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THE GIFT OF
ARCHI BALD CARYCOOLIDGEIF
— CLASS OF 1887 —
ASSISTANT PROFESSOR OF HISTORY
1904
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7
Xenophon's von Athen
Bert e.
| Stu ttgart,.
Verlag der. I. B. Metzzle r'ſchen Buchaddlung,
Für Deftreih in Commiſſion von Mörfchne ud Jaſper
| in Wien. u
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’ - Rarvard Covscze Library
Von Maurer CGokertive
Gift of A. C. Cool age
Ju:y 13, 1906
Xenophon's von Athen
Rer
Viertes Bändchen.
son
Erinnerungen an Socrates,
überſetßt
von
Chriſtoph Eberhard Finckh,
Doktor der Philoſophie, Repetenten am evangeliſch⸗theologiſchen
Seminarium zu Tuͤbingen.
Erſtes Baͤndchen.
Stuttgart,
Verlag der J. B. Metzzler' ſchen Buchhandlung.
Für Oeſtreich in Commiſſion von Mörſchner und Jaſper
in Wien.
Eu ı 8 3 Te
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a
Einleitung.
Der Griechiſche Titel unferer Schrift ifl "Anouvn-
uovevuare. Damit wird fie, bezeichnet ald eine
Sammlung Deffen, was dem Verfaffer von feinem
Umgange mit Socrated im Gedächtniffe geblieben
war. Der Titel entſpricht alfo ganz Dem, was wir
unter Erinnerungen verftehen. Die gewöhnliche Ue-
berfegung deſſelben ift „Denkwuͤrdigkeiten““, ein Aus⸗
druck, der zundchft non dem feit mehreren Jahrhun⸗
derten Üblichen lateinifchen Titel Memorabilia aus:
gegangen zu feyn fcheint. Wir haben gegen venfelben
nicht viel einzuwenden, und wären fogar geneigt, aus
Achtung für die Tradition ihn aufzunehmen. Indeß
fcheint und der Ausdruck ‚Erinnerungen‘ neben Dem,
daß er deu Vorzug der MörtlichEeit und Aehnlichkeit
mit dem Griechifchen Worte hat, geeigneter zu ſeyn,
das hier Geſammelte als Gegenftaud theuren Anden
tens für Kenophen zu bezeichnen, ats der Ausdruck
„Denkwuͤrdigkeiten““, weicher mehr Für Gegenſtaͤnde
von weltgefchichtlicher Wichtigkeit gebräuchlich It.
406 Einleitung.
Sn diefem Titel ift auch der Zweck der Schrift
hinreichend ausgefprochen. Es kann weder der feyn,
den Socrates zu vertheidigen ;*) — die Zeit der Aner:
fennung feiner Verdienfte, von welcher er felbft noch
in feinen Gefängniffe geweiffagt bat, war längft,
nad) Diogenes Laërtius B. II. G. 43. gleich nad) ſei⸗
nem Tode eingetreten ;— noch Tann es der ſeyn, einen
Abriß feiner Philofophie **) der Nachwelt zu überlies
fern; denn dazu ift die hier gegebene Sammlung
theils zu reichhaltig, theild zu mangelhaft. Der
Zwed der Schrift ift Fein anderer, als der von Xe⸗
nophon felbft, wie im Zitel, fo in der Schrift, Far
angegebene. B. I. C. 3: „Wie er feinen Freunden
fich näßlich gemacht fowohl durch das Beifpiel, das
er ihnen thätlich gab, als durch mündlichen Unter:
sicht, davon will ich fofort verzeichnen, was mir
*) Melden der Verfafier des fünfzehnten Kenophontifchen
Briefes, ebenfo Dionyf. von Salicarnaß Art. Rhetor,
B. II. ©, 105. und Valkenaer annehmen.
+) Etwas Anderes ift, wenn die Schrift ald glaubwürdigſte
Duelle der Socratifhen Philofophie betrachtet wird.
Dafür wird fie faft allgemein anerkannt, wenn man
auch Einfiuß des Kenophontifchen Laconismus und der
mehr praßtifchen Richtung der Philofephie des Verfaſ⸗
ſers darin annimmt. -
ır
BE GEHE —— — — — — Bu Aa _ _ —
Gas Einleitung. 407
noch im, Gedächtniffe iſt“ Und am Ende des Wer
kes B.IV. C. 8.: „Mir fchien Socrates als ein Sol |
cher, wie ich ihn gefchildert — cr fchien mir ald ein
Solcher das vollfommenfte Bild eines trefflihen und
glädlihen Mannes zu ſeyn.“ Cine Lobrede alfo ift
die Schrift auf Socrates als Menfchen und Lehrer,
ausgeführt nicht in Lobfprächen und matten Erguffe
| ber Sehnfucht nach ihm, fondern in.einer Neihe von
r Thatfachen aus der Zeit feiner Wirkſamkeit in Lehre
| und Leben. Aber wie hätte Zenophon daran gehen
koͤnnen, die Vortheile des Umganges mit dieſem
Weiſen zu fchildern, ohne zuvor Befchuldigungen zu
entfräften, welche ihn als einen Verworfenen, und
feinen Umgang als einen gefährlichen darftellten ? da⸗
ber der Anfchein einer Apologie, den die Schrift in
ihrem Beginne hat, der aber mit B. J. Cap. 3: auf
einmal verfchwinder, und faum am Ende B. IV: C. 8.
wieder hervortritt. Denn hier find nicht einmal ihm
gemachte Befchuldigungen berührt. 31Rur nachdem
Zenophon feinen Lehrer als den trefflichften Dann
dargeftellt hat, fürchtet er, ed Tonnte der Tod Deffel-
ben für Andere etwas Störendes haben, weil der
| Trefflichfte Doch der Gottgefälligfte, und damit auch
| Gluͤcklichſte ſeyn muͤſſe; er weist daher, wozu er
früher noch Feine Veranlaffung hatte, nach, wie eben
"Ip
. 408 Einleitung.
Sorrates in feinem Tode ald Liebling der Gottheit
und als der Gluͤcklichſte erfcheine. And auf diefe -
Weile komme in unfere Sammlung der Bericht eines
Fremden, ba fie eigentlich nur eigene Erinnerungen
geben folfte.
Auch über die Ordnung der Schrift gibt der Titel
die befte Auskunft. Es find Erinnerungen, bald ane
einander gereiht nach den Gefeßen des Erinnerungee
Vermoͤgens, bald wieder ohne allen Zufammenhang, *)
wie oft eine Erinwerung unerwartet die Reihe unferer
Borftellungen unterbricht. Uber fo wenig aud) zwi-
fhen den einzelnen Stüden der Sammlung ein
durchgehender Zufammenhang fid) nachweifen laͤßt,
fo haben fie doch gleich den Lichtſtrahlen, die von
. einem leuchtenden Punkte aus nach alten Richtungen
fich verbreiten, ohne fih zu berühren, alle Einer
*) Dieb erfennen auch Meiste und Schneider an. Eine
durchgehende Ordnung fol der Engländer Edwards bes
hauptet haben, daß nämlich das erfte Buch die Pfſtichten
gegen-fich ſelbſt, das zweite die Pflichten gegen Andere
im natürlichen Gefellfchaftszuftande, das dritte die
Pflichten, die wir ald Glieder eines Staates gegen
Andere haben, dus vierte die Lehrmethode des Socra⸗
tes zum Gegenftande hätte. Was Wahres daran fey, mö⸗
gen die Inhaltsanzeigen der einzelnen Bücher Fehren.
Einfeitung. 409
gemeinfchaftlichen Mittelpunft ‚ namlich den, daß
Sperates.nüßlich gewefen fey feinen Freunden in al-
Ten Stüden und auf allerlei Weife. B.IV. C. ı.
Für die Zeit. ihrer Abfaffung gibt die Schrift
felbft, weil blos bei Vergangenem verweilend, Feine
Data. Nach Weiske's Behauptung hätte Zenophon
die Lehrgefpräche de3 Socrates mittelft tachygraphi⸗
fcher Zeichen nachgefchrieben, und dann fpäter in bie
gegenwärtige Geftalt gebracht. Allein fchon von
Schneider ift zur Genüge dargethban, daß die Stelle
des Diogenes Laert. B. II. G. 48., *) auf welde
Weiske fih beruft, von einem Nachfchreiben nicht
fpreche ; fchon wegen der Stelle des Diog. L. B. I.
6. ı22. **) Als Erinnerung kündigt fi ja das
Merk nicht nur auf dem Zitel, fondern auch- im
Texte B. J. C. 3. an, und felbft die einzelnen Stüde
tragen das Gepräge derfelben, wenn fie bald voll-
ftändige Gefpräche, bald nur den Inhalt derfelben
audführlicher oder EZürzer geben, wie 3.1.€. 5,
*) dxpoarg Zwxparsg Tv, xal npwrog könoor-
keimoauevog Ta Asyoueva eig AvFEW@TagG ray,
anouvniovevuara dnypdıpar-
*) ov äuvmkovevev, Unoonuswosig änossiro. (Bom
Socratiker Simon).
Kenophon. 49 Bochn. 2
410 j Einleitung.
B. II. C. 4, B. II. C. 2.8, 9. 12.14. Nicht einmal
die in der erften Stelle ded Diogenes enthaltenen An⸗
. gaben, daß RXRenophon zuerft Socratifhe Geſpraͤche
befannt gemacht, hält Stidy nad) den Erinnerungen
3.1 €. 4. im Anfange. Wir bleiben daher bei der
allgemeinern Angabe ded Diogenes Laört. II, 52. ſte⸗
hen, welche die fchriftftellerifche Thaͤtigkeit des RXeno⸗
phon in feinen Aufenthalt zu Scillus in Elis verfegt.
Vielleicht daß diefer Aufenthalt auch in der Gelau-
figfeit und Beſtimmtheit, mit weldyer fein Socrates
das Bild von der Jagd *) gebraucht, ſich ausfpridht.
Zu unferer Ueberſetzung wurden die Ausgaben von
Schuͤtz, Schneider und Herbft benigt. Die
Auswahl der bedeutendern Lesart echtfertigen kurze
Anmerkungen.
*2) Nach Diogenes Laẽrt. II, 52. brachte Xenophon feine
Muße in Scillus mit Jagen, Bewirthung feiner
Freunde, und Abfaſſung feiner Schriften zu.
d
= ie
Ro;
Xenophon's
Erinnerungen an [aus den Lehrgeſpraͤchen und
dem Leben des] Socrates.
Subalt des erfien Buches.
Cap. 1. 2. Widerlegung der gegen Socrates von feinen
Antlägern erhobenen Beſchuldigungen.
Eap ı. Socrates war tein Gottesverächter. Cap. 2. Er
war and kein Werberber ber Juͤnglinge. Beſondere Ruͤckſicht
auf Eritiad und Alcibiades. Eap. 3. Vielmehr nüste er Des
nen, welde mit ihm umgingen, durdy Lehre und Beifpiel, Hiers
ber gehört fein Benehmen gegen die Götter; fein Verhalten in
Abſicht anf Speife und Trank; feine Grundſaͤtze über ben
Genuß ber Kiebe nah feiner Unterredung mit Kenophonz
Cap. 4. feiner feine Unterreöung mit Ariftodem Aber bie
Gottheit; Eap. 5. feine Empfehlung ber Selbfibeherrfchung.
Cap. 6. Den Werth und Nutzen feines Unterrichts weiß So⸗
crates felöft gegen Antiphon geltend zu machen, der ihn herabs
zufegen ſucht. Cap. 7. Auch betämpfte Gocrates bei feinen
Freunden eitle Scheinfucht,, und drang auf wirkliche Vorzüge,
I.
x
Erſtes Bud.
1. Oft ſchon fann ic) verwundert darüber nach, durch welche,
Beweife doch die Ankläger des Socrates die Athener bereben
konnten, er habe den Tod am Staate verfchuldet. Die Klages
Schrift gegen ihn lautete nämlid, folgendermaßen: „Socrates
frevelt, indem er die Götter, welche der Staat anerkennt,
nicht annimmt, fondern Neuerungen in göttlichen Dingen *)
dafür aufbringt; er frevelt ferner, indem er die Fünglinge
+) Nenerungen in göttlihden Dingen. Andere über
ſetzen hier: ‚‚neue Gottheiten aufbringen.” Daß Die dem
Socrates vorgeworfen wurde, ift wohl nad ber Apologie
5. 24. und Plato im Euthyphr. Eap. ». aufier Zweifel.
Denn auch bie Unechtheit dieſer beiden Schriften zugegeben,
fo find fie doch fo alt, daß fie diefe Beſchulbigung aus glaub⸗
wärbiger Quelle haben mußten. Die Worte unferes Textes
Hingegen find wohl allgemeiner zu faffen, wie ſchon Dieas
rind zu PHiloftratus Leben bes Apollonius IV, 18. gezeigt
bat, und auch Schleiermacher zur Platonifhen Apologie
(Anm. ©. 432. ff.) annimmt. Wenn and dauuionov
bei den Griechen die Gottheit, die Gefammtheit der gbtts
lichen Wefen bedeutet, ſo doch nie einzelne göttliche Indivi⸗
den. Der Sprachgebrauch des Philoſtratus (ſ. Olear. a. a.O.)
xauvog za dmuuovıa iſt In dieſer Hinſicht beſonders
„ merfwärbig, und zeigt, daß xcLvc Sauovıa eig Posıv
nichts Anderes iſt, als was bei Plato Euthyphr. a. a. O. xau-
vorousiv neel Ta Hein iſt. Nicht, einmal nähere
Beriehung auf das Daͤmonium des Socrates, und abfichts
tige Zweibentigteit in der Wahl ber Mehrzahl möchten
Erſtes Bud. 413
verderbt.“ Fürs erfte nun, daß er die Götter nicht ange:
nommen, welche die Stadt annimmt, womit konnten fle Dieß
beweifen? Sah man ihn ja doc) öfters fowohl zu Haufe als
auf den gemeinfamen Altären der Stadt fein Opfer darbrin⸗
gen; und aud daß er von der Wahrfagerfunft Gebraud)
[4 machte, Eonnte nicht unbemerkt bleiben; allgemein sing ja
die Sage, daß Socrates behaupte, die Gottheit gebe ihm
Andentungen, und hauptſaͤchlich hierauf fcheint fidh die Bes
fehufdigung gegründet zu haben, daß er Neuerungen in götts
lichen Dingen aufbringe, Allein er brachte bamit fo wenig
Neues auf, als jeder Andere, der auch auf die Wahrfager-
kunſt Etwas Hält, und dazu Vögel, Stimmen, Begegnende
und Opfer gebraucht. Auch Diefer traut ja, wie er, die Kennt»
giß Defien, was den Rathfuchenden frommt, nicht den Vögeln
noch den Begegnenden zu, fondern leitet die Andeutungen,
die fie hierüber geben, von den Göttern her. Nur drüden
fi) die Meiften fo aus, ald ob ihnen von den Vögeln und
Begegnenden abs oder zugerathen würde; Socrates dagegen
drückte fid, ganz fo aus, wie er dachte, daß nämlich die Gott:
‚heit ihm Andeutung gebe. Mit. Berufung auf folche Voran⸗
1 deutungen der Gottheit ſprach er Vielen ſeiner Freunde zu,
bald Etwas zu thun, bald Etwas nicht zu thun; und Wer
ihm folgte, befand ſich gut dabei; Wer nicht folgte, mußte
es bereuen. Doch Wer möchte es in Abrede ziehen, daß er
wir darin erfennen, außer fo weit jene Beziehung auf
das Daͤmonium in der Sache ſelbſt liegt. Auch Aſt zu
Plato's Leben und Schriften S. 485. f. hat fein Beiſpiel
vorgebracht, wo —RXV ein concretes gdttliches
Weſen waͤre.
+
416. Xenophon’d Erinnerungen an Socrates.
Meiften, daß er die Einrichtung des von den Sophiften *) ſo
genannten Kosmos [Meltgebändes], und die Geſetze, nach
denen jede einzelne Veränderung am Himmel erfolgt, unters
fucht hätte. Sm Gegentheile wies er fogar die Thorheit Sol⸗
cher nad), welche über Derley grübelten. Zuvörderſt ſtellte
er die Frage auf, ob fie denn, was für den Menfchen Werth
habe, mit ihrer Weisheit fchon erfchöpft zu haben glauben,
daß fie anifolche Grübeleien gehen, ober ob fie es für recht
halten, was für den Menfchen Werth habe, zu überfpringen, um
die Gcheimniffe der Gottheit zur ergründen. Er äußerte ferner
fein Befremden darüber, wie ihnen nicht in die Augen leuchte,
daß die Ergründung folder Dinge für Menfchen etwas Un⸗
mögliches fey, da felbft Diejenigen, die fih auf-die Erkläs
rung diefer Gegenftände am meiften Etwas zu Bute thun,
weit entferne, mit einander übereinzuftimmen, wie Wahnflus
nige ſich zu einander verhalten. Denn von den Wahnfinnigen
fürchte auch Ein Theil nicht einmal das Furchtbare, und ein
anderer Theil erfchrecte ſelbſt vor dem Nichtſchrecklichen; die
Einen ſchämen ſich nicht einmal vor den Leuten alled mög⸗
liche Unanftändige zu fagen und zu thun, unb die Anderen
fcheuen fih auch nur unter die Leute zu gehen; die Einen
achten weder Tempel noch Altar, noch fonft etwas Göttliches,
und die Anderen ermweifen fogar den gemeinften Steinen und
Holzkloͤtzen, und gewiſſen Thieren göttliche Verehrung. So
fey es nun bei Denen, die über dem Weſen der Wert fid)
den Kopf zerbrechen. Die Einen **) nehmen an, es gebe nur
*) Philoſophen jener Zeit, die ihre Wiffenfchaft als Sands
wert trieben.
*a) Xenophanes, der Stifter der Eleatiſchen Schule,
BE - ‘
Ä Erfied Buch. og
ein Seyendes, Untere, *) es gebe eine unendliche Vielheit
von Dingen; ein Theil **) Laffe- Alles in befländiger Bewer
gung begriffen ſeyn, Andere **) leugnen durchaus alle Bewe⸗
sung; Einige +) lehren ein durdgängiges Entftehen und Ver⸗
‚sehen, Andere ++) heben alles Entfiehen und Vergehen auf.
i Auch diefe Betrachtung ſtellte er in Beziehung auf fie an:
Wer lerne, was für den Menfchen Werth habe, glaube fich
im Stande, was er gelernt habe, ſich und Wem er fonft wolle,
zu verfertigen; ob nun Diejenigen, welche nad) dem Göͤttli⸗
chen forfchen, auch, wie Jene, meinen, wenn fie die Geſetze
jeder Veränderung in der Natur erkannt haben, nad) Belie⸗
ben Wind, Regen, Sommer und Winter und was fie font
der Art nöthig haben, herporbringen zu können 1, Dder od fie, -
ohne auch nur den Gedanken an fo Etwas zu haben, mit
dem bloßen Wiffen um die Art, wie es bei Diefem und Je⸗
nem zugehe, flch begnügen ? So üäufferte er fich über Dieje-
nigen, bie fich mit foichen Sachen bemühten. Er felbit un⸗
terhielt fi. immer von Dem, was für den Menſchen Werth
hatte, und unterfuchte die Begriffe von religidg und ir
religidg, von edel und unedel, von gerecht und ums
L gerecht, von Nüchternhett und TZollheit, von Taps
ferteit und Seigheit, von Staat und Staatsfunft,
von Vorſteherſchaft und Vorſteherkunſt, und von
andern Dingen, deren Kunde ihm zu einem gebildeten Manne
‘
*) Reucipp, ber Atomiftifer, Lehrer ‚des Demoerit.
+) Heraclit von Ephefus.
***) Die Sleaten Parmenides und Zeno.
+) Heraklit.
+) Die Eleaten.
418 Xenophon's Erinnerungen an Socrateß.
zu gehören fchien, und ohne deren Kunde man mit Recht
eine Sclavenfeele genannt werde, Wenn nun die Richter in
Sachen, worüber feine Geflunungen nicht öffentlich vorlagen,
unrichtig über ihn urtheilten, fo kann Dieb nicht auffallend
feon; aber daß fle allgemein Bekanntes unbeachtet ließen, Das
bleibt auffallend. Er war nämlich einmal Rathsherr gewors
den, und hatte den Rathsherreneid geſchworen, worin unter
Anderem mit enthalten war, er wolle den Geſetzen gemäß bie
Prichten diefer Würde erfüllen. Als nun das Volk gegen
die Geſetze neun Feldherren, den Thrafplus*) und Erafinides
mit ihren Amtsgenoſſen durch eine einmalige Abftimmung
Alte zumal zum Tode verurtheilen wollte, fo weigerte er fich
als Epiftat**), die Abftimmung vor fid) gehen zu laſſen.
Zwar zürnte ihm das Volk, umd es drohten ihm Diele der
Mächtigen, aber ihm war mehr daran gelegen, feinen Eid
zu halten, als die Gunſt des Volkes durch Widerrechtlichkeit
zu erkaufen und gegen die Drohungen fid, ſicher zu ſtellen.
Denn von der göttlichen Weltregierung hatte er ganz andere
- Begriffe, ald der große Haufe, welcher glaubt, die Götter
wiffen Einiges, und Anderes wiſſen fie nicht. Er war über:
*) Die Geſchichte ſ. bei Kenophon Griechiſche Geſchichte I, 7,
Diodor XUI, 74.
25) Epiſtat ift Derjenige von den Prytanen, voelcher gerade an
einem Tage dur das Loos den Worfig im Rathe führte,
Prytanen hießen bie Rathöherren besjenigen Stammes,
der in einer Prytanie, d. H. in einem der zehn Jahres⸗
abfeynitte von 35 Tagen gerade wie Gefchäfte des Raths
beforgte. Unter dem Rathe ift der Nath der Fuͤnfhun⸗
derte gemeint.
Erſtes Buch. | 419
zeugt, daß die Götter Alles willen, fowoht Worte und Hands
lungen, als aud Die ſtillen Gedanken, daß fie Überall gegen
mwärtig feyen, und den Menfchen über alle menfchlichen An⸗
gelegenheiten Undentungen geben. Darum ift mir's uner⸗
Elärbar, wie doc, die Athener ſich Eonnten überreden laſſen,
Socrates habe irrige Anſichten von den Göttern, er, der
nie eine goffestäfterliche Rede oder Handlung ſich beigehen
fieß, vielmehr in Beziehung auf die Götter flets fo redete .
und handelte, daß feine Gottesfurcht über allen“ Zweifel
erhaben ſeyn follte.
3. Mir ift ferner unerflärbar, daß Jemand glauben Eonnte,
Sorrates habe die Jünglinge verderbt, er, der außer Dem,
was bereit bemerkt ift, im Bezug anf den Geſchlechtstrieb,
und auf Effen und Trinken ein Muſter von Selbftbeherrfchung
war, in Kälte und Hitze und in jeder Art von Anftrengung
ausdauernd, wie Fein Anderer, und auf Befchränkung feiner
Bedürfniffe fich fo gut verftand, daß er, fo wenig er auch
hatte, doch leicht das Nöthige fand. Wie folte er nun bei
den Tugenden, die ihn felbft zierten, Andere zur Gottesver⸗ \
achtung, zur Webertretung der Gefebe, zur Schwelgerei, Wol⸗
fuft oder MWeichtichkeit verführt Haben? Vielmehr bradyte ex
Diele von diefen Laſtern zurück, indem er ihnen Liebe zur
Tugend einflößte und ihnen Hoffnung machte, dereinft edle
und wärdige Männer zu werden, wofern file nur auf fi
Acht haben wollten, Wiewohl Lehrmeifter hierin zu werden
machte er ſich nie anheifchig; nur die Tugenden, die er aner⸗
Fanntermaßen hatte, gaben feinen Freunden Hoffnung, daß
fie e8 eben fo weit bringen Eönnten, wenn fie ihn ſich zum
Mufter nähmen. Auch ten Körper vernadhläßigte er weder
-
420 Zenophon’d Erinnerungen an Socrated.
felbft, noch Lobte er ed an Andern, wenn fie ed thaten. Er
verwarf Veberfüllung ded Magens mit darauf folgender übers
triebener Anſtrengung, Dagegen empfahl er die Gewohnheit,
fo viel als man mit Appetit effe, gehörig hinauszuarbeiten.
Ein ſolches Verhalten, ſagte er, fei nicht nur ganz gefund,
fondern auch der Ausbildung der Seele nicht hinderlic. Das
bei war von Ueppigkeit und Eitelfeit an feinem Gürtel, feinen
Schuhen, und in feinem übrigen Aufzuge nichts zu merken.
And, nicht geldgierig machte er Die, welche mit ihm umgins
gen; von dem Verlangen nach andern Dingen bradyte er fie
ja ab, und Wer nad) ihm verlangte, von Dem nahm er fein
Geld. Durch diefe Uneigennüsigfeit glaubte er für feine
Unabhängigkeit zu ſorgen; Diejenigen hingegen, welche fich
für ihren Unterricht bezahlen ließen, nannte er Verkäufer
ihrer eigenen Freiheit, weil ſte ſich die Verbindlichkeit aufs
erlegen, Jedem ſich zu widmen, von dem fle bezahlt werben.
"Er fand ed and) fonderbar, wie ein Lehrer der Tugend Geld
nehmen, und flatt den Gewinn eines waderen Freundes für
den höchften zu achten, noch fürchten könne, der zum edeln
und tugendhaften Manne Herangebildete möchte ihm für die
orößte aller. Wohlthaten nicht den größten Dank wiffen. Er
ferbft ging gegen Niemand eine Verbindlichkeit in diefer Hin
fiht ein; aber er hegte die Zuverficht, Diejenigen aus feinem
Umgange, welche an feine Borfchriften fid, Halten, werden
Zeit ihres Lebens ihm und einander felbft wadere Freunde
fegn. Wie Fönnte nun ein ſolcher Maun die Jünglinge vers
derben ? ed müßte nur die Bildung zur Tugend Derderbniß
heifien. Doch nady Angabe feines Anklaͤgers hätte er die
Erfted Bud. 42
Leute von feinem Umgange au Veraͤchtern der beſtehende
- Geſetze gemacht. Er hätte es für eine Thorheit erklärt, d
Henter im Staate durdy Bohnenflimmen zu befeben, d
Doc, Niemand Luft habe, einen durch Bohnen Gewählten zu:
Steuermanne, Baumeifter, Flötenfpieler oder zu anbern ähr
3 lichen Beſtimmungen zu nehmen, wo ein Verſtoß weit wen
ger gefährlich fey, als in Angelegenheiten des Staats; ur
ſolche Aeußerungen müßten die Tünglinge zu Berachtun
der beftehenden Verfaſſung verleiten und fie gewaltthäti
machen. Sc meines Orts bin ganz anderer Meinung. °
mehr Einer feinen Berftand ausbildet, und fid die Fähigke
zutraut, feine Mitbürger über ihren wahren Vortheil 3
belehren, defto weniger wird er gewaltthätig; ihm kann nid
entgehen , daß Sewaltchat ohne Berfeindung und Gefat
nicht abgeht, während durdy die Macht der Beredſamkeit ohr
Gefahr und im Frieden eben fo viel zu: Stande gebrad
wird. Denn Wer gezwungen wird, wird zum Feind, ai
würde ihm Etwas genommen; Wer in Güte zu Etwas beri
det wird, wird wohlwollend, als häfte man ihm Efwas gı
ſchenkt. Nicht alfo Diejenigen, die den Verſtand ausbilder
Sondern Die, welche Stärke befiben ohne Weisheit, find eg, di
zur Gewaltthätigkeit ihre Sufluche nehmen, Auch Gehülfe
Braucht Der, welcher ſich Gewaltthaͤtigkeiten erlaubt, in ziem
Sicher Anzahl; Wer auf das DBereden fich verſteht, gar Feine
er denkt, er koͤnne allein damit zu Stande Eoanmen. Und wi
konnten Solche am Biutvergießen eine Freude haben? Wer
ſollte ed nicht Fieber ſeyn, Einen lebend für feine Swede ;
gewinnen, als ihn zu tödten? Doch nad) Angabe des Kıd
422 Xenophon's Erinnerungen an Socrates.
gers wäre Eritias *) und Alcibiades **) in Umgang
mit Socrates geflanden und häften über den Staat das
größte Unheil gebradyt. Critias wäre der Habfüchkigfte und
Bewaltthätigfte unter allen Dligarchen, Alcibiades unter als
len Democraten der Woilüftigfle und Webermüthigfte gewejen.
Ich nun bin weit entfernt, fie wegen des Unheils, dag fie
über den Staat bradyten, in Schus zu nehmen; nur von ih⸗
rer Verbindung mit Socrates will id) das Nähere berichten.
Beide Männer waren von Natur die Ehrfüchtigften unter
alten Athenern, Beide wollten, daß Alles was geſchah, durch
fie gefchebe, und an Ruhm Alte übertreffen. Sie wußten, daß
Socrates bei einem ganz Pleinen Vermögen zufrieden lebte,
alle feine Begierden in feiner Gewalt hatte und Diejenigen,
welche fich mit ihm in ein Geſpraͤch einfließen, nach Gefallen
lenkte. Sollten nun, Zeute von ihrem Charakter nad) Dem,
was ihnen von Socrates bekannt war, feinen Umgang gefucht
haben, um feine Lebensweiſe und Nüchternheit***) fich anzus
eignen, oder nicht vielmehr darum, weil fle bei ihm die befte
Anleitung zur Beredfamkeit und zum thaͤtigen Leben zu finden -
hofften? Ich meines Orts bin überzeugt, wenn ihnen ein
Gott die Wahl freigegeben hätte, ihr Xeben lang fo zu leben,
- wie fie den Socrates leben fahen, oder zu fterben, fie hätten
tieber das Sterben gewählt. Dazu lieferte ihr Benehmen
*) Eritiad. ©. über ihn Xenoph. Griech. Gef. UI, 3.
**) Alcibiades. Seine Biographie f. bei Plutarch u. Nepos.
+++) Ein für allemal fen Hier bemertt, daß Nuͤchternheit
als Veberfegung von o@gppoovvn im weiteften Sinne
(als vernünftiges Map im Denten und Handeln) genoms
men wird,
Erftes Buch. A:
den beiten Beweis, Sobald fie glaubten, vor den übrin
Zuhörern voraus zu feyn, ließen fle alsbald den GSocra:
fiten, und warfen ſich auf die Staatögefchäfte, denen zu li
fie eben ihn aufgefucht hatten. -
Vieleicht möchte nun bier Jemand die Einwendung m
X chen, Socrates hätte feine Freunde nicht früher zu d
Staatsgeſchäften anleiten follen, als zur Nüchternheit. U
diefer Bemerkung widerfpreche ich nicht. Aber Socrat
that nichts Anderes, ald was alfe Lehrmeiſter thun, daß
nämlich fich feibft den Lehrlingen ald Muſter hinſtellen, m
fie felbft ihre Worfchriften befolgen, und dann mit Hül
ihrer Beredſamkeit fie dazu anleiten. So flellte auch ©
crates fich felbft feinen Freunden ald Mufter eined ede
umd tugendhaften Mannes Hin, und verband damit die fchd
ften Geſpräche über Tugend und menfchliche Angelegenheit
überhaupt. Und auch jene Beiden blieben, wie ich we
nüchtern und gemäßigt, fo fange fie mit Socrates in V
bindung flanden, nicht aus Furcht vor der Strafe oder Rut
des Socrates, fondern weil fie wirklich Damals von dem f
hen Werthe der Tugend überzeugt waren. Manche nun v
, Denen, welche fid für Philofophen ausgeben, möchten vi
Leicht hier entgegenhalten, der Gerechte könne nicht wı
ungerecht werden, noch der Nüchterne und Befonnene fre
noch überhaupt in irgend einem Gegenflande des Unterrich
Derjenige unfundig, der darin unterrichtet ſey. Ich bin d
fer Meinung nicht, Sch Habe die Erfahrung vor mir, d
geiftige DVerrichtungen- Denen, welche ben Geift nicht üb
eben fo ſchwer und unmdglich-werden, als Lörperliche. V
richtungen Denen, welche dein Körper nicht üben; fle vern
-
*
424 Xenophon's Erinnerungen an Socrates.
gen weder zu hun, was fie follen, noch zu laffen, was fie
ſollen. Daher fuchen auch Bäter ihre Söhne, wenn Diefe
noch fo geſetzt und erufthaft find, dennoch von verborbenen
Menfchen ferne zu halten, weil fie den Umgang mit Solchen
für die Tugend eben fo gefährlich finden, als der Umgang
mit Guten für dieſelben heilſam iſt. Damit ſtimmen bie
Dichter überein, wenn Einer *) derfelben fagt:
Gutes lerneſt du nur von Guten: böfe Gefellfchaft
Riichtet bie Bildung auch, die Dir geworden. zu Grund,
und ein Anderer: **)
Tadelich ift ein waderer Mann oft, bfter zu Ioben.
Und auch id) trete ihnen bei; ich finde, daß die Vorfchriften
der Lehrer eben fo leicht durch Nachläßigkeit in Vergeffenheit
tommen, als man Derfe von Dichtern ohne fortgehende Ein:
übung vergißt. Vergißt aber Einer warnende Vorfchriften,
fo find auch die Empfindungen in ihm erftorken, durch welche
die Seele für die Tugend gewonnen wird; und find einmal
tiefe erſtorben, fo ift es kein Wunder, wenn auch die Tugend
in ihm erſtirbt. So finde ich auch, daß Diejenigen, welde
fi) dem Trunke ergeben, oder den Ausfchweifungen in ber
Liebe fich überlaffen Haben, von be an weniger im Stande
find, was ſeyn follte, zu beobadyten, und was nicht ſeyn follte,
zu unterlaſſen. Viele, die ihr Geld zu Rathe zu halten wifs
fen, fo lange fie nicht der Liebe ſich ergeben, können es nicht
mehr, fobald fie Dieb gethan haben; und Arten des Erwer⸗
bes, die fie. früher verfchmähten, weil fie fle für erniedrigend
N
*) Theognis B. 55.
“) Ein unberaunter Dieter,
5
,
Erſtes Buch: | .. 435
Hielten, verfchmähen fle nicht mehe, wenn fle ihr Geld durchs
gebrachte haben. Wie follte es daher unmöglich feyn, daß
Leute, die früher geſetzt waren, es fpäter nicht mehr find,
und Solche, die früher gerecht handeln konnten, es fpäter
nicht mehr können ? Wie überhaupt alles Gute und Edle, ſo
t ift namentlidy auch Gefestheit und Nüchternheit nach) meintr
Veberzeugung Segenftand der Uebung. Die Lüfte und Bes
' gierden, mit der Seele in einem und demfelben Körper zufams
menwohnend, reizen jene, an Peine Ordnung fi zu halten,
- and je eher je lieber ihnen und dem Körper zu Willen "zu
werden. Auch Eritiad und Alcibiades waren allerdings, fo
lange fie mit Socrates in Verbindung flanden, durch feine
Unterftübung flart genug, um unedle Begierden zu unters
drücken; aber nady der Trennung von ihm kam Gritias leider
in ZTheffalien, wohin er flüchten mußte, *) unter Zeute, bei
denen Gefeswidrigfeit mehr galt, als Gerechtigkeit; dem-Als
cibiades auf der andern Seite gereichten die Nachſtellungen,
die ihm feine Schönheit bei vielen Frauen vom erften Range
zuzog, die Schmeicheleien, womit ihm wegen- feines Einfluffes
bei Bürgern und Bundesgenoffen von Seiten vieler gewandter
y Schmeichler der Kopf verrüdt wurde, fo wie die Ehrenbezeus "
gungen des Volkes zum Verderben; es ward ihm zu leicht,
der Erfte zu ſeyn, und darum ging es ihm, wie den Yechtern
in den gymniſchen Kampffpielen, denen der Sieg nicht fchwer
gemacht wird: er wurde faumfelig in feiner Fortbildung. Uns
ter folchen Umständen flolz auf Geburt und Reichthum, aufs
*) Xenophon Griech. Geſch. 81, C. 3.
Kenophon. 468 Bochn. 3
4236 Zenophon’s Erinnerungen an Socrates.
gebtäfen über ihre Macht, verwöhnt durd, eine Menge Mens
ſchen, und noch überdieß verführt, und lange Zeit von So—
crates getrennt, — kann es auffallen, wenn fie da übermüs
thig wurden? Sodann legt der Anklaͤger ihre Fehler dem
Socrates zur Laſt; daß aber Derfelbe fie in ihrer Jugend,
wo doch am wenigften Folgfamkeit und Selbſtbeherrſchung
bei ihnen vorausgeſetzt werden darf, in der Ordnung erhalten,
Das findet er keiner Anerkennung werth. So urtheilt man
doch fonft nicht. Wo wird ein Flöten: oder Citherfpieler,
oder fonft ein Lchrmeifter, der gute Schüler geliefert . hat,
dafür verantwortlich gemadht, wenn fie zu Andern kommen
und ‚dort fchlechter werden? wo mißt ein Dater, wenn fein
Sohn bei einem Lehrer ſich gut gehalten hat, und nachher be;
einem andern Lehrer verborben wird, dem erftern die Schuld
bei? Wird er nicht vielmehr das DVerdienft des Erfteren um
fo höher anfchlagen, je fchlimmer es mit feinem Sohne bei
dem Zweiten geht? Sogar, wenn die Väter ſelbſt mit ihren
Söhnen fid, abgeben, legt ihnen Niemand die Vergehungen
der Kinder zur Laft, wofern fie nur felbft Beine Blößen ges
ben, So hätte man aud dem Socrates follen fein Recht
wibderfahren laſſen. Hätte er felbft Schlechtes gethan, fo
hätte er billig für fchlecht 'gegolten; war er aber felbft immer
gefebt und geordnet, welche Ungerechtigkeit, Fehler auf ihn
zu fdhieben , die ihm fremd waren? Doch auch ohne daß er
felbſt Schlechtes gethan hätte, Fönnten ihm dennoch gerechte
Vorwürfe gemacht werden, wenn er bei Jenen Schlech⸗
tes gefehen und gut geheißen hätte. Allein bei Critias
einmal war Dieß nicht der Fall. Als er bemerkte, daß Dies
—
’
Erſtes Buch. 4427
fer in Euthydemns *) verliebt war, und auf eben die Weiſe,
wie die Gefchlechtsiuft befriedigt wird, fid feiner bedies
nen wollte, fo fuchte er. ihn davon abzubringen und flellfe
ihm vor, wie unedel ed fey, und wie unanfländig für einen
Mann von Ehre, den Gegenftand feiner Liebe, um deſſen
Werthſchaätzung ihm doch zu thun fey, anzubekteln wie um ein
Almoſen, und noch Gefchente zu feiner Bitte hinzuzufü⸗
gen, **) wo es dody nicht einmal um Etwas fidy handle, was
nur den Namen eines Gutes verdiente. Und als Eritiad auf
foiche Vorftellungen nicht hörte und fich nicht abbringen ließ,
that Socrates in Gegenwart des Egthydemus und mehrerer:
Anderer die Weußerung, es fcheine ihm in Eritiad etwas
Schweiniſches fi) zu regen; er begehre fih an Euthhdemus
zu reiben, wie ein Serkel an einem Steine. Deßwegen wurde:
auch Eritind dem Socrates feind, und gedachte es ihm, da
er als Mitglied der dreißig Tyrannen mit Charicles Geſetz⸗
geber ***) wurde. Das Verbot nämlich, in der Nedekunft Unter⸗
richt zu geben, nahm. er blos darum unter die Gefehe auf,
*) Euthydem, auch IV, 2. 3. 5. erwähnt, Sohn des Diocles
(Plato im Gaſtmahl) zu unterſcheiden von dem Bruder des
Dionyfidor, nach welchem Plato einen Dialog benannt hat.
**) Schneider ſchlug als Berbefferung diefer dunteln Stelle vor:
ixerevovroæ xal, deouevov ueradovva xal Tavıa
"undevog dyads’ db. h. „zu bitten nnd zu fliehen um
die Mittheilung von Etwas, dad noch dazu Fein wahres
Gut iſt.“ Ungefähr in diefem Sinne uͤberſetzt auch Hot⸗
tinger. In der dritten Ausgabe kehrt aber Schn. gewiſ⸗
ſermaßen zur Vulgata zuruͤck, mit dem Sinne, den unfere,
Veberfegung ausbrädt,
4), Vergl. Xenoph. Griech. Geſch. II, 3. im Anfange,
⸗
426 Xenophon's Erinnerungen an Socrates.
um dem Socrates einen Stoß zu geben, dem er nicht anders’
beizukoymmen wußte, und daher die, gemeiniglich den Philos
- fophen überhaupt gemachte Beichuldigung zuſcheb, und ihn
bet dem großen Haufen verleumbete. Denn weder ich ſelbſt
hoarte jemals von Socrates einen Vortrag über dieſen Gegens
fland, noͤch ift mir fonft Jemand bekannt, der Etwas darüber
von ihm gehört zu haben behauptete. Die Abſicht des Ges
ſetzes erhellte aus folgendem Umftande: da die dreißig Tyran⸗
sen einen großen Theil der angefehenften Bürger hinrichten
ließen, und Andere zur Begänftigung ihrer Ungerechfigkeiten
verleiteten, fo ließ fide Socrates irgendwo verlaufen, es
komme ihm fonderbar vor, wenn ein Kuhhirte, bei dem die
Heerde immer Bleiner und die Kühe immer magerer werden,
nicht. gelten Taffen wolle, daß er ein fchlechter Hirte fey; aber
noch) weit fonderbarer fey ed, wenn Einer ald Vorſtand eines
Stäntes die Bevölkerung und. die Sittlichkeit deffeiben in
" Berfall bringe, und fich body nicht fchäme und nicht zur Ue⸗
berzenaung Somme, daß er ein fchlechter Vorſtand des Staa⸗
‚tes ſey. Dieß wurde angebradyt. Critiad und Charickes
tießen den Socrates vor ſich kommen, wiefen ihm das Gefet
vor, und unterfagten ihm, mit den Jünglingen ſich zu unter:
‚reden, Socrates fragte fle, ob es erlaubt fey, über etwaige
Dunkelheiten in dem Verbote fich.nähere Erklärung. auszu⸗
bitten. Die Antwort war Ja. „Nun denn,’ fuhr er fort,
„ich bin bereit wich den Gefehen zu unterwerfen; um aber
nicht: aus Unwiſſenheit gegen dieſelben zu verfloßen, fo
wünfchte ich darüber beftimmte Auskunft von euch, ob ihr
die Nedekunft in die Nichtigkeit und Wahrheit ber Rede
feßet, daß. ihr fie verbietet, oder. in ihre Unrichtigkeit. Sept
Erfies Buch. 429
\
ihr fie in die Richtigkeit, fo müßte man freilich aufgeben,
richtig zu reden; ſetzt ihr fie aber in die Unrichkigkeit, fo ift
klar, daß man fid) befleißigen muß, richtig zu reden.‘ Cha:
ricles wurde unwillig über ihn, und fagte: „Da du und nicht
verftehft, Socrates, fo geben wir dir folgende faßlidyere Vers
ordnung: daß du mit den Jünglingen did, durchaus nicht
unterreden ſolleſt.“ „Nun denn,‘ fuhr Gocrates fort, „da⸗
mit alle Ungewißheit wegfalle, daß ich der Verordnung zuwi⸗
der handle, fo gebt mir beſtimmt an, bis zu weichen Alter
Einer nody unter die Zünglinge gehört. „So lange. Einer
noch nicht rathsfähig ift, aus. Mangel an der gehörigen
Reife des Verſtandes;“ erwiederte Charicles, „du ſollſt did)
mithin mit Leuten unter dreißig Jahren nicht unterreden.“
„Auch dann alfo,“ eitgegnete Socrates, „wenn id) Etwas
einfaufe, und ein Menſch unter dreißig Fahren bietet es feil,
auch dann foll id) nicht fragen, wie er e8 zu kaufen gebe?
„Ja, ſolche Sachen wohl,” antwortete Charicles, „aber du
bift eben gewohnt, Socrates, nad) einer Menge von Dingen
zu fragen, die div gar wohl bekannt find. Nach foldyen Sa=
| chen ſollſt du alfo nicht fragen.” „Soll ich alfo and) nicht
antworten, wenn ein Jünglisg mid) Etwas fragt, wenn idys
weiß, 3. B. wo Eharicled wohne, oder wo Critias fidy be:
finde?’ „O ja, auf foldhe Fragen wohl,” erwiederte Chari:
cled. „Aber Das wirft du dir zu merken haben, Socrates,“
fiel hier Gritias ein, „daß du die Schufter, Bimmerleute und
Schmiede in Ruhe läffeft; denn die find, denke ich, durch
deine wiederholten Erwähnungen fchon ganz abgenügt.‘‘
„Ufo werde ich aud) Das Iafien müflen,‘ fuhr Socrates
fort, „was ich damit in Verbindung fege, die Begriffe von
4350 Xenophon's Erinnerungen an Socrates.
Hecht und Pflicht und von andern verwandten Gegenſtänden.“
„Ja,“ antwortete Eharicles, ‚und auch die Kubhirten; wo
nicht, fo nimm dich in Acht, daß nicht auch du die Zahl der
- Kühe einer macheſt!“ Diefe Aeußerung gab zu erkennen,
- Haß eine von der Dergleichung mit den Kühen erhaltene
"Kunde die Urfache ihres Unwillens über Socrates gewefen
“war. Und damit von der Verbindung des Gritiad mit Go:
crates umd von ihren gegenfeitigen Verhältniſſe genug. Ue⸗
- berhaupt möchte ich behaupten, daß ein Lehrer nie großen
- @influß auf feinen Zögling haben FLönne, wenn Diefer fein
- Mohfgefallen an ihm findet. Dieß war aber bei Eritiad und
Alcibiades der Fall. Nicht aus Wohlgefallen an Socrates
gingen fie mit Diefem um, fo lange fie mit ihm umaingen;
{ondern gleich von Anfang war ihr Streben darauf geridhs
‚tet, ſich an die Spite des Staates Zu Stellen. Noch fo Tange
fie mit Socrates in Verbindung fanden, Tießen-fie fich mit
Niemand lieber ein, als mit Solchen, die am Staatsruder
»faßen. So ſoll Alcibiades, noc ehe er zwanzig Jahre alt
War, mit Pericles, feinem Bormunde und damaligem Vor:
Atande des Staats, folgendes Gefpräd über die Gefebe
‚gehalten haben: — Alcibiades. Höre, Pericles, könnteſt du
mich belehren, wa3 ein Befeh it? — Pericles Gar
wohl. — Alec Sp belehre mich denn, ich befchwöre dich; ich
höre gewifle Leute als gefeglihe Männer loben, und ich
glaube, diefed Lob könne man nicht verdienen, ohne zu wiſſen,
was Geſetz ift. — Der. Es iſt gar nicht fchwer, Atcibiades,
deinen Wunſch zu befriedigen. Geſetz ift alled Dasjenige,
was dad Volk in der Verſammlung nad) vorangegangener
Drüfung fchriftlic, feitgefegt hat, fen ed als Befehl oder ale
-
-
\
Erſtes Buch. 48
Berbot, — Ale Was es feftgefeht hat, in ber Meinung,
dad man das Gute thun müffe oder das Böfe? — Per. Das
Eritere, mein Sohn, natürlich: das Böſe aber nicht. —
Arte, Aber wenn es nicht das Volk iſt, fondern, wie in einer
Oligarchie, nur einzelne Wenige, die ſich verfammeln und
\ ſchriftlich reftfepen, wad man zu Chun hat: wie nennt man
Dieb? — Per. Alles, was die höchſte Gewalt im Staate
nad) vorangegangener Berathung über Das, was zu thun if,
fchrifttich feftfebt, nennt man Geſetz. — Alc. Wenn aber ein
Tyrann die Gewalt in Händen hat, und den Bürgeru bor-
fchreibt, was fie thun ſollen: ift dieß auch ein Geſetz? —
Der. Auch was ein Tyrann während feiner Negierung feſt⸗
fest, auch Das heißt ein Geſetz. — Alc. Was foll dann aber
Gewalt und Geſetzloſigkeit ſeyn, Pericles? Kann es etwas
Anderes fenn, ald wenn der Stärfere den Schwächeren nicht
durch bie Macht der Beredfamkeit, fordern durch Zwang dazu
bringt, ſich in ſeinen Willen zu fügen? — Per. So meine
ih. — Alc. Alles alſo, wozu ein Tyrann die Bürger durch
fchriftfiche Anordnungen nöthigt, ohne fle.durdy gütliche Vor:
ſtellungen dafür geftimmt zu haben, ift Geſetzloſigkeit? —
Der. Fa, und ich nehme meine frühere Behauptung zurüc,
Daß fehriftliche Anordnungen von Tyrannen ohne vorange⸗
gangene Webereinkfunft mit den Bürgern Gefebe feyen. —
Alc. Und wenn eine Kleine Anzahl von Bürgern, ohne vor:
her nachgefuchte Einwilligung der Mehrzahl, bios dermöge
des im Staat erlangten Webergewichtes Etwas fchriftlich
feftfebt, werden wir Dieß Gewalt nennen, oder nicht? —
Der. Ueberhaupt was Einer dem Andern für eine Verbind—
dichkeit auferlegt, ohne vorher feine Einwilligung erhalten zu
432 Xenophon's Erinnerungen an Socrates.
haben, geſchehe ed nun fchriftlich oder nicht, Tcheint mie
Gewalt und kein Geſetz zu ſeyn. — Ale. Alfo auch fchrifte
liche Verordnungen, weldhe die Gefammtmafle des Molke
vermöge ihrer Webermaht Aber die Reichen feftfegt, ohne
deren. Einwilligung zu erhalten, dürften Gewalt und keine
Geſetze ſeyn? — Per. Ganz richtig, mein Alcibiades. Auch
wir waren in dieſem Alter in derlei Dingen flard; denn es
war auch unfer Fleiß und Scharffinn eben auf die Gegen:
ſtaͤnde gerichtet, die jetzt audy deinen Fleiß in Anſpruch zu
nehmen fcheinen. — Alc. Hätte ich doch damals mit dir
fprechen durfen, wie du hierin chen am flärkften warf!
Kaum glaubten ſich nun Critias und Alcibiades den damalis
gen Staatsmännern überlegen, fo gaben fie ihre Befuche bei
Socrates auf, und widmeten fid den Staatsgeſchäften, dem
eigentlichen Zwecke, der fle zu Socrates geführt hatte, Eie
hatten überhaupt nie Freude an ihm gehabt, und noch oben⸗
drein waren ihnen, wenn fie ihn befuchten, die Verweiſe,
die er ihnen über ihre Unarten gab, fletd zuwider gewefen.
Aber Sorrates hatte andere Schüler, den Erite, Chärephon,
Ehärecrates, Hermocrates, Simmias, Cebes, Phaädondas und
Andere, die nicht in der Abſicht, Volkerenner und Sachwals
‚ter zu werden, feinen Umgang fuchten, fondern um fidy zu
rechtfchaffenen und tugendhaften Männern zu bilden, unb
gegen Familie und Gefinde, Verwandte und Sreunde, Staat
und Mitbürger fich gut benehmen zit lernen; und unter dies
fen Allen ift auch nicht Einer, der irgendwo in jüngeren
Sahren oder fpäter Schlechtes fi erlaubt hätte, oder auch
nur deffen bezüchtigt worden wäre. — Doch nach Angabe des
Klägers hätte Socrates feine Freunde zu Mißhandlung der
.
£
Baͤter angeführt, fie berebet, er mache fie weifer als ihre
Bäter feyen, und auf die in den Gefeben ausgeſprochene Be⸗
fugniß, ſelbſt feinen Dater zu feſſeln, wenn man fidy non defs
fen Bahnfinn überzeugt habe, den Beweis Hegründet, daß
ed nicht anders als den Geſetzen gemäß fey, wenn der Unwifs
fendere von dem Weiſeren gefeffelt werde. ‚Altein Socrates
meinte vielmehr, :wensi Einer einen Andern wegen Unwiſſenheit
feßle, fo Habe Derjenige, welcher wife, mas Jener nicht wille,
gleiches Recht auch ihn zu feſſeln; er ſtellte fid) deßwegen
öfters die Frage, worin der Unterfchied zwifchen Wahnflın
‚und Unmiffenheit Tiege, und fand es bei den Wahnfinnigen
ſowohl für fie felnft, als für ihre Sreunde zwedimäßig, wenn,
‚fie gefeffelt werden; Denjenigen gegenüber aber, welche das
Nöthige nicht wiften, meinte er, haben Die, welche es wiflen,
das Recht, Jene darüber zw befehren. Doc nad) Angabe
des Klägers hätte Socrates nicht nur die Väter, fondern
auch die übrigen Anverwandten bei feinen Syreunden um bie
ihnen fchuldige Werthſchaͤtzung gebracht; er hätte gelehrt, Vers
. "wandte helfen weder in Krankheiten noch in Rechtshändekn
etwas; im erften Falle niliffe man den Arzt, im Febtern ben
Rechtsverſtändigen zu Mathe ziehen. Ja and) von den Freut:
den hätte er gefagt, ihr Wohlwollen helfe ung nichts, wenn
fie ung zu Nichte behülflich feyn können, nur Diejenigen
hätte er der Werthſchätzung für würdig erklärt, die das Nö⸗
thige wiffen, und fich darüber mitzucheilen verftehen, und da
er nun die Fünglinge beredet, daß er nicht nur der größte
Weiſe, fondern auch der befte Lehrer der Weisheit für An⸗
dere fen, fo hätte er es bei ihnen dahin gebracht, daß fie gegen
!
434 Xenophon's Erinnerungen an Socrates.
ihn alle Anderen für Nichts achteten. Ich erinnere mid nun
wohl, daß er über die Väter und andern Verwandten und
über die Freunde auf die angegebene Art ſich ausſprach; er
tagte nod) überdieß, wenn die Seele, der alleinige Sitz des
Verftandes, hinaus fen, fo fchaffe man ben Leib ſelbſt der
nächtten Angehörigen fo bald als möglich fort, und beflatte
ihn. Er fette hinzu, fo lange der Menfch lebe, gehe ihm
Nichts über feinen Körper; dennoch nehme Jeder von feinem
Körper alles Unbrauchbare und Schädliche entweber felbft
ab, oder er laffe es durch Andere abnehmen. Dan fchneide
fid) die Nägel, Haare und Hautverhärtungen feibft ab, und
Kaffe fie and) durch die Aerzte nicht ohne Befchwerden und
Schmerzen wegfchneiden und wegbrennen, und glaube dafür
ihnen noch Belohnung fhuldig zu fern. So fpude man aud)
‚ven Speichel aus dem Munde fo weit ald möglidy aus, weil
er darin wicht nur nichts helfe, fondern vielmehr fchade.
ber damit wollte er nicht Ichren, man folle den Water bei
febendigem Leibe begraben und ſich verſtümmeln; er wollte
nur beweifen, daß das Unvernünftige verachtet fey, und grüfts
dete darauf die Ermahnung, man folle ſich's angelegen ſeyn
Kaffen, immer verftändiger und mühlicher zu werden; denn
man möge von Vater, Mutter, Bruder oder fonft Jemand
geachtet feyn wollen, fo dürfe man nicht im Vertrauen auf
die Derwandtfchaft nachläßig feyn; man müffe fihfbeftreben,
Denen nützlich zu werben, deren Achtung man ſuche. Nach
Angabe des Klägers hätte er auch aus den vorzügtichften
Dichtern die gefährlichflen Stellen ausgewählt, und mit
Hülfe diefer Autoritäten Diejenigen, die mit ihm umgingen,
ö/V/ —————————
Erſtes Buch. 45
zu Verbrechen und Gewaltthaͤtigkeiten angeleitet. Die Stelle
aus Heflod* z. DB.
Thun ift niemals Schande, nur Muͤßiggehen ift Schande.
hätte er fo ausgelegt, als ob der Dichter Ichrte, man folle
| ſich keines Thuns, auch nicht ungerechten und entehrendem
enthalten, fondern Alles ſich erlauben, wo Gewinn zu hoffen
fey. Allein wenn Socrates zugab, bag thätig feyn dem Mens
ſchen nüslich und etwas Gutes, müßig ſeyn aber ſchaͤdlich und
ein Fehler fey, und wieder Thun etwas Gutes, Müßiggehen
aber etwas Yehlerhaftes, fo verfland er unter Thun und
Thaͤtigſeyn fo viel als etwas Gutes thun; Spielen aber und
andere verwerfliche und verderbliche Befchäftigungen nannte er
Müpiggehen, und fo gefaßt hat der Ders einen richtigen Sinn:
Thun ift niemals Schande, nur Müßiggehen ift Schande,
Serner hätte er nach Angabe des Klägers die Homerifchen
Merfe**) oft im Munde geführt, wo Ulyſſes,
Weiden der Könige nun und ebleren Männer er antraf,
Freundlich hemmt er Diefen, mit ſchmeichelnden Worten
ibm nahen:
Seltfamer, nicht dir ziemt’s, wie ein feiger Mann zu
verzagen!
Sig in Ruhe du felbft, und heiſſe auch ruhen bie Anderen !
Welchen Mann ded Volkes er fah und ſchreiend ihn antraf,
Diefen ſchlug fein Scepter und laut bedrohte das Wort ihn:
Sertſamer, rege dich nicht, und Hör’ auf Anderer Rebe,
Die mehr gelten, denn du! Untriegerifh Bift du umd
fraftloß,
Pie aum weder im Kampf ein Gerechneter, noch in dem
Rathe.
*) Heſiod. Werte und Tage, V. 311.
**) Homer JIliad. II, Fu88 — 103, nach Voß,
436 Xenophon's Erinnerungen an Socrates.
Dieß hätte Socrates fo erklaͤrt, als ob der Dichter es billigte,
daß dad gemeine und arme Volk Schläge befomme. Allein
Socrates nahm ſich wohl inAcht, fo Etwas zu ſagen; fonft
hätte er ja der Meinung feyn müflen, daß aud ihm Schläge
gehören, Er wollte fagen: bei Denjenigen, die weder durch
Rath noch durch That ſich nüslich machen, die weder dem
Heere, noch dem Staate, noch aud) nur dem gemeinen Volke
im Falle der Noth einen Dienft erweifen können ; bei ſolchen
Leuten dürfe man, zumal wenn fie noch dazır frech fenen, Fein
Mittel ſcheuen, um fie in Ordnung zu bringen, auch wenn
fie noch fo reich wäre. Socrates zeigte ſich vielmehr im
. Gegentheil als einen Freund des Volkes und der Menfchen
überhaupt. So groß and) der Andrang zu feinem Unterricht
unter Bürgern und Fremden war, fo nahm er doch von Keis
nem irgend eine Belohnung für die Zeit an, die er ihm
- widmete, fondern theilte Allen willig von dem Seinigen mit;
wogegen Einige Eleine Stüde von Diefen, die fie unentgeld⸗
lich von ihm befommen hatten, um hohen Preis an Andere
verkauften, und nicht, wie er, ſich ald Freunde des Volkes
bewiefen; denn ſie fdyloffen Diejenigen von ihrem Unterricht
ans, die nicht bezahlen Eonnten. Ya, Socrates machte auch
auswärts dem Vaterland Ehre, weit mehr, als der in diefer
Hinſicht ſo berühmt gewordene Lichas *) dem Staate der
Lacedämonier, Denn während Licha nur an den Gymno⸗
pädien**) die in Sparta anwefenden Fremden bewirthete,
*) Lichas, auch aus Thucyd. V, 50, und Kenoph. Griech.
Geſch. III, 2. betannt.
**) Gomnopabien, ein hohes Feſt in Sparta, welches burch
mimiſche Taͤnze von Juͤnglingen und Maͤnnern, ſo wie
Erſtes Buch; 437
ſo wendete Socrates ſein ganzes Leben hindurch das Seinige
auf, und erwies Jedem, der nur wollte, den größten Dienftz
ten er ihm erweifen konnte, indem er Die, welche feinen Um⸗
gang benüsten, gebeffert eatließ. Mir fohien daher Socrates
bei einem ſolchen Verhalten vielmehr. eine Ehrenauszeichnung,
aber nicht den Tod um den Staati verdient zu haben. Und
auch nad) den Gefegen kann man auf Bein. anderes -Ergebniß.
fommen. Nach den Gefenen tritt Zodesftrafe in den Faͤllen.
ein, wo Einer des Diebftahls, des Kleiderraubs, der Beutels
fchneiderei, des gewaltfamen Einbruches, des Verkaufes freier
Menſchen oder des Tempelraubs ſich fchuldig gemacht hat;
- Sauter Berbrechen, von denen Niemand weiter entfernt war,
als Socrates. Nie konnte der Staat an dem unglüdlichen _
Ausgang eines Krieges, an einer Empdrung, an.einem Ver⸗
rathe oder fonft an einem Unheile, das ihn traf, dem Socrates
Schuld beimeſſen; nie brachte er einen einzelnen Menfcher
um ein Gut, noch bereitete er ihm Uebel; nie traf ihn in-
“einer der genaunten Hinſichten auch nur eine Beſchuldigung.
Wie Sonnte er nun der ihm zur Laſt gelegten. Verbrechen
schuldig feyn, er, der ſtatt die Götter nicht anzunehmen, wie
in der Klageſchrift ſtand, fich. unter allen Menfchen als den
eifrigften Verehrer der Götter bewies, und flatt.die Jüng⸗
Tinge zu verderben, wie ihm fein Anklaͤger vorwarf, int Ges.
gentheile ſichtbar Diejenigen, welche ihm näher kamen‘, vom.
durch Rieder, vorzüglich zu Ehren des Apollo und Bacchus
im Anfange des Athenienfifhen Monats Kecatombdon auf
dffentlichem Markte gefeiert wurde. Der Urfprung bes
Seftes iM unbekannt. S. Manfo Sparta, erfien Banbes
zweiten Theil, ©. 210. ff. .
J
—3
458 Zenophou'6 Erinmerungen an Socrates.
verberblihen Neigungen zurüdzubringen und fie für die
Schönheit und DBortrefflichkeit der Tugend, der Duelle alles
bürgestichen und häuslichen Glüdes, zu gewinnen fuchte ?
That er aber Diefes, wie hätte er nicht die höchften Ehren⸗
auszeichnungen um das Vaterland verdient ?
3. Wie er num feinen Freuuden ſich nützlich gemacht, (ds
wohl durch das Beifpiel, das er ihnen thätlich gab, als durdy
mündlichen Unterricht, davon will ich Hinfort verzeichnen, fo
viel mir noch im Gedaͤchtniſſe ift. In Beziehung auf die
Goͤtter handelte und redete er jederzeit fo, wie die Pythia
Denen antwortet, weldye fie wegen eines Opfers, wegen Ver⸗
ehrung der Voreltern oder fonft einer ähnfichen Angelegenheit
befragen, wie ed damit zu halten fey. !Diefe gibt naͤmlich zur
Antwort: Wer gottesfürchtig feyn wolle,,müffe ſich nadı den
Öefeben,des Staates richten. Und eben Diefes beobachtete
Socrates ſelbſt, Diefes fchärfte er aucdy Andern ein; Wer
Anders handelte, den hielt er für übertrieben und einfältig.
Im Gebete fiehte er die Götter fchlechtweg um Das, was aut
fey, an, weil die Götter am beften willen, wag in jedem eitt«
zeinen Falle gut fen; um Gold, Silber, Alteinherrfchaft oder
fonft Etwas der Art zu bitten kam ihm gerade vor, wie
wenn Einer darum bitten wollte, in ein Spiel oder in eine
Schlacht öder in etwas Anderes, wovon der Erfolg fidy uns
möglich voraus berechnen läßt, ſich einfaflen zu dürfen. Die
Dpfer , die er darbrachte, waren Elein, wie fein Dermögen,
aber er glaubte darum nichts gegen Diejenigen zu verlieren,
die don einem großen Vermögen große Opfer darbrachten.
Schon der Götter, meinte er, wäre es unwürdig, wenn ſie an
den großen Opfern größeres Wohlgefalten hätten, als an den
Erftes Buch. , 439
Heinen; fonft müßten ihnen ja oft die Gaben fehlechter Mens
fdyen angenehmer feyn, ald die der Tugendhaften; und für die
Menfchen wäre es nicht mehr der Mühe werth zu leben,
wenn Letzteres der Fat wäre. Die Gottesfurcht des Darbrins
genden hielt er vielmehr für den Maßſtab, nad) welchen fidy
das Mohlgefallen der Götter an der ihnen bezeisten Vereh⸗
rung richte, Auch berief er ſich auf nachflehenden Vers: *)
Nach Vermögen zu thun den unfterblichen Göttern die Opfer,
Auch für unfere Verhältniffe zu Freunden und Gaſtfreunden
und für alle Fälle des Lebens eigne ſich die Vorſchrift, nach
Dermögen zu thun, zu einem herrlichen Sittenfpruche. Glaubte
er über Etwas Andeutung von den Göttern zu haben, fo
‚Hätte er fih um Alles in der Welt nicht beftimmen laſſen,
dieſem Winke zuwider zu handeln; cher häfte er einen Blin⸗
den und des Weges Unkundigen flatt eined Sehenden und
des Weges Kundigen fidy zum Wegweifer anfchwasen laffen.
Auch an Anderen nannte er es Thorheit, wenn fle aus Scheue
vor Uinehre bei den Menfchen den Andeutungen der Götter
‚zuwider handelten. Er felbft nahm auf Menfchliches durch⸗
aus keine Rüdfiht, wo er den Rath der Götter vor
fi) Hatte.
Leib und Seele hatte 'er ferner an eine Hrdnung ges
wöhnt, daß, Wer fie annimmt, fo Tange nichts Aufferordents
liches in den Weg tritt, frei von Sorgen und Gefahren
feben kann, ohne wegen großen Aufwandes in Verlegenheit
zu fommen. Er lebte fo fparfam, daß unmöglih Jemand
mit feiner Hände Arbeit fo wenig verdienen Bann, ohne fo
*) Heſiob. Tage und Werte V. 356.
J
440 Xenophon's Erinnerungen an Soerates.
viel zu gewinnen, als für Socrates hinreichte, Speife nahm
er nie mehr zu fich, als ihm fchmedte, umd er war jederzeit
fo darauf vorbereitet, daß ihm der Appetit nad Brod die
Stelle der Fleischfpeifen vertrat; auch jeder Trank war ihm
angenehm, weil er nie trank, ald wenn er Durft hatte,
Nahm er einmal eine Einladung zu einer Mahlzeit an, fo
war es ihm etwas Leichtes, was Andern mit alfer Mühe
kaum gelingt: ſich vor Weberfülung zu hüten. Wer. Dieß
nicht Eonnte, dem gab er den Rath, fich vor den Genüſſen
zu hüten, die zum Effen reizen, ohne daß man Hunger, und
zum Trinken, ohne daß man Durſt Hat. Denn die feyen es
vorzüglich, die auf Magen, Kopf und Seele nachtheilig wirken.
Auch Eirce, fepte er fcherzend hinzu, habe ohne Zweifel durch
reichliche Portionen folcher Reizmittel die Menſchen in Schweine
verwandelt ; und Odyſſeus fen eben darum einft auch ein
Schwein geworden, weil er auf den Rath des Hermes [Mer«
eur] und aus eigener Enthaltſamkeit ſich gemäßigt, und vor
Veberfällung mit folchen Genüffen ſich in Acht genommen -
Habe. So ſcherzte er über diefen Gegenftand, aber in dem
Scherze Tag zugleich eine ernfthafte Lehre. In Anfehung des
Genuffes der Liebe warnte er nachdrücklich vor der Wahl
(höner Perfonen. Denn mit Sotchen ſich einzulaffen und bei
Berftande: zu bleiben, hielt er für Beine leichte Aufgabe.
Fa er Hatte-nur einſt von: Eritobulus *), dem Sohne des
*) SEritobulus, IT, auch 6. erwähnt. Athenaͤus V, 20, ſpricht
ihm Kenntniffe und edlen Character ab, Vergl. noch Des
eon. 3. und Gaftmanı E. 4
Erſtes Buch. u Kkı,
Erito, gehört, daß 'er den fehönen Sohn des Wlcibiades *)
geküßt habe; da richtete er in Anweſenheit des Critobulus
die Frage an Kenophon: „Höre, Kenophon, zählteſt du nicht
bisher den Critobolus unter die nüchternen Menfchen eber
als unter die frechen, und unter die vorfichkigen eher als
unter die thörichten und tolfühnen? — Xenoph. Aller
dings. — Socr Don nun an denn befradhte ihn als den
"größten Feuerkopf und Wagehals; er wäre im Stande, mit
dem Kopfe fih in Schwerter zu flürzen, und mitten in’s
euer zu fpringen. — Zenoph. Und was ſaheſt du denn
Hihn thun, daß du eine folhe Meinung von ihm faſſeſt? —
Socr. Hat er nit die Kühnheit gehabt, den Sohn bes
YAlcibiades zu küſſen, der das fchönfte Geſicht und das blüs
Hendfte Ausfehen von der Welt hat? — Kenoph. O wenn
Das den Wagehals machen heißt, fo, denke ich, hätte auch
id) diefes Wageſtück befanden. — Soer. Unglüdlicher!
and was meint du, daß Dieß für Solgen für dich haben
würde, wenn du einen fchönen Jüngling küßteſt? Glaubſt
Du nicht, daß du mit Einemmale ein Sclave würdeft aus
einem Freien, daß du große Summen aufwenden müßte,
um eine fchädliche Leidenſchaft zu befriedigen; daß du alle
Zeit verlöreft, um auf etwas Rechtes dich zu legen; daß bu
endlich gendthigt wäreſt, Dingen dich zu widmen, beiten
nicht einmal ein Wahnfinniger fid) widmen möchte? — Fe⸗
noph. Beim Herenles! was du dem Kuffe für eine furcht⸗
bare Kraft beilegſt! — Socr. Und das ift dir auffallend ?
*) Iſocrates bielt eine Schutzrede für einen Sohn des Alei⸗
biabes. Ob Hier Derfeine gemeint ft, ift ungewiß.
- Zenophon, kb Ohm. 4
*
442 Zenophon’d Erinnerungen an Socrates.
Weißt du nicht, daß die Biftfpinne, in der Größe kaum,
wie ein halber Obolus *), wenn fie nur mit dem Munde den
Menfchen berührt, ihm die heftigften Schmerzen verurfacht,
amd ihn von Sinnen bringt? — Xenoph. Allerdings;
die Giftſpinne theift ja durch den Biß von ihrem Gifte mit.
— GSocr. Thor, glaubft du denn nicht, daß die Schönen
mit dem Kuffe Etwas mittheilen, weil du es nicht ficheft ?
Weißt du nicht, daß diefes Thier, welches man Schönheit
und Blüthe nennt, noch weit gefährlicher ift, als die Gift⸗
fpinne? Diefe kann nur durch Berührung fchaden ; jenes
Hingegen flöBt auch ohne zu berühren, wenn man es nur .
‚anfieht, aus beträdhtlicher Entfernung ein Gift ein, welches
uns zur Raferei bringt. Und vielleicht bezeichnet man auch
die Lichesgötter darum als Bogenſchützen, weil die Schönen
auch ans der Ferne verwunden. Ja, Kenophon, ich rathe
dir, wenn du einen fchönen Jüngling ſiehſt, aus Leibeskräfe
ten zu fliehen; und dir, Critobulus, gebe ich den Rath,
anf ein ganzes Jahr auf Reifen zu gehen; all diefe Zeit reiche
vieleicht kaum bin, Did von deinem Biffe zu heilen.
So meinte er auch zum Genuſſe der Liebe müffen Leute, die
in diefem Punkte nicht feſt feyen, ſich folche Gegenftände
wählen, zu denen man ohne dringendes Bedürfniß nicht Teiche
Luft befäme, und bei denen man-im Falle bes Bedürfniſſes
nicht wohl Schwierigfeiten zu befürchten habe. Er ferbft
hatte ſich gegen die Reize der Schönheit fo gewaffnet, daß
— — —
*) Ein halber Obolus war die kleinſte Silbermuͤnze, etwa den
dlyadrog ausgenommen, ber jedoch auch in Kupfer
geprägt wurde. ,
° Erſtes Buch. 445
er leichter gegen bie ſchoͤnſten und blühendflen Geſtalten
gleichgültig blieb, als Andere gegen die häßlichſten und vers
brühteften. So hatte er ſich in Abſicht auf Speife und Trank
und Genuß der Liebe gewöhnt, und er glaubte dabei nicht
weniger Befriedigung und weit weniger Unluft zu haben, als
Andere, die ſich mit diefen Dingen große Mühe geben.
4 &8 fehlt nun nicht an Solchen, welche auf die fchriftlichen.
und mündlichen Berichte Einiger über ihn die Meinung gräns
den, Gocrates habe zwar in hohem Grade das Talent bes
fefien, die Menfchen zur Zugend anzuregen, aber nicht fle
zu derfelben zu führen. Möchten Diefe dody nicht blos die
Unterredungen, worin er die Sophiften mit ihrem Allwiſſens⸗
dünkel durch feine Fragen in Derlegenheit ſetzte, um fie zu:
recht zu weifen, fondern auch feine täglichen Gefpräcde mit
feinen Freunden in Erwägung ziehen, und dann urtheilen,
ob er im Stande gewefen, Diejenigen beffer zu machen, die
mit ihm Umgang pflogen! Zuerſt will idy die Unterredung
berichten, welche er einft in meinem Beiſeyn mit Ariftodemus *),
dem fogenannten Kleinen, über die Gottheit führte. Cr
hatte bemerkt, daß Diefer nie mit einem Anliegen fi an die
Bötter wendete, und daher weder opferte, nad) der Wahr-
ſagerkunſt fic) bediente **), fondern fogar Andere, die es tha⸗
*) Ariſtodem, auch von Plato im Gaſtmahl erwähnt, wo er
als ein fleißiger Zuhbrer des Socrates geſchildert ift, ber
immer barfuß gegangen, Wis fein Geburtort ift dort Ey⸗
dathene angegeben.
**) Vulg. unyavwuevov. Nach der von Schneider uns
Schuͤt adoptirten Emendation bes Keundavius, gr EÜ-
4*
4
444 Xenophon's Erinnerungen an Socrates.
ten, verlachte. Er fing daher an: Höre, Ariſtodem, gibt es
Menſchen, die du wegen ihrer Weisheit bewunderſt ? — Arift.
Allerdings. — So er. So nenne fie und dod, mit Namen! —
Ariſt. Ich bewundere vornemlich den Homer in der Epiſchen
Dichtdunft, den Melanippides *) in der Dithyrambifchen,
den Sophocles , in der Tragifchen, ferner den Polycletus **)
in der Bildhauerkunft, und den Zeuxis ***) in ber Materkunft. —
Syer. Welche Künftter fcheinen dir größere Bewunderung
zu verdienen, Diejenigen, welche Geftalten ohne Berftand
und Bewegung hevorbringen, oder Diejenigen, welche leben:
Dige Wefen mit Verftand und Thatkraft ? — Arift. Weit grö⸗
Bere in der That Diejenigen, welche lebendige Wefen her:
verbringen, wenn fle anders nicht das Merk des Zufalls,
-fondern einer vernünftigen Kraft find. — Socr. Und nun, von
Dingen, deren Zweck fldy nicht einfehen Läßt, und von folchen,
‚bie offenbar einen nüblichen Zweck haben — welche von beiden
Halt du für Werke des Zufalls, welche für Werke der vernünfs
tigen Meberlegung? — Ariſt. Was zu einem nützlichen Zwecke
xouevov wäre zu überfegen: „bag Diefer weber opferte,
“noch Gelũubde that, noch u. ſ. w.’’ wir wagen bie wenig⸗
ſtens eben fo leichte Eonfeckur ur) xosväuevor.
*) Melanippibes aus Melod, Sohn bed Erito, lebte um bie
65 Olympiabe.
++) Polyclet von Sicyon, einer ber beruͤhmteſten Bilbhauer
des Alterthums, lebte na Phidias, ungefähr Hundert
Jahre vor Alexander ben Großem. Werte find von ihm
genannt bei Plin. Naturgeſch. XXXIV, 8.)
+) Zeuxis von Heraden lebte um bie Zeit des Peloponneſi⸗
ſchen Kriegs.
Erſtes Buch. Au
geſchieht, ift natürlich das Werk vernünftiger Ueberlegung. —
Socr Scheint bir nun nicht Derjenige, welcher urfprüng-
lich die Menfchen fchuf, zu einem nuͤtzlichen Zwecke ihnen jedes
einzelne Sinnenwerkzeug beigegeben zu haben, die Augen, um
dad Sichtbare zu fehen, die Ohren, um das Hörbare zu hö⸗
ven? Was hälfen ung die Gerüche, wenn wir vorn Feine
Naſen hätten? Und wie hätten wir eine Empfindung von
Süß und Scharf, und von allem Angenehmen, was durch
den Mund eingeht, wenn nit darin die Zunge als Beur⸗
theilerin der Empfindungen angebracht wäre? Weiter, ift
nicht anch das ein Wer? der Vorficht, daß Derfelbe die Aus
gen., weil es etwas Zärtliches darum ift, mit Augenliedern,
wie mit Fallthuren verfehen hat, die ſich Öffnen, wenn jene
gebraucht werden, und im Schlafe ſich fchließenz; daß er, um
auch die Winde unfchädlich zu machen, Augenwimper als.
Seiher angebracht, und, damit nicht einmal der Schweiß vom
Haupte nachtheilig werde, die Gegend über den Augen mit
YAungenbraunen verwahrt hat; daß ferner das Gehör alle Töne
anfsimme, ohne je voll zu werden; daß die Vorderzähne bei
allen Thieren zum Schneiden eingerichtet find, die Baden:
zähne zum Zermalmen deffen, was fie von jenen befommen ;
Daß endlich der Mund, durch welchen die lebendigen Weſen
ihre Nahrung zu fid, nehmen, in die Nähe der Augen und
der Nafe gefeut, dagegen wegen Widerlichkeit der Excre⸗
mente die Kanäle derfelben anderswohin geleitet, und fo -weit
als möglich von den Empfindungsmwerkzeugen entfernt find;
lauter Einrichtungen der größten Vorfiht, und du kannſt
noch zweifeln, ob ed Werke des Zufalld oder einer vernünf⸗
tigen Kraft feyen? — Ariſt. Nein, in ber That, von diefer -
446 Xenophon's Erinnerungen an Socrates.
Seite angefehen, fcheinen fle ganz dad Kunſtwerk eines weifen
und bie lebendigen Weſen liebenden Meifters zu ſeyn. — Socr.
Daß .er ferner ihnen den Zrieb zur Fortpflanzung, den Weis
bern, wenn fie Mütter geworben, den Trieb zum Auferziehen
ihrer Leibesfrucht,, den Auferzogenen hinwiederum Liebe zum
Leben und Furcht vor dem Tod in folder Stärke eingepflanzt
hat? — Ariſt. Unleugbar fieht aud) Diefes den Anordnungen
eined Weſens glei), welches das Dafenn Iebendiger Werfen
beabfihtigt. — Socr. Du glaubft für Dich Vernunft zu beſitzen.
IAriſt. Frage nur weiter; ich will dir antworten ). Socr.]
Meinft du nun, fonft fey nirgends Etwas von Vernunft zu
finden? Mußt du ja dody willen, daß bie Erde und die
Feuchtigkeit, und die übrigen Beſtandtheile deines Körpers
in großen Quantitäten vorhanden find, und nur ein Fleiner
Theil von jedem an deinem Körper ſich findet; meinft du nun,
nur die Vernunft fen fonft nirgends zu finden, und du habeit
fie durdy ein glüdliches Ungefähr aufgehafcht, die ungeheuren
und unzähligen Weltkörper dagegen verdanken ihre herrliche
Drdnung einem blinden Spiele? — Arift. Fa, aber ich fehe
eben die Gebieter derfelben nicht, wie ich von Dem, was hier
bei ung entfteht, die Werkmeifter fehe! — Socr. Sieheft du
ja doch deine eigene Seele, die Gebieterin deines Leibes, eben
fo wenig. Wenn ed darauf ankäme, Bönnteft du auch fagen,
Yes, was du thueſt, ſey Zufall, nicht Folge vernünftiger
Veberlegung. — Ariſt. Es ift nicht von meiner Seite Verach⸗
tung der Gottheit, Sosrates; ich achte nur fie für zu erha:
*) Ohne Zweifel .frembartiger Beifaß, ber ben Zufammenhang
durchaus ftört.
2
Erſtes ch. 447 -
ben, als daß fie meiner Verehrung bedärft. — Socr. Nun
ja, eben je erhabener fie ift, defto mehr mußt bu fie vereh⸗
ren, wenn fie dennoch dich ihrer Pflege würdigt. — Arift. Du
darfſt überzeugt feyn, daß ich nicht ſäumen würde, die Götter zu
ehren, wenn ich glauben Eönnte, daß fie fi um die Menfchen
befümmern. — Socr. So glaubft du alfo nicht, daß fie ſich
um uns befümmern, fie, die fürs Erſte dem Menfchen allein
‚ unter allen lebendigen Wefen bie aufrechte Stellung gegeben,
Die ihm das Vor fichs, wie das Leber fich = fehen erleich⸗
tert, und Augen, Ohren und Mund gegen manche Unbe⸗
quemlichkeit gefichert *); fodann, während fie den übrigen gegen
‚die Erde gebücten Thieren nur Füße zum Gehen gaben, dem
Menſchen außerdem nody Hände verliehen, welche und zu dem
Meiften verhelfen, was wir an Glüdfeligkeit vor den Thieren
voraus haben; ja unter allen lebendigen Weſen, deren Feines
der Zunge ermangelt, allein bei den Menfchen der Zunge die
Eigenfchaft gaben, daß fle mittelft Berührung bald dieſes,
bald jenes Theiles im Munde articulirte Töne hervorbringt
und die gegenfeitige Mittheilung der Gedanken vermittelt?
Und was fol ich von dem gefchlechtfichen Genuffe fagen, ben
*) Wir Üiberfegen fo, al8 dem Zuſammenhang am meiften ge:
mäß, auf die Handfariften, bie Ertoinoav ftatt &ve-
nolnoav haben, geftügt, mit leichter Abänderung der
Interpunction. Weiste, Schneider, Schäs und Heindorf
- (der fogar EV hineingefegt haben will) erklären bie Vul⸗
gata fo: „die das Geſicht, dad Gehör, den Mund erhaben
geſtellt Hottinger hat bie Worte: xacl O'ıv - ZvEnoinoav
in feiner Ueberfegung ganz und gar ausgelaſſen und auch
Heröſt Hält fie für nnaͤcht.
-
448 Xenophon's Erinnerungen an Socrates.
fie den Menſchen ununterbrochen bis in’s hohe Alter gewäh-
ven, während er bei den übrigen Thieren auf eine beſtimmte
Jahrszeit eingefchränft ift? Und nicht auf den Körper bes
fchränkte fich die Gottheit mit ihrer Sorgfalt; fondern, was
die Hanptfache ift, auch die Seele, die fe in und legte, iſt
mit den herrlichiten Vorzügen begabt. Denn welches andere
lebendige Gefchöpf trägt in feiner Seele eine Ahnung von
dem Daſeyn der Götter, der Ordner des Größten und Herr⸗
lichſten? Welches andere Gefchlecht verehrt die Götter, als
die Menſchen? Weldyes andere Weſen weiß durch die Kraft
feines Geiftes beffer gegen Hunger und Durft, gegen Kälte
und Wärme Vorfichtsmaßregeln zu treffen, Krankheiten zu
heilen, feine Stärke durch Uebungen zu vermehren, zu Er⸗
weiterung feiner Kenntniffe fich anzuflrengen, oder das Ges
hörte, Gefehene und Gelernte dem Bedächtniffe einzuprägen ?
Iſt es nicht klar, daß die Menfchen neben den übrigen Ge⸗
ſchöpfen, wie Götter leben, und fchon von Natur an Leib
und Seele weit den Vorzug vor ihnen haben? Denn in dem
Körper eines Stier würde der Menfdy mit all feinem Ver⸗
ftande fo wenig ſich zurecht zu finden wiſſen, als den Thie—
ren mit Händen geholfen ift, fo lange es ihnen an Vernunft
fehlt. Und du Haft Beides, Leib und Seele, in der höchſten
Volkommenheit erhalten, und willſt nicht glauben, daß die
Götter fih um did, befümmern ? Was müffen fle denn thun,
bis du glaubft, daß fie fich um dich befümmern ? — Ariſt. Sie
müffen mir Rathgeber fchiden, wie du fagft, daß fie dir
ſolche ſchickken, und mir durch fie fund than, was ich thun
fol und was nicht. — Socr. Und wenn file den Athenern
auf ihre Anfragen Etwas durch die Wahrfagerfunft Fund
⸗
Erſtes Buch. 449
than, ift Das nicht auch dir kund gethan? Anch nicht, wenn
fie den Griechen durch außerordentliche Erfcheinungen das
Zukuͤnftige andenten, oder allen Menfchen? Biſt du da der
Einzige, den fie ausnehmen und außer Acht Kaffen? Und
meinft du, die Götter Hätten ten Menſchen den Glauben
eingepflanzt, daß fie im Stande feyen zu beglücken und zu
(haben, wenn fle es nicht vermöchten? und die Menſchen
hätten fo lange ſich täuſchen Inffen, und wärden niemals
ihren Irrthum erkannt haben? Siehſt du nicht, daß das
Heltefte und Dernünftigfte im Menfchenleben, dag gerade
Staaten und Völker am meiften auf Verehrung der Götter
Halten, und daß auch der Einzelne, je mehr er mit den Jah
ren zu Verflande kommt, um fo mehr die Götter achten lernt ?
Fa, befter Ariffodem, bevente, daß auch deine Vernunft mit
dem Körper, den fie bewohnt, nach Gefallen ſchaltet. So mußt
du denn auch annehmen, daß die Vernunft, die in dem Weltall
wohnt, Altes nach Gutdünken anordne. Wenn tein Auge
auf viele Stadien reicht, folte denn Gottes Auge nicht im
Stande feyn, mit Einem Blicke Alles zu überfehen? Wenn
deine Seele zu Einer und derfelben Zeit mit den Angelegeits
heiten hier und in Aegypten und Sieilien ſich befaflen kann,
folite denn die Vernunft der Gottheit zn ſchwach ſeyn, im
demfelben Augenblicke mit ihrer Zürforge Alles zu umfaffen ?
Doch um bei Menfchen zu erfahren, ob fle geneigt ſind, ers
wiefene Aufmerkſamkeit zu erwiedern, muß man ihnen vorher
ſelbſt ſolche erweiſen; um zu erfahren, ob fie Gefätigkeiten _
erwiedern, muß man erfl gegen fie gefällig ſeyn; ihren Vers
fand zu prüfen, muß man fie über Etwas um Rath fragen.
Sp mußt dur nun auch bei den Göttern den Verſuch machen,
450 Zenophon’d Erinnerungen an Socrates.
und fie vorher ehren, ob fie etwa geneigt feyen, dir in Din:
gen, die den Menfchen verborgen find, zu rathen, und daun
wirft du finden, daß es der Gottheit weder an der Macht
noch an dem Willen fehlt, in jedem Augenblick Alles zu
ſehen, Altes zu hören, überall gegenwärtig zu ſeyn, und im
Einem Augenblide Altes mit ihrer Zürforge zu umfaflen.
Durch diefe Darftellung ſchien er mir feine Freunde wirk⸗
lich zu bewegen, das Unheilige, lingerechte und Schäudliche
nicht nur, wenn fie von den Menfchen gefehen wurden, fondern
auch in der Einſamkeit zu unterlaffen, da er fie zu der Ue⸗
berzeugung führte, daß Keine ihrer Handlungen den Göttern
verborgen bleiben koͤnnte. j
5. Auch die Selbftbeherrfchung gehört unleugbar zu dem
Schönften und’ Beften, was ein Mann fic zu eigen machen Bann.
Wir wollen fehen, ob es dem Socrates gelungen fey, zu ders
ferben zu führen. Er ſprach fidy über fle auf folgende Weiſe
aus: „Liebe Freunde, wenn Wir einen Krieg befämen, und
wir wollten einen Mann wählen, der alle Eigenfchaften be⸗
fäße, und zu retten und die Feinde zu beflegen, würden wir
Denjenigen wählen, der und als ein Frefler, Säufer, Wols
lüſtling, Weichling und Langfchläfer bekannt wäre? Wie
£önnten wir erwarten, baß ein Soldher ung retten und die
Feinde befiegen werde? Geſetzt ferner, wir fähen unfer Les
bensende vor ung, und fuchten einen Mann, dem wir Söhne
zum Erziehen, unverheirathete Töchter zur Bewahrung ihrer
Ehre, oder Gelder zur Sicherung anvertrauen könnten, wür⸗
den wir da unfer Zutrauen einem Menfchen fchenten, der
ſich ferbft nicht zu beherrfchen weiß? Würden wir einem
Sclaven, der diefen Fehler hat, Herden, Vorrathskammern,
Erſtes Buch. #1
oder die Aufficht über Feldgefchäfte überlaffen? . Möchten wir
einen Solchen auch nur unentgeldlich zum Aufwarten bei
Zifche oder zum Einkaufen für die Küche nehmen ? Dulden
wir aber nicht einmal einen Sclaven, der fidy nicht zu bes
Herrchen weiß, wie viel mehr müflen wir bei uns ſelbſt anf
der Hut feyn, daß wir nicht eben fo werden? Denn es
ift mit Dem, der ſich nicht ſelbſt zu beherrfchen weiß, wicht
wie mit dem Habfüchtigen. Dieſer glaubt fid, ſelbſt zu bes
reichern, wenn er Andere um das Ihrige bringt; ber Genußs
füchtige dagegen findet feinen eigenen Vortheil dabei nicht,
wenn er Andere in Nachtheil bringt, fondern er fchadee ſich
ſelbſt noch weit mehr, als Anderen, fo lange wenigftend Das
für den größten Schaden gilt, den man ſich thun ann, wenn
man nicht nur feine Vermögensumftände,, fondern auch Leib
und Seele zerrüttet. Wer kann endlich ald Freund an einem
Menfchen Wohlgefallen finden, von dem er weiß, daß ihm
Tleifchfpeifen und Wein lieber find, als feine Freunde, und daß
es ihm bei einer Dirne beffer behagt, als im Kreiſe feiner
Geſellſchafter? Sollte nicht doch Tedermann in der Selbſt⸗
beherrfhung die Grundlage aller Tugend erkennen, und fie
äuerft in feiner Seele feftzufteiten bemüht feyn ? Denn was
ließe fi) ohne fie Rechtes Iernen, oder gehörig treiben? Wo
hätte nicht der Sclavendienft ber Lüfte auf Leib und Seele
den verberblichften Einfluß? Wahrhaftig, wenn jeder freie
Mann wünfchen muß, Beinen folchen Sclaven zu befommen ;
fo. follte ein Sclave folcher Lüfte auf den Knieen die Götter
bitten, ihm gute Herren zu ſchenken; denn Dieß möchte nod)
Das einzige Mittel feyn, ihn zu retten. Wenn er fo über
die Selbftbeherrfchung ſprach, fo zeigte er noch größere Strenge
462 RXenophon's Erinnerungen an Socrates.
in ſeinem Beiſpiel, als in ſeiner Lehre. Nicht nur dem
Reize der ſinnlichen Lüſte widerſtand er, ſondern auch dem
dos Geldes. Sich von dem nächſten Beſten, der komme, be⸗
zahlen laſſen, hieß nach ſeiner Meinung ſo viel, als ihn zum
Herrn über ſich ſeßen, und der ſchimpflichſten Selaverei im
der Welt ſich unterziehen.
6. Auch wie er dem Sophiſten Antiphon *) Beſcheid gege⸗
ben, darf nicht mit Stillſchweigen übergangen werden. Die⸗
ſer Antiphon wollte einmal dem Socrates ſeine Zuhörer ab⸗
wendig machen. In dieſer Abſicht ging er zu ihm und ließ
ſich in ihrer Gegenwart auf folgende Weiſe vernehmen: „Ich
war immer der Meinung, Socrates, Wer ein Philoſoph ſey,
müſſe gluͤckſeliger werden; aber du ſcheinſt mir eher die ent-
gegengefebten Früchte von der Philofophie einzuernten. Wie
du lebſt, würde es ja Fein Sclave bei feinem Herrn aushalten.
Du genieheft die fchlechteften Speifen und Getränke. Dein
Mantel ift nicht beffer, und muß dir noch dazu im Winter
dienen, wie im Sommer; an Schuhen und Unterfleid fehlt
.. e8 dir ganz. Geld nimmſt du gay Feines an, und doch macht
m
ſchon fein Erwerb Vergnügen, und fein Bells gewährt ein
ankändigeres und angenehmeres Leben, Wenn du num deine
Freunde aud) nach deinem Muſter bildeft, wie Dieß die Lehr⸗
meifter in allen anderen Fächern fo machen, fo bift du offens
bar ein Lehrmeiſter der Unſeligkeit.“ Socrates gab ihm bier
*) Diefer Amtiphon ift nach Sen meiften Neueren zu unters
fpeiden von dem Antiphon aus Rhamnus, der bei Plato
im Menerenus vorkommt; alſo nicht ein Nebner, fondern
ein Zeichendeuter,, von Deffen Eiferfucht auf Socrates bei
Diogenes Laërtius II, 46, die Rede ift,
“ ⁊
Erſtes Bud. 7,
auf zur Antwort: „Du mußt dir mein Leben ſo verdrießlich
vorfiellen, Antiphon, daß du fiher lieber flächeft, ald daß
du lebteſt, wie ich. Laß nnd daher fehen, was du Hartes
an meiner Lebensart findet. Soll es Das fegn, daß Andere,
wenn fie ſich bezahlen laſſen, gendthigt find, ihren Lohn ab-
zuarbeiten, ich dagegen, weil ich Nichts nehme, auch nicht
nöthig Babe, mich mit Einem abzugeben, der wir nicht ge⸗
fällt? Oder finde du meine Koft ſchlecht? Sind meine-
Speifen weniger gefund, weniger nahrhaft, als die Deinigen ?
Oder find meine Lebensmittel ſchwerer zu bekommen? find fie
feltener und thenrer, ald die deinigen? Der fchmedt bir
‚dein Tiſch beſſer, ald der meinige mir? Weiße dir nicht,
daß, Wer mit Appetit ist, Fleifchfpeifen Leicht entbehren kaun,
und Wer mit Appetit trinkt, Bein Derlangen nad) einem Trauke
Kat, der nicht bei der Hand ik? Was die Mäntel anbelangt,
fo weißt du, daß man fie nur der Käfte und Wärme wegen
wechſelt, und Schuhe trägt man, um nicht im Gehen durch
Begenftände, bie den Füßen wehe thun, gehindert zu werden.
Haft du nun einmal bemerkt, baß mic, bie Kälte mehr als
einen Andern zu Haufe zurüdgehalten, oder ich der Hitze wegen
mid mit Einem um den Schatten .geftritten, oder weil mir die
Füße wehe gethan, nidyt hätte gehen können, wo ich nur
wolte? Weißt du nicht, baß Leute, welche von Natur einen
ganz ſchwachen Körper haben, durch Uebung es den Gtärk:
den, die ed au Uebung fehlen Taffen, in Dem, worin fie fich
ben, zuvorthun, und darin beffer ausdauern, und glaubſt
du nicht, daß ich, da ich ſtets gegen jeden Zufall meinen
Körper abhärte, in Allem Teichter ausdaure, als du, ber bu
es an der Uebung fehlen läſſeſt? Und warum bin ich kein
N
+‘
434 Xenophon's Erinnerungen an Socrates.
Sclave des Magens, bes Schlafes und der Woluft? Was
kann fonft die Urſache ſeyn, ald daß ich andere Vergnügiingen
kenne, die nicht bios im Augenblicke des Genuffes ergögen,
fondern auch durch die Hoffnung eines dauernden Gewinneg,
die fie ung gewähren ? Du weißt ferner, daß freilich Dem,-wels
- chem Nichts gelingen will, auch nicht wohl zu Muthe ift; daß hin⸗
gegen Derienige, bei dem die Landwirthfchaft, oder Schif-
fahrt oder fonft ein Gewerbe gut bon Statten geht, über das
Gelingen feiner Bemühungen vergnügt ift. Glaubſt du num, .
irgend Etwas der Art gewähre fo großes Vergnügen, als
das Bewußtſeyn, felbft beffer zu werden und auch feine
‚Freunde beffer zu machen? Und diefes Bewußtfeyn verläßt
mich keinen Angenblid. Gilt es ferner, Freunden zu dienen
oder dem Baterlande, Wer hat dann die befte Zeit dazı ?
Der, welcher lebt, wie ich, oder Wer Iebt, wie du ihn glüd-
Sich preifeft? Wer wird es Teichter nehmen, in's Feld zu
ziehen, Wer ohne eine koſtbaͤre Tafel gar nicht leben kann,
oder Wer mit dem vorlieb nimmt, was er gerade hat? Und
Wer würde bei einer Belagerung weniger fid halten £önnen ?
Wer Dinge bedarf, die mit aller Mühe kaum anfjutreiben
find, oder Wer fi an Dem genügen läßt, was am leich⸗
teften zu haben iſt? Es komme mir vor, Antiphon, du febeft
die Slüdfeligkeit in Weppigkeit und Pracht; ich hingegen bin
der Meinung, wenn audy, gar keine Bebürfniffe haben, allein
den Göttern vorbehalten fey, fo komme body, fo wenig als
‚möglid, zu bedürfen, dem Göttlichen am nächften; und, fey
andy) das- Göttliche das Befte, fo doch, was dem Goͤttlichen
am nächften komme, bem Beften am naͤchſten.“
Erfies Bub. "499
Bei einer anderen Gelegenheit fagte Antiphon zu Socrates:
„sch halte dic, zwar für einen uneigennügigen Mann, Socra⸗
tes, aber für einen großen Weifen nicht im mindeften. Das
von fcheinft du ſelbſt and, überzeugt zu fepnz du nimmſt wes
nioftens von Niemand Geld für deinen Unterricht an. Gleich⸗
wohl würdeft du deinen Mantel oder dein Haus oder fonft
Etwas von deinem Eigenthum, was du für geldeswerth hältſt,
Niemand unter dem Werthe, gefchweige denn umfonft übers
laſſen. Offenbar würdeft du alfo auch von deinem Unterrichte
den vollen Geldwerth dir bezahlen Laffen, wenn du überhaupt
ihn für Etwas werth hielteſt. Uneigennützig magft bu alſo
feyn, weil du Niemand übervortheilft; aber weife kannſt du
nicht feyn, wenn Das nichts werth ift, was du weißt. So⸗
crated antwortete ihm hierauf: „Unter uns ift angenommen,
Antiphon, daß fi von der Weisheit eben fo gut als von:
der Schönheit, ein edler und ein unedler Gebrauch machen
laffe. Wenn Jemand feine Reize Jedermann ohne Unterfdyieb
um’s Geld verkauft, fo heißt man ihn einen Lohnhurer;
wern Einer Hingegen einen ihm als edel und rvedhtfchaffen
befannten Liebhaber fih zum Freunde gewinnt, fo gilt Die
für ehrbar. Eben fo iſt es mit der Weisheit. Wer feine
Weisheit an Jedermann ohne LUnterfhiebJums Gelb vers
tauft, den nennt man Lähnlid dem Lohnhurer *)] einen
Sophiften; wenn hingegen Einer einen ihm als talentvoll
bekannt gewordenen Jüngling in allem Guten, was er vers
ſteht, unterrichtet, und zum Freunde gewinnt, fo denken wir,
er thue, was einem ehrbaren und achtungswürdigen Bürger
*) Diefe Worte find ohne Zweifel undcht.
”
n
466 Xenophon’s Erinnerungen an Socrates.
zuſtehe. Und gerade fo mache icdy’s, Antiphon. Ein Anderer.
bat feine Freude an einem guten Pferde, an einem Hunde
oder an einem Vogel; ich finde noch weit größeres Vergnü⸗
‚gen an guten Freunden. Weiß ich etwas Gutes, fo theile.
ich's ihnen mit, und empfehle fie auch Andern, die ihnen im
Fortfchreiten in der Tugend behüfflich feyn Eönnen. Auch die
Schäge der alten Weifen, welche Diefe in ihren Schriften
niedergelegt haben, durchiuche ich gemeinfchaftlicy mit meinen
Freunden; und wenn wir etwas Gutes finden, fo leſen wir's
auf, und achten es für einen großen Gewinn, wenn wir ein⸗
ander nüslich werden.‘ Ich meines Orts, wenn ich ihn fo
fpredyen hörte, zweifelte Leinen Augenblick mehr, duß er nicht
nur felbft glücklich ſey, fondern auch, feine Zuhörer zur Tus
gend führe. Noch ein andermal fragte ihn Antiphon, was
zum er doch, wenn er Andere zu Staatsmännern zu bilden
fid) getraue, feldft nie Theil an den Staatsgefchäften nehme,
auf die er ſich doch verfichen müfle. Er antwortete: „in
weichem Falle meinft du, Antiphon, daß ich mehr an ben
Staatsgefchäften Theil nehme, wenn ich allein daran Theil
nehme, oder wenn ich dafür forge, daß immer Mehrere tüch⸗
tig werden, daran Theil zu nehmen 2’
7. Sept wollen wir fehen,ob er auch dadurch den Fleiß in
Der Tugend bei feinen Freunden beförderte, daß er fie von
eitler Scheinfucht abbrachte. Er wiederholte es immer, es
gebe keinen fchöneren Weg zum Ruhme, als in Dem fidy tüch-
tig zu machen, worin man bafür gelten wolle. Die Wahr⸗
beit diefes Sabes wies er auf folgende Weile nach: „geſetzt
es wollte Einer für einen vorzüglichen Flötenſpieler gelten,
-
Erſtes Buch. 467
ohne es wirklich zu fen, was müßte er thau? Mußte er
nicht in Dem, was nicht zur Kunfl gehört, es vorzüglichen
Stöteufpielern gleich ehun? Alſo: haben Diefe glänzende Ge⸗
zöthe, führen fie eine zahlreiche Dienerichaft bei ſich; fo
mußte er's and) fo machen; finden Diefe eine Menge Lobred⸗
ner, fo mußte auch er fi um Solche umfehen. Nur mit
Proben feiner Kunft dürfte er ſich nirgends befaſſen, oder er
würde fogleich zum Gefpötte, nicht nur als ein fchlechter
Zlötenfpieler, fondern auch als ein eitler Scheinheld. Uber
ſo großen Aufwand machen müffen, und erſt Beinen Ruben,
ja oben drein noch Schande davon haben, ift Dieß nicht ein
mühfeliges, zweckloſes und fchmähliches Leben? Ebenſo wenn
Einer für einen vorzügliden Feldherrn oder Steuermann
gelten wollte, ohne ed zu feyn, was kaͤme dabei heraus? _
Entweder ed gelänge ihm gar nicht, die Leute auf den Glau⸗
den zu bringen, daß er ſich darauf verftehe, und fchon das
würde ihm wehe genug thun; oder es gelänge ihm: fo wäre
er noch mehr zu bedauern, Zum Feldheren oder Stenermann
beſtellt, ohne von feinem Beruf Etwas zu verfiehen, würde
er offenbar Diejenigen, welche er am wenigften wollte, zu
Grunde richten, nnd ſelbſt mit Schande ımd Schaden ab-
ziehen. Ebenſd wies er. nach, wie unvortheilhaft es fey,
wenn man für reich, tapfer oder flark gelte, ohme es wirk⸗
ih zu fern. Man mache an Solche Anforderungen, bie
ihre Kräfte überfteigen, und habe Seine Nachſicht mit ihnen,
wenn fie nicht im Stande feyen, Das in's Werk zu ſetzen,
worin fie tücdhtig fchienen. Betrug nannte er es Dagegen,
und zwar fchon feinen Eleinen, wenn @iner bon einem Andern
Renophon. 46 Boͤchn.
Zu
458 Xenophon'd Erinnerungen an Socrates.
Geb oder Geraͤthſchaften durch gute Worte zu befommen
ſuche, und ihn dann darum bringe; aberfhei weitem für den
größten erklärte er ed, wenn Einer, ohne irgend Auſprüche
machen zu können, fich bei den Leuten einfchmeidhie, als ob
er fd) auf bie Leitung des Staates werftärde. Mir num we⸗
nigſtens ſchienrer durch ſolche Vorſtellungen auch von eitter
Schein ſucht feine Ferunde abzubringen.
— —
| Kenopßon’s
Erinnerungen an [aus den Lehrgefprächen und
dem Leben des] Socrates.
Inhalt des zweiten Buches.
Cap. 1 — 3. Sverates weißer Schlenbe zurecht.
Eay. 1. Dem Ariſtipp, der fih in nichts Zwang anthut,
empfiehtt er, fih in der Selbſtbeherrſchung zu uͤben. Eingefloch⸗
ten ift die Erzaͤhlung des Prodieus von Hercules auf dem Schei⸗
dewege zwiſchen Tugend und Laſter. Cap. 2. Seinem Sohne
Eamprocles, ber. mit der Mutter zuͤrnt, empfiehlt er die Pfͤcht
ser Dankbarkeit gegen bie Eitern. Say. 3. Dem Chärecrates.
der mit feinem Bruder Ehdrephon in Uneinigkeit lebt, ſtellt er
den Werth eines Bruders vor.
Eap. 4 — 10. Ornnöfine des Socrates Aber bie Freund⸗
ſchaft, und zwar feine Lehre von ber Freundſchaft E. 4 — 6.
Eap. 4. Socrates fpricht von dem Werthe eines Freundes.
Eay. 5. eine Unterredtung mit Antififenes Aber bie Nothwen⸗
digkeit, ſich ſelbſt zu prüfen, wieviel man feinen Freunden werth
fo. Ev. 6. Umnterrebung mit Sritobuius Aber die Raufich⸗
tn, die man bei bee Want eines Freundes zu nehmen habe,
and Aber bie. Mittel, Denjenigen , welchen bie Wahl getroffen,
fig zum Freunde zu machen, |
Schann ..7— 10. Beiſpiel des Socrates In Beziehung
anf das Verhalten gegen Freunde, wie er ihnen namii aus
Werleyenheiten haif Ban guten Wüth, E.7 — 9.
Ep, 7. Wir er dem Ariſtarch vieth, der bei einer Theue⸗
zung in Noth war, feine zahlreichen Hausgenoſſen zu ersähren.
Cap. 8, Wie er dem Untheuus nisch, der 8* Varbeit FR
R
460 Xenophon's Erinnerungen an Socrates.
feinen Unterhalt fuchen mußte. Cap. 9. Wie er dem Eriton
zieth , der mit Sycophanten zu impfen hatte. Cap. 10. Die
Socrates ferner feinen Freunden aus Verlegenheiten half, durch
ſeine Vorſchrift, einander nach Vermoͤgen zu unterſtuͤtzen. Auf⸗
forderung an Diodorus, ſich des Hermogenes anzunehmen.
Zweites Buch.
1. Auch fobzendes Geſpraͤch von Socrates ſchien mir ge-
eignet, ſeine Freunde zur Maͤßigkeit im Genuſſe der; Speiſen
und Getränke, der Liebe und des Schlafes, fo wie zur Ab⸗
härtung gegen Kälte und Hitze und gegen Anftrengungen zu
ermuntern. Er wußte, daß Einer von ihnen in diefer Hin:
fiht fi gar zu wenig Zwang anthat. Er fing daher an:
„Höre, Ariftippus,*) geſetzt du befämert "zwei Jünglinge zum
@rziehen; der Eine follte zu hohen obrigkeitrihen Würden
tüchfig werden, der Andere nicht einmal daran denten, je
ſolche Würden zu fuchen; wie würdeſt du Jeden von Beiden
behandeln? Wir wollen gleich von der Nahrung ausgehen,
als von der erften Grundlage. — Arift. Allerdings fcheint
mir die Nahrung das. Erfte zu ſeyn; ohne Nahrung könnte man
ja gar nicht leben. — Socr. Natürlic werden Beide, wenn
die Zeit da ift, fi zu Zifche ſetzen wollen? — Ariſt. Sehr
wahrfcheintih. — Socr. Welchen von Beiden würden wir
nun gewöhnen, lieber feinen Magen warten zu laſſen, als ein
dringendes Geſchäft aufzufchieben? — Ariſt. Natürlich Den,
weicher zu obrigkeitliden Würden erzogen wird, bamit- nicht
das Interefie des Staats darunter leide, daß er am Ruder
+) Ariſtipp, der Stifter der Tyrenaiſchen Schule.
Zweites Buch. 461
iſt. — Soer. Denſelben wird man alſo auch gewöhnen müſ⸗
ſen, den Durſt zu bekaͤmpfen, wenn ſie an's Trinken gehen? —
Ariſt. Allerdings. — Socr. Und Welchen von Beiden wer⸗
den wir gewöhnen, den Schlaf zu beſiegen, um fpät zu Bette
sehen, frühe aufftehen, und wachen zu können, fo oft es
nöthig iſt? — Ariſt. Wieder den Nämlichen. — Socr. Und
dem Werlangen nad) dem Genuſſe der Liebe zu widerftchen,
um. nicht dadurch von nöthigen Geſchaͤften ſich abhalten zu
laſſen? — Ariſt. Abermals den Nämlichen. — Socr. Fer:
ner ſich Beinen Anftrengungen zu entziehen, vielmehr freiwillig
fle zu übernehmen, Welchen von Beiden würden wir dazu
anhalten? — Arift. Immer noch Den, der zu obrigkeitlichen -
Würden erzogen werden fol. — Socr. Endlid, wenn es
eine Kunft gibt, weiche den Sieg über die Gegner erleichtert,
Welchem von Beiden ziemt es fie zu lernen? — Arift. Offen
- bar weit mehr Dem, weldyer zu obrigkeitlichen Würden exzo⸗
gen.wird. Denn ohne ſolche Kenntniffe und Kunftgriffe hilft
ibn auch das Uebrige nichts. — Socr. Glaupbſt du nun nicht,
daß, Wer fo erzogen ift, nicht fo leicht, wie. fonft die
Thiere, fid) von ſeinem Gegner fangen laffe? denn von dieſen
freitichäwird ein Theil durch Speifen geködert, und fo ſchen
andy einige derſelben find, dennoch durch feine Lüſternheit zum
Köder hingezogen und gefangen; einem andern Theile wird durch
Setränte nachgeſtellt. — Arift. Ganz richtig. — Socr. Noch
andere laſſen ſich durch den Geſchlechtstrieb in die Nete
locken, wie die Pachteln und Rebhühner, indem fie anf die
Stimme des Weibchens hörend, dem Triebe und der Hoffe
nung zum gefchlechtlichen. Senuffe folgen und alle Gedanken
an Gefahr ſich aus dem Sinne ſchlagen. — Ariſt. Delle
+‘,
462 Xenophon's Erinnerungen an Socrates.
kommen richtig. — Socr. Iſt's nun nicht eine Schande für
den Denfchen, wenn er in biefelbe Falle geht, wie bie un⸗
vernänftigften unter den Thieren? So wiſſen die Ehebrecher,
daß fie bei dem Ehebrude Gefahr laufen, nicht wur in bie
. von dem Gefeb angedruhte Strafe zu verfallen, fonbern auch
belauert, ertappt und befchimpft zu werden, und gehen nichts
defto weniger "in die Gemaͤcher der Frauen. So ſchweror
Strafe und Schmach nun, bie ihrer wartet, ungeachtet, umb
£ros der vielen Mittel und Wege, wodurch jenem Zrieb anf
eine ganz gefahrlofe Weiſe abgeholfen werben kann, bei allem
Dem dennody fi in die Gefahr zu flürzen, iſt das nicht
eine ganz unglücfelige Berirrung? — Arifl. O freilich. —
Socr. Da ferner viele der nothwendigften Berrichtungen im
Leben, wie 3. B. die Eriegerifchen, die landwirthſchaftlichen und
auch von den übrigen nicht Die unwichtiäften, unter freiem Hime -
mel vorgenommen werben müſſen, tft es da nicht_die under
zeihlichſte Nachläßigkeit, wenn fo viele Menſchen gegen Kälte
und Hibe gar nicht abgehärtet find? — Ar iſt. Unläugbar. —
Socr. Scheint dir baher nicht, daß, Wer einft obrigkeitliche
Würden beileiden wolle, ſich üben mäffe, auch diefe Be⸗
ſchwerlichkeiten Teiche zu ertragen? — Arift. Allerdings. —
SocEr. Wenn wir fonach Diejenigen, welche in allen genann⸗
tem. Mückficyten fich ſelbſt zu beherrſchen willen, unter bie me
obrigkeitlichen Würben Tüchtigen zähfen, werben dann niche
Diejenigen, welche Jenes nicht Lönnen, unter die Klaſſe De⸗
zer zu feben ſeyn, die auch nicht einmal baren denken ſollen,
je obrigkeitliche Würden zu ſuchen? — Arifl. San; einver⸗
fanden. — Socr. Run denn, ba du diefen beiben Mens.
fdengattungen fo gut ihre Kfaffe anzuweifen weißt, Haft dw.
zweites Bud), 463
auch fchon nachgebacht, in weiche von beiden Ktaffen du
ſelbſt gehört? — Arift. Ich meines Drts fehe mich auch
nicht von ferne in die Klaſſe Derer, bie obrigkeitliche Wür⸗
den. beffeiden wollen. Es ift fchon ſchwer genug, für feine
eigenen Bebärfniffe zu forgens unb num. vollends auch noch
Die Gorge für die DBebürfniffe ber übrigen Bürger ſich auf
den Hals zu laden? Rein, da mug Einer feinen Verſtand
ganz aufgegeben Haben, IR es nicht Die groͤßte Thorheit von
der Welt, ſich felbft einen Wunſch um ben andern zu verfas
sen, und fih dann dafür firafen zu laffen, wenn man als
Vorſtand des Staates micht fo glücklich war, alle Wünſche
der DBürgerfchaft befriedigen zu können? bie Bürgerfchaft hat
elumal die Laune, Ihre Obrögteiten anzufehen, wie ich meine
Slawen. Bon Diefen verlange ich, daß fie mich mit: Allem,
was ich brauche, im Ueberfluſſe verfehen, für ſich aber Nichts
daron anrühren; und gerabe fa, meinen die Bürger, müffen
es ihre Obrigkeiten machen: ihnen ſollen fle alles “Mögliche
zum Genuffe zuführen, feibft aber won Allem bie Hand ferue
Salten. Wenn nun Jemand Luft Hat, fich-feibft uud Anderen
u thun zu machen, fo wäre ch ihn auf die angegebene
Weile erziehen, und ihm einen Platz unter den zu obrigkeit⸗
lichen Würden Züchtigen anweiſen. Mich ſelbſt ſehe ich un⸗
tee Diejenigen, welche möglichft: forgenfrei und angenehm zu
Sehen wänfden. — Soc Wollen wir nicht andy nachfehen,
Wer von Deiden angenehmer lebt; Die, welche die Oberge⸗
walt haben, ber bie Untergebene? — Ariſt. Gang.
recht. — Soer. Um zuerſt von deu und. bekannten Völkern
zu ſprechen, fo haben in Alten: die Perſer die Obergewalt, die
Syorier, Phrygier und Exdier Dagegen. finb Die Untertebenen,
464 Xenophon's Erinnerungen an Socrates.
in Guropa haben die Schthen die Dbergewalt,, und die
Maͤoten find die Untergebenen, in African haben die Gars
thager die Obergewakt, und die Lybier find die Untergebe⸗
nen. Bon Welchen glanbft du nun, daß fie angenehmer
leben? Oder um bei den Hellenen zu bleiben, denen du
ſelbſt angehört, welcher Theil fcheint dir angenehmer zu
leben ? der, welcher die DOberherrichaft in Händen hat, ober
derjenige, welcher unter der Oberherrfchaft des andern
fiept? — Ariſt. Mir it Dieß gleich viel; wenn ich von
obrigkeitlichen Würden Nichts will, fo feße id) mid, darum
eben fo wenig unter bie Sclavenz es muß einen Mittelweg
geben, wo man weder Herr nad, Schave, fondern nur frei
zu feyn bramcht, um glücklich zu ſeyn, und diefen ſuche ich
zu gehen. — Sper. Ja, wenn diefer Weg, wie er weder
durch das Gebiet der Herrfehaft, noc durch das der Schar
verei gehen fol, auch nicht durch das Gebiet der Menfchen
führte; dann Fönnteft du vselleicht Recht Haben, Wenn du
aber unter Menfchen bleiben, und doch weder Herr noch Uns
tergebener fepn, nod) Denen die am Ruder find, freiwillig
dienen willff, fo mußt du doch fehen, wie ſowohl, wo ganze
Staaten, als wo nur Einzelne einander gegenüber ſtehen,
immer der Mächtigere den Schwächeren fo lange zu drücken
weiß, bis er ihn zu feinem Sclaven haben kann. Dber
weißt dus Nichts davon, wie der Yeind die Saatfelder, die
ein Anderer gefäet, verheert, die Bäume, bie ein Anderer
gepflanzt, umhaut, ımd auf jede Weite den Schwäheren,
der fid) ihm nicht fügen will, in die Enge treibt, bie Dies
fer es vorzieht, dem Mächtigeren fich zu unterwerfen, fast
den umgleichen Kampf fortzufegen ? Und auch für ſich ſucht
+ Zweite Buch. 465
ja, Wer nur Macht und Muth dazu hat, den Furchtſamen
und Schwachen zu unterdräden und zu brandfchagen., —
Ariſt. Eben um Dem zu entgehen, banne ic) mich in Peinen
Staat ein, fondern Lebe überall als Fremder. — Socr. Kein
Adler Kunſtgriff. Fremden thut Niemand mehr Etwas zu
Leide, feitdem Sinnis, Sciron und Procruftes *) todt find.
Aber es gibt jebt andere Plagen. Leute, die in ihrem Va⸗
terlande an ber Spitze des Staates ſtehen, geben fich alle
erdenkliche Mühe, ſich gegen Feindfeligkeiten ficher zu ftels
ten: fie geben Geſetze dagegen; fie fuchen ſich neben ihren
Berwandten noc den Beiftand anderer Freunde ; fie umges
ben ihre Städte mit Feftungswerken; fie verfehen ſich mit
Waffen, um Yeindfeligkeiten abzuwehren, und fchließen nody
überdieß Bündniffe mit Auswärtigen; und bei allen dieſen
Hülfsmitteln können fie dennoch Yeindfeligkeiten nicht ent:
schen. Und du haft Bein einziged Hülfsmittel der Art,
mußt einen großen Theil der Zeit auf den Straßen did)
+) Namen von drei Raͤubern, welde Theſeus töbtete. Sins
nis hatte feinen Sig am Iſthmus von Eorinth; er band
die Leute an zwei herabgebogene Bäume, und ließ dann
diefe ſchnell losfahren, fo daB fie zerriffen werben mußten.
Sciron hauste im Gebiete von Megara; er nöthigte
die Voruͤbergehenden, an einer abfchäffigen Stelle am
Meere, ihm die Süße zu wafchen, und ftieß fie dann
durch einen Tritt in’E Meer. Procrufted am Eephiſſus
in Attica Jegte bie Sremben auf ein Bette, und ſchnitt
von Denen, welhe zu lang waren, ab, die Kürzeren
behnte er auf dem Amboße. Verst. Hogin. Tab, 38.,
DR im Thefens Eap. 8, 9. i1. Ovid. Metam, VII,
440. 1.
466 Xenophon's Erinwerungen an Socrates.
aufhalten, wo bie meiſten Feindſeligkeiten verübt werben ;
ftehft in den meisten Stäbten, wo da hinkommſt, nochzunter
dem niebrigfien Bürger, haft alfo ganz die Eigenſchaften
Derer, welchen Diejenigen, die nach Unrecht gelüftet, haupt⸗
fächtich nachſtellen: und bu glaubſt dennoch vor Feindſeligs
keiten gefichert zu fen, weil du ein Fremder feneft? Oder
bit du darum fo voll Suverfiht, weil dir die Staaten
ihren Schup verbeiffen für Kommen und Gehen? oder weil
du auch als Sclave für Leinen Herrn ein großer Gewinn
wäreft ? denn Wer möchte auch einen Menfchen unter. feinem
Geſinde behalten, der nichts arbeiten wollte, und aups koſt⸗
barfte leben? Aber wir wollen auch feben, wie es die Leute
mit folgen Sclaven machen. Wertreiben fie ihnen nicht bes
Kitzel durch Hunger ? das Gteblen dadurch, daß fie ads
fchlieffen, wo Etwas zu nehmen ift? das Entlaufen durch
Feſſeln ? die Trägheit durch Schläge? Oder wie macht denn
Du ed, wenn bu dergleichen bei Einem beiner Sclaven bes
mertft ? — Ariſt. Sch laſſe kein Zuchtmittel an ihm under:
ſucht, bis er ſich unter die Ruthe gibt. Aber, Soerates,
die Lehrlinge dev Königekunft, welche du, wie mir fcheint,
für die wahre Glückſeligkeit Hättit, was haben fie vor Denen
noch voraus, welche zur Strafe gepeinigt werben, wenn fie
Hunger und Durft, Kälte und Schlaftofigkeit und mas es
fon Beſchwerliches gibt, freiwillig aushalten müſſen? id)
weiß wahrhaftig nicht, was Das für einen Unterſchied ma-
chen fol, ob Einem daffelbe Leder freiwillig ober unfreis
willig gegerbt wird, oder ob überhaupt alle ſolche Pein mit
unferem Willen oder ohne ihn über unfern Leib engehe, fo
ange es der alte ift. Und ift ed etwas Anderes als Thors
Erſtes Buch. 469
heit, wenn man ſich freiwillig wehe thut? — Gocr. Wie,
Ariſtipp? Soll Das in ſolchen Faͤllen keinen Unterfchieb zwi⸗
ſchen freiwillig und unfreiwillig machen, daß der
freiwillig Hungernde eſſen könnte, fo oft er wollte, und der
freiwillig Dürſtende trinken, und fo durchaus: hingegen, Wer
unfreiwillig fo &twas auszuftehen hat, nidyt nadı Gefallen
aufhören kann? Sodann wird freiwillige Pein verfüßt durch
die gute Hoffnung, in der man ſich ihr unterwirft. So Täßt
der Waldmann gerne ſich eine Anſtrengung gefallen, aus Hoffe
nung, eine gute Beute zu machen. Und Dieb ift noch ein
Beifpiel von Preifen der Arbeit, die Faum der Mühe werth
finds; denke bir erſt Diejenigen, welche fi Verſagungen
anferlegen, um würdige Freunde ſich zu erwerben, um Feinde
zu überwinden, oder um an Leib und Seele erftartt, gute
Hausväter, Wohlthäter ihrer Zreunde, und verbienftvolle
Staatsbürger zu werden; wie follten Diefe nicht im Hinblick
auf Diefes fi) Müpfeligkeiten fröhlich unterziehen, und
MWerfchönerung des Lebens finden in der Achtung, die fie
vor fich felbft gewinnen, und in dem Lob und der Bewuns
derung, bie ihnen von Undern zu Theil wird? Ferner
durch kurzweilige Befchäftigungen und augenblidliche Ge⸗
nüffe kann weder ber Körper an Geſundheit und Stärke ges
wisnen; wie auch bie Gymnaſten verüchern, noch wächst
dadurch der Seele irgend eine Kenutniß von Bedeutung
zu; Webungen dagegen, welche Anftrengung erfordern, fühs
ren nach dem Urtheile preiswürbiger Männer sum Edeln
und Guten.
468 Xenophon's Erinnerungen an Socrates.
© fagt auch Heſiodus *) irgendwo:
Eiche bad Böfe vermapft du auch ſchaarweis dir zu
gewinnen,
Ohne Bemüh’n; denn kurz ift der Weg, nnd nahe
dir wohnt es.
Ber die Trefflichkeit feuten den Schweiß die unſterbli⸗
en Götter.
Lang auch windet und fleil die Bahn zur Tugendb
ſich aufwärts, .
Und fehr rauh im Beginn; doch wenn du zur KHoͤhe
gelangt biſt,
Leicht dann wird fie hinfort und bequem, wie ſchwer
fie guvor war,
Und damit ſtimmt auch Epicharmus **) überein, wenn
er ſagt:
„Nur um Mühe wägen und die Götter alled Gute zu.“
Und anderswo fagt er:
„Traͤger, nicht dad Weiche fuche, hab du nicht das
Harte trifft!”
Auch der weife Prodicas ***) ſpricht fich in der Schrift
von Hercules, welche er ſchon Vielen vorgelefen Hat, nicht
*) Werte und Tage, V. 287. ff.
**) Epicharmus, ein comifcher ‚Diterr zugleich Arzt und Na⸗
turforfcher, lebte um’ Jahr 550 zu Syracus. Nach
Diog. Laert, VIII, 78. hinterließ er Denkblaͤtter phyſiologi⸗
fen, gnomologiſchen und jatrologiſchen Inhalts. Wach
Demſelben II, 9. f. benüägte ihm auch Plato Häufig. Er
wird für einen Schuͤler bes Pythagoras ausgegeben,
rt), Prodicus von ea gab ſich vornehmlich mit Erziehung ber
Tugend ab, nach Plato Apol. ı9. E, und Xheag. 127. E.,
und zwar nach der Yegten Stelle, nicht ohne ſich aut bes
zahlen zu Yaffen, wie denn and feine TEVrNXoVrd-
Zweites Buch. 469
anders über die Tugend aus. Seine Worte find, fo viel id)
mich erinnere, ungefähr folgente: „Hercules ſtand im Bes
griffe aus dem Knabenalter in dasjenige Alter überzutreten,
wo die Fünglinge nunmehr felbftfländig werden, und zeigen,
ob fie für die Zukunft die Bahn der Tugend oder des %a-
fters einfchlagen wollen. Um dieſe Zeit ging er in die Eins
ſamkeit hinaus, ſetzte fich hin, und war unfchlüffig, welchen
Weg er wählen folle- Da fah er auf Einmal zwei Frauen
von hoher Geſtalt auf fid zukommen. Die Eine hatte ein
wohlanftändiges Ausfehen und in ihrem ganzen Wefen etwas
Edles; ihren Leib ſchmückte Reinheit, ihre Augen Schants
Haftigkeit, ihre Haltung Sittſamkeit; ihr Kleid war weiß,
Die Andere war wohlgenährt bis zu Beleibtheit und fdywels
Sender Fülle, ihre Farbe gefchmintt, fo daß fie weißer und
röther ausſah, alfafle wirklich war; ihre Haltung fo, Daß
fie aufrechter erfchien , als von Natur; ihr Auge weit offen;
ihr Kleid aus dem feinften Gewebe, fo daß ihre Reize un:
gehindert durchſchimmern konnten; fie betrachtete wiederholt
ſich felbft, blickte danıı wieder auf, ob nicht auch Andere auf
fie ſehen; oft auch blickte fie nach ihrem eigenen Schatten
deayuog Enideakıg Plato Eratyl. im Anf. bekannt ift,
Nach Diog. Kaert..1X, 50, las er namentlich Auffäge um’s
Gerd ab, wie Protagoras. Seinen Auffag uͤber Hercules
in Proſa erwähnt auch Plate Sompof. 177. B. Nach
Philoſtrat. Keben der Sophiften I, 2. hörte ihn Kenos
phon in feiner Gefangenfhaft zu Theben denſelben vors
lefen. Das Ganze, worin dieſer Auffag über Hercules
ftand, hatte den Titel apa (Xebenbalter), nach dem Scho:
liaſt. zu Ariftophan. Wolten, V. 360.
470 Xenophon’s Erinnerungen an Socrates.
zurück. Wie fie nun dem Herentes näher Tamen, ging die
Erſtere in gleihmäßigem Schritte fort; die Andere dagegen,
am ihr zuvorzakommen, rannte in vollem Lauf auf den
Hercules zu, und redete ihn an: „Hercules, fagte ie, ih
fehe, dab du unfchlüffig bit, weichen Weg bu für bie Zus
kunft — ſolleſt. Wenn du mich zu deiner Freundin
waͤhlſt, fo will ich did, den angenehmſten und gemächlichſten
Weg führen; du ſollſt Beine Luft ungekoſtet laſſen, keine Un⸗
aunehmlichkeit erfahren dürfen. Um Kriege und Geſchaͤfte
Aberhaupt Iwirſt du dich nicht zu bekuͤmmern haben; du wirſt
einzig darauf denken dürfen, welche Speiſen und Getraͤnke
dir behagen, was deine Augen oder Ohren ergögen, deinen
Bernd, ober Gefühlsſinn angenehm erregen, weldye Jüng⸗
linge dir den größten Genuß gewähren, wie bn am weichften
fehlafen, und ale diefe Wünfche mit der leichteſten Brühe
erreichen koͤnneſt. Soltten dir jemals die Hülfsquellen dazu
zu verlegen drohen, fo darfſt du ruhig ſeyn; ich werde bir
weber körperliche noch geiftige Unftvengungen und Beſchwer⸗
den aufbärden, um dich zu dieſen Benäffen gu führen, füs
dern Andere werden arbeiten müfen; du wirft nur die
Früchte ihres Fleißes zu ernten, nur Nichts auszufchlagen
haben, was dir Gewinn bringen könnte. Denn meinen
Freunden gebe ich das Recht, aus Allem Vortheil gu zies
Yen.’ Als Hercules Soiches höste, Spray er: „D Weib, wie
iſt denn aber den Name?“ Gie antwortete: „meine
Freunde nennen mid) Grädfeligteit; Uebelwollende aber,
die mid) herabfepen wollen, geben mir den Namen: Laſter.“
Indeſſen war auch die-andere Ftau herbeigekommen. „Auch
ich,“ ſagte fie, „komme zu Sir, Horenles; denn ich kenne
|
Zweites Bud). 47a
deine Erzeuger und habe deine glücklichen Anlagen bei deis
nem Zugendunterrichte bemerkt; ſie geben mir bie Hoffnung,
wenn du den Weg zu mir einſchlagen wollteft, würdeſt du
in allem Edlen und Großen ein tüchtiger Meifter werden,
und ich noch weit werthvoller und heilbringender erfcheinen,
Ich will did, nicht mit einer Vorrede von Genüffen, bie
Deiner warten ſollen, tänfhen: ich will dir die Sache ferbft,
Wie die Götter es gewollt haben, der Wahrheit gemäß vors
ſtellen. Bon Dem, was wahrhaft gut und edel iſt, geben
die Bötter den Menfchen Richts ohne Anſtrengung und ernfls
Hide Demühung. Wuͤnſcheſt du, daß die Götter bir anddig
Teen, fo mußt du die Götter verehren; willft du von Freuns
ven geliebt ſeyn, fo mußt du den Frennden nützlich werden;
ſtrebſt du darnach von irgend einem Staate geehrt zu wer⸗
den, fo mußt du dieſem Staate Dienfte leiſten; machft be
Anſprüche anf die Bewundernuug von ganz Griechenland, um
Deiner Tugend willen, fo mußt du did, um Griechenland ver:
dient machen; ſoll die Erde dir reichfiche Fruchte tragen, fo
mußt du die Erde anbauen; meinft du, du folftefl durch Her⸗
den reich werden, fo mußt du dich der Herden annehmen;
treibt es dich, im Kriege dein Glück zu machen, und willſt
du dich in Stand gefent fehen, beine Freunde zu befreien
und Die Feinde zu befiegen, fo mußt du nicht nur mit ben
Lehren der Kriegskunſt bei Kennern dich bekannt machen,
fondern auch in ber Anwendung berfelben auf die befondern
Yale dich aben; willſt du endlich deinen Körper ganz in deine
Gewalt bekoumen ), fo mußt du den Kökper daran gewöh⸗
*) 27 Yvaum Unnpereiv mit Herbſt, zu To ompars
Surarog Bivas conftenirt.
472 Zenophon’d Erinnerungen an Socrateb.
nen, und mit Unftrengung und Schweiß ihmmbhärten.‘ Hier
wurde fie von der Andern, dem LZafter, unterbrochen. „Merkſt
du, Hercules, “ fagte Diefe, „was das für ein mühleliger und
langer Weg ift, auf dem dich dieſes Weib den Genuß fuchen
heißt; ich hingegen werde dich auf einem gemächlichen und
kurzen Wege zur Glückſeligkeit führen. „Elende,“ entgeg⸗
nete die Tugend, „wie kannſt du etwas Gutes beſitzen? oder
wie kannſt du ein Vergnügen kennen, wenn dir Alles zu
viel iſt, was du dafür thun ſollſt? wenn du nicht einmal wars
ten Eannft, bis dich nach Vergnügen gelüftet , fondern zum
Voraus mit Ullem, was Raum findet, dich anfüllft, — und
iffeft, ehe du Hunger, trinkeft, ehe du Durſt fühleft; um mit
Luft zu effen, nad Köcen tradhteft; und um mit Luft zu
trinken, Eoftbare Weine dir anfchaffft, und ded Sommers nadı
Schnee unhergehft; wenn du, um gut zu fchlafen, nicht nur
bei den Betten, fondern audy bei den Bettſtellen auf Weichs
heit bedacht bift, und diefe mit Stollen verfehen Läffeft. 4 Denn
nicht weil du müde bift, fehnft du dich nach dem Schafe,
fondern weil du nichts anzufangen weißt. Den Genuß der
Liebe erzwingft du, che ein Bedürfniß dazu vorhanden ifl;
ob durch dieſes oder jenes Mittel, und ob ein Weib oder ein
Mann ihn gewähre, ift dir gleich viel. Denn das ift die Ers
ziehung, die du deinen Freunden gibft, dab du fie des Nachts
zur Woluft mißbraucht, und den beften Theil des Tages im
Scylaf legſt. Du bift eine Unfterbliche, aber verfloßen aus
dem Kreife der Götter, und bei den Beſſeren der Menfchen
verachtet. Das Angenehmſte was man hören kaun, dein eige⸗
nes Lob, Haft du nie gehört; das Schönfte, was man fehen
Tann, ein -eigenes gutes Werk, Haft du nie gefehen. Mer
Zweites Bud. . 473
möchte ferner deinen Worten Glauben fchenten? Wer im Fall
eines Bedürfniffes dir helfen? oder welcher vernünftige
Menſch zu deinem Gefolge gehören wollen? zu Leuten, bie in
der Jugend körperlich⸗, ım Alter geiſtig⸗ſchwach find; bie
forglos, von Salben glänzend, durch die Jugend hüpfen, aber
kümmerlich ſich im Schmutze durch das Alter ſchleppen, bes
ſchäaͤnt über Das, was fie gethan, und faſt erliegend unter
der Laſt Deffen, was fie thun müffen, weit fle das Angenehme
in der Jugend durchflogen, und die Mühfeligkeiten auf das
Alter aufgefparf haben? Ich Dagegen lebe mif ben Göttern,
lebe mit den Befferen der Menfchen zuſammen; J teinkfchönes
Bert, weder von Göttern noch von Menſchen, Fommt ohne
mich zu Stande; in den Höchften Ehren ftehe ich bei den
Goͤttern und bei denjenigen Menfchen, bei denen es fich ges
pähre*). Sch bin eine willkommene Mitarbeiterin den Künfts
tern; eine getreue Wächterin den Hausvätern; eine wohlwol⸗
{ende Gehülfin dem Gefinde; eine gute Theilnehmerin an
den Gefchäften bes Friedens; eine zunerläßige Verbündete
für die Anffzengungen bed Krieges; die beite Benoffin der
Freundſchaft. Meine Freunde genießen Speife und Trank
mit Zuft und ohne Weitläufigteiten; denn fie warten,ibis fie
9 An der Stelle des dunkeln olg nEO0Nxeı vermuthet
Schneider: oic nooonixc, „vei den Menſchen, mit de⸗
nen ih Umgang pflege.” Schuͤtz verſteht zu olc TTE00-
nxeı dad Wort Tuufogaı. „Ich ſtehe bei Gbttern und
Menſchen in ben gebührenden Ehren.” Wir ertia⸗
ren die Bulgata mit Heinborf "und Herbſt darch ap
olg neoenze:.
Kenophon. 48 Bbehn. 6
474 Xenophon's Erinnerungen an Socrates.
Verlangen darnach bekommen. Der Schlaf ſchmeckt ihnen
beſſer, ald Denen, die nicht arbeiten; und es fäut ihnen eben
fo wenig ſchwer, fich ihm zu entreiſſen, als fie nöthige Ge⸗
fhäfte ihm zu Liebe unterlaffen. Die Jüngern freuen ſich
des Beifalls der Alten; die Aelteren gefallen ſich bei den
Ehrenbezeugungen der Jüngeren; mit Freuden erinnern fie
ſich ihrer früheren Handlungen, mit Freuden befleißen fie ſich
des Guten auch bei den gegenwärtigen, weil fie mir die Huld
der Götter, die LKiebe der Freunde, die Ehrenbezeugungen des
Vaterlandes verdanken. Und Eommt das Ende, dad ihnen
beftimmt ift, fo Liegen fie nicht im ruhmlofer Vergeſſenheit
begraben, fondern gefeiert von der Nachwelt, blühen fie fort
im Angedenken aller Zeiten. Zu ſolchen Anſtrengungen,
Sohn edler Eltern, Hercules, entfchließe dich, und die feligfte
Gluͤckſeligkeit ift dir aufgefchloffen.” So ungefähr trägt Pro:
dieus die Belehrung des Hercules‘ durch die Tugend vor;
freifich Eleidet er Die Gedauken in erhabenere Ausdrüde, als
ih fo eben that. Doch Dem fey wie ihm wolle, du, Ariſtipp,
ſollteſt dir dieſe Belehrung zu Herzen nehmen, und auch
einmal an deine Zukunft zu denken verſuchen.
2. Socrates bemerkte einmal, daß Lamprocles, der Aelteſte
feiner Söhne mit der Mutter zürnte. — Socr. Höre, mein
Sohn, Pennft.du Leute, die man undankbar nennt? — Lampr.
O ja. — Socer Weißt du and, was Die thun, dene
man diefen Namen gibt? — Lampr. Allerdings, Wer
Wohlthaten empfangen hat, und fie nicht vergilt, wenn er
doc) kann, den nennt man undantbar. — Socr.. Die Uns
dankbaren werden alfo wohl in die Klaffe der Ungerechten ges
fest? — Lampr. Allerdings. — Socr. Uber haft du die
Zweites Buch. 475
Sache nicht auch fchon von einer andern Seite betrachtet?
Einen als Eclaven zu verkaufen, gilt für ungerecht,
wenn e3 ein Freund ift, aber für gerecht, wenn es ein
Feind iſt. Iſt nicht vielleicht eben fo Undankbarkeit gegen
Freunde allerdings etwas Ungerechted, aber gegen Yeinde et⸗
was ganz Gerechtes? — Lampr. Mir fcheint überhaupt
Saumfeligteit in Vergeltung einer Wohlthat, habe man fie
nun von Freund oder Feind empfangen, ungerecht zu ſeyn.
— Socr. So wäre alfo die Undankbarkeit unbedingt eine
Ungerechtigkeit? — Zampr. Unleugbar. — Socr. Und die
Ungerechtigkeit wäre um fo größer, je größer die MWohlthat
ift, die man empfangen hat, und nicht vergilt? Lampr.
Eben fo richtig. — Sper. Und Pönnte nun Jemand von eis
sem Andern arößere Wohlthaten empfangen haben, als Kitts
der von den Eltern, denen fie ihr Dafeyn, und den Anblick
fo vieled Schönen, und den Genuß fo vieles Guten verdan⸗
ten, das die Götter den Menfchen gewähren: einen Genuß,
der und auch fo über Alles geht, daß wir allgemein vor
Nichts und mehr fürchten, ald von ihm ſcheiden zu müffen,
und daß die Staaten auf die fchwerften Verbrechen den Tod
als Strafe gefeut haben, weil fie es für unmöglich halten,
ein größeres Weber zu finden, um durch die Furcht vor dem⸗
felben den Verbrechen zu fleuern? Du glaubſt doch nicht,
daß die Meufchen bios, um ihre Wolluſt zu befriedigen, Kin
der zeugen, denn dazu bieten ja Straßen und Luſthütten Ge⸗
legenheit in Menge dar. Und che wir mit ben. Weibern zu
Erzeugung von Kindern uns verbinden, fehen wir ja baranf,
von Welcher wir wohl die beften Kinder befommen Lönnten.
Der Wann muß dann dad Weib, mit der er Kinder erzeu⸗
-
476 Xenophon's Erinnerungen an Socrates.
gen will, erhalten, und zum Beten feiner Fünftigen Kinder
Alles, was er glaubt, das ihm zum Leben nüglich ſeyn koͤnne,
ſo reichlich als möglih zum Voraus beforgen. Die Fran
aber muß ihrerfeitd, nachdem fie empfangen hat, diefe Bürde
nit Beihwerden und Gefahr ihres eigenen Lebens Kragen,
dem Kinde einen Theil ihrer eigenen Nahrung abgeben, und
nachdem fie mit vieler Mühe es ausgetragen und geboren
hat, ed ernähren und pflegen, ohne vorher von ihm etwas
Gutes empfangen zu haben, und ohne daß das Kind weiß,
Wer feine Wohlthäterin ift, oder zu verfiehen geben kann,
wo es ihm fehlt; fie muß feibft errathen, was dem Kinde
gut oder angenehm feyn kann, und lange Zeit, mit der größs
ten Anftrengung bei Tag und bei Nacht, ed warten, ohne
zu wiffen, welchen Dank fie dafür bekommen wird. Hub
nicht genug, daB man für ihre leiblichen Bebürfniffe forgen
muß: die Kinder kommen in dad Alter, wo fie Etwas ler⸗
sen können: die Eltern müſſen fie unterrichten, fo weit fie
ſelbſt im Beſitze nühlicher Kenntniſſe find, und wo fie glau⸗
Heu, daß ei Anderer befferen Unterricht ertheilen könne,
noch Geld aufiwenden, umd fie zu Diefem in die Lehre ſchicken,
amd überhaupt alle erdenkliche Mühe fid geben, damit ihre
Kinder fo tüchtig ale möglich werden. — Lampr. Und wenn
fie auch das Alles geihan hat, und noch tauſendmal mehr,
als Dieſes; fo ift es doch niche möglich, daß ein Meufch ihren
Ungeftüm ertragen kann. — Socr. Was hältfi du denn für
unerträglicyer, die Wildheit eines Thieres oder einer Mutter ?
— Lampr. Gewiß die einer Mutter, wenigfiens wie dieß
ine iſt. — Socr Hat ſie dich denn ſchon gebiffen ober ges
sreten, wie Dieß,fchon Dielen von Thieren widerfahren if?
Zweites Bud. 417
— Lampr. Rein, aber fie fagt Einem in der That Dinge,
die mau für fein Leben nicht hören möchte. — Socr. Und
wie viel meinft du, daß fie von die Unausſtehliches ſich habe
gefalten Laffen mäffen? Wie viel machfeft du Ihr durch Ges
fehrei und Unarten von Kindheit an zu fchaffen, wenn du
weder bei Tage noch bei Nacht dich zufrieden geben wollteft
Wie viel Herzeleib machteft du ihr, wenn bu ktank waref
— Zampr. Aber niehabe ich. meder in Worten noch in Hand⸗
Imngen ihre Ehrgefühl verletzt. — Socr. Wie? Meinft ber
ed härter nehmen zu mitffen, wenn fie dir Etwas ſagt, als
die Schanfpieler, wenn fie einander in ben Tragddien die
ürgftien Dinge fagn? — Lampr. Dieß ift etwas Anderes;
Die uchmen «8 freilich nicht fo hart, weil fie wiffen, baß
weder die Schmähenden die Abficht haben, - wehe zu thun,
noch die Drohendeu bie Abficht, Schaden zu thun. — Socr.
Fun, das weißt du ja auch, daß beine Mutter bei Allem,
was fie bir fagt, es nie böfe meint, fondern fogar dir alles
mögliche Gute wünſcht, wie Eeinem Andern; und bennody-
faunft du anf fie zürnen? Oder meinft du wirklich, bie
Mutter meine ed böfe mit dir? — Lampr. Ach nein, Das
gerade meine ich nicht. — Socr. Und diefe Mutter, die es
fo gut mit dir meint umd in deinen Krankheiten alled Möge
liche thut, damit du wieder gefund werdet und dir ja Bein
Bedürfniß abgehe, die noch überdieß altes Gute für dich von
den Göttern erficht, und ihre Gelübde erfüllt, diefe Mutter
. 66% unausftehlich feyn ? In der That, wenn du eine foldhe
Mutter: nicht eriragen kannſt, fs mußt du das Gute nit
ertragen innen. Uber fage mir, glaube du überhaupt,
daß man Andere zu ehren brauche? Oder Haft du im Sinne,
478 Xenophon's Erinnerungen an Socrates.
did) um Feines Menfhen MWohlgefallen zu bemühen, und
weder einem Feldherin, noch fonft Einem, der zu befehlen
bat, zu gehorhen? — Lampr. O ja, roh! — Socr. &
wirft du denn auch deinem Nachbar zu gefallen fuchen,
damit er dir Feuer gebe, wenn du es bendchigt bift, und
überhaupt dir zu deinem Glücke die Hand biete, und im
Falle eines Unglücks wohlwollend dir nachbarlichen Beiſtand
Teifte? — Lampr. Ganz gewiß. — Socr. Ferner, wenn
du mit Jemand auf einer Reiſe zu Waller oder zu Land
oder fonft bei einer Gelegenheit zufammentommft, ift ed dir -
gleichgültig, ob er bein Feind oder dein Freund werde, oder
Hlaubft du auch in folhen Fällen um Anderer Wohlwollen
dich bemühen zu müſſen? — Lampr. Ohne Weitered. —
Sper. Um Solche alfo haft du im Sinne dic, zu befümmern,
und deine Mutter, die dich fo aufrichtig Tiebt, meint du
nicht ehren zu mäflen? Weißt dunicht, daß felbft der Staat
fonft fid) um feine Undankbarkeit befümmert, und fie auch
nicht vor feinen Richterſtuhl ziehe, fondern fie) gleichgültig
dagegen verhält, wenn Einer eine empfangene Wohlthat nicht
vergilt; wenn aber Einer feine Eltern nicht ehrt, fo zieht *)
—
+) Nach Diogenes Laert. I, 55. gab Solon das Geſetz: „wenn
Einer feine Eltern nicht ernährt, der ſoll ehrlos ſeyn.“
Nach Aeſchines gegen Timarchus durfte Der, welder Bas
ter ober Mutter ſchlug ober nicht nährte, oder ihnen Feine
Wohnung gab, nicht ald Redner auftreten, Unter den
hier genannten Prüfungen verfichen Andere, Prüfungen:
für die Archontenwärde, und ‚wirklich koͤnnte bie Erwaͤh⸗
nung der Opfer dafür zu ſprechen fcheinen; aber nach Dis.
narchus gegen Ariftorgiton Neist. p. 86. kam überhaupt bei
Zweited Bud). 479
er ihn zur Strafe, und fchließt ihn beider Vorprüfung für obrigs
Feitliche Würden aus, in der Vorausſetzung, daß weder die
für den Staat darzubringenden Opfer auf die gehörige Art
Dargebracdht würden, wenn Diefer fie darbräcdhte, noch übers
haupt von einem Solchen bei irgend einer Verrichtung, Sinn
für Recht und Pflicht zu erwarten fey. Ja fogar, wenn
Einer nad) dem Tode feiner Eltern ihr Grabmal nicht ſchmückt,
auch darnady fragt der Staat bei den Prüfungen für obrigs
Leitlihe Würden. Wenn du daher vernünftig bift, mein
Sohn, fo wirft du die Götter um Nachficht bitten für den
Mangel an Achtung, den du gegen beine Mutter- an den Tag
gelegt Haft, damit nicht auch fie auf deine Undankbarkeit hin
ihre Wohlthaten dir entziehen; vor den Menfchen aber
wirft du dich in Acht nehmen, Etwas von Geringſchätzung
gegen deine Eltern bliden zu laſſen, damit fle nicht indges
famme bich verachten, und du von allen Sreunden verlafien
da ſteheſt. Denn wenn fie glaubten, daß du gegen deine Ef:
tern undankbar wäreft, fo würde Keiner für Wohlthaten,
Die er dir erwiefe, ſich Dank von dir verfprechen.
3. Einmal wußte er, daß Ehärephon und Ehärecrates, zwei
ben Präfungen Deffen, ber ein dffentliches Amt fuchte,
bie Trage vor, 05 er feine Eltern gut bebandle. Der
Griechiſche Ausdruck laͤßt bie Eine Erklärung, wie die -
andere zu, und daß biefe Frage auch bei der Prüfung
für die Urchontenwärde vorkam, laͤßt ſich in jedem Falle
erwarten, wie ed bann nach Pollux Onomast, VIII, 9, 85.
Pi nach Demoft. gegen Eubulides p. 1320 wirklich ſtatt
nd,
480 RXenophon's Erinnerungen an Socrates.
Brüder *), und Beide feine Freunde, in Uneinigkeit lebten.
Er fah zufällig den Chärecrated. ‚Höre, Chärecrates, fagte
er, du bifk doch nicht etwa Einer von Denen, welchen das
Geld mehr gilt, als ein Bruder? Jenes ift ja doch vernunfs
108 ‚Diefer vernünftig; jenes bebarf ber Dertheidigung, Dies
fer Eann vertheidigen; und überdieß ift jened in Menge vors
handen, Diefer in der ganzen Welt nur einmal. Auch ift es
Tonderbar, wenn Einer durch feine Brüder zu kurz zu kom⸗
men glaubt, weil er nicht auch das Ihrige bekommt. Was
rum meint er denn nicht audy durch feine Miebürger zu kurz
zu kommen, weil er nicht auch das Ihrige befist? Hier
kann doch Jedermann begreifen, daß es beffer ift, mit Vielen
zufammen zu wohnen, und ein mäßiges Vermögen in Sichers
heit zu befiten, als allein zu leben, und unter befländigen
Gefahren das gefammte Vermögen feiner Mitbürger zu bes
fisen. Uber bei den Brüdern will Dieß Niemand einfehen.
Sclaven Fauft, Wer kann, nm Gehülfen bei der Arbeit zw
baben , und Freunde fucht man ſich zu erwerben, weil man
eines Beiflandes zu bedürfen glaubt; die Brüder, die man
doch ſchon hat, flieht man gar nicht an, wie wenn aus ihnen -
nicht eben fo gut Freunde werden könnten, ald aus den Wit-
bürgern. Und doch trägt es zur Freundfchaft fchon fehr vief
bei, von denfelben Eltern entfproffen und miteinander erzogen
au ſeyn; ferdft Die Thiere haben ein Verlangen nach Denen,
welche mit ihnen aufgezogen worden. Endlich ehren auch die
übrigen Menfchen Diejenigen, welche Brüder Haben, mehr,
*) &, über Beide I, 3, Ende, Sie waren aus bem Attifpen
Demos Sphettos,
Zweites Buch. 4Bı
ald Die, welche keine haben, und freten ihnen weniger zu
nahe. — Ehärecr. Allerdings, wenn die Urfache des Streits
von keiner Bedeutung ift, muß man den Bruder mit Geduld
tvagen, und nicht wegen Kleinigkeiten ihn meiden. Denn -
wie du ſagſt, es ift eine wahre Wohlthat um einen Bruder,
wenn er ift, wie er ſeyn ſoll; wenn aber Dem gar nicht fo iſt,
und wenn ſtatt Deflen das gerade Gegentheil fich finden follte,
Mer möchte das Unmögliche verfuhen? — Socr. Dermag
ſich denn Chärephon Niemand gefällig zu machen, oder gibt
e8 vielleicht Leute, denen er ſich recht fehr gefällig erweist ? —
Ehäreer Eben Diefes ift ed, Socrates, warum ich ihn
baflen muß, daß er Anderen zu gefallen weiß, mir aber,
wo er hinkommt, überalt durch Wort und That nur zum
Schaden ftatt zum Nutzen if. — Socr. Iſt es nicht viel-
feicht mit einem Bruder, wie mit einem Pferde, daß nämlich
sur Der übel wegtommf,. der fih mit ihm einläßt,
‚ohne mit ihm umgehen zu können? — Ehärecr. Wie könnte
es mir an ber Kunſt fehlen, mit einem Bruder umzugehen?
Wer freundlich ift,-gegen ven bin ich wieder freundlich; Wer
gefällig ift, gegen den bin ich wieber gefällig 5; Das verſtehe ich
ganz gut. Allein Wer es mit Wort und That darauf aulegt,
mich zu. Eränten, gegen Den Bann ich freilich weder freundlich
noch gefähig ſeyn; ich werde mir auch nicht einmal Mühe
damit geben! — Soer. Sonderbar! Gefest, du haͤtteſt ei-
nen guten Schäferhund, der den Hirten fchmeichefte, wenn
aber du Bämert, belferte; würdeſt du nicht, flatt böfe zu
werden, ihn durch einen guten Biſſen zu begütigen fuchen ?
Bon deinem Bruder fagft du ſelbſt, was es für eine große
Wohlthat um ihn wäre, wenn er gegen dich ſeyn wollte, wie
0} " —
482 Xenophon's Erinnerungen an Socrates.
er follte; du willſt auch verfichen, gegen ihn gefällig und
freundlich zu feyn, und du macht bei ihm Beinen Verſuch,
ihn für dich fo gut als möglich zu mahen? — Chäreecr.
Sch fürchte, Socrates, alle meine Kunft möchte nicht fo weit
zeichen, ed bei Chärephon fo weit zu bringen. — Socr.
