihm im Lichte fände. Nach, 
ihm trat Eurylochus aus Zufl in Arkadien auf und fagte: 
„Ic bielte es fürs befte, Ihr Lacedämonier, wenn Ihr: 
Euern Dberbefehl über und damit begännet, daß Ihr und 
von Seuthes, er mag wollen oder nicht, unfre Lohnung ver 
Schafft, und ung nicht eher von dannen führt.‘ 

Hierauf erhob ſich der Athener Polykrates und ſagte: 
„Wie ic) fehe, Soldaten, ift ja audy Heraklides gegenwärtig, 
der die durch unfern fauern Schweiß errungenen Güter in Em; 
pfang nahm und verkaufte, den Erlös aber.weder an Seuthes, 
noch an uns abgab, fondern diebifcher Weite für ſich behielt. 
Wenn wir num klug find, .fo halten wie uns an ihn; .denn 
er ift nicht Thraeier, fondern hat als Helene an feinen - 
Landsleuten den Schurken gemacht.‘ 

Hierüber ward Heraklides aufs äußerſte beſtürzt, ging 
zu Seuthes und fagte: „Wenn wir Bug find, fo- entfernen 
wir und aus bem Bereich diefer Leute. Gie fliegen zu 
Pferd und fprengten nach ihrem Lager zurück. Don da ſandte 
Seuthed feinen Dolmetſcher Abrozelmes an Kenophon, und 
ließ ihm fagen, er folle mit taufend Hopliten bei ihm biei- 
ben; er verfpreche ihm, die feften Plaͤze am Meer, und Al⸗ 
les, was er ihm zugeſagt habe, zu verabfolgen. Insgeheim 
ließ er ihm noch fagen, er habe von Potynikus gehört, This 
bron laſſe ihn, fobald er in der Gewalt ber Zacedämonier 
fey, am Leben firafen. 

Das Nämliche fagten Xenophon auch nad) viele Andere, 
er fey übel angefchrieben und habe fid) in Acht zu nehmen. 
Auf diefe Kunde fchladytete er Zeus dem Könige zwei Opfers 
thiere, um zu erforfchen, ob es für ihn beffer und vore 





1022 Xenophon’s Felbzug des: jüngern Cyrus. 


theilhafter wäre, unter den angebetenen Bebingangen bei 
Seuthes zu bleiben, oder mit dem Heere abzuziehen. Der 
Gott bedeutete ihm, mit abzuziehen. 

„.. Geuthes rädte nun mit feinem Lager weiter weg, 
die Hellenen aber legten ſich in Drfer ein, von wo fie nach 
reichlicher Beköftigung zum Meere kommen woliten. Die 
Dürfer aber waren non Genthes an Medoſades gefchenft 
worben. Als Diefer fab, daf von ‚den Hellenen in Jen Doͤr⸗ 
fern Altes anfgezehrt wurde, war er fehr ungehalten, umb 
Sam mit einexı Odryfier, einem der Augefehenften. und Maͤch⸗ 
‚tigen von Denen, welche vom Gebirge herabgekommen wa- 
zen, nad einem Gefolge bon dreißig Reitern zu: dem Helle⸗ 
nifchen Zager, und :ließ. Xenophon herausrufen. Dieſer kam 
mit einigen Hauptleuten und noch andern geeigneten Männern 
heran; worauf Mehofades Folgendes fagte: „Es iſt nicht 
recht von Euch gehandelt, Kenephon, daß Ihr nufre Dörfer 
verheeret. Wir befehlen Ench alfo, ich in Seuthes, Diefer in 
des Mebokus Namen ,. ver bie Bergthracier beherrſcht, das 
Sand zu verlafſſen; wibrigenfalls:wir Maßregeln gegen: End) 
ergreifen, and ‚bei weiterer Beichäbigung des Landes Euch 
als Feinde behandeln werden.” | 

Kenophon .erwicherte: hierauf: „fat verdrießt es mich, 
dir auf foldye Beben zu antwortenz doch diefes jungen: Man⸗ 
nes wegen will ichs thun, damit er fickt, was The and wir 
für Leute find. Ehe wir ung mit Euch befremdeten, zogen 
wir Durch: diefes Land, fensten und brannten, wie es uns 
‚geile. Da Du zu und als Gefanbter kamſt, fhliefft du. in 
unſerm Lager, mhne: irgend einen Feind zu fürchten. Ahr 
‚dagegen kamet nicht in dieſes Land, oder, wenn Ihr fa: 