Ich denke doch, dazu bedarf es weiter nicht viel Verſchmitzt⸗
heit und Scharffinn; mit Dem, was du felbft fchon weißt,
folteft du ihn gewinnen können, daß er dich hoch. fchäten
lernte. — Chärecr. Gage es mir doch je eher je lieber!
Haft du bei mir Etwas von einem Liebesmittel bemerkt, auf
Das ich mich verftände, ohne es zu willen? — Socr. Nun
ja, wenn du einen Freund dahin bringen wolteft, fo oft er
opferte, dich zum Mahle zu Iaden, Was würbeft du Chun ? —
EChärecr Ich würde natürlich den Anfang machen, und
ihn’ feibft einladen, wenn ich opferte. — GSocr Und Was
würdeſt bu thun, wenn du einen Freund bewegen wollteft,
die Beforgung deiner Angelegenheiten zu übernehmen, fo oft
du verreißtett ? — Chärecr Ach würde nätärlich vorher _
die Beforgung der feinigen übernehmen, wenn er verreißte —
Socr Und wenn du einen Fremden dazu bringen wollteft,
dich zu beherbergen, wenn du in fein and kaͤmeſt? — Chärecr.
Natürlich würde id) ebenfalls ihn zuerft beherbergen, wenn
er nach Athen käme: und wollte ich, baß er mir meine Au⸗
gelegenheiten betreiben hälfe, wenn ich käme, fo müßte ich
begreiflich, denfelben Dienft ibm zuerſt erweiſen. — Soecr.
Sp waren dir alfo alle Liebesmittel, die unter Menſchen ſich
finden, längft befannt, und du thateft nur Damit geheim.
Oder ift es nur der Anfang, was bu fürdhteft, um deiner
Würde nichts zu vergeben, wenn bu zuerſt gegen beinen Bru⸗
Zweites Bud). 483
der gefällig wäreft? Iſt ja doch Fein Mann acdhtnngemerther,
ald Wer den Feinden des Etaates im Schaden, feinen Freunden
im Wohlthun zuvorkommt. Hätte ich nun gedacht, Chäres
phon tauge beffer dazu, hierin den Zon anzugeben, fo hätte
ic Ihn zu bewegen geſucht, dir zuerft die Hand zur Aus⸗
fühnung zu bieten. Aber es fcheint mir, Du müffeft den Ans
fang madyen , wenn die Sache gelingen fol. — Ehärecr.-
Eine ganz eigene Forderung von bir, die dir gar nicht an⸗
fiehen will. Sch, der Jüngere, meinft du, folle vorangehen ;
tft es doch in der ganzen Melt gerade umgekehrt, daß der
Aeltere vorangeht, in Allem, wo Etwas zu thun ober zu
fagen if. — Goer. Wie? Iſt es nicht überall eingeführt,
Daß beim Begegnen der Jüngere dem eltern aus dem Wege
geht, daß er vor Diefem von feinem Sitz aufſteht, ihm durch
ein weiches *) Lager ehrt, und ihm das Wort läßt? Ja,
mein Beſter, befinne dich nicht Länger; verfuche ed den Mann
zu befänftigens er wird bir gewiß bald entgegenfommen.
Siehft du nicht, wie ehrliebend und edel er it? Cr ift feine
von den gemeinen Seelen, die man nur bekommen kann,
wenn man ihnen Etwas gibts: als ein Mann von Ehre und
Charakter ift er durch freundliche Behandlung Teicht zu ges
winnen. — Ehärecr Wenn ih nun Dieß thue, und er
doch nicht anders wird? — Gocr Was kannſt du’ denn
dabei verlieren, als daß dann Jedermann fleht, es fehle nicht
bei dir an gutem Willen und Liebe zu deinem Bruder, ſon⸗
*) Dieß, wie zum Theil auch dad Vorhergehende, und Nach⸗
folgende , wohl Anfpielung auf Homer, namentlih auf
Iliad. IX, 195. 614. 655 ff. Daher hat man wohl keinen
Grund, bie Worte mit Valkenaͤr und Schneider zu ſtreichen.
484 Eenophon's Erinnerungen an Socrates.
dern er babe ein ſchlechtes Herz und ſey einer guten Behand⸗
fung gar nicht werth? Aber ich bin überzengt, dieſer Fall
tritt gar nicht ein. Ich deube, ſobald er bemerkt, daß ba ihn
zu diefem Kampfe heransforderft, werbe er ſich alle Mähe
geben, in Freundlichkeit und Gefaͤlligkeit dich zu überwinden.
est ift es euch gerade, wie wenn die Hände, weldye bie
Gottheit zu gegenfeitiger Uuterſtützung gefchaffen hat, ſtatt
deffen darauf ausgingen, einander zu hindern; oder went die
Füße, durch göttliche Ordnung zum Bufammenwirken beſtimmt,
flatt deffen einander verftriden wollten. Könnte es eime grö⸗
Bere Ungeſchicklichkeit und eine unglüdfeligere Berirrung
geben, äls Das, was zum Nuben beftimmt ift, zum Schaden
zu gebrauchen? Aber eben die. Brüder, fcheint es mir, follen
nach den Abſichten der Gottheit einander noch weit näglicher
werden, als Hände, Füße und Augen, und was fie fonft den
Menfchen in gefchwiftertichen Paaren anerkbaffen hat. Go
wären die Hände außer Stand, einander auf einen Zwiſchen⸗
raum von mehr, als einem Klafter zu unterſtützen; bie Füße
tönnten nicht einmal auf Klafterweife zufammengeben; die Augen,
die ja noch am weitelten zu reichen ſcheinen, Pönnen nicht einmaf
in nody größerer Nähe, was vorn und hinten tft, zugleich
fehen, Brüder dagegen, wenn fie miteinander gut fliehen,
kann Beine Entfernung hindern, auch für einen gemeinfchaft-
lichen Zweck zufammen zu wirken.
4. Auch von der Sreundichaft hörte id) ihn einmal ſpre⸗
chen; und was er ſagte, ſchien mir Manchem ſehr nuͤtzlich
werden zu können, ſowohl wo es gilt, Freunde ſich zu er⸗
werben, als mit ihnen zu leben. Er ſagte, Das könne man
von Jedermann hören, daß ein zuverlaͤſſiger und rechtfchaffe⸗
Zweites Buch. 485
wer Frenud das Beſte fey, was man ſich erwerbenTkönne;
aber die Erfahrung lehre, daß Dieß das Lebte ſey, was man
fich zu erwerben ſtrebe. Käufer, Aecker, Sclaven, Herden
und Geräthfchaften fuche man angelegentlich fidy zu verfchaffen,
und wenn man fle habe, fey man bemüht, fie fich zu erhal⸗
ten; bei einem Freunde, den man doch für das größte Gut
erkläre, gebe man fich feine Mühe, weder Einen zu erwers
ben, noch wenn man ihn habe, ihn ſich zu erhalten. Ja fos
gar, wenn Freunde und Sclaven zugleich krank feyen, Eönne
man fehen, daß man zu den Sclaven Yerzte hole, und Altes,
was zu ihrer Sefundheit diene, eifrigft beforge, während man
um die Freunde ih gar nicht befümmere; und wenn Beibe
fterben, fey man über den Tod eines Sclaven tief betrübt,
und achte ihn ald Verluſt; an den Freunden hingegen glaube
man Nichte verloren zu haben. Sefbft bei anderen Gefchöpfen.
die zum Hauſe gehören, laſſe man es an Pflege und Aufficht
nie fehlen; Freunde, die einer Wartung bedürftig feyen,
überlaffe man fidy ſelbſt. Ferner bei anderen Gegenftänden,
die man auch in noch fo großer Menge befibe,, wife man die
Zahl genau; bei den Freunden wiſſe man nicht nur die Zahl
nit, fo Bein fie audy wäre; fondern fogar, wenn man anfs
gefordert werde, ſie anzugeben, führe man Manchen unter
den Freunden anf, den man -hinfennac wieder zurückneh⸗
men müſſe. So viel befümmere man fi um Freunde! „Und
gleichwohl“, fur er fort, ‚weiches Befitzthum koͤnnte fonft auch
nur von Ferne mit einem vechtfchaffenen Freunde die Der-
gleichung aushalten? Welches Pferd, welches Stiergefpann
bat den Werth, wie ein würtiger Freund? welcher Sclave
ift fo vedlich und treu? welches. andere Beſtthum fo nüslich
486 Xenophon's Erinnerungen an Eocrates.
in jeder Hinſicht? Ein vechtfchaffener Freund tritt überall
für den Freund ein, wo es ihm fehlt, fowohl in befonderen
Angelegenheiten, als in öffentlichen. Gilt ed Jemand einen
Dienft zu erweifen, er ift dabei; droht eine Gefahr, er hilft
fie abwenden; er theilt die Koften, theilt die Mühes hilfe
BSüte, hilft Gewalt brauchen; verfchönert die glückliche, vers
beffert die unglückliche Lage. Was aud) die Hände durch ihre
GSefchicktichkeit, die Augen durch Sehen, die Ohren durdy
Hören, die Füße durch Gehen uns für Dienfte leiften, in
Peiner diefer Hinfichken fteht der Freund ihnen nad. Oft hat,
was für fi Einer mit Händen, Augen, Ohren oder Füßen
nicht vermochte, ein Freund für den Freund geleifter. Den
noch finden fid) eher Leute, welche Bäume warten um ihrer
Frucht willen, als daß das in jeder Hinficht fruchtbarfte Bes
ſitzthum, der Freund, nur and, mit einiger Aufmerkfamkeit
und Sorgfalt gepflegt würde,‘
5. Nod) erinnere ich mich auch eines andern Gefprädes
von ihm, welches mir befonders geeignet fchien, die Zuhörer
zu bewegen, fi) felbft zu prüfen, was fie ihren Freunden
werth ſeyen. Er hatte bemerkt, daß Einer feiner Bekannten
eines in drüdender Armuth Iebenden Freundes ſich gar nicht
annahm. Er richtete daher in Gegenwart des Erfteren und
mehrerer Anderer die Frage an Untifthenes *): „Antiſthe⸗
nes, haben die Freunde ihren beftimmten Werth, wie die
Scaven? Denn you Diefen ift der Eine zwei ** Minen
*) Antiſthenes, Hier ber Stifter der Cyniſchen Schule.
**0) Eine Mine ift gleich hundert Dramen, ungefähr breis
undvierzig Gulden nach unferem Gene, - oder vierunds
zwanzig Sachſiſche Thaler.
Zweites Buch. 487
werth, der Andere nicht einmal eine halbe, ein Anderer fünf,
oder wohl gar zehn. Ja man verfihert, Nicias *), der
Sohn des Niceratus, habe für einen Auffeher in feine Sil«
bergruben ein Talent **) bezahle. Wir wollen alfo fehen, ob
die Freunde ebenfo ihren beflimmten Werth haben, wie die
Sclaven. — Anthiſth. In der That, ich glaube eg; bei
dem Einen wollte id) gerne zwei Minen geben, wenn
ih ihn zum Freunde befommen könnte; bei dem Andern
wäre mir meine halde Mine lieber; ein dritter wäre mir
wieder lieber, als zehn Minen, und noch bei einem Andern
wäre mir gar Fein Preis zu viel, wenn er um Geld zu ha=
ben wäre. — Socr. Nun denn, wenn Dem fo ift, fo
könnte Einer nichts Beſſeres thun, als ſich ferbft prüfen,
was er wohl feinen Freunden werth fey, umd fich beftreben,
ihnen recht viel werch zu werden, damit ihn feine Frennde
weniger im Stiche laſſen. Denn oft laſſe ich mir erzählen
von dem Einen, er fey von einem Freunde im Stiche gelaffen
worden, von einem Anderen, Derjenige auf Deffen Freund:
ſchaft er gerechnet habe, habe ihn um eine Mine aufgeopfert.
Solche Betrachtungen laffen mid fürchten, es fey mit einem
ſchlechten Freunde, wie mit einem ſchlechten Sclaven. Die⸗
*) Nicias, der bekannte Feldherr im Peloponneſiſchen Kriege,
ſ. Thucydides ſechſtes und ſiebentes Buch, und Plutarch
in ſeinem Leben. Hierher gehoͤrt namentlich Xenoph. von
den Zoͤllen 4.
**) Das Talent ift gleich ſechzig Minen, und ungefähr zwei
taufend ſechshundert und fünf Gulden unferes Greldes, oder
ae tauſend vier hundert und ſieben und vierzig Saͤchſiſche
aler
488 Zenophon’d Erinnerungen an Socrates.
fer ift um jeden Preis feil und zu haben, fo möchte bei eis
nem fchlechten Freunde and, die Verfuchung zu groß feyn,
ald daß man ihn nicht fallen ließe, fobald man mehr *) bes
kommen kann, als er wertb ifl. Hingegen was Werth hat,
wird weder, wenn es ein Sclave ift, verkauft, noch wenn
ed ein Freund ift, im Stiche gelaffen. ,
6. Auch über die Eigenfchaften, anf die man bei ber
Wahl eines Freundes zu fehen babe, ſchien er mir nüsliche
Erinnerungen zu geben. Folgende Unterredung von ihm bes
zieht fich auf diefen Gegenfland: — Soecr. Höre, Erito:
bulus **), faus wir einen rechtfchaftenen Freund brauchten,
wie würden wir es anfangen? Müßten wir nicht vor
Allem einen Mann fuchen, der dem Gaumenkitzel, der Trink⸗
luſt, der Woltuft, dem Schlafe und der Bequemlichkeit zu
widerftehen vermöchte? Denn Wer in diefen Hinfichten nicht
fein eigener Herr ift, kann weder für fich noch für Andere
Etwas beforgen, wie ſich's gebührt. — Erit, Nein, Dieß
iſt nicht zu erwarten. — Socr. Du meinft alfo mit einem
Solchen fey Nichts zu machen. — Erit. Das meine id. —
Socr. Ja fcheint die nicht auch Derjenige ein widerwärtiger
Freund zu ſeyn, der großen Aufwand liebt, und ihn aus eis
genen Mitteln nicht beftreiten Kann, fondern immer Andere
*) Nach dem Terte müßte es heißen: wenn man nur ben groͤ⸗
Beren Theil feines Werthes erhalten Tann. Aber ber
ſchlechte Freund ift eigentlich Der, welcher Teinen Werth
hat, und wird hier verglichen mit einem Sclaven, ber
um jeden Preis feil iſt. Deswegen ift vorausgeſetzt,
Kenophon habe geſchrieben, ſobald nur Einem moͤglich
fey, mehr zu bekommen.
+) Critobulus f. zu 1, 3.
Zweites Bud). 489
in Anſpruch nehmen muß, und wenn er Etwas bekommt, es
nie wieder zurückgeben kann, im entgegengefesten Falle Dem,
der ihm Etwas abjchlägt, feind wird! — Erit. Allerdings. —
Sper. Yıd mit einem Soldyen wird alfo nicht viel anzus
fangen feyn? — Crit. Ich glaube nicht. — Gocr. Und
wenn Einer fi Geld zu machen weiß, aber auch deſſen nie
genug befommen ann, und deswegen zum Verkehr un:
tauglich ift, immer nur einnehmen, nie aber bezahlen will? —
Critob. Der fcheint mir noch fhlimmer zu feyn, ale der
Erſte. — Socr. .Und wenn Einer aud lauter Freude am
®e.ve ſich zu gar nichts Yinderen Zeit nimmt, ald wie er
nod) mehr gewinuen könne? — Critob. Auch mit Dein
iſt nichts zu machen, wie mir fcheint; denn er ift ganz un⸗
nüg für Den, der mit ihm umgeht. — Socr. Und wenn
Einer ein unruhiger Kopf ift, und feinen Freunden Nichts,
ale Feinde machen wiL 2? — Critob. Auch Den muß man
warrhıftig vermeiden. — Socr. Und wenn Einer and) von
Diefen Fehlern feinen an ſich hätte, aber ſich Gefäligkeiten
erweifen ließe, ohne auch nur daran zu denken, flefzu erwies
dern? — Critob. Auch mit Dem wäre Einem wenig ges
dient. Uber, Gocrates, was müßte denn Der_für Eigen⸗
fchaften haben, den wir zum Freunde wählen follten? —
Speer. Er müßte gerade umgekehrt über die finnlichen Bes
gierden Herr, ein Dann von Wort *), und zum Verkehr
4) Nach ber von Schneider und Herbſt wieber aufgenammenen
Bulgata: EVopxog. Ruhnken und nach ihnen Gepüg
fespitnisen SsUopyYog, was bezeichnen fol: wohlge
ittet.
Renophon. 48 Bbehn ˖ 7
490 Xenophon’d Erinnerungen an Socrates.
tauglich fenn und Ehrgefühl genug haben, um es in Ers
wiederung von Wohlthaten nie fehlen zu laffen; fo könnte
fein Umgang auch von Nutzen feyn. — Critob. Wie Fönnte
man nun darüber ſich vorher Gewißheit verfchaffen, ehe man
fid) mit ihm einfiße? — Socer Wenn wir einen DBilt-
haner prüfen, fo gehen wir nicht auf Das, was er fagt,
fondern wir müffen durch den Augenſchein ung überzeugen
gönnen, ob Einer früher fchon fehöne Arbeit geliefert habe,
um zu glanben, daß er auch andere Arbeiten gut ansführen
werde. — Eritob, Du meinft alfo, ed müffe Einer eben fo
fchon gegen feine früheren Freunde fidy gefallig erwie fen haben ;
dann laſſe ſich annehmen, daß er ed auch gegen die fpäteren
feyn werde? — Socr. So ift ed ja aud) mit der Behand⸗
Inng der Pferde: Wer mit den bigherigen gut umzuge⸗
hen wußte, der wird wohl aud) mit andern umzugehen
wiffen. — Critob. Ganz recht; aber wie muß man es
angreifen, Den fidy zum Freunde zu machen, den man eilts
mal feiner Freundſchaft würdig gefunden hat? — Soer.
Das Erfte ift, daß man auf die Andeutungen der Götter
ächte, ob fie zurathen, ihn fich zum Freunde zu machen, —
Eritob. Und wenn wir über Einen mit uns und den Göt⸗
fein im Reinen find, wie mug man auf ihn Jagd machen? —
Socr. Wahrlich, hier Hilft Schnelligkeit der. Füße nicht,
wie bei den Hafen, auch nicht Täuſchung, wie bei den Vö—
geln, oder Gewalt, wie bei den Feinden. Es hält fehr
fchwer, einen Freund wider feinen Willen zu erhafchen, und
noch fchwerer ihn in Banden zu halten, wie einen Sclaven;
damit würde man ihn eher zum Feinde als zum Freunde bekom⸗
men, — Erito b, Wie kann man ihn denn zum Freunde ma⸗
-
nn Zweites Bach. | 49:
hen? — Soer. Man fagt, ed gebe gewiſſe Zauberlieder, die,
Wer fie wife, nur herfingen dürfe, um, Wen er wolle, fid) zum
Freunde za machen; fo wie auch gewifle Baubermittel, die, Wer
fie wiffe, nur anwenden bütfe, um, Wen erTwolle, Liebe gegen
fi, einzuflößen. — Eritob, Und woher koͤnnten wir diefe
erfahren ? — Socr. Das Sauberlied, das die Sirenen
bem Ulyſſes vorſangen, iſt dir ans Homer bekannt. Es fängt
mit den Worten * an:
Komm, pretsvoller Obyſſens, erhabener Nuhm der Achaͤer!
Eritob. Sangen bie Sirenen mit dieſem Liede auch
andere Menſchen feſt, daß ſie nicht mehr von ihnen loskom⸗
men konnten? — Socr Rein; ed wurde nur Denen zu⸗
geſungen, die ſich auf ihre Tapferkeit Etwas zu Gute thaten. —
@ritob. Du wit wohl fagen, der Inhalt eines Zauber⸗
liedes müffe von dev Art ſeyn, daß Der, dem man es vor⸗
fings, nicht meinen Fönne, man Iobe ihn, um feiner zu ſpotten.
Denn fo würde man ſich eher verhaßt machen; und die Leute
von ſich abſtoßen, wenn man Jemand, ber ed weiß, daß er
Hein, ungeſtaltet und ſchwach ift, das Lob ber Schönheit,
Groͤße und Stärke beilegen wollte. Sind bir vielleicht noch
andere Banberlieder bekannt? — Socr. Nein; aber, ich
babe mir fagen laſſen, Perickes Habe deren viele gewußt, und
der Bürgerfchaft vorgeſungen. Sie eben haben ihm die Liebe
berfelben zu Wege gebracht, — Eritob. Wie brachte ſich
denn Themifkocles die Liebe der Bürger zu Wege? — Goer,
Wahrlich nicht durch, Vorfingen ; feine Verdienſte waren bie
Zaubermittel, deren er fic, bebiente, — Eritob, Ich glaube
2) Homer. Odyſſ. XII, 184, .
7
192 Xenophon’s GEriunerwagen an Socrates.
dich zu verfichen: Wer ſich einen tüchtigen Freund erweuben
wid, müfe ſelbſt tüchtig ſeyn, ſowohl im Meden ale im Hat
den — Socr. Sertefl denn du Dicher es fir möglich,
daß ein Nichtswürdiger ſich wadere Freunde erwerben könne?
Eritob. Ich ſah wenigftend, daß ſchlechte Redekünſtler wit
großen Volksrednern auf dem beſten Fuße Tlanden, und Zente
ohne alles Feldherrntalent Die tägliche Ghefeifchaft ausgezeich⸗
neter Seldherren waren. — Socr. Haſt du aber unch, denu
davon ift hier die Rebe, haft du auch Leute gekannt, weldye
ohne Verdionft zu beſitzen, Leute von Derdienft fich zu Aremms«
den gewannen? — Eritob. Wein, gewiß nicht. Wenn es
aber unmöglich ift, daß ein Nichtswürdiger edle und recht⸗
ſchaffene Freunde ſich erwerbe, fo fage mir nun auch: brautht
es fonft Nichts, als daß man ſelbſt edel nnd rechtſchaffen ſey,
um ohne Weiteres mit den Eden und ‚Rechifchaffenen in
Sreundfchaft zu ſtehen? — Soer. Ich weiß fchon, Tweran
du dich ſtoͤßeſt: nicht zwahr, du ſtehſt, daß oft Maͤnner ven
rechtſchaffenem und unbeſcholtenem Wandel, ſtatt Freunde gr
ſeyn, in Uneinigkeit leben, und einander noch unausehlichen
find, als Leute ohne allen Werth? — Critob. In; usb
nicht nur bei Privasperfonen ift Dieb der Fall; ſogar gauge
Staaten, welche die größte Achtung vor der Tugend und
den flärkften Abſcheu vor dem Unedeln begen, nehmen ft
eine feindfelige Stelfung gegen einander an. Und diefe Dex
trachtung nimmt mir allen Muth, ob es je möglich ſey⸗
Freunde ſich zu erwerben. Wuf der Einen Seite ſehe ich,
daß Nichtswürdige unmöglich untereinander Freunde ſehyn
können; denn wie könnten undankbare, felbftfüchtige, habfüch⸗
tige, treufofe oder fchweigerifche Menſchen Freunde werden 2
Zweites Bd, 495
- Ya, ich bin feſt davon Aberzengt, daß die Nichtswurdigen
cher zur Feindſchaft, als zur Freunbdſchaft untereinander ges
ſchaffen ſind. Eben ſo wenig aber, wie du richtig bemerkt
haft, moͤchten die Schlechten mit den Rechtſchaffenen zur
FJreundſchaft zufammen taugen. Denn wie könnten Diejeni-
gen , Die ſchlecht handeln, Freunde Derer werden, die Dieß
verabfihenen? Wenn nun vollends auf der andern Geite
auch Hin Verehrer der Tugend ſich ontzweien Aber den Ein-⸗
ah, den fie im Staate Haben, und ans Mißgunſt einander
verfolgen, wo bleiben dann die Leute, die Freunde werden,
nnd Treue und Redlichten Aden ſollen? — Socr. Es iſt
wahr, es findet: im dieſer Hinſſcht keine genaue Sonderung
ſtatt. Die Natur leitet den Menſchen eben ſowohl zur Feinb⸗
ſchaft als zur Freundſchaft hin. Sie leitet ihn zur Freund:
fchaft. x’ berm Einer bedarf des‘ Andern, Einer fühlt: mit
dem Andern Mitleid, fle werden durch gegenfeitige Unters
fitgıma: in der Arbeit einatider nützlich, und um deßwillen
einander zu Daunk: verpflichtet. Sie leitet ihn zur Feindſchaft:
denn entweder finden Mehrere einerlei Dinge ſchön and an⸗
genehm, ſo ſtreiten ſie ſich um dieſe; oder fie find verſchie⸗
dener Meinung, fo entſtehen darüber Zwiſtigkeiten. Zur
Keindichaft führt ferner Streit und Zorn. Auch iſt es etwas
Uebelwellendes um den Eigennub, etwas Gehäffiged um die
Mißguuſt. Dennoch findet die Freundſchaft durch ae dieſe
Schwierigkeiten hinbürch den Weg, und knüpft zwifchen Edeln
und Rechtfchaffenen ihre Bande, Denn wegen ihrer innern
*) ivev nOVE. Nach Heindorfs treffiisger Conjectur, die
Schneider in feiner neneften Aufgabe in den Text aufges
494 Xenophon's Erianerungen an Socrates.
Zrefflichkeit wollen Diefe lieber ohne Harm *) nur Weniges
beſitzen, ald durch Krieg ſich Alles unterwerfen. Müſſen fie
dann auch hungern und durften, Speife und Trank bekommt
ihnen immerhin gut, und, werben fle auch von den Meigen
der Schönheit ergrifien, fo willen fie ſich zu mäßigen, um
nicht durch Zudringlichkeit da, wo es fich nicht ziemt, bes
fhwerlich zu werden *). Aus demfelben Grunde haben fie
nicht nur nicht nöthig, zu unrechtmäßigem Gewinn ihre Sun
flucht zu nehmen, um felbft leben au Lünnen, fondern fie uhr
fogar im Stande, mit dem Ihrigen noch einander auszuhelfen;
find fie ferner im Stande, Streitigkeiten nicht nur ohne Bes
"einträchtigungen, fondern auch zu gegenfeitisem Vortheile
beizulegen, und dem Zorne Schranten zu fegen, fo daß. er
nicht mit Reue endiges verbannen fie endlich die Mißgunft
gaͤnzlich, indem fie, was fie felbft Gutes haben, den Freun⸗
den zu eigen hingeben, und hinwiederum was Diefe haben,
als ihr Eigenthum betrachten. Wie follten daher die Edlen
und Nechtfchaffenen nicht auch den Einfluß im Stante mit
einander theifen, wie lieber einander fdyaben, als nüben
nommen, waͤre zu leſen avev toA&us. „Ohne Krieg.“
Schuͤtz und Herbft beharren auf ber Vulgata. Wir bes
merten zu Gunſten ber Heindorf'ſchen Verbeſſerung, daß
in den Handſchriften des Dionys von Halitarnaß gerade ſo
noA&umv zweimal (UI, ı2 und 28) mit novov verwech⸗
ſelt ſcheint. Anm. eines Dritten.
*) Es ſey erlaubt zu bemerken, daß in Hottinsgers Ueber⸗
ſetzung (Zuͤrich, Orell, Fuͤßli u. Comp. 1819), von hier
an bis zum Schluſſe des Sapitels durch eine wirklich ums
ne Nachlaͤſſigkeit Alles — 6 Herevſeiten)
ehlt.
zweites Bud. 499
wollen? Wer freilich darum nad Ehrenftellen und obrig-
keitlichen Würden ſtrebt, um Gelegenheit zu befommen, Gel:
der zu unterfchlagen, Seenfihen zu unterdrüden, und fich
wohl feyn zu laſſen, das wäre ein ungerechter und nichke-
würdiger Menfch und der kann mit Niemand zufammentaugen;
ſucht aber. Einer im Staat in der Abficht fid zu erheben,
am für ſich gegen Ungerechtigfeiten gefichert zu feyn, und
feinen Freunden in erlaubten Fällen Beiftand leiſten zu kön⸗
zen, und läßt er ſich's, wenn er an das Ruder gelangt iſt,
- angelegen feyn, ſich um fein Vaterland verdient zu machen:
warum folite ein Solcher mit einem Andern feines Gleichen
nicht zufammen taugen? Soll er denn in Verbindung mit
edeln und rechtlichen Männern weniger feinen Freunden die⸗
nen .oder dem Staate nüslich feyn können? Auch bei den
gymniſchen Weltkänpfen würden offenbar die beften Kämpfer,
wenn fie vereint gegen die fchlechteren auftreten dürften, in
allen Kämpfen fiegen und alle Preife davon fragen. Nur
ift Diefes dort nicht erlaubt. In den politifchen Wettkämpfen
Hingegen, wo die Edeln und Nechtfchaffenen die beften Kaͤm⸗
fer find, bleibt es Jedem unbenommen, zur Beförderung des
allgemeinen Beſten ſich au vereinigen, mit Wen er will.
Wie könnte ed alfo anders als vortheilhaft feyn, wenn man
an der Spike des Staates fteht, fidy die Beften zu Freunden
zu machen, und an ihnen eher Genoffen und Gehülfen, als
Gegner zu haben? Ja auch, wenn Einer Krieg führt, be-
darf er Bundesgenoffen, und deſto mehrere, wenn er es mit
ebein und waceren Gegnern zu thun hat. Run muß er aber
Diejenigen, welche fi ihm zum Beiſtand erbieten, durch
Bergünftigungen an fich zu Betten ſuchen. Da ift nun doch
46 Xenophon's Erinnerungen an Socrates.
diefer Zweck bei den Bellen als ber kleineren Zahl weit
teichter zu erreichen, ald bei dein Arpfien Haufen der Schlech⸗
teren, bei denen man mit derfelben Anzahl von Vergänftigenr-
aen bei weiten nicht zurecht kommen würde, Faffe daher
Muth, Critobulus; bemühe dich ein rechtfchaffener Mann zu
werden, und je mehr du es wirft, deſto zuverfichtlicher fuche
die Edeln und Guten zu fangen. Bielleicht Bann auch ich
dir dabei an die Hand gehen; denn ich verftehe mich anf’Xiebe,
und wenn ich ein Auge auf Jemand werfe, fo gehe ich mit
Zeib und Seele daran, für meine Liebe Gegenliebe, für meine
Sehnfucht wieder Sehnfucht, Für mein Verlangen nad, fet-
nem Umgang auch wieder Verlangen nad, dem meinigen zu
erweden. Und Das wird es auch bei bir brauchen, wenn
du mit Jemand Freundfchaft fchließen willſt. Mache daher
vor mir fein Geheimniß daraus, wenn du ein Anliegen der
Art haft; weil ich mich beffrebe, Denen zu gefallen, die mir
defalfen, glaube ich in der Menfchenjagd nicht ganz umer:
fahren zu feyn. — Critob. Gerade Diefes ift die Kunſt,
nad) der ich fchon Tängfk ftrede, zumal wenn ihr Beflg gegen
Männer von geiffigen Vorzügen und genen ſchöne Geſtalten
zugleich mir Gtüd gäbe. — Socr. Nur Das, Eritobulug,
darfſt du in meiner Kunft nicht fuchen, daß fle die Schönen
gegen Griffe mit den Händen geduldig made. Auch vor der
Scylla *) fliehen die Leute gewiß aus keinem andern Grunde,
*) Scylla, das belanute Meerungeheuer, das in einem Fel⸗
fen in Unteritalien, an der Gicilifhen Meerenge, dem
Strudel Eharybdis gegenüber, feinen Sig hatte. und den
en fehr gefaͤhrlich war, Vgl. Kom. of. Au,
79 1I*
Zweites Buch. 494
ats-weil fie mit ben Haͤnden nach ihmen greift, während ben
Sirenen der Sage nach Alles Stand hielt und ‚ganz begau⸗
dert zubörte, weit fie NRiemand mit den Händen nahe kamen,
fordern Allen von der Ferne zufangen. — Eritob. Lehre
mich nur, was du von Mitteln weißt, am ſich Areunde zu
erwerben. Du davfft did, darauf verfaffen, ich bringe. feine
Hatd an fa — GSoer Auch nicht Mund an Mund? —
&ritob. ey außer Sorgen; an Mund an Mund: werde
ih Keinen berüßren, außer er wäre etwa ſchoͤn. —
Socr. Auf einmal ſagſt du da wieder Etwas, Eritobulus,
was nicht taugt. Denn eben- die Schonen lafſſen ſich ſolche
Freiheiten nicht gefallen; die Häüßlichen dagegen: fühlen ſich
ſogar dadurch ſgeſchnieichelt, und meinen, was man ſchön
uenne, ſey ihr Geiſt. — Critob. So haft bu denn moin
Wort, daß ich die Schönen nur-füffen, die Guten Dagegen
verkäffen werde; dafür lehre mich jetßt bie Kunſt auf Freunde
Zagd zu machen. — Socr. Wenn du alfo Eines Frennud
werden wilft, darf ich did bei ihm anſchuldigen, du
achteſt ihn und wünſcheſt fein Freund zu werden ?— Eritob.
Mur angefchuldigt! ich weiß Niemand, der Einen bafür haßte,
wenn man ihn Tobt. — Goer Und wenn ich noch die Ber -
ſchuldigung hinzufüge, du feyeft auch wohlwollend gegen ihn
gefinnt, weit du ihm achteſt, wirft du fürchten, durd) mich)
bei ihm angefchwärzs zu werden? — Critob. Im Ges
gentheil, ich fühle ſelbſt Wohlwollen gegen Diejenigen, bei
denen ich Wohlwollen gegen mich vorausſetzen darf. — Socr.
Alſo Dieſes darf ich ſagen zu Denen, welche du zu Freunden
gewinnen willſt? Erlaubſt du mir noch weiter von dir zu
fagen, daß du fehr beforge für deine Freunde ſeyeſt, am Nichts
498 RXenophon's Erinnerungen an Socrates.
eine größere Freude babeft, als an guten Yreunden, über die
rühmfichen Handlungen deiner Freunde nicht minder Vergnü⸗
gen empfindeft, als über deine eigenen, über ihr Glück fo
gut, wie über tag deinige dich freueft, und für daſſelbe thäs
tig zu fenn nicht müde werdeft, und daß buferfannt habeſt,
die Tugend des Mannes beftehe darin, die Yreunde im
Wohlthun, die Feinde im Schadenthun zu übertreffen —
erlaubft du mir Dieß noch zu fagen, fo kannſt du keinen befe
feren Genoffen für ‚die Jagd auf gute Freunde finden, ale
ich dir einen abgebe. — Critob. Was brauchſt du denn mir
noch davon zu fagen? Steht e3 denn nicht bei Dir, von mir
zu fagen, was du nur willſt? — Socr, Nein, wahrhaftig
sicht, nach Dem, was mir einft Afpafia *) ſagte. Sie meinte,
gute Yreiwerberinnen taugen portrefflich dazu, Ehen zu flifs
ten, wenn fie. bei ihren Anpreifungen der Wahrheit getreu
bleiben ; fobald fie aber Lügen, ftiften fie mie ihrem Lobe zur
Schaden. Die Zolge fen Leine andere, als daß die Betroge⸗
sen einander gegenfeitig feind werden, und ber Stifterin
Alpafia, von Milet, nicht ſowohl die Lehrerin als die Ge⸗
liebte des Pericles, die aber auf das politiſche Benehmen
dieſes Staatsmannes Einfluß zu uͤben wußte. Vielleicht,
daß Pericles ſeinen Umgang mit ihr durch das Vorgeben
zu beſchoͤnigen ſuchte, es ſey nicht der ſinnliche Genuß,
ſondern die geiſtreiche belehrende Unterhaltung, was er bei
ihr ſuche. Dieß gab dann dem Socrates Weranlaſſung,
zuweilen im Scherze ſich auf fie, als auf eine bedeutende
Auctoritär zu berufen, wo das Einleuchtende feiner Be:
hauptungen weiter keine Beſtaͤtigung erfordert hätte,
Plato's Menexenus ©. 2355. E, Der Erfte, dee hierauf aufs
mertfam machte, ift Weiske. ;
Zweite& Bud. . 499
ihrer Ehe noch dazu. Diele Ueberzengung theife ich mit ihr,
und glaube Nichts zu deinem Lobe fagen zu dürfen, was
wicht der Wahrheit ganz gemäß wäre. — Critob. Ei, da
bit du mir ein fchöner Freund, Gocrates! du willſt mir
heifen, wenn ich feibfi die nöthigen Eigenfchaften dazu beffbe;
mir Freunde zu erwerben; ohne Diefes wäre es dir zu viel,
zu: meinem Beften Etwas Hinzu zu dichten. — Socr. Wie
meint da denn, daß ich dir mehr nüsen Könnte? wenn ich
Die falſche Vorzüge ‚andichtete, oder wenn ich Dich bemege,
dich wirklicher Vorzüge zu befleigigen ? Oder wenn es dir fo
och. nicht deutlich ift, fo betrachte: die Sache auf folgende
Weite: Wenn ich dir das falfche Lob eines guten Steuer=
mann. ertheilte, um dir die Freundſchaft eines Schiffsherrn
zu Wege zu bringen, und Diefer auf meine Enpfehtung Sin die
das Steuerruder des Schiffes anvertraute, ohne daß vu dich
darauf verſtaͤndeſt, kaunſt du hoffen, daß du dich nicht fammt dem
Schiffe dem Verderben in die Hände Tiefern würdeſt? Dover
‚wein ich. den ganzen Staat mit Zügen dazu brachte, dir als
einem Meifter in der Feldherrufunft, Rechtspflege und Staates
klugheit ſich anzuvettrauen, wie meinft du, daß es dir umd
dem Staate unter deiner Zeitung gehen würde 2 Oder wenn
ich einen. einzelnen Bürger dazu brächfe, dir als einem der:
fländigen und forgfamen Haushälter das Geinige zu überge⸗
ben, was würdeft du bei einer Probe gewinnen ? Würdeft du
nicht Beides, Schaden ſtiften und dich Tächerkich machen ? Ja,
Eritobul, der kürzeſte, ſicherſte und ſchönſte Weg“ iſt, daß man
die Vorzuge fich zit verſchaffen bemüht ſey, die mati in ben
Augen Anderer haben will. Betrachte alle Tugenden, die
unter Menfchen genannt werden,. und du wirft finden, daß
1
500 Zenophon’d Seinnerungen an Socrates.
Urterricht und Hebung zu: ihrem Gedrihee unentbehrtich fiat;
Meine Meinang ift alfo, daß wir es fo *) anzugreifen haben
bei unferer Jagd; bift du anberer Meinung, fo belchre mich
eines Beſſeren. — Eritob, Nein, Socrates, id) würde mid
kämen, Etwas dagegen zu fagen; benn ich kdunte es weder
mit Ehren, nody mit Grund der Wahrheit thun.“
7. Und nun davon, wie er ſeinen Freunden and Veile⸗
genheiten zu helfen fuchte: Beſtand die Berlegenheit an Rath⸗
Iofigfeit, fo war er: mit verfländigem Rathe zur Hanbis
beſtand fie in Mittellofigkeit, fo forgte er dafür:durd bie
Borfchrift, einander nad, Vermögen zu unterſtützen. Auch
über dieſen Punkt will ich herſetzen, was ich von ihm weiß.
Er bemerkte einſt, dab. Ariſtarchus **) finſter ausſah. u
Socr. „Du mußt Etwas auf dom Herzen haben, Ariſtarch.
Du ſollteſt deinen Freunden davon zu tragen geben; deine
vieleicht Fönnten audy. wir dir einige Erleichtorung ver⸗
ſchaffen. — Ariſt. Dir haft Necht, Socrates, :id; bin nr
großer Derlegenheit. Da wegen ber Unruhen ’**) in der
Stadt eine Menge Leute ſich in den Piraͤus flüchtete, fo ſind
nun bei mir fo viele zurächgelaffene Schweſtern und Bafen
H mit Erneftt, Schneider und Hervſt 8Tog oluor deiv
' Imoav, oder mit Ss 6. d. nuag Tavem Imeaden;
ftatt der Vulgata TaVrac.
+, Ariſtarch ſcheint fonft nicht befannt zu fehn.
++) Diefe Unruhen entſtanden nach der Einnahme Athens bar
Lyſander und Einführung. ber Dligarchie der dreißig Ty⸗
vannen. Dad Haupt der Gegenrevolution, die vornehmlich
von ben Verbannten ausging, War Tyraſvouins. S. Ee⸗
nophon's Griech. Geſch. II, 4.
Be ch 50
beiſammen, daß bie Zahl mir ber Sreigebornen in meinem
Hauſe bis zu vierzehn geſtiegen ift. Bekommen koönnen wir zon
feiner Seite Etwas; von Grundſtücken Nichts 5 denn die find
in der Hand des Feindes; von deu Häufern Nichts; dem bie
Stadt iſt gang tobt; Hausgeraͤthe finden Feinen Känfer, nnd _
Getd borgen .geht chen fo wenig. Ich glaube, man könnte
eher auf ner Straße welches finden, wenn man ſuchte, als .
daß man durch Borgen befüme. So ift es hart, Sucrates,
fehen zu müſſen, wie die Seinigen verfchmachten; und der
iſt es unmöglich, munter ſolchen Umſtaͤnden fo viele, Menichen
zu ernähren. — Soer. Über wie geht es denn zu, daß Ges
ramon *) trat der Menge Menichen, die er zu ernähren bat,
nicht nur feine und der Seinigen Bedürfniffe befriedigen
aan, ſondern noch fo viel übrig behält, daß er fogar reich
heifien kann, wenn doch dir wegen ber Menge, bie du zu ers
hatten Haft, in Roth bift, ihr möchtet aus Mangel Alle mike
einander zu Grunde gehen? — Ariſt. Dieß iſt wahrhaftig
gut wiffen: er hat Sclaven zu unterhalten und ich Freige⸗
borne. — Socx. Ran, und anf Wen haͤltſt du mehr? Auf
die Freigebornen bei bir oder auf die Schaven:bei Cera⸗
man? — Ariſt. Auf Wen werde sc, mehr halten? auf die
Aveigebornen bei mr: — Secr Iſl's nun nicht eind Schaude,
wenn er durch die Schlechteren reich wird, und du bei weit
vorzüglicheven Hausgenoſſen in Werlegenheit gerät? —
Ariſt. Aber was er zu ernähren hıt, find Handwerker, bei
mir find es lauter Leite von guter Erziehung. — Sto er. Sind
Haudwerker nicht Leute, Die etwas Rützliches zu verfertizen
+, Iſt fonft nicht vetannt.
502 Zenophon’s Erinnerungen an Socrates.
verfichen? — Arift. Ganz wohl. — Socr. Iſt nun nicht
Mehl etwas Nüslihes ? — Arifl. D ja. — Socr. Um
Brod? — Arift. Nicht minder. — Socr, Ferner, für beie
derlei Geſchlecht Röde, Unterkleider, Mäntel, Leibröde? —
Hrift. Ohne Anſtand ebenfalls Tauter nüsliche Arbeiten. —
Socr. Und die Leute in deinem Hanfe verftehen von dem
Allem Nichts zu verferfigen? — Arift. D wohl alles Dies
fes. — Socr. Iſt dir ferner nicht bekannt, daß Nanfiehs
des *) nur von Einem diefer Erwerbszweige, von der Mehls
bereitung, nicht nur ſich und feine Sclaven erhält, fondern
auch noch dazu Schweine und Stiere in Menge, und noch fo
viel dabei erübrigt, um je und je fogar für den Staat auſſer⸗
ordentlicher Weife damit einzutreten? *) daß Ciribus mit
der Bäckerei fein ganzes Hans burchbringt, und noch aut das
bei lebt? ebenfo Demeas von Kolyttos***) durch Mantelmas
hen, Meno durch Rockmachen, und der größte Theil der Mes
aarenfer durch Leibrockmachen fic, fortbringen? — Arift. Ich
glaube 28; Die Eaufen ſich Barbaren; die ann man anhalten
zu verfertigen, Was man will; es fteht Nichts im Wege; ich
dagegen habe Freigeborne und Verwandte zu Haufe. —
Socr. So meinft du, weil fle Freigeborne feyen und Ver:
wandte von dir, viren fie nichts Anderes thun, als eſſen
*) Nauſicydes, nach Ariſtophanes Wahlverfammt, 424. ein
Mehlhaͤndler.
+) \EITBOYEIV, b. i. Koſten fuͤr gewiſſe Volksfeſte beſtreiten,
was den angeſehenern und vermoͤglichern Bürgern der Reihe
nach oblag, wie 3. B. den Aedilen zu Nom.
++) Kolyttos, ein Attifher Demos im Aegeiſchen Stamme,
Zweites Buch, 508
und fchlafen ? Findeſt du es auch fonft fo bei den Freigebor⸗
nen, daß Diejenigen, welche auf die angegebene Weife leben,
ſich glücklicher fühlen und dir glücklicher erfcheinen, oder Die,
weiche auf irgend eine nüpliche Beichäftigung, die fle verftes
hen, ihren Fleiß verwenden ? Oder hörft du, daß Unthätigs
feit und Sleichgültigkeit den Menfchen förderlich wären, die
nöthigen Kenntniffe, die leibliche Gefundheit und die Bedürf⸗
niffe des Lebens fich zu erwerben und zu fihern, Thaͤtigkeit
Dagegen und Eifer durchaus unnütz? Und für was lernten
denn deine Hausgenoſſen die Gefchäfte, wovon du ihnen
Kenntniß beilegſt? Hofften fie Leinen Nuben für das Leben
davon, und wollten fle nie Gebrauch Davon machen, oder hat-
ten fie im Gegentheile die Abficht dabei, fich damit abzugeben,
und Die Hoffnung, Vortheile davon zu ziehen? Was erhält
denn die Menfchen mehr in der Ordnung? Nichts thun oder.
ein auf etwas Nübliches gerichteter Fleiß? Was erwedt in
ihnen mehr den Sinn für Gerechkigkeit? wenn fie arbeiten,
oder wenn fie ohne Arbeit über den täglichen Unterhalt fid) bes
rathen ? Fa, jebt, das bin id) überzeugt, haft du fo wenig Freude
an ihren, als fie an dir: du denkſt an die Unkoſten, in die
fie dich bringenz; Sie müſſen das verdrießlicdye Geſicht anfehen,
dad du wegen ihrer machfl. . Dieß laͤßt fürchten, der Miß-
muth Eönnte fleigen, und des Dankes für die frühere Wohls
that immer weniger werden. Wirft du dagegen darauf hals
ten, *) daß fie ein Gefchäft treiben , fo wirft du an ihnen
Sreude bekommen, weil fie dir nüblich werden, und fie wers
den mit dir zufrieden werden, wenn fie fehen, daß du an
*) nposarrjong mit Reidte, Schneider, Schuͤt und Lervſt.
504 Zenophon’s Erinnerungen an Socrates.
ihnen Wohlgefallen findefl. Ihr werdet der früheren Wohle
shaten mit mehr Dergnügen gedenken, und diefe Erinnerung
wird den Dan? dafür erhöhen, und ein freumdlicheres, trau⸗
licheres Derhältniß zwifchen euch begründen. Müsten fe
freitich auf ein fchändliches Gewerbe fidh Segen, fo wäre der
Tod noch vorzuziehen; allein fie verfichen fid ja anf ganz
edfe Befchäftigungen,, die bem weiblichen Geſchlechte vorzüg⸗
. Kid) wohl *) anftehben, und Das, worauf ſich Femand vers
ſteht, ift ja allgemein der leichteſte, fehneltfte, glücklichſte und
angenehmfte Weg, fih Etwas zu erwerben. Beflnne did, Des
her nicht länger , ihnen einen Vorſchlag zu machen, der fir
dich und für fie gleich Heikfam iſt; fle werden ihn. gewiß gern
annehmen. — Arift. In der That, Socrates, dein Rath ger
faͤllt mir aufferordentlih. Bisher nahm ic, Anſtand zu bor⸗
gen, weil ic) meine Unfähigkeit vorausſah, das Geborgte,
wenn es einmal aufgegangen wäre, zuräd zu bezahlen; jest
aber getraue ich mir Geld aufzunehmen, um damit ein Ges
fehäft treiben zu Eönnen.” Jetzt wurde Geld herbeigeſchafft,
und Wolle gekauft; die Frauen arbeiteten fort, während fie
das Mittagsmahl einnahmen; fie hatten gearbeitet, wenn fie
zu Nacht (peisten. Sie waren heiter fast finfters ſtatt ſcheel
auf einander zu fehen, fahen fie einander freundlich in’d Ges
fiht. Sie liebten den Ariſtarch ats ihren Pflegevater, er fle
als nüäsliche Arbeiterinnen. Zuletzt kam er wieder zu ©0s
*) Schuͤtz irrt, wenn er noenwdssara anftatt IoENO-
Ötseg@ für eine bloße Eonjectue Meisters Hält. Schnei⸗
der hat es aus brei Parifer Handſchriften und einer des
Victorius aufgenommen, >
Zweites Buch. 505 |
crates und "beriihtete ihm mit Frenden Diefes alles, und daß ie
ifm den Vorwurf machen, er fen das einzige Glied des Hau⸗
ſes, welches eſſe, ohne zu arbeiten. Gocrates fragte ihn:
Und du erzählt ihnen dann nicht die Zabel vom Hunde?
„Dur Zeit, Da die Thiere noch fprechen konnten, fagte das
Schaf zu feinem Herrn: Es iſt doch fonderbar von bir, wir
oben die Wolle, Lämmer und Butter, und du gibft uns
Nichts, was wir nicht vom Boden wegnehmen; der Hund gibt
Der Nichts der Art, und vu theilſt mit ihm dein eigenes
Brod. Der Hund Hafte Die gehört: in der That Tem
Munder, fagte ers ich bin es fa, der euch felbft befchüst, daß
ihr weder von Menfchen geſtohlen, och von Wölfen zerriflen
werdet; ihr für euch könntet vor lauter Furcht mit einmal
auf die Waide gehen, wenn ich euch nicht hütete. Auf Die
ſes Hin ergaben ſich nun auch die Schafe darein, daß ber
Hund ihnen vorgezogen wurde. So fage du ihnen auch, du
ſeheſt fkatt des Hundes ihr Hüter und Beſchuͤtzer; dir haben
fie es zu danken, daß fle gegen jede Kränkung gefichert, in
Ruhe und Zufriedenheit bei ihrer Arbeit leben können.“
8 Ein anderer alter Freund war ihm nad) langer Zeit
zum erftenmale wieder zu Geſichte gekommen. Gocr. We
kommſt denn Du ber, Eutherus? ) — Euth. Hm das Ende
des Krieges **) kam ich ans der Fremde; gegenwärtig jedoch
*3) Entherus, fonft nicht bekannt.
*) Sehneider uud Hinbenburg denten bier nad Simſon an
ben erſten Friedensſchluß mac ben erſten zehn Jahren bes
Peloponnefifmen Krieges; richtiger worl Neuere an dem
Srieden des Theramenes, ber dem Peloponneſiſchen Kriege -
en Ende maste,
Kenoppon, Ad Bgm, 8
Mm6 Zenophon’s Erinmerungen an Socrates.
bin ich hier. Um die auswärtigen Beflgungen find wir gekom⸗
men, und in Attika hat mir mein Vater Nichts hinterlaſſen;
darum bin ich jebk in die Nothwendigkeit verſetzt, "Hier mit
meiner Hände Arbeit mein Brod zu verdienen. Es will mir
fo beffer gefallen, ald mich an Jemand zu wenden, zumal. da
ich Nichts habe, worauf ich borgen könnte — Socr. Und
wie lange meinft du, daß du die Kraft haben werdeft, mit
Lohnarbeit dein Brod zu vesdinen? — Euth. In Wahr
heit, nicht Tange. — Socr. Nun aber wirft bu in jedem
Halte, wenn du Alter wire, natürlich immer noch Geld brau«
chen, und doch wird dir Niemand für deiner Hände Arbeit
Etwas bezahlen wollen. — Euth. Du haft ganz Recht. —
Soer. Würdeft du nun nicht beffer daran thun, gleich von
Anfang an dir eine Befchäftigung zu wählen, bei der du auch
im Alter berathen wäreft, und zu einem begüterten Manne,
der einen Gehülfen zu Werwaltung feines Vermögens
brauchte, hinzugeben, die Aufſicht ‚über feine Arbeiter zu
übernehmen, ihm feine Früchte einfammeln, fein Vermögen
erhalten zu helfen, und für die Dienfte, die tu ihm leifteteft,
dir Gegendienſte leiſten zu laſſen? — Euth. Einen Mann,
wie ich, Socrates, würde es fauer anfommen, fi zur Sclas
verei zu verſtehen. — Socr. Gibt ed doch auch in des
Staaten Yuffeher und Verwalter des öffentlichen Gutes, und
man häft fie darum nidyt für felavifcher, im Gegentheil nur
für defto edler und vornefmer. — Euth. Ich Habe überhaupt
Peine Luft, Socrates, Einem Rede und Antwort ſchuldig zu
feon. — Soer. Da wirft du aber Mühe haben, Eutherus,
ein Geſchäft zu finden, bei dem man fich nicht auf Zadel ges
faßt halten muß. Es ift ſchon ſchwer, bei. Etwas keinen Feh⸗
Zweites ‚Buch. 507
fer zu”machen, und wenn man auch Beinen Fehler gemacht
bat, fo jſt· es ſchwer, einer unbilligen Beurtheilung zu entges
ben. Es wäre fogar ein Wunder, wenn es dir gelänge, bei
deinem gegenwärtigen Geſchäfte ohne Tadel davon zu kom⸗
men. Du mußt daher eben tadelfücdhtige Beurtheiler meiden,
amd billige auffuchen, und Bein Gefchäft übernehmen, das über
deine Kräfte ginge; was du aber einmal übernommen haft,
anf. das beine - ganze Kraft und allen deinen Eifer verwenden.
So wirft dur fo viel möglich allem Tadel entgehen, am beften
in Derlegenbeiten dir zu Heffen willen, das bequemſte und
forgenfreiefte Zeben führen, und bis in’ Alter dein ſicheres
Auskommen finden.“
9. Einf klagte ihm Erits *), es fey doch um das Le⸗
Den in Athen elwas Werdrießliches für einen Mann, der für
-fich feinen Gefchäften leben wolle. ‚Gegenwärtig‘ fehte er
hinzu, „werfen mir gewifle Leute Prozeffe an den Hals, nicht:
weis fie von mir zw leiden haben, fondern fie denken, ich
werbe lieber Geld bezahlen, als mid, in Weitläufigkeiten eins
laſſen. — So er. Höre, Erito, nicht wahr, Hunde häfsft du,
daß fie dir Die Wölfe von den Schafen abhalten? — Erit. Al⸗
lerdings, denn es bringt mir mehr Vortheil, fie zu halten,
als nicht. — Socr. Und du willft keinen Mann halten, der.
geneigt und im Stande wäre, did) gegen boshafte Angriffe
zu verwahren? — Erit. Sehr gerne hielte ich Einen; aber
ich fürchte, er Eönnte fi gegen mic felbfl wenden. —
Socr. Wie? fiehft du nicht, daß es weit angenehmer iff,
*) Derſelbe Erito , deſſen Namen ein Platonifcher Dialog
führt. Vergl. I, 2. Ente. g»
508 Zenophon's Erinnerungen an Socrates.
gegen einen Maun, wie bu bift, gefäftig zu ſeyn, als ſich ihn
zum Feinde zu machen, wenn man Wortheil von ihm ziehen
will? Sey verfihert, es gibt hier ſolche Männer, die ſichs
gar fehe zur Ehre vechnen würden, dich zum Freunde zu has
den.’ Sie fanden fofort den Archedem, *) einen gewandten
Redner und Geſchäftömann, der aber in Dürftigbeit lekte.
Damm er gehörte nicht unter Diejenigen, denen es gleich gilt;
anf weiche Weife fie zu Gelde kommen, fondern als ein
Freund der Beſſeren, und als ein Mann von Tatent ſuchte
er es den Sycophanten abzunehmen. **) Diefen gab nun
Crito jedesmal feinen Theil, fo oft er Getreide, Oehl, Bein,
Wolle oder fonft ein für das Leben nützliches Grzeugniß des
Landes einthat; zog ihn zum Mable, fo oft er opfeste, und
erwies ihm alle Freundſchaft Der Art. Auchedem fah in
@ritos Haufe fi) eine Zuflucht eröffzet, und gab fich für ihm
ale Mühe. Es währte nicht Iange, fo hatte er von ben
Sycophanten, von weichen Eritv zn leiden hatte, eine Menge
Vergehungen und viele Feinde ausfindig gemacht, und erhob ges
gem Einen Derſelben eine Staatsklage, in Folge weicher eine Lei⸗
bes⸗ oder Geldfirafe ihm hätte angeſetzt werden müſſen.
Diefer Hatte in mandyer Hinſicht ein böfes Gewiffen, umb
*) Archedem, wohl verfhteben von Archebem, dem Triefkugis
gen, ber Hei Ouſias gegen Atcib. 5. 25. und bei Ariſtoph.
Trbſche 595. u. 419., und Kenoph. rien. Bein, 1, y.
erwähnt, unb als ein mächtiger Demagog und Wollüftling
aefwidert wird, obwohl Schneider und Herbft ihn für
Denfelsen Halren,
“r) Nach ber Sreldrung von Eichneiken, ber auch Schutz u
Hervoſt Beigetreten, - ’ "
’
N
Zweites Bad. Sog
wandte Alles an, um nen Archedem los zukommen. Uber Ars
chedem ließ nicht nad), bis Derſelbe feine Klage gegen Crito
zurücknahm, und ihm ſelbſt Geld bezahlte. Nach diefem und
einigen aͤhnlichen Prozeflen, die Archedem ebenfalls mit Gtüd
beendigt haste, ging es gerate, wie wenn ein Hirte einen
guten Hund bat, und dann auch die andern Hirten in fa:
ner Nähe mit ihven Heerden Kalt machen, um von feinem
Sunde Genuß zu haben. Eine Menge Yreunde wandte fi
an Erito mit der Bitte, auch ihnen den Archedem als Waͤch⸗
ber zu überlaffen. Archedem that Dieb dem Erito gerne zu
Gefallen, und fo Katte nicht nur Diefer allein Ruhe, fondern
auch feine Freunde. Wenn dann dem Archedem Einer feiner
Zreunde vorwarf, er mache den Schmeichler und Schmarsger
bei Erito, fo gab er zur Antwort: „Was foll eine Schande
feyn ? wenn man von rechtlichen Leuten Wohithaten annimmf,
und durch Das, was man dagegen thut, fie zu feinen Freunden,
macht, mit fchlechten Leuten dagegen in Fehde lebt; oder
wenn man mit den Edeln und Hechtfchaffenen durc, boshafte
Angriffe Ad) verfeindet, dagegen fchlechte Menfchen durch
Theilnahme an ihren Verbrechen fich zu Freunden macht, und
mit Diefen flatt mit Jenen umgeht 2’ Archedem gehörte
feitdbem nicht nur zu den Freunden des Erito, fundern er war
and) bei ben übrigen Freunden Deſſelben geachtet,
ı0. Auch, mit feinem Frennde Diodor *) ift mir fols
gende Unterredung vom Socrates befannt: Socr. „Höre,
Diedor, wenn dir ein Sclave entläuft, gibft du dir Mühe,
ihn wieder zu befommen? — Diod. Wahrhaftig, auch Ans
*) Sonft nicht weiter bekannt.
510 Zenophon’s Erinnerungen an Socrates.
dere rufe ich noch zu Hülfe, und febe eine Belohnung dar⸗
auf; wenn mir Einer ihn zurädbringt. — Socr. Und wenn
dir ein Sclave krank wird, pflegft du feiner ,"und berufft du
Yerzte, daß er nicht ſtirbt? — Diod. Ja wohl. — So er. Aber
ein Bekannter kann dir nod) weit nüblicher werden, als ein
Selave. Wenn nun Einer von Diefen in Gefahr”ift, im
Elende zu verfchmachten, dann hältit du es nicht für deine
Pflicht, für feine Rettung beforge zu fen? Nun weißt du,
Daß Hermogenes *) nicht unerkenntlich ift, und fid, fchämen
würde, von dir Genuß zu haben, ohne es bir zu vergelten.
Und ein folcher Gehülfe, der willig, redlich und teen, und *)
nicht nur, was ihm anbefohlen wird, zu beforgen, fondern
auch, wo er fich ſelbſt überlaffen ift, ſich nützlich zu machen,
und mit Vorfiht und Kiugbeit zu Werke zu gehen im
Stande ift, ein Gehülfe der Art ift doch, denke ich, mehr
wer. als eine Menge Sclaven. Gegen. doch gute Hauss
wirthe, Sachen von großem Werthe müffe man dann einkau⸗
fen, wann fie um ein Geringes zu haben feyen. Und jest iſt
eben die Seit, wo man wegen ber obwaltenden Umflände am
wohlfeitften zu guten Freunden kommen kann. — Diod. Du
*, Hermogenes, hier ber Sohn bes Hipponicus. Seine Ars
muth deutet auch Pato an im Cratyl. ©. 384. C, und
&.391. C., aus welchen Stellen erhellt, daß das aroße
Mermögen des Hipponicus nach feinem Tode in die Hände
des Callias, bed Bruders von Hermogened, gekommeñ war,
Kenopbon erwähnt ihn auch unten IV, 8. und im Gaſt⸗
mahle dfter.
*) Mit Schneider und Schuͤtz, welche bie vorbern Worte
xal TE xElEVOuEVoV ixavdv noreiv ſtreichen.
Zweites Buch. 511
Haft vollkommen Recht, Socrates. Gage nuur dem Hermoge⸗
nes, er ſolle zu mir kommen. — Socr, Nein, in der That
ich nicht. Du haſt ſicher mehr Ehre davon, wenn du ſelbſt
zu ihm gehſt, als wenn du ihn rufen läßeſt, und auch der
Gewinn bei der Sache faͤllt ja mehr auf deine Seite als auf
die ſeinige.“ So ging denn Diodor zu Hermogenes hin.
Er durfte nicht viel bezahlen, fo war er im Beſitze eines
Freundes, der eigentlidy darauf dachte, wie er nur immer
durch Wort oder That dem Diodor Gewinn und Freude
bereiten könnte.
N
Xenophon''s
Erinnerungen an [aus den Lehrgeſpraͤchen und
dem Leben des] Socrates.
Inhalt des dritten Buches.
XXRR
Eap. 1 — 7. Wie Gocrates feinen Freunden nuͤtzlich
wurde in Beziehung auf Bekleidung obrigkeitlicher Wuͤrden und
Theitnahme an der Leitung des Staates.
Cap. 1. Aufforderung an einen Freund, ber Feldherr wer⸗
den will, Unterricht in der Feldherrnkunſt zu nehmen, und Un⸗
terredung mit ihm Über Das, was ein Feldherr wiſſen muͤſſe.
Eap. 3. Worte an einen Freund, der Feldherr geworden war,
fiver ben Beruf eines Feldherrn. Cap, 3. Unterrebung mit eis
nem Freunde, ber Neiterfeidhere geworden war, über ben Bes
ruf eines Reiterfeldheren. Cap. 4. Unterredung mit Nicoma⸗
chides, einem alten Krieger über den Demfelben bei der Feld
herrnwahl voraezogenen Antifthenes, worin Socrates zeigt, wie,
Mer fein eigenes Beftes wahrzunehmen wiffe, auch dad Beſte
des Staates wahrzunehmen geeignet fey. Cap. 5. Unterredung
mit dem jüngeren Pericles, wie ein befferer Geift und befjere
Zucht im Arbenifchen Heer einzuführen wäre, nebft einem Ra⸗
the für einen Arhenifhen Feldhberrn. Cap. 6. Unterredung mit
Glaucon, ber, ehe er die gehörigen Einfihten und SKenntniffe
batte, ſich als Staatsmann verſuchte. Cap. 7. Unterredbung mit
Erarmides, der mit den beften Kenntniffen und Talenten zu
fnüctern war, als Staatsmann aufzutreten. Eap. 8, Auf Aris
ſtipp's verfängliche Tragen anıworter GSocrated fo, daß feine
Anhalt des dritten Buches, 518
Scennbe von feinen Streitübungen mit ihm Mutzen hatten.
Daburch veranlaßte Erklaͤrung uͤber den Begriff von Schoͤn und
Gut, nebſt Anwendung deſſelben auf Gebäude, Sap. 9. Fer⸗
nere Erklaͤrungen bed Socrates über verſchiedene andere Begriffe.
Eap. 10. Auch Kuͤnſtlern und Hanbwerkern wurde Soerates
durch feine Unterrebungen mützlich. Unterrebung mit dem Ma⸗
ler Parrhaſius, mir dem Bilbhauer Cliton, und mit dem Pau⸗
zermacher Piſtias. Cap. 11. Alehnliche Unterrebung mit ber
Hetare Theodota. Cap. 12. Socrates ſtellt dem Epigenes die
Wichtigkeit Ebrperlicher Vebungen ver. Cap. 13. Nuͤtzliche Er⸗
innerungen von Socrates an Verſchiebene bei verfchiebenen Ges
legenheiten gerichtet. Cap. 14. Socrates dringt bei Gaftmahlen
anf Mäßigteit.
Drittes Bud.
[US 7
1. Diejenigen, welche nady Ehren und Würden firebten,
wußte er dahin zu bringen, daß fie ſich um Das, was fie ſich
zum Ziele gefegt hatten, keine Mühe verdrießen ließen. Wie
nüslich er ihnen ſich dadurch machte, davon will id) jetzt die
Beweiſe geben. Er hatte einmal gehört, daß Dionnfivor *)
fi in der Stadt aufhielt, und ſich zum Unterrichte in der
Feldherrnkunft erbot. Er richtete daher an Einen feiner
Zuhörer, von dem er wußte, daß er auf die Feldherrnwürde
im Staat ein Auge Hatte, folgende Worte: „Es ift denn
doch eine Schande, junger Mann, wenn Einer Feldherr im
*) Dionpfibor von Ehios, Bruder des Enthydem, Seine tat
tifyen Kenntniffe hat auch Plato im Euthydem ©. 273. C.
erwähnt,
514 Xenophou's Erinnerungen an Socrates.
Staate werden will, und fo ſich eine Gelegenheit darbietet,
fi) dazu zu bilden, gar einen Gebrauch davon macht. Dar⸗
auf würde noch weit eher eine Strafe gehören, ald wenn
Einer auf Bildfäulen Beflelungen übernähme, ohne die Bild:
hanerkunft erfernt zu haben. Einem Feldherrn ift im Kriege
das Schickſal des ganzen Staates in die Hände gegeben: Un⸗
ternehmungen, die er mit Glück ausführt, Fönnen fehr wohl⸗
thätige, Fehler, die er macht, fehr traurige Folgen haben.
Wie folite daher Derjenige nicht mit allem Rechte beftraft
‘werden, der zu bequem ift, die Kunft eines Feldherrn zu er⸗
lernen, und doch fidy alle Mühe gibt, dazu gewählt zu wers
den ?'! Diefe Vorflelungen verfehlten ihren Zweck nicht.
Der junge Mann ging hin umd Tieß fich Unterricht geben.
Als er nad) Beendigung deſſelben wieder fich einfand, wandte
fid) Socrates fcherzend an ihn, und fagte: „Ihr wißt,
Freunde, daß Homer *) feinen Agamemnon ehrwürdig nennt,
und kommt eudy fo nicht auch Diefer, feitdem er die Feld⸗
herrnkunſt erlernt hat, ehrwürdiger vor? Mer die Either
fpielen gelernt hat, ift audy, wenn er Leinen Gebrauch davon
macht, ein Eitherfpieler, und Wer die Heilkunde erlernt hat,
ift, wenn er auch den Arzt nicht macht, doch ein Arzt: fo
bleibt auch Diefer von nun an Zeit feined Lebens ein Felt:
herr, wenn ihn auch Beine Seele dazu wählt. Wer aber die
Kenntniffe nicht dazu hat, iſt kein Feldherr und fein Arzt,
und wenn ihn auch die ganze Welt dazu wählt. Uber, fuhr
er fort, an den Jüngling fid) wendend, es könnte ja Einer
von uns Hauptmann oder Dberfter bei dir werden; damit
*) Homer Stiad, III, 170,
Drittes Buch. 515
⸗
nun auch wir uns auf das Kriegéweſen beſſer verſtehen, fo
fage ung : von Was ging dein Xehrmeifter bei feinem Unters
richte in der Yeldherrnfunft aus?" „Von dem Nämlichen,
womit er aufhörte, war die Antwort. Er lehrte mid Zacs
tie und fonft Nichts." „Da gehören ja aber, entgennete
Socrates, noch tauſend andere Stüde zur Kunft eines Feld:
herren. Er muß für die Krieges und Lebend: Bedürfniffe
feines Heeres zu forgen willen; er muß erfinderifch an neuen
Dianen, thätig, ſorgſam, ansdauerud in Strapazen, fruchte
bar an ſchnellen Lichtblicken ſeynz er muß Güte mit Härte,
Offenheit mit Verftelung, Vorficht im Befchügen,. mit Vor⸗
Sicht im heimlichen Abfangen, Berwegenheit im Preisgeben,
mit Derwegenheit im offenen Rauben, ferner reigebigkeit mit
Eigennus , Aufmerkſamkeit auf eigene Blößen, mit Aufmerks
famfeit auf die Blößen des Feindes verbinden, und wie die
Anlagen und Kenntniffe weiter heißen, welche ein guter Feld⸗
herr beſitzen muß. Freilich ift es auch gut, wenn er Tactik
verſteht. Ein in Ordnung aufgeflelltes Heer ift etwas ganz
Underes, als ein in Unordnung befindliches. Es ift gerade,
wie bei den Beflandtheilen eines Hauſes. Ungeordnet hine
geworfen find die Steine und Siegel, Balken und Dadıfteine
durchaus nublos; wird aber nad) den Regeln der Baukunft
Drdnung in fle gebracht, und Dem, was weder fault nod)
ſchmilzt, wie Steine und Dachziegel, oben und unten, und den
Ziegelfteinen und Balken in der Mitte ihre Stelle angewiefen,
fo entfteht ein Werk von großem Werthe, ein Haus, —
Jüngl. Dein Sleichniß paßt ganz vortrefflich, Socrates,
denn auch im Kriege müffen die Vorderſten und Hinterten
die Beten feon, und die Schlechteften in der Mitte, damit
€
516 Zenophon’s Erinnerungen an Socrates.
fie von Jenen nachgezonen, und von Diefen vorwärts ges
ſchoben werden. — Socr. Er durfte dich alfe nur bie
Guten und Schiechten unterfcheiden Ichren. Denn, wenn er
Dieb unterlaffen hätte, fo hätte all dein Lernen dich fo wes
nig geholfen, als wenn er dich beim Gelde vorn und hinten
hin das Beſte und in die Mitte das Schlechteſte hätte legen
beißen, ohne dir zu fagen, wie das Gute vom Unächten zu
unterfcheiden fy. — Jüngl. Ja, wahrhaftig, Das hat er
mich nicht gelehrt; fo bliebe denn die Unterfcheidung von
Buten und Schlechten uns felbft überlaffen. — Socr, Wollen
wir alfo nicht fehen, wie man bier fih vor Irrthum im
Acht tnehmen kann. — Jüngl. Sehr gerne. — Soer.
Geſeht, es gälte Geld wegzunehmen, würde es da wicht am
angemeflenften feyn, die Geldgierigften voranzuftellen ? —
Jüngl. Allerdings. — Socr. Und wie meinft du, wenn
Etwas gewagt werden müßte? Gehören hier nicht die Ehr⸗
gierigften voran? — Jüngl. Die find wenigflend immer
dabei, wo Ehre einzuernten ift. Und was dad Gute an ihnen
ift, fie bleiben nicht unbemerkt; fle machen fih überall kennt⸗
lich und find daher Teiche zu finden. — Socr. Über Ichrte
er dich nur die Kunſt, ein Heer in Schlachtordnung zu flellen,
und nicht auch, wo und wie jeder einzelne Theil des Heeres *)
zu gebrauchen iſt? — Jüngl. Das Lebte Ichrte er wicht
*) Aus Stebaͤus mit Schneider und Schuͤtz Tayııdrov ftatt
raxreov. Herbſt heat ohne Rechtfertiguns in den No⸗
ten, ben Vorſchlag von Schutz: dxasın Tav rakewv
in ben Text anfoenommen. Aus Stotaus. gleich nachher
&ysıy ſtatt Adya.
Dritte Buch. 517
eigentlich, — Socr. Und doch gibt es eine Menge Fälle,
wo die Ordnung in ber Schlacht oder auf den Marſch eine
Befondere Abänderung erleiden muß. — Jüͤngl. Wahr
baftig, davon brachte ex mir feinen Begriff fi. — Socr.
So bitte ich dich, gehe doch wieder Hin und frage ihn. Denn
wenn er ed weiß, und nit alle Schaam abgelegt hat, fo
muß er ſich fchämen, für das Geld, bad er bekommen, dich
mit einem fo mangelhaften Unterrichte abgeſpeist zu haben.’
» Ein andermal kam er mit Cinem zufammen, ber
zum Feldheren erwählt war. „Barum meinft bu,’ fagte er
zu Diefem, „daß Homer *) den Agamemnon einen Hirten der
Mötter genannt habe? Meinst du nicht deswegen, weil ber
Hirte und der Feldherr, Beide für das Nämliche zu forgen
haben, Jener dafür, daß die Schafe nicht gefährdet werden
und feinen Mangel leiden, Diefer dafür, daß feine Krieger
nicht gefährdet werden, und Peinen Mangel leiden, und daß
fle den Zweck des Feldzuges, nämtich Verbeflerung ihrer Lage
Durch Bofiegung der Feinde erreichen ? Oder was hafte er
in aller Welt für einen Grund, wenn er den Agamemnon
Ioben **) wollte, fi) fo auszudrücken:
Beides, ein treffliher König zugleich und ein tapferer
Streiter.
Muß er nicht damit, daß er ein fapferer Streiter ſey,
mehr haben fagen wollen, als bios, daß er für fich gegen die
Feinde wader kämpfe; naͤmlich, daß er auch fein ganzes Heer
zu waderen Kämpfern bilde? und bamit, daß er ein treffli⸗
*) Homer JIliab. IT, 243.
*) Homer Itiad, III, 179.
518 Xenophon's Erinnerungen an Socrates.
cher König fey, nicht blos, daß er für feinen eigenen Haushalt ber
ſtens beſorgt ſey, fondern auch, daß er das Glück feiner Uns
tergebenen zu begründen wife? Man wählt Einen ja auch
sum Könige, nicht damit er feine Perfon gut berathe, ſon⸗
dern damit durch ihn auch Die, welche ihn wählen, glücklich
werden. Und auch bei einem Feldzuge hat man allgemein
Befefligung feines Wohlſtandes zum Zwede, und man wählt
den Feldherrn eben dazu, damit er diefen Zweck erreichen
beife. Daran darf es alfo ein Feldherr nicht fehlen laſſen.
Es ift auch nicht leicht etwas Schöneres zu finden, als dies
fen Beruf zu erfüllen, und nicht leicht etwas Schaͤndlicheres,
als das Gegentheil.“ Go löste ſich Socrates die Aufgabe,
worin das Verdienſt eines guten Feldherrn beſtehe; er bes
ſchränkte es lediglich darauf, daß er Diejenigen zum Gfüde
füsren müffe, die unter. feinen Befehlen flehen.
3. Ferner mit Einem, ber zum Reiterfeldherrn ernannt.
war, hielt er folgende Unterredung: — Socr. Kannfl du
mir fagen, junger Mann, warum du die Stelle eines Rei⸗
terfeldheren ſuchteſt? Doch gewiß nicht darum, um vor der
Reiterei herzureiten ; denn dieſe Ehre genießen eigentlich die
leichten Reiter, die noch vor den Feldherrn reiten. — Jüngl.
Du haft ganz Recht. — Socr. Und aud nicht um bekannt
zu werden, denu es darf Einer ja une wahnflunig *) feyn,
*) ol navonevor Dieſer Gedante kommt unerwartet.
Sqchuͤr vermuthet, es ftede onuaivovreg ober ONIaLOPO-.
e0: hinter dem Wort: „denn es braucht ja Einer nur
Trompeter“ — ober „benn ed braucht ja Einer-nur Tah⸗
nenträger 5 zu kon. U
Drittes Buch. Hg
fo-ift er allgemein befannt. — Jüuͤngl. Auch hierin haft
du Recht. — Socr. Uber vielleicht Hoffft du, dem Staate
die Reiterei in befferen Stand zu fegen, und wenn man zu
Etwas Reiter braucht, an ihrer Spitze ihm Vortheile zu ers
ringen? — Jüngl. Allerdings. — Socr. Das wäre in
der That nicht übel, wenn es dir gelänge. Aber nicht wahr,
dein amtlicher Wirfungskreis erſtreckt fi über Pferde und
Reiter? — Süngl So iſt es, ja. — Socr. So fage
mir einmal vor Allem, wie gedenkſt du die Pferde in beſſe⸗
ren Stand zu ſetzen? — Jüuͤngl. Nun, Dieß iſt wohl nicht
meine Sache; ein Jeder insbeſondere hat für ſein Pferd zu ſor⸗
gen. — Soer. Wenn fiedir alſo Pferde bringen mit fo ſchlechten
Tüßen und Beinen, und fo ſchwach, oder fo ſchlecht gefüttert,
Daß. fie nicht nadytommen können, oder fo wenig zugeritten,
daß fie nirgends bleiben, wo du fie hinftellft, oder fo uns
bändig, daß man fie gar nicht in die Reihen brauchen Bann;
was haft du vom deiner Reiterei? wie willft du an der Spitze
einer ſolchen Etwas ausrichten? — Jüngl. Ich muß ges
ſtehen, du haft Recht, und ich will auch fo viel als möglich
ein Auge auf die Pierde haben. — Socr. Nun, und die
Reiter ſelbſt wilift du nicht auch in befferen Stand zu feben
traten? — Jüngl. O freilich — Gocr Wirkt du
nicht für's erfte darauf bedacht ſeyn, Daß fie ſich beffer auf
die Pferde fchwingen lernen? — Jüngl. Ja, Das muß
ſeyn; fällt dann Einer herunter, fo ift er noch nicht ſogleich
verloren. — Socr. Und auf ben Fall eines Gefechtes?
Willſt du die Feinde auf den Sand befcheiden, mo ihr die
Schule reitet, oder gedenkſt du die Uebungen in ſolche Derte
lichkeiten zu verlegen, wie diejenigen find, in weldyen ſich
520 RXenophon's Erinnerungen an Socrates.
die Yeinde beiten? — Jüngl. Es mag fo beſſer ſeyn. —
Socr. Wirſt du aud) darauf fehen, daß recht Diele im
Lanzenwerfen zu Pferde Etwas leiſten? — Jüngl. Auch
Das mag aut fen. — Gocr. Und den Much deiner Reis
ter anzufeuern, und fie gegen bie Feinde zu erbittern;
wodurch *) ihre Zapferkeis noch erhöht wird? Haft
du dirs vorgenommen? — Jüngl. Es müßte mir jebt
wenigftens gefchehen, wenn ich auch noch nie den Gedanken
gehabt hätte. — Bocr. Wie fleht es ferner mit dem Ges
horfame der Reiter ? Haft du auf Mittel gedacht, dich deffel«
ben zu verfihern? — Denn ohne Diefes helfen dich weder
Dferde noch Reiter Etwad, und wären es auch die beften
and mutbigften. — Jüngl. Du haft Recht, Gocrates;
aber wie kann man fie am beften dazu bringen?! — Speer.
Das weißt du ja doch wohl, daß die Menſchen überall Des
nen am liebften folgen, zu welchen fle in einer Sache bad
befte Zutrauen haben. Yun Krankheiten folgt mankanı liebſten
Dem, zu weldyem man ale Urzte, auf dem Schiffe Dem, gu
welchem man ald Steuermaunn, in der Landwirthfihaft Dem,
zu welchem man als Zandwirthe das befte Zutrauen hat. —
Fänge Allerdings. — Soecr. Iſt's alfo nicht Das Na⸗
tuͤrlichſte, daß auch im Reiterdienſte Derjenige am leichteſten
bei Anderen Gehorſam findet, der die beſten Einſichten m:
feinen Beruf an den Tag legt? — Juͤngl. Wenn fie
nun zeigt, daß mit mir fid, Keiner von ihnen meſſen Fans,
wird Died genug feyn, um mir Gehorfam zu verfchaffen? —
Socr. Ja, wenn du fie noch überzeugen kannſt, daß fie,
% MM Sehneibder: Zee — nel.
ar
Drittes Buch. 521
wegn fie dir gehorchen, zugleich für ihre Ehre nud Sicher
heit forgen. — Jüngl. Und wie kann ic, fie davon über:
zeugen? — Soecr. Wahrhaftig weit leichter, als wenn du
fie überzeugen müßtert, daß das Schlimme beffer und nüslis
cher fen, als das Gute. — Züngl. Du meinft, ein Reis
terfeldherr mäfe neben den übrigen Erforberniffen auch noch
der Beredfamkeit ſich befleißen? — Socr. Glaubteſt du
denn, man mäffe MHweigen, wenn man bie Reiterei befeh⸗
Tide? Haft du nit bedacht, daß die herrlichſten Lehren,
worin wir vermöge unſrer Staatseinrichtungen unterrichtet
wurden, fo wie alle edeln Erkenntniffe, die ſich @iner er⸗
wirbt, uns durch das Mittel der Sprache beigebradyt werden ;
daß überhaupt die beiten Lehrmeifter am meiſten ſich der
Sprache bedienen, und die tieften Kenner der wichtigſten
Begenftände des Willens am fchönften fprechen? Oder haft
du nicht bedacht, daß, wenn Einer der Ehjdre *) ans hieſiger
Stadt fommt, wie zum Beifpiel nadı Delos, Keiner ans eis
wem andern Staat ed mit ihm aufnimmt, und daß auch im
2einem audern Staat ein Wettflreit **) in Männerfchönbeit,
wie hier zu Stande kommt? — Jüngl. Du haft Recht, —
*) 88 ift Hier von religibfen Geſandtſchaften, Wallfahrten, die
Nede, wo Haufen von Gängern ober Tängern zu Ehren
—F Irr eit fangen oder tanzten. Die Deliſche iſt IV,
erw nt. "
*6), Gin feier Wettſtreit in maͤnnlicher Schoͤnheit fand mas
mentli an den Panatbenden ftatt, wo bie Schoͤnheit ent⸗
ſaeb, Wer den Oehlzweis (HaAAcag) tragen durfte. Es
nahmen ſowohl Sünglinge als Greije daran Antheil. Bar.
Gaftmapl, €, 4.
Renophon. Bochn. 9
320 Xenophon’s Erinnerungen an Socrates.
die Feinde beiten? — Jüngl. Es mag fo beſſer ſeyn. —
Soer. Wirſt du auch darauf fehen, daß recht Diele im
Lanzenwerfen zu Pferde Etwas Leiften? — Jüngl. Auch
Das mag aut ſeyn. — Socr. Und den Much deiner Reis
tex anzufenern, und fie gegen die Zeinde zu erbitten;
wodurd *) ihre Tapferkeit noch erhöht wird? Haft
du dird vorgenommen? — Jüngl. Es müßte mir jept
wenigſteus gefchehen, wenn ich “auch nuch nie ben Gedanten
gehabt hätte. — Socr. Wie ſteht ed ferner mit dem Ge:
horfame der Reiter? Ka du auf Mittel gedacht, dich deſſel⸗
ben zu verfihenn? — Denn ohne Dieſes helfen didy weder
Dferde noch Reiter Etwas, und wären es auch die beften
and mutbigften. — Jüngl. Du haft Recht, Sorratessz-
aber wie kann man fie am beften dazu bringen? — Soer.
Das weißt du ja doch wohl, daß die Menſchen überall. Des
nen am liebften folgen, zu welchen fle in einer Sache bad
befte Sutrauen haben. In Krankheiten folgt mankanı liebften-
Dem, zu weldhem man ald Urzte, auf dem Schiffe Dem, gu
weihem man ald Gtenermann, in der Landwirchfihaft Dem,
zu welchem man als Zandwirthe das befte Zutrauen hat. —
Juͤngl. Allerdings. — Socr. Iſt's alfo wicht das Na⸗
tuͤrlichſte, daß auch im Reiterdienſte Derjenige am leichteſten
bei Anderen Gehorſam findet, der die beſten Einſichten im
feinen Beruf an den Tag legt? — Juüngl. Wenn fi
nun zeigt, daß mit mir fidy Keiner von ihnen meſſen kann,
wird Died genug ſeyn, um mir Gehorfam zu verfchafften? —
Socr. Ta, wenn du fie noch überzeugen Eannft, daß fie,
H mt Sqhneider: Enee— noıel.
Drittes Buch. 52:1
wenn fie dir gehordyen, zugleich für ihre Ehre und Sicher
heit forgn. — Jüngl. Und wie kann ich fie davon über:
zeugen? — Soer. Wahrhaftig weit leichter, als wenn du
fie überzeugen müßten, daß das Schlimme beffer und nützli⸗
her fen, als das Gute. — Züngl. Du meinft, ein Reis
terfeldherr mäfe neben den übrigen Erforderniffen auch noch
der Beredfamteit ſich befleißen? — Soer. Glaubteſt du
denn, man mäffe MHweigen, wenn man die Reiterei befeh⸗
lige? Haft du n bedacht, daß die herrlichſten Lehren,
worin wir vermöge unfrer Staatseinvichtungen unterrichtet
wurden, fo wie alle edeln Erkenntniffe, die ſich @iner er⸗
wirbt, uns durch das Mittel deu Sprache beigebracht werden ;
daß überhaupt die beiten LTchrmeifter am meiſten ſich der
Sprache bedienen, und bie tiehften Kenner ber wichtigſten
Gegenſtände des Wiſſens am fchönften fprechen? Oder haft
du nicht bedacht, daß, wenn Einer der Ehöre *) aus hieſiger
Stadt fommt, wie zum Beifpiel nadı Delos, Keiner and eis
nem anbdern Staat ed mit ihm aufnimmt, und dab auch in
deinem audern Staat ein Wettflreit **) in Männerfchönbeit,
wie hier zu Stande kommt? — Jüngl. Du bat Recht, —
*) Es ist Hier von veligibfen Geſandtſchaften, Walfahrten, die
Rede, wo Haufen von Sängern ober Tängern su Ehren
Fre F ſaugen ober tanzten. Die Deliſche iſt IV,
nt.
++), Gin feier Wetifteeit in männlicher Schoͤnheit fand mas
mentlich an deu Panathenden ſtatt, wo bie Schoͤnheit ents
ſaeb, Wer den Oehlzweis (HaAAog) tragen durfte. Es
nahenen ſowohl Juͤnglinge als: Greiſe daran Antheil. Bat.
Gaſtwmaahl, E. 4.
Renophon. 46 Bochn. 9
*
522 RXenophon's Erinnerungen an Socrates.
Soer. Gleichwohl zeichnen ſich die Athener vor den Uebri⸗
gen weder durch Wohlklang der Stimme noch durch körper⸗
liche Größe und Staͤrke fo auffallend aus, als durch ihre
Ehrbegierde, die fie für alles Edle und Große begeiftert, —
Jüngl. Auch Dieß ift wahr. — Soer. Glaubſt du nun.
nie, wenn Einer fi unferer Reiterei annehmen wollte,
baß fle auch hierin an Pracht der Waffen und Pferde, an
guter Ordnung und an. Willigbeit zum pfe es den An⸗
dern weit zunorchun würden, wofern ſie Mi dadurd, Ruhm.
und Ehre zu erlangen hoffen ? — Jüngl. Ganz natürlich, —
Socr. So befinne dich nicht mehr, und thue dein Möge
Yichftes , die Leute dazu aufzumuntern. Du felbft wirft dic:
dabei gut befinden, und die übrigen Bürger durch did. —
Jüngl. In der That, Dieß muß geſchehen.“
4. Eines Tages fah er den Nicomachidbes.von der Wahls
verfammiung nad) Haufe gehen. — Socr. ‚Was find für.
Feidherren gewählt worden, Nicomachides)? — Nicom.
Sind Dieb nicht wieder ganz bie Athener, Socrates? —
Sch bin zum Soldaten ausgehoben **), ald Hauptmann und
DHberfter gran geworden, und Chier entblößte.ee fid) and zeigte
feine Narben) mit Wunden vom Feinde bedeckt, und mich.
wählten fie nicht; Antiſthenes hat weder jemals beim Fuß⸗
volke gedient noch als Reiter fi) ausgezeichnet, verſteht über⸗
haupt weiter Nichte als Geld zuſammen zu ſcharren, und
*) Weber Nicomachides noch ber folgende Antiſthenes ſcheinen
weiter befannt zu feyn,
+) Unsgehoben wurden nur die Fußgänger, fo lange die ererusig
(Reiter). ein eigener Staud, dem Kriegädienftr fig nicht
entzogen,
kB __
Dritted Bud). 525
Den wählten fi. — Socr. Iſt es denn nicht gut, "went
er-im Stande ift, feinen Leuten für ihre Bedürfniffe zu for-
gen? — Nicom Auch die Kaufleute können ja Geld zu⸗
fammenfcharren, fie taugen darum noch nicht zu Feld⸗
herren. — Socr, Uber Antiſthenes hat auch Ehrgeiz, eine”
wefentliche Eigenfchaft für einen Feldherrn. Siehſt du nicht,
daß, ſo oft er die Koſten von einem Chore beſtritten, er noch immer
Den Preis davon getragen hat. — Nicom. Aber es iſt wahre
haftig zweierlei, einen Chor und ein Heer unter ſich zu haben. —
Socr. Verſtand er ſich doch anf Gefang und Einübung des
Ehors eben fo wenig, und wußte dennoch die beften Meifter
darin aufzufinden. — Nicom Nun, fo wird er denn auch
im Heer Andere finden‘, et ihn das Heer in Schlacht⸗
ordnung flellen, und wieder Andere, die für ihn fechten! —
Socr. Braudt ed etwas Anderes, als daß er aud) in der
Kriegskunſt die größten Meifter herauszufinden und hervor
zuziehen wiffe, wie in Chorgefange, um ihm auc) hier dem
Sieg zu ſichern? Und darf .man nicht annehmen, daß er
auch die Koften noch lieber dazu hergeben werde, um in Ge⸗
meinfcdhaft mit dem ganzen Staat im Kriege, als mit feis
nem Stamme bei Aufführung eined Chors den Sieg davon
zu tragen? — Nicom. Du meinft, Socrated, ed könne
. Beides in Einer Perfon beifammen ſeyn, die Aufführung.
eines Ehors mit Ehren zu beforgen und ein Kriegsheer an⸗
zufühten? — Socr. Id) meine, es mag Einer der Vor⸗
fteher. feyn, von was er will, wenn er weiß, was dazu ges
hört, und für Diefes zu forgen vermag, fo iſt er ein guter
Vorſteher eines Chors, eines Haufes, eines Staates, eines
Heers, je nachdem er von dem Einen oder dem Andern Vor⸗
“.9
X&
50; Xenophon's Erinnerungen. an Socrates.
Fieber if. — Nicom Ja in der That, Socrates, ich hätte.
es nie erwartet, Daß id Das von dir hören würde, gute Haus⸗
wirthe geben gute Heerfuͤhrer. — Socy Run, fo wollen
wir ihren beiderfeitigen Beruf näher in ge. faffen, um
zu fehen, ob es derſelbe iſt, oder ob ſich ein Unterſchied
dazwiſchen findet? — Nicom. Ban wohl. — Gocr. Ge⸗
Hört es nicht zu ihrem beiderfeitigen Berufe, ſich Gehorſam
und Folgſamkeit bei ihren Untergebenen zu verichaffen *) ?—
Nicom. Allerdings. — Socr. Und daß über jedes ein:
zelne Geſchaͤft nur Leute gefept werden, die bamit umzu⸗
gehen wiflen? — Nicom. Auch Dieſes. — Socr. Auch
vie Beftrafung Derer, bie fich ſchlecht finden Yaffen, und
die Belohnung Solcher, die fichgauszeichtten, fommt, diente
ich‘, Beiden zu? — Nicom. DMne Weiteres: — Soer.
Und die Liebe der Untergebenen ſich zu erwerben, follte es
nicht Beiden zuträglih feyn? — Nicom. Immer einvers
ſtanden. — Gocr. Und den Beiſtand ganzer Völker und
einzelner Perfonen zn gewinnen, iſt es für Beide gut oder
nicht? — Nicom Allerdings für Beide. — Socr. Mt:
fen nicht ferner Beide, was fie haben, ſicher zu fielen ſu⸗
dien ? — Nicom. Ganz gewis. — Socr. Und müſſen dann
nicht auch Beide gleidy pünktlich umd thätig in Erfüllung
ähued Berufes ſeyn? — Nicom. Alles, was bu dba ſagſt,
*) Schus und Schneider leſen: rd NpOOTaTTew äxdsag.
za inırndae nparrev. Ber Ketztere gibt jedoch ber
Resart einiger Handfegriften in einer Note Beifall: ooc-
Terra Ixasa roig dänirndsioıc noarrev. Und
nam dieſer Kesart, bie Herbſt in den aufnimmt,
haben wir: Kberfent,
Drittes Bud), 525
gehört ſich für Beide auf gleiche Weiſe; aber der Eine muß
Ad) ſchlagen, der Audere nicht; Dieß macht einen Unterfihieh. —
Ener. Es haben doc, Beide ihre Feinde? — Nicom.
Das allerdings. — Socr. Fordertes nun nicht der Bars
theil des Einen, wie des Andern, daß fie über Diefeiben
Meifter zu werden fahen? — Nicom. Freilich; aber In
einmal Dieß bei Seite! Was mag Die Haushaltungskunſt
beifen, wenn ed zur Schlacht kommt? — Soecr. m der
That vielleicht nirgends mehr, als da. Gin guter Hauswirth
weiß, daß Nichts mehr Nuben und Vortheil bringen kann,
als eine Schlacht zu gewinnen, und Nichts mehr Schaden
und Nachtheil, als eine Schlacht zu werlieren. Daher wird
er, was zum Siege beifragen kann, mit aller Bereitwillige-
keit auffachen und herbeifckaffen; was eine Niederlage her⸗
‚beiführen. Bönnte, mit aller Sorgfaft auszuforfchen, und fidy
von diefer Seite zu verwahren fuchens und wenn er alle Au⸗
falten zum Siege getroffen Hebt, mit allem Ernfte ſich ſchla⸗
gen, aber nichts defto weniger, wenn es daran fehlt, ein
Treffen zu vermeiden fuchen. Verachte mir ja die Haushal⸗
tungskunſt nicht, Nicomachided, Die Zeitung eigener Ange⸗
fegenheiten unterscheidet fi) nur dem Umfange nach non der
der Staatdangelegenheiten ; alles Uebrige iſt gleich. Die Haupts
fache ift, daß weder zu dem Einen noch zu dem Andern Men=
ſchen entbehrt werden können, und eben fo wenig das Eine
mittelft anderer Menfchen betrieben wird, als das Undere *).
Denn die Schaven, deren man fid) in der Verwaltung eiges
ver Ungelegenpeiten bedient, find fo gut Menfchen, ald Dies
) Herbſt ſchließt mit Dinborf biefen Sau als undcht ein.
-
526 Zenophon’d Erinnerungen an Socrates.
jenigen, deren man ſich in Staatsangelegenheiten bedient *)
aud es kommt nur darauf an, ob man mit ihnen umzugehen
wiſſe. Wer fich darauf verfteht, der wird an der Spiße gro:
$er Gefchäfte, wie die der oberſten Staatsbehörden find, fo
‚gut, als in eigenen Gefchäften feine Rolle mit Ehren fpielen;
Wer fih nicht Darauf verfteht,, der wird in feinem von beiden
Verhättniffen vier leiſten.“
5, Einmal hielt Socrates mit Pericles **), dem Sohne
des großen Pericles, eine Unterredung. — Socr. „Ich
Habe die Hoffnung, Wericles, wenn du Feldherr werdeft,
‚werde der Staat fein Heer in befferem Stande, feine Waffen
wieder in Ehren, und feine Feinde ſich demüthigen fehen. —
Mericl. Es wäre fo mein Wunſch, Socrated, aber id)
kann nicht abfehen, wie Dieb möglich wäre. — Socr. If
Dir’s angenehm, die Sache weiter zu befprechen und zu fehen,
wo erft die Möglichbeit liegt? — Pericl. Recht gerne —
Socr. Du wirft wiffen, daß Athen in der Berdlferung den
Böotiern nicht nachſteht? — Pericl. Das weiß id. —
*), Schneiter und Ehät Halten biefen Sag „denn — bes
dient” für ein Einſchiebſel; Wir folgen ber Eonftruction
(jedoch nicht der Erklärung) Hindenburgs, der die Vulgata
0001 Znısausvor läßt.
+*) Dericled, der hier gemeint ift, war ein natuͤrlicher Sohn
des großen Staatsmannes; aber nach dem Tode ber ges
fegtihen Söhne räumten ihm die Athener den Vater zu
Gefallen die Nechte eines geſetzlichen Sohnes ein. Plutarch,
Leben des Pericles. E. 537. In dem Treffen bei den Ars
ginufen war er mit Thraſylus und Eraſinides Feldherr,
umd wurde mit Diefen zum Tode verurtheilt. f. zu I, 1.
Drittes Buch. 527
Sper. Und wo glaubft du, daß fich mehr Fräftige und. fchöne
Zeute finden laffen? In Böotien oder unter den Athe⸗
nern? — Pericl. Auch darin, denke ich, follen fie nicht zu=
rückſtehen. — So er. Auf welcher Seite wird. ferner mehr
Einigkeit fyn? — Pericl. Ich dene, auf Seiten der
Athener; denn von den Böotiern ift ein großer Theil gegen
die Thebaner übel geſtimmt, weil fie fehen, daß fie von Die:
fen gemißbraucht werden; in Athen finde ich Nichts dergleichen.
— Socr. Ga, man findet auch nirgends diefe unbegrenzte
Ehrliebe und wohlwollende Sefinnung, Eigenfchaften, welche
die mächtigften Antriebe enthalten, für Ruhm und Daterland
jeder Gefahr zu trotzen. — Pericl. Auch hierin Bann man
den Üthenern Nichts anhaben. — Socr. Auch die Helden
thaten der Vorältern haben für Manche etwas Erhebendeg,
was fie zur Tapferkeit begeiftert, und ihren Muth entflammt,
und wieder kann fein Volk fo große und fo viele Helden
thaten von feinen Vorältern aufzählen, als die Athener. —
Pericl. Altes ift wahr, was du ſagſt. Aber du weißt,
daß feit dem Unfalle bei Xebadea *),_ wo wir unter Tolmides
die taufend Mann verloren, und feit der Niederlage bei Des
ſeum **) unter. Hippocrates der Waffenruhm Athens gegen
Die Böofier gefunken, und den Thebanern der Muth gegen
die Athener fo gewachfen ift, daß fie, bie vorher nicht einz
mal auf eigenem Boden ohne den Beifland der Lacedämonier
*) Stadt in Bhotien, in der Nähe von Chaͤronea, heut zu
Rage Livadia. Dad hier erwähnte Treffen berichtet Thu⸗
cydides I, 113.
++) Helium, in Böotien in der Möge des Euripus. Die Sqchlacht
erwähnt Thucydides IV, 95 ff.
Drittes Buch. 52g
febten, der maͤchtigſte Staat von der Melt werben würden. —
Pe ricl. Und wie fönnten wir fle hiervon überzeugen ? — Socr.
Ich denke, wenn wir ihnen ihre früheſten und befannten Vor⸗
ältern in’d Gedaͤchtniß riefen, von deren ausgezeichneten
Heldenmuthe fie ſelbſt ſchon gehört haben müſſen. — Perick.
Meinft du den befannten Götterftreit *), worin Cecrops um
feiner Berdienfte willen zum Schiedsrichter erwählt wurde? —
Soer. Fa, und bie Geburt und die Erziehung des Erech⸗
theus **), und den Krieg, den die Athener zu feiner Zeit
gegen das ganze angrenzende ***) Feſtland zu führen hatten,
fo wie den Krieg, den fie zur Zeit der Heracliden +) gegen
die Peloponnefler, und allejene ++), die fie unter Theſeus führ⸗
*) Es ift der Streit mit Neptunns und Diinerva um ben Be-
fig Athens; Cecrops entſchied dabei für Minerva. ol.
Apollodor. Ill. 14. i
+*) Bezieht fih auf Homer Iliad. II, 547. wo Erechtheus ers
waͤhnt ift, als
„Der König, weichen Athene
Pflegte, die Tochter des Zeus, (ihn gebar die frucht⸗
bare Erbe),
Und in Athene fegt’ in ihren besäterten Tempel.’
***) Die Thracier, die bamald Grenznachbarn von Attica was
sen. Der Krieg ſelbſt heißt gemeiniglich der Eleuſiniſche,
weit die Thracier von Eumolpus, König der Eleufinier,
angeführt wurden. Vgl. Iſocr. Panes. €. 19. Thucnb. 11, 15.
7) Der Krieg gegen Euryfipeus zu Gunften ber Seracliten,
Bol. Iſoer. Paneg. €. 15 — ı7. Lyfias Epitaph. S. 12 - 15.
+7) Die Kriege gegen die Amazonen vom Fluſſe Thermodon.
LEyſias Epitaph. 5. 4. ff. Iſocr. Paneg. E. 19. Nach
der letztern Stelle hatten fie ſich mit den Scyrhen verbun⸗
ben. Der Antaß des Krieges war ber Raub der Hippo⸗
Inte durch Theſeus.
550 Xenophon's Erinnerungen an Soerates.
ten, in welchen fie ſtets vor ihren Zeitgenoffen den unbezwei:
felten Vorrang in der Tapferkeit behaupfeten. Ferner Das,
wenn du willft, was fpäter zunächſt vor unferen Tagen ihre
Nachkommen vollbracht haben, bald für ſich Eämpfend gegen
ein Volk *), das ganze Affen und Europa bis nad) Maces
donien hin beherrfchte, das über das größte Heer und bie
bedeutendften Hülfsmittel in der ganzen Vorzeit Ph gebieten,
und die fcheinbar **) unausführbarften Werke zu Stande ge-
bracht hatte, bald in Verbindung mit den Peloponnefiern zu
Waſſer und zu Lande fi) Ruhm erfechtend, weßmwegen ihnen
and) allgemein weit über ihren Zeitgenoffen der Plab einges
räumt wird. — Pericl. Dieß ift außer Streit, — Soer.
Daher blieben fle auch, ungeachtet der vielen Wanderungen,
denen Sriechenland unterworfen war, ruhig in ihrem Stamms
Iande; in einer Menge Streitigkeiten unterwarfen fich die
Vebrigen ihrer Entfcheidung, und nicht felten wurde gegen
die Bedrürungen der Machthaber ihr Schub angerufen. —
DMericl. Ic kann mid nur wundern, Socrates, wie ber
Staat fo in Verfall gerathen konnte. — Socr. Ich denke,
es ging bei den Athenern wie bei einigen Athleten ***), bie
im Gefühle ihrer hohen Weberlegenheit, Eraft der fle jeder:
zeit den Sieg davon frugen, fi) feine Mühe mehr geben,
*) Die Perfer unter Darius und Kerxes.
++) Die Brüde Aber den Hellefpont und bie Durdgrabung
des Athos unter Kerxes. Iſocr. Paneg. C. 25.’ Lyſias
Epitapf. 5. 35. Bol. Uefchines gegen Etefiph, p. 522.
6. 133,
+) Nach Weiske's Eonjectur mit Schneider, Schäg und Herbſt.
Die Vulgata: aAAoı Tıväc ift wohl kaum zu veriheidigen.
” "Drittes Buch. . 531
und fo am Ende hinter ihren Gegnern zurückbleiben. Ihr
Verfall hatte Beinen andern Grund, ald die Höhe anf der fie
ftanden, und die Nachläßigkeit, der fie eben, deßwegen fich
überfießen.: — Peric. Und was müßten fie nın thun, um
den alten Heldenmuth wieder zu erlangen? — Socr. Das
läßt fich Teicht errathen! fie dürften nur die Sitten und die
Lebensweiſe der Voreltern herporfuchen , und fih fo unver
brüdtich, wie fie, daran halten, fo Eönnten fie nicht hinter
ihnen zurüchleiben. Wo nicht, fo müßten fie wenigftens
Diejenigen, *) die jebt den Vorzug behaupten, fi zum Mu⸗
fter nehmen, und ihre Sitten und Lebensweiſe ſich aneignen,
Thaten fie ed ihnen in Allem gleich, fo könnten fie nicht tie=
fer; thäten fie es ihnen noch an Ernft und Eifer zuvor, ſo
müßten fie nody höher ftehen, als Gene. — Periel. Damit
gibft du zu verftehen, unfer Staat ſey noch weit von der
Tugend entfernt, Denn wann wird es mit den Athenern fo
weit Eommmen, daß fie, wie die Zacedämonier das Alter in
Ehren halten ? gleich bei den Vätern machen fie ja den Ans
fang, die Welteren zu verachten. Wann werden wir erleben,
Daß fie fo fich körperlich üben? weit entfernt, ſelbſt an Kräf:
tigung ihres Leibes zu arbeiten, verfpotten fie. ja noch die
Anderen, die fich damit Mühe geben, Wann werden fie fo
den Dbrigkeiten gehorchen? fie thun fich ja fogar Etwas dars
auf zu gute, wenn fie fi nichts um die Obrigkeiten befüms
mern. Wann werden fle endlich fo in Eintracht leben? ftatt
fich zu ihrem gegenſeitigen Vortheile zu vereinigen, thun ſie
*) Die Spartaner, für welche Xenophon betanntiich eine Vor⸗
liebe hatte.
532 RXenophon's Erinnerungen an Soerates.
ja einander zu Leide, was fle nur Fönnen, und gönnen noch
viel weniger einander Etwas, als fremden Leuten; mehr, als
irgend ein anderes Volk entzweien fie fi in beſondern und
öffentlichen Verſammlungen, werfen einander Prozefle über
Prozeſſe an den Hals, und ziehen Tieber auf biefem Wege
Gewinn von einander, als durch gegenfeitige Dienftleiftungs
mit dem Staatsgute gehen fie um, als ginge es fie nichts
an, und ftreiten ſich dann wieder um daffelbe, und kennen
nichts Höheres auf der Welt, als die Mittel, welche zu dies
fem Zwecke behülfficy find. Daher jene Unerfahrenheit*) und
Feigheit, unter welcher der Staat leidet; daher die Feind⸗
schaft und der Haß der Bürger untereinander: Webel, vie
mich ftets fehr beforgt machen, es möchte den Staat ein grö-
ßeres Unglüd treffen, ald er zu tragen im Stande wäre. —
Socr. Nein, Pericles, glaube ja nicht, daß die Athener an
einer fo unheifbaren Verdorbenheit leiden. Siehft du nicht die
ſchöne Ordnung, die auf ihrer Flotte herrfcht, den pünktlichen
Gehorſam, welchen fie in den gumnifchen Kampffpielen den Aufs
-fehern beweifen, und die Folgſamkeit gegen die Chormeiſter,
worin unfere Chöre denen Feiner Nation etwas nachgeben ?—
Merict. Das ift eben dad Sonderbare, daß foiche Leute ih⸗
ren Borftehern Folge leiften, und die Hopliten **) und -Rits
ter, denen doch ihre höhere Trefflichkeit den erfien Rang
*) ansıpla. Sehyneider und Schuͤtz in den Noten ‚neigen ſich,
jedoch mit Recht, zu Hindenburgé Eonjectur: ANELEOXG-
Ala, was niedrige Dentungsart bezeichnet, und
hier allerdings paſſender ftänbe,
**) Schwer bewaffnete Fußgänger.
Drittes Buch, 533
unter den. Bürgern angemwiefen zu haben ſcheint, gerade die
Widerfpenftigften find. — Socr. Und der Rath im Arco:
pag, *) Pericles, befteht er nicht aus Denienigen, **) weldye
in der gefeglichen Vorprüfung beſtanden find? — Perict, Als .
lerdings. — Socr. Kennft du num einen Gerichtehof, der
fein Richteramt und feine übrigen Obliegenheiten mit mehr
Gewandtheit, Gewiſſenhaftigkeit, Ernſt und Gerechtigkeit er⸗
füllte? — Periel. Ich kann diefem nichts anhaben. —
Gscr. So darfft dus alfo an den Athenern nicht verzweifeln, _
ats 05 fie für Ordnung nicht empfänglich wären. — Pes
rich. Wenn fie nur im Kriege, wo Zucht, Ordnung und Gehors
ſam am wefentlichten find, an eine diefer Tugenden daͤchten! —
S'ocr. Vieleicht daß gerade hier ihre Vorgeſetzten am we⸗
nigſten fangen. Siehſt du nicht, daß auch nicht Einer daran
denkt, bei Eirherfpielern, Sängern, Zänzern, Ringern oder
Paneratiaſten ***) die oberfte Zeitung zu übernehmen, ohne
ſich darauf zu verfiehen ? Da Pan fich ein Jeder darüber
ausweisen, wo er die Kunſt gelernt, in welcher er den Mei⸗
ſter macht; von den Feldherren dagegen treten die Meiften
unporbereitet ihr Amt an. Bei bir ift Dieß freilich nicht
*) Areopag, ein. Gerichtehof in Athen, deſſen Urſprung ſchon
in die mythiſche Zeit faͤllt. Er hatte vorgägtich über
Mordverbrechen zu richten, und war durch feine Gewifiens
baftigteit bekannt.
“+, Wie andere Obrigkeiten in Athen, fo mußten aud bie
Arenpagiten vor ihrer Beſtaͤtigung in ihrem Amte, fie
einer Prüfung unterwerfen. Iſocr. Areopag. g. 37.
90) Bon Paneration, einer Art Mrisesäbung, welche den Kants
tampf und das Ringen zugleich in fick faßt,
534 &Xenophon’s Erinnerungen an Socrates.
der Fall; du kannſt fiher eben fo gut die Zeit angeben , wo
bu die Feldherrnkunſt, als die Zeit, wo du die Ringkunſt zu
erlernen anfingft, und ich meine, du habeft nicht nur viele
von den Kunftgriffen behalten, die dein Water dich gelehrt,
fondern gewiß Alles and) fonft gefammelt, was nur irgendwo
für deine Kunft fich finden ließ. Du gibft dir gewiß alle
Mühe, dag dir ja Beine für einen Feldherrn nützliche Kennt
niß unbemerkt bfeibt, die dir noc, abgehf, und wenn du dann
Etwas findet, was du auch nicht verftehft, fo fuchft du ſach⸗
verftändige Männer auf, und läffeft es weder an Gefchenten
noch an Gefältigkeiten fehlen, um von ihnen zu fernen, was
du noch nicht weißt, und an ihnen Leute zu gewinnen, die
dir mit Rath und That an die Hand gehen. — Pericl. Ich
merke wohl, Socrates , daß es bir Fein Ernft damit ift, als
od ich wirklich das Alles thäte; du willſt mir bios damit
fagen, daß man Dieb hun müfle, wenn man Feldherr wer-
den wolle, und darin flimme ich dir vollkommen bei. —
Socr. Über Haft du auch bemerkt, Pericled, daß vor unferm
Lande große Gebirge gegen Böotien hin fid) ausdehnen, durch
welche nur enge und fleile Sugänge in unfer Laud führen,
und daß es mitten von unzugänglichen Gebirgen durchſchnit⸗
ten iſt? — Perich Gar wohl, — Soer. Nun, und haft
du gehört, wie bie Myſier *) und Pifidier mittelft Beſetzung
fefter Pläbe im Lande des großen Könige und mit leichter
Bewaffnung dem königlichen Gebiete durch ihre Einfälle gro=
fen Schaden thun, umd ſich ſelbſt unabhängig erhalten? —
*) Bölterfhaften in Kteinaften; vgl. Aber bas hier Erwähnte
Kenoph, Anab. IL 2. J,. ı,
Drittes Buch. 535
Derich, Auch das höre ich. — Socr. Glaubſt du nun nicht
auch, wenn die Athener im rüſtigen Alter, leicht bewaffnet,
die Gebirge an der Grenze ihres Landes beſetzen würden,
daß fie den Feinden großen Schaden thun, und ihren Mit—⸗
bürgern eine mächtige Vormauer um ihr Gebiet bilden fünn-
ten? — Pericl. Auch von der Zweckmäßigkeit diefes Vor—
ſchlags bin ich vollkommen überzeugt, — Socr, Nun denn,
- wenn du mit mir einverffanden bift, mein Beſter, fo bringe
meine Rathfchläge in Ausführung. Denn was dir daran
gelingt, Bann nur dir zur Ehre und dem Staate zum Vor—
theile gereichen; und follte dir Etwas nicht von Statten
gehen; fo kann Diefes weder dem Staate Schaden, noch dir
Unehre bringen.”
6. Glaucon *), der Sohn des Arifton, hatte einen fol-
hen Drang, an die Spitze des Staates fid, zu flellen, daß.
er noch, ehe er fein awanzigftes Jahr erreicht hatte, als
Volksredner fid) verſuchte. Er Hatte **) eine Menge Freunde
und Verwandte, aber von Keinem ließ er ſich's nehmen, ſich
von der Rednerbühne herabreiffen und auslachen zu laſſen.
Pur dem Socrates gelang Dieß. Er nahm ſich feiner an, den.
Charmides, Sohne des Glaucon, ***) und dem Plato zu Liebe.
Ars. er ihm daher begegnete, Pnüpfte er zumächft folgendes-
Befpräd mit ibm an, zuerft nur, um ihn zu feflen: —
Socr „Geht deine Abfiht dahin, Glaucon, did, an die
Spite des Staates zu flelen? — Glauc. Ja, Sorrates, —
*) Bruder des Plato.
+) Zurcoy, mit der Vulgata und Schuͤtz.
*+*) Diefer Glaucon war ein Bruber von Plato's Water,
526 Zenophon’d Erinnerungen an Socrates.
zjenigen, deren man ſich in Staatdangelegenheiten bedient *)
und es kommt nur darauf an, ob ınan mit ihnen umzugehen
wiſſe. Wer fi darauf verfteht, der wird an der Spike gro:
Ser Gefchäfte, wie die der oberften Staatsbehörden find, fo
‚gut, als in eigenen Gefchäften feine Rolle mit Ehren fpielen;
Wer fit) nicht darauf verfleht,, Der wird in feinem von beiden
Verhältniffen viel leiſten.“
5, Einmal hielt Socrates mit Pericles **), dem Sohne
Des großen Pericles, eine Unterredung. — Socr. „Ic
habe die Hoffnung, Pericles, wenn du Yeldherr werdeft,
werde der Staat fein Heer in befferem Stande, feine Waffen
wieder in Ehren, und feine Feinde ſich demüthigen fehen. —
Pericl. Es wäre fo mein Wunſch, Socrates, aber id
kann nicht abfehen, wie Dieß möglich wäre. — Sper. If
Dir’d angenehm, die Sache weiter zu befprechen und zu fehen,
wo erſt die Möglichkeit liegt? — Periecl. Recht gerne. —
Socr. Du wirft wiffen, daß Athen in der Berölferung den
Böotiern nicht nachſteht? — Pericl. Das weiß id. —
2) Schneiter und Schuͤtz halten biefen Gag „denn — ber
dient“ für ein Einſchiebſel; Wir folgen der Eonfteuction
(jedoch nicht der Erklärung) Hindenburgs, der die Bulgata
0001 Enuısauevor Väßt,
**) Mericled, der hier gemeint ift, war ein natürlicher Sohn
des großen Staatsmannes; aber nach dem Tode ber ges
festigen Söhne räumen ihm die Athener dein Water zu
Gefallen die Rechte eines geſetzlichen Sohnes ein. Plutarch,
Leven des Pericies. €, 37. In dem Treffen beiden Ars
ginufen war er mit Thrafylus und Erafinites Beldherr.
umd wurde mit Diefen. zum Tode verurtheilt. f. zu I, 1.
%
-- — ah
Dritte Buch. 537
Sper. Und wo glaubft bu, daß ſich mehr kraͤftige und. fchöne
Zeute finden laſſen? In Böotien oder unter den Athe⸗
nern? — Periel. Auch darin, denke ich, follen fie nicht zu⸗
räditehen. — Sper. Auf weldyer Seite wird ferner mehr
Einigkeit ſeyn? — Pericl. Ic denke, auf Seiten der
Athener; denn von den Böotiern ift ein großer Theil gegen
Die Thebaner übel geſtimmt, weil fie fehen, daß fie von Die:
fen gemißbraucht werden; in Athen finde ich Nichts dergleichen.
— Socer. Ga, man findet auch nirgends dieſe unbegrenzte
Ehrliebe und wohlwollende Sefinnung, Eigenfchaften, welche
die mächtigften Antriebe enthalten, für-Ruhm und Vaterland
jeder Gefahr zu frogen. — Perich. Auch bierin Bann man
Den Üthenern Nichts anhaben. — Socr. Auch die Helden:
thaten der Vorältern haben für Manche etwas Erhebendes,
was fle zur Tapferkeit begeiftert, und ihren Muth entflammt,
und wieder kann Bein Volk fo große und fo viele Helden
thaten von feinen Vorältern aufzählen, als die Athener. —
Periel. Alles ift wahr, was du ſagſt. . Uber bu weißt,
daß feit dem Unfalle bei Lebadea *),_ wo wir unter Tolmides
die kaufend Mann verloren, und feit der Niederlage bei Des
Teum **) unter. Hippocrates der Waffenrunm Athens gegen
Die Böotier gefunden, und ben Thebanern der Muth gegen
die Athener fo gewachfen ift, daß fie, die vorher nicht eins
mal auf eigenem Boden ohne den Beifland der Lacebämonier
*) Stadt in Bbotien, im der Nähe von Sbaͤronea, heut zu
Tage Kivadin, Das Hier erwähnte Treffen berichtet Thu⸗
cydides I, 115.
++) Delium, in Bdotien in der Nähe des Euripus. Die Schlacht
erwähnt Thucydides IV, 93 ff.
NN
SB RXenophon's Erinneruugen an Socrates.
und übrigen Peloponnefler den Athenern die Spitze zu bieten
wagten, nun für fich allein mit einem Einfall in Attica dro⸗
ben, und die Athener, die früßer, fo lange die Böotier allein
ftanden, Böntien verheerten, nun in Sorgen And, die Bör⸗
tier möchten Attiea verwüften. — Gocr Ich weiß leider
wohl, baf es fo iſt, aber ich denke, um fo leichter würden
jest die Büger einem waderen Anführer zu Willen werben.
Nadyläffigkeit, Leichtſinn und Ungehorfam find die Folgen
der Sicherheit: aber Furcht macht die Leute aufmerkfamer,
folgfamer und ordnungsliebender. Man kann Dieb fchon an
der Mannfchaft auf einem Schiffe fehen. So lange die Leute
wahrhaftig Nichts zu fürchten haben, fo find ſie voll Unfugs;
fobald innen aber ein Sturm oder der Feind auf dem Naden
it, fo thun fe nich nur Alles, was befohlen wird, fondern
fie horchen auch auf die Befehle mit einer Stile, wie kaum
ein Ehortänzer auf feinen Ehormeifter. — Pericl. Aber
wenn gerade jest ein fo guter Erfolg zu hoffen ift, fo könn⸗
tet du nichts Beſſeres thun, als wenn du mir fagtefl, wie
wir fie durdy die Erinnerung an den alten Heldenmutb, Glanz
‚und WBohlftand Athens aufs neue entflammen könnten. —
Socr. Geſetzt, mir wollen, daß fie auf Schäte Anſprüche
machten, welche Audere in Händen hätten, würde es ein
befferes Mittel geben, fie dazu zu bewegen, als wenn wir
ihnen nachwiefen, daß fie als ein vom ihren Ahnen auf fie -
vererbtes, und rvechtmäßiges Eigenthum ihnen augehören?
So müffen wir nun aud) jest, wenn fie an Heldenmuth vie
Erften zu werden fireben follen, auf gleiche Weife von diefem
Vorzuge nachweifen, daß er vom Alters her ihnen eigenthüms
lich gewefen, und daß fie, wenn fie Diefes ſich zum Siele
A
febten, der mädyigfte Staat von ber Melt werben würden. —
Pericl. Und wie fönnten wir fle hiervon Überzeugen ? — Socr.
Ich denke, wenn wir ihnen ihre früheften und befannten Vor⸗
ältern in's Gedaͤchtniß riefen, von deren audgezeichnetem
Heldenmuthe fie ſelbſt fchon gehört Haben müſſen. — Perict.
Meinft du den bekannten Götterftreit *), worin Gecrops um
feiner Berdienfte willen zum Schiedsrichter erwählt wurde? —
Socr. Fa, und die Geburt und die Erziehung des Erech⸗
theus **), und ben Krieg, den die Athener zu feiner Seit
Hegen das ganze angrenzende ***) Feſtland zu führen hatten,
fo wie den Krieg, den fie zur Zeit der Heracliden +) gegen
die Peloponnefier, und allejene ++), die fle unter Theſeus führz
*) Es ift der Streit mit Neptunns und Minerva um den Be
fig Athens; ECecrops entſchied babei für Minerva. Mol.
AyoHodor, III. 1%. .
**) Bepieht fi auf Homer Stiad, II, 547. wo Erechtheus ers
waͤhnt ift, als
„Der König, weichen Athene
Pfiegte, die Tochter des Zeus, (ihn gebar bie frucht⸗
. bare Erbe),
Und in Athene feut’ in ihren begäterten Tempel.’
+44) Die Xhracier, die damals Grenznachbarn von Attica was
ren. Der Krieg ſelbſt Heißt gemeiniglich der Eleuſiniſche,
weil die Thracer von Eumolpus, König der Eleufinier,
angeführt wurden. Vgl. Iſocr. Paneg. E, 19. Thucob. 11, 15.
+) Der Krieg gegen Euryſtheus zu Gunften ber SKeracliten,
Bol. Iſoer. Paneg. E. 15 — 17. Kyfias Spitaph. S. 12 - 15.
+7) Die Kriege gegen die Amazonen vom Fluſſe Thermobon.
LEyſias Epitaph. 8. 4. ff. Iſocr. Paneg. €. 19. Nach
ber letztern Stelle hatten fie fi mit ben Scythen verbuns
den. Der Anliaß des Krieges war der Raub der Hippo⸗
Inte durch Theſens.
-
550 Xenophon's Erinnerungen an Socrates. |
ten, in welchen fie ſtets vor ihren Seitgenoffen den unbezwei-
felten Vorrang in der Tapferkeit behaupfeten. Ferner Das,
‘wenn. du willft, was fpäter zunächſt vor unferen Tagen ihre
Nachkommen volbradyt haben, bald für fi Fämpfend gegen
ein Volk *), das ganze Alten und Europa bis nach Mace-
donien hin beherrfchte, das über das größfe Heer und die
bedentendften Hilfsmittel in der ganzen Vorzeit Pr gebieten,
und die fcheindbar **) unausführbarften Werke zu Stande ge-
bracht hatte, bald in Verbindung mit den Peloponnefiern zu
Waſſer und zu Lande ſich Ruhm erfechtend, weßwegen ihnen
and) allgemein weit über ihren Zeitgenoffen der Plab einge:
räumt wird. — Pericl. Dieß ift außer Streit. — Soer.
Daher blieben file auch, ungeachtet der vielen Wanderungen,
denen Griechenland unterworfen war, ruhig in ihrem Stamm⸗
Iande; in einer Menge Streitigkeiten unterwarfen ſich die
Vebrigen ihrer Entfcheidung, und nicht felfen wurde gegen
die Bedrürungen der Machthaber ihr Schu angerufen, —
Pericl. Ich kann mid nur wundern, Socrates, wie der
Staat fo in Verfall gerafhen konnte. — GSocr. Ich denke,
28 ging bei den Athenern wie bei einigen Athleten ***), bie
im Gefühle ihrer hohen Weberlegenheit, Eraft der fie jeder:
zeit den Sieg davon frugen, fid Feine Mühe mehr geben,
*) Die Perfer unter Darius und Kerxes.
++) Die Bräce über ben Sellefpont und bie Durchgrabung
bes Athos unter Xerxes. Iſocr. Paneg. €. 25.’ Lyfiag
Epitaph. 5. 35. Vgl. Aeſchines gegen Etefiph. p. 522,
$. 192,
***) Nach Weiske's Eonjectur mit Schneider, Schuͤtz und Herbft,
Die Vulgata: &AAos Tiväg ift wohl kaum zu vertheidigen.
En nn
" "Drittes Buch. . 531
und ſo am Ende Hinter ihren Gegnern zurüdbleiben. Ihr
Verfall hatte keinen andern Grund, als die Höhe auf der fie
ftanden,, und bie Nachläßigfeit, der fie chen, deßwegen fich
überließen.: — Peric. Und was müßten fie nun thun, um
den alten Heldenmuth wieder zu erlangen? — Soecr. Das
läßt fich leicht errathen! fie dürften nur die Sitten und die
Lebengweife der Voreltern hervorſuchen, und fih fo unver
brüchlich, wie fie, daran halten, fo könnten fie nicht hinter
ihnen zurückbleiben. Wo nicht, fo müßten fie wenigflene
Diejenigen, *) die jebt den Vorzug behaupten, fih zum Mu:
fter nehmen, und ihre Sitten und Lebensweiſe fich aneignen.
Thaͤten fie es ihnen in Allem gleich, fo könnten fie nicht tie⸗
fer; thäten fie es ihnen noch an Ernft und Eifer zuvor, ſo
müßten fie nody höher flehen, als Sene. — Pericl. Damit
gibft du zu verftiehen, unfer Staat fey noch weit von der
Tugend entfernt. Denn wann wird es mif den: Athenern fo
weit kommen, daß fie, wie die Zacebämonier das Alter in
Ehren halten ? gleich bei den Vätern machen fie ja den Ans
fang, die Welteren zu verachten. Wann werden wir erleben,
Daß fie fo ſich Eörperfich üben? weit entfernt, ſelbſt an Kräf⸗
tigung ihres Leibes zu arbeiten, verfpotten fie ja noch die
Anderen, die fid, damit Mühe geben. Wann werden fie fo
den Obrigkeiten gehorchen? fie thun fich ja fogar Etwas dars
auf zu gute, wenn fie fich nichts um Die Obrigkeiten befüms
mern: Wann werden fle endlich fo in Eintracht Teben ? ſtatt
fich zu ihrem gegenfeitigen Vortheile zu vereinigen, thun fie
*) Die Spartaner, für welche Kensphon betannttich eine Vor⸗
liebe hatte.
552 Xenophon’s Erinnerungen an Socrates.
ja einander zu Leide, was fle nur koͤnnen, und gönnen noch
Biel weniger einander Etwas, ald fremden Leuten; mehr, als
irgend ein anderes Volk entzweien fie ſich in befondern und
Öffentlichen Derfamminugen, werten einander Prozeffe über
Prozeſſe an den Hals, und ziehen lieber auf diefem Wege
Gewinn von einander, als durd) gegenfeitige Dienftleiftungs
mit dem Staatsgute gehen fie um, als ginge es He nichts
an, und ftreiten fid) danıı wieder um daflelbe, und kennen
nichts Höheres auf der Welt, als die Mittel, welche zu dies
fem Zwecke behülflich find. Daher jene Unerfahrenheit*) und
eigheit, unter welcher der Staat leidet; daher die Feind:
ichaft und der Haß der Bürger untereinander: Webel, vie
mid) flets fehr beforgt machen, es möchte den Staat ein grö⸗
Beres Unglücd treffen, ald er zu fragen im Stande wäre —
Soecr. Nein, Pericles, glaube ja nicht, daß die Athener an
einer fo unheilbaren Verdorbenheit leiden, Siehft du nicht die
fchöne Ordnung, die auf ihrer Flotte herrfcht, den pünktlichen
Gehorſam, welchen fie in den gumnifchen Kampffpielen den Aufs
-fehern beweifen, und die Folgſamkeit gegen die Chormeifter,
worin unfere Ehdre denen Feiner Nation etwas nachgeben ?—
Pericl. Das ift eben das Sonderbare, daß folche Zeute ih⸗
ren Borftehern Folge Teiften, und die Mopliten *) und Rits
ter, denen doch ihre höhere ZTrefflichfeit den erfien Rang
*) ansıpla. Sehneider und Schuͤtz in ben Noten ‚neigen fi,
jedog mit Recht, zu Kindenburgs_Eonjectur: ATEIEOXG-
Alo, was niedrige Dentungsart bezeichnet, und
hier allerdings paſſender ftänbe,
**) Schwer bewaffnete Fußgaͤnger.
Drittes: Buch 533
unter den. Bürgern angewiefen zu haben fdyeint, gerade die
Widerfpenftigften find. — Socr. Und der Rath im Arco:
pag, *) Perieles, befteht er nicht aus Denienigen, **) weldye
in der gefeslichen Vorprüfung beſtanden find ? — Perict, Als.
lerdings. — Socr. Kennſt du nun einen Gerichtöhof, der
’ fein Richteramt und feine übrigen Obliegenheiten mit mehr
| Gewandtheit, Gewiffenhaftigkeit, Ernſt und Gerechtigkeit er
füllte? — Periel. Ih kann diefem nichts anhaben. —
Gacr. So darfft du alfo an den Athenern nicht verzweifeln,
| als 06 fie für Ordnung nidyt empfänglid wären. — Pe
rich. Wenn fienur im Kriege, wo Zucht, Ordnung und Gehors
ſam am wefentlichften -find, an eine diefer Tugenden dachten! —
Soer. Vieleicht daß gerade hier ihre Vorgeſetzten am wes
nigften fangen. Siehſt du nicht, daß auch nicht Einer daran
denkt, bei Eicherfpielern, Sängern, Tänzern, Ringern oder
Paneratiaſten ***) die oberfte Leitung zu übernehmen, ohne
fig darauf zu verfiehen ? Da kann ſich ein Jeder barüber
ausweiſen, wo er die Kunft gelernt, in welcher er den Mei⸗
fler. macht; von ben Feldherren dagegen treten die Meiften
unporbereitet ihr Amt an. Bei dir iſt Dieß freifich nicht
*) Arevpag, ein. Gerichtähof in Athen, deffen Urſprung ſchon
in bie mythiſche Zeit faͤllt. Er hatte vorgägtich über
Morbverbrechen. zu richten, und war durch feine Gewiflens
baftigteit bekannt.
*) Wie andere Obrigkeiten in Athen, fo mußten aud bie
Arenpagiten vor ihrer Beftätisung in ihrem Amte, ſich
einer Prüfung unterwerfen. Iſocr. Areopag. S. 37.
+90) Won Paneration, einer Art Eibesauͤbung, weiche den FJauſt⸗
tampf und das Ringen zugleich in ſich faßt.
534 Xenophon's Erinnerungen an Socrates.
der Fall; du kannſt ſicher eben fo gut die Zeit angeben, wo
du die Feldherrnkunſt, als die Zeit, wo du die Ringkunft zu
erlernen anfingft, und ich meine, du habeft nicht nur viele
von den Kunftariffen behalten, die dein Water dic, geiehrt,
fondern gewiß Alles aud) fonft gefammelt, was nur irgendwe
für deine Kunft ſich finden ließ. Du gibft dir gewiß alle
Mühe, dag dir ja Peine für einen Feldherrn nützliche Kennt:
niß unbemerkt bleibt, die dir noch abgehf, und wenn bu dann
Etwas findeft, was du auch nicht verftehft, fo fuchft du fach
verftändige Männer auf, und läffeft ed weder an Gefchenken
noch an Gefältigkeiten fehlen, um von ihnen zu fernen, was
du noch nicht weißt, und an ihnen Leute zu gewinnen, die
dir mit Rath und That an die Hand gehen, — Pericl. Id
merke wohl, Socrates , daß es bir Fein Ernſt damit ift, als
ob ich wirklich das nes thäte; du willſt mir bios damit
fagen, daß man Dieb hun müffe, wenn man Feldherr wer-
den wolle, und darin flimme ich dir vollkommen bei. —
Socr. Über haft du auch bemerkt, Pericles, daß por unferm
Lande große Gebirge gegen Böotien hin ſich ausdehnen, durch
welche nur enge und fleile Zugänge in unfer Land führen,
und daß es mitten von unzugänglichen Gebirgen durchſchnit⸗
ten iſt? — Pericl. Gar wohl, — Socr. Nun, und haft
du gehört, wie bie Myſier *) und Pifidier mittelft Beſetzung
fefter Plätze im Lande des großen Könige und mit leichter
Bewaffnung dem Eöniglichen Gebiete durch ihre Einfälle gro=
fen Schaden hun, und ſich felbft unabhängig erhalten? —
*) Bölterfgaften in Kleinaſten; vgl, über das hier Erwähnte
Kenoph, Anab. II, 2. I, ı,
U ä ä ä ä IIII
Drittes Buch. 535
Pericl. Auch das höre ich. — Socr. Glaubſt. du nun nicht
auch, wenn die Athener im rüſtigen Alter, leicht bewaffnet,
die Gebirge an der Grenze ihres Landes beſetzen würden,
dag fie den Feinden großen Schaden thun, und ihren Mit—⸗
bürgern eine mächtige Vormauer um ihr Gebiet bilden Eönn-
ı tn? — Pericl. Auch von der Zweckmäßigkeit diefes Vor—
ſchlags bin ich vollkommen überzeugt. — Socr. Nun denn,
wenn du mit mir einverſtanden biſt, mein Beſter, fo bringe
meine Rathſchläge in Ausführung. Denn was dir daran
gelingt, kann nur dir zur Ehre und dem Staate zum Vor—
theile gereichen; und ſollte dir Etwas nicht von Statten
gehen, ſo kann Dieſes weder dem Staate Schaden, noch dir
Unehre bringen.”
6. Glaucon *), der Sohn des Ariſton, hatte einen ſol⸗
chen Drang, an die Spitze des Staates fid, zu flelen, daß.
er noch, ehe er fein zwanzigſtes Jahr erreicht hatte, als
Volksredner fich verfuchte. Er Hatte **) eine Menge Freunde -
und Verwandte, aber von Keinem ließ er fidy’s nehmen, ſich
von der Rednerbühne herabreiffen und auslachen zu laſſen.
Pur dem Socrates gelang Dieß. Er nahm fich feiner an, dem. -
Charmides, Sohne des Glaucon, ***) und dem Plato zu Liebe. _
Als er ihm daher begegnete, knüpfte er zunächſt folgendes-
Geſpräch mit ihm au, zuerft nur, um ihn au feflein: —
Socr.. „Seht deine Abſicht dahin, Glaucon, did, an die
Spitze des Staates zu ftelen? — Glauc. Ja, Socrates. —
*) Bruber des Plato,
**) Zurcoy, mit ber Vulgata und Schuͤtz.
*++) Diefer Glaucon war ein Bruder von Plato'd Water,
556 XRXenophon's Erinnerungen an Socrates. |
Soer. In der That, das ift auch das fchönfte Ziel, das ſich
ein Menſch feben kann! Wenn du es erreicht, fo darfft du
wünfdhen, Was du wilft, und es muß dein werben; du
kannſt deinen Freunden dienen, beine Familie heben, das
Daterland beglücken; du bekommſt einen Namen in der Stadt,
in Griechenland, vielleicht, wie Themiftoctes, ſelbſt unter den
Barbaren, und wo du hinkommft, macht du Aufſehen.“
Glaucon bildete ſich nicht wenig ein, als er Das hörte; er
dachte an Fein Weggehen mehr, und Sorrates fuhr fort:
Socer, ‚Das verfteht fic natürlich, von felbft, Glancon;
wenn du geehrt ſeyn wilft, mußt du dich um den Staat vers
dient mahen? — Blaue. Allerdings. — Sper. So bitte
ich dich um der Götter willen, mache vor mir Fein Geheim—⸗
niß daraus, und fage mir, womit willſt du den Anfang dei:
ner Verdienfte um den Staat machen!‘ Glaucon fchwieg,
und that, als dächte er eben erft nach, womit er anfangen
ſollte. — Sper. „Wenn du dad Haus eines Freundes empors
bringen wollteft, fo würdeft du wohl daranf ausgehen, in
reicher zu machen. Haft du alfo Diefes auch mit dem Staate
vor? — Glauc. Allerdings. — Soecr. Würde nicht ber
Staat reicher werden, wenn feine Einkünfte zunähmen? —
Glauc. So muß ed wohl ſeyn. — Soecr. Sp fage mir
denn, woher bezieht der Staat gegenwärtig feine Einkünfte
und Was betragen fie? du haft natürlich fchon darüber nach⸗
gedacht, um, falls eine oder die andere Quelle fparfamer köße,
den Ausfall zu deden, und wenn fle ganz verfiegen follte,
eine neue zu eröffnen. — Glauc. Nein, wahrhaftig, daran
gerade Habe ich noch nicht gedacht. — Sorr. Run, wenn du
Dieb übergangen haft, fo-nenne und wenigſtens bie Ausgaben
Drittes Buch, 537
des Staats; denn du gehſt ohne Zweifel darauf um, auch
bier die wnnöthigen Ausgaben aus der Liſte zu ſtreichen. —
Blaue. Wahrhaftig, auch dazu habe ich nicht Seit gefun⸗
den. — Soer. Nun, ſo denke ich, wollen wir damit noch
warten, den Staat reich zu machen, Denn wie kann man
damit anfangen, ohne die Ausgaben und Einnahmen zu ken⸗
nen ? — Glauc. IAber, Socrates, man kann ja den Staat
auch) von den Feinden bereichern. — Socr. In der That, du
haft Recht, wenn man Meifter über fie if; denn wenn man
ihnen nicht gewachſen ift, fo könnte man noch das Seinige
dazu einbüßen. — Glauc. Da fagft du die Wahrheit, —
Spcr. Geſetzt nun, es hätte Einer die Frage in Ueberlegung
zu ziehen, mit Wen man Krieg anfangen folle, müßte er nicht
die Macht des Staates und die der Feinde genau Eennen,
um, wenn die Weberlegenheit auf Seiten des Stantes wäre,
zum Kriege zu vathen, und wenn fie auf Seiten der Feinde
waͤre, davor zu warnen? — Glauc. Ich muß dir Recht ges
ben. — Socr. So fage mir denn zuerfi die Lands und See
macht des Staates, dann die der Feinde. — Glauc. Id
kann dirs wahrhaftig nicht ſo aus dem Kopfe herfagen. —
Socr. Nun, wenn du es fchrifstich haft, fo hole eds ich
möchte es gar zu gerne hören. — Glauc. Ich habe es wahts
baftig auch nicht ſchriftlich — Socr. So müßten wir vors
erft auch in Kriegsangelegenheiten mit unferem Rathe zurück⸗
halten. Vielleicht waren dir auch die Sachen für den Ans
fang deiner politiſchen Laufbahn zu weitläufg, um dich auf
ihre Unterfuchung einzulaſſen. Aber das weiß ich, daß du
Did) der Bewachung des Landes angenommen haft. Du weißt,
wie viele Poften zweckmäßig find, und wie viele nicht; wie
Renophon. 46 Bbchn.
538 Zenophon’s Erinnerungen an Socrates. -
viele Mannschaft dazu hinreichend iſt, und wie viele nicht;
u wirft die zweckmäßigſten Poſten zu verftärken, die unnd-
thigen einzuziehen vathen. — Glauc. Wahrbaftig, alle müß-
‘ten fie mir eingezogen werben; denn fie verfehen ihre Poften
fo, daß Alles auf dem Lande geftohfen wird. *) — Socr. Wenn
Man aber die Poften einzieht, wird dann nicht auch offen raus
"pen können, Wem es nur einfättt? Uber bift du ſelbſt hinge⸗
gangen, und haft ed unterfucht, oder woher weißt du, daß
‘die Poſten fchlecht beſtellt ſtnd? — Glauc. Ic, vermuthe
.— Socr. Sp wollen wir auch über dieſen Punkt unfern
Math auffparen, bis wir nicht mehr blos vermuthen, fordern
gtunmehr wiffen. — Glauc. &s ift vielleicht fo beſſer. —
Soer. In die Silbergruben aber, "das weiß ich, biſt du uke
gekommen, und kaunnſt alfo auch nicht fagen, warum fie jest
weniger ertragen, als früher. — Gawe Nein, dahin din
ich nie gekommen. — Socr. Man fagt aud) in der That,
"der Dre’ ſey ungeſund. Mehr braucht es zu deiner Entſchul⸗
digung nicht, "wenn 'du dariiber ein Sutachten geben ſollteſt.
rauc Man Tpsteet' meirer. *) — Socr. Nur Das, weiß
Ich, Haft du nicht verſaͤumt: "du Heft nachgedacht, wie lange
der Ötaat mit dem Betreide, das wir ſelbſt im Lande gewin⸗
nen, ausreichen kaun, “nd wie viel ‘er noch anderes dazu
bendthigt iſt, "um Jederzeit davon zu wiſſen, wenn Mangel
+) „AenreFaı Mit Sundern,” Süß und Herbſt aus "den
Batitan. Handſchriften.
+) gxo@rtrolia, "Ans Antigen nHecksſthriften mit Schutz, ftatt
gro Woncgu. Herbſt; narh Sthnetders Tonjeerne: onmıponaı.
er werde inich Allerdings aufWieſen Vorwand ſtuͤrnnge n.“
GER
Drittes Buch. 359
im Staat entſteht, und bei ſeinen nothwendigen Bedurfmſ⸗
ſen ihm nit gutem Rathe zn Hülfe kommen zu koönnen, und
ihn zu retten. — Glauc. Du machſt gar ein Riefengefahäfe |
darand, wenn man auch um folche Dinge ſich annehmen ſoll. — |
Soer. Kann ja doch Einer nicht einmal feine eigene Haus⸗
J haltung ordentlich beſorgen, wenn er nicht Alles weiß, was |
er noch anderswo her bekommen muß, und wenn er ſich nicht |
die Mühe gibt, jede Lüde auszufüllen. Da nun Aber die |
Stadt aus mehr ats zehntaufend Hdufern beſteht, und es |
|
fchwer it, für viele Haushaltungen zumal zu forgen,, warum
haft dm nicht zuerft dich daran gemacht, einer einzelnen: Haus⸗
haltung, der deines Oheims aufzuhelfen ‚ Se bedayf deſſen.
Gelingt es dir bei tiefer, fo masft Du auch ‚mit mehreren den
Verſuch machen; kannſt du aber einer einzelnen nicht helfen,
wie koͤnnteſt du bei vielen etwas ausrichten? Wenn Einer
Ein Talent *) nicht tragen kann, muß man es ähm nech-fa= u
gen, daß er es mit -mehreren auch nicht Eimmal verſuchen |
fote? — Blanc. Da ſollte es bei mir nicht fehten. cd,
weilte ſchon meinem Ohein wieder aufhelfen, wenn er mir
nur folgen wollte. — Soecr. Die? du kannſt deinen Ohelm
nicht dazu bewegen, und meinſt, “bu würdeſt ganz Mühen
ſammt deinem Oheim dahin bringen koaͤnnen, bir Zu gehor⸗
chen ? Nimm dich in Acht, Glaucon, daß du nicht über dem
Streben nach Ruhm dir das Gegentheil zuziehſt. Sieht du
nicht: wie gefährlich es ift, wenn man Etwas nicht verſteht,
5 Kalent, ‚hier qls Gewicht, und gwar als Attiſches. Es be⸗
trug zwiſchen 55 und 536 Pfund .unfetes Cewichts. Wurm,
de ponderibus etc, ©, 47.
10 *
540 Renophon's Erinnerungen an Socrates.
and doch davon reden oder ſich damit befaffen will? denke an
Andere, die diefen Zehler machen, und fprechen und thun,
was fie nicht verſtehen. Was gewinnen fie damit ? Lob .oder
Tadel ? Bewunderung oder Beratung? And denke dann
auc an Die, welche verfichen, was fie fagen und was fie
thun. Ich meine, du werdeft finden, daß durhaus Ruhm
und Bewunderung den Einſichtsvollſten zu Theil wird, Schande
und Verachtung dagegen die Unwifjendften trifft. Iſt es dir
daher um Ruhm und Bewunderung im politifchen Fache zu
thum, fo laß dir vor Allem angelegen ſeyn, in den Beruf,
den du bir wählft, die nöthige Einſicht dir zu verfchaffen s
biſt du darin den Andern überlegen, wenn du als Staats:
wann auftrittſt, fo fol micdy’s wundern, wenn es dir nicht
eine Kleinigkeit ift, deine Wünfche zu erreichen.‘
: .9. Bei Charmides, *) dem Sohne des Glaucon, war es
gerade umgekehrt, Er befaß fehr achtungswerthe Eigenſchaf⸗
7
ten, und fand an Talenten und Einſichten weis über den
damaligen Staatsmännern; dennoch Eonnte er ſich nicht ents
fehließen, vor dem Volke aufzutreten, und ſich in die Leitung
des Staates zu mifhen. Dieß veranlaßte den Socrates gu
‚folgender Unterredung mit ihm: Socr, „Höre, Charmides,
‚wenn Einer die erforderlichen Cigenfchaften hätte, um ben
Preis in den äffentlihen Wettkämpfen zu gewinnen, und das
durch ſich ſelbſt Ruhm und Ehre, und feinem Vaterlande
*) Derſelbe, deſſen Namen ein platoniſcher Dialog fuͤhrt.
Ueber feine Berwandtſchaft mit Plato, ſ. zu C. 6. Seinen
Todb erzählt Xenoph. Griech. Geſch. II, 4,
Drittes Bud). 541
‚neuen Glanz in Griechenland zu erwerben, und er wollte
nicht in den Kampf ſich einlaffen: was würdeſt du von dem
Manne benken? — Charm. Daß er weichlid, und feig fey,
begreiflich — Soc Und wenn Einer das Talent und Die
Kunſt befäße, wofern er nur ſich der Staatsgefchäfte anneh⸗
men wollte, den Staat empor zu bringen und ſich ſelbſt in
Anſehen zu ſetzen, aber er koͤunte ſich dazu nicht entſchließen,
würde er dann nicht mit allen Rechte für feig gelten? —
Eharm. Es mag ſeyn; aber wozu machſt du diefe Frage an
mih? — Soer. Weil ich finde, daß du mit allen Talenten
und Einſichten dich nicht entfchließen kannſt, dich um Angele⸗
genheiten zu befümmern, welche dir ſchon als Bürger unmögs
lich gleichgültig ſeyn können. — Charm. Was haft du denk
für Proben von meinen Fähigkeiten, daß du fo won mir ur⸗
theiſſt? — Soer. Du unterhälk did je und je mit den
Staatsmännern, und da finde ich ſtets deine Rathſchlaͤge aut,
wenn fie dich über Etwas befragen, und deine Ausſtellungen
richtig, wenn fie einen SGehler machen. — Charm, & if
darum doch nicht einerlei, Socrates, in Eleineren Eirkeln
feine Meinung zu fagen, und vor einer Menge Volkes mit
einer formlichen Rede aufzutreten. — Socr. Aber Wer eins
mal rechnen kann, rechnet doch vor einer Menge Volks fo
gut, als allein, und Wer für fi am beften die Cither fpielt,
trägt auch vor einer Menge Volks den Preis davon. —
Charm. Ja, wenn Schüchternheit und Angft nicht wäre !
Siehft du denn nicht, daß die den Menfchen angeboren find,
und Einem in dffentlihen Verſammlungen weit mehr, als in
kleineren Cirkeln zu ſchaffen mahen? — Soer. Eben bar:
543° Xenophon's Erinnerungen An Socrates.
amp wollte th did, hinteiten, daß, *) während die Verſtaͤn⸗
digſten dich nicht einzuſchüchtern, die Mächtigften dich nicht
in Augſt zu bringen vermögen, du vor.einem-unwiffenden und
unmaͤchtigen Volkshaufen aufzutreten dich fchämft.- Vor Wem
braͤuchſt du denn dich zu fehamen? Bor den Walken, Zim⸗
merleuten, Schuftern, Schniieden, Bauern‘, Kanflenten oder
Marktkrämern, deren Trachten dahin geht, wohlfeil einzu:
kaufen unb theuer zu veraufen ? denn aus diefen Allen iſt
die Boiksverſammlung zufammengefebt, Kommſt du dir nicht
felbſt ſo vor, wie wenn Einer den Fechtmeiſter zu Schanden
macht, und vor einem Stümper Augſt hat? du machſt dir
Michtes davand, **) vor den erſten Männern im Staate, deren
Einitge hoch auf Dh herab’ fehen, beine Meinung zu fagens
du biſt Denen, die fich mit oͤfſentlichen Vorträgen beichäfti«
gen, weit Überlegen, und vor Leuten, die noch nie fich um
Politiſches bekümmert und did, nicht gering gefchägt haben,
nimmſt du Anſtand dic Hören zu laſſen, aus Furcht, du
önntert verlacht werden. — Charm. Wie? bu glaubſt nicht,
daß in der Volksverſammlung oft Solche ausgelacht werben,
die ganz vernunftig ſprechen? — Socr. Rım, Dieß geſchieht
auch bei ben Andern. Darum eben kann ich dich nicht bes
greifen, daß dit mit Jenen, wenn fie lachen, fo leicht fertig
wirft; und mit Diefen auf keine Weife umgehen zu koͤnnen
mein, Mein Berker, bleibe nicht mit Bir ſelbſt unbekannt,
und hüte bich vor dem Fehler, im den ſo viele Menſchen ver⸗
5
*) Orte mit Weiste, Say und Heebft.
+) mit Ei: iv ya - : . Scyeider eV Ydo . « +3
als Frage. Ebenſo Herbſt.
—
Drittes Buch. 949
fallen. Der größte Theil geht darauf ans, in-die Angele—
genheifen Underer hineinzufehen, und. denkt nicht daran, ſich
felbft zu prüfen. Verſäume Dieſes ja nicht; firenge vielmehr
alle deine Kraft an, auf dic ſelbſt Acht zu haben, und ver⸗
nachläßige den Staat nicht, wenn du Etwas zu Verheſſerung
feines Zuſtandes beitzagen kannſt. Denn wenn es mit dem,
Staate gut fteht, fo werden die heilfamen Folgen danon nicht
nur anf. die übrigen Bürger, fonbern aud) auf deine eigenen,
Freunde und auf dich ſelbſt ſich erſtrecken.“
8. Einf verſuchte es Yriftipp, *) den Socrates in Ver:
legenheit .zu feßen, wie er. von ihm vorher darein geſetzt
worbeu war. Socrates wollte diefe Unterhaltung für feine
Fraunde nüslic machen und. antwortete nicht, wie Einer,
der. ſich in Acht nimmt, daß. er nicht. irgendwie den. Streitz
punft aus den Augen verliere, **)- fondern mit der. vollen Zu⸗
verficht, daß er die Sache recht asıgyeife. ***) Ariftipp fragte
ihn, ob er Etwas .wiffe, das gut wäre. Würde Secrates
Speife, Trank, Geld, Gefundheit, Stärke, Muth oder Aehn⸗
liches nennen, fo wollte er. ihm nämlich zeigen, daß biefe
Dinge zuweilen Uebel feyen. Aber Socrates ging von dem
%
*) Vol. II, 1.
**) Mit Herbſt aus Handſchriften: og Ay TIETTELGLEVOL
dlısa noaTTEv Ta dEovra. Oder nad Schneiders
hnlichen Vorſchlaͤgen.
2) So eretaͤren wir den etwas dunkeln Ausbruc ZnaAlayIi.
Schneider und: Herdſti vorſtehen ihn fü: „daß bie fiveitige
Game nicht zweidentͤg und zweifelhaft gemacht werde.“
Schuͤn ſchlaͤgt 7 TomanadAaxIT vor: „daß ihnen bie
Streitfrage nicht entriffen werde.
I
544 Xenophon's Erinnerungen an Socrates.
beftimmten Tal aus, wo man Beichwerben empfindet unb
ein Gegenmittel fucht, und gab ihm fo die befte Antwort,
. die fich geben ließ. „Fragſt du mich,” fagte er, „ob ich Et:
was kenne, was für das Fieber gut it ? — Arift. Nein, —
Socr. Oder für das Augenäbel? — Ariſt. Auch Dieß
nicht. — Soer. Oder für den Hunger? — Ariſt.«Auch das
für nicht. — Socr. Nun, wenn du mid, fragft, ob ic) etwas
Gutes wife, das zu Nichts gut tft, fo geftehe ih, ich weiß
Peines, umd fuche Feines der Art.‘
Yriftipp fragte ihn ferner, ob er irgend einen fchönen
Gegenſtand Tenne? Socr. „Sa, mehr ald nur Einen. —
Ariſt. Sind fle alle einander ähnlich ?- Socr. Zum Theil
fo wenig, als nur möglich if. — Arift. Wie kann nun Et⸗
was fchön ſeyn, was mit Anderem, das fchön ift, Unaͤhnlich⸗
keit Hat? —J Soer. In der That: ift doch dem Menfchen,
der zu einem Läufer fchön ift, ein Anderer unähnlich, ber
ſchön ift zum Ringers und kann doch auch ein Schild zu
einer Schupwarfe fchön ſeyn, und ift doch himmelweit vers
ſchieden von einem WBurffpieße, der für den Zweck eines kraͤf⸗
tigen Schwunges und rafchen Fluges ſchön genug if, —
Arift. Deine Antwort iſt nicht um das mindefte anders,
als wie ich did fragte, ob du etwas Gutes kenneſt. —
Socr. Findeft du denn einem Unterfchied zwifchen Gut und
Schön? Weißt bu nicht, daß Alles aus Einem und ebendems
ſelben Grunde fhön und gut if? die Tugend, zum Beifpiek,
iſt nicht aus dem einen Grunde gut, und aus dem andern
ſchön; fo find es auch bei den Menfchen diefeiben Eigenſchaf⸗
ten und diefelden Rüdfihten, um welcher willen man fie
ſchön und gut nennt; und aus denfelben Rückſichten, aus
Drittes Buch. 545
welchen man einen Körper für fchön erkennt, wird er auch
für gut erkannt, und fo ift es durchaus mit Allem, was bie
Menſchen gebrauchen. Es gilt für fhön und fir gut, immer
in derfeiben Beziehung, in welcher es ſich brauchbar ers
weißt. — Arift. Sp ift alfo auch ein Miſtkorb etwas Schoͤ⸗
nes? — Soer. In der That, und ein goldener Schild etwas
Haͤßliches, fo bald jener für feine Beſtimmung fchön gemacht
ift, und diefer fchlecht. — Arift. Du meinft ein und derfelbe
SGegenftand Fönne fchön und häßlich fun? — Socr. Ia,
und gut und ſchlimm zugleich. Denn oft ift, was für den
Hunger gut ift, für dad Fieber fchlimm, und was für das
Fieber gut ift, für den Hunger ſchlimm; und was für das
Laufen fchön ift, ift für das Ringen Häßfich, und was für
das Ringen fchön ift, ift für das Laufen häßlich. Alles ift
eben fchön und gut, wie es ſich zu Etwas wohl eignet, und
ſchlimm und haͤßlich, wie es fih zu Etwas fchlecht eignet.‘
Wenn er auf diefelbe Weife von den Hänfern fagte, daß
bei ihnen Schönheit und Zweckmaͤßigkeit zaufammenfallen,, fo
finde ich darin einen lehrreichen Wink, wie ein Haus ſeyn
müffe, wenn man eined baue. Er nahm dabei folgenden
Bang. Er fragte: „Iſt's nicht fo? Wer ein Haus haben will,
wie man es braucht, der muß es daranf anlegen, daß es zum
Darinwohnen alle möglichen Annehmlichkeiten und Gelegen⸗
heiten bdarbieter Gab man ihm Dieß zu: fo fragte er:
„Gehoͤrt es nicht zur Annehmlichkeit eines Hanfes, daß es
im Sommer kühl und im Winter warm ſey?“ Wurde auch
Diefes bejaht, fo fuhr er fort: „Scheint nicht die Sonne bei den
gegen Mittag fehenden Hänfern des Winters ın die Hallen hin⸗
ein, und läßt und des Sommers im Schatten, weil fie da gerade
. 546 Zenophon’d Erinnerungen an Socrated.
über und und den Däcdern hinweg geht. Sol Dieß nun
fo: ſeyn, fo wird das Haus gegen Mittag höher gebaut. wer»
den müflen, damit die Winterfonne nicht ausgefchloffen werde,
und gegen Norden niedriger, damit die Falten Winde nicht
hinein Pönnen? mit Einem Worte, die angenehmfle und
ſchönſte Wohnung ift die, wo man in jeder Jahreszeit für ſich
die angenehmfte Zufludyt, und für feine Habfeligkeiten bie
ſicherſte Niederlage findet. Gemälde und Verzierungen dage
gen rauben mehr Genuß, als fie geben.’ Für Tempel und
Altäre ferner, meinte er, fey ein Plab un fo geeigneter, je
mehr der Anblick deffelben freigegeben, der Zutritt zu ihn
erſchwert ſey. Es ſey fo angenehm, bei’m Gebete ihn vor
Augen zu haben, und bei dem Gange dahin vor Verunrei⸗
nigung *) fiher zu feon.
9 Man fragte ihn auch wegen der Tapferkeit, ob fie
Gegenſtand des Unterrichts oder eine Gabe der Natur ſey.
Er gab zur Antwort: „Wie ein Körper fchon von Natur
mehr ertragen kann, als der andere, fo denke ich, kann
auch eine Seele fchon von Natur den Gefahren mehr froben,
als eine andere. Denn die Erfahrung lehrt, daß zwifchen
Zeuten, die ganz nad) denfelben Gefegen und Gebräuchen ers
zogen werden, in Abſicht auf Herzhaftigkeit ein bedeutender
Unterſchied Statt findet. Gleichwohl glaube ich, daß die na⸗
gürliche Tapferkeit, fie mag.fo groß oder fo Elein ſeyn, ale
fie will, bei jedem Dienfchen durch Uebung und Unterricht
noch gewinnen tönne. Denn offenbar würden die Scythen
*) Die auf betretenen Straßen häufiger ift, als auf einfamen
Plaͤtzen.
Drittes Buch; 547
und Thracier ed nicht wagen, mit Schild und Lanze gegen
die Lacedaͤmonier zu fechten, und eben fo wenig würden bie
Lacedämonter Luft haben, mit leichten Schilden und Wurfs
fpießen gegen die Thracier oder mit dem: Bogen gegen bie
Schthen zu kämpfen, Auch in allen andern Stüden findet
fih, wie ich fehe, dieſelbe natürliche Verſchiedenheit dev
Menſchen vpn einander und dieſelbe Faͤhigkeit, durch Uebung
ſich zu vervollkommnen, wieder; woraus erhellt, daß alle
Menſchen, die fähigeren fo gut, als die minder begabten, in
dem Fache, worin fie etwas Teiften wollen, Uebung und Uns
terricht nöthte haben.“ Weisheit und Sittlichkeit *) trennte
er nicht von einander; er behauptete, Wer das Schöne und
Gute kenne, wende es auch aufs Leben am, -und Wer wifle,
was unedel fey, Der fliehe es, und fey Beides inkEines
Derfon, weife und fittlich. Als man ihn noch überdieß
fragte, ob er Diejenigen für weife und mäßig erkenne, welche
wiffen, was fie thun follten, aber das Gegentheil thun, fo
antwortete er: „So wenig, als Einen, der unweife und uns
mäsig zugleich ift. **) Denn nach meinem Dafürhasten wählt:
ich der Menſch, wenn er Etwas thut, aus Allem was mögs
lich tft, Dasjenige aus, was er für fi am vortheilhafteften
achtet: Wer daher wicht recht handelt, kann fo wenig weile,
als ſittlich ſeyn.“ Auch Die Gerechtigkeit und überhaupt, Was
*) gtoppoovn. Hier wohl raum bush Nuͤchternheit zu
uͤverſetzen.
*) Nach Herbſl's richtigerer Ertärung, die er der Schneider'⸗
ſchen entgegen ſetzt. Ebenſo Schuͤtz, der mit Hindenburg
ben Artitel Tag hinzufuͤgt.
548 Xenophon's Erinnerungen an Socrates.
man fonft unter Tugend verfteht, rechnete er zur Weisheit.
Die Aeußerungen ber Gerechtigkeit, fo wie Alles, was die Tu⸗
gend wirkte, feyen fchön und aut. Das Schöne und Gute dürfe
man nur kennen, um ihn nichts Anderes vorzuziehen; ohne
daß man es kenne, feyg man nicht einmal im Stande es zu
üben; felbft, wenn man es verſuche, müfle es dann mißlin⸗
gen. So fey alfo auch die Hebung des Schönen und Guten
Sache des Weifen, und Wer nicht weife ſey, fey wicht im
Stande ed zu vollbringen. Da nun, wie fcdhon angegeben,
die Yeußerungen der Gerechtigkeit und Alles, was die Tugend
fonft wirft, eben unter dad Gute und Schöne gehöre, fo
‚sehdre offenbar auch die Gerechtigkeit und Was fonft Tugend
heiße, zur Weisheit. Wahnſinn erklärte er für das Gegen:
theil von Weisheit; body erkannte er Unwifienheit noch nicht
für Wahnfinn. Aber ſich ſelbſt nicht Lennen, und Anderes,
als man weiß, anzunehmen, und fogar glauden, man wiſſe
es, Das, meinte er, grenze zunächft an Wahnfinn, Gewöhns
lich jedod) nenne man Das nody nicht Wahnfinn, wenn Einer
fih in Etwas irre, was die Meiften nicht willen; nur ein
Irrthum in Dingen, bie ein Feder wiſſe, werde fo genannt.
Wenn 3. B. Einer fi) für fo groß halte, daß er ſich büde,
wenn er durch das Stadtthor gehe, oder für fo flark, daß er
es verfuche, Häufer auf die Schultern zu nehmen, oder fonft
an offenbare Unmödglichkeiten gehe, Den erkläre man für
wahnfinnig. Uber Eleinere Irrthumer gelten gewöhntich nicht
für Wahnfian, fondern wie man, um verliebt zu heißen,
einen mächtigen Trieb haben müfle, fo werde auch nur eine
bedeutende Verrücktheit des Verſtandes Wahnfinn genannt.
Wenn er über dad Wefen des Neides Betrachtungen an⸗
Drittes Buch. 549
fieite, fo fand er, daß es in einer Art von Mißvergnägen
beftebe, fo wenig jedoch mit dem Mißvergnügen über das
Unglück von Freunden, als mit dem über bad Glück von
Feinden etwas gemein habe; Neid ſey einzig und allein bie
wnangenehme Empfindung Aber das Glück unferer Freunde,
Und als Einige es nicht begreifen wollten, wie man Einen
Sieben und über deffen Glück mißvergnügt feyn könne, fo ers
innerte er, es komme fehr häufig vor, daß Leute Einem in
der Noth ihre Theilnahme nicht verfagen köͤnnen, und ihm
fein Unglüd zu erleichtern fuchen, und doch es ungerne fehen,
wenn ed ihm glücklich gehe. Nur einem vernünftigen Manne
könne Dieß nicht wohl begegnen; die Thoren eben feyen ſol⸗
er Empfindungen fähig. Be feinen Betrachtungen über den
Müßiggang glaubte er zu finden, daß zwar dberfigrößte Theil
Etwas thue; *) and die Spieler und Poffenreißer thun Et⸗
was; aber Diefe feyen doc, lauter Müßiggänger; denn fie
feyen ja nicht gehindert, an etwas Beſſeres zu gehen. Hin⸗
gegen habe Niemand Muße, von befferen Befchäftigungen zu
ſchlechteren überzugehen; und wenn ed Jemand thue, fo thue
er übel daran, weil er keine Muße dazu habe, Könige. und
Obrigkeiten, fagfe er, feyen nicht Diejenigen, welche ben
Scepter führen, noch Die, welche es durdy die Wahl der
niebrigften Volksclaſſe oder durch das Loos, oder durch Ges
walt oder durch Betrug geworden ſeyen, fondern Diejenigen,
welche zu herrichen verfichen. Sobald ihm Jemand zuges
geben hatte, daß der Beruf des Herrichers ſey, zu befehlen,
+) Wir verwerfen mit Erneſti, Zeune, Schuͤtz und Herbſt
Schneiders aus dem cod. Voss. 1. entiehnten Zuſatz.
550 Xenophon’s Erinnerungen an Socrates.
was gefchehen folle, und ber bes Untergebenen, zu gehorchen,
49 zeigte er, daß auf dem Schiffe der Kundige berrfche, und
der Eigenthümer des Schiffes nebfl der ganzen übrigen Mann⸗
ſchaft dem Kundigen gehorche, und ebenfo in der Landwirth⸗
ſchaft der Sigenthümer des Gutes, in Krankheiten die Kraus
ten, bei den Leibesübungen Die, welche fi) üben; und daß
durchaus einteber, beffen Eigenthum einer Aufficht bebürfe,
zwar in dem alle fie ſeibſt übernehme, wenn er ſich dazu
die Einfichten zutraue, im entgegengefshten Falle dagegen den
Kundigen nicht nur gehorche, wenn er fie bei der Hand
Habe ,S fondern auch, ‚wenn fle nicht da feyen, nad) ihnen
ſchicke, um fi) von ihnen vorſchreiben zu laſſen, und eine
Sache verht anzugreifen. Bes Wollenarbeiten wies er fogar
sach, daß Hier die Weiber das Regiment über die Männer
führen, weit Jene ſich auf die Bearbeitung der Wolle ver⸗
stehen, und Diefe nicht. Brachte man hingegen bas Beifpiel
eines Tyrannen“) vor, als fen Diefer durch Nichts gehunben,
erftändigen Rathgebern zu gehorchen, fo erwicherte.er: „Mie
ſollte ex durch Nichts gebunden ſeyn zu gehorchen, wenn auf
dem Ungehorfame gegen gute Rathgeber eine "Strafe -ficht ?
Henn es mag Siner -onten: Rath verachten in Was «6 and)
ſey, fo macht er gewiß einen Fehler, und ber Fehler zieht
immer Strafe nach ſich.“ Sagte Einer‘, ein Thrann babe
iſogar die Macht, den Verſtaͤndigen zu todten, fo fragte er
) Tyrann, im Einne der riechen, iſt verſchieden non Dem,
was wir jetzt Tyrann heiſſen, und bezeichnet blos Den,
welcher gagen hie Geſetze ſich zum Regenen aufwirft, und
wiber den Willen feiner Unterthanen, nicht nach ben Ge⸗
ſetzen, ſondern nach eigener Willkuͤhr regiert, Vgl. IV, 6.
Drittes Buch, 551
ihn: „Meint du, wenn Einer die Beſten feiner Kampfge⸗
noffen tödte, fo komme er ungeflraft oder etwa mit einer
feichten Strafe davon? Was glaubft du denn, daß die Folge
davon ſeyn werde? daß er eher fein Leben davon trage, oder
daß er um fo fihneller feinen Tod finde?" Jemand fragte
ihn, was er für das Beſte halte, worauf fih ein Mann le⸗
gen inne? „Sein Glück zu machen’ *) antwortete ex. Auf
die weitere Frage, ob er glaube, daß man auch darauf fi
tegen könne, Glück zu haben, entgegnete er: „Haben und
Machen find mir ganz verfchiedene Begriffe; Gluͤck Haben
nenne ich, wenn Einer ungeſucht Etwas findet, wie er’s
braucht; es mache Einer fein Glück, fage ich dann, wenn ihm
Etwas gelingt, wozu er fi "durch Unterricht und Uebung
vorbereitet hat.“ Auch erklärte er für die vortrefflichſten
und von den Goͤttern am meiften geliebten Menfchen in der
Landwirthſchaft Diejenigen, die als Landwirthe, in ber Heil⸗
kunde Diejenigen, die ald Aerzte, in der Stautskunſt Dieje⸗
nigen, die ald Staatsmänner ihr Glück machen; Wer hin⸗
‚gegen in gar Nichts fein Glück mache, Dem ſprach er alle
Brauchbarteit und Bunft ber Gbtter ab.
ı0. Auch den Künftlern und Handwerkern, bie mit
Ihrer Kunſt ein Gewerbe trieben, wußte er ſich nüstich zu
machen, wenn er ſich mit ihnen in ein Sefpräd) einließ. So
*) „Sein Gluͤck machen” Mi zwar als ein. aus dem Branzdfis
Segen herlber gekonmmener Ausbruit: gewoͤhnlich nicht mehr
und nit weniger, als Biäcd Haben. Über an: dem «Eries
chiſchen möglichft nahe zu kommen, ift hier Machen in
. feiner urfpränglicden Bebentung, wenn auch gegen ben
Sprachgebrauth, genommen,
554 Kenophon’s Erinnerungen an Socrates.
Stellung gegeben werden, und weißt ba fo fie treffender und
täufchender zu mahen? — Elit, Genau fi. — Soer.
Macht es aber nicht den Betraditenden Vergnügen, wenn
auch die Gemüthsbewegungen an den in Handlung vorgeftelffen
Körpern nachgebitdet fund? — Elit. Natürlich. — Soer.
Sp müffen alſo aud) die Kämpfenden_mit drohendem Blicke,
die Steger mit fröhlichen Antlitze abgebilvet werden? —
Erlit. Sicher. — Soecr. Der Bildhaner muß alſo die
Thätigbeiten der Seele in dem Bilde ausdrücken.“
Alszer [ein andermal] zu dem Panzermacher Piſtias *)
kam, fo zeigte ihm Diefer mehrere ſchön gearbeitete Panzer. —
Socr. „In der That, Piltiad, eine fchöne Erfindung, daß
der Panzer diejenigen Theile des -Menfchen bededt, die es
nöthig haben, umd doch den Freien Gebrauch der Hände nicht
beſchränkt. Aber höre, Piſtias, warum verfaufft du deitte
Danzer theurer, und fie find doch nicht: flärker und koſtbarer,
als andere? — Piſt. Sie Hnd beffer proportionire, So⸗
rates E— GSocr Wenn es alfo die Proportion ift, was
du dir befier bezahlen läßſt, nach was taxirſt bu fie, nad)
dem’ Maße oder nach dem Gewichte ?F Denn du kannſt fie
doc, nicht alle gleich oder einander ähnlich machen, wenn fle
anders paflen follen. — Piſtias. Fa, paſſen müffen fie
freilich; denn fonft taugt ein Panzer gar nichts. — Socr.
Sind num nicht einige Menſchen gufffproportionirt, andere
ſchlecht? — Piſt. Allerdings. — Sver. Wie kann mın
*) Pitias nach Einigen Derſelbe mit Piſton bei Athenaͤue
, 20.
A
Drittes Buch. 555
bein Panzer gut proportionirt ſeyn, wenn er einem Schlecht⸗
- peoportionirten paßt? — Piſt. So gut ald er paßt; denn
paffen heißt gut proportionirt feyn — Socr. Du fpridft,
wie es fcheint, nicht von Proporeionirtfeyn an ſich, fendern
in Beziehung auf Den, welcher fid, einer Sache bedient; ger |
N rade wie wenn du fägen wollteft, ein Schild ſey proportio⸗
nirt für Den, welchem er paſſe, und fo müßte es nach deiner
Anfiche auch mit einem Mantel und mit Allem durchaus ſeyn.
Vislleicht hat ed übrigens auch fonft nicht geringe Vortheile,
wenn ein Panzer paßt, — Piſt. Sage mird, wenn du
einen weißt. — Socr. Ein Panzer, ber paßt, drückt nicht
fo ſchmer, als ein andrer von demfelben Gewichte, der nicht
paßt. Ein folcher muß unbequem und Täftig ſeyn, weil er
entweder ganz an den Schultern hängt, oder einen andern
Theil des Körpers ſtark drüdt; wenn er hingegen paßt, fo
ift die Schwere auf Schlüffelbeine, Schultern, Bruft, Rüden
und Magen vertheilt; man betrachtet ihn eigentlich nicht als
Etwas, was man zu tragen hat, ſondern als eine bloße Zugabe.
— Piſt. Eben Dieß iſt es, warum ich meinen Atbeiten ſo
hohen Werth beilege. Gleichwohl kaufen Einige lieber Pan⸗
zer mit Verzierungen und Gold. — Socr. Allein, went
fie darum Peine paffende kaufen, fo Laufen fie fich ja ein vers
zierted und vergoldeted Uebel, Indeß, wenn der Körper
nicht in der Ruhe ift, fondern bald ſich krümmt, bald fid)
aufrichtet, wie kann dann ein genau anliegender Panzer paffen 2
— Piſt. Unmoͤglich. — Socr. Du meinfl, um zu paffen,
dürfe der Panzer nidyt genau anliegen; er folle nur beim
Gebrauche Feine Befchwerde machen? — Pit. Du machſt
11
wu. u
.- tr up.
356 Kenophon’s Erinnerungen an Socrates.
mich erft hierauf aufmerkſam *), und ich finde deine Anficht
vollkommen richtig.” j
11. Einmal befand ſich in Athen eine fchöne Frau, mit
Namen Theodota”**), die um Geld und gute Worte leicht den
"Männern gefällig wurde. Einer’ der Anweſenden erwähnte
ihrer, und bemerkte, ihre Schönheit gehe über allen Aue:
druck; die Maler befuchten fie, um fie abzubilden, und fie
zeige ihnen alle ihre Reize, fo weit es der Anſtand erlaube.
„So wäre ed der Mühe werth, fagte Socrates, daß man
Hinginge und fie fähes denn durchs Hörenfagen bekommt man
Seine Anfchauung von Dem, was über allen Ausdruck erha⸗
den if. „Kommt nur mit mir, fiel der Berichterftatter
ein, und gleich brac Alles auf zu Theodota. Sie ſtand chen
einem Maler, wie fie hinfamen, und konnte von ihnen mit
aller Bequemlichkeit betrachtet werden. Wie der Maler fer:
tig war, fing Socrates an: „Lieben Freunde, Wer ift dem
Andern mehr Dank fchultig, wir der Theodota, daß fie ung
ihre Schönheit fehen ließ, oder fie ung, daß wir fie gefehen
haben? Entweber fie hat von dem Schenlaffen mehr Nutzen,
fo muß fie und Dan? wiffen; oder wir von dem Sehen, fo
find wir ihr Dank ſchuldig.“ Us man ihm hierin Recht
gab, fo fuhr er fort: „Hat num fie nicht bereits gewonnen
*) Nach der Vulgata auTog-Atyeıg mit Zeune und Hervſt.
**) Tyeodota wird, nad Saneider, von Libanius unter bie
erften Hetären Griechenlands gerechnet. Nach Athenaͤus
im dreisehnten Buche hatte fie naher mit Alcibiades Um⸗
gang gehabt, und ihn nach feinem Tode mit ihrem Ge
wande bedeckt, verbrannt. Auch Aelian XIII, 32. ers
mwähnt fie,
Drittes Buch, 997
an unferm Zobe, und noc, größeren Gewinn zu hoffen, wenn
wir die Sache unter die Leute bringen, während wir ſchon
jest zugreifen möchten nach Dem, was wir.gefehen, mit
- Getüften weggehen, und zu Haufe nach ihr ſchmachten werden ?
Auf diefe Art find wir die Sclaven, fie ift die Gebieterin.“
„In der That, unterbrach ihn Theodota, wenn die Sache fo
fteht, fo müßte Ich Euch für dad Schen Dank willen.’ Hier
bemerkte Socrates den koſtbaren Anzug an ihr felbft, neben
ihr ihre Mutter in einem Gewande und Putze von nicht ge=
meiner Art, eine Menge wohl geftalteter Dienerinnen, an
denen eben fo wenig etwas verfäumt war, fo wie die ganze
reiche Einrichtung des Hauſes. „Höre, Theodota, fing er
an, haſt du ein Grundeigenthum? — Theod. Mein. —
Socr. ber ein Haus, von dem du Einkünfte Halt?! —
Thod. Auch Fein Haus. — Socr. Aber vielleicht Sclaven,
die ein Handwerd treiben? — Theod. Auch Dieß nicht. —
Socr. Von Was lebſt du denn? — Theod. Wenn Einer,
den ich zum Freunde gewonnen, mir erfenntlich feyn will,
darin befteht mein Einkommen. — Gocr. In der That,
Zheodota, es ift ein ſchönes Befisthum, ein ohne allen Ber:
gleich herrlicheres, als Schaafe, Stiere.und Ziegen, wein man
eine Heerde Freunde befist. Uber überläßft du Dieß dem
Zufalfe, ob ein Freund, wie eine Mücke zu dir herfliegt,
oder wendeſt du felbft auch Mittel an? — Theod. Wie
könnte ich dazu Mittel finden? — Socr. Wahrhaftig mie
allem Zug noch eher, ald die Spinnen; denn du weißt doc),
Daß diefe auf ihre Nahrung Jagd machen; fie weben feine
Netze, und Was darein geräth, das muß ihnen zur Nahrung
dienen. — Theo». Du wilft alfo auch mir den Rath =.
558 Zenophon’d Erinnerungen an Socrated. -
"hen, eine Art Fangneß zu weben? — Gocr Du] mußt
-eben nicht meinen, es werde fo ganz einfach damit zugehen,
das vorzüglichfte Weidwerk, die Freunde, zu fangen. Sichft
du nicht, DAB man fchen um dad fchlechtefte, die Hafen, zu
fangen , eine Menge Kunftgriffe anwendet? Weil fie bed
Nachts auf die Weide geben, fo fchafft man ſich Hunde an,
die bei Nacht jagen, und fängt fie mit diefen; weil fie bei
Tage wieder ſich flüchten, fo Eauft man fid) anbere Hunde,
welche den Weg, welchen die Hafen von der Weide in ihr
Lager genommen, auswittern, und fie fo auffindens weil
ſte vermöge ihrer Schnelligkeit, aud wenn man fie laufen
ſieht, leicht entkonımen, fo fieht man ſich wieber um andere,
ſchnelle Hunde nm, fie im Laufe einzuholen; weil fie aber
auch diefen zuweilen entkommen, fo ftelt man Garne auf bie
Pfade, auf denen fie- entfliehen, damit fie in diele fallen und
fi verwickeln. — Theod. Welches Biefer Mittel könnte
ih nun gebrauchen, um Freunde zu fangen? — Soer.
Du Fönnteft in der That ſtatt eined Hundes dich um Jemand
umſehen, der die Gabe hätte, die Liebhaber des Schönen
und die reichen Herren aufzufpüren, und es fo zu richten,
daß er fie in deine Ttebe triebde. — Theod. Und was habe
ich denn für Rebe? — Socr. Das eine und zwar eines,
wit den du fehr wohl zu umfchkingen weißt, ift dein Körper;
Bas andere ift im demſelben, deine Seele, welche dich lehrt,
darch Blüte zu beglücken, und durch Worte zu ergdben; Die, -
welche ſich deiner annehmen, frenndfich einzufaffen, und Des
en, welche vornehm thun, die Thüre zu verfchfießen; in
Krankheiten fergfättig nach ben Freunde zu fehen, amd wenn
er etwas Schönes zu Wege gebracht, herzlichen Ancheil an
Drittes Buch. 839
ſeiner Freude zu nehmen, und Dem, ber ſich angelegentlich
um deine Gunſt bewirbt, van ganzer Seele gefällig zu wer⸗
den. Zu lieben weißt bu -ferner, wie mir wahl befannt iſt,
wicht blos wollüſtig, ſondern auch mahlwsliend, und daß dir
deine Freunde werth *) find, daron pflegſt du nicht mit dem
Munde, ſondern durch die That fie zu vergewiſſern. — Theod.
Wahrhaftig ich bediene mich Feines diefer Mittel. — Socr.
Und doch konmt fo viel darauf an, daß man einen Menſchen
feiner- Natur gemäß und richtig behandle. Denn mit Ge⸗
- walt läßt fih ein Freund weder fangen noch feſthalten; nur
Gefaͤlligkeiten und Annehmlichkeiten ud die geeigneten Mättel,
dieſes Thier zu fangen und zum Bleiben zu gewöhnen. —
Theod. Ganz richtige. — Socr. Das mußt. daher vor
Allem son Denjenigen, welche. fi um deine Gunft£bewerben,
nur ſolche Gefältigkeiten fordern, auf die ihnen nicht diel au⸗
kommt; fodann felbft ihre Gefälfigfeiten durch Gunftbezeu-
gungen ähnlicher Urt erwiekern. "Denn Dieß Hi die beſte
Weiſe, fie zu Freunden zu gewinnen, der Fortdauer ihrer
Liebe Ach zu verfichern, uud felbft wichtige Dienſterweiſun⸗
gen von ihnen zu erzielen. Worzägfich werden deine Gunſt⸗
Bezeugungen dann Anerkennung finden, wenn du damit war⸗
teſt, bis fe nach ihnen verlangen. Die lederiten Gpeifen
verlieren ihren Geſchmack, wenn mau fie aufträgt, ebe der
Appetit ſich einflellt, und fie werken fogar zum Efel, wenn
dieſer geſtillt ifks macht wan dagegen, das die Bäfte hungert,
— —
*) Nach Schneiders allgemein gebilligter Eonjectur dossol
ftatt & 4504.
560 Zenophon’s Erinnerungen an Socrated.
ehe man die Speiſen aufträgt, fo werden ſelbſt fchlechtere
Speifen ganz fkmadhaft. — Theod. Wie könnte ich num
machen, daß Einen nad) meinen Bunftbezeugungen hungerte ?
— Socr. In der That, gar wohl; du dürfteſt nur Denen,
die fchon fatt find, dieſelben weder aufbringen, noch fie dazu
auffordern, bis die Sättigung vorüber und das Verlangen
darnach wieder eingetreten wäre; und um Diejenigen aufzus
fEdern, welche ein Verlangen haben, ja recht züdytig mit
ihnen kofen, und bald Dich geneigt zeigen, ihnen gefällig zu
werden, bald wieder fpröde fhun, bis ihr Verlangen auf das
höchfte gefteigert wäre. . Denn da bekommt eine und diefelbe
Gabe einen weit höheren Werth, als wenn fie gewährt wird,
ehe man fie begehrt. — Theod. Wollteſt du nicht mein
Gehülfe werden, Sotcrates, wenn idy auf den Freundefang
ausgehe ?— Gocr Ya der That, recht gerne, wein du
mich dazu gewinnſt. — Theod. Wie bift du denn zu ges
winnen? — Gocr. Da wirt du fchon felbft auf Mittel
und Wege denken, wenn bu mic, nöthie haft. — Theod.
Sp ſtelle Dich vecht oft bei mir in. — Socr (Seine Zu⸗
rüdgezogenheit von allen Geſchaͤften in’s Scherzhafte ziehend.)
Es will mir eben nicht recht gelingen, Zeit zu finden, Then»
dota. Eine Menge eigener und öffentlicher Geſchäfte raubt
mir alle meine Zeit. Und dann. habe ich noch Freundinnen *),
die ich Liebesmittel amd Zauberlieder lehre; die werden midy
Tag und Nacht nicht von fich Iaffen. — Theod. WVerſtehſt
du denn dich auch auf ſolche Mitte? — Socr. Warum
*) Er verfieht darunter feine Freunde und Scquͤler.
Drittes Buch. 561
meinft bu denn, daß Apollodorus*) hier und Antifthenes **)
nie von mir weihen? Daß Cebes ***) und Simias von Thes
ben herkommen ?_ Das kann ohne eine Menge von Zauber
mitteln, Zauberliedern und Bauberrädern +) nicht abgehen. —
Theod. So leihe mir doch dein Zauberrads; dann kann ich
ed wegen deiner umdrehen. — Socr. Wahrhaftig, ich will
nicht zu dir hingelockt feyn, fondern du fouft zu mir kommen.
— Theod. Ohne Anftand, ich komme, laß mich nur ein. —
Socr. Es bleibt dabei, ich laſſe dich ein, wenn nicht ges
rade eine Fiebere Freundin bei mir iſt.“
12. Epigenes +1), Einer feiner Freunde, war jung und kör⸗
perlich vernadhyläffigt. Als daher Socrates ihm einmal bes
gegnete, fing er an: „an dir fieht man ja audy nicht eine
Spur von Gymnaſtik, Epigenes! — Epig Mit der Gym
naſtik bin ich freifich quitt. — — Socr. Du? fo wenig, als
Einer, der in Olympia mitkämpfen wit. Oder achteft du
den Kampf mit den Feinden auf eben und Tod, den bie
*) Mvellohor vol. Xenoph. Apologie $. 28. Plato Gaſtmahl.
2. Phaͤdo 6. 2. und 66.
**) ointifthenes, bier das belfannte Haupt ber Epniter.
***) Mor, J, 2, Ende,
1) Im Griechiſchen ivy&, ein Vogel, Wendehals genannt,
dem man befondere Zauberkraft beilegte. Namentlich band
man ihn an ein Nad, das man umdrehte, den Liebhaber
herbeizuholen, ober Einen verliebt zu machen, und dieſes
Rad hieß dann, wie der Vogel.
++) Epigenes, Sohn des Antiphon von Athen; Socrates führt
bu unter feinen Geſellſchaftern auf bei Plato in der Apo⸗
Iogie. Ein Anderer Epigenes, Sohn bes Erito; bei Diog.
Eaërt. II, 121.
362 Zenophon’d Erinnerungen an Socrates.
Uthener alle Augenblide verauflalten können, fo wenig?
Muß doch mehr ald Einer im Kriege wegen Vernachläffigung
des Körpers fein Leben hergeben, oder mit feiner Ehre ed
erkaufenz Mancher aus demfelben Gruude fich lebendig ger
fangen geben, und entweder fein übriges Leben , vielleicht *)
in der drüdendften Sclaverei hinbringen, oder nachdem er
Sammer und Noth genug ausgeftanden, und oft mehr, ale
er überhaupt hatte, für feine Loslaſſung bezahlt hat, Zeit
feines Zebens in Dürftigkeit und Elend ſchmachten; Mandyer
endlich fi) in übeln Auf gebracht fehen, weil man es ihm
als Feigheit auslegt, wenn er wegen körperlichen Unvermö⸗
gend den Gefahren fich entzieht. Oder febeft du did, über
diefe Strafen körperlicher DVeruachläffigung hisweg, und
meinft du fie leicht überfichen zu können ? Da-finde ich bad)
die Uebungen noch weit leichter. und angenehmer, denen man
fi unterwerfen muß, um den Körper zu Härten *). Oder
meinft du Vernachläſſigung bes Körpers fey für die Geſund⸗
heit und in anderer Hinſicht zuträglicher, ald Hebung? Ders
achteft du die Vortheile, welche Uebung gewährt? Geht es
doch Denen, welche den Körper üben, ganz anders, ald Des
nen, welche ihn vernachläffieen. Wer den Körper Abt, iſt
gefund und ſtark, und Mancher ift dadurch in den Stanb ges
fept, mit Ehren fein Leben aus den Schlachten davon zu
tragen und duch ale Gefahren ſich durchzuhelfen; Manz
her, feinen Freunden zu dienen und dem Daterlande zu nüben,
*) JavBro TUXWOL Rubnten, Zeune, Schneider uud Schäs
| halten che zureichenden GBrunb biefe Torte für unaͤcht.
*) Auch diefe orte haͤlt Schneider für undst.
Drittes Buch. 563
dadurch Dank, Ruhm und die ausgezeichnetſten Ehrenbezeu⸗
‚gungen einzuernten, den Reſt feines Lebens vergnügter und
geehrter hinzubringen, und feinen Kindern anfehnlichere Mittel
zum Fortkommen zu hinterlaften. Darım, daß der Staat
fi nicht der Bildung für den Kriegsdienft annimmt, muß
man nicht auch für. fich diefelbe vernachläffigen, fondern mit
- nicht geringerem Eifer ihr obliegen. Denn es kann bei keinem
andern Kampfe und überhaupt bei Feiner Verrichtung Nach»
£heilbringen, wenn man den Körper beffer gewöhnt hat; er wird
zu Allem, was die Menfchen treiben, gebraucht, und wo er
gebraucht wird, da kommt ja Alles darauf an, daß man ihn
aups beſte geübt habe. Ja ſelbſt da, wo man meinen follte,
daß der Körper am wenigften dabei zu thun habe, beim Den-
fen, Wer weiß ed nicht, daß felbit hier oft große Fehler ges
macht werben, wenn der Körper nicht in gefundem Zuſtande
it? Auch Vergeßlichkeit, Muthlofigkeit, Mißlaune umd
Wahnſinn falten oft in Folge Förperlicher Vernachläffigung
wit ſolcher Macht über die Denkkraft her, daß fie felbft den
Verluſt der erworbenen Kenntaiffe herbeiführen. Wer den
- Körper übt, kann ruhig fern, und hat wenigftend wegen Ders
nachläffigung deſſelben Nichts der Art zu fürchten. Im Ge:
gentheife muß Uebung des Körpers gerade die entgegenges
ſetzten Wirkungen Hervorbringen. Was folfte daher einem
vernünftigen Menfchen zu viel fega, um dieſer Vortheile fich
theiihaftig zu machen? Aber es ift auch eine Schande, vor
ianter Nachlaͤſſigkeit alt zu werden, che man ſich auf dem
Gipfel feiner möglichen Schönheit und Stärke gefehen hat.
Dieß kann man dod) unmöglich, ohne daß man ſich übt; denn
von feld Yommi es nicht.“
⸗
564 Xenophon's Erinnerungen an Socrates.
13. Einer war einmal böfe, daß ihm ein Anderer ben
Gruß nicht erwiebert hatte. „Es ift doch Tächerlich, fagte
Socrates, daß du nicht böfe wirft, wenn du Einem mit vers
nachläffigterem Körper begegneft, und es dich verbrießen Läffeft,
daß du auf Einen mit roherer Seele geftoßen biſt.“ Ein An-
derer klagte, daß ihm das Effen nicht ſchmecke. „Akumenns *),
fagte Soerates, weiß ein gutes Mittel dagegen.” „Was für
eines, '' fragte Jener. Sccrated antwortete, man folle das
Effen aufgeben, und dann, fagte er, werde man wieder mit
mehr Luſt und wohlfeiler und gefunder effen.
Wieder ein Anderer Elagte, daß in feinem Brunnen das
Waſſer, das er trinke, warm ſey. Socrates ſagte: „Wenn
du alſo warm baden willſt, fo haft du die beſte Gelegenheit
dazu. — Der And. Es ift zu kalt zum Baden. — Soer.
Bekommt ed alfo auch deinen Sclaven übel, wenn file es
trinken, und fidy darin baden? — Der And. Wein, id
habe mic, im Gegentheil fhon oft wundern mäflen, wie gut
es ihnen zu beiden Zwecken zuſagt. — Socr. Welches
Waſſer iſt denn waͤrmer, das in deinem Brunnen oder das im Tem⸗
el) des Aesculapius? — Der And. Das Letztere **). —
*) Akumenus, ein berühmter Arzt jener Zeit, mit dem So:
rates gut befannt war. Er und fein Sohn Eryximachus
find dfters Hei Plato erwähnt, befonders im Phaͤdrus, im
Protagoras und im Gaſtmahl.
*+) Der Tempel ded Aesculapius Tag nah Pauſanias I, 21.
am Wege vom Theater auf die Ucropolis. Auch der Quelle
gedenkt er, aber ohne ihre Heilkraft zu berühren. Daß
übrigend Kranke diefen Tempel befuchten, erhellt aus Ari⸗
ſtophanes Plutus. 655 ff.
*+*) Hier nimmt Herbſt ans einigen Handſchriften deu allerdings
Drittes Buch. 565
Sper. So merke dir’d, daß bu fchwerer zufrieden zu ſtellen
bift, ald Sclaven nnd Kranke.
Einen, der feinen Bedienten füchtig abzüchtigte, fragte
Socrates, warum er über den Sclaven böfe fey? Die Ante-
wort war: „weil er immer Nichts will, als Fleifch effen und
für Nichts forgen, und Geld einftreichen und Nichte arbeiten.‘
„Gut, fagte Socrates, und haft du auch fchon nachgedacht, Wer
von Beiden beffer Schläge brauchen kann, dur oder dein Sclave?“
Einem war bange vor der Reife nad) Olympia. „Was
rum ift bir bange vor der Reife ?'’ fragte Socrates. „Gehſt
du nicht andy) zu Haufe den ganzen Tag hin und hers und
was haft du auf der Reife dahin Anders zu thun, «ld zu
gehen, und zu Mittage zu fpeifen, und wieder zu gehen und
zu Abend zu fpeifen und did, zur Ruhe zu legen? Siehſt du
nicht ein, daß du nur die Gänge, die du. in fünf bis feche
Tagen: machſt, an einander reihen dürfteſt, um ganz bequem
von Athen nach Olympia zu fommen? Und od) angenehmer
ift es, wenn du lieber um einen Zag früher abgehft, als zu
fpät kommſt. Denn die Zagereifen über Gebühr verlängern
zu möüffen, ift befchwerlichs Hingegen zu den Reifefagen einen
Hinzu zu ſetzen, macht große Erleichterung. Beſſer alfo, man
eile mit dem Abgang, ald auf der Reiſe.“
Ein’ Anderer beſchwerte fi, daß er von einer langen
EZ
—NNU
paſſenden Zuſatz auf. — „Socr. Und wo läßt es ſich
kuͤhler baden, in Deinem Waſſer, oder in dem des Am:
phiaraus? — Der Andere: in dem des Amphiaraus.“
(Die fogenannte Amphiarausquelle befand fi in der Nähe
der. Bbotiſchen Stadt Dropus, bei einem Seine, nad
Pauſanias Aitica I, 34, 3.)
In 3
566 Xenophon's Erinnerungen an Socrates.
Reiſe her ganz gelähmt ſey. Socrates fragte ihn, od er audy
Etwas getragen habe? — Der And. Nein, Das nicht,
anßer meinen Mantel. — Gocr Und reifteft du allein,
oder hatteft du nody einen Bedienten bei dir? — Der And. '
Den hatte ich bei mir. — Soer. ing er leer, oder hatte
er Etwas zu tragen? — Der And. Ja, er frug die Tep⸗
piche *) und mein übriges Gepäcke. — Socr. Und wie kam
er bei der Reife weg? — Der Und Mir feheint, beffer
als ih. — Sper Nun, und wenn bu fein Gepäde hätteft
fragen müffen, wie meinft du, daß dir’s ergangen wäre? —
Der And, Schlimm, in der That, oder vielmehr ich hätte
ed gar nicht dabei ansgehaften. — Socr. So wenig kannſt
du es deinem Sclaven im Ausdauern gleich thun ? Wie meinfk
du, vertrage fih Das mit einem Manne, der ſich der Leis
besübung beftiffen ?
14. Wenn bei gemeinfchaftlichen Gaſtmahlen ein Theil
Beine, ein anderer große Fleifchportionen mitbracdhte, fo hieß
Socrates den Aufwärter die Eleinen Portionen entweder für
Federmann in die Mitte ftellen, oder Jedem davon austhei⸗
fen. So fchämten fih Die, welche die großen Portionen
mitbrachten, von Dem, was in der Mitte ftand, Nichts zu
nehmen ‚- und fchämten fich davon zu nehmen, ohne das Ih⸗
rige dagegen vorzuſetzen. Sie ftellten daher auch das Ihrige,
in die Mitte, und da fie um Nichts beffer daran waren, als
Die, welche wenig brachten, fo unterließen fie es, für die
Zukunft viel für Fleifch auszugeben.
*) Hier find Decken uͤber Betten gemzint, bie man auf Reifen
bei ſich zu führen pflegte,
Drittes Buch, 567
Einft bemerkte er, daß Einer der Tifchgenoffen aufgehört
hatte, Brod zu effen, und das Fleifch allein af. Da gerade
von dem Grunde der einzelnen Benennungen die Rede war,
fo fing Sorrates an: „Könnten wir fagen, Freunde, warum
man einen Menfchen ein Fleiſchmaul nennt? Es ift je
doch Jedermann zu feinem Brode Fleifch, wenn er's hat;
aber darum nennt man ihn, wie ich denfe, noch Fein Fleifchs
mat. — Einer der Anwefenden. Bei Leibe nicht. —
Soer. Nun, und wenn Einer Fleifch allein ohne Brod ißt,
nicht der Leibesübnngen wegen, fondern zum Vergnügen, fol
Dieß ein Fleiſchmaul feyn oder nit? — Der Bor. Schwer:
lich ein Anderer, wenn Der keines if. — Ein Anderer
der AUnwefenden Wenn aber Eimer wenig Brod und
vier Fleifch dazu ißt? — Socr. Mir fcheint, auch Den
nenne man mit Recht ein Fleiſchmaulz und wenn andere
Menfchen die Götter um ein gutes Fruchtjahr bitten; fo muß
er von Rechts wegen um ein gutes Fleifchjahr bitten.” Heer
führte fich der junge Mann getroffen, und aß zwar Fleiſch
fort, aber nahm Brod dazu. „Gebt Acht auf Diefen, rief
Socrates, der es bemerkte, ben Nachbarn Deſſelben zu, ob
er das Brod als Fleiſch, oder das Fleiſch ald Brod ißt.“
Einen Andern unter den Tifchgenoffen fah Socrates zu
Einem Biffen von mehreren Fleifchgerichten nehmen, „Kan
es, faste er, eine Eoftfpieligere oder die Speifen mehr ver-
derbende Kochkunft geben, als die iſt, wenn man vielerlei
zumal ißt, und zu gleicher Zeit Speifen von dem verfchiedene
ftien Gefhmad in de Mund nimmer Einmal werden hier
die Speifen aus mehreren Beftandtheilen zuſammengeſetzt,
als bei den Köchen, und daher theurerz dann werden bier
568 Xenophon's Erinnerungen an Socrates.
Dinge gemifcht, welche Gene als mit einander unverfräglid,
nicht mifchen, und dadurch wird, wenn anders Jene richtig
verfahren ‚ein Fehler gemacht; und ihre Kunft vernichtet.
Und ift es nicht Tächerlich , fich die gefchickteften Köche anzu⸗
ſchaffen, und felbft, ohne auch nur ihrer Kunft ſich zu be⸗
fleiffen, mit ihren Zubereitungen Aenderungen vorzunehmen ?
Auch Hat die Gewohnheit, von Mehrerem zumal zu eflen,
noch einen andern Nachtheil. Wenn nicht mehrere Gerichte
vorhanden find, fo kommt man ja eigentlich zu kurz, wenn |
man nad) dem Gewöhnfichen fidy fehnt; ift man dagegen ges
wöhnt, nur Ein Gericht zu Einem Stüde Brod zu effen,
fo kann man, wein nicht mehrere Gerichte vorhanden find,
ganz bequem mit dem Einen’ fidh begnügen.‘
Auch bemerkte er, daß Eſſen in der Sprache der Athener
„wohl Ichen” heiße *), das Wörtchen „wohl“ ftehe dabei, weil
zu Eifen Speifen gehören, welche weder die Seele noch den
Leib befchweren, und nicht ſchwer aufzufinden ſeyen. And
damit fprady er auch den Vorzug des Wohllebens Denen zu,
welche mäßig leben.
.*) eboxXeidaı kommt von öx, bie Speife, ber, nad
Athenaͤus und Euſtachius.
Kensphons von Athen
Fuͤnftes Bändchen.
Erinnerungen an Socrates,
viertes Bud;
Bertheidigung des Socrates
und r
Saftmapl;
überſetzt
von
Chriſtoph Eberhard Finckh,
Ooktor der Philoſophie, Repetenten am evangeliſch⸗etheologiſchen
Seminarium zu Tuͤbingen.
—
—— — —— — —
Stuttgart,
Derlag der I. B. Metz ler ſchen Buchhandlung.
Kür Oeſtreich in Commiſſion von Mörſchner und Jaſper
in Wien.
1828.
Ä Xenophon's
Erinnerungen an [aus den Lehrgeſpraͤchen und
| dem Leben bes] Socrates.
Subalt des vierten Buches.
Cap. 1. Socrates war auf jede Weife und in allen Stuͤcken
nüglih Denen, welche mit ihm umgingen. Namentlich fuchte er
Juͤnglinge, bei denen er gute Anlagen entdeckte, an fich zu ziehen;
aber er behandelte fie verſchieden nach ihrer verfchiedenen Eigenthuͤm⸗
lichteit; anders Die, welche wegen ihrer guten Anlagen alle Bil
dung verſchmaͤhten; anders Die, welche wegen ihres Reichthums
feiner Bildung zu bedärfen glaubten; Cap. 2. anders Die, welche
die Hefte Bildung erhalten zu haben meinten, und fit auf ihre
Weisheit Etwas einbitdeten. LUnterredung mit Euthydemus, der die⸗
fen Sehler Hatte, worin er ihn zur Erkenntniß feiner Unwiſſenheit
fünt. Cap. 3. Das Erſte, worauf Socrated bei feinen Lehr⸗
lingen Hinarbeitete, war Befonnenheit, zuerft in Beziehung auf bie
Götter ober Gottesfurcht. Unterredung mit Euthydenus hierüber,
Eap. 4: Sodann in Beziehung anf bie Menfchen, oder Gerechtig⸗
Kit, Sein Beifpiel in dieſer Hinſicht, und Unterrebung mit bem
Eleer Hippias Über den Begriff der Gerechtigkeit, Cop, 5. Aber
auch für das tHätige Leben machte er fie brauchbar durch Em⸗
pfehlung ber Selbſtbeherrſchung. Unterredung mit Euthydemus
hieruͤber. Cap. 6. Er Hildete fie ferner zu guten Nebnern,
indem er fie zu richtiger Beſtimmung ber Begriffe von den
574 Xenophon's Erinnerungen an Socrates.
Dingen anleitete. Beifpiele davon. Eigenes Verfahren des So⸗
crates, wenn er Jemand zi widerlegen ober Etwas zu bemweifen
hatte. Cap. 7. Er fuchte fie endlich felsftftändig zu machen für
alle Berhältniffe des Kebens durch ben Unterricht, den er ihnen
gab oder verſchaffte In Allem, was ein Gebildeter zu wiffen braucht,
durch die Hinweiſung auf die Grenzen, wie weit fie in ber Meß:
kunſt, Sternkunde und Rechentunſt fid, einlaffen ſollen, durch Em⸗
pfehlung ber Sorge für Geſundheit und der Wahrſagerkunſi.
Eap. 8. Die Thatſache, daß Socrates vernetheilt wurde, fpricht
nicht gegen feine Behauptung, daß die Gottheit ihm andente, was
er thun und Laffen ſolle. Er hätte ohne Diefes nicht mehr lange
gelebt ; er entging fo den Beichwerben bes Alters und erwarb
fiy noch Ruhm durch die Art, wie er feinen Rob ertrug.
Dieß ertannte Socrates ſelbſt. Seine Erklaͤrung hierüber am
Hermogened.
| Vierte Bud.
(|
1. Die Fälle in welchen, und die Art und Weife auf
welche Socrates ſich nüslich zu machen wußte, waren fo mans
nichfaltig, daß Einer nicht wohl fo wenig DBerftand haben
konnte, um nicht einzufehen, daß Nichts vortheilhafter war,
als mit Socrates umzugehen und bei ihm zu feyn, wo nur
und bei weldyem Falle ed auch fenn mochte; da fchon die Er⸗
innerung an ihn, wenn er nicht da war, bei Denen, weldye
gewöhnficdh mit ihm umgingen und fi) an ihn hielten, nicht
geringen Nutzen ftiftete. Denn bei ihm war ber Scherz fo
gewinnreich für feine Freunde, als der Ernſt. So erklärte
er fich oft für den Liebhaber diefes oder jenes Jünglings;
aber man konnte wohl fehen, daß er nicht auf jugendliche
Viertes Buch. x 595
Schönheit des Körpers, fondern auf Leute von edeln Anlagen
des Geiftes ein Auge Hatte. Auf gute Anlagen fchloß er
naͤmlich, wenn Einer ſchuell faßte, was er angriff, im Ges
daͤchtniſſe behielt, was er gelernt hatte, und Zrieb nach allen
den Kenutniffen und Einſichten an dert Tag legte, welche er:
forderlich find, um fowoh! dem eigenen Haufe als dem Staate
mit Ehren vorzuftehen, und überhaupt mit Menfchen und im
Menfchenteben ſich benehmen zu können. Denn Einer, bei
dem fich diefe Eigenfchaften finden, meinte er, würde, wenn
er Unterricht bekomme, nicht nur ferbft glücklich werden, und
feinen eigenen Haushalt gut befürgen, fondern aud, andere
Menſchen und ganze Staaten glüdtich machen können. Die
Art ferbft, wie er ihnen beizufommen fuchte, war nicht bei
Allen diefelbe. War Einem alles Lernen gleichgüftig, weil
ex dachte, er habe einen guten Kopf, fo zeigte ihm Socrates,
daß gerade die beften Köpfe den Unterricht am nöthigften
haben. Er wies ihm an den Pferden nad), daß diejenigen.
. welche am meiften verfprechen, weil fie muthig und rafch
feyen,. nur dann auch die frömmften und beften Pferde abge:
ben, wenn fie in Zeiten zugeritten werben; wenn aber Diefes
unterbleibe, die wildeften und fchlechteften. Auch die Hunde
führte er an: bie beften haben von Natur einen Trieb, ſich
Etwas zu thun zu machen, und auf das Wild Toszugehen;
werben fie nun abgerichtet, fo gebe es gar Beine beffere Hunbe
zur Jagd und Feine nuͤtzlicherg; bleiben fle aber unabgerichtet,
fo werden fie Käppifch, böfe und widerſpenſtig. So fey es
num auch bei den Menfchen. Je befiere Anlagen fie haben,
deſto mufhiger feyen fie an Geift und deſto tüchtiger, was fie
einmal angreifen, and) durchzuführen; deſto beffer und nüslis
v
576 Xenophon's Erinnerungen an Socrates.
cher werden fie daher auch, wenn fie durch Unterricht gebifs
def werden, und lernen, was file zu thun und zu laffen haben;
fie wirken dann Vieles und Großes zum Beften ihrer Nebens
menfchen; aber auch defto fchlechter und verderblicher werben
fie, wenn file ohne Bildung und Unterricht bleiben; außer
Standes zu beurtheilen, was fie zu thun und zu laffen ha⸗
ben, befchäftigen fie fich oft mit fchlechten Dingen, und ſeyen
dann als Männer von hochfahrendem Geiſte und heftiger Ges
mäthsart weder im Zaume zu halten noch abzubringen; daher
stifte au) Niemand mehr und größeres ‚Unheil, ats fit.
Fünglinge, die anf ihren Reichthum pochten, und Beine Bil:
dung nöthig zu haben glaubten, in der Meinung, mit ihrem
Reichthum überall zum Ziele gelangen und bei den Leuten
fi) in Anſehen ſetzen zu Eönnen, fuchte er auf folgende Weife
zurecht zu bringen. Es müßte Einer ein Thor ſeyn, ſagte
er, wenn er glauben wollte, er kͤune Räslicdhes und Schab⸗
liches unterfcheiden, ohne es gelernt zu. haben; und ebenſo
müßte Einer ein Thor ſeyn, wenn er, ohne: diefen Unterſchieb
machen zu Fönnen, forert auch das Nuͤtzliche treffen gu fünnen
meinte, weil er vermöge ſeines Reichthums fid, baufen könne,
was er wolle; es müßte endlich Einer eimfältig fegn, wenn
er, ohne das Nutzliche treffen zu können, ſich glücklich uud
fein. Fortkommen gut oder hinreichend geſichert glaubte; ein⸗
fältig müßte Einer aber. auch daun ſeyn, wenn er auf feinen
Reichthum die Hoffnung gründgge, ohne auch nur das Mine
befte zu verfichen, in. Etwas Yıh das Zutrauen Anderer
erwerben, ober, ohne diefes zu beiisen, in Gewas-glängen
zu können. _
Bierted Buch. 577
2. *) Wie aber Socrates ſich gegen Diejenigen benoms
men, welche die trefflichſte Bildung genoffen zu haben glaube
ten, und auf ihre Weisheit id) Etwas einbildeten, mag aus Fol⸗
gendem erhellen. Er wußte, daß Euthydemus, **) mit dem
Beinamen der Schöne, einen großen Vorrath von Schriften
der berühmteften Dichter und Sophiften ſich gefammelt hatte,
und auf Diefes hin ſchon ſich fchmeichelie, an Weisheit weit
über feinen Altersgenoſſen zu flehen, und ſich große Hoffnung.
machte, als Redner und Geſchaͤftsmaun mit der Zeit Alles
Hinter fi zu laſſen. Er hatte ferner gehört, daß Euthyde⸗
mus, weil er wegen feiner Jugend noch nicht in die Ver⸗
fammlungen den Zutritt hatte, in einer Riemerswerkftätte in
der Nähe des Verſammlungsplatzes fi aufhalte, wenn er
Etwas durchgeſetzt wiſſen wollte. Dahin ging er daher auch,
und nahm anfangs Einige feiner Freunde mit fih. Das
erftemal nun fragte Semand, ob Themiſtocles durch den Um⸗
gang mit Einem der Weifen oder durch natürliches Geſchick
fihh fo hoch unter feinen Mithürgern gehoben habe, daß der
Staat auf ihn fein Auge geworfen, went er einen vechten
Mann bendthigt gewefen fey? Socrates, der den Euthydemus
heraus fordern wollte, nahm von diefer Frage Veranlaffung
zu fagen: es fey doch einfältig zu glauben, daß die größte
Kunft von allen, die, einen Staat zu regieren, den Menfchen
vor felbft Eomme, wenn doch allgemein anerkannt werde, daß
*) Scyneider bemertt, daB diefes Capitel ungefchict von bein vos.
‚rigen geitennt, vielmehr dem Inhalt und der Wortftellung
nach unzertvennlich von demfelben fey.
**) Euthydem, hier Derſelbe, wie I, 2,
Kenophon. 58 Boͤchn. 2
578 Xenophon’s Erimerungen an Socrates.
man es in bem: gemeinſten Künfen. ohne gute Lehrmeiſter
nie zu etwas. Mechtem: bringen könne. Ein andermal, wie
Euthydemus wieder zugegen war, ſah Soerates, wie er ſich
aus der Gefellfchaft beifeits machte und gefliffentfich alfen:
Anſchein vermied, als ob er ihn um feine Weisheit anfinunte,
Socrates fagte daher zu ben: Mebrigen: „daß diefer Euthy⸗
demus hier, wenn er einmal das gehörige Alter erreicht Hat,
bei Aufforderungen von Seiten ded Staates nicht ermangein
wird, mit feinen Rathfdylägen: hervorzutreten, das läßt ſich
fchon jebt nad, feinem ganzen Treiben erwarten Er muß:
übrigend auf einen ſchönen Eingang zu. feinen Volksreden
hedacht ſeyn; denn er gibt ſich ale Mühe, ja nicht das Anſe⸗
hen zu haben, als ob er von Jemand Etwas lerute. Ohne
Zweifel wird er bei feinem erften Auftritt alſo anfangen:
„„Nie zwar, ihr Männer von Athen, habe ich von irgenb-
Jemand Etwas gelernt, nod wenn ich von tüchtigen Rednern
und Gefchäftsmännern hörte, ihren Umgang. gefucht, noch
unter. den Kunſtverſtändigen mich um einen Lehrmeiſter umges
fchen; im Gegentheite, ich habe ſteto mich‘ in Acht genom⸗
men, vor Jemand Etwas zw lernen; fogar den: Schein davon
habe icy zu vermeiden geſucht. Dennoch Was mir von ſeibſt
in den Sinn kommt, will. ich euch nicht vorenthalten.““ Gin
ſoicher Eingang würde fi befonders auch in. dem Munde
Derjenigen gut ausnehmen, die bei dem Staat eine Auſtel⸗
lung als Aerzte ſuchen. Ganz zwedmäßig würden fie ihre
Rede damit eröffnen: „„Mie zwar, ihr Männer von: Vishen,
habe ich von irgend Jemund die Heilkunde erlernt, noch irs
gend einen Arzt zum, Lehrmeifter zu bekommen gefrachtetz
denn ich hätete mid, jeder Seit ſchon vor dem bloßen Scheine,
Viertes Buch. 579
Diefe Kanſt gelernt zu haben, geſchweige deun davor, wirklich
Etwas von den. Aerzten zu lernen. Aber macht :mich- immer⸗
hin zu eurem Arzte; ich will mir alle Mühe geben, durch
Berfuche- an euch zu lernen.““ Alle Anweſende lachten über
dieſen Eingang. Euthydemus wurde jest: ſichtbarlich anf Das,
was Socrates ſprach, aufmerkſam, aber noch nahm er ſich in
Acht, ſelbſt einen Laut vom ſich zu geben, und glaubte durch
fein Stillſchweigen ſich das: Anſehen eines nachdenkenden
Maunnes zu geben. Um ihm auch: Dieſes abzuthun, fing So⸗
erates an: „es iſt dach fonderbar, daß Diejenigen, welche die
Zither oder die Flöte fpielen oder reiten oder: fonfk: etwas
Dergleichen lernen wollen, in der Kunſt, worin fleı es: zur
Fertigkeit bringen. wollen, unahbäßig: und nid nur für: ſich
und. allein; fondern bei Denen, bie: für. die größten: Meier
darin gelten, ſich üben, und Alles ſich gefallen Iaffen, um:
nur Nichts gegen: den Nach Diefer: zu than, als: ob fie-andere-
unmöglic, es zu etwas: Hechtem bringen koͤnnten; und: daß
bagegen von Denen; weiche. Redner und: Staatsmaͤnuer wer⸗
ben: wolten-, @inige ſich einbilden, fie werden ohne Vorberei⸗
tung und Uebung. mit. Einemmale von: ſeibſt dazu tüchtig
werden. Und gleichwohl ſind dieſe Kuͤnſte ſo ungleich ſchwie⸗
riger abs jene, daß, wenn ſie auch weit mehrere Liebhaber finden,
dennoch bie Zahl Derer, welche ihrer mächtig. werden, weit
kleiner iſt, als bei den üͤbrigen. Offenbar :maß-alfe auch bie
Uebung bei Deuen:, welche für die letzteren fick: hefkimmen,
weit häufigen und: angeftreugten ſehn, als bei Denen, welche
für die zuerft genannten ſich entfchieden haben.“ Ga ließ
fi Soerates anfangs vernehmen, und Euthydemas fpielte
dabei den bloßen Zuhorer; wie aber Socrates mextie, daß
2
580 Eenophon's Erinnerungen an Socrates.
Euthydemns wilfiger Stand hielt, wenn er ſprach, und auf⸗
. merbfamer zubörte, fo begab er ſich nunmehr allein in die
Riemerswerkftättes Euthydemus feste fid) zu ihm hin, und
Soerates fing an: „Höre einmal, Euthydemus, verhält es
ſich wirklich fo wie ich höre, daB du fo viele Schriften ber
Männer, die man unter die Gelehrten zählt, beifammen
haft? — Euth. Ja, Socrates; umd ich febe die Sammlung
noch fort, bis ich fie fo vonftändig als möglich befomme. —
Socr. In Wahrheit, ich habe Achtung vor dir, daß es dir
mehr um Schäbe der Weisheit zu thun iſt, als um foldhe
von Gold und Silber; man flieht, du bift der Meinung, daß
Gold und Silber die Menfchen um nichts beffer machen, hin⸗
gegen die Lehren weifer Männer Diejenigen, die in ihrem
Befipe find, mit Tugend bereichern.” Euthydemus war voller
Freude, Dieb zu hören, und meinte, Socrates fey ganz ein⸗
verftanden mit der Ark, wie er ſich der Weisheit befleiffige.
Socrates bemerkte, daß ihm diefes Lob fchmeichelte, und fuhr
fort: „Auf Was ift denn dein Augenmerk gerichtet, DaB du
dir jene Schriften ſammelſt?“ Euthydemus ſchwieg und befann
fid) auf eine Antwort. Socrates fragte weiter: „Willſt du
ein Arzt werden? denn auch von Aerzten gibt es eine Menge
Schriften. — Euth. Nein, wahrhaftig nicht. — Socr. Aber
vielleicht ein Baumeifter ? denn. auch dazu gehört ein belefes
ner Wann. — Euth. Keineswegs. — Socr. Oder wiltft du
ein guter Beometer werden, wie Theoborus? ) — Euth.
Auch kein Geometer, — Socr. Oder ein Sternkundiger? —
*) Theodorus von Cyrene, Lehrer des Socrates in der Geomes
wieke, auch bei Plato im Theaͤtet erwähnt, Bel. unten ©, 7.
Diertes Buch. 581
Euth. Auch Dieß nicht. — Socx. Aber doc, ein Ahapfode ?
benn du folk ia auch die Gedichte des Homer alle *) be⸗
fisen. — Euth. Nein, gewiß nicht; die Rhapfoden haben zwar
die Gedichte ganz genau im Kopfe; aber fie ſelbſt find die
eiafältigften Leute von der Welt. — Soer. Du wirft doch
nicht etwa nach der Vollkommenheit fireben, weiche Einen zu
dem Berufe eines Staatsmannes und Staatswirthes und
zu obrigkeitlihen Würden befähigt, und in den Stand
fest, fid) und Anderen nüblicdy zu werden? — Euth. Aller:
dings ift es’ diefe Vollkommenheit, nad) der ich ſtrebe. —
Soer. In der That, die fchönfte Vollkommenheit und die
größte Kunft, nach der man ftreben kann; es ift Dieß die
Kunft der Könige, und fie Heißt die Königskunſt. Aber haft
du ſchon erwogen, ob ed moͤglich iſt, es darin zu Etwas zu
bringen, ohne gerecht zu fen? — Euth. Freilich habe ich
Dieb erwogen; ohne Gerechtigkeit kann man nicht einmal ein
guter Bürger ſeyn. — Socr. Nun, und ift es bei dir damit
fhon richtig? — Euth. Ich ſchmeichle mir, in der Gerech⸗
tigkeit Niemand nachzuftehen. — Socr. Haben die Gerech⸗
ten nicht auch ihre beftimmten Verrihfungen, wie die Sim:
mermeifter zum Beiſpiel? — Euth. Sanz fü. — Socr. Die
Zimmermeifter können und ihre Verrichtungen vorzeigen:
können nicht die Gerechten ebenfo die ihrigen angeben? —
Euth. Meinft du etwa, ich werde die Heußerungen der Ge:
rechtigkeit nicht angeben können ? Du follft fogar die ber Un⸗
gerechtigkeit noch dazu erfahrens denn die Fann man jeden
+) Mit Herbft, der das Wort navre aus den Codd. als un⸗
verdaͤchtig wieder hergeftellt.
582 Zenophon’s Erinnerungen an Socrates.
:Zag in Menge :feben und hören, — Socr. Nun, wenn es
dir gefaͤllt, ſo wollen wir auf die eine Seite ein ® feben,
und auf die andere ein U, und was wir dann als Aenße⸗
rung der Gerechtigkeit erkennen, fol unter ©, und was wir
zur Ungerechtigkeit redinen, unter U zu flehen kommen. —
Euth.’ Wie du wilft, wenn du es für nöthig hältfl. —
Ener Nun, die Buchſtaben flehen ſchon: kommt nicht unter
den "Menichen das Lügen vor? — Euth. Allerdings —
Socr Wohin fegen wir Dieſes? — Enth. Verfteht ſich,
-anter die Ungerechtigkeit. — Socr: Findet fich unter ihnen.
nicht auch das Beträgen ?— Euth. Freilich. — Soer. Wo:
hin feßen wir num Dieſes? — Euth. Verſteht ſich, ebens
falls zur Ungerechtigkeit, — Socr. Und daß fie einander
Schaden zufügen ?— Euth. Ebenfalls. — Soer. Und daß fle
einander in die Sclaverei verfaufen — Euth. Gleichfalls. —
Soer. Alſo zur Gerechtigkeit kommt Nichts davon? —
Enth. Das wäre auch fhlimm. — Soer. Nun, wenn Ei⸗
ner als Feldherr die Einwohner einer feindlichen Stadt, die
fi) Ungerechtigkeiten gegen uns erlaubt hat, als Sclaven
verkauft, Fönnen wirDiefes ungerecht nennen ?— Euth. Nein,
gewiß nicht, — Socr. Werden wir es nicht vielmehr gerecht
finden? — Euth. Allerdings. — Soecr. Und wenn er fle
im Kriege betrügt? — Enth. Auch Diep iſt gerecht. —
Soer. Wenn er ferner dem Feinde mit Lift oder Gewalt
das Geinige nimmt, verfährt er dabei nicht ganz gerecht? —
Euth. Allerdings. Aber ich meinte anfangs, du habeſt bei
deinen Fragen blos das Verhältniß gegen Freunde im Auge. —
Socr. So müßten wir alfo Alles, was wir unter Ungerech⸗
tigkeit gefebt haben, auch unter Gerechtigkeit ſetzen? —
—
Bierted Buch. : 583
‚Enth. Demnad. — Socr. Wollen wir nun, nachdem Diek
gefchehen, unfern Sab fo ſtellen, folhe Handlungen feyen
zwar gerecht gegenüber vom Feinde, aber gegenüber ven
Freunden feyen fie ungerecht; gegen Diefe müfle man gerade
und offen ſeyn ? — Euth. Sanzeinverflanden. — Socr. Run,
gut, -wenn ein Feldherr ſieht, daß ſeine Leute keinen Muth
haben, und er belügt ſie, es ſeyen Hülfstruppen im Anzuge,
‚uud macht durch dieſe Lüge ben Soldaten wieder Muth, auf
welche Seite haben wir diefe Art von Betrug zu ſetzen? —
Buth, Sch denfe, unter Gerechtigkeit. — Soer. Ober es
hat Einer ein Kind, das Arzeneimittel ‚bedarf und dad)
-Zeine einnehmen will; er bringt ihm nun durch Betrug das
Apzeneimittel ald Speife bei, und macht es fo gefund: wohin
gehört wieder diefer Betrug? — Euth. Ich denke, wieder
nnter dieſelbe Claſſe. — Socr. Ferner, ein Freund von dir
ift ſchwermüthig; du fürchteft., er möchte fih Etwas am Ye:
ben thun, umd nimmſt ihm ein Schwert oder fonft ein Mords
‚gewehr heimlich oder mit Gewalt weg: wohin würde wieder
Dieſes gehören? — Euth. In der That ebenfalls unter Ge:
-vechtigkeit. — Socr. Du meinft alfo, audy gegenüber vou
Freunden brauche man nicht durchaus gerade und offen zu
ſeyn? — Euth. Nein, wahrhaftig nicht, und ich nehme das
Geſagte wieder zurüd, wenn ich darf, — Socr. Das mußt
du allerdings: dürfen, noch viel eher, als Etwas an die une
vrechte Stelle fegen. Um nun aber auf Die zu Eommen,
weiche ihre Freunde zu. ihrem Nachtheile betrügen (denn aud)
‚diefen Fall dürfen wir nicht unerörtert laffen): Wer handelt
Aungerechter, Wer ‘ed abſichtlich oder Wer es unabſichtlich
thut? Euth. Ach, Sorvates, ich trane meinen Untworten
584 RXenophon's Erinnerungen an Socrates.
nicht mehr recht; fbenn auch Das, wovon wir vorhin fpras
chen, fehe ich jebt ganz anders an, als ich damals meinte,
Aber dennoch wit ich ed fagen: Wer abfichtlich die Unwahr⸗
heit fagt, handelt ungerechter, als Wer es unabfichtlich thut. —
Socr. Glaubſt du die Gerechkigkeit fey Gegenſtand des Uns
terrichts und des Wiſſens, wie Lefen und Schreiben? —
Euth. Ja. — Socr. Und Wer, glaubft du, daß fi Darauf
beffer verftehe, Wer abſichtlich nicht richtig ſchreibt und liest,
oder Wer unabfihtiich? — Euth. Sch meines Orts glaube,
der Erftere; denn wenn er wollte, könnte er's auch recht
machen. — Socr. Alſo Wer abfihtlich nicht richtig fchreibt,
ſoll ſich darauf verſtehen, und Wer unabſichtlich, nicht? —
Euth. Unſtreitig. — Socr. Wie iſt ed nun mit der Ges
rechtigkeit? weiß Derjenige beffer, was gerecht ift, der ab-
ſichtlich lügt und betrügt, oder Derjenige, der cs unabſicht⸗
ich thut? — Euth. Natürlich der Erſtere. — Socr. Yups
Lefen und Schreiben alſo, meinft du, verftehe fid, Derjenige
beffer, der weiß, wie man lefen umd fchreiben muß, ald Mer
es nichtfweiß ? — Euth. Ja. — Soer. Und fo aud), Wer
weiß, was gerecht ift, fey gerechter, ala Wer es nicht weiß? —
Euth. So muß idy fagen; aber ich weiß wieder nicht recht,
wie ich dazu komme. — Socr, Nun, wenn Einer doch bie
Wahrheit fagen will, und nie in feinen Aeußerungen über
den nämlichen Gegenftand mit ſich übereinftimmet, ſoudern wo
er einen und denfelben Weg zu zeigen hat, bald gegen More
gen, bald gegen Abend weist, und wo es um bdiefelbe Rech⸗
nung ſich handelt, bald eine größere, bald eine Bleinere
Summe herausbringt: was hältft du von einem Solden ?—
Euth. Offenbar muß Der nicht willen, was er zu wiffen
Wiertes Bud). 585
glaubte. — Soer. Kennft bu gewifie Leute, die man Scla⸗
venfeelen nennt? — Euth. Ja. — Soer. Iſt ihre Weiss
heit oder ihre Unwiſſenheit Schuld daran? — Euth. Nas
türlich ihre Unwiſſenheit. Gocer. Etwa ihre Unwiſſen⸗
heit in der Schmiedefunt? — Euth. Gewiß nicht. —
Sper. Dder in dem Zimmerhandwerf? — Euth. Eben
fo wenig. — Socr. Dder in dem Schufterhandwert? —
Euth. Alles Diefes nicht; es findet cher das Gegentheit
ftatt ; gerade Diejenigen, welche dergleichen Dinge verftehen,
find größtentheild Sclavenfeelen. — Socr. Iſt demnach
diefed etwa der Name für Diejenigen, ‚welche nicht willen,
was fchön und aut und gerecht it? — Euth. So glaube
id, — Socr. Muß man num nicht alle feine Kräfte zus
fanımen nehmen, um Fein Sclave zu werden? — Euth. Ich
glaubte auch in der That, Socrates, ganz auf dem’ Wege zu
ſeyn, auf dem man am beften alle Bildung erhalten könne,
wie fie ein nad) dem Schönen und Guten firebender Mann
bedürfe. Aber wie meinft du, daß mir jebt zu Muthe fey,
ba ich fehe, daß mich alle meine bisherige Mühe nicht ein
mal fo viel hilft, um nur auf Das *), was id) gefragt werde,
in. den unerläßlichften Gegenfländen des Willens Rede und
Antwort zu gebenz und ein anderer Weg, auf dem ich es
weiter bringen Pönnte, ift mir gar nicht befaunt. — Socr. So
fage mir doch, Euthydemns, bift du fchon einmal nad) Del:
phi gekommen? — Euth. Sogar fon zweimal. —
.Sper, Fiel dir nicht irgendwo an dem Tempel die Inſchrift
auf: „Lerne dich felbft kennen.“ — Euth. O ja. —
*) 588 — Was nicht angefochten werben barf.
566 Xenophon's Erinnerungen an Socrates.
Sort. Waren bir die Worte gleichgültig, oderachteteſt du
darauf, und nahmſt Anmaß davon, did) ſelbſt zu prüfen,
er du ſeveſt? — Euth. Rein, wahrhaftig Das nicht;
ich badıte auch, Das wifle ich ja fchon zur Genüge, und in
der That könnte ich.ifchwerlich fonft von Etwas Kenntniß
haben, wenn ich mich feibft nicht Eennte, — Socr. Was
Heißeft du, ſich ſelbſt kennen? Wenn Einer nur feinen
Damen weiß, oder wenn Einer ed macht, wie bei einem
Pferdekaufe, wo man, um ein Pferd zu Bennen, wicht Zzu⸗
frieden iſt, bis man unterfucht bat, ob es folgfam fen oder
widerſpenſtig, Fark oder ſchwach, ſchnell oder Sangfam, und
wie es fonſt in Beziehung auf die Vorzüge und Mängel,
bie bei der Brauchbarkeit eined Pferdes in Betracht kommen,
befchaffen fey: wenn Einer alfo. auf ähnliche Weiſe vorker
unterfucht hat, wie es bei ihm mit der Brauchbarfeit für
das Menſchenteben ftehe, und feine Eigenfchaften kennt? —
Euth. Ja, Dieß ift meine Meinung: Wer feine Eiget-
fchaften nicht weiß, Der kennt fich auch nicht. — Sser. If
es nun nicht offenbar, daß Selbſtkenntniß den Menfchen zum
größten Vortheile gereicht, und Irrthum in Anſehung ſeiner
fesbft zum größten Nachtheile? Wer ſich ſelbſt kennt, weiß,
was für ihm gut iſt, und kennt die Grenze, wie weit ſeine
‚Kräfte reichen und wie weit nicht; nur Das treibend, mas
er verſteht, findet er - fein nöthiges Auskommen und lebt glück⸗
lich; was er nicht verfteht, läßt er ſeyn, und bleibt dadurch
nicht nur vor Fehlgriffen, ſondern auch vor Unglück bewahrt;
und da er ebendeßwegen auch Andere zu prüfen verſteht, ſo
weiß er auch durch Beihülfe Anderer ſeinen Vortheil zu för⸗
dern und gegen Nachtheil ſich zu Sichern. — "Wer aber dieſe
Biertes Buch. 58%
Kenntmiß nicht beſißt, fondern Aber feine Eigemfchaften ſich
im Irrthum befindet, dem geht es mit andern Menſchen und
mit den menfchfichen Angelegenheiten überhaupt ebenfo: er
kennt weder feine Bedärfniffe noch feine Gefchäfte, noch bie
Menſchen, deren er ſich bedient; nichts als Mißgriffe macht
er in alten dieſen Hinſichten, verfehlt daher feinen Vortheil
and ſtuͤrzt in’s Unglück. Ferner, Wer ſich auf Das verſteht,
was er treibt, erreicht feinen Zweck amd erwirbt ſich dadurch
Achtung und Ehre; Leite feines Seichen bedienen:fich gerne
feiner Dienfle; Andere, die fein Glück nicht haben *), wun⸗
fchen ſich unter feine Leitung -geftett zu fehen, wählen ihm
zw ihrem Vorſtande und dauen auf ihn die Hoffaung ihres
Glückes; und aus allen dieſen Urfachen find fie Ihm mit un⸗
‚begrenzter Ergebenheit zugethan. Wer Dagegen keine Kennt⸗
niß hat von Dem, was er treibt, Wer Rich feine Aufgabe
fchtecht wählt und mie feinen Unternehmangen verungfkickt,
‘der kommt nicht nur ſchon in fo fern in Schaden und Strafe,
fondern verliert deßhalb noch alfe Achtung, wird zum Ge⸗
fpötte und muß in Verachtung und Schande fein Leben
Hinbringen. Auch ganzen Städten geht es ja ‚nicht beffer,
wenn fie Ihre Kräfte mißkennen, und mit viner überlegenen
Madıt Krieg anfangen: fle werden entweder zerftört oder
ihrer Freiheit beraudt und unterjocht. Euth, Sep ver:
fichert, "Socrates, icy bin von dem hohen Werthe der Setbſt⸗
kenntniß voltommen überzeugt; wber darüber wünfchte ich,
wenn es div gefällig wäre, noch Auffchluß von die zu er⸗
*)..Uimfere Ueberſeung läßt ETIOTUPXRVoVTEG unangefochten
2
588 Xenophon's Erinnerungen an Socrated.
halten, wovon man bei ber Selöftdenntniß ausgehen müffe. —
Sper. Nun, Das weißt bu doch ohne Zweifel, was ein
Gut und was ein Uebel it? — Euth. Ya, gewiß; dem
wenn ich Dieß nicht wüßte, fo wäre ich ja noch elender als ein
Sclave. — Soecr. Wohlan, fo theile did) auch mir da⸗
rüber mit! — Euth. Dieß wird fo fchwer nicht ſeyn;
fürs erfte ift Geſundheit felbft ein Gut, und Krankheit ein
Hebel; fodann ferner die Speifen, Getränke, Befchäftigungen
und Gewohnheiten, welche das Eine oder das Undere zur
Folge haben; befördern fie die Gefundheit, fo find fie Güter 5
geben fie zu Krankheiten Anlaß, fo find fie Ueber. — |
Socr. Alfo auch Geſundheit und Krankheit find Güter,
wenn fie Gutes zur Folge haben, und Uebel, wenn Uebles? —
Euth. Wann follte denn Gefundheit Uebles zur Folge haben,
und Krankheit Gutes? — Socr. Solche Fälle gibt es in
Menge; denke bir nur einen fchimpflichen Feldzug oder eine
unglückliche Seereife: Ein Theil zieht mit, weil er gerade
gefund und ſtark ift, und ift verloren; Andere werden durch
Krankheit zurüdgehalten, und bleiben am Leben. — Euthr Du
haft Recht; aber du ſiehſt, daß Gefunbheit auch Manchen in
den Stand febt, an vortheilhaften Gelegenheiten Theil zu
nehmen; und Krankheit Manchen davon zurüdhält. —
Socr. So ift alfo Beides bald nützlich, bald ſchaͤdlich, und
eben fo wenig ein Gut, als ein Uebel? — Euth. Nadı
dem Bisherigen wenigftens fcheint ed wahrhaftig fo. Uber
Meisheit ift doch umleugbar ein Gut, Socrates. Deun wo
ift ein Gefchäft, dem Einer nicht beffer obläge, wenn er weife
iſt, ale wenn er. unwiſſend it? — Socr. Wie? Du haft
Viertes Buch. 69
Nichts von Daͤdalus *) gehört, wie ev wegen feiner Weiss
Heif don Minos gefangen, bei ihm den Sclaven machen mußte,
und des Daterlandes und der Freiheit zugleich beraubt wurde;
und als er den Verſuch machte, mit feinem Söhne zu ent:
fliehen, Diefen verlor und auch für ſich nicht entfommen
konnte, fondern unter die Barbaren und damit aufs neue
in Sclaverei geriet? — Euth. Im der That, fo erzäfft
man, — Soer. Haft du ferner nicht gehört, wie es dem
Dalamedes **) erging? Von :ihm heißt ed ja allgemein,
dag er durch Uinffes umgefommen, weil diefer feiner Weis⸗
heit wegen ihn beneidete. — Euth. Auch Dießz erzählt
man, — Soer. Und wie Viele meinft dus, dag fonft um ihrer
Weisheit willen vor den Perferkönig gefchleppt worden feyen,
and dort in Schaverei haben fchmachten müflen? — Euth. Es
*) Daͤdalus, Her .berähmte Künftler, hatte den Sohn feiner
Schweſter, Namens Perdir, aus Neid darüber, daß er— die
Säge erfunden, von der Burg zu Athen herabgeftürzt. Bon
dem Areopag verurtheitt, floh er nach Ereta zu Minos.
Don Minos in's Gefängniß geworfen, entfloh ‘er mittelſt
tünftliher Flügel mit feinem Sohne Icarus. Diefer fiel
in's Meer, weil er zu hoch flog, fo daB ihm dad Wachs an
. ven Flügeln ſchmolz; Daͤdalus ſelbſt kam nach Sicilien "zu
dem Könige Cocalus. Panfanias VII, 4, 5. p. 551. Dvid,
Metamorph. VII, 159. ff. Hygin. Tab. 39. 40. '
**) Palamedes Hatte enthedit, daß Ulyſſes nicht ‚wirklich wahn⸗
finnig war, fondern nur fich fo ftellte, um den Zug gegen
Troja nicht mitmachen zu dürfen. Dieß gedachte ihm Ulyſſes
und brachte ed dahin, daß er als Derräther von dein Grie⸗
chiſchen Heere gefteinigt wurde. Hyain: Tab, 105. Ovid.
Metamorph. XHT, 56. ff. Bol. Xenoph. Vertheidigung.
8. 236; .
590. Zenophon’s Erimmerungem an Socrates.
ſcheint, Socrates, das unzweideutigſte Gut ſey die- Gluͤcfe⸗
ligkeit. — Soer. Ja, wenn man fie nicht aus zweidentigen
Gütern zuſammenſetzt. — Euth. Was ſoll denn. bei der
Glückſeligkeit Zweideutiges ſeyn? — Socr. Gar Nichts,
ſo lange wir nicht Schönheit, Stärke, Reichthum, Ruhm
oder. ſonſt Etwas dergleichen damit in Verbindung feben. —
Euth. Aber Dieb werden wie thun; denn wie ließe fid)
ohne diefe Dinge eine Glückſeligkeit denken? — Socr. So
werden. wir eben damit Dinge in Verbindung ſetzen, welche
für den Menfchen oft fehr franrige Folgen haben, Wie Viele
werben wegen ihrer Schönheit von Denen verführt, welchen
der Anbrick eines ſchͤnen Menfchen den Kopf verrädt? Wie
Diele kommen wegen ihrer Stärke, weil fie an zu große Uns
ternehmungen fid) wagen, in Peine, kleine Unfälle? Wie
Mancher wird wegen feined Reichthums durch Schmeiche-
leien und Nachſtellungen ins Verderben geftirzt? Wie man:
hen Anderen hat fein Anfehen und Einfluß im Staat in
große Noch gebraht? — Euth. Nun ja, wenn ich auch
darin Unrecht habe, daß. ich die Gückſeligkoit für ein Gut
erkenne, fo weiß: ic) auch: gar nicht, was mam fich: von ben
Göttern erbitten fol. — Speer. Runde haft vielleicht über
dieſe Gegenflänbe gar nicht: nachgedacht, weil di: glaubteft,
du wiſſeſt fie aus dem runde: aber da du darauf ausgehſt,
Dich anı die: Spitze eines demokratiſchen Staates: zu: flelfen,
fo weißt du hoch, was eine Volksherrſchaft iſt? — Euth. Al⸗
lexrdings. — Soecr. Hältit du es num, für möglich, ven
Volksherrſchaft einen Begriff zw haben, ohne von: Volk
einen zu haben? — Guth. Dein, wahrhaftig. nicht. —
Socr. Und was denkſt du dir unter dem Belle? —
N
Wiortes Buch: S5ꝛ
Enth; Die Armen unter den Bürgern. — Socr. Ge
weißt: da alſo, wad die Armen find? — Euth. Warum
folfte ich nicht? — Soſcr. Weißt du auch, was die Rei⸗
chen find? — Euth. So gut, aldı mas die Armen find. —
Socer. Was nennft du denmarn, unb was nennſt du reich? —
Enth. Arm nenne ich, wenn Einer nicht: genug hat, um zu:
bezahlen, was er foll; und wenn Einer: mehr, ald genug: hat,
das: nenne-idy reich. — Socr. Haft du: nicht ſchon bemerßt,
dad Einige mit einem ganz. geringen. Bermögen nicht nur
ausreichen, fondern noch davon Etwas erübrigen, und Ans
dere wieder mit einan fehr bedeutenden nicht genug haben? —
Euth. In der That, du haft ganz Rechte, daß du: mich
daram erinnert; ic, kenne fogar Herrfcher auf den Thronen,
die, weil ed nirgends bei ihnen zureichen: will, gleich den
Aermſten zu Ungerechtigteiten: genöthigt find. — Socr. So
müßten: wir, went: Dem fo. wäre, die. Herrſcher unter das
Bolk ſehen, und die minder Bemitteiten, wofern fie nur Haus
zu: halten: wiſſen, unter die Reichen? -- Euth. And Dieß
muß ic) einräumen, einzig wegen meiner Schwäche; ic) farge,
ed: möchte. das: Befte ſeyn, wenn:ich ſchweige; denn ed komme
darauf horaus, daß ich ſchlechterdings Nichte: weiß.“
Und: Damit: zog er ganz entmukhigt: ab: Cr hatte: alle:
Adytnag vor fic, verkonen, und gbanhte in: Wahrheit ein. Schaue
zu / ſeyn. Uber wenn Viele, denen es bei Soerates eben [0 em
gangeniwar, hinfort ihm abs dem Wege gingen, mwomus er
dann ihre geiftige Leerheit abnahm, fo glaubte Euthydemus
auf keinem andern Weg. es zu Etwas. bringen zu können, als
wenn, er ſich gauz an Soerates hielte, und ließ aud) nicht
meh: nom: ihm, außer wenn: dringende Rothwendigkeit es er⸗
592 Zenophon’s Erinnerungen an Socrates.
forderte; in einigen Stüden nahm er fogar feine Gewohns
heiten an. Gocrates aber fchonte ihn fo viel ale möglich,
wie er einmal ſah, daß es fo mic ihm fland, und theilte
ihm. mit aller Offenheit umd Deutlichkeit fowohl die Kennts
niffe mit, deren Beſitz er bei Euthydemus für nothwendig
hielt, ald die Borfchriften, von deren Befolgung er ſich am
meisten Dortheile für ihn verfprad).
3. Bei feinen Freunden auf Fertigkeit im Reden *), auf
Brauchbarfeit für das thätige Leben und auf Gewandtheit **)
hinzuarbeiten, damit eilte Socrates nicht; er glaubte vorher
noch in ihnen den Grund zu einer richtigen Erkenntniß Tegen
zu müfjen. Denn ohne diefe, meinte er, Eönnen jene Vor:
züge nur dazu dienen, Einen zu noch größeren Ungerechtig«
feiten zu verleiten und ihn in der Ausführung feiner uns
beildringenden Plane zu unterſtützen. Vor Allem ſuchte er
bei feinen Freunden eine, richtige Erfenntniß von den Göttern '
zu begründen. _ Unterredungen, die er in diefer Abſicht mit
Anderen hielt, find von Anderen, die dabei zugegen. waren, -
bekannt gemacht worden; Ich war bei folgender Unterredung,
die er mit Euthydemus hielt: — Socr. Höre, Enthyde⸗
mus, ift Mir auch fchon eingefallen, darüber nachzudenken,
mie welcher Sorgfalt die Götter Alles nach den Bedürfniffen
der Menſchen eingerichtet haben? — Euth Nein, wahr
haftig noch nie. — Socr. Run, du weißt doch, daß wir
*) Aextıxag aus mehrern Codd. wie Schneider nach Ernefti
mit einiger Vedentficheeit, Schi und Herkft aber unbedenk⸗
ich ſtatt der Vuigata dexrıxgc liest.
* UNYARVIXBG, was eigentlich die Faͤhigkeit ausdruͤckt, fih bei
. Senverfchiebenen Vortommniſſen de& Lebens zu helfen zu wien,‘
Viertes Buch. 595
fürs erfle bes Lichtes bedürfen, und bie Bätter geben es
um? — Eutb. In der That, wenn wir Dieß nicht hätten,
fo wären wir gleid) den Blinden, fo lange ed nur auf un:
fere Augen antäme. — Soer. Wir bedürfen: ferner ber
Ruhe, und fie geben ung die Nacht, die bequemſte Gelegens
heit zum Ausruhen. — Euth. Auch Dieß iſt ſehr dankens⸗
werth. — Socr. Rod mehr, des Zages laͤßt uns bie
Senne als ein leuchtender Körper die Zeiten und alles Ue⸗
drige erkennen; die Nacht dagegen iſt finſter und ermangelt
beſtimmter Merkmale, nach denen man fich richten könnte;
da laſſen die Götter Geſtirne in der Nacht leuchten, die ung
ihre Zeiten anzeigen, und: damit find uns viefe weſentliche
Berrihfungen erleichtert. — Euth. So iſt es. — Soer.
Ja, der Mond macht uns nice nur bie Theile der Nacht,
fpntern and die des Monats kenntlich. — Euth. Alters
dinge. — Socr. Wir bedürfen ferner Nahrung; Tie laffen
fie aus der Erde aufkeimen, und ſchenken ums angemefiene
Sahreszeiten dazu, die uns nicht nur zu Befriedigung bed
Bedürfniffes, ſondern auch zu einem angenehmen Genuffe
Altes in: Fülle und Mannigfaltigkeit bereiten. — Euth.
Auch Dieb ift ein Beweis ihren Liebe zu den Menichen. —
Soer. Auch das Waffer geben fie uns, biefes unfchäbbare
Geſchenk, das in Gemeinfchaft mit der Erde and den Jahres:
jeiten alle ung nüblichen Gewaͤchſe hervorbringt und in ihrein
Wachsthume hefärdert, tms ſelbſt ernähren hilft und alfe un⸗
fere Nahrungsmittel durch feinen Hinzutritt verdaulicher, ger
$under und fchmadhaffer wicht; und fie geben es ung im fa
reichlichem Maße, weil auch das Bebürfniß deffelben fo groß
it. — Euth. Und Dieß ift ein Beweis ihrer Sirferee. —
Kenophon. 58 Boͤchn.
594 RXenophon's Erinnerungen an Socrates,
Socr. Und was fagft du dazu, daß fie uns auch bas Feuer
verfchafften, ein Schutzmittel gegen die Kälte, ein Gegen«
mittel gegen die Finfterniß, ein Hilfsmittel bei jeder Kunft
und bei Atem, was die Menfchen?zu ihrem Nutzen verfer
tigen? Denn mit Einem Worte, ohne Yeuer bringen die
Menfchen von Allem, was für das Leben nüslich ift, fo vier
als Nichts zu Stande. — Euth. Auch hierin erkenne ich
ihre überfchwengliche Menfchenlieber — Socr. Und daß
die Sonne, wenn fie im Winter fid) gewendet hat, ſich une
nähert und Einiges zeitiget, Anderes dörrt, nachdem feine
Zeit vorüber ift, und wenn fie Dieß bewirkt hat, nicht näher
rüct, fondern umbehrt, un nicht durch allzu große Hitze und
zu fchaden, und wenn fle wieder fo weis fich entfernt hat,
bag wir feldft einfehen, wir müßten vor Kälte erftarren,
wenn fie weiter ginge, daß fle dann wieder ſich wendet, und
herbeicückt, und in der Gegend des Himmels fid) herumdreht,
wo ihre Anwefenheit. am wohlthätigften für uns if? —
Euth. In der That, auch Diefes ficht wieder ganz einer
Beranftaltung zum-Beflen der Menfchen gleich — Soer.
Und.daß -fle endlich, da wir offenbar weder die Kälte nody
bie Hite aushalten könnten, wenn fie mit Einemmale käme,
baf die Sonne deßwegen fo allmählig heraurückt, und fo alle
mählig wieder fich entfernt, daß wir, ohne es zu merken, its
beiden den höchſten Grad erreihen? — Euth. Ich ſtelle
mir bereits die Frage, ob überhaupt die Götter etwas Anz
beres thun, ale für die Menfchen Sorge fragen; nur das
Eine macht mir noch Bedenklichkeiten, daß auch die anderen
febendigen Weſen an biefen Wohlthaten Theil nehmen. —
Socer, Iſt denn nicht Klar, daß auch diefe um des Men⸗
Diertes Bud). Ä 595
fchen willen erzeugt und groß gezogen werden? — Denn
welches andere lebendige Wefen hat von den Siegen, Schwei⸗
nen, Pferden, Stieren, Efeln und anderen Thieren fo viel
Nutzen, ald der Menſch? Ich glaube, er Hat non ihnen
noch mehr Nuben, ald von den Pflanzen; wenigſtens nährt
und bereichert er fich von jenen. fo gut, als von biefen. Biele
Menſchen bedienen fid) der Erzeugniffe der Erbe gar nicht zu
ihrer Nahrung, fondern Teben von ihren Heerden, von denen
fie mit Mitch, Butter. und Fleifch verfehen werden; und als
gemein findet es ſich, daB man die nüslichen Thiere zähme
und bändigt, und zum. Kriege und zu vielen andern Verrich⸗
tungen ihrer Hülfe fich bedient. — Euth. Auch darin bi
ich mit dir einverſtanden; denn ich fehe, daß feibft ſolche
Zhiere, die uns an Stärke weit überlegen find, dem Mens
fchen fo gehorfam werden, daß er mit ihnen anfangen Fan,
was er nur will. — Socr. Was fol ich endlich davon
fagen, daß fie für das viele. Schöne und Nüsliche in ber
Welt, weil es fo verfchiedener Art it, für jedes uns die
geeigneten Sinneswerkjeuge gegeben haben, mittelſt welcher
wir Alles, was gut ift, genießen; daß fie uns die Vernunft
eingepflanzt, welche durch Nachdenken über die Wahrneh⸗
mungen der Sinne und durch Rüderinnerung an fie die Nuss
barkeit jedes Dinges ausmittert, und allerlei Mittel erfindet,
um und den Senuß des Guten zuzuwenden, und das Schäbs
liche von uns abzuhalten! daß fie uns auch die Fähigkeit,
ung einauder verftändlic zu machen, gegeben, mittelft weicher
wir alles Gute durdy Belehrung einander mittheilen und von
einander empfangen, über Gefebe uns vereinigen und in
Staaten zufammen leben? — Euth. Durchaus, Socrates,
#
596 Zenophon’s Erinnerungen an Socrates.
müffen bie!@ötter für die Menſchen ſehr beſorgt ſeyn. — Gocr.
a, da wir außer Stande find, für Das, was erſt zu ers
warten fieht, die geeignesen Maßregeln zum; Voraus zu ers
greifen, fo gehen ſie uns auch hierin an de Hand :Yfie machen
durch die Wahrfagerfunf Denen, welche fie befragen, bie zit
fünftigen Ereigniſſe fund, und Ichren fie, wie ſich denſelben
anch die beſte Wendung geben ließe, — Euth. Und nod) weit
mehr, als Anderen, Socrates, ſcheinen fle Dir hold zu ſeyn,
wenn fie, ohne auch nur eine Anfrage von dir abzuwarten,
dir bedeuten, was du thun folleft, und was nicht. — Soer.
Daß ih übrigens die Wahrheit fage, davon wirft auch Du
dic, überzeugen, Euthydemus, wenn du nicht erſt warteſt,
bis du die Goͤtter leibhaftig ſichſt, fondern Dir genügen Läffeft,
ihre Werke zu ſehen, um fie auzubeten und zu Nverehren.
{Darauf leiten dich die Götter felbft bins denn auch die Mes
beigen von ihnen kommen bei Ertheilung ihrer Güter eben fo-
wenig für uns zum Morfchein, als diejenige Gottheit, welde
Das ganze Weltall, dieſen Inbegriff alles Schönen und Guten
ardnet und zuſammenhaͤlt, und durch welche ed, fo wenig es
je zur Ruhe kommt, doc) flets unverfehrt, gefund umd jung
bleibt, und ſchneller als ein Gedanke fehlerios feinen Dienft
verzichtet: ich fage, als diefe Gnttheit, wenn fie zwar bie
größten Werke vor unferen Augen vollbringt, aber ihr Wir⸗
ten felbft vor unferen Blicken verborgen Hält *).] Selbſt die
Some, die doch für Jedermann fichtbar zu ſeyn fcheint, ge⸗
ftattet den Menſchen nicht, fie genau in’d Auge zu fallen,
*) Schon Meiste und fpäter Schneider ftraucheln Über der Dun⸗
telheit diefer ohne Zweifel corrumpirten Stelle, Herbſt vers
bannt fie, als eingedrungen , ‚ganz aus dem Texte,
N Viertes Buch. 507
rd Mer fich unterfaͤngt fie fresh anzubliden, dem raubt fie
das Geſicht. Und fo wirft du auch finden, daß die Diener
der Götter unfichtbar find, Daß ber Blitzſtrahl von oben
kommt, und Alles beswingt, was ihm in den Weg kommt,
ift offenbar; aber man ſieht ihn weder wenn ex kommt, noch
wenn er eingefchlagen hat, noch wenn er acht. Auch Die
Binde find ſelbſt nicht. ſichtbar; nur ifre Wirkungen find
wahrnehmbar für und, umd ihr Wehen läßt fih empfinden.
Da auch die Seele des Menſchen, die, wenn irgend Etwas
unter der Sonne verwandt ift mit dem Göttlichen, andy fie
iſt nicht ſichtbar; nur daß fie in nnd herrſcht, laͤßt fih wahr⸗
nehmen. A Und darum muß man gegen das Unfichtbare wicht
gleichgültig feyn, fonbern aus ben Exfcheinungen feine Macht
erkennen, und die Gottheit ehren. — Euth, Gewiß, Se
crates, von Achtloſigkeit gegen die Götter wird bei mir nie,
auch nur im Mindeflen, die Rede ſeyn; nur Das bekuͤmmert
mid, daß mir fheint, als vb auch wicht Ein Menſch den
Göttern mit würdigem Dank ihre Wohlthaten erwiedern
könnte. — Soer. Laß did, Dieb nicht bekümmern, Euthy⸗
demus, du weißt ja, wenn man bun Soft in Delphi fragt,
wie manfden Göttern fi gefaͤllig machen könne, fo gibt er
zur Antwort: „nach den Gebräuchen bed Staates.“ Und
Gebrauch ift es bach ficher überall, nach Vermögen durch
Dpfer-die Götter fid, geneigt zu machen. Wie konnte man
daher würdiger und ehrerbietiger die Götter ehren, ats wenn
man thut,Kwie fle ſelbſt vorfchreiden? Uber unter fein Ver⸗
mögen darf man richt herumtergehen; wenn Einer Dieb thut,
fo darf man mit Gewißheit annehmen, daß er in jenem Aus
genblicke die Götter nicht ehrt. Läßt man es num nicht feh⸗
508 Zenophön’s Erinnerungen an Sockates.
len, nad) Vermögen die Götter zu ehren, fo darf man ges
troft feyn und alles Gute fich verfprechen. Denn man kaun
vernünftiger Weife von Niemand mehr Gutes ſich verfprechen,
als von Denen, welche im Stande find, ums die größten
Wohlthaten zu erweifen, und auf feine Weife zuverfichtlicher,
als wenn man Diefen gefält, Wie Lönnte man ihnen aber
eher’ gefallen, als wenn man ihnen fo viel immer möglich ges
horcht?“
Durch ſolche Lehren und durch das damit uͤbereinſtim⸗
mende Beiſpiel, das er ſelbſt gab, ſuchte er feinen Freunden
Ehrfurcht vor den Göttern und [die von diefer unzertrennliche]
Sittlichkeit beizubringen.
- 4 Auch aus feinen Grundſaͤtzen über Gerechtigkeit
machte Socrates kein Geheimniß, ſondern gab fie ſchon durch
die That zu erkennen. Gegenüber von Privatperſonen be⸗
trug er ſich immer fo, wie es den Geſetzen gemäß und für
Andere nützlich ) war; in feinem Verhältniſſe zum Staate
leiſtete er den Obrigkeiten allen in den Geſetzen vorgeſchrie⸗
benen Gehorſam, und war zu Hauſe und im Felde ſo ord⸗
nungsliebend, daß er vor allen Anderen ſich auszeichnete.
Als Epiſtat **) in den Verſammlungen, was er einmal war,
erlaubte er dem Volke nicht, in der Form eines Befchluffes
von den gefeblichen Beſtimmungen abzuweichen, fondern wis
derfebte fich in Gemaͤßheit der Geſetze einem ſolchen Ungeſtüm
*) Schneider macht das Wort —XRXRV an dieſer Stelle ohne
Grund verdaͤchtig. Socrates trennt, wie nach ihm beſonders
die Stoiker thaten, den wahren Nugen nie von der Tu
send.
”) &, zu l, ı.
N Viertes Buch. 599
des Volks, dem nicht wohl ein Anderer die Spitze würde
geboten haben. Wenn die dreißig Tyrannen Etwas gegen
die Geſetze von ihm forderten, ſo gehorchte er nicht. So
verboten fie, ſich mit den Jünglingen zu unterreden, und
einmal hatten fie ihn und einige andere Bürger befeh-
ligt *), Einen zur Hinrichtung abzuholen; aber er allein
siftete nicht Yolge, weil die Forderungen gefehwidrig waren, —
Er war von Melitus angeklagt. Andere pflegen vor Gericht .
den Ridytern gute Worte zu geben, ihnen zu fchmeicheln,
und gegen das ausdrückliche Verbot der Geſetze fle mit Bitten
zu beflürmen, und Mancher wird ans folchen Urfachen von
den Richtern losgeſprochen. Socrates Eonnte es nicht über
fid) bringen, vor Bericht Etwas ber Art gegen die Geſetze
fid) zu erlauben; ob er gleich Leicht feine Freifprechung bei
den Richtern Hätte bewirken können, wenn.er nur einiger:
maßen fi dazu verftanden hätte, fo wollte er doc, Lieber
ſterben und den Gefeben gefren bleiben, als leben und. fie
übertreten. Diefelben Grundfäbe äußerte er auch in Ge⸗
ſprächen gegen verfchiedene Perfonen kei mehreren Gelegen⸗
heiten; mir ift über die Gerechtigkeit namentlich folgende
Anterredung von ihm mit bem Eleer Hippias **) bekannt. Die:
fer war nach langer Zeit wieder nach Athen gekommen, und
war gerade dabei, wie Socrates in Gegenwart mehrerer
*) Die Gefchichte fteht bei’ Kenoph. Grich. Gef, I, 3. und
Plato Apologie $. 20.
**) Hippias von Elis, ein berühmter Sophift, aus damaliger
Zeit, der Alles zu wiffen ſich einbitdete, von Plato aber in
zwei Dialogen, die feinen Namen führen, als ein eitler
Prahler dargeſtellt wird.
600 Xenophon's Erinnerungen an Socrates.
Perfonen feste, es fey doch ſonderbar: wenn Einer Finn
das Handwerk eines Schuflers, Zimmermeifters „der Schmie⸗
des oder die Reitkunſt lernen laſſen weite, fa fey er nid
in Verfegenheit, wohin er ihn zu ſchicken Habe: man fage
ſogar, wenn Einer- ein Pferd oder einen Stier. ſich wolle
gerecht machen laffen, fo ſey es überall voll mit Leuten, bie
fid) dazu erbieten *); wolle Eimer aber eutweber felbft le
men, was gerecht fen, oder einen Sohn oder Schauen es
lernen laſſen, fo wife er nicht, wo er feinen Zweck erreichen
könne. Wie Dippiad Dieß hörte, fagte er in ſpottiſchem Tone:
„Bringft du immer noch das Nämliche, Socrates, was ich
fchon vor Fahren von die hörte?“ — Goer. Ge, was nad)
ärger ift, niche num immer das Nämliche, fondern auch über
das Nämliche *). Du bringſt natürlich nie das Namliche
über das Nämliche; du biſt ein Mann von vielſeitigen Kennt⸗
niſſen. — Hipp. Allerdings, ich fuche flets etwas Neurs
zu bringen. — Socr. Auch über Dinge, worüber Du um
terrichtet bift? Wenn man dich zum Beifpiel aus bem Al⸗
phabet fragt, wie viele und welche Buchflaben man zu bem
Namen Socrated brauche, wird da deine Antwort .jebt anders
-ausfalfen, als früher ? oder wenn man did aus dem Einmals
eins fragt, ob zweimal fünf zehn fey, wirkt da jest nidye
* Wir glauben mit Herbſt, daB diefe Worte „man füge — er⸗
bieten,’ die Ruhnken, Valkenaͤr, Zeune, Schüg und Schneider
een wenigftend ihrem Hauptinhalte nach nicht uns
ind.
* Die Bitterteit in dieſen Worten liegt darin, daB Socrates
dem Hippias zu verftehen gibt, er fey bereit, Aber bie n aͤ m⸗
lichen Gegenftände widerfprehende Meinungen zu
vertheidigen.
-
Viertes Buch. 6e1
ebenfo antworten, wie vor biefem?_ — Hipp. Ueber
viche Dinge bringe freitich auch Ich, wie Du, immer das Naͤm⸗
liche; aber Über Gerechtigkeit getraue ich mir allerbings jest
m zu fprechen, daß weder du noch fonft Jemand Etwas wird
Dagegen fagen könuen. — Soecr. Run, da haſt bu im der
That einen guten Fund geshan, wern die Richter nicht mehr
verſchieden finnmen, die Bürger nicht mehr über ihre Rechte
flreiten, Prozeſſe führen und in Parteien ſich heilen, die
Staaten nicht mehr über ihre Rechte in Zwiſt gerathen und
Krege Fähren ſollen. ch Bann unmöglich von dir laſſen,
ohne vorher dich Über den herrlichen Fund zu Bören, den du
gethan haſt. — Hipp. Daraus kann nur dann Etwas
werden, Socrates, wern du zuvor ferbft deine Auſicht über
Gerechtigkeit vorgetragen haft. Du möchteft immer nır Ans
Vere ausfragen und in die Enge treiden, und felbft Miemand
Rede fichen und Über Nichts deine Meinung preis geben.
So hade ich feine Luſt mic, zum Beſten haben zu laffen; es
iſt genug, wenn Andere es fich gefalfen Taffen. — Socv. Wie,
Hippias? Haft da nicht bemerkt, daß ich nie aufhöre, an
den Tag zu legen, was ich für gerecht halte? — Hipp.
Bas meinft du da für Worte? — Gocr Sind es audı
keine Worte, fo ift ed doch die That, wodurch ich es au
den Tag lege. Oder meinft du nicht, daß auf die That mehr
zu schen fen, als auf dad Wort? — Hipp. D gewiß
weit mehr; dein Mancher iſt in feinen Worten gerecht,
und handelt doch ungerecht; Mer hingegen thut, wad geredyt
ft, kann nie ungerecht fern — Socr. Haft du num je
bemerkt, daß ich falſch gezeugt, boshafter Welle Jemand in
Anklageſtand verfegt, zwifchen Freunden oder im Staafe
602 Zenophon’s Erinnerungen an Socrätes.
Uneinigkeit gefliftet , oder ſonſt eine Ungerechtigkeit begangen
hätte? — Hipp. Nein. — Socr. Und nennſt du Das
sicht geredyt feyn, wenn man das Ungerechte läßt? —
Hipp. Man fieht wohl, Socrates, daß du auch jebt wieder
ausweichen willſt, um nicht fagen zu dürfen, was nach deiner
Anficht Gerechtigkeit fey; denn du fprichit nicht von Dem,
was der Gerechte thut, fondern von Dem, was er nicht thut. —
Socr Je nun, ich dachte, Ungerechtiaßeiten meiden, ſey
ein binreichender Beweis von ©erechtigkeit. Wenn du übri-
gens anders meinft, fo fieh einmal, ob did, Folgendes mehr
befriedigt. Ic behaupte, Gerecht fey fo viel als Geſetzlich. —
Hipp. Du meinft alfo, Socrates, Gerecht und Gefeslich
fey ein und daffelbe? — Socr. So meine id» — Hipp. Da
weiß ich nur nicht, was du Gefeblich, oder was du Gerecht
nennft. — Socr. Du weißt doch, was Geſetze des Staats
find? — Hipp. Ja. — Soer. Und wand dentft du dir
Dabei? — Hipp. Schriftliche, durch gemeinfchaftliche Ue⸗
bereinfunft von den Bürgern feftgefebte Beflimmungen über
Dad, was man zu hun und zu laffen hat. — Soecr. If
nun nicht Geſetzlich Derjenige, der nad) diefen Beflimmungen
im Staate lebt, und Ungefehlich Derjenige, der fie übertritt ? —
Hipp. Allerdings. — Socr. That Derjenige, welcher fie
befolgt, nicht auch, was gerecht ift, und Wer ihnen nicht
folgt, was ungerecht iſt? — Hipp. Allerdings. — Socr. Iſt
nun, Wer thnt, was gerecht ift, nicht gerecht, und Wer
thut, mas ungerecht iſt, nicht ungerecht? — Hipp. Wie
könnte es anders feyn? — Soecr. So ift alfo der Geſetz⸗
liche gerecht, und der Ungefepliche ungerecht. — Hipp, Wie
kaun man aber auf die Geſetze oder auf den Gehorfam gegen
Viertes Buch. ' . 603
diefelben großen Werth legen, da fie ja oft von Denen ſelbſt
wieder abgefchafft und abgeändert werden, von welchen fie ges
geben worden find? — Socr. So wird ja von den Stans
ten auch oft Krieg angefangen und wieder Friede gefchloffen. —
Hipp. Ohne Zweifel. — Socr. Meinft du nun, dem
Gehorfam gegen die Geſetze feinen Werth abzufprechen, weil
die Geſetze abgefchafft werden könnten, fey- um etwas beffer,
als wenn du die Mannszucht im Kriege tadeln wollteft, weil
der Friede zn Stande kommen könnte? Oder haft du auch
‚daran Etwas auszuſetzen, wenn Einer im Kriege bereitwillig
fid) der Sache des Vaterlands annimmt? — Hipp. Nein,
wahrhaftig nicht. Spocr. Und haft du nicht bemerkt, daß
Lycurg *), der Lacedämonier, Sparta nicht über die alt:
deren Staaten erhoben hätte, wenn er nicht vorzüglich Ges
horfam gegen die Gefebe dort eingeführt hätte? Weißt du
nicht, daß die Vorfieher in den Staaten um fo beffer find,
je mehr fie Gehorfam gegen die Gefebe unter den Bürgern
zu befördern wiffen, und daß der Staat, in welchem die
Bürger den Geſetzen am willigften gehorchen, im Frieden ber
glüctichfte und im Kriege unüberwindlid it? — Ferner
fehen die Staaten Eintracht für ihr höchſtes Glück an; taͤg⸗
lid) ermahnen die Rathsbehörden und die angefehenften Män⸗
ner. ihre Mitbürger dazu, und überall in Griechenland ift
es Geſetz, daß die Bürger eidlich fid zur Eintracht verpflich-
ten, fund diefer Eid wird überall abgelegt. Dieß gefchieht nun,
dene ich, nicht damit die Bürger denſelben Ehören den Vor⸗
*) Lycurg, der Spartanifche Geſetzgeber. S. Manfo Sparta
ır Band, und Schiller die Gefengehung bed Lycurg und
Solon.
604 RXenophon's Erinnerungen. an Socrates.
zug geben, dieſelben Flötenſpieler oben, denfelden Dichtern
den Preis zuerkennen, oder biefelben Neigungen wit einander
theilen, ſondern damit fle den Gefeben gehorchen. Denn dar⸗
auf, daß die Bürger an dieſe ſich halten, beruht die Stärke
und das Glück der Staaten; ohne Eintracht hingegen kaun
weder ein Staat noch eine Hauchaltung gedeihen. Und um
anf die einzelnen. Individnen zu kommen, wie kann Einer
beffev im Staate wor Strafen ſich ficher ſtellen, wie cher
Belohnungen erhalten, ass wenn er den Geſetzen gehardyt ?
ie kann er wewiger vor ben Gerichten verkieren, wie eher
gewinnen? Wem möchte wohl Einer mit mehr Zuverſicht
Schaͤtze, Söhne oder Töchter anyertrauen, Wen der ganze
Staat mehr feines Zutrauens für werth Halten, als den Ge⸗
feslihen? Bon Wen Lönnen Eitern, Angehörige und Ges
finde, Freunde, Bürger umd Fremde cher ihrer Rechte theil⸗
baftig zu werden ſich verfprechen? Wen möchten bie Yeinbe
eher Srauen bei Schließung eines Waffenſtillſtaudes, Bünde
niffes oder Friedensnertrages, mit Wem Tieber Bundesge⸗
noſſenſchaft ſchließen, als eben mit ihm? Wen möchten bie
Bundesgenoſſen lieber ihre Truppen, ihre Befabumgen, ihre
Städte anvertvauen? Don Wem möchte Einer eher Erwier
berung einer Wohlthat erwarten, als von bem Gefeplichen,
und Wern eher eine Wohlthat erweifen, als Dem, von wels
hen er Erwiederung berfelben hoffen Sann? Wen möchte
man lieber zum Freunde, weniger zum Feinde haben wollen,
als einen Solchen, und mit Wem weniger gerne Krieg an⸗
fangen, als mit Dem, welchen man am liebſten zum Freunde,
am wenigften gerne zum Feinde zu haben, und mit dem
Altes in Zreundfchaft und Bundesgenoffenfchaft, und Nie
'
Mierted Bud. 605
mand in Feindſchaft und Krieg zu ſtehen wünschte? Alſo
meine Anficht, Hippias, iſt die, daß Geſetzmaͤßig und Gerecht
einerlei fey; und wenn du anders meinft, fo laß hören. —
Hipp. Mein, wahrhaftig, Socrated, ich meine gar nicht
anders, als du dich über Gerechtigkeit ausgefprochen haft. —
Socr. Kenuſt du auch ungefchriebene Geſetze, Hippias ? —
Hipp. Ja, die, welche aller Orten gleich gelten. — Soer.
Könnteſt du nun behaupten, daß die Menſchen fie gegeben
hätten? — Hipp. Wie Lönnte ich Die? Sie könnten
ja weder Alle zufammen kommen, noch baden fie sinerlei
Sprade. — Soecr. Wer glaubft du nun, daß dieſe Ge⸗
feße gegeben Habe? — Hipp. Nach meiner Anfiht haben
die Götter den Menfchen diefe Gefebe gegeben. Denn in ber
ganzen Welt gilt es für das erſte Geſetz, daß man die Götter
ehe. — Soer. Iſt nieht auch überall Gefes, daß man die
Eitern ehre? — Hipp. Auch Diefed, ja. — Sper, Und
daß weder die Eitern mit den Kindern, nody die Kinder mit
den Eltern ſich geſchlechtlich vermiſchen ſollen? — Hipp. Dieß,
Socrates, ſcheint mir fein Geſetz einer Gottheit mehr zn feyn.—
Socr. Barum denn? — Hipp. Weit ic fehe, daß es
Menſchen gibt, die es übersreten. — Socr. Geſete werben
auch fonft häufig übertreten; aber Wer ein von den Göttern
gegebenes Geſetz übertritt, muß doch Strafe leiden, der ein
Menſch auf Feine Weife ſich entziehen kann, anflatt daß,
Her die von Menfchen gegebenen Geſetze ühertritt, je nnd
je der Strafe entgeht und entweder gar nicht entdeckt wird,
sder mit Gewalt es durchſetzt. — Hipp. Und was foll das
für eine Strafe feyn, Gorrates, der die Eltern nit ent:
gehen können, wenn fie mit den Kindern, und die Kinder
606 Zenophon’s Erinnerungen an Socrates.
nicht, wenn fie mit den Eltern fich geichlechtkich vermifchen? —
Soer. Die fhwerfte, in der That, die es geben kann.
Denn was kann einem Menfchen Härtered widerfahren, wenn
er Kinder zeugt, ald wenn er. fchlechte Kinder zeugt? —
Hipp. Wie fol denn Dieß zugehen, wenn er felbft aut ift,
und ihn Nichts hindert, zum Zwecke der Kinderzeugung
wieder mit einer guten Perſon fi zu verbinden? — Soer.
Drum ift es in der That nicht genug, wenn Die, welche
mit einander Finder zeugen, gute Menfchen find; fie müffen
auch Förperlich in der Brüche ihrer Jugendkraft ſtehen. Oder
meinft du, es fey in der Zengungskraft Pein Unterſchied zwi⸗
fihen Denen, welche in der Blüthe ihrer Jugendkraft flehen,
und zwiſchen Denen, welche diefe Blüthe noch nicht erreicht
oder fchon überlebt Haben ? — Hipp. Nein, hier muß wahr
baftig ein Unterfchied flatt finden. — Socr. Auf welder
Seite wird nun der Borzug fern? — Hipp. Natürlich,
auf Seiten Derer, welche in der Blüthe ihrer Jahre ftehen. —
Soc. Wo diefe Blüthe noch nicht gekommen oder fchon
vorüber ift, wird es alfo um die Zeugungskraft nicht aut
fiehen ? — Hipp. Nicht wohl, — Socr. So follte man ſich
alfo in diefem Falle mit der Kinderzeugung nicht befaffen ? —
Hipp. Es fcheint mir nicht. — So er. Wer alfo unter
ſolchen Umfländen es thut, thut ed, wie er nicht follte? —
Hipp. So denke ih. — Socr. Bon Welchen könnte man
num fonft fagen, fle zeugen fehlechte Kinder, ald von Diefen ?
Hipp. Auch Hierin bin ich mit dir einverftanden. — Socr.
Nun, und ift es nicht ebenfalls ein allgemeined Gefeb, daß
man empfangene. Wohlthaten vergelte? — Hipp. Das ift
. ed allerdings; aber es wird auch übertreten. — Socr. Müf:
N
Viertes Bud). 607
fen num nicht and) bier die Webertreter Strafe leiden, indem
fie von guten Freunden verlaffen, und Feinden nachzulaufen
genöthigt- werden ? Dder find nicht Diejenigen als gute
Freunde zu betrachten, weldye ihren Bekannten Wohlthaten
erweifen; und Wer diefe Wohlthaten nicht erwiedert, macht
fie durch feine Undankbarkeit ſich zu Feinden, Täuft aber wieder
Niemand mehr nad), ald Jenen, weil es Feine nüglichere
Betanntfchaft gibt, als die ihrige? — Hipp. In der That,
Socrates, alles Diefed hat den Stempel göttlicher Anord⸗
nung. Denn daß die Strafen für die Webertrefung in unmit⸗
telbarem Sufammenhange mit den Gefegen ftehen, Das bentet
auf einen mehr als menſchlichen Gefeugeber hin, — Soecr.
Soil ‚nun Das, was die Götter zum Gefe erheben, das
Gerechte feyn, oder verfchieden von dem Gerechten? — Hipp
Wahrhaftig, nicht davon verſchieden; denn ſchwerlich möchte
in einer anderen Geſetzgebung das Gerechte zu fuchen feyn,
wenn nicht in der eines Gottes. — Socr. So find alfo ‘
auch die Götter der Meinung, daß Gercht und Geſetzlich
einerlei ſey.“
Sp redend und handelnd leitete Socrates feine Freunde
zur Gerechtigkeit an.
5. Uber auch zu brauchbaren Menfchen für das thaͤtige
Leben bildete er Die, welche mit ihm umgingen. Davon ſoll
jetzt die Rede werden. Ueberzeugt, daß Selbſtbeherrſchung für
Denjenigen, der etwas Rechtes zu leiſten gedenke, von Nutzen
ſey, gab er erſtlich am ſich ſelbſt *) feinen Freunden ein Mu⸗
*) Mit Schuͤtz und Herbſt das alte avrop, ftatt Erneſti⸗s
Sonjedur aurıv.
608 Xenophon's Erinverungen an Socrates.
ſter von Abhaͤrtung und Eutbehrung; dann empfahl er auch
feinen Freunden in feinen Geſprächen dieſe Tugend auf das
nachdrücklichſte. Wie es überhaupt Feine‘ Gelegenheit gab,
wo er nicht die Beweggründe zur Tugend felbft vor Augen
hatte, und auch feinen Freunden vorhielt; fo hielt er nament⸗
lich einmal mit Euthydemus über die Selbſtbeherrſchung fols
gende Unterredung: Socr. „Döre, Euthydemus, findet dw,
daß es um die. yreigeit für den Einzelnen, wie für ganze
Staaten ein ſchönes und herrliches Gut it? — Euth. Ih
kenne Nichts, was darüber ginge. — Socr. Hältft du. num
Denjenigen für frei, der von den finnfichen Lüſten fich bes
herrſchen und abhalten läßt, das Beſte zu vollbringen ? —
Euth. Nicht im mindeften. — Soer. Vielxeicht ſetzeſt du
eben die Freiheit darein, daß man das Beſte vollbringe,
und nennſt Das unfrei, wenn man Jemand bat, der Einen
daran verhindert? — Euth. Durchaus, ja. — Soer. Durch⸗
aus haͤlſt du: alfo Diejenigen für unfrei, welche ſich ſelbſt
nicht zu beherrſchen vermögen? — Euth. Gewiß, und zwar
mit Recht. — Seer. Wie meinſt du? werden Diejenigen,
weiche fich ſelbſt nicht beherrſchen können, nur gehindert, das
Scönfte zu vollbringen, oder auch gendkhigt, das Schänd⸗
lichſte zu thun? — Euth. Ich glaube, es gefchieht Bas Eine
fo gut, wie das Andere. — Goer. Was haͤltſt du nun wen
Herren, welde Einen an dem Beften hindern, unb zu dem
Schlechteſten nöthigen? — Euth. Das fie die Schlechteſten
fegen, die es möglicher Weife geben Fanı. — Socr. Und
welche Sclaverei hälſt du für die fchlimmfe? — Euth. Die
bei den fchlimmfien Herren. — Socr. So leben alfo Dieje⸗
nigen in der ſchlimmſten Schaverei, die ſich febbft nicht beherrs
Viertes Buch. 609
ſchen können? — Euth. So denke ih. — Soer. Scheint
dir nicht auch, daß die Genußſucht den Menſchen von der
Weisheit, dem größten Gut, entfernt halte, und ihn dafür
ins Gegentheil ſtürze? Oder glaubſt du nicht, daß fie durch
die Verführung zu den Dergnügungen ihn hindert, auf Das,
was ihm nüben kann, zu achten, und ed wahrzunehmen, und
oft, wenn er weiß, was gut und böfe ift, durch eine wahre-
Webertäubung ihn dazu bringt, flatt des Beſſeren das Schlech⸗
texe zu wählen ?— Euth. So ift es allerdings. — Socr. Bei
em möchte ferner Nüchternheit weniger zu fuchen ſeyn, ald
bei dem Genußfüchtigen ? die Aeußerungen der Nüchternheit
und der Genußſucht find ja das gerade Gegentheil von ein:
amder. — Euth. Auch Dieß geflehe ich zu. — So er. Kaun
denn Etwas den Menſchen mehr au Erfüllung ſeiner Pflich⸗
ten hindern, als Genußfuht? — Euth. In Wahrheit,-
Fichte. — Socr. Und kann ed nun etwas Schlimmeres für
den Menfchen geben, als Das, was ihn veranfäßt, das Schaͤd⸗
liche dem Nuͤtzlichen vorzuziehen; was ihn verfeitet, auf
jenes feine Sorgfalt zu richten, und dieſes auffen Acht zu
laſſen, was ihn möthigt, das Gegentheil von Dem zu thun,
was ein DBefonnener thut? — Euth. Unmoͤglich. — Sper.
Muß Aber nicht die Selbſtbeherrſchung gerade die entgegen⸗
gefeste Wirkung auf den Menſchen haben? — Eu,th. Aller:
dings — Socr Muß nicht auch Das, was- die enfgegens
gefehte Wirkung hervorbringt, dad Befte ſeyn? — Euth. Ganz
natärlih. — Socr. So muß alfo die Selbftbeherrfchung für
den Menfchen das Belle Senn? — Euth; Ganz fiher, So:
crates. — Soer. Iſt dir aber jemals auch ſchon jener Ges
Renophon. 56 Bbechu. 4
610. Xenophon's Erinnerungen an Socrated. .
danke gefommen, Euthhdemns? — Euth. Welcher ? Socr. Da
ſelbſt das Vergnügen, das Einzige, was die Genußſucht
dem Menſchen zu gewähren ſcheint, bei ihr nicht zu ſuchen
ift, daß vielmehr die Selbftbeherrfhung die Quelle bes höch⸗
ften Bergnügens it. — Euth. Wie fo? — Sodr. Die Ge⸗
nußſucht Täßt und weder Hunger noch Durft noch Liebespein
noch Schlaftofigkeit ausftehen, nimmt eben damit das Einzige
hinweg, was Eſſen und Trinken, den Genuß der Liebe, und
Ruhe und Schlaf würzen kann, daß man nämlich, harre und
dulde, bis das Derlangen darnach auf den hoͤchſten Grad ge⸗
fliegen ift, und bringt uns fo um allen gehörigen Genuß bei
Befriedigung der nothwendigften und bleibendften Bedürfniſſe.
Die Seibftbeherrfchung ift es allein, was uns Duldungen und
Entbehrungen auferlegt; darum ift fie auch die einzige Duelle
altes wahren Senufles in den genannten Fällen. — Enth. Ich
muß dir durchaus Recht geben. — Socr. Ja, aud wenn es
gilt, ) etwas Schönes und Gutes zu lernen, und ſich mit
Etwas zu befchäftigen, wodurch man in ben Stand gefept
wird, für feinen Körper befier zu forgen, feine Haushaltung
beffer zu führen, Freunden und dem Staate fich nüglidh zu
madyen , und die Feinde zu beflegen , Tauter Dinge, welhe
nicht nur die größten Vortheile, fondern auch das teinfte
Vergnügen gewähren: and) bier ift der Gewinn auf Seiten
Deſſen, der fidy zu beberrfchen weiß, weil ex wirklich fich dar⸗
auf legt, der Genußfüchlige hingegen geht leer dabei aus,
2 zov nadelv u — of udv dpxpareig ANOAavEsOı
wie Schuͤtz und Herbſt leſen ——
-
Viertes Buch. 61%
Denn Wer kann wohl weniger Nusen und Vergnügen davon
haben, als Wen es am wenigften möglich wird, Etwas zu
Iernen, weil-feine Aufmerkſamkeit auf die zunaͤchſt Fiegenden-
Vergnügungen gerichtet it ? — Euth. Deine Meinung fcheint
mir die zu ſeyn, Socrates, daß ein Mann, der fi) von den -
finnfichen Lüften beherrfchen Laffe, durchaus aller Tugend un⸗
fäbig fey. — Socr. Was hat denn auch ein Meufch, der gar
feine Gewalt über fid) Hat, vor dem unverftändigften Thiere
voraus? Wer an das Beſte gar nicht denkt, und immer nur
das Angenehmſte auf jede Weife zu thun ſucht, Was könnte
Der vor dem unvernünftigften Dich voraus haben? nur -
Dem, weldyer fidy felbft zu beherrſchen vermag, ift es gegeben, .
das Beſte in's Auge zu faften, Alles nach Gattungen zu ſon⸗
bern, und in Wort und That das Gute vorzuziehen, das’
Boͤſe hingegen zu vermeiden.’ Und Die, meinte er, fey ber
Weg, anf dem Einer am tugendhafteften, glädtichiten und
im Reden am tüchtigſten werben Zönne. *) Der Ausdruck
reben, fagte er, komme eben daher, daß man bei gemeins:
ſchaftlichen Berathungen die Gegenflände nach Gattungen
gleichſam raͤdere. ) Um fo mehr müffe man ſich befleißen,
den. Grund hiezu zu legen, und alle Mühe auf eine Uebung
verwenden, wodurch die tugendhafteſten Männer, die geſchick
teſten Vorſteher und die beſten Redner ***) gebildet werden.
Scqhneider und Schuͤtz Halten dieſen Gay für ein Gloſſem.
**) ſ. v. a. ſiebe, abſoudere.
*) al Balextıxorarag, was Herbſt für einen aus dem
Anfange des naͤchſten Eapiteld eingefehlichenen Sufas hält.
4*
612 Renophon's Erinnerumgen an Socrates.
6. Daß er feine Freunde nicht minder im Reden weiter
ausbildete, auch hievon will ich die Beweife liefern. Socra⸗
tes glaubte, Wer einen richtigen Begriff von einer Sache
habe, der fey anch im Stande, Andern fich darüber mitzu⸗
theiten, wo es aber am Begriffe fehle, da feyies fein Wun⸗
des, wenn Einer Sic, und Andere täuſche. Daher machte er
es ſtets fi zur Aufgabe, mit feinen Freunden über bie rich⸗
tigen Begriffe von den Dingen ſich zu verftäubigen. Von Als
lem num feine DBegriffsbeflimmungen anzugeben, würbe zu
weit führen; nur fo viel möge bier ſtehen, als nöthig ift,
um auch von der Art und Weife feiner Unterfuchungen fid)
eine Vorſtellung machen an können. Den Begriff der; Got⸗
tesfurcdht behandelte er zum Beiſpiel auf folgende Weife:
Sper.. „Höre, Euthydemus, was häftft bu von ber Gottes⸗
furcht? — Euth. In der That, ich halte fie für etwas fehr
Sthöned.. — Socr. Kannft du mir vieleicht fagen,Twas ein
gottesfürchtiger Mann ift? — Euth. Ich denke, Einer, der
die Gotter ehrt. — Socr. Steht ed Jedem frei, die Götter
zu ehren, wie er wil ? — Euth. Nein, ed gibt Geſetze, nach
denen man Diefes thun muß. — Soer. Wer alfo dieſe Ges
ſetzt kenne, der weiß auch, wie man die Götter ehren muß ? —
Euth. Sp denke ih. — Socr. Und Wer weiß, wie mas
die Götter ehren muß, ber glaube auch Dieß auf Beine andere
Weiſe thun zu dürfen, ald wie er es weiß? — Euth. Ohtte
Zweifel. — Ener. Ehrt nun Einer die Götter anders, ald
wie er glaubt, daß er dürfe? — Euth. Nicht wohl, —
Socr. Wer. alfo weiß, was in Beziehung auf die Götter
geſetzlich ift, der wird wohl auch die Goͤlter gefeblich ehren ? —
-
Viertes Buch, 613
Euth. Allerdings. — Socr. Und Wer fie geſetzlich ehrt,
der ebrt fie, wie er ſoll? — Euth. Wie könnte es anders
ſeyn? — Soer. Und Wer ſie ehrt, wie er ſoll, der iſt got⸗
teilig? — Euth. Gauz gewiß. — Soer. So wird
salfo der Begriff richtig beſtimmt ſeyn, wenn wir ſagen, got⸗
<fesfürchtig fen Der, welcher wiſſe, was in Beziehung auf die
Motter geſetzlich ſey? — Euth. Wenigftens nad, meinem
Dafürhalten. — Soer. Aber mit den Menſchen ſteht es
FJedem frei, umzugehen wie er will? — Enth. Nein, ſon⸗
dern. auch hier muß Einer wiſſen, Was die Geſetze über das
Verhalten der Menfchen gegen einander beftimmen, um geſetz⸗
dich zu ſeyn. — Soer. Und Diejenigen, weiche diefen Bes
fimmungen gemäß ſich gegen ‚einander benehmen, benehmen
fi, wie fie folen? — Euth. Unſtreitig. — Socr. Und
Wer ſich benimmt, wie er fol, der benimmt fih gut? —
&uth. Allerdings — Socr. Und Wer ſich gegen die Mens
ſchen gut benimmt, der kommt auch in menfchlichen Dingen
gut fort ? — Euth. Natürlich. Socr. Sodann, Wer ben
Geſetzen gehorcht, thut Der nicht, was gereht if? —
Euth. Allerdings. — Soer. Und was man gerecht nemnt,
weißt du? — Euth. Ya, was die Gefese verordnen. —
Soer. Alſo Wer thut, was die Gefebe verordnen, der thuf,
was gerecht ift nnd was er fol? — Euth. Wie könnte es
anders ſeyn? — Socr. Und Wer thut, was gerechtift, der
iſt gercht ? — Euth. Ich dente] 9 — Soecr. Kann nun
*) Meiste, Schuͤtz und Herbſt verbannen biefe Frage und Ant⸗
wort ans dem Text, als ob fie fi aus dem Nachfolgenden
614 Zenophon’s Erinnerungen an Soerates.
Einer den Geſetzen gehorchen, ohne zu wilfen, Was die Ges
feße verordnen ? — Euth. Ich Kann es nicht glauben. —
Sper. Und wenn Einer weiß, Was er thun foll, kann er
-glauben, er follte es nicht hun? — Enth. Nicht wohl. —
Socr. Dder weißt du Weldye, die etwas Anderes thun, als
was fie glauben, daß fie folen? — Euth. Ic kann mirs
nicht denken. — Socr. Alfo Wer weiß, was in Beziehung
auf die Menfchen gefeglich ift, der thut auch, was gerecht
iſt? — Euih. Allerdings. — Socr. Und Wer thut, was
gerecht iſt, ift gerecht nad dem Dbigen? — Euth. Wer
foßte es fonft feyn? — Socr. Werden wir alfo den Begriff
richtig beftimmen, wenn wir fagen, gerecht feyen Diejenigen,
welche wiflen, Was die Gefebe in Beziehung auf die Men
{chen verordnen? — Euth. So fcheint ed mir wenigftend. —
Socr. Und was fol Weisheit feyn ? Iſt der Weiſe nur in
Dem weife, was er weiß, oder aud in Anderem, was er
nicht weiß? — Euth. Natürlich nur in Dem was er weiß.
Wie könnte er ed auch in Etwas feyn, was er nicht weiß ? —
Soer. Sp macht alfo das Willen den Weifen? — Euth.
Was könnte auch fonft den Weifen machen, ald gerabe das
Kiffen? — Socr. Kann nun Weisheit etwas Anderes ſeyn,
ale Das, was den Weifen maht? — Euth. Nicht wohl. —
Sper. So ift alfo Weisheit Willen ? — Euth. Sp glanbe
id. — Soer. Hältft du ed nun für möglich, daß ein Menfch
Altes, was ift, mit feinem Wiſſen umfaffen inne! — Euth.
D wahrhaftig nicht einmal den taufendften Theil davon. —
hieher verirrt. Auch Schneiber hat fie in ber dritten Auf⸗
Yage aufgegeben.
\
|.
Viertes Buch. 615
Sper. So ift es alfo nicht möglich, daß die Weisheit eines
Menfchen fid, auf Altes erfirede? — Euth, Nein, ‚gewiß
nicht. — Socr. Ein Feder ift demnach nur weife fo weit,
als fein Willen geht ?— Euth. So denke id) wenigftend. —
Sper. Muß nie auch der Begriff bed Guten aufzdiefelbe
Weife aufgefucht werden, Euthydemus? — Euth. Auf
weihe? — Socr. Meinft du, daß ein und daffelbe Ding
Allen nützlich fey 2 — Euth. Nein, id nicht. — Soſer. Ja,
iſt nicht, was dem Einen nüslich ift, zuweilen einem Andern
ſchädlich? — Euth. Ja wohl. — Socr. Denkſt du dir nun
: unter guf etwas Anderes, ald was nützlich iti— Euth.
Keineswege. — Socr. So ift alfo das Nüsliche gut für
Denjenigen, welchem es nüslih it? — Euth. So dünkt
mid. — Socr. Und ließe ſich von der Schönheit eine andere
Erklärung geben? Oder kannſt du einen fchönen Körper, ein
ſchönes Geraͤthe oder fonft irgend Etwas nennen, von dem du
wüßteft, daß ed in jeder Beziehung fchön wäre? *) — Euth.
Keineswegs. — Sosr. Paßt nun nicht jedes Ding zu dem
Zwede ſchoͤn, zu welchem es brauchbar it? — Euth. Aller:
dings. — Sper. Und ift überhaupt Etwas in anderer Bes
ziehung fchön, als in Beziehung auf den Zweck, zu weichem
es Schön paßt? — Euth. Unmoͤglich. — Socr. So ift alfo
das Brauchbare fchön in Beziehung auf den Zweck, wozu es
brauchbar it? — Euth. So dünkt mid, wenigſtens. —
Socr. Die Tapferkeit ferner, hältft du fie für etwas Schö⸗
nes? — Euth. Fa, für etwas fehr Schönes. — Socr, Du
*) Nach Weide und Herbſt: 7 EXoıg Ti...
616 Zenophon’d Erinnerungen an Socrates.
meinft alfo, fie fey nicht zu den geringen Dingen gut? —
Euth. Im Gegentheil, zn den wichtigften. — So cr. Meint
bu nun, es ſey in Neth und Gefahren gut, ſeine Lage nik
zu kennen? — Euth. Nicht im mindeften. — Soer. Warn
alfo Einer die Gefahr nicht fürchtet, weil er fie. nicht -feuat,
fo ift er auch nicht kapfer 2? — Enth. Unſtreitig. Denn ſonſt
müßte. mancher Rafende und Feige fapfer ſeyn. — S'o er. Und
wenn Einer auch da ſich fürchtet, wo es Feine Noth hat? —
Euth. So ift ers noch viel weniger. — Socr. Hältſt vu
‚vielleicht Diejenigen für tapfer, welche in Noth und Gefahren
ont find, und Diejenigen für feige, welche in folchen Faͤllen
fchlecht find? — Euth. Allerdings. — Socr. Und folen
gut in folchen Fällen Andere feyn, als Diejenigen, welche
ſich dabei recht benehmen können ? — Euth. Keine Anderen. —
Sper, Und ſchlecht wären alſo Diejenigen, welche fich: dabei
Schlecht benehmeni? — Euth. Wer denn fonft ? — Spcr. Be-
nimmt ſich nun nicht Jeder, wie er glaubt, daß er folle? —
Euth. Ohne Zweifel, — Sper. Wer ſich nun micht recht-
benehmen kann, weiß Der, wie er ſich benehmen fall? —
Euth. Nicht wohl. — Soecr. Ufo Wer weiß, -wie er fi
- benehmenkfol, Der kann es auh? — Euth. Sonft Fein Uns
‚derer. — Socr Nun, und Wer fid) nicht verfehlt hat, benimmt
Der ſich in folchen Fällen ſchlecht? — Euth. Ich denke nicht. —
Socr. Verfehlt Haben ſich alfo Die, weiche ſich ſchlecht be⸗
nehmen? — Euth. Natürlich. — Soer. Demnach Wer in
Noth und Gefahren ſich vecht zu benehmen weiß, iſt tapfer,
und Wer dabei das echte verfehlt, ift feige? — aus So
dünkt mich wenigſtens.“
=
Viertes Vuch. u 617
Im Tyxannenthum, wie un Koͤnigthum erkannte er -eine
-Serpchergemalt, aber er nahm einen Unterſchied zwiſchen beis
ben an. Königthum nannte er diejenige Herxrſchergewalt,
welche wit dem Willen der Meufchen und den Gefeben ges
:mäß gehandhabt werde; unter Zyrannenthum Dagegen bers
Itand er eine folche, welche gegen den Willen der Untertha⸗
sen, und nicht in Gemäßheit:mit ben Gefeßen, ſondern nach
der Willkühr des Herrſchers gehandhabt werde. Wo bie
:oberfte Gewalt Denen in die Hände gegeben wird, welche bie
Geſetze erfüllen, ba naunte er die Staatsverfaſſung eine Ari⸗
ſocratie Edelherrſchaft); wo die Reichen bie Oberhand has
ben eine Plutocratie [Gelöherrfchaft]; und wo Alle mitzu⸗
‚Sprechen haben, eine Democratie [Volksherrſchaft). Wenn ihm
Jemand in Etwas widerſprach, und Seinen beftimmten Grund
anzugeben wußte, fondern ohne Beweis einen Andern, als
Socrates meinte, für einen größeren Weiſen, Staetsudhn
‚oder Helden, oder. für fonft Etwas der Art erklaͤrte, fo führte
gr gewöhnlich den ganzen Streit. auf. die urſprüngliche Frage
zurüd, ungefähr auf folgende Art: Socr. „Hältft du Den:
jenigen, welchen du rühmſt, für einen befferen Bürger, als
Den, welchen ich nenne? — Der Andere. Allerdings. —
Socr. Wollen wir baher nicht vor Allem fehen, mas zu
einem guten Bürger gehört? — Der And. Ganz recht. —
-Gper. Bei Verwaltung einer Kaffe wäre wohl Derjenige
der Beſſere, welcher die Gelbangefegenheiten bed Staates vers
befferte ? — Der Und. Ohne Weiteres. — Socr. Und im
‚Kriege Derjenige, welcher ihm den Sieg über die Feinde
verſchaffte? — Der And, Unſtreitig. — Socr. Und bei einer
+4
618 Kenophon’3 Brinnerungen an Socrates.
Geſandtſchaft Der, welcher aus den Feinden Freunde machte ?—
: Der And. Natärlih. — Socr. In der Volksverſammlung
- endlidy Der, welcher den Parteiungen ein Ende machte,! und
Eintracht flifteter — Der And. So dünkt wenigftend mic.’
Durch diefe Zurüdführung des Streits auf den. Fragepunkt
machte er auch feinen Gegnern die Wahrheit einleuchtend.
Wenn er dagegen für fih Etwas ausführte, fo ging er won
den anerkannteſten Wahrheiten aus, weil er diefe Art der
Entwicklung für die ficherfte hielt. Daher weiß id) auch Kei⸗
nen, der es fo verflanden Hätte, die Beiftimnung der Zuhörer
zu erhalten, wie er, wenn er auftrat. Daruım,kfagte er, Babe
aAauch Homer *) dem Ulyſſes das Lob eines fiheren Redners
beigelegt, weil Diefer das Talent gehabt habe, feine Reben _
"In allgemein angenomniene Sätze anzufchließen.
7. Daß Socrates feine Gedanken Denen, welche mit
“ihm umsingen, ohne alfen Rückhalt mittheilte, das fcheint mir
- aus dem Bisherigen fchon. hinreichend zu erhellen; jebt werbe
ich noch ausführen, daß er fie auch in den nöthigen Verrich⸗
tungen zu größerer Seldftfländigkeit zu bilden fuchte, Ich
‚weiß Niemand, ber fo bemüht gewefen wäre, wie er, bie
Kenntniffe feiner Freunde zu erforfhen, und zugleich fo
bereitwillig von Dem, was ein edler und tüchtiger Mann
wiffen muß, Was er nur felbft wußte, ihnen mitzuthei⸗
ien; in Beziehung auf Dasienige aber, worin er ferbft
weniger unterrichtet war, fie an Andere zu empfehlen, bie
fi) daranf verftanden. Namentlich lehrte er fie auch, wie
weit ein Mann von gehdriger Bildung von jedem Gegenflanbe
*) Homer Odyſſ. VII, 171.
Viertes Buch. 619
unterrichtet feyn muͤſſe. Zum Beifpiel, die Meßkunſt müffe
man fo weit treiben, bis man im Stande fey, im Falle der
Roth zum Behufe einer Uebernahme oder Uebergabe oder eis
ner Vertheilung, ein Stüd Landes richtig zu vermeflen oder
die Richtigkeit der Vermeſſung nachzuweiſen. So viel aber
lerne fih-fo leicht, daß man nur bei einer Vermeſſung Adıs
tung geben dürfe, um. nicht nur dad Maß des Grundftüdes,
fondern auch die Art und Weife, wie gemeffen werde, abzu⸗
merden. Hingegen die Meßkunſt bis zu den ſchwerverſtaͤnd⸗
lichen Figuren zu treiben, mißbilligte er. Er fagte, er fehe
nicht ein, wozu diefe nützen follenz wiewohl er felbft mit
ihnen nicht unbekannt war; aber er meinte, folche Unterſu⸗
chungen nehmen ein ganzes Menfchenteben in Anfpruch, und
manche andere nüsliche Kenntuiß werde tarüber verfäumt.
Auch mit der Sterntunde ſich bekannt zu machen, empfahl
er, aber nur fo weit, bis man im Stande fen, die Zeit der
Tracht, des Monats und des Jahres zu erkennen, zum Behufe
von Reifen zu Wafler und zu Lande, und für den Wacht:
dienft, und um and, fonft bei allen an Nacht, Monat oder
Jahr gebundenen Gefchäften ſich darnach richten zu Fünnen,
Auch Dieß laſſe ſich übrigens Leicht Ternen von den Nachts
jägern, *) Seefahrern und vielen Undern, welche Veranlaſ⸗
fung haben, ſich damit abzugeben. Dagegen warnte er nadıs
drücklich davor, die Sternfunde bis zur Bekanntfchaft auch
mit denjenigen Himmelskörpern, **) welche ihre Lage gegen
+) yUxTodne@v mit Herbſt; Andere, namentlich Schueider
und Schüg, leſen vuxrornowv, der Nachtwächter.
**) Die alte Sterntunde theilte die Geſtirne in folche, welche fich
620 Zenophon’s Erinnerungen an Socrates.
ıdie übgigen gerändern, "bis zur Kenntniß der irrenden und
: smorbentlichen: Seflirne zu tueiben, und wit Unterfuchungen
über. ihre Sutfernungen, Bervegungen und bie Urſachen ber-
:fetben ſich abzumühen; er fagfe, er wiſſe dabei: feinen Zweck
-abzufehen; wiewohl er ſelbſt :andı damit nicht unbekannt ge⸗
blieben war: aber er meinte, auch Diefed nehme ein ganges
Menſchenleben in Auſpruch und halte von manchem Rüs-
lichen ab. Ueberhaupt mißrieth er Grübeleien über die Urt
sad Weife, wie die Gottheit: die Beränderungen.am Himmel
bewirke; er. hielt es für eben fo unmöglich, daß die Men⸗
fchen Dies ergründen können, als er daran zweifelte, daß bie
Götter Gefallen ſinden werden an Unterſuchungen über Dinge,
Melche fie ſelbſt zu offenbaren nieht faͤr gut gefunden haben.
:&r meinte, man könnte, wenn man ſich über ſolchen Sachen
den Kopf zerbreche, eben fo gut Gefahr laufen, zu faſeln,
als AUnasagoras *) gefafelt habe, er, der ſich auf die Erkläs
zung ber göttlichen Wirkungsweife am meiften zu gute ges
than. :Diefer habe die Gteichartigkeit von Sonne und Feuer
behauptet, und nicht bedacht, daß die Menschen das euer
mit aller Leichtigkeit anfehen, aber den Aublick der Some
zugleich mit dem ganzen Simmel, alfo auch zugleich mit kam
groͤßten Theile der Übrigen Geflirne bewegen, und in folce,
welche eine .abaefonderte Bewegung haben. Die Unregel⸗
mäßigteit der letzteren bezog ficy entweder auf ihre Vahn
Planeten)‘, oder auf die- Zeit ihrer Erſcheinung (Eoufeten).
S. Diogenes Laẽërt. VII, 144.
*) Anaragorad von Klazomene, ein Philoſoph ber Joniſchen
Schule, Zeitgennffe und Lehrer des Perices,
m
Diertes Buch. 621
nicht ertragen können, und daß die Sonne fie ſchwarz faͤrbe,
das. Feuer aber nicht; nicht bedacht, daß auch bie Gewächfe
der. Erde ohne den Sonnenſchein gar nicht recht gedeihen«
weiten, während durch die Hitze des -Yeuers alle verderben...
Er habe ferner behauptet, die Sonne fey ein von Feuer:
durchglähter Stein, und baran gar nicht gedacht, daß ein
Stein im Feuer weder leuchte, noch Tange fich halte, während:
die Sonne ohne Aufhören ald der Lenchtendfte Körper da⸗
ſtehe, den es gebe. Auch die Erlernung der Rechentunft
rieth er an; aber andy Hierin, wie in den andern Fächern,
rieth er vor unnüsen Weitfäufigkeiten fich zu hüten. Alles:
unterſuchte und erklärte ex vor feinen Freunden nur fo weit,
als es Nutzen haben konnte. Auch die Sorge für die Ge⸗
ſundheit empfahl er feinen Freunden angelegentlich; umd hieß
fie ſowohl bei Männern vom Fach alten möglichen Aufſchluß
fuchen, ald auch ihr ganzes Leben hindurch auf fich ferbft Acht
haben, welche Speife, welches Getränke, welche Bewegung
ihnen wohl befomme, und welches wohl in Auſehung derſel⸗
ben das zwedmäßigfte Verhalten für ihre Gefunbheit wäre,
er fo auf fich ferbft Acht habe, Lönne nicht wohl einen Arzt
finden, der beffee wüßte, was feiner Geſundheit zutraͤglich
wäre, als er ſelbſt. Wenn aber Jemand in Dingen, welche
menfchliche Weisheit überfleigen, Berathung fuchte, fo ver⸗
wies er ihn auf die Wahrfagerfungft. Wer.die Zeichen kenne,
durch weiche die Gotter fid, den Menfchen über ihre Ange⸗
Vegenheiten mittheilen, der werbe nie von dem Rathe der
Göoͤtter verlaffen feyn.
622. Zenophon’s Erinnerungen an Socrates.
8. Freilich ! Socrates behauptete, die Gottheit gebe ihm
Andeutung, was er thun oder laſſen ſolle, und wurde boch
son den Richtern zum ode verurtheilt. Wenn nun Jemand
glaubt, daß er deßhalb in Beziehung auf die Gottheit einer
Unwahrheit fchufdig werte, fo bedenke er für’s erfte, daß So⸗
crates damals fchon in einem Alter war, wo er, wenn auch
nicht jest ſchon, Doch nicht Tange nachher hätte fterben müfs
fen; ſodann, daß er dem beſchwerlichſten Theile des Lebens,
wo: bei Alten die Geiſteskraͤfte abnehmen, entging, und flatt
deffen durch die Beweife von Seelenflärke, die er gab, nody
an Ruhm gewann, indem er nidt nur auf das wahrfte,
freimäthigfte und gerechteſte fi vor Gericht vertheidigte,
fondern anch feine Verurtheilung zum Tode auf das gelafs
fenfte und flandhaftefle ertrug. Denn ed wird allgemein au⸗
erkannt, daß in der ganzen Geſchichte ſich kein Beiſpiel finde,
wo Einer fchöner den Tod ertragen. Er mußte nämlich nach
dem Ausſpruche des Zodesurtheild noch dreißig Zage am
Leben bleiben, weil das Defifche +) Heft in jenem Monate
war, und nad) dem Geſetze Niemand hingerichtet werben darf,
+, Dad Delfine Feſt wurde zu Ehren bed Apollo auf Delos,- -
einer der Cycladen im Aegeiſchen Meere, die jenem Gotte .
Heilig war, gefeiert. Es beftand in einer feftlihen Gefandt-
ſchaft (Chorwallfahrt), welche jeded Jahr von Athen dahin
gefchicdt wurde. Theſeus Hatte diefe Feſtgeſandtſchaft dem
Apollo für den Fall gelobt, wenn es ihm gelänge, den Mi⸗
notaur zu tödten, und mit den übrigen, biefem Ungeheuer
u Dpfern beftimmten, Sünglingen und Jungfrauen nach
then zu enttommen. ol. Pauſan. I, 27., Diodor IV, 61.,
fowie Plato Phaͤdon $. 2.
Diested Bud), . 625.
bis die Feftgefandtfchaft von Delos wieder zurückgekommen iſt,
und diefe Zeit über waren alle feine Vertrauten Zeugen, daß
er auch nicht im mindeften fi) gegen die frühere Zeit vers
änderte; und body wurde er bis dahin mehr, als irgend Einer -
wegenIfeines fröhlichen und heiteren Sinnes bewundert, Und
wie könnte Einer fihöner fterben, ale fo? Dder weicher Tod
konnte fchöner feyn, ald wenn man am fchönften flicht 2 Wel⸗
cher Zod ferner glücklicher, als der ſchöuſte? und welcher eine
größere Gnade der Götter, als der glücklichſte? Auch was
id) von Hermogenes, *) dem Sohne des Hipponicus, über
ihn gehört, **) will ich erzählen. Wie nämlich Melitus bes -
reits feine Klage gegen Socrates angeftelit hatte, und Her⸗
mogenes ihn von allem Andern, nur nicht von feinem Prozefie -
reben hörte, fo erinnerte ihn Diefer,. er folle andy an feine
Wertheidigung denken. Socr. Scheint bir nicht, daß ich mein-
ganzes bLehen hindurch mid, darauf vorbereitet habe? —
Herm. Und wie denn? — Socr. Mein Leben lang habe
ich nichts. Anderes gethan, als Betrachtungen angeftellt über
das Gerechte und Ungerechte, und das Gerechte geübt, das
Ungerechte dagegen gemieden, und Dieß halte ih für bie
fchönfte Vorbereitung zu einer Vertheidigung. — Herm. Lehrt
nicht die Erfahrung, Socrates, daß bie Richter in Athen oft
durch ein Wort ſich haben beftimmen Taffen, Solche, die Nichts
verſchuldet hatten, zu vernrtheilen, und Andere, welche wirks
lich ſchulbig waren, loszuſprechen? — Socr. Ic) hatte aud)
*) Hermogenes, f. zu I], 10.