Giebentes Bud). 2025 


met, fo finden Eure Pferde aufgezännt im. Lager, als im 
Gebiet eines überlegenen Feindes. Run wir Eure Freunde 
wurden, wolft Ihr, nachdem Ihr mie ımfrer und Der Göt⸗ 
ter Hilfe von dem Lande Beſitz genommen habt, aus ihm 
ung vertreiben, und, die wir es erobert, und uch abge: 
treten haben. Denn der Feind war, wie. du felbft weißt, 
nicht im Stande, nnd daraus zu vertreiben. Weit entfernt 
aber, und für. Die Berbienfte, die wir ſuns um dich erwor- 
ben haben, mit Gefchenten und Beweisen des Wohlwolleus 
zu ehren, möchteft Du , fo viel an dir ift, ums ſogar verweh⸗ 
ren, hier unter freiem Himmel uns zu lagern, bis wir von 
bannen ‚ziehen. Schämft du dich nicht mit ſolchen Reben 
vor den Göttern und vor diefem Manne, der dich nun 
im Reichthum fieht, da du doch vor unfrer Freundſchaft, 
wie du ſelbſt geftehft, vom Raube leben mußteſt? Und wa⸗ 
zum ſagſt du zu mir Sokhes? Ich bin nicht mehr Befehls⸗ 
aber ; die Lacedämonier find es, denen Ihr, vermöge Eurer 
:Meisheit , :hinter meinem Rüden die Abführung des Heeres 
übertruget, da ich fonft, wenn ich ferbft ihnen das Heer: über⸗ 
ab, ebenso ihre Gunſt wieder gewann, wie ich fie-verlor, 
daß ich ed Euch zuführte,'‘ 

Als Dieß der Odryſier hörte, -fagte er: „Medoſades, 
id) möchte bei diefen Worten in die Erde finten; wenn id) 
06 feüßer gewußt Hätte, ſo wäre ich dir nicht. gefolgt. 
Jetzt gehe ich fortz.denn der König Medokus wärde ed fehr 
-mißbtlligen, wenn ich Eure Wohlthaͤter mit aus den Lande 
vertreiben wollte. Damit fchwang er: id) aufs Pferd, und 
titt mit den meiften Reitern bavon ; nur vier oder kunfe blie⸗ 
ben zurück. 


4024 Zenophon’s Felbzug des jüngern Cyrus. 


Medofades aber konnte ed nicht verfchmerzen, daß da 
Land alfo mitgenommen wurde, und hieß Kenophon die bei 
den Lacebämonier rufen. Er ging mit geeigneter Begleitun 
zu Charminus und Polynikus, und fagte ihnen, daß Medoſa 
des fie zu fprechen wünfche, um ihnen, wie ihm ſelbſt, zı 
befehlen, das Land zu räumen. „Ich glaube, Ihr würdet 
dem Heer den rüdftändigen Sold verfchaffen, wenn Ihr fag: 
tet, das Heer habe von Eud) begehrt, ihm bei Seuthes, er 
möge wollen oder nicht, zu feinem Solde zu verhelfen; nach 
Empfang deffelben wolle ed Euch willig folgen; Ihr hieltet 
diefe Forderung für gerecht, und hättet verſprochen, nicht 
eher das Land zu räumen, bis das Heer empfangen hätte, 
was es verfangen könnte.‘ 

Auf diefen Vorfchlag erklärten ſich die Zakonier bereit, 
Dieß zu than und ihre Forderung auf’d nachdrücklichſte zu 
unterftüäsen, und gingen fogleish mit den geeigneten Männern 
hin. Charminus ;fagte nun: „Haſt du und Etwas zu er: 
öffnen, fo fage ed; wo nicht, ſo haben wir dir Etwas zu 
ſagen.“ 

Medoſades ſprach in ſehr demüthigem Tone: „Ich und 
Geuthes halten es für billig, daß nunfern Freunden von Eud) 
Nichts zu Leide gefchehe; denn was Ahr Diefen thüt, das 
thut Ihr und, weil fie jebt und angehören.‘ 

„Wir zögen ab,“ entgegneten die Lakonier, „wenn die 
Männer, welche Euch in diefen Stand verſehten, ihren Lohn 
‚empfangen hätten; widrigenfalls find wir jebt da, ihnen bei: 
zuſtehen und an Denen Rache zu nehmen, die ihnen dem 
beftehenden Vertrag zumider Unrecht thaten. Seyd Ihr fol- 


Siebentes Bud). | - 4025 


he Leute, fo wollen wir bei Euch anfangen, unfer Recht zu 

ſuchen.“ | — 
.Zenophon ſetzte hinzu: „Wollt Ihr, Medoſades, De⸗ 

nen, in deren Land wir find, und welche Ihr Eure Freunde 


nennt, überlaffen, zu entfcheiden, Wer von ung, Ihr oder 


wir, diefed Land verlaffen fol ?' Er verftand fich nicht da⸗ 
zu, fondern ſchlug vor, Die beiden Lakonier follten des 
Soldes wegen zu Seuthed gehen: fie würden ihn gewiß will: 
fährig finden ; wo nicht, fo follten fieXenophon ihm beigeben; 
ex felbft wolle fic, dafür verwenden: nur follten fie die Dör⸗ 
fer nicht niederbrennen.‘' 