»*) Kenophon kann hier nur Gehoͤrtes erzählen, weil ex ſelbſt um
dieſe Zeit in Afien für den jängern Cyrus Kriegdbienfte that,
634 RXenophon's Erinnerungen an Socrates.
in ber That ſchon angefangen, Hernrogenes, mid, mit einer
gerichtlichen Vertheidigung zu befaſſen; aber bie Gottheit war
dagegen. — Herm. Sonderbarl — Socr. Du wunberft did),
wenn die Gottheit es für beffer eramtet, daß ich jest mein
Leben befchließe? Weißt dus nicht, daß ich bis anf biefen Tag
feinem Menfchen den Vorzug einräumen möchte, beſſer nnd
arigenehmer gelebt zu haben, als ich? Denn beffer kann wohl
Niemand leben, als Wer am beften ſich angelegen ſeyn laͤßt,
immer beffer zu werden, und auch Niemand angenehmer, ale
Wer am Iebhafteften fühlt, daß er beffer wird. Undz Dieß
fand ich bisher bei mir, und auch, wenn ich mit Anderen zu»
fammentraf und mit ihren mich zuſammenſtellte, konnte ich
nie mich veranlaßt fühlen, meine Meinung von mir ſelbſt zu
ändern. Fa, nicht nur ich, fondern auch meine Treunde has
ben fortwährend dieſe Ueberzeugung von mir, nicht aus Vor⸗
tiebe für mid (denn fonft wärben auch Andere von- ihren
Freunden eben ſo urtheilen aus Vorliebe für Dieſe), ſondern
weit” fie. ſelbſt auch nicht beſſer werden zu koͤnnen glauben,
als durd) den Umgang mit mir. Würde ich längere Seit noch
leben, fo müßte ic, vielleicht die Laften des Alters tragen;
Geſicht und Gehör, Denkkraft, Faſſungskraft und Gedächts
nig würden bei mir abnehmen, und Andere, die biöher mir
nachftanden, mir voraneilen. Und würde ich Diefes nicht
fühlen, fo wäre mein Leben nicht des Lebens werth; fühlte:
ich es aber, wie könnte ich dann anders, als fchlechter und
unangenehmer leben? Geſetzt dagegen, ich flerbe durch Unge⸗
rechtigkeit, fo möchte wohl Diejenigen, welche mid) ungerechter
Weiſe töbten, Schande treffen; [bemn ift überhaupt Ungerech⸗
Vierte Bud. 685
Higfeit eine Schanbe?, wie follfe nicht Auch jede ungerechte
Handlung eine Schande fenn?*)] Aber wie kann es mir
Schande bringen, wenn Andere zu ſchwach find, in meiner
Sache zu denken und zu handeln, wie es gerecht wäre?
Auch aus der Vorzeit ftehen Diejenigen, welche Ungerechtes
fih erlaubten, nicht in demſelben Lichte bei der Nachwelt,
wie Die, welche Ungerechtes erduldeten. Und fo habe ich
denn die Zuverficht, daß and, ich, felbft wenn ich jetzt flerben
muß, Würdigung finden werde bei der Menfchheit, nicht auf
gleiche Weife wie meine Mörder. Ich Habe die Zuparficht,
daß mir ſtets dag Zeugniß wird gegeben’ werden, ich habe
nie einen Menfchen Unrecht gethan, Keinen fchlechter gemacht,
wohl aber ſtets mich bemüht, meine Freunde beffer zu ma⸗
hen. Sp fprady er”gegen Hermogenes und gegen die Uebri⸗
gen. Und Wer ihn Eannte, wie er war, und ein Freund ber
Zugend ift, der fühlt noch jest in fich die lebhafteſte Sehn⸗
ſucht nach ihm, als nad dem beften Führer auf dem Pfade
der Tugend. Mir fchien fein Geift und Character, wie id)
ihn gefchifdert, feine Gottesfurcht, die ihn Nichts ohne die
Einftimmung der Götter unternehmen ließ; feine Gerechtig⸗
feit, nach der er Niemand auch nur im Geringften fdyadete,
vielmehr die größten Dienfte Denen leiftete, die mit ihm um⸗
gingenz feine Herrfchaft über fidy ferbft, die ihn nie das An⸗
genehme dem Guten vorziehen ließ; fein Verftand, mit dem.
*) Schneider Hält diefe Worte, als abgeſchmackt, für unterfchopen.
Herbſt liest im Texte mit Bornemann Eiys und bezeichnet
nur die zweite Hälfte des Satzes mit ihm ald unddt. Schuͤtz
laͤßt den ganzen Say gelten ; wir folgen feiner Erklaͤrung.
Kenophon. 58 Boͤchn. 5
Fr
626 Zenoph. Erinner. an Soerated. Viertes Buch.
er nie -in Beurtheilung bed Beſſeren und Schlechteren irrte,
und zur Entfcheidung darüber Feines Andern bedurfte, fon=
dern ſich felbft genug wars feine Fertigkeit, feine Gedanken
mitzutheilen und in beftimmte Begriffe zu fallen, fowie auch
Andere zu prüfen, und wenn fle fehlten, zurecht zu weifen
und zur Tugend und Nechtfchaffenheit zu ermuntern: dieſer
fein Geift und Eharacter ſchien mir das vollkommenſte Bild
‘eines trefflihen und glüdtlihen Mannes zu feyn. Und Wen
Dieß nicht fo dünkt, der flele den Character eines Andern
daneben, und urtheile ! Ä
Kenophon’s
Vertheidiguns des Socrates.
Einleitung
Die Vertheidigung des Socrates nach) Xenophon
fol nicht, wie ‚man vermuthen möchte, den Socrates
vertheidigen, fündern Socrates vertheidigt fi fih in ihr,
und er thüt Dieß in ihr nicht, wie in der Plato-
nifchen, in einer von dem Schriftfteler ihm in den
Mund gelegten Nede, fondern in dem hiftorifch ges
treuen Berichte feines Schülers. Die Schrift reißt
auc nicht diefe einzelne Thatfache der Vertheidigung
aus ihrem natürlichen Zufammenhange heraus; fie
umfaßt das ganze Benehmen bed Socrates in Bezie-
hung auf feine Anklage und Verurtheilung, und fte
beſchraͤnkt fich eben fo wenig babei blos auf die
äuffere Erfcheinung; fie führt uns die einzelnen Er-
Iheinungen vielmehr nur in der Abficht und fo weit
vor das Auge, um bie Gefinnung, aus der fie her-
628 Einleitung.
vorgingen, um den großen Geift, deffen Abdruck jenes
Benehmen war, zur Anfchauung zu bringen. Go:
rates, Dieß ift der Grundgedanke unferer Schrift,
hielt für das größte Gut nicht Das Leben, das feine
Seinde ihm nehmen wollten, fondern dad Leben, dag
er geführt hatte, für das größte Uebel nicht den Tod,
der ihm drohte, fondern die Gottlofigfeit und Unge—
rechtigfeit, wie man fie ihm zur Laſt legte. Diefe
Weberzeugung fprad) er aus noch vor feiner gerichtli-
hen PVertheidigung gegen Hermogenes S. 652 — 634.
Aus ihr ging hervor, was er vor feinen Michtern
ſprach ©. 635 — 638, Sie leuchtet noch Flarer hervor
aus feinem Benehmen nach feiner Verurtheilung un⸗
mittelbar. Hieher gehören 1) fein Benehmen in Be-
ziehung auf Straffhägung ©. 659. 2) in Beziehung
‚auf die ihm angebotene Gelegenheit*) zu fliehen. Ebend.
3) Seine Abfchiedsrede an die Richter ©. 639. 640.
4) Seine Antwort auf feiner Schüler und namentlid)
des Apollodorus Jammern ©. 640. 641, 5) Seine
Yeußerungen über Anytus ©. 641 — 645. Ob nun diefe
Vertheidigung wirklich ein Werk des Xenophon -fey,
*) Daß Dieh eine andere Gelegenheit ift, als die, welche
ihm feine Schüler nad) Plato im Crito 8. 4, verfchaffen
wollten, erhellt aus der Reihenfolge, die hier beob⸗
achtet iſt.
Einleitung.. | 629
koͤnnte, nad) den Bemerkungen von Balfenner zu den
Erinnerungen im Anfange und von Schneider zu
Vertheidigung S. 632,, zweifelhaft fcheinen, wenn man
fich der Auetorität diefer Männer eben fo unbedingt
unterwerfen wollte, wie Dieß von den berühmteften
neueren Philologen gefchehen ift. Allein es braucht
weiter nichts, als die von Schneider vorgebrachten
Orände anzuſehen, um die Nichtigkeit des darauf
gebauten Verdammungsurtheiles einzufehen. *) Und
ſollte nicht für die Nechtheit unferer Schrift ſchon die:
Kuͤrze und Einfachheit derfelben ein guͤnſtiges Vor⸗
urtheil erweden? Würde ein Sophifte ein fo reiches.
Feld für, feine Declamationen fo unbenäßgt haben lie=
gen laffen? Würde er ſich fein Ziel fo enge geftedt,
wicht eher Plato's Apologie fi zum Muſter genom⸗
men, und, wie Libenins, feiner Rednerader den vollen.
Lauf gelaffen haben? Nur die ‚Trage ift noch zu
beruͤhren, da. die Uebereinftimmung mehrerer Stellen-
der Bertheidigung mit folchen in. den Erinnerungen
offenbar ift, .welche von beiden Schriften aus der:
anderen gefchöpft und alſo fpäter gefihrieben ift. Ei⸗
*) Dieß ift auch von Bornemann in feiner Bearbeitung der
Apokogie mit aller zu wuͤnſchenden Ausfünrtichkeit nach⸗
gewiefen worden.
630 Einleitung.
nige Neuere *) haben ſich für die fpätere Abfaſſung
der Erinnerungen erklärt. Die Beftimmtheit und das
Maß, welches unfere Schrift beobachtet, gegenüber
son den Anwandlungen rhetorifchen Schwulftes , die
bei aller fonftigen Einfachheit in den betreffenden
Stellen der Erinnerungen fic) finden, möchten eher
die Annahme begünftigen, daß die Vertheitigung das
fpätere Werk fey. Ja, fie fcheint in dem ganzen
größeren Cyclus ber Socratifchen Erinnerungen, dem
fie nebft dem ‚‚Hauswirthe” und dem „Gaſtmahle“
‚angehört, die fpätefte Schrift zu ſeyn. In diefem
kann wohl kein Merk früher abgefaßt feyn, als die
vorzugsweife fo genannten Erinnerungen, da allein
der Anfang diefer Schrift Feine Spuren eines Zuſam⸗
menhanges mit früheren Schriften ähnlichen Inhalts
darbietet. Diefe Schrift flieht num zwar auch durch
ihren Schluß als ein in fich abgefchloffenes Werk da;
allein. Dieß hindert nicht anzunehmen, daß Zenophon
fpäter Einzelneö, was dort nur angedeutet iſt, weiter
auszuführen fich entichloffen habe. Nur die Verthei-
digung war in feinem Falle diejenige Schrift, welche
ſich an die Erinnerungen zunachft anreihte. Zuerft
°*) Der Derfafler. der Abhandlung vom Prozeß des Socra⸗
tes in der Biblioth. d. alten Lit. und Kunft I, ©. 6.,
ferner Weiske und Bornemann.
Einleitung. 631
kann fie fhon darum in dem genannten Eyelus nur
einen Anhang abgeben, weil fie nicht unmittelbar
Zenophontifche, fondern eigentlich Hermogenifche Er:
innerungen enthalt. Sodann ift fie auch vermöge
ihres Inhaltes weniger dazu geeignet, zu dem dar⸗
zuftellenden Ideale eines edeln Mannes einen Beitrag,
als vielmehr dem fchon dargeftellten feine Vollendung
zu geben. Daber ift derfelbe Stoff auch in den vor⸗
zugöweife fo genannten Erinnerungen zulest behan⸗
delt. Hiezu kommt noch ein dritter Punft. Born den
drei Nachträgen zu den Erinnerungen hat ndmlich
feiner einen Schluß, wodurd) er. als das letzte Stuͤck
eines größeren Ganzen bezeichnet wurde, als eben
die Vertheidigung, deren Schluß mit dem der Erin:
nerungen fo auffallende Aehnlichkeit hat, daß man
faum verfennen kann, Zenophon lege hier zum zwei⸗
tenmale die Feder nieder, mit der er fchon früher
feinem Lehrer ein fo wärdiges Denkmal gefeht hatte.
Auch in Stellen der Schrift felbft möchte die hier
aufgeftellte Behauptung eine Beftätigung finden.
Aber fchon das Bisherige ift als Einleitung in eine
fo Heine Schrift vielleicht zu viel geworben.
VBertheidigung ded Socrates.
Auch die Art, wie Socrates nad) feiner Vorladung vor
Seriht in Bezug auf Vertheidigung und Lebensende ſich
benommen, fcheint mir des Andenkens werth zu ſeyn. Zwar
haben auch Andere diefen Gegenſtand behandelt, und ſaͤmmt⸗
lich feine ſtolze Sprache erreicht, ein deutlicher Beweis, daß
Socrates in Wahrheit fo gefprochen haben muß; nur daß er
bereits die Weberzeugung hatte, der Tod fey für ihn wün⸗
ſchenswerther, als dad Leben, haben fie nicht auseinanders
gefest, und Die hat die Folge, daß die ſtolze Sprache, die
er führt, minder vernünftig erfcheint. Hermogenes*) dagegen,
der Sohn des Hipponicus, fand nicht nur fehr vertraut mit
ihm, fondern was er von ihm berichtet, ift auch von der Urt,
daß die ſtolze Sprache des Socrates feinem Verſtande ange⸗
meſſen erfcheint. Wie Diefer erzählt, fo bemerkte er, daß
Socrates von allem Andern, nur nicht von feinem Prozefle
redete, und fagte zu ihm: „Waͤre es nicht beffer, Socrates,
du würdeft auch an deine Vertheidigung deuten? — Soer.
Scheint dir nicht, daß ich mein ganzes Leben hindurch anf
meine Dertheidigung mich vorbereitet habe? — Herm. Und
wie? — Socr. Ich habe mein Leben lang nie Jemand Uns
recht gethan, und Dieß halte ich für die fchönfte Vorbereitung
+ &, Erinnerungen an Socr. IV, 8.
’
Renophon's Vertheidigung des Socrates. 633
zu einer Vertheidigung. — Herm. Lehrt nicht die Erfahrung,
daß die Gerichtshöfe in Athen oft Solche, die Nichts vers
fchutdet hatten, zum Tode verurtheilt haben, bios weil fie
durch eine Rede dazu geſtimmt wurden, und eben fo oft
Schuldige freigefprochen , weil Diefe durch ihre Rede ihr
Mitleiden zu erregen oder ihnen zu fchmeichein wußten? —
Sper. Ich Habe aber auch in ber That fchen zweimal ange⸗
fangen, mit meiner Vertheidigung mid, zu befaffen ; aber bie
Gottheit ift dagegen. — Herm. Sonderbar! — Socr, Du
findeft es fonderbar, wenn auch die Gottheit es für beſſer
Hält, daß ich jene Schon ſterbe? Weißt du nicht, daß ich bie
auf diefe Stunde keinem Menfchen den Vorzug eingeräumt
habe, befier, als ic, gelebt zu haben? denn ich hatte das
wohithuendfte Bewußtſeyn, das es geben Fann; ein ganzes.
Leben, unfträftidy und gerecht hingebracht, lag vor mir, und
war ich ſelbſt vollkommen mit mir zufrieden, fo fand ich.
auch, daß meine Freunde mir diefelbe Gerechtigkeit widerfah⸗
ren ließen, Würde mein Leben jebt noch länger dauern, fo
müßte ich unfehlbar den Tribut des Alters entrichten; mein
Geſicht und Gehör, meine Faſſungskraft, mein Gedaͤchtniß
würden abnehmen. Und würde ich Dieß fühlen, daß ich
ſchwaͤcher würde, und mit mir unzufrieden werden, wie
könnte dann das Leben noch Reiz für mich haben? Vielleicht
verhilft mir auch die Gottheit nad, ihrer Güte nicht blos
dagu, daß ich zu rechter Zeit das Leben ende, fondern auch
fo leicht als möglich. Denn wenn ich jetzt verurtheilt werde,
fo iſt mir ja vergönnt, ded Todes zu flerben, welcher für den
Leichteften erftärt ift von.Denen, die ſich mit dieſem abgege⸗
ben, welcher am wenigften befchwerlich wird den Freunden
ww,
654 Xenophon's Vertheidigung des Socrates.
und die größte Sehnfucht erweckt nad) dem Gterbenden. Denn
wenn dieſer nichts Anftößiges und MWidriges in den Seelen
der Umftchenden zurückläßt, wenn er mit gefundem Körper
and mit einem für Freude empfänglichen Geifte dahinwelkt,
wie müßte er nicht nothwendig Sehnfucht nach ſich zurücklaſſen?
Die Götter hatten Recht, mir damals bei ber Morbereitung
auf bie Rede entgegen zu feyn, als ihr meinte, man mäfle
anf jede Weife Mittel zu meiner Befreiung fuchen. Denn
wäre mir diefe gelungen, fo hätte ich offenbar Nichte zum
Beften gehabt, als daß ich, flatt jebt ſchon das Leben zu
laſſen, entweder an einer fchmerzlichen Krankheit geftorben
wäre, oder in Folge des Alters, auf welches alle Mühfelig«
keit ſich zuſammenhäuft vn? alle Freudenloſigkeit. Rein,
Hermogenes, ich werde mir um Dieſes auch nicht einmal
Mühe geben; nur was ich glaube, daß mir Schönes zu Theil
geworden von Göttern und Meuichen, und was ich von mir
felbft für eine Meinung hege, vorbringend, werde ich, wenn
ich die Richter befäflige, Lieber wählen zu fterben, als niedrig
um ein längeres Leben bettelnd, das weit fchlechtere -Zeben
flatt des Todes davon zu fragen.‘ And dieſen Grundfäben
benahm er ſich, nach Hermogenes, denn auch wirklich ganz
gemäß. ) Nachdem feine Gegner ausgeführt hatten, daß
er bie Bdtter, welche der Staat auerkenne, nicht annehme,
fondern Neuerungen in göttlichen Dingen dafür aufbringe,
und die Fünglinge verberbe, fo trat er auf, und fpradr
*) Nach Schneider, der die Worte oürwg BE yvovra adrov
äpn eineiv mit Recht zum Borpergehenden zieht, Übrigens
eineiv wegwuͤnſcht.
XRenophon's Vertheidigung des Socrates. 655
„Vor Allem, ihr Männer, muß ich mich darüber wundern
bei Melitus, auf Was er doch die Beſchuldigung gründet,
daß ich die Götter, weldye der Staat anerkennt Snicht an-
nehme. Mußten fle mich doch opfern fehen an ben gemeitt-
famen Feten und auf "den öffentlichen Altären, ſowohl die
Andern, die dabei waren, als auch Melitus ſelbſt, wenn er
wollte. Und Neuerungen in göttlichen Dingen, wie koͤnnte
ich foiche aufbringen, wenn ich fage, daß eine Stimme der
Gottheit mir Andeutung gebe, Was id, thun folle? Aud Wer
auf Gefchrei der Vögel und Wer auf Worte von Menfchen
achtet, vichtet fich ja nach Stimmen; und, die Donner — Wer
will beftreiten, daß ſie nicht eine Stimme feyen , "und eines
der wichtigften Unzeihen der Zukunft? Die Priefterin auf
dem Dreifuße zu Delphi, verkündet nicht auch fie mittelft der
Stimme die Dffeubarungen des Gottes? Auch, daß die Gott⸗
heit vorher wife, was zufünffig ift, und es zum} Voraus an⸗
deute, Wem fie wolle, auch Dieß wird, wie ich behaupte, von
Allen fo gefant und geglaubt. Nur dräden fich die Uebrigen
fo aus: die Vögel, die Worte, die Entgegenfommenden und
die Wahrfager feyen es, was die Zukunft andente; ich bages
gen nenne Diefes Goftheit, wu glaube hei diefem Ausdrucke
wahrer und gottesfürchtiger zu veben, als Diejenigen, welche
den Vögeln die Wirkungen der Götter beilegen. Daß ich
indeß Dieß nicht fälfchlicdh vorgebe won der Gottheit, dafür
Zaun ich auch diefen Beweis anführen: Schon Vielen meiner
Freunde habe ich die Erinnerungen ber Gottheit mitgetheilt,
and noch nie bin ich als Lügner. erſchienen.“ Als die Rich:
ter auf Diefed murrten, theitd aus Mißtrauen in feine An⸗
gaben, theils auch aus Neid, daß er fogar von den Göttern
656 RXRenophon's Vertheidigung des Socrates.
größerer Gunſt als ſie, ſollte gewürdigt werden, fo ſprach
Socrates weiter: „So höret denn auch noch Anderes, damit,
Wer Luſt hat von euch, noch mißtrauiſcher werde gegen meine
Behauptung, daß ich von den Goͤttern*) geehrt fen. Als ein‘ -
Chärephon**) in Delphi wegen meiner anfragte, fo gab vor einer
. Menge Anwefender Apollo die Antwort, anf der Welt fey
Niemand weder edler als ich, noch gerechter, noch weifer.’’***)
Als Hinwiederum auf Diefes die Richter noch mehr murrten;
wie zu erwarten war, fo fprach Socrates ferner: „Größeres,
ihr Männer, hat der Gott noch in Orakelſprüchen von Ly⸗
curg, der den Lacebämoniern Geſetze gab, geſagt, als von mir.
Diefen fol er, wie er in den Tempel eintrat, angeredet has
ben: ich ſinne, ob ich einen Gott dich nennen foll oder einen’
Menfchen. +) Mic) hat er nicht mit einem Gotte verglichen;
nee vor den Menſchen hat er min bei Weiten den Borzisg
augeftanden, Dennoch auch Diefes glaubet nicht blindlings
dem Gotte, fondern Punkt für Punkt unterfüchet, Was der
Gott geſagt Hat. Wo wißt ihr Einen, der weniger als ich
den ſinnlichen Begierden fröhnte? Wo einen Edleren, da idy
von Niemand weder Gefchente noch Belohnung anuchme ?
Und Wen könntet ihr billiger Weile fir gerechter Halten, ald
Denjenigen, der in das Vorhandene. fidh-fo zu fchidten weiß,
baß er nie nach Fremdem verfange? Und’ wie follte man nicht
bilfig einen weifen Mann mic, nennen, wenn ich, ſeitdem ich
*) Seife Anſpielung auf Homers Jliad. IX, 607.
+, Chärephon, f. Erinnerungen an Socr. J, 2. Ende, u. II, 3.
+1) Goppoväsegov hier wohl in diefer allgemeinen Bedeutung.
7) Siehe den ganzen DOratelfpruch bei Herodot I, 65.
Kenaphon’d Vertheidigung des Socrates. 637
anfing zu verfichen, was gefprodyen wurde, ohne Unterlaß er⸗
forfehte und zu lernen fuchte, was ic, nur Gutes. konnte?
Und daß ich nicht fruchtios mid, bemüht habe, fcheint euch
nicht die Menge von Bürgern fchon dafür zu fprechen, Die
nach Tugend fireben, und von Fremden, welche ſaͤmmtlich vor
allen Andern vorzugeweife meinen Umgang fuchten 2? Wie ift
Jenes ferner zu erklären, daB doch Alle wiffen, wie id) fo
wenig im Stande bin, mit Gelde zu vergüten, und bennod)
fo Viele wünfchen, mir Etwas zu ſchenken? Daß an mid
andy nicht Einer Wohlthaten zu fordern hat, und für meine
Schuldner fi) fo Viele erfennen? Daß während der Belage:
zung *) die Andern ihr Loos bejammerten, id) hingegen fo wenig
Mangel litt, als in Zeiten, wo der Staat im beflen Wohl:
ftande ſich befindet? und daß Andere ihre Genüſſe auf dem
Markte um theures Geld Faufen müſſen, und id in mir
fetbft ohne Aufwand noch angenehmere finde, als die ihrigen
find ? Kann mich aber in Dem, was id) von mir felbft ge
fagt habe, Niemand überweifen, daß ich die Uuwahrheit fage,
wie folite ich nicht ſofort mie allem Rechte. von Göttern und
Menfchen gelobt werden ? Aber deilen ungeachtet behanpteft
Du, Melitus, daß ich bei folhem Verhalten die Jünglinge
verderbe. Wiffen wir ja doch, auf welcherlei Arten Jüng⸗
Kinge verborben werden. So nenne mir Einen, wenn du Ei⸗
nen weißt, der durch mich aus einem Verehrer der Götter
ein Derächter derfelben, aus einem befonnenen Weifen ein
muthwilliger Frevler, aus einem Haushalter ein Verfchwen-
*) Es ift die Belagerung Athens durch Lyfander gemeint, nach
der Schlacht bei Aegospotami. Xenoph. Grich. Gef. II, 2.
638 RXenophon's Vertheidigung des Socrates.
der, aus einem mäßigen Trinker ein Weinfänfer, aus einem
Freunde der Anftvengung ein Weichling ‚oder fonft ein Sclave
einer verwerflichen Luft geworden wäre. — Melitus. Aber
ich kenne doch in Wahrheit Solche, weldye du beredet haft,
dir mehr zu gehorchen, ald den Eltern? — Socr. Ich gebe
ed zu, in Abſicht auf die Erziehung; denn Das willen fie,
Daß ich mich darin umgefehen. In Abſicht auf die Gefund:
heit aber gehorchen die Menfchen den Aerzten mehr, als den
Eltern ; und in den Volksverſammlungen die Athener indges
famme den verftändigften Rednern mehr, ald den Anver⸗
wandten. Und gebt ihr nicht audy bei Yelbherrnwahlen vor
euern Vätern und Brüdern, ja in der That fogar vor euch
ferbft Denjenigen den Vorzug, denen ihe in Beziehung auf
Das Kriegswefen die meiften Einfichten zutraut? — Mes:
Lit. So fordert es eben das allgemeine Beſte und das Her⸗
kommen. — Soer. Scheint dir num nicht gerabe auch Dies
fes fonderkar zu feyn, daß in allem Uebrigen die Beſten
nicht nur gleiches Recht haben, ſondern fogar ben Vorzug;
Ich aber, der ich in der nützlichſten Kunft für die Menfchen,
in der Erziehung, für den Bellen von Einigen anerkanht
werde, wegen Deffen von dir peinlich angeklagt werde 7.
Natürlich wurde noch Mehreres als Diefes, fowohl von
ihm ſelbſt, als von den Freunden, die ihm Beiſtand leiſteten,
gefprochen; allein mein Zwed war nicht, vollfländig zu er⸗
zählen, was vor Gericht vorkam, mir genügte barzuthun, daß
Socrates daran Alles gelegen war, weber ald DBerächter der
Bötter, noch als ein Ungerechter gegen die Menfchen zu er=
fcheinen, daß er dagegen, um nicht zu flerben, nicht für
nöthig hielt zu bitten, ſondern fogar überzeugt war, es fey
‘
Xenophon's DVertheidigung des Socrates. 639
eben die rechte Zeit für ihn, dad Leben zu enden. Und daß
er fo dachte, wurde noch offenbarer, als der Prozeß gegen
ihn entfchieden war, Min forderte ihn auf, ſich ſelbſt eine
Strafe anzufegen: *) er feste fie wicht an, und ließ es andy
feine Freunde nicht thun, fondern erklärte, eine Strafe ſich
anzufeben, komme nur Einem zu, der fi für fchuldig ers
kenne. Seine Freunde wollten ihn heimlich hinwegbringen :
er folgte ihnen nicht, fondern fchien fogar ihrer zu ſpotten,
und fragte, ob fie irgendwo einen Ort wüßten auffer Attica,
ber dem Tode unzugänglich wäre, Als der Prozeß zu Ende
war, fagte er: ‚Nun, ihr. Männer, Diejenigen, welche die
Zengen anftifteten, ihren Eid zu brechen, und falfche Seugniffe
gegen mich abzulegen, und Diejenigen, welche ihnen gehord)«
ten, die müffen allerbings ſich ſchwere Vorwürfe zu machen.
haben wegen Gottesverachtung und Lngerechtigkeit; aber
warum follte ich jetzt entmuthigter ſeyn, als ehe ich verur-
theilt war, da id), Feines der Verbrechen überführt worden
deren fie mich anflagten? Mir konnte nicht nadhgewiefen
werden, daß ich flatt Zeus **) und Hera ***) und ihrer Mit:
göfter, gewiſſen neuen Gottheiten opferte, noch daß ich andere
Götter zu Zeugen anrief oder im Munde führte. Wie könnte
ic) ferner die Jünglinge verderben, wenn ich fie an Ausdauer
and Genügſamkeit gewöhne ? Berbrechen ferner, auf welche
die Todesftrafe gefest ift, -wie Tempelraub, Diebeseinbruch,
Seelenverkauf, Vaterlandsverrath , legen nicht einmal die
+) Vergl. die Erzählung bei Cicero vom Nebner, I, 54. -
**) Zeus, bei den Römern Supiter.
**2) Sera, bei ben Römern Juno,
640 Zenephon’s Mertheidigung ded Socrates.
Gegner mir zur Laft, fo daB mir wenigſtens unbegreiffich
fcheint, wie ihr dody an mir Etwas *) finden fonntet, wo⸗
durch ich den Tod verwirkt hätte. "Fa, nicht einmal darum,
daß ic) ungerecht verurkheilt bin, branche ich mich zu ent⸗
muthigen; nicht mir, fondern Denen, die mich verurtheilt
haben, bringt Dieß Schande. Mich tröftet aufferdem auch
Dalamedes, **) der auf Ähnliche Meife, wie ich, geftorben ift.
Denn noch jest erntet er weit fchönere Loblieder, als Uryffes,
der ihn ungerechter Weife tödtete. Ich weiß, daß auch mir
fomohl von der Zuknuft ald von der verfloffenen Zeit das
Zeugniß wird gegeben werden, .ich habe Niemand jemals Uns
recht gefhan, Keinen fählechter gemacht, vielmehr Verdienſte
mir erworben um Diejenigen, welche fidy mit mir unterhiel⸗
ten, und unenfgeldlic, ihnen mitgetheilt, was ich nur Gutes
konnte.“ Nachdem er Diefes gefagt hatte, entfernte er ſich,
ganz gemäß den von ihm audgefprochenen Geflunungen, voll
Seiterkeit in Blick, Haltung und Gang. Und ale er merkte,
dag feine Begleiter weinten, fo fagte er: „Was fol Die ?
weint ihr jebt erft ? Wißt ihre nicht längſt, daß ich feit mei-
ner Geburt von der Natur zum. Tode verurtheilt War? Frei:
lich wenn ein allzu früher Tod mid) aus dem Schooſe des
Glücks Hinwegraffte, dann hätten idy und meine Freunde
Urfache zu trauern; num ich aber durch meinen Tod nur dro⸗
“ Henden Befchwerbden entgehe, fo dächte ich, ſolltet ihr über
meinen Gewinn vielmehr ale ench freuen.‘ Ein gewifler
*) Schneider Ändert die Stelle aus Stobaͤus, ohne daß der Sinn
ſich Andert.
*+) Palamedes, f. zu Erinnerungen IV, 2.
EXenophon's Vertheldigung des Socrates. 641
Apollodor, *) der dabei war, ein eifriger Anhänger bes So⸗
erates, fonft aber ein Bleiner Geift, entgegnete ihm: „Ach,
Socrates, das Schmerzlichtte ift mir, daß ich dich muß un⸗
ſchuldig fterben ſehen.“ Socrates flreichelte ihm ben Kopf,
und fragte ihn: „Liebſter Apollodor, möchtefl du denn mich
lieber ſchuldig als unfchulbig ſterben ſehen?“ umb lächelte
dazu. Und ald er den Anytus **) vorbeigehen fah, fol ex
auch gefagt haben: „Freilich der Mann da ift flolz, ***)
als hätte er etwas Großes und Rechtes vollbracht, daß er
mid) tödtet, dafür daß ich, fehend, wie er der höchſten Eh⸗
renftelen von der Bürgerfchaft gewürbiaf wurde, meinte,
er foltte feinen Sohn nicht beim Leber erziehen. - Der trau⸗
rige Mann! der nicht zu wiſſen fcheint, daß, ob er oder ich
*) Ayollodor, f. zu den Erimmerungen MI, 11. |
**) Anytus, Sohn, des Anthemion nad Plato’3 Meno, &, 90. A,
$. 18., ſcheint nach dieſer Stelle ein Gerber oder Zunftgenoffe
des Lederhaͤndlers Cleon gewefen zu feyn. Auch nach Plato’s
Apolog. 5.10. S. 33. E., und Diogenes Laert. 1, 38, wear
er ein Handwerker, ber aber nach unferer Stelle und Pilgto’s
Meno 9.18, &,90. B, zu den hoͤchſten Ehrenftellen, wie
Eleon, gelangte. Wielleicht ſchon wegen Alcibiades, in deſſen
Liebe ihm Socrates im Wege ftand, nach Plut. Alcib. €, &.,
wohl auch wegen Spotted, ben Socrates fich gegen ihm als
Staatsſsmann, oder ald gebildeten Dann uͤberhaupt erlaubte,
wie Diogene® Laërt. II, 38. nach Plato’8 Meno annimmt.
oder aus irgend einer andern Urſache Zeind bed Socrates,
war Er ed nad Diogenes a. a. O. und nach Aelian. II, 235.,
der gleichſam planmäßig den Socrates verfolgte, den Mrifier
phanes gegen ihn anftiftete, und auch den Melitus zu feiner
Klage veranlaßte. oo.
“er, „uöpüg Sameider aus Stobaͤus flatt der Vulg. pasdpOg-
Kenophon. 56 Bdchn. 6 -
-
.
652 Renophon's Vertheidigung des Socrates.
der Sieger ſeyn werde, erſt von der Größe bes Ruhmes uud
der Verdienſte abhängt, die ein Jeder von und Beiden für
alle Zeiten fid, erworben hat. Doc, fchon Homer hat Einigen
‚vor dem Ende ihres Lebens Blide in die Zukunft beigefegt:*)
fo will nun auch ic, eine Weiffagung verkünden: id, unters
hiert mich einmal Far; mit dem Sohne bes Anytus, und er
ſchien mir nicht ohne Muth und Feuer zu feyn. Darum ge⸗
- traue ich mie zu behaupten, er wird bei der felavifchen Les
bensart, die ihm fein Vater angewiefen, nicht aushalten;
aber aus Mangel an forgfäliger Aufſicht, wird er auf irgend
eine ſchaͤndliche Leidenſchaft verfallen, und bis zum Aeuſſer⸗
ſten in ber Verkehrtheit fortichreiten.‘‘ Der Exfolg verhts
fertigte die Weiſſagung: der Füngling ergab fi dem Weine,
und ließ weder bei Tag noch bei Naht vom Trinken abz
and ward zulebt weder dem Baterlande noch feinen Freun⸗
den, noch fich felnft Etwas nuͤtze. So trifft Anytus wegen
feines Sohnes ſchlechter Erziehung und wegen feiner eigenen
Unbeſonnenheit noch nach feinem Tode*) Schande. Socrates
indeß erregte Neid durch die ſtolze Sprache, die er vor Ge⸗
richt annahm, und machte, daß ihn die Richter noch eber
verurtheilten. Mir nun ſcheint Das Loos, das ihm zu Theil
geworden, große Göstergnabe zu ſeyn. Vom Lehen blieb das
Laſtigſte ihm fremd, umd fein Tod war der leichteſte. Bugleich
*) Den Patroclus, Jlias Nhapf. xvi. B. 851.; dem Hector,
ebendaſ. Rhapſ. XXH,
*46) Anytus wurde nach Diogenes Rode. H, 43. gltich nach So⸗
erated Tode verbannt, in Seracden, im ontus, wohin er
ſich begab, aus ber Stadt gejagt, und nach Themiſtius Rede II,
"on den Sinwvohndru bevfeisen Seadt t geſteinigt.
— — ———
—
Eenophon's Vertheidigung des Socrates. 643
bewaͤhrte er ſeinen Muth und ſeine Seelenſtaͤrke. So wie er
erkannt hatte, daß der Tod für ihn beſſer ſey, als ein fer⸗
neres Leben, ſo war er, wie er überhaupt gegen das Gute
nie ſich ſperrte, auch gegen den Tod nicht verzagt, ſondern
empfing und beſtand ihn frendig. Ich, wenn ich die Weisheit
amd den edein Sinn ded Mannes mir vergegenwärtige, kann
weder umhin feiner nicht au gedenken, noch, wenn id) fein
gedenke, ihn nicht zu loben. Und wenn Einer von Denen, bie
nach ber Tugend ſtreben, ned) einen heffexen Führer gefun⸗
den bat, ald Socrates war, fo kann ich mir keinen gluͤckli⸗
deren Menſchen denken.
.
642 RXenophon's Vertheidigung des Socrates.
der Sieger ſeyn werde, erſt von der Größe bes Nuhmes und
der Verdienſte abhängt, die ein Jeder von ung Beiden für
affe Zeiten fid) erworben bat. Doch fchon Homer hat Einigen
‚vor dem Ende ihres Lebens Blide in die Zukunft heigekegt:*)
fo will nun auch ich eine Weiffagung verkünden: id) unters
hielt mich einmal kurz mit dem Gohne bes Anytus, und er
ſchien mir nicht ohne Muth und Feuer zu feyn. Darum gen
- traue ich mie zu behaupten, er wird hei der felavifchen Les
bensart, bie ihm fein Vater angewiefen, nicht aushaltens
aber aus Mangel an forsfäktiger Aufſicht, wird er auf irgend
eine fhändfiche Leidenſchaft verfallen, und bis zum Aeuſſer⸗
ften in ber Verkehrtheit fortſchreiten.“ Der Erfolg vechts
fertigte die Weillagung: der Jüngling ergab fi dem Weine,
und ließ weder bei Tag nod bei Naht vom Trinken abs
"und ward zuleßt weber dem Baterlande noch feinen Freun⸗
den, noch fich felnft Etwas näbe, So trifft Anytus wegen
"feines Sohnes ſchlechter Erziehung und wegen feiner eigenen
. Unbefonnenheit nody nach feinem Tode **), Schaude. Socrates
indeß erregte Neid durch Pie ſtolze Sprache, die er vor Ges
richt annahm, und machte, dab ihn Die Richter noch eher
verurtheilten. Mir nun fcheint dad Load, das ihm zu Theil
geworden, große Göstergnabe zu ſeyn. Dom Leben blieb das
Laſtigſte ihm fremd, und fein Tod war der Telhtefte. Zugleich
*) Dem Patrodus, Has Rhapf. XVI. 8. 651.5 dem Sector,
ebendaf. Rhapſ. AXH, 358.
*) Anytus wurde nach Disgenes Laërt. II, 43. gleich nach So⸗
| erated Tode verbannt, in Hevaclea, im Pontus, wohin er
„ficy begab, aus der Stadt gejagt, und nach Themiſtius Rede II,
‚von ben Ginwohnden beeſetben int: geftennigt.
1
— —
—
Renophon's Vertheidigung des Socrates. 643
bewährte er feinen Muth und ſeine Seelenſtaͤrke. So wie er
erkannt hatte, daß der Tod für ihn beffer fen, als ein fers
neres Leben, fo war er, wie er. überhaupt gegen das Gute
nie ſich fperrte, auch gegen den Tod wicht verzagt, fondern
empfing und beftand ihn frendig. ch, wenn ich die Weisheit
amd den edein Sinn des Mannes mir vergegenmwärtige, kann
weder umhin feiner nicht au gedenken, noch), wenn ich fein
gedenke, ihn nicht zu loben. Und wenn Einer von Denen, bie
nach der Tugend ſtreben, noch einen beſſeren Führer gefun⸗
den bat, ald Socrates war, fo kann ich mir keinen glückli⸗
cheren Menfchen denken.
-
Kenophon’s |
- Einleitung.
[U U}
Vlutarch Gaſtmahl der fieben Weifen, €. XII, ©. 156. E.
„Wenn foldhe Männer ſich zufammenfinden,, fo bebarf es
weder des Bechers noch des Weinlöffels, Sondern bie Mufen
ſtellen wie den Krug bei einem weinloſen Weihguſſe, die
Rede in die Mitte, in welcher Alles, Vergnügen und Scherz
und Ernft in Fülle ift, und weden friſchen uud erfchließen
durch diefe die Froͤhlichkeit, den Weinlöffel meift ruhig liegen
laſſend über dem Schenkkrug.“
Wie ber Oeconomicue⸗ ( Hauswirth) ein
Nachtrag zu den Erinnerungen iſt, welcher uns
eine laͤngere ernſthafte Unterredung von Socrates
mittheilt, ſo das Gaſtmahl ein Nachtrag, der uns
Denſelben als heiteren Geſellſchafter in ausfuͤhrlicher
Beſchreibung eines Feſtgelages vorſtellt. Der Zweck
dieſer Schrift iſt, wie Renophon im Anfange angibt,
Einleitang. 65
Bein anderer, als den wohlthätigen Einfluß, welchen
- der Umgang des Socrates auf feine Sreunde felbft
bei Gelegenheiten hatte,. wo Andere nur auf Bes
friedigung der eigenen Genußfucht ausgehen, auch
auf die Nachwelt fo viel möglich fortzupflanzen, alfo
weder, wie einige Neuere, *) geftütt auf die Zu⸗
fammenhaltung mehrerer Stellen des ‘Matonifchen
Saftmahls mit folchen in dem unfrigen annahmen,
der gleichnamigen Schrift des Plato eine ähnliche
gegenüber zu ftellen, noch wie Andere **) die Abficht
des Schriftftellerd befchränften,, das Urtheil des Pu
blicnms über Socrates Liebe zu den Jünglingen zu
berichtigen. «-
Was die Zeit ihrer Abfaffung- betrifft, fo fieht
man aus dem Anfange wenigftiens fo viel, daß fie
2) So befonderd Weiste und Schneider nach Eornarius,
gegen weiche zuerft Böcdh ausführlich, nachgewiefen Hat,
daß die genauere Dergleichung beider Schriften jeden -
Gedanken an eine polemifche Tendenz der Einen gegen
die Andere niederſchlage.
20) So Beder in feiner Ueberſegung, Ramdohr in der Ve⸗
nus Urania m. A. Die Anſicht von Sail, als wäre
unfere Schrift eine feine Eritit ber Sophiften unter
dem Schleier der Ironie, hat fi, wie es fcheint, ſonſt
nicht geltend gemacht.
646 Einleitung.
nach einem , rein Ernflhaftes aus Socrates' Leben
hersorhebenden Werke, gefchrieben ift, alfo nicht nur-
nach den Erinnerungen, deren bunte Mannichfaltigs
keit auch Scherzhaftes in fi) faßt, fondern auch
mad) dem Hauswirthe. Einen andern Maßſtab zu
- einer Beftimmung hierüber koͤnnte fein Zeitverhältniß
zu dem gewiß fpäter gefchriebenen *) Platonifchen
Saftmahle an die Hand zu bieten fcheinen; allein
Genaueres läßt fid) auch auf diefem Wege nicht aus⸗
mitteln, da fich bei dem Leteren wohl die Zeit anges
ben läßt, vor welcher es nicht .‚gefchrieben fenn Fann,
aber nicht das Jahr, in welchem ed wirklich abges -
faßt wurde.
Als die Zeit, im welcher unfer Gaſtmahl gehals
ten, nicht gefchrieben, wurde, bezeichnet Gap. ı. das ,
Jahr, in welchem Autolykus den Sieg im Pancra⸗
tium davon trug. Dieß iſt nach der Angabe des .
Hthendus B. V. ©. 216. D., mit. welcher. auch die
übrigen biftorifchen Beziehungen unferer Schrift zu⸗
- fammenftimmen, das vierte Fahr der neun und acht⸗
zigften Olympiade unter dem Archon Ariftion, oder
*) Dieß ift von Boͤchh in der. Schrift über die Feindſchaft,
die zwifchen Plato und Kenophon Gtatt gefunden haben
fol, zu einem hohen Grade von Baberheintähteit
gebracht worden,
Einleitung "647
das Jahr 420 v. Chr. Geburt. Daß ed aber mit
.biefer Zeitbeſtimmung ernftlic) gemeint, und daB
Gaſtmahl Fein erdichtetes fey, iſt nicht zu bezwei⸗
fein. Nicht nur kann Alles, was bier erzählt ift,
wirflih fo vorgefallen feyn, fondern aud) die Art
und Weife, wie es erzählt ift, gleicht viel weniger
ber eines Erdichterd, als Der eines getreuen Bericht:
erftatters,, der der Anfchauung, wie er fie.noch im
Gedaͤchtniſſe hat, nicht einmal durch die Kunft der
Darftellung zu Huͤlfe fonımt. Für wirkliche Gefchichte
gibt auch der Verfaſſer felbft feine Erzählung im
Anfange aus, wenn er fie ald einen der Weberliefe-
rung an die Nachwelt würdigen Fall bezeichnet, bei
dem er felbft zugegen geweſen fey. ) Und in den
Cyclus feiner Soeratifchen Erinnerungen Fonnte er
auch nur wirkliche Thatfachen brauchen; andere
fonnte er gar nicht aufnehmen wollen. Ä
. *) Der von Athenaͤus dagegen erhobene Zweifel, als ob
Kenophon um jene Zeit mod, gar nicht dem Gaſtmahle
Hätte beimohnen können, iſt von Schneider zur Genüge
beleuchtet, indem er aus mehreren Thatfachen bewiefen
bat, daß Zenophon um jene Zeit wenigftend 23 Jahre
alt feyn mußte.
Derfonen des Gaſtmahls.
Erfte Klaffe
ı) Eallias. Durch den Zod feines bei Delium, Olym⸗
piade 89, 2. gefallenen Waters Hipponicus, war er feit Kurs
zem in den Beſſttz eines_ungeheuern Vermögens gekommen,
Nach Plutarch Dericl. Cap. XXIV. wurde er der Reiche
"schlechtweg genannt. Ihm halfen Schmaroger, Dirnen und
“
Sophiften feinen Reihthum aufzehren. Die Letzteren bezahlte
Niemand fo theuer wie er, nach Platoꝛs Apolog.C.IV. S. 20,A.
Um Olymp. 94. war fein Vermögen von 200 Zalenten auf
zwei herab gefunten, nad) Lyſias über d. Güt. des Ariftos
phaned ©. 650. Reiske. \
») Autolykus. Won ihm fah noch Paufanias B. I.
C. 18. $. 3. eine Bildfäufe in der Nähe des Prytaneums,
die ihn als Pancratiaften vorftellte.” Sie war nad) Plinins
Naturgeſch. B. XXXIV, C. 8. von Leochares verfertigt. Nach
Plutarch's Lyſand. C. 13. und Diodor B. XIV, C. 5. wurde er
von den dreißig Tyrannen getödtet, Olymp. 94, 1. vor Ehr.
Geburt 404.
Lykon. Sonſt untgkannt. Nur ſo viel bringt Schnei⸗
der in der Vorrede zum Feldzuge des jüngeren Cyrus bei,
daß nad) Eupolid, dem Comiker, bei feinem Weihe Ahodia
die ganze männlidhe Welt aus⸗ und eingegangen fey. |
5 Niceratus. Daß dieß der Sohn des reichen im
Sicilien gebliebenen Nicias fey, iſt nach C. 4. $. 45. und 51,
nnd C. 3. 6.6. außer Zweifel, Seinen Homer getraute er
fi) fo gut im Kopfe zu haben, daß er ſich mit den Rhapſo⸗
den feiner Zeit in einen Wettſtreit einließ, worin er jedoch
von Pratys beflegt wurde, nach Ariftoteles’ Rhetorik, DA,
Bu Junhalt. 69
@..ı1. $. 13. Uebrigens war er durch feine Guͤte und Mens
fchenfreundlichkeit ſo beliebt, daß er allgemein beweint wurde,
als ihn die dreißig Tyhrannen hinrichten ließen, nad) Diodor
B. XV, 5
3weite Klaffe
1) Socrates.
2) Critobulus, ſ. zu den Erinnerungen B. J. C. 3.
3) Hermogenes, ſ. ebendaſ. B. II. E. 10.
4) Antiſthenes, ſ. ebendaſ. B.II. E. 5.
5) Charmides, ſ. ebendaſ. B. III. C. 6.
. Auſſerdem
Philippus, ſonſt unbekannt.
Der Syracuſer *) mit feiner Kindertruppe.
Als ſtumme Perfon muß endlich noch angenommen wers
den Zenophon nad) feiner eigenen Verſicherung, Gaſtm. C. 1.
a)
. » ‚
„Jnhalt.
Cap. 1. Die Gaͤſte finden ſich zuſammen und eſſen. Eindruck
der Schoͤnheit des Autolykus und der niedrigen Spaͤße des Phi⸗
Uppus auf ſie. Cap. 2. Nach dem Eſſen werden fie durch die Kine
dertruppe des Syracuſers unterhalten; Philippus aͤfft die Kunſt⸗
ſtuͤcke der letzteren nad; hierauf Mimmt das Trinken den Anfang.
Alles Dieſes mit Soerated’ treffenden Bemerkungen und Crinnes
sungen. Cap. 3. Die Kinder geben der Geſellſchaft aufs nene
Unterhaltung ; auf Betreiben des Socrates fangen die Gäfte an
fi felsft zu unterhalten, und geben der Reihe nad an, werauf
ein Jeder ftolz ſey. Cap. 4. ie rechtfertigen ihre Angaben der
Reine nach. Der fteie Gang der Beweisführung wird vorzüglich
*) Unter ben Doriern, und namentlich in Syracud, waren die
mimifgen Tänze zu Hauſe.
%
650 | Eenophon's Gaſtmahl.
von bed Soerates und Antiſthenes Zwiſchenreden unterbrochen.
Gay. 5. Aus Veranlaſſung des Rundgeſpraͤches laͤßt ſich Socrates
mit Critobulus in einen Wettſtreit um den Preis der Schönheit
ein, der von den Kindern bed Syracuſers zu Gunften des Kenteren
entfiyieden wird. Cap. 6. Socrated macht dem Hermogenes we⸗
gen feiner geringen Theilnahme an ber gefelligen Unterhaltung den
Vorwurf ded Weinabermuthed. Darauf Übt der ſich vernaclaͤßigt
fünlende Syracuſer an Socrates wirklichen Weinuͤbermuth aus, der
nur durch Sorrated’ Sanftmuth und des Antifthenes’ Aufruf an Phi⸗
lippus gedämpft wird. Cap. 7. Den bald mit neuen Stuͤcken bereit
ftependen Syracnfer bewegt Socrates, gefahrlofere und ergöglichere -
Stuͤcke durch die Kinder geben zu Yaffen, ald bisher. Cap. 8. Waͤh⸗
xend Derfelse hiezu Anftalten trifft, unterhält Socrates die Gefell:
fehaft mit einer Rede über die Vorzüge der geiftigen Liebe vor der
finnlichen, mit befonderer Ruͤckſicht auf alliad und Autolykus.
Cap. 9. Autolykus und Lykon entfernen ſich nun. Dans wird
durch die Kindertruppe Bacchus und Ariadne mit einem bis zur
Begeifterung fteigenden Beifalle aufgeführt, worauf die Gaͤſte aus⸗
einander gehen.
1. Mich dunkt indeflen, von edlen und wadern Mäntern
en nicht nur, was file mit Ernſt thun, ded Andenkens werth
—8 auch, wie ſie ſich bei Luſtbarkeiten benehmen. Den
Fall, anf welchen. ic) als Zeuge davon dieſes Urtheil gründe,
will id, erzählen. Es war das Pferberennen an ben großen
Panathenien. *) Eallias, der Sohn des Hipponicus, war
* Die großen Panathenden, ein Set in Athen, zu Ehren der
Minerva, welches alle fünf Jahre im legten Drittheile des
Stelotombäon mehrere Tage nach einander mit Wettkämpfen
aller Art und einer Prozeffion, worin. man den Miantel-
(ndrkoc) der Minerva umhertug, gefeiert wurde. Das
Dferderennen war jedesmal. am erften Tage.
Xenophon's Gaftmahl. 61.
gerade in ben jungen Autolykus verlicht, und hatte Diefen,
nachdem er im Pancratium *) geflegt, eben zu den Plaͤtzen
der Zufchaner geführt. Als das Pferderennen vorbei war,
Hing er mit Autolykus und deffen Vater nad, feinem Lands
baufe im Piräeus; auch Miceratus begleitete ihn dahin,
Mitten auf dem Wege fah er den Socrates, Eritobulus, Her⸗
mogenes, Antiſthenes und Eharmided bei einander. Er ließ
daher den Autolykus nebit den Andern durch Jemand ge:
Veiten, und ging für feine Perfon auf Socrates und feine -
Geſellſchaft zu. „Eben recht, daß ich euch treffe, fagte er
zu Diefen; ich bin im Begriffe, dem Autolykus und feinem
Vater ein Gaſtmahl zu geben; da denke ich follten fic, meine
Anftalten weit glaͤnzender ausnehmen, wern der Männerfaal
mit fo innerlich **) gereinigten Männern, wie ihr feyd, ges
ſchmückt wäre, ftatt mit Strategen, Hipparchen und Groß⸗
würdenbewerbern.“ „Immer doch, verfegte Socrates, machſt
du dich über uns luſtig und ſiehſt auf uns herab, daß wir
erft Weisheit fuchend, uns ſelbſt abmühen, ſtatt daß du dem
Protagoras ***) und Gorgias und Proditus und vielen An⸗
deren um bie baare Weisheit fchweres Geld bezahlt haft.‘
* Vergl. Erinnerungen 3. 11, Cap. 5 und 10.
*+) Nach der Lesart Fyrsxadapuevorc.
***) Protagoras aus Abdera, Gorgias von Leontium, Probitus
von Sen, Sophiften Vergl. Über den Letzteren zu ben Exs.
innerungen B.1I, C. 1. Unter die vielem Anderen gehört nas
mentlich Hippias von Elis, der nach Plato’8 Protag. S. 311. A,
314. B. zugleich mit Protagoras und Prodikus in Athen
anweſend war und im Haufe des Callias fich aufhielt. Dies
fer Aufenthalt faͤllt nach Eupolis Hei Athenaͤus S. 339g. in
Olymp. 89, 3. unter dem Archon Alcaͤus. Gorgias war
652 Xenophon's Gaſtmahl.
„Ich muß es geſtehen, entgegnete Callias, du haſt Recht, und
noch zudem that ich bisher mit meiner Weisheit vor euch ges
beim; aber jest will ich euch zeigen, wenn ihre bei mir feyb,
daß ich alle Aufmerkſamkeit verdiene. Gocrates und feine
Geſellſchaft dankten anfangs für die Einladung, wie zu er⸗
werten war, und fagten bie Annahme nicht zu; wie er ſich
aber anmerken ließ, daß er es fehr übel aufnehme, wenn fie
auf ihrer Weigerung beharren wollten, ſo folgten fle ihm.
Nachdem hierauf ein Theil auf dem Ringplatze fid geübt
und geſalbt, ein anderer aud) gebabet hatte, traten die ſaͤmmt⸗
lichen Gäfte ein. Autolykus feste. ſich neben feinen Vater;
die Anderen aber legten fich nieder, wie fidy’8 gehörte, Weiter
hätte ed num nicht gebraucht, als zu bemerken was vorging,
um ſich zu überzeugen, daß die Schönheit ihrer Natur nady
etwas Königliches ſey, zumal wenn Einer Gittfamkeit und
Zucht, wie bier Autolybus, damit verbinde. Denn wie ein
Lichtglanz Aller Augen auf ſich wendet, wenn ein folder in
der Nacht fihtbar wird, fo 308 aud) die Schönheit des Aufos
lykus damals die Blicke Hier nad) ihm hin, Auch war un:
fer Denen , die ihn fahen, Keiner, bei dem er nicht auf die
Seele Eindrud gemacht hätte; ein Theil wenigftend wurde
flifer, und Andere gaben fogar Aufferlih die Bewegungen in
ihrem Innern zu erkennen. Wenn nun Jeder, der von ir⸗
gend einem der Götter ergriffen ift, für eine fehenswürdige
Ericheinung anerkannt. werden ‚muß, fo befommen doch
die von andern Göttern Ergriffenen einen fchreddareren
nach Diodor. XII, 53. fiyon Olymp. 88, 2. in Athen, um ein
Buͤndniß zwifchen Athen und Leontium zu vermitteln.
*
XRenophon's Gaſtmahl. | 653
Blick, *) eine fürdyterlichere Stimme und eine nngeflämere
Bewegungs die von dem züchligen Eros Begeiſterten dagegen
find nicht nur freundlicher im Blicke, fondern nehmen auch
einefanftere Stimme.an, und lenken ſich in ihren Bewegungen
mehr zum Anſtaude. Und Dieb bewirkte eben damals Eros
bei Callias, und bereitete daher den Eingeweihten biefer
Gottheit ein fehenswürdiges Schaufpiel. Während fie nun
fo in der Stile fpeipten, gerade ald ob ihnen Diefes von eis
ner höheren Macht geboten wäre, klopfte Philippus, der
Spaßmacher, an die Thüre, und hieß den Thürhüter melden,
er er fey, und warum er eingelaflen zu werben wünfche; er
habe übrigens alle Erforderniffe dei fih, um auf fremde Kos
ften zu fpeifen, und auch fein Junge werde fehr gedrüdt von.
feiner Laſt, weil er Nichts zu fragen, und noch nicht gefrühs
ſtückt Habe. Als. Callias Dieß hörte, fagte er: „es wäre doch
nicht fchön, Einem das bloße Obdach zu verweigern; man
Laffe ihn daher herein.‘ Zugleich warf er einen Blick auf.
Autolykus, um nämlich. zu fehen, wie Dem der Scherz **) ge
fallen habe. Philippus aber ſtellte fi an den Maͤnnerſaal,
H Nach ber Lesart yooyoreoov TR 0EAICL, womit zu vers
gleichen Homer Illad. VII, 3249. YDoy&s öunar' EXoV,
Die von Anderen vorgezogene Lebart yopyorsgol TE Öpn-
oa, iſt der gewöhnlichen Sprache näher, aber gibt gu
Tr öunaTa PiAoppovesdpwng EXsoı !inen Gegenfag,
a0) Nach Schneider der Scherz. bed Philippus. Natuͤrlicher wäre
es allerdings, mit Weiste an einen Scherz des Callias ſelbſt
zu denken. Allein der Nachdruck, der auf exelvo liegt, und
dab Präteritum Bo&sıe geben ber Scqhneider ſchen Ertlaͤrung
den Vorzug.
654 | XRenophon's Gaſtmahl.
we das Gaſtmahl war, und ſagte: „daß ich ein Spaßmacher
bin, weißt ihr Alte, und ich bin gerne hergekommen, weit ich
Yachte,kes ſey fpaßhafter, ungebeten, als gebeten zum Muhle
zu kommen.“ ‚So nimm denn Platz, verfebte Callias; denn
die Unwefenden find zwar, wie bu fiehft, mit Ernſt wohl vers
ſehen; hingegen mangelt es ihnen vielleicht etwas an Spaß.’
&o-wie fie nun weiter fpeifften, wollte Philippus fogleich Et⸗
was zum Lachen fagen, um es nämlich nicht an Dem fehlen
zu laſſen, weßwegen er jedesmal zu den Gaftungen geladen
‚wurde. Als er aber dein Gelädjter hervorbrachte, fo ließ er
ich ſchon anmerken, daß er ſich beleidigt fühlte. Bald ders _ |
auf wollte er abermals etwas Anderes zum Lachen ſagen.
Wie aber. aud) da Kein Lachen erfolgte *) in der Zwifchenzeit,
fo gab er das Eſſen auf, und Tag nun mit verhüfitem Ange⸗
fiht am Tiſche. „Was ift Dieb, Philippus? rief Callias,
iſt dir wohl gar nicht wohl geworben 7’ Mit einem tiefen .
Seufzer erwiederte Diefer: „ach ja, recht unwohl, Gallias.
Denn feitbem das Lachen von der Welt verſchwunden iſt, tft
es aus mit mir. Bisher wurde ich deßhalb zu den Gaſtun⸗
gen geladen, um ber Geſellſchaft Etwas zum Lachen zu ges
‘ben, aber jent, für Was müßte man mich noch einladen ?
Ernſthaft ſeyn Fann ich nicht, fo menig, als unſterblich wer⸗
ben, und in Heffuung wieder geladen zu werbeu, läbt mich
doch auch Niemand, da die ganze Welt weiß, daß es von
vorn herein gar nicht Sitte iſt, daß in mein Haus ein Eſſen
Augetrasen warde.“ Bei dieſen Worten ſchueute er ſich,
HD Mit veränderter Interpunction, weil mit ber blöperigen noch
tein Erklaͤrer zurecht kam.
- ” . BE.
Zenophons Gaftmahl. . 655
and auch nach feiner Stimme ſchien er unverkennbar zu wei⸗
nen, Alle tröfteten ihn daher, ſie wollen ein audermat fchen
Ladyen; er folle nur eſſen; und Eritobulus lachte ſogar wirt:
lich laut auf über fein Gejammer. Mehr brauchte es nicht,
Er hatte Baum das Gelächter vernommen, fo enthüllte er ſich
wieder, hieß feine Seele gutes Muthes ſeyn, daß es nicht am
Schmaͤuſen fehlen werde, und aß aufs nette,
2. Als dann die Zifche weggenommen *) und Weihguß
. uud Zobgefang vorbei waren, fo Fam zu ihnen zum Trunke
ein Spracufer mit einer gefchidten Flötenfpielerin, einer
Zänzerin, wie fie Kunftftüde auszuführen verftchen, und mit
einem Suaben, der Alles war, was man fchön nennt, und
ganz vortrefflich die Bither ſpielte und tanzte. Diefe Kunfle
fertigheiten der jungen Leute Tieß er denn and) als etwas
Auſſerordentliches ſehen, und machte fi Geld damit. Wie
nun das Mäddyen auf der Flöte, Der Knabe auf der Zither
fpiefte, und Beide altem Anfcheine nach die Gefelifchaft vet
angenehm unterhielten, fing Soecrates an: „In der That,
Eallias, du laͤſſeſt es bei deiner Bewirthuug an gar Nichts
fehlten: Dean du haft uns wicht nur ein Eſſen vorgeſeßt,
‚woran nichts zu fadeln it, fonderm auch Augen und Ohren
gewährft du alle Ergösung. „Wie wäre ed, verfehte Die⸗
fer, wenn man uns auch nee) Salben bräckte, damit wir
auch mit Wohlgerüchen bewirthet wärden?‘ „Bei Leibe
*) Banz ähnlich ift Platos Gaſtmahl C. IV. ©. 176, A, Nach
Aufhebung der Tafel wurde nämlich Wein für die Gottheit
- 6 Trankopfer ausgegoſſen, dann ein Robgefang anf die Goͤt⸗
ter abgeſungen, und dann erſt ging das „Trinten ‘(bei Plato
% 9% D, 10005, bei Xenophon hier Xouog genannt) an.
8
666 Xenophon's Gaſtmahl.
nicht, ſagte Soerates; ; wie eine andere Kleidung für bad _
Weib, eine andere für den Mann fchön ift, fo ziemt auch“
ein anderer Geruch dem Manne, und ein anderer dem Weide.
Denn um eined Mannes willen reibt fidy doch kein Mann
mit Salbe ein; die Weiber aber, zumal wenn fie erft neu
vermaͤhlt find, wie die des Niceratus hier und des Critobns
Ins, wozu follten fie noch Salbe bedürfen? Sie riechen ja
ſelbſt darnad). Dagegen ift der Geruch des Dehles von der
Ringſchule den Weibern nicht nur, wenn fie ihn empfinden,
angenehmer, ald der der Salbe, fondern fie vermiſſen ihn
auch weniger gern, wenn fleihn entbehren. Denn Wer fic mit
Salbe beduftet, gleichviel ob Schave oder Freier, hat fogleich
ohne Unterſchied denſelben Geruch; die Gerüche hingegen,
welche eine Folge edler Anſtrengungen ſind, erfordern erſt
Uebung und Zeit, wenn ſie angenehm und edel werden ſol⸗
len.“ „Dieß alſo, ſagte hier Lykon, wäre für die Junglinge;
aber wir, die wir nicht mehr den Ringplatz beſuchen, nach
Was werden wir riechen mäffen ?“ „Nach Rechtſchaffenheit,
verſteht ſich,“ erwieberte Soerates. — Lykon. „Und woher ,
diefe Salbe nehmen? — Soer. Offenbar nicht von den Sal⸗
benträmern. — Lykon. Bohr denn? — Soer. Zheoguid
fagt : —
Gutes Terneft du nur von Guten; oöfe Gefentfepaft
Richtet die Bildung auch, bie bir geivorden, zu.Grumd,
„Hoͤrſt du Die, mein Sohn?! fagte Lykon. „D gewiß,
verfegte Socrates, und noch mehr, er hält fih auch darnach.
Wenigſtens da er ſich *) an did hielt, um Sieger im Pans
*) Nach Moſche, der das Comma vor oxsıbauevog ſezstt.
>
Eenophon's Gaſtmahl. 657
cratium zu werben, fo wird er nun auch ſich umſehen, umb
fi) an Denjenigen anfchließen, zu welchem er in dieſem
Städe das meifte Butrauen hat,” Hier fprachen nun Me:
rere; ber Eine fagte: „Wo wird er hierzu einen Lehrmeifter
finden 2° der Andere, Dieß Laffe fi gar nicht ehren; ein
Dritter, wenn irgend Etwas fonft, fo müffe fidy Diefes fer
nen laſſen. Socrates aber fagter „Laßt und Diefed, da es
flreitig ift, für ein andermal bei Seite legen, und für jeßt
Das zu Ende führen, was und zumächft liegt. Denn wie ih
ſehe, fleht die Tänzerin dort bereit, und Täßt ſich Reife bies
fen.’ Sofort fpielte ihr das andere Mädchen anf der Flöte
vor, und Einer, der neben der Tänzerin ſtand, reichte ihr
die Reife bis auf zwölfe; fie aber nahm fle und warf fie Hits
ter fortgehendem Tanze im Wirbel in die Höhe, berechnend,
wie hoch fie werfen müſſe, um fle im Takte wieder aufzus
fangen. Da machte Socrates die Bemerkung: „Was and fo
manchen andern Umftänden hervorgeht, ihr Freunde, das bes .
ftätigt ſich auch durch Das, was diefed Mädchen leiſtet, daß
naͤmlich die weibliche Natur nicht ſchlechter iſt, als bie des
Mannes, und daß fie nur der Uebexlegung *) und der Stärke
ermangelt. Hat daher Einer von eudy ein Weib, fo Ichre er
fie getroft, Alles, was er nur wünfchte, daß fle verſtaͤnde.“
„Run, wenn du fo denkſt, Socrates, fagte Antifthenes, war:
um ziehft denn nicht auch, du die Kantippe, fondern lebſt mit
dem böfeften Weide von allen, die es gibt, ja, die es je ge-
geben hat und geben wird?“ Socrates antwortete: ‚weil
*) Na der alten Lesart Yung, welche in Plato, Gaftıhapt
E. IX. S. 181, C, eine Stäge findet,
Kenophon. 58 Bochn. m
r
658 Zenophon’8 Gaftmahl.-
ich fehe, daß auch Diejenigen, welche gute Reiter werden
wollen, nicht die willigften, fondern die muthigen Pferde neh⸗
men. Sie denken nämlich, wenn fle diefe im Zaume halten
fönnen, werden fie mit den andern Pferden leicht zurecht
kommen. So habe nun au ich, da ich mit Menfchen zu
eben und umzugehen wünfce, Diefe genommen, weil ich
fiher weiß, daß, wenn ich es bei Ihr aushalte, ich in alle
- andern Menfchen leicht mid, finden werde.’ Und mit diefer
Antwort fchien er den rechten led getroffen zu haben. Hier⸗
anf wurde ein Ring. gebradht, um und um vol aufrechtſte⸗
hender Schwerter. In diefe fprang die Tänzerin mit einem
Burzelbaume hinein und wieder ebenfo über fie heraus, fo
daß den Zufchauern bauge wurde, es möchte ihr Etwas ge-
ſchehen; aber fie führte mit aller Ruhe und Sicherheit diefe
Sprünge aus. Da wandte fid, Socrated an Antifthenes und
fante: „ich denke, es braucht nicht mehr, als hier zuzufehen,
um nicht länger zu zweifeln, daß aucd die Tapferkeit ſich
fehren Taffe, wenn doch Diefe, obwohl ein Weib, fo kühn ſich
in die Schwerter flürzt. „So Eönnte alfo, verfeste Anti⸗
ſthenes, auch der Syracufer hier nichts Beſſeres thun, als
die Bürgerfchaft feine Tänzerin fehen laſſen, und fich erbies
ten, wofern die Athener ihn dafür bezahlten, zu machen, daß
aue Athener das Herz faßten, geradezu auf die Lanzenſpitzen
zuzugehen?“ „In der That, fagte Philippns, und da möchte
ich Nichts Tieber fehen, als wenn der Volksredner Pifander *)
*) Piſander. Derfelbe, den auch Ariftophanes, Voͤgel 1556.
Friede 3g5., Lyſiſtr. 4go. auf dad Theater brachte. Nach Thu⸗
cd. B. VIII. €, 53. war er fpäter unter den 400 Tyran⸗
nen und kam als folder um's Leben.
Kenophon’s Gaſtmahl. | 659
einen Burzelbaum in die Schwerter hinein machen lernte,
er, ber jezt nicht einmal mit iws Feld sieben will,
weil er Feine Lanzenſpitze vor ſich fehen kann.“ Sofort tauzte
ber Knabe. Da ſagte Socrates: „Seht doch, wie der Knabe,
fo fchön er iſt, dennoch in feinen Bewegungen noch ſchöner
erfcheint, ald wenn er ſich ruhig verhält.“ „Du will, wie
es fcheint, den Tanzmeifter loben,“ fagte Charmides. „Ja, it
der That, antworsete Socrates, denn ich habe fonft noch Et⸗
was bemerkt: daß kein Theil des Körpers bei dem Tanze
unthätig, fondern zu gleicher Zeit Hals, Beine und Hände
in Bewegung waren, ganz wie Der tanzen muß, der feinen.
Körper befier fragen lernen will. Und wirkfich, ich für meine
Derfon hätte große Luft, Syracuſer, in den Bewegungen bei:
die Unferriche zu nehmen. „Und Was willft du damit an⸗
fangen?“ fragte Dieſer. „Nun, tanzen will ich,“ war die
Antwort. Hier lachte nun Alles zuſammen. Da fragte So⸗
crates mit ganz ernſthafter Miene: „Ihr lacht uͤber mich?
Etwa darum, daß ich durch Bewegung meine Geſundheit
ſtaärken, oder daß ich zum Eſſen und Schlafen mir mehr Luſt
machen will, oder daß ich gerade eine ſolche Bewegung ſuche,
wo ich nicht, wie die Laͤufer, die ſich die Beine dick und die
Schultern ſchmal, noch wie die Fauſtkaͤmpfer, die ſich die
Schultern did und die Beine ſchmal arbeiten, ſondern mit
dem ganzen Leibe mic; anftrenge, und ihn fo durchaus gleich⸗
ſtark mache? Oder Yacht ihr darüber, daß ich nicht nöthig
haben werde, einen Genoffen zu fuchen, wenn ich mir Bewe⸗
gung machen will, noch in meinem Alter vor den Leuten mich
zu entkleiden, ſondern daß ein Gemach mit ſteben Speiſepol⸗
ſtern für mic, hinreichen wird, wie auch. jest für biefen Kna⸗
7
660 Renophon's Gaſtmahl.
ben hier unſer? Zimmer groß genug war, um ſich in ben
Schweiß zu arbeiten, und daß ic dann Winters mir im
BG
Haufe Bewegung machen werde, und bei zu großer Hitze im
Schatten? Oder tadıt ihr deßhalb, daß ich, weil mein Bauch
übertrieben groß ift, ihn befcheidener zu machen wänfhe?-
Dder wißt ihr nicht, daß mic, erft neulich Charmides hier
in der Frühe beim Tanzen antraf?“ „Ja, in der That, fiel
CEharmides ein, und anfangs war ich dazu ganz erfchroden,
und fürchtete, du möchtert rafend feyn, als ich dich aber ums
gefähr ebenfo ſprechen hörte, wie du bich jetzt aͤußerſt, fo
machte ich's ſelbſt dir nach, fo bald ic, nad) Hanfe Fam, uhb
Kanzte nun zwar nicht (denn Dieß hatte ich nie gelernt), aber
ic) gefticufirte; denn Dig verſtand ich.“ „O gewiß, verſetzte
Philippus; denn bei dir mällen die Beine mit den Schuls
tern fo im Gleichgewichte feyn, daß du ſicher ungeſtraft davon
Lämeft, aud) wenn du, wie beim DBrode den Marftmeiftern, *)
das Untere gegen das Obere vorwägen mußteſt.“ Dann fagte
Ealliad: „wende dich nur an mich, Socrates, wenn du tanz"
zen lernen will; ich will dir gegenäber fanzen, und ed mit
dir lernen. „Wohlan, rief jebt Philippus, das Madchen
ſpiele auch mir auf der Floͤte vor, damit auch ich tanze.“
Dann erhob er ſich und ahmte nach einander den Knaben und
das Mädchen im Tanzen nad). Und weil man gerühmt hatte,
daß der Knabe’ in feinen Bewegungen fich noch fchöner aus:
nahm, fo war fein Erſtes, jeden Theil des Körpers, den er
bewegte, noch brolliger erfcheinen zu faffen, als er von Natur
*%) Im Griechiſchen Aooranomen , die, wie zu Rom sie Aedilen,
die Auffiht uͤber Kauf und Verkauf Hatten, .
a
Zenophen’d Gaſtmahl. 662
war. Weil dann das Maͤbchen ſich rücklings beugend Mäder
nachabmte, fo verſuchte er auf gleiche Weiſe ſich vorwaͤrts
bückend Räder nachzuahmen. Endlich, weil man an dem
Knaben rühmte, daß er beitm Tanzen ben ganzen Leib im
Bewegung febe, fo hieh ex die Floͤtenſpielerin in einen ſchnel⸗
leren Tat übergehen, und ſchlug mit allem zumal, mit Beis
nen, Händen und Kopf um ſich. Und wie er dann müde wear,
legte er fich nieder und fagte: „Ein Beweis, ihre Leute, daß
auch meine Tänze Einem vortreffliche Bewegung machen: ich
einmal bin durkig., und der unge ſchenke mir die große
Schaale ein.’ „Ja, fagte Calliad, und uns auch; denn auch
uns duͤrſtet vor lauter Lachen über deine Poſſen.“ Socrates
dagegen fagte: ‚Mit dem Zrinten, ihr Leute, bin auch ich
ganz einverſtanden; denn der Wein frifcht in Wahrheit die
Seelen an und -fchläfert die Sorgen ein , wie der Alrann die
Wenſchen, und wedt dagegen bie Sröhlichkeit, wie das Oehl
bie Flamme, Indeß fcheint es mir ben Männern mit bem -
Trinken *) ebenfo zum eugehen, wie den Pflaunzen in ber Exbe,
Denn auch diefe können ſich unwöglich aufrecht erhalten, und
von ben Lüften ducchflrichen werden, wenn fie ber Himmel
auf einmal gar zu reichlich traͤnkt; bekommen fie hingegen
gerade fo viel zu trinken, als ihnen wohl thnt, fo wachſen
fie nicht nur volffommen aufrecht, ſondern gebeigen auch und
werden fruchtbar, Und fo wird es auch bei uns ſeyn.
Scütten wir den Trauk in Maſſe hinein, fo werden bald
+) Nach der einzig beftdtigten Kefeart GUUTOGEN. Onluare,
wie ed bei Athendus heißt, hat ſich auch bei Deut, Onaest,
Convir. I, ı, 5. an die Stelle des befferen oppnooıe
eindrängen wollen.
‘662 Kenophon’s Gaſtmahl.
Körper und Sinne bei und das Gleichgewicht verlieren, und
wir werden nicht einmal frei athmen, geſchweige denn fpxes
chen koͤnnenz wenn und hingegen die Jungen mit Pleinen Des
chern häufig beträufeln, (damit auch. id, in Gorgias *)
Sprache rede) auf diefe Weife, wenn man uns mehr ver-
führt als zwingt, **) vom Weine trunken zu werden, dann wird
fi unfehlbar die Luſtigkeit bei uns einftellen. Damit war
Qttes einverflanden; nur feste Phitippus Hinzu, die Mund:
tchenten mäffen fich die guten Wagenlenker zum Mufter neh:
men und die Becher ſchneller in die Runde jagen. Und Dieß
Chaten fie denn auch.
3. Sofort fpielte der Knabe auf ber nad) der’ Flöte ges
flimmten Leyer unb fang. Hier war Alles in feinem Lobe
einig, und Charmides fagfe fogar: „ihr Leute, was Socrates
von dem Weine bemerkte, das fcheint mir auch auf diefe Mi
{chung der jugendlichen. Schönheit diefer Kinder and der Töne
zu paffen : fie fchläfert die Sorgen ein, und werkt die Liebe,‘
Sofort fprady wieder Soerates: „Dffenbar, ihr Leute, find
diefe Kinder im Stande uns angenehm zu unterhalten, und
wir dünken ung doch weit beffer zu ſeyn, als Diefe; iſt es
nun nicht eine Schande, wenn wir nicht einmal den Verſuch
wachen, unfer Beifammenfeyn zu Beförderung unferes gegen:
feitigen Nupend oder Vergnuͤgens anzuwenden?’ Hier ſag⸗
.*) Gorgind liebte befonders ſchimmernden Prunk in feinen Res
"ben. Zugleich ein Stich auf Callias, der an Gorgiad Unters
richte ohlgefallen fand.
**) uͤnoͤ TB olive iſt hier mit ue$Veıv verbunden, wie In
Cap. VIII, 21.; nicht mit Pic douevoi.
i Renophon's Gaſimahl. | 665
‚ten nun Mehrere: „So gib du uns eine Unterhaltung at,
durch welche wir am beften dafür forgen könnten?“ „Run
Denn, erwiederfe er, wenn es auf- mid ankommt, ich würde.
mir am liebſten von Calling feine Zuſage *) erfüllen Laffen;
denn er gab uns ja das Wort, wenn wir mit ihm fpeifeten,
wollte er uns Beweiſe von feiner Weisheit geben.” „Das
werbe ich auch, fagte Eallins, wenn auch von end; indgefammt
ein Feder zum Beſten gibt, was er Gutes weiß.’ Gut, vers
feste Socrates, es fchlägt Dieß Keiner ab, das Vorzüglichfte
mifzutheilen, was er zu willen glaubt.” „Nun fo made id)
denn den Anfang, fprach Callias, und gebe euch an, auf Was
id, mis am meiften einbilde: Menfchen getrane ich mir beffer
zu machen.” „Und wie? fragte Antifihenes. Lehrſt du fie
irgend ein Handwerk, oder aber Rechifchaffenheit? — Cal⸗
lias. Iſt die Gerechtigkeit Rechtfchäffenheit? — Antifthes
nes, Ja, und zwar die entfchiedenfte Rechtfchaffenheit. Denn
Tapferkeit und Weisheit befommen hier und da das Anſehen,
als wären fie beiden, den Freunden und dem Gtaate fchäds
lich; die Gerechtigkeit hingegen trifft auch nicht in einer ein⸗
zigen Hinſicht mit der Ungerechtigkeit zuſammen. — Cal⸗
lias. Nun ja, wenn erſt auch von end) ein Jeder angegeben
Hat, was er Nuͤtzliches weiß, dann will ich auch nicht länger
euch die Kunſt vorenthalten, durch welche ich Diefes bewirkte,
Aber fage nun du an, Niceratus, auf welche Kenntniß du
ſtolz biſt!“ „Mein Vater, fagte Diefer, dem daran gelegen
war, aus mir einen tüchtigen Mann zu machen, hieit mich
*) Nach der Lesart amoAaßouu.
664 XRenophon's Gaſtmahl. |
an, faͤmmtliche Gedichte von Homer zu lernen, und jetzt wäre
ich im Stande, die ganze Ilias und Odyſſee aus dem Kopfe
herzuſagen.“ „Weißt du aber nicht, verſetzte Autiſthenes,
daß auch die Rhapſoden *) insgeſammt dieſe Gedichte im
Kopfe Haben? — Nicer. Wie koͤnnte ich Dieß nicht wiſſen,
‚wenn ich fie doch beinahe jeden Tag höre? — Antiſthe⸗
nes, Kennft du nun ein einfältigered Volk, als die Rhapſo⸗
den ?— Nicer. Nein, beim Himmel, wie mir däucht, keines.‘
„Natürlich, es iſt ja auffer Zweifel, fiel hier Socrates ein, daB
fie den tieferen Sinn des Dichters nicht verftehen; allein du
Haft ja dem Steſimbrotus **) und Anarimander und fonft noch
Dielen viel Geld bezahlt, fo daß bir Nichts von Dem, was
viel werth ift, ***) entgangen ſeyn kann. — Wie ift es denn
aber mit dir, Critobulus, auf Was bildeſt du dir am meisten
ein?’ „Auf die Schoͤnheit,“ gab Diefer zur Antwort. ‚Ges
*) Vergl. Erinnerungen B. IV. ©, 2.
**) Steſimbrotus von Thaſus, ein Erklaͤrer des Homer, wie weht
auch. ber fonft unbekannte Anaximander.
+++) av noAAB aElov ſteht offenbar in Beziehuug auf rroA®
. dedonag AEyup:ov, und bedeutet: Was viel Gelb werth
ift, niht: Was überhaupt Werth hat, wie man ed bisher
faßte. Nur fo wird der Scherz ded Socrates verftändfich.
Da aber die ganze Abſicht des Socrates bei diefer Einmi⸗
ſchung ift, den pumpen Angriffen des Antiſthenes auf Nices
ratus ein Ziel zu-fegen, fo paßt auch bie Aufforberung des Gris
tobulus für Niemand beffer, als für inn. Aus einem aͤhn⸗
lichen Grunde ift ihm auch die Aufforderung des Charmided -
im Folgenden beizulegen, fowie noch vorher die bed Anz
tiſthenes.
— BP GE VE VE WE — —
ug
Xenophon's Gaſtmahl. 665
trauſt nun auch du dir, den Beweis zu fügen, *) fragte
Socrates, daß du mit deiner Schönheit im Stande ſeyeſt,
und beffer zu machen? — Erik, Wenn id ja Dieß nicht
baute, würde man mich offenbar. für ungeſchickt halten mifs
fd. — Socr. Und du, auf was bift du flolz, Antiſthenes?
„Bat meinen Reichthum,“ antwortete er. Hermogenes fragte
ihn nun, ob er fo viel Geld beſtze. — Untifth. Bei den
Göttern, auch nicht einen Obolus. — Herm. Ober befigeft
du großes Grundeigenthum? — Antiſth. Für Autolykus
bier würbe es wohl groß genug ſeyn, um darauf zu fechten. —
Sper. So muß man andy dic, noch hören. — Und du, Ehars
mides, anf was bift da ſtolz? — „Ich, antwortete er, auf
meine Armuth.“ „In der That, fagte Socrates, eine herr⸗
liche Sache, Sie ift am wenigften dem Reide ansgefest, und
am wenigſten dem Streite; fle bfeibt Eimem, auch ohne daß
man fie bewacht, und nimmt noch zu, wenn man fi Nichte
um fie befümmert.’ „Nun aber du, fagte Eallias, auf was
biſt du ſtolz, Socrates?“ Dieſer zog ganz feierlich, fein Se—
ſicht zuſammen, und antwortete: „anf die Kupplerkunft.“
Ws fle dann über ihn lachten, fuhr er fort: „Ihr lacht;
aber ganz gewiß, ich wärde ſchweres Gelb einnehmen, wenn
ich von meiner Kunflt Gebrauch machen wollte.” „Du freis
lich, fagte dann Lykon, den Philippus mit Namen nennenb,
*) Nach der Lesart ip 6 Zoxparıg. Denn Dieß fordert
die Stelle C. IV, ı16., welche Ge auf die unſrige bezieht,
Die Lesart ber Haneſchriften und aͤlteſten Auogaben o Io-
xgureg | entſtand ans Mißverſtaͤndniß von TO OO xaAAEı)
weihe Worte aber wie ſchon der Ehlaſsmus lehrt blos
gegen BeArisg quẽg eine Antitheſe bilden.
x
666 » Xenophon's Saftmapl.”
biſt auf dein Spaßmachen ſtolz./ „Mit mehr Recht wenige
ſtens, erwiederte er, wie ich denke, als der Schanfpieler Cal⸗
fippides,*) welcher fid, Wunder was weiß, daß er ein ganzes
Theater bis zu Thränen rühren kann.“ „Nun, fagte jetzt
Antifthenes, wirft nicht auch du ung fagen, Zyklon, auf Was
du ſtolz biſt?“ Lykon antwortete: „Wißt ihr denn nicht
Alle, daß ich es auf dieſen Sohn bin?“ „Und Dieſer, be⸗
merkte Jemand, iſt es natuͤrlich darauf, daß er den Sieg
davon getragen hat?“ Autolykus erröthete, und ſagte:
„Nein, wahrhaftig nicht.“ Alles ſah nun voller Freude, ſeine
Stimme zu hören, nach ihm bin, und Einer fragte ihn:
„Uber auf Was bift du es denn ſonſt?“ Er antwortete:
„Auf meinen Vater,’ und Ichnte fich dabei an Diefen an.
Als Callias Dieß ſah, fagte er: „Weißt du auch, Lykon, daß
du der reichſte Mann von der Welt biſt?“ „Nein, bei Zeug,
fagte Diefer, davon gerade weiß ich Nichts. — Callias. So
iſt dir alfo unbefannt, daß du nicht das Geld des Perfer:
föniges .nähmeft für deinen Sohn ? — Lykon. Sch kann es
nicht mehr laͤugnen; ich bin augenſcheinlich der veichfte Mann
von der Welt.’ „Aber du, Hermogenes, fagte Niceratus,
auf Was thuſt du dir dm meiften zu gute?” Er antıyors
tete: „Auf meiner Freunde Trefflichkeit und Macht, und dars
auf, daß fie bei al ihrer Vollkommenheit dennoch meiner
fidh annehmen 2" Hier fah ihn denn Alles an, und Mehrere
.*) Callippides, ein berühmter Schaufpieler im tragifchen Sache,
zu den Zeiten des Ageſilaus, befonders auch bekannt durch
fein bis in's Laͤcherliche gehendes Streben, Alled genau nach⸗
zuahmen, weßwegen er der Affe (niInxog) genannt wurde.
aM _ — —_ nA
u
Renophon 8 Gaſtmahl. 664 |
fragten zugleich, ob er fie auch ihnen nennen würde. Erer⸗
ſicherte, er werde fie ihnen nicht vorenthalten. "
4. Sofort fagte Sperates: „Sp wäre alfo noch Tübrig,
daß ein Jeder von Dem, was er angegeben hat, auch? nach⸗
wieſe, inwiefern es ſo großen Werth habe.“ „Höret zuerſt
mich an, ſagte Callias. In der Zeit, in welcher Ihr mitein⸗
ander ſtreitet, was Gerechtigkeit ſey, mache Ich die Menſchen
gerechter.” „Und wie Dieß, mein Beſter?“ fragte Socra⸗
tes. — Callias. „Dadurch, daß ich ihnen Geld gebe, in
vollem Ernſte.“ Da erhob ſich Antiſthenes gegen ihn, und
fragte ihn voll Begierde, ihn zu fangen: „Und die Menſchen,
Callias, ſcheinen ſie dir die Gerechtigkeit in der Seele zu
haben, oder im Beutel?“ „In der Seele,“ antwortete Cal⸗
lias. — Anſtiſth. Und dann machſt du ihre Seelen geredh-
ter, indem du ihnen Geld in den Beutel gibſt? — Cal⸗
ldias. Ganz gewiß. — Antiſth. Wie denn, — Callias.
Weil Keiner Luſt hat, durch Begehnng von Verbrechen ſich
der Gefahr auszuſetzen, ſobald er ſich im Stande weiß, um
Geld das Nöthige ſich anzuſchaffen. — Antiſth. Geben fie
dir aber auch wieder zurück, was fie empfangen? — Cal:
Tias, Nein, wahrhaftig, das nicht. — Antifth. Was denn
flatt des Geldes? Dank? — Callias. Nein, wahrhaftig,
auch Diefed nicht einmal; vielmehr find Manche mir noch
mehr feind, als fie es vor dem Empfange waren.” „Sonder⸗
bar, fagte Untifthened, indem er ihn dabei anfah, wie wenn
er ihn jest gefangen hätte, daß du fie gegen Andere gerecht
machen kannft, und gegen dich felbft nicht!" „Und was ift
daran Sonderbares ? entgegnete Callias. Siehſt du nicht
auch Simmerleute und Banmeifter in Menge, die fonft der
a
668 Renophon's Gaſtmahl.
ganzen Welt Hänfer bauen, und doch koͤnnen fie ſich ferhft
feine bauen, fondern müflen zur Miethe wohnen ? Daher ers
gib dic, jegt nur darein, Sophiſte, daß du zur Ruhe verwies
fen wirſt.“ „Ja, in der That, verfepte Socrates, das ſoll
er auch. Den Wahrſagern ſagt man ja nach, daß ſie ihr
eigenes Schickſal nie vorausſehen, ob ſie gleich Anderen die
Zukunft vorher verfündigen.” Und damit hatte dieſes Ge⸗
fpräd) ein Ende. N
Sofort nahm Niceratud das Wort, und fagte: „Höret
nun aud) von mir alte die Stüde, in welchen ihr beſſer wers
ben folk, wenn ihr bei mir in die Schule gehet. Ihr wißt
ja doch wohl, daß Homer, der große Weife, im feinen Gedich⸗
ten faft alles Menfchliche umfaßs hat, Wer daher von eich
ein guter Hauswirth, Volkeredner oder Feldyherr werben will,
oder ein zweiter Achill, Ajax, Neſtor oder Odyſſeus, der gebe
Mir gute Werte: denn diefe Dinge verſtehe ich- alle.’ „Ders
ftehft du auch König zu ſeyn, fragte Antiſthenes, weil bu
den Lobſpruch keunſt, den er dem Agamemnon ertheilte, daß
er ein trefflicher König fey und ein tapferer Gtreiter?
„Ja, und noch dazu, erwiederte er, daß man beim Wagen⸗
Ienten nahe an dem Ziele umwenden muß,
„Selber zugleich fich beugen im fchöngeflocdhtenen Seſſel,
Sanft zur Kinten Hin; und dad rechte Roß bed Geſpannes
Treiben mit Geiffer und Ruf, und ein wenig die Zügel
ihm laſſen.“ *)
Und auſſerdem weiß idy noch etwas Anderes, und ihr
könnut den Augenblick einen Verſuch damit anſtellen:
*) Homer It. XXII, 335. ff. nach Voß.
N
Renophon's Safmahl a 669 -
‚Homer fagt nämlich irgendwo: *)
— — und Zwiebel, Braten zum Trunte. re
Wenn daher Jemand Zwiebel bringt, fo werdet ihr den Au⸗
genblick wenigftend in diefer Hinſicht Gewinn von mir haben;
denn das Trinken wird euch befier ſchmecken. Da fagte Char⸗
mides: ‚Ihr Leute, Niceratus wünfcht darum mit einem
Swiebelgeruche nach Haufe zu kommen, damit feine Frau
glgube, ed wäre Riemanden eingefalfen, ihn zu küſſen.“ „Ja
gewiß, fagte Socrates; aber wir find in Gefahr, in einen
andern luſtigen Verbacht zu fommen. Die Zwiebel ***) ſchei⸗
nen naͤmlich wirklich die Eigenfchaft eines Braten zu befigen,
fo weit Dieß bei ihnen möglich ift, da fle ja nicht nur bie
Speifen, fondern aud) den Trank fchmadhafter machen. Wenn.
wir num folche auch nach dem Effen genießen, fo möchte es
heiſſen, wir fegen zu Callias gefommen, um uns wohl feon -
zu laſſen.“ „Ber Leibe nicht, Socrates, fagte Callias. Wenn
&iner in den Kampf zieht, darf er wohl Zwiebel nafchen, fo
gut, wie Manche die Hähne vorher mit Lauch füttern, uud
dann erft an einander laſſen. Wiewohl wir legen ee, wie es
Scheint, eher darauf an, Andere fu küſſen, als zu kaͤmpfen.“
Und fo ungefähr hörte diefes Gefpräd auf.
*) Juas. 1,651.
**) Der Ausdruck iſt offenbar zu modern, aber der verſtaͤndlichſte
und woͤrtlichſte, der namentlich wegen der folgenden Steile
coög xE0LVOV Ye gewaͤhlt werben mußte. |
***) Es iſt hier ganz der Tert der Handſchriften und aͤtteſten
Andgaben beibehalten, außer daß mit Wottenbach 6 övroc
fr ovuroc geleſen, und vor OU nad @g xoEOLVOV ys
das Nelativum 0 eingefent wird.
4
670 Xenophon's Gaftmahl. |
„Sol nun nicht Ich die Gründe angeben, rief jebt Cri⸗
tobulus, aus welchen ic auf meine Schönheit flolz bin.‘
„Gib fie nur an,‘ hieß es. — Critobulus. „Nun denn,
wenn ich nicht fchön bin, wie ich mir fchmeichle zu feyn, fo
möchtet”ihr mit Recht Betrugs halber zur Strafe gezogen
werden, ba ihr, ohne daß euch Jemand zum Schwören auf:
fordert, immer fchwöret, ich fen fchön. Jedoch auch ich glaube
e8; denn ich ‚halte euch für ehrliche und biedere Männer.
Bin ich aber in Wahrheit fchön, und mache ich auf euch den⸗
ſelben Eindruc, wie Der, welchen ic) ſchön finde, auf mid,
fo fchwöre ich bei allen Göttern, ich nähme nicht das Reich
bes Perferföniges für den Vorzug, fchön zu feyn. Denn
gegenwärtig betrachte ich den Clinias *) mit größerer Luft,
als alles andere Schöne in der Welt; und lieber wollte ich
für alles Andere blind feyn, als für den einzigen Clinias;
ich bin mit Nacht und Schlaf unzufrieden, daß fle feinen
. Anbri mir entziehen, und weiß dem Tage und der Sonne
nicht genug zu danken, daß fie mir den, Clinias zu fehen ges
ben. Indeß wir Schöne dürfen aud, darauf flolz feyn, daß,
wenn ber Starke, um feine Wünfche zu erreichen, arbeiten,
der Tapfere Gefahren beftehen, und ber Weile das Wort ges
brauchen muß, der Schöne auch ohne ſich zu rühren, Alles
ausrichten Fann. Sch wenigſtens, fo gut ich das Angenehme
eines Gutes, wie. das Geld erkenne, würde dennoch lieber,
was idy habe, dem Clinias geben, als noch einmal fo viel
von einem Andern nehmen; würde lieber ein Sclave ſeyn,
als ein Freier, wenn Elinias mein Herr feyn wollte; denn
*) Clinias, der jüngere Bruder des Meibiades.
Kenophon's Gaftmapl. 671
mich anzuſtrengen, wäre mir für ihn feichter, als auszuruhen,
und für ihn Etwas zu wagen, ſüßer, als in Sicherheit zu
leben. Wenn daher du, Callias, darauf ſtolz biſt, daß du
Andere für das Recht gewinnen kannſt, ſo habe ich noch grö⸗
ßeres Recht als du, ſie zu jeder Tugend anzuleiten. Denn
durch die Begeiſterung, die wir Schöne den Verliebten ein⸗
flößen, erwecken wir bei ihnen größere Freigebigkeit mit dem
Gelde, größere Luft zu Anftrengungen und lebhaftere Ehr⸗
tiebe in Gefahren, ja fogar größere Sittfamkeit und Ents
haltſamkeit, da fie ſelbſt vor Dem fich ſcheuen, wozu fle die
ftärften Zriebe empfinden. Und auch Diejenigen find Tho⸗
ven, welche nicht die Schönen zu Feldherren wählen. Ich
einmal würde mit Elinias feLbft durch's Feuer gehen, und
ic) ftehe dafür, auch ihre mit mir. Deßwegen darfft du nicht
mehr zweifeln, Socrates, ob meine Schönheit die Welt Et:
was nüben werde. Ja auch nicht einmal in fofern darf man
die Schönheit gering ſchaͤtzen, als ob fie ſchnell verblühte,
Denn fo gut der Knabe ſchön ift, iſt es auch der Tüngling,
der Mann und der Greis. Sum Beweiſe dient: zu Thallo⸗
phoren *) für Athene [Minerva] wählt man die fchönen
Greife, offenbar in der Vorausſetzung, daß die Schönheit eine
jedes Alter begleitende Eigenfchaft fey. Und wenn es ange-
nehm ift, mit dem guten Willen Anderer zu erhalten, was
man wünfcht, fo ftehe id) dafür, daß auch in dem gegenwärs "
tigen Falle ich, ſelbſt ohne ein Wort zu reden, den Knaben
*) Thallophoren waren Diejenigen, welche den feierlichen Zug,
" in welchem man an ben großen Panathenden den Peplos ber
Goͤttin umhertrug, mit Dehlzweigen ih ber Sand eröffneten.
672 XRenophon's Gaſtmahl.
hier und das Mädchen ſchueller dazu brächte, mich zu kuͤſſen,
als Du, Socrates, wenn du auch al’ beine Weisheit Jaufbö⸗
‚tet. „Was gibt's da? fiel ihm hier Socrates in die Rebe;
willſt du auch fchöner ſeyn als ich, daß du folchen Lärm von
bir machſt?“ „Verſteht ſich, ja, erwiederte Eritobulns, oder
ich müßte der haͤßlichſte feyn unter allen Silenen *) an ben
Satyrſpielen.“ **) Socrates hatte naͤmlich auch? wirkliche
Aehnlichkeit mit diefen. „Wohlan, verfebte Socrates, daß
du nicht vergißft, den Streit wegen der Schönheit mit mir
auszumachen, wenn bie angefangenen Gefpräcde herum find.
Der Schiedsrichter zwifchen uns fey aber nicht Alexander,
des Priamus Sohn, ***) fondern eben Diefe, die nach deiner
Meinung barnadı gefüftet, dich zu küſſen. — Eritob. Und
ben Clinias, Socrates, möchteft du nicht dazu nehmen? —
Socr. Wird es denn Fein Ende nehmen, baß du bes Cli⸗
nias gedentft? — Eritob. Und meinft du, mean id) ihn
nicht mit Namen nenne, gedente ich feiner weniger? Weißt
du nicht, baß ich ein fo lebendiges Bild von ihm in meiner
Seele trage, daß ich, wenn ich mich aufs Formen oder aufs
Malen verflände, ihn eben fo gut nach diefem Bilde getroffen
*) Silenen, ditere Satyre, welche mit einem Kahltopfe, einge:
druͤckter Naſe, und dickem Bauche vorgeftellt wurben.
++), Satyrſpiele, eine Art ſcherzhafter Tragoͤdien, welche an den
hohen Feſten nach den tragiſchen Trilogien zur Erholung
und Beluſtigung des Publikums aufgefuͤhrt wurden. Satyre
und Silene ſpielten dabei auf der Buͤhne mit.
—* Alexander, ſonſt Paris, der bekanntlich, als Venus, Juno
und Minerva ſich um den goldenen Apfel als Preis der
Schoͤnheit ſtritten, zum Schiedsrichter aufgeſteut wurde, und
den Apfel der Venus zuerkannte.
Zenophon’s Gaſtmahl. | 673
haben wärbe, als wenn. ic, ihn ſelbſt vor mir gefehen hätte? —
Socr. Nun, wenn du ein fo getreues Bild Haft, für was
Läffeft du mir doch Feine Ruhe, und ſchleppſt mid, hin, wo
bu ihn Teibhaftig zu fehen hoffſt? — Eritob, Aus dem ein-
fachen Grunde, Socrates, weil der Anblid von ihm ſelbſt
Genuß iſt, der Anblick feines Bildes hingegen, ohne Genuß
zu gewähren, nur Sehnſucht einflößt.“ Hier ſagte Hermo⸗
genes: „Ich muß geſtehen, Socrates, ich kann es auch an
die nicht billigen, daß du den Eritobulus fo gleichgültig kannſt
wor Liebe raſen ſehen. — Socr. Meinſt du denn, er ſey in
dieſen Zuſtand gekommen, erſt ſeitdem er mit mir Umgang
Hat? — Hermog. Und warn ſonſt? — Socr. Siehſt du
nicht, daß Dieſem eben erſt der Flaum an den Ohren herab⸗
ſchleicht, waͤhrend er bei Clinias bereits ſich nach hinten hin⸗
aufzieht? Es ging daher Diefer in dieſelbe Schule, wie Se:
ner, und bamals enfbrannt: feine Neigung mit ſolcher Hef:
tigkeit. Der Vater merkte Dieb, und übergab ihn mir, ob
ich ihm etwa helfen könnte. Und allerdings flcht es bereits -
weit beffer. mit ihm. Denn früher war er gerade, wie Die,
welche bie Gorgonen;*) anfehen: verfteinert fah er nady ihm, .
verfteinert ging er nirgends von ihm weg; jetzt hingegen habe
ich ihn fchon fogar mit den Augen blinzeln fehen, Gleichwohl
bei den Göttern, ihr Leute, er ſcheint mir, unter ung gefagt,
den Elinias fchon geküßt zu. haben, und einen gefährlicheren |
under ber Liebe gibt. es gar nicht; denn ex jſt unerſättlich
) Gorgonen, drei Schweftern, Töchter des Phortys, mit Schlan:
genhaaren, vor deren Anblicke Jedermann zu Stein erſtarrte.
Befonderd bekannt ift im dieſer Gigenfchaft Cine derſelben
Medufe,
Kenophon. 58 Bochn. | 8
674 Xenophon's Gaſtmahl.
und gewaͤhrt gewiſſe ſuͤße Hoffnungen. Und vielleicht macht
auch der Umſtand, daß von allen Handlungen die gegenſei⸗
tige Berührung mit dem Leibe allein mit der gegenſeitigen
Liebe der Seelen *) gleiche Benennung hat, die eritere ehr⸗
barer. Darum iſt meine Behauptung,; Wer da folle befons
nen ‚bleiben Fönnen, der müffe ſich des Küffend ber Schönen
enthalten.’ „Aber für Was doc, Socrates, fiel hier Char⸗
mides ein, fuchft du und Freunde durch ſolche Schreckbilber
von den Schönen wegzuſcheuchen, und dich ſelbſt ſah ich doch,
bei’'m Apollo, als ihr bei dem Alphabetmeiſter Beide in dem⸗
ſelben Buche fuchtet, den Kopf an dem Kopfe und die nadte
Schulter an der nadten Gichufter des Eritobulns haben?
„Ach, entgegnete Soerates, dafür empfand ich auch, gleich ale
wäre ich von einem wilden Thiere gebiffen, mehr denn fünf
Tage fang Schmerzen in der Schulter, und im Herzen meinte
ih Etwas, wie ein Juden zu haben. Aber jest, Eritobulus,
fünde ich dir vor al diefen Zeugen,an, mich nicht anzurüh⸗
ven, bevor du denn am Sinne ebenfo behaart bift, wie auf dem
Kopfe.“ Und fo wechfelte bei Diefen Scherz und Craft mite
- einander ab.
Callias aber vief: „Es ift an Bir, Charmides uns zu
ſagen, warum du auf deine Armuth ſtolz biſt.“ „Muß nicht
zugegeben werden, fing daher Dieſer an, daß es beſſer iſt,
gutes Muthes zu feyn, als in Augſt, und frei zu ſeyn, as
in der Knechtſchaft, und fich ſchmeicheln zu laſſen, aid Ande⸗
*) Yinfpielung auf die boppelte Bedeutung des Griechiſchen @e--
Asiv, welchem ner „lieb Haben’ in der Rinberfprache ent⸗
ſpricht.
..n
Eenophon's Gaftmahl. 675
ren zu ſchmeicheln, und in gutem Zutrauen bei. ſeinemVa⸗
terlande zu ſtehen, als in ſchlechtem? Nun leble ich hier in
dieſem Staate, ſo lange ich reich war, erſtens in ſteter Ungft,
es möchte mir Einer in mein Haus einbrechen und mein Geld
nehmen, und mir gar noch ſelbſt Leid zufügen; ſodann mußte
ich noch den Sycophanten ſchmeicheln, weil ich einſah, daß
ich in meiner Lage cher verfolgt werden konnte, als fie vers
folgen. Denn befohlen, wurde mir wohl immer vom Staate,
bafd diefen, bald jenen Aufwand für ihn zu beftreiten, aber
anderswo meinen Aufenthalt zu itehmen, war mir. nicht ers
laubt. Fest hingegen , ſeitdem id) meine auswärtigen Bes
figungen verloren habe, *) von denen ich im Intande Nichts
beziehe, und mein Hansgeräthe verkauft ift, jest ſtrecke ich
mich der Zänge nach aus und fchlafe vortrefftich; ich beſige
Zutranen bei der Bürgerfähaft, und werde nicht mehr bedroht,
fondern ich drohe nunmehr Andern, und kam als ein freier
Mann meinen Aufenthalt auswärts und in der Heimath neh⸗
men, wie ich will; ja nunmehr ſtehen die Reichen ſogar vor.
mir von ihren Sisen auf, und gehen mir and dem Wege,
wo id) wandle. Jetzt bin ich gleich einem Fürften, während
ich Damals ein offenbarer Knecht war, und wenn damals ich
dem Volke Abgaben bezahlte, fo iſt jetzt der Staat mir zins⸗
bar und ernährt mich. Auch wegen Socrates ſchimpfte man
auf mich, fo Tange ich reich war, daß ich mit ihm Umgang
hatte; jest, feirdem ich arm bin, bekümmert man ſich auch
nicht einmal mehr darum. Noch mehr, fo lange ic, Viel hatte,
verlor ich immer Etwas, theild durch den Staat, theils durch
*) Darch den Peloponneſiſchen Krieg, f. Erinner. 3.1, €. 8.
8
—
676 Zenophon’d Gaſtmahl. _
‚die Umftände; jest hingegen verliere ich Nichts (denn ich
Habe nicht einmal Etwas zum Derlieren) und hoffe im Be:
‚gentheil immer noch Etwas zu bekommen.“ „Beteſt du alfo
nicht auch darum, niemals reich zu werden, fragte Callias,
amd opferft den Apotropäen,“) wenn dir auch nur im Zraume
ein Glück erfheint?‘ „Nein, antwortete Charmides, das
thue ich doch nicht; ich harre vielmehr ganz unerfchroden
aus, wenn id) irgend woher Etwas zu befommen hoffe.‘
‚Uber wohlan, fagte Socrates, fage num du ung, Ans
tifipenes, wie du bei dem Wenigen, was du haft, dir fo viel
einbildeft auf Reichthum? — Antifth. Ich denke, Freunde,
daß der Menſch. Armuth und Reichthum nit im Haufe
Habe, fondern in der Seele. Denn die Erfahrung zeigt ung
eine Menge Bürger, die bei vielem Gelde und Vermögen
fo arm zu feyn glauben, daß fie jeder Anftrengung und jeder
‚Gefahr fich unterziehen, um noch mehr zu erwerben; fo gar,
Daß ſelbſt von Brüdern, die zu gleichen Theilen geerbt haben,
es dem Einen überall fehlt, während ber Andere genug und
ueoch Ueberfchuß über feinen Aufwand hat. Und and) von
Fürften hört man, die ibrerfeitd fo nach Geld dürften, daß
fe. noch weit Aergeres ſich erlauben, als der dürftigfte
Menſch. Denn aus Mangel ſtiehlt wohl Mancher, oder er
Sricht in die Häufer ein, oder verkauft einen Freigebornen in
die Selaverei; aber unter den Fürften gibt es foldhe, die
‚ganze Yamilien zu Grunde richten, ‚alle Glieder derſelben
— —
*) "Anorponaloı, Averrunci, hießen Zeus und Apollo vei
den Griechen, ſobald fie Gefahren und Unfälle abwenden ſoll⸗
sen. Aus gleichem Grunde hieß Heraces "AAsElxaxog-
ur Xenophon's Gaſtmahl. 677
miteinander hinmorden, und oft fogar ganze Städte dem
Gelde zu Liebe in die Sclaverei verkaufen. Mit diefen Mens
fchen habe ich nun inniges Mitleiden ihrer gar zu fchweren
. Krankheit wegen. Denn fie fcheinen mir gerade fo daran zu
feyn, wie wenn Einer viel vor ſich hätte ) und viel äße,
und doch nie voll würde. Ich dagegen habe fo viel, daß id}
ed kaum felbft zu finden weiß; dennoch bleibt mir fo viel
übrig, um bei'm Effen ed dahin zu bringen, daß mid nicht
mehr hungert, und bei'm Trinken dahin, daß mich nicht
mehr dürfte, und um mic, fo zu Beiden, daß ich aufferhalb-
des Hauſes “fo wenig, ald unfer Callias mit allen feinen
Reichthümern, frieres und bin idy zu Haufe, fo finde ich im-
meinen Wänden ganz warme UnterBleider, und ganz dide
Dberleider in meinen Zimmerdeden. Mein Lager ferner
iſt fo zu meiner Zufriedenheit, daß man Mühe hat, mid nur
aufzuwecken. Und hat einmal mein Körper audy das DBedürfs-
niß der Liebe zu Megen, fo ift mir die nächfte befte Gele⸗
genheit fo gut genug, daß eine Jede, an die id) mid) wende,
mich mit Freundlichkeiten überhäuft, weil fonft Niemand
Luft bat, fihh an fie zu machen. Und dieß Alles finde ich
denn fo angenehm, daß ich größeren Genuß bei Befriedigung
jener Bedürfniffe gar nicht wünfchte,, fondern kleineren; fo
fehr finde ich Einiges davon angenehmer, ‚als nützlich if. Für
das vorzüglichite Gut unter meinem Reichthum halte idy
übrigens jenes, daß, wenn mir Einer-audy nähme, was ich
jest habe, ich Bein fo fchlechtes Gewerbe kenne, weiches mir
+ Mit Beibehaltung der alten Leart, noAAG. Exav, xal
noAMa dIlan. .
—— — — — —
%
678 Renophon s Gaſtmahl.
nicht hinreichendes Auskommen gewährte Denn wenn ic
mir wohl ſeyn laffen will, fo Baufe ich mir nicht-Foftbare Ga:
hen vom Markte; Dieß Fäme theuer; fondern ich hole mir
meinen Genuß bei meinem Appetit, und es fchmedt mir ohne
Vergleich beffer, wenn ich zuvor das Bedürfniß abwarte, und
dann erft Etwas zu mir nehme: als wenn id mid) Eoftbarer
Sachen auf die Urt bediene, wie ich jett, ohne zu dürften,
den Thafifchen Wein *) hier trinke, weil ich gerade dazu gekom⸗
men bin. Ga, auc weit gerechter müffen Diejenigen ſeyn,
welche mehr anf Einfachheit in ihrer Xebensart, als auf den -
Beſitz eines großen Vermögens ausgehen. Denn je mehr
“ Einer fih an Demigenügen läßt, was er gerade hat, deſto
weniger gelüfter ihn nach Syremdem, Es darf ferner nicht
vergeffen werden, daß ein folcher Reichthum auch freigebig
macht. Denn Goirates hier, von bem id) ihn erworben, hat
mir ihn weder zugezählt, noch zugewogen, fondern fo viel
ich fragen Eonnte, mir jederzeit gegeben; und auch ich bin
Damit gegen Niemand karg; ich gebe vielmehr allen Freun⸗
ben nieht nur den großen Vorrath zu fehen, fondern, Wer
‚da wid, dem theile ich auch mit von dem Reichthum in
meiner Seele. Endlih auch an dem Tieblichftien Gute von
‚allen, an der Muße, fehlt es mir, wie ihr fehet, niemals;
id) kann fehen, was fehenswerth, hören, was hörenswerth
ift, und was mir über Alles geht, ich kann bei Socrates
meine Muße den Tag äber zubringen. Und auch Diefer
Huldige nicht Denen, weiche am meiften Gerd besahfen, fon:
2) Der Thaſiſche Weln- war im Alterthume beruͤhmt, namentlich
durch feinen Wohlgeruch. Cr Hatte feinen Namen von Tha—
fus, einer Inſel des Aegaͤiſchen Meeres nahe hei Thracien.
Xenophon's Gaſtmahl. 679
dern, Wer ihm erft gefält, mit dem geht er immer um.’
So ſprach Antifthened. „Bei der Hera, ſagte Callias darz .
auf, ich beneide dich um deinen Reichthum, und wäre ed auch
ur bewegen, daß weder der Staat dir Laſten auflegt, und
wit dir, wie mit einem Schauen fchaltef, noch die Leute bir
zürnen, wenn du ihnen. nicht borgſt.“ „O, verfebte Nicera-
tus, beneide ihn nicht, denn ich werde non ihm die Kunſt
borgen, Nichts von Anderen zu bebürfen, dba ich alfo vom
Homer zählen *) gelernt ;
„Zehen Talente des Goldes, dazu preifäßiger Keſſel
Sieben, vom Feuer noch rein, und zwanzig ſchimmernde Becken,
Auch zwoͤlf maͤchtige Roſſe.“
ganz nach Zahl und Gewicht; denn recht großer Reichthum
iſt mein ewiger Wunſch, und Die ift wohl audy der Grund,
warum mic. Manche für ein wenig geldluſtig haften.’ Hier
Kachte nun Alles laut auf, weil man’ dachte, er habe die
Bahrheit geſagt.
Sofort fagte Einer: „Es ift an dir, Hermogenes, ſo⸗
wohl die Freunde zu nennen, Wer ſie ſind, als den Beweis
*) as IX, 122. 264. In: ‚ber Interpunktion ift hier von dem
Ausgaben abgewihen. Erw nenadsvusvog ift vom
‚ npogdeidaı nur durch ein Comma geivennt, und mit 75
- daveıoauevog verbunden; sadıp xal aearduo ift
als Epexegefe von Bro noch zu Kor duETv gezogen, und
vom Folgenden durch einen Punkt getrennt. Bon Homer hat
Niceratus nicht blos zählen, fondern große Reichthuͤmer zaͤh⸗
len gelernt, und darin liegt zugleich ein Gegenfau gegen bie
Art, wie Antifihenes feinen Reichthum von Socrates erhielt,
nämlich weder zugezaͤhlt noch zugewogem. _
x
680 | Zenophon’s Gaſtmahl.
zn führen, daß fle wirklich viel vermögen und ſich deiner au⸗
nehmen, ‚damit wir fehen, mit weichem Rechte dn auf fie
ſtolz biſt.“ Her mog. „Nun daß fowohl Hellenen ald Bars _
baren glauben, bie Götter wiffen Alles, das Gegenwärtige
und das Zukünftige, Dieß ift offenbar. Alle Staaten wenige
ftend und alle Völker befragen die Götter mittelft dev Wahre
fagetunft, Was fie thun und nicht thun follen. Und aud)
daß wir annehmen, fie können fowohl helfen als ſchaden,
auch Diefes iſt fiher ; Altes bittet wenigſtens die Götter, das
Schlimme abzuwenden und dad Gute zu gewähren. Diele
Götter num, die Altes willen, und Alles vermögen, find mir
fo gewogen, daß fle mich aus lauter Fürforge für mid) nies
mals’ *) aus dem Auge verlieren, weder bei Tage noch bei’
Nacht, ich mag hingehen, wohin ich will, und mag thun,
was id wi, und weil fie auch die Folgen von Allem vors
ber wiffen, fo fenden fie mir Stimmen, Zräume und Vögel
als Boten zu, und deuten mir durd) diefe an, was ich thun
fol und was nicht. Folge ich dann diefen, fo habe id) es
nie zu bereuen; aber ich war ihnen auch fchon ungehorfem,
und dann wurde ich dafür gezüchtiget.“ „An diefem Allem
laͤßt ſich freilich Nichts bezweifeln, fagte hierauf Gocrates ;
aber etwas Anderes möchte ich gerne hören: wie du die Göt⸗
ter ehreft, daß fie dir fo gewogen find.” „In der That, ers
wiederte Hermogenes, ganz einfach. Ich preife fie, ohne daß
ed mic, Etwas Eoftet; von Dem, was fle geben, bringe ich
ihnen wieder dar, vermeide foniel möglich Reden, die ihnen
mißfältig find, und habe ich fie bei Etwas zu Zeugen anfges
+) Nach Homer Jlias X, 278. ff.
Zenophon’s Gaftmahl. 68:
forbert, fo trüge ich mit Willen nie.’ „In Wahrheit, ſagte
Socrates, wenn fie bei einem-folchen Derhalten dir gewogen
find, fo. müflen auch die Götter an Rechtſchaffenheit Gefallen
finden,’ Diefed Gefpräh nun hatte angegebener Maßen
einen ernſthaften Character.
Als ſie aber an Philippus kamen, fragten ſie ihn, was er
denn an der Spaßmacherei finde, daß er auf ſie ſtolz ſey. „Habe
ich nicht allen Grund dazu, entgegnete er, wenn doch Alle,
weil fie wiſſen, daß ich ein Spaßmacher bin, bei fröhlichen
Deranlaffungen mich gleich einladen; wenn ihnen aber etwas
Schlimmes zuftößt, ohne fich umzufehen, vor mir fliehen, aus
lauter" Surcht, fie möchten wider ihren Willen Lachen müſſen.“
„In der That, verſetzte Niceratus, da haft du freilich alle,
Urfache, ſtolz zu feyn. Denn mir gehen im Gegentheile von
meinen Freunden Diejenigen, welche glücklich find, aus dem
= Wege; Die hingegen, welden ein Unglüd widerfahren ift,
rechnen mir ihre Verwandtſchaft vor, und gehen mir gar nie
von der Seite.”
„Gut, fagte Charmides ‚ aber bu, Spracufer, auf Was
bift du ſtolz? Natürlich auf den Knaben ?“ ‚Nein, wahrs
baftig nicht, erwiederte Diefer; ich bin ſogar vielmehr feinet-
wegen in Sorgen. : Deun ich weiß von inigen, bie ihm
nachftelien, um ihr zu verderben.‘ „Heracles, fagte Socra⸗
tes, wie er Dieß hörte, womit *) fol fie denn der Knabe fe
fchwer beleidigt haben, daß fie ihn tödten wollen? — Syra⸗
enfer. Ach, nicht eben tödten wollen fie ihn, fondern ihr
bewegen, bei ihnen zu fchlafen. — Socr. Du meinft alfe,
*) Nach Homer Jlias IV, 31 — 33.
682 Xenophou's Gaftmahl.
wie es fcheint, wenw Dieß gefchähe, würbe er verberbt wor⸗
den? — Syrac. Ia, von Grund aus. — Socr. Du ſchlaͤfſt
alſo ſelbſt auch nicht bei ihm? — Syrac. D ja wohl, ganze
Nächte und ale Naht. — So er. In Wahrheit ein großen .
Glück, deffen du dich zu erfreuen haft, eine folche Haut von
der Natur zu haben, daB hu allein Diejenigen nicht ver:
derbft, die bei dir fchlafen. Wenn daher aud auf nichts
‚ Anderes, fo dürfteft du ſchon auf deine Haut ſtolz ſeyn. —
Shrac. Ach nein, Dieß ift es nicht, worauf ich ſtolz bin. —
Socr. Auf was bift du es deun font? — Syrac. Auf die
Thoren, fo wahr Zeus iſt; denn dieſe fehen meine Ganke-
feien an, umd geben mir dafür zu leben.” ‚Das war es
alfo, verſetzte Philippus, warum ich dich auch renlich die
Götter bitten hörte, daß fie recht viel Frucht gerathen. lafſen
möchten und wenig Verſtand.“ *) |
Genug damit, fagte Callias; aber di, Socrates, Was
kannſt du dafür anführen, daß du mit Recht flolz ſeyeſt auf
. die fo unrühmliche Kunſt, die du nannteſt?“ Wir wollen zu⸗
erſt ung darüber verftändigen, fagte Diefer, welches die Der:
richtungen eines Kupplers feyen; Fragen, die ich machen
werbe, beantwortet mir daher ohne Zögern, damit wir wife,
wie weit wir miteinander einverflanden find. Iſt es auch
euch fo angenehm?‘ Sie fagten: ‚Allerdings‘ und wie fie
ed Einmal gefagt hatten, fo gaben fie ſaͤmmtlich auch ferner,
*) poevav Ö2 dgopier. Daß Dieb ſich auf den Eyracuſer
ſeibſt, nach der Abſicht bes Phitippuß, beziehen ſolle, wie
Meiste meint, macht ſchon unfere Stelle feldft, befonders
‚aber die Vergleichung von Erinnerung. 8. III. ©, 14. un⸗
wahrſcheinlich. Aber xcono dpdovia bezieht ſich auf ihn.
‘ —
Renophon's Gafimahl. 63
Yin Dieb zur Antwort, — Socr. „Scheint euch num nicht
zu den DBerrichtangen eined guten Kupplers zu gehören, zu
machen, daß bie Perfon, weldye er verkuppelt, fey es nun
" eine Sie oder ein Er, je Denjenigen gefalle, mit welchen fie
zuſammenkommt? — Alle. Allerdings. — Socr. Iſt nicht
ein nothwendiges Stüd, um zu gefallen, daß man. in Haar⸗
putz und im Tragen bes Kleides den Anſtand beobachte? —
Alle. Allerdings. — Soer. Wiffen wir nicht auch, daß
man mit denfelben Augen Audere ſowohl freundlich als böfe
anblicken kann? — Alle: Allerdings. — Socr. Und kann
man nicht auch mit derfelben Stimme eben fo gut fanft als
derb reden? — Alle. Allerdings. — Socr. Gibt es ferner
nicht Neden, welche Feindſchaft, und wieber andere, welche '
Freundfchaft erwecken? — Alle. Allerdings. — Socr. Wirb
num nicht ein guter Kuppler von dem Genannten dasjenige
lehren, was zum Gefallen gut ift? — Alle Allerdings, —
Bocr. Und welcher würde dann ber Beſſere ſeyn, Derjenige
welcher nur Einem gefällig machen kann, oder Derjenige,
welcher auch Dielen?” Hier theilten fie fi, und die Einen
fasten ? „Offenbar Derjenige, welcher Andere recht Vielen ge:
faͤllig machen kann.“ Die Undern aber blieben bei ihrem „Al⸗
ſerdings.“ *) „Auch Dieb bejaht ihr? fuhr Socrates fort.
Wenn Einer aber machen Eönnte, daß man fogar der ganzen .
*) D. h. fie bejahten ganz gebantenlod die Trage auf dies
ſeibe fteveotgpe Weife, wie bisher. Im Bolgenden ift dan
örTı als blos die directe Nebe einführend, und OlLoAoyeiras
nicht von dem Ginverftandenfenn Aller, fondern von der Ber
jahung ber Frage durch einen Theil der Geſellſchaft genom:
men, Nothwendig ift dann aber ber Gay ein fragender.
684 XRenophon's Gaſtmahl.
Bürgerfchaft gefiele, wäre nicht dieſes nunmehr vollkommen
ein guter Kuppler? — Alle. wieder: Unleugbar in der
That. — Socr. Wenn num Einer es bei den ihm Anver⸗
tränten fo weit bringen koͤnnte, follte Der nicht alled Recht
haben, auf feine Kunſt ſtolz zu feyn, und alles Recht, ſich
großen Lohn bezahlen zu laſſen?“ Da auch damit Alle ganz
einverftanden waren, fo fuhr er fort: „In diefer Kunſt ſcheint
mir allerdings unfer Antiſthenes Meifter zu ſeyn.“ „Mir,
Socrates, verſetzte Diefer, trittft du deine Kunft ab? —
Socr. Fa in der That. Ich fehe ja, daß du auch bie dazıs
gehörige dir zu eigen gemacht haſt. — Antiſth. Welche
meint Du? — Socr. Die Kunft des Zuführens.“ Ganz
beleidigt fragte jebt Antifthenes: „Und Was weißt du der
Art von mir, Socrates? — Socr. Ich weiß, daß bu den
Callias bier dem weifen Prodikus zuführteft, wie tu ſaheſt,
daß Callias Verlangen nad) dem Studium der Weisheit em⸗
pfand, und Jener Geld brauchte; ich weiß weiter, daß dur
ihn dem Eleer Hippias zuführteft, von Welchem er aud) die
Gedaͤchtnißkunſt erlernte; und eben daher ift er auch noch
‚ verliebter geworden, weil er nie wieder vergißf, was er
Schönes gefehen hat.Erſt neulich lobteſt du aud) gegen mid
ben Fremdling von Seraclen, ) und wie du mid, lüſtern ges
macht hatteſt, ihn Kennen zu lernen, machteft bu ihn mit mir
-befannt. Und ich weiß ed dir wirklich Dank; denn er fcheint
mir ein guter und rechtſchaffener Mann zu fen. Lobteſt du
ferner nicht den Aeſchylus von Phlius “) gegen mich und
*) Son ber Dialer Zeuxippus ſeyn, den Plato im Protagoras
erwaͤhnt. Andere denken an Zeurie.
*) Von dem Tragirer verſchieden, und ſonſt unbekannt.
N
MR
Zenophon’s Gaftmahl. 685
mich gegen ihn, und bradhteft uns dadurch fo weit, daß wir auf -
deine Ausfagen bin vor lauter Derliebtheit einander nachlie⸗
fen, wie der Jäger dem Wilde, um und zu treffen ? Darum
alfo Kalte ich dich für einen guten Suführer, weil ich did)
ſolche Proben deiner Kunft ablegen ſehe. Denn Wer das
Talent hat, Diejenigen zu erkennen, welche einander nützlich
feyn werden, und Diefe dann nacheinander lüſtern zu machen
weiß, der fcheint mir fowohl Staaten miteinander befreunden,
als paſſende Ehen ftiften zu können, und ihn zum Freunde
. und Bundesgenoffen zu befiten, muß für Staaten wie für
Einzelne +) das größte Glück feyn. Und du zürnteft mir,
als wäreft du befchimpft, Daß ich dich eimen guten Zuführe-
nannte!” „Aber doch jegt nicht mehr, erwiederte Antiſthe⸗
ses. Denn wenn ich bdiefes Talent befise, fo wird meine
Seele mit Reichthum über und über angefüllt feyn.” Und
“ damit hatte diefes Rundgeſpraͤch ein Ende.
*) Die geroöhnliche Lesart ſcheint hier verborben zu feyn. Im
der Ueberſetzung ift voraudgefegt, daß der urfprängliche Text
gelantet habe xai noAeoı xal ldiwrmıg Pilog xal
GUuNaYXoc xexrndar, womit zu vergleichen Griechiſche
Gefchichte B. 11. E. 5. 5. 14. dEıor NOAAB OVuuaxor
‘äuelvorg doev. Sonft verbindet Renophon wohl plAoı
xal ovumaxoı, und wieber smoAsg nal piAory aber
weder noAsız al PlAos, noch alle drei xal TuAcıg
xai glAoı xal ovunayoı, wie denn Aud dieſe letzte
Verbindung feinen Sinn hätte. Dagegen fteht gegenüber von
id.ötaı auch sroAsıg in der Mehrzahl, Erinner. B,11.€.6..
und wie Idsaraıg ausgefallen, fo bald einmal plAoıg nei
ovumanoıg gelefen wurde, erklaͤrt ſich leicht.
686 Xenophons Gaſtmahl.?
5. Da ſagte Callias: „Wie iſt es aber mit dir. Erito⸗
bulus?, Stellſt du dic zum Wettſtreite in der Schoͤnheit
gegen Socrated nicht ?“ „Ja, du haft Recht, verſeßte Se:
crates. Er flieht ohne Zweiſel, daß der Kuppler bei den Rich⸗
tern in Gunft ſteht.“ „Und dennoch, entgegnete Eritobntus,
ziehe idy mic, vor dir noch nicht zurück; bemeife nur, wenn
du kannſt, daß du fchöner Teyeft, als ih.” Socr. „Wan
bringe wur die Lampe näher herbei, — Bor Allem alfo, fuhr
er dann fort, fchreite ich mit dir zum vorkäufigen Verhöre
über unfere Rechtsſache. So antworte! — Eritob. Du
Darfft nur fragen. — Socr. Nun dem, meinft du, das
Schöne finde fi) nur an den Menfchen, ober auch an Ande⸗
em ?— Eritob. O gewiß ſindet es (ich auch au den Pferde,
Stiere, und an vielen Teblofen Segenftänden. So viel ich
weiß, "Ban auch ein Schild ſchön ſeyn, und ein Gämmwert und eine
Lanze. — Socr. Und wie ift es möglich, daß diefe Dinge
alte ſchön feyen, ohne auch nur in Etwas einander ähnlich zu
ſeyn? — ‚Eritob. Allerdings, wenn fie je zu den Verrich⸗
tungen, wozu wir fie haben, gut verfertigt, ober von Natur
zu dem Zwecke, wozu wir fie gebrauchen, gut geeignet find,
fo ſind fle auch fen. — Socr. Weißt du nun von den Aus
gen, wozu wir fie brauchen? — Critob. Offenbar zum
chen. — Soer. So wären demnach ſchon meine Augen
ſchöner, als die deinigen. — Critob. Wie ſo? — Socr. Die
deinigen ſehen nur gerade aus, die meinigen hingegen auch
von der Seite, weil ſie ſo weit hervorſtehen. — Crit. Du
meinſt, der Krebs habe die jehönften Augen unter allen Ges
fhöpfen? — Socr. Allerdings, denn auch in Abſicht auf
Zenophon’s Gaſtmahl. 67
Staͤrke find feine Augen von der Natur aufs beſte einge⸗
richtet. — Eritob, Out, uud um auch auf die Nafen zu
. fommen, welche ift die fchönfte, die deinige oder die mei⸗
nige? — Soer. Die meinige, denke ich,"wenn uns anders
die Goͤtter des Riechens wegen die Nafen gegeben haben.
Denn deine Naſenloͤcher fehen auf die Erde, die meinen hin⸗
gegen ftehen weit offen, fo daß fle überall her die Gerüche
annehmen Bönnen.. — Eritob. Uber wie kann eine einiges
drückte Naſe fchöner fenn, als eine gerade? — Gocr, Weit
fie nicht verfperrt, fondern fogleich die Augen fehen läßt,
was fie wollen 3 eine Hohe Naſe dagegen macht, wie wenn fie
es zum Trotze thaͤte, zwifchen den Augen eine Scheidewand. —
@ritob. Was freilich den Mund anbelangt, fo befcheide I
mich. Denn wenn er zum Abbeißen gemacht ift, fo möchteft
du bei weitem ein größeres Stück abbeißen, als id. —
Socr. Und glaubſt du nicht, weil meine Lippen dider find,
daß auch mein Kuß weit fanfter iſt, als der deinige? —
Critob. Wenn man did hört, moͤchte man meinen , mein
Mund fey ned, Häßlicher, als bei einem Eſel? — Socr. Und
haͤltſt du jenes für Leinen Beweis, baß ich ſchoͤner bie, als
du, daß auch die Najaden *) in den Silenen eher mir, atb
dir aͤhnliche Söhne gebären ?— Eritob. Ich kanu dir nicht
mebr widerſprechen. Die jungen Leute **) ſollen nur abs
ſtimmen, damit ich gleich erfahre, was ich für eine Strafe
auszuftehen oder zu. begahlen Habe. Nur Eines: daß fie -
* Najaden, Nymphen ber Quellen
Nach der Erklärung von Samen, welche ſchori durch E. IV.
$. 20. gefordert wird. .
688 . . Xenophon's Gaftmahl.
verdeckt ftimmen! denn ich frame beinem und bes Antifthenes
Reichthum nicht; der Eöntite mich unterdrücken.“
Nun ſtimmten das Mädchen und der Knabe verbedt.
Socrates aber betrieb indeffen, daß die Lampe jebt näher zu
Eritobulus gerüdt wurde, damit bie Richter ſich nicht täu=
ſchen möchten, und daß dem Sieger flatt der Bänder *) Küffe
als Siegespreis von den Richtern gegeben werden follten.
Als aber die Stimmfteindyen hervorkamen, und alle zu Gun⸗
fien des Eritobulns ausfielen, fo fagte Socrated: „Ach, Eri-
- tobulug, dein Geld muß nicht von der Art feyn, wie das des
Callias, denn deffen Geld macht die Leute gerechter, das beis
‚ nige hingegen ift im Stande, wie das meilte, fowohl im
Nechtöftreite, als im Wettkampfe die Richter zu verderben.‘
6. Hierauf hieß ein Theil den Critobulus die Sieges⸗
güfle in Empfang nehmen, ein anderer ihn bei dem Heren
der Kinder die Erlaubniß dazu nachholen, noch Andere mach⸗
ten andere Scherze. Hermogenes aber fchwieg auch hier.
Da forderte ihm Socrates mit Namen auf, und fragte:
„Könnteft du uns fagen, Hermogenes, was Weinübermuth
[napowia) it? — Hermog. Wenn du fragft, was Dieß
ift, fo weiß ich's nicht; aber Was ich mir darunter denke,
kann ich wohl ſagen. — Soer. Das meine ich eben. —
Hermog. Nun denn,, über dem Weine [nap. oivov]
der Geſellſchaft Verdruß machen, das nenne ich Weinüber⸗
much. — Socr. Weißt du nun, daß auch di ung jebt Ver:
| *) Der Sieger wurde mit Bändern bekraͤnzt. Kenoph. Griech.
Geſch. B. V. €, 1. |
® Zenophon’s Gaſimahl. 689
druß machſt mit deinem Schweigen? Hermogenes. IEtwa
and), wenn ihr redet? — Socr. Nein, ſondern wein wir
eine Panfe eintreten laſſen. — Hermog. Geht denn nicht
das Reden bei euch fo in Einem fort, daß man auchänicht
Y
ein Haar, gefchweige denn ein Wort dazwifchen einfchieben
Eönnte ?"' 8
Da rief Socrates: „Callias, könnteſt bu nicht einem
armen Manne, der in Noth ift, zu Hülfe kommen?“ „O wohl,
erwiederte Diefer; ſobald die Flöte ſich hören läßt, find wir
ja maͤuschenſtille.““ „Soll ich alfo, fagte Hermogenes, nad)
. der Flöte mit euch fprechen, wie der Schaufpieler Nicoflras
tus *) feine Tetrameter zur Flöte vortrug.“ „Ja, bei ben
Göttern, mad es fo, Hermogenes, ſagte Socrates; dent ich
tenfe, wie der Gefang durch die Begleitung der Flöte ges .
winnt, fo konnten auch deine Worte durch die Tonkunſt noch
gewinnen; zumal wenn du auch, wie die Zänzerin, beine
Korte mit Geberdenfpiel begleiteteſt.“ Da fragte Calling:
„Wie wird denn dann auf der Flöte gefpielt werden, wenn
unfer Antifthenes bei dem Gaftmahle Einen in die Enge
treibt?“ Antifthenes antwortete: „Für Denjenigen, der ſich
in die Enge treiben Käßt, gehört ſich, wie ich denke, der Pfei-
fenton.“ Bei diefer Unterhaltung merkte der Syracuſer,
„daß die Säfte um feine Kunftftüce fich wenig befümmerten,
‚and an einander ihre Freude hatten. Voll Aerger fagte er
daher zu Socrates: „Biſt du der fogenannte Sinner, **) So⸗
rate? — Socr. Nun, iſt Dieß nicht ehrenvoller, als wenn
H Nach Suidas ein komiſcher Schauſpieler. Sein Zelent
ruͤhmt auch Athenaͤus.
**) poovrusijç.
Kenophon, 58 Boͤchn. — 9
‘690 Zenoyhon’s Gaſtmahl.
ich ein Unſinner ) genannt würde? — Syrac. Wenn du
une nicht für einen Steruſinner *) gäfteft? — Socr. Was
{ft denn mehr bei den Sternen zu ſuchen, als die Götter? —
Syrac. Ad, nicht um Diefe, heißt es, fey es bir zu thun,
fondern um die überfläfftgften **) Dinge — Socr. Nun,
liegt darin nicht auch, daß mir um die Götter zu than ift?
-Weber ung wohnend +) Taffen fie wenigſtens das Gurte her⸗
‚nieder fließen, und über uns Taffen fie das Licht fcheinen.
Iſt udrigens mein Witz froſtig, ſo haſt du die Schuld; du läßſt
"mir ja keine Ruhe. — Syrac. So laß Dieß gut ſeyn; dber
ſage mir, wie viel Schuh +7) es von mir bis zum nächſten
Floh if. Daran, Heißt es ja, übeſt du deine Meßkunſt.“
Hier nahm Antiſthenes das Wort, und fagte: „Philips
pus, du bift ja im Vergleichen Meiſter; kommt dir nicht der
"Mann hier vor, wie Einer, der fchelten will ?“ „Ja, in bee
That, fagte Diefer, und er hat auch fonft noch mit alferhand
Leuten Aehnlichkeit.“ „Und dennoch, verſetzte Socrates, ſollſt
du ihn mit deinen Vergleichungen verſchonen, damit nicht
auch du einem Scheltenden gleichſt. — Philipp. Nun, wenn
_®) apgovrısog.
"") Tov HETEOO@V Popovrisng.
vs) avopeAksator. u
3) dvadev ulv ya Övreg yellor , avader
82 etc.
14) Nach der alten Lesart: nuosg 'GuAda nodug dus
eniyeı, womit zuſammenzuhalten Ariſtophanes Bolten,
B. 838, Zoxgaeng 0 Mnluog xai Kagepav, õc
olds ra YvAlov Iyvn — mit V. 145.
Eenophon's Gaſtmahl. EGqꝛ
fie denn aber Alle?) ehrenhafte Männer, wenn es die Beſten
And, mit Denen ich 'ihn vergleiche, :fo müchte man ımich doch
mit Recht cher einen Zobenden, als einem Scheitenden ver⸗
gleichen. — Soer. Da gleichft du ſchon wieder einem Schel⸗
"genden, [wenn du behanpteft, daß fie Alle beſſer ſeyen, als
er. — Philipp. So willſt du, ich ſolle ihn mit Schlechtes
ren vergleichen? — Socr. Auch nicht mit Schlechteren. —
Mbilipp. Alſo mit Richts? — Socr. Mit Nichts, auch mit
Dieſem nichtz*s) — Philipp. Aber sch weiß doch auch. nicht,
wie ich mein Eſſen verdienen ſoll, wenn ich gar ſchweige. —
Soer. O Das geht ganz keicht; du darſſt nur bei dir behal⸗
ten, was beſſer verſchwiegen bleibt.“ Und damit war dieſer
Weinübermuth gedämpft.
+. Sofort hießen ihn von den Uebrigen Einige Verglei⸗
ichungen anſtellen, Andere verwehrten es ihm. Da hierdurch
ein Geraͤuſch entſtand, fo ſagte Gocrates wieder: Woliten
wir nicht, Ida Altes zu ſprechen wuͤnſcht, am liebften jetzt zu⸗
- fammenzeintStäd ſingen?“ Und kaum Hatte er Dieß gejagt,
fo ſtimmte er gleich ein Lied an. Als er: damit zu Ende war,
wurde für die Tänzerin eben ein Reif von Toͤpfererde gebracht
nuf weichem ſie Kumſtſtücke machen ſollte. Hier ſagte nun
Soerates: „Ich werde, wie du ſagſt, Syracuſer, wirklich ein
Sinner zu ſeyn ſſcheinen; in dieſem Augenblicke denke ridy
nanmlich wach, wie dein Knabe:hier und das Mädchen es um
" ‚Beaueunten bekennen, and wir auf. der andern Seite als Du⸗
*) zoig 2001, find die Genannten alle, naͤmlich die Allerhend
a Reute, 3 N er Achnlichteit haben ſou.
) Statt u rsercov ift wohl eroͤrqh zu leſen: aua
nicht mit Nichts ! und: m
9*
692 Zenophon’s Gaftmahl.
ſchauer am meiften Genuß haben könnten; was, wie id)
: weiß, auch Dein Wunſch if. Mit einem Burgelbaume nun
- mitten in die Schwerter hineinzufpringen, ſcheint mir. ein
Wageſtück zu fenn, das für ein Gaſtmahl nicht paßt. Ge:
- dann auf dem Reife zu leſen und zu fchreiben, während daß
- ex herum getrieben wird, ift wohl ein Kunftftüd; aber wenn
vom Genuſſe die Rede feyn fol, ſo weiß idy auch hier nicht,
‘wo der zu fuchen iſt. Nicht einmal davon, wenn man fehen
muß, wie fchöne und brühende Leute die Glieder verbrehen
- and Räder nachahmen, hat man mehr Vergnügen, ald wenn
man flegeradezu ruhig flehen ſieht. Denn es ift ja nicht einmal _
‚eine große Seltenheit um Wunderdinge, wenn Temand folche
zu fehen begehrt; man Fann, um das nächte befte Beiſpiel
zu nehmen, gleich barüber ſich verwundern, wie doch der
Docht, weil er eine ſtrahlende Flamme hat, Licht gewährt,
das Lampenblech hingegen, obwohl flrahlend, Kein Licht ‚vers
breitet, und nur in feinem. Spiegel andere Dinge zu fehen
‚gibt; und wie das Oehl trob dem, daß es flüffig ift, bie
Flamme nährt, das Wafler dagegen, weil es flüfflg tft, das
Feuer löſcht. Doch auch Diefes ift Peine Unterhaltung, welche
der Stimmung bei dem Weine entfpricht. Würden Dagegen
die jungen Leute Tänze zur Flöte aufführen, wie die, in wel⸗
hen die Grazien, Horen und Nymphen gemalt werpen, ſo
würden, denke ich, nicht nur fie es weit bequemer haben,
„Sondern auch das Gaftmahl würde weif vergnügter werden.’
„Ja, in der That, Socrated, fagte der Syracuſer, du haft
Recht, und ich wit auch für Schauftüde forgen, bie euch
Genuß gewähren follen.‘‘
Kenophon’d Gaſtmahl. | 695
8. Der Gyracuſer entfernte fi nun und machte feine '
Anſtalten. Socrates aber brachte wieder eine neue Unter⸗
haltung auf die Bahn. „Iſt es nicht billig, Freunde, fagte
er, eines gegenwärtigen großen Gottes, ber Der Zeit nad .
gleichen Alters ift mit den ewiswaltenden Göttern, der Ge:
flatt nach aber der Tüngfte von ihnen, und der der Größe-
nach Altes beherrfcht, der Seele nad) hingegen noch unter
dem Menfchen *) ſteht, des Eros nämlich, nicht uneingedenk
zu bleiben, zumal da wir Alle Verehrer diefes Gottes find?
denn ‚nicht nur ich Bann Beine Zeit nennen, wo ich nicht ver⸗
liebt wäre; von Charmides hier weiß ich, daß er eine Menge
Liebhaber hatte, und boch nad) Manchen felbft auch fich ges
füften ließ; Critobulus ferner ift jebt noch Geliehter, und
läͤßt ſich Schon nad -Andern gefüften. Ja auch Niceratus,
wie ich höre, liebt fein Weib, und wird eben dafür von ihr
wieder geliebt. Und Wer von und weiß nicht von Hermoges
nes, daß er, was num auch die Rechtfchaffenheit fey, von der
Liebe zu ihr verzehrt wird? Seht ihr nicht, wie eruſthaft
feine Augenbraunen, wie ruhig fein Blick, wie gemäßigt feine
YAenperungen, wie fanft feine Stimme, wie heiter fein ganzes
Weſen ift, wie Er, der die erbabenen Götter zu Freunden
bat, dennoch auch uns Menfchen nicht verachtet? Aber du -
altein, Antiſthenes, bift nicht verliebt 2” „O ja, bei ben
Göttern, erwiederte Diefer, und zwar fterblih in dich.“
*) Statt deu gewohnlichen Lesart ardomnse losıdva ift
wohl vorzuziehen dYFER@TE Noomusve, wie oft jooc-
ogai rivog ſich findet, und dabei an das ewige Knaben⸗
alter des Eros und feine Freude an kindifchen Taͤndeleien
und Vergnuͤgungen zu benten,
\ 69 | Kenophon's: Gaſtmahl. j
Da lächelte Socrates fpöttifch, und fagte, als thaͤte er ſproͤde:
„Laß mich jebt für Dießmal in Ruhes du ſiehſt ja, daß
mies un andere Dinge zu thun iſt.“ Antiſthenes ſagte:
„So machſt du es doch immer, offenbar dein eigener Ders
kuppler! Bald ſchützeſt di eine Eingebung. von der Gottheit -
vor, und fpsichft nicht mit mirz bald haft du fonft Etwas dir
in den Kopf geſetzt.“ „Um der Götter willen, Antiftbenee,.
verſeßte Socrates, quaͤle mich nur nicht. gar zu Tode; Deine:
andern Unarten trage idy ja. und-werde.fle tragen nad) Freun⸗
des Art; Jedoch mit deiner Liebe laß ung zurückhalten; zu⸗
mal: da fie nicht meiner Seele, ſondern ber Schönheit meinen
Geſtalt gie Daß.aber du, Callias, in Autolykus verliebt
bift, weiß die ganze Stadt, und, wenn ich mich nicht: irre,
auch Viele von den Fremden. Dieß kann ſchon nicht anders:
ſeyn, da ihr Beide nidyt nur berühmte Väter habt, ſondern
auch ſelbſt augeſehene Männer ſeyd. Habe ich nun von jeher:
deinen. Character: geſchäht, fo bin ich noch weit mehr jest im
dieſem Falle, da.ich. fehe, daß du nicht in einen Menſchen
verfiebt bift, der in Wolluſt erfchlaffte, oder in Weichlichkeit
fi. entuervte, fondern in Einen, der von feiner Stärke, Aus⸗
daner, Tapferkeit. und Befonnenheit vor Jedermann Beweis:
abtest. Aus dem Streben nad; folchen Vorzügen kaun man.
aber. auch auf den Character des Geliebten fchließen.. Ob es
nun nur eine Aphrodite [Benus] gibt. oder zwei, eine
himmliſche und eine gemeine, weiß ich nicht; denn auch Zend,
"der. doch angenommener Maßen nur einer ift, hat der Bei⸗
_ tamen vieles aber fo viel weiß ich doch, daß Altaͤre und
Tempel für Beide abgefondert, und; der. Opferdienſt der gemeis
8Ò
XRenophau's Gaſtmahl. 69%
nen ausſchweifender, der. der. himmlifchen reiner iſt. ) Se.
möchte man denn vermuthen, daß auch, was die Liebe anba«
langt, die gemeine die Liebe zu den Körpern, die himmlifche dage⸗
gen die Liebe zur Seele, zur Zreundfchaft und zu. ehrenhaften -
Werten zufchictes und von dieſer letztern ſcheinſt mir. eben
auch du ergriffen zu feyn, Callias. Ich ſchließe Dieß aus .
der Rechtichaffenheit deines. Geliebten, und daraus, daß ich
dich den Vater deffelben zu deinen Zuſammenkünften mit.
ihm- beiziehen ſche. Denn bei einem edeln Liebhaber ges.
ſchieht nichts ter Urt Hinter dem Rüden des Waters.’
„Bei der Hera, Socrates, fiel hier Hermogenes ein, fo. vieles.
Andere gefällt mir an dir, aber fo Nichte, als mie du jetzt in
Einem Zuge dem Callias zu Gefallen redeſt und ihm zugleich
eine Lehre gibft, wie er ſeyn ſollte.“ „Nun, fagte Soerates,
um denn feine Freude noch zu erhöhen, fo will ich mich auch
ihm zu Liebe dafür ansprechen, daß die Liebe zur Seele
weit vortrefflicher ift, ald die zum Körper. Wir Alle willen,
Daß. ohne Freundſchaft Feine Verbindung von Werth if, Um
ter Sreundfchaft verfieht man: aber den eigenen und freiwillis
gen Trieb Derer, welche Jemand von Seiten feines Charac⸗
ters ſchaͤßen; von Denen hingegen, welche ſich nach dem Kör-⸗
per gelüſten laſſen, mißbilligen Diele und haſſen das Bench:
wen der Geliebten; **) und wenn auch ihre Liebe auf Beides
Nach Suidas unter d. W. vnpalıa und dem Scholiaſten
des Sophokles zum Oedip. auf Colonos V. 101. wurden ber
himmliſchen Aphrodite Opfer mit weinloſem Weihguſſe
gebracht.
rõor Zompduen, für tele: Letert ſich ſoger eine Aure⸗
ritaͤt findei.
66 Eenophon's Gaflmahl.
fich erſtredt, fo welkt doch die Blüthe der jugendlichen Schon⸗
heit ſchnell dahin, und verliert fidy diefe, fo muß nothwendig
auch die Freundfchaft mit dahin weiten, während die Seele,
fo lange fie an DVerftandesbildung fortfehreitet , auch an Lies '
benswärdigkeit gewinnt. Yerner verbindet fi mit dem Ger
nuffe des Körpers auch ein gewiffer Meberdruß, fo daß es Ei⸗
nem nothwendig mit den Tünglingen gerade fo gehen muß,
wie niit den Speifen, wenn man fatt ift; die der Seele gels
tende Freundfchaft dagegen iſt, weil fie rein ift, auch weni⸗
ger dem Weberdruffe ansgefebt, und darum doch nicht, wie
man glauben möchte, auch ärmer an Liebesgennß; vielmehr
wird ſichtbar die Bitte auch erfüllt, worin wir die Göttin
anflehen, Liebesgenuß in Rede und Werkleiftung zu gewähs
ren. Denn baß eine in fchöner Geftalt prangende, und mit -
züchtiger, edler Sitte geſchmückte Seele, welche gleich unter
den Tugendgenoffen Herrfchergeift und Wohlwollen zumal beur⸗
kundet, daß eine ſolche den Geliebten ſchaͤtzt und werth hält,
bedarf keiner Worte; aber and, daß ein folcher Liebhaber
auch von feinem Geliebten ſich Gegenliebe verſprechen dürfe,
werde ich nachweifen. Denn Wer Eönnte fürs erite Denje⸗
nigen haflen, von welchem er fidy als rechtfchaffenen Man
betrachtet wüßte; ben er ferner auf die Ehre bes Knaben
ernftlicher, ald auf fein eigenes Vergnügen bedacht fähe; nnd
von dem er überdießg noch glaubte, daß ihre gegenfeitige
Freundſchaft, weder wenn er einen Fehler machte, noch wenn
eine Krankheit ihn entſtellte, darunter Teiden würde? Iſt
aber die Werthſchaͤtzung zwifchen Beiden gegenfeitig, wie
müffen fie nicht nothwendig mit Luft einander anſehen, voll
Wohlwollen mit einander fprechen, Zutrauen zu einander
—
Renophon's Gaftmahl.- 697
haben und bei einander findenz wie für einander forgen,
und gemeinfchaftlich fich freuen ihres Glückes, gemeinfchaftlicy
trauern, wenn ihnen ein Unfall zuftdßt; dann frohen Sinnes
feyn, wenn fie gefund beifammen find, wenn aber der Eine
ober der Andere erkrankt, noch unausgefester fich zuſammen⸗
finden, und Einer des Andern noch mehr, wenn Diefer abs
wefend, ald wenn er gegenwärtig ift, fih annehmen? Und 'iſt
Diefes Alles nicht Liebesgenuß? Haben doch eben diefe Werk⸗
feiftungen folchen Heiz für fle, daß fie bis in’s hohe Alter fo
wenig nad) dem Glücke der Freundichaft zu verlangen, als
es ſich zu verſchaffen aufhören. Wer hingegen an dem Kör-
per hängt, warum follte Den der Knabe wieder lieben ? Etwa
weit er feine Gelüfte befriedigt und den Knaben zu dem
Schaͤndlichſten mißbraucht? Oder weil er, um bei dem Ges -
Kiebtert feinen Iwed zu erreichen, gerade die Eigenen von
ihm entfernt Hält? Ja darum, weil er nicht Gewalt braucht,
ſondern zu bereden fucht, if er noch haffenswürbiger. Denn:
Wer Gewalt gebraucht, beurkundet wohl feine eigene Schlech⸗
tigkeit; hingegen Wer zu bereden fucht, verderbt die Seele
Deffen, der ſich bereden laͤßt. Und auch Wer um Geld feine .