Sie ſchickten demnach Zenophon mit den hiezu geeignet: 
ften Leuten ab. Als er bei Seuthes ankam, fprach er, wie 
folgt: 

„Nicht um Etwas von dir zu erbitten, Seuthes, bin ich 
zu div gekommen , fondern dic, wo moͤglich zu überzeugen, 
daß du mit Unrecht auf mich zürnteſt, wenn ich für die Sol: 
daten den Sold forderte, den du ihnen freiwillig verſprochen 
haft. Denn ich hielt ed für nicht weniger vortheilhaft für 
dich, ihn auszuzahlen, als für Jene, ihn zu empfangen. 
Erſtlich waren fie ed, welche dich, naͤchſt den Göttern, 


dadurch, daß fie dic zum König über ein fo großes, bevöl⸗ 


kertes Sand magıten, auf einen jo erhabenen Standpunkt 
ftellten, daß es Meiht verborgen bleiben kann, ob du eine gu⸗ 
fe, oder einE fchlechte Haudlung begehft. Für einen Mann, 
wie du bift, ſcheint es mir, wichtig zu ſeyn, nicht das Anfes 
ben zu haben, ald ließe ev Männer, die ihm Gutes thaten, 
unbeloßnt von damen ziehen, wichtig, bei fechstaufend Män« 
nern in gutem Leumund zu flehen, am wichtigften aber, auf 
Renophon. 86 Bdehn. 7 


e 


2026 Zenophon’s Zelbzug des jüngern Cyrus. 


keine. Weife in Zuſagen ſich als unguverläßigen Mann zu 
zeigen. Wir erleben es täglich, daß die Reden unzuverlä⸗ 
ßiger Leute eitel, unkraͤftig und ungefchäst an. dem Hörer 
abgieiten, während die Reden Soicher , deren Zuverläßigbeit. 
anerkannt iſt, ebenfo viel fruchten, als Auberer Gewalt. 
Wollen fie Andern. den Kopf zu Recht fegen, fo haben ihre 
Drohungen diefelbe Kraft, als bei Andern wirkliche Zuͤchti⸗ 
gung; verſprechen fie Etwas, fo gilt ihr Wort eben fo viel, 
als baare Bezahlung bei Andern. Erinure dich, ob du uns 
Etwas voransbezahlteft, ald wir deine Bundesgenoffen wur⸗ 
den? "Nichts, fo viel ich weiß. Im Vertrauen auf deine 
Wahrhaftigkeit ſeßten fich fo.viele Menſchen in Bewegung, 
um dir im Kriege beizuftehen, und ein Neich zu erkämpfen, 
das doc, wohl weit mehr werth ift,ald die fünfzig Talente, 
weiche: fie jest von dir fordern zu können glauben. Alſo 
verkanffkt du um folchen Preis das öffentliche Vertrauen, das 
Bir den Thron erwarb! Denke zurüd, wie hoch du es an⸗ 
fchingeft, Das zu erobern, was: du nun erobert haft. Ich bin 
überzeugt, daß bu diefe Eroberung deiner jesigen Bellgun = 
en nicht um eine ungleich größere Summe, als diefe iſt, 
abtreten würdeſt. Ich halte dafür, daß es ein weit größerer 
und fchimpflicherer Verluſt wäre, die jeyigen Vortheife nicht 
zu. behaupten, als fie gar nicht erkämpft haben; wie 
es weit empfindlicher ift, nach früherem Neilthum- arm zu 
werden, ald gar nicht reich geweien zu ſeyn; wie es weit 
ſchmerzlicher ift, von dem - Königsthron in den Privatſtand 
herabzufteigen, als nie König gewefen zu fern: Wohl weiße 
du, daß deine jehigen Unterthanen- ſich nicht aus Wohlwol⸗ 
len, fondera aus Noch zum Gehorfam gegen dich’ verſtanden, 








GSiebentes Buch. 19027 


And daß fie ſich wieder in Freiheit zu ſetzen ſuchten, wenn 
fle nicht Furcht davon abhielte. Wie glaubft du, daß Diefe 
deffer in Furcht und Unterthänigkeit erhaften würden, ent: 
weder wenn fie fehen, daß die Soldaten fo geftimmt wären, 
daß fie da blieben, falls du es beföhleft, oder auch nöthigen 
Falls wieder Pämen, und daß auch Andere, wenn fle fo 
viel Buntes von dir hörten, zu beliebigen Dienften bei dir 
fi einfänden, oder wenn fie in der Meinung flünden , daß 
aus Mißtrauen wegen der jesigen Vorfälle keine AUndern zu 
Bir kommen, und daß Diefe es mehr mit ihnen als 
mit dir haften würden ? Nicht weil wir ihnen an Truppen⸗ 
zahl überlegen waren, unterwarfen fie fich dir, fondern weil 
es ihnen an tauglichen Führern fehlte. Iſt alfo nicht zu 
befürchten, daß fie unter Denen, die fich von dir befeidigt 
alanben, Sotche finden, oder noch beffere als Diefe, die La⸗ 
cedämonier felbft? Verſprechen die Soldaten ihnen mit deſto 
mehr Eifer in den Krieg zu folgen, wenn fie ihnen zur Ber 
friedigung ihrer Yorderungen an dich verhülfen, fo werden 
die Lacedämonier gerne darem willigen. Daß die dir unterwor- 
fenen Thracier Tieber gegen dich, als für dich föchten, unterliegt 
feinem Zweifel; denn fiegft du, fo erwartet fie Knechtfchaft, 
wirft du Aberwunden, Unabhängigkeit. Wenn dunun für das 
Sand, dad jetzt dein Eigenthum ift, forgen mußt, glaubft du, 
daß es mehr Schaden nehme, wenn diefe Soldaten, nad) 
Empfang Deffen , was fie verlangen, in Frieden abziehen, 
oder wenn fie hier, als in Feindesland blieben, und Du gee 
nöthigt wäreit, mit einem überlegenen Heere, das doch auch 
feine Bedürfniffe Hat, in's Feld zu rüden ? Auf welchem 


1028 Renophon's Feldzug des jüngern Cyrus. 


Wege wird wohl mehr Geld darauf geben, wenn du Diefen 
deine Schuld abtrügeft, ald wenn du ihn ihnen. fchuldig 
bliebeſt, und eine flärkere Macht gegen fie in Dienft und 
Sold nehmen müßteft ? Doch Heraflides hält, wie er gegen 
mich Aufferte, diefe Sunme für erſtannlich groß. Allein es 
ift dir jegt doc, viel TYeichter, fie aufzutreiben und auszu⸗ 
zahlen, ald vorher, ehe wir zu dir kamen, auch nur den 
zehnten Theil derfelben. Denn nicht die Zahl beftimmt das 
Viel oder Wenig, fondern dad Vermögen Deffen, der da gibt 
und empfängt. Deine Einfünfte von Einem Jahr werden 
in Zukunft mehr befragen, als früher vielleidyt deine ganze 
Habſeligkeit betrug. — Sch hatte bei diefer Angelegenheit 
Zweierlei im Auge: für’s erfte wänfchte ich, als dein Freund, 
Seuthed, daß du dich der Wohlthaten, welche die Götter 
dir verliehen haben, würdig erzeigeft, und daß ich dadurch) 
bei dem Heere nicht zu Schanden käme. ‚Denn wife, daß 
ich jept, wenn ich auch wollte, mit diefem Heere eben 
fo wenig dem Feinde ſchaden, als dir bei allem guten 
Willen zu Hülfe fommen Eönnte. So ftehe id) zu dem Hee⸗ 
ve. Aber ich fordere dich bei den altwiffenden Göttern zum 
Zeugen auf, daß ich nie Etwas von dir erhielt, das den 
Soldaten angehört hätte, noch das Ihrige für mid) verlang- 
fe, oder auch das mir von Div Verfprochene abforderte; ich 
ſchwöre dir ferner, daß ich aud Nichts angenommen hätte, 
wenn du mir’3 häfteft geben wollen, wenn nicht auch das 
Heer das Seinige mit befommen hätte. Denn es hätte mir 
Schande gebracht, für mich geforgt, ihren Vortheil aber nicht 
berücfichtigt zu haben, zumal da ich bei ihnen ftetd mit fol- 
cher Achtung beehrt wurde, Dieß Alles fiheint freilich dem 