Reize verkauft, warum fol er Den, welcher ihm abkauft,
mehr lieben, aid Wer auf dem Markte feil hat und ver⸗
Pauft ? Darum daß er, ein Blühender mit einem Verblühten,
ober daß er ein Schöner mit Einem, ber ed nicht mehr iſt,
und mit einem Verliebten, ohne verliebt zu ſeyn, zu Chun
hat, wird er ihn doch gewiß nicht Fieben, Denn der Knabe
hat es ja auch nicht, wie das Weib, das mit dem Manne
die Freuden des Liebesgenuffes theilt, ſondern nüchtern ſieht
698, Xenonhon’s Gaſtmahl.
er. dem von Liebe Trunkenen zu. Daher es kein Wunder iſt,
wenn ſelbſt Verachtung gegen den Liebhaber ſich bei ihm er⸗
zeugt. Auch wird man bei weiterem Nachforſchen finden,.
daß von: Denen, welche einander von Seiten ihres Characters
liebten, nichts Arges geſchehen ift, während aus dem unzüch⸗
tigen Umgange fchon viele abfcheuliche Thaten hervorgegangen
find. Aber: auch erniedrigend ift der Umgang: mit: dem Ges
liebten für Den, weicher den Körper licht, weit eher, als für:
ben Freund der Seele, wie ich Dieß jetzt zeigen werde, Denn -
Wer reden lehrt, Was fich gebührt, und thun, der möchte
mit allem Rechte, wie Chiron und Phönix *) von Achill ges.
ehrt, Wer hingegen auf den Körper fein Auge wirft, billig
wie. ein Straßenbettler behandelt werben. Denn immer läuft.
er. hintennach anbetteind und auftehend, fey es um einen Kuß
oder um ſonſt eine Berührung. Drücke ich mich übrigens au:
ſtark aus, fo Laßt euch's nicht befremden. Denn der Wein:
fhon fleigert mich, und ber ſtets mit mir- zufammenwohnende
Errs ſtachelt und treibt mich gegen den ihm entgegenſtehanden
Gros: Fed heraus: zu rüden. Und mir fcheint auch wirklich,
Wer an die Geſtalt fein Herz häugt, einem Manne zu glei⸗
chen, ber ein Grundſtück gemiethet hatz Diefem if’s nicht
derum zu Chun, daß es mehr werth werbe, fondern daß er
recht viele Früchte davon gewinne. Wer hingegen Freund⸗
ſchaft fucht, aleicht Demjenigen, ber fein eigenes Grundſtuck
befigt. Er bringt wenigftend. von allen Seiten bei, was er
Sana, und ſucht den Werth feines Geliebten zu erhöhen. Und
auch bei den Juͤnglingen findet ſich derſelbe Unterſchied.
*) Homer Ins IX, 443, ff;
Kenaphan's Gaſtmahl. 6gg,
Derjenige, welcher weiß, *) daß er, wenn er feine Schönheit.
hergibt, über. den Liebhaber Herrfchaft übt, ergibt fidy nas..
türlidy im Uebrigen allem Leichtfinn; Wer dagegen findet, ..
Daß er die Freundſchaft verfcherzen würde, wofern er nicht
ehrenhaft und rechtfchaffen wäre, von Dem läßt ſich erwarten,
daß er ſich der Tugend eher befleißige. Es if fernen ein
großer Vortheil für Deu, welcher aus feinem, Geliebten ſich
einen wadern Freund zu machen ſtrebt, daB er ſelbſt auch
genoͤthigt if, Tugend zu üben. Denn wenn er ſelbſt Schlech⸗
tes ſich erlaubt, kann er Denjenigen., der mit ihm umgeht,
unmöglidy zum Guten bilden, und wenn er Schamloſigkeit.
und Unmäßigfeit fih zu Schujden kommen läßt, dem Gelieb⸗
ten uumöglic Euthaltfamkeit und. Zucht beibringen. Aber
auch aus der Fabellehre muß ich Dir zeigen, Callias, daß
nicht nur Menfchen, ſondern auch Götter und Herven die
*
Freundſchaft, die der Seele gilt, Höher achten, als den Ges
nuß des Körpers. Denn um von Zeus zu reden, fo lieh ex
die fterblichen Weiber alle, in deren Reize er fich verlichte,
nad) dem Genuffe in ihrer Sterblichkeit verbleiben; hingegen
Diejenigen, dir er von Seiten ihrer Seele fchäste,. machte er
unſterblich, wie zum Beifpiel den Heracled [Hercules] , und
die Dioscuren. Man nennt: aber aud noch Andere, und
auch ich behaupte, daß auch Gauymedes nicht des Körpers, '
*) Der Text iſt wohl hier fo zu verbeſſern: Tor maudınDv
ög dv uiv elö} te eidsg inapxav dekav ra
doasu; eidg avrov etc. worauf auffer einigen alten
- Ausgaben: auch Ribittus leitet. Die Depravation erklaͤrt ſich
nach nasdıkon leiqht.
700 Xenophon's Gaftmahl.
"fonbern ber Seele wegen von Zend in ben Olymp erhoben
wurde. Dafür fpricht auch fein Name, Denn bei Homer *)
findet ſich:
„yarvras 68 T axsav,“
bas heißt: „Er freut fich, es zu hören;
anb anderswo kommt vor:
„nvxva portot? undea elduc.“
Dieb ift wieder fo viel, als: „weiſen Rath im Herzen wifs
ſend.“ Nach dieſen beiden Stellen zufammen genommen ſteht
alfo Ganymedes, nit wegen Eörperlicher Reize, fordern
wegen des Einnehmenden feines Geiftes fo genannt, bei ben
Göoͤttern in Ehren. Uber aud) den Achilies, Niceratus, Taßt
bein Homer **) den Tod des Patroclus nicht als den eines
Getiebten, fondern ald den eines Genofien fo nachdrücklich
rächen. Und auch DOrefles und Pylades, ***) und Thefers
und Pirithous + und noch viele Andere, bie Edelften unter
ben Halbgöttern, haben den LZobgefängen auf file zu Folge
nicht darum, weil fie beifammen fchliefen,, fondern weil fie
*) Bol. Homer Ilias XX, 405. und wegen der folgenden Stelle
JIlias XVII, 325. Ganz übereinftimmende Stellen finden
ſich nicht, "
++), Die Stelle bei Homer ift Slind XVIII, 98. 128.
***) Oreſtes, Sohn Agamemnons, und Pyladbes, Agamemnons
Schwefterfohn, ein betanntes Sreundepaar. Diefer begleitete
Jenen, als er feine Mutter Elytaͤmneſtra und ihren Gemapt
Aegiſthus erfchlug.
T) Theſeus von Athen, und Pirithons, König der Lapithen, ein
eben fo berähmtes Freundepaar. Pirithons half dem Theſeus
die Helena entführen; Theſeus begleitete ihm dafuͤr in die
Unterwelt, um ihm die Proſerpina entführen zu helfen.
8
EXenophon's Gaſtmahl. 701
einander achteten, das Größte und Herrlichſte gemeinſchaftlich
. vollbracht. Und richten wir unfern Blid anf die herrlichen
Zhaten unferer Zeit, ſollte fid) da nicht finden, daß fie alle -
‚ am des Ruhmes willen von Denen, weldye weder Anſtren⸗
gungen noch Gefahren fcheuen, verrichtet werden, nicht aber
von Denen, welche fidy gewöhnen, den finnlichen Genuß der
‚Ehre vorzuziehen? Freilich Paufanias, *) der Liebhaber des
Dichters Agathon, hat zu Gunften Derer, welche ſich zuſam⸗
men in unmäßigem Sinnengenuffe wälzen, die Behaupfung
‚aufgeftellt, daß auch ein Heer nie fapferer würde, ald wenn
es aus Geliebten und Liebhabern beftände. Denn Diefe,
meinte er, würden fi am eheften fchämen, einander im
Stiche zu laſſen; eine fonderbare Anſicht, wenn Die, weiche
ſich gewöhnen, fih um Leinen Tadel zu befümmern, und alle
Scham vor einander bei Seite zu ſetzen, wenn Die fid am
eheſten fchämen follen, etwas Schimpfliches zu thun! Zum
Beweiſe dafür berief er fidy noch überdieß auf die Thebaner **)
und Eleer, weldye ebenfalls diefer Meinung feyen; wenigſtens
*) Paufaniad von Ceramicus, einem Attiſchen Demos, auch bei
Plato Protag. ©, 315. D., im Gaftmahle und bei Aelian.
3.11. € 21. erwähnt. Nach der letzteren Stelle hielt er
fig mit feinem Geliebten, Agathen, am Hofe bed Macedo⸗
nifhen Königs Archelaus auf. Nach Einigen wire bei Xe⸗
nophon Beziehung auf eine Erotiſche Schrift des Pauſanias.
Athenaͤus (B. V. ©, 216.) dagegen Kennt feine Schrift von
ihm, und man iſt zum wenigften nicht gendthigt, eine foldye
wegen unferer Stelle vorauszufegen. Sein Geliebter, Aga⸗
thon, war ein tragifcher Dichter.
*5) Vol. Über Heide Renophon vom Staate der Laced. E. 2. 9. 15.
Aelianes vermifchte Geſchichte B. XII. ©, 5. Plato im Gaſt⸗
mahl S. 9. S. 183. B, Bei den Thebanern ging aus diefer
702 Kenophon’s Gaſtmahl.
ſtellen fie die Geliebten, ob fie gleich bei ihnen ſchlafen, den⸗
noch neben fi in die Schlacht: ein Beifpiel, das Hieher gar
nicht paßt; denn bei Jenen ift Dieß gefetzlich, bei und hin⸗
‚gegen ſchimpflich. Mir ſcheint vielmehr, Diejenigen, welche
“die Geliebten neben ſich ſtellen, feyen gewiffermaßen mißs
franifch, als möchten Diefe für fich ftehend nicht Teiften, was
wackeren Männern gebührt. Die Lacedämonier *) Hingegen,
weiche von dem’ Grundfage ausgehen, wenn Einer nad) kör⸗
verlichem Genuffe auch nur begehrt habe, fo Fönne er nichts
Rechtes und Treffliches mehr erreichen, bifden aus ihren Ges
liebten fo vollkommen wadere Männer, daß fie ſelbſt unter
Fremden und wenn fle nicht bei demfelden Staate in ben
Heinen flehen, wie ihre Liebhaber, dennoch Die gleiche Schene
zeigen, bie jeweiligen Genoffen zum verlaffen. Denn als
Gbttin] erkennen fie nicht die Schamtoflgkeit, fondern die
Schamhaftigkeit. *%) Webrigens denke ich, wir würden über
den Gegenftand, wovon ich fpredhe, Alle und verftändigen,
wenn wir die Frage fo flellten, welcher von beiden Arten
Sttte fpäter bie heitige Schaar hervor, welthe unter Velo:
pidas bei Leuttra focht. Plutarches Pelopid..C. 18.
*) Bol. Xenoph. vom Staate der Laces. ©. 2.5. 13. und Ae⸗
Than. verm. Gef. B. III. ©, 10. und ı2.
**, ‚Eine Btatne der Aldag in der Nähe von Sparta erwaͤhnt
wirtlich Panfaniad Lacon. C. 20. 5. 10. Auch die Athener
hatten - zwar einen Altar der Aldodg nach Pauſan. Attic.
8.17. 5.1. Über fie hatten auch einen Altar -bev Unver⸗
ſchaͤmtheit, den fie auf Anrathen bed Epimenides erbaut hat⸗
um; und Dieb ift es, was ihnen nicht nur Gier von Socra⸗
bed, fondern auch von Cicero Von den: Geſetzen Br. &. 11.
worgeworfen mid.” Vornemann 3b. en
= N Is»
RXenophon's Saftmahl. 403
von Geliebten Einer mil mehr Suverficht Schaͤtze oder Kin⸗
der oder Wohlthaten anvertrauen würde. Denn ich für
meine Perſon glaube, daß ſelbſt Derjenige, der Bein Behen⸗
ken trägt, die Schönheit des Geliebten zu genießen, diefes
Alles lieber dem von Seiten der Seele Liebenswärdigen an⸗
wertranen würde. Und du, Eakias, ſollteſt doch wahrhaftig
‚alle Urfache haben, auch den Göttern es Dane zu willen, daß
fle Bir zu Autolykus Liebe einfößten., Denn baß er ehrlie⸗
ibend iſt, iſt offenbar, da er, um als Sieger im Pancratiam
‚ansgerufen zu werben, Beiner Auſtrengung und Zeinem Unge⸗
mach ſich entzog. Sollte er nun noch glauben, daß die. Vor⸗
zůge eines wackern Mannes nicht nur für ihn ſelbſt und ſei⸗
nen Vater wine Sierde ſeyn, fondern ihn auch in den Stand
ſetzen werden, Sreunden Dienfte zu feiften, und das Waters
fand durch Belegung feiner Feinde zu höherer Macht zu ers
heben, und ihm dadurch Unfehen und Ruhm unter Griechen
md Barbaren verichaffen, wie kaunſt du noch im 23weifel
ſeyn, daß er Demjenigen nicht alle mögliche Ehre erweiſen
würde, den er für den beften Führer zu dieſem Ziele: bielte ?
Aſt dir daher darum zu thun, Diefem zu gefallen, fo mußt
du einmal ſehen, was Themiſtocles verftanden , :daß es ihm
gelang, Griechenland zu befreien; du mußt ſodann fehen,
was doch Pericles für Kenntniffe beſeſſen, daß er für den
beſten Rathgeber des Vaterlandes galt; du mußt ferner auch
betrachten, wie Solon ſich vorbereitet, daß er dem Staate fo
Herrſliche Geſetze geben konnte; du mußt endlich noch erfor⸗
Ten, wie die Lacedaͤmonier ſich Aben, daß fle für die beſten
Heerfübrer gelten, als Staatsgaſtfreunde *) ſteigen ja immer
*) Xenophon's Griech. Geſch. B. VI. C. 3. 5.4.
70% Zenophon’d Gaſtmahl.
bei dir bie Ausgezeichnetſten hderfelben ab. Daß ber Staat
ſich ohne Weiteres deiner Zeitung anvertrauen würde, wenn
- dir anders daran gelegen ift, davon barfit du verfichert feyn.
: Du haft ja die wefentlichflen Vorzüge zum Voraus. Du bift
2
ein Eupatride, *) ein Prieſter der Erechtheiſchen Götter, **)
die auch gegen bie Barbaren mit Jakchus **) zu Felde zo⸗
gen, und giltft jest auf dem Feſte +) für den Würbigften
von Alten, die ed je gewefen; Haft die edelfte Geſtalt in ganz
Athen, und dabei Kraft genug, Strapazen zu ertragen. Viel⸗
Leicht freche ich euch zu. ernfthaft für ein Zrinfgelage, aber
*) Eupatride, ſ. v. a. Patricier in Rom, nad der angeblich
Tchefeifchen Eintheilung des Athenifyen Volks in Eupatriden,
Geomoren und Deminrgen (Put. Theſeus C. 24.), welche in
Beziehung auf die den Kupatriden zuftehenden religidfen
Hemter und DBerrichtungen auch in fpäteren Zeiten beibehat-
ten wurde. Bol. Pollur B. VIII. C. 107.
**) Nach ber gewöhnlichen Erklärung, Cered und Proferpina , da
Callias —— war, nach Xenoph. Griech. Geſch. B. VI.
C. 3. Nach Creuzer Symbolik Bd. IV. ©. 361. fe wären
es die vergdtterten Toͤchter des Erechtheuns bei Cicero vom
Weſen der Gotter B. 111. C. 19., die auch bei Philochorus
(fe Schol. Sophort, Oedip. Col. gg.) mit Dionyſus verbunden
werden. Daß Übrigens Erechtheus die Müfterien von Eleu⸗
ſis eingeführt, gründet fich auf Diodor. 8.1. " .
*4*) Sarchus, Name ded Dionyfus in den Eleufinifyen Myſterien.
Die bier Herührte Gefchichte f. Hei Herodot. B. VIII. C. 65.
Plutarch. Themiſtocl. ©. 15. ‘
+) Nach Zeune ift dad Panathenaifche. Feſt gemeint; richtiger
wohl wird an das Eleuſiniſche Feſt gedacht; an welchen Cal⸗
lias bei dem nächtlichen Zuge von Athen nach Eleufid Tadel:
träger war. So Meiste und Echneider wegen bed Vor⸗
hergehenden. j
Eenophon's Gaſtmahl. 705
laßt euch Dieß nicht befremden; denn in Leute, die mit einem
von Natur guten Herzen reges Streben nach Tugend ver⸗
binden, bin ich ſtets mit der Bürgerfchaft gemeinſchaftlich
verliebt. Hierauf unterhielten fich die Andern über das
zuletzt Gefprochene; Autolykus aber heftete feine Blicke auf
Callias, und auch Callias ſagte, gegen ihn hinfehend: „willſt
alſo nicht du es übernehmen, Socrates, mich an die Bürger⸗
ſchaft zu verkuppeln, daß ich ihre Angelegenheiten leite und
bei ihr ſtets in Gunſt ſtehe?“ — „In der That, erwiederte
Socrates, Das wirft du, fo bald die Leute ſehen, daß du’nicht
dem Scheine nach, fondern in Wahrheit der Tugend dich bes
fleißeft. Denn falfcdyer Ruhm wird gleich in feiner Nichtig⸗
keit dargeftellt, fo bald es auf eine Probe ankommt; wahrs
hafte Züchtigkeit dagegen wird, wenn nicht ein Gott im
Wege fteht, fo wie fie thaͤtig fich erweist, ſtets auch von hö⸗
herem Glanze des Ruhmes begleitet,’ Und damit endigte
ſich diefe Unterhaltung.
9. Indeß war für Autolykus bereits feine Zeit") gekom⸗
men. Er erhob fid) zum Spaziergange, und fein Vater Ly⸗
£on, der mit ihm ging, drehte ſich beim Weggehen um, und -
fagte: „Bei der Hera, Socrates, du fcheinft mir ein edler
und wackerer Mann zu ſeyn.“ Sofort wurde zuerſt ein
Thronſtuhl in dem Saale hingeſtellt, banı trat der Gyra-
cuſer ein, und fagte: „Ihr Leute, Ariadne **) wird in ihr
und des Dionyſus gemeinfchaftfiches Ehegemach gehen; ſodann
*) Nach den gymnaſtiſchen Geſetzen, welche eine ſtrenge Lebens⸗
art vorſchrieben.
**) Ariadne, Tochter des Minos von Creta und der Paſiphase, die,
nachdem fie den Theſeus gerettet Hatte, umd mit ihm nach
&Kenophon. 58 Boͤchn. 10
06 | Xenophon's Gaftmahl. .
wird Dionyſus kommen, etwas betrunfen von bem Göttern
her, und zu ihre eingeben; hernady werden fie miteinander
ſchaͤkern.“ Sofort trat zuerft Hriadne ein, als Braut ges
ſchmückt, und feste fid) auf den Thronfluhl. Bis dann Dies
ny{us erichien, wurde die Bacchiſche Weife auf der Flöte ger
fpielt. Da konnten fie denn den Tanzmeiſter nicht genug
bewundern. Denn fobald Ariadne die Weiſe hörte, benahm
fie fid) fo, daß Sedermann merken mußte, fie babe fle mit
Vergnügen gehört: fie ging ihm nicht entgegen, fie ſtand audy
nicht auf, aber dennoch fah man, daß fie Mühe hatte, ruhig
zu bleiben, Als jedoch Dionyſus fie erblickte, tanzte er mit
der lebhafteſten Freundlichkeit auf fie zu, febte füh ihr auf
den Schoß, nahm fie it die Arme und küßte fie. Sie bages
gen fchien zwar ſich zu fchämen-, fehlang aber demmsch gegene
ſeitig ihre Arme um ihn mis aller: Zärtlichkeit. Die: Odfte
klatſchten Beifall bei dieſem Anblicke, und ſchrieen wieder
auf's neue. Wie dann aber Dionyſus aufſtand und die
Ariadne mit ſich aufhob, ba. komter man: fie erſt recht einan⸗
der küſſen und drüden ſehen. Die Zuſchauer bemerkten, daß
Dionyſus wirklich ſchöͤn, Ariadne im Wahrheit reizend war,
und daß fie nicht blos Scherz trieben, ſondern ernMich ein⸗
ander küßten, und ſahen jetzt Alle in dev größten Bewegung
zu. Denn fie glaubten, fie hören den Diouyſus fie fragen,-
- ob fie ihn liebe, und fie ihm-davauf: fo ihre Liebe zuſchwören,
daß. nicht nur Dionyſus, ſondern auch bie Anweſenden ſämmt⸗
lich darauf hätten ſchwören mögen, der Knabe und das
Naxos geflohen war, dort von Bacchus zus feier Gellebten
wählt wurde.
Xenophon's Baftmahl. "07
Mädchen müffen fih in Wahrheit lieben, Sie fahen gar
nicht aus, wie wenn fie zu dem Stücke abgerichtet. wären,
fondern wie wenn fie Erlaubniß bekommen hätten, zu thun,
Was fie laͤngſt gewünſcht haften. -Endlich wie ;die Geſell⸗
ſchaft ſah, daß ſie einander umſchlungen hatten, und ſich ent⸗
fernten, als ob ſie zu Bette giugen, da ſchwuren die Unver⸗
heiratheten, zu heirathen, die Verheiratheten dagegen ſchwan⸗
gen ſich auf ihre Pferde, und ritten davon zu ihren Frauen,
um Dieſer froh zu werden. Socrates aber und Wer: von den
Uebrigen zurücgeblieben war, ging mit Callias dem Lykon
und feinem Sohne zum Spaziergange nach. Und Dieb war
des damaligen Gaſtmahls Ende.
Nahweifung der Capitel.
Grinnerungen an Socrates.
Erſtes Buch,
&p. 1 Seite 412
— 2. — He
7 3. — 43
— 4. — 443
— 6. — 452
Zweites Buch, “
Cap. lo — 460
- 2. — 474
— 3. — 479
— 4. — 484
— 6. — 488
- m — 500
— 8. — 505
— 9. — 507
— 10% — 509
Drittes Buch.
Cap. l, — -513
— 2. — 517
— 3. — 518
— 44 — 522
— 5. — 536
— 6 — 535
Cap.
—
—
—
—
Cap.
Drittes Buch.
9. Seite 546
10. — 551
11. — 556
12, — 561
14. — 566
Viertes Buch.
Seite 574
2. — 577
3 — 2
4. — 598
5. — 607
6. — 613
7. — 618
8. — 622
Vertheidigung des Socrates.
Seite 652 — 643.
1111141118
Gaſtmahl.
1. Seite 64
2. — 65
3. — 662
4. — 667
5. — 686
6. — 688
7. — 691
8. — 693
9. — 705
Druckfehler im erſten Bändchen der Erinnerungen.
Seite 568. Note, Statt Cuſtachius l. Euſtathius.
XRenophon's von Athen
4
Sechstes Bändchen,
Feldzug des jüngern Cyrus,
überfest
von “
Dr. Leonhard Tafel,
Erftes Bändchen. i
—————
Stuttgart,
Derlag der I. B. Mesler ſchen Buchhandlung,
Für Oeſtreich in Commiſſion von Mörfchner und Jaſper
in Wien.
ı8 2 8
Xenophon's
Feldzug des juͤngern Cyrus.
Einleitung,
Der Feldzug der zehntaufend Grieden
ift eine der glänzendften Thaten diefes Volle. Cr
hat die Ohnmacht des Perferreihs in allen Bezie-
hungen aufgedeckt, und die Griechen und Macedonier
zu feinem Sturze berbeigerufen.
Als ein junger Mann von 27—32 Sahren (ihn
als älter anzunehmen, ift vielen Stellen des Buches .
felbft mittelbar, einigen unmittelbar entgegen) ward
Zenophon von feinem Gaftfreund, dem Böotier Pro-
xenus, nach Kleinaften eingeladen, um des jüngern
Eyrus Bekanntfchaft zu machen. Cr nimmt, ohne
jedod eine Stelle zu bekleiden, an deſſen Seldzuge
Theil; nach dem Tode Deffelden und der meuchlerifchen .
Ermordung der Griechifhen Anführer erhebt er fi) in
714 Einleitung.
der höchſten Noth und Rathloſigkeit ſeiner Landsleute
als ihr Rathgeber, und fordert fie auf, dem Unglücke
fühn die Stirn zu bieten, und fich durch das Per—
ferreich mit den Waffen in der Hand Bahn zu ma⸗
hen. Mit welchem Muthe, welcher Befonnenbeic,
welch” aufopfernder Uneigennüßigfeit und unerfchütter-
licher Nechtlichkeit er, zum Anfahree gewählte, für
das Wohl feiner Waffengenoffen und den Ruhm feis
nes Vaterlandes Sorge trug, davon liefert diefe Ge⸗
fchichterzählung die fprechendften Beweiſe.
Die Befchreibung diefes- Feldzugs, oder die Xeno⸗
phontifhe Anabafis darf ald Mutter der Cyropä—
die betrachtet werden; aus ihr Fam dem Verfaffer
die anfchauliche Vorftelung des Aftatifchen Völferle-
bens; in dem Charakter feines hochgefchäßten Freun⸗
des Cyrus fand er die für den Eroberer und Beherr⸗
fcher Aftens allein‘ geeigneten Tugenden, um edlere
Verhältniffe in diefem Weletheil zu geftalten, und die
Aftatifhe dem Despotismus Hingegebene Menſchen⸗
gattung zu heben und zu civiliſiren; in den Maßre—
geln des nach feiner Anficht eines Diademd würdigen
Cyrus fah der freifinnige Grieche Nichte, Denn ges
rechte Nothwehr gegen die Gewaltherrfchaft und ihre
Satelliten. Wenn auch Zenophon’s Vorliebe für fet-
nen Pöniglichen Freund ihn über mehrere minder idea⸗
lifche Züge feines Charakters weafehen ließ — immer
noch bleibt der talentvolle, vorurtheilfreie, thatenku=
Einleitung. 218
ſtige Mann, der zuverlaͤßige, wenn auch nicht unei⸗
gennützige Freund feiner Freunde, von dem ſich Gro⸗
Bes erwarten ließ, Gegenſtand unſerer lebhaften Theil⸗
nahme.
Nach Cyrus Untergang tritt eine plöͤtzliche Wendung
der Dinge ein; von den kühnſten Hoffnungen herabge⸗
ſtürzt, ſieht Renophon ſich und feine Frennde mit einem⸗
mal allen Angriffen der beſtehenden Gewalt ſeinblich ge⸗
genüber geſtellt; er unternimmt denn, ſich und ſein
Hänflein nicht nur gegen fie zu vertheidigen , fondern
auch duch Gründung einer Stadt den Perfern allen
möglichen Abbruch zu thun und das Gebiet von Grie-
chenland zu erweitern. Da ihm Lebteres mißlingt, führe
er die Griechen unter den Fahnen der Spartamer
neuen Siegen entgegen, und mochte felbft der weifefte
Rathgeber des tapfern Ageftlans geweſen ſeyn, weil
ihm die Ueberzeugung geworden war, daß eine Herr⸗
ſchaft, welche auf Treue und Glauben verzichtet, und
Treubruch gegen Götter und Menſchen fankiionirt,
deren. Ohnmacht und Unbehülflichfeit ev mit eigenen .
Augen gefehen und erprobt batte, von Keiner Tangen
Dauer ſeyn Eönne.
Sn der Vorausſicht, durch die Erzählung der Gin
zelnheiten diefes ruhmvollen Zuges, an deſſen glückli—
cher Beendigung er den weſentlichſten Antheil genom⸗
men, viele Neider und weniger Glauben zu finden,
hielt er der Klugheit gemäß, ſich nicht als den Ver⸗
716 Einleitung.
faffer des Werkes zu nennen, fondern feinem jungen
Sreunde, dem Sprafufter Themiftogenes, die Chre
dieſer Autorfchaft zuzumenden. Ob nun wohl aus
diefem Grunde gefliffentlich mehreres von feiner ges
* wöhnlichen Art zu fchreiben Abmweichendes vorkommen
mag, fo ift es doch zu unbedeutend, als daß es berechti=
gen 'follte, gegen das Zeugniß beinahe Des ganzen
Alterthums KZenophon die Vaterſchaft dieſer Schrift
abzufprehen; ja felbft Suidas fcheint für feine Ber
bauptung doch nur Xenophon's eigene Worte anzu⸗
führen; wogegen wir an das Urtheil unfrer Lefer aps
pelliren und behaupten, daß wir auf jeder. Seite, beis
‚ nahe in jedem Punkte der Erzählung, dem. Augenzeus
gen, und Zenophon felbft ale Verfaſſer erkennen.
Die FZenophontifche Anabaſis ward in Zeno-
phon’s fpäterer Lebenszeit abgefaßt, wahrfcheinlich als
er, aus feiner Vaterſtadt verbannt, aus Aſien zu⸗
rücfgefommen war, und in dem ihm von den Laces
dämoniern geſchenkten Städtchen Srillus, unweit Olym⸗
pin, den Mufen lebte. |
Bei der Ueberfeßung diefes Werks ift vornehm-
lich die Poppo’fche Ausgabe (Leipzig, 1827) zu Grund
gelegt worden.
Inhalt des erfien Buchs.
Syrus kommt nach dem Tode feines Vaters Darius durch die
Verlaͤumdung des Tiffaphernes in Lebensgefahr, wird aber auf die
Fuͤrbitte feiner Mutter in feine Etatthalterfchaft zuruͤckgeſchickt, wo
ee aus Herrfchbegierde und Hab gegen feinen Bruder Artaxerxes
ſich zum Kriege ruͤſtet, und Hiefür theils die Eingebornen bewaff:
net, theils indgeheim und unter allerlei Vorwaͤnden Griechifche
Huͤlfsvoͤlker anforingt. Cap, ı. Unter den Worwand eines Zuges
"gegen die Pifiden faınmelt er bei Sardes feine Truppen; Tiſſa⸗
pherned aber durchfchaut feinen Plan und benachrichtigt den König
perſoͤnlich von den Bewegungen des Cyrus, Auch er ruͤſtet fich
nun. Cyrus ruͤckt durch Lydien, Großphrygien, Lykaonien durch bie
Engpaͤſſe Eilicien's nach Tarſus, dev Hauptſtadt des letztern Landes.
Bei Seläna trifft Klearchus bei ihm ein. Die Arkadier feiern bei
Deus zu Ehren Pan's feierliche Kefte. Die Königin Epyaxa kommt
im Lager anz auf ihren Wunfch wird Heerſchau gehalten, wo durch
eine Bewegung ded Griechifchen Heered die Aftaten in Schrecken ges
fegt werden. Bet Dana werden zwei verrätherifche Perfer hingerichtet.
Der König Syennefis von Eilicien befreundet fih mit Eyrus und
unterftügt ihn mit Geld. Cap, 2. Ein Aufftand des Griechifchen
Heeres, dad nun vermuthet, der Zug gehe wider ben Werfertönig,
noͤrhigt Cyrus zu einem zwanzigtaͤgigen Aufenthalt in Tarſus
Klearchus will fie zum Aufbruche zwingen, Yäuft aber Gefahr, ge
fteinigt zu werben, Nun gibt er ſcheinbar nach und gewinnt dur
durch, die Soldaten für fi, die jest von der Ummöglichkeit eines
Nüczuges, gegen den Willen des Cyrus, überzeugt, Klearchus und
Andere an Cyrus aborbnen, um ihm Über den Zweck feines Feldzu⸗
ged zu befragen. Er gibt vor, gegen einen gewiſſen Abrokomas
zu ziehen, verſpricht ihnen eine bedeutende Erhöhung des Soldes
718 Inhalt des erſten Buchs.
und bewegt ſie zur Fortſetzung des Zuges. Cap. 3. Zu Iſſi fuͤhrt ihm
Ehiriſophus auf feiner mit Lacedaͤmoniſchen Schiffen vereinigten Flotte
fiebenhundert Kacedämonier zu; auch treffen vierhundert von Abroko⸗
mas abtrännige Griechen bei Cyrus ein. Bon da gelangt er durch
die von Abrokomas verlaffenen Engpäffe nadı Syrien an den Myrian⸗
der; wo Kenins und Pafion heimlich zu Schiffe fi davon machen.
Cyrus Außert ſich auf eine großmäthige Art über fie. Jenſeits bes
Chalos lagern fie in den Dörfern der Paryfatis; dad Heer kommt
an den Urfprung bed Dardax und zerftört dad Schloß und ben Part
des Satrapen Belefis von Syrien. Bei Thapſakus am Euphrat
angekommen, eröffnet ex den Griechen den Zweck feines Feldzugs;
worauf fie, durch glänzende Verfprechungen bewogen, auf ben Vor⸗
sang Menon’d über den Euphrat fegen. Cap. 4. In Eilmärfchen
ruͤckt er nun dur Mefopotamien, wo das Heer durch fehlechte
Wege und Mangel an Mundsorrath leidet. GegenÄser von Char:
manda lagert ſich das Heer, um Munboorrath einzunehmen ; Klear⸗
chus wird, als er durch Menon's Lager reitet von Deffen Soldaten,
mit Steinwürfen enpfangen, weil er Einen ihrer Kameraden hatte
ſchlagen laſſen. Proxenus vennittelt, und die erbitterten Parteien
werden endlich durch die Worftellungen bed Cyrus befänftigt. E. 5.
Ein vornehmer Perfer, Orontes, der ſchon zweimal von Cyrus abe
gefallen, wird bei einem Verſuche, zum Könige Überzugehen, verras
then und vor einem Kriegsgericht, dem’ auch Klearchus beiwohnt,
zum Tode verurtheitt. Cap. 6. Cyrus ruͤckt in Babylonien ein,
muftert, in Erwartung der nahen Antunft ded Königs, in der
Nacht dns Heer, und macht den Griechen große Verſprechungen.
Er zieht nun in Schlachtorönung weiter, und fest ohne Wider
ftand über einen Graben, den der König hatte ziehen laffen, Gi:
lanus, deifen Weiffagung eingetroffen, erhält die verfprochene Bes
lohnung, und Cyrus rüdt, in der Meinung, der König werde gar
teine Schlacht wagen, mit weniger Behntfamteit weiter. Eap. 7.
Der König erſcheint unerwartet in Schlachtorbnung. Ueberraſcht
ftellt nun auch Cyrus in Eile feine Leute zum Gegenwehr. Die
Griechen auf dem rechten Flügel ſchlagen gleich beim erften An⸗
griff den Feind gegenüber in bie Flucht. Cyrus hat auch feinerfeits
gefiegt, verliert aber, bei DBerfolgung der Feinde zu hitzig vordrin⸗
“
u)
Inhalt des erfien Buche. zıg
gend, in einem Zweikampf mit dem König von einem Wurfſpies
getroffen, das Leben. Cap. 8. Schilderung des Cyrus. Er war
des Thrones würdig, wenn auch das Schickſal ihm ſolchen ver-
fügte. - Schon als Knabe zeichnete er ſich in jeder Hinſicht vor ſei⸗
nen Alterögenoffen aus. Als Satrap erwarb er fih durch feine
Tapferteit und fein wuͤrdiges Benehmen Aller Achtung und Liebe,
hielt ſtreng auf fein Wort, war treu in der Freundſchaft, freigebig
gegen dad Werdienft, aber ftreng in Verwaltung ber Gerechtigkeit
und Beſtrafung der Schuldigen, Cap. 9. Den flüchtigen Ariaͤus
verfolgend, plündert Artarerres dad Nager des Cyrus, fammelt hier
feine zerſtreute Macht und wendet ſich gegen die fiegreichen Griechen,
welche, von der Verfolgung der Beftegten abftehend, ſich umwenden,
um ben Angriff des Königs zu erwarten. Cie greifen noch muthiger
an als zuvor; bie Perfer fliehen, und die Nacht macht der Verfol⸗
sung ein Ende. Ungewiß, warum Eyrus nichts von fich fehen
laͤßt, kehren fie endlich in ihr Lager zuruͤck, finden es geplündert,
und bringen die Nacht in Sorgen und ofme Nahrung zu.
Erfies Bud,
1. Darins hatte mit Paryſatis zwei Söhnes der Ael⸗
tere hieß Artarerres, *) der Jüngere Cyrus.
Als nun Darius Frank ward, und fein Ende nahe glaubte,
wünfchte ex feine beiden Söhne um fich zu haben. Der Ael⸗
— ·
tere war gerade gegenwärtig; Cyrus aber ließ er aus der
Statthalterſchaft entbieten, die er ihm nebſt dem Oberbefehl
über: bie Voölker anvertraut hatte, weiche ſich in ber Kaſto⸗
liſchen Ebene **) zu ſammeln pflegen.
*) In der Geſchichte unter den Namen Artaxrerxes6 I, oder
Artaxerxes Muemon bekannt.
”*) Ein Muſterungsplatz in Lydien.
720 Xenophon’d Feldzug des jüngern Cyrus.
Cyrus reiste demnach mit Ziffaphernes, feinem vermeint-
lichen Freunde, und mit dem Parrhafler.*) Kenias, nebft ei:
nem Gefolge von dreihundert Hellenifchen Hopliten **) nad)
dem Hofe feines Waters ab.
Ars aber Darius geftorben, und Artarerres zur Regie⸗
zung gelangt war, machte ihn Tiffaphernes bei Diefem ver:
dächtig, als ob er ihm nachſtelle. Er fand Gehör; Cyrus
ward gefangen gefebt und follte mit dem Tode beftraft wer:
den; auf die Fuͤrbitte feiner Mutter aber Tieß ihn der König
wieder frei, und ſchickte ihn in feine Statthalterfchaft zurück.
Empört,über die Gefahr, der er fo eben entgangen, und den
Schimpf, der ihm angethan worden, ging er nun mit ſich zu
Rath, wie er fih nicht nur der Willkühr feines Bruders
entziehen, fondern auch, ſtatt feiner, König werden koͤnnte.
Seine Mutter Parpfatis, die ihn mehr als den regierenden
König liebte, begünftigte ihn heimlich. Alle, welche vom
Hofe zu ihm kamen, wußte ex fo für fih zu gewinnen, daß
fie ihm mehr, Fals feinem Bruder Artaxerxes, zugethan was
ren. Die ihm untergebenen Barbaren fuchte er zu gleichem
Zwede auf jede Weife zu tüchtigen Soldaten zu bifden, und
ihrer Ergebenheit fid zu verfihern. Ein Hellenifhes Heer
fammelte er gleichfalls, um den König ungerüftet zu über-
fallen, in größtmöglicher Stille.
Die, Aufftellung diefer Macht ging auf folgende Weile vor
fi. An alle Befehlähaber der Befagungen in ben Städten lie
e. den Befehl ergehen, fi) aus dem Kern der Peloponnefifchen
*) Aus Parrhaſia, einem Theil von Arkadien.
+4) Schwerbewaffnete Fußgänger mit Panzern, großen Schilden,
Schwertern und langen Speeren.
./
Erſtes Bud. naı
Truppen, fo viert fie Fönnten, zu verflärken, weil Ziffaphernes
Abſichten auf die Städte zu haben fcheine. Denn die Städte
Joniens flanden, einer frühern Verfügung des Könige zu
Folge, unter Ziffaphernes, waren aber, mit Ausnahme von
Milet, *) ſämmtlich zu Cyrus übergetreten. Als Ziffapher:
nes in Erfahrung brachte, daß man in Milet eben damit um⸗
ging, ließ er die Einen umbringen, die Andern aus der Stadt
verbannen., Cyrus nahm die Flüchklinge auf, zog ein Heer
zufammen, nnd fchloß Milet zu Land und zu MWaffer ein, in
der Abficht, die Verbannten in ihe Vaterland zurüczuführen.
Diep war ihm ein zweiter Vorwand, ein Heer aufzuftellen.
" An den König aber fandte er Boten, und ließ ihm fagent,
doc, lieber ihm, dem Bruder, als Tiffaphernes die Herrſchaft
über fie zu übergeben. Und da. feine Mutter fein Anfinnen _
anterftüste, gelang es ihm, den König über feine wahren Ab⸗
Hchten zu täufchen, fo daß Diefer in feinen feindlichen Ruü⸗
lungen Nichts als gegen feinen Widerſacher Ziffaphernes ges
troffene Maßregeln fah; zumal da Eyrus die Steuern von
Den Städten, die früner unter Ziffaphernes geftanden hatten,
in den Pöniglichen Schag einfendefe. Ein anderes Heer ward
für ihn im Eherfones, *) Abydus ***) gegenüber,. geworben,
Eyrus Fam mit Kleardy, einem Verbannten aus Lacebämon,
zuſammen, Ternte ihn fchäben, und gab ihm zehentaufend Da:
siten. 1) Mit diefer Summe fammelte der Spartaner eine
*) Kariſche Seeftabt, von Griechen bewohnt.
**) Thraciſche Landſchaft am Hellespont.
***) Stadt in Kleinaſien an dem Hellespont.
+) Perſiſche Goldmuͤnze. S. zu Eyrop.V, 2. ©. 211.
Xenophon. 68 Boͤchn. 2
722 Xenophon's Feldzug des jüngern Cyrus, \
Truppenmacht, bekriegte, vom Cherfones vordringend, ‚bie
ienfeitd des Hellespont's wohnenden Thracier, und nüßte fo
den Hellenen; weswegen die Städte vom Helfespont zur Une
ferhaftung feiner Truppen freiwillig Hülfsgelder zufammens
fchoßen. Und fo fiel and die Aufftelung dieſes Heers nicht
auf. Sein Gaftfreund Ariftipp aus Theſſalien, *) der ſich
gegen eine Partei in feiner Vaterſtadt im Nachtheile fah,
Sam mit der gelegenen Bitte, ihm zur Bekämpfung berfelben
zweitaufend Mann fremder Truppen und breimonatlichen Sold
zu geben. Cyrus gab ihm gegen viertaufend Mann und Sold
anf ſechs Monate, mit dem Bedeuten, fich nicht früher mit
feinen Gegnern zu dergleichen, als bis er feinen Rath einges
holt hätte, wodurch andy Die ‚Unterhattung dieſes Heeres kei⸗
nen Argwohn erregte. Seinem Gaſtfreund, dem Bdotier Pro⸗
xenus, trug er anf, ſich bei Ihm mit fo viel Leuten als möge
lich einzufinden, da er einen Feldzug gegen die Pifiden, **)
vie feine Graͤnzen beunruhigten, beabfihtige, So mußten
auch zwei Gaſtfreunde, Sophänetus aus Stymphaͤlus, und
der Achäͤer Sokvates, mit fo viel Mannſchaft, als ſie auf⸗
bringen konten, zu ihm ſtoßen, weil er in Verbindung mit
den Mitefiidren Verbannten Tiſſaphernes zu befriegen ge⸗
denk
æe.
2. Als Eyrus auf dieſe Weiſe zu einem Zuge gegen
Perſien gehörig vorbereitet zu ſeyn glaubte, ließ er kund wer⸗
*) Aus der Stadt Lariffa, von dom edeln Geſchlechte der Ale u aͤ⸗
**) Ein Bote in Kleinaſien, das zwiſchen Pamphylien, PErcygien
und Lykaonien wohnte, und ſich nicht unter das Joch der
Perſer fuͤgte. _
den, Daß er gegen bie Pifiden zu Felde ziehe, um fle von
Land und Hof zu vertreiben, und zog zu dem Ende feine theils
aus Barbaren, theils aus Hellenen beftehenden Streitkräfte
zufammen. Kleurch entbot er, mit feiner gefemunten Mann⸗
ſchaft zu ihm zu flohen, dem Theſſalier Ariſtipp, ſich mit fei-
nen Miebürgern abzufinden, und feine Schaaren ihm zuzu⸗
führen, und dem Arkadier Kenias, welcher die in den Stad⸗
ten Fiegenden Hellenifchen Befabungen befehligte, fich met ihm
zu vereinigen, und nur fo viele zurückzulaſſen, ats zur Be
fasung der Feſtungen erforderlich wären. Er rief auch bad
Befagerungsheer von Mile fammt den Vertriebenen von bort
ab, mit dem DBerfprechen, nad) glücklich beendigtem Feldzug
nicht eher zu ruhen, als bis er fle wieder in ihre Heimath
zurücgeführt hätte. Gerne‘ Iteßen ſie fidh”s gefallen, und
beachen auf, um fi mit ihm in Sardes *) zu vereinigen.
Ebendaſelbſt fanden ſich auch Kenias mit viertauſend Hopli⸗
ten aus den Städten, Proxenus mit fünfzehnhundert Hopli⸗
ten und fünffendert Gymneten, **) der Stymphalier ++
Sophänetus mit Faufend, ber Achaͤer 4) Sebrutes mit fünf⸗
huudert, der Megareer Paſton mit dreihundert Hoptiten und
dreihundert Peltaſten ein. Beide Letztere waren mit bei der
Belagerung von Milet geweſen.
*) Jetzt Sart, in Truͤmmern.
Erſtes Buch. 723
++), Eigentlich die Nackten; leichtbewaffnetes Fußvolt, beſonders
Schleuderer und Bogenſchuͤtzen. Ihre Benennung kam da⸗
her, weil fie des Schildes, den die Nater ihrer Waffe nicht
zulicß, ermangtlren.
+44) Stymphaͤlus, Stadt in Artadien.
+) Ahafa, Kanbſchaft im dem Peloponnes.
724 Xenophon’d Feldzug des jüngern Cyrus.
Ale Diefe fließen bei Sarbes zu ihm. Als Tiffaphernes
von biefen Bewegungen Kunde erhielt, und die Suräftungen
beventender fand, als daß fie den Pifiden gelten Zonnten,
machte er ſich in größter Eile unter einem Geleite von fünf:
hundert Reitern auf den Weg, um ben König hievon in
Kenntniß zu ſetzen. Auf diefe Kunde machte nun auch der
‚König feine Gegenräftungen.
Cyrus rückte mit der vorbenannten Heeresmacht von Sar⸗
bes aus, und gelangte in drei TZagmärfchen, zwei und zwanzig
Darafangen, *) durch Lydien an den Mäander. **) ’ Weber
diefen zwei Plethren ***) breiten Fluß führte eine über ſie⸗
ben Fahrzenge gefchlagene Brücde Won da 309 er in Einem
Marſche, act Parafangen, durch Phrygien nad) der großen,
voldreichen und biühenden Stadt Koloffä. +) Hier blieb er
fleben Zage; und Menon aus Theſſalien fließ zu ihm mit
taufend Hopliten und fünfhundert Peltaften, die aus Dolo⸗
pern, ++) Aenianen 1++) und Olynthiern *) beſtanden. Von
da gelangte er in drei Tagmärſchen, zuſammen zwanzig Pa⸗
*) Auf eine Paraſange gingen achtzehntanfend geometriſche Fuß;
fie betrug alfo beinahe %, einer gengraphifchen Meile. Ihe
heutiger Name ift bei den Perfern Firfent, in Armenien
Sarfang, und in Arabien Farſak.
+) Heut zu Tage Minder, Bojour Minden, Bods⸗
jud Minder der Mindres.
H Pietieon iſt ein Griechiſches Langenmaß von hundert geo⸗
metriſchen Fuß.
+) Jett Konus.
71) Volt in Epirus.
+++) Sie wohnten an ben Berge Oeta, und waren Grannach
barn der Theſſalier.
*) Oewwohner einer bedeutenden Helleniſchen Pflansitabt in Mas
cedonien.
Erſtes Buch. 725
rafangen, nad) Eeländ, *) einer großen, volfreichen und wohl:
habenden Stadt in Phrygien, Hier hatte Cyrus ein Schloß,
nebft einem Park voll wilder Thiere, wo er oft zur Mebung
für fi und feine Roffe zu -jagen pflegte. Mitten durch dies
fen Thiergarten fließt der Mäander, deffen Duellen innerhalb
des Schloßbezirks entfpringen, und nimmt von da feinen Lauf '
durch die Stadt Eeländ. Hier hatte auch der König ein fes
fles Bergſchloß, an deſſen Fuß der Fluß Marſyas entfpringt.
Auch er fließt durch die Stadt und ergießt ſich in den Maͤan⸗
der. Seine Breite beträgt fünf und zwanzig Fuß. Hier ſoll
Apollo den Marſyas, nachdem er ihn in einem Wettftreit auf
der Flöte befiegt, geſchunden, und die ihm abgezogene Haut
in der Grotte, in welcher die Quellen diefes Fluſſes entfprins
gen, aufgehängt haben — eine Sage, weldyer der Fluß feinen
Namen verdankt, Kerxes fol auf feiner Flucht aus Hellas
das Schloß und die Burg in Eelänä erbaut haben. Cyrus
blieb dreißig Tage, bis der aus Lacedämon verbannte Klearch
mit taufend Hopliten, achthundert Thracifchen Peltaften und
zweihundert Kretifchen Bogenfchüsen zu ihm fließ. Zugleich
mit ihm traf der Syrakuſier Soflas mit dreihundert, und
der Arkadier Sophänetus mit tauſend Hopliten bei’m Heere -
ein. Hierauf hielt Eyrus in dem Zhiergarten Zählung und
Mufterung feiner Hellenifdyen Hülfstruppen, und ihre Zahl
belief ſich auf eilftaufend Hopliten und zweitaufend Pelta⸗
ſten **). Won da kam er nadı zwei Zagmärfchen, zehn Pas
*) Das heutige Iſchekleh, Schakli, Aſchkly. ⸗
**) Hier uͤberhaupt Leichtbewaffnete, mit Einſchluß der fuͤnfhun⸗
dert Gymneten des Proxenus und Klearch's zweihundert Kre⸗
tiſchen Bogenfyägen,
726 Zenophon’d Feldzug des jüngern Cyrus.
"rafangen, im die volfreihe Stadt Peltä, *) mo er drei Tage
verweilte; während welcher Zeit der Arkadier Xenias die Ly⸗
cden **) mit Opfern und Kampffpielen feiertez der Preis be-
ftand aus goldenen Striegeln. Auch Cyrus beehrte die Feſt⸗
LichBeit mit feiner Gegenwart. Won da gelangte er in zwei
Tagmaͤrſchen, zwölf Parafangen, in die bevoͤlkerte Stadt Ce⸗
rami, ***) an der Außerfien Gränze gegen Myſlen hin; fo=
dann in weiteren drei Tagmärfchen, dreißig Parafangen, in
die Ebene bei Ceſtrus, +) einer volfreichen Stadt, wo er
fünf age blieb.
Die Soldaten, benen ev einen mehr als dreimonatlichen
Sold ſchuldig war, erfchienen vor feinem Zelt, und verlang-
ten ihren Sold. Er fuchte fie von einem Tage auf den an⸗
dern zu vertröften, und war in fihtbarer Verlegenheit; denn
ed lag nicht in feiner Art, Etwas vorzuenthalten, wenn er
geben konnte. Hier Fam nun Epyara, die Gemahlin des Kö:
nigs von Cilicien, Syenneſis, unter einer Bededung von Cili⸗
eifchen und Afpendifchen Kriegslenten bei ihm an, und brachte
ihm, wie es hieß, große Summen Geldes mif, worauf er dem
Heere einen viermonaflichen Sold auszahlen Tieß, Cyrus
war, wie man ſich ſagte, während ihres Aufenthalts in feis
nem Lager, fehr vertraut mit ihr gewefen.
Don hier zog er in zwei Zagmärfchen, zehn Parafangen,
*) Bei den morgenländifhen Geographen Pelatis genannt,
*r, Ein Felt zu Ehren bed Arkadiſchen Jupiter.
***) Wahrſcheinlich des Plinius Cerana in Phrygien, nordoͤſtlich
von ECelaͤnaͤ, vielleicht das heutige Kermian.
+) Die Stadt wurde fonft zu Iſaurien geichlagen.
Erſtes Bud). 727
nach der volkreichen Stadt Thymbrion. *) Hier war an der
Heerftraße die bekannte Midasquelle, von einem Phrygiſchen
Könige diefes Namens fo benannt, der bei: ihr den Satyr
dadurch, daß er Wein in die Quelle aͤoß, gefangen haben fol.
Don hier Fam er nach zwei TZagmärfchen, zehn Parafan:
gen, in die volfreihe Stadt Tyräon, **) umd blieb daſelbſt
drei Tage. Die Eilicierin erfuchte ihn, wie ed hieß, ihr das
Heer zu zeigen. Um ihr zu willfahren, hielt er in der Ebene
Heerſchau über die Hellenen und die Barbaren. Die Hellenen
ließ er nach ihrer Landesfitte fi in Schlachtordnung ſtellen,
und jeden Führer feine Leute ordnen. Sie zogen nun vier
. Mann body in Schlachtordnung auf; den rechten Flügel be-
.febligte Menon, den linken Klearch, das, Mitteltreffen die
übrigen Anführer,
Zuerft mufterte Cyrus die Barbaren, welche in Geſchwa⸗
dern und Rotten vor ihm aufzogen, fodann die Hellenen, an
weldhen er auf. einem offenen, die Eilicierin aber in einem
bederkten Wagen hinfuhr. Das ganze Hellenenheer trug eherne
: Helme, purpurrothe Röcke, Beinharnifche und entblöste Schil⸗
de. Als fie an ihnen hinabgefahren, hielt er vor dem Heere
und fertigte feinen Dolmetſcher Pigres an die Hellenifchen
- Heefführer ab, fie follten mit vorgehaltenen Schifden die ganze
Phalanx vorrüden laffen. Diefe machten den Befehl ihren
Zeuten bekannt; und auf das Zeichen mif der Trompete rüds
*) Suͤdweſtlich von Tyraͤon.
Gewoͤhnlich wird es für das Heutige Arſcheher genommen ;
nach Kinneir aber iſt es die jegige Stadt Eilgoun, Uel⸗
gün oder Ilgoun.
—
728 Xenophon's Feldzug des juͤngern Cyrus.
ten fie mit vorgehaltenen Schilden an. Als fie nun unter
Kriegsgefchrei heranzogen, kamen fie von feldft in vollen Lauf
und vanıten gegen die Zelte der Perfer heran. Diele von
den Barbaren geriethen darüber in Beſtürzung; felbft bie
Cilicifdhe Königin fprang vom Wagen und floh. Die Markt:
leute ließen ihre Waaren im Stich und ergriffen eilig die
Flucht; die Hellenen aber kamen unter Tautem Gelächter bei
den Zelten an. Die Eilicierin bewunderte den Glan; und
die Ordnung des Heeres. Cyrus aber ergöste ſich hoͤchlich
an dem Schreden, den die Hellenen den Barbaren eingejagt
hatten.
Von da erreichte er in drei Zagmärfhen, zwanzig Pa⸗
rafangen, die Außerfte Phrygiſche Stadt Ikonion. ) Nach⸗
dem er drei Zage geraſtet, durchzog er in fünf Tagmaͤrſchen,
dreißig Parafangen, Lykaonien, das er als Feindes Land *)
den Hellenen zur Plünderung preisgab, Don hier ***) Tief
er die Königin unter der Bededung bed Theſſaliers Menon
und deffen Leuten auf dem kürzeſten Wege nach Eilicien ges
feiten; mit dem übrigen Heere aber zog er in vier Tage
märshen, fünf und zwanzig Parafangen, durch Cappado⸗
cien, und gelangte zu der großen und blühenden Stadt Da=
na. 3) Hier ließ er den Perfer Megaphernes, einen könig⸗
*) Sept Kunjah, Kogni oder Konje genannt,
++) Die Lykaonier fuchten, fo wie die Myfier und Pifie
den, ihre Unabhängigkeit gegen die Perfer zu behaupten,
und lagen daher beftändig mir Denfelden im Kampfe.
*2*) Nämlich von Ikonion aus, wohin er von ben Plünderungds
zügen in Lykaonien zuruͤckgekehrt war,
) Sollte wahrſcheinlich Tyana oder Thoana heißen; fie ift
das fpÄtere Tana dara oder Coniſus.
⸗⸗
N
Erfies Bud. 729
Then Vaſallen, dem der Purpur zukam, und einen andern
Dberftatthalter, *) weil er fie ber DVerrätherei gegen fidy
beſchuldigte, hinrichten,
Hier verfuchten fie, in Eilicien einzubringen. Der Paß war
aber nur von Wagenbreite, außerordentlich ſteil, und im Fall
eines Widerflandes dem Heere unzugaͤnglich. Es ging auch
das Gerücht, Syenneſis liege auf den Höhen, und bewache
den Eingang. Deshalb blieb Eyrus einen Tag auf der Ebes
ne. Am folgenden kam die Nachricht, Syennefld habe die
Höhen verlaffen, nachdem er in Erfahrung gebracht, daß Mes
non's Heerhaufe ſich bereits in Cilicien innerhalb der Ges
birge befinde, und Tamos mit einer Flotte von Lacedämonis
fhen und dem Cyrus zugehörigen Dreirudern von Jonien
her Eilicien dedrohe. Eyrus erſtieg nun, ohne Widerftand zu
finden, die Berge, und fand noch die Zelte, in denen die Ci⸗
ficier auf ber Wache zu Tiegen pflegten. Von da zog er ſich
in eine große Ebene herab, welche fchön, waflerreich, mit Baͤu⸗
men aller Urt und mit Weinftöden reichlich ausgeftaftet war ;
auch trägt fie viel Sefam, Yennich, Hirfe, Weizen und Gerfte,
Ein hohes, fchon durch die Natur befeftigted, von der einen
Graͤnze am Meere bis zur andern hinfaufendes Gebirge ums
fchließt fie allentharben. Diefe Ebene entlang zog er in vier
Zagmärfchen, fünf und zwanzig Parafangen, nadı der großen
und reichen Ciliciſchen Stadt Tarfos, **) Hier hatte Syen⸗
neſis, Ciliciens König, feine Hofftadt. Mitten durch fie fließt
* Sie verehrten in ihm wahrſcheinlich ſchon jetzt den König,
ober hatten ſich Hazu verpflichtet.
*5) Fuͤhrt noch heut zu Tage diefen Namen,
730 RXenophon's Feldzug des jüngern Cyrus.
der Cydnus, deflen Breite zwei-Plethren beträgt. Die Ein-
wohner verließen die Stadt und flüchteten ſich mit Syenneſis
in einen feften Ort auf dem Gebirge, die Gaſtwirthe ausge⸗
nommen; auch die Bewohner von Soli *+ und Iſſt *) am
Meere blieben.
Epyara, die Gemahlin des Syennefls, war fünf Tage
‚früher als Cyrus in Tarſus eingefroffen. Bei ihrem Weber:
gang über die Berge vor der Ebene. gingen zwei Rotten von
Menon’s Heerhaufen zu Grunde. Sie wurden nach Einigen
von den Ciliciern über dem Plündern niedergemacht; nach
Andern hatten fie ſich verfpätet, und waren, da fie weder
das Heer, noch den Weg finden Fonnten, in der Irre umges
kommen. Aufgebracht über den Verluſt ihrer Waffenbrüder
plünderten die Uebrigen bei ihrer Ankunft in Tarſus Stadt
und Schloß. Als aber Eyrus daſelbſt eingetroffen war, entbot
er den König Syenneſis zu fi. Diefer erklärte, er habe ſich
noch nie einem Mächtigern in die Hände gegeben, und werde
es auch nicht bei Cyrus thun; bis er fich auf Zureden feiner
Gemahlin umd- gegen gehörige Sicherheit dazu bewegen ließ.
Als ſie zufammen gefommen waren, händigte Syennefis dem
Eyrus große Summen Geldes für fein Heer ein; Cyrus gab
ihm dagegen Gefchenfe, die bei Königen in großem Werthe
flehn, ein goldgezäumtes Pferd, eine goldene Halskette, Arm⸗
geichmeide, einen goldenen Säbel und ein Perfifher Feſtge⸗
gewand, nebft der Berfiherung, fein Land nicht weiter zu '
*) Das nachmalige Pompejopolis, jegt aber nad, Karcher
Ajaffez nad Andern aber die Trümmer von Mezottu.
+, Wahrfcheinti das jepige Defeler.
-
2 Erftes Buch. | 751
plündern, und die genommenen Sclaven wieder auszuliefern,
falls ſich deren irgendwo vorfinden ſollten.
3. Cyrus blieb daſelbſt mit dem Heere zwanzig Tage.
Denn die Soldaten erklärten, fle zögen nicht mehr weiter,
da fie bereits argwöhnten, es gehe gegen den König, und
dazu ſeyen fle nicht in Sold getreten. Suerft wollte fie
Klearchus hiezu zwingen; als er aber aufbrechen wollte, war-
fen fle-ınit Steinen nah ihm und feinem Gefolge. Da er
nun fah, daß ſich mit Gewalt Nichts ausrichten Tafle, rief er
feine Zeute zufammen und fland lange Zeit weinend vor ihz
nen. Sie erftaunten und fehwiegen. Dann redete er fie fol:
gendermaßen an: „Wundert Eudy nicht, Soldaten, daß mir
diefe Auftritte nahe gehen. Cyrus nahm mid, da id, ale
Verbannter zu ihm kam, gaftfreundfchaftlid) auf, und erwies
mir nicht nur viele Ehre, fondern befchenfte mich noch mit
zehntauſend Dariken, die ich nicht als mein Eigenthum zu
meinem Bergnügen, fondern einzig auf Eudy verwandt habe.
Zuerft befriegte ich die Thracier, und nahm mit Euch für
Hellas Rache an ihnen, dadurch, daß ich fie, welche die Hel⸗
Venen aus dem Eherfones verdrängen wollten, felbft daraus
vertrieb, Test rief Eyrns, unb wir brachen auf, um ihm
für die erwiefenen Wohlthaten, fo es nöthig wäre, nuͤtzlich
zu werden. Da Ihr nun aber nicht weiter mit ihm ziehen
wollt, ſo bin ich in die Rothwendigkeit verſetzt, entweder Euch
verlaſſend, dem Chrus Freundſchaft zu halten, oder, treu⸗
los gegen ihn, mit Euch zu ziehen, — Ob ich recht handle,
weiß ich nicht. — Genug, ich, entſcheide mich für Eud,
und theile mit Euch, was ba kommen mag. Niemand ſoll
fagen, daß ich Hellenen ben Barbaren zugeführt, und fle, im
32 Zenophon’s Feldzug des juͤngern Eyrus.
Stich Laffend, die Freundfchaft der Barbaren vorgezogen habe.
Da Ihr mir nicht gehorchen und folgen wollt, wohlan, fo
folge ih Euch, und heile mit Euch, was da kommen wird!
In Euch fehe ich mein Baterland, meine Freunde und Wafs
fenbrüder — an Eurer Seite Ehre, wo ed auch immer fe.
Ohne Eud) vermag ich weder Freunden Gutes zu thun, noch
dem Feinde zu wehren. Seyd alfo überzeugt, daß ich, wohin
es aud) fey, Euch, folgen werde.’ So fprach er. Seine Sol⸗
daten und die übrigen Anmwefenden hörten mit Vergnügen,
daß er Nichte von einem Zuge gegen ben König ſprach, und
von Xenias und Paflon’s Leuten traten über zweitaufend
Mann mit Waffen und Gepäd zu Klearchus über. Cyrus
ward darüber verlegen und betrübt, und fandte nach Klears
chus; Diefer aber erPlärfe, er. werde nicht vor ihm erfcheinen,
ließ ihm aber, ohne daß feine Soldaten es wußten, ſagen,
er follte nur guten Muthes ſeyn, es würde noch Alles zum
Guten ausfchlagen. Zugleich rieth er ihm, ihm nochmals
vorzufordern, worauf er wieder nicht erfcheinen würde. Hier⸗
auf ließ er feine Soldaten, nebſt den zu ihm Webergetretes
nen, und Wer fid) noch einfinden wollte, zufammen kommen,
und redete fie alfo an:
„Soldaten! offenbar fleht nun Eyrus zu ums in demfels
ben Verhaͤltniß, wie wir zu ihm. Da wir ihm nicht weiter
folgen, find wir nicht mehr feine Söldner, und er ift niche
mehr unfer Soldherr. — Daß er fi) von uns beleidige
glaubt, weiß ich; daher, habe ich auch, wenn er mid, rufen
räßt, Beine Luft, zu ihm zu gehen, befonders, weil ich mir
nicht ohne Befchämung geftehen muß, ihn durchaus hinter
sangen zu haben; und dann fürchte ich auch, er möchte we⸗
N
-
Erſtes Buch. er}
gen Defien, worin er von mir beleidigt zu feyn glaubt, an
mir Rache nehmen. Nach meinem Bedünten dürfen wir
nicht unthätig und forglos hier Tiegen bleiben, fondern haben
ernfllihe Maßregeln für unfre Zukunft zu treffen. Bleiben
wir hier, fo muß unfre erfte Sorge feyn, wie wir mit Si⸗
cherheit bleiben fünnen; wollen wir hinweg, wie wir mit
Sicherheit fortfommen. mögen, und woher wir Lebensmittel
nehmen. Denn ohne diefe kann weber Feldherr noch Soldat
das Seinige thun. Cyrus ift ein unfchäsbarer Freund für
feine Sreunde, allein auch der gefährlichfte Feind für feine
Feinde. Weberdieß ift er mächtig an Fußvolk, Neiterei und
Schiffen, wie wir Alle mit eigenen Augen uns überzeugen
fönnen; denn wir find, den!’ ich, nahe genug bei ihm. Es
ift alfo Seit, daß Jeder angibt, was er für's Beſte haͤlt.“
Damit ſchloß er fein? Rede.
Sogleich erhoben ſich Einige von freien Stüden, um ihre
Meinung ausdzufprechen; Andere, von ihm aufgefordert, zeige
gen, wie mißlich es fey, ohne Eyrus Einwilligung zu bleiben,
oder abzuziehen. Einer, der fi) das Unfehen gab, als wollte
er auf eiligen Aufbruch dringen, fchlug vor, wenn Klearchus
fie nicht miehr anführen wolle, fogleidy andere Anführer zu
wählen, bie nöthigen Lebensmittel einzukaufen (der Markt
war aber im Perfifchen Lager), und fih zum Abzug anzu⸗
fchicden; fodann zu Eyrus zu gehen, und ihn um Schiffe zur
Rückfahrt zu bitten; falls er ſich Deſſen weigerte, ihn um ei⸗
zen Führer zu erfuchen, unter deffen Zeitung fie ungefährdet
wieder zurück in ihre Heimath zögen; ſollte er fich auch Deſ⸗
fen weigern, dann müßte man fich fogleich in Vertheibigungs-
ftand feben und die Höhen befeben Yaffen, damit nicht Eyrus
734 Kenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus,
ober die Gificier, denen fie viele Gefangene und große Beute
abgeführt, ihnen zuvorkommen möchten.
Nach ihm nahm Klearchus das Wort und ſprach: „Keiner
von Euch möge mich zum Führer für deu Rückzug vorſchla⸗
gen; viele Rüdfichten verbiesen mir, den Dberbefehl anzuneh⸗
men; aber Dem, weldsem Ihr deufelben übertragt, werde ich
in alten Städen Gehorfam Teiften, damit Ihr feht, daß ich
fo gut ale irgend ein Sterblicher zu gehorchen weiß.‘ Nach
ihm trat ein Anderer *) anf, und zeigte, wie thöricht ed Wäs
ve, nach dem Vorſchlag feines Vorgängers von Cyrus Schiffe
zu verlangen, als ob Diefer den Feldzug nicht weiter fort⸗
feßen würde; wie thöricht, Den um einen Führer anzugehen,
deffen Unternehmen man zu vereitein ſuche. „Wenn wir,’
fprady er, „dem Führer vertrauen, welchen Eyrus uns geben
fol, warum laſſen wir nicht auch eben ſowohl die Höhen
durch ihn beſetzen? Ich meines Theils würde mich fehr be⸗
denken, Zauch nur den Fuß in ein Schiff au feben, das er uns
überließe, aus Furcht, er ließe uns fammt den Schiffen zu
Grunde richten, oder einem Führer zu vertrauen, da er und
Teicht wohin führen möchte, wo wir keinen Ausgang mehr
fändenz; Fieber noch machten wir und, wenn er nicht darein
willigt, uhne fein Vorwiſſen davon, wenn es möglich wäre,
Aber ale diefe Vorfchläge find unverſtaͤndig. Um klügſten
ſcheint es mir, wir fenden mit Klearchus geeignefe Männer
an Cyrus, und fragen ibn, wohin er und zu führen gedenke 3
ift die Verwendung eine gfeihe mit der fräbern, fo folgen '
wir ihm und laſſen und nicht unmännkicher finden, als Tee,
HWahrſcheinüch war biefer Andere XReuophon ſelbſt.
Erſtes Buch. 735
welche früher mit ihm nad) Oberaften zogen. Hat er aber eis
nen weiter ausfehenden, mühevollern und gefährlichern Plan,
fo mag er fidy mit uns verftändigen, oder und auf unfre
Gründe hin in Frieden heimziehen Faffen. Folgten wir ihm
alsdann, fo würden wir ihm als treu ergebene Freunde fol:
gen, im andern Falle aber einen fihern Ruͤckzug erhalten;—
ſeine Untwort wird uns wieder hinterbracht, und wir können -
nach Gutdünken unfre Maßregeln nehmen.”
Der Vorſchlag fand Beifall. Klearchus begab ſich an
der Spitze auserwählter Männer zu Cyrus, und trug ihm .
das Anliegen des Heeres vor. Diefer antwortete; fein Feind
Abrokomas ftehe dem Bernehmen nad) in der Nähe des Eus
phrat, zwölf Tagmärſche von hierz Diefem wolle er zu Leibe
gehen, und, wenn er ihn treffe, Strafe an ihm nehmen, falls
er flöhe, weitere Rüdfprache mit ihnen halten. Mit diefem
Beſcheid Eehrten die Abgeordneten zu dein Heere zurück; und
obgleich man noch immer argwöhnte, daß er gegen den König
zöge, befchloß man dennoch, ihm zum folgen. Als fie fobann
Erhohung ihres. Soldes verlangten, verſprach ifmen Eyrus,
ihn um die Hälfte zu erhöhen, und Jedem ſtatt eines Dari⸗
ten einen und eitren halben des Monats zu geben; daB ber
Zug aber dem König gelte, ließ er guch damals noch gegen
Niemanden verlauten.
h. Bon da ridte er in zwei Tagmaͤrſchen, zehn Para⸗
fangen, bis zum Fluffe Saros *) vor, deſſen Breite drei
Plethren betrug; von hier in einem Tagmarſch, fünf Para⸗
*) Sept Seifan, Sifan oder Sechan.
736 Xenophon's Feldzug des jüngern Cyrus.
fangen, bis zum Fluß Pyramus, *) ber ein Stadium breit
war. Don hier. gelangte er in zwei Tagmärſchen, fünfzehn
Darafangen, nad) Iſſi, **) der Außerften Stadt in Cilicien;
fie liegt am Meere, ift groß und biühend. Hier blieb er brei
Tages wo denn auch fünf und dreißig Schiffe aus dem Pelo⸗
vonnes, die der Lacedämonier Pythagoras befehliate, bei ihm
anlangten. Der Egyptier Tamos hatte fie nebft einer an⸗
dern Flotte des Eyrus, die fünf und zwanzig Segel ſſtark
“ war, womit er bad dem Tiffapherned, gegen ben er gemein⸗
ſchaftlich mit Cyrus gekriegt, zugethane Milet belagerte,
von Epheſus aus hergeführt. Auf dieſer Flotte kam auch
der Lacedämonier Chiroſophus, welchen Cyrus hatte kommen
laſſen, mit flebenhundert Hopliten an, die er unter Cyrus bes
fehligte. Die Schiffe legten beim Zelte des Eyrus an. Hier
trafen auch vierhundert Hopfiten, die von Abrokomas, unter
dem fie gedient hatten, abgefallen waren, in feinem Lager ein,
und fchloßen fi feinem Zuge gegen den König an.
" Dann gelangte er in einem Zagmarfch von Fünf Para⸗
fangen an die Engpäfle Eiliciend und Syriens. Dieß waren
zwei Schanzen: bie eine dieſſeits Eiliciend bewachte Syennefld
mit Eiliciern, die jenfeitige gegen Syrien hielten dem Verneh⸗
men nad) koͤnigliche Truppen beſetzt. Mitten durch fließt der
Karfus ***) in einer Breite von einem Plethrum. Der ganze
Zwifchenraum zwifchen den Scanzen betrug drei Stadien,
und mit Gewalt durchzudringen, war nicht möglich; denn
* Jetzt Gehoun (Jeiſan, Dsjiſhan auch Dſchihan)
genannt.
*H Bol, Cap.
++), Jetzt Meeres, Marerfi, auch Maherfi genannt.
Erſtes Buch. 737
der Weg daueben war ſchmal, und die Schanzen liefen bis
zum Meere hin; oberhalb waren unerſteigliche Felſen. Au
dieſen beiden Schanzen waren bie Engpaͤſſe. Wegen dieſes
Durchgangs hatte Cyrus die Flotte kommen laſſen, um in⸗
nerhalb. und außerhalb der Engpaͤſſe Hopliten auszuſetzen,
und ſo den Durchgang zu erzwingen, wenn der Feind etwa
den Syriſchen Engpaß beſeßt Halten ſollte, was Cyrus von
Abrokomas, der ein großes Heer befehligte, erwarten mußte.
Allein Dieſer that es nicht; ſondern verließ auf die Nachricht,
daß Cyrus in Cilicien ſey, Phönicien, und zog mit feinem,
wie ed hieß, dreimal hundert fanfend Mann flarken Heere
dem Könige zu.
Bon da rückte er durch Sprien in einem Tagmarſch von
fünf Paraſangen bis nach Myriandrus, einer Phöniziſchen
Seeſtadt. Hier war .ein Stapelplatz, wo viele Frachkfchiffe
vor Anker lagen. Das. Heer blieb fieben Tage; die Heerfüh-
rer Keniad aus Arkadien und Paflon aus Megara brachten
ihre befte Habe zu Schiffe und fuhren davon; bie Meiften
glaubten, aus gekraͤnktem Ehrgeiz, daß ihre Leute, um nicht
gegen den König zu ziehen, fondern heimzukehren, zu Klear⸗
chus übergefreten waren, und Enrus Dieß gefchehen ließ. Als
fie verfchwunden waren, hieß ed, Eyrus Laffe ihnen mit einis
gen Dreirudern nachlesen; Diele hätten es gerne gefehen,
"wenn man fie einholtes Andere dagegen wünfchten aus WMits
Teid, daß fie entkommen möchten.
Cyrus berief die Heerführer zu ſich und ſprach in ihrer
Mitte: „Xenias und Paflon haben und verlaffen; allein fie
ſollen bald erfahren, daß fie mir noch nicht entronnen find
(denn ich weiß, welche Richtung fie. genommen), noch daß fie
Kenophon. 68 Boͤchn.
738 Xenophon’s Zeldzug bes jüngern Cyrus.
aus meinem Bereiche find; denn ich habe Schiffe, fie einzus
boten. Uber bei den Göttern, ich werde fie nicht verfolgen;
Keiner ſoll fagen, daß ich mich Eines nur bebiene, fo lang er
bei mir bleibt, wenn er aber fort will, ihn ergreife, ihm Ue⸗
beis thue, und ihn des Seinigen beraube. Mögen fie immer:
hin gehen und das Bewußtfeyn in fid tragen, fchlechter an
uns,’ ale wir an ihnen, gehandelt zu haben! Hab’ ich
body ihre Weiber und ihre Kinder zu Tralles *) in meiner
Gewalt; allein audy fie will id) ihnen nicht vorenthalten;
mögen fie auch Diefe hinnehmen, ihrer mir früher gefeifteten
Dienfte wegen. So fprady er; und wenn noch Einer unter
den Hellenen gegen den Feldzug war, fo folgte er ihm jest,
durch feinen Edelmuth gerährt, mit Luft und Eifer.
Hierauf rückte Cyrus in vier TZagmärfchen, zwanzig Para=
fangen,Zan den Fluß Chalog, **) der ein Plethron breit und
reich an großen und zahmen Fifchen war, die hei den Syrern
als Götter verehrt werden, und gleich den Zauben das
Recht der Unverlesbarkeit genießen. Die Dörfer, in denen
fie fi) Tagerten, waren der Paryſatis als Leibgeding für ih⸗
zen Gürtel ***) angewiefen. Bon da zog er in-fünf Tagmaͤr⸗
fhen, dreißigtParafangen, bis zu den Quellen bes Fluſſes
*, Stadt in Indien am Fluſſe Maͤander.
+4, Nach Mannert ber Fluß Chaleb der Syrer,welcher durch
die Stadt Bersa fließt, und hei den Abendlaͤndern Aleppo,
bei Abulfeda Kowaik heißt.
*0*) 83 war bei den Perfern Bitte, die Jahrgelder der fuͤrſtlichen
Derfonen, dem Namen nach, zu einem gewiffen Gebrauch zu
beſtimmen.
Erſtes Buch. 739 _
Darabdar, *) befien Breite ein Plethron betrug. Hier war
das Schloß des Belefis, Statthalters in Syrien, und ein
fehr großer und fchöner Garten, der die Erzeugniffe aller
Yahrszeiten darbot. Eyrus ließ ihn verwäften und das
Schloß niederbrennen.
Don bier gelangte er in drei Tagmärfchen, fünfzehn Pas
safangen, an den Fluß Euphrat, der eine Breite von vier
Stadien hatte; es liegt an ihm bie große und blühende Stadt
Thapſacus. **) Hier biieben fie fünf Tage; Cyrus ließ die
Heerführer zu fih rufen, und erklärte ihnen, daß er nad)
Babylon gegen den großen König ziehe; fie follten Dieß den
Soldaten verkfündigen, und fie dazu bereitwillig machen. Sie
ließen ihre Leute zufammen kommen und eröffneten es ihnen,
Diefe, aufgebracht über ihre Anführer, warfen ihnen vor, fie
hätten es fchon lange gewußt und ihnen nur verheimlicht,
und erklärten, daß fie nicht weiter gehen würden, wenn fle
nice denfelben Sotd befämen, den Jene bekamen, welche Cy⸗
zus zu feinem Water. begleitet hatten, und zwar nicht in den
Krieg, fondern weil Diefer ihn zu ſich befchieden hätte. Dieß
berichteten die Anführer dem Eprus, Er verfpracd nun je:
dem Krisger, der nach Babylon Fame, fünf Silberminen, und
den volfen Sold, bis er fie wieder nad Jonien gebracht
hätte, Dadurch hatte er fchon den größten Theil des Helles
nenheers auf feine Seite gebracht. Menon berief nun, ebe
” ut Sedsjur bei Aintas, dem alten Antiochia am Taurus,
*+) Das vibliſche Tiphſah Ing dicht wei Europus, den jegie
an Jerabeas, ober Jeraboles. 3*
740 Zenophon’d Feldzug des jängern Cyrus.
entfchieden war, wozu ſich die Soldaten entfchließen würden,
feine Leute befonders zufammen, und redete fie alfo an:
„Wenn Ihr mir folgen wolltet, meine Freunde, jo habt
Ihr, ohne weitere Gefahr ober Mühe, von Cyrus größere
Auszeichnung als Eure übrigen Waffengenoffen zu erwarten.
Wie aber, fragt Ihr? Es Tiegt jest Eyrus Alles daran,
daß die Hellenen mit ihm gegen den König ziehen; ich fchlage
Euch deßhalb vor, noch ehe entſchieden iſt, was bie übrigen
Hellenen dem Eyrus antworten werden, über den Euphrat zu
gehen. Denn wenn fie ſich entfchließen, ihm zu folgen, fo
werdet Ihr, als die Erften, die den’ Fluß überfchritten, für
Die Urheber davon angefehen; und Eyrus wird Euren Eifer
zu ſchätzen und zu befohnen wiflen, wie nur irgend Einer.
Entſchließt ſich das Heer nicht dazın, fo kehren wir um, und
Cyrus wird Euch, den einzig treu Gehfiebenen,, ald zuvers
laͤßigen Männern, Beſahungen in Feſtüngen oder Hauptmanns⸗
ſtellen anvertrauen; und auch in andern Stücken werdet Ihr
Euch des Eyrus ald eines gefälligen Freundes zu erfreuen
haben.” Sie forgten feinem Rath und ſetzten, noch che ſich
die Adern erklärt hatten, über den Fluß. Als Eyrus ges
wahrte, daß fie über den Fluß gegangen waren, fandte er fo=
gteich feinen Dolmetſcher Glus an fie ab und ließ ihnen ent=
bieten: „Ihr Habt Euch meinen Beifall erworben, wackere
Männer; mid daß auch ich den Eurigen habe, foll meine erſte
Sorge ſeyn, fo wahr ich Cyrus heiße!" Die Soldaten hegten
nun große Hoffnungen, und wünfchten ihm alles Glück und
Heil. Dem Menon aber fol er koſtbare Geſchenke überſandt
haben. Hierauf fehte er ferbft über den Fluß, und das ganze
übrige Heer folgte ihm. Das Waſſer ging Keinem über bie
\
Erfies Buch, _ 7,74
Bruft. Die Thapfacener behaupteten, daß man noch nie zu
Fuß über diefen Fluß gefebt habe, fondern immer auf Schif⸗
fen ; diefe aber hatte Abrofomas vorher verbrannt, damit Cy⸗
rus nicht überfegen könnte. Man hielt es für einen göttlichen
Wink, und glaubte, der Fluß habe fich dadurch vor Chrus
als feinem Fünftigen Herrfcher gebeugt. Don da durchzog er
Syrien *), in neun Tagmärfchen, fünfzig Parafangen, und
gelangte. an den Fluß Araxes. **) Hier waren viele Dörfer,
in denen ſich ein großer Vorrath von Wein und Getreide
vorfand. Man blieb daferbft drei Tage, und verfah ſich mit
Lebensmitteln.
5: Don hier 308 er durch Arabien, **) den Euphrat
zur Rechten, und legte in fünf Tagmärſchen durch öde Land⸗
ſtriche fünf und dreißig Paraſangen zurück. Su dieſer Ges
gend war der Boden ſo eben wie das Meer, und mit vielem
Wermuthkraut bewachſen. Alles andere Geſträuch und Rohre
gewächfe, das er etwa noch trug, hatte einen gewürzhaften.
Geruch; aber Fein Baum war weit und breit zu fehen; wohl
aber erblickte man mancherlei Thiere, größtentheild Waldeſel
und viele Strauße; auch Trappen und Gnzellen fanden ſich.
Auf diefe Thiere machten Me Reiter zuweilen. Jagd. Die
wilden Efel liefen, wenn man fle verfolgte, davon, und flans
*) Kenophon Yäßt Syrien ſich bis über den Euphrat, das ei
gentliche Mefopotamien, erftrecden. i
+) Der heutige Fluß Khabur, fonft Ehaboras ‚genannt,
Der obere Theil deffelben erfcheint fpäter IV, 5) unter
dem Namen Centrites; er mündet ſechs Stunden unterhalb
Dar in den Euphrat.
”*) Darunter ift hier der füdlihe Theil von Mefopotas -
mien zu verftehen; er gehbrte fpäter zu Irak Arabi.
"42 Xenophon’d Feldzug des jüngern Cyrus.
den dann flilfe (denn fie Tiefen viel fehneller als ein Pferd);
nnd wenn das Pferd nahe kam, machten ſie es wieder fo;
man konnte fie-nicht fangen, wenn fich die Reiter nicht fo
aufſtellten, daß fie diefelben einander entgegentrieben. hr
Fleifch kam dem Hirfchfleifdhe nahe; -nur war ed etwas
zarter, Einen Strauß fing Keiner: die Reiter, die fie ver:
folgten, ließen bald nach; denn dieſe hatten durch die Schnel:
ligteit ihrer Füße und den Schwung ihrer Flügel, die fie
wie Segel gebrauchen, ſogleich einen Vorfprung gewonnen,
Die Trappen aber, wenn man fle nur ſchnell aufjagte, waren
Veicht zu fangen; denn fie fliegen nur kurz und werben fehr
bald müde, Ihr Fleifch war Außerft ſchmackhaft.
Durch diefes Land zogen fie hin, und Samen dann at
den ein Plethron breiten Fluß Maskas. *) Es Tag an ihm
eine verödete große Stadt, mit Namen Korföte, **) von
dem Fluffe rings umfloffen, Hier blieben ‘fie drei Tage und
verforgten fidh mit Lebensmitteln. Won da gelangte man,
den Euphrat zur Rechten, durch wuͤſte Gegenden in dreizehn
Zagmärfchen, neunzig Parafangen, nach Pylä. Auf dies
ſem Marſche raffte der Hunger viel Zugvieh wen; denn bie
ganze Gegend war kahl, und weder Gras noch Gefträud, ir-
gendwo zu finden. Die Einwohner leben davon, daß fie am
Fuße Muͤhlſteine ausgraben und verarbeiten, und damit nad)
Babylon handeln, wofür fie Lebensmittel eintauſchen. Dem
Heere gebrach es an Mundvorrath, und man konnte Nichts
*) Nach Mannert der Saokoras des Ptolemaͤus.
**) Rennel ſetzt fie in die Naͤhe der Traͤmmer der Stabdt an
oder Ir ſah.
Erftes Buch. 743
zu kaufen bekommen, als auf dem Lydiſchen“) Markt im Las
ger der Barbaren, wo die Kapithe Weizens oder Gerſtenmehl
anf vier Siglos **) zu fliehen Fam. Der Siglos beträgt
achtehalb Attiſche Obolen, die Kapithe hält zwei Attiſche
Chönir. ***) Die Soldaten aßen deßhalb gewöhnlich, nichts ale
Fleiſch. ——
Zu mehreren Malen waren die Tagmaͤrſche ſehr angeſtrengt,
wenn man entweder einen Waſſerort oder einen Weideplak
erreichen wollte. Cinmal konnten die Wagen, ald fie auf eis
nen engen. Weg und einen Moraft fließen, nicht weiter kom⸗
men; fogleich Fam Eyrus mit feinem aus den vornehmſten
und reichften Perfern beftehenden Gefolge herbei, und befahl
dem Glus und Pigres, mit Hülfe der Barbaren den Wagen
fortzuhelfen. Als es damit nicht von Statten ging, hieß er,
wie im Aerger, die Perfer in feiner Umgebung Hand anle:
gen, und es war eine Luſt, mit anzufehen, wie Alles eilte,
feinen Befehl zu erfüllen. Sie warfen, wo fle landen, die
purpurnen Kaftane ab, fprangen in ihren koſtbaren Zeibröcen
*) Die Lydier beſchaͤftigten fich nach Larcher feit den Zeiten des
aͤltern Cyrus, der ihnen den Gebrauch der Waffen unterfagte,
mit Handel und Martetenderei.
++, Ein Siglos galt 7% Attifche Obolen; ein Obolos betrug
nach unferem Gelbe 10", Pfennig, alſo ı Siglos — 6 Gr.
ua PR, und 4 Siglos ı Rthlr. ı Gr. 7% Pf. Ein Ober
108 war der fechdte Theil einer Dradıme und beirug 10, 4
oder 11, 3 Pfennig.
*25) Betrug fo viel, als gewöhnlich auf eined Mannes Tagetoſt
gerechnet ward, etwas Über Ys einer Mege nach Berliner
Mab; das Gewicht eines Ehoͤnix = Pfb. 5 Unzen Rbomiſch;
das Römifche Pfund ader ı2 Unzen ober 24 Loth.
744 Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus.
und bunten Hoſen, Einige noch mit goldenen Ketten um beu
Hals und Spangen an den Armen, die fteite Unhöhe herab
in den Koth, und hoben, fchneller als fidy erwarten ließ, die
Wagen heraus. Man ſah wohl, daß es Eyrus darum zu
thun war, fchlennig vorwärts zu kommen; er hielt fich nir⸗
gende auf, ale wo es die Herbeifchaffung von Lebensmitteln
oder andere Bedürfniffe nochwendig machten, indem er, je
mehr er eilte, den König deſto unvorbereiteter anzugreifen
hoffte; da er dagegen, je mehr er zögerte, defto größern Wi⸗
derftand vorausfehen mußte. Dem verfländigen Beobachter
Fonnte nicht entgehen, wie zwar der Perfifche Staat über ein
weites Land und eine ungeheure Bevölkerung zu verfügen
hatte, unerwarteten, raſchen Angriffen aber, wegen der Weit⸗
laͤufigkeit ſeines Gebiets und der Serfplitterung feiner Streits
Präfte, Eeinen bedeutenden Widerftand entgegenzufehen hatte.
Jenſeits des Euphrats nad, den Wüſten zu lag eine blühende,
große Stadt, Eharmande; *) aus diefer holten ſich die Sol⸗
daten Lebensmittel, indem fie in Fahrzeugen auf folgende
Weife dahin ‚überfesten: fle ftopften die Selle, die fle zu
Deden gebrauchten, mit Heu aus, zogen und nähten fie zu⸗
fammen, daß das Wafler nicht eindringen konnte, und fuhren
dann auf ihnen hinüber und holten ſich Xebensmittel, Palms
wein und Yendybrod, dergleichen in der Gegend im Ueberfluß
zu haben war.
Als daferbit ein Paar Soldaten von Menon's und Klearz
chus Leuten mit einander in Streit geriethen , meinte Klear⸗
») Auf ihren Truͤmmern erhob ſich nach Mannert das ſpaͤtere
Diakira, nach Rennel die Stadt Hit.
Erſtes Bud). nk
us, Menon's Soldat habe Unrecht und fchlug ihn. Der
Soldat ging zu feinen Kameraden und beſchwerte ſich bei ihnen.
Diefe wurden hierüber entrüftet und auf Klearchus erbost.
An demfelhen Zage noch Fam Klearchus von der Beſichtigung
ber Weberfahrt und des Marktes, und wollte mit einem Blei
nen Gefolge zwiichen den Zelten von Menon's Leuten hin⸗
reiten. Cyrus war noch nicht da, fondern erft im Anzuge
begriffen. Als nun Einer von Diefen, der eben Holz fpal«
tete, Klearchus vorbeireiten fah, warf er die Art nad) ihm,
verfehlte ihn jedoch. Da warf ein Anderer einen Stein nad)
ihm, dann nod) Einer, und endlich, als Lärm wurde, nod)
Mehrere. Er floh. in fein Lager und rief ſogleich zu den
Waffen; die Hopliten hieß er fchlagfertig zurückbleiben. Er
felbft 308 mit den Thraciern und den Reitern, deren in feis
nem Heere über vierzig, meiftens gleichfalls Thracier, was
ren, auf Menon’s Leute los; worüber Diefe und felbft Menon
erfchraten und zu den Waffen Tiefen. Die Andern flanden
da, und wußten ins Augenblic nicht, was fie weiter Chun
foliten. Proxenus aber, der mit feiner Abtheilung von Ho⸗
pliten zufällig erft anfam, warf fich fogleich mie ihnen zwi⸗
fchen beide Parteien, und bat, fchlagfertig, wie er war, Kles
arch, von feinem Vorhaben abzuflehen. Diefer, unwillig bars
über, daß, da er doch beinahe wäre gefteinigt worden, Pros
xenus die ihm angethane Unbill für gar Nichts achten wollte,
und befahl ihm, ſich zu entfernen. Indeſſen Fam Eyrus her⸗
an, und ritt, fobald er den Vorfall ekfuhr, mit den Wurf:
fpießen in den Händen, an der Spitze feiner Vertrauten dazwi⸗
fhen umd rief: „Klearchus, Proxenus und Ihr übrigen anwes
fenden Hellenen, Ihr bedenkt nicht, was Ihr thut. Wenn
[4
=
7456 RXenophon's Feldzug des jüngern Cyrus.
Ihr Euch unter einander ſelbſt bekriegt, fo iſt es noch an
demſelben Tag um mich geſchehen, und nicht viel ſpäter anch
um Euch; denn alle die Barbaren, die Ihr vor Euch habt,
fallen, wenn wir nicht feſt zuſammenhalten, über uns her,
Pi werden uns gefährlichere Feinde, als felbft des Könige
eer.“
Auf dieſe Einrede ging Klearchus in ſich; beide Theile
gaben ſich zufrie den, und legten die Waffen nieder.
6. Als ſie von hier weiter rückten, fand ſich Huffchlag
"und Mift von etwa zweitaufend Pferden. Diefe waren vor
ihnen hergezogen und hatten Alles verheert und verbrannt.
Hier war ed, wo der Perſer Drontas, -ein Verwandter des
königlichen Haufes, der unter feinen Landsleuten für einen
der beften Krieger galt, und früher einmal gegen Eyrus ge=
fochten, aber fich wieder mit ihm ausgefähnt hatte, Diefen zu
verrathen ſuchte. Er erbot fih nämlich, mit taufend Pferden
die Reiterei, die jene Verheerung vor ihnen anrichtete, ent
weder aus einem Hinterhalt niederzußauen, oder ‚einen Theil
davon gefangen zu nehmen, ihnen das weitere Verwüſten zu
wehren, und Keinen, der des Heeres von Cyrus anfichtig
würde, dem König Nachricht überbringen zu laſſen. Eyrns
leuchtete diefer Borfchlag ein, und er ward von ihm ermäch-
tigt, ſich von jedem der Sinführer eine Anzahl Pferde geben
zu Taffen.
Als nun Drontas meinte, die Reiter zu feiner Verfü⸗
gung zu haben, ſchrieb er an den König, daß er fo viele
Meiter, als ihm ner immer möglid, wäre, ihm zuführen
würde; er folle den Seinigen Befehl geben, ihn als Freund
aufzunehmen ; auch erinnerte er ihn feiner frühern Ergebenheit
N " \
Erſtes Buch. ee 77;
und Treue. Diefen Brief übergab er einem, wie er glaubte,
auverläffigen Manne; Diefer aber händigte ihn dem Cyrus ein.
Nach Durdylefung deſſelben Tieß Cyrus den Drontad gefangen
nehmen, und befchied fieben der vornehmſten Perfer in ſei⸗
sem. Lager zu fich in's Zeitz den Helleniſchen Anführern aber
befahl er, mit Hopliten vor feinem Zelte aufzuziehen. Sie
kamen mit dreitaufend Mann. Den Klearchus, der ihm und
den Andern in dem größten Anſehen unter den Hellenen zu
fliehen fchien, vief er in’s Zelt, um an den Berathungen Theil
zu nehmen. Da er wieder herauskam, berichtete ev feinen
Freunden das über Orontas gehaltene Kriegsgericht, aus dem
man Fein Geheimniß machte. CEyrus hielt, fagte er, an die
Berfammelten folgenden Vortrag:
„Ich habe Euch berufen, meine Freunde, um mich in
Gemeinſchaft mit Euch zu berathen, wie ich auf die vor
Gott und den Menſchen gerechteſte Weiſe mit dieſem Oron⸗
tas hier verfahren ſoll. Als er, wie er ſelbſt ſagte, auf Au⸗
trieb meines Bruders die Waffen gegen mich ergriffen und
fi) der Burg in Sardes bemächtigt hatte, brachte ich ihn
endlich durch Gewalt der Waffen dahin, daß er für gut fand,
vom Kampfe abzuftehen, und wir beflegelten durch Handſchlag
gegenfeitig denTFrieden. „Habe ich dich, Drontas, nachher,‘
fragte er ihn, „auf irgend eine Weife beleidigt 27 — „Nein,“
war feine Antwort. — „Haſt du nicht," fuhr Cyrus fort,
„nachdem du, ohne von mir befeidige zu fegn, zu den My⸗
fiern *) bgefall en warft, mein Zand auf jebe Meife beunruhigt ?
” Eine wotherſchaft in Kleinaſien, die fü ch ſtets von der Herr⸗
s ſchaft der Perfer unabhängig zu erhalten firebte,
745 Xenophon's Feldzug des jüngern Cyrus.
Drontas bejahte es. „Biſt du nicht, als’ du deine Ohnmacht
fühlteſt, zum Altare der Artemis geflohen, und haft dort dein
Vergehen reuig bekannt, mir Treue zugefchworen und dir
von mir fchwdren laſſen?“ Auch Dieß bejahte Drontas.
Womit hatte ich ed nun verfchuidet,‘ fragte Cyrus, „daß
du zum: dritten Mal gegen mid) zum Verräther werden wolls
teſt?“ Als Orontas antwortete, er habe es durch Nichts
verſchuldet, fo fragte er ihn: „Du befenneft aljo, daß du
trenlos gegen mid) gehandelt haſt?“ Drontas: „Ja ich muß
es freilich.“ — „Würdeſt du wohl noch,“ fragte ihn Cyrus
endlich, „gegen meinen Bruder mir treu ſeyn?“ — Wenn
ich's auch wollte,“ autwortete er, „ſo würdeſt du mich doch
nie mehr dafür halten.“
Hierauf wandte ſich Cyrus an die Anweſenden: „Das
Alles hat der Mann gethan, das Alles bekennt er. Du,
Klearchus, ſage zuerſt deine Meinung. Klearchus antwor⸗
tete: „Ich rathe dir, den Mann, ſobald wie möglich, un⸗
ſchaͤdlich zu machen, damit wir uns nicht mehr vor ihm zu
hüten haben, und die Zeit, die wir auf Dieſen verwenden
müßten, lieber dazu verwenden, Denen Gutes zu thun, die
aus Neigung unfere Freunde ſind.“ Dieſer Meinung ſeyen
dann auch die Uebrigen beigetreten. Hierauf ftanden Alle,
auch feine Verwandten, auf, und faßten ihn-auf Eyrus Be⸗
fehl, zum Zeichen der Verurtheilung, am Gürtel; und Die,
denen es aufgetragen war, führten ihn hinaus. Als ihn Dies
jenigen erblidten, die ihm früher ihre Ehrerbietung bezeug⸗
ten, fielen fie auch jetzt noch vor ihm nieder, obgleich fie wuß⸗
ten, daß er zum Tode geführt wurde. Nachdem man ihn in
das Zelt des Artapatas gebracht hatte, der unter den Zepterträs
Erftes Buch. i 749
gern *) des Enrus Vertrautefter war, warb er nachher nie⸗
mals, weder Tebendig noch todt, gefehen; auch konnte Nies
mand mit Gewißheit fagen, wie er umgefommens **) man
war darüber verfchiedener Meinung; fein Grab hat gleichfalls
Reine jemals gefehen.
. Bon hier 309 Eyras in drei Zagmärfchen,. zwölf Da:
cafangen, durch Babplonien. Am dritten Tage mufterte er
anf freiem Felde um Mitternacht Hellenen und Barbaren;
denn er glaubte, der König werde mit anbredendem Morgen
ihm eine Schlacht anbieten. Klearchus mußte den rechten,
Menon den linken Flügel befehligen ; er ſelbſt führte die Seis
nigen an.
Mach beendigter Muferung famen mit Anbruch des Ta⸗
ges Ueberlänfer vom großen Könige, und brachten dem Tyrus
Nachricht vom feindlichen Heere. Auf deren Bericht berief
Eyrud die Heerführer und Hauptleute des NHellenenheers zu
ſich, und munterte fie durch foldende Rede auf:
„Helleniſche Frennde, nidyt aus Mangel an einheimifchem
Kriegsvort führe ich Euch. als Mitftreiter hieher, fondern
weil ich Euch für beffer und tapferer als viele Zanfende von
Darbaren hate. Darum beweifet Euch nun ald Männer,
würdig der Freiheit, die Ihr befist, und um derenwillen ich
Euch glücklich preife; denn feyd überzeugt, daß ich fie Allem,
was id) befige, und noch viel Mehrerem vorziehen würde.
Sp vernehmt denn von mir, der id) Deffen kundig bin, wel-
dyer Kampf Euch erwartet. Die Anzahl der Yeinde ift aroß,
*) Verſchnittene von der Leibwache, welche Zepter trugen,
I Nach einer Stelle in Herodot (VII, 114) laͤßt fich vermu⸗
then, daß Orontas im Zelte lebendig begraben wurde, .
-
50 Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus.
und unter großem Geſchrei gefchieht ihr Angriff. Haltet Ihr
nur Diefen aus, fo werdet Ihr, fast. ſchaͤm' ich mich's zu fas
gen, bald finden, welche Leute Ihr vor Euch habt. Beweist
Ihr Euch ald Männer, die kühnen Muth befigen, fo will ich
Euch, wenn Ihr nad Haufe Eehret, fo bedenfen, daß Eure
Mitbürger Euch beneiden, Viele von Euchjaber, der Heimath
vergeffend, bei mir zu bleiben vorziehn ſollen.“
Da trat ein Verbannter aus Samos, mit Namen Gau⸗
lites, ein treuer Anhänger des Cyrus, vor, und entgegnete
ihm: „Es fagen Biele, o Cyrus, daß du im Drange nahender
Gefahr Großes verſprecheſt, im Glücke aber deiner Verhei⸗
ßungen nicht weiter gedenken werdeſt; Andere meinen, daB
du, wenn du fpäter das Andenten daran und den Willen hät:
teft, nicht. im Stande feyn würdeſt, alles Das, Iwas bu une
verheißen, in Erfüllung zu bringen.‘
Eyras-erwiederte: „Mein väterliches Reid) erſtreat ſich
gegen Mittag bie dahin, wo man vor Hitze, und gegen Mit⸗
ternacht, wo man vor Kälte nicht wohnen kann. Alles, was
in der Mitte Liegt, fleht unter Satrapen, die meinem Bru⸗
der befreundet find; flegen wir, fo folet Ihr, als meine
Freunde, an deren Stelle treten. Daher fürchte ich nicht,
daß es mir an Mitteln fehlen werde, alle meine Sreunde zu
befohnen, wohl aber au Freunden, die deſſen würdig find. Je⸗
dem von Euch, Hellenen, ſchenke ich überdieß eine goldene
Krone.
Ars fie Solches hörten, wurden fie Alle noch bereitwilli⸗
ger, und verkündeten es den Uebrigen. Da Famen denn andy
noch andere Helleuen vor ihn, unb begehrten von ihm zu er=
fahren, Was fie zu hoffen hätten, wenn fie fliegen würden,
' Erſtes Bud). 751
Cyrus entließ Alle mit den fchönften Hoffnungen. Alle, wel⸗
de mit ihm ſprachen, forderten ihm auf, nicht perfönlichen
Antheil am Kampfe zu nehmen, fondern fid hinter ihren
Reihen zu halten. „Glaubſt du wirklich, Cyhrus,“ fragte ihn
Klearchus bei diefer Gelegenheit, „daß dein Bruder es zur
Schlacht kommen läßt?’ — ‚Bei den Göttern,“ entgegnete
Eyrus: ‚er müßte fein Sohn des Darius und der Parpfatis,
noch mein Bruder feyn, wenn ic) dieß Altes ohne Schwerte
flreich in meine Gewalt befommen follte.‘‘
Das Heer wurde nun unter dem Gewehre nochmale ge⸗
zählt. Die Hellenen befanden aus zehntaufend vierhunder -
Hopliten, *) zweitaufend fünfhundert Peltaften; der Barba⸗
ren waren ed hunderttaufend Mann, nebſt zwanzig Sichelwa⸗
gen. Die Zahl der Feinde dagegen belief fid,, wie man hörte,
anf eine Million zweimal hunderttaufend Mann, nebſt zweihun:
dert Sichelmagen, and weiteren fechstaufend Mann Reiterei,
die unter den Befehlen des Artagerfed vor dem Könige felbft
aufgeftellt waren. Das königliche Heer fand unter vier Feld⸗
herren, Abrokomas, Ziffaphernes, Gobryas, Arbaces, von de:
nen Jeder dreimal bunderttaufend Mann befehligte. Won
Diefen waren nur neunmal hundertiaufend Mann nebft hun
dert und fünfzig Sichelwagen im Treffen; Abrokomas traf
+) Hier gibt Kenophon wahrſcheinlich blos die Anzahı Derer an,
die unmittelbaren Antheil am Zreffen nahmen, ohne Dieje-
nigen mitzurechnen, die zur Dedung bed Gepaͤckes zuruͤckblei⸗
ben mußten; auch mochten bei dem langen, befchwerlichen
Zuge Biele in Abgang gefommen feyn. Die vierhundert
weiteren Peltaften aber wurden entweder aus den Hopliten
genommen, oder waren die von Abrokomas Übergegangenen
nicht Hopliten, fondern Peltaſten.
752 Xenophon’s Feldzug des jüngern Eyrus.
erft fünf Tage nach der Schlacht aus Phönicien ein. Dieß
binterbrachten dem Cyrus noch vor der Schlacht Weberläufer
vom Heere des großen Königs; auch ward es nadı dem Tref:
fen von den Gefangenen beftätigt.
Eyrus rüdte nım einen Zagmarfch, drei PDarafangen,
mit dem eigenen und dem KHellenifchen Heere in Schlachtord⸗
nung vor, weil er glaubte, daß der König fidy noch an dem⸗
felben Zage fchlagen würde; denn auf der Hälfte des Zuges
ftieß man auf einen tiefen Graben, von fünf Klaftern Breite
und drei Klaftern Tiefe. Er Tief landeinwärts über die
Ebene, zwölf Parafangen weit, bie an die Medifche Mauer. *)
_ Hier find die Kandle, die aus dem Tigris kommen; es find
vier, ein Plethron breit, und von foldyer Tiefe, daß fie von
Kornfchiffen befahren werden; fle ergießen fi in den Eu⸗
phrat, eine Parafange weit von einander, und es gehen Brüden
über fie. Am Euphrat war zwifchen dem Fluß und dem
Graben ein fchmaler Durchgang, etwa zwanzig Fuß breit.
Den Graben hatte der große König auf die Nachricht von
Cyrus Anzug als Schubwehr anlegen laffen, Dutch biefen
Daß z09 Cyhrus mit dem Heere und betam fo den Graben
hinter fih. An diefem Tag ließ fid) der König in kein Tref-
fen ein, und man fah an den Fußſtapfen von Pferden und
Menfchen, daß er ſich zurückzog. Da ließ Eyrus den Wahr;
fager Silanus aus Ambrakia **) zu fich rufen, und gab ihm
dreitaufend Darifen, weil er ihm eilf Zage vorher bei’m
+, Eine von den Babyloniern gegen die Einfälle der Meder zwi-
ſchen dem Euphrat und dem Tigris errichtete Schugmaner.
**) ae Stadt in Epirus, an dem nach ihr genannten Meer⸗
ufen.
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x *
Erſtes Buch. 753
Dpfer gefagt hatte, der König würde ſich binnen zehn Tagen
noch nicht fchlagen. Eyrus hatte dagegen behanptet: „er wird
fih gar nicht fehlagen, wenn er ſich nicht in zehn Tagen
fehlägt; wenn deine Weiffagung eintrifft, gebe ich dir zehn
Talente. Diefe Summe zahlte er ihm jest; denn die zehn
Tage waren verfloffen. Als Eyrus aber mit dem Heer an
dem Graben feinen Widerfland fand, ſchloß er und Aue, daß
der König e8 nicht zum Treffen Eommen Iaffen wolle, fo daß
man fihon am folgenden Tage mit geringerer Vorſicht vor:
rücte. Am dritten Tage machte er fogar den Weg zu Was
gen, und hatte nur wenige gerüftete Mannſchaft vor fidh her.
Der größte Theil zog ohne Ordnung einher ; und viele Sol⸗
daten -ließen fidy fogar ihre Waffen auf den 1 Wagen und Laſt⸗
thieren nachführen.
8. Schon fand die Sonne hoch am Himmel und ber
Drt, wo man lagern wollte, war nicht mehr fern, als der
Perſer Pategyas, ein Dertrauter des Eyrus, auf ſchwitzendem
Hoffe danergefprengt Fam, und Alten, auf die er fließ, auf
Perſiſch und Helleniſch zurief, daß der König mit einem gro⸗
gen Heere in Schlachtordnung im Anzuge begriffen fey. Da
ging es nun gewaltig durch einander, und Hellenen und Bars
baren glaubten, daß er fie in ihrer Unordnung überfalien wür⸗
de. Cyrus fprang ſogleich vom Wagen, warf ſich in den Har⸗
niſch, ſchwang ſich aufs Pferd, ergriff die Wurfſpieße und
befahl allen Andern, fih zu waffnen und fid) auf ihre Poften
zu begeben. Dieß geſchah in größter Eile: Klearchus lehnte
fidy mit dem rechten Flügel an den Euphrat; nächſt ihm bes
fehligte Prorenus, und fo der Reihe nach die übrigen Anfühs
rer; Menon aber bildete mit feinem Heerhaufen den linken Fluͤ⸗
Kenophen, 6 Bin _ 4
754 RXenophon's Feldzug des jüngern Cyrus.
del des Hellenifchen Heeres. Don den Barbaren ftauben ges
gen taufend Paphlagonifche Reiter nebft deu Hellenifchen Pels
taſten auf dem rechten Flügel des Klearchus. Auf dem lin⸗
Ben fand Ariäus, ein Unterbefehlöhaber des Cyrus, mit deu
andern Barbaren. Im Mitteitrefen befand fi; Cyrus mit
ſechshundert Reitern, die Alte mit großen Panzern, Beins
harnifchen und Helmen bewehrt waren. Cyrus aber erwar⸗
tete mit unbehelmtem Haupt den Kampf, fo wie überhaupt
die Perfer mit unbewehrtem Haupt in den Kampf gehen
follen, Alle Pferde beim Heere des Cyrus haften Schilde
auf Stirn und Bruſt, und die Reiter führten Hellenifche
Schwerter.
Schon war es Mittag und noch immer wollte ſich Fein
Feind fehen laffen. Nachmittags aber gewahrte man eine
weiße Staubwolke, die nicht lange darauf in ein ungewiffes
Dunkel überging., und die ganze Fläche einnahm. Als fie
näher kamen, ſchimmerte das Erz; man erkannte nun deute
lid) die Zangen, und konnte die Glieder unterfcheiden. Dem
linken Flügel der Zeinde bildeten Reiter in weißen Panzern,
welche, wie es hieß, Ziffaphernes befehligte; nächft Dieſen
kamen Truppen mit geflechtenen Schilden, an welche fidy
Schwerbewafinete mit hölzernen Schilden reihten, bie bis
zum- Kuöchel reichten, dem Vernehmen nad) Aegyptier. Dann
Samen wieder Reiter, und auf Diefe Bogenſchützen. Alle wa⸗
ven ach ihren verfchtedenen Volkerſchaften geſtellt, und zo⸗
den in gefchloffenen Bierecken auf. Bor ihnen fuhren in
weiten Swoifchenräumen die fogenannten Sichelmagen. Die
Sicheln flauden an den Achſen hervor , und waren unter den
Wagenſitzen erdwaͤrts gebogen, fo: daß fie Alles zerfchwitten,
Erftes Buch. | „55
was fie erreichten. Man hatte die Abſicht, mittelſt ihrer die
Hellenifhen Schlachtreihen zu brechen. Was Corus in feis
ner Rede an die verfammelfen Hellenen fagte, fle follten nur
das Geſchrei der Barbaren aushalten, erfolgte nicht; denn
fie kamen nicht mit Gefchrei, fondern in möglichſter Stille in
gleichem, laugſamem Schritte herangezogen. Während Deſſen
‚rise Cyrus mit feinen Dolmetfcher Pigres und brei oder vier
Andern vorüber, und rief dem Klearchus zu, er folfe mit ſei⸗
nen Leuten auf das Mitteltreffen der Feinde einbrechen, weil
dort der König fich befinde. „Wenn wir dort fiegen,’' fprady
er, „fo ift Ülles gewonnen.’ Ob nun gleich Klearchus die
feindliche Reiterei in der Mitte fah, und von Cyrus hörte,
daß der König weit außerhalb des Tinten Flügels der Helles
nen fiche — denn er war dem Cyrus fo fehr an Menge
überkegen, daß er fehon mit dem Mittelpunft feines Heeres
die linke Flanke von Cyrus Heer überflügelte — fo wollte er
dennoc den rechten Flügel nicht vom Fluſſe abziehen, indem
er fürchtete, fo von beiden Seiten eingefrhloffen. zu werben;
und antwortete dem Cyrus nur, er werde dafür forgen, daß
Alles ont gehe. on
Indeſſen zog das feindliche Heer in gerader Linie heran.
Des Hellmenheer ftellte ſich nach uud nach, fo wie es eins
rüdte, in Schlachtordnung auf. Cyrus kam in einiger Ent-
fernung von feiner Schlachtlinie heraufgeritten, und beobach⸗
tete bald Freunde, bald Feinde. Als ihn der Athener Xeno⸗
phon erblickte, - vitt er zu. ihm heran, und fragte ihn, ob er
no Etwas zu -befehlen hätte; Eyrus hielt an und befahl
ihm, Allen. zu fagen, daß die Opfer einen glücktichen Erfolg
verſprechen. In. diefem Augenblid hörte er ein Gemurmet
756 Xenophon’d Feldzug des jingern Cyrus.
durch die Reihen hin und fragte, was Dieß zu bedeuten
Hätte. Xenophon fagte ihm, es: gehe die zweite Loſung *)
herum, Cyrus fragte verwundert, Wer fle ertheile, und wie
ſie heiße? „Zeus der Retter und Sieg!’ war Deſſen
Antwort. „Wohl denn,“ fprach Eyrus, „das ſoll fie ſeyn!“
und riet auf feinen Standort ab; und nitht volle vier Sta⸗
dien waren beide Schlachtlinien mehr von einander, da erho⸗
ben die Hellenen ihren Schlachtgefang und vüdten auf die
Feinde los. Als durch das fehnelle Vorbringen die Linie eine -
Bengung bekam, fo Samen die Andern, um nicht zurüdzubleis
ben, in Lauf; während fie num Ale im Sturmfchritt dahin-
rannten, erhoben fie dad Gefchrei, das dem Kriegsgott gilt,
indem fle.aud, wie Einige fagen, um die Pferde fühen zu
machen, mit den Lanzen an bie Schilde ſchlugen. Bevor man
aber noch in Schußweite Fam, wandte ſich die feindliche Rei-
ferei und floh. Die Hellenen verfolgten fle aus allen Kräf⸗
ten, indem fle einander zuriefen, nicht im Laufe, fondern ge:
fchloffen, ihnen nacyzufegen. Die Sichelwagen vannten nım
ohne Lenker theils durch die Feinde ſelbſt, theild aber aud)
- purch die Hellenen. Diefe machten, fobatd fie folhe fommen
fahen, Bahnz es ward zwar hier und da Einer überholt,
wenn er, wie es oft beim Wagenrennen geht, in der Beſtür⸗
zung nicht eilig genug war; doch hörte man nicht, daß Einer
dabei Schaden genommen hätte. Auch war überhdupt Fein
+) Die Hellenifchen und Nbmifchen Feldherrn pflegten der Si⸗
cherheit wegen häufig mit dev Loſung zu wechfeln; befonders
geſchah Dieb ummitteldar vor der Schlacht, wo die legte Kor
fung jedesmal in einem gluͤckweiſſagenden Ausdruck beftand.
Erſtes Bud). 797°
Hellene, Einen auf dem Tinten Flügel ausgenommen, der ei
nen Pfeitfchuß erhielt, befchädigt worden.
As Cyrus fah, daß die Hellenen ihrerfeits flegten, und
den entgegenftehenden Feind verfolgten, war er hocherfrent,
und wurde von feiner Umgebung bereits als König begrüßt;
fieß fih aber aud fo nicht vermögen, an der Verfolgung
Theil zunehmen, fondern hielt feine fechehundert Reiter beis
fammen, und beobachtete: die Bewegungen des Königs, der,
wie er wußte, fih im Mitteltveffen des feindlichen Hee⸗
res befand. Auch die übrigen Anführer der Barbaren was -
ren im Mittelpunft ihres Treffens, weil fie fich dort am
fiherften glaubten, wenn fie ihre Macht zu beiden Seiten
hätten, und von da auf dem Eürzeften Wege ihren Leuten
die nöthigen Befehle ertheilen Eönnten. Obgleich nun der
König im Mitteltreffen war, fo veichte diefes doch über dei
linken Flügel des Cyrus hinaus. Da er nun Beinen Feind
vor ſich fand, der ihn oder die vor ihm flehende Schaar an-
gegriffen Hätte, fo machte er eine Schwenfung, um den
Feind einzufchließen. Als Cyrus Dieb gewahrte, mußte er
befürchten, daß er den Hellenen in den Rüden fallen und fie
fo zu Schanden hauen würde, und brach jebt mit feinen
fechshundert Reitern auf die Feinde ein, warf Alles nieder,
was vor dem Könige ftand, fchlug die fechstanfend Reiter in
die Flucht, und foll mit eigener Hand ihren Anführer Arta⸗
gerfes niedergemacht haben,
Hierauf zerftrenten ſich in der Hibe des, Verfolgend auch
die Sechshundert des Eyrus, und nur fehr Wenige, faſt
nur feine Tifchgenoffen, waren um ihn geblieben. Da er:
bfidte er den König unter feinem Gefolge, bielt fi nicht
58 Kenophon’d Feldzug des jüngern Cyrus.
Känger, ſondern fprengte mit dem Rufe: Ich fehe ihn! anf
Artarerres los, und verwundete ihn mit einem Stoße durch
den Panzer auf die Bruft, wie der Arzt Kteflas, der feiner
Ausſage nach die Wunde geheilt Hat, verfiihert.
Während dieſes Stoßed traf Einer mit aller Gewalt
den Eyrus mit einem Wurffpieß unter das Auge. Wie Viele
bei dieſem Kampfe der Brüder und ihrer Gefolge von Bönig:
licher Seite blieben, berichtet Ktefiad, der ſich bei’m Könige
befand. WUndererfeits fiel Cyrus, und acht feiner vornehmſten
Freunde lagen über ihm. Artapates aber, der trenefte unter
feinen Zepterträgern, foll, ald er Cyrus falfen ſah, vom
Pferde gefprungen ſeyn und ſich über ihn hingemorfen ha:
ben. Hier ward er, wie Einige behaupten, auf Befehl des
Könige getödtet; nad Andern ftieß er über dem Leichnam
dee Eyrus ſich das Perfifche Schwert in die Bruftz es war
Son Gold; aud) trug er Halskette, Armbänder und dergleis
hen Schmud, wie der vornehmften Perſer Einer; denn er
hatte wegen feiner Auhänglichkeit und Zreue bei Eyrus in
hoher Gunſt geflanden.
9 Ein folhes Ende nahm Cyrus, nad) dem einftimmi-
gen Urtheil Derer, die ihn Fannten, feit Eyrus, dem Xel:
tern, unter allen Perfern der Würdigfte, ein Diadem zu fra
gen. Schon ald Knabe, da er mit feinem Bruder und den
andern Knaben erzogen ward, hatte er es in jeder Hinficht
Allen zuvorgethan. Die Kinder der Perfifchen Großen nam:
‚ Ti) werden am Hofe erzogen, wo fie -Selegenheit haben, ihz
ven Geiſt zu bilden, und nichts Unanftändiges zu hören noch
zu fehen bekommen. Sie fehen und hören es and), wenn
Einer vom Könige ausgezeichnet, oder mit Schimpf belegt
—
Erſtes Buch. 759
wird, ſo daß ſie gleich von Kindheit an die Kunſt zu befeh⸗
len und zu gehorchen lernen. Hier zeichnete ſich Cyrus vor
allen ſeinen Geſpielen durch ein ſittſames, beſcheidenes Be⸗
tragen aus, und bewies gegen Aeltere mehr Folgſamkeit als
Andere, die unter ſeinem Stande waren. Er ſaß gerne zu
Pferd, und wußte auch ſehr gut mit Pferden umzugehen;
auch in Eriegerifchen Künften, dem Bogenfchießen und Wurf⸗
fpießwerfen,, zeigfe er die größte Gelehrigkeit und Fertigkeit.
Als es: fein veiferes Alter erlaubte, war er ein leidenfchaftli»
her Jagdliebhaber, und bewies dabei den Pühnften Muth.
Einft, da ein Bär auf ihm loskam, nahm er nidyt die Flucht,
fondern ‚feste fidy zur Wehr, und ob ihn diefer gleich vom
Dferde riß und ihm einige Wunden beibracdhte, wovon er nod)
fihtbare Narben trug, erlegte er ihn doch, und verfeste
Den, der ihm zuerft zu Hülfe Bam, in beneidenswerthe Glücks⸗
umſtaͤnde.
Da er von feinem Vater zum Satrapen über Lydien,
Großphrygien und Cappadocien, und zum Oberbefehlshaber
über Alle geſetzt ward, die ſich zur Muſterung in der Kaſto—
liſchen Ebene verfammeln mußten, fo zeigte er durch die
That, wie viel es ihm gelte, bei Bündniffen, Verträgen und
Zufagen aufs pünktlichfle einzuhalten. Daher febten auch
die ihm untergebenen Städte das vollfte Vertrauen auf ihn;
auch Einzelne, felbft Feinde, beforgten Nichts von ihm, fo
wie er einmal ſich mit ihnen verglichen hatte,
Aus diefem Grunde traten alle Städte, da er wider
Tiffaphernes zu Felde ging, zu Eyrus über, die Milefier
ansgenommenz; Diefe fürchteten ihn, da er die Sache der
Vertriebenen nicht aufgeben wollte ; denn er erklärte und be-
- *
760 RXenophon's Feldzug des juͤngern Cyrus.
wies es durch die That, daß er, einmal ihr Freund gewor⸗
den, und wenn Ihrer auch weniger würden, oder ihre Lage
fchlimmer wäre, ihnen nie entfliehen würde. Sichtlich ftrebte
er, ſowohl Dem, der ihm Gutes erwielen, ald Dem, der ihr
befeidigt hatte, im Webermaß zu vergelten, und äußerte, wie
@inige fagen, einmal den Wunfch, nur fo lange zu eben,
bis er e8 Freunden und Feinden durch Wiedervergeltung zu=
vorgethan hätte. In unfern Tagen ift er daher wohl der
einzige Mann, für den fo viele Menfchen Schäge, Vaterland
und felbft ihr Leben bereitwillig dahingegeben hätten.
Doc konnte auch Keiner fagen, daß er fi von Ders
feumdern und Böſewichtern zum Beften haben ließ; im Gegen⸗
theit, feine Rache wer fdhonungslos. Oft fah man auf offe-
ner Straße Menfchen ohne Hände, Füße uud Augen; Dieß
hatte zur Folge, daß in feinem Gebiete, Hellenen und Barbaren,
wenn fie ſich Nichts zu Schulden fommen ließen, mit Hab und
But, wohin fie wollten, unangefochten verßehren konnten. Maͤn⸗
nern von Tapferkeit erwies er, wie allgemein bekannt ift, befon=
dere Auszeichnung. Sein erfter Feldzug galt den Piflden und
Myfieın; da er nun ſelbſt mitzog, und fo Gelegenheit hatte,
zu fehen, Wer Muth und Kühnheit befaß, fehte er Diefe als
Statthalter über die eroberten Landſchaften, und zeichnete
fie noch durch andere Gunftbezeugungen aus, fo daß man die
Zapfern bei ihm ihr Glück madhen, die Feigen aber ihnen
untergeben fah. Daher fanden ſich auch eine Menge kühner
Üdenteurer bei ihm ein, die unter feinen Augen dienen wollten,
. Sah er, daß Einer den Ruf der Uneigennügigßeit und
Mechtlichkeit au behaupten ftrebte, fo fuchte er ihm auf jede
Weife in Rückſicht feines Vermögens über Diejenigen zu ers
De nn — —7—
—
Erſtes Buch. 761
heben, die ſich durch ungerechte Mittel bereichern wollten.
Sp ging nicht nur in der Verwaltung feines Landes Alles
anf ehrenhaftem Fuß, fondern er hatte aud) ein Heer, auf
das er fich verlaffen Eonnte. Denn hohe und niedre Krieges
befehlshaber kamen an feinen Hof, um in feine Dienfte zu
treten, nicht fowohl des Geldes wegen, als weil fie unter
Eyrus zu dienen fchon für größeren Vortheil hielten, als des
nipnatlichen Soldes wegen. Auch ließ er, wenn man in andern
Dingen feinen Willen zu vollfireden wußte, ſolchen Eifer nie
unbelohnt, und hatte deshatb zu jedem Gefchäfte die willig:
ften und thätigften Leute. Wenn er einen tüchtigen Wirth:
fchafter hatte, der das Land, über das er gefebt war, in
Aufnahme brachte und dabei auf rechtlichem Wege feinen
MWontftand verbefferte, fo entzog er ihm nichts, fondern gab ihm
noch mehr dazu. Dieß machte Luft; man verbefferte getroſt
feinen Erwerb, und fuchte ihn vor Eyrus nicht geheim zu
halten ; denn man wußte von ihm, daß er Keinen beneidete,
der feinen Reichthum offen fehen Tieß, Denen aber auf jede
Weife die Flügel befchnitt, die damit hinter dem Berge hiels
ten. So Viele er ſich zu Sreunden machte, deren Ergebens
heit und Tüchtigkeit für feine etwaigen Unternehmungen er
erprobte, Denen fuchte er, wie Alle einftimmig geftehen, auf
jede Urt gefällig zu werden. Denn wie er fih für feine
Zwecke des Beiftandes feiner Freunde verfah, fo ſuchte er
feinerfeitö Denfelben, in Befriedigung ihrer Wünfche, jegli⸗
chen Vorſchub zu leiſten. Niemand bekam aus mancherlei
Veranlaſſungen ſo viele Geſchenke wie er; er ließ ſie aber
meiſtens ſeinen Freunden mit Rückſicht auf ihren beſondern
Geſchmack und ihre eigenthümlichen Bedürfniſſe zu gute kom⸗
"62 Xenophon’d Feldzug des jüngern Cyrus.
men. Bon dem Waffenſchmuck und dem Kleiderpus, den er
erhielt, äußerte er, er könne die fchönen Sachen alle nicht zu
eigener Bierde gebrauchen; des Mannes fchönfter Schmud aber
fey, feine Freunde zu ſchmücken. Daß er im Wohlthun, bei
bedentendern Mitteln, feine Freunde übertraf, ift weniger zu -
verwundern, als es ihm Ehre brachte, daß er es. ihnen auch
in zuvorfommender Aufmerkfamkeit und dem Eifer, ihnen zu
Gefallen zu leben, zuvorthat. Dft ſandte er ihnen halbe Fäß:
chen Wein, wenn er befonders Lieblicdyen befam, und ließ fa:
gen, fchon Lange her hätte er Keinen fo trefflichen über den
Mund gebradht: „Cyrus fendet ihn dir, damif du ihn mit
Denen, die du lieb Haft, trinken magſt; “ — oft halbe Gänfe,
halbe Brode und dergleichen mehr, wobei er durdy den Ue⸗
berbringer fagen Tieß: „bein Cyrus, dem ed gemundet bat,
wünſcht, den Genuß mit dir zu theilen.“ Wenn ed an Fut⸗
ter gebrach, weldyes er bei feiner Fürforge und der Menge
von Dienern noch am beften auftreiben konnte, ließ er feinen
Freunden Davon bringen, um es ihren Pferden vorzumer-
fen, „damit diefe, wenn fie feine Freunde frügen, nicht huns
gern dürften.‘ Während der Reife rief er, wo er erwarten
Eorinte, von Dielen beobachtet: zu werden, feine Freunde zu
ſich heran, und beſprach fidy mit ihnen über ernfthafte Ge:
senftände, damit man fehen möchte, Wen er in Ehren hal—⸗
te: Dem zu Folge, was ich gehört habe, ward wohl nie-
Semand von fo vielen Hellenen und Barbaren geliebt. -Ein
Beweis hiefür ift aud) der Umftand, daß von ihm, dem Va⸗
falten, Niemand zum Könige abfiel. Nur Drontas machte
den-Derfuch; und auch Diefer, den der König für feinen ‚Ges
freuen bielf, zeigte bald genug, daß er dem Cyrus gemoge:
Erſtes Buch. . 765
ner war, als ihm. Bon dem Könige aber traten, fobald die
‚Feindfeligteiten zwifchen ihnen ausbradhen, Viele, und zwar
gerade die Lieblinge Deffelben, zu Eyrus über, indem fie bei
“ihm für ihre guten Dienfte würdiger belohnt zu werden hoffe
ten. Dafür, daß er felbft von guter Gemüthsart war, umd
wohl zu beurtheilen wußte, Wer ed gut mit ihm meinte,
und anf Wen er vertrauen Eonute, ſpricht auch Das, was ſich
bei feinem Tode zutrug, laut genug. Als er fiel, farben
alte feine Freunde und Tifchgenoffen über feiner Leiche, den
einzigen Ariänsd ausgenommen, der auf dem linken Flügel
die Reiterei befehligtes Diefer erfuhr nicht fobald den Tod
des Cyrus, ald er mit dem ganzen Heere, das er befehfigte,
die Flucht ergriff.
ı0. Hierauf wurden dem Eyrus der Kopf und die rechfe
Hand abgehauen, Der König fließ beim Nachfegen auf des
Ehrus Lager; Ariäus aber hielt mit feinen Leuten nicht mehr
Stand, fondern floh durch Das Lager hin dem Standorte zu,
von dem fie ausgezogen waren, und der, wie es hieß, vier
Daranfangen entfernt war. Der König bemächtigte fich hier
mit den Seinen nebft vieler andern Beute auch Einer der
Beifchläferinnen des Eyrus, einer Phocderin, eines fehönen
und klugen Weibes. Die jüngere, eine Mileflerin, ent⸗
floh den Verfern, die fie ergriffen hatten, nadt, unter dem
Schuge der Griechen, die das Gepäde deckten, und, auf die
Pluͤnderer ſich werfend, Viele tödteten; und obgleich auch fie
einigen Verluſt erlitten, flohen fie doch nicht, fondern veftes
ten ſowohl Diefe, ald auch was noch fonft im Lager an Habe
und Menfchen war.
x
764 Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus.
Der Königtund die Helfenen fanden ungefähr dreißig
Stadien von einander. Die Einen verfolgfen ihre Feinde,
als ob fie Alte beflegt hätten; die Andern plünderten drauf
(08, als ob ihr Sieg vollftändig fey.
Endlich erfuhren die Hellenen, daß der König das Lager
plündere ‚und der König vernahm dagegen von Tiffapherneg,
daß die Hellenen ihrerfeits geſiegt hätten und ihren Feind
immer weiter verfolgten. Er fammelte daher feine Leute und
ſtellte fiegin Schlachtordnung; Klearchus aber berieth fich mit
Prorenus, den er rufen ließ, da er am nächften bei ihm fland,
od man nur mit einer Abtheilung, oder dem ganzen Heer
dem Lager zu Hülfe kommen follte.
Indeffen fah man den König wieder anrüden, und zwar,
wie ed fchien, von hinten. Die Hellenen wandten fld und
hielten ficy bereit, um ihn, wenn er hier anrüden würde,
zu empfangen. Uber der König kam diefes Weges“ nicht, fon
dern 309 fid in derfeiben Ridytung, in der er jenfeits der
(inten Seite des Heeres von Cyrus vorgerückt war, wieder
zurüe, nachdem ev Die, welche während des Treffens zu den
Hellenen übergegangen waren, nebft dem Ziffaphernes mit feis
nem SHeerhaufen an fich gezogen hatte. Denn Diefer war
bei dem erften Angriff nicht geflohen, fondern hatte ſich ne-
ben dem Fluſſe auf die Hellenifchen Peltaften geworfen; die
Helienen hatten aber dabei Beinen Mann verloren; denn fie
Öffneten ihre "Reihen und fesfen dem Feind in der Nähe und
aus der Ferne mit Wyrffpießen zu. Epifthenes aus Amphi⸗
polig *) befehfigte. fie, und fol dabei große Klugheit gezeigt
*) Stadt in Macedonien.
Erftes Buch. 765
haben. Da er ſich hier im Nachtheife ſah, kehrte er nicht
wieder um, fondern wandte fich nach dem Lager der Hellenen,
wo er den König traf; und fo zogen fie vereint in Schlacht:
srdnung ab, Ä
As fie gegen den linken Flügel der Hellenen anrüdten,
befürchteten Diefe, fie möchten fie überflügeln und in bie
Mitte nehmen; und befchloßen daher, den Flügel fo auszu⸗
dehnen, daß fie den Fluß im Rücken hätten,
Indeß fie fo berathfchlagten, wandte fich der König fchon
gegen die Hellenen, und zwar in derfelben Stellung, in der
er den erften Angriff gethan hatte. Als die Hellenen fahen,
daß die Feinde ſchon nahe und in Schladhtortnung flanten,
begannen fie den Schlachtgefang, und rüdten noch weit mu⸗
thiger an, als zuvor. Allein die Barbaren! erwarteten fie
nicht, fondern flohen noch viel früher, ald das erſtemal. Die
Hellenen verfolgten fie bis zu einem Dorfe. Hier machten
fie Halt; denn jenfeits' deſſelben war- ein Hügel, auf dem fid)
die königliche Schaar wieder fammelte. Fußvolk war nicht
mehr dabei. Die Unhöhe war von lauter Reiterei bededt, fo
daß man nicht wiffen Fonnte, was hinten vorging. Einige woll⸗
ten auch das königliche Panier, einen goldenen Adler auf ei.
nem Schafte, erbliden. Als die Hellenen aud) hier vorrück⸗
ten, verließen die Reiter den Hügel, nicht mehr gefchaart,
nach verfchiedenen Richtungen hin, fo daß Jener nad) und
nach ganz von ihnen geräumt ward. Klearchus rückte nicht
hinauf, fonderit hielt unten mit dem Heere, und fchidte den -
Syrakuſier Lycius nebft einem Undern auf denfelben, um zu
fehen, was hinter ihm vorginge. Lycius ging hin und brachte
die Nachricht, daß Alles in eiliger Flucht begriffen fey. Dieß
766 Xenophon's Feldzug des jängern Cyrus ıc.
geſchah Eurz vor Untergang der Sonne. Nun machten die
Helienen Halt, legten die Waffen nieder und ruhten aus.
Indeſſen wunderten fie fih, daß Cyrus fidy nirgends- fehen
tieß, noch auch Jemand von feinem Gefolge kam; fie wußten
nicht, daß er todt war, fondern meinten, daß er dem Feind
nachſetze, oder aus irgend einem andern Grunde weiter vor⸗
gerückt ſey; fle berathfchlagten zun, ob fie hier bleiben, und
das Gepäde nadführen kaflen oder in's Lager zurüdfehren
ſollten. Sie entfchloffen ih zu Letzterem und kamen zur
Abendzett bei. ihren Zelten an. So wurde diefer Tag bes
fihloffen. Hier fanden (ie ihre Habe, Speife und Getränfe
zum größten Theile geplündert, Die mit Mehl und Wein.
beiadenen Wagen, deren, wie man verficherte, vierhundert
ſwaren, und welche Cyrus, um fle auf ben Fall eines Mans
geis in dem Heere an die Hellenen auszutheilen, hatte nach⸗
fahren laflen, waren fämmtlich den Königlichen in die Hände
gefallen. Sp mußten denn die meiften Helfenen, die auch
nicht zu Mittag gefpeist hatten, da der König, che fie Zeit
dazu gewonnen, erſchienen war, ohne Abendorod die Nacht
zubriugen.
!
Inhalt des zweiten Bude.
Cap. 1. Am folgenden Morgen kommen Abgeordnete von
Ariaͤus, die fie von des Cyrus Tod, und von Aridus Flucht
und Entſchluß, nad Jonien zurück zu ziehen, benachrichtigen.
Klearchus ladet Ariäns in das Griegifhe Lager ein und vers
Spricht, ihn auf. den Perfifgen Thron zu fegen., Gegen Mittag
laͤßt ihnen der König die Waffen abfordern, und bietet. einen
Waffenftillftand an, wenn fie fiehen bleiben; im Weigerungsfall
droht er mit, Krieg. Die Hellenen geben einen entfchloffenen
Beſcheid. Cap. 2. Aridus fchlägt die Krone aus; die Hellenen
brechen in der Nacht auf und vereinigen fi mit ihm. Man
ſchließt ein. Buͤndniß und rathfchlagt Über die Ruͤckkeyr. Auf
Ariaͤus Rath ſchlagen fie einen zwar längern, aber ber Kebensinittet
wegen geeigneten Weg zur Heimkehr ein. Sie kommen in die
Träne des koͤniglichen Heeres und Ingern ſich in der Nachbarſchaft
deſſelben. Die Hellenen befällt in der Nacht ein paniſcher Schre⸗
dien ; dieſer wird aber durch Klearches Klugheit geftillt. Cap. 3. Durch
das muthige Vorrüden dev Griechen beftärzt, läßt der Konig einen
Vertrag anbieten. Klearchus erklärt, die Griechen könnten ſich
nicht daranf einlaffen, bis für ihren Unterhalt geſorgt waͤre.
Der König verfpricht, dafuͤr Sorge zu tragen; fie werden in mit
Vorrath verfehene Dörfer geführt, Tiſſaphernes ermahnt in einer
Unterredung die Feldherrn, dem König auf bie Frage, warum fie
die Waffen gegen ihn getragen Lätten, eine gemäßiste Antwort
zu geben. Klearchus erklärt im Namen der Andern, daB fie ur⸗
fpränglich nicht gewußt hätten, Wen der Zug gelte; fpäter Hätten
fie Cyrus, durch Wohlthaten ihm verpflichtet , nicht verlaffen koͤn⸗
nen; nun aber Cyrus tobt fey, Hätten fie keine weitern feind-
x Tichen Anfichten gegen ben König und Perfien, fondern wünfchten
168 ° Inhalt des zweiten Buches.
‚einzig, ungefaͤhrdet nach Haufe zu ziehen. Tiſſaphernes fohließt
ein Buͤndniß mit ihnen, kraft deffen fie von den Perfern unange-
fochten auf ihrem Zuge geleitet, und mit den nöthigen Xebensmitteln
verforgt werden follten. Cap. 4. Während bie Hellmen auf Tiſſa⸗
phernes Ruͤcktunft warten, wird Ariaͤus mit dem König aus:
geſoͤhnt und aͤußert gegen fie nun eine auffallende Kälte, Sie
ſchoͤpfen Argwohn. Endlich kommt Tiffephernes an und der Ruͤck⸗
zug wird angetreten. Die Griechen ziehen und Ingern abgefon=
dert von den Perfern. Sie Tommen an die Medifhe Mauer in
der Naͤhe von Babylon, fegen über zwei Handle des Tigris und
Zoınmen vor der Stadt Gitace an. Wie gehen über den Tigris
und den Physkus, und begegnen bei der Stadt Opis dem Baſtard⸗
vbruder des Königs, der ihm Huͤlfstruppen herbeiführen wolfte,
Sie ziehen. durch Medien und kommen in bie Dörfer der Pary-
fatis, welche Ziffaphernes ihnen zur Plünderung uͤberlaͤßt. Gie
kommen bei'm Fluffe Zubatus an. Cap. 5. Der: Argwohn fteigt
auf beiden Seiten. Klearchus fucht in einer Unterredung mit
Tiffapnernes dad gute Vernehmen voieder herzuftellen. Ziffapher-
sed antwortet ihm verbindlich. Dadurch fiher gemacht, begibt fich
Klearchus auf Tiffaphernes Einladung mit den meiften Heerfuͤhrern
und Hauptleuten, von zweihundert Soldaten begleitet, zu ihm, um
mit ihm die Urheber der gegenfeitigen Mißverhältniffe Heraus zu
finden; allem. auf ein gegebenes Zeichen werden Alle niederge⸗
macht. Ariaͤus erfcheint nun mit andern vornehmen Perfern vor
dem Lager ber Hellenen, und fordert fie anf, die Waffen zu
ſtrecken; aber vergeblich. Lay. 6. Characterifiit der ermordeten
Feldherren, Klearchus, Proxenus, Menon, Agias und Soktrates.
769
Zweites Bud.
1. Wie Cyrus, im Begriff, gegen feinen Bruder Arta⸗
xerres zu Felde zu ziehen, fein NHellenenheer verfammelte,
Was auf dem Zuge nad) Hberaflen vorfiel, Was fi im Der:
Iaufe der Schlacdyt begab, wie Cyrus endete, und die Helle:
nen, im Wahn, der Sieg fen allgemein und Eyrus noch am
Leben, im Lager angelommen, die Nacht zubrachten, ift im
erften Adfchnitte gezeigt worden.
Mit Anbruch des Tages traten die Sreerführer zuſammen,
und fanden es fehr auffallend, daß Eyrus weder felbft er-
ſchien, noch einen Boten mit Verhaltungsbefehlen ſandte.
Man beſchloß daher, mit dem noch übrigen Gepäcke aufzu⸗
brechen und ſchlagfertig vorzurücken, bis man ſich mit Eyrus
vereinigt haͤtte.
Schon waren ſie im Aufbruch begriffen, als mit Son⸗
nenaufgang Prokles, der Statthalter von Teuthrania, ) ein
Nachkomme des Laconiers Demaraͤtus,*“) nebſt Glus, dem
*) Teuthrania war eine Stadt und Landſchaft im weſtlichen
Kleinaſien, am Fluſſe Kaitus.
**) Demaraͤtus, aus dem Koͤnigsgeſchlecht des Prokles zu Sparta,
hatte, weil man ſeine eheliche Geburt bezweifelnd, ihn von
der Thronfolge ausſchloß, ſich unter den Schutz des Perſer⸗
koͤnigs Darius Hyſtaſpis begeben, und befand ſich feitbem
mit feinen Nachkommen in einer Lage, die vielleicht mit
mehr Macht, als felsft die Koͤnigswuͤrde in Sparta, verbun:
ven war. S. Herodot. VI, 67. ff.
RXRenophon. 68 Böchn. 5°
770 RXenophoy's Feldzug des jüngern Cyrus.
Sohne des Tamod, im Lager eintrafen, und die Nachricht
brachten, Eyrus fen gefallen, Ariäus aber habe fid, mit dem
übrigen Barbarenheer zurüdgezogen, und ftehe auf dem La=
gerplabe, von dem fie Tags zuvor ausgezogen wÄren, und
wolle noch diefen Tag warten, ob fle ſich mit ihm vereinigen
würden ; am nächſten Tage gedenke er den Rüdzug nach Jo⸗
nien anzutreten. Diefe Nachricht derfegte die Anführer und
die übrigen Hellenen in große Beſtürzung. Klearchus nahm
das Wort und fprady: „„ Wollte Gott, Eyrus wäre noch am
Leben! nun er aber todt ift, berichtet Ariäus, dag wir unfe-
rer Seits den König gefchlagen habEn, daß uns Kein Yeind
mehr Stand Hält, und wie wir, wenn ihr nicht gefommen
wäre, auf dem Zuge gegen den König und befinden. Wir
verfprechen nun dem Ariäus, wenn er hieher komme, ihn auf
den Thron von Perfien zu ſetzen; denn die Sieger feyen anch
zu herrfihen berechtigt. Mit diefer Erklärung enfließ man
die Abgefandten, mit ihnen den Laconier Chirifophus und
den Theffalier Menon; wozu fi Letzterer als Gaftfreund
und Vertrauter des Ariäus von freien Stücken erboten hatte.
Nach ihrem Abgehen wartete man, nad, dem Rath des Klear⸗
chus, auf eine Antwort,
Das Heer beköftigte fi nun, fo gut es die Umftände
erlaubten, indem es von dem Laſtvieh Dchfen und Eſel fchlady-
tete; zur Feuerung bedienten fie ſich derZin geringer Ent:
fernung auf dem Schlachtfelde liegenden vielen Pfeile (welche
die Hellenen die Föniglichen Weberläufer wegzuwerfen gend«
thigt hatten), geflochtener Schilde, Höfzerner Egpptifcher
Schilde, auch der Tartfchen und verlaffenen Wagen. Alles Die-
ſes benüsten fie, um an diefem Tage Fleiſch dabei zu Eochen,
Zweites Band). » 771
Gegen Mittag kamen vom Könige und Tiſſaphernes He-
rolde, Alte Barbaren; nur ein Hellene, mit Namen Phaly⸗
nus, war unter ihnen, der bei Ziffaphernes fehr viel galt;
denn er gab ſich für. einen Kenner der Taktik und ber Fecht⸗
kunſt aus.
Bei ihrer Ankunft verlangten ſie die Helleniſchen Heer⸗
führer zu fprechen, und eröffneten ihnen, der König befehle
ihnen als Sieger, nachdem er Cyrus getöbtet, die Waffen zu
fireden, in fein Lager zu kommen, und fi) ihm auf Gnade
und Ungnade zu ergeben. Weber diefe Boffchaft der Herolde
waren die Hellenen äufferft aufgebracht; Klearchus aber bes
deutete ihnen: „Nicht will es fid, für den Sieger geziemen,
die Waffen zu ftreden. Indeſſen antwortet Shr den Leuten,
Heerführer, was Eud am beften und ehrenvoliften daͤucht.
Ich bin im Augenblicke wieder hier.’ Es hatte ihn nämlich
Einer der Dpferdiener abgerufen, um von dem Befund der
ausgeweideten DOpferthiere Einficht zu nehmen.
Da antwortete der Arkadier Kleanor, ald der Aelteſte,
daß fie lieber flerben, als die Waffen abliefern wollten.
„Bas mich betrifft," fagte der Thebaner Prorenus, „ſo
wünſchte ich zu willen, Phalynus, ob der König unfere Waf⸗
fen als Sieger, oder als Freund von Freunden verlangt. Ber:
langt er fie ald Sieger, was bittet er lange, und kommt nicht
lieber ſelbſt gleich, fie fih zu holen? Witt er fie auf dem
Wege des Vertrags, was bietet er dem Heere, wenn es
ihm zu Gefallen ift?
Darauf entgegnete Phalynus: „Der König betrachtet
ſich als Sieger, da er Eyrus getödtet Hat. Denn Wer wi
5%
772 Xenophon's Feldzug des jüngern Cyrus.
J
ihm num feine Herrfchaft weiter freitig machen? Auch glaube
er Euch in feiner Gewalt zu haben, da er Euch mitten in
feinen Landen hat, von undurchgänglichen Flüffen umfchloffen,
und gegen Eudy eine Heeresmacht in's Feld führt, ob
deren Niedermebelung, flände es Euch frei, Eure Kräfte
erfägen.‘’
Der Athener Kenophon erwicderte ihm: „Wie du fichft,
Phalynus, ift und außer unfern Waffen und unferer Tapfer⸗
feit Nichts mehr geblieben. Im Beſitze Ver erftern fol es
ung jedod an letzterer nicht gebrechen. Hoffe nicht, daß wir
die einzigen uns gebliebenen Gitter dahin geben werden:
geben wir diefe hin, fo ift ed um unfere Rettung gefchehen;
im Beflge unferer Waffen aber wollen wir ſelbſt Eure Güter
noch erkämpfen.“
Phalynus entgegnete lächelnd: „Du ſprichſt wie ein Phi—
loſoph, junger Menſch; deine Rede klingt gar nicht übel.
Wiſſe, daß es Wahnſinn iſt, wenn ihr Euch träumen laßt,
daß Eure Tapferkeit der Macht des Königs obfiegen werde.”
Andere, fagt man, führten eine gelindere Sprache, und meine
ten, wie fle Eyrus freu gedient, fo würden fie auch den Kö⸗
nige, wenn er fich mit ihnen befreundete, auf einem Heerzug
gegen Egnpten oder bei irgend einer andern Unternehmung
wichtige Dienfte leiften. In diefem Augenblick kam Klear⸗
chus zurüd, und fragte, was fie geantwortet hätten.
Da nahm Phalynus das Wort, und fagte: „Won Diefen
da will der Eine rechte, der Andere linke; fag du ung, Klear- _
dus, was deine Meinung ift.’ — „Mit Vergnügen,” ver
feste Diefer , „habe ich gefehen, daß du zu und gefonmen
pift, Phalynus, und glaube auch von den Andern das Näm-
Zweites Buch. , 773
liche verfichern zu dürfen, Du bift-ein Hellene, und wir Alle,
die du bier fiehft, find es auch. In diefer Lage nun fragen
mir dich: was ift in der Sache zu thun? Gib uns, ich be-
fchwöre dich bei den Göttern, nad) beftem Wiſſen und Gewif:
fen einen Rath, den du für den beften und ehrenvoliften
haͤltſt, und der dir nod) in der Folge, wenn man erzählt, daß
Phalynus einft vom Könige gefandt ward, die Hellenen zur
Miederlegung ihfer Waffen zu vermögen, Ehre bringen kann.
Denn du weißt, ed wird nothwendig in Hellas kund, was du
ung rathen wirft.’
Dieß fagte Klearchus, weil er wünſchte, daß der Eänig-
liche Abgefandte felbft ihnen den Rath geben möchte, bie
Waffen nicht abzuliefern; auf daß die Hellenen größere Hoff:
nung faßten. Phalynus wic, ihm aus, und erwiederte gegen
fein Erwarten Folgendes:
„sch für meinen Theil ratbe Euch, wenn Eudy unter
faufend Hoffaungen auch nur eine bleibt, nut den Waffen
in der Hand Euch durch das Bönigliche Gebiet durchzuſchla⸗
gen, die Waffen nicht niederzulegen ; wenn Ihr Euch aber ohne
den Willen des Könige nicht retten Bönut, Euch zu retten,
wie ſich's am beften ſchicken will.“
Klearchus antwortete hierauf: „Dieß ift dein Rath;
von uns aber berichte dem König, wir feyen der Meinung,
als Freunde des Königs müßten wir ihm bewaffnet noth:
wendig nützlicher fenn, als unbewaffnet; als feine Feinde da⸗
gegen bedürften wir der Waffen, um gegen ihn zu flreiten;
weßhalb wir ihrer in feinem Fall entbehren könnten.“
„So wollen wir denn,‘ erklärte Bhalynus, ‚dem König
Eure Antwort überbringen. Noch Eins aber befahl mir der
Tran —
774 Xenophon's Feldzug des jüngern Cyrus.
König Euch zur eröffnen, daß Ihr, fo Ihr bleibt, einen Waf⸗
fenftiliftand, fo ihr vorrüdt oder abzieht, Krieg haben ſollt.
Saget alfo an, ob Ihr bleiben und Waffenſtillſtand, oder
ob Ihr Krieg haben wollt 2"
„Sage nur,” erwiederte Klearchus, „daß wir hierin mie
dem Könige gleicher Meinung wären.‘ — „Weldyer Meie
nung alfo ?” fragte Phalynus. — „Waffenſtillſtand, wenn
wir bleiben, Krieg, wenn wir weiter ziehen.‘ Jener mieders
holte feine Frage, Diefer feine Antwort, und ließ fich auf
Das, was er vorhäfte, nicht weiter ein.
3. Phalynus zog mit feinen Begleitern ab. Von Ariäus
famen hierauf Prokles und Chiriſophus — Menon war bei
ihm geblieben — und überbrachten folgenden Beſcheid von
ihm: „Es gebe noch viel vornehmere Perſer als er, die ihn
nicht als ihren König dulden würden; wollten ſie aber mit
ihm abziehen, ſo müßten ſie noch dieſe Nacht kommen; wo
sicht, fo trete er am andern Morgen feinen Rückzug an.‘
Klearchus erwiederte: „So müffen wird machen, wenn wir
kommen; wo nicht, fo thut, wad Euch am beiten däucht.“
Was er aber thun wollte, erfuhren auch Diefe nicht.
Schon ging die Sonne unter, als er die Heerführer und
Hauptleute zu fi) berief und folgender Maßen anredete:
„Die Opfer, meine Freunde, weldhe ich für ben Zug gegen
den König zu Rathe z0g, waren mir nicht günftig, und Das
mit Recht. Wie id jent erfahre, Nießt zwifchen und und
dem König der ſchiffbare Tigeis, *) über den wir ohne Schiffe
5 Es ift hier der Heine Tigris, jegt Didjel, gemeint, der
in frühern Zeiten weit größer war,
\
Zweites Bud). 775
nicht ſetzen köͤnnen; Schiffe haben wir nun aber nicht, uud
bleiben können wir nicht, weil Peine Lebensmittel zu haben
finds; doch für unfere Vereinigung mit des Cyrus Freunden
gaben ung die Opfer die glüctichften Unzeichen. Wir müffen
alfo unfere Maßregeln darnad) nehmen; geht daher, und
fpeife Jeder zu Nacht, was er hat. Wenn mif dem Horn
das Zeichen zur Nachtruhe gegeben wird, fo padt ein; bevim
zweiten Beichen beladet das Zugvieh, und auf das dritte folgt
Eurem Anführer: das Vieh Taßt Ihr am Fluſſe gehen und
deckt die Seiten mit Hopliten.“
Damit entfernten fi) die Heerführer und Hauptleute,
und thaten, wie er befahl; auch in der Folge gehorchten fie
ihm als ihrem Oberfeldherrn, nicht als ob fie ihn dazu
gewählt hätten, fondern weit fie in ihm die erforderlichen
Feldherrn⸗Eigenſchaften vereinigt fahen, und fle felbft Keine
Erfahrung hatten. Die Länge des Zuges von Ephefus in
Sonien bis zu dem Schlachtfelde betrug drei und neunzig
Zagmärfche, fünfhundert fünf und dreißig Paraſangen,
fechzehn taufend und fünfzig Stadien; *) von dem Schlacht:
felde nach Babylon waren ed, wie es hieß, dreihumdert und
ſechzig Stadien.
Als ed finfter ward, ging der Thracier Miltochthes mit
ungefähr vierzig Reitern und dreihundert Mann Fußvol zu
dem König über.
*) Das Nautifche oder Perfifye Stadium, das etwas Türzer als
das Griechiſche oder Olympiſche iſt; es gehen von jenem
ho auf eine geographiſche Meile; es find alſo beinahe
dreihundert neun und fünfzig geographiſche Meilen,
76 Xenophon's-Feldzug des jüngern Cyrus.
Das übrige Heer trat unter Klearchus Anführung, der
Derabredung gemäß, den Rüdzug an, und traf um Mitter-
nacht an dem frühern LZagerplab bei Ariäus ein,
Die Heerführer und Hauptleute kamen, fo bald fe ihre
Leute hatten unter die Waffen treten Taffen, bei Ariäus zu—
ſammen, wo fi) die Hellenen und Ariäud mie den vornehm—
fen Perfern, die bei ihm waren, durch einen Eid verbans
den, einander nicht zu verrathen, fondern treulich einander
beizuftehen. Die Barbaren fchwuren noch überdieß, daß fie
fonder Gefährde Wegweifer feyn wollten.