Siebentes Bad. 4039 


Heraklides Nichts zu befagen, wenn er nur das Geld behaͤlt; 
ich aber hafte dafür, Seuthes, daß für einen Mann, und.vol: 
{ends einen Fürften nichts fchöner und ruhmvoller iſt, als 
-Zugend, Gerechtigkeit und Edelmuth. Denn mit Diefen Ei: 
:genfchaften ift er reich am Freunden, und an Solchen, die nadı 
feiner Freundſchaft trachten; im Glück hat er Theilnehmer 
feiner Freude; im Unglück ift Alles bereit, ihm beizufprins 
gen: Wenn du aber aus meinen Handlungen nicht erfahelt, daß 
ic) von Herzen dein Freund war, noch auch meine Reden 
dir dafiir bürgen, fo denke mwenigftens an Das, was die Sol: 
daten fagten. Dir flandeft dabei und hörteft, was Diejeni- 
gen vorbracdhten, die mir Etwas anhaben wollten. Sie ga- 
ben mit gegen die Lacedämonier Schuld , daß id) Dich ihnen 
vorgezogen hätte; fie ferbft aber warfen mir vor, .daß mir 
dein Vortheil mehr am Herzen liege, als der ihrige; auch 
fagten fie, ich hätte Befchente von dir empfangen. Glaubſt 
Du nun wohl, daß fie diefe Geſchenke als eine Folge von 
Uebelwollen gegen dich anfahen, und nicht vielmehr als bie 
Folge großer Zuneigung zu dir? Ich wenigſtens halte dafür, 
daß alle Welt meint, man fey Demjenigen Wohlwollen fchuls 
dig, von welchem man Gefchenfe empfängt. Du dagegen 
nahmft mich, noch ehe ich dir in Etwas gedient hatte, mit 
einem MWohlwollen auf, das fih in Bid, Stimme und Gaft- 
freundlichkeit Fund gab, und konnteſt mir nicht genug Vers 
fprechungen machen: da du aber deine Abſicht erreicht und 
eine Höhe von Madıt erfliegen haft, wie fie immer nur möglich 
war, kannt du ruhig zufehen, wie ich ohne Achtung und Ans 
fehen beitm Heere bin? Doc ich hoffe, die Zeit wird dich 
belehren, daß es billig ſey, dieſe Schuid abfutragen; und du 


“ 


4080 Zenophon’s Feldzugn des Füngern Cyrus. 


wirft es ‚unerträglich finden, mit anzufehen, wie Diejenigen, - 
die auf. Treu und Glauben deine Wohlthäter wurden, nun 
klagend gegen dich auftreten. Ich erſuche dich nun, wenn 
du das Verlangte bezahlſt, mich auch bei dem Heere wieder 
ſo zu Ehren zu bringen, als ich vor unferer Bekanntſchaft war.“ 

Als Seuthes Dieß angehört Hatte, verfiuchte er den 
Dann, der Schu war, daß der Sold nicht längſt ſchon ab⸗ 
bezahlt wurde; wobei Ale der Meinung waren, daß er He⸗ 
raklides Damit meinte. „Ich Tieß mir nie einfalfen,‘ ſagte 
et, „uch den Sold vorzuenthaften, und will ihn bezahlen.‘ 
Da fuhr Kenophon fort: „Da du Dichalfo zur Ausbe⸗ 
zahlung des Soldes verftehft, ſo laß es durch mic, gefchefen, 
und gib nicht zu, daß ich durch dich von der Achtung ver⸗ 
liere, in der ich ſtand, als wir zu dir kamen.“ 

Seuthes entgegnete: „durch mich ſollſt du bei dem Heere 
Nichts an Achtung verlieren, vielmehr, wenn du mit tau⸗ 
ſend Hopliten bei mir bliebſt, die feſten Plaͤtze nebſt Allem 
haben, was ich fir sugefagt habe. 

Renophon antwortete: „Das geht nun nicht mehr an; 
laß uns nur ziehen.“ 

„Und doch iſt es, ſag' ich dir,“ verſetzte Seuthes, „für dich 
ſicherer, bei mir zu bleiben, als fortzuziehen.“ Er erwie⸗ 
derte: „Ich bin dir für deine Sorge verbunden; ſey indeſſen 
verfichert, daß, wo ich zu Ehren komme, es nicht dein Scha⸗ 
den ſeyn ſoll.“ 

Hierauf ſagte Seuthes: „Geild habe ich keines; das wer 
nige, welches ich vorraͤthig habe, und dir geben will, beträgt 
nicht einmal ein Talent; dagegen folft du ſechshundet Rin« 
der und viertaufend Schafe, nebſt ungefähre hundert und 


GSiebentes Vuch. — 260634 


zwanzig Sklaven haben. Dieſe ninm mit den Geißeln Des 
rer, die den Wertrag gegen dich gebrochen,: mit dir fort.“ 

Zenophon fagte lachend; „Wenn dieß Alles nun nicht 
zur Löhnung hinreicht, weſſen Eigenthum foll dann das Tas 
- dent ſeyn? Glaubſt du nicht, daß es für mich rathſamer tft, 
durch eine ſchleunige Abreiſe der Steinigung zu entgehen ? 
Du weißt, was fie mir zugebacht haben.‘ 

Sie bleiben nun diefen Tag noch bei ihm. 

Am folgenden Tag übergab ihnen Seuthes das Verſpro⸗ 
dyene , und ließ dad Vieh durch feine eigenen Leute in das 
Sager treiben. Die Soldaten Tagten indeſſen, Xenophon fep 
zu Seuthes gegangen, um bei ihm zu bleiben, und das ihnen 
Berfprochene für fich zu behalten; da fie ihn aber kommen 
fahen, liefen fie freudig ihm entgegen. 

Als Xenophon Charminus und Polynikus erblickte, fagte 
er zu ihnen: „Dieß iſt Alles, was ich von Seuthes durch 
Euern Vorſchub für dad Heer erhalten konnte; nehmt und 
pertheilt es nuter dad Heer.“ Sie nahmen ed in Empfang, 
dießen es durch beſonders hiezu aufgeftellte Kleinhändler ver = 
kaufen, wobei man fie vieler Unterfchleife befchuldigte. 


Kenophon nahm ſich Deffen nicht mehr an, ſondern 


fAyichte fich unverhofen zur Abreife in die Heimath an; denn 
das Verbannungsurtheil war in Athen noch nicht über ihn 
ausgefprochen. Es Famen indeflen feine Freunde im Lager 
zu ihm, und baten ihn, fich nicht eher vom Heere zu tren⸗ 
nen, als big er es abgeführt, und Thibron übergeben häfte. 
8. Von hieraus fchifften fie nach Lampſakus *) über. Hier 

*) Das jegige Lapfat oder Lapfer in Kleinmyſien, eimer 


Landſchaft Kteinafiens, an ber Hüfte der Propontis ober des 
heutigen Meeres von Marmora. 


AM 





41052 Renophon's Feldzug des füngern Cyrus, 


traf Kenophon den Seher Euklides, aus Phlius, * bes 
Kleagovas Sohn, welcher bie in dem Lyceum aufgefelkten 
<raumgemälde gefertigt hat. Diefer bezeugte Xenophon feine 
Freude über feine glückliche Zurückkunft und fragte ihn, wie 
viel er Geld hätte, Als er ihm verficherge, daß er nicht 
‚einmal hinlaͤnglich Reifegeld ‚zur Heimkehr hätte, wenn er 
nicht fein Pferd und Altes, was er bei ſich habe, verkaufte, 
fo wollte er ihm nicht glauben: - 

Da ihm, aber die Einwohner von Lampſakus Gaftge- 
schenke zufandfen, und er dem Apoll opferte, zug er Euklides 
bei; und nad) Befichtigung der Opfer fagte er, nun glaube 
er ihm, daß er Fein Geld habe; aber id) weiß auch, ſetzte er 
hinzu, „daß, wenn dir auch einmal Solches werden füllte, 
dir Etwas im Wege ſteht, und wenn es auch nichts Anders 
feyn follte, als du ſelbſt.“ — „Das mag wohl ſeyn,“ antwortete 
Xenophon. — ‚Dir ift, „fuhr Sener fort, „Zens Milichius **) 
entgegen.’ Haft du ihm fchon einmal auf die Weife geopfert, 
wie ich zu Haufe für Eudy zu opfern pflegte, indem ich das 
ganze Dpfer verbrannte?“ Er erwieberte: „ſo lange ich 
von Haufe weg bin, habe ich diefem Gott noch tie geopfert.’ 
Da rieth er ihm, dem Gotte auf die gewohnte Art zu 
opfern; dann werde es ihm beffer gchen. 

Am folgenden Tage begab ſich Kenophon nach Ophry⸗ 
nium ***), wo er nad) heimifcher Sitte zwei Schweine als 
DBrandopfer darbrachte; das Opfer war ihm gänftie. ° " 

- *) Stadt in Achaja im Peloponnes. 
”) Eigentlich der Freundliche, der Verſoͤhnliche, oder 
der Verſoͤhner. 


+4) Eine Stadt nahe bei Dardanus, in ber Landfchaft Troas. im 
Kleinphrygien, am Aegaͤiſchen Meer. 





Siebentes Buch. 


An dieſem Tage Fam Bion und mit ihm Euklides an— 
um dem NHeere Gelder ausznzahlen, fchloffen Gaftfreund - 
fchaft mit Zenophon, und gaben ihm fein Pferd, das er in 
Zampfatus um fünfzig Dariken verfanft hatte, ohne den 
preis deffelben wieder anzunehmen, zurüd; denn fie hatten 
‚gehört, er halte viel auf das Pferd und vermutheten, er habe 
ed aus Noth verkauft. Don da zogen fie durch Troas und 
gelangten über den Berg Ida *) A ag nady Antandrus; **) 
von da kamen fie längs dem Meere nach der Ebene von 
Thebe ***) in Lydien, fodann durch Atrampttium + und 
Eertonium +1) an Utarneus +rr) vorbei, in die Ebene des 
Kaitus *) und erreichten Pergamus **) in Myſien. 