Die Eidesleiſtung gefhah unter Abfchlachtung eines
Stiers, eines Wolfs, eined Ebers und eines Widders;
wobei in einen mit Opferblut gefüllten Schild die Hels
Ienen ein Schwert, die Barbaren eine Lanze eintauchen.
Nach Abſchließung des Bündniſſes ſprach Klearchus: „Wohl⸗
an denn, Ariäus, da wir nun den Rückzug gemeinſchaftlich
machen, ſo ſage uns deine Meinung über die Richtung deſſel⸗
ben. Wollen wir denſelben Weg wieder ziehen, auf dem wir
hergefommen find, oder weißt du uns einen beſſern?“
„Wenn wir, erwiederte er, „das Erftere thun, fo müffen
wir Alle Hungers fterben; denn wir haben jebt ſchon Feine
Lebensmittel. In den leuten flebzehn Tagmärfchen bot ung
das Land auf umferem Hermege gar Nichts mehr; und was
noch vorhanden war, haben wir auf dem Durchzug vollends
‚ aufgezehrt. Nun müfjfen wir zwar einen längern Weg neh⸗
men, auf dem es ung aber nicht an Lebensmitteln fehlen fol.
An den erften Tagen müſſen wir flarfe Märfche machen,
damit wir fo weit als möglich von dem feindlichen Heere abs
kommen. Haben wir aber erſt zwei oder drei Tagmaͤrſche
De
Zweites Bud). 777
voraus, fo kann uns der König nicht mehr) einholen; denn
mit geringer Macht wagt er nicht und zu verfolgen, und mit
dem großen Heere bewegt er fid) nicht fchnell genug; auch
wird es ihm bald an Lebensmitteln fehlen. Dieß, fagte ev,
it meine Meinung.”
Der ganze Plan war nur darauf berechnet, dem Feinde
durch die Flucht zu entgehen; das Glück aber gab ihm eine
rähmlidyere Wendung. Mit Anbrucd des Tages traten fie,
die Sonne zur Rechten, den Zug an, in der Hoffüung, mit
Sonnenuntergang Babylonifche Dörfer zu erreichen. Ä
Nachmittags glaubte man feindliche Reiterei zu erbliden;
von den Hellenen eilten Diejenigen, die nicht in Reihe und
Glied waren, ſogleich unter die Waffen; Ariäus aber, der
wegen einer Wunde in einem bedeckten Wagen fuhr, flieg
fogleih"aus und ließ fich den Panzer anlegen; ein Gfeiches
that fein; Gefolge.
Während fie ſich waffneten brachten die vorausgeſchick⸗
ten Kundſchafter die Nachricht, daß Das, was ſie ſehen, nicht
Reiterei, ſondern weidendes Zugvieh ſey. Daraus erkannten
Alle ſogleich, der König müſſe hier irgendwo im Lager ſtehen;
man ſah auch nicht weit davon aus den Dörfern Rauch auf⸗
fteigen. Klearchus führte nun zwar dad Heer nicht gegen
den Feind — denn er wußte, daß die Soldaten müde wa-
ren und nicht gegeffen hatten — lenkte aber auch nicht vom
Wege ab, um nicht den Schein von Flucht zu geben, fondern
309 in gerader Richtung vorwärts, und rückte mit dem Vor⸗
dertreffen in die naͤchſten Dörfer ein, wo die Königlichen
altes Holzwerk von den Käufern: herunter geriffen haften.
78 Xenophon's Feldzug des jüngern Cyrus.
Die Erften bezogen in derfelben Ordnung, die man im
Felde beobachtet hatte, die Lagerſtätte; die Nachkommenden
aber lagerten ſich, wie es der Zufall fügte, und machten da⸗
durch, daß fie einander zuriefen, einen foldhen Lärm, dag ihn
feibft die Yeinde hörten, und die Nächften von ihnen aus ih:
ren Selten flohen. Dieß zeigte fi) am folgenden Tage; denn
weder Zugvieh, noc, Lager, noch Rauch war weit und breit
mehr zu fehen. Selbft der König mußte, wie es fih aus
den Maßregeln ergab, die er Tags daranf ergriff, durch den
Anzug des Heeres in Schreden gerathen feyn.
Indeſſen wurden in fpäterer Nacht auch die Hellenen in
Furcht gefest, und es entfland daraus, wie es zu gehen
pflegt, allgemein Lärm und Getümmel.
Klearchug ließ daher durch den leer Tolmides, den
beften Herold feiner Seit, welchen er gerade bei ſich hatte,
Stiliſchweigen gebieten und ausrufen: „Die Heerführer ver:
ſprechen Dem, welcher angebe, Wer den &fel*) in das Lager
babe laufen laffen, zur Belohnung ein Silbertalent.“ Durch
diefen Aufruf erkannten die Hellenen, daß es leerer Schrecken
war, und ihre Anführer in Sicherheit fegen. Am frühen Mor:
gen ließ Klearchus die Griechen wieder fo aufziehen, wie fie
in der Schlacht geftanden hatten.
3. Daß der König, mie ich vorhin bemerkte, durd, Das
Vorrücken der Hellenen in Schrecken gerathen war, beftätigte
fih, Tags zuvor hatte er den Hellenen noch ihre Walken
abfordern laſſen, und nun erfhhienen mit Sonnenaufgang
königliche Herolde, um ihnen einen Waffenftiliffand anzubieten.
*) Was natuͤrlich eine Erdichtung der Heerführer war.
,
E . oo. - ” — — — — —
; Zweites Bud). 779
As fie zu den Vorpoſten Famen, verlangten fie die
m Heerführer zu ſprechen. Da Dieß gemeldet wurde, ließ ih⸗
nen Klearchus, der eben die Schlachtreihen mufterte, durch
wi. die Vorpoften fagen, fle follten warten, bis es ihm gelegen
g wäre. Als er das Heer fo geftellt hatte, daß es in eine
„ı Dichte Phalanz gedrängt, einen herrlichen Anblick gewährte,
umd kein Unbewaffneter zu fehen war, ließ er die Boten
rufen, trat ihnen an der Spise feiner beftbewaffneten und
* an ſehnlichſten Krieger entgegen und hieß die andern Heerfüh⸗
rer dad Gleiche thun. Auf feine Frage, was ihr Begehren
fey, antworteten fie, der König habe in Betreff eines Waffen:
' ftillkandes die geeigneten Männer bevollmächtigt, den Helles
nen feinen Willen Eund zu hun, und ihre Vorſchläge an ihn
y 5W bringen.
| Klearchus entgegnete: „Sagt Eurem König, daß wir
uns vor Allem fchlagen müffen, da wir fein Frühſtück haben;
und Niemand foll uns etwas von Waffeunſtillſtand fagen, be⸗
vor er nicht Dafür geforgt haben wird.’'
Auf diefen Befcheid vitten die Boten davon, erfcdhienen-
aber in Eurzer Zeit wieder; fo daß es klar war, der König,
oder ein von ihm Beauftragter, müſſe in der Nähe feyn.
Sie erklärten, daß ihre Forderung dem König billig fcheine ;
fie hätten Wegweifer bei ſich, die ihnen, nach abgefchloffenem
N WBaffenftiliftaud, die nöthigen Lebensmittel anweifen ſollten.
Klearchus fragte, ob der Waffenſtillſtand bios für die
Abs⸗ und Bugehenden, oder ob er für Alle gelten ſollte. „Für
Alle,’ war ihre Antwort, „bis dem Könige Eure Bedingun—
gen zugekommen ſind.“
780 Zenophon’d Feldzug des jüngern Cyrus.
Auf diefe Erklärung ließ fie Klearchus abtreten, und
berieth fi} mit den Andern. Man fand für gut, den Waf—⸗
fenftilfftand anzunehmen, um ſich in Bälde der benöthigten
Lebensmittel zu verfichern.
„Auch ich,“ fagte Klearchus, „bin diefer Meinung. Doc)
will ich mic, nicht fogleich erklären, fondern noch eine Weile
damit zögern, daß fle beforgt werden, wir möchten uns übers
haupt nicht darauf einlaffen wollen; auch wird es, glaube idy,
bei unfern Soldaten diefelbe Beforgniß erregen.‘
Als es ihnen nun Zeit zu feyn fchien, eröffnete er, daß er
fid) zu einem Waffenftiliftand bereit finden laffe, und verlangte,
man follte fie fogleich zu Lebensmitteln führen. Dieß geſchah;
Klearchus brach auf, um den Waffenſtillſtand zu fchließen,
und ließ das Heer in Schlachtorbuung den Bug antreten; er
ſelbſt deckte die Nachhut. Da man auf viele Gräben und
Ganäle vol Waffers ftieß, über die man ohne Brüden nicht
ſetzen konnte, fo bewerkftelligte man den Uebergang dadurch,
dab man Palmbäume, die theils fchon da Tagen, theils gefällt
werden mußten, darüber warf.
Auch bier zeigte “ch Klearchus als Feldherr non der
frefflichften Seite; in der Tinten Hand die Lanze, in ber
rechten den Stock haltend, fchlug er auf den Nächften Beſten,
der ihm faumfelig fchien, zu, trat felbft in den Schlamm,
und legte Hand an's Werk; fo daß ſich's Jeder zur Schande
rechnete, nicht gleichen @ifer zu zeigen. Es wurden dazu nur
Leute bis in's dreißigfte Jahr beordert; da aber die Aelteren
fahen, daß Klearchus felbft mit Hand anlegte, griffen auch fie
mit zu. Klearchus betrieb das Ganze um fo mehr, da er
argwoͤhnte, die Gräben feyen nidyt immer fo vol von Waller
PLIY -.
nr
ee
Zweites Buch. 731
(es war nämlich nicht die geeignete Jahreszeit zur Waͤſſe⸗
rang der Felder), fondern der König habe das Wafler nur
darum fchießen laffen, damit die Hellenen fich die Schwierig:
keiten und Gefahren des Heimwegs um fo größer dächten.
So gelangten fle in die Dörfer, wo ihnen die Führer '
Lebensmittel anwiefen. Man fand hier viel Getreide, Palm:
wein und Palmeſſig. Die Datteln, wie man fie in Hellas
findet, werden für's Gefinde weggelegt, die für die Herren
waren ausgefucht, von wunderjamer Schönheit und Größe,
und glichen an Farbe dem Bernſtein. Man trodnet fie und
fest fie zum Nachtiich auf. Auch das Getränk davon war
angenehm, verurfüchte aber Kopfweh.
Hier aßen die Soldaten zum erflenmal Palmmark, *)
und Viele konnten ſich über das feltfame Ausſehen und den
befondern Wohlgefchmad nicht genug wundern; allein es ver:
urſachte ebenfalls ſtarkes Kopfweh. Der Baum, aus dem
Das Mark heraus genommen war, verdorrte ganz.
Hier blieben fie drei Tages da kamen von dem großen
Könige Tiffaphernes und der Königin Bruder mit noch drei
andern Perfern, und einem großen Gefolge von Sklaven an.
Als ihnen die Heerführer der Hellenen enfgegenfraten, hielt
Ziffaphernes vermittelft eines Dolmetfcherd folgende Anrede
an fie: „Ich, Hellenifche Männer, achtete es, als der nächſte
Grenznachbar von Hellas, da ich Euch in foldhe Gefahren
*) Es befteht aus den Keimen zu den Blättern ded Palmbau⸗
mes, eingehuͤllt in bie Stengel der Blätter, worin jene Reime
wie in einer Schachtel eingehält find, Es bildet Rollen,
welche fehr ſchoͤn find, und wenn fie enthällt werben, einen
- sounderpollen Anbli gewähren.
82 Xenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus, |
gerathen fah, für Gewinn, bei dem König die Erlaubniß
auszuwirken, Euch nach Hellas zurücfüähren zu dürfen; denn
ich bin überzeugt, daß fowohl Ihr, als ganz Hellas mir es
dankt. In diefer Meberzeugung bat id, den König, und grün:
dete meine Anſprüche auf Bewilligung meiner Bitte darauf,
daß ich ter Erfte war, der ihn von den Abfichten des Cyrus
unterrichtete, und ihm mit der Nachricht zugleich auch Hülfe
zugeführt hatte; daß ich ferner von Denen, die gegen Euch
fanden, der Einzige war, der nicht floh, fondern fich in Euer
Lager durchfchlug und dort ſich mit dem Könige, der nad)
des Cyrus Tod dahin gedrungen war, vereinigte; daß ich
endlich die Eingebornen unter Eyrus mit meiner dem Könige
vor Alten ergebenen Mannfchaft in die Flucht gefchlagen habe.
Der König verfpracd mir, die Sache in Weberlegung zu neh⸗
men, und hieß mid, Euch fragen, warum Ihr gegen Ihn Die
Maffen truget. Laßt Euch von mir vathen und antwortet
vernünftig, auf daß es mir leichter wird, für Euch etwas
Günſtiges auszuwirken.“
Hierauf traten die Hellenen zu einer geheimen Bera⸗
thung ab, und Klearchus erwiederte in ihrem Namen: „Wir
kamen nicht zuſammen, um gegen den König zu kriegen, noch
ſollte unſer Zug nad) Oberaſten ihm gelten; Cyrus brauchte,
wie Ihr ſelbſt wißt, allerlei Vorwand, Euch unvorbereitet
anzugreifen, und uns hieher zu führen.“
„Da wir ihn aber im Gedraͤnge ſahen, ſchämten wir uns
vor Göttern und Menſchen, einen Mann, von dem wir uns
früher Wohlthaten erzeigen ließen, in der Noth im Stiche
zu laſſen. Jetzt aber, da Cyhrus todt iſt, haben wir keinen
Grund, gegen die Herrſchaft des Königs feindſelige Abſichten
Zweites Buch. 183
zu hegen, oder fein Land zu verwüſten. Wir möchten ihm
nichts am Leben thun; nur wünſchen wir, unangefochten in
unfre Heimath zurückzukehren. Thut man. ung etwas zu
Leide, fo werden wir und mit der Hülfe der Götter zu vrä-
chen verfuchen ; erweist und Jemand Gutes, Den werden wir,
fo viel an ung ift, im Wohlthun übertreffen." Dieb waren
feine Worte,
Darauf erwiederte Tiffapherneds: „Ich will Eure Aut⸗
wort dem Könige hinterbringen und Euch feinen Befcheid
wieder zu wiffen thun. Bis ich wieder komme, bleibt der
Waffenſtillſtand in Kraft, und wir verforgen Euch mit Le⸗
bensmitteln.“
Am folgenden Tage blieb er and, und die Hellenen fin:
gen fchon an, beforge zu werden, ald er am dritten Tage
Fam und ihnen eröffnete, er habe bei’'m Könige ausgewirkt,
Daß er die Hellenen wohlbehalten nad, Haufe bringen dürfe,
obgleich Viele wideriprochen und gemeint hätten, es laufe
der Würde des Königs zuwider, Diejenigen im Frieden zie-
ben zu laſſen, die gegen ihn die Waffen getragen hätten.
„Run aber könnt Ihr,“ fo fchloß er, „Euch von uns Sicher:
heit nehmen, daß Ihr durch Freundesfand ziehet, und daß
man Euch fonder Gefährde, mit Vorſchub der Lebensmittel,
nad) Hellas, abfähren wird. Wo man Euch Nichts zu Markte
bringt, da fol Euch geftattet feyn, das Nöthige aus dem Lande
fetbft zu nehmen. Aber Ihr ſchwoͤrt uns dagegen, friedlich)
durch das Land zu ziehen, und nur Speife und Trank zu
nehmen, we wir Euch Nichts zu Markte bringen, und wenn
wirs thun, Alles baar zu bezahlen.“ Dieß wurde genehmigt
und von beiten heilen befchworen; wobei Ziffaphernes,, der
84 Xenophon's Feldzug des jüngern Cyrus.
Bruder der Königin und die Hellenifchen” Heerführer und
Hauptleute fidy einander die Hände reichten. Hierauf fagte
Ziffaphernes: „nun gehe ic) wieder zum Könige ab;Fwenn ich
das Nöthige abgemacht, komme ich wieder, reifefertig, um
Euch nach Hellas zu geleiten, und in meine Statthalterfchaft
abzugehen.“
4. Hierauf warteten die Hellenen und Aridus ‚I die ſich
nahe zuſammen gelagert hatten, mehr als zwanzig Tage auf
Tiſſaphernes. Während Deſſen kamen zu Ariäus ſeine Brüder
und andere Verwandte, ſo wie auch zu den Perſern bei ihm
einige Königliche, machten ihnen gute Hoffnung, und brach⸗
ten Denfelben von dem Könige die Verficherung, „daß et wer
der ihres unter Cyrus gegen ihn unternommenen Kriegszuges
weiter gedenken, noch frühere Fehltritte rügen wolle.” Nach
diefem Vorgang zeigte ſich an Ariäus umd feinen Leuten eine
ſichtbare Kälte gegen die Hellenen, fo dag es allgemein auf
fiel, und Diele zu Klearchus und den übrigen Heerführern
kamen und fagten: „Warum warten wir hier noch? Iſt es
uns etwa unbefannt, daß des Königs fehnlichfler Wunſch iff,
und zu verderben, auf daß die übrigen Hellenen von! Feldzü-
gen gegen ihn abgeſchreckt werden? Nun Hält ev uns hie,
weit fein Heer noch zerſtreut ift; hat ex diefes exit beiſam—
men, fo unterliegt e8 Beinen Zweifel, daß er über und her—
fallen wird. Vielleicht zieht er gar irgendwo Gräben, oder
verfchanzt fih, um und den Rückweg abzufchneiden. Denn
kann er es verhüten, fo läßt er ficherlich nicht gefchehen, daß
wir nady Hellas die Kunde bringen, wir, ein fo kleines
Hänflein, Hätten die gefammte königliche Heeresmacht vor den
N
x
Zweites Bub. 85
Thoren der Konigaſtadt aufs Haupt gefchlagen, und ſeven
mit Hohnlachen davon gezogen. -
Klearchus erwiederte Denen, die Solches verbrachten:
„Ich flimme dem Allem bei, aber ich weiß auch, daß cd,
wenn wir weiter ziehen, ben Unfchein hat, all zögen mir
feindlich davon, und Hätten den Waffernſtillſtand gebrochen,
Man wird und erfllich Beine Lebensmettel che zu Märkte
bringen, noch und folche nehmen laſſen. Ferner haben wie
feinen Wegweifer mehr; auch fällt, ſobald wir dieſen
Scyritt thun, Ariaͤus fogleich von uns ab, und wir haben
alsedann nicht nur Leine Freunde mehr, fenbern Diefe übers
dieß als Feinde. Ob wir nody über einen andern Fluß zu
‚ feben haben, weiß ich nicht; aber foyiel wiſſen wir, daß bei
dem Euphrat an Bein Durchkommen zu denken ift, wenn ber
Feind es uns fireitig macht. Kommt es zur Schlacht, fo ha⸗
ben wir Beine Reiterei entgegen zn fielen; bie der Feinde
dagegen. iſt zahlreich und im befien Stande. Und geſetzt
asch, der Sieg wäre unfer, Wem werden wir baun Etwas -
anhaben wollen? Werden wir Beflegt, fo iſt an Feine Ret⸗
tung mehr zu denken. — Wie follte aber der König, dem
fo Diele zur Gaite ſteht, wenn er und verherben wit, erft
nothig haben, zu ſchwören, Haudſchlag zu geben, bie Götter
zu Zeugen aufzufordern, und vor Hellenen und Barbaren fidy
des Eidbruchs fchuldig zu machen 2
Diefes und mo“ vieled Jehnliche wußte er einzuwenden.
Indeſſen Fam Ziffaphernes, um, wie es fdhien, in feine
GStatthalterſchaft zurückzukehren, mit Orontas,.*) Jeder mit
+) Statthalter in Armenien.
Kenophon. 68 Bdchn. 6
Bd
786 Xenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus.
feinem Heerhaufen, an. Letzterer hatte auch ſeine Gemahlin,
die Tochter des Königes, bei fih. Man zog nun, unter Yılbz
rung des Ziffapherned, Der auch die Beforgung der Lebens:
mittel übernahm, weiter. Ariäus, der das Barbarenheer des
Eyrus befehligte, zog mit Ziffaphernes und Orontas zufam⸗
men, und fchlug andy fein Lager bei ihnen auf.
Die Hellenen fchöpften daraus Verdacht, und zogen beſtu⸗
ders und mit eigenen Wegweifern. Sie Iagerten fich jedesmal
eine Parafange oder etwas weniger auseinander und häteten
fich gegenfeitig, als ob ſiſe Feinde wären; was gar bald Arg-
wohn erregte, Einigemal geſchah es, dag, wenn ſie an dem⸗
ſelben DOrte Holz, Futter und dergleichen holten, Schläge:
reien entflanden, was denn auch zu gegenfeitiger Yeindichaft .
das Seinige beitrug.
Nach drei Tagen gelangten fie an die fogenaunte Medi⸗
ſche Mauer, und zogen innerhalb derſelben weiter, Sie ift
aus Backſteinen gebaut, mit Erdharz verkittet, zwanzig Fuß
breit, und Hundert buch, und ſoll fi über eine Fläche
von- zwanzig Parafangen bis in die Nähe von Babylon er-
fireden.
Von da zogen fie zwei Zagmärfche, act Parafangen,
weiter, und festen über zwei Eandle; über den einen führe
eine Brücke, über den andern eine aus fieben Fahrzeugen
beftehende Schiffbrüde. Sie waren aus dem Tigris abge
feitet, . und von ihnen Tiefen Gräben in dad Land hinein,
anfangs große, dann Fleinere und zulebt nur Rinnen, wie
man fie in Hellas auf ben Feuchfeldern ſieht. Hierauf
famen fie an den Tigris, an welchem in einer Entfernung
Zweites Buch. 787
von fünfzehn Stadien die große, bevölterte Stadt Sitace *>-
liegt,
Die Hellenen bezogen neben ihr ein Lager, nahe bei eis-
nem fchönen, .anfehnlichen, dicht mit Bäumen alfer Art bes
wachſenen Thiergarten. Die Barbaren hatten über den Fluß
gefebt und waren nirgends mehr zu fehen.
Nah) dem Abendeſſen gingen Prorenus und. Kenophon
vor dem Lager auf und nieder; da Fam ein Menfc zu den
Vorpoften und fragte nach Prorenns und Klearchus; nad).
Menon fragte er nicht, obgleich er von feinem Gaftfreunde
Ariäus kam. Als Proxenus fagte: „Ich bin es, den du fu-
cheſt!“ fagte der Fremde: „Es fenden mid, Ariäus und Ars
taozus, ald Eure und des Cyrus treue Freunde, und Laflen
Euch durch mich anempfehlen, diefe Nacht gegen einen Webers
fall der Barbaren auf Eurer Hut zu ſeyn: es ift viel Krieges
vol in bem nahen Thiergarten; aud) follt Ihr die Brücke
über den Tigris beſetzen; denn Tiſſaphernes will fie wo mög⸗
lich in diefee Nacht abwerfen fallen, damit Ihr nicht hinüber
koͤnnet und fo mitten zwifchen dem Zigris und dem Canal **)
eingefchloffen ſeyd.“
j Mit diefer Botſchaft führten fie ihn zu Klearchus, der
Darüber in nicht geringe Beflürzung gerieth. Ein Jüng—
ling, ***) der zugegen war, und der Sache nachgedacht hatte,
+) Nach Mannert Yag fie, wo jegt das fogenannte Altbag dad
Tiegt. Nach d'Anville find ed die Truͤmmer von Aggartuf,
weftlich von der Stadt Bagdad.
++) Der Canal warb fpdter Sarfar genannt.
+++) Diefer Juͤngling War vermuthlich Xenophon felbft, der aus
Beicheidenheit feinen Namen nicht nennen weite, “
88 Xenophon's Feldzug des jüngern Cyrus.
bemerkte, wie fich das Übwerfen der Beüde mit dem vor⸗
geblichen Angriff durchaus nicht zufammenreimen ließe; bei
dem Weberfalt müßten fle entweder ſiegen, ober. beflegt wer⸗
den; flegten fie, was brauchten fie. dann die Brüde abzuwer⸗
fen, da taufend Brücken fle nicht retten Fünnten? „Biegen
wir, fo wäre ihnen durcd das Abwerfen der Brücke der Weg
zur Flucht verſperrtz auch koͤnnte ihnen, fo wiel Ihrer jenfeite
der Brüde wären, Riemand zu Hülfe kommen.’
Darauf fragte Klearchus ben Boten, wie groß Die Land⸗
ſchaft zwifchen dem Tigris und-dem Emmal *) wäre. Er ant⸗
voortete, es fey dieß ein großes Laud, das viele Darfer und
viele anſehnliche Staͤdte im ſich fchliehe.
Da ergab ſich denn, daß die Barbaren den Mlenfchen ge⸗
ſchickt hatten, weil fie befüschteten, die Hellegan märhten bie
Beide abbrechen und auf ber Juſel bleiben, wo fie einexfeitk
durch den Zigris, anderenfeitd durch den Canal gededt wären,
reichliche Lebensmittel bezdgen und Leute zum Bebauen des
Landes hätten; fo wie dieſer auch leicht ein Sammelplab von
Unzufriebenen werden könnte, die das Gebiet bei Königs yon
da aus beunruhigen Lönnten. Man legte ſich baher zur Ruhe,
schickte jedoch zus Sicyerheit einen Wachpoſten anf die Brücke;
*) Die Medifche Mauer durchſchnitt vom Tigrid bis zum Cuphrat
den türzeften Weg von Norbnoröftoft gegen Suͤdſuͤdweſt.
Der Eanal Gaxſar aber zog ſich in ziemlich gerader Rich⸗
tung amd dem, Kigrid nach Weſten, durxxyſchnitt in ſchraͤger
Linie die Mauer, und endigte ſich nicht, weit davon in dem
Euphrat. Die Handſchaft zwiſchen dem I ris und dem Ca⸗
nal bildete ein ziemlich —2 — der Raum zwi⸗
ſchen dem, Canql und dem noͤrhlichern, afa, eine Inſel.
>
*
Zweites Buch. 789
auein es erfhten Niemand zum Angriff: auch ließ ſich nach
dem VBerichte des Wachpoſtens Fein Feind in der Nähe der
Bruͤcke Mecken.
Mit Anbruch des Tages zog man mit möglichſter Vor⸗
ſicht über die Brütke, bie über ſteben und dreißig Fahrzeuge
gefdyIngen war; Einige der Hellenen nämlich, die bei Tiſſa⸗
phernesd waren, fagten aus, daß die Perſer fie beim Uebergang
angreifen wärben; allein Auch Dieß war unzegründet. Zwar
tieß fich während des Uebergangs Glus mit einigen Beglei⸗
teen fehen, und beobachtete, ob fie wirklich überfesten; eilte
aber, ald er ſich davon ͤberzeugt hatte, fogleich wieder davon.
Bon dem Tigris gAangten fie in vier Tagmärfdyen, zwan⸗
sig Patafangen, af den Flaß Dhysbus;*) diefer war ein
Prethrum breit und Hatte eine Beide. An ihm lkiegt die
große Stadt Dpis. **) Hier kam den Hellenen der Bas
ftarböruder ded Eyrud und Artaxerxes entgegen, der von Suſa
und Ekbatana dem Könige ein großes Heer zu Hülfe führen
woiltez er ließ Halt machen, und Tah die Hellenen an fid)
voruberziehen.
Klearchus Tieß'das Heer zwei Mann hoch anßiehen, und
von Zeit zu Zeit halten. So lange die Spitze des Heeres
hielt, mußte durch: das ganze Heer nad) und nach Stillſtand
enſſtehen; fo daß ber Zug ſelbſt in den Augen der Hellenen
außerſt groß erfchien, und der Anblick deffeiden den Perfer in
@rftaunen feste,
*). Wahrſcheinlich ber heutige Dboan oder Odorneh; nach
' Kinneir heißt ee Kufri— Su
”*) Na Kinneir wären es vielleicht die Trummer vn Judſea.
4
790 Zenophon’s Feldzug des jüngern Eyrus.
Bon da zogen fie durch Medien Hin, und legten in ſechs
Tagmärfchen durch wüſte Gegenden dreißig Paratangen zu⸗
rück, bis zu den Drtfchaften der Parpfatis, der Mutter des
Cyrus und des Königes. Tiffaphersies überließ fle, um bag
Andenken ded Eyrus zu höhnen, den Hellenen zur Pfünde-
rung; nur follten fie eine Sclaven machen. Man fand viel
Getreide, Schafe und andere Sachen.
Bon hieraus zogen fie, den Tigris zur Linken, in fünf
Zagmärfchen, zwanzig Parafangen, durch wüſte Gegenden
fort. Auf dem erften Tagmarſch brachte man aus der großen
and wohlhabenden, jenfeitd des Yluffes gelegenen, Stadt
Eänd*) auf ledernen Kähnen Brod, Käfe und Wein herüber.
5. Hierauf kamen fie an den Fluß Sabatuıs, **) der vier
Plethren breit war. Hier blieben fie drei Tage. Man hatte
manchfachen Grund zum Argwohn befommen, bis jest aber
noch Beine offenbare Feindſeligkeit eutdecken koͤnnen. Klear-
dns hielt demnach für’s beſte, ſich mit Tiſſaphernes zu be⸗
ſprechen, um wo möglich allen Grund zu fernerem Verdacht
zu beſeitigen, und ließ ihm daher ſagen, daß er ihn zu ſpre⸗
chen wuͤnſchte; eine Bitte, die ihm auch ſogleich geſtattet
wurde.
Als fie zufammentraten, redete ihn Klearchus alfo an:
„Ich weiß, Ziffaphernes, daß wir ung durch feierlichen
Eidfhwur und Handſchlag verpflichtet haben, einander Beinen
Schaden zu thun; und doch muß ich fehen, daß du uns wie
*) Wahrſcheinlich das heutige Senn.
*+) Der heutige Fluß Zab; er wird von andern Helleniſchen
Schriftſtellern auch Lykus genannt.
Zweites Buch. . 791
Feinde bewachſt; und Wir, die wir Dieß gewahren, fanden
für gut, die gleichen Borſichtsmaßregeln zu nehmen. Da id)
nun aber durchaus finde, daß du und Nichts zu Leibe thun
wirt, auch Aberzeugt bin,. daß von unferer Seite.an Nichte
dergleichen gedacht wird, fo habe ich für dienlich erachtet,
mit dir Rückſprache zu nehmen, damit wir wo möglich bag
gegenfeitige Mißtrauen verbannen. Die Erfahrung lehrt uns,
wie Leute durch Verleumdung oder Argwohn ihren vermeint⸗
ichen Gegnern’, ohne daß Diefe Böfes vermuthen oder beab⸗
fichtigen, zuvorgufommen Kuchen, und unerfeblichen Schaden
zufügen. Da ich glaube, daß folche Mißverftändniffe durch
freundfchaftliche Beſprechung fic Heben laſſen, fo komme ich
zu dir, um dir au beweifen, daß dein Mißtrauen gegen uns
ungegründes if. Erſtens und hauptſächlich verbietet uns
der Eid, den wir Angeſichts der Götter fchworen, Euch
feindficy zu begegnen; und Wer fich Hierin Etwas zu Schul:
den kommen Fäßt, den wollte ich nicht zu den Glücklichen
zählen. Denn mit welcher Schnelligkeit will er dem Sorne
der Götter entfliehen, in welche Finſterniß fid, verbergen, in
welche Veſte ſich verfchließen? Alles allenthalben fleht unter
der Allgewalt der Götter. So denke id) von den Göttern
uud dem Eide, womit wir uns vor ihnen gegenfeitige Freund:
fchaft zugefchworen haben. Auf Exden halte ic) dich für un:
fern größten Wohlthäter; denn mit dir ſteht ung jedes Land
offen, ift ung jeder Fluß zugänglich, wird jedem Mangel vor:
gebeugt; ohne did, tappen wir im Finftern, wiſſen nicht,
wohin wir und wenden follen. Ohne dich iſt uns jeder Fluß
ſchwierig, jeder Wohnfis von Menfchen furchtbar, noch furcht⸗
barer die Einöde, wo und an Allem gebricht, Wären wir fo
792 Xenophon’e Feldzug des jlngern Cyrus.
vervädt, und wollten dich töbten, was Anderes hätten wir
Yaven, als daß wir und unſeres eigenen Wohlthäters beranb⸗
ten, und mit den Könige ſelbſt, dem furchtbarſten Gegner,
Kanıpf bekaͤmen? Wie wbeker und wie großer Hoffunngen ich
mich aber durch ein feindfefiges Benehmen gegen dich beräter
Sen würde, will ich bir in Wenigem darthun. Ich ſuchte
des Gyrus Freundſchaft, da ic, ihn damals unter Alfen am
meiſten in ber Lage fah, feinen Freunden nützlich zu werben.
Goyt aber fehe ich dich im Beſißz der Markt und der Herrſchaft
von Eyrırd; du haft überbieh beine eigene Herrſchaft behaup⸗
tet und die Macht des Kimigs, die Jenem feindlich entgegen
ſtand, zu deiner Werfägung geſtellt. Da nen die Sachen
alſo fliehen, Wer follte fo wahnſiunig feyn, nud nicht dein
Freund ſeyn wollen ? Und nan will ich bir anführen, worauf
ich meine Hoffnungen baue, daß auch du unfer Freund ſeyn
wine. Ich weiß, daß Euch Die Myſier ſchwierig find, und
getraue mir, mit meiner gegembärtigen Truppenmacht ſie
Euch zu unterwerfen. — &o die Bifiden, fo noch mehrere
andere Wölberfchaften, die Enre Ruhe und Euern Wohlſtaud
zu Hören wagen. Was bie Egyptier betrifft "gegen die Ihr,
wie ich fehe, am meiften aufzebracht fend, Ho weiß ih Euch
Beine beffeve Heeresmacht, womit Ihr fie züchtigen Eönntet,
als diejenige, welche unter meinen Befehlen flieht. Mit un⸗
ferer Hilfe follteft bu von deinen Nachbarn, Deren Freund
wu ſeyn wollteſt, am höchſten geachtet ſeyn; und fie, falls
fie dich kränkten, alleſammt zu Paaren treiben; und wir
‚werden die nicht bios Bes Solbes megen, fondern aus
Dankbarkeit als unfrem Netter dienen. Wenn id) mir altes
Dieſes vergegenwärtige, fo muß ich mich wundern, wie dm je
Zweites Bud. ' 93
uns mißfrauen konuteſt, und möchte gerne den Nanmen des
Mannes willen, deſſen Beredſamkeit dic) überzeugen bonnte,
daß wir Böſes gegen did, im Schilde füßren.“
So fprady Klearchus. Tiſſaphernes entgegnete ihm: „Es
freut mich ſehr, Klearchus, dich fo verſtändig ſprechen zu hö⸗
ren; denn wenn du alles Dieſes einſiehſt, und noch Schlim⸗
es gegen mich im Simme haſt, fo mußt bu es mit dir ferbft
übel meinen. Damit du aber wiſſeſt, daß du mit Unsecht
dem Könige und mir mißtraueft, fo Höre denn auch mid.
Wenn es unfre Ubficht wäre, Euch zu verderben, glaubſt de,
es würde und an Meiterei, an Fußvolk oder an Waffen feh-
fen, womit wir gegen Euch, ohne uns felbft irgend einer
Gefahr auszuſetzen, flreiten Eömnten? Glaubſt du, wir wäß-
ten wicht alle die geeigneten HRlaͤtze, Euch anzugreifen? Mi
weicher Gefayr würdet Ihr die vielen und befreundeten Ebe⸗
nen durchziehen ? Wie viele Gebirge habt Ihr zu überfteigen,
Die wir vorher beſetzen und Euch unzugänglich machen könn⸗
ten? Bedenkt die Menge von Flüſſen, mittelſt deren es uus
ein Leichtes ift, mit fo Vielen von Euch, als wir für gut
finden wärden, nach Bequemlichkeit zu fechtens und über dis
nen großen Theil würdet Ihr ohne unfere Hälfe gar nicht
feben können. Stände uns aber ⸗auch alles Dieß nicht zu
Gebot, kann nicht das Feuer die Ernte verzehren ? und {ft
dieſe abgebrannt, fo ſtellten wir Euch den Hunger entgegett,
einen Gegner, weichen Ihr mit al? Eurer Tapferkeit nicht
Stand halten könntet. Da uns nun fo viele Mittel und
Wege, Euch zu verderben, offen fliehen, und wir wirgende
Gefahr dabei hätten, werden wir gleichwohl einen Weg
wählen, der fündhaft vor Göttern und ſchändlich vor Mens
94 Xenophon's Feldzug des jüngern Cyrus.
fen erfcheint? Dieß läßt fi von Leuten erwarten, die,
von allen Mitteln entblöst und befchränkten Geiftes‘, der
Nothwendigkeit weichen und ſchlecht genug find, durch Eid⸗
bruch gegen Götter und Wortbruch gegen Meufchen ihre
Zwede zu verfolgen. Nein, Klearchus, weder fo thörichk:
noch fo unbefonnen find. wir. Uber warum thun wir es
nicht, da es in unfrer Macht fteht, Euch zu verderben? So
wiffe beun, daß es mein angelegentlichfter Wunſch ift, mich
den Hellenen als zuverläßigen Mann- zu zeigen, und eben bie
Truppen, auf deren befoldete Treue Eyrus ſich ſtützte, als er
gegen den König heraufzog, durch Wohlthaten an mid, ge⸗
feſſelt zurückzuführen. Was dig Dienfte betrifft, die Ihr
mir leiſten Eönnt, fo weiß ich außer den von dir benannten
nod) den welentlihen. Das Diadem anf dem Haupfe darf
nur der König aufrecht *) tragens aber im Herzen trägt es
wohl auch ein Anderer fo mit Eurer Hülfe.“
Diefe Rede hielt Klearchus für unverftellt und antwor-
tete: „Da wir nun ſolche Gründe zu gutem Vernehmen ha⸗
ben, ſollten nicht Diejenigen, welche ſich zum Gefchäfte ma⸗
chen, uns bei Euch als feindlich geſinnt zu verleumden, die
haͤrteſte Strafe verdienen?“ — „Wenn Ihr, Heerführer und
Hauptleute,“ erwiederte Tiſſaphernes, „zu mir kommen wollt,
fo will ich Euch öffentlich Diejenigen nennen, die dich des
Derraths gegen mid und mein Heer befchuldigen.” — „Ich
werde,’ verfeute Klearchus, „Alle mit mir bringen, und dir
*) Dem Perfifchen Könige allein ftand es zu, die Tiare aufrecht
u tragen, indeß fie bei den übrigen Perfern zurüdgebogen
. stand.
Zweites Buch. 1396
dann auch Diejenigen namhaft machen, die mir von dir ein
Gleiches berichten.“
Nach dieſer Unterredung war Tiſſaphernes ſehr vertrau⸗
lich gegen ihn, hieß ihn bleiben, und zog ihn zur Tafel. Als
Klearchus Tags darauf in's Lager zurückkam, merkte man
gleich, daß er im Wahne war, Tiſſaphernes für ſich gewon⸗
nen zu haben; er berichtete Alles, was Jener geſagt hatte;
auch meinte er, es ſollten alle Diejenigen, welche er ver⸗
langte, mit ihm zu Tiſſaphernes gehen, damit Diejenigen un⸗
ter ihnen, welche der Verleumdung überwiefen würden, als
Derräther und Webelgefinnte gegen ihre Landsleute die ver⸗
diente Strafe empfingen.
Dabei hatte er Menon im Verdacht, indem er wußte, -
daß er ſich mit Ariäus zu Ziffaphernes begeben hatte, und
gegen ihn Umtriebe machte, um das Heer für ſich zu gewin⸗
nen, und fo fich Ziffaphernes zum Freunde zu machen.
Klearchus hatte nody die Nebenabfiht, durch biefen
Schritt das Heer für fich zu flimmen und fich feine Gegner
vom Halfe zu fchaffen. Einige von dem Heere äußerten bes
denftich, es ſollten nicht alle Anführer und Hauptleute gehen,
nnd ſich fo in die Gewalt des Tiffaphernes begeben.
Klearchus ſtritt mit Heftigkeit dafür, big er es durch⸗
ſetzte, daß fünf Anführer und zwanzig Hauptleute mit ihm
gingen. Auch von dem übrigen Heere begleiteten ſie gegen
zweihundert, um dort Lebeusmittel einzukaufen.
Als ſie vor dem Zelte des Tiſſaphernes aukamen, wiür⸗
den die Heerführer hineingerufen; es waren der Böotier Pro⸗
xenus, der Theſſalier Menon, der Arkadier Agias, der Lako⸗
6 Kenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus.
nier Klearchus und der Achäer Sokrates; die Hanptiente
blieben außen.
Kurz darauf wurden auf vaſſelbe Zeichen Die, welche
drinnen waren, gefangen genonnnen, und Die außen niederge⸗
macht. Hierauf ſprengten einige Perſiſche Reiter durch»s
Fun hin, and hieben Alles, was ihnen von Hellenen begeg⸗
uete, Sktlaven sad Freie, nieder.
Die Hellenen wunderten ſich uͤber das Erſcheinen der
Reiter, die ſie vom Lager aus ſahen, und wußten wicht, wie
fie es deuten foltten, bie der Arkudier Nikarchus, der in ven
Unterleib verwundet war und die Eingeweide in den Hanben
hielt, daher geflohen Fam, und erzählte, was vorgefalfen war.
Es lief nun Alles unter die Waffen, weil man erwartele, die
Feinde würden fogfeich vor dem Lager erfcheinen.
Es kamen jedoch blos Ariaus, Artaozus und Mithridu⸗
tes, die des Eyrus vertrauteſte Freunde waren; ach moltte
der Helleniſche Dolmerfcher den Bruder des Tiſſaphernes un:
ter ihnen erkennen; fie waren don etwa beeffundert gehar⸗
niſchten Perſern begleitet.
Als fie nahe gekvymmen waren, verlangten fie, daß, Wer
noch etwa von Helleniſchen Heerführern oder Hauptleuten
vorhanden ſey, vortrete, damit fie ihm die Botichaft des Kö:
nigs eröffieten. Nach getroffenen Vorſichtsmaßregeln traten
bie Helleniſchen Hrerführer vor, Kleanor aus Drchomenns,
der Stymphalier Sophänetus, und mis ihnen ber Athener
Renophon, um fü Über das Schickſal des Peoxenus zu er-
kandigen. Chirifuphes war mit Andern nad, einem Dorfe
gezogen, um dort Lebensmittel zu holen.
Zweites Buch, 91
Als fie nahe genug gekommen waren, ſprach Ariaͤus:
„Klearchus, ihr Hellenen, Hat, des Meineids und des Ver:
Iskung. bes Waffenſtillſtandes überwiefen, die vexbiente To⸗
desſtrafe erlitten; Prexenus und Menon aber find, weit fie
deſſen verraͤtheviſche Plane aufgebedt, am Leben und in ho⸗
ben Epuen. Bon Euch verlangt des König, daß Ihr bie
Waffen abliefert, die, ats fruͤheres Gigenthum feines Vaſallen
Gpeus, ihm acheim gefallen ſind.“ |
Darauf erwiederte im Namen der Hellenen Kleanor aus
Orchoemenus: „Schande der Menfchheit, Ariäus, und ihr
Andern, die Ihr des Cyrus Freunde waret! (chämt Ihr Euch
nicht var Göttern und Menſchen, daß Ihr, nachdem Ihr ung
geſchworen, dieſelbes Zreusde und Feinde mit und zu haben,
uns an Ziffaphermes, den ruchloſeſten, nietertsächtigfen Men:
ſchen, verrathet, nud nachdem Ihr die Männer, deuen Ihr
Zieue zuſchmoret, gemordet, und und Andre treules verlaſ⸗
fen habt, mit unſern Feinden .uoch vor unſer Angeſicht zu
treten wagt?“
Ariäus erwiederte: „Klearchus warb ja überführt, daß
er fehon früher gegen Tiffaphernes, Drontas und und Alle,
die bei ihnen waren, verrätherifch gehandelt hat.“
Sierauf entgegnete Xenophon: „Klearchus hat demnach,
wenn er gegen feinen Eid den Waltenflilifianb brach, wie es
recht iſt, feine Strafe empfangen; denn es iſt gerecht, daß
die Eidbrächigen zu. Schanden werben. Sind aber Prorenus
und Menoa Eure Wohlshäter, fo ſchickt fie ald unfre An⸗
‚führer hicherz denn es ſteht zu hoffen, daß De als Eure und
nuſre Freunde Euch und und das Beſte rathen werden.” Die
800 Zenophon’s Feldzug bes jängern Cyrus.
fchaftlih, fo daß es ihm ferbft mandymal vente. Allein er
ftrafte mit Vorbedacht. Ein Heer ohne Bucht war nad) fei-
ner Meinung zu Nichts zu gebrauchen. Auch pflegte er zu
fagen, der Soldat müße fich vor ſeinem Feldherrn mehr ala
nor dem Feinde fürchten, wenn er forgfäftig Wache Hatten,
fih am Freunde nicht vergreifen, und. ohne Widersede in den
Kampf schen Tolle. Im Augenblick dev Gefahr gehorchten
ibm Alle gern, und wünſchten ſich Feinen andern Führer.
Seine finftere Miene, fagten file, Märe fich gegen fie auf, und
feine Strenge erfheine ald Thatkraft gegen den Feind, und
fey von heilbringender Vorbedentung. War die Gefahr vor:
über, und kamen fie zu Solchen, die unter anderen Obern
ftanden, fo verließen ihn Viele; dann fein Weſen hatte burd)-
ans wichtd Freundliches; er war immer hart und rauh, fo
daß die Soldaten ihn, wie die Knaben den Suchtmeifler,
ſcheuten. Niemals folgten fie ihm aus Ergebenheit und Liebe;
waren ihm aber vom Staat Weihe zugetheilt, oder waren fie
durch Mangel oder andere Noch dazu getrieben, fo hielt er
fie im ſtrengſten Gehorfam. Hatten fie einmal unter ihm fies
gen gelernt, da zeigte es fi, was es hieß, unter ihm zum
Soldaten gebildet zu feyn: fle fühlten Muth und Sutfchlof:
fenheit gegen ben Feind; und daB fie Strafe von ihm färdh-
teten, hielt fle in Orbnung. So war er, wenn er zu befeh-
Ion hatte; von Andern ließ er fich, fagte man, nicht gerne
befehlen, Als er flarb, war er ein Mann von ungefähr fünf:
zig Jahren.
Der Böotier Prorenus fühlte ſchon von zarter J
an einen Drang nach großen Thaten in fich, und ging beßhalb
m. m39CHTE ei 3 — -
Zweites Buch. . 801
zit dem Leontiner *) Gorgias in die Schule. Als er” einige
Zeit Deffen Umgang genoflen hatte, und fidy für tüchtig hielt,
über Andere zu gebieten, und im Umgange mit Männern
vom erften Range ihre Gefäkigkeiten erwiedern zu können,
fieß er ſich auf das Unternehmen des Eyrus ein, weil er ſich
dadurch einen berühmten Namen, großen Einfluß und glän-
zende Reichthümer zu erwerben hoffte. Dabei war aber nicht
zu verfeunen, daß er jene Bortheile nicht auf unrechtem Wege,
fondern immer auf rechtliche, ehrenvolle Weife zu erlangen
fuchte.. Weber gebildete, ehrenhafte Maͤnner zu ‚herrfchen,
war er. tüchtig genug; Soldaten von gewöhnlichem Schlage
aber mußte er wicht die gebührende Schen und Furcht einzu⸗
Hößen, und hatte, fihtbar mehr Schonung gegen fie, als
fe zu würdigen wußten ; auch fah man wehl, daß er fich mehr
fchente, fih mis feinen Untergebenen zu verfeinden, ald Diefe,
ihm ungeherfam zu werben. Um guter Heerführer zu ſeyn,
und dafür zu gelten, biels er für hinlänglich, die Rechtlich⸗
gefinnten zu loben, und die Unzechtlichen unbemerkt zu laſſen.
Daher kam ed, daß ihm die Gutgeſinnten, welche mit ihm
au thun hatten, ergeben waren, bie Schlechten aber gegen
ihn, ale einen Mann, dem leicht beizufonnnen wäre, Raͤnke
fchmiedeten. Als er das Leben verlor, war er etwa breißig
Jahre alt.
: Der Theffalter Menon zeigte ſich als einen Mann, befs
fen einziges Beſtreben Bereicherung war, der nach Herrſchaft
*) Leontini war eine Griechifche Pflanzftadt an der Oſtkuͤſte
von Sicilien. Gorgias war ein großer Redner feiner Zeit;
und die Athener zählen die Tage, mr denen er bei ihnen df-
fentlicgen Unterricht hielt, mit zu ihren Feten. ‚
Xenophon. 68 Bdchn. 7
N
Bo2 RXenophon's Feltzug des jüngern Cyrus.
trachtete, um mehr zufammen zu füarren, und nad) Aus⸗
zeichnumg, weil fie ihm größern Vortheil verfprad. In ber
Freundſchaft des Märhtigen Tuchte er Strafloſigkeit für feine
Verbrechen. Um auf dem Fürzefien Wege zum Ziele feiner
WBünfte zu gelangen, waren ihm Meineid, Lug und Betrug
die zweck dienlichſten Mittel; Aufrichtigkeit und Wahrheits⸗
diebe überließ er dem ſchwaͤchern Kopfe. Er liedte Nieman⸗
ben von Herzen; Weſſen Freund er ſich nannte, den hatte er
ficherlich eine. Falle geſtellt. Kein Feind war ihm zu ugbes
dautend; über feine Umgebung aber wußte er.Äich immer lu⸗
flig zu machen. Das Eigenthum des Feindes war licher wor
ihm; denn er hielt es zu fchwer, Dem, ber .auf Teiwer Hut
war, das Seinige zu entreißen; dad Beſitzthum ſeiner Freunde
glaubte er (uud rühmte ſtch Deſſen) auf die leichtefie Meiſe un⸗
bewacht an fich zu briugen. Von Wem er wußte, daß es itzm
auf einen Meineid oder ein Bubenflüd nicht ankam, nor. dem
hatte er Achtung, als vor einem wohl bewafjusten Wanne;
‚mit gewiſſenhaftan, geradfiunigen Leuten hatte er, als: mit
Schwaͤchlingen, am Heben zu. thum. Wie Andere ihre Luſt
an Pflichtgefühl, Bahtheitsfiau uud Rechtlichkeit finben , fo
fand Menon seine Luft darin, Betrug: ga: fpielen, Lügen zu
innen, und feine Freunde [dcherkich zu machen. Mer Kch
nicht auf Winkelzüge verftand, der hatte bei ihm Beine Lebeus⸗
art; Dielenigen, in deren Gunſt er abenun ftehen wollte, glaubte
er dadurch gewinmen zu.mißen, daß er Solche anfchwärgte,
die im Befige jenes Vorzuges waren. Den Gehorfam ſei⸗
ner Soldaten glaubte er. ſich dadurch zu fühern, daß er an
ihren Freveln Autheil nahm. Zuiuuct und. Dienfibeflifien:
heit aber ſuchte er ſich dadurch zu: ergwingen, daß en merken
Zweites Buch 803
ließ, ex habe widrigenfalld die Macht und den Willen, zu
fhhaden, Wenn Jemand von ihm abfiel, fo rechnete er ſich
zum Verdienft an, daß er Denfelben während feines Dienftes
nicht zu Grande gerichtet. hatte. Was ſich wicht auf allge⸗
mein betannte Thatfachen fiägt, mag umnveriäfiig ſcheinen;
das Offentnnuige aber iſt Folgendes: Bei Artftippne*) hurtte
er es in einem Alter, das durch ſeine Brücke empfahl, dahin
gebracht, daß er den Oberbefehl über die fremden Söldner be⸗
tan. Dem Barbaren Ariäns, der ſich an ſchͤnen Knaben
wergnügte, gab ev ſich noch bei reifeen Jahren preis; vr ſelbſt
Hebte Tharypas, der Bartfofe den ſchon Baͤrtigen.
As feine Mitanführer dad Leben verloren, weil Re un⸗
ter Tyrus gegen den König die Waffen getragen hatten, blieb
er, der Doffelben fehutdig war, am Leben. Nach dem Tote
der undern Anführer jedoch ward auch er von dem König
zur Strafe gezogen, und mußte wit. dem Leben büßen. Doc
er ſtarb wicht den Zod des Klearthus mb: ber Ahvigen Uu⸗
führer, werde wwihaupter wireden was Für den ſchnellſten
Tod gift), fordern ward gemartert wie ein Verbrecher, und
fall fo exit nad) einem Jahr fein Leben geeudet haben,
Auch der Arbadier Mgiad und ver Achder "Sokrates
wurden hingerichtet, Männer, denen man ſowohl in Hinſtcht
ihres Betragens im Felde, als and) im Umgang mit Freun⸗
den, alle Gerechtigkeit widerfahren laflen muß. Sie ſtarben
Beide in einem Ukter von: etwa viergig ihren.
*) S. J, 1.
Suhale des dristen Bude.
Cap. 1. Beftärzung im Heere der Griechen. Xenophon tritt
auf und veranlaßt die Wahl neuer Anführer. Der feige Apollo:
nides wird fortgejagt. Cap. 3. Bor den verfaunmelten Hellenen
tritt zuerft Chirifophus, dann Kleanor und zuletzt Zenophon auf.
Die vorläufig gefaßten Beſchluͤſſe werden dem Heere mitgetheilt,
und von Diefen beftätigt. Cap. 3. Mithridates erfcheint und heu⸗
chelt Freundſchaft, wird aber verdächtig und veranlaßt den Befchluß,
‚nie wieder, während des Heimzuges, mir den Perfern, zu unterhan-
dein. Mithridates kehrt wieder zuräd und fügt den Griechen be:
deutenden Schaden zu, weßhalb Kenophon die Ayfftellung von Reis
tern und. Schleuderern anraͤth und durchſetzt. Cap. 4. Mithrida⸗
tes erſcheint zum dritten Male, wird nun aber mit leichter Mühe
zuruͤckgewieſen. Die Griechen kommen an den Tigris, und rüden vor
Rariffa und Meſpila. Tiſſaphernes ergeht es wie Mithridates.
Die Griechen ordnen eine neue Schlachtbewegung an, um die Uns
ordnung und Trennung ber Phalanr auf dem Marfche zır verhäten.
Neue Angriffe in einer bergigen Gegend; bie Griechen leiden bebeu-
tend. Sie gewinnen einen Vorſprung. Wach vier Tagen aber
holen fie die Feinde wieder ein und beſetzen eine wichtige Anhöhe
vor innen, werben aber durch Xenophon's Klugheit und Muth aus
diefer vortheithaften Stellung vertrieben. Cap. 5. Gegen Abend
tommen die Feinde zuruͤck, toͤdten einige umherftreifende Griechen
und brennen die Dörfer ab. Die Griechen berathfchlagen über den
Peg, den fie einzufchlngen Hätten. Hier der Tigris ohne Brüden —
dort die Hohen Karduchiſchen Gebirge, Ein Rhodier ſchlaͤgt eine
aus Schlaͤuchen zu fertigende Brücke vor, finder aber nicht Gehör.
Man macht eine rädkgängige Bewegung, befommt von einem Ges
fangenen Audtunft Über die Gegend und Lage; woranf beſchloſſen
wird, Über die. Karduchiſchen Gebirge zu gehen.
—
— — — —
Drittes Bud.
1. Was die Hellenen auf dem Zuge des Eyrus bis zur
Schlacht. gethan, was nad dem Tode des: Eyrus vorgefallen,
als fie in Folge des abgefchloffenen Waffenftiliftandes mit
Ziffaphernes abzogen , ift in den frühern Abſchnitten gezeigt
worden.
Als die Anführer gefangen genommen, und die Haupt⸗
leute und die andern Hellenen, welche fie begleitet hatten,
umgekommen waren, befanden ſich die Hellenen in großer
Noth, indem fi ihnen der Gedanke aufdrang, wie fie, vor
den Thoren der Hauptftadf, ringe um fich her nichts denn
feindliche Städte und Völker hatten, wo ihnen "Niemand
mehr Lebensmittel zu Eaufen geben würde, und fie, von Hel⸗
las mehr als zehntaufend Stadien *) entfernt, weder Führer
noch Wegweifer hatten, und auf ihrem Heimzuge durch uns
durchgängliche Flüſſe gehemmt, und verrathen von den mit
Cyrus heraufgezogenen Barbaren, allein und verlaffen da flan-
den, auch Beine Reiterei zu ihrem Beiſtande hatten, fo daß
fie im Fat eines Sieges Feinen der Feinde erlegen Fonnten,
im Fal einer Niederlage aber bie auf den Testen Mann
*) Ungefähr zweihundert vier und zwanzig beutfdje Meilen. Go
viel beträgt etwa der gerade Weg von Ephefus; allein fie
hatten viele Ummege gemacht, amd menisftens fechzehn tau⸗
’ fend Stadien gebraucht.
806 RXenophon's Feldzug des jdägern Eyrus.
aufgerieben werden mußten. In dem Bewußtſeyn diefer
troftfofen Lage nahmen nur Wenige des Abends Speife zu
fi), zündeten auch nur Wenige Fener an; Diele kamen in
diefer Macht gar nicht in's Lager, fondern legten fid) nieder,
wo ed der Zufall fügtes allein Kummer und Sehnſucht nad
Vaterland, Eltern, Gattinnen und Kindern, die fie nidyt
wieder fehen foliten, ließ Keinen die Wohlthat des Schlafes
genießen. In foiher Stimmung hatten fich Alle zur Ruhe
begeben. "
Es war aber unter dem Heere ein Athener, mit Namen
Kenophon, der, ohne Anführer, Hauptmann ober überhaupt
Soldat zu ſeyn, dem Heere gefolgt war. Sein alter Gaſt⸗
freund Prorenus hafte ihn gefchrieben, er ſollte zu ihm kom⸗
men, und ihm verfprochen, ihn mit Eyrus, auf ben er felbft
höhere Hoffnungen, als auf fein Vaterland baute, vertraut
zu machen.
Keuophon lad den Brief, und theilte ihn Sokrates .
mit, um feine Meinung darüber zu hören. Diefer beforgte,
man möchte Kenophon ein folches Verhäftuiß zu Cyrus von
Seiten des Staates übel deuten, da man Eyruis in dem
Kriege der Lacedämonier gegen then im Einperkänbniß mit
den Erftern glaubte; er rieth ihm daher, nach Delphi zu ge⸗
ben, und den Gott über fein Vorhaben zu befragen.
Tenophon begab ſich dahin, und fragte den Apollo, wel-
chem der Götter er Opfer und Gelübde darbringen müßte,
um: die Reife, die er vorbätte, mit beftem Erfolge zu machen,
und glücklich wieder heimzukebren. Apollo hieß ihn denjenis
gen Göttern opfern, denen dieſes Opfer gebühre.
Drittes Bach. 807
Als er zurüd kam, theilte er Sokrates ben Orakelſpruch
mit. Dieſer tadelte ihn, daß er nicht vielmehr gefragt habe,
ob ed überhaupt für ihn beſſer wäre, zu reifen oder da zu
bfeiben, fondern ſelbſt entfchieden, zu gehen, und blos gefragt
habe, wie Dieb mit dem beften Erfolge gefchehen könnte,
„Doch,“ meinte er, „da du einmal die Frage fo geftellt haft,
must du fhun, was der Gott befohfen hat.’
Nachdem alſo Kenophon den vom Drakel- bezeichneten
Göttern geopfert Hatte, fegeite er ab, und traf Prorenus und
Eyhrus in Sardes, als fie bereits im Begriff waren, den Zug
nach Dberaflen anzutreten, und warb dem Eyrus vorgeftelft.
Proxenus ſprach ihm zu, er folite bei ihnen bleiben, und
ward darin von Cyrus unterſtützt, der verfprach, ihn nach
geendigtem Feldzug fogleich zu entlaffen. Diefer galt aber,
wie es hieß, den Piſiden.
Sp getäufcht, nicht von Prorenus (denn weder er, noch
ein anderer Helene, außer Klearchus, wußte, daß es gegen
"ven König ging), ward Kenophon mit in ein Unternehmen
gezogen , deffen wahre Abſicht erft in Eilicien Allen klar zu
werden begann, So ungern nun auch die Meiften den ges
faͤhrlichen Zug weiter. mitmadyten, fo fiegte doch bei ihnen die
Scham vor fidy felbft und vor Eyrus über ihre Abneigung;
und unter Diefen befand ſich and, Xenophon.
In diefer allgemeinen Rathlofigkeit war aud) er, wie die
Andern, bekümmert, und konnte in diefer Nacht nicht fchlas
fen. Als er ein wenig einfchiummerte, hafte er einen Traum.
Es war ihm, als ob ein Blitzſtrahl mit plötzlichem Donner:
ſchlag in ſein väterliches Hans einfchlüge, und diefes in lich⸗
ten Flammen auffoderte. In voller Angſt fuhr er auf, und
. B08 Zenophon’3 Feldzug des jängern Cyrus.
fab in dem Traume einerfeitd ein glüdtiches Seichen (indem
in foldyer Gefahr und Berrängniß ihm ein großes Licht vom
Zeus erfchienen wäre); andererfeits fürchtete er, da der Traum
von Zeus, dem König der Könige, zu kommen, uud das Haus
ringsum zu brennen fchien, er möchte aus dem ‚Gebiete des
Königs keinen Ausweg finden.
Was dieſes Traumgeſicht zu bedeuten hatte, kann man
aus den Folgen erfehen, die fich bald zeigten. So bald er
erwadyt war, kam er fegleid auf folgende Betrachtung:
„Was liege ich hier? Die Nacht -ichreitet fort, und mit An⸗
bruch des Zages rüdt der Feind heran. Sind wir in der
Gewalt bes Königes, was hindert dann, daß wir, nachdem
wir das Schrediichfte mit angefehen haben, und aufs grau⸗
famfte gemißhandelt find, eines ſchmachvollen Zodes fterben ?
Daß wir Das abwehren, dafür trifft Keiner Auſtalten, ſorgt
Keiner: wir liegen da, als dürften wir ber, Ruhe pflegen.
Aus welcher Stadt erwarte idy den Heerführer, der Solches
thun wird? Bis zu welchem Alter fol ich warten, da id;
nicht älter werde, wenn ich heute mid) den Feinden ergebe ?’'
Er ftand auf, und rief zuerſt die Hauptleute des Prores
nus zufammen. Als fie beifammen waren, fprad) er: „Ich
kann, wie wahrfcheinlich auch Ihr, weder fchlafen, noch laͤn⸗
ger liegen bleiben, wenn ich betrachte, in welcher Lage wir
ſind. Der Feind iſt nicht eher wider uns im Feld erſchienen,
als bis er ſich hinlänglich vorbereitet glaubte; von uns aber
trifft Keiner Vorkehrung dagegen, daß wir mit Ehren den
Kampf beftehen. Und doch — was wird unfer Schidfal
feyn, wenn wir und unterwerfen, und in der Gewalt des
Königs find, eines Königs, der feinem leiblichen Bruder, als
⸗
Drittes Buch. 80g
er fchon todt war, den Kopf und die Hand abbauen, und
ihn an’s Kreuz fchlagen ließ? Was haben wir zu erwarten, die
wir keinen Yürfprecher haben, die wie er gegen ihn zu Felde
zogen, um ihn vom Könige zum Sclaven zu machen, und ihn
zu tödten, wenn wir es vermöchten ? Wird er nicht Alles
aufbieten, um durch die fchmählichften über ung verhängten
Martern alle Menfchen abzufchreden, die je gegen ihn zu
Telde ziehen wollten? Darum müflen wir Alles wagen, um
nicht in feine Gewalt zu kommen. — Noch während des Waf⸗
fenftilftandes mußte ich immer ung bedauern, und den König
und feine Zeute glücklich preifen, wenn ich bedadhte, weldy
ein großes, herrliches Land, welchen Weberfluß an Lebens⸗
mitteln, wie viel Diener, welden Reichthum an Dich,
Bold und Kleidung fie befipen; wenn ich Dagegen einen
Blick auf unfere Leute warf, wie wir von al den Gi:
tern Nichts unfer eigen nennen konnten, weun wir's nicht
gauften, und nur Menige noch die Mittel Hatten, Etwas
zu Baufen, und wie der Dertrag uns die Hände band,
auf andere Weife, ald durch. Kauf, .unfere Beduͤrfniſſe zu be:
friedigen; wenn id) alles Diefes überdachte, fo fürchtete ich
den Waffenftiliftand oft mehr, als jebt den Krieg. Da nun
Jene den Waffenſtillſtand gebrochen haben, fo hat auch, glaube
ich, ihre Uebermuth und unfer Argwohn ein Ende. Test find
diefe Güter alle für die Tapferften als Kampfpreis ausge⸗
ſtellt. Kampfrichter find die Götter, die, wie billig, auf un⸗
ferer Seite ſtehn. Denn Jene find gegen fle meineidig gewors
ben; wir aber, freu unferem Schwure, obgleich wir Alle
diefe Güter vor Augen hatten, enthielten uns ftandhaft ders
felben, und dürfen darum auch mit ungleich höherem Muthe
810 RXRenophon's Feldzug des jüngern Cyrus.
in den Kampf gehen, als ſie. Ueberdieß ſind wir gegen die
Hitze, Kälte und Beſchwerden weit abgehärteter als Jene;
und ung beſeelt, Dank ſey den Goͤttern! ein eblerer Sinn.
Ihre Lente find verwundbarer und hinfälfiger als wir, wenn
ung, wie bieher, die Götter den Sieg fchenten werden. Doch
vielleicht haben hieran auch ſchon Andere gedacht. Aber bei
den Göttern, laßt uns nicht anf Andere warten, um von ih⸗
nen zu ruhmpollen Thaten aufgefordert zu werden! Laßt und
die Erften ſeyn, die unfere Maffenbrüder zu Thaten der
Tapferkeit entflammen! Auf! zeigt Euch als die wackerſten
Hauptleute, als die würbigften Anführer! Wollt Ihr ſelbſt
Euch zu Solchem erheben, ſo folge ich Euch; beſtellet Ihr
mich zu Eurem Anführer, ſo ſchütze ich nicht meine Jugend
vor, ſondern fühle die volle Manneskraft in mir, das Unglück
von mir abzuwehren.“
So ſprach er; und die Hauptleute forderten ihn einſtim⸗
mig auf, die Anführung zu übernehmen. Nur ein gewiſſer
Apollonides, feiner Mundart nach ein Böootier, erklärte ſich
Dagegen, und naunte Den einen Schwäbßer, der andere Ret⸗
fung als von des Könige Gnade Hoffe, und fing an, die
Schwierigkeiten aufjnzählen. Xenophon aber unterbrach ihn
mit den Worten:
„Unbegreiflicher Menſch, wo haft du deine Augen ? wo
bleibt dein Gedaͤchtniß? Warſt du doch, wie Dieſe hier, zus
gegen, ald der König, burch des Cyrus. Fall übermüthig, uns
die Waffen abfordern ließ. Da wir es aber nicht thaten,
fondern bewaffnet heranrückten, und neben ihm unfer Lager
aufſchlugen, was that er da micht Alles, ſchickte Geſandte,
ließ und Waffenſtillſtand anbieten, Lebensmittel reichen, bis
Dritte ul. 811
wir in feine Bitte willigten? Endlich vergriffen die Anführer
und Hauptleute diefelbe Maßregel, die du uns raäthſt; fie
Samen ohne Waffen zu ihnen, um fich mit ihnen zu befpre:
chen; wurden fie da nicht geſchlagen, geftoßen, gemißhandelt,
die Ungrüclichen, und wünfchen den Tod fich, der vor ihnen
fließt 2? Dieb weißt du, und willft Diejenigen noch chöricht -
fcheften, die jur Vertheidigung rathen, und verlangft, fie fol:
fen hingehen und abermal um Gnade bitten? Mic, dünkt,
ihr Hellenen, dieſer Menfch darf nicht Länger in unferer
Mitte geduldet werden; man nehme ihm die Hauptmannsſtelle
ab, und lege ihm, als einem Laftträger, das Gepäde auf.
Der Menfc macht feinem Vaterlande, macht dem gefammten
Hellas Schande, daß er, als Helfene, ſo niedrig denkt.‘ _
Da nahm der Stymphalier Agaſtas das Wort und
ſprach: „O, diefen Menſchen geht weder Böotien, noch das
gefammte Hellas etwas anz ihm find ja, wie einem Zypdier,
beide Ohren durchlöcdert.‘‘*) Und fo verhielt es fidy auch.
Er wurde fortgejagt; und die Anderı gingen durch das La⸗
ger an den Heeresabfheilungen hin, und viefen den Befehls-
haber, wo Diefer nody am Leben war, wo nicht, den Unter:
befehlshaber, und den Hauptmann, wo noch ein Hauptmann
war. Us Alle beifammen waren, febten fie fich vor dem
Lager nieder. Es waren der verfammelten Anführer und
Hauptleute ungefähr Hundert, Dieß gefchah um die Mitter-
nachtsſtunde.
Da nahm der Elder Hieronymus, als der Aelteſte der
Hanptleute des Prorenus, dad Wort:
*) Ohrringe trugen (nach Zeugniffen der Alten) Häufig die Bar:
baren. Vielleicht war diefer Menſch urfprünglich ein Lydier.
812 Zenophon’s Seldzug des jüngern Cyrus,
„Anführer und Hauptieute, bie Betrachtung unferer Lage
ließ es uns ald nothwendig erfcheinen, zufammen zu fommen,
und auch Euch zu berufen, um wo möglich einen heilfamen
Entſchluß zu faffen. Wiederhole nun, Kenophon, was du
und vorgetragen haft.”
Hierauf ſprach Zenopbon: „Es ift ung Allen bekannt,
daß der König und Ziffaphernes fo Diele von ung, ale fie
Ponnten, gefangen genommen, und darnach trachten, pie fie
uns Ale zu Srunde richten. Wir müflen daher, meines Ers
achtens, Altes aufbieten, um nicht in der Barbaren Gewalt
zu kommen, fondern fie vielmehr, fo es möglich wäre, in un⸗
fere Gewalt!zu bringen, Wiſſet alfo, daß auf Euch, die Ihr
bier verfammelt feyd, die ganze Eutfcheidung ruht. Auf Euch
find aller Hellenen Augen gerichtet: finden file Euch muthlos,
fo werben fie Alte zagen; fehen fie Euch dem Feinde ent-
fchloffen entgegen treten, und fid) von Euch aufgefordert, fo
wißt Ihr wohl, daß fie.Euc) folgen und Euch zum Mufter
nehmen werden. Auch ift es Eure Pflicht, daß Ihr mis
rühmlichem Beiſpiel vorangeht. Ihr feyd die Befehlshaber,
‚die Unterbefehlshaber und Hauptleute. Sm Frieden waret
Ihr gegen ſie an Geld und Auszeichnung im Vortheil; nun
es Krieg iſt, müßt Ihr, als die Beſſern, der Menge mit
Rath und That, wo es Noth thut, vorangehn. Eure erſte
Sorge zum Wohle des Heeres wird alſo dahin gehen, daß
Ihr an die Stelle der gefallenen Heerführer und Hauptleute
Andere erwählt. Denn ohne Führer mag überhaupt in Eei-
ner Lage, am wenigften im Kriege, etwas Rühmliches und
Förderliches gedeihen. Die Ordnung erhält, die Unordnung
hat fhon Viele zu Fall gebracht. Habt ihr die nöthigen
/
Drittes Buch. . 813
Führer: erwählt, fo ift es, glaube ich, hohe Seit, daß Ihr das
Heer verfammelt und ihm Muth einfprecht. Denn Ihr habt
wohl feibft bemerkt, wie muthlos fie in's Lager zurückkehren,
wie muthlos auf die Poften ziehen; fo daß ich nicht weiß,
wie ſie in diefer Gemuͤthsſtimmung bei Nacht oder am Zage
etwas ZTüchtiges leiften würden. Stimmen wir fie aber um,
daß fie nicht blos an das drohende Unheil, fondern auch daran
denken, was fie zu thun haben, fo-wird ihre Muth in hohem
Grade angefenert werben; denn wißt, daß nicht Die Menge, nicht
die Stärke es iſt, die im, Kriege die Siege entfcheidets ber
höhere Muth, mit dem der Krieger, im Bertrauen auf den
Beiftand Ber Gärten, im die Schlachten geht, ift ed, dem der
Feind nicht zu wiberfiehen vermag. Dagegen finden, wie mir
dünkt, Die, weiche im Kriege Fein Mittel verfchmähen, um
nur ihr Leben zu retten, gewöhnlich in #hrer Feigheit und
NMiederträcdtigteit ihren Tod. Wer aber in dem Tode das
gemeinfame, unvermeidtiche Schickfal der Menſchheit ficht,
und nur nad) einem rühmlichen ode ringe, hat fchon oft
ein hohes und glückliches Alter erreicht. Diefe Ueberzeugung
nun laßt und durch die That bewähren, als tapfere Männer
handeln, und die Andern durch unfer Beiſpiel ermuthigen!“
Damit endete er,‘ -
Nah ihm ſprach Ehirifophus: „Bisher, Kenophon,
kannte ich dich blos ald einen Athener; nun aber muß ich
dich ob deiner Rede und deinen Thaten rühmen, und wünſchte
zum Wohle des Ganzen, daß wir mehr folde Männer häts
ten. Wohlan denn, meine Freunde, Taßt uns nicht zögern,
fondern geht, wählt die fehlenden Anfuhrer, und führt fie
nad) beendigter Wahl im die Mitte des Lagers, wo wir das
814 Renophon's Feldzug des jüngern Cyrus,
übrige Heer verſammeln wollen. Auch fol der Herold Tol⸗
mides zur Stelle ſeyn!“
Damit erhob er fi, um ohne Verzug dad Nöthige an⸗
zuordnen. Hierauf wurden die Heerführer gewählt, für
Klearchus Zimaflen aus Dardanuıs, *) für Sokrates Katts
thikles aus AUchaja, **) für den Arkadier Agias Kleuner-aus
Drdgomenus, ***) für Menon der Achäer Phileſins, und für
Proxenus der Athener Kenophon.
2. Schon begann ed zu tagen, als die Unfüscer und
vollendeter Wahl zufanımentraten, und nad) Aus ſtellung von
Vorpoſten das Heer zuſammenriefen.
Als Alle beiſammen waren, erhob ſich der Lakonier Ehi-
riſophus, und ſprach:
„Waffenbrüder, unſere Lage iſt durch tue Veruſt unſe⸗
rer Anführer, Hauptleute und anderer Krieger, fo wie durch
den Verrath des früher mit ums: vaxbündesen Ariäͤus ſehr
bedenklich gewerden. Laflen wir uns jedoch nicht niederbeu⸗
gen, fondern und ald tapfere Männer, fo es möglich iſt,
durch ruhmvolle Siege daraus befreien, mo nicht, mit Ehren
ſterben, anf daß wir micht lebendig in der Barbaren Hände
fallen, ‚und von ihnen erleiden, was bie Bötter über fir
serhängen mögen !‘’
Nach ihm trat Kleanor aus Orchomenus anf! und {pradı
Folgeudes:
2) Dardenus war eine Stadt in der Landſchaft Troas, im weſt⸗
lchen Kteinaften,
*+, Eine Landſchaft tn noͤrdlichen Peloponnes.
***) Eine Stadt in Arcadien.
Deittes Buch. 815
„Ihr feht den gottesvergeſſenen Meineid des Könige und die
Zreulofigkeit des Ziffapherned. Er, der, als Nachbar von Hel⸗
las, besheuexte, wie viel ihm daran liege, uns glüdkich zurück
zu führen, und ſich hiezu durch Eidfchwur und Handfdylag
verpflichtete, hat uns betrogen, unfese Anführer gefangen ge⸗
nommen, uud dadurch, Daß er, ohne fd) vor Seus, dem
Bchüser des Gaſtrechts, zu ſcheuen, Freundſchaft lügend ben
Klearchus zur Tafel 309, Die Männer zu Grunde gerichtet. Asch
Uriäud, dem wir das Diadem anboten, und Den mit uns
das feierliche Berfprechen band, Beinen Verrath zu begehen,
ift ohne Scheu vor den Gätsern, ohne Scham vor dem gefals
lauen Cyrus, von dem er am Leben ſo ſehr geehrt worden ift, zu
deſſen Todfeinden übergetreten, und fucht mis Diefen, ‚wie er
und, die Freunde des Eyrus, verderbe. Doch mögen die
Götter an ihnen Strafe nehmen; wir, die alles Dieß erlei-
deu mußten, wollen uns nicht weiter non ihnen tänufchen lafs
fen, fondern rühmlich Fämpfen und erwarten, was die Bätter
über und verhängen mögen.’
Nach ihm trat Zenophon im fchönften kriegeriſchen
Schmudce auf; denn, meinte er, verleihen und bie Götter
den Sieg, fo gebühre dem Gieger der ſchönſte Schmuck; fen.
der Tod verhängs, fo gezieme fich’s, daß, Mer des Schöniten
Sch würdig erachte, in Diefom auch fein Leben befchließe. Er
begann nun alfo zu voden:
„Der Barbaren Meineid und Weribrac has Euch Klea⸗
nor fchon gezeigt; auch ſeyd ihr ſelbſt hinlaͤnglich damit bes
kannt. Wollten wir ung ihnen wieber ale Freunden anver⸗
trauen, fo müßte unfer Much bedeutend finden, wenn wir
uns das Schickſal unferer Foldherrn, die fid) auf Zreu und
-
816 RXenophon's Zeldzug des jüngern Cyrus,
Glauben in ihre Hände gaben, vor Augen rufen; entfdhließen
wir uns aber, mit den Waffen in der Hand für die veräbten
Frevel Rache zu nehmen, und fle hinfort mit allen und zu
Gebot ſtehenden Mitteln zu bekämpfen, fo eröffnen fich und
mit Hülfe der Götter viele fchöne Ausfichten auf Rettung.‘
Als er die letzten Worte ſprach, niefte Eimer, Da
die Soldaten ed hörten, beteten ſie Alle inbrünſtig zu dem
Gotte.*) Xenophon begann hierauf: „Weil ung, da wir
von Rettung fprachen, von Zeus, dem Retter, ein Zeichen
ward, fo trage ich daranf an, wir geloben, dem Gotte, fo
bald wir in Freundesland kommen, für unfere Rettung ht
Dantopfer zu bringen, und auch den andern Göttern nad)
beftem Vermögen zu opfern. Wer mit mir einſtimmt, hebe
die Hand auf!"
Alte hoben die Hände empor, betefen-und fangen den Päan.
Nachdem dieſe gottesdienſtliche Haundlung zu Ente wer,
begann Xenophon wieder: |
„Ich ſprach von den vielen und fhönen Ausfichten auf
Rettung, die fih uns eröffneten. Erſtlich haben wir die vor
den Göttern gefchworenen Eide gehalten, die Feinde dagegen
meineidig den feierlichen Vertrag gebrochen. Go können wir
mit Zug und Recht erwarten, daß ten Feinden die Götter
entgegen find, und mit uns wiber fie flreiten werden, fie,
weiche mächtig genug find, wenn es ihr Wille ift, die Großen
zu erniedrigen, und die Schwachen, fo fie auch in Noth find,
*) Daß die Worbedentung zu ihrem Gluͤck ausſchlagen moͤge.
Da das Nieſen den Alten von Bedeutung war, fo entſtand
fehon bei ihnen die Gewohnheit, dem Viefenten mit ben
Worten: Hilf Zeus! Gluͤck zu wuͤnſchen.
Drittes Buch. 817
leicht zu erreiten. Ich rufe Euch ferner die Gefahren Eurer
Voreltern in's Gedächtniß; ihe Beifpiel erhebe Euch zu glei⸗
er Tapferkeit und zeige Euch, wie die Zapferı mit Hülfe
der Goͤtter aus aller, auch der.größten Gefahr errettet wer⸗
den. Als die Perfer und ihre Verbündeten mit ungeheurer
Heeresmacht beranzogen, Athen zu vernichten, wagten bie
Ythener, ſich ihnen entgegen zu flellen, umd befiegten fie. Gie
gelobten der Artemis, ihr fo viel Ziegen zu spfern, als fle
Keinde erlegen würden; da fie nun nicht fo viele aufbringen
tonnten , befchioßen fie, ihr jährlich fünfhundert zu opfern,
und briugen noch jetzt dieſes Dpfer dar. Als fpdter
Zerred mit einem zahflofen Heere in Hellas erfchien, be:
fiegten gleichfalls Eure Voreltern die Woreltern Diefer zu
Waſſer und zu Land. Als Denkmäler find nod) jene Sieges-
zeichen zu fehen; das herrlichite Denkmal aber ift die Frei:
heit der Städte, in denen Ahr Heboren umd erzogen ſeyd;
deun Ihr betet Leinen menichlichen Herrfcher, fondern allein
die Bötter an. Don folchen Voreltern ſtammt Ihr. Nicht
ſag' ich Diefes, als ob Ihr ihrem Andenken Schande machtet;
noch vor wenigen Tagen habt Ihr die Nachkommen Derfel:
ben in weit überlegener Anzahl in offener Feldſchlacht mit
Hulfe der Götter aufs Haupt geſchlagen. Da galt es noch,
Eyrus ein Diadem zu erfämpfen; nun der Kampf für Frei⸗
heit und Leben geht, muß Tapferkeit und Muth Euch nad)
in weit höherem Grabe befselen; jept müßt Ihr ben Feinden
noch entfchloffener entgegen treten. Wagtet Ihr damals, noch
ehe Ihe Euch gegen fle verfucht hattet, auf die unzählbaren
Schaaren mit angeflammten Muthe einzubrechen, warım
foßtten fie jest, da Ihr erfahren habt, daß fle ee in übers
Kenophon. 68 Bdchn.
8:8 Xenophon's Feldzug des jüngern Cyrus.
legener Zahl Euch nicht zum Kampfe ftehen, Euch. furchtbar
ſeyn? Ihr dürft nicht glauben, daß es viel fdylechter. um
Euch ftehe, weil Eyrus Truppen, Eure frühern DBerbündes
ten, von Euch abgefallen find; fie, find noch feiger,' als die
von uns Beſiegten; darum flohen fie zu Jenen, und verließen
uns. Die, welche die Erſten auf der Flucht find, fehen wir
beffer auf Seiten ber Feinde, als in unfern Gliedern. Wenn
es aber Einem von Euch Kummer macht,Idaß wir feine Rei:
terei, die Feinde aber eine zahlreiche haben, fo bedenkt, daß
die zehntaufend Reiter nichts weiter als zehntauſend Men:
when find, Noch Niemand ift in der Schlacht von einem
Dferde todtgebiffen oder erfcdlagen worden; die Mäntter find
es, welche die Schlachten enticheiden. Terner bewegen wir
ung weit ficherer, als die Reiter; file hängen auf den Pfer--
den und haben fich nicht blos vor und, fondern auch vor dem
Stürzen zu fürchten; wir aber ftehen auf dem Boden und
fchlagen, wenn Einer und naht, viel nachdrüdlicher drein,
und treffen viel fiherer, wohin wir wollen. Eins nur haben
die Reiter vor und voraus: fle koͤnnen ficherer fliehen, als
wir. Wenn hr aber, unbeforgt wegen des Kampfes, darob
befümmert feyd, daß ZTiffaphernes nicht mehr Euer Wegweifer
ift, und der König Euch Feinen Markt mehr gibt, fo fragt
Euch felbft, ob es vortheilhafter ift, den Tiffaphernes zum
MWegweifer zu haben, deſſen feindliche Abſichten gegen uns
offenkundig find, oder und von folchen Leuten den Weg wei
fen zu laffen, die überzeugt find, daß fie, wofern fie uns irre
führen, mit Leib und Leben dafür haften. Weberlegt, ob es
befier ift, daß wir unfere Bedürfniffe von dem Markt, den
fie und anweifen, in Eleinem Maß gegen vieles Geld beziehen,
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Drittes Bub. - Big
das wir bald nicht mehr haben würden, als dag wir felbft
fie mit fiegreicher Hand in befichigem Maße uns nehmen?
Wenn Dieß Euch nun beffer erfcheint, und Ihr glaubt dage⸗
‚gen in den Flüſſen das größte Hinderniß zu finden, und durch
den Webergang über dieſelben Euch groß gefchadet zu haben,
fo feht, ob nicht die Barbaren gerade hierin aufs thörichteſte
gehandelt haben. Alle Flüſſe werden, find fie auch fern von
ihren Quellen undurchgaͤnglich, wenn man ficdh jenen nähert,
durchgaͤnglich, ohne daB man das Knie zu neben brauchte,
Doch es follen uns die Flüſſe auch nicht hinüber laſſen, wir
folfen keinen Wegweifer finden, auch fo dürfen wir den Muth
nicht verlieren. - Wir willen, daß die Myſier, denen wir an
Tapferkeit wahrlich nicht nachflehen werden, gegen den Wil:
len des Königs in deſſen Gebiet viele volfreiche und blühende
Städte bewohnen 5 fo auch die Piflden. Daß die Lykaonier,
nachdem fie fich der feiten Plätze auf der Ebene bemädhtigt,
das königliche Gebiet plündern, davon waren wir Augenzeu-
gen. Ach rathe daher, wir fleilen uns, als wollten wir gar
nicht mehr in unfer Vaterland zurüdtehren, fondern machten
Anſtalt, als wollten wir ung irgendwo niederlaffen. Ich weiß,
daß der König den Myflern Wegweifer und zur Verſiche⸗
rung eines ungefährdeten Abzugs noch Beifeln geben würde,
fo viel fie nur wollten, um ihrer los zu werden, und ihnen
einen Weg bahnen ließe, auf dem fle vierfpännig abziehen
könnten. Und gewiß würde er für uns recht gern Daffelbe
thun, wenn wir Miene machten, da zu bleiben. Allein
ih fürdyte, haben wir einmal gelernt, in Gemaͤchlichkeit
und Veberfiuß zu leben, und uns zu den großen, fcehönen
Frauen und Töchtern der Meder und der Perfer gu haften, fo
820 Kenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus.’
werben wir gleich Denen, die ben Lotos *) afien, ber Heim⸗
kehr in's Vaterland vergeffen. Mein Rath ift der, wir ver-
fuchen, wies recht und bilfig ift, nad Hellas und zu den
Unfrigen zurüdzufchren, und zeigen den Dellenen, wie fie
freiwillig arm find, da es ihnen, die in der Heimath mittels
108 leben, frei ſteht, hieher zu ziehen und Altes vollauf zu
haben. Alte diefe Güter, Ihr Hellenen, werden dem Sieger
zur Beute. — Noch müßen wir davon fprechen, wie wir
aufs fiherfte unfern Rückzug bewerkflelligen, und wenn’s
zum Kampfe kommt, aufs nachdrücklichſte Fämpfen müßen.
Erſtlich müßen wir unfere Wagen verbreunen, damit nicht
das Zugvieh unſere Bewegungen beſtimmt, fondern wir mit
‚Leichtigkeit und dahin wenden, wo es für das Heer am beiten
iſt. Auch müßen die Selte verbrannt werden; fie find uns
auf dem Zuge befchwerlich, und weder zum Kampf, noch zur
Befriedigung unferer Bebärfniffe förderlih. Wir wollen ung
ferner alles Geraͤthes, das nicht unmittelbar für deu Krieg,
für Speife und Tran? erforderlich ifl, entäußern; damit wir
fo viel wie möglich Kämpfer bekommen, und nur Wenige mit
dem Zroß ſich befaffen dürfen. Denn unterliegen wir, fo
fält dieß Altes dem Feinde anheim; flegen wir, fo follen Die
*) Lotos ift die füße, dattelartige Frucht eines Baumes an dex
Libyſchen Käfte von Afrika (wahrſcheinlich rhamnus lotus
Linn.), von der die Bewohner jener Käfte leben, und durch
deren Genuß die Gefaͤhrten des Obyſſeus fo bezaubert wur⸗
den, daß Homer von ihnen ſingt: —
— „Ber nun die Homigſuͤße der Lotosfruͤchte gekoſtet,
Diefer dachte nicht mehr an Kundfchaft oder an Heimkehr;
Sondern fie wollten ſtets in der Kotophagen Geſeilſchaft
Bleiben, und Kotos pfluͤcken, und ihrer Heimkehr entf “u
Drifted Bud). Baı
Beinde unfre Padträger feyn. — Nun bleibt noch von dem
wichtigften Punkte zu ſprechen. Ihr feht, daß die Feinde
nicht eher Etwas gegen und zu unternehmen wagten, als big
fie fi) unferer Heerführer verfihhert hatten; weil fie glaub:
ten, fo lange wir Anführer hätten, deren Befehlen wir de
horchten, würden wir leicht im Felde die Oberhand behanp-
ten; Hätten fie erft Diefe in ihrer Gewalt, fo würden ſie
ung durch Mangel an Zucht und Aufſicht zu Grunde richten.
Deshalb müßen num auch die jesigen Anführer im Dienfte
nody weit firenger und fchärfer auf Sucht Halten, als ihre
Vorgänger, und die Untergebenen noch weit georbneter und
folgſamer als früher feyn. Am gewifleften werden die Feinde
fidy getäufcht Haben, wenn Ihr zum Geſetze machtet, daß jes
desmal Derjenige von Euch, der eben zugegen ift, wenn Je⸗
mand fich widerfpänftig beträgt, dem Befehlshaber in Beſtra⸗
fung Deffelben beiftehen müße; dann würden fie an biefem
Zage zehntaufend Klearche flatt Eines erbliden, die Keinem
verftatten, ſich fchlecht zu halfen. Dec, e3 ift Zeit zu hans
bein; denn alsbald werden die Feinde erfcheinen. Beſtätigt
alfo aufs eiligſte diejenigen Vorfchläge, die Euern Beifall
haben, damit wir fie fogfeich in Ausführung bringen. Weiß
aber Einer, und ſey ed aud) ein Bemeiner, einen beffern
Rath zu geben, fo theile er ihn ohne Bedenken mit, da es
unfer Aller Rettung gilt.‘
Da ſprach Ehirifophus: ‚Wenn Jemand zu Dem, was
Kenophon in Vorſchlag gebracht hat, noch Etwas hinzuzu⸗
feben weiß, fo kann ed auf der Stelle gefchehen. Indeſſen
Yaßt ung über feine jebigen Vorfchläge fchleunig einen Beſchluß
faſſen. Wer fie gut heißt, hebe die Hand empor.“
m
822 Zenophon’d Feldzug des jüngern Cyrus.
Sie thaten es Alte.
Kenophon fand nun wieder auf und fagte: „So vers
nehmt denn, ihr Hellenen, worauf wir und gefaßt halten dür⸗
fen. Es verfteht ſich von felbit, daß unfer Zug dahin gehen
muß, wo wir Lebensmittel finden. Nun höre ich, daß nicht
weiter als zwanzig Stadien von hier fchöne Dörfer liegen.
Es ſollte mich aber fehr wundern, wenn die Feinde, gleich
furchtfamen Hunden, die den Vorübergehenden nachſpringen,
und fie beißen, wenn fie Fännen, vor dem Verfolger aber ba-
von laufen, uns nidıt bei unfrem Abzuge gleichfalls verfol-
gen foliten. Es wird nun wohl für uns am ficherfien feyn,
wenn die Bewaffneten auf dem Zuge ein Viereck bilden, um
den Troß mit dem Gepäde deſto beſſer zu deden. Beſtim⸗
men wir nun fogleich, Wer den Zug anführen, und die Vor⸗
derlinie in Ordnung halten, Wer die Seiten dedien, und bie
Nachhut befehligen fol, fo würden wir nicht erft nöthig ha⸗
ben, wenn der Feind anrädt, uns zu bevathen, und Jeder
könnte fogleich auf feinem Poften ſeyn. Weiß inbeffen ein
Anderer einen beffern Vorſchlag zu thun, fo mache man es
anders; wo nicht, fo führe Ehirifophus den Zug, zumal da
er ein Lacedaͤmonier ift; auf den Flanken mögen zwei der aͤl⸗
teften Heerführer befehligen, und wir, die jüngften, Timaſion
und id), wollen vor der Hand den Nachzug deden. Machen
wir einmal mit biefer Zugordnung den Verſuch! Später
können wir immer wieder die geeigneten Maßregeln treffen.
Weiß Jemand etwas Beſſeres, fo theile er ed mit!’
Als Niemand widerfprach, fahr er fort: „Wer feine Zu⸗
flimmung gibt, der hebe die Hand auf!’ Es warb geneh⸗
migt. — „So Tat uns denn aufbrechen, und die gefaßten
Drittes Buch. 823
Berchlüffe in Ansführung bringen. Wer von Eudy die Geis
nigen wieder zu fehen wänfcht, der bewähre fid, als tapferer
Mann; nur fo erreicht er das erwünfchte Ziel. Wer fein
Leben liebt, der ringe nach) dem Steg; denn der Sieger gibt
den Tod, der DBeflegte hat ihn zu gewarten! Begehrt Einer
Schäbe, fo fuche er obzufiegen; denn nur der Sieger mag
das Geinige retten, und den Ueberwmundenen nehmen.” .
3. Nach dieſen Berathungen erhoben fie fi, gingen
auseinander und verbrannten die Wagen und die Zelte, theil-
ten einander dad Bendthigte mit, und warfen dad Uebrige
in's Fener. Als Dieß gefchehen war, frühftüdten fie.
Während deſſen kam Mithridates mit ungefähr dreißig
KReitern, ließ die Heerführer in die Hörweite rufen und fprach
wie folgt: |
„Ich war, wie Ihr wißt, Hellenen, ein DBertrauter des
Eyrus und meine ed nody jest mit Euch gut; auch bin ich
mit großer Gefahr hieher gekommen. Wenn ich nun wüßte,
daß Ihr einen Weg zur Rettung aufgefunden hättet, fo würde
ich mit allen meinen Leuten zu Euch flogen. So fagt mir
nun, ald Eurem Freunde, der ed gut mit Euch meint und mit
Euch zu ziehen wünfcht, was Ihr gefonnen ſeyd?“
Nach gepflogener Berathung antwortete ihm im Namen
der Heerführer Chiriſophus: „Wir find entfchloffen, wenn
man uns nach Haufe ziehen läßt, fo friedlich wie möglich
durch das Fönigliche Gebiet zu ziehen; will man und aber
den Durchzug vermehren, und gegen bie Feinde auf's tapferſte
durchzuſchlagen.“
Hierauf ſuchte Mithridates ihnen zu zeigen, wie ohne
den Willen des Königs ihre Rettung unmöglich wäre. Da
.
824 Zenophon’d Feldzug des jüngern Cyrus.
merkte man num, daß er ald Späber gefchidkt war, indem
and) Einer von Tiffaphernes Dertrauten, um ihn zu beobs
achten, bei ihm war, Nun ſchien ed den Heerführern am
beften, den Befchluß zu fallen, den Krieg ohne weitere Zulaſ⸗
fung von Ynterhändlern fortzufühten; denn fie ließen ſich
auch mit den Soldaten ein, und fuchten fie zu werführens
was ihnen and) bei einem Hauptmann Nitarchus aus Arka⸗
dien gelang, welcher Nachts mit etwa zwanzig Mann zum
Seinde überging. Noch waren fie.nicht weit vorgerüdt, als
fi) Mithridates mit ungefähr zweihundere Reitern und
vierhundert fehr leichten und gewandten Bogenſchützen und
Scyleuderern fehen ließ, und dem Unfchein nad, in friedficher
Abſicht auf die Hellenen zufam. Als er nahe genug war,
begannen feine Leute zu Pferde und zu Fuß mit Einem Mat
zu fchießen und zu fchlendern.
Die Helleniſche Nachhut litt dabei fehr, ohne Etwas das
gegen thun zu Pönnen ; denn bie Kreter fchoßen nicht fo weit
als die Perſer; auch waren fie, da Feine Rüſtung fie dedkte,
hinter den Hopfiten in der Mitte anfgeftelt; und mit Wurf:
fpießen konnte man die Schleuderer auch nicht erreichen.
Kenophon bielt daher für das Befte, ihnen mit den Dos
pliten und Peltaften, die er in der Nachhut hatte, nachzu⸗
feben, vermochte aber nicht Einen der Feinde einzuholen,
da ed den Hellenen an Reiterei gebrady, das fliehende Fuß⸗
volk aber einen beträchtlichen Vorſprung hatte, und fie ſich
nicht zu weit vom Heere entfernen durften. Die feindli«
chen Reiter thaten aber auch im Fliehen noch Schaden, its
dem fie rückwärts von den Pferden ſchoßen, und die Hellenen
m u u a (un 01 w
Drittes Buch. 825
fidy jedesmal eben fo weit, als file vorgedruugen waren, un⸗
ter beftändigem Kampfe auf das Heer zurückziehen mußten.
So kamen fie den ganzen Tag nicht weiter als fünf und
zwanzig Stadien und gelangten gegen Abend in die Dörfer.
Da war denn neue Muthlofigkeit. Chiriſophus und die ältes
fen Anführer machten Kenophen Vorwürfe, daß er fid, vom
Heere entfernt und durch Derfolgung der Teinde in Gefahr
begeben habe, ohne Diefen ſchaden zu Eönnen.
Kenophon gefland, ihr Tadel fen gerecht, und fchon durch
den Erfolg gerechtfertigt. „Aber ich ſah mich,‘ fuhr er fort,
„zum Verfolgen genöthigt, da ich bemerkte, daß wir, went
wir blieben, großen Verluſt haben, und dennoch nicht im
Stande ſeyn würden, auch unfererfeits dem Feind Schaden
zuzufügen. Es mißglückte nun allerdings, wie Ihr mir vors
werft; und ohne dem Feinde Etwas anhaben zu können, muß⸗
ten wir uns mit vieler Gefahr wieder zurüdziehen. Den
Böttern aber fey es gedankt, daß fie und nicht mit größerer
Macht angriffen, und ohne großen DBeriuft von unferer
Seite ung zeigten, woran es uns fehlt. Nun fehen wir,
daß fte mit Bogen und Schleudern viel weiter veichen, als
baß es ihnen die Kreter und die Wurffpießichleuberer nach⸗
thun Lönuten. Werfolgen wir fie, fo dürfen wir ung nicht
allzu weit vom Heere entfernen. Da kaun ber gefchwindefte
Fußgaͤnger den Teind nicht in Schußweite bekommen. Wol⸗
ten wir und num Diefer erwehren, daß fie uns auf dem Zuge
feinen Schaden thun, fo bedürfen wir aufs fchleunigfte Reis
ter und Schleuderer. Nun Höre ich, daß wir in unferem
Heere Ahodier haben, von denen die Meiften fi, wie es
heißt, fehr gut auf die Schleuder verfiehen, und doppelt fo weit
826 RXenophon's Feldzug des jüngern Cyrus.
werfen, ald die Perfiichen Schlenderer. Diefe, weil fie Steine
werfen, welche die Hand füllen, treffen nur auf Enrze Streden ;
Die Rhodier aber verfichen auc mit Bleikugeln zu werfen.
Gehen wir mun nach, weiche von ihnen ‚bereits Schleudern
haben, und geben ihnen Geld dafür, fo wie Denen, weldye
ih erbieten, dergleichen zu verferfigen, und machen Diejes
nigen, weiche ſich bereit iuden Taflen, als Schlenderer zu dies
sten, von Anderem frei; dann würden fid) Manche finden, die
uns nüslicdh werden könnten. Auch ſehe ich, daß wir eine
Anzahl Pferde bei'm Heere haben; einige fint bei mir, an⸗
dere hat Klearchus hinterlaffen, und noch viele andere, die
wir dem Feinde abgenommen, tragen das Gepäd. Wenn
wir nun auch hier die branchbarften ansfuchten, umd das Ge⸗
päd dem Zugvieh auflüden, bie Pferde aber beritten mach⸗
ten, fo würden vielleicht audy fie dem flüchtigen Feinde Abs
bruch thun.“
Der Vorſchlag fand Beifallz und noch in dieſer Nacht
wurden gegen zweihundert Schleuderer aufgebracht, und am
folgenden Tage lad man ungefähr fünfzig Pferde und Reiter
aus, denen man Koller und Harnifche gab. Zu ihrem Be:
fehishaber ward Lycius befteltt, Polyſtratus Sohn, aus Athen.
4. Diefen Tag blieb das Heer in den Dörfern, brady
aber am folgenden fehr früh auf; denn es hatte über einen
Hohlweg zu fegen, wo man einen feindlichen Angriff befürch⸗
tete. Als fie dieſen fchon hinter fich hatten, ließ ſich Mithri⸗
dates von neuem mit taufend Reitern, und viertaufend Bogen⸗
ſchützen und Schleuderern fehen. So viele hatte er fid, von
Ziffaphernes ausgebeten, und fich anheifchig gemacht, mit dies
fer Mannfchaft ihm die Hellenen in bie Hände zu Tieferns
Drittes Buch. 827
weil: er ſich viel darauf zu Gute that, daß er bei feinem letz⸗
ten Angriff mit fo wenig Mannſchaft, ohne felbft Etwas eins
zubüßen, den Hellenen feinee Meinung nach einen beträchtlis
chen Verluſt beigebracht hatte. Als die Hellenen etwa acht
Stadien jenfeitd des Hohlweges vorgerüdt waren, febte auch
Mithridates mit feiner Mannfchaft über denfelben. Es war
aber vorher beflimmt worden, wie viele Peltaften und Hoplis
ten dem Feinde nachfegen foliten, und der Steiterei bedeutet,
herzhaft einzudringen, weil fie von einer hinlängfichen Macht
unterftüßt werden würden.
Als fie Mithridates eingeholt hatte, und in die Schuß:
weite gefommen war, gingen auf das mit der Zrompete ges
gebene Seichen die dazu beorderten Hellenen nebft der Reiterei
Schnell auf die Feinde los; allein Diefe warteten den Angriff
nicht ab, fondern flohen nad) dem Hohlweg zurüd. Bei'm
Nachſetzen verloren die Barbaren viel Fußvolk, und von den
Reitern wurden etwa achtzehn in dem Hohlweg gefangen ges
nommen. Die Hellenen verftümmelten auf eigenen Antrieb
die Gebfiebenen, um die Feinde durch ihren grauenvollen Ans
bi abzufchreden.
Nachdem ed den Feinden alfo ergangen war, zogen fie
fi) zurüd, und die Hellenen gelangten, ohne weiter angefoch⸗
ten zu werden, gegen Abend an den Fluß Tigris.
Hier lag eine große, verödete Stadt, mit Namen Las
riſſa, *) ehedem von den Medern bewohnt. Die Breite ihrer
Mauer betrug fünf und zwanzig, die Höhe hundert Fuß, ihr
Umfang zwei Parafangen. Sie war von Ziegeln erbaut, und
*) Wahrſcheinlich die ı Moſ. 12. angeführte Stadt Nefen.
‘
828 Zenophon’s Feldzug des jängern Cyrus.
hatte einen zwanzig Fuß hohen fleinernen Grund. Diefe
befagerte zur Zeit, als die Perſer den Medern die Oberherr⸗
fchaft entriffen, der Perferkönig, und Fonnte fie auf Teine
Meife erobern, bis eine verhülfende Wolke die Sonne un:
ſichtbar machte, *) die Einwohner erſchreckt die Stadt verlies
fen, und diefe fo eingenommen wurde, Neben diefer Stadt
fland eine fleinerne Pyramide, die ein Pfethron breit und
zwei hoch war, Es hatten fich dahin viele Barbaren aus
den benachbarten Dörfern geflüchtet,
Bon da gelangten fie in einem Zagemarfch, ſechs Para⸗
fangen, an ein verödetes, großes Schloß in der Nähe einer
Stadt mit Namen Mespila, **) die ehemals von Medern be⸗
wohnt war. Der Grund der Stadtmauer beſtand aus ge⸗
glättefem Mufchelmarmor, und war fünfzig Fuß breit und
fünfzig hoch. Auf ihr erhob ſich in einer Breite von fünfzig
und einer Höhe von hundert Fuß eine Mauer von Ziegelftei-
nen; ihr Umfang betrug ſechs Parafangen. Hieher- Hüchtere
ſich der Sage nah, als die Perfer der Meder Herrfchaft
flürgten, die Gemahlin des Königs, Media, Auch diefe Stadt
beflagerte der Perferkönig, und Lonnte fie weder durd) Zänge
der Zeit noch durd, Sturm gewinnen; bis Send die Einwoh⸗
ner durch ein heftiged Gewitter fchredte, und fo die Stadt
eingenommen ward,
*) Kenophon will hier wahrſcheinlich eine nach den Begriffen
der Hieräber ihm beichrenden Eingebornen entftandene Sons
nenfinfterniß befchreiben.
**) Wahrſcheinlich Neuninive, oder Nunia Nach Kenneir
iſt es das große Dorf Telitoff oder Tilkaif.
Drittes Bud). 829
Don bier aus machten fie einen Zagmarfch, vier Para:
fangen. Auf diefem Zuge erfchien Ziffaphernes an der Spige
eines ungeheuern Heeres, das aus feiner eigenen Reiterei,
der gefammten Macht des Orontas, der die Tochter des Kö⸗
nigs zur Gemahlin hatte, dem ehemaligen Heere des Cyrus,
den Hülfstruppen, welche der Bruder des Königs Diefem zu⸗
führen wollte, und der übrigen Macht beftand, welche der
König ihm beigegeben hatte. Als er nahe kam, ließ er einen
Theil feiner Heerhaufen im Hintergrund halten; mit den ats
dern rückte er auf beiden Flügeln weiter herauf, Tieß ed aber
‚nicht zum wirklichen Handgemeng kommen, fondern gah bios
Befehl zum Schleudern und Bogenfchießen.
Als aber die hin und wieder einzeln aufgeflellten Rho⸗
Bier zu fchleudern, und Die nach Art der Scythen eingeübten
Bogenfhüsen zu fchießen begannen, und Keiner feinen Mann -
verfehlte (denn hätte Einer auch gewollt, fo war es nicht
leicht möglich), - zog fich Tiſſaphernes in aller, Eile aus ber
Schußweite meg, und mit ihm die übrigen Schaaren. Die
Hellenen gingen nun den Reſt des Tages weiter, und bie
Barbaren folggen, ließen fich aber nicht wieder auf das vor⸗
ber verfuchte Scharmügel ein; denn die Rhodier fchleuderten
viel weiter, als ſelbſt die meiften Bogenfchüben der Perſer.
Auch die Perſiſchen Bogen find groß; daher Eonnten die
Kreter alte feindlichen Pfeile, fo viel fie deren auffingen, ges
bvaudyen; fie bedienten ſich auch beftändig der feindlichen
Dfeite, und übten fic im Weitfchießen, indem fie diefelben in -
die Höhe richteten. Es fanden fich auch viele Sehnen und
"vieles Blei in den Dörfern vor, welches man Alles zum Bes
Huf der Schleuderer verwendete.
850 Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus.
Als an diefem Tage die Hellenen die Dörfer erreicht
und fidy dort gelagert haften, zogen fidy die Barbaren, weil
fie in den Scharmübeln den Kürzern gezogen hatten, wieder
zurüd: die Hellenen aber blieben den folgenden Tag nod)
bier und verfahen fidy mit Lebensmitteln; denn ed war deren
ein großer Vorrath in den Dörfern. Tags darauf zogen die
Hellenen durch die Ebene hin, und unter beftändigen Schar:
mützeln folgte ihnen Ziffephernes.
Da fanden nun die Hellenen,, wie das gleichfeitige Vier—
“er, wenn der Feind auf dem Fuße folgt, von großem Nach⸗
theit 'fey. Denn wenn ſchmale Wege, oder Berge, oder
Brüden die Flügel des Diereds nöthigten, zufammenzu-
rüden, fo wurden die Hopliten nothwendig heransgebrängt,
und ihr Zug ward Außerft befchwerlich, da fie beſtaͤndig ans
gegriffen und in Unordnung gebracht, und To zum Dienfte
unbrauchbar wurden. Wenn nun die Flügel fidy wieder aus-
dehnten, fo wurden die Herausgebrängten nochwendig ge-
trennt, und es entftand zwifchen den Flügeln eine Lücke; Die:
jenigen aber, welche es traf, mußten, da fie dem Angriff der
Feinde ausgefebt wurden, den Muth verlieren. Wenn man
nun über eine Brüde, oder durd, einen andern engen Paß
ziehen mußte, fo wollte Feder der Erſte feun; und der Feind
hatte dann die befte Gelegenheit, einen Angriff zu machen.
Ars die Anführer Diefes wahrnahmen, errichteten fie
ſechs Lochen [Rompagnien], von denen jeder hundert Mann -
ſtark war, und einen Hauptmann nebft Führen über fünfzig
and fünf und zwanzig Mann erhielt. Wenn nun die Flügel
auf dem Zuge zufammenrüden mußten, fo blieben die Haupt:
feute, damit dad Ganze nicht in Unordnung gerieth, zurück
J
zz Tu mi u —
=
Drittes Buch. 831
und zogen hinter dem Heere her. Wenn fich aber die Flügel
des Vierecks wieder trennten, fo rückten file, wenn bie Züde
eng war, nad) ganzen, wenn fie größer war, nach halben,
wenn fie fehr groß war, nad) Vierteld:Lochen*) ein; fo wurde
die Mitte immer volftändig erhalten, und es entftand, auch
wenn man durch einen Engpaß oder über eine Brüde zu ge-
ben hatte, Beine Unordnung, und die Hauptleute zogen,
jeder in feiner Ordnung, hinüber; wenn dann aber irgend>
wo der Phalanı wieder nöthig war, fo waren Jene gleich
bei der Hand. Auf diefe Art machten fie vier Tagmaͤrſche.
Auf dem fünften Zagmarfch betamen fie ein Fönigliches
Schloß zu Geficht, dad von vielen Dörfern umgeben war; ber
Weg dahin führte über Hohe Hügel, **) die von einem Berge
ausliefen, an deffen Fuße ein Dorf***) lag. Der Anbiid
diefer Anhöhen war den Hellenen erwünfcht, da der fie ver-
folgende Feind aus Reiterei beftand.
Als fie aber von der Ebene den erften Hügel heraufges
zogen, und wieder hinunter mollten, um den zweiten zu ges
*) Im erften Fall zogen die Viertheile der Kompagnie Hinter
einander her, und die Kompagnie hatte fo eine Vorlinie von
fünf, und eine Tiefe von zwanzig Mann; im zweiten Ball
zogen bie beiden Hälften ver Kompagnie neben einander, und
hatten in der Vorlinie sehen, in der Tiefe zehen Mann ; im
dritten Tall bildete die Kompagnie, wenn die Viertheile ders
felgen neben einander fich anfftellten, eine Worlinie von zwan⸗
zig, und eine Tiefe von fünf Mann.
**) Diefe Hügel follen nach Rennel zu den Carduchiſchen Bergen
(Tendidag, Tſchoudidag) gehören, auf dem Wege von Moſul
nach Jezirah (Son Omar, das alte Bezarba), nahe bei der
Stabt Zako ſich befinden, und Zatudag beißen. .
” Wo jegt die Stadt Affee liegt.
852 Zenophon’d Feldzug des jngern Cyrus.
winnen, griffen die Barbaren, durch Peitſchenhiebe *) ges
trieben, an, und warfen, ſchlenderten und fchoßen von oben
herab; fie verwundeten Viele, ſchlugen die Heltenifchen Leichts
bewaffneten ans dem Feld, und nötbigten fie, hinter die
Hopliten ſich zurückzuziehen, fo daß an diefem Tage Schleu⸗
derer und Bogenfchüsen, da ſie mit dem Troß ziehen mußten,
von feinem Rutzen waren.
Die Hellenen beſchloßen in diefer Bedraͤngniß, den Feind
anzugreifen, gelangten aber ald Schwerbewaffnese nur mit
Mühe auf den Gipfel, von dem fid) die Feinde eiligft hinab:
warfen. Als fie fich dann wieder auf das übrige Heer zu-
rüdzogen, widerfuhr ihnen Daſſelbe; ebenfo ging es beim
dritten Hügel; fo daß es die Hellenen rathſam fanden, die
Truppen auf der erften Anhöhe fiehen zu laffen, und von
dem rechten Flügel des Vierecks die Peltaften auf den Berg
zu führen.
Da Diefe nun höher ftanden, als die ihnen folgenden
Feinde, fo wagten fie fich nidyt mehr bei'm Herabfleigen hers
an, aus Furcht, fle möchten abgefchnitten und von den eins
den in bie Mitte genommen merden. Die Hellenen zogen
den Reſt des Tages theils über die Hügel, tbeild über den
Berg Hin, bis fie Die Dörfer erreichten, wo fie acht Wund⸗
ärzte beflellten, weil es viele VBerwundete gab. Hier blieben
fie drei Tage, theild wegen der Bermundeten, tbeils weil fie
eine große Menge Lebensmittel, die der Satrape *) Liefer Land⸗
+, Nach einer bei den Perſern beliehten Weife, den Muth der
Krieger anzufeuern.
**) Die Satrapen mußten nämlich für die Betbſtigung ber im
inrem Bereiche ftehenden Tbniglichen Truppen forgen.
— — — —
Drittes Buch. 853
fchaft aufgebracht hatte, als Mehl, Wein und Gerſte für die
Dferde vorfanden. Am vierten Tage zogen fie in die Ebene
hinab.
Aus Tiſſaphernes fie mit feiner Macht wieder eingeholt
hatte, gab die Noch den Hellenen die Lehre, beim erſten
Dorfe, das fie gewahrten, Halt zu machen, und ſich feinem
weitern Gefechte während des Zuges auszufeben; denn eitte
große Anzahl vom Heere, die Verwundeten, Die, welche fie
trugen, und Diejenigen, denen Letztere ihre Waffen aufge:
packt hatten, konnten au dem Treffen Beinen Antheil neh⸗
men. Als fie fid) gelagert Hatten, kamen die Yeinde an das
Dorf heran und griffen fie ans die Hellenen aber gewannen
mit leichter Mühe die Oberhand; denn es war ungleich leich⸗
ter, den Feind durch Ausfälle aus einemäfeften Standort zu:
ruckzuſchlagen, als auf dem Sug feine Angriffe abzuwehren.
Gegen Abend fand es der Feind für gut, ſich zurüdzue
ziehen; [denn die Barbaren lagerten ſich nie unter fechzig
Stadien von dem Helienenheer, aus Furcht, fie möchten bei
Nacht überfallen werden. Denn bei Nachtzeit ift das Per-
Eiche Lager in der übelften Verfaflungd die Pferde werden
nämlich angebunden und haben Außfchlingen, damit fie, wenn
fe ſich losmachen, nicht davon laufen Eönnen. Wenn nun
ein Laͤrm entftcht, fo muß der Derfer erfi das Pferd fatteln,
anfzäumen, ſich den Panzer anlegen, und dann erft kann er
anffigen. Dieß Altes iſt bei Nacht, zumal wenn ein Lärm
entfteht, von nicht geringer Schwierigkeit; und deßhalb la⸗
gerten fie fich flets fo weit von den Hellenen.
Als die Hellenen wahrnahmen, daß fie abziehen wollten,
und Diek einander zuriefen, ward innen Angeſichts der Feinde
Xenophon. 68 Boͤchn.
3
824 Xenophon's Zeldzug des jüngern Cyrus.
merdte man nun, baß er ald Späher gefchidt war, indem
and Einer von Ziffaphernes Vertrauten, um ihn zu beob⸗
achten, bei ihm war. Nun fchien ed den Heerführern am
beften, den Beſchluß zu failen, den Krieg ohne weitere Zulaſ⸗
fung von Unterhändlern fortzuführten; denn ſie ließen ſich
auch mit den Soldaten ein, und fuchten fie zu verführen;
was ihnen auch bei einem Hauptmann Nikarchus aus Arka⸗
dien gelang, welcher Nachts mir etwa zwanzig Mann zum
Feinde überging. Noch waren fie.niche weit vorgerüdt, als
fi Mithridates mit ungefähr zweihundere Reitern und
vierhundert fehr leichten und gewandten Bogenfhüsen und
Schleuderern fehen ließ, und dem Anfchein nach in friedlicher
Abficht auf die Hellenen zukam. Als er nahe genug war,
begannen feine Leute zu Pferde und zu Fuß mit Einem Mar
zu fchießen und zu fchleudern.
Die Helleniſche Nachhut litt dabei fehr, ohne Etwas das
gegen thun zu koͤnnen; denn bie Kreter fchoßen nicht fo weit
als die Perfer; auch waren fie, da Feine Ruſtung fle dedite,
binter den Hopliten in dee Mitte aufgeftelt; und mit Wurf⸗
fpteßen Eonnte man die Schleuberer auch nicht erreichen.
Lenophon hielt daher für das Befte, ihnen mit den Ho⸗
pliten und Peltaften, die er in der Nachhut hatte, nachzu⸗
feben, vermochte aber nicht Einen der Feinde einzuholen,
da ed den Hellenen an Reiterei gebrach, das fliehende Fuß⸗
volk aber einen beträchtlichen Vorſprung Hatte, und fie ſich
nicht zu weit vom Heere entfernen burften. Die feindlie
chen Reiter thaten aber auch im Fliehen nody Schaden, its
dem fie rüdwärts von den Pferden ſchoßen, und die Hellenen
Drittes Bud). 825
ſich jedesmal eben fo weit, als fle vorgedrungen waren, uns
ter befländigem Kampfe auf das Heer zurücdziehen mußten.
Sp kamen fie den ganzen Tag nicht weiter als fünf und
zwanzig Stadien und gelangten gegen Abend in die Dörfer.
Da war denn neue Muthlofigkeit. Chiriſophus und die ältes
ften Anführer machten Kensphon Borwärfe, daß er fid vom
Heere entfernt und durch Derfolgung der Feinde in Gefahr
begeben habe, ohne Diefen fchaden zu können,
Kenophon geftand, ihr Tadel ſey gerecht, und fchon durch
den Erfolg gerechtfertigt. „Aber ich fah mich,‘ fuhr er fort,
„zum Derfolgen genöthigt, da ich bemerkte, baß wir, wenn
wir blieben, großen Verluſt haben, und dennoch nicht im
Stande feyn würden, auch unfererfeits dem Feind Schaden
zuzufügen. Es mißglückte nun allerdings, wie Ihr mir vors
werft; und ohne dem Feinde Etwas anhaben zu können, muß
ten wir uns mit vieler Gefahr wieder zurückziehen. Den
Göttern aber fey es gedankt, daß fie und nicht mit größerer
Macht angriffen, und ohne großen DBerluft von unferer
Seite und zeigten, woran es uns fehlt. Nun fehen wir,
daß fie mit Bogen und Schleudern viel weiter reichen, als
daß es ihnen die Kreter und die Wurffpießichleuderer nach⸗
thun könnten. WBerfolgen wir fie, fo dürfen wir ung nicht
allzu weit vom Heere entfernen. Da kann der gefchwindefte
Fußgaͤnger den Feind nicht in Schußweite befommen. Wol⸗
len wir uns nun Diefer ermehren, baß fle und auf dem Zuge
feinen Schaden thun, fo bedürfen wir aufs fchleunigfte Reis
ter umd Schleuderer. Nun höre ich, dag wir in unferem
Heere Rhodier haben, von denen die Meiften fi, wie es
heißt, ſehr gut auf die Schlender verftehen, und boppelt fo weit
826 Xenophon’s Feldzug bed jüngern Cyrus.
werfen, als die Perfifchen Schleuderer. Diefe, weil fie Steine
werfen, welche die Hand füllen, treffen nur auf Eurze Streden;
die Rhodier aber verftehen auch mit Bleifugeln zugwerfen.
Sehen wir nun nad), welche von ihnen ‚bereits Schleudern
haben, und geben ihnen Geld dafür, fo wie Denen, welde
ſich erbieten, dergleichen zu verferfigen, und machen Dieje-
nigen, welche fich bereit finden laffen, als Schleuderer zu die-
nen, von Anderem frei; dann würden fi) Manche finden, die
uns nüslic werden könnten. Auch fehe ich, daß wir eine
Anzahl Pferde bei'm Heere haben; einige find bei mir, an-
dere hat Klearchus hinterlaffen, und noch viele andere, die
wir dem Feinde abgenommen, tragen das Gepäd. Wenn
wir nun auch hier die brauchbarften ausfuchten, und das Ge⸗
päc dem Zugvieh auflüden, die Pferde aber beritten mach⸗
ten, fo würden vielleicht auch fle dem flüchtigen Feinde Abs
bruch thun.“
Der Vorſchlag fand Beifall; und noch in dieſer Nacht
wurden gegen zweihundert Schleuderer aufgebracht, und am
folgenden Tage las man ungefähr fünfzig Pferde und Reiter
aus, denen man Koller und Harnifhe gab. Zu ihrem Be:
fehlshaber ward Lycius befteltt, Polyſtratus Sohn, aus Athen.
4 Diefen Tag blieb das Heer in den Dörfern, brach
aber am folgenden fehr früh auf; denn ed hatte über einen
Hohlweg zu ſetzen, wo man einen feindlichen Angriff befürch-
tete. Als fie diefen fchon hinter ſich hatten, ließ ſich Mithri⸗
dated von neuem mit taufend Reitern, und viertanfend Bogen⸗
ſchützen und Schleuderern fehen. So viele hatte er ſich von
Ziffaphernes ausgebeten, und ſich anheifchig gemacht, mit die⸗
fer Mannfchaft ihm die Hellenen in die Hände zu liefern;
Drittes Buch. 827
weil er fich viel darauf zu Gute that, daß er bei feinem letz⸗
ten Angriff mit fo wenig Mannſchaft, ohne felbft Etwas ein-
zubäßen, den Hellenen feiner Meinung nady einen beträchtlis
chen DBerluft beigebracht hatte. Als die Hellenen etwa acht
Stadien jenfeitd des Hohlweges vorgerüdt waren, febte auch
Mithridates mit feiner Mannfchaft über denfelben. Es war
aber vorher beſtimmt worden, wie viele Peltaften und Hoplis
ten den Feinde nachſetzen folten, und der Neiterei bedeutet,
herzhaft einzudringen, weil fie von einer hinlänglichen Macht
unterffüßt werden würden.
Als fie Mithridates eingeholt hatte, und in die Schuß:
weite gefommen war, gingen auf dad mit der Trompete ges
gebene Zeichen die dazu beorderten Hellenen nebft der Reiterei
fchnell auf die Feinde los; allein Diefe warteten den Angriff
nicht ab, fondern flohen nad) dem Hohlweg zurück. Beir’m
Nachſetzen verloren die Barbaren viel Fußvolk, und von den
Reitern wurden etwa achtzehn in dem Hohlweg gefangen ges
nommen. Die Hellenen verflümmelten auf eigenen Antrieb
die Gebliebenen, um die Feinde durch ihren grauenvollen An⸗
blick abzuſchrecken.
Nachdem es den Feinden alſo ergangen war, zogen ſie
ſich zurück, und die Hellenen gelangten, ohne weiter angefoch⸗
ten zu werden, gegen Abend an den Fluß Tigris.
Hier lag eine große, verödete Stadt, mit Namen La⸗
riſſa,*) ehedem von den Medern bewohnt. Die Breite ihrer
Mauer betrug fünf und zwanzig, die Höhe hundert Fuß, ihr
Umfang zwei Parafangen. Sie war von Ziegeln erbaut, und
+) Wahrſcheinlich die ı Mof. 12. angeführte Stadt Nefen,
828 Zenophon’s Feldzug des jängern Cyrus.
hatte einen zwanzig Fuß hohen fleinernen Grund. Diefe
befagerte zur Zeit, als die Perfer den Medern die Oberherr⸗
fchaft entriffen, der Perferkönig, und konnte fie auf keine
Meife erobern, bis eine verhülfende Wolke die Sonne un⸗
ſichtbar machte, ) die Einwohner erfdjredt die Stadt verlie⸗
Ben, und diefe fo eingenommen wurde. Neben diefer Stadt
fland eine fleinerne Pyramide, die ein Plethron breit und
zwei hoch war. Es hatten fich dahin viele Barbaren ans
den benachbarten Dörfern geflüchtet.
Bon da gelangten fie in einem Tagemarſch, ſechs Para⸗
fangen, an ein verödetes, großes Schloß in der Nähe einer
Stadt mit Namen Mespila, **) die ehemals von Medern be:
wohnt war. Der Grund der Stadtmauer beitand aus ger
glättetem Mufchelmarmor, und war fünfzig Fuß breit und
fünfzig hoch. Auf ihr erhob ſich in einer Breite von fünfzig
und einer Höhe von hundert Fuß eine Mauer von Ziegelftei-
nen; ihr Umfang betrug ſechs Parafangen. Hieher- flüchtete
ſich der Sage nah, als die Perfer der Meder Herrichaft
flürgten, die Gemahlin des Königs, Media, Auch diefe Stadt
belagerte der Perferfönig, und konute fie weder durd) Zänge
der Zeit nody durd, Sturm gewinnen; bis Zeus die Einwoh⸗
ner durch ein heftiged Gewitter ſchreckte, und fo die Stadt
eingenommen ward.
*) Kenophon will hier wahrfcheintidh eine nach den Begriffen
der hierüber ihn beichrenden Eingebornen entflandene Sons
nen finfterniß beſchreiben.
**) Wahrſcheinlich Neuninive, oder Nunia. Nach Kenneir
iſt es das große Dorf Telikoff oder Tilkaif.
Drittes Bud). 829
Don bier aus machten fie einen Tagmarſch, vier Para:
fangen. Auf diefem Zuge erfchien ZTiffaphernes an der Spige
eines ungeheuern Heeres, das aus feiner eigenen Reiterei,
der gefammten Macht des Drontas, der die Tochter des Kö⸗
nigs zur Gemahlin hatte, dem ehemaligen Heere des Cyrus,
den Hülfstruppen, weiche der Bruder des Könige Diefem zu:
führen wollte, und der übrigen Macht beftand, welche der
König ihm beigegeben hatte. Als er nahe Fam, ließ er einen
Theil feiner Heerhaufen im Hintergrund halten; mit den at:
dern rückte er anf beiden Flügeln weiter herauf, ließ es aber
‚nicht zum wirklichen Handgemeng kommen, fondern gak blos
Befehl zum Schleudern und Bogenfchießen.
Als aber die hin und wieder einzeln aufgeftellten Rho⸗
dier zu fchleudern, und die nach Art der Scythen eingeübten
Bogenfhügen zu fchießen begannen, und Keiner feinen Mann -
verfehlte (denn hätte Einer aud, gewollt, fo war es nicht
leicht möglich), - zog ſich Ziffanhernes in aller Eile aus der
Schußweite meg, und mit ihm die übrigen Schaaren. Die
Hellenen singen nun den Reit des Tages weiter, und bie
Barbaren folgten, ließen ſich aber nicht wieder auf das vor⸗
ber verfüchte Scharmügel ein; denn die Rhodier ſchleuderten
viel weiter, als ſelbſt die meiften Bogenſchützen der Perfer.
Yuc die Perfifchen Bogen find groß; daher Ponnten bie
Kreter alle feindlichen Pfeile, fo viel fie deren auffingen, ges
brauchen; fie bedienten fidy auch befländig der feindlichen
Dfeile, und übten ſich im Weitfchießen, indem fie diefelben in -
die Höhe richteten. Es fanden fich auch viele Schnen und
vieles Blei in den Dörfern vor, welches man Alles zum Bes
Huf der Schleuderer verwendete.
850 Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus.
As an diefem age die Hellenen die Dörfer erreicht
und fid) dort gelagert hatten, zogen ſich die Barbaren, weil
fie in den Scharmügeln den Kürzeru gezogen hatten, wieder
zurüd: die Hellenen aber blieben den folgenden Tag noch
bier und verfahen fidy mit Xebensmitteln; denn ed war deren
ein großer Vorrath in den Dörfern. Tags darauf zogen die
Hellenen durch die Ebene hin, und unter beftändigen Schar:
müseln folgte ihnen Ziffaphernes.
Da fanden nun die Hellenen,. wie das gleichfeitige DVier-
“ed, wenn der Feind anf dem Fuße folgt, von großem Nach⸗
theil fey. Denn wenn ſchmale Wege, oder Berge, oder
Brüden die Flügel des Vierecks möthigten, zuſammenzu⸗
rüden, fo wurden die Hopliten nothwendig herausgebrängt,
und ihr Zug ward Außerft beſchwerlich, da file beftdndig an⸗
degriffen und in Unordnung gebraht, und fo zum Dienfte
unbrauchbar wurden. Wenn nun die Flügel fid) wieder aus⸗
dehnten, fo wurden die Herausgebrängten nochwendig ge-
trennt, und es entfland zwifchen den Flügeln eine Lücke; Die-
jenigen aber, welche ed fraf, mußten, da fie dem Angriff der
Feinde ausgefebt wurden, den Muth verlieren. Wenn man
nun über eine Brüde, oder durch einen andern engen Paß
ziehen mußte, fo wollte Jeder der Erſte ſeyn; und der Feind
hatte dann die befte Gelegenheit, einen Angriff zu machen.
Als die Anführer Diefes wahrnahmen, errichteten fie
ſechs Lochen [Kompagnien], von denen jeder hundert Mann -
ſtark war, und einen Hauptmann nebft Führen über fünfzig
und fünf und zwanzig Mann erhielt. Wenn nun die Flügel
auf dem Zuge zufamnıenrüden mußten, fo blieben die Haupt:
leute, damit das Ganze nicht in Unordnung gerieth, zurück
k
Drittes Buch. 831
und zogen hinter dem Heere her. Wenn fi aber bie Flügel
bes Dieredd wieder trennten, fo rüdten fle, wenn die Lücke
eng war, nad) ganzen, wenn fie größer war, nad) halben,
wenn fie fehr groß war, nad) Vierteld:Zochen*) eins fo wurde
die Mitte immer vollftändig erhalten, und es entfland, auch
wenn man durd) einen Engpaß oder über eine Brüde zu ges
ben hafte, Feine Unordnung, und die Hauptleute zogen,
Feder in feiner Ordnung, hinüber; wenn dann aber irgend:
wo ber Phalanı wieder nöthig war, fo waren Jene gleich
bei der Hand. Auf diefe Art machten fie vier Zagmärfche.
Auf dem fünften Zagmarfch bekamen fie ein Lönigliches
Schloß zu Geſicht, das von vielen Dörfern umgeben war; der
Weg dahin führte über hohe Hügel, **) die von einem Berge
ausliefen, an deffen Fuße ein Dorf***) lag. Der Anbrid
diefer Anhöhen war den Helfenen erwünfcht, da der fie bet:
folgende Feind aus Reiterei beftand.
Als fie aber von der Ebene den erften Hügel heraufge-
zogen, und wieder hinunter mollten, um den zweiten zu ge⸗
*) Im erftien Fall zogen die Wiertheile der Kompagnie hinter
einander her, und die Kompagnie hatte fo eine Vorlinie von
fünf, und eine Xiefe von zwanzig Mann; im zweiten Ball
zogen die beiden Hälften der Kompagnie neben einander, und
hatten in der Vorlinie zehen, in der Tiefe zehen Mann; im
dritten Tall bildete Die Kompagnie, wenn die Viertheile ders
felgen neben einander ſich anfftellten, eine Borlinie von zwan⸗
zig, und eine Tiefe von fünf Mann.
**) Diefe Hügel follen nad) Nenner zu den Carduchiſchen Bergen
(Teudidag, Tſchoudidag) gehdren, auf dem Wege von Moſul
nach Jezirah (bon Omar, das alte Bezarda), nahe bei der
Stadt Zato ſich befinden, und Zakudag heißen.
+44), Wo jest die Stadt Affee Liegt.
852 Zenophon’d Feldzug des jingern Cyrus.
winnen, griffen die Barbaren, durch Peitſchenhiebe *) ges
trieben, an, und warfen, fchleuderten und ſchoßen von oben
herab; fie verwundeten Diele, ſchlugen die Heltenifchen Leicht⸗
bewaffneten aus dem Feld, und nötbigten fie, hinter die
Hopliten fih zurüdzuziehen, fo daß an diefem Zage Schleu⸗
derer und Bogenfchügen, da fie mit dem Troß ziehen mußten,
von feinem Ruben waren.
Die Hellenen beichloßen in dieſer Bebrängniß, den Feind
anzugreifen, gelangten aber ald Schwerbewaffnete nur mit
Müpe auf den Gipfel, von dem fidy die Feinde eiligft hinab:
warfen. Als fie ſich dann wieder auf das übrige Heer zu⸗
rüdzogen, widerfuhr ihnen Daſſelbe; ebenſo ging es bei’m
dritten Hügel; fo daß es die Hellenen rathfam fanden, die
Truppen auf der erften Anhöhe fiehen zu laflen, und von
dem rechten Flügel des Vierecks die Peltaften auf den Berg
zu führen.
Da Diefe nun höher fanden, als die ihnen folgenden
Feinde, fo wagten fie fich nicht mehr bei'm Herabfleigen here
an, aus Furcht, fie möchten abgefchnitten und von den Fein⸗
den in die Mitte genommen merden. Die Hellenen zogen
den Reſt des Tages theild über die Hügel, theils äber den
Berg hin, bis fie die Dörfer erreichten, wo fie acht Wund⸗
ärzte beftellfen, weil es viele Verwundete gab. Hier blieben
fie drei Tage, theild wegen der Verwundeten, theild weil fie
eine große Menge Lebensmittel, die der Satrape *) dieſer Land:
Nach einer bei ben Perſern beliehten Weife, den Muth der
Krieger anzufeuern.
**) Die Satrapen mußten nämlich für die Bekbſtigung der in
ihrem Bereiche ftehenden Tbniglichen Truppen forgen.
Drittes Buch. | 933
(haft aufgebracht hafte, ats Mehl, Wein und Gerfte für die
Herde vorfanden. Um vierten Tage zogen fie in die Ebene
hinab. -
Als Ziffaphernes fie mit feiner Macht wieder eingeholt
hatte, gab die Noth den Hellenen die Lehre, beim erſten
Dorfe, das fie gewahrten, Halt zu machen, und fid, Feinem
weitern Gefechte während des Zuges audzufeben; benn eine
große Anzahl vom Heere, die Verwundeten, Die, welche fie
frugen, and Diejenigen, denen Letztere ihre Waffen aufge-
packt hatten, konnten an dem Treffen Leinen Antheil neh⸗
men. Als fie fidy gelagert hatsen, kamen die Yeinde an das
Dorf heran und griffen fie ans die Hellenen aber gewannen
mit leichter Mühe die Oberhand; denn es war ungleich leidy
ter, den Feind durdy Ausfälle aus einemäfeften Standort zu:
ruckzuſchlagen, als auf dem Zug feine Angriffe abzuwehren.
Gegen Abend fand es der Feind für gut, ſich zurückzu⸗
ziehen; [benn bie Barbaren lagerten ſich nie unter fechzig
Stadien von dem Hellenenheer, aus Furcht, fie möchten bet
Tracht überfallen werden. Denn bei Nachtzeit ift das Per-
ſiſche Lager in der übelften Verfaſſung; die Pferde werden
nämtlidy angebunden und haben Fußſchlingen, bamit fie, wenn
fe ſich losmachen, nit davon laufen Fönnen. Wenn nun
ein Lärm entftcht, fo muß der Derfer erſt das Pferd fatteln,
aufzänumen, ſich den Panzer anlegen, und dann erſt kann er
anffigen. Dieß Altes ift bei Nacht, zumal wenn ein Lärm
entficht, von nicht geringer Schwierigkeit; und deßhalb la⸗
gerten fie fich ſtets ſo weit von den Hellenen.
Als die Hellenen wahrnahmen, daß fie abziehen wollten,
und Dieß einander zuriefen, warb ihnen Angeſichts der Feinde
EXenophon. 68 Boͤchn. 9
854 Xenophon's Seldzug des jüngern Eyrus.
gleichfalls angekündigt, fid) marfchfertig zu halten. Die Bar:
baren zögerten deßhalb noch eine Weile, zogen aber, als die
Tracht einbrechen wollte, dennoch ab, da fle es nicht zufräg-
lich fanden, einen Nachtmarſch zu machen und ein Lager auf:
zufchlagen.
Als die Heltenen ihren wirklichen Abzug bemerkten, bra=
chen auch fie auf, und legten ungefähr ſechzig Stadien zu-
rüd. Dadurch hatten fie einen ſolchen Vorfprung gewonnen,
daß ſich die Feinde am zweiten und aud, am dritten Tag
nicht fehen Tießen. Am folgenden Tage aber hatten die Bar:
baren, nachdem fie den Hellenen in ber Nacht einen Marfch
abgewonnen, eine Bergſpitze beſetzt, unter welcher ſich Dieſe
hinziehen mußten, um in die Ebene zu gelangen.
Als Ehiriſophus die Bergſpitze beſetzt ſah, ließ er Reno⸗
phon von der Nachhut herbeirufen, mit dem Befehl, die Pel⸗
taften vor die Vorlinie zu führen. Zenophon führte aber
die Peltaſten nicht vor, da fich Ziffaphernes mit feiner gau⸗
zen Heeresmacht von hinten zeigte, vitt jedoch felbft zu ihm
heran, und fragte ihn, weßhalb er in rufen laſſe. Chiriſo⸗
phus antwortete: „Das ift leicht zu fehen; die Anhöhe, wel:
che unfern Sug in die Ebene beherricht, ift vom Feinde bes
fest; wir konnen nicht weiter, bevor wir ihn von dort ver-
trieben haben. Warum bringft du die Peltaften nicht mit?‘
Er entgegnete-ihm, er hätte es nicht rathſam gefunden, dem
Nachzug zu entbiößen, da die Feinde ſich zeigen. „Aber es
ift Zeit,“ fagte Chiriſophus, „zu überlegen, wie man ben
Feind von der Anhöhe wegbringt.“ Da bemerkte Kenophon,
daß der Gipfel des Berges gerade über ben Seinigen lag,
und daß man von da auf die von den Feinden befebte Anhöhe
Drittes Buch. 855
gelangen Eonnte und fagte: „Es ift am beiten, Chiriſophus,
wir ſuchen, fo fchnell wie möglich, den Berggipfel zu erklim⸗
men; wenn wir diefen haben, fo können ſich Die auf dem
Hügel nicht Känger halten. Wenn es dir recht ift, fo bleibe
du bei’m Heer, und ich gehe Hin; wo nicht, fo will ich hier
bleiben.’ — „Ich überlaffe dir die Wahl,“ fagte Chiriſophus.
Run,’ fagte Xenophon, „da ich der Jüngere bin, will ich
hinziehen.“ Zugleich ließ er ſich Mannfchaft von der Vor:
derlinie geben; denn ed war zu weit ab, file aus der Nach⸗
but zu holen. Chiriſophus gab ihm Peltaſten aus dem Vor⸗
dertreffen und aus der Mitte der Zugordnung; auch ließ er
die dreihundert Mann auserlefener Truppen, die er ſelbſt bei
dem Vordertreffen hatte, ihn begleiten. In möglichiter Eile
klommen fie den Berg hinan. Kaum aber hatten die Feinde
auf dem Hügel bemerkt, daß ihr Zug nach dem Berggipfel
ging, als auch fie aus allen Kräften nad) dem Gipfel liefen.
Da entitand ein gewaltiges Gefchrei unter den Hellenen,
die fid) gegenfeitig zusiefen; und auch bei des Ziffaphernes
Leuten Tieß fich ein gleiches vernehmen.
Xenophon ritt an ihnen bin und rief ihnen zu: „Nun
gilt ed Eure Rückkehr nad) Hellas, zu Kind und Weib; noch
eine kurze Anſtrengung, und der weitere Weg ſteht Euch
ohne Schwertftreic, offen!‘ Soteridas aus Sichon *) ents
gegnete ihm: „Du haft gut reden, Xenophon: du veiteft, und
id) erliege faft unter meines Schildes Laſt.“ Sogleich fprang
Zenophon vom Pferde, ftieß ihn aus dem Gliede, riß ihm
den Schild weg, und eilte, fo ſchnell er konnte, voran. Er
*) Einer Stadt im nörhlichen Peloponnes,
9 *
856 Xenophon’d Feldzug des jängern Cyrus.
hatte einen Reiterharnifch an, der ihm fehr unbequem war,
Dennoch befahl er den Vorderſten, fchnelfer zu gehen, und
den Hinterften, die kaum nachkommen Ponnten, ihm zu fol⸗
gen. Die Andern fchimpften und ſchlugen den Soteridas,
bis er fih endlich genöfhigt fah, den Schild wiederz zu neh:
men und mitzugehen. Xenophon ritt, fo weit ed wegſam war,
voran. Dann flieg er ab, und eilte zu Fuß hinan. Und wirk⸗
lich kamen fle vor dem Feinde auf den ©ipfel des Berges.
5. Da wandten fich die Barbaren und entfloßen, wie
Jeder konnte; die Hellenen aber hatten den Gipfel gewonnen.
Das Heer des Ziffaphernes und Ariäus fchlug einen andern
Weg ein; Chirifophus aber zog mit dem Heere in die Ebene
herab und Tagerte in einem Dorfe, wo man einen Ueberfiuß
von Lebensmitteln fand. Auch noch andere Dörfer, die mit
Dielem reichlich verfehen waren, Tagen in diefer Ebene am
Flufſſe Tigris.
Als es Abend war, erſchienen plötzlich die Feinde in der
Ebene, nnd hieben mehrere Hellenen, die ſich der Plünderung
wegen zerſtreut hatten, nieder. Man erbeutete nämlich viele
Viehherden, die man über den Fluß gebracht hatte.
Da begann Tiſſaphernes mit feinen Leuten die Dörfer
abzubrennen. Diefer Umſtand machte viele Hellenen fehr
verzagt, weil fle befürchteten, fie würden keine Lebensmittel
mehr befommen. Das Heer war num auf foiche Weiſe ter
dem Beiftand der abgefandten Abtheilung davon gekommen ;
Renophon aber 309 fich feinerfeits gleichfalls herab, ritt an
den Reihen Derer hin, die den Uebrigen zu Hülfe gefommmen
waren und rief: „Da feht Ihr nun, Hellenen, daß der Feind
ſchon anfängt, diefes Land als das unfrige zu betrachten; was
%
\
Drittes Bach. 837
fle bei Abſchließung des Waffenſtillſtandes ausbedungen, baß
wir das Land nicht durch Teuer dverheeren dürften, das thun
fie nun felbft, als fländen fie in Feindes Land. Aber wenn
fie irgendwo Lebensmittel für fich übrig Iaffen, fo folen fie
feden, daß auch wir ben Weg dahin finden werben. Id)
denke, Chiroſophus, wir thun den Mordbrennern Einhalt, da
es unfer Eigenthum gilt.” Chirifophus antwortete: „Nicht
doch ! lieber wollen wir’s ebenfo machen, damit fie befto eher
fertig werben.‘
Als fie im Lager angekommen waren, beichäftigten ſich
die übrigen Hellenen mit den Lebensmitteln; die Heerführer
und Hauptleute aber traten zufammen. Da war denn”wieder
große Noth. Auf der einen Seite die himmelhohen Gebirge,
anf der andern ein Fluß von foldher Tiefe, daß er mit Lan⸗
zen nicht zu ergründen war. Nachdem man fid) lange beras
then hatte, kam ein Rhodier und fagte: „Ich verfprehe Euch,
je viertaufend Hopliten auf Einmal überzufegen, wenn Ihr
mir das Nöthige herbeifchafft, und ein Zalent zur Beloh⸗
numg gebt.‘ .
Auf die Frage, Was er dazu bebürfe, erwicberte er:
„ich brauche zweitanfend Schläuche; num fehe ic) hier viele
Schafe, Ziegen, Rinder und Efel. Diefe fchlachten wir, ziehen
Die Haͤute ab, und blaſen fie auf, und bewerkftelligen fo Leicht
ben Uebergang. Ich werde ferner die Riemen nöthig Haben, welche
Ihr beim Zugdieh gebraucht. Damit binde ich die Schläude
zufammen und befeflige fie dadurch, daß ich Steine daran
binde und diefe gleich Ankern nach entgegengefehten Geiten -
Kin in's Waffer ſenke, und lege dann, find Diefe an keiden
Ufern angebunden, Strauchwert und Erde darüber. Daß
838 Xenophon's Feldzug des jängern Cyrus,
Ihr nicht unterfintt, folt Ihr fogleich erproben, Jeder
Schlauch trägt zwei Männer, und gegen das Ausgleiten ſeyd
Ihr durch das Holz und die Erde geſichert.“
Die Heerführer fanden dieſen Einfall finnreich, aber un⸗
ausführbar, da jenfeits des Fluſſes viele Reiterei fand, mel:
che ſchon die erſten Verſuche vereitelt haben würde,
Am folgenden Tag Echrte man um, lenkte ganz von der
Straße nach Babylon auf die noch unverbraunten Dörfer ab,
und ſteckte Diejenigen in Brand, welche man verließ. Die
Feinde machten ſich nicht heran, fondern es ſchien, als ob fie
neugierig wären, zu erfahren, wohin ſich die Hellenen wen⸗
den würden, und was file im Sinne hätten. Das übrige
Heer beichäftigte fidh mit den LXebensmitteln; die Heerführer
und Hauptleute aber traten wieder zufammen, ließen die Ges
fangenen vorführen und befragten fich nach allen Ländern ums
her, Diefe fagten, gegen Mittag gelange man nad) Babylon
und Medien, durch das fie hergefommen; gegen Morgen
nad) Sufa und Ekbatana, wo der König, wie es hieß, den
Sommer und Frühling zubringt; jenfeits des Fluffed gegen
Weiten komme man nad) Xydien und Sonien, über die Ges
birge aber gegen Norden in der Karduchen *) Land. Diefe
wohnen, verficherten fle, in den Gebirgen, ſeyen äußerft Pries
geriſch, und wollen fich nicht unter des Königs Botmäßigkeit
fügen; es ſey einmal ein Heer von hundert zwanzigtauſend
Mann in ihr Gebiet eingefallen, von denen, wegen der fchlims
; men Gegend, nicht Ein Mann zurüdgebehrt fey; wenn fie
*) Wahrſcheinlich find fie die Vorfahren der heutigen Bilbaer im
nördlichen Kurdiſtan.
Drittes Buch. 859
aber mit dem Satrapen des flachen Landes im Vertrage ftän-
den, finde wechfelfeitiger Verkehr zwifchen ihnen ftatt.
Als die Heerführer Diefes vernommen hatten, fonderten
fie Diejenigen, welche diefe Gegenden zu kennen vorgaben,
von einander ab, ohne jedoch verlauten zu laffen, wohin ber
Zug gehen würde. Gie hielten aber für nothwendig, durch
die Gebirge in das Land der Kardudyen einzurüden; denn
hinter diefem Lande, fagten Jene, komme man nad) Armes
nien, einem großen, gefegneten Lande, über welches Drontas
herrfhe: von da aus könne man leicht überall hinkommen,
wohin man wolle.
Hierauf opferten fie, um, fobald es Zeit wäre, aufbre⸗
chen zu koͤnnen; denn fle beforgten, der Feind möchte bie
Berghöhen befeben. Deßhalb gaben fie Befehl, nach dem
Efien aufzupaden, fi dann zur Ruhe zu begeben, und, ſo⸗
bald das Zeichen zum Aufbruch gegeben würde, den Zug
anzutreten.
Zenophon 8 von Athen
Werke.
Siebentes Baͤndchen.
Feldzug des juͤngern Cyrus,
überſetzt
Dr. Leonhard Tafel.
—
Zweites Bäudchen.
Stuttgart,
Verlag der J. B. Metzler ſchen Buchhandlung.
Für Oeſtreich in Commiſſion von Moͤrſchner und Jaſper
in Wien. |
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Inhalt des vierten Buchs.
Cap. 1. Mit Anbruch ded Tages betreten fie die Gränzen der
Karduchen und ziehen den ganzen Tag bergan, bergab, und nur
die Nachhut wird etwas von ben Barbaren angefochten. Tags
darauf ruͤcken fie mit Zuruͤcklaſſung alles nicht durchaus Unentbehrli⸗
chen weiter und Haben mehrere Anfälle ver Eingebornen zu beftehen.
Am folgenden Tag muͤßen fie aus Mangel an Kebensmitteln trog
dem fahlechteften Wetter weiter ziehen, wobei der Nachzug fehr
von den Barbaren Leidet. Am Abend Tommen fie an eine von
Seinden befegte fteile Anhöhe, nöthigen aber einen Gefangenen, ih-
nen einen andern beauemern Weg zu zeigen. Cap. 2. In ber
Nacht geht eine anserlefene Mannfchaft nach dem andern Wege ab,
und ſchlaͤgt die Barbaren in die Flucht, fo daB das Übrige Heer '
ungehindert bie Anhöhe erfteist. Kenophon, der mit dem Nachtrab
und dem Troß den andern bequemern Weg einfhlägt, leidet eini-
gen Verluſt. Am andern Tag gelangen fie unter beftändigen Ge⸗
fechten in Dörfer, die in ber Ebene am Fluffe Sentrited Tagen.
Cap. 3. Am Fluſſe Centrited ergibt ſich eine neue Schwierigkeit:
die Barbaren hatten das jenfeitige Ufer befegt, der Fluß ſelbſt war
tief und veißend, und im Rücken waren fie von den Karduchen bes
droht. Xenophon's Traum geht in Erfüllung. Zwei Iünglinge
finden zufällig eine Furt, und der Uebergang wirb gluͤcklich bewert:
ſtelligt. Eap. 4. In Armenien gehen fie über die Quellen ded Ti⸗
gris und gelangen an den Fluß Teleboas im weftlichen Armenien.
Der Satrape Tiribazus fchließt einen Waffenftilftand mit ihnen,
den er aber nicht Hält. Die Hellenen veriaffen bie Dürfer und la⸗
gern unter freiem Himmel, wo fie viel von dem häufigen Schnee
leiden. Cap. 5. Sie rüden weiter. Der Feind folgt innen.
846 Inhalt des wierten Buchs.
Kälte, Schnee, Hunger. Sie kommen endlich in Dörfer, die mit Allem
aufs reichlichſte verfehen find, und thun ſich guͤtlich. Cap. 6. Der
Wegweiſer, unter deffen Sührung fie weiter ziehen, wird von
Ehirifophus gemißhandelt und entflieht, und fo gelangen fie nad)
vielen Irrzuͤgen an ben Fluß Phaſis. Nach zwei Tagmaͤrſchen
fanden fie vor Anhöhen, welche fie durchaus uͤberſteigen mußten,
und bie von Chalyben, Taochen und Phaſianen befent waren. Auf
Kenophon’d Rath wird bei Yacht eine auserleſene Mannfchaft ab:
geſchickt, um die Anhöhen zu befegen; fie vertreiben ben Feind
durch einen vereinigten Angriff von vorm und im Rüden, und ge:
langen in die jerfeitige Ebene, wo fie reichlich mit allen Beduͤrf⸗
niffen verforgte Dörfer finden. Cap. 7. Im Gebiete der Taochen,
welche alle Lebensmittel in feſte Ptäge gefchafft hatten, nehmen fie
ein Kaftel ein, und erbeuten vier Schlachivieh; davon nähren fie
fi) während ihres fiebentägigen Zugs durch das Kand der tapfern
Shalyben. Sie kommen an den Fluß Harpaſus, durchziehen das
Land der Schthinen. Bei der Stabt Gymnias fender der Satrap
des Landes ihnen einen Wegmweifer, der fie durch das Gebiet Teiner
Feinde führt. Auf dem Gipfel des Berges Theches erblicken fie
das Meer. Cap. 8. Mit den Matronen ſchließen fie ein Buͤnd⸗
niß und ziehen friedlich dur ihr Land. — Im Gebiete Der Kot
cher angekommen, finden fie Diefe auf den Bergen gegen fich auf:
geſtellt. Die Kolcher werden gefchlagen, und die Hellenen ziehen in
die mit allen Bebärfniffen im Ueberfluß verfeheiien Dörfer herab;
Diele werden von genoffenem Honig krank. In zwei Tagen ge
langen fie von da an dad Meer und die Griechifche Stadt Trape⸗
zunt. Während ihres Aufenthaltes daſelbſt plündern fie das „Kol:
chiſche Gebiet, zahlen den Göttern ihr Geluͤbde und feiern gymni⸗
ſche Spiele.
L “ „. 847:
VBierted Bud-
—
1. Was ſich während des Zuges nach Dberafien bis zur
Schlacht, und nad) der Schlacht während des Waffenſtillſtan⸗
des zutrug, ben der König und Tiſſaphernes mit den Helles
nen fchloß, die mit Enrus heranfgezogen waren, wie der Kö:
nig und Tiffapherned den Waffenftiliftand gebrochen und fie
feindlich mit dem Perfifchen Heere verfolgten , ift in den frü⸗
hern Abſchnitten gezeigt worden.
[Als fie nun dahin gekommen waren, wo der Fluß Ti:
- gris wegen feiner Breite und Tiefe undurchgänglich war, .
und wo man eben jo wenig ſich Tängs demfelben hinzie hen
fonnte, da bie fchroffen Karduchifchen Berge felbit über den
Fluß herüber ragten, beſchloßen die Heerführer, über die Ge-
dirge zu gehen. Denn fie hatten von den Gefangenen ges
hört, daß fie nachdem Uebergang über diefe nad) Armenien an
die Quellen des Tigris kommen würden, welche fle enfweber
nach Willbühr durchwaten oder umgehen könnten. Auch der
Euphrat, ſagten die Gefangenen, entſpringe nicht weit davon;
und ſo verhielt es ſich denn auch. Bei dem Einrücken in das
Karduchiſche ſuchten ſich die Hellenen der Aufmerkſamkeit des
Feindes zu entziehen, und ihm in Beſetzung der Berghöhen
zuvorzukommen.) *) -
*) Mehrere Neuere halten diefen von uns mit [ ] eingefchloffe
nen Abſchnitt fuͤr unaͤcht.