Hier fand Kenophon bei Hellas, der Gattinn des Gons 
gylus aus Eretria ***) und Mutter des Gorgion und Gon- 
gylus, eine gaftlihe Aufnahme. Sie fagte ihm, daß fich 
ein Perſer, mit Namen Afidates, in der Ebene aufhalte; 
wenn er bei Nacht mit dreihundert Mann auegbgeı fo könnte 
er ihm mit Fran, Kindern und bedeutenden Schägen aufhes 
ben. Sie gab ihm ihren Neffen, und Daphnagoras, anf den 
fie fehr viel hielt, ald MWeaweifer mit. 

Mit Diefen opferte Xenophon, und Der Seher Bafiad 
ans Efis, welcher zugegen war, verficherte, daß die Opfer 
fehr günftig wären, und er des Perfers würde habhaff 





*) Hent zu Tage Kaz Day, Kara Dagh. 
*5) Gleichfalls in dev Landſchaft Troas; noch heut zu Tage ſteht 
bier ein Dorf diefes Namens, 
+4), Das afiatifche Thebe, weiches nach Homer Acilles zerftbrte. 
7) Das Heutige Adramitty, Edremit, Yöramitt. ” 
TH Wahrſcheinlich die Stadt Karine ded Herodet. 
71) Seeſtadt in Myſien am Aegaͤiſchen Meer. 

*) Dieſer Fluß ergießt ſich zwiſchen Atarneus und Eläa in 
den Staitifchen Mieerbufen, und heißt heut zu Tage Erimas 
eli oder Grimatli, 

+*) Das Heutige Pergamo, 
+4) Eine Stadtauf ber Infel Eub õ a, dem heutigen egroponte. 


wa 4 
7 


403 phon’s Feldzug bes jüngern Cyrus. 


5 ach dem Abendefſen/brach er, in Begleitung 
Ate, die ſich früher als die ihm geneigteſten 
Aften bewährt hatten, und denen er einige Vor⸗ 

Im. nden wollte, auf; es wollten ſich noch an ſechs⸗ 
bunden „Andere zur Theilnahme aufdringen ; die Hanpkleute 
aber trieben fie zurück, damit ſie nicht von ihrem Antheite, 
ben fie nur im Empfang nehmen zu Dürfen glaubten, ihnen 
mittheilen müßten. 

Als fie um Mitternacht ankamen , ließen fie die Skla⸗ 
ven, weld:e rings um den Thurn her flanden, und fehr viele 
Beute entwifhen, um fich des Afidates ſelbſt und feiner 
Schaͤtze au verfihern. Sie belagerten nun den Thurm; da 
fie ihn aber wegen feiner Höhe und Größe, und weil er von 
den Schugwehren herab von zahlreicher und ftreitbarer Manns 
haft vertheidigt wurde, nicht nehmen konnten, unternahmen 
fie es, ihn zu durchbrechen. Die Mauer hatte eine Dice 
von acht Ziegeln. 

. Mit Anbruch ded Tages war fie durchbrochen. Durch 
die erfte Deffuung , die gemacht ward, durchſtach Einer dem 
Nächftftehenden mit einem großen Spieße den Schenkel; ſo⸗ 
dann fchoßen fie mit Pfeifen hervor und machten jede Annd- 
berung gefährlich. Auf ihr Gefchrei und ihre Nothfeuer 
kam ihnen Itabelius mit feiner Manufchaft, aus Komania *) 
Aſſyriſche Schwerbewaftnete, am achtzig Hyrkaniſche Reiter, 
gleichfali Eönigliche Söldner, nnd noch gegen achthundert 

eichtbewafinete zu Hülfe; auch von Parthenion **), Apol⸗ 
fonia ***) und den nahe liegenden Plägen eitte Fußvolk und 
Reiterei heran. 


Nun war es Seit, auf den Rückzug zu denken. Man. 


fchloß ein Viereck, nahm Ochſen, Schafe und Sklaven in 

die Mitte und z0g davon, indem man nicht ſowohl auf die 

Beute Bedacht nahm, als darauf, Daß nicht etwa durch Zurücklaſ⸗ 

fung derſelben ihr Rückzug den. Schein einer Flucht bekäme, 
2) MWahrfcheintich ein Schloß unfern Pergamus. 

++) Stadt in Mofien. 

+4), Stadt in Lydien im der Nähe von Thyatira. 


— — —ü— — — — — 





Girbentes Buch. 4056; 


die Feinde fo: dreifter. würden, und die Soldaten den Muth 
verlören ; nun aber hatte es bei ihrem Ruckzug den Schein, 
ale od fie für die Beute kämpften. 

Da Gongyius das Feine Häuflein der Hellenen von eis 
ner fo großen: Macht bekämpft ſah, zog er ſelbſt wider Wil 
fen. der Mutter mit feinen Leuten aus, um am Gefechte 
Theil zu nehmen. Asch Prokles, ein Nachkömmling des Dama⸗ 
ratus, *) führte aus Halifarne *) und Teuthrania Hülfe herbei, 

.  Kenophon’s Leute, denen von den Bogenfchüben und 
Schleuderern heftig zugefeht wurde, fchloßen einen Kreis, ***) 
um ihre Schilde gegen das Gefchoß kehren zu können, und 
vermochten nur mit Mühe, da die Hälfte verwundet war, 
über den Kaifus zu fegen. Hier ward auc der Stymphalier 
Agaſias, der immer mit dem Feind im Gefechte war, vers 
wunbet. Indeſſen brachten fie doch gegen zweihundert Skla⸗ 
Sen Au fo viel Schafe, ald man zum Opfer braudyte, +) in 
icherheit. 

Am folgenden Tage opferte Kenophon, und 308 hieranf 
bei einbrechender Nacht mit dem ganzen Heere and, um fo 
weit als moglich in Fobien vorzudringen, und den Seind ba, wo 
ex nicht, wie in der Nähe, auf feiner Hut war, zu überfallen. 

Ars Afidates hörte, daß Kenophon wieder über einen 
Zug gegen ihn die Opfer erforfchte, und mit dem ganzen 
Heere gegen ihn Fommen: würde, z0g er mit feinem Lager in 
bie in der Nähe von PartHenion Tiegenden Dörfer. 

Hier ſtieß Kenophon mit feinem Heere auf ihn und nahm ihn 
mit Iran und Kindern, Pferden und Allem was er Hatte, gefatts 
gen. So.war bie frühere Opferdeutung in Erfüllung gegangen. 

Nun gingen fie nach Pergamus zurüd Da Eonnte fich 
Zenophon nicht mehr über den Gott ++) beklagen; . denn die 

*) Bor. II, ı. g 

**) Stadt in Myſien. 
#38) Durch dieſe kreisformige Stellung wurden. bie Geſchoße, bie 
nun meiſt ſchief anprallten, uswirkfam. 

D Um den Göttern für ihre gluͤckliche Rüdtehe ein Dankopfer 

zu bringen. Es mochten alfo nicht mehr Biele ſeyn. 

HD Zeus Milichius. 


4 





1056 Zenophon’d Feldzug des fjüngern Cyrus, 


Lakonier, die Hauptleute und die Abrigen Heerführer, ja felbft 
die Soldaten forgten dafür, daß er nuter den Pferden, Ges 
fpannen und der übrigen Beute die Auswahl erhielt, und fo 
in den Stand geſetzt war, auch Andern wohlzuthun. 

Nun tam Zhibron an, übernahm *) dad Heer, und zog 
us deffen Vereinigung mit dem übrigen Helfenenheer gegen 
Tifiaphernes und Pharnabazus zu Felde. 

Folgendes **) waren die Statthalter in dem Reiche des 
Königs, ſo weit wir es durchzogen : in Lydien Artimas, in 
Phrygien Artakamas, in Lykaonien und Kappadocien Mis 
thridates, in Eilicien Syennefis, in Phönizien und Arabien ***) 
Dernes, in Syrien und Aſſyrien Belefis, in Babylonien Rho⸗ 
paras, in Medien Arbakas, im Lande der Phaflanen und 

efperiten Tiribazus — die Karduchen, Ehafyben, Chaldäer, +) 
akronen, Kolchier, Mofipuöten, Köten und Tibarener wa⸗ 
ren freie Volker — in Paphlagonien Korplas, in dem Bithy⸗ 
nischen Thracien Pharnabazus, und in dem Enropäifchen Seu⸗ 


thes +3). m 

Der ganze Wes hin und her betrug au Tagemärſchen 
zweihundert und fünfzehn, an Parafaugen eilfhundert fünf 
und fünfzig, an Stadien vierumddreißigtaufend fechshundert 
und fünfzig, trr) der Zeitraum des ganzen Zuges hin und her 
ein Jahr und drei Monate. 


*) Dieb fand nad) Rennel im Meäyg”oder April des Jahres 399 

vor Chr. G. Statt. | 
*+, Diefen ganzen Endabſchnitt halten Neuere für undaht. 
ar) Vrgl. I, 5. 

9 Bor. IV, 3. V, 8. Naq; Ritter find bie Chalyben und Chaldaͤer fo 
zu unterſcheiden, daß ſie zwar verfchtedene, aber. vermiſcht un⸗ 
ter einander, oder wenigſtens neben einander wohnende Voͤl⸗ 

kerſchaften waren. 
++) Kruͤger findet es unrichtig, dab hier die europaͤiſchen Thras. 
cier als Untertanen bes Perfertinigs aufgeführt werden. 
+44) Alfo ungefähr 780 geographifche “Meilen, 





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