848 Xenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus,
Um bie lebte *) Nachtwache, da noch fo viel Zeit von
der Nacht übrig war, daß fle in der Dunkelheit durch bie
Ebene kommen konnten, traten fie nad) erhaltenem Befehl,
der mit der Loſung ertheilt ward, den Zug an, und gelangten
mit Tagesanbruch an das Gebirge.
Chirifophus z0g mit feinen Leuten und allen Leichtbe-
waffneten dem Heere voran, und Kenophon führte den Nach⸗
zug, der aus lauter Hopliten befland; denn es war nicht zu
beforgen, daß fie bei'm Hinaufziehen von Hinten angegriffen
würden. Chirifophus gelangte auf den Gipfel, ehe der Feind
ed inne ward. Dann 308 er voraus, und das übrige Heer
folgte ihm, fo wie ed nach und nach den Gipfel überflieg, in
die Dörfer, welche in den Thälern und Krümmungen der
Berge Tagen.
Die Karduchen verließen ihre Wohnungen mit Weib
und Rind, und flüchteten auf die Gebirge; man fand eine
Menge Lebensmittel. Die Häufer waren überdieß reichlich
mit ehernem Geſchirr verfehen; die Hellenen nahmen jedoch
Nichts davon mit, auch verfolgten fie die Fliehenden nicht,
in der Hoffnung, die Karduchen würden fie vielleicht, als
Feinde des Königs, in Frieden durdy ihr Land ziehen laſſen.
Nur Lebensmittel nahmen fie, wo fie foldye fanden; denn bie
Noch trieb fle dazu. Allein die Karduchen hörten auf ihre
Einladungen nichts auch gaben fie ihnen fonft Bein Zeichen
des Wohlwollens.
Als die letzten Hellenen, da es ſchon Nacht war, in bie
Dörfer hinabzogen (denn wegen der engen Wege dauerte ber
*) Die dritte bei den Hellenen.
Biertes Buch, 849
Bug hinauf und hinab den ganzen Tag), ſammelte ſich eine
Anzahl Karduchen, ſiel über fle her, tödtete Einige, und
verwundete Andere mit Geſchoßen und Steinen. EsJwaren
ihrer nur Wenige; denn die Ankunft des Hellenenheers hatte
fie überrafcht. Wären Mehrere beifammen gewefen., fo lief
das Heer Gefahr, einen beträchtlichen Verluſt zu erleiden.
Man bradhte.diefe Nacht in den Dörfern zu; die Karbuchen
aber zändeten ringe auf den Bergen herum Fener an, und
gaben ſich Zeichen damit.
Mit Tagesanbruch verſammelten ſich die Anfuͤhrer und-
Hauptleute der Hellenen, und faßten den Beſchluß, nur das
nothwendigſte und kraͤftigſte Zugvieh beizubehalten, das ans
dere aber, ſo wie die kuͤrzlich gemachten Kriegsgefangenen,
zurückzulaſſen. Denn die Menge der Gefangenen und des
Zugviehs hielt ihren Zug auf; und durch die Aufficht über
fie wurden Viele dem Dienſte entzogens and) mußte man bei
der großen Menfchenzahl noch einmal fo viel Mundvorratä
anfchaffen und fortbringen, Diefen Beſchluß ließ man durch
Herolde zur Nahachtung bekannt machen.
Nach dem Frühſtück trat man ben Zug wieder an: bie
Heerführer ſtellten jich in einen engen Weg, und nahmen
Altes weg, was ihrem Befehl zuwider zurücdbehalten wurde;
die Soldaten- Tießeu ſich's gerne gefallen, außer wenn hier
und da Einer einen fchönen Knaben, oder ein hübfches Weib
aus Liebe mitgenommen hatte. Auf dem Zuge hafte man an
diefem Tage bald Gefecht, bald wieder Ruhe.
Tags darauf fiel fchlimmes Wetter ein, und doch war es
nöthig, weiter zu ziehen; denn der Mundvorrath reichte nicht
zu. Chirofophus führte den Zug, und Renophon deckte die
Renophon. 78 Bdchn.
x
850 Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus.
Nachhut. Die Feinde festen ihnen heftig zu, und dba bie
Däffe fehr eng waren, fehoßen und ſchlenderten fle ganz in
ber Nähe, fo daß die Hellenen, da fie genöthigt waren, fie zu
verfolgen und fih dann wieder zurüdzuzichen, nur langſam
vorrücken konnten, und Kenophon oft in den Fall Bam, Halt
machen zu laſſen, wenn ihr Angriff gar zu heftig ward.
Chiriſophus, weldyer fonft auf erfolgte Aufforderung im⸗
mer hielt, that es diefes Einemal nicht, fondern zog eilig
voran, und befahl, ihm zu folgen, fo daß man fchließen muß⸗
te, es müße Etwas vorgefallen ſeyn; man hatte aber Feine
Zeit, fi) nad) der Urfache diefer Eilfertigkeit zu erkundigen ;
weswegen der Zug der Nachhut das Unfehen der Flucht ges
wann. Hier bfieb der tapfere Lakonier Kleonymus, dem ein
Pfeil durch Schild und Koller in die Rippen fuhr, und der
Arkadier Baflas, der durch den Kopf gefchofen wurde.
As fie zum Lagerplatze Samen, ging Kenophon fogleich,
wie er war, zu Chirifophus und machte ihm Vorwürfe, daf
er dadurch, daß er fa fchnell vorameilte, und nicht warten
wollte, ihn gendthigt Hätte, fichend zu fechten. „Und fo has
‚ben wie nun,‘ fuhr er fort, „zwei wadere Männer verloren,
die wir weder mitnehmen noch begraben konnten.‘
Chiriſophus entgegriete ihm: „Sieh dir einmal die Berge
an, wie unzugänglich alle find. Der fleife Weg vor uns ift
der einzige, den wir haben: da kannſt du eine Menge Feinde
fehen, die den Zugang zum Gipfel beſetzt haften und bewachen.
Darum eilte ich und Eonnte dich nicht erwarten, um wo mögs
id) dem Feind in der Befebung der Bergſpitze zuvorzukom⸗
men; den» die Yührer verfihern, es gebe Leinen andern
Weg.
—
Viertes Bud, . 884
XRenophon erwiederte: „Auch ich habe zwei Wegweiſer.
Da fie ung nämlich ſehr beunruhigten, legten wir einen Hin⸗
terhalt, wobei wir ung erhofften, tödteten Einige von ihnen,
und fuchten Andere lebendig zu fangen, in der Abficht, uns
ihrer ald Wegweifer zu bedienen, da fie der Gegend Fundig
waren.’
Man führte fle fogleich vor und fragte Jeden befonders,
ob er einen andern Weg als den vor Augen liegenden wüßte.
Der Eine wollte, frob allen Drohungen, nicht mit der Spra⸗
che heraus, und ward, da nichts Erhebfiches von ihm. heraus:
zubringen war, vor den Augen des Andern niedergemachk.
Der Leptere fagte aus, Jener habe darum fid, unwiffend ges”
ftelit, weil er in jener Gegend eine verheivathete Tochter has.
be; er ferbft aber wollte fie einen Weg führen, auf dem felbft
das Zugvieh fortkommen könnte.
Auf die Frage, ob nicht auch auf dieſem Wege an ir⸗
gend einer Stelle ſchwer durchzukommen ſey, antwortete er,
es ſey dort eine Bergſpitze, die man nothwendig vorher
nehmen müßte, um vorbei zu kommen. Man fand daher
für gut, die Hauptlente der Peltaſten und Hopliten zuſam⸗
menzurufen, ihnen die Lage der Dinge vorzuſtellen, und fle
34 fragen, ob Jemand von, ihnen den Muth babe, dorthin
freiwillig mitzuzichen.
Es erboten fich hiezu von den Hopliten zwei Arkadier,
Ariſtonymus aus Methydria und Agaſias aus Stymphalus,
Der Arkadier Kallimachus aus Parrhaſus ſtritt ſich mit ih⸗
nen, „Ich will,“ ſagte er, ‚den Zug allein übernehmen mit
Denen, die vom ganzen Heere mir folgen wollen; denn ich
weiß gewiß, daß, wenn ich ben Anführer mache ‚ Diele von
2
‚852 Xenophon’s Feldzug des. jüngern Chorus.
-
den Yüngeren mir folgen werben.‘ Man fragte weiter, ob
@iuer von den Befehlshabeyn Ber Gchlenderer und Bogen⸗
fchügen den Zug mitmachen wolle. Es erbot ſich hiezu Ari⸗
ftens aus Ghius, der bei foldyen Gelegenheiten dem Deere fehr
oft gute Dienfte leiſtete.
2. Schon begann es Abend zu werden, und man gab
Befehl, mit dem Eſſen zu eilen und ſogleich aufzubrechens
den Wegweiſer übergab man ihnen gebunden, und verabre⸗
dete, wenn ſie den Berggipfel genommen haͤtten, ſollten ſie
un die Nacht über beſeßt halten, mit Anbruch des Tages
«ber mit der Trompete ein Beichen geben, und gegen Dieje⸗
nigen, wolche den offenem Paß befest hielten, herayrüden;
fie wollten dann mit ber möglichften Schnelligkeit ihnen von
unten zu Hälfe fommen.
Nach diefer Verabredung traten ungefähr zweitaufend
Mann umter heftigen Regen den Zug an. Xenophon aber
führte die Nachhut gegen den offenen Gebirgsweg, um die
Aufmerkſamkeit des Feindes auf fi zu Wenden, und von
dem Zuge Derer, die an dem Gebirge Berumsingen, abzu⸗
zichen.
Als die Nachhut an die Schlucht: Fam, durch die man
zu feben hatte, um die Bergſpitze zu erfleigen, wären die
Barbaren große Felsftüde und kleinere Steine herab, bie an
den Golfen abpraiten, fe daß man fi dem Gebirgemege
durchaus nicht naͤhern konnto.
Ms es hier nicht möglich war, verfuchten einige Haupt⸗
leute auf amdern Puudten vorzudringen. Dieb thaten- fie,
bis os finſter wurde. Da fie nun glaubten, beim Ruͤckzuge
wicht mehr bemerkt zu werden, gingen fie zurüd, mm ibre
Viertes Buch. u 885
Abendmahlzeit zu halten; denn Manche vom Nachzug hatten
an diefem Zage noch gar Nichts zu ſich gensmmen. Die
Feinde aber fuhren bie ganze Nacht fort, Steine herabzu⸗
rolfen, wie ans dem, beiländigen Getöſe zu fchließen war.
Diejenigen aber, welche den Wegweifer bei ſich hatten,
zagen an dem Berge herum, und fliehen auf einem feindlichen
Poften, der beitm Feuer ſaß, machten Einige davon nieder
und jagten die Andern daron; fie ſelbſt aber beſeßten den
Pins, ‚in der Meinung, He hätten die höchſte Spitze gewon⸗
am. Dieß war aber nicht der Ball, ſondorn (le Hatten nad)
eine Beugfpige über ſich, an welcher der enge, von dem Feinde
beiehse, Weg vorüberlief; doch Fonnte man von Ba aus an
bie Yeimde kommen, die den offemen Gebivasweg bewachten.
Diee Nacht über blieben ‚fie hier fchn Wegen Yubruch -
vos Tages aber zogen he m: größter Stille in Schlachtord⸗
nam gegen den Feind, und gelangten unter dem Schube ei-
ned Nebels, ohne bemerkt zu werben, ganz in die Nähe
delſſelben.
Als fie einander anſichtig wurden, ſtieß man in die Trom⸗
pute, und die Hellenen gingen unser wildem Geſchrei auf die
Feinde los: Diefe warteten jedoch den Angriff nicht ab, fou⸗
dern verließen den Wag und flohen; es fielen nur Wenige,
denn fie waren fehr leicht zu Zub. Als Chiriſophus mis ſei⸗
nen. Bentew den Kfang der Tuompete veruahm, rückten fle fo⸗
gieich den offenen Gebisgeweg hinan. Audere Heerführer,
draugen anf ungebahnten Wegen vor, wo und wie es gehen
wollte, indem fe einander an ben Spießen emporzogen, und
vereinigten fidy fo zuerft mit Denen, die oben dem Gipfel ges
wonnen hatten.
\
854 Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus.
Tenophon ging mit der einen Hälfte des Nachzugs auf
demfelben Wege, den Die mit dem Wegweifer einfchiugen, vor
den Laftthieren her denn für fie war dieſer Weg der bes
quemfte), und ließ die andere Hälfte hinter denfelben gehen.
Wie fle fo fortzogen, ftießen fie auf eine Anhöhe, bie den
eg beherrfchte, und von den Feinden befebt war; wollten
fie fi nun nicht von dem fibrigen Heere trennen Taflen, fo
mußten Diefe von da geworfen werben,
Sie häften nun zwar denfelben Meg nehmen können,
welchen die Webrigen eingefchlagen hatten; allein die Laſt⸗
thiere vermochten nur anf dieſem Wege fortzubommen. Sie
fprachen ſich gegenfeitig Dinth ein, und rückten in Kolonnen
den Berg hinan, doch nicht von alfen Seiten, um dem Fein⸗
de, wenn er fliehen wollte, einen Weg offen zu laffen. So
ange fie nun, wo und wie fle konnten, heranrückten, fchoßen
and warfen die Barbaren; als fie aber näher kamen, nah⸗
men fie die Flucht umd verließen den Play. Als fie über
diefe Anhöhe hinweggekommen waren, bemerften fie noch eine
zweite, welche genommen werden mußte,
Da nun aber Zenophon bedachte, die Feinde koönnten,
wenn man die Anhöhe völlig entblösſte, biefe wieder ein⸗
nehmen und den vorüberziehenden Troß angreifen, dev wegen
der engen Wege in einem Fangen Zuge daherkam, fo lieh er
den Athener Eephifodsrus, Cephiſophon's Sohn, und Amphi⸗
trates, den Sohn des Amppidsmus, nebft dem verbannten
Argiver Archagoras, mit ihren Leuten auf dem Hügel zuräds
er. ſelbſt rückte mit der übrigen Mannfchaft gegen die zweite
Anhöhe und nahm fie auf diefelbe Art.
Viertes Buch. 355
Noch war ihnen eine dritte Berghöhe übrig, und zwar
dei weitem die fleilfte, die über dem von den Sreiwilligen
diefer Nacht überfallenen Feldpoften lag. Als aber die Hels
lenen nahe kamen, verließen die Barbaren zu Jedermanns
Erflaunen den Pla, ohne ſich in einen Kampf einzulafien.
Man vermuthete, die Furcht, eingefchloffen zu werden, habe -
fie dazu vermocht. Allein fie hatten von der Höhe herab ge⸗
fehen, was im Rüden der Hellenen vorging, und warfen fich
aun Alle auf die Nachhut. |
Xenophon flieg nun mit den Jüngſten die Bergfpibe hin:
an, und befahl den Webrigen, langſam zu folgen, damit die
legten Zochen [Kompagnien) fidy mit ihnen vereinigen könn⸗
ten, und dann auf den Weg herab vorzurüden, und auf ber
Ebene Halt zu machen.
Während deffen Kam der Argiver Archagoras geflohen,
und brachte die Nachricht, daß fie vom Hügel geworfen, und
Gephifodsrns, Amphitrates und Andere, welche ſich nicht
durch einen Sprung vom Felfen zum Nachtrab gerettet häfz
ten, geblieben wären.
Nachdem die Feinde Dieb ausgeführt hatten, befeuten fie -
die der Bergſpitze gegenüber liegende Unhöhe, und Kenophon
ließ ihnen durch einen Dolmeticher einen Vertrag anbieten,
und die Todten abfordern. Sie verfpradyen, fie auszuliefern,
unter der Bedingung, daß man die Dörfer nicht abbrennte,
Dieß bewilligte Zenophon. Während das übrige Heer vor:
überzog, und Zenophon unterhandelte, liefen alle Barbaren
vom dritten Hügel zufammen und ſtellten ſich auf der An⸗
höhe auf. u —
Sh6 Xenophon's Zellzug Bes füngern Cyrus.
Da man nun aufs, ſich von der Beupfpige zw. Denen
harabzuziehen, welche auf der Gbene Hk gemacht hatten,
ſtürzten die Feinde in großer Auzahl mit wilden Geſchvei
anf fie los, und als fie auf dem Gipſel des Berges: kamen,
von welchem Xenophon herabgezogen war, wälzten fle Fels⸗
ſtude hevab, und zerfcimesterten @inem den Scheubel; Xens⸗
phon war vor feinen Schilbdträgor mis: dem Schalde vorlaſſon
worden, aber Eurylochns aus Lufl in Arbadien, ein Hoplite,
Tief herbei und deckte ihn und fid, mit ben Schild; und fe
bamen fie mit den Andern ghücllich bei ber unter ben Waf⸗
ten ſtehenden Heerabtheilung an.
Hierauf veveinigte ich bad Heer der Hellenen und bezog
Ye vielen ſchönen Häͤuſer daſekbſt, wo fie Lebensmittel im
Ueberfluß fanden; fo war der Wein in folder Dienge vor⸗
handen, daß fie ihn in ausgetünchten Kellern anfbewahrten.
Kenophon und Ehirifophus brachten es dadin, daß fe ihre
Todten gegen den Wegweifer ausgeliefert erbielten. Gie ers
wisfen nun den Gebtiebenen nach ben Umflänten ale bie
Ehre, welche braven Männern gebührt.
Am folgenden Tage zogen fe ohne Wegweifer weiters
ber Feind ſuchte ihnen durch Angriffe und Befesung ber Enge
päffe fortwährend ben Durchzug zu vermehren. So oft fie
nun ben Heereszug vorn aufhielten, erſtieg Kenophon mit dee
Nachhut vie Berge, umd eroͤffuete dadurch, daß er bie Höhe
über den Feinden zum gewinnen fuchte, der Verhut den Durchs
gang; wurden fie von hinten angegriffen, fo flieg Ehirifophars
hinan, um dem Feinde die Höhe abzugewinnen, und machte
dem Nachzug freie Bahn. So kamen fie ſich gegenfeitig zw
Huͤlfe, und leiſteten einander kraäftigen Beiſtand.
Viertes Baich. gr
. Über wie: die Feimde ihnen beiem Himanſteigen viel zw
ſchaffen machten, fo thaten fie. es auch. bei’m Hinabſteigenz
‚denn fie waren fo beheude, daß fie, ba fle mr mit Bogen
md Schleudern bewaffnet waren, wenn: man ihnem auch
ſchon fehr nahe auf dem Leibe war, dennech ewsrannen. Da⸗
bei waren fie treffliche Pogemihäben; ihre Bogen hatten
eine Länge von fat drei Eller,“) und ihre Pfeile von mehr
als zwei. Sie zogen, wen fie (ofen, bie Beme, die fie
wit dem linken Fuße fpannten, bis an beit underſten Theit
dos Bogens.**) Die Pfeile drangen durch Schild und Pan⸗
zer; wenn bie Sellenen ihrer habhaft wurden, verfahen -fld
viefelben mis Riemen und gebrauchten fie atd Wuwſpieße.
In diefen Gegenden thaten Die Kreter fehr ante Dientte,
Hr. Anführer war Stratobles aus Kveta,
3. Diefen Tag blieben fie in den Dörfern über ber ESbe⸗
ne, die ſich am Flbufſe Centrites **) Hinsicht, weicher zwei
Plethren breit it, und die Graͤnze zwifchen Armenien une
dem Lande der Karduchen madt, und ruhten and. Der Faß
war von den Karduchiſchen Gebivgen ſechs bis ſieben Eltanien
ontfernt.
In dem Beſitze der Lebeusmittel und in der Erinnerung
on die überſtandenen Mühſeligkeiten genoßen fle bier die an⸗
genehmſte Erholung. Denn fie hatten fieben wolle Tage, in
+). Naͤmlich Helleniſche, ober sie Länge bed Arms vom Eifkogen
bis an tie Spitze des Mittelfingers.
+4) Diefe Bogen müßen alfo einen Schaft, wie bie Arubruſt, ge⸗
habt haben.
“ Dev Flug Nicephorius der Mmer, heut zu Tage Ras
bupr oder Khabur. Mol. J, 4.
858 Zenophon’s Feldzug des füngern Cyrus.
welchen fie durch das Gebiet ber Karduchen gezogen waren,
in beſtaͤndigen Kämpfen zugebracht, und einen größern Ver⸗
Inf gehabt, als weder der König, noch Tiffaphernes ihnen
zugefügt hatte. Bon aller diefer Noth befreit, übertießen fie
ſich nun der füßeften Nachtruhe.
Mit Tagesanbruch aber erblickten fle jenfeits des Fluſſes
Reiterei in Waffenrüſtung ſtehn, welche Miene machte, ihnen
den Uebergang zu verwehren, und oberhalb dieſer auf den
Anbohen am Geſtade hin Fußvolk aufgeſtellt, um ſich ihrem
Einmarſch in Armenien zu widerſetzen. Dieß wareı Sold⸗
truppen des Orontas und Artuchas, und beſtanden aus Ar⸗
meniern, Mardoniern*) und Chaldäern. Die Letztern, ber
Erzählung nach ein unabhängiges, ſtreitbares Volk, trugen
Lange geflochtene Schilde und Lauzen. Die Anhöhen, auf wel⸗
chen fie flanden, .waren drei bis vier Plethren vom Fluſſe
entfernt; einen einzigen Weg fah man, der hinaufführte und
von Menfchenhänden gebahnt zu ſeyn fchien. Hier verfuchten
die Helienen den Uebergang. Als fie aber fanden ‚daß ihnen
das Waſſer über die Bruft ging, und große und fchlüpfrige
Steine den "Grund unfiher machten, auch die Waffen im
Waſſer nicht gehalten werden Eonnten, weil der Strom zu
reißend war, und man fi, wollte man fie auf dem Kopfe
ragen, den Pfeilen und andern Gefchoßen bloß gab, fo kebr⸗
ten ſie um und lagerten ſich am Fluß.
Da ſahen ſie nun, daß auf dem Berge, auf welchem ſie
die vorige Nacht geſtanden hatten, viele Karduchen ſich be⸗
waffnet zuſammen gezogen hatten. Bei dieſem Anblick wur⸗
*) Sonft Marder genannt; fie wohnten am Laſpiſchen Meer
in der Naͤhe der Hyrkanier.
Viertes Buch. 889
den die Hellenen ſehr kleinmüthig: vor ſich ſahen . fte die
Schwierigkeiten des Uebergangs, und den Feind, Ber ihn u
vermehren gedachte, und von hinten die Karduchen bereit,
fie bei’m Ueberſehen von hinten anzugreifen. Sie blieben
alfo diefen Zag und die folgende Nacht in großer Berüms
merniß ftehen. Da hafte Kenophon einen Traum: es kam ihm
por, ale ob er gefeffelt waͤre; allein die Feſſeln fprangen, fo
Daß er frei hingehen Eonnte, wohin er wollte.
Als der Morgen graufe, ging er zu Ehirifophus und
fagte ihm, er habe alfe Hoffnung, daß es aut gehen wiirde,
und erzählte ihm feinen Traum. Diefer freute fich Tehr;
und fobald- der Tag anbrach, opferten alle anwefenden Anfühs
rer. Die Dpfer waren gleich anfangs günftig., Die Anfüh⸗
rer und Haupfleute gingen auseinander, und gaben darauf
den Befehl zur Morgenmahrzeit.
Während Kenophon fpeiste, Kamen eilig zwei Jünglinge
gu ihm; denn Alle mußten, daß man ihn Vormittags und
Abends beim Eſſen fprechen und Nachts aufweden durfte,
wenn man ihm Etwas in Betreff ded Krieges zu fagen hatte.
Sie meldeten ihm: „wir waren eben befchäftigt, Reisholz
zum Feier zufammenzulefen, ald wir einen alten Mann mit
einer Fran und einigen Dienftmäbchen jenfeits des Flufſes
gewahr wurden, welche auf den an den Fluß ftoßenden Felfen
Mantelfäde mit Kleidungsftücden in eine Felſenhoͤhle legten.
Da kamen wir auf den Gedanken, daß man hier vieleicht
she Gefahr über den Fluß feben könnte; denn biefe Stelle
ift der feindlichen Reiterei unzugänglih. Wir zogen uns
ans und fliegen mit gezogenen Schwertern in den Fluß, um
hinüberaufchwimmen, Kamen aber hinüber, ohne den Gürtel
9 RXenophon's Felozug des jangern Cyrus.
zu beneßen, nahmen dann unſre Kleidungzsſtäcke za ums u
Bahrten zurück.“
Oogleich gab Xenophon ein Trankopfer aus, und hieß auch
die. Zünglinge einschenten, und zu den Goͤttern, bie den Traum
und bie Furth gezeigt, beten, daß ſie auch das Hebuige gluc-
lich endigen ließen.
Nach vollbrachtem Trankopfer führte er die Tüngkiuge u
Ehirifophus, dem fie. Daffelbe erzählten. DaChiriſonhus Dieß
hörte, brachte auch er ein Zrankopfer aus. Herauf befahlen
be den Andern, ſich nmefchfentig zu halten, viefen die Anfühs
vor zuſaemmen, und beriethen fi, wie mas Den UNebergang
am beiten beworkſtolligen und die Feinde wor ſich beilegen
möchte, ohne von Denen im Nüden Schaben zu keiden.
Dan warb einig: Chiriſophus follte mit der Hälfte des
Heeres voranziehen, Xenophon aber mit der andern Hälfte
‚warden, ımb der Troße mit dem Oepäcke den Mittelzug bilden.
Als Dieſes in. Richtigkeit war, traten fie unter Fuͤhenng
der Fünglinge.den Zug den Fluß zum Linken au; der WBeg- bie
zu ber Furth betrug vier Stadien.
Während des Zuges bewegten fid, auch die feindlichen
Geſchwader am Ufer him Als fie an der Furth und den
haben Ufern dos Fluſſes waren, fleliten fie ch in Schlacht⸗
subnumg Chiriſophus war des Erfte, der ſich bekraͤnzte, *)
enftteibete und fo die Waffern wieder zur Hand nahm, usb
bau Andern win Gleiches zu thun bafahl. Die Hauptleutr
ließ er ſich in Marſchkolennen zur NRochtoen und Türken diehen.
*) Mack der Sitte der Spavtaner, weun ſie in die Schlachten
gingen.
BViertes Vuch. 864
Die Seher ſchlachteten die Opferthiere in den Fluß; die
Feinde dagegen ſchoßen und ſchleuderten, konnten ſie aber
nicht erreichen. Als das Opfer Gläück verkündete, ſtimmte
das ganze Heer den Schlachtgeſang an, und jauchzte ſich zu,
und alle Weiber — es gab eine Menge Buhldirnen bertm
Heere — ftimmten mit ein.
Chiriſophus flieg num mit feinen Leuten in den Fluß;
Kenophon aber nahm die leichteſten Zruppen vom Nachzug
und eilte aus alien Kräften an die Stelle des Ufers zurüd,
die dem aufwärts über die Armeniſchen Berge führenden Paffe
gegenüber lag, und gab fich das Anſehen, als wollte er hier
überfeben, und die Reiterei am Fluſſe abfchneiden.
Als die Feinde nun das Heer unter Chiriſophus mit ſok⸗
cher Leichtigkeit über den Fluß feben und Xenophon mit fof-
cher Eile zurädtaufen fahen, befürchfeten fie, abgefchniften zu
werden, und flohen nad) Leibesträften dem Wege zu, der von
dem Fluffe aufwärts führte. Hier angefommen zogen ſie ſich
noch weiter nach dem Gebirge zurüd.,
Als Lycius, der Berehlshaber des Reitergefchwaders, und
Aeſchines, welder die Peltaften bei Chiriſophus befehligte,
fahen, daß der Feind aus vollen Kräften floh, festen fle nady,
und die Soldaten riefen, fie wolkten nicht zurückbleiben, ſon⸗
dern mit ihnen ben Berg erfleigen.
Epirifophus aber, nachdem er über den Fluß gegangen
war, verfolgte die Reiter nicht, fondern rückte fogleich auf -
diejenigen Feinde los, welche auf den vom Ufer aufſteigenden
Anhöhen fanden. Als Die oben ihre Reiterei auf der Flucht,
und Hopliten gegen fih im Anzuge fahen, fo verließen fie
die Anhöhen über dem Flufſſe.
862 RXenophon's Feldzug des jüngern Cyrus.
Als Xenophon bemerkte, daß jenſeits des Ufers Alles
gut ging, zog er fic) eilig auf das überſetzende Heer zurück;
denn man fah die Karduchen fchon auf -die Ebene herabzie=
ben, um dev Nachhut in den Rüden zu fallen Chirifophus
hatte die Unhöhen gewonnen, Lycius mit. weniger Mannfchaft
den Feind verfolgt, wobei er die Außerflen Parwagen, und
auf dieſen fchöne Kleidungsflüde nebſt Trinkgefchirren erbeu⸗
- tete.
Eben war der Troß der Hellenen mit dem Gepäde im
Uebergang begriffen, als fid) Kenophon wandte, gegen die
Karduchen rüdte, und den Hauptleuten befahl, jeden Lochos
[Kompagnie] in vier Züge zu theilen, dieſe dann linkshin in
die Schlachklinie eiurüden zu laflen; die Hauptleute und
Zührer der Viertelzüge follten fodann gegen die Karduchen
anrücen, die Führer der Nachhut aber am Ufer ftehen bleiben.
As die Karduchen bemerkten, daß die Nachhut, vom
Troffe getrennt, nur aus weniger Mannfchaft befland, fo
rückten fie unter Anſtimmung einiger Lieder in großer Eile
gegen fie heran. Da ſchickte Ehirifophus, felbft in Sicher:
heit, die Peltaften, Scyleuderer und Bogenfchügen zu Xeno⸗
phon, und befahl ihnen zu thun, was Dieſer fagen würde.
Ars fie Kenophon über den Fluß kommen fah, ließ er
ihnen fagen, fie follten am Fluſſe flehen bleiben, und nicht
über denfelben kommen; wann er felbft. aber mit feinen Leu:
ten anfinge überzufesen, dang follfen fie. mit angelegtem
Wurffpieß und gefpanntem Bogen in den Fluß enfgegenrücen,
ohne jedoch zu weit in den Fluß ſich zu wagen.
Seinen Leuten befahl er, wenn ihre Schilde vom Wurfe
ber Schleuder erklaͤngen, den Schlachtgefang anzuflimmen und
-
Viertes Bud), 863
ſtracks auf den Feind loszurennen; würde Diefer den Rüden
ehren, und vom Fluſſe her die Trompete dad Zeichen zum
Angriff geben, fo foltten fie ſich rechtsum ſchwenken und mit
der Nachhut das WVorbertreffen bilden, Alte aber, Jeder. in
feiner Ordnung, damit fie einander nicht hinderlich würden,
in vollem Laufe über den Fluß ſetzen; und Der follte der
Bravſte fenn, der zuerft das jenfeltige Ufer erreichte. -
Da aber die Karduchen fahen, daß nur noch wenige
Mannfchaft auf dem bieffeifigen Ufer ſtand (denn auch Diele
von Denen, die Befehl Hatten, ſtehen zu bleiben, waren weg⸗
gegangen, um für das Zugrieh, dad Gepäde, oder wohl auch
für ihre Dirnen zu forgen), thaten fie einen kühnen Angriff
auf fie und begannen zu fchleudern und zu fchießen. Die
Hellenen flimmten den Schlacdhtgefang an und rückten in vol⸗
Tem Laufe auf die Feinde los. Allein Diefe erwarteten den
Angriff nichts denn als Gebirgsbewohner waren fie zwar
tüchtig zum Anlauf und zur Flucht, zum Handgemenge aber
durchaus nicht geeignet. _
Während deſſen erflang die Trompete, und die Feinde
flohen noch viel eilfertiger ; die Hellenen aber kehrten um und
eiften, fo ſchnell fie Fonnten, über den Fluß. Einige von den
Feinden, die es gewahr wurden, liefen wieder gegen den Fluß
und verwundeten Einige mit Pfeilenz den größten Theil aber
fah man, als die Hellenen fchon auf dem jenfeitigen Ufer was
ren, nody auf der Sucht begriffen. Die Hellenen am andern
Ufer Tießen fi, durch ihren Muth verleiten, zu weit vorzus
dringen, und kamen erſt nach den Leuten des Kenophon über
den Fluß; und fo wurden auch von ihnen Einige verwundert,
864 Xenophon’s Feldzug des jüngern Eyrus.
4. Als fie num über den Fluß geſetzt Hatten, zogen fie
— es war um Mittagszeit — in Schlachtordnung durch Armes
wien bin, über lauter flaches Land und fanfte Anhöhen, eine
Strede von nicht weniger als fünf Parafangen; denn ed wa⸗
zen in der Nähe wegen der Kriege mit den Kardudyen keine
Dörfer.
“Das Dorf, in weiches fie jebt famen, war groß, und
hatte ein Schloß für den Satrapen, und auf dan meiften
Hänfern Thürme. Lebensmittel fand man im Ueberfluß.
Don hier aus. Tegten fle in zwei Tagmaͤrſchen zehen Pa:
raſangen zurüd, und kamen fo über die Quellen des Tigrig *)
hinaus. In weitern drei Zagmärfchen, fünfzehn Parafans
gen, gelangten fie an den Fluß Teleboas. *) Um diefen
zwar nicht großen; aber anmuthigen Fluß lagen viele Dörfer.
Die Landfchaft hieß das weftliche Armenien.
Statthalter über fie war Tiribazus, ein Freund des Kö⸗
nis, der, fo oft Jener zugegen war, von ihm bas Pferd fich
Halten ließ. -
Diefer Fam mit Reiterei den Hellenen entgegen, fandte
einen Dolmetfcher voraus und ließ ihnen fagen, daß er die
Heerführer zu fprechen wünfche. Man befchloß, ihn zu hören;
und nachdem fie in die Hörweite gekommen , fragten fie ihn,
was er begehre., Er erwiederte, er wolle einen Vertrag mie
ihnen fchließen, zu Folge deffen er ſich verpflichte, den Helles
nen Nichts zu Leide zu thun, uud ihnen die nöthigen Lebens
5) Nach Kinneir und Nenner ift ed ein Arm ded Tigris, Erzin
‚ vder Arzen.
**) Ehemals Arfanias, Arfanius, Arfinus, Omiras,
nach Nitter der Heutige Akſu.
Viertee Buch. 865
mittel zu reichen, wenn fle dagegen die Häufer nicht anzu-
zünden verfprächen.. Die -Heerführer gingen darauf ein und
fchloßen einen Vertrag mit ihm.
Don da zogen fie in drei "Tagen fünfzehn Parafangen
weit durd, die Ebene hin; Tiribazus zog in einer Entfernung
von zehen Stadien mit feiner Heeresmacht neben ihnen her,
und fo Famen fle bei Schiöffern au, in deren Nähe viele
reichlich mit Lebensmitteln verfehene Dörfer Tagen.
Als fie ein Lager bezogen hatten, fiel ded Nachts viefer
Schnee; man beſchloß daher am frühen Morgen, die Trup⸗
pen mit ihren Anführern auf den Dörfern zu vertheilen;
denn fie fahen Leinen Feind, und glaubten ſich ſchon wegen
des vielen Schnee’s fiher. Sie fanden bier alle nöthigen
Lebensmittel in vorzügliher Güte, Schlachtvieh, Getreide,
alte, gewürzhafte Weine, Roſinen und Hülfenfrüchte aller
Art. Etliche aber von Denen, welche in einiger Entfernung
vom Heere herumgeftreift waren, brachten die Nachricht, daß
fie ein Heer entdeckt und bei Nacht viele Feuer gefehen
hätten. . .
Die Heerführer fanden es nicht rathſam, Tänger in ben
Quartieren zu bleiben, fondern fi, zufammenzuzichen. : Man
verfammelte fich demnach, um ſich fofort unter freiem Him⸗
wel zu lagern. *)
Ars fie num diefe Nacht unter freiem Himmel zubrachten,
fiel ein fo tiefer Schnee, daß er die Waffen und die auf dem
*). I nehme dad da bei daoxvar uno dutpragev
als Zeitmaß, ſo daß Kenophon das Duartier (oxnun)
vem freien Zimmer (aiIoLa) entgegenſetzt.
Renophon. 76 Bdqhn. 3
886: Xenophon's Feldzug des jüngern Cyrus.
Boden Tiegende Mannfchaft. überfchneite. Auch dad Vieh war
durch den Schnee wie in Feſſeln gelegt, und es war eine
große Verdroffenheit beim Aufftehen; denn fo lang man lag
und der Schnee nicht ablief, fühlte man ſich warn.
Are fid) aber Kenophon ermannte, unbekleidet aufzuftes
hen und Holz zu fpalten, erhob fi) fogleich ein Anderer, und
nahm ihm die Arbeit ab.
Da erhoken fich denn auch die Andern, zündeten Fener am:
und falbten fih; denn fie fanden hier einen großen Vorrath
Schweinefett, das fie fast des gewöhnlichen Oehls gebraudye
ten, und Salböhl aus Sefam, bittere Mandeln und Terebin⸗
then. Auch wohlriechende Salben, aus denfelben Beſtand⸗
theilen ‚gefertigt, fand man hier.
Nun faßte man den Entſchluß, ſich wieder in die Dörfer
einzulegen, und die Soldaten Tiefen unter großem Geſchret
and Jubel nad, den Häufern und ben Lebensmitteln; Welche
aber bei ihrem Abzug die Häufer in Brand geftedt hatten,
die mußten zur Strafe fih- unter freiem Himmel lagern.
Hierauf fandten fie zur Nachtzeit Demokrates aus Zar
menium *) mit einiger Mannfchaft gegen die Berge ab, wo
man die Feuer früher gefehen haben wollte; denn. diefer
Mann hatte fchon öfters in ähnlichen Füllen einen glanbwür⸗
digen, zuverläßigen Bericht erftattet. Er fah, wie er bei
feiner Rückkehr erzählte, keine Feuer, brachte aber einen Ge⸗
fangenen, der einen Perfifchen Bogen und Köcher nebſt eines
Streitart hatte, wie fie die Amazonen fragen.
Auf die Trage, woher er fey, antwortete er: er fey ein
Derfer, und komme aus des Tiribazus Lager, um Lebensmit⸗
*) Einer Stadt in der Landſchaft Argolis Im bftfichen Peloponnes,
Viertes Buch. 80
tet zu holen. Man fragte ihn weiter, wie flart das Herr
und wäs feine Beftimmung fey? Cr antwortete: das Her
des Tiribazus beftände aus feinen eigenen Truppen und an®
Chalybiſchen und Taochiſchen *) Miethſoldaten; es ſey feine
Abſticht, die Hellenen beim Uebergang über dad Gebirge, we’
nur ein einziger Weg fey, anzugreifen.
Auf diefe Nachricht befchloßen die Anführer, das’ Heer-
zuſammenzuziehen; dann ließen file unter dem Befehl des-
Shonphalierrs Sophänetus eine Befabung zurück, und mach⸗
ten ſich fogleicy unter der Führung des Gefangenen auf beit!
Wer. Als ſie über die Gebirge Famen, warteten’ die voraus⸗
ziehenden Peltaſten, als fie des [feindlichen] Lagers anſichtig
wurden, die Ankunft der Hopliten nicht ab, fondern Liefer mir‘
großem Geſchrei darauf los. |
Als die Feinde den Lärm vernahmen, hielten fie nicht
Stand, fondern flohen; doc blieben Einige von den: Barbası-
ren aufidem: Pape, und man erbentete außer etwa zwanzig:
Merden anch' das. Zelt des Ziribazus, worin man einfge
Ferebetten mit filbernen Füßen, Trinkgeſchirre und’ einige:
Lente fand, die fich für Bäder und Mundſchenken ausgaben.
Als Die die" Anführer der Hopkiten erfuhren, hieften fie
für rathſam, eiligſt fi auf das Lager zurückzuziehen, damit
der Feind nicht etwa die Zurückgebliebenen überfallen möchte.
Sogleih ward zum Rückzug geblafen, und man kam noch
defielden Tages wieder im Lager **) an.
27891. IV, 6.V. 5. Es waren Graͤnzvdlter von Armenien.
ꝛ) Die Hoͤhen, auf welchen Tiribazus überfallen wurde, lagen
nah Haken den Heilenenheer im Rüden, ver, Enopaß aber
*
868 Xenophon’s Feldzug des jungern Cyrus.
5. Am. folgenden Tage befchloß man, fo fchnell wie
möglidy vorzurüden, bevor das feindliche Heer ſich wieder
fammelte und den Engpaß wesnähme.
Sie brachen fogleich auf und zogen unter Führung vie:
Aer Wegweifer durdy tiefen Schnee, erftiegen noch an bemfel-
ben Tage die Höhe, auf welcher Ziribazus fle überfallen wollte,
und bezogen dafelbft ein Lager.
Bon hier zogen fie drei Tage, fünfzehn Parafangen, ohne
auf einen Ort zu floßen, an den Euphrat, *) über den fie
gingen, und nur bis an den Nabel naß wurden, weil, wie
es hieß, feine Quellen in der Nähe waren. Hierauf legten
fie in drei Tagen über eine mit tiefem Schnee bedeckte Edene
fünfzehn Parafangen zuräd,
Der dritte Tagmarfch war befchwerlich ; denn ein Nord⸗
wind, unter deffen Hauch Alles erfror und erftarrte, wehte
ihnen ‚entgegen. Da rieth Einer der Seher, dem Winde zu
‚opfern, *) und Alle glaubten deutlich zu fpüren, daß fich das
Scyneidende des Windes verloren habe. Der Schnee war
Haftertief, fo daß viele Laſtthiere, Sklaven und felbft gegen
dreißig vom Heere umkamen.
Gie unterhielten die Nacht über Zeuer, denn man fand
an dem Lagerplag Holz in Menge; nur Diejenigen, welche
nördlich ; fo daß das Heer bei feinem Ruͤckzug auf das Lager
eigentlich vorwärts ging.
*) Den ‚Öftlichen Euphrat, wo er aus den Saochalpen des Bing:
heut, durch die Engpaͤſſe der Provinz Khanuns in das zweite
weitere Stufenland der Moſchiſchen Ebenen hervorbricht. Rit⸗
ter’ $ Geogr. zw. Thl. ©. 757 — 760.
”*) Die Winde waren den Alten Gottheiten.
-
Biertes Buch. 869
fpäter einrücten, hatten keines mehr. Die, welche früher Pas
men nnd das Feuer angezündet hatten, ließen die Spätern
nicht zum Feuer zu, wenn fie ihnen nicht Weizen und an⸗
dere Eßwaaren dafür gaben. So theilten fie. nun einander
mit, was fie hatten. Wo das Feuer brannte, entftanden
durch das Schmelzen des Schnees tiefe Gruben bis auf ben
- Boden, fo daß man die Höhe des Schnees meflen konnte.
Bon hier aus zogen fie den ganzen folgenden Tag durch
den Schnee, und viele Menfchen fielen vor Heißhunger um.
' Kenophon, der die Nachhut führte, und fie liegen fah, wußte
anfangs nicht, wo ed ihnen fehlte. Als ihm aber Jemand,
der die Krankheit kannte, fagte, daß Dieb ſicherlich vom
Heißhunger Eomme, und fie, wenn fie was genößen, wieder
aufftehen würden, fo ging er zu den Vorrathswagen, und wo
er fonft etwas Eßbares auftreiben Eonnte, und theilte es aus,
oder fchickte Leute, die aut zu Fuße waren, um es ihnen zu
bringen. Als fle Etwas genoſſen hatten, fanden fle auf und
pr
jogen weiter.
Gegen Abend erreichte Chiriſophus ein Dorf, wo er vor-
der Befefligung Weiber und Mädchen traf, die bei einem
- Brunnen Wafler holten. Diefe fragten Lie Hellenen, Wer fie
wären. Der Dolmetfcher antwortete Perfifch: fie Fämen vom
Könige und wollten zum Satrapen. Sie antworteten, er fey
nicht hier, fondern flehe in einer Entfernung von einer Pas
rafange. Da es fchon fpät war, gingen fle mit den Waſſer⸗
trägerinnen hinein zum Ortsvorſteher. Chirifophus und Alle
vom Heere, welche ankommen konnten, nahmen dort ihr
Nachtlager; die Webrigen aber, die den Weg nicht vollends
zurücklegen konnten, mußten ohne Speife und Teuerung uns
.
870 Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus.
terwegs übernachten, wo denn einige Soldaten um's Leben
famen.
Eine Anzahl Feinde, welche fich wieder zufammengefuns
den hatten, folgte ihnen und raubte die Laſtthiere, die nicht
mehr weiter kommen konnten, worüber file ſelbſt unter ſich in
. Streit gerietben. Man mußte anch Einige vom Heere zu:
rücklaſſen, weil fle durdy den Schnee das Geficht verforen
batten, oder ihnen bei der Kälte die Zehen abgefroren waren.
Ein Mittel für die Augen gegen den Schnee war, wenn
man ſich auf dem Zuge etwad Schwarzes vor die Augen
hielt, und für die Füße, wenn man fie in beftändiger Bewe⸗
gung hielt, und des Nachts die Sohlen losband. Wer. Die
‚verfäunte, dem drückten fich die Riemen in die Füße ein,
und die Sohlen froren an; denn, als die alten verbraucht
‚ waren, hatten fie fid) Karbatinen *) aus frifchen Ochfenhänten
werfertigt.
Diefer Mühſeligkeiten wegen blieben Mehrere vom Heere
zurück, und da fie eine Stelle fanden, welche ſchwarz fchien,
weit kein Schnee auf ihr lag, vermutheten fie, er fey ges
. fchmolzen. Und dieß war auch wirktlih der Fall, da eine
‚worme. Quelle in einer nahen DBergfchlucht ſich befand; fle
wandten ſich alfo dahin von Wege ab, feuten fich nieder, und
wollten nidyt mehr weiter,
Als Tenophon mit dem Nachzug herankam, fuchte er: fie
durch alle Mittel und Künfte zu vermögen, nicht zurücktu⸗
bleiben, und flellte ihnen vor, wie der Feind in großer Au⸗
*) Eine Art Helleniſcher Bauernſchuhe, von den Kariern, ibgen
Erfindern, fo benannt.
Wierres Buch. 874
zahl ihnen auf dem Fuße folgte: zulebt ward er böfe; allein
fie erwiederten, er folite fie niederftoßen, fie könnten nicht
weiter kommen. -
Man hielt alfo fürs Beſte , den nachſetzenden Feinden
wo möglich Schrecken einzujagen, damit fie nicht über die
Müden herfallen möchten. Es war fchon finfter, als fie mit
großem ‚Getümmel heranrüdten; denn fie waren über ihre
Beute unter fidy in Streit gerathen. Da machten fi Dieje-
nigen vom Nachzug, tie noch bei Kräften waren, auf, und
ftürzten fi) auf die Feinde los; auch die Müden fchrieen aus
. Zeibesträften, und fließen mit den Lanzen an die Schilde. Die
Feinde erfchraten, Tiefen durd) den Schnee nach der Berg:
ſchlucht hin, und ließen Beinen Laut mehr von fich Hören.
Xenophon zog, nachdem er den Kranken die Veriicherung
gegeben, daß er am folgenden Morgen Einige zu ihnen abfens
den würde, mit feinen Leuten weiter und fließ, bevor ſie noch
vier Stadien hinter fid, hatten, auf Andere, die fi) einge:
hüllt hatten, und ohne eine Wache auszuftellen, im Schnee
auf dem Wege ausrunfen; man wollte fie wieder zum Auf⸗
ftehen bringen, fle fagten aber, daß die Vordern auch nicht
weiter gingen.
XRenophon ging vorbei und fandte die Eräftigiten Pelta-
sten ab, um zu fehen, was fie aufhalte, Sie brachten die
Nachricht, daß das ganze Heer ſich fo_gelagert habe. Run
Iagerte ſich auch Kenophon mit feinen Leuten und brachte fo,
‚nachdem fie, fo gut ed ging, Wachen aufgeftellt hatten, uns
gegeſſen und ohne Feuer anzuzänden, die Nucht zu. Gegen
‚Morgen fchicte Zenophan die Jüngfte Mannichaft zu den
Müden ab, mit dem Befehl, fle zum Aufbruch zu nöthigen.
872 Xenophon’s Feldzug bes jüngern Cyrus.
Während deffen fchickte auch Chiriſophus aus dem Dorfe, um
Nachricht einzuziehen, wie es mit dem Nachzuge flände. Sie
waren hier Außerft wilfommen; man ließ durch fie die Kran
ten in’d Lager bringens und nach einem Zuge von weniger
denn zwanzig Stadien traf man bei dem Dorfe ein, wo Chi⸗
rifophus ftand. Nach ihrer Bereinigung ward für gut be=
funden, die Truppen in die Dörfer zu verlegen, Chiriſophus
blieb, wo er war, die Andern aber Iofeten um die Dörfer,
die fie vor fih fahen, und rüdten danı dahin, wo fie das
Loos hinführte.
Da verlangte der Hauptmann Polykrated aus. Athen, -
man follte ihn vorrüden laffen; er warf fich mit einer Abs
theilung leichter Truppen anf das Dorf, Bas Kenophon durches
2008 zugefallen war, und hob alle Dorfbewohner nebft dem
Ortsvorſteher auf; auch befam er ſiebzehn Füllen, die zum
Zribut für den König beſtimmt waren, und die Tochter des
Drtsvorftehers, die erft feit neun Tagen verheirathet war, in
feine Gewalt. Ihr Dann war auf die Hafenjagd gegangen,
und ward nicht in den Dörfern getroffen.
Die Wohnungen waren unter der Erde, am @ingang
eng, wie ein Brunnenfody, nad) unten aber geräumig. Die
Eingänge für’ Vieh waren gegraben, die Menfchen aber flies
gen auf Leitern hinab. In den Häufern befanden fich Zie⸗
gen, Schafe, Rinder, Federvieh nebft den Zungen berfelben.
Das Vieh ward fämmtlicd, unten gefüttert. Man fand andy
- Weizen, Gerfte, Hülfenfrücdhte und Gerſtenwein, *) den man
*) Niebuhr fand in Egypten und Armenien dus Gerftenbier
noch uͤblich, und in Armenien ſogar noch die Sitte, es aus
großen Toͤpfen vermittelſt eines Rohrs zu trinken. Auch
Viertes Bud). 873
in großen Keſſeln aufbewahrte. Die ganzen Gerſtenkörner
ſchwammen oben dem Rande gleich; ed waren deßhalb größere
und Eleinere Halmröhren barin, bie keine Sinoten hatten.
Mer nun Luft zu trinken Hatte, ber nahm fie in den Mund
und ſog. Das Getränke war fehr flarf, wenn man nicht
Waſſer beimifchte, und für Den, der fid, daran gewöhnen
konnte, Außerft angenehm.
Xenophon 309 den Drtsvorfteher an feine Tafel und hieß
ihn auten-Muthes feyn, indem er ihn verficherte, man würde
ihn feiner Kinder nicht berauben, und ihm beim Abzuge das
Haus mit Lebensmitteln füllen, wenn er dem Heere gute
Dienfte Ieiften würde, bis fie bei einem andern Wolfe anges
kommen feyn würden. Er verfprad’s, und um feinen guten
Willen zu zeigen, gab er an, wo Wein vergraben war. Go
brachten nun die Hellenen diefe Nacht unter Dach und im
Ueberfluſſe zu, hielten den Drtsvorfteher in ſicherem Gewahr⸗
fam, und ließen auch feine Kinder nicht außer Augen.
Am folgenden Tage begab ſich Zenophon mit dem Orts:
vorfleher zu Chiriſophus; in jedem Dorf, an welches er Fam,
Sehrte er ein, und traf allenthalben die Soldaten fröhlich und
guter Dinge, und nirgends Tieß. man fie fort, ohne ihnen ein
Frühſtück vorzufesen. Da fand man einen Zifch, der nicht
mit LZämmerfleifch, Ziegenfleiſch, Schweinefleifch, Karbfleifch,
"Geflügel, mit Weizens und Gerſtenbrod reichlich beſetzt war.
Wenn Einer dem Andern zutrinten wollte, fo 309 er ihn
zu dem Keffel, über den er ſich bücken und gleich einem
— —“
die Araber trinken nach Niebuhr ein weißes und dickes
Getraͤnk aus Mehl, eine Art Bier, Buſa genannt.
— — — — —
3874 Xenophon’s Feldzug des füngern Cyrus.
Ninde fchtärfen mußte. Auch dem Ortsvorftcher erlaubten
‚fie, zu nehmen, was ihm belichte. Er genoß aber Nichts;
wenn er jedoch einen Verwandten fah, fo nahm er ihn zu ſich.
Als fie bei Chiriſophus ankamen, fanden fie auch bier
Alles bei'm Schmanfe mit Heutränzen geſchmückt und ven
Armeniſchen Knaben in barbarifher Tracht bedient: ben
Knaben aber gaben fie wie Taubſtummen durch Seichen zu
verfichen, was fie wollten. Als Chiriſophus und Kenophon
fi) bewillkommt hatten, fragten fie Beide vermittelt bed Per:
fifchen Dolmetfchers den Ortsvorſteher, wie das Land. heiße,
Er antwortete: ‚Armenien. Dann fragten fie ihn weiter,
für Wen die Pferde gezogen würden. „Als Tribut für den
König,” war feine Antwort, „Das angränzende Land,‘ fuhr
er fort, ‚gehöre den Ehalvbern,“ und beſchrieb ihnen zugleich
den Weg.
Hierauf brachte ihn Xeuophon wieder zu den Seinigen
zurück und ſchenkte ihm ein ſchon etwas altes Beutepferd,
um ihm fleißig abzuwarten und es dann ald Dpfer zu ſchlachten.
Er hatte nämlich vernommen, daß ed der Sonne geheiligt
feys und da es durch den Zug fehr mitgenommen war, be
fürchtete er, es möchte darauf gehen. Er felbft nahm eines
der Füllen, und gab auch jedem Heerführer und Hauptmann
eined. Die Pferde hier zu Land waren zwar Pleiner als bie
- perüifchen, aber weit muthiger. Hierauf gab ihnen der Orts⸗
vorfteher die Anweifung, den Pferden und dem BZugpieh
Beutel um die Füße zu binden, wenn es über den Schnee
ginge; denn ohne diefe Vorkehrung fielen fle bis an den Bauch
hinein.
Wiertes Buch. 1885
6. Am achten Tage übergab er den Ortsvorſteher als
Wegweiſer dem Ehirifophus, and ließ ihm alle feine Angehoͤ⸗
rigen außer feinem Sohne, der eben in die Jünglingsjahre
trat. Er gab ihn dem Epifthened aus Amphipolis in Ders
wahrung, und der Vater follte ihn, wenn er ald Wegweifer
feine Pflicht gethan hätte, ‚wieder mit fid nehmen dürfen.
Auch ward fein Haus mit Allem aufs reichlichſte verſehen;
dann brach man auf und zog weiter.
Der Ortsvorſteher zog ungefeſſelt in dem Schnee vor ih⸗
nen her. Schon waren ſie auf dem dritten Tagmarſch, als
Chiriſophus über ihn böſe ward, daß er fie in keine Dörfer
“ führte. Er fagte zwar, baß es im diefer Gegend keine gäbe,
altein Chiriſophus ſchlug ihn, ließ ihn aber nicht feſſeln.
Hierauf lief der Mann Nachts fort, und ließ feinen Sohn
im Stich. Dieß war während des ganzen Zuges das einzige
Mal, daß Kenophon mit Chiriſophus in Zwilt gerieth, und
zwar wegen der übeln Behandlung ded Wegweifers und fei:
ner Unachtfamkeit. Epifthenes aber gewann den jungen Mens '
fchen lieb, und nahm ihn mit nad) Hellas, wo er ihm. äußerft
treu und ergeben war,
Hierauf zogen fie in fieben Tagmaͤrſchen, täglichen fünf
Darafangen, länge dem Fınfle Dhafis, *) der eine Breite von
” Dieb ift nicht der bekannte Phaſis des alten Kolchis, der ſich
in's ſchwarze Meer ergießt, ſondern der Fluß Araxes (jedoch
nicht der oben I, 4. aufgefuͤhrte, ſondern Araſch). Es wäre
uͤbrigens vergebliche Muͤhe, den Zug der Hellenen nach ver⸗
lorenem Fuͤhrer genau nachweiſen zu wollen. Nach Halb⸗
kart zogen ſie an ſeinen Ufern hin, bis ſie an eine Furth
deſſelben kamen, und gingen etwa in der Naͤhe von Artaxata,
wo auch der Roͤmiſche Feldherr Corbulo hinuͤberging, uͤber
876 Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus.
einem Plethron hat. Nachdem fie von da zwei Tagmärfche,
zehen Parafangen, weiter gezogen waren, ftellten ſich ihnen
auf einem Berge, über welchen der Weg nach der jenfeitigen
Ehene fuͤhrte, die Ehalyben, Taochen und Phaſianen u ent⸗
gegen.
Beim Anblick der Feinde auf der Höhe ließ Chiriſophus
in einer Entfernung von ungefähr breißig Stadien Halt mas
chen, damit dad Heer nicht in fo langem Zuge fi ihnen
näherte er ließ daher an die übrigen Anführer die Weifung
ergehen, die Lochen KKompagnien] neben einander räden zu
laſſen, damit das ganze Heer eine Phalanı bildete. Als
auch die Nachhut angelangt war, berief er Anführer und
-Hauptleute zufammen und trug ihnen vor: „Der Feind Hält, -
wie Ihr fehet, die Webergänge über das Gebirge befeht; laßt
uns nun zu Mathe gehen, wie wir aufs rühmlichſte uns mit
ihm meffen. Mein Vorfchlag ift, wir geben dem Heer den
Befehl, die Morgenmahlzeit einzunehmen, und beratken ung,
ob wir heute oder morgen über das Gebirge feben wollen.‘
„Ich bin der Meinung,‘ verfehte Kleanor, „wir neh:
men fogleic, das Morgenbrod und gehn dann ſchleunig uf
die Feinde los; denn zögern wir heute noch, fo ſteigt dem
——
denfelden; fo daß fie dann von Oſten her. an den Harpams
gelangten. Diefer Fluß mochte auf einer gewiffen Strecke
den Namen Phaſis führen, und fo dem Molke der Phaſianen
sen Namen geben. Doc ferien ſelbſt Kenophon nicht zu
wiſſen, daß diefer Phaſis nicht der Kolchiſche war. .
+) Die beiden erftern Voͤlter waren unabhängig, die Phaſianen
aber, nad Nenner die Bewohner ber Landfchaft Paſſin,
waren Perſiſche Uinterthanen.
— u — —
— — — — —
Viertes Buch. 7.877
Feinde, der uns vor fid, fieht, der Muth; und wenn er
Muth zeigt, fo werden ſich Leicht noch Mehrere verſammeln.“
Nach Dieſem fprad) Kenophon: ‚‚meine Meinung ift die:
thut es Noth, zu kämpfen, fo müßen wir Maßregeln treffen,
uns aufs tapferfte zu ſchlagen; wollen wir auf die leichteſte
Art über den Berg Eommen, fo mäßen wir darauf fehen,
wie wir die wenigften Wunden empfangen, und die wenigften -
Lente verlieren, Das Gebirge, weldyes wir vor uns haben,
erſtreckt ſich über fechzig Stadien weit, und nirgends fehen
wir es von Feinden bewacht als gerade am Wege. Nun ift
es viel .befier, anf irgend einem unbewachten Punkte des Ber:
ges ſich durch zuſtehlen, und fl da, wo möglich, ‚vor ihnen
feftzufepen, als einen Derfuc gegen die feften Poften und
den gerüfteten Feind zu wagen. Denn es ift doch weit leich⸗
ter, ohne Kampf bergauf, als von Feinden umringt auf der
Ebene zu ziehen; und bei Nacht fieht man, wenn man nicht
kaͤmpfen darf, beſſer vor fi, als bei Tage, wenn man ſich
der Angriffe des Feindes zu erwehren hat. Auch befreunden
fih die Füße weit leichter mit dem rauhen Weg, als mit
dem ebenen, wenn man nach ben. Köpfen wirft. Es fcheint
mir and) nicht unmöglich, ſich Hinaufzuftehlen, da man ſich
bei Nacht auf den Weg machen und fo weit abgehen kann,
daß fie uns nicht auf die Spur kommen werden. Machen
wir einen verftellten Angriff auf diefen Punkt, fo werben
wir, hoffe id, den Übrigen Theil ded Berges um fo weniger
bewacht finden, da die Feinde mehr hier beifammen bleiben
werden. — Doch was fpreche ich vom Stehlen, Ehirifophus,
da Ihr, Lacedämonier, fo weit Ihr ebenbürtig feyd, Euch
von Jugend auf im Stehlen übt, und es nicht nur nicht für
878 . KZenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus,
fchimpflich, fondern fogar für rühmlich haftet, wo ed nicht etwa
das Geſfetz verbietet. Fa damit Ihr recht Eimftlich ſtehten
lernt, ift es bei Euch Geſetz, daß Derjenige gegeißelt wird,
der ſich betreten läßt. Da haft du nun die fchönfte Gele:
genheit, deiner Erzichung Ehre zu machen, auf daß wir beiem
Verſuch, den Berg wegzufapern, unentdeckt bleiben und uns
nicht etwa eine tüchtige Tracht Schläge holen.
„So vernehme aud ich,“ verfeßte Chiriſophus, „daß
Ihr, trotz aller Gefahr, die dem Diebe droht, den öffentti⸗
chen Schatz gar meiſterhaft zu beſtehlen wißt, und zwar die
Beſten immer am meiſten, da ja doch die Beſten bei Eudr
das Ruder führen wollen; fo mache benn auch du deiner Ere
ziehung Ehre.“
„Ich erbiete mich nun,“ begann Kenophon wieder, „nach
eingenommenem Abendeſſen mit der Nachhut abzugehn, um
ver Berg zu befepen. Ich habe aud, Führer; denn unfere
Gymneten *) haben den Dieben, Be uns auf dem Fuße
folgten, aufgepaßt, und Einige von ihnen aufgegriffen. Dürdh '
fie habe ich in Erfahrung gebracht, daß das Gebirge. nicht‘
ungugänglich ift, fondern von Ziegen und Rindvieh beweidet
wird; fo daß, wenn wir. einmal im Befitze eines Punktes
find, auch das Zugvieh darauf fortkommen wird. Auch baffe:
ich, daß die Feinde dann und nicht Stand" hafter werben;
wenn fie und, gleich fich, auf dem Bergrücken ſehen: fonft würe:
den -fie ja auch zu uns: in Die Ebene herabgekommen ſeyn.“
CEhirifophus entgegaete: „Aber warum mußt bu denn
gehen, und die Nachhut verlaſſen? Schicke doch Andere hin,
wenn ſich keine Freiwillige finden!‘
* Schleuderer und Bogenfihägeni
x
Viertes Bud: 78:
Da? meldeten ſich Ariſtonymus aus Methydrium *) mit
Hopliten, Ariftend aus Chius und Nikomachus aus Deta **)
mit Gymneten, und verabredeten, wenn: fie im Beſitze der.
Berghöhen :wären, viele Fener anzuzünden.
Nach dem Abendeffen rüdten mit Einbruch der Nacht:
die hiezu Befehligten aus. und nahmen die Berghöhe; das-
übrige Heer lagerte fih, wo ed war. Da der Feind. den
Berg genommen-fah, bfieb er die ganze Nacht wach, und
hatte viele Feuer angezündet:
. Hierauf frühftücten fie, und Chiriſophus führte fodanız
das ganze Heer ungefähr zehn Stadien gegen. den. Feind. vor,
damit es vollkommen das Auſehen Hätte, ale wollte man: hier
einen Angriff wagen.
Mit Tagesanbruch opferte Chirifophus und zog dann ge⸗
gen den Weg; Diejenigen aber, weiche. den. Berg befebt hate
ten, griffen von oben an. Das feindliche Heer blieb größten⸗
theits- an. dem Gebirgswege ſtehen; der andere Theil aber
sing den. Hellenen auf der Höhe des- Berges entgegen,
Ehe aber die Hauptheere- an einander. geriethen, kamen
die.oben Beindlidyen zum Handgemeng; die Hellenen ſiegten
und verfolgten fie. Zu gleicher Zeit gingen auch von .der
Ebene aus die Peltaften in vollem Lauf'auf die ihnen gegen»
über ſteheuden Feinde los, und. Ehirifophus folgte raſchen
Schrittes mis den. Hopliten nach. Als die Feinde ay dem
hohen Wege gewahrten, daß die Ihrigen oben geſchlagen wa⸗
ren, nahmen fie die Flucht; es blieben zwar nur Wenige von
*) ©. IV, 1,
+) Einer Stadt in Theffalien an dem Gebirge gleiches Namens.
830 Kenophon’s Feldzug Des jüngern Cyrus.
ihnen; es ward aber eine große Anzahl geflochtener Schilde
erbeutet, welche die Hellenen durch Säbelhiebe unbrauchbar
machten. Als die Hellenen oben angefommen waren, geapfert
und ein Giegeszeichen errichtet hatten, zogen ſie nad) der
Ebene hinab, wo fle in Därfer Famen, die mit allerlei Le⸗
bensmitteln aufs reichlichite verfehen waren.
7. Hierauf zogen fie in das Land der Taochen,*) und
legten in fünf Tagmärfcdhen dreißig Parafangen zurück. Da
begann es ihnen an Lebensmitteln zu gebrechen : denn bie
Taochen wohnen in feſten Plägen, wohin fie auch alle Les
bensmittel geflüdytet hatten.
Als Ehirifophus vor einem ſolchen Platze ankam, der
zwar feine Stadt war, auch Feine Häufer hatte, wohin ſich
aber viele Männer und Weiber nebft vielem Vieh geflüchter
hatten, griff er ihn fogleich an. Wenn ein Heerhaufe müde
war, rückte fogleich ein anderer an; und gleich wieder noch
einer s denn da ringsum Alles ſteil war, konnte man nicht in
Maffe angreifen. Als Kenophon mit den Peltaften und Ho-
pliten der Nachhut ankam, fo fagte Ehirifophns: „Du kömmſt
mir eben recht; denn diefer Pad muß genommen werben,
fonft fehlt e8 dem Heere an Lebensmitteln."
* Ein unabhäniges, Triegerifches Bolt in Aften zwiſchen Arme⸗
nien und dem fohwarzen Meer. Da nach Delisie eine Land⸗
ſchaft Georgien! Taochir heißt, fo vermuthet Reicharb,
daß die Hellenen bis dahin ſich verirrt Haben; und dann
wäre der oben (Capitel 6.) erwähnte Phafis wirklich ber
Kolchiſche Phaſis, nicht Arares. Allein vielleicht hat
jenes Volk auch indeſſen feinen Wohnort verändert.
Viertes Buch. Bu
Hierauf gingen fie miteinander zu Nathes anf Xeno⸗
phon’s Frage, woran es fehle, daß man nicht in den Pas
einwüde, antwortete Ehirifophus: „der Zugang, den du hier
fienft, ift der einzige. Verſucht Jemand hinanzutommen, fo
mwälzen fle Steine über diefen. hervorragenden Fels herab:
und Wer da getroffen wird, dem geht es, wie du hier ſiehſt.“
Damit zeigte er auf Einige, denen Beine und Mippen zer:
ſchmettert waren.
„Wenn es nun aber mit ihren Steinen zu Ende geht,
was hindert uns dann, hinaufzugehen?‘ fragte Xenophon;
denn wir fehen nur wenige Leute und gegenüber, und unter’
Diefen nur zwei oder drei Bewaffnete. Der Raum, den wir
unter den herabrollenden Steinen zu durchlaufen haben, be⸗
trägt, wie du fiehft, nur etwa anderthatb Plethren; ein Pies
thron ift dicht mie. hohen Fichten in Zwifchenräumen bewach:
fen; ftellen fich die Xeute hinter diefe, was werden fie dann
nod) von den herabgeworfenen’ oder gerollten Steinen zu lei⸗
den haben? Den nody übrigen Theil durchlaufen fie, ſobald
Seine Steine mehr herabgerollt werden.“ — „Sobald wir
uns aber,“ entgegnete Chiriſophus, „gegen das Dickicht in
Bewegung ſetzen, fangen ſie ſogleich wieder an, Steine in
Menge herabzuwerfen.“ — „Deſto beſſer,“ verſetzte Xevo⸗
phonz „um fo früher werden fie damit fertig ſeyn. Wohlan,
fo wollen wir uns denn dahin aufmachen, von wo wir. nur
noch einen Fleinen Weg zu durchlaufen haben, und uns eben
fo leicht zurückziehen können, wenn wir wollen.“
Nun machten fit) Ehirifophus, Kenophon und der Haupt:
mann Kallimachus aus Parıhafla dahin auf — denn Diefer
führte an diefem Tag von den Haupileuten den Nachzug —
Kenophon. 18 Bdchn. 4
s82 Xenophon’s Felbing bee jüngern Cyrus.
die andern Hauptlente blieben im ſicherer Stellung zurũck.
Es zogen ſich nun an ſiebenzig Mann Hinter die Bäume,
nicht gedrängt, fendern einzeln, indem ſich Jeder hütete, fo
gut er konnte. Der Stymphalier Agafias und Ariſtonymus
aus Methydrium, gleihfals Hanptlente des Nechzuges, nebſt
Andern, blieben auſſerhalb der Bänme; denn hinter denſel⸗
ben war es für mehr als Einen Lochos (Kompagnie] nicht
fiher zu fichen.
Da hatte Kallimachns deu guten Einfall: er lief vom
dem Baume, hinter welchem er fand, zwei oder drei Schritte
vor, und zog fih, wenn die Steine herunter kamen, ſchnell
wieder zurüd. Dei jedem Berfpringen gingen den Feinden
zchn Wagen voll Felsſtücke verloren. Als Agafiad fah, was
Kallimachus that, und wie das gefanımte Heer davon Augen⸗
jenge war, befürchtete er, Diefer möchte zuerft den Plab er⸗
fleigen, und liei, ohne den nahe ſtehenden Ariftonymus, noch
den Luſier *) Eurylochus, feine Freunde, herbeisurufen, allein
Alten vor.
Da Kallimachus ihn an fidy vorbeieilen fab, faßte ex ihn
berm Rande des Schilbes; während deffen überholte fie dee
Methydrier Ariſtonymus, und nach Diefem der Lufier Eurylo⸗
chus; denn alle Diefe wetteiferten miteinander um den Preis
der Tapferkeit, und gewannen durch diefen Wetteifer dem
Platz. Denn wie fie einmal eingedrungen waren, hörte das
Steinwerfen auf. _
Jun aber gub es ein fchauderhartes Schaufpiel; denn
bie Weiber warfen ihre Kinder die Felſen hinab, und ſtürz⸗
”) Aus ber Kleinen Ortſchaft Zufı in Artabien,
Biertes Buch: 888:
ten ſich ihnen: fammt ihren. Männern nad. Der Hauptmann
Aeneas aus: Stymphalus fah einen: fchön. geBleideten Menſchen
hinfaufen, um fi hinabzuſtürzen, und faßte ihn, um: ihm zur
rückzuhalten. Diefer aber riß ihm mit ſich fort, und: Beide
flarzten über die Felfen und flarben. Man. bekam hier nur
wenige Menfchen gefangen; von Rindern, Eſeln und Scha⸗
fen: aber. erbeutete man eine große Menge.
Von: da zogen fie in fieben Tagmaͤrſchen, fünfzig Parse
fangen, durch das Land der Chalyken. *) Gie waren bag
tapferfte Volk, welches die Hellenen auf ihrem Zuge trafen, '
umd ließen fich mit Diefen in ein Handgemeng ein; fle tru⸗
gen Teinene Harnifche, die bie an den Unterleib reichten, ſtatt
der Panzerflügel **) aber eine Bedeckung von dichtgeflochtenen -
Schnüren. Auch hatten fie DBeinharnifche und Helme, und:
an dem Gürtel: einen Säbel ungefähr ‚von der Form des
Labonifchen, womit fie Alte niedermachten, welche ihnen in
die Hände fielen, Sie fchnitten. ihnen auch wohl die Köpfe
ab, und trugen. fie unter Tanz und Geſang vor ſich her, wenn
fie vom Feinde gefehen werden konnten. Ihre Langen: waren
fünfzehn: Elfen ***) lang und hatten nur Eine +) Spitze.
+ Die Armeno-Chalybes. bes. Plinius, eigentlich daſſelbe Vote
mit: den Ehaldaͤrnn Eap. 5. Vergl. bie: Shalyben und Chat:
daͤer im 5. Buch
**) Derjenige Theil vom Panzer, welcher. des. Unterleib. deckte,
und fonft zur Yeichteen Beraegung bed Koͤrpers aus Panzer⸗
ſchuppen beſtand.
—* Verſteht fi) Griſech iſche; bie Mittelelle Herodotes Betrug
nach Rome vier und zwanzig Querfinger ober anberthal⸗
Griechiſche Sup).
+) Die der Kellenen hatten zwei, oben und unten,
-
884 Xenophon's Feldzug des jüngern Cyrus.
Sie blieben fo Tange in den Städten, bis die Hellenen
vorüber gezogen waren; dann aber folgten. fie ihnen unter
beftändigem Kampfe, und zogen fich hierauf in die feſten Plätze
zurück, wohin fie aud) ihre Lebensmittel geflüchtet hatten, fo
daß die Hellenen hier gar Nichts bekamen, fondern von dem
bei den Zaochen erbeuteten Dich eben mußten.
Bon hier gelangten die SHellenen an den Fluß Harpas
fus, *) deffen Breite vier Plethreu betrug, Von da zogen
fie in vier Tagmärſchen, zwanzig Parafangen, durch das
Land der Schthinen **) über eine Ebene hin, und kamen in
Dörfer, in welchen fle drei Tage blieben, und ſich mit Mund⸗
vorrath verforgten.
Nach weitern vier Zagmärfchen, zwanzig Parafangen,
famen fie an eine bevölkerte und wohlhabende Stadt, mit
Namen Gymnias. ***) Aus diefer fchickte der Beherrfcher der
- Zandfchaft den Hellenen einen Wegweifer, um fie durch das
Gebiet feiner Feinde zu führen.
Als Diefer ankam, verfprach er ihnen, indem er ſich mif
feinem Leben dafür verbürgte, fie in fünf Tagen in eine Ge⸗
gend zu bringen, von der aus fie das Meer erbliden follten,
*, Jetzt noch Karpafu, von Divdorus Harpagus genannt,
+) Sin freies Volt in Afıen, an ber Gränze bed weltlichen Ars
menien’d; fie wohnten nad) Mennel in der Landfhaft Chor⸗
fene oder Kars.
0 Nach Nenner dad. heutige Komafur, oder Kumbas, Rus
matin, Kumach, wie ed Andere heißen, und nah Nits
ter wahrſcheinlich eineriei mit dem fpätern, von den Arme⸗
niern fogenannten Sinis,
Viertes Bud). 888
Da er ſie in das den Seinigen verfeindete Land geführt
hatte, hieß er fie daſſelbe mit Feuer und Schwert verwüſten.
Daraus ergab ſich, daß dieß und nicht Wohlwollen für
die Hellenen der Grund feiner Sendung war. In fünf Tas
- gen kamen fie an den heiligen Berg, Namens Theches. *)
Da die Erften auf dem Berge dad Meer erblidten, erhoben
fie ein großes Geſchrei.
Als Kenophon und die Helfenen von der Nachhut es vers
nahmen, meinten fie, daß and) die Vorhut von Feinden ans
- gegriffen feys denn von hinten wurden fie beftändig von den
Bewohnern der verheerten LZandfchaft verfolgt; Die vom Nach⸗
zuge hatten Einige in einem Hinterhalt niedergemadt, Ans
dere lebendig gefangen, und dabei an zwanzig geflochtene Schifde
erbeutet, die mit ungegerbten Ochfenhäuten überzogen waren.
Als der Lärm immer flärker ward und näher Fam, und die
Nachrückenden immer. auf die Gchreienden ‚zurannten, und
fo das Geſchrei immer zunahm, glaubte Xenophon, es habe
etwas befonders Wichtiges zu bedeuten, fchwang ſich aufs
Dferd, und fprengte mit Lycius und deſſen Reitern here
bei, um zu Hülfe zu kommen. In dem Augenblick Härten
fie die Soldaten in fortlaufendem Zurufe fchreien: Meer!
Meer! Da lief Altes auch beitm Nachzuge; ſelbſt die Laſt⸗
thiere und Pferde wurden zur Eile angetrieben. Als ſie Alte
den Gipfel erftiegen hatten, umarmten fie ſich wechfelfeitig,
*) Nach Kennel bad Tek⸗ Saften des Tuͤrkiſchen Geographen
Hadſchi Kalfa. Er Liegt auf dem Gebirge Agatſchbaſchi,
zwiſchen Erzerum und Trapezunt.
886 Zenophon’s Feldzug des füngern Cyrus.
Anführer und Hauptleute, und weinten vor Freude, Mit
Einem Male trugen die Soldaten, wie nad) ergangener 2os
fung, Steine zufammen, errichteten einen großen Hügel, und
Iegten eine Menge ungegerbter Häute, Knüttel und erbeute
ter Flechtfchilde daranf. Ihr Führer aber hieb die Schilde
entzwei, und hieß auch die Andern ein Gleiches Thun. Hierauf
entließen die Hellenen Denfelben, nachdem fle ihn aus dem
Gemeingut mit einem Pferde, einer fitbernen Schale, einem
Perſiſchen Anzuge und zehen Dariken befchentt hatten; bes
fonders bat er um Ringe und erhielt auch viele von den Sol⸗
daten. Nachdem er ihnen ein Dorf, wo fie übernachten korm⸗
ten, und den Weg in das Gebiet der Mafronen gezeigt hatte,
entfernte er fi) gegen Abend, um Nachts in feine Heimath
zurückzukehren.
8. Von hier aus zogen die Hellenen in drei Tagmaͤr⸗
ſchen, zehen Paraſangen, durch das Land der Makronen *).
Am erften Tage Bamen fie an den Fluß, welcher zwiſchen
dem Lande der Makronen und der Scythinen die Sränze
wacht. Rechts Hatten fie eine Anhöhe, und links einen au⸗
deren Fluß, **) in den jener fließt, der die Gränze macht, und
über den fie gehen mußten. Diefer Tebtere war mit Bäumen
beſetzt, die zwar nicht ſtark waren, aber-dicht bei einander
*, Ein freied Volt in Afien, nach Andern Makro Eephati,
Matrier, Sanner, Zaner genannt. Nennel weist
innen im Thale Baibot, in der Provinz Erzerum ihren
Wopnfig an.
**) Die beiden hier unbenannten Fluͤſſe find nach Reichard Arme
des Arampſis (Iſcharuk nah Wahn.
Viertes Buch. 887
ſanden. Diefe hieben die Hellenen um, und eilten, fo viel
wie möglich, aus der Gegend wegzukommen. Die Maßronen,
weldye Flechtſchilde und Lanzen und härene Kleider trugen,
flanden gegenüber am jenfeitigen Ufer aufgeftellt, und wars
fen, einander durch Zuruf ermunternd, Steine in den Fluß,
ohne jedoch die Griechen zu erreichen oder zu befchädigen.
Da kam einer der VPeltaften zu Kenophon, welcher feiner
Ausfage nach in Athen ald Sklave gedient hatte, und fagte,
er verftehe die Sprache der Leute. „Ich glaube fogar,” fuhr
er fort, „daß dieß mein Vaterland ift; und wenn ed mir
erlaubt wird, will ich mit ihnen ſprechen.“
„Ja,“ erwiederte Kenophon., „beſprich dich mit ihnen,
und frage vor allen Dingen, wer fie ſind?“ Gie antworteteu,
als er fragte: „Makronen.“ — „Frage nun weiter,‘ fuhr
Kenophon fort, „warum fie ung fid) enfgegenftellen, und uns
ſre Feinde feyn wollen 2’ Sie antworteten: „weil Ihr im
unfer Land einfalt. Die Heerführer Tießen ihnen erwies
dern: „Wir wollen Euch Nichts zu Leide thun, wir ziehen
nad, geendigtem Krieg mit dem Perſerkönig nad, Hellas
beim, und wünfchen an dad Meer zu gelangen.’ Sie frag⸗
ten fie hierauf, ob fie darüber die Gewähr Teiften wollten ?
Die Hellenen bejahten ed. Hierauf überreichten die Makro:
nen eine ihrer Lanzen, und die Hellenen dagegen eine Kelle:
nifhe; denn Dieß, fagten fie, wäre bei ihnen die Gcewährs
Seiftung ; beide Theile riefen dabei die Götter zu Zeugen an.
Hieranf halfen ihnen die Makronen fogleich die Bäume
umhauen und den Weg bahnen, indem fie fih zutraulich uns
ger fie mifchten, und ihnen auch Lebensmittel, ſo gut fie wel:
. 888 Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus.
he hatten, zu Markte brachten; fie führten fle drei Tage
ang, bis fie an die Gränzen der Kolchier *) kamen. "
Hier war ein großer, aber erfteiglicher Berg, **) auf wel⸗
hem die Kolchier fich aufgefteht hatten. Anfangs zogen die
Hellenen gegen fie im gefchloffener Schlachtordnung auf, um
fo den, Berg zu erfleigen; dann aber traten die Heerführer
zuſammen und beriethen fi, wie man ſich aufs vortheilhaf⸗
tefte gegen fie fchlagen könnte.
Kenophon nahm das Wort und fagte, ihm fcheine ed am
beften, die geſchloſſene Schlachtordnung zu verändern, und in
‚ Heerfänlen anzurücen; ‚denn die gefchloffene Schlachtords
nung wird,” fagte er, „doch bald getrennt feyn, da wir bald
- guten, bald ſchlechten Weg haben werden; und wenn die Sols
daten, in gefchloffener Schlachtordnung aufgeftellt, diefe ges
trennt fehen, fo wird Dieß Muthloſigkeit verurſachen. Rüden
wir nun mit einer ſchmalen Vorlinie an, fo überflügeft ung
der Zeind, und kann feine Weberlegenheit, wie und wo er
will, geltend machen; dehnen wir aber die Vorlinie aud, fo
wird nnfre Phalanr da, wo der Feind mit befonderem Nach⸗
druck eindringe, durchbrochen werden, und wenn Dieß ges
fchieht, fo hat die ganze Phalanr darunter zu leiden. Ich
fhlage nun vor, wir laffen die Lochen in Heerſäulen, durch
ſolche Iwifchenräume getrennt, anrücken, daß die äußerften
Lochen über die Flügel der Feinde hinausragenz fo überflü-
*) Das Gebiet derfelsen reichte damals bis an Trapezunt; fpäter
aber kam die ganze Strede bis an den Aparus zu Pontus,
*) Wahrſcheinlich das jegt von den Türten Koat Dag (Kut—
tagy, Koptagh) genannte Gebirge.
Viertes Buch. 889
gen wir die Phalanx derfelben, nud die Zapferften von und
werden mit ihren Zügen zuerft eindringen, und jeder Lochos
kann da vordringen, wo er am beften fortfommen kann. In
die Zwifchenränme wird der Feind nicht fo leicht eindringen,
da er auf beiden Seiten die Lochen hat; und einen Zochos,
der fänlenförmig aufzieht, zu durchbrechen, wird ihm and)
fchwer werden.‘
Der Vorfchlag fand Beifall, und die Zochen wurden in
Heerfäulen aufgeftelt. Xenophon ging nun vom rechten Flü⸗
get zum linken, und fprady Folgendes zu den Soldaten:
„Männer, Diefe da, weldhe Ihr vor Euch feht, find noch
das einzige Hinderniß, daß wir noch nicht an dem Ziele find,
nach dem wir fo lange -ftrebten: Die follfen wir, wo möge
Tich, mit Haut und Haar verfchlingen.‘’ |
Als nun Alle auf ihren verfchiedenen Poften in Heer⸗
fäulen aufgeftellt waren, zählte man ungefähr achtzig Lochen
Hopliten, von denen jeder ungefähr hundert Mann befrug;
die Peltaften und Bogenfhüsen theilte man in drei Abthei⸗
lungen, ftelite die eine aufferhalb des linken, die andere aufs
ferhalb des rechten Flügels, die dritte in die Mitte, jede
beinahe fechshundert Mann ftark.
Hierauf ermahnten die Heerführer das Heer zur Able⸗
gung der Gelübde; dann ftimmten fle den Schlacdhtgefang an
und rüdten vor. CEhirifophus und Xenophon zogen, “Jeder
mit feinen Peltaften, aufferhalb der feindlichen Schlachtlinie;
als Dieß die Feinde bemerkten, begannen audy fie Gegenbe⸗
wegungen; da ſie ſich aber links und rechts ganz auf ihre
Stügel warfen, entſtand in der Mitte ihrer Phalanx eine
Lücke.
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Viertes Buch. 484
negt am ſſchwarzen] Meer, im Gebiete dar xoichier, und iſt
eine Pflanzſtadt von Sinope. *)
Hier blieben fie ungefähr dreißig Tage in den Dörfern
der Kolchier, und plünderten von hier aus das Kolchifche Ges
biet. Die Einwohner von Trapezunt brachten dem Heere Le:
bensmittel zum Derkauf, bewirtheten die Hellenen bei ſich zu
Hauſe, und gaben ihnen als Gaftgefchente Stiere, Mehl und
ein, Sie verwendeten fich auch bei ihnen für ihre Nach⸗
barn, die Kolchier, befonders für Die, welche in der Ebene
wohnten; aud) von Diefen kamen Gaſtgeſchenke, meiftens
Stiere, an.
Snierauf brachten fie das angelobte Opfer; ſie hatten eine
hinlängliche Menge Stiere bekommen, um dem Erretter Zeus
und dem Herakles für gnädige Führung, fo wie den übrigen
Göttern die angelobten Dankofer darzubringen. Sie ftellten
auch auf dem Berge, wo fle im Lager flanden, gymniſche
Spiele an, wobei fie den Spartaner Drakontius — der ſchon
als Knabe aus der Heimath entwidhen war, weil er einen an
dern Knaben mit einem Gäbelhiebe unvorfäglich getödtet
hatte — zur Bezeichnung der Rennbahn und zur Aufſicht
über den Kampf 'erwählten.
Nach vollendetem Opfer übergaben fie die Häute dem
Drakontius und ließen fi von ihm zu der abgeflodyenen
Rennbahn führen. Er wies auf den Plab, wo fie eben ſtan⸗
den, und fagte: „Diefer Hügel ift in jeder Rücklicht zum
BWettrennen der beſte.“ — „Wie werden die Leute aber,‘
*) Eine Kellenifche Seeftadt, am ſchwarzen Mer in Paphiagos
nien gelegen, eine anzftodt der Mileſier.
"892 _ Zenophon’s Feldzug bes jüngern Cyrus,
entgegnete man ihm, „‚auf dem unebenen, ſtrauchigen Boden
ringen koͤnnen?“ — „Um fo mehr,“ verſetzte er, ‚wirds
Derjenige fühlen, welcher fällt.“
Im Stadinm liefen die meiſten gefangenen Knaben, *)
- im Dolichhus **) aber mehr ald fechzig Kreter; Andere fiel:
ten fi zum Ringen, Fauſtkampf ***) und Pantratium. 1)
Es war ein herrliches Schaufpiel; denn Diele hatten ſich
- auf den Kampfplab geftellt; und da ihre DBuhlerinuen ++)
mit zufchauten, ward mit großem MWetteifer gefämpft.
*) Es waren dieß erbeutete ſchoͤne Knaben, welche als bie Ges
kiebten ihrer Herrn (IV, 1. VI, 2.), zumal in fremden
Landen, um den Abgang der jungen KHellenen zu erfegen,
fuͤglich für dad Stadium genommen werden konnten.
er) Die Länge des Dolichus wird verfchieden angegeben, wahr⸗
fyeinlich, weil es verfchiedene gab, Nach Sinigen ift e8 eine
Stredte von vier und zwanzig Stadien oder °/, deutfche Mei
en, welche die Wettliufer zwoͤlfmal Hin und wieder zurädle
gen mußten, alfo neun deutfche Meilen; nad Andern war
ed nur die Hälfte, und wieder nach Andern fogar nur fieben
Stadien, oder noch Keine ganze Viertelmeile, die ſiebenmal Hin
und” wieder zurückgelegt werden mußte. Nach Drt und Ums
ſtaͤnden zu fohließen ift wohl der Dolichus hier in letzter Bes
deutung genemmen.
sr), Eine Art Boxen, bei dem ſich die beiden Gegner entweder
mit unbewaffneten Faͤuſten ſchlugen, oder nachdem fie dieſel⸗
ben mit ochfenledernen und mit Bleiſtuͤcken befegten Riemen
bewaffnet hatten.
» Ein Rampffpiel, wobei das Ringen und der Fauſtkampf vers
einigt war.
tD Ich leſe &rasp@v coat. IV, 3.), da die Leſeart Eralomr
hiee ſehr matt erfheinen muß. Das Daſeyn folder Dirs
nen beitm Heere ift erwiefen.
Viertes Buch. 895
Auch ein Pferderennen ward gehaltenz die Reiter mußs
ten bergab nad) dem Meere hin fpringen, und von da wies
der zum Ultare zurücdtehren. Bei'm Bergabreiten ftürzten
Diele; bergauf aber konnten die Pferde, weil es fehr fteil
war, nur in fachten Schritte kommen. Das gab denn zu
großem Geſchrei, Gelädter und Zuruf Veranlaſſung.
Inhalt des fünften Bude.
Cap. ı. Die Hellenen befchließen, zur See meiter zu reifen,
und fenden Enirifophud ab, um Schiffe zufammenzukringen. Xeno⸗
phon trifft für die Reife zu Land wie zur See die nöthigen Vor⸗
kehrungen. Dexippus, welcher Schiffe aufbringen follte, entflicht
mit dem ihm anvertranten Fahrzeuge; Polykrates dagegen erfüllt
fein Verſprechen. Say. 2. Um Lebensmittel anzufchaffen, ruͤckt ein
Theil des Heeres auf Anmweifung der Trapezuntier gegen die Dri⸗
Ien aus. Diefe ziehen fich in einen feften Plag zufammen, wels
chen die Griechen aber nach vielen Fährlichkeiten in ihre Gewalt
betommen. Cap. 3. Als Chiriſophus nicht erfhien, ſchickten fie
die Kranten, Altersſchwachen, Weiber und Kinder zur Gee ab, fie
ſelbſt aber zogen zu Rande weiter und gelangten nach Cerafunt.
Das Heer wird gemuftert. Das aus dem Verkauf der Gefanges
nen erloͤste Gelb wird vertheiltz den zehnten Theil, für Apollo und
Diana ausgeſchieden, nehmen die Anführer zu ſich. Xenophon er:
zaͤhlt die Verwendung der ihn anvertranten Summe. Eap. ı. An
den Gränzen der Mofimöten verbinden fich die Hellenen mit einem
Theil, und befiegen den andern, — Die Sitten der Mofynöten.
Cap. 5. Sie durchziehen das Gebiet der Chalyben und Tibarener.
und kommen an die Stadt Kotyora, plündern von hier aus Pa⸗
phlagonien, theild werden fie auch von der Stadt Kotyora erhal
ten. Der Gefandtichaft der Sinopeeer, die ſich Über den ihrer
Pflanzſtadt Kotyora zugefügten Schaden beſchwert, antwortet Xes
nophon beftimmt und entfchloffen, wodurch er auch die Gefandten
eines Beſſern belehrt. Cay. 6. Auf den Nat des Hekatonymus
vefchließt man, die weitere Reife zur See zu machen. Kenophon's
Plan, eine Stadt zu gründen, wird durch Silanus vereitelt. Die
Herakleer ſchicken Schiffe, aber keinen Som. Die Anführer, die
x
— a
|
Inhalt des. fünften. Buchs, 895
ihn dem Heere bereits. zugefagt, find in Verlegenheit, und rathen
nun Xenophon felkft, feinen Pan. "auszuführen. Eap. 7. Die
Soldaten erfahren davon; Kenophon vertheidigt fih in einer mu⸗
fterhaften Rede, und rügt die Verbrechen einzelner Griechen; man
beſchließt, fie zur Strafe zu ziehen. Cap. 8. Die Anführer legen
Rechenſchaft über ihre Anführung ab. Xenophon wird der Härte
und Mißhandlung angeklagt, weist aber den Ungrund diefer Be⸗
fyuldigungen auf& uͤberzeugendſte nad).
Fuͤnftes Bud.
1. Welche Thaten die Hellenen auf ihrem Zuge nady
Dderaflen unter Cyrus, und auf ihrem NRüdzug Eis zum
Dontus Eurinus *) verrichteten, wie fie, in der Hellenifchen
Stadt Trapezunt angekommen, die Rettungsopfer brachten,
die fie zu bringen gelobt, fobald fie in Freundes Land Päs
men, ift in den frühern Abſchnitten gezeigt worden.
Hierauf verfammelten fie fih und berathfchlagten über
den noch übrigen Theil ihrer Reife. Zuerſt ſtand der Thu⸗
rier **) UAntileon auf und fpradh: „Ich für meinen heit,
ihr Männer, habe das befländige Einpaden, Hinundherzie-
ben, Laufen, Waffentragen, Das in gefchloffenen Gliedern
Gehen, Wachehalten und Kämpfen herzlich fatt, und wüns
fche fehntidhft, da wir doch einmal am Meere find, aller dies
+, Daß ſchwarze Meer.
») Aus Thurii, einer Griechifchen Stadt in Unterirallen, an der
Steile des alten Sybaris.
a
896 Renophon's Feldzug des jüngern Cyrus.
fer Befchwerde enshoben, den Reſt des Weges zu Schiffe zu
machen, und wie Odyſſeus in behaglichen Schlummer aufge⸗
losſt an Hellas Küſte zu landen.“
Als die Soldaten Dieß hörten, gaben ſte durch ein freu⸗
diges Gemurmel ihren Beifall zu erkennen; nach ihm fpradh
noch ein Anderer in demfelben Sinne, und fo alfe Anwelens
den. Da erhob fi Ehirifophus und fagte: „Soldaten, Ana:
zibius, der gerade eine Flotte befehligt, ift mein Freund;
wollt Ihr mich abfenden , fo hoffe ich, in Bälde mit Dreiru:
dern und andern Fahrzeugen zurüczutehren, um Euch abzus
holen; wollt Ihr nun zu Schiffe abgehen, fo erwartet meine
Rückkehr.“ Als Dieß die Soldaten hörten, freuten fie fidy
fehr, und waren dafür, daß er fogleich abgehen follte.
Nach ihm erhob fid) Kenophon und fagte: „CEhiriſophus
geht ab, um Schiffe zu beforgen, wir aber bleiben. Nun
will ih Euch angeben, was wir während unfers Aufenthaltes
zu thun haben werden. Fürs Erſte müffen wir und aus
Teindes Land mit Lebensmitteln verfehens denn der Marke
ift für und nicht hinreichend; auch haben wir, Wenige aus⸗
genommen, micht die Mittel, fie ung zu kaufen; das Land
aber ift feindlich; und wir laufen Gefahr, viele Leute zu vers
fieren, wenn Ihr unbedacht und unvorfichtig auf Lebensmit⸗
tet ausgehet. Ich bin nun der Meinung, wir holen und
diefelben nur unter gehöriger Bedeckung, und fehweifen nicht
aufs Gerathewohl herum, damit Ihr Leinen Schaden nehs
met, wofür wir, die Hrerführer, zu forgen haben.‘ Der
Vorſchlag fand Beifall. — „So hört denn weiter,’ ſprach
er. „Es werden Einige von Euch auf Beute ausgehen wols
len; ich halte deßwegen für's Beſte, daß Der, welcher aus⸗
Sunftes Bad). 897
gehen will, uns anzeigt, daß und wohin er gehe, damit:
wir Sie Sahl ber Ausgehenden- und Bleibenden wiflen, und
im Nothfall gemeinfchaftlic Handeln können, auf daß wir,
wenn es Gelegenheit gibt, Einigen beizuftehen, den Ort ken⸗
nen, wohin wir zu Hülfe eilen müßen, und im Stande find,
Unerfahrenen, die Etwas unternehmen wollen, mit Rath bei-
zuftehen, indem wir bie Stärke des Feindes, gegen den fle
ziehen wollen, zu erfahren fuchen.‘ Auch Dieb ward ange:
nommen, — „Die Feinte haben Muße, auf und Jagd zu
machen, und wir dürfen’s ihnen nicht verdenten, wenn fie
ung zu verderben fuchen; denn wir find im Beſitze ihres Ei-
genthums, und ihre Stellung bedroht die unfrige, Wir müs
gen daher um das Lager herum Wachen ausftellen. Wenn
wir fo abwechfelnd Wache halten und den Feind beobachten,
fo wird Diefer und weniger anhaben können. Ferner : wenn
wir darauf rechnen dürften, daß Chirifophns und die gehd-
rige Anzahl Schiffe bringen wird, fo wäre der Vorfchlag,
den ich nun machen wi, unndthig; da Dieß aber ungewiß
ift, fo thäten wir wohl, auch hier Fahrzeuge aufzubringen.
Denn wenn er Schiffe bringt, und wir haben aud) hier, ſo
fahren wir um fo bequemer; und wenn er Feine bringt, fo
Zönmen wir diefe hier gebrauchen. ch fehe hier oft Schiffe
vorbeifegeln; erfuchten wir num bie Trapezuntier um Tange
Schiffe, und bräcten mit diefen fo viele Fahrzeuge (die
wir durch Wegndhme dev Steuerruder in Verwahrung hiels
ten) auf, bis wir” eine hinlängliche Anzahl beifammen hät-
ten, fo folite uns die beabfichtigte Abfahrt wohl nicht fehl⸗
ſchlagen können.“ Auch Die ward gutgeheißen. „Nun
gebe ich Euch noch weiter zu bedenten, ob es gicht billig
Kenophon. 78 Voͤchn.
- 888 Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus.
‚che hatten, zu Markte brachten; fie führten file drei Zage
Yang, bis fle an die Gränzen der Kolchier *) kamen.
Hier war ein großer, aber erfteiglicher Berg, **) auf wel⸗
dem die Kolchier ſich aufgeftellt hatten. Anfangs zogen bie
Hellenen gegen fle in gefchloffener Scylachtordnung auf, um
fo den Berg zu erfleigen; dann aber traten die Heerführer
zufammen und beriethen fi, wie man ſich aufs vortheilhafs
tefte gegen fie fchlagen könnte.
Kenophon nahm das Wort und fagte, ihm fcheine es am
beften, die gefchloffene Schlachtordnung zu verändern, und in
Heerſäulen anzurücken; „denn die gefchloffene Schlachtords
nung wird,‘ fagte er, „doch bald getrennt ſeyn, da wir bald
guten, bald fchlecdyten Weg haben werden; und wenn die Sol⸗
daten, in gefchloffener Schlachtordnung aufgeftellt, dieſe ges
trennt fehen, fo wird Dieß Muthloſigkeit verurſachen. Rüden
wir nun mit einer fchmalen Vorlinie an, fo überflügelt uns
der Feind, und kann feine WUeberlegenheit, wie und wo er
will, geltend machen; dehnen wir aber die Vorlinie aud, fo
wird unſre Phalanx da, wo der Feind mit befonderem Nach⸗
druck eindringe, durchbrochen werden, und wenn Dieß ges
fchieht, fo hat die ganze Phalanr darunter zu leiden. Ich
ſchlage nun vor, wir laffen die Lochen in Heerſäulen, durch
ſolche Zwifchenräume getrennt, anrüden, daß -die äußerſten
Lochen über die Flügel der Feinde hinausragen; fo überflü«
*) Das Gebiet derfelben reichte damals bis an Trapezunt; fpäter
aber kam die ganze Strede bi an den Aparus zu Pontuß,
**) Wahrſcheinlich das jet von den Tuͤrten Koat Dag (Putz
tagh, Koptagh) genannte Gebirge.
Viertes Bud). 889
gen wir die Phalanz derfelben, nnd die Tapferften von und
werden mit ihren Zügen zuerft eindringen, und jeder Lochos
kann da vordringen, wo er am beften fortfommen kann. In
die Iwifchenräume wird der Feind nicht fo leicht eindringen,
da er auf beiden Seiten die Lochen hat; und einen Lochos,
der fänfenförmig aufzieht, zu durchbrechen, wird ihm aud)
fchwer werden.
Der Borfchlag fand Beifall, und die Kochen wurden in
Heerfäulen aufgeftelt. Kenophon ging nun vom rechten Flü⸗
gel zum linden, und fprad Folgendes zu den Soldaten:
„Männer, Diefe da, weldhe Ihr vor Euch feht, find nody
das einzige Hinderniß, daß wir noch nicht an dem Ziele find,
ftady dem wir fo lange ſtrebten: Die follten wir , wo möge
ich, mit Haut und Haar verfchlingen.‘‘
As nun Alle auf ihren verfchiedenen Poften in Heer⸗
fäulen aufgeftellt waren, zählte man ungefähr achtzig Lochen
Hopliten, von denen jeder ungefähr hundert Mann befvug;
die Peltaſten und Bogenfchüsen theilte man in drei Abthei⸗
Lungen, ſtellte die eine auſſerhalb des finfen, die andere aufs
ferhatb des rechten Flügels, die dritte in die Mitte, jede
beinahe ſechshundert Mann ſtark.
Hierauf ermahnten die Heerführer dad Heer zur Able⸗
gung der Gelübde; dann ſtimmten fie den Schlachtgeſang an
und rüdten vor, Chirifophus und Kenophon zogen, Jeder
mit feinen Peltaften, aufferhalb der feindlichen Schlachtlinie;
als Die die Feinde bemerkten, begannen auch fie Gegenbe:
wegungen 3 da fie ſich aber links und rechts ganz auf ihre
Sigel warfen, entftand in der Mitte ihrer Phalanx eine
üce,
890 Zenophon’s Yeldzug des jüngern Cyrus.
Als die Arkadiſchen Peltaſten, welche her Akarnane Ae⸗
ſchines befehligte, dieſe Trennung der feindlichen Heerhaufen
bemerkten, meinten ſie, der Feind nehme die Flucht, erho⸗
ben ein Geſchrei und liefen auf ſie los, und erreichten zuerſt
den Gipfel; ihnen zunächft folgten die Arkadiſchen Hopliten,
welche der Orchomenier Kleanor führte; die Yeinde aber
hielten, als Diefe in vollem Laufe herankamen, nicht mehr
Stand, fondern flohen nad, alten Seiten hin.
Auf der Höhe angelangt, rüdten die Hellenen in bie
vielen mit allen Bedürfniſſen reichlich verfehenen Dörfer
ein. Sie fanden daferbft nichts Auffallendes; nur wunder:
ten fie fich über die Menge von Bienenflöden; und alle Sol⸗
daten, welche von den Honigwaben aßen, verloren die Beſin⸗
. nung, erbrachen fih, bekamen den Durchfall, und Keiner
konnte mehr aufrecht flehn. Diejenigen, welche nur wenig
davon genoffen hatten, glichen Betrunkenen, die viel genoflen,
- Rafenden, oder ſolchen, die am Sterben find. Es Tagen
fo Viele da, als hätte man eine Niederlage erhalten, und die
Muthiofigteit war groß. Doc) war am folgenden Tage Kei⸗
ner daran geftorben, fondern beinahe um diefelbe Stunde Fa
men fle wieder zu fih. Am dritten und vierten Tage erſtau⸗
den fie wie aus einer Bezauberung. *)
Von da gelangten fie in zwei Tagmaͤrſchen, fteben
Darafangen, an die- Helfenifche Stadt Trapezunt; **) fie
*) Es war dieß ſolcher Honig, den die Bienen aus ben Blüthen
des Strauches Chamaerrhodendros Pontica maxima, fo-
lio Laurocerasi, flore caeruleo purpurescente faugen.
**, Heut zu Tage Tresifond, oder Tarabofan, wie es
die Türken nennen.
— — — —
Viertes Buch. 684
fiegt ı am ſſchwarzen] Meer, im Gebiete bar Kolchier, und iſt
eine Pflanzſtadt von Sinope. *)
Hier blieben fle ungefähr dreißig Tage in den Dörfern
der Kolchier, und plünderten von hier aus das Kotchifche Ges
biet. Die Einwohner von Trapezunt bradıten dem Heere Le⸗
bensmittel zum Verkauf, bewirtheren die Hellenen bei ſich yu
Haufe, und gaben ihnen als Saftgefchente Stiere, Mehl und
Wein. Sie verwendeten fid) auch bei ihnen für ihre Nach⸗
barn, die Kolchier, befonders für Die, welche in der Ebene
wohnten; auch von Diefen Samen Gaſtgeſchenke, meiftens
Stiere, an.
Hierauf brachten fie das angelobte Dpfer ; fie haften eine
Hinkänglihe Menge Stiere befommen, um dem Erretter Zeus
‚und dem Herakles für gnädige Führung, fo wie den übrigen
Söttern die angelobten Dankofer darzubringen. Sie ftellten
auch auf dem Berge, wo fie im Lager flanden, gymniſche
Spiele an, wobei fie den Spartaner Drakontius — der fchon
als Knabe aus der Heimath entwichen war, weil er einen anz
dern Knaben mit einem Säbelhiebe unvorfäglidy getoͤdtet
hatte — zur Bezeichnung der Rennbahn und zur AUnffiche
über den Kampf erwählten.
Nach vollendetem Opfer übergaben fie die Häute dem
Drakontius und ließen fih von ihm zu der abgeſtochenen
Rennbahn führen. Er wies auf den Platz, wo fie eben ſtan⸗
den, und fagte: „Diefer Hügel ift in jeder Rüdfiht zum
Wettrennen der beſte.“ — „Wie werden die Leute aber,‘
*) Eine Hellenifche Seeftadt, am ſchwarzen Meer in Paphiagos
nien gelegen, eine Pflanzftabt dev Mileſier.
"892 _ Kenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus,
entgegnete man ihm, ‚auf dem unebenen, ſtrauchigen Boden
ringen können?“ — „Um fo mehr,” verſetzte er, „wird'es
Derjenige fühlen, welcher faͤllt.“
Im Stadium liefen die meiften gefangenen Knaben, *)
- im Dolichus **) aber mehr ale fechzig Kreter; Andere fiel:
ten ſich zum Ringen, Fauſtkampf ***) und Pantratium. 1)
.&8 war ein herrliches Schaufpiel; denn Diele hatten ſich
- auf den Kampfplatz geftellt; und da ihre Buhlerinnen ++)
mit zufchauten, ward mit großem Wetteifer gefämpft. j
*) Es waren dieß erbeutete fchöne Knaben, welche als die Ger
hiebten ihrer Herren (IV, 1. VI, 2.), zumal in fremden
Landen, um den Abgang der jungen Hellenen zu erfegen,
fuͤglich für das Stadium genommen werden Tonnten.
er, Die Ränge des Dolihus wird verſchieden angegeben, wahr⸗
fpeinlich, weil e8 verfchiedene gab, Nach Einigen ift ed eine
Strede von vier und zwanzig Stadien oder °/, deutfche Mei⸗
len, welche die Wettläufer zwoͤlfmal hin und wieder zurüdles
gen mußten, alfo neun deutfche Meilen; nad Andern war
ed nur die Hälfte, und wieder nach Andern fogar nur fieben
Stadien, oder noch keine ganze Viertelmeile, die ſiebenmal hin
und" wieder zurucgelegt werden mußte. Nach Ort und Ums
ftänden zu fohließen ift wohl der Dolichus Hier in legter Bes
dettung gencinmen,
4) Eine Art Boxen, bei dem fich die beiden Gegner entweder
mit unbewaffneten Säuften ſchlugen, vder nachdem fie diefel-
ben mit ochfenledernen und mit Bleiſtuͤcken befegten Riemen
bewaffnet hatten. .
» Ein Kampfſpiel, wobei dad Ningen und der Fauſtkampf vers
einige war.
tD Ich leſe öraupwv (ut. IV, 3.), da die Leſeart öralomv
hier ſehr matt erfcheinen muß. Das Daſeyn folder Dire
nen beiem Heere ift erwiefen.
\
— _
Viertes Bud, 895
Auch ein Pferderennen warb gehalten; die Reiter muß⸗
ten bergab nad) dem Meere Hin fpringen, und von da wies
der zum Ultare zurückkehren. Bei'm Bergabreiten flürzten
Miele; bergauf aber Eonnten die Pferde, weil es fehr fteil
war, nur in ſachtem Scritte Eommen. Das gab denn zu
großem Gefchrei, Gelächter und Zuruf Veranlaffung.
Inhalt des fünften Bude,
Gap. 1. Die Hellenen befchließen, zur See meiter zu reifen,
und fenden Chiriſophus ab, um Schiffe zufammenzubringen. Xeno-
phon trifft für die Reiſe zu Land wie zur Bee die nöthigen Vor⸗
Tehrungen. Derippus, welcher Schiffe aufbringen follte, entfliche
mit dem ihm anvertrauten Fahrzeuge; Polykrates dagegen erfüllt
fein Berfprehen. Cap. 2. Um Nebensmittel anzufchaffen, ruͤckt ein
Theil des Heeres auf Anmeifung der Xrapezuntier gegen die Dri⸗
len aus. Diefe ziehen fich in eimen feften Pag zuſammen, wel
chen die Griechen aber nach vielen Fährlicyteiten in ihre Gewalt
betommen. Cap. 3. Als Chiriſophus nicht erſchien, ſchickten fie
die Kranken, Altersſchwachen, Weiber und Kinder zur Gee ab, fie
ſelbſt aber zogen zu Rande weiter und gelangten nach Cerafunt.
Dis Heer wird gemuftert. Dad aus dem Verkauf der Gefangee
nen evldäte Geld wird vertheiltz den zehnten Theil, für Apollo und
Diana audgefchieden, nehmen die Anführer zu fih. Xenophon er:
zänft die Verwendung ber ihm anvertranten Summe. Cap. 4. An
den Graͤnzen der Moſyndͤken verbinden ſich die Hellenen mit einem
Theil, und befiegen den andern. — Die Sitten der Mofynöten.
Cap. 5. Sie durchziehen das Gebiet der Chalyben und Tibarener,
und fommen an die Stadt Kotyora, yplündern von hier aus Pa:
phlagonien, theild werden fie auch von dev Stadt Kotyora erhal
ten. Der Gefandtfchaft der Sinopeeer, die fi über den ihrer
Pflanzſtadt Kotyora zugefüsten Schaden befchwert, antwortet es
nophon beftimmt und entfchloffen, wodurch er auch die Gefandten
eined Beffern belehrt. Cap. 6. Auf den Nat des Hekatonymus
veſchließt man, die weitere Neife zur See zu machen. Kenophon's
Plan, eine Stadt zu gründen, wird durch Silanus vereitelt. Die
Herakleer ſchicken Schiffe, aber keinen Gold. Die Anführer, die
“
[4
Inhalt des: fünften Buchs. 895
ihm den Heere bereits: zugefagt, find in Verlegenheit, und: vathen
nun Xenophon ſelbſt, feinen Plan auszuführen. Eap. 1. Die
Soldaten erfahren davon; XRenophon vertheidigt ficy im. einer mu⸗
ftechaften Rede, und rügt die Verbrechen einzelner Griechen; man
befchließt, fie zur Strafe zu ziehen. Cap. 8. Die Anführer legen
Rechenſchaft Aber ihre Anführung ab. Xenophon wird der Haͤpte
und Mißhandlung angeklagt, weist aber den Ungrund diefer Bes
fyuldigungen aufs überzengendfte nach,
Tünftes Bud.
1. Welche Thaten die Hellenen auf ihrem Zuge nady
Dbderaflen unter Cyrus, und auf ihrem Rückzug Eis zum
Pontus Eurinus *) verrichteten, wie fie, in der Hellenifchen
Stadt Trapezunt angekommen, die Rettungsopfer brachten,
die fie zu bringen gelobt, fobald fie in Freundes Land kä⸗
men, ift in den frühern Abſchnitten gezeigt worden.
Hierauf verfammelten fie fih und berafhfchlagten über
den noch übrigen Theil ihrer Reife. Zuerſt ſtand der Thu⸗
rier **) Antileon auf und fpradh: „Ich für meinen Theil,
ide Männer, habe das befländige Einpaden, Hinundherzie-
hen, Laufen, Waffentragen, das in gefchloffenen Gliedern
Sehen, Wachehalten und Kämpfen herzlich fatt, und wüns
fhe fennfihft, da wir doch einmal am Meere find, aller dies
+, Das ſchwarze Meer.
») Aus Thurii, einer Griechifchen Stadt in Unteritalien, an der
Stelle des alten Sybaris.
896 KZenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus.
fer Befchwerde enshoben, den Heft des Weges zu Schiffe zu
machen, und wie Odyſſeus in behaglichen Schlummer aufge⸗
lost an Hellas Küſte zu landen.“
Als die Soldaten Dieß hörten, gaben ſie durch ein freu⸗
diges Gemurmel ihren Beifall zu erkennen; nach ihm ſprach
noch ein Anderer in demſelben Sinne, und ſo alle Anweſen⸗
den. Da erhob ſich Chiriſophus und ſagte: „Soldaten, Ana:
xibius, der gerade eine Flotte befehligt, ift mein Freund;
wollt Shr mich abfenden , fo hoffe ich, in Bälde mit Dreiru⸗
dern und andern Fahrzeugen zurüczukehren, um Euch abzus
holen; wollt Ihr nun zu Schiffe abgehen, fo erwartet meine
Rückkehr.“ Als Dieß die Soldaten hörten, freuten fie ſich
fehr, und waren dafür, daß er ſogleich abgehen follte,
Nach ihm erhob fid) Kenophon und fagte: „Chiriſophus
geht ab, um Schiffe zu beforgen, wir aber bleiben. Nun
will ih Euch angeben, was wir während unfers Aufenthaltes
zu thun haben werden. Fürs Erfle müflen wir uns aus
Feindes Land mit Lebensmitteln verfehens denn der Marke
ift für und nicht hinreichend; auch haben wir, Wenige aus:
genommen, nicht die Mittel, ſie uns zu kaufen; das Land
aber ift feindlich; und wir laufen Gefahr, viele Leute zu vers
fieren, wenn Ihr unbedacht und unvorfichtig auf Zebensmits
tel ausgehet. Ich bin nun der Meinung, wir holen uns
diefelben nur unter gehöriger Bedeckung, und fchweifen nicht
aufs Gerathewohl herum, damit Ihr Leinen Schaden neh»
met, wofür wir, die Hrerführer, zu forgen haben.‘ Der
Vorſchlag fand Beifall. — „So hört denn weiter,” fprad)
er. „Es werden Einige von Euch auf Beute ausgehen wols
len; ich halte deßwegen fürs Belle, daß Der, welcher außs
Sunftes Bud). \ 897
gehen wi, uns anzeigt, daß und wohin er gehe, damit
wir Sie Zahl der Ansgehenden und Bleibenden wiflen, und
im Nothfall gemeinfchaftlic handeln koͤnnen, auf daß wir,
wenn es Gelegenheit gibt, Einigen beizuftehen, den Ort ken⸗
nen, wohin wir au Hülfe eilen müßen, und im Stande find,
Uterfahrenen, die Etwas unternehmen wollen, mit Rath bei:
zuftehen, indem wir die Stärke des Feindes, gegen den fie
ziehen wollen, zu erfahren fuchen.” Auch Dieb warb ange
nommen, — „Die Feinde haben Muße, auf uns Jagd zu
machen, und wir dürfen’s ihnen nicht verdenten, wenn fie
und zu verderben fuchen; denn wir find im Beflbe ihres Ei-
genthums, und ihre Stellung bedroht die unfrige, Wir müs
gen daher um das Lager herum Wachen ausftellen. Wenn
wir fo abwechfelnd Wache halten und den Feind beobachten,
fo wird Diefer ung weniger anhaben können. Ferner : wenn
wir darauf rechnen dürften, daß Chiriſophus uns die gehoͤ⸗
rige Anzahl Schiffe bringen wird, fo wäre ber Vorſchlag,
den ich nun machen will, ufnöthig; da Dieß aber ungewiß
ift, fo thäten wir wohl, auch hier Fahrzeuge aufzubringen.
Dein wenn er Schiffe bringt, und wir haben aud) hier, ſo
fahren wir um fo bequemer; und wenn er Feine bringt, fo
können wir diefe hier gebrauchen. Ich fehe hier oft Schiffe
porbeifegeln; erfuchten wir nun bie Zrapezuntier um lange
Schiffe, und bräcten mit dieſen fo viele Fahrzeuge (die
wir durch Wegnchme dev Steuerruder in Verwahrung hiel-
ten) auf, bis wir” eine hinlängliche Anzahl beifammen hät:
ten, fo follte und die beabfichtigte Abfahrt wohl nicht fehl:
fdylagen können.“ Auch Dieb ward gutgeheißen. „Nun
gebe ich Euch noch weiter zu bedenken, ob es nicht billig
Kenophon. 78 VBoͤchn.
!
808 Kenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus.
it, dab wir die Mannfchaft der aufgebrachten Schiffe auf
gemeine Roften, fo lange fie unfertwegen bleiben müßen,
verpflegen, und die Ueberfahrt bezahlen, damit fie für die
ung geleifteten Dienfle auch einigen Vortheil haben. Auch
Dieß ward befchloffen. „Wenn es und aber nicht gelingen
follte, die zureichende Anzahl Schiffe zufammenzubringen, fo-
wäre wohl gut, wenn wir ben Seeſtädten anbeföhlen, die
Wege auszubeſſern, die der Befchreibung nach fehr fchlecht
ſeyn ſollen; fie verfiehen fich gewiß dazu, theils aus Furcht,
theils audy, um uns bald los zu werden.‘
Hierauf fchrieen Alle, fie wollten nicht’zu Lande ziehen.
Da nun Kenophon ihren Unverfland wahrnahm, fo brachte ex
zwar den Vorſchlag nicht zur Abftimmung, vermochte aber
die Seeftädte, freiwillig die Wege auszubeſſern, indem er ih⸗
nen vorftellte, fie würden fie um fo eher Los werben, wenn
die Wege gemacht wären.
Fi erhielten von ben Zrapezuntiern ein Fünfgigruder,
über das man den Zacedämonifchen Periöfen *) Derippus zum
Befehlshaber beftellte. Allein, flatt Fahrzeuge aufzubringen,
entfloh Diefer mit dem Schiffe aus dem Pontus, Er erhielt
jedoch dafür in der Folge die gerechte Strafe; denn als er ſich
bei Seuthes in Thrazien unbernfen in fremde Händel mifchte,
verlor er durch den Lafonier Nitander das Leben. '
\ *) Sie waren, obgleich frei, doch den Spartanern dienſtbar und
unterworfen, und weil fie nicht als Bürger betrachtet wur—⸗
den, von den Öffentlichen Aemtern ausgefchloffen, mußten aber
nichts en weniger Kriegsdienfte thun. Manfo’d Sparte
_ ‚2. ©. 69
..—
—
Fünftes Bud). 899
Aud ein Dreißigruder erhielten fie, über welches ber
Athener Polykrates beſtellt wurde, der alle Fahrzeuge, wel:
che er aufbringen Lonnte, dem Heere zuführte. Man nahm
die Waaren heraus, uud ftellte der Sicherheit wegen Wa:
chen dabei auf; die Schiffe felbft aber wurden zur Yeberfahrt
beftimmt.
Während deffen gingen die Hellenen anf Beute aus; Eis
nigen glüdte es, Andern aber nicht. So führte Kleänetus-
feinen und einen andern Lochos in eine gefährliche Gegend,
und büßte da mit Vielen feiner Leute das Leben ein.
2. Als man die Lebensmittel nicht mehr fo in der Nähe
erhalten konnte, daß die Soldaten an demfelben Tage wier
der in’d Lager zurückkommen konnten, Tieß fi Xenophon
Wegweiſer von den Trapezuntiern geben, und zog mit der
Snälfte des Heeres gegen die Drilen; ) die andere Hälfte
fie er zur Bewachung des Lagers zurüd; denn die Kolchier,
ans ihren Wohnungen vertrieben, hatten ſich in großer An—⸗
zahl zufammengethan, und lauerten auf den Gebirgen. Die
Trapezuntier ‚aber führten die Helfenen nicht in die Gegenden,
wo fie fich leichter mit Lebensmitteln verfehen Eonnten, weil
fie mit den Bewohnern derfeiben befreundet waren; in's Land
der Drilen aber führten fie Diefelben mit Freuden; da fle
oft von ihnen beunruhigt wurden. Sie wohnten in einer ums.
wegfamen Gebirgsgegend, und fInd das ſtreitbarſte Volk in
dem Pontus.
*) Das Land der Drilen iſt nach D’Anville das heutige Kat
dir (Tſchaldir?).
5 *
900° Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus.
Ars die Helfenen in das Bergland kamen, fanden fie ale
Platze, welche den Briten nicht feſt genug ſchienen, verlaffen
und niedergebrannt; und ed war Nichts mehr zu bekommen,
ats Schweine, Ochſen und anderes Dich, das dem Feuer ent-
fommen war,
Pur ein Hauptplag war ned) übrig, in den fih Alte
zufammengezogen haften. Er war mit einem tiefen Hohl:
weg umgeben, und die Zugänge zu dem Orte waren äußerſt
gefährkich.
Die Peltaften waren den Hopliten fünf oder ſechs Sta⸗
dien weit vorgeeift, und über den Hohlweg gegangen; umd
da fie viele Schafe und andere Habe erblickten, griffen fie den
Ort an. Auch viele Spießträger *) waren ihnen gefolgt, die
auf Lebensmittel ausgingen, fo daß Derer, welche jenſeits
des Hohlwegs waren, über zweitaufend Mann ſeyn mochten,
Da fle aber ten Plab nicht erobern Fonnten, weil ein
breiter Graben vingsherum aufgeworfen, und der Aufwurf
mit Pfahlwert und vielen hölzernen Thürmen befept war,
fo wollten fie fi wieder zurückziehen; der Feind aber fiel ih=
nen in den Müden.
Da fie nun nicht zurüdkonnten (indem man von hier in
den Hohlweg nur Dann für Mann hinabfleigen Eonnte),
fchieften fie zu Kenophon, der die ſchweren Truppen führte,
und ließen ihm fagen, es fen in dem Drte eine Menge Vor:
räthe, fie könnten ihn aber nicht nehmen, weil er feft fep;
*) Dieß wear feine befondere Truppennattung; fondern Die,
voelhe auf Beute ausgingen, bedienten fich der Spieße zur
Fortſchaffung des Erheuteten, und im Nothfall zu ihrer Ver⸗
theidigung.
⸗
Bünftes Buch. :904
anch vermöchten fie nicht, ſich zurückzuziehen, weil, der Zeind
den an fi ſchon ſchwierigen Rückzug durch Ausfälle bein:
ruUhige.
Auf dieſe Nachricht rückte Kenophon on den Hohlweg
“and ließ die Hopliten Halt machen; er ſelbſt begab ſich mit
den Hauptleuten hinüber, um zu ſehen, ob es rathſamer ſey,
die Truppen wieder zurückzuholen, oder auch mit den Hopli⸗
ten, in der Hoffnung, den Platz zu erobern, vollends über⸗
zufetzen.
Der Rückzug war ohne bedeutenden Verluſt nicht mög⸗
—lich; dagegen meinten die Hauptleute, der Ort wäre mohl zu
nehmen; womit auch Kenophon, da die Opfer zufagten, über«
einftimmte. Die Seher hatfen zwar Kampf, aber glüdtichen
Erfolg deflelben verkündigt. |
Er ſchickte nun die Hauptleute ab, um die Hopliten
heruͤberzuführen, ließ die Peltaften zurücktreten, und unters
fagfe ihnen, auf den Feind zu fchießen oder zu werfen. Urs
‚die Hopliten ankamen, hieß er die Hauptleute ihre Lochen in
“eine ſolche Faffung feben, bei der er ſich von ihnen das
Meifte 'verfpräches denn die Hauptleute, weiche die ganze
Zeit über um den Preis der Zapferkeit wetteiferten, fanden
nahe bei einander. Dieß thaten ſie. Hieranf gab er Beschl,
die Peltaften ſollten fämmtlicy, die Hand an dem Riemen des
-Murffpießes, vorrüden, um aufs erfte Zeichen abzumenfen,
die Bogenfchüsen ſollten den Pfeil auf der Sehne haben, um
gleich auf das Zeichen zum Schuſſe fertig zu ſeyn; die Gym⸗
neten ſollten die Taſchen voll won Steinen haben ;z. auch ſchekte
er Leute ab, die daranf zu achten hatten. Nachdem num Us
les angeordnet war, die Hauptleute aber und bie Unterhaupt⸗
902 Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus.
feute, und Die, welche es ihnen gleich thun wollten, alle fo
nebeneinander fanden, daß fie einander fehen Eonnten, weil
ihre Stellung der Dertlicheit wegen mondförmig war, ſtimm⸗
ten fie den Schlachtgefang an, und die Trompete erflangs
unfer Kriegsgefchrei. ſetzten Die Hopliten ſich in Lauf, und
mit einander flogen Pfeile, Wurfipteße und Steine, aus
Echlendern und den bloßen Händen geworfen ; ; Einige brach⸗
ten fogar Feuer herbei.
Die Menge der Befchoße machte, daß die Feinde die
hölzerne Bruſtwehr und die Thürme verließen; der Stym⸗
- phalier Agaſias und Philorenus aus Pellene *) legten deßhalb
die Rüftung ab, und fliegen in bloßer Kleidung hinan; Ei⸗
ner half dem Andern hinauf, und Diele waren fchon oben, fo
daß der Platz fchon erobert ſchien. Auch die Peltaften und
die anderu Leichtbewaffneten drangen nun hinein, und plün⸗
derten, wo fie Etwas fanden; Xenophon aber ftelite fich an's
Zhor und verhinderte, fo gut er Eonnte, das Eindringen der
Hoplitenz; denn auf einigen befefligten Unhöhen ließen. fich
wieder Feinde fehen. -
Gleich nachher entitand innen ein Gefchrei: die Einen
fiohen mit Dem, was fle erbeutet hatten, Andere wohl auch
verwundet zurüc, fo daß an den Thoren ein großes Gedränge
entftand. Die Herausflürzenden fagten auf Befragen, inwens
dig fep eine Burg, der Feind habe im großer Anzahl einen
Ausfall gethan, und ſchlage die Truppen in der Stadt.
Da ließ Kenophon den Herold Zolmides ausrufen, Wer
wändern wolle, Eönne hineingehen. Diele flürzten hinein,
*, Einer Stabt Achaja's im noͤrdlichen Peloponnes.
Zünftes Bud. ' 903
und die Eingebrungenen ſchlugen Die, welche den Ausfall ges
macht hatten, zurüc, fo daß die Feinde wieder in ihre feſte
Stellung zurückgeworfen wurden. Alles, was außerhalb des
feften Plabes war, wurde nun augdgeplündert und herausges
ſchafft; die Hopliten aber flellten fid, an dem Pfahlwert und
dem auf die. Burg führenden Wege in Schlachtordnung auf.
Zenophon unterfuchte hierauf mit den Hauptleuten, ob
die Burg auf irgend eine Meife zu, nehmen fey; denn nur
. dann war der Rüdzug gefichert, der fonft äußerft fchwierig
werden konnte; bei genanerer Unterfuchung aber fanden fie,
daß dazu durchaus keine Hoffnung war, Sie machten ſich
demnach zum Abzuge fertig, rißen die Jedem zunächft flehen-
den Palifaden nieder, und fehicten die zum Kampfe Un:
brauchbaren oder mit Beute Beladenen nebft dem größten
Theile der Hopliten wieder hinaus, und die Hauptleute bes
hielten nur Diejenigen zurüd, auf welche fie das meifte Ver:
trauen febten.
Da nun der Ruͤckzug begann, machte wieder eine große
Anzahl Feinde, mit Flechtfchilden, Lanzen, Beinharnifchen
"und Paphfagonifchen Helmen ausgerüftet, einen Ausfall auf
fle; Andere fliegen auf die Häufer, Die auf beiden Seiten des
nach der Burg führenden Weges ftanden; ſo daß man ſie
nicht mit Sicherheit zu den auf die Burg führenden Thoren
verfolgen Eonnte; denn fie warfen große Balken oben herab;
fo daß es gleich gefährlich war, zu bleiben oder abzuziehen;
auch die. einbrechende Nacht drohte ihre Lage noch- zu ver:
fhlimmern. \ |
Da fie nun fochten und ſich nicht zu rathen noch zu hel⸗
fen wußten, gab ihnen ein Gott ein Rettungsmittel an bie
ie
904 Xenophon's Feldzug des juͤngern Cyrus.
Hand. Auf einmal ſtand naͤmlich ein Hans, von irgend Je⸗
mand angezündet, in lichten Ylammen. Als das Haus -zu=
fammenftürzte, ergriffen alle Feinde auf dev rechten Seite
die Flucht, Wie Kenophon von dem Zufall diefen Wink bes
kam, befahl er fogleich, auch die Käufer zur. linden Seite in
Brand zu fleden: da fle von Holz waren, ſtanden fie ſogleich
in Flammen; da floh der Feind auch von diefer Seite,
So hatten fie es nur noch mit Denen zu thun, welche
ihnen gegenüber flanden, und ed war zu erwarten, daß fie.
ihnen bei’m Abzug aus der Stadt und über den Hohlweg im
den Rüden falfen würden. «Er gab nun Befehl, daß Dieje⸗
nigen, welcye außer dem Schuffe flanden, zwifchen fie ımb
die Feinde Holz zufanımentragen follten. Als genug beiſam⸗
men war, zündeten fie es anz auch wurden, um den Feind
zu befchäftigen, die Häufer zunächſt dem Walle in Brand
geſteckt.
So gelang es ihnen endlich, ſich vermittelſt des zwiſchen
ihnen und dem Feinde angezündeten Feuers zurückzuziehen.
Die geſammte Stadt nebſt Häufern, Pfahlwerk, Thürmen
und allem Andern, außer der Burg, ging in Flammen auf.
Um folgenden Tage gögen die Hellenen mit Lebensmit⸗
teln verfehen wieder ab. Da fie nun wegen ihres Rüdwegs
nach Zrapezunt, der fehr fteit und ſchmal war, in Sorgen
‚waren, Fegten fie einen verftellten Hinterhalt. Ein gewißer My⸗
fier nämlich, der auch fo [Myfog, d. h. Myſier] hieß, nahm zer
ben Kreter zu fich, blieb in einem Gehölze zurüd, und ſtellte
fi, als ſuche er, fich vor den Feinden verborgen zu halten; -
ihre ehernen Schilde aber glänzten bald hier bald da durch.
Die Zeinde bemerbten Dieß, und befürdhteten einen Hinter⸗
Fünftes Buch. | 905
halt; mittlerweile 309 fic das Heer hinab. Als man glaubte, -
einen binlänglichen Vorfprung zu haben, gab man dem My:
ſos wit der Trompete ein Zeichen zur Alucht, und diefer oh
nun mit feinen Leuten mit möglichfter Eile. Die Krater
befürchteten, im Laufe eingeholt zu werden, warfen ſich
feitwärts vom Wege in den Wald, wälzten fid) die Berghö⸗
ben hinab und entkamen glücklich. Myſos aber floh auf dem
Wege fort und fchrie nad) Hülfe. Dan eilte herbei und vet⸗
tete ihn, obgleich er verwundet war. Die, welche ihm bei-
ſprangen, zogen fi), da anf fle gefchoffen ward, nebft einigen
Kretern, welche die Schäffe der Zeinde erwiederten, zurüd;
fd Samen Alle wieder wohlbehalten in dein Zager an.
3. Da nun weder Ehirifophus Fam, nod) auch eine hinläng-
tiche Anzahl Schiffe beifammen war, und keine Lebensmittel
mehr zu bekommen waren, ward endlich der Abzug befchlofe
fen. Die Kranken, die äber vierzig Jahre Alten, die Kna⸗
ben und Weiber nebft den entbehrfichen Geräthfchaften wur:
den an Bord gebracht, die aͤlteſten Heerführer, Philefius und
Sopkänetus gingen mit zu Schiffe, um über das Ganze
Aufſicht zu führen; die Andern zogen zu Lande fort; die
Wege waren ausgebeflert.
Sie kamen in drei Tagen an die Hellenifche Seeſtadt
‚Cevafus, *) eine Pflanzftadt von Sinspe; fie Tag noch in. dem
*2) Gent zu Tage Kerefun oder Kirafon genannt. Arrhanus
nennt dieſelbe Stadt Pharnacea. Rennel glaubt, es fey
“ Hier die Stadt Koralla gemeint, und behauptet, Kenophon
habe ſich geirrt, ba die Stadt Errafus wenigſtens ſechs Tags
8 von Trapezunt entfernt ſey, und nicht im Kolchiſchen
e.
906 Kenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus.
Gebiete der Kolchier. Hier blieben fie gehen Tage; das Heer
wurde gemuftert und, gezählt: es betrug adyktaufend ſechshun⸗
dert Mann. So Biele waren übrig, die Andern in den
Kämpfen, durdy den Schnee und zum Theil auch durch
Krankheiten zu Grunde gegangen.
Hier vertheilte man das Durch den Verkauf der Gefange⸗
nen eingegangene Geld; den Zehnten aber, welchen man für
Apollo und die Epheſiſche Artemis zurücklegte, theilten die
Heerführer unter ſich, ſo daß Jeder derſelben einen Theil
davon für die Götter in Verwahrung nahm. Den Theil
des Chiriſophus nahm Neon von Aline *) in Empfang.
Lenophon Tieß in der Folge ein Weihgeſchenk für Apollo
verferfigen,, und legte es in dem Atheniſchen Schag zu Del:
phi nieder. Die Inschrift enthielt feinen und des Prorenus
Namen, der mit Klearchus umgekommen war. Denn Prore:
nus war fein. Saflfreund geweien. Das für die Ephefifche
Artemis zu einem Weihgeſchenk beftimmte Geld ließ er, ale
er mit Ageſilaus aus Aſien zum Kampf mit den Böotiern
zurüdkehrte, in den Händen des Tempelauffehers der Arte
mis, Megabyzus, zurücd, weil er Gefahren entgegenzugehen
glaubte, mit dem Auftrage, es ihm, wenn er bei’m Leben
bliebe, wieder auzuftellen, falls ihm ein Unglück zuſtieße, der
Artemis ein Weihgeſchenk verfertigen zu Taffen, wie er glau-
be, daß ed der Göttin am wohlgefälfigften wäre.
Als Kenophon nachher, aus feinem Vaterlande verwies
> fen, **) in dem-von den Lacedämoniern in der Nähe von Olym⸗
*) Eine Stadt in Ratonien,
#9) Weil er dem Cyrus, welcher mit then | in Seindfchaft lebte,
gegen Artaxerxes gedient und dadurch ſowohl feine Waters
Fünftes Bud. 907
pia erbauten Scillus *) lebte, kam Megabyzus nach Olympia,
um die Spiele zu ſehen, und gab ihm das anvertraute Geld
zurück. Xenophon kaufte dafür der Göttin ein Stück Landes,
das ihm der Gott angewiefen hatte, und welches vom GSeli-
nus durchfirömt wird. Auch bei Ephefus fließt ein Fluß,
mit Namen Selinus, an bem Tempel der Artemis vorbei;
in beiden gibt es Fiſche und Mufcheln; die Gegend um Scil⸗
Ind Liefert auch noch alle Arten von Bild.
Auch einer Tempel und Altar erbaute er von dem heili-
gen Gelde, und weihte der Göttin den Zehnten von den Er:
zeugnifien des Bodens zu beftändigem Opfer. Ale Bürs
ger **) und Graͤuznachbharn, Männer und Weiber, nahmen
an diefem Feſte Theil, und die Gäfte wurden auf Koften der
Göttin mit Mehl, Brod, Wein, Nachtifch und einem Au⸗
theil an dem Opfervieh, welches die geweihte Zrift, und dem
Wild, weldyes der Forft lieferte, verforgt; denn Kenophon’s
und der andern Bürger Söhne flellten für diefes Feſt Jagden
an, und mit ihnen Männer, die Luſt dazu hatten; man
brachte theils von dem heiligen Gebiete, theild von dem Berge
Pholoe **) Schweine, Rehe und Hirfche ein.
ſtadt, ald den König gegen ſich aufgebracht Hatte, um: fo
mehr, da er hiedurch mit den Kacebämoniern, die damals
gegen Athen und Perfien in feindlichen Stellung waren, in
freundfchaftliche Verhaͤltniſſe getommen war, Soktrates ſcheint
Dieß geahnt zu haben, als er ihm zu dieſem Schritte nicht
rathen wollte.
*, In der Landſchaft Elis im weſtlichen Peloponnes.
rn) Bon Seillus.
. #0, Gin Arkadiſcher waldiger Berg, der ſich in Elis in der Nine
von Olympia zu erheben anfängt.
908 RXenophon's Yeldzug des jüngern Cyrus.
Dieb Weihgebiet liegt an dem Wege von Lacedäͤmon nmach
Dipympia, ungefähr zwanzig Stadien von dem ‚Tempel des
Zend in Olympia. Es enthält Haine und baumreiche Berge,
welche Schweinen, Siegen, Schafen und Pferden Weide ge:
ben; auch die Geſpanne Derer, tie zu dem Felle kommen,
finden Futter genug. Den Tempel felbft umgibt ein Dein
von Fruchtbäumen, deren veife Früchte genoffen werden können.
Der Tempel gleicht im Kteinen dem Ephefifchens auch
das Stanbbild der Göttin aus Cypreſſenholz gleicht dem
goldenen in Ephefus. Neben dem Tempel fleht eine Säule
mit der Inſchrift: „Das heilige Gebiet der Arte
mid, Wer e8 befist .und feine Früchte erntet,
ſoll ihr den Behnten jedes Jahres weihen, uud
Bon dem Vebrigen den Tempel in gutem Stand
erhalten. Wer es nicht thut, folles der Göttin
entgelten.“
4. Von Ceraſus fuhren Diejenigen, die ſchon vorher
zur See gefahren waren, wieder ab; die Andern zogen zu
Lande weiter. Un den Gränzen der Moſſhnöken *) ſchickten
fie den Zrapezuntier Timeſttheus, der ihr Gaſtfreund war,
zu ihnen, und ließen fie fragen, ob fie als Freunde oder
Feinde durch ihr Land ziehen ſollten? „Sie dürften gar nicht
durch daſſelbe ziehen,’ erwiederten fie; denn fie verließen fich
auf ihre feften Plaͤtze.
Zimefitheus erzählte hierauf, daß die weiterhin wohnen⸗
den Moſſynöken mit Diefen in Feindſchaft lebten; man bes
*), Ein von Perſien unabhängiges Bote in Kleinaſien, am ſchwar⸗
sen Meer in der Nachbarſchaft der Kolchier ‚und Tibarener
wohnend.
' Fuͤnftes Bud. 909
ſchloß alfo, Jene zu einem Bündniffe einzuladen. Zimefi«
theus ward abgefandt, und kam mit den Anführern derfelben
zuräd. Da traten die Heerführer der Hellenen mit den Aus
führern der Noſſynöken zufammen, und Xenophon ſprach
durch den Diotmetfher Timeſitheus Folgendes:
„Moſſynöken, wir wünfchen zu Lande nad Hellas zu
gelangen, da wir keine Schiffe haben; diefes Volk nun, das,
wie wir hören, Euer Feind ift, hindert uns daran. Ihr
Lönnt daher, wenn Ihr wollt, uns zu Bundesgenoflen erhals
ten, alles von ihnen Euch angethane Unrecht raͤchen, und fie
für die Zukunft Euch unterwärftg machen. Verſchmäht Ihr
unfern Antrag, fo möget Ahr aufehen, ob Ihr je wieder eine
ſolche Heeresmacht zu Eurer Verfügung bekommt.“
“> Hierauf erwiederte der oberfte Anführer der Moſſynoken,
fie feygen mit ihrem Anerbieten zufrieden und nehmen das
Buͤndniß an.
„Bohlan denn, begann Tenophon wieder, ‚worin ver:
langt Shr unfere Hülfe, wenn wir Eure Bundesgenoffen find?
Wie könnt Ihr uns dagegen für unfern Durchzug Beihülfe
feiften 2° Sie anfworteten: „Wir Eönnen von der andern
Seite in das Gebiet Eurer und unferer Feinde einfallen,
uud auch) Schiffe und Leute hieher fenden, die an Eurer Seite
fämpfen und den Weg Euch zeigen.‘
Pac) gegenfeitiger Gemwährleiftung gingen fie ab, und
erfchienen am folgenden Tage mit dreihundert einftämmigen
Kähnen, in deren jedem drei Männer faßen. Je Zwei davon
fliegen aus und ftellten ſich in Reih und Glied; der Dritte
blieb zurück.
x -
Lo
910 Xenophon's Feldzug des jüngern Ehrus.
Diefe Letztern fuhren mit den Kähnen zurück; die Er:
ftern aber ftellten fi auf folgende Art in Schlachtordnung.
Sie fraten je zu Hunderten, wie in den Chören, einander ge⸗
genüber, Alte trugen Flechtfchilde, die mit weißhaarigen Och:
fenhäuten überzogen und wie Epheublätter geffclfet waren;
in der Rechten hielten fie einen fechselfigen Spieß, der vorn
in eine Spitze auslief, hinten am Schafte aber Fugelförmig
gerundet war. Weber den Sinieen Erugen fle Unterleider von
der Dicke leinener Mantelfäce ; auf dem Kopfe haften ſie [es
derne Helme, ähnlich, den Paphlagonifchen, aus deren Mitte
ein der Ziare ähnlicher Haarwulſt hervorragfe; fie führten
eiferne Hellebarden.
Da begann Einer von ihnen einen Gefang, in welchen
die Andern Alle mit -einftimmten, nad; dem Takte einher:
ſchritten und durch die Reiben der Helleniſchen Hopliten hin
plötzlich auf den Feind, gegen einen feften Plab rückten, dem,
wie es fchien, am leichteften beizufommen war, Es lag diefer
vor der Stadt, die fie ihre Mutterfladt nannten, und welche
die Hauptveſte der Moffyndten in fich ſchloß; über ihr war
der Krieg entſtanden; denn Diejenigen, welche fie inne hatten,
hielten fich jederzeit für die Herren aller Moſſynöken. Gie
aber befaßen fie nad der Ausſage der Moffonöten nicht mit
Recht, fondern maßten ſich das Gemeingut zur Unterdrüdung
der Andern an.
An fie ſchloßen fih, nicht auf Befehl der Heerführer,
fondern der Beute wegen, einige Hellenen an. Die Feinde
hielten (ih, da fie anrückten, anfangs ruhig; als fie aber
nahe genug herangekommen, machten fle einen Ausfall, ſchlu⸗
gen fie in die Flucht, machten viele Moſſynöken und audy ei:
Fünftes Bud). 944
nige der fie hegleitenden Hellenen nieder, und verfolgten fle
fo lange, bis fle die Hellenen zu ihrer Hülfe herbeitommen
ſahenz da kehrten fie um, fchnitten den Gefallenen die Köpfe
ab und zeigten fie den Hellenen und ihren Feinden, wobei fie
zugleich nad) einem gewiffen Takte tanzten und fangen.
Die Hellenen waren fehr aufgebracht, daß fie die Feinde
£ühner gemacht, und die zahlreichen Hellenen zugleich mit ihs
sten die Flucht ergriffen hatten ‚ was fie während des ganzen
frühern Feldzugs noch nie gethan hatten.
Xenophon rief deßhalb die Hellenen zufammen und ſprach:
„Soldaten, laßt Euch durch dieſen Vorfall nicht kleinmüthig
machen; denn er hat, trotz dem Nachtheil, nicht geringen
Vortheil für Euch; denn nun ſeyd Ihr verſichert, daß unſre
künftigen Führer wirklich Feinde Derer ſind, gegen welche
auch wir zu kaͤmpfen haben; dann haben diejenigen Hellenen,
welche unſre Reihen verließen, und an der Seite der Barba⸗
ren Daſſelbe wie an unſerer Seite auszurichten wähnten,
die verdiente Strafe erlitten; fo daß ſie in Zukunft nicht fo
Leicht wieder unferer Kampfweife unfreu werden. Un Euch
ift es nun, den mit uns verbündeten Barbaren zu zeigen,
daß Ihr tapferer feyd als fie, umd den Feinden, daß fle es
mit ganz andern Männern zu thun haben, ald da fie gegen
die ungeordneten Haufen fochten.“
Diefen Zag blieben fie ruhig; amı folgenden aber opfers
ten fie; und da die Opfer zufagten, ſtellten fle fich nach geens
digtem Frühmahl in Heerſaͤulen [Eolonnen]) auf, ließen die
Barbaren Daffelbe auf dem linkel Flügel thun, und rückten,
nachdem fie die Bogenfchüsen und Peltaften in die Heer-
ſaͤulen aufgenommen, doc, fo, daß fie vorn gegen die Ho⸗
942 Zenophon’s Feldzug des jungern Cyrus.
pliten nur wenig zurückſtanden, vor. Denn eine Schaar
Feinde Tief behende.hervor und warf mit Steinen. Diefen
mußten die Bogenfchägen und Peltafen Einhalt hun; Die
Andern zogen nur Mangfam vorwärts und zwar zuerft. bem
Platze zu, von dem die Barbaren Tags zuvor mit ihren
Verbündeten zurücgefchlagen wurden; denn hier hatten ſich
die Feinde gegen fie aufgeſtellt.
Gegen die Peltaften hielten die Feinde Stand und lies
Ben fi in ein Gefecht mit ihnen ein; als aber die Hopfiten
nahe kamen, nahmen fie die Flucht. Die Peltaften ſetzten ih:
nen fogleih nad, und verfolgten fie hinauf bie an die.
Hanptftadt; die Hopfiten aber rüdten in gefchloffenen Glie—
dern nad).
Als fie oben an die Häufer der Stadt kamen, empfingen
fie die Feinde, die fih dort Alle verſammelt haften, mit
Wurffpießen; aufferdem haften fle Lanzen von folder Dice
und Länge, daß ein Mann daran zu tragen hatte: damit fud)-
ten fie die Feinde in der Nähe abzutreiben.
Als aber die Helfenen nicht wichen, fondern ihnen zu
Leibe gingen, ergriffen fie die Flucht und verliehen den Plab.
Ihr König, der in einem hölzernen, auf der Höhe erbauten,
Zhurm wohnte, wo er auf öffentliche Koften unterhalten und
bewacht wurde, *) wollte fo wenig, als die Befabung des
früher eroberten Plabes, heraus; fie wurden alfo ſammt ihs
ren Wohnthürmen verbrannt.
*) Er Hatte feine Nefidenz auf dem oberften Stocwert eines
hölzernen Thurmes, und ſprach ben ftreitenden Parteien
Recht; wenn er gegen die Gerechtigkeit fündigte, fo wurde er
gebunden und ohne Speiſe gelaffen, bis er verhungerte,
—
—
.
Fünftes Buch. ’ ee 7}.
Die Hellenen fanden bei der Plünderung des Pages
Borräthe von Broden, die, wie die Moſſynökendausſagten,
nach hergebrachtem „Gebrauche von einem Jahre her aufbe-
wahrt lagen; das diesjährige Getreide, meiftens Spelt, war
noch in den Aehren. Auch fanden fie eingepöfeltes Delphi⸗
nenffeifch in Tonnen, nebft dem Thrane deffelben in Gefä:
Ben; die Moſſynöken gebrauchten diefen, wie die Hellenen
Das Oehl. In den obern Stockwerken fand fid eine Menge
Platter Nüffe ohne Spatt, *) deren fie fi häufig zur Speife
bedienten, indem fie fie kochten, oder Brod daraus badkten.
Auch Wein ward gefunden: er fchmedte zwar wegen feiner
Strenge ungemifcht ſäuerlich, gemifcht aber hatte er einen
MWohlgeruch und war angenehm.
Die Hellenen zogen, nachdem fie gegeflen hatten, weiter,
und übergaben den Platz ihren Verbündeten, den Moſſynd⸗
ken. Von den andern feindlichen Städten, an welchen fie
vorüber Famen, wurden die unhaltbarften verlaffen oder frei⸗
wilfig übergeben. Die meiften Städte lagen achtzig Stadien
[zwei deutiche Meilen] von einander; einige jedoch weiter,
andere weniger. Ihren wechfelfeitigen Ruf Eonnte man von
einer Stadt zur andern vernehmen: fo hoch und voller Klüfte
war das Land. |
Als fie in das Land ihrer Freunde Famen, zeigte man
ihnen gemäftete Kinder reicher Eltern, die, mit gekochten Ka⸗
7
*) Manrfcheinlich die Kaſtanie ‚bie in Hellas damals noch nicht
gebaut und erft in der Folge aus Aften nach Europa ge:
bracht ward; zuerft wurde fie bei der Theſſaliſchen Stadt Ka⸗
fon angebaut, woher fie ihren Namen erhalten zu haben
cheint.
RXenophon. 78 Bochn. 6
944 Zenophon’s Feldzug des fjüngern Cyrus.
ſtanien gefüttert, fehr zart und weiß und beinahe eben fo
Dick ald Tang waren; ihr Rüden war bunt bemalt, und der
ganze Vorderleib mit Blumen punktirt. Mit den Buhl—
dirnen, welche die Heifenem bei fich haften, wollten fie ſich
vor Aller Augen vermifchen; denn ed war fo Sitte bei ihnen.
Männer und Weiber waren alle fehr weiß.
Diefed Volk wurde von Denen, welche biefen Feldzug
mitmachten, für das ungefittetfte von alfen erklärt, durch der
ren Zand fie gekommen waren, das aud) am weitellen von
den Hellenifchen Sitten abwich. Denn was andere Meufchen
nur dann vornehmen, wann fie allein find, das thaten fie vor
Aller Augen, und waren fie allein, fo betrugen fie fich eben
fo, al8 wenn fie in Gefellfchaft wären: fie fprachen mit fidy,
fachten für ſich, und tanzten, wo fie. flanden, gleich als ob
fie fi) vor Andern zeigen wollten. 7
5. Durd) diefed Land, das feindliche und befveundete,
zogen die Hellenen in acht Zagmärfchen, und kamen zu den
Chalybern. Diefes Eleine, den Moſſynöken unterwürfige, Volk
lebt meiftens von feiner Arbeit in den Eiſenbergwerken.
Bon hier kamen fie zu den ZTibarenern. Ihr Land war
viel Hacker, amd hatte am Meere hin mehrere jedoch minder
fefte Pläße, Die Heerführer wollten fie angreifen, um dem
‚Heere einige Vortheile zuzumenden, und nahmen deßhalb die
son den Zibarenern angefommenen Gaſtgeſchenke nicht fo-
gleich an, fondern Ließen die Weberbringer warten, bie fie
ſich berathen Hätten, und opferten dann.
Noch vielen Opfern thaten endlich die Scher den Aus⸗
‚fprudh, daß die Götter den Krieg durchaus nicht genmehmig-
ten. Jetzt nahmen fie die Gaftgefchente an, und. nachdem fie
— — — —
8
Fünftes Buch. 915
zwei Tage als durch Freundesland gezogen waren, kamen ſie
an die Helleniſche Stadt Kotyéra, ) eine Pflanzung von Si⸗
nöpe, die in dem Zibarenifchen Gebiete Liegt.
Bis hieher war das Heer immer zu Fuß gezogen. Der
ganze Weg von der Schladyt bei Babylon bis nach Kotyora
betrug in hundert zwei und zwanzig Tagmärſchen fechshufs
dert und zwanzig Parafangen und achtzehntaufend ſechshun⸗
dert Stadien, und ward in act Monaten zurüdgelegt.
Hier blieb man fünf und dreißig Tage. Während diefer Zeit
opferten fle zuvörderft den Göttern, und hielten je nad) ih⸗
ren verfchiedenen Stämmen Aufzüge, und flellten gymniſche
Spiele an. Die Lebensmittel bezogen fie theils aus Paphla⸗
gonien, theild aus dem Gebiet von Kotyora; denn fie brach⸗
ten ihnen Beine Lebensmittel zu Markte, und woHten auch
ihre Kranken nicht in die Stadt aufnehmen.
Unterdeffen kamen Abgeordnete aus Sinöpe, wo man für
die Stadt Kotyora (demn fie hing von diefer ab, und war ihr
zinsbar) und für das Land beforgt war, deſſen Plünderung man
erfahren hatte. Nach ihrer Ankunft im Lager ſprach Hekat⸗
onymus, der für einen guten Redner galt, in ihrem Namen:
„Kriegsmänner, die Stadt Sinspe fendet und ab, Euch
ihren Beifall zu bezeugen, daß Ihr, geborene Hellenen, die
Barbaren beflegt habt, und Euch Glück zu wünſchen, daß
Ihr aus fotvielen Gefahren glücklich hieher entkommen ſeyd.
Wir glauben aber, ſelbſt geborene Hellenen, von Euch Helle⸗
e) Es ift heut zu Tage nichts mehr von ihr zu fehen; Kinneir
glaubt, fie Habe in der Naͤhe des jegigen Dorfes Drdu ge
Vegen.
6*
916 Renophon's Feldzug des jüngern Cyrus.
nen nur Gutes, nichts Böſes erwarten zu dürfen, zumal ba
wir Euch nie etwas Böſes zugefügt haben. Die Kotyoriten
find unfere Pflanzbürger; wir haben ihnen dieſes Land, das
wir den Barbaren abgenommen, übergeben; weshalb fie uns
auch, fo wie die Gerafuntier und Trapezuntier, beflimmte bs
gaben entrichten. Thut Ihr alfo Diefen Etwas zu Leid, fo
hält die Stadt Sinöpe ſich dadurch für beeinträchtigt. Nun
hören wir, daß Ihr mit Gewalt in die Stadt eingedrungen,
dag Euer Einige fid in die Häufer eingelegt haben, daß
Ihr ohne Erlaubniß alle Eure Bedürfniffe von dem? Lande
bezieht. Dieß Eönnen wir nicht gut heißen. Werdet Ihr
dergleichen ferner thun, fo fehen wir ung gendthigt, ung mit
Korylas und den Paphlagoniern, und mit Wem wir nur föns
nen, an verbinden.”
Auf diefe Rede erhob fid, Kenophon und ermiederfe im
Namen der Hellenen: „Wir, Sinopeer, müßen froh feyn,
daß wir unfer Leben und unfre Waffen gerettet haben; denn
Beute mit fortzufchleppen und zugleich gegen die Zeinde zu
fämpfen, war nicht möglich. Als wir die Hellenifchen Städte
erreichten, bezahlten wir bei Trapezunf, weil man und einen
Markt anwies, unfre Bedürfniffe baar, und erwiefenTihnen
für die Achtung, welche fie ung durch Weberfendung von Gafts
gefchenten erzeigten, gegenfeitige Achtung: Welche von den
Barbaren ihnen befreundet waren, Denen geſchah von uns
Nichts zu Leid; ihren Zeinden aber, gegen welche fie uns
ſelbſt anführten, thaten wir Abbruch: fo viel wir konnten.
Fraget fie felbft, wie wir und gegen fie betrugen; denn es
find Einige bier, welche und die Stadt aus Freundfchaft als
Megweifer mitgab, Kommen wis aber in ein Land, fen es
Fünftes Buch, 927
nun barbariſches oder Helleniſches, und man ſtellt uns Nichts
zu Kauf, fo nehmen wir ung ſelbſt unfre Bedürfniffe, nicht
aus Webermuth, fondern weil wir müßen. So madıten wir
und die Karduchen, Chaldäer und Taocher, die, wenn gleich
feine Unterthanen des Königs, doch furchtbar genug find, zu
Feinden, weil die Noth uns drang, die Lebensmittel, welche
fie ung nicht zu Kaufe gaben, ung mit Gewalt zu nehmen.
Die Makronen aber, ob fie gleich- Barbaren find, behandelten
wir ald Freunde, und nahmen Nichts‘ von dem Ihrigen mit
Gewalt, weil fie uns Lebensmittel, fo gut fie foldye hatten,
für Bezahlung überließen. Die Kotyoriten, die, wie Ihr
fagt, zu Euch gehören, find felbft fchuld, wenn wir ihnen Ets
was genommen habenz- denn fie begegneten uns nicht ale
Freunden, fondern fchloßen die Thore und ließen ung weder
ein, noch ſchickten fie Lebensmittel heraus, woron fie die
Schuld auf Euern Statthalter fchoben. Wenn du fagft, wir
feyen mit Gewalt in die Stadt gedrungen und haben uns
eingelegt, fo haben wir fie gebeten, unfre Kranken unter
Dadı zu nehmen; da fie und aber die Thore nicht öffneten,
fo gelangten wir, wie wir Eonnten, in die Stadt, und haben
weiter Feine Gewalt gebraucht. Die Kranken liegen num in
den Häufern und zehren für ihr Geld; die Thore Kalten wir
befegt, damit unfre Kranken nicht in der Gewalt Eures Statt:
halters find, und ed ung frei ſteht, fle wieder fortzunehmen,
wenn wir wollen. Wir Andern Tagern, wie hr feht, unter
freiem Himmel unter den Waffen, und find bereit, Dem, der
ung Gutes erzeigt, yerällig zu feyn, und und Deren zu ers
wehren, die ung Webles thun. Was Deine Drohung anbes
langt, Euch nöthigenfalts mit Korylas und den Paphlago⸗
948 enophon’s Feldzug des jüngern Cyrus.
niern gegen uns zu verbinden, fo wißt, daß wir ed auch mit
Beiden aufnehmen werden; denn wir haben uns fchon gegen
andere weit zahlreichere Feinde, als Ihr feyn würdet, ges
ſchlagen; oder auch verbinden wir ung felbft mit vem Pa⸗
phlagonier ; denn wie wir hören, hat er große-Luft zu Eurer
Stadt und den Plägen hier am Meer; mag er diefe Luſt
rin mit unferer Hülfe büßen, und und dafiir zu Gefallen
ſeyn!“
Hierauf gaben die übrigen Geſandten ihren Unwillen
über des Hekatonymus Vortrag ſehr deutlich zu erkennen.
Es trat Einer von ihnen vor und erklärte: „wir find nicht
in der Abſicht gefommen, Krieg zu fliften, fondern Euch unfe:
rer Freundſchaft zu verfihern. Und wenn Ihr nach Sinöpe
fommt, fo wird man Euch mit Gaſtgeſchenken emprangen ;
jebt aber werden fie den Befehl geben, Euch Alles zu liefern,
was fie vermögen; denn wir fehen, daß Ihr in allen Stüden
wahr gefprochen habt.‘
Die Kotyoriten fandten nun Gaſtgeſchenke, und die Heer
führer der Hellenen bewirtheten die Gefandten von Siuöpe,
und erkundigten fich unter andern ihre Zage betreffenden Ge:
genfländen auch nad) der Befchaffenheit des noch übrigen We-
ges; und fie fprachen hierüber ihre gegenfeitigen Wünſche
ans. So endigte fich diefer Tag.
6. Am folgenden Zage verfammelten die Heerführer die
Soldaten, um mit Zuziehung der Gefandten von Sinöpe
über ihren fernen; Zug fich zu berathen. Denn mochten fie
nun zu Zande weiter zichen, fo waren bie Sinopeer ihre
beten Führer, da ihnen Paphlagonien bekannt war; oder ſich
Fünftes Buck 940.
einfchiffen, fo waren ihnen die Sinopeer unentbehrlih; da
nur fie im Stande waren, dem Heere die gehörige Anzahl
Schiffe Herbeizufchaffen.
Sie beriefen deshalb die Gefandten zur DVerfammlung,
und erficchten fic als Landsleute, ihre gute Aufnahme damit
zu beginnen, daß fie ihnen ihr Wohlwollen fchenkten und den
beften Rath ertheilten.
Da trat Hebatonymus auf und entfchufdigte ſich zuerſt
wegen feiner Aeußerung, daß fie fih mit dem Paphlagonier
verbinden würden; er habe damit nicht fagen wollen, daß fie
die Hellenen befriegen wollten; vielmehr würden fie, obgleich
fie die Barbaren fi zu Freunden machen könnten die Hel⸗
Tenen vorziehen.
Als man ihn aufforderte, feine Meinung zu fagen, des-
ganı er, nachdem er gebetet hatte, folgenden Vortrag: „Wenn
ich Euch nady beftem Wilfen und Gewiffen rathe, was mir
am beften fcheint, fo möge ed mir wohl, wo nicht, fo möge
es mir übel ergehen! Denn hier trifft das Sprichwort ein:
Es ift ein heilig Ding um einen Rath. Rathe ich
Euch gut, fo werden mir's Diele mit Lob gedenken; rathe ich
fchlecht, fo erwartet nid Euer Fluch. Wohl weiß ich, daß
es und viele Mühe machen wird, wenn Ihr zur See abgeht;
denn wir müffen Euch die Schiffe hiezu liefern; zieht Ihr
zu Zande heim, fo müßt Ihr Euch den Weg mit dem Schwert
erfämpfen. Gleichwohl will ich meine Meinung fagen; denn
ich kenne das Land der Paphlagonier und ihre Macht. Dian
findet dort Die fchönften Ebenen und die höchflen Berge.
Gleich bei'm Eingange kommt Ihr an einen Drt, wo fich die
I}
920 Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus.
Straße zwiſchen zwei hohen Bergſpitzen hinzieht. Hat man
diefe inne, fo Bann man fle mit weniger Mannſchaft behaups
ten; find fie aber befebt, fo komme Leine menſchliche Macht
hindurch. Ich kann Euch Davon durch den Uugenfchein Kberzeus
gen, wenn Ihre mir Jemanden mitgeben wollt: Dann kenne ich
auch ihre Ebenen und ihre Reiterei, der die Barbaren vor
der gefammten königlichen Heeresmacht zu Pferde den Vor—⸗
zug geben. Erft kürzlich haben fie dem Befehl des Königs,
der fie berief, nicht Folge geleiftet. Denn ihr Fürft gebt mie
höhern Dingen um. Gelingt es Euch aber au, daß Ihr
den Gebirgspaß unvermertt durchzieht, oder vormeg befest,
ihre Reiterei und ihr Fußvolk, das fid) auf mehr denn hun⸗
dert und zwanzigtaufend Mann beläuft, aus dem Felde
ſchlagt, fo kommt Ihr an die Flüſſe: zuerft an den drei Ple⸗
thren breiten Thermödon, *) der fchwer zu durchgehen ſeyn
dürfte, zumal wenn vorn und hinten Feinde Euch bedrohen;
dann an den Iris, **) der gleichfalls drei Plethren breit iſt;
dann weiter an den Halys, ***) der gute zwei Stadien breit
ift., und über den hr ohne Schiffe gar nicht ſetzen künnt;
woher wollt Ihr aber die nöthigen Schiffe befommen? Gleiche
*) Nach Nenner der heutige Termeh oder Tarmeh; er ents
fpringt in Kappadocien und ergießt ſich in das fchwarze
Mer. Bot. Vi, 2.
e*) Nach Andern Tigris. Er Heißt heut zu Tage Kaſalmak,
Irmak an der Mündung, und weiter Iandeinwärtd To⸗
. ſanſu.
**4) Sy entſpringt in Großkappadocien, fließt von da gegen Abend,
dann durch Paphlagonien, ergießt ſich in?! fchwarze Meer,
und Heißt nach Mannert heut zu Tage Kifil Irmak.
-
Fünftes Buch. 92%
Noth habt Ihr bei dem Parthenius, *) an ben Ihr Pämet,
nachdem Ihr über den Halys geſetzt hättet. Ach halte daher
einen Durchzug nicht bios für fihwierig, fondern für durdı-
aus unmöglich. Wenn Ahr zu Schiffe geht, fo Eommt Ihr
von bier nad) Sinöpe, und von Sinspe nad Heraklea; **)
von Herakléa Lönnt Ihr zu Land oder zu Wafler ohne alle
Schwierigkeit weiter fommen; denn es gibt dort viele Schiffe.‘
Diefe Rede erregte bei Einigen den Argwohn, er fprecdhe
fo aus Freundſchaft für Korylas, deſſen Gaſtfreund er war,
bei Andern, aus Hoffnung auf Belohnung, wieder bei Andern,
weil er befürchtet habe, ed möchte durch einen Durchzug der
Helfenen dad Land der Sinopeer zu Schaden kommen.
Die Hellenen befdyloßen, den Weg zur See zu ma-
chen. Hierauf erklärte Kenophon: „das Heer, Ihr Sino:
peer, bat Eurem Rathe gemäß feinen ‚Heimweg gewählt,
doch nur unter der Bedingung, wenn eine hinfängliche Anz
zahl Schiffe vorhanden ſeyn wird, daß auch nicht Einer zu:
rückbleiben darf; wofern gber Einige zurückbleiben, und die
Andern fid) einfchiffen follen, fo werden wir mit Beinem Fuße
die Schiffe betreten. Denn wir wiffen, daß wir nur da,
wo wir in gehöriger Anzahl zufammenpalten, ung retten,
und das Nöchige zu unferm Lebensunterhalt haben werden;
da aber, wo uns der Feind überlegen ift, nur das Loos der
Sklaven zu gewarten haben.’
*) Ein Fluß in Bithynien , der ſich in's ſchwarze Meer ergießt.
Er Heißt bei den heutigen Griechen Bartin, Partheni
oder Bartan, bei den Türten Dolap
++), Seeftadt in Bithynien ‚ einer norböftticen Landſchaft Klein⸗
aſiens am ſchwarzen Meere.
—
922 RXRenophon's Feldzug des jüngern Cyrus.
Auf dieſe Erklärung riethen ihnen die Abgeordneten,
Sefandte nach Sinspe zu ſchicken. Es gingen demnach der
Arkadier Kallimachus, der Athener Arifton und der WUchäer
Samolas als ſolche dahin ab.
Während diefer Zeit Bam Xenophon, als er die vielen
Hopliten, Peltaften, Bogenfchüsen, Schleuderer und Reiter
anfah, mit Denen fid) wegen ihrer Erfahrung Etwas unters
nehmen ließ, auf den Gedanken, in Pontus,* wo mit fo
geringen Mitteln nicht leicht eine ſolche Macht aufgeſtellt
würde, durch Gründung einer Stadt das Gebiet und ie
Macht von Hellas zu erweitern. Die Stadt mußte, wenn er
die Anzahl des Heeres und die Anwohner des Pontud in
Betracht z0g, von großer Bedeutung werden.
Er ließ diefer Sache wegen, ohne Einem vom Heere Ef:
was von feinen Gedanken zu eröffnen, den Wahrfager Silanus
von Ambrakia, **) deffen ſich Eyrus bedient hatte, Fommen und
eine Dpferbefchauung anftellen. Silanus, beforgt, der Plan
möchte zur Ausführung kommen und das Heer fidy irgendwo
niederlaffen, verbreitete unter dem Heer das Gerede, Zeno⸗
phon wolle das Heer da behalten und eine Stadt gründen,
um für ſich Ehre und Macht zu gewinnen; er, Silanus, da:
gegen wünfchte, je eher je lieber, nad) Hellas zu Fommen;
denn er hatte jene dreitaufend Darifen, welche er von Cyrus
bekommen hatte, weil feine Opferdeutung wegen der sehen Tage
eingetroffen war, noch alle bei einander. Einem Theile der Sol⸗
daten Leuchtete der Plan vollkommen ein, den größeren aber nicht.
*) Die ſuͤdlichen Küftenländer des ſchwarzen Meeres.
**) ©, 1, 7 .
Funftes Buch. 923
Timaſion aus Dardanus und Thorax aus Böotien äußerten
gegen einige anweſende Kaufleute aus Heraklea und Sinöpe,
wein dem Heere nicht vor feiner Abfahrt Hinlänglicher Gold
zur Beköſtigung verabfolgt werde, fo hätten fie zu beforgen,
daß fie die ganze Heeresmacht in Pontus behielten. ‚Denn
Zenophon geht damit um, umd liegt uns an, fobatd die
Schiffe anfommen, dem Heere zu eröffnen: „„Wir fehen.
Euch, Ihr Männer, in der Lage, daß Ihr werer bei'm Ab⸗
fegeln Lebensmittel habt, noch bei Eurer Ankunft zu Haufe
den Eurigen Etwas mitbringen könnt. Wenn ihr daher in
dem Umkreiſe von Pontus Euch eine Gegend auserfehen
wollt, fo möget Ihr fie einnehmen, und tann Jedem freis
ftelfen, heimzugehen oder dazubleiben; Ahr habt nun Schiffe,
um fogleih, wo Ihr nur wollt, eine Landung vorzunchs
men. vu
Als Dieß die Kaufleute vernahmen, hinterbrachten fie es
ihren Städten; der Dardanier Zimaflon gab ihnen nech feis
nen Landsmann Eurymachus und den Böotier Thorar bei,
die das Nämliche ausfagen mußten. Die Sinopeer und Hera⸗
kleoten ließen dem Timaſion ſagen, er möchte das Geld in
Empfang nehmen, und durch fein Anſehen das Heer zum Ab⸗
fegeln vermögen.
Er übernahm diefen Auftrag mit Vergnügen und trug
den Soldaten, die gerade beifammen waren, Folgendes vor:
„Laßt Euch nicht einfallen, Ihr Männer, bier zu bleiben,
nody Etwas höher ald Hellas zu achten. Und doch höre id),
daß gewiſſe Leute über diefe Angelegenheiten, ohne Euch Et:
was davon zu fagen, die Dpfer befragen. Ich verfpredhe
Euch, wenn Ihr mit dem Neumond unter Segel geht, einen
924 Xenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus.
‚Epzitener *) monatlihen Sold, und will Euch nad) Troas
führen, woraus ich vertrieben wurde; meine Vaterſtadt wird
Euch unterflüßen; denn man wird mich mit Freuden aufneh⸗
men. Ich will Euch dahin führen, wo Ihr Euch anſehnlich
bereichern ſollt. Ich bin in Aeolien, Phrygien, Troas und
dem ganzen Gebiete des Pharnabazus bekannt, in jenem,
weil ich dort zu Haufe bin, in diefem, weil id) daſelbſt uns
ter Klearchus und Dercylidas gedient habe.‘
Da fland der Böotier Thorar auf, welcher Kenophon be
ftändig wegen feiner Feldherrnſchaft anfeindete, uud ſagte:
„Wenn Ihr Pontus verfaßt, fo ſteht Eucdh- der Eherfones
offen, ein fchönes und gefeauetes Land, wo Jeder nach Belies
ben bleiben oder nach Haufe gehen kann. Es wäre Lädjerlich,
einen Wohnplatz unter den Barbaren aufzuſuchen, da man
in Hellas Land genug und von der beften Beichaffenheit ha⸗
ben Bann. Bis Ihr dort ankommt, verfpreche ich Euch, wie
Timaſton, einen Sold.“
Dieß ſagte er, weil er wußte, was die Herakleoten und
Sinopeer, um die Abfahrt zu bewirken, verſprochen hatten.
Bis dahin hatte Xenophon geſchwiegen. Als aber die Achäer
Phileſius und Lykon auftraten, und erklärten, es fey doch
arg, daß Kenophon fie zum Dableiben vermögen wolle, und
hierüber die Opfer befrage, ohne vorher dem Heere ed mitzu⸗
theilen, oder fonft wo es zur Sprache zu bringen, fo fah
Diefer ſich genöthigt, folgende Erklärung zu geben: „Sch
*) Eine goldene Meünze, fo viel ald 28 Attifche Drachmen, oder
ungefähr 6 Rthlr. Sie hatte den Namen von der Stadt
Eyzitus in der Landſchaft Kleinmyfien an der Propontis
(Mare di Marmora).,
Sünftee Buch. 925
opfere, Soldaten, wie Shr feht, für Euch und mich, fo viel
ich Bann, um fo zu reden, zu denken und zu handeln, wie es
für Eudy am rühmlichſten und beften iſt. So opferte ich num
auch, um zu erfahren, ob es rathſam fey, Ddiefen Plan vor.
Euch zu befprechen und zu betreiben, oder die Sache ganz und
gar nicht zu berühren. Der Seher Silanus gab mir indeffen
die Antwort, daß die Opfer in der Hauptſache günftig wä⸗
ren; denn er wußfe, daß auch ich davon einige Kenntniß
habe, weil ich den Opfern beftändig beimohne; nur für mid,
fagte er, verfündigen fie Hintertift und Nachſtellung; Das
mußte er freilich am beiten willen, da er ſelbſt über (ich
nahm, mid, bei Eudy zu verleumden. Denn er war es, der
das Gerücht verbreitete, daß ih, ohne Eure Beiltimmung
einzuholen, bereitd den Plan in’s Werk zu feen ſuche. Al⸗
lerdings würde id, wenn ich Euch in Noch gefehen hätte,
Darauf gedacht haben, Euch in den Beſitz einer Stadt zu
feßen, wo dann Jeder die Mittel hätte, entweder fogleich
heimzufehren, oder erit, nach anfehnlihem Erwerb, bei feiner
Heimkehr auch den Seinigen eine Freude zu bereiten. Da ic)
num aber fehe, daß Euch die Herakleoten und Ginopeer
Schiffe zur Abfahrt fchicden, und Einige vom Neumond an
Sold verfprechen, fo dünkt mir Das gut, und diefer Sold ift
ald eine Sugabe zu unferer Rettung nicht zu verfchmähen.
Ich gebe fomit jenen Gedanken auf, und rathe aud) Denen,
welche zu mir kamen und mir anlagen, den Plan zu ver:
wirklichen, fich hierbei zu beruhigen.“ Meine Meinung
ift die: wenn Ihr in folher Menge, wie jebt, beifammen
feyd, fo werdet Ihr geachtet ſeyn und den nöthigen Unters
halt haben; denn dem Sieger fällt auch das Eigenthum des
926 Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus.
Befiegten zu: trennt Ihr Euch aber und zerfpliftert Eure
Macht, fo werdet Ihr weder Nahrung haben, noch nad
Wunſch davon kommen. Ich halte daher, fo wie Ihr, für
nothwendig, nadı Hellas heimzukehren, und Denjenigen, wel:
cher zurüdbleibt, oder Miene macht, uns zu verlaffen, ehe
das ganze Heer in Sicherheit ift, für einen Verbrecher an-
zuſehen. Wer damit übereinftimmf, halte die Hand empor."
Alle thaten es.
Da fchrie Silanus und fuchte zu zeigen, wie es billig
fey, das Weggehen Jedem frei zu ftellen. Die Soldaten
aber Tießen ihn nicht weiter reden, fondern drohten ihm,
wenn es ihm einfallen würde, wegzulaufen und fie ihn er:
tappten, fo follfe ed ihm übel befommen,
Als die Herakleoten erfuhren, daß die Abfahrt befchlofs
fen fey, und Xenophon felbft darauf angetragen hätte, fchid:
ten fie zwar die Schiffe, die Gelder aber, welche fie Timafien
und Thorax zugefagt hatten, blieben auıs.
Da geriethen Diefe, welche den Sold verfprochen hatten,
in große Beflürzung; und weit fle fidy vor dem Heere fürch⸗
teten, vereinigten fie fi) mit den andern Heerführern, wit
Denen fie wegen ihrer frühern Maßregeln Rückſprache ge:
nommen haften (es waren dieß aber Alle, den einzigen Neon
aus Afine, den Stellvertreter des abweſenden Chiriſophus,
ausgenommen), und kamen zu Kenophon mit der Erflärung,
dag ihnen ihr früheres Benehmen Leid thue und fie es fürs
Rathfamfte hielten, da man jetzt Schiffe hätte, den Phafis”
*) Hier ift- der wirkliche Phaſis, nicht der IV, 6. von Xeno⸗
phon faͤlſchlich für Hiefen genommene Arared gemeint.
Künftes Buch. 997
hinaufzuſegeln, und das Zand der Phaflanen, weiche damals
ein Enkel des Aeetes beherrichte, in Bells zu nehmen. Ze⸗
nophon erwiederte: „ich werde hierüber dem Heere Peinen
Antrag machen; ruft Ihr fie zufammen, wenn Ihr wollt,
and tragt ed ihnen vor.’ Der Dardanier Timafion meinte
Dagegen, man dürfte die Sache noch vor Beine Verſammlung
bringen, es follte vorerft Jeder feine Haupfleute zu gewinnen
fuchen. Sie entfernten ſich, und thaten alfo,
7. Die Soldaten erfuhren wieder, was im Werke war.
Man fagte, Kenophon habe die andern Heerführer auf feine
Seite gebracht und gehe damit um, die Soldaten trüglidher
Weiſe wieder an den Phafis zu führen. Als die Soldaten
Dieß vernahmen, wurden fle fehr erbittert, hielten Zufammen:
Zünfte und frafen Haufenweife zuſammen; fo daß zu befürdh-
ten war, es fönnfe zu einer ähnlichen That kommen, wie die
war, welche fie an den Koldyifchen Herolden und an den
Marktmeiſtern verübten;s denn Diejenigen, welche ſich nicht
auf das Meer retteten, waren gefleinigt worden.
Arts Xenophon Die bemerkte, hielt er für nothwendig,
die Soldaten zu verfammeln, und nicht zuzulaſſen, daß fie
ſich eigenmäctig zufemmenrofteten; er ließ daher den He⸗
rold zur Verſammlung rufen. Da fie den Herold hörten,
tiefen fie eilig zufammen, und Tenophon ſprach nun, ohne die
Heerführer anzuklagen, da fie zu ihm gekommen waren, Sol:
gendes:
„Sch Höre, Soldaten, daß mir Jemand nachredet, als
wollte ich Euch durch Lift an den Phaſis führen. Go hört
‚mich alfo, bei den Göttern! Wenn ich als fchuldig befunden
werde, fo fol id) nicht von bannen kommen, ohne daß ich die
928 Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus.
verdiente Strafe erlitten habe; wenn aber Diejenigen als
fchufdig erfcheinen, die mir Soldyes nadyredeten, fo vergeftet
audy ihnen nad Verdienſt. Ihr wißt doch wohl, wo die
Sonne aufgeht, und wo fle untergeht, und daß, Wer nad
Hellas will, ſich gegen Abend, und Wer zu den Barbaren
will, umgebehrt gegen Morgen ſich wenden muß. Wer ſollte
End) nan aufbinden wollen, daß die Sonne da aufgehe, wo fie
untergeht, und daß fie da untergebe, wo fie aufgeht? Auch
wißt Ihr doch auch wohl, daß der Nordwind aus dem Por:
tus nach Hellas führt, der Südwind aber nad) dem Phafis
hin; und daß Ihr, wenn der Nordwind weht, zu fagen pflegt:
das ift der Wind, der uud nad Hellas bringt.
Wie könnte man Euch alfo täufchen, fo daß Ihr bei'm Süd⸗
winde zu Schiffe ginget? Doch vielleicht fchiffte ih Euch
während einer Windftille ein. Werde ich dann nicht bios
in Einem Schiffe, und Ahr dagegen zum wenigiten in Bun:
dert fahren? Wie könnte ich Eudy nun durdy Gewalt oder
Lift dahin bringen, daß Ihr mir folgeet? Ihr follt aber
‚von mir übertiftet und in Sauber befangen, an den Phaſis
gelangen, und wir fleigen an’d Land: müßtet Ihr da nicht
gewahr werden, daß Ihr nicht in Hellas ſeyd? Ich, der Euch
betrog, flände dann als Einzelner gegen beinahe zehentan-
fend Bewaffnete, die von mir hintergangen wären. Wie
Eönnte wohl Jemand giner zuverläßigern Beſtrafung entgegen⸗
gehen, als wenn er fo gegen Euch und fich felbft verführe?
Das ift alfo einzig ein Gefhwäs von verrüdten Leuten,
welche mir Eure Achtung mißgönnen. Gleichwohl iſt ihre
Mißgunſt ungerecht; denn Welchen von ihnen hindere ich, zu
reden, wenn er Etwas zu Eurem Wohl vorzutragen bat,
s
Fünftes Buch. 929
oder, wenn er will, für Euch und ſich zu kaͤmpfen, fih Eu⸗
rer Sicherheit wegen den Schlaf zu verfagen? Wem ftehe ich
im Wege, wenn Ihr Eure Führer wählen wolle? Ich trete
zurüd, mag er befehlen; nur daß er es zu Eurem Beten
thut! Ich glaube num hierüber genug gefprochen zu haben;
wenn aber don Eudy Einer glaubt, er ſelbſt würde fich wohl
haben täufchen laſſen, oder könne einen Andern fäufchen, der _
trete auf, -und thue es und dar. — Wenn Ihr nun damit
befriedigt ſeyd, fo laßt Euch nody bedeuten, welcher Geift in
dem Heere auffommen will. Wenn diefer einreißt, und, wie
ed den Anfchein hat, einheimifc, wird, fo ift es hohe Zeit,
daß wir uns berathen, damit wir nicht vor Göttern und
Menfchen, Freunden wie Feinden, als die unwürdigften und
verworfenften Lente erfcheinen.”’
Als die Soldaten Dieß hörten, begriffen fie nicht, was
er damit meinte, und forderten ihn auf, ed zu fagen. Da
fuhr et fort:
„Ihr wißt, daß ed auf den Gebirgen einige Ortſchaften
der Barbaren gab, die mit den Ceraſuntiern befreundet wa⸗
ren, von denen Leute herabkamen und Schlachtthiere und
Anderes, was fie hatten, an Euch verkauften. Auch duͤnkt
mic), kamen Einige von Euch in den nächften Ort, und aufs
ten fich dort Einiges ein. Als Dieb der Hauptmann Klea⸗
retus erfuhr, fo wie auch, daß ber Platz Elein und unbewacht
fey, weil fie und für Freunde hielten, zog er, ohne und Et:
was davon zu fagen - bei Nacht aus, um ihn auszupländern,
Er hatte deu Plan, nad) Einnahme des Ortes nicht mehr
zum Heere zurüdzufchren, fondern, was er erbeutet hätte, in
das Schiff zu bringen, in welchem feine Zeltkameraden die
Renophon. 78 Bbchn, 7
930: Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus.
Käften befuhren, und mit Diefen fogleich aus dem Pontus
fortzufegeln. So hatte er ed, wie ich jest Höre, mit feinen
Zeltkameraden in dem Fahrzeuge verabredet. Er fammelte alfo,
fo Viele er überreden konnte, und rüdte mit ihnen auf die
Drtfchaft Tod; auf dem Zuge aber überfam ihn der Tag, und
die Einwohner, welche fich indeffen zufammengethan hatten,
fhoßen und warfen von den feften Anhöhen herab, und töd⸗
teten Klearetus nebft vielen Undernz die Uebrigen entkamen
nad) Eerafus. Dieß geichah an demfelben Tage, an welchem wir
zu Lande Hieher den Zug anfraten; von Denen aber, welche zu
Schiffe abgingen, waren Einige nody nicht abgefegelt, fondern
hielten fi nody in Gerafus anf. Hierauf kamen, nad) Aus:
fage der Gerafuntier, drei der älteſten Männer dee Ortes,
und wollten fi an unfere Heerverfammlung wenden. Da fie
uns aber nicht mehr trafen, wandten fie ſich an die Eerafun:
tier und bezeugten Diefen ihr Befremden, daß wir fie. hätten
überfallen wollen. Da Diefe ihnen erBlärten, daß diefer An:
griff gewiß nicht, mit allgemeiner Genehmigung gefchehen fen
ſo waren fie erfreut, und wollten uns nachfegein, um um
das Dorgefallene anzuzeigen, und die Zobten Denen zur Be
flattung verabfolgen zu Taffen, die ſich dafür verwendeten
Einige jener geflüchteten Hellenen jedoch waren nod) in Ce
zafne ; und als fie erfuhren, wohin die Leute wollten, unter
fingen fie fi, fie mit Steinen zu werfen, und forderten aud
ihre Kameraden dazu auf. So verloren die drei Abgeordne
ten ihr Leben. Die Gerafuntier Bamen hierauf zu uns um
erzählten uns den Vorfall. Wir Heerführer waren hierübe
äußerft aufgebracht, und überlegten mit den Gerafuntiern
wie die gebliebenen Hellenen möchten beftattet werden. In
Fünftes Bud). 934
dem wir ſo vor dem Lager ſaßen, vernahmen wir ploͤtzlich ein
großes Geſchrei: ſchlag zu! wirf! wirf! und im Augen⸗
blick ſahen wir eine große Menge daherrennen, von Denen
die Einen ſchon Steine in den Händen hatten, die Andern
Pe vom Boden aufhoben. Die Eerafuntier, Augenzeugen der
bei ihnen verübten That, flohen vor Schreden auf ihre Schiffe;
und, bei’m Zeus, auch Einige von und fürdhteten für ihr eis
genes Leben. Ich ging indeflen auf fie zu, und fragte, was
der Lärm zu bedeuten habe. Da waren Einige, die es felbft
nicht wußten, obgleich fle Steine in den Händen hatten.
Als ich aber an Einen kam, der darüber Auskunft geben
#onnte, fagte mir Diefer: „die Marktmeifter behandeln das
Heer aufs ſchändlichſte.“ Während Deffen bemerkte Eis
ner, daß der Marktmeifter Zelarchus nad) dem Meere hin
entweichen wollte, und fchrie laut aufs und die Andern flürz-
ten, als ginge es auf ein wildes Schwein oder einen Hirſch,
auf ihn los. Die GEerafuntier, welche fie auf fich zußommen
fahen, glanbten, ed gelte ihnen, nahmen in größter Eile die
Flucht und flürzten fih ins Meer; aud Einige der Unfrigen
fürgten ihnen nach, und Wer nicht fchwimmen Fonnte, ers
trant. Was glaubt Ihr, daß Diefe von uns denken? fie hat-
ten Nichts verbrocdhen, und mußten alfo befürdhten, es habe
und, wie Hunde, die Wuth befallen. Wenn nun folche
Dinge vorfallen, was glaubt hr, daß aus unjrem NHeere
werden wird? Es fteht nicht .mehr in Eurer Gewalt, nad)
gemeinfamen Befchlüffen Krieg anzufangen und Frieden zu
fchließen: Jeder, dem es einfällt, führt das Heer, wohin es
ihm beliebt. Kommen Geſandte zu und, und bitten um Fries
den, oder in andern Angelegenheiten, fo werben fie von dem
7
932 Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus.
Naͤchſten, Beſten umgebracht, ohne daß ihre Anträge an ung
gelangen. Die Dbern, welche Ihr insgeſammt wählt, wers
den Feinen Behorfam mehr finden; Wer ſich aber ferdft zum
‚Anführer macht, und ſich einfallen läßt: „ſchlag zu! flag
in!, zu fchreien, der ift der vechte Mann, und bat die
acht, ohne Urtheil und Recht Anführer und Gemeine nad)
Gutdünken umzubringen, wenn er Leute findet, die ihm fols
gen, wie wir eben erft gefehen haben. So feht denn, was
Diefe felbflgewänlten Führer Euch angerichtet haben. Wenn
der Marbtmeifter Zelarchus Euch Unrecht that, fo fchifft er
nun davon, ohne dafür geflraft zu fenn; wenn er Euch nicht
Unrecht that, fo flieht er vor dem Heer, aus Furcht, ohne
Urtheil und Recht fein Leben einzubüßen. Die, welche bie
Sefandten gefteinigt, haben es dahin gebracht, daß wir unter
alten Hellenen die Einzigen find, weldye ohne Heeresmacht
nicht mit Sicherheit nach Cerafus gehen dürfen. Die Ger
bliebenen,, welche uns Diejenigen, die fie getödfet hatten,
früher felbft zur Beſtattung anboten, können wir jest andy
nicht einmal durch einen Herold zurüderhalten. Denn Wer
wird wohl als Herold hingehen wollen, da wir die Ihrigen
getödfet haben? Wir haben deßhalb die Eerafuntier erſucht,
fie begraben zu laſſen. Erklärt Euch nun, ob foldy ein Des
fragen gebilligt werden fan? Damit, wenn Dieß ſo fort⸗
gebe, Jeder auf feiner Hut ift, und_fich nach einer befeftigten
nhöhe für fein Lager umfieht. Haltet aber auch Ihr ein
ſolches Betragen nicht für das von Menfchen, fondern von
wilden Thieren, fo ſeyd daranf bedacht, demfelben Einhalt zit
thun; wo nicht, wie werden wir dann, bei’m Zeus, den Göt-
tern mit gutem Gewiflen opfern, wenn wir gottestäfterliche
Handlungen begehen? wie wollen wir gegen die Feinde kaͤm⸗
pfen, wenn wir ſelbſt einander mürggn? Welche Stadt wird
uns in Zreundfchaft aufnehmen, wenn ſie ſolche Geſetzloſig⸗
Peiß unter und wahrnimmt? Wer wird ſich gefrauen,, uns
Lebensmittel zu Markte zu bringen, wenn wir gegen die er»
ften ‘ Gefeltfehaftspflichten uns verfindigen? Wer wird uns
nad) ſolchen Vorgängen. noch ded Ruhmes für würdig erachs
|
Zünftes Bud). 935
ten, den. wir dor allen Menfchen zu erringen trachteten ?
Wir felbft, ich weiß e8, würden, Die ſolches thun, für ruch:
lofe Menſchen halten.‘
Da erhoben fich Alle und .erflärten, daß die Urheber dies
fer Unordnungen beftraft werden müßten, und daß hinfort
Peine folche Ausſchweifung verftattet werden follte; Wer fidj
deſſen unterfinge, müßte bes Zodes flerbens die Heerführer
folten die Schuldigen zur Derantwortung ziehen, und and
gegen andere Vergehen, die feit des Cyrus Tode begangen
worden feyen, gerichtlich verfahren; Richter follten die Haupt»
fente ſeyn. Auch wurde auf Anrathen Xenophon's und mit
Zuftimmung der Scher befchloffen, das Heer zu fühnen. Und
die Sühne ward vorgenommen... '
8. Es ward nun andy) befchloffen, daß die Heerführer von
ihrer bisherigen Amtsführung Rechenfchaft ablegen follten. Es
geſchah; Philefius und Zanthikles mußten wegen vernachläf:
figter Bewachung der Sciffsiadungen eine Geldftrafe von
zwanzig Minen erlegen, Sophänetus von zehen Minen, weil
er, ale erwählter Dberauffeher,, feinen Drlichten nicht nachge⸗
kommen war. Gegen Kenophon traten Einige mit der Klage
auf, daß er ſie gefchlagen, und fonft übermüthig behandelt
habe. Xenophon erhob fih, und hieß Denjenigen, der zuerft
aefprochen hatte, den Ort nennen, wo er gefchlagen worden fey.
Er antwortete: „Da, wo wir in dem tiefſten Schnee beinahe
vor Kälte umkamen.“ — „Nun freilich, wenn id) bei fols
hem Wetter, wie du da ſagſt, wo wir gar Nichts zn effen
hatten, und nicht fo viel Wein, daß wir dran riechen Eonn-
ten, wo unter dem Uebermaß von Elend Viele erlagen, indeß
uns die Feinde auf dem Fuße folgten, wenn id) zu folcher:
Stunde übermüthig war, fo muß ich, das geftehe ich, noch
muthwilliger als die Efel feyn, die vor Kitzel, wie man fagt,
die Müdigkeit nicht fpüren. „Sag' aber an,“ fuhr er fort,
„warum bekamſt du denn Schläge ? verlangte idy Etwas von
dir und ſchlug dich, da du mir’s nicht gabft ? oder forderte
id Etwas von dir zurüd? bekam jd) einer Liebſchaft wegen
Händel mit dir? oder überwarf ich mid) mit dir in der Trun⸗
954 Xenophon's Feldzug des jüngern Cyrus.
kenheit?“ Als er Nichts von al Dem beiahte, fragte er
ihn, ob er ein Hoplite fey? „Nein.“ Odb ein Peltafte?
„Rein. Ic hatte, von meinen Zeltfameraden dazu beſtellt,
‚ einen Maulefel_zu treiben, ob ich gleich übrigens ein Freige-
borner bin.‘ Da erkannte Kenophon feinen Mann und fragte
ihn: „Biſt du nicht Der, welcher: den Kranken fortbrady:
te?“ — „Ja beim Zeus, Der bin ich; du aber zwangft mich
Dazu, und warfft mir das Gepäde meiner Kameraden ausein:
ander.‘ — „Das Uuseinanderwerfen, '' verfegte Kenophon,
„befand darin, daß ic) es unter Andere vertheilte, und fie
mir baffelbe wieder zuftellen hieß; und als id, Alles wieder
wohlbehalten beifammen hatte, gab ich Dir es zurüd, da du
mir deinerfeitd den Menfchen zeigtefl. Laßt Euch aber doch
erzählen, wie das Altes zufammenhängt: es iſt der Mühe
werth. Ein Mann blieb liegen, weil er nicht mehr weiter
konnte; ich kannte den Mann nur fo weit, daß er der Uns
fern Einer war; daher zwang ich dich, ihn forfzubringen, dar
mit ev nicht umfomme; denn die Feinde, dünkt mich, folgten
und auf der Ferſe.“ Der Menſch bejahte Dieß. „Ich ſchickte
dich dann,” fuhr Kenophon fort, „voran, und fand did) fpäs
ter, als ich mit dem Nachzuge herankam, wie du eben eine
Grube machteſt, um den Dienfchen zu verfcharren, blieb bei
dir ftehen, und Iobte dich.“) Allein als wir fo da flanden,
zudte der Menſch mit dem Beine, und Alle riefen: er
Lebt! Du aber fagteft: meinetwegen fo viel er will!
ich bringe ihn nicht weiter! Da fchlug ich dich, du
haft Recht; denn ed Fam mir ganz fo vor, als ob du wuß⸗
teft, daß er noch lebte. „Wie? (ſagte der Andere) war ber
Menſch nicht nachher geftorben, als ich ihn dir zeigte?‘ —
„Schon recht,’ entgegnete Kenophon, „wir werden Alle eins
mal fterben; müffen wir aber darum lebendig begraben wer:
den?“ Da riefen Alle, er habe nody zu. wenig Schläge be«
fommen. Hierauf forderte Kenophon auch die Andern auf,
*) Es ward bei den Alten für ein großes Ungluͤck angeſehen,
wenn Einer unbegraben blieb.
Fünftes Bud. 7956
den Grund anzugeben, warum fie gefchlagen worden wären ?
Als Nimand mehr auftrat, ſprach er felbft: „Ich geftche
gern, Ihr Männer, daß ich Mehrere wegen Drdnungswis
drigfeit gefchlagen babe, die ſich's zwar gefallen ließen, daß
Ihr in gefchlofienen Reihen einherzoget und fochtet, wenn
es Noth that; welde aber felbft ihre Reihen verließen
und vorausliefen, um zu rauben und mehr Beute, als hr,
zu machen. Wenn wir ed nun Alle fo gemacht hätten, fo
wäre wohl Keiner von uns mehr am Zeben. Go habe ich
auch den Zrägen, der nicht aufftehen wollte, und ſich den
Feinden in die Hände geliefert hätte, gefchlagen und mit Ge—⸗
walt zum Gehen gebracht. Da ich felbft einmal bei burch-
dringender Kälte Einige, die mit Aufpacken befchäftige waren,
erwartete und mic, geraume Zeit niedergefegt hatte, konnte
ic faum mehr aufflehen und die Beine ftreden. Seit die
fer eigenen Erfahrung frieb ich Jeden, den ich fi fihen
and fchläfrig werden fah, zum Gehen an; denn Bewegung
und Ermannung erzeugte eine gewiffe Wärme und Rührig⸗
keit; durch das Niederfigen und Ruhen dagegen verdicte fich
das Blut, wie ic) bemerkte, und die Zehen froren ab; was
Dielen, wie Ihr ſelbſt wißt, begegnet ift. Ich habe wohl
auch Andere, die aus Saumfeligkeit hinten blieben, und Euch
ſowohl bei der Vorhut, als bei der Nachhut am Gehen hin-
derten, mit der Fauſt gefchlagen, damit fie nicht von den
Feinden mit der Lanze gefchlagen würden. Da fie num ge:
rettet find, können fie mich nody zur Verantwortung ziehen, -
daß ihnen von mir zu viel gefchehen fey! Wären fie den Fein⸗
den in die Hände gefallen, von Wem hätten fie da wohl für
noch fo großes Unrecht Genugthuung fordern wollen? Ich
rede, wie mir’d um's Herz iſt. Wenn ic, Einen zu feinem
Beſten fchlug, fo glaube ich diefelbe Strafe, wie Eltern und
-Zehrer für die Zucht ihrer Kinder und Schüler, zu verdienen,
Schneiden und brennen doch auch die Aerzte, um ihre Krai-
fen zu retten. Wenn Ihr aber glaubt, daß ich Solches aus
Uebermuth gethan, fo bedenkt, daß ich jeht, den Göttern ſey
es gedankt, muthigern und vafchern Sinnes bin und mehr
936 -Kenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus ic.
Wein trinke, und doch Niemanden ſchlage; denn jebt habt Ihr
unumwölkten und. heitern Himmel. Wenn aber bei_einem
Sturme die See hoch geht, feht Ihr da nicht, wie der Boyts⸗
mann auf dem vordern, der Steuermann auf dem bintern
Schiff feinen Leuten oft fchon ob einem Winke zärnt? War:
um ?.weil hier das geringfte Verfehen Alles zu Grunde rid-
ten Bann. Daß ich mit Recht ſchlug, habt Ihr felbft beftä=
tigt; denn nicht mit Stimmtäfelhen, nein mit Schwertern
flandet Ihr da, und konntet ihnen helfen, wenn Ihr wollte;
allein, bei'm Zeus, weder ihnen, noch mir wolltet Ihr gegen
den Strafbaren zu Hülfe fommen; und fo beftärktet Ihr _diefe
Unwürdigen, indem Ahr ihnen ihren Willen Tießet. Denn
wenn Ihr unterfuchet, fo werdet Ihr finden, daß Die, welche
jebt am meiſten pochen, damals die fchlechteften Soldaten
waren. Der Yauftfämpfer Boisfus aus Theffalien beftand da=
mals darauf, keinen Schild fragen zu dürfen, weil er Frank
fey; und nun, höre ich, hat er fchon viele Kofyoriten ausge:
zogen. Wenn Ihr klug feyd, fo verfahrt Ihr mit ihm auf
die entgegengeſetzte Weile, wie man mit böfen Hunden ver:
fährt : böfe Hunde bindet man am Zage an, und läßt fie bei
Nacht (085 Diefen aber werdet Ihr wohlthun, bei Nacht an⸗
zubinden und bei Tag loszulaſſen. Uebrigens wundere id)
mid), daß Ihr an Das,’ worin id) dem Einen oder Andern
von Euch zu viel that, gar wohl denkt und Nichts verfchweigt,
dagegen aber nicht erwähnt, wenn ic hier Einen genen Kälte
fhüßte, dort Einen dem Feinde entriß, Jenem in_ Krankheit,
Diefem im Mangel zu Hülfe kam, eben fo wenig, wie id
den braven Mann lobte, und den kapfern Krieger nach Kräf:
ten auszeichnete — auch daran will Keiner denken. Und doc
ift es fhön, gerecht, gewillenhaft-und angenehmer, mehr des
Guten, als des Böſen zu gedenken.” .
Hierauf erhoben fie fi, ließen dem Verdienſte Tenophon’e
Gerechtigkeit widerfahren, und Alles Tief zu feiner Ehre ab.
KenophomWs von Athen
Bert oe
Uhtes Bändchen.
Feldzug des jüngern Cyrus,
überſetzt
vn
Dr. Leonbard Tafel
Drittes Bändchen.
Stuttgart,
Verlag der J. B. Metz her ſchen Buchhandlung.
Für Oeſtreich in Commiſſion von Mörfhner und Jaſper
in Wien,
1 8 ı 8
Inhalt des ſechſten Bude.
Cap. ı. Eine Gefandtfchaft der Paphlagonier wird bei einem
Gaftmal mit manderlei Waffentänzen unterhalten. — Man fchliept
ein Buͤndniß mit ihmen, geht vor Kotyora unter Segel und landet
im Sinopiſchen Hafen Harmene. Xenophon fchlägt den ihm ans
gebotnen Dberbefehl aus, und der eben zurüdgetehrte Chiriſophus
übernimmt iin, — Cap. 2. Das Heer fegelt nach Herakléͤa. Es
gibt einen Aufftand; die Hellenen theilen fi in drei Parteien.
Sap. 3. Schlimme Folgen diefer Parteiungen. Die Artadier ' und
Achaͤer, die Urheber der Uneinigkeit, erleiden eine Niederlage,
werden von Xenophon gerettet und vereinigen fich nebft Diefem mit
Chiriſophus beim Hafen Kalpe. Cap. 4. Beſchreibung des Ha⸗
fens. Die Soldaten, um eine Niederlaſſung zu verhindern, bezie⸗
hen kein Lager. Die Gebliebenen werden begraben, und man ſetzt
Todesſtrafe auf jeden Vorſchlag einer Theilung des Heeres. Neon,
welcher trotz den unguͤnſtigen Opferzeichen mit einem Heerhaufen
auf Lebensmittel auszieht, verliert durch die Reiterei des Pharna⸗
bazus fünfhundert Mann. Die Uebrigen, welche ſich auf einen
Berg geflüchtet, führt Renophon in's Lager zurück, Cap. 5. Ge:
warnt durch die Gefahr beziehen die Griechen endlich auf der Land⸗
zunge ein feftes Lager. Xenophon zieht auf Lebensmittel aus,
äßt unterwegs bie gefallenen Hellenen beerdigen, fchlägt ein feind-
liches Heer und ehrt mit Bente in’d Lager zurüd, Cap. 6. Nach
Vertreibung des feindlichen Heeres ylündern die Griechen in Bi:
thynien. Der Spartanifche Statthalter Kleander von Byzantium
kommt mit. dem trenlofen Derippus in Kalpe an, und wird von
Lesterem gegen das KHellenenheer eingenommen. Man bietet ihm
ben Dberbefehl an; er lehnt ihn ab, da die Opferzeichen ihm nicht
günftig find; fo zieht das Heer unter feinen bisherigen Anführern
durch Bithynien und kommt nach Chryſopolis.
942 Zenophon’d Feldzug des jüngern Cyrus.
Sechstes Bud.
1. Während ihres Aufenthalts in diefer Gegend lebten
Einige von den auf dem Markte gekauften Lebensmitteln,
Andere von der auf Streifzügen in das Paphlagoniſche Ge:
biet gemachten Beute. Doc, überfielen auch die Daphlagonier
fehr oft Die, welche fich zu weit entfernten, und fuchten bei
Nacht Diejenigen zu beunruhigen, welche weiter vorwärts
vom Lager Bezelte hatten, fo daß fie fehr auf einander er:
bitcert wurden.
Korvlas aber, der zeitige Beherrſcher von Paphlagonien,
tieß ren Hellenen durch Gefandte, welche Pferde und Ges
wänder mitbrachten, entbieten, daß er geneigt fey, feinerfeits
die Feindfeligkeiten einzuftellen, wenn auch fie fid) Feine mehr
erlaubten. Die Heerführer antworteten , fie wollten hierüber
mit dem Heere zu Rathe gehen, zogen fie aber Indeffen zur
Tafel, und nahmen noc Andere dazu, welche fie ſchicklicher
Weife einladen mußten. Nachdem man einige erbeufete Och⸗
fen und anderes Opfervieh gefchlachtet hatte, ſtellten fie ein
ftaftliches Gaſtmahl an, wobei man auf Binfenlagern ruhte,
und aus hörnernen Bechern, wie man fie bier vorgefunden
hatte, trank. |
Nach dem Trankopfer und der Abfingung des Paäans
flanden zuerft Thracier auf, und begannen nad) der Floͤte ei-
nen Waffentanz, wobei fie mit großer Behendigkeit hohe
Sprünge machten, und die Schwerter ſchwangen; zuletzt hie⸗
ben fie auf einander Ins, fo daß Jedermann glaubte, fie träs
fen einander; es war aber blofe Zäufchung, wenn Einer
Sechstes Buch. 943
fan. *) Die Paphlagonier erhoben hiebei ein großed Ges
fchrei. Der Sieger z0g feinem Gegner die Rüftung aus, und
ging, den Sitalkas **) fingend, davon; andere Thracier aber
trugen den Beflegten, als ob er todt wäre, hinweg; er hatte
aber keinen Schaden genommen.
Hierauf £raten die Aenianuen und Magneten ++), auf,
und führten einen Waffentanz auf, den fie Karpda +) naun⸗
ten. Er fand auf folgende Weife Statt. Der Eine legte
die Waffen neben ſich auf den Boden nieder, und ſäete und
pflügte, während er fich oft umfah, als ob er fich fürchtete.
Da kam ein Räuber heran. Als Tener ihn erblidte, ergriff
er die Waffen und ging ihm entgegen, und kämpfte mit ihm
vor dem Pfluggefpann (alles Dieß thaten fie nad) dem Takte,
den die Flöte angab); endlic, feflelt der Räuber den Mann
und treibt das Joch Dchfen weg; Einige Mal überwältigte
auch der Pflüger den Räuber, band ihm die Hände auf den
Rüden, fpannte ihn neben die Stiere, und trieb ihn zum
Ziehen an.
Hierauf trat ein Myſier auf, in beiden Händen einen
kleinen Schild Haltend. Bald nahm er im Zanze eine Stel-
fung, als ob er es mit zwei Gegnern zu thun hätte, bald
that er, als ob er fi mit den Schilden nur gegen Einen
*) en der Waffentanz ift noch Heut zu Xage bei den Kor:
en üblich.
*r, Wahrſcheinlich ein Lobgeſang auf einen Thracifchen König
dieſes Namens.
*2**) Mölterfchaften in Theſſalien.
p Eigentlich Saattanz oder Saͤetanz. Aehnliche Tänze werben
— heutigen Tages von den Hellenen und Arnauten aufge⸗
944 Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus.
deckte; bald drehte er fich in Wirbeln umher, bafd ſtürzte er
die Schilde in den Händen Über den Kopf, und gewährte fo
ein recht artiged Schaufpiel. Zulett tanzte er perflic, inbem
er die Schilde zuſammenſchlug, auf die Kniee niederfiel und fich
wieder erhob. Dieb Alles that er nach dem Takte der Flöte.
Nach ihm traten die Mantineer und andere Arkadier,
aufs ftattlichfte ausgerüftet, auf, und ſchritten unter Beglei⸗
tung von Flöten umher, fangen den Paͤan und tanzten, wie
man bei feierlichen Aufzügen zu den Zempeln der Götter
pflegt. Die Paphlagonier, welche alles Diefed mit anfahen,
wunderten ſich höchlich, daß alle dieſe Tänze in den Waffen
gefchahen. Als der Myſter ihr Erftaunen wahrnahm, beredete
er eine Arbadier, der eine Tänzerin hatte, Diefe einführen
zu dürfen; er kleidete fie aufs prächtigfte, und gab ihr einen
leichten Schild in die Hand. Sie tanzte num. mit vieler
Leichtigkeit die Pyrrhiche.“) Es entſtand ein großes Bei⸗
faliktatfchen, und die Paphlagonier fragten, ob denn in Hels
las auch die Weiber mit in den Kampf zögen; worauf fle
zur Antwort erhielten, daß eben fie **) es wären, die den
König aus dem Lager vertrieben hätten. Hierüber ging die
Nacht hin.
Am fofgenden Zage führte man die Gefandten in bie
Derfammlung bes Heeres, und Diefes ließ fidy die gegenfei-
tigen friedlichen Vorfchläge gefallen. Hierauf begaben ſich die
*) Nach Strabo ein Friegerifcher Tanz in ven Waffen, nad feis
nem Erfinder Pyrrhichus fo genammt, ber ihn für junge Leute
als Vorſchule zum Krieg erfand -
“+, Vieilleicht eine ſtherzhafte epertveifung Deſſen, was Xenophon
I, 10. von der Mileſia erzaͤhlt.
.- — — — -
@ Sechstes Bud. 946°
Geſandten hinweg; die Hellenen aber gingen, als die gebd-
rige Anzahl Schiffe da du ſeyn fchien, an Bord, und ſegel⸗
ten mit gutem Winde einen Tag und eine Nacht an Paphla⸗
gonien hin,
Am folgenden Tage kamen fie nach Sinoͤpe, *) und lies
fen in den Sinopifchen Hafen Harmene ** ein. Die Sinos
peer wohnen in dem Paphlagonifhen Gebiet, und find eine
Pflanzſtadt von Milet. Sie fhidten den Hellenen als Gaft-
geſchenke dreitaufend Sceffel Gerſtenmehl, und fünfzehn⸗
hundert Eimer Wein. Hier kam Chiriſophus wieder auf ei⸗
nem Dreiruder bei dem Heere an. Die Soldaten hatten er:
wartet, daß er ihnen Etwas mitbringen werde; allein er
Grachte Nichts, als die Nachricht, daß der Admiral Anari-
bins und die Andern viel Rühmens von ihnen hätten, und
Aneribins verfpräcde, fle, fobald fie aus dem Pontus wären.
in Sold zu nehmen.
Sie lagen in dem Hafen Harmene fünf Tage. Ye näher
fie nun Hellas kamen, deſto Iebhafter ward in ihnen das
Verlangen, nicht mit leeren Händen heimzukehren. Gie
glaubten aber, wenn fie einen Oberfeldherrn wählten, fo
würde diefer Einzige, wenn Etwas auszuführen wäre, bei
Tag und Nacht das Heer mehr in feiner Gewalt haben, als
wenn fie ihrer Mehrere wären, und Dinge, die Verſchwie⸗
genheit erforderten, würden fo beffer geheim bleiben, erfors
dere Etwas ſchnelle Ausführung, fo würde es fo am wenig⸗
*, Die heutige Stadt Sinop, Sinob, Sinus
6) Br heut zu Tage Ar Liman, dad Heißt, ber weiße
Renophon. 88 Bochn 2
-
946 Zenophon’s Feldzug des jungken Cyrus,
ften Verzögerung erleiten, man brauche dann nicht erft mit
ven Andern Rädfprache zu nehmen, fondern Fönne ausfüh-
ren, was Einer beſchloſſen Hätte; früher nämlich hatten bie
Seldheren alle Befchlüffe nady Stimmenmehrheit gefaßt.
As fie damit umgingen,, wandten fie ſich an Kenophon;
die Hauptleute Eamen und eröffneten ihm die Gefinnung des
Heeres, und Jeder fuchte ihn durch Bezeugung ihrer Zunei-
gung zur Uebernahme des Dberbefehls zu bereden. Zeno-
phon war dem Antrag infoferne nicht abgeneigt, als ex fid)
davon größere Ehre bei feinen Frennden, und einen größeen
Namen in feiner Vaterſtadt verfpradiw vielleicht konnte er
auch dem Heer einige Dienfte leiften.
Nun erregten zwar diefe Gedanken in ihm den Wanſch
nad) dem Oberbefehl. Wenn er aber bedachte, wie wenig der
Menfch in die Zukunft fchauen koͤnne, und daß er fomit Ges
fahr Taufe, den fchon erworbenen Ruhm wieder zu verlieren,
fo wurde er unfchläffig.
Als er zu Seinem Entſchluſſe kommen konnte, hielt er
fürs Beſte, die Sache den Göttern vorzufragen. Er brachte atfo
zwei DOpferthiere dar, und opferte Zeus dem Könige; denn ww
Dieſen war er burd den Delphiſchen Drakelfpruch gemwiefen,
und von ihm glaubte er auch, daß das Traumgeſicht her⸗
rühre, welches er hatte, als er anfing, fich der Führung des
Heeres anzunehmen, Auch erinnerte er ſich, daß ihm, als er
von Epheſus abging, um fi Eyrus vorftellen zu Taffen, zur
Rechten ein fchreiender, jedoch figender Adler erfhien, uud
baß der ihn begleitende Scher die Bemerkung machte, es fey
Dieß ein wichtiges, Bein gewöhnliches Zeichen, beste auf
Ruhm und Ehre, aber auch auf Mühe und Arbeit; denn
Sechstes Buch. 947
wenn ber Adler ſtillſitze, pflegen die andern Vögel am ehe:
ften fid) an ihn zu wagen; auch verſpreche der Vogel Feinen
Reichthum, weil der Adler nur im Fuge feinen Unterhalt
finde. .
Da er nun opferfe, Hab ihm ber Gott aufs deutlichfte
zu erkennen, er folle fich weder um den Dberbefehl bewer«
ben, noch ihn annehmen, wenn er ihm angefragen würde,
Dieß gefchah auch wirklich. Als das Heer fich verſammelt
hatte, beftanden Alte darauf, daß man einen Dberfetdheren
wählen müße; und als Dieß befchloffen, ward Xenophon in
Vorſchlag gebracht. Da es ſich nun entfchieden hatte, daß
men ihn wählen würde, wenn Jemand den Antrag daranf
ftelfte, ftand er auf und fprad) folgende Worte: ‚Soldaten,
ich freue mich (denn ich bin ein Menfch) über die mir von
Euch erwiefene Ehre, und bin Euch dafür verbunden und
flehe zu den Göttern, mid) in den Fall zu fegen, zu Eurem
Glücke Etwas beitragen zu können. Daß Ihr mich aber, wäh.
rend ein Zacedämonier gegenwärtig iſt, zum Feldherrn erwählt,
ft, wie mir daͤucht, weder für Euch, nod für mic, zuträge
Ti, and) würdet hr, wenn Ihr Etwas bedürfet, Dieß nicht
To Teicht von ihnen [den Lacedämoniern] erhalten. Aber auch
für mich wäre die Sache gefährlih. Denn id) weiß, daß fle
nicht eher aufhärten, meine Vaterſtadt zu befriegen, ald bie
fie die ganze Stadt dazu gebracht hatten, daß fie den Lace⸗
dämoniern auch über fie den Oberbefehl zugeſtand. Nach dies
{em Dugeſtoaͤndniß Priegten fie nicht weiter, fondern hoben die
Belagerung anf. Wenn ich nun Alles Dieß weiß und dar⸗
auf bächte, meinerfeits ihr Anfehen, fo viel an mir wäre, zu
ſchmaͤlern, fo würde ich mid) bald von ihnen in bie Graͤnzen
2
948 Xenophon’sd Feldzug des jüngern Cyrus.
der Befcheidenheit zurüdgewiefen fehen. Wenn Ihr nun
aber glaubt, daß Ihr bei einem Feldherrn weniger, als bei
snehrern, Parteiungen haben wertet, fo wißt, daß ich, wenn
Ihr einen Andern wählet, deflen Befehle niemals widerſtre⸗
sen werde; denn ich bin der Meinung, dab, Wer fi im
Kriege gegen feinen Dbern auflehnt, feiner eigenen Wohlfahrt
entgegenhandelt; wenn Ihr aber mid, wählen würdet, dürfte
ih mid nicht wundern, wenn fi Weihe über Euch und
mich befchweren würden.‘ \
Auf diefe Aeußerung erhoben ſich noch viel Mehrere, und
drangen in ihn, den Oberbefehl zu überhehmen. Der Stym⸗
Phalier Agaſias bemerkte, es wäre lächerlich, wenn die Lace⸗
dämonier fo weit gehen wollten, daß fie ſich darüber aufhiel⸗
den, wenn Zechbrüder zufammentämen, und einen Anders
ald einen Lacedämonier zum Zechkönige ) wählten. „Wenn
Dieb an der Tagesordnung wäre, fo dürften wir auch nicht
Sauptleute ſeyn, weil wir nur Urkadier find.” Diefe Rede
Des Agaſlas ward mit Iautem Beifall auffenommen,
* Da nun Xenophon fah, daß er noch weiter gehen müßte,
trat er vor und erklärte: „Soldaten, damit Ihe wißt, wie
Ihr mit mir fleht, fo fchwöre ich bei allen Göttern und Göt⸗
innen, daß, fobald ich Eure Gefinnung erfuhr, bie Opfer zu
*) Der magister bibendi der Römer, Diefer war entweber
Derjenige, der ein Gaſtmahl gab, oder welcher, durchs Roos
gewählt, die Beforgung des Gaſtmahls auf Koften der ge
ſammten Geſellſchaft uͤbernahm. Das Scherzbafte und Bir
tere des Einfalls Liegt darin, dab die Gefellfchaft bei einem
Lacedaͤmonier als Zechtönig Übel gefahren waͤre teil die Lux
cedaͤmonier fehr auf Maͤßigkeit im Effen und Trinten hielten. |
/
— — — — — — —4
Sechstes Buch. - 949
Hathe 309, um zu erforfchen, ob es Euch fromme, mir den
Dberbefeht zu übergeben, umd mir, ihn anzunehmen; da ga⸗
ben mir denn die Götter fo deutliche Zeichen, daß felbft der
Laie es eingefehen haͤtte, daß ich mid, der Feldherrnſchaft
enthalten mũße.“
Nun wählte man Chirifophus. Als Diefer gewählt war,
trat auch er vor und erBlärte: „Seyd überzeugt, Soldaten,
dab auch ich mich micht aufgelehnt hätte, wenn Ihr einem
Andern gewählt haben würdet. Für Kenophon .aber it es
ein Glück, daß Ihr ihn nicht gewählt habt, da Derippus ihn
bereits bei Anaxibius, fo viel an ihm war, anzufchwärzen
fuchte, bis ich ihm zum Schweigen brachte Er ſagte unten
Anderem: „„ich glaube, Xenophon wollte licher den Darda=
nier Timaſion von dem Hecr des Klearchus, ald mich, einem
gebornen LZaßonier, zum Mitanführer haben.” „Da Ihr num
mid) gewählt habt,“ fuhr er fort, „ſo will audy ich mich ber
fireben, nad) allen Kräften Euer Wohl zu förkern. Eo hal⸗
tet Euch denn bereit, damit wir morgen bei günfligem Winde
unter Segel geben. Die Fahrt geht nach Herakla; dahin
müßen Alle zu gelangen. fuchen; das Weitere wollen wir an
Drt und Stelle in Weberlegung nehmen.“
3. Am folgenden Tage fegelten iTe bei günfligem Winde ab,
md fuhren zwei Tage längs der Küfte hin. Bei diefer Fahre
betamen te die Küfte des Jaſon, *) wo der Sage nad die
Argo **) anlegte, und dann die Mündungen der Flüſſe zu
»2) Ein Torgebirge. Jetzt Kay Vona.
”*) Das berühmte Schiff der Argonauten, auf welchem fie unter
Jaſon's Anführung nach Kolchis ſegelten ‚ um dort das gol⸗
dene Vließ zu holen.
950 Zenophon’s Feldzug des jungern Cyrus.
Geſicht, zuerſt Die des Thermödon, dann die-des Iris, des Ha⸗
lys und endlich des Partbenius;*) nachdem fie hier vorbeigeſe⸗
gelt waren,. famen fie nach Herallea, **) einer Helleniſchen
Stadt und Manzung der Megareer; fie lag in dem Gebiete
der Mariandyner. Sie legten bei ber Halbinſel Achern⸗
flag ***) ap.
Hier ſoll Herkules zu dem Hollenhunde Cerberus hinab:
geſtiegen ſeyn; und noch jetzt zeigt man die Wahrzeichen da⸗
von, eine mehr als zwei Stadien tiefe Höhle. +)
Die Herakleoten fandten hieher den Hellenen als Gaſt⸗
geſchenke dreitaufen® Sceffel Gerftenmehl, zweitaufend Ei-
mer Wein, zwanzig Ochſen und hundert Schafe. Durch bie
dortige Ebene fließt der ungefähr zwei Plethren breite Fluß
kykus. +7)
Die Soldaten verfammelten ſich und berathfchlagten, ob
fie den noch übrigen Heimweg aus dem Pontus zu Land oder
zu Waffer nehmen ſollten; der WUdrier Lykon trat auf und
fprach: „Es befremdet mich fehr, Ihr Soldaten, daß unfre
Heerführer nicht darauf bedacht find, uns die gehörigen Mei:
x , —
*) Es find dieſe Punkte nicht nach der geographiſchen Ordnung
angegeben. Das Jaſon'ſche Vorgebirge nebſt den Fluͤſſen
Thermoͤdon, Iris und Halys haben ihre Lage zwiſchen Ko⸗
tyora und Sinoͤpe.
*5) Die heutige Stadt Erekli oder Erakli, nach Rennel.
» Arakali, auch Pendarachi, ans Pont Arachy ver
-borben.
HD Nach Andern ftieg Herkules bei dem Vorgebirge Taͤnarus in
Lakonien in die Unterwelt.
17) Die ift ‚nicht der bekannte Fluß Lykus in Phrygien,. der ſich
in den Iris ergießt und Koulaihiſſar heißt,
[4
Sechstes Buch. 951
fegelder zu verſchaffen; *) denn mit den Gaugeſchenken reicht
das Heer nicht drei Tage and, und doch haben wir auch Beis
nen Ort, aus dein wir unfen Mundoorrath beziehen könn⸗
ten. Ich trage alfo darauf: an, daß wir von den Herakleo⸗
‚ten nicht weniger ald dreitaufend Epzicener begehren. Ein
Anderer meinte, man müßte nicht weniger als zehntaufenk
Cyzicener, monatliche Löhnung, verlangen, und fogleich, wähs
send. fie hier noch verfammelt wären, mit diefer Forderung
Gejandte in die Stadt abfertigen, um ihre Antwort zu ver.
nehmen, und hiernad) die Maßregeln zu nehmen.
Hierauf fhlugen fie zum Behuf der Gefandtichaft eriiii
Ehirifophus als erwählten Dberfeldheren vor; Einige auch
Kenophon; Beide aber Ichnten das Unfinnen auf's entfchies
denfte ab, weil fie es für unbilfig hielten, eine Hellenifche
und befreundete Stadt zu Etwas zwingen zu wollen, was fie
nicht aus freien Stüden gab,
Als Diefe keine Luft dazu bezeugten, fandten fie den
Acker Lykon, den Parrhafler Kallimachus und den Stym⸗
»halier Ugaflas ab. Diefe gingen ab und eröfineten den He⸗
zableoten die Forderungen des Heeres, und Zufon foll noch
Deohungen hinzugefügt haben, falls fie fich deffen weigern
ſollten. Nach Anhörung Deffen erwiederten die Herakleoten,
fie wollen die Sache in Ermägung ziehen, führten aber fos
*) Unter zweierlei Namen wurde Zahlung geleiftet: erftlich für
die Mühe des Dienftes Loͤhnung, welde der Soldat zu:
ruͤcklegen Eonnte, ausgenommen, was er auf Waffen und
Kleidung verwenden mußte; dann für die Verpflegung
(was bier gemeint iſt), welche ſetten in Natura geleiſtet
wurde.
952 Zenophon’s Feldzug -des. jüngern Cyrus.
gleich alle Habe vom Land in die Stadt zuſammen, verlegten
den Markt nad der Stadt, verfchloßen die Thore, und anf
den Mauern zeigten fih Bewaffnete.
Die Urheber alles Deffen befchufdigten jetzt die Heerfüh⸗
zer, daß fie die Sache verdorben hätten. Die Arkadier und,
Achäer thaten fi) unter den Rädelsführern Kallimachus aus
Parrhaſia und dem Acker Lyfon zufammen, Gie fleiften
fih darauf: „es fey eine Schande, daß ein Athener über Pelo⸗
»onnefler und LZacebämonier befehlige, ohne dem Heere Trup⸗
pen zugeführt zu haben; fie hätten die Mühe, Undere den
Nutzen; und doch feyen fie ed, denen man die Rettung vers
Dante; fie, die Arbadier und Achder, hätten Alles gethan;
das übrige Heer komme nicht in Betracht (wirklich beftand
das Heer audy über die Hälfte aus. Arkadiern und Achäern).
Wenn fie alfo klug wären, würden fie fi zufammen thun
und unter Unführern, aus ihrer Witte gewählt, den Rüds
weg antreten und ſich Vortheile zu verfchaffen ſuchen.“ Dieß
fand Beifall; was von Arkadiern oder Achäern unter Chi⸗
rifophus oder Kenophon fland, verließ Diefe und vereinigte
ſichz fie wählten unter fid) zehn Anführer, die nach Stim-
menmehrheit thun follten, was gut befunden würde So
verlor Ehirifophus am fechsten oder fiebenten Tage nach feis
ner Ermwählung wieder den Oberbefehl.
Tenophon wollte Anfangs mit ihnen fortzichen, weil er
es fo für ficherer hielt, als wenn Jeder einzeln ziehen wollte;
Neon aber redete ihm zu, allein zu gehen, weil nad) der
Ausfage des Ehirifophus Kleander, Statthalter von Byzanz
tium, in den Hafen vor Kalpe mit Dreirudern kommen wollte.
Dieß vieth er ihm aber, damit fle mit ihren Soldaten allein
— — — — — —
—. wu — —— vr —
Sechstes Buch. 955
den Dortheiläihätten, auf diefen Schiffen abzuſegeln. Chis
riſophus, verdrießtidy ;über jene Vorgänge, und deßhalb dem
Heere abgeneigt, fteltte ihm frei, zu thun, was er für guf
fände.
Kenophon trug fi) nun mit dem Gedanken, das Heer au
verlaſſen und allein zu Schiffe abzugeben; als er aber Her:
kules, dem Führer, opferte, und ihn um Rath fragte, ob
ed beffer und vortheilhafter fey, an der Spise der ihm treu⸗
gebliebenen Mannſchaft zu bleiben, oder fi von ihr zu
trennen, bedeutete ihm der Gott durch die Opfer, er ſolle ſich
zu dem Heere halten.
So zerſtel das Heer in drei Theile. Die Arkadier und
Achaͤer waren ihrer mehr denn viertauſend fünfhundert Mann,
lauter Hopliten; Chirifophus hatte noc gegen tauſend viers
hundert Hopliten, etwa fiebenhundert Peltaften, die Thracier
des Klearchus, Kenophon gegen fiebzehnhundert Hopliten
und an breihundert Peltaſten; auch hatte er allein Reiterei
an vierzig Mann.
Die Arkadier wußten fih von den Herakleoten Fahr⸗
zenge zu verfchaffen, und fegelten zuerſt ab, um plößlicd, im
Bithynien *) einzufallen und recht viele Beute zu machen;
fie landeten im Hafen von Kalpe, **) beinahe in der Mitte '
von Thracien. Chirifophus zog von Herakloͤa an zu Lande
9 — das Aſiatiſche Thracien genannt, eine Landſchaft an der
Kuͤſte des ſchwarzen Meeres; die Bewohner dieſes Landes
. hatten gleichen Urſprung mit den europaͤiſchen Thraciern,
und in Sprache und Sitten vieled Achnliche.
*0) Nach Rennel Heißt er heut zu Tage Kirpe oder Garpah,
nad) Reichard Buſadsje.
954 Renophon's Feldzug des: jüngern Cyrus.
weiter; als er nach Thruzien am, zog er laͤngs dem Meere
bin; *) denn er war fchon kraͤnklich. Xenophon aber fchiffte
ſich ein und landete auf der Gränze zwiſchen Thracien und
dem Bebiete von Heraklea, und zog nun mitten durdys Land,
3. Wie Ehirifophus den Dberbefehl verlor und das Heer
der Hellenen ſich trennte, ift „bereits gezeigt worden. Die
Unternehmungen der einzelnen Heerhaufen waren folgende:
die Arkadier liefen Nachts in den Hafen von Kalpe ein, und
rückten nad) ihrer Landung im die Dörfer vor, weldye unge.
fähr dreißig Stadien vom Meere lagen. Mit Anbrudy des
Zages führte jeder Heerführer feine Abtheilung in ein Dorf;
ſchien eines zu bedeutend, fo zogen je zwei Heerführer mit:
einander. Sie beftimmten aud einen Hügel, wo fie fi
ſaͤmmtlich wieder zu vereinigen hätten; und da fie unvermu⸗
thet eingefallen waren, machten fie viele Gefangene und brach⸗
ten viele Schafe auf, Jetzt zogen ſich die entflohenen Thra—⸗
eier zuſammen; ed waren, ald Leichtbewaffuete, Viele unter
den Händen der Schwerbewaffnefen entfommen. Als fle beis
fammen waren, machten fle ſich zuerft über den Heerhaufen
des Smikres, Eines der Arkadifchen Heerführer, her, da er
eben mit vieler Beute ſich nad) dem verabredeten Sammels
Plate. zurückziehen wollte.
Anfangs zogen fi die Hellenen under beftändigem Kam«
pfe zurück; beim Uebergang über einen Hohlweg aber wur⸗
den fie in. die Flucht gefchlagen, und Smikres mit allen feis
nen Leuten blieb auf dem Plah. Don einer andern Heeres⸗
* Um etwaige Gefechte mit den Eingebornen zu vermeiden, und
fo bald als möglich nach Kalpe zu kommen.
An —-
Sechstes Buch | 956
abthailung, weiche Hegefander, gleichfalts Einer der schen Heer⸗
führer, befehligte, Fam nur Hegefander nebft acht Mann mit
dem Leben davon. Die audern Anführer erafen mit oder ohne
Beichmerden an dem beflimmten Plate ein. Nach diefen glück⸗
lichen Erfolgen riefen die Thracier einander zu, und verfans
melten in der Nacht eine beträchtliche Macht. Mit Anbruch
des Tages umringsen fie Ben Hügel, auf dem ſich die Helles
nen gelagert: hatten, Reiter und Peltaſten in großer Zahl;
immer frömten noch mehrere herbei, und griffen ohne irgend
einen Verluſt die Hopliten an.
Die Hellenen hatten weder Togenfchügen,, noch Solche,
welche Wurfipieße warfen, noch auch Reiterei; die Feinde
dagegen liefen oder ritten heran und fchoßen; wollte man ih:
nen zu Leibe, fo flohen fle wieder eben fo fchnell davon; dieſe
Angriffe gefchahen von alten Seiten. Won den Hellenen
wurden Diele verwundet, von ihnen aber Keiner. Auf diefe
Weile Eonnten fie nicht von der Stelle, und am Ende ſchnit⸗
ten ihnen die Thracier auch das Wafler ab. ’
In diefer Außerft mißfichen Lage unterhandelten fie wes
gen eines Waffenſtillſtandes. Man ward über alle Punkte
einig, nur wollten die Thracier Beine Geißeln geben, was die
Hellenen verlangten; daran hing noch die Sache. So flans
den die Angelegenheiten ter Arkadier.
Chiriſophus zog fih, ohme angefochten zu werden, am
Meer Hin, und gelangte an den Hafen von Kalpe. Xenophon
aber nahm feinen Weg mitten durch's Land Hinz feine Reis
ter, welche vor dem Zuge voraus waren, trafen einige alte
Leute, die irgend wohin reifen wollten. Da man fie zu Xe⸗
nephon geführt hatte, fragte er fie, ob fe von Feinem andern
956 Renophon's Feldzug des jüngern Cyrus.
Helleniſchen Heere gehört hätten. Diele erzähiten ihm Alles,
was vorgefalfen war, wie die Hellenen auf einem Hügel,
ringsum eingefchloffen, von der gefammten Macht der Thra⸗
cier befagert würden. Da Tieß er die Leute in fichere Ver⸗
wahrung nehmen, um fid, ihrer nöthigenfalis ald Wegweifer
zu bedienen, ftelite hierauf zehn Vorpoſten aus, rief Die Sol⸗
daten aufammen und ſprach, wie folgt:
„Soldaten, ein Theil der Arkadier ift geblieben, die Les
brigen find auf-einem Hügel eingefchloffen. Kommen auch
Diefe um, fo ift es, fürchte ich, auch um und gefchehen, da
die Feinde fo zahlreich und fo unternehmend find. Wir thun
daher am beften, den Leuten in alter Eile zu Hülfe zu kom⸗
men, um, wenn fie nod am Leben find, vereint mit ihnen
gegen den Feind zu Pämpfen, und nicht, allein noch übrig,
auch die Gefahr allein beftehen zu müßen. Lagern wir und
alfo erſt dann, wann wir zuvor nod) weiter gerückt find, bie
ed Zeit zum Abendeſſen feyn wird. Während des Zuges folk.
Zimafton mit den: Reitern vorausziehen, doc, fo, daß er uns
im Auge behält, und Alles, was vorn ift, beobachten, damit
ans Nichts entgeht (zugleich fandfe er einige Leichtbewaffnete
auf die Seiten. und die nahen Anhöhen ab, um fogfeich von
da ein Zeichen zu erhalten, wenn fle irgend woher Etwas bes
merfen follten; auch befahl er ihnen, Altes, was fie könnten,
in Brand zu fleden). „Denn, fagte er, „hier zu entkom⸗
men, ift Beine Möglichkeit; weit int der Rückweg nach Hera
lea, wenn wir folhen wieder einfchlagen wollten, weit der
Weg nach Ehryfopoiis, die Feinte find uns nah, den Hafen
von Kalpe, wo Ehirifoppus, wenn er glücklich durchgekom⸗
men iſt, angelangt feyn wird, erieichen wir noch am eheften.
r
Sechstes Bud). - 967
Dort aber haben wir Beine Schiffe, auf denen wir weiter fegeln
fönnen, und bleiben wir, fo haben wir nicht einmal auf Eis
nen Tag. hinlänglich Lebensmittel. Weberdieß ift es, wenn
die Eingefchloffenen ung zu Grunde gehen, weit fchwerer für
uns, blos mit Chirifophus Leuten vereinigt die Gefahren des
Kriegs zu beftehen, als wenn wir Diefe erhalten, und ver
einige mit ihnen auf unfere Rettung denken. Wir müßen in
der Weberzeugung weiter ziehen, entweder ruhmpoll zu ſter⸗
ben, oder die fchönfte That, die Rettung fo vieler Helienen,
zu bewirken. Vielleicht fügt es die Gottheit fo, indem fie jene
Sroßfprecher, die ſich für klüger hielten, für ihren Hochmuth
demäthigen, und ung, die wir Alles mit den Göttern begins
nen , höhern Ruhm verleipen will. So folgt mir denn,
und traget Sorge, die gegebenen Befehle aufs genauefte zu
befolgen.‘ “ '
Damit trat er den Zug an. Die Reiter zerftreuten ſich,
fo weit es ficher war, und fledten Alles, wo fie hinkamen,
in Brand. Audy;die leichten Trappen flreiften nad, den Hd:
ben hin, und zündeten alles Breunbare an, und fo auch das
übrige Heer, wenn Etwas übrig gelaffen wurde; fo daß die
ganze Gegend in Feuer zu flehen und ein großes Heer anzu:
rüden ſchien. Als es Zeit war, Tagerten fie fi auf einem
Hügel, wo fie die Feuer der Yeinde erblidten (denn fie was
ren noch ungefähr vierzig Stadien entfernt); fle zündeten
deßhatb auch ihrerfeits fo viele Feuer als möglich an. So⸗
bald fie aber die Abendmahlzeit eingenommen hatten, ward
Befehl gegeben, alle Feuer auszuloͤſchen.
Sie fteliten nun die Nacht über Wachen aus und begas
ben fiy zur Ruhe; mit Anbruc des Tages aber beteten fie
958 Zenophon’s Feldzug "des jüngern Cyrus.
zu den Göttern und rückten hierauf in Schlachtorbnung mit
möglichfter Eile vor. Tintaflon, der mit den Reitern und dem
Megweifern voranritt, kam, che er es vermuthete, anf dem
Hügel an, anf welchem die Hellenen umzingelt waren. Sie
fanden da weder Freunde nody Feinde — wovon fie fogleich
Kenophon und Das Heer in Kenntniß ſetzten — fondern nur
alte Weiber und Männer, nebft wenigen Schafen und Ochſen,
welche zurüchgeblieben maren.
Anfangs wußten fie ſich die Sache nicht zu erklären;
dann erfuhren fie von den Zurücgebliebenen, daß die Thra⸗
cier fogleich Abende, die Helienen früh Morgens abgezogen
wären; wohin aber, wüßten fie nicht.
Auf diefe Nachricht brach Kenophon mit feinen Leuten
nach eingenommenem Fruͤhmahl ſogleich wieder auf, um fid)
fo bald wie möglich mit den Undern an dem Hafen von Kalpe
zu vereinigen. Unterwegs fanden fie die Zußftapfen der Ar:
kadier und Achäer dem Hafen von Kalpe zufgerichtet.
Nachdem fie dort anfefonmen waren, waren fie hoxh
erfreut, einander wieder zu fehen, und umarmten ſich als
Bruͤder.
Da erkundigten fldy die Arkadier bei Renophones Leuten,
warum fie die Feuer ausgelöſcht hätten. „Wir glaubten,‘
fagten Diefe, „anfänglich, als wir keine Feuer mehr fahen, Ihr
würdet den Feind in der Nacht noch angreifen; Daffelbe
fchienen die Feinde zu befärdyten; denn faft um dieſelbe Seit
nahmen fie ihren Abzug. Als Ihr aber nicht kamet und die -
Zeit und zu lang däuchte, meinten wir, Ihr hättet unfer
Schickſal erfahren und Euch nun aus Furcht gegen das Meer
Sechstes Buch. 959
zu geflüchtet; wir beſchloßen daher, Euch nicht im Stiche zu
laſſen, und ſo ſind wir hieher gelangt.“
4. Dieſen Tag blieben ſie auf dem Geſtade am Hafen.
Der Ort, der Hafen von Kalpe benannt, liegt in dem Affe:
Yifchen Thracien; dieſes Thracien erfiveckt fid von der Müns
dung des Pontus an, wenn man bon dorther nad) dem Pon⸗
tus zu fegelt, rechts bie nach Herakléa.
Don Byzantium nach Heraklea braucht ein mit Rudern
wacker unterſtütztes Dreiruder einen vollen Tag. Dazwifchen
trifft man Peine befreundete oder Helfenifche Stadt: es woh⸗
nen da die Bithyniſchen Thracier, welche alfe Hellenen, die
durch Schiffbruch oder auf andere Weife an ihre Küffe ges
trieben werden, anfs graufamfte mißhandeln follen.
Der Hafen von Kalpe *) Tiegt gerade zwifchen Heraflda unb
Bpzantium in der Mitte. Der Platz ſelbſt erftrecht ſich in's
Meer hinein; feine Meerfeite bitter ein fchroffer, wo er am
niedrigften ift, gute zwanzig Klaftern hoher Felfen. Die
Erdzunge, welche diefe Landfchaft mit dem Feſtlande verbin-
det, ift höchſtens vier Plethren breit; die Landſchaft ſelbſt
Hält fo viel Raum, daß zehntanfend Menfchen in ihr mohs
nen fönnen. Der Hafen liegt unter dem Felſen, und hat
gegen Welten fein Ufer. Auch fließt dicht am Meere eine
unverfiegliche Duefe füßen Waſſers, weldye noch in dem Bes
reich des Piabes ift. Sowohl anderes Holz wächst in Menge
*) Da dieſer Matz der Beſchreibung nach fehr viel Aehnliches
mit Gibraltar Hat, und amıy Gibraltar im Alterthum Kalpe
web fo leitet Dieß nach Rennel auf die fehr wahrſcheinuche
Vermuthuug, daß dieſer Name bei beiden zugleich bie eigens
thuͤmliche Dertlichteit bezeichnete.
960 Zenophon’s Feldzug bes jüngern Cyrus.
dicht am Meer, als auch ſehr vier fchönes "Sciffdaus
hol. Der Berg am Hafen erſtreckt fich beinahe zwanzig
Stadien ind Land hinein und- ift landwärts erdig und flein-
los; auf der Meeresfeite aber ift er über zwanzig Stabien
weit dicht mit einem Walde von mancherfei hohen Bäumen
bewachfen.
Die Übrige Gegend ift reizend, ausgedehnt, uud ent:
Hält viele volfreiche Dörfer. Der Boden trägt Gerſte, Weis
zen, alle Arten von Hülſenfrüchten, Fennich, Sefam, eigen
in Menge, viele Weinftöcde, die Tiedlichen Wein kiefern, kurz
Altes, nur Beine Deblbäume. So war das Land befchaffen.
Sie Iagerten fih am Geſtade, weil fie Fein eigentliches
Lager beziehen wollten, ba folches leicht in eine Stadt konnte
umgewandelt werden, Denn fie argwähnten ohnehin fchon,
man habe fie planmäßig hieher geführt, weil Einige hier eine
Stadt zu erbauen wuͤnſchten. Die meiften Soldaten nämlich
waren nicht aus Mangel an Lebensunterhalt in Cyrus Dienfte .
getreten, fondern weit fie feinen Heldenfinn rühmen hörten;
Manche brachten noch Andere mit, febten ſogar ihr eigenes
Vermögen zu, Undere waren von Vätern und Müttern weg-
gelaufen, noch Undere hatten fogar Kinder zu Haufe, und
wollten, mit Schägen begabt, zu Diefen zurückkehren; denn
fie hatten von Andern gehört, daß fie fich bei Cyrus Außerft
gut fländen. Aus alten diefen Rückſichten fehnten fie ſich
jest wieder nach Hellas zurück.
Früh am Morgen nad) ihrer Vereinigung, opferte Kenos
phon wegen des Auszuges, denn man mußte nad) Lebensmit⸗
sein ausziehen; auch gedachte er, die Todten zu beerbigen.
Nach vollbrachtem Dpfer folgten ihuen auch die Arkadier, und
—
x
Sechstes Buch. 961
fie begruben die meiften, da wo ſie foldye fanden; denn fie la⸗
gen ſchon fünf Tage und Eonnten deßhalb nicht weiter ge:
bracht. werden; Einige, die am Wege lagen, trugen fie zu:
fammen., und beftatteten fie fo feierlich, als esldie Umſtände
erlaubten; Denen zu Ehren, welche fie nicht vorfanden, er:
richteten fie einen großen Srabhügel und legten Kränze dars
auf. Nachdem Dieß gefchehen war, Eehrten fie nach dem Las
ger zurüd. Da legten fie ſich nad) derı Abendeſſen zur Ruhe;
am folgenden Tage kamen alle Soldaten, vorzüglich auf Zu:
zeden der Hauptleute Aanflad aus Stymphalus und Hieronys
mus aus Elis, und einige Andere von den älteſten Arkadiern
zufammen, und faßten den Beichluß, wenn je wieder Einer
die Theilung des Heeres in Anregung brächte, der ſollte mit
dem Tode beftraft, das Heer aber auf den.alten Fuß zurüd-
gebracht werden und unter feinen vorigen AUnführern flehen.
Lhirifophus hatte inzwifchen in der Fieberhibe Gift genom:
wen und war bereifs geftorben ; an feine Stelle trat Neon
aus Afine.
Hierauf erhob ſich Kenophon und fprah: ‚Soldaten,
wir müffen nothwendig unfern Zug zu Lande fortfeben, da
wir feine Schiffe Haben; und bleiben wir länger hier, fo ge-
bricht es uns an Lebensmitteln. Laßt uns denn: die Opfer
zu Rathe ziehen. Ihr aber rüſtet Euch zum Kampfe, wie
nur je; denn die Feinde haben wieder Muth bekommen.‘
Die Heerführer opferten hierauf im Beiſeyn ded Sehers
Arexion aus Arkadien; Silanus aus Ambracia hatte ſich im
Heraklea ein Schiff gemiethet, und ſich bereits davon ge⸗
macht. Die Opfer aber waren für den Abzug nicht guůnſtig.
Renophon. 86 Bochn.
962 Renophon's Feldzug des jüngern Cyrus.
Man blieb alſo noch dieſen Tag. Da unterfingen ſich
Einige zu ſagen, Xenophon habe, weil ex hier eine Pflauzung
anzulegen wünfche, den Scher zu der Erklärung vermocht,
daß die Opfer für den Auszug nicht günftig wären. Er lief
deßhalb durch den Herold ausrufen, es dürfe am morgenden
Zage, Wer da wolle, dem Opfern beitmohnen : und wenn noch
ein Seher bei’'m Heere wäre, fo folle er erfeheinen, und die
Beſichtigung der Opfer mit vornehmen. Es ſtellten fich
ein. Jetzt opferten fie wieder dreimal wegen des Abzuges,
- ohne gänftige Anzeigen zu erhalten. Die Soldaten waren
hierüber fehr niedergeichlagens denn die Lebensmittel, weiche
fie mitgebracht hatten, waren beinahe aufgezehrt, und fle
konnten nirgend Etwas. zu Kaufe befommen.
Als fie fi) wieder verfammelt hatten, nahm Kenophon
dad Wort: ‚Soldaten, die Opfer flimmen, wie Ihr feht,
nicht für den Abzug, und doch fehe ich Euch Mangel leiden;
‚wir müßen alfo, glaube ich, hierüber die Opfer befragen.’
Da ftand Einer auf und fagte: „die Opfer können freilich
nicht für den Abzug ſeyn; denn ber Statthalter Kleander
fommt aus Byzantium, um uns mit Frachtfchiffen und Dreis
rudern abzuholen.‘
Da befchloß man einmäthig, noch fänger zu warten; ins
deffen mußte man nad, Lebensmitteln ausziehen; man opferte
deßhalb Dreimal, fand aber Leine günftige Vorbedeutung;
und bereits kamen die Soldaten vor Kenephon’s Zelt und
klagten über. Mangel an Lebensmitteln. Er erklärte aber,
Daß er fie nicht aus dem Lager fügen. würde, bis die Opfer
: aufagten.
‚Gechstes Band. 3963
Am folgenden Tage ward wieder geopfert, und das ganze
Speer Hatte ſich rings um das Opfer geftellt, weil Alten daran
. gelegen war. Run gebrady es aud an Dpferthieren. Die
: Heerführer zogen immer noch nicht aus, fondern riefen die
Soidaten zufammen, und Xenophon fprach: „Bielleicht find
die Yeinde beifammen und wir müßen uns ſchlagen; wenn
wir nun an einem feften Plabe unfer Gepäde zurücklaſſen,
und in Schlachfordnung ausrückten, fo würden ung die Opfer
vieleicht günftiger ſeyn.“
Da Dieb die Soldaten hörten, fchrieen fie, man brauche
geinen feften Ort; er folle nur gleich opfern. Sie hatten -
teine Schafe mehr; es wurde daher ein Stier vom Wagen
hinweg ‚gekauft und geopfert. Xenophon bat den Arkadier
Kfeanor, darauf zu achten, ob nicht etwa bei dieſem Opfer⸗
thier die Zeichen günftig wären. Allein auch dießmal verfagte
das Dpfer.
Als Neon, weldyer als Heerführer an des Chiriſophus
Stelle getreten war, das Heer folche Roth Teiden fah, fuchte
er ſich diefem gefällig au machen, und ließ auf die Ausſage
. ‚eines Herakleoten, daß er in der Nähe Därfer wife, aus
denen: ſie Lebensmittel ‚beziehen könnten, burd, den Herold
ausrufen: wenn Jemand Luſt habe, auf Lebensmittel auszu⸗
ziehen, fo wolle er die Führung übernehmen. Es zogen ih⸗
- rer an zweifaufend Mann, mit Spießen, Schläuchen, Säden
und andern Geräthfchaften verfehen, aus. Als fie in den
- Dörfern waren und fi der Beute wegen zerſtrent hatten,
wurden fle zuerft von der Reiterei des Pharnabazus, *) der
+, Die Bithyniſchen Thracier wurden eigentlich vn der ‚Satrapie
*
964 Xenophon's Feldzug des jüngern Cyrus.
sen Bithyniern zu Hülfe gekommen war, um die Hellenen
mit Hülfe der Bithynier, wo möglich, von einem Einfall. in
Phrygien abzuhalten, angegriffen. Die Reiter machten
nicht weniger als fünfhundert Hellenen nieder; die Andern
entflohen auf einen Berg.
Einer der Flüchtlinge brachte die Nachricht hievon in das
Lager.
Da aber die Opfer auch an dieſem Tage ungünflig was
ren, nahm Xenophon einen Stier vom Wagen hiuweg (man
Hatte nämlich Fein anderes Vieh mehr), fchlachfete ihn und
Sam mit Allen, welche nod) nicht dreißig Jahre alt waren,
zen Audern zu Hülfe. Sie zogen die nod) übrigen Flücht⸗
dinge an fidy und kamen wieder in das Lager zurück.
Schon war ed gegen Sonnenuntergang, und die Helle:
nen nahmen in großer Niedergefchlagenheit ihre Ahendunpt:
zeit ein, als auf einmal eine Anzahl Bithynier, die in dem
Unterholz herangefommen waren, auf die Vorpoſten hervor-
brachen, die Einen födteten und die Andern bis an dad La:
ger verfolgten. Auf den entflantenen Lärm eilten alle Helfes
nen unter die Waffen; allein man fand es nicht rathſam,
dei Nacht den Feind zu verfolgen und das Zager zu verlaffen;
Denn ed war ſchon dunkel geworden und die Gegend war wal-
dig; fie fteliten daher ſtarke Vorpoſten and und blieben die
Tracht über unter dem Gewehr.
5. So brachten fie die Naht Hin. Mit Anbruch bes
Tages zogen die Heerführer nad) dem haltbaren Mate; das
des Pharnabazus, der über Phrygien geſetzt war, gerechnet.
obgleich fie dfters gegen ihm Krieg führten.
Sechstes Bach. 965:
Heer forgte mit Waffen und Gepdde. Noch vor der Stunde
bes Frühmahls zogen fie am Eingang in denfelben einen Gra⸗
ben, befesten ihn überall mit Pfahlwerk, drei Stellen ausges
nommen, wo fie Thore ließen. Da kam ein Schiff aus He⸗
raklea und brachte Mehl, Schlachtvieh und Wein.
Tenophon ftand früh auf und opferte wegen des Abzu⸗
ges; und gleich auf das erſte Mal fagten die Opfer zu.
Schon war dad Dpfer beendigt, als der Seher Arerion aus
Parrhaſus einen glücdweiffagenden Adler erblidte und Xend⸗
phen fogleich aufforderte, mit dem Heere audzurüden. Sie
zogen über den Graben, traten unter die Waffen und der
Herold machte bekannt, die Soldaten follten nach eingenoms
menem Frühmahl gerüftet auszichen, Troß und Sklaven aber
- in dem Lager laſſen. Sie rücdten nun Alle, Neon ausge⸗
nommen, aus; denn es ward für gut befunden, ihn zur
Dedung des Lagers zurücdzulaffen. Als nun die Haupfleute
und Soldaten fle verließen, hielten die Zurückgebliebenen es
für fehimpflich, da die Andern auszogen, ihnen nicht au fols
gen; man fieß Daher nur Diejenigen im Lager, welche über
fünf and vierzig Fahre alt waren. Diefe alfo blieben; die
Andern zogen mit.
Sie hatten noch Feine fünfzehn Stadien zurüdgelegt, als
fie bereitd auf Todte fließen. Diejenigen nun, welche auf
dem Flügel, wo man die erften Leichname erblickte, das Hin⸗
tertreffen bildeten, machten Halt, und beerdigten Alle, welche
in den Bereich des Flügels waren. Nachdem fie die Erften
begraben hatten, rückten fle weiter, und bei den erſten Tod⸗
ten, bie fle wieder trafen, blieben wieder Diejenigen ſtehen,
966: RXRenophon's Feldzug. des jüngern Cyrus.
weiche das Hintertreffen bildeten, und begraben fie auf gleiche
Weiſe, fo viel deren dad Heer erreichen konnte. Als fie aber -
auf den Weg kamen, der zu den Dörfern führte, wo die
Leichname haufenweis lagen, trugen fle foiche zufammen und
begruben fie.
Schon war der Mittag vorbei, als das Heer über die
Dörfer hinaus weiter vorrückte, und alle Lebensmittel, deren
mar habhaft wurde, in die Mitte nahm. Da erblickten fie
auf einmal. die Feinde, Reiterei und Fußvolk in großer Menge,
in geſchloſſener Schlachtlinie Über einige gegenüber liegende
Hügel daher ziehen; Spithridates und Rathines nämlich wa⸗
ren von Pharnabazus mit diefen Streitkräften angelangt.
Als die Feinde der Hellenen anfichtig wurden, machten fie in
einer Entfernung von fünfzehen Stadien Haft.
Sogleich ſchlachtete der Seher der Hellenen, Arerion,
ein Opferthier; und ſchon das erſte gab günftige Vorbedeu⸗
tung. Da fprach Xenophon: „Heerführer, ich denke, wir
fielen hinter der Vorlinie einige Kochen in Rückhalt, damit
fie im Galle der Noth das Hauptheer unterflüben, und bie
Feinde, wenn fie ſolche geworfen hätten, anf geordnete, frifche
Heerhaufen ſtoßen.“ Der Vorfchlag fand allgemeinen Bels
fall. „So gehet Ihr benn,“ fuhr er fort, „auf die Feinde
los, damit wir nicht zaudern, da die Heere ſich gegenfeitig zu
Sefiht befommen haben; ich will die Lochen für den Rück⸗
hatt ordnen, und da Nachdruck geben, wo Ihr's für dienlich
ſindet.“
Sie rückten hierauf in aller Stille vor; Xenophon aber
nahm vom Hintertrefſen drei Haufen, je zu zweihundert
Sechstes Bu 968:
Mann, und Heß bean Einen unter Anfuͤhrung des Achders-
Samolas in einer Entfernung von einem Plethron auf dem
rechten Flügel dem Heere folgen; dem andern, welchen der -
Arkadier Pyrias führte, fleiite er im die Mitte, und den
dritten, welchen der Athener Phraſtas befehligte, auf den
linken Flügel.
Als die Vordern an eine große, fehr fchwierige Berg⸗
ſchlucht kamen, machten fie Halt, da fie nicht-wußten, ob
fie durch diefe ſezen müßten, und ließen die Heerführer und
SHanptleute an die Dorlinie herankommen. Xenophon konnte
fidy nicht erklären, was den Zug’ aufhielte, umd ritt, als er.
den Auf vernahm, aufs eiligfte Hinzu. Als fie vorn anges -
tommen waren, fagte Sophänetus, der Aelteſte der Hrerfüh:
rer, es brauche hier Fein langes Berathen, ob man durch die
Bergſchlucht da zu ſetzen habe, Kenophen nahm: fogleicy, das
Wort und fprach Yolgendes:
„Ihr wißt, Soldaten, daß ich nie gefährlichen Unterneh:
mimgen bei. Eudy das Wort reden mochte; denn ich glaube,
daß Ihe jebt tapfer feyn müßt, nicht um Ruhm zu erringen,
fondern um Euer Leben zu retten. Jetzt aber ſteht es fo:
ohne Kampf kommen wir nicht los; wenn wir den Yeinden .
nicht zu Zeibe gehen, fo werden fle und bei'm Abzuge verfolgen .
and angreifen. So überlege alfo, ob es beffer ift, dem Feinde
unter dem Schube der Waffen zu Leibe gehen, oder mit dem
Schild auf dem Rücken ſich von hinten angreifen zu laflen.
Ihr wißt, daß dem Feinde den Rüden Eehren Schande bringt,
und daß auch der Feigſte, wenn er nur verfolgen darf, Muth
bekomnit. Ich möchte lieber auch. nur mit der. Hälfte den.
Feind angreifen, als mit der doppelten Anzahl ihm den Rüden .
968 XRenophon's Feldzug des jüngern Cyrus.
teren. Ich bin überzeugt, daB Ihr ſelbſt nicht glanbt, daß
fie, wenn wir gegen fie beranzüden, uns Stand halten
werden; weun wir uns aber zurüdzichen, fo willen wir
Ale, daß fie Muth genug haben, uns zu verfolgen. Soll⸗
ten wir die Gelegenheit, hinter uns die fchwierige Berg:
ſchlucht, vor uns die Feinde zu haben, nicht mit beiden
Händen ergreifen ? Den Feinden wünſche ich, daß fle zur
Flucht Altes offen und eben haben; uns aber laßt in der
Oertlichkeit feibft die Lehre finden, daß nur der Sieg und
Rettung bringe. Ich wundere mid), wie dieſe Bergſchlucht
Einer furchtbarer finden will, als andere Päfle, durch die
wir ſchon gezogen find. Wird wohl die Ebene, wenn wir
die Reiter nicht befiegen, für und minder fchwierig feyn ?
Wie wollen wir aber über die ſchon erfliegenen Berge kom⸗
men, wenn und eine ſolche Anzahl Leichtbewaffneter auf
dem Leibe ift? Und retten wir uns aud an das Meer,
welch ein Abgrund wird erſt ber Pontus feyn? Dort haben
wir feine Schiffe, die und von dannen führen, noch Lebens:
mittel für längern Aufenthalts je eher wir hinkommen, um
ſo eher müßen wir wieder fort nady Lebensmitteln. Iſt es
alſo nicht beifer, wir kämpfen heute, da wir gefättigt find,
als morgen, wenn wir hungern müßen? Die Opfer find uns
günftig, Soldaten; die Vögel weiſſagen Glück; die Einges
weide find ganz nad unfern Wünfchen. Auf gegen den
Feind! Er muß, da er und einmal gefehen bat, nicht ruhig.
effen, noch, wo er will, fid) Tagern dürfen!’
Da verlangten die Hauptleute, er folle fie .gegen dem
Feind führen, und Niemand widerfprad,, Er that ed, und
befahl, Jeder folle da, wo er ſtehe, in die Waldſchlucht vor⸗
— — 7m nm En
Sechstes Bud). 969
dringen ; denn er glaubte, daß fie fo haufenweiſe cher durchs
fommen würden, als über den ſchmalen Weg, der fd) an der
Schlucht hinzog.
Als ſie durch die Schlucht gekommen waren, ritt er an
der Vorlinie hin und ſprach: „Soldaten, erinnert Euch, in
wie vielen Schlachten Ihr mit Hülfe der Götter geſiegt habt,
und was das Schickſal Derer ift, die vor dem Feinde flies
hen! Bedenkt, daß wir an den Pforten von Hellas ftehen !
Folget Herakles, dem Führer, und fordert einander mit
Namen zu waderem Kampfe auf! Herrlich ift es, durch mann⸗
hafte, ruhmvolle Rede und That im Andenten der Freunde
fortzuleben!“ |
Solches ſprach er im Borüberreiten, flelite die Peltaſten
auf beide Flügel und rüdte gegen die Feinde los. Es
ward Befehl gegeben, Die Lanzen auf der rechten Schufter
zu halten, bis die Trompete das Zeichen gäbe; dann foliten
fie fie fällen und langſamen Schritte vorräden, und nicht
im Laufe angreifen. Hierauf ging die Lofung herum: Zeus
Netter, und Führer Herakfles.
Die Feinde, weldye ihre Stellung für vortheilhaft hiel⸗
ten, blieben fliehen. Als die Hellenen näher heranrüdten,
erhoben die Peltaften das Scylachtgefchrei und rannten gegen
die Feinde los, ehe fie Hoch Befehl dazu hatten; die feindliche
Heiterei und der Heerhaufen der Birhynier brachen gegen
fie 108, und brachten fie zum Weichen.
Als aber die Phalanx der Hopliten in fchnellem Schritte
herankam, unter dem Schalte der Trompete den Schlacht:
gefang begann, das Kriegsgefchrei erhob, und die Lanzen
faͤllte, da hielten die Feinde nicht mehr Stand, fordern war:
970 Xenophon's Feldzug des füngern Eyrus.
fen ſich auf Lie Flucht. Timaſion verfolgte fie mit den Heiz
tern, unAhieb fo Viele nieder, als er mit feiner fleiwen:
Schaar vermochte. Der linke Flügel der Feinde, gegen welchen
die Helleniſchen Reiter ftanden, war fogleich zerſpreugt; ber
rechte Flügel aber, der nicht mit demfelben Nachdruck ver-
folgt wurde, febte fi wieder-auf einem Hügel, Wis die.
Hellenen fie wieder Halt machen fahen, hielten fle fürs
befte und ficherfte, gleich auf fie loszugehen. Sie flimmfen
den Schlachtgeſang an und drangen fogleich auf fie ein; Dieſe
aber erwarteten fie nicht. Da festen die Peltaſten ihnen
nach, bis fie aleichfalls ſich zerftreut Hatten; es blieben We⸗
nige auf dem Platz, da die zahlreiche feindliche Reiterei ihnen
Beſorgniſſe machte.
Als die Hellenen wahrnahmen, daß die Reiterei des Phar⸗
nabazus noch beiſammen war, und die Bithyniſchen Reiter
ſich zu ihr ſammelten, indem ſie von einem Hügel herabſahen,
was unten vorging, fo beſchloßen fie, obgleich ſehr erſchoͤpft,
auch auf Dieſe, fo gut fie koͤnnten, einen Angriff zu machen,
damit fie fich nicht erhoften, und wieder Muth bekaͤmen.
Sie rücten nun in Schlachtordnung gegen fle an, Jetzt
flohen die feindlichen Reiter den Hügel herab, gleich Denen,
welche von den Reitern verfolgt wurden; denn fie hatten ein
Waldthal vor ſich; da Dieß die Hellehen nicht wußten, fo
ftanden file von der Verfolgung ab, denn es war fchen fpät.
Als fie wieder auf den P las kamen, wo der erfte Angriff
geſchah, errichteten fle ein Siegeszeichen und kehrten gegem
Sonnenuntergang an das Meer zurüd; fie hatten at an ſechzig
Stadien bis zum Lager zu gehen.
Sechstes Buch 9,
6. Die Feinde ſuchten hierauf das Ihrige in Sicher -
Heit zu bringen, und flüchteten Sklaven und Habe, zfo weit
fie. komten, in’d Land hinein; Die Hellenen dagegen erwar⸗
teten den Kleander, der mit Dreicudern und andern Yahr-
zeugen fommen follte; fie. zogen nun täglich, mit Zugvieh
und Sklaven aus, und brachten ‚ohne weitere Gefahr. Weis
zen, Gerfie, Wein, Hülfenfrächte, Fench und Feigen ein;
denn das Land war mit Allem reichlich verfehen, nur. nicht
mit Dept.
Wenn das Heer Rafttag hatte, fo durften Einzelne auf
Bente ausgehen, und dad Erbentete für ſich behalten; wenn
aber das ganze Heer ausrüdte,. fo war, was Einer noch
Hefonders aufbrachte, Eigenthum des Ganzen. Da Hatten
fie an: Allem Weberfluß; denn von allen Seiten her kamen
aus den Helleniſchen Städten Lebensmittel an, und die Vor⸗
überfchiffenden legten gerne an, weil fie hörten, es würde
hier eine Stadt und ein Hafen angelegt.
Auch die Feinde in der Nachbarfchaft fandten, da das
Gerijcht ging, Kenophon wolle hier eine Stadt gründen, Ab:
geordnete an ihn, und ließen ihn fragen, was fle zu hun
hätten, um ald Freunde angefehen zu werden. Er ftellte fie
immer den Soldaten vor.
Eben lief Kleander mit zwei Dreirudern ein, hatte aber
feine andern Fahrzeuge bei fih. Das Heer war gerade aus⸗
gerädt, als er Fam. Einige gingen da und dort, in der
Richtung nad dem Berge zu, auf Beute aus, und hatten
viele Schafe erbentet. Aus Beforgniß, man möchte fie ihnen
wegnehmen, verabredeten fle mit Derippns, welcher mit dem
Fünfzigruder aus Zrapezunt entwichen war, er follte die
972 Xenophon's Feldzug. des jüngern Cyrus.
Schafe in Berwahrung nehmen, einen heit davon für ſich
behalten, und die Andern ihnen zurüdgeben. Sogleich jagte
Diefer die umftehenden Soldaten, weiche behaupteten, daß fie
Gemeingut wären, fort, ging zu Kleander und fagfe, man
wolle ihm die Schafe wegnehmen. Diefer hieß ihn den
Schuidigen vor ihn bringen. Er ergriff Einen und führte
ihn fort; da kam Agaflad dazu umd riß ihn wieder los; denn
der Mann war von feinem Lochos. Die umflehenden Solda⸗
ten fchalten Derippus einen Verräther und machten Miene,
ihn mit Steinen zu werfen. Da geriethen Diele von der
Schiffsmannſchaft in Beſtürzung und flohen dem Meere zu.
Auch Kleander floh mit ihnen.
Kenophon aber und die andern SHeerführer hielten die
Soidaten ab, und fagten Kleandern, er habe Nichts zu fürdh-
ten: der Vorfaͤll fen blos die Folge eines Beſchluſſes, dem
dad Heer gefaßt habe. Kleander aber, theild von Derippus
aufgereizt, theild ärgerlich, daß er ſich hatte in Furcht fesen
Iaffen, erklärte, er fegle ab und werde durch Herofde bekannt
machen laſſen, daß alte Städte fie als Feinde zurückweiſen
ſollten. Die Lacedämonier hatten nämlich damals über ganz
Hellas den Dberbefehl. u
Da fchien- die Sache den Hellenen bedenklich zu werden ;
fie baten ihn deßhalb, er möchte cs nicht thun. Er aber bes
ftand darauf, wenn man ihm nicht Den, welcher zuerſt gewor⸗
fen, und Den, weldyer- den Mann befreite, ausliefern würde.
Er hatte ed aber auf Agaſias abgefehen; denn Diefen hatte
Dexippus, als einen beftändigen Freund Xenophon's, beſon⸗
ders bei ihm verleumdet. In dieſer Verlegenheit beriefen die
Anführer das Heer zuſammen; Einige wollten nicht viel
Gechstes Buch. u 975
umfände mit Kleander machen; Zenophon aber, - der die
- Sache tür bedeutender hielt, ftand auf und fpradh:
„Spidaten, meiner Meinung ‚nach darf es une. nicht
gleichgültig feyn, ob Kleander in diefer Geſiunung gegen ung,
wie er ſich ausgefprochen, abfegein wird. Wir find in der
Nähe der Kellenifchen Städtes die Lacedämonicr aber haben
in Hellas die Meifterfchaft, und jeder einzelne Lacedämonier
ift im Stande, ig den Städten Alles nach feinem Kopfe
durchzuſetzen. Wenn und diefer Mann vorerft von Byzan⸗
tium andfchließen, und den andern Statthaltern anbefehlen
wird, und nicht in die Städte aufzunehmen, weil wir ung
ten Lacedämoniern widerfeßt und uns ordnungswidrig auf-
geführt hätten, und dann vollends eine folche Schilderung von
und dem Flottenführer Auaxibius zu Ohren kommt, fo wer:
den wir, wir mögen bleiben oder abjegeln wollen, einen ſchwe⸗
ren Stand befommen: denn zu Waller und zu Land hat in
diefen Beitläuften - Zacedämon . den Oberbefehl. Wir dürfen
daher nicht Eines oder zweier Meufchen wegen den Webrigen
die Rückkehr nach Hellas verfperren, fondern müßen uns
Dem fügen, was fie Haben wollen; denn die Städte, aus de:
nen wir find, ftehen unter ihrem Einfluffe. Da ich nun höre,
vaß Derippus gegen Kleander geäußert hat, daß Anaflas fich
Solches nicht umterfianden hätte, wenn ich es ihn nicht ges
heißen hätte, fo wit ich Euch und Agaflad von der Schuld
befreien, wenn Agaflas fagen will, daß ich an diefen Vorgän-
gen in Etwas fchuldig ſey, und die härtefle Strafe über mid,
ergehen ‚Laffen, wenn id) zu dem Steinwerfen, oder irgend
einer gewaltfamen Handlung Deranlaffung gab. Und fo muß
ſich, meiner Meinung nach, auch.jeber Andere dem Richter:
974 Xenophon's Feldzug des -jüngern Cyrus.
ſpruche Kleanderes unterwerfen 5: weil nur ſo die Schuld von
dem Ganzen abgewälzt-wird. ‚Denn fo wie die Sachen jest
ſtehen, ift es Außerft Hart, wenn wir, die wir in Hellas Ehre
und Ruhm zu erheben glaubten, ftatt deſſen nicht einmal
den Andern gleich «geachtet , fondern von den Helleniſchen
Städten ausgeſchloſſen würden. ‘‘
Hierauf erhob ih Agaſias und fagte: „Ich fehwäre bei
alien Göttern und Gdttinnen, daß weder Xenophon noch fonft
Jemand mid den Mann in Freiheit ſetzen hieß: ſondern es
empörte mich, einen wadern Mann von meinem Lochos durch
Dexippus, der, wie Ihr Alle wißt, an uns zum Derräther
ward, gewaltfam forfgefchleppt zu ſehen. Da ging ich hin
und riß ihn von ihm los; sch geftehe es offen. Ihr dürft
mich alfo wicht austiefern; ich ſelbſt will mich, nach dem Ra:
the Xenophon’s, vor Kleander ald meinem Richter ſtellen,
und mid feiner Verfügung unterwerfen; deßwegen braucht
Ihr &uc mit den Lacedämoniern nicht zu verfeinden; fonderu
ziehet im Frieden, wohm Ihr wollt. Wählt indeffen- Sinige
unter Euch, die mich zu Kleander begleiten, um, wenn ich
Etwas übergehen follte, für mid) zu reden und zu fprechen.‘*
Das Heer erlaubte ihm, feine Begleiter ſelbſt zu wählen.
Er wählte die. Heerführer. Hierauf begaben fih Agafias
und die Heerführer nebſt dem Manue, den Agaſtas Insgerif-
fen :hatte, zu Kleander; und die Heerführer erklärten ihm:
„Das Heer fendet uns ab, Kleander, umd fordert dich
auf, wenn du dich über uns Alle beklagit, ſelbſt ein Verhör
anzuftellen, und nach Gutdünken eine Strafe zu erkennen;
wenn du aber Einen, oder Zwei, oder Mebrere für ſchuldig
haͤſtſt, Diefe vor dein Gericht zu ſtellen. Wenn du Dich ges
’
|
Sechstes Much. .— 97 56
gen Einen von uns zu beklagen haſt, fo ſtehen wir jetzt vor
Dir; haft du gegen einen Andern etwas, fo fage an; Keiner
ſoll :Dir entfliehen, der fid) unfern Befehlen fügt.“ |
Hierauf. trat Agaſias vor und fprady:
„Sc bin 88, Kleander, der diefen Mann hier dem Des
xippus entriß, und Derippus zu fdylagen befaht. "Denn Dies
fen da kenne ich als einen wackern Mann; von Dexippus
aber weiß ich, daß er, vom Heere zum Befehldhaber über ein
Bünfzigruder beftellt, dad wir und von deu Trapezuntiern
erbeten hatten, um damit Schiffe zu unferer Abfahrt aufjus
bringen, mit diefem ausriß, umd gegen Die zum Verräther
ward, mit Denen er ſich fo weit gerettet hatte. Wir has
ben ſo die Zrapgzuntier am ein Fünfzigruder gebracht, und -
müßen und darum anfehen laſſen, fo daß wir, fo viel an
ihm lag, Alle zu Grunde gegangen wären. Denn er wußte,
fo gut ald wir Alle, wie unmöglich es und fey, auf dem
Wege zu Land über alle die Flüffe zu kommen und ung
ac, Hellas durchzuſchlagen. Aus feinen Händen affo, der
ſich fo gegen und betrug, habe ich den Mann befreit. Wäre
er von bir oder einem Andern deiner Leute, die uns nicht
treulos verlaffen hatten, fortgeführt-worden, fo ſey überzeugt,
daß ich Nichts dergleichen gethan haben würde. Du darfſt
alfp gewiß fepn, daß du, wenn ic) jetzt flerben muß, um eis
‚nes feigen.und fehlechten Menfchen willen einem rechtſchaffe⸗
nen Mann das Leben nimmſt.“
Auf diefe Rede erklärte Kleauder, er könne freilich De⸗
xippus nicht Recht geben, wenn er Solches gethan habe; nur
glaube er, daß Dieſer, wenn er auch der aͤrgſte Böfewiche
wäre, nicht gewaltthätig behandelt werben dürfe, fondern ‚fo
-
976 Zenophon’s Feldzug des füngern Eyrus.
wie Ihr jept verlangt,“ nach Urtheil und Recht beſtraft wer:
den müße. „So könnt denn Ihr indeſſen wieder hingehen;
den Mann aber laffet hier, und erfcheine, wenn ich's Euch
fagen laffe, zum VBerhör. Da Diefer ſelbſt bekennt, daß er
den Mann mit Gewalt in Freiheit ſetzte, habe ich weder ges
‚gen das Heer überhaupt, noch fonft gegen einen Andern Klage
zu führen.‘
Der anf diefe Weife befreite. Soldat erklärte nun feiners
ſeits: „Was mid) anbelangt, Kleander, fo Habe ich dir, wenn
du glaubſt, daß ich Unrecht chat, zu entgegnen, daß ich Nie:
manden weder ſchlug, noch warf, fondern einzig behauptete,
daß die Schafe Gemeingut wären; denn ed war Heeresbe⸗
ſchluß, daß Altes, was Einer bei einem allgemeinen Streif⸗
zuge befonderd erbeute, Gemeingut feyn ſollte. Dieß bes
hauptete ich, und deßhalb griff mich Dexippus, und fchleppte
mich fort, damit Keiner zu mudfen wagte, und er von. der
Beute, die er fo, dem Beſchluſſe zuwider, den reibentern
aufbewahrte, feinen Theil bekäme” Hierauf erwiederte
Kleander: ‚Da es mit dir eine folche Bewandtniß bat, fo
bleibe dis hier, damit wir auch über dich zu Rathe gehen.“
SHieranf nahm Kleander mit feinen Leuten die Vormahl⸗
zeit ein; KZenophon ließ das Heer zufammenrufen und rieth
ihm, für die Männer Fürfprecher an Kleander abzufenden.
Man befchloß, die Heerführer, Hauptlente und den Spartas
ner Drakontius nebft Andern, die ſich hiezu eigneten, an
Kleander abzufertigen, und ihn angelegentlich zu bitten, die
beiden Männer freisugeben. Xenophon fprach in ihrem Na⸗
men Folgendes: En
Sechstes Bu. 977
‚‚Kteander, die beiden Männer find in deiner Gewalt,
and das Heer bat es in beine Macht gegeben, nadı Willkühr
über Diefe und fie felbft zu verfügen. Run aber bitten fie
dich inftändigft, die Männer Inszugeben, und nicht am Leben
zu firafen; denn fle haben fidy früher um das‘ Heer fehr ver-
dient gemacht. Wenn fie Dieb von bir erlangen, fo verfpres
chen fie, dir, wenn du fie anführen willſt, und bie Gbtter
Gnade verleihen, von ihrer Ordnungsliebe, ihrem Dienſtge⸗
Horfam und ihrer Unerfchrodenheit gegen den Feind DBeweife
zu geben; auch erfuchen fle dich, zu ihnen zu kommen und
fie anzuführen, wo bu dann aus eigener Erfahrung Dexippus
und fe ſelbſt kennen lernen, und nad Verdienſt würdigen
ſolleſt.
— erwiederte Kleander: „nun bei den Dioskuren,
hier habt Ihr ſogleich Euern Beſcheid. Ich gebe Euch die
Männer frei, und werde ſelbſt zu Cuch kommen, und Euch,
wenn die Göoͤtter es zulaſſen, nach Hellas führen. Dieß lau⸗
tet ganz anders, als ich von Einigen unter Euch hörte, daß
Ahr naͤmlich das Heer gegen ben Vortheil der Lacebämonier
au flimmen ſucht.“
Mit diefer Erklärung vollkommen zufrieben, entfernten fie
fi) mit den beiden Männern. Kleander opferte hierauf wes
gen ded Zuges, war gegen Xenophon äußerft freundlich, und
ſchioß Saftfreundfchaft mit ihm. Da er fah, wie genau bie
‚Zente den Befehlen nachkamen, befam er noch mehr Luft, ihr
Führer zu werden.
Als ihm aber die Opfer drei Tage nach einander verfage
ten, rief er die Heerführer zufammen unb erklärte ihnen:
„Die Opfer find meinem Wunſche, Euch anzuführen, entges
Kenophon. 88 Bäche, 4
978 KZenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus ıc,
gen. Laßt Euch Dieß aber nicht kleinmüthig machen; Euch
ift e8, dem Anſehn nad), vorbehalten, das Heer abzuführen :
brecht alfo auf; und kommt Ihr nad Byzantium, fo ſollt
Ihr aufs befte von uns aufgenommen werden.”
Die Soldaten beſchloßen hierauf, ihm die zu ihrem Ge⸗
wieingut gehörige Trift Schafe zu ſchenken. Er nahm fie an,
machte fie ihnen aber wieder zum Geſchenk und fegelte ab.
Nachdem die Soldaten das aufgebrachte Getreide vertheilt
hatten, zogen fle durdy Bithynien.
Da fie aber auf dem geraden Wege gar Nichts trafen,
befchloßen ie, um nicht mit leeren Händen in Freundesland
zu kommen, einen Streifzug von einem Tag und einer Nacht
in das Bithyniſche zurüd zu unternehmen. Dieß gefchah;
fie machten reiche Beute an Sklaven und Schafen, und ers
reichten nad) einem Zuge von ſechs Zagen Chryſopolis *) im
Chalcedonifchen, **) wo fie fieben Tage blieben und ihre Beute
verkauften.
+) Das Heutige Scutari, Skudar ober Eſskudar. Ob⸗
gleich durch die Meerenge von Konftantinopel (dem alten
Byzantium) getrennt, wird ed Koch als eine Vorſtadt von
dieſem angefehen.
22) Eine feine Landſchaft am Bosporus, die von feinem KHadytz
ort Chaleédon ihren Namen hat.
Subalt bed fiebenten Buchs.
Cap. 1. Der Spartaniſche Flottenfuͤhrer Anaxibius lockt, durch
des Pharnabazus Verſprechungen getaͤuſcht, das Hellenenheer durch
die Verheißung, ſolches in Sold zu nehmen, nach Byzantium hin⸗
über, Ohne Wort zu halten, weiß er bie Griechen durch einen
zyoeiten Vetrug aus diefer Stadt zu bringen. Die Soldaten, dar⸗
Aber aufgebracht, brechen mit Gewalt in die Stabt, werben aber
von Kenophon berufigt und ziehen wieber ab. Kenophon nimmt
Abvbſchied von dem Heer. Chratades bietet fich zum Belbheren an,
rann aber die Bebingungen nicht erfüllen und tritt ab. ap. 2. Ins
deß man fich Über bie zu nehmenden Maßregeln ftreitet, verlaufen
ſich Viele vom Heer. Anaxibius freut ſich darüber und empfiehlt
dem neuen Statthalter von Byzantium, Ariftarhud, alle Griechen
vom Heere, die ſich in Byzantium beireten ließen, ald Stlaven zu.
vertaufen. Da Pharnabazus dem Anarisius mit dem Verſprechen
nicht einhält, fordert Diefer Kenophon auf, die Zerfireuten wieder
zu fammeln und fie wieder nach Aſien uͤberzufuͤhren. Ariſtarch
von Pharnabazus beftochen, Hintertreibt den Anſchlag. Xenophon
ſelbſt tommt in Lebensgefahr; da dad Heer in große Noth geräth,
begibt er fich mit einem Gefolge zu Seuthes, einem Thraciſchen
Sörften, der ihn ſchor früher mit dem Heer in Sold nehmen wollte,
und tritt mit ihm im Unterhandiungen. Cap. 3. Außer dem
Lakonier Neon nebft feinem Heerhaufen treten Alle in Seuthes
Sold. Ein Thraciſches Gaſtmahl. — Sie brechen bei Nacht auf,
überrumpeln den Feind, und machen viel Beute. Cap. 4, Seu⸗
thes brennt in Feindesland die Doͤrfer ab, die Griechen lagern ſich
im Gebiete der Thynen und Leiden vier durch Kälte unb Schnee. —
4
x
980 Indhalt des fiebenten Buche,
Der untriegerifege Theil ber Feinde ergibt ſich, die Andern erſt
nach, vergeblichen Verſuchen bed Widerſtandes. Cap. 5. Heratlibes
kehrt nach Vertauf ber Beute zuräcd, zahlt den’ Griechen aber nicht
den ganzen Gold, — Kenophon macht ihm Vorwürfe Heraklides
ſucht ihn bei Seuthes anzufhwärzen und um dad Zutrauen des
Heeres zu bringen. Die Griechen ftehen dem Seuthes noch ferner
in feinen Eroberungen bei, ohne den ſchulbigen Sold zu erhalten.
Renophon ift in großer Verlegenheit; bad Heer mißt ihm bie
Schuld Hei, und auch Seuthes entzieht fich ihm. Cap. 6. Abge⸗
fanbie von Baseblmım Iaben Dub Ger ein, ben Felbzug gegen Tif:
ſaphernes mitzumachen. — Es treten Unfläger wider Xenophon
anf, die er fiesreich widerlegt. Seuthes Läpt Zenophon aufforchern,
mit tauſend Hopliten bei ihm zu bleiben, was Diefer ablehnt.
Cop. 7. Medoſades beſchwert fich, daß bie Griechen die eroberten
Kandſchaften plünberten. Die Spartanifchen Abgeſandten erwieder⸗
ten auf Xenophon's Rath: bie Griechen wärben abziehen, fobalb
fie ihren vollen Solb erhalten hätten. Geuthes wirb von Reno⸗
des it wit enophon zufammen und raͤth ihm, bem Zend Mili⸗
ins zu opfern. Er unternimmt von Pergamus and einen Streif⸗
zug gegen den Perſer Afibates, befomme ihn nesft einer großen
Beute in feiner Gewalt, und Abevaikt endlich das Speer dem Spar:
raner Thibron.
.. 984
Siebented Bud.
1. Was die Hellenen auf ihrem Hinzug mit Eyrus bie
zur Schlacht und nach defien Tod auf dem Heimwege bis an
ben Pentus verrichteten, und was .fich nach ihrem Abgang
von da zu Land und zu Waſſer mit ihnen zutrug, bis fie
- aufferhaib der Mündung deſſelben vor Chryſopolis in Aſien
famen, ift in den frühern Ubfchnitten gezeigt worden.
Test ſandte Pharnabazus, aus Beforiniß, das Heer
möchte in fein Gebiet einfallen, an den Flottenführer Anaxi⸗
bins, der gerade in Byzantium fich befand, und ließ ihn bit-
ten, das Heer and Aſien überzufsben, wofür er ihm alle .
möglichen Gegendienite verſprach. Anaribius ließ demnad)
die Heerführer und Hauptleute nad) Byzantium fommen, und
verfprach, den Soldaten Lohnung zu geben, wenn fie übers
feben würden. Die Andern erwiederten, fie wollten mit dem
Heer Rädipradie nehmen nud ihm Antwort fagen. KXett-
phon aber erklärte, daß er das Heer zu veriaffen, und zu
Schiffe abzusehen gedächte. Anaribius ſprach ihm zu, mit
dem Heere erſt überzufeben, und dann feinen Abſchied zu neh⸗
men, wozu ſich Diefer auch verſtand.
Da fandte Seuthes, König von Thracien, Medoſades an
Kenophon und ließ ihm exfuchen, zur Heberfahrt des Heeres
mitzuwirken, mit der Berficherung, feine Bemuͤhung follte ihn
nicht gereuen. Xenophon erwiederte: „das Heer wird ohne⸗
hin überfegen; dafür braucht er weder mir noch fonft Je⸗
mand Etwas zu bezahlen, Gleich nach ber Ueberfahrt werbe
982 Zenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus.
id) das Heer verlaffens er mag daher mit Denen, welche bei’m
Heere bleiben, und die er für feine Abfichten tauglich findet,
nach Gutdünken in Unterhandlung treten.’
Hierauf fepten alle Truppen nach Byzantium über. Ana=
xibius aber zahlte ihnen Leinen Sold, fondern ließ durdy den
Serofd ausrufen, fie-follten mit Waffen und Gepäde aus⸗
rüden; feine Abſicht aber war, fie zu zählen und dann zu
entlaffen. Die Soldaten wurden hierüber aufgebracht, weil
fie Bein Geld haften, um fidy auf den Weg mit Lebensmit⸗
teln zu verfehen, und padten fehr verbroffen ein.
Kenophon, der mit dem Statthalter Kleander Gaſtfreund⸗
haft gefchloffen hatte, ging zu ihm, um ſich von ihm zu vers
abfchieden, weil er fogleich zu Schiffe abgehen wollte. Kleau⸗
der aber fagte: „thue Das nicht, du würdeſt fonft Schuib
auf dich laden; es legen dir ohnehin ſchon Einige zur Laſt,
daß das Heer mit dem Auszuge ſäumt.“ Er entgegnete:
„daran habe ich eine Schuld: die Soldaten haben deßhalb
feine Luft zum Abzuge, weil es ihnen an Mundbedarf ge⸗
bricht!“ — „Deſſen ungeachtet rathe ich dir, Lieber fo die
Stadt zu verlaffen, als wollteft du mit dem Heer abziehen,
‚und dann dich von ihm zu trennen.’ — ‚So laß und,‘ vers
feste Kenophon, „zu Anaxibius gehen und die Sache mit ihm
verabreden.”
Dieb geſchah. „Macht es fo,’ fagte Diefer, „und zieht
-fogleich aus und laßt bekannt machen, Wer nicht bei der
Muſterung und Zählung erfcheine, der babe ſich die übeln
Folgen felbft zugufchreiben. Da zogen zuerft die Heerfüh-
rer, und dann auch die Andern aus. Jetzt waren außer ei-
nigen Wenigen Alle vor dem Thore, und Eteonitus war am
Siebentes Buch. 983
Thore aufgeſtellt, um, wenn Alle auſſen wären, bie Thore
zu fchließen, und die Riegel vorzuſchieben.
Anaxibius vief nun die Heerführer und Hauptleute zu⸗
ſammen und erklärte ihnen: „den Mundbedarf nehmt aus den
Thraciſchen Dörfern (wirklich gab ed auch dort Gerfte, Weir
zen und andere Lebensmittel im Ueberfluß); darauf zieht nach
dem Cherfones, wo Euch Cyniskus die Löhnung geben wird.‘
Dieſes hatte einer oder der andere Soldat mit angehört,
und es unter dem Heer verbreitet, vielleicht audy der Haupt:
feute Einer. Die Heerführer zogen nun Erfundigung ein,
ob Seuthes Yreund oder Feind fey, ob man über den heilis
gen Berg oder um ihn herum mitten durch Thracien ziehen
müße?
Während fle fid) hierüber beſprachen, griffen die Solda⸗
ten zu den Waffen und rannten auf die Thore zu, um in
die Stadt einzubringen. Als Eteonikus mit feinen Leuten
die Hopliten heranlaufen fah, fchloß er die Thore und fdyob
die Riegek vor. Die Soldaten fchlugen an das Thor und
fchrieen, daß man fie auf's ungerechtefte behandle, wenn man
fie unter Feinde verftoße; ſie erklärten, fie würden die Thore
einfdylagen, wenn man fle nicht freiwillig öffnen würde. An⸗
dere Tiefen nach dem Meere hin umd fliegen über die Steine,
welche zur Abwehr der Meereswellen vor der Mauer lagen,
in die Stadt; Andere, weldye noch innerhalb der Stadt war
ren, hieben, als fie die Hemmung an den Thoren fanden,
mit Aexten die Riegel durd) und fprengten die Zhore. Nun
ftürzten Alle herein.
Als Kenophon gewahrte, was vorging, fürdhtefe er, das
Speer möchte plündern, und fo für die Stadt, für ihn ferbft
nn ie
984 Kenophon’s Felbzug des jüngern, Cyrus.
und die Soldatin das groͤſse Unheil entfichen, lief bias,
und flürzte_mit dem Haufen zum Shore hinein. Wie bie
Byzantiner Dieß fahen, flohen fle vom Markte theils nach
den Schiffen, theils nach Hauſe; und Die zn Haufe waren,
ſtürzten heraus und zogen die Dreiruder in’s Meer, um (ich
auf ihnen zu retten; Alle aber yaben fich verloren, als ob
die Stadt vom Feinde genommen wäre. Eteonikus floh. nad)
der Burg; Anaribins aber eilte an’s Meer hinab, fuhr in
einem Fifchertahn nad) der Burg und fandte von ba nad)
Ehalcedon *) um Hülfsvoͤlker; denn fie hielten fich nicht für.
flark genug, die Burg gegen das Heer zu behanpten.
Da die Soldaten Kenophon erblidten, Tiefen Viele auf
ihn zu und fagten: „Nun, Zenophon, haft du Gelegenheit,
dich als Mann zu Zeigen: du haft eine Stadt, Kriegsfchiffe,
Geld und eine ſelche Heeresmacht zu deiner Derfügung. Jetzt
Bannft du uns nuͤtzlich werden, wenn du willſt, und wir koͤn⸗
dien did) dagegen zu einem großen Manne machen.”
‚Kenophon erwiederte ihnen: „Ihr habt Recht, ich will
ed thun; wenn Ihr aber darnach trachtet, fo ſtellt Euch
ſchleunigſt in Reih uno Glied.’ Im der Abſicht, fie zur
Nuhe zu bringen, gab er ihnen, und. durch fie den Andern
die Loſung, unter die Waffen zu freien.
Sie ordneten fi von felbft, und in kurzer Zeit landen
die Hopliten in einer adıt Mann tiefen Schladhtlinie da, Die
Peltaſten aber hatten fi in aller Eile auf beiden Ylügeln
aufgeftellt. Der fogenannte Thraciſche Pia war ganz hiezu
*) Das heutige Cadikbi, Cadi, Eevi, Byzantium oder
Sonſtantinopel gegenüber.
DT — — —
geeignet, indem er eben und frei von Gebaͤnden war. As
fie unter den Waffen ſtanden, und Ruhe eingetreten war,
ließ er fie rings um ihn zufammensüden, und hielt folgende
Dede an fie:
„Daß Ihr aufgebracht ſeyd, Soldasen, und Euch hinten
gangden und unwürdig behandelt glaubt, wundert mich nicht,
Aber überlegt einmal die Folgen banon, wenn wir Rache neh⸗
men, bie Lacedaͤmonier hier ihrer Argliſt wegen zur Strafe
ziehen, und bie Stadt, die daran Feine Schuld bat, plündeen
wollten... Dann find wir erklärte Feinde der Lacedämonier
und ihrer Bundesgenoſſen; und welchen Krieg wir und da
zuiehen, mögen wir aus Dem abnehmen, was wir erleb⸗
ten, und wobon wir Uugenzeugen waren. Als wir Athe⸗
ner ben Krieg gegen die Lacedämonier und bie Bundesge-
noffen begannen, hatten win nicht weniger als dreihundert
Dreiruder auf der See oder den Werften, große Geldfum-
nen in der Stadt vorräthig, *) und nicht weniger als taufend
Talente jährliiher Einfünfte vom Iuland und Ausland, we
ven Herren über ale EHanbe, befaßen viele Städte in Aflen
und in Europa, unter nielen andern auch diefes Byzantium,
we wir jebt find; und doch wißt Ihr Alle, weichen Ausgang
Diefer Krieg für und genommen hat, Was glauben wir nun,
daß uns erwarten wird, da Achaͤer, Athener und alle Staa>
ten, die es früher mit Diefen hielten, auf die Seite der Las
cedämonier getreten find, da wir Ziffaphernes, und alle Bar:
baren, bie am Meere wohnen, gegen uns haben, und ber
*) Sechstauſend Talente gemuͤnzten Geldes Yägen nach Thucydi⸗
des (II, 13.) auf der Burg zu Athen.
‘
986 RXenophon's Feldzug des jüngern Cyrus.
Derfertönig felbft, ben wir, fo wir es vermochten, vom
Thron geflürzt und getödtet hätten, unſer unverföhnlichfter
Feind if? Wenn nun alle diefe Umftände ſich gegen uns
vereinigen, Wer wird fo unvernünftig feyn und glauben, daß
wir ihnen obilegen werden? Nein, bei den Göttern, Taßt
uns nicht wahnfinnig feyu und eines unrähmlichen Todes
fterben, indem wir gegen- Baterland, Verwandte und Feinde
die Waffen fragen, da fie in allen diefen Städten wohnen,
welche gegen und zu Felde zögen! Und mit Recht gefchähe
Diefes, da wir die erfte befte Helleniſche Stadt, in die
wir kommen, für gute Deute erklären, während wir, obgleich
wir ed in unfrer Macht hatten, keiner der Barbarenftädte
uns bemäcdhtigen mochten. Ehe ich diefe Frevelthat von Euch
erlebe, wollt ich Tieber zehntaufend Klafter tief unter Die
Erde verfinten! Ich rathe Euch, ald Helienen, ſucht Euer
Recht, ohne daß Ihr Euch mit Denen verfeindet, welche jest
in Hellas die Meifterfchaft haben. Und findet Ihr es nicht,
fo müßt Ihr Euch vorfehen, daß Ihr nicht, obgleich beein=
trädhtigt, auch noch aus Hellas ausgefchloffen werdet. Mein
Rath geht alfo dahin, wir Iaffen dem Anaxibius fagen, daß
wir nicht in die Stadt zurüdgetommen feyen, um Gewalt:
thätigkeiten zu verüben, fondern von Euch, wo möglich, einige
Unterftügung zu erhalten, wo nicht, um Euch zum wenigften
zu zeigen, daß nicht Lift, fondern Gehorfam gegen Euch uns
zum Abzug vermochte.‘ :
Dieß fand Beifall; man fandte den Elcer Hieronymus,
den Arkadier Eurylochus und den Achäer Philefius mit Die:
fer Botſchaft ab. Als die Soldaten nod) beifammen waren,
fand fich der Thebaner Cöratades bei ihnen ein, ber fich in Hels
Giebentes Buch: 98987
las herumtrieb, nicht als Verbaunter, ſondern aus Luft nach.
einer Feldherrnſtelle, in weicher Eigenſchaft er ſich jeder Stadt
und jedem Volke, das eines Heerführers bedurfte, als ſolchen
anbot. Dieſer trat zu ihnen und erbot ſich, ſie nach dem ſo⸗
genannten Delta in Thracien *) zu führen, wo fie viele Beute
machen fönnten; bis fie dahin kämen, wolle er ſie reichlich
mit Speife und. Trank verforgen.
Mit diefem Antrag gelangte zugleich bie Antwort des
Anaribius an das Heer; er ließ ihnen fagen, dab ihr Ges
horfam fie nicht gereuen werde, er werde davon an feine Bes
Hörde zu Haufe berichten, und ihnen nach Vermögen zu bies
nen fuchen.
Hierauf wählten die Soldaten Cöratades zu ihrem Ans
führer und zogen aus der Stadt. Cöratädes verſprach, am
folgenden Tage mit Opfervieh und einem Seher, nebft Speife
und Trank ſich beiem Heere einzufinden.
Nachdem fie die Stadt verlaffen hatten, ließ Anaxibius
die Thore fchließen und durch den Herold bekannt machen,
Mer von den Soldaten fidy innerhalb der Stadt betreten
Kaffe, der folle als Sklave verkauft werden. Tags darauf kam
Edratades mit Schlachtvieh und einem Seher im Lager an;
ihm folgten zwanzig Männer mit Gerftenmehl, zwanzig mit
Wein, drei mit Dehl, einer mit Knoblauch, fo ſchwer er fras
gen konnte und noch ein Anderer mit Iwiebeln. Dieß Alles
fieß er niederlegen, damit fich das Heer drein fheilte, und
opferte dann.
*) Eine Thraciſche Landſchaft oberhalb Byzantium, fonft auch
Delkon, Derkon genannt, eine Tagreiſe weit von By⸗
zantium entfernt.
988 Zenophon’s Felezug bes jüngern Cyrus.
Zenopkon ließ Kleander zu fi herauskommen und übe
bisten, ihm auszuwirken, Daß er in bie Stadt kommen und
von Byzantium aus unter Segel gehen dürfte. Keauder
Bam und fagte: „Nur mit Mühe Gabe ich bir’s ausgewirkt;
Anaribius ſagt, es laſſe ſich niche wohl thun, daß bie Sal⸗
daten in der Nahe der Stadt wären, Tenophon aber inner⸗
halb derfelben; die Byzantinen feyen ein unruhiges Bolk und
unter fi ſelbſt uneinig; du mächteſt jeboch nur kommen,
wenn du mit ihm abſegeln wolleſt.“
Xenophon nahm nun vom Heere Abſchied und beach Ad}
mit Kleander in die Stadt. Ciratades ſagten am erſten Tage
bie Opferzeichen nicht zu, auch vertheilte er Nichts unter
die Soldaten. Am andern Tage ſtanden die Opferthiere ſchon
vor dem Altare, und Cöratades hatte fi für das Dpfer
befränzt: da traten ber Dardanier Zimafton, der Wlinder
Neon und Kleanor aus Drchomenus vor Görataded, und er
Märten thm, er brauchte nicht zu. opfern, weil er bad Heer
‚nicht eher anführen könnte, als bis er ihm Lebensmittel m-
geſchafft hätte. Da ließ er den Munbwerrath austherke,
Als aber nody viel dazu fehlte, daß her Borrath audy mar -
auf Einen Tag für das Heer zugereicht haͤfte, that er auf
feine Yeldherrnfchaft Verzicht und ging mid dem ScHachtzieh
davon.
3. Der Allnier Neon, die Achäer Phryniskus, Phile⸗
ſius und Fanthikles, und der Dardanier Timaſion blieben
bei'm Heere, rückten in die Thraciſchen Dörfer. in der Mühe
von Byzantium vor und bezogen dort ein Lager.
Die Heerführer wurden uneinig: Kleauor und Phrynis⸗
kus wollten zu Seuthes ziehen (er hatte ſie nämlich dadurch
Siebentes Buch. 889
gewonnen, daß er dem Einen ein Pferd, dem Andern ein
Mädchen geſchenkt hatte); Neon aber wollte nach dem Cher⸗
ſones, weil er glaubte, daß er im Gebiete ber Eacedämonier
den Oberbefeht über das gefammte Heer erhalten würde. Ti⸗
maflon aber war für die Hädtehr nad) Aflen, weil er von
da nad) Haufe zu gelangen hoffte. Auch die Soldaten hatte
er für ſich. | \
Weil es ſich aber in die Länge zog, verkauften viele
Soldaten auf dem Lande Hin und wieder ihre Waffen und
fegeiten , fo gut fie konnten, ab; Andere zerftreuten fich im
die Städte umher. Anaribius aber war froh, da er hörte,
daß fich Dad Heer auflösſte; denn damit glaubte er fid, Phar⸗
nabazus befonderd zu verpflichten. Als Anaxibius aus By⸗
zantium unter Segel ging, begegnete ihm bei Cyzikus Arts
ſtarchus, Kieanderrs Nachfolger in der Statthalterſchaft zu
Byzantium; auch hieß es, daß Polus, fein Rachfolger im
Dberbefehl der Flotte, eheſter Tage im Hellefpont ankommen
dürfte, Anaribins trag nun dem Ariſtarchus auf, alle Sol⸗
daten von dem Heere des Eyrus, die in Byzantium zurückge⸗
blieben wären, zu verkaufen. Kleander hatte Keinen verkauft,
fondern Die Kranken menfchenfreundfich verpflegen und in die
Syänfer einlegen laſſen; Ariſtarchus aber war nicht fobalb
angekommen, als er fogleich nicht weniger als vierhundert
. verkaufen Tieß.
Anaxibius fchiffte nun nach Parinm, *) und ließ Phar⸗
unbazus an fein Derfprechen erinnern. Als Diefer aber hörte,
*) Eime Stast in Mieinafien am Helleſpont, zwiſchen Cyzikus
und Lampſaktus. Das heutige Kemares ober Rimere
990 KZenophon’s Feldzug des jüngern Cyrus.
daß Ariftarchus als Statthalter nad) Byzantium komme, und
Anaribius nicht länger Ylottenführer feyn würde, fo nahm
er nicht weiter Rückſicht auf ihn, und trat mit Ariſtarchus in
biefelden Unterhandiungen, wie früher mit Auaxibius.
- „Da rief Anaribius Lenophon zu ſich, und hieß ihn ſchleunigſt
Altes aufbieten, um zum Heere zu kommen, daſſelbe beifammen zu
behalten, von den Zerſtreuten fo Viele wie möglich wieber zuſam⸗
men zu bringen, fie hierauf nad) Perinthus *) zu führen, und
von da nach Uflen überzufepen, Er gab ihm ein Dreißigeuder
nebft einem Mann, der die Perinthier anweifen follte, Keno-
pbon auf's fhleunigfte mit Vorſpann zu dem Heere zu brins
gen. Zenophon fchiffte hinüber und kam bei dem Deere an;
die Soldaten empfingen ihn mit Freuden und folgten ihm
willig, um fich von Thracien nach Aſien überfesen zu laffen.
Als Seuthes vernahm, daß Kenophon zurückgekommen
fen, fchickte er Medofades zu ihm an's Meer, und ließ ihn
erfuchen, das Heer ihm zuzuführen, wogegen er ihm bie
fdyönften Verfprechungen machte. Diefer erklärte ihm aber,
daß ſich Nichts der Art würde machen laſſen. Mit diefem
Bedeuten ging der Abgeſaudte ab.
Nad) der Ankunft der Hellenen bei Periuthus trennte
fid) Neon von dem Heer, und bezog mit etwa achthundert
Mann ein befonderes Lager; das übrige Heer fand fämmtlicdh
vor den Mauern von Perinthusd beifammen.
Hierauf unterhandelte XRenophon der Fahrzenge wegen,
um aufs ſchleunigſte überzufegen. Während dem kam ber
+) Nadymald KHeraida genannt, eine Stadt an ber Propontis in
Thracien. J
‚Siebentes Bud. 994
Statthalter Ariftarchus von Bozantium mit zwei Dreirudern an
und unterfagte auf Anftiften ded Pharnabazus den Schiffern,
Jemand überzufegen, begab fich fofort zum Heere, und vers
bot den Soldaten die Weberfahrt. Kenophon entgegnete, Ana⸗
xibins hätte es ihm befohlen und ihn zu dem Ende hieher
geſandt. Ariſtarchus erwiederte dagegen: „Anaxibius jft
nicht mehr Flottenführer, ich aber bin Statthalter hier zu
Land; wenn fi Einer von Euch auf dem Meere betreten
laͤßt, ſo wird er über Bord geworfen !’‘
Nach diefer Erklärung begab er fih in die Stadt, und
ließ am folgenden Tage die Heerführer und Hauptleute des
Heeres zu ſich befcheiden. Schon waren fie an den Mauern
der Stadt, als dem Kenophon Einer hinterbrachte, daß er
dort, wenn er hineingehe, ergriffen werde, wo man ihn
entweder gleich verurtheilen oder an Pharnabazus ausliefern
würde, Anf diefen Wink ließ er die Andern vorangehen,
und fagte, er müßte nody über Etwas die Opfer befragen.
Nady: feiner Ruͤckkehr opferte er, um zu erfahren, ob ihm die
Götter riethen, das Heer dem Seuthes zuzuführen; denn er
fah, daß es nicht rathfam war, überzufenen, da Derjenige,
weicher dagegen fey, Dreirnder zur Verfügung habe; auch
wollte er fidy nicht. in dem Cherſones einfchließen, und das
Heer an Allem Mangel Teiden laſſen; hier müßte man ſich
den Befehlen ded Statthalter fügen, ohne daß dafür das -
Heer für feine Bedürfniffe gedeckt ſeyn würde.
Er war nody damit befchäftigt, als die Heerführer und
Hauptleute von Ariftarchus zurückkamen und ſagten, er habe
ihmen bedeutet, gegen Abend wieder zu kommen; da fah man
denn nody deutlicher, daß er Verrath im Schilde führte, Als
992 Renophon's Feldzug des füngern Cyrus.
Kenophon glaubte, daß die Opfer ihm und dem Heere für eis
nen Zug zu Seuthes günſtig wären, nahm er den Haupt⸗
mann. Polykrates aus Athen, und aus der Abtheilung jedes
Heerführers — Neon's ausgenommen — einen Mann , er
feinem Obern zuverläßig fchien, und begab ſich ın der Nacht
nach dem fechzig Stadien entfernten Lager des Seuthes.
In der Nähe des Lagers fließ er auf verlaffene Wachs
fener, und glaubte zuerft, Seuthes habe feine Stellung ver.
ändert; ald er aber hörte, daß Lärm gemacht wurde, und Die
Leute des Geuthes einander Seichen gaben, ba merkte er,
daß Seuthes die Wachfener deswegen vor den Vorpoſten ans
zünden ließ, damit die Wachen im Hintergrund nicht gefehen
würden, dagegen Jeden, ber fich näherte, in dem Scheine
der Fener erblicken könnten.
Kenophon ſchickte deßhalb den Dolmetſcher ab, welchen
er gerade bei fidy hatte, und ließ Seuthes melden: „Xeuo⸗
phon ift da, und wünfcht dich zu fprechen.” Sie fragten ihn,
ob es der Athener Kenophon aus dem Lager wäre. Als er
es beiahte, fprangen fie auf und Tiefen davon; gleich darauf
Samen zweihundert Peltaſten und führten ihn und feine Zente
zu Seuthes.
Diefer befand fi in einem Zhurm und Hatte alle Bor:
fichtsmaßregein getroffen; es flanden rings um den Thurm
anfgezäumte Pferde; denn aus Furcht ließ er die Pferde bei
Zage weiden, bei Nacht aber mußten fie aufgezäumt in Bes
zeitfchaft auf der Wache ftehen; beun es hieß, fein Ahuherr
Teres, der in diefer Gegend mit einem großen Heere geflanden,
Habe früher durch die Einwohner diefer Zandichaft viele Leute
und alt fein Gepäde eingebüßt; die Eingebornen hießen Thy⸗
—
N
x
Siebentes Buch. 993
nier, ) und wurden für die gefahrlichſten Feinde zur Nacht⸗
„zeit gehalten.
. Als fie herankamen, ließ er Renophon mit zwei feiner
Lente, die ex ſelbſt wählen kounte, zu ſich hereinkommen.
Nachdem ſie eingetreten waren, bewillkommten ſie ſich, und
tranken einander nach Thraciſcher Sitte Wein aus Trinkhör⸗
‚nern zu (Seuthes hatte Medoſades, den er überall hin zu
feinem Gefandten brauchte, bei ſich). Xenophon begann hier⸗
auf folgenden Vortrag:
„Früher fandteft du, Seuthes, diefen Medofades zu mir
‚nad. Chalcedon, und ließeft mic, erfud:en, mit dahin zu wixs
‚Leu, daß das Heer aus Aſien überfeste, wofür du mir, wie
diefer Medofades fagte, verfpeachefi, Gutes zu erzeigen.‘
Dann fragte er noch Medoſades, ob er wahr gefprochen hätte?
Diefer hejahte es. „Hierauf Fam,’ fuhr er fort, „nachdem
id) von Parium aus zu dem Heere zurückkehrte, diefer Me—⸗
dofades wieder zu mir und verfprach mir in deinem Namen,
du wolleft midy, wenn ich das Heer dir zuführte, fowohl im
Uebrigen als deinen Freund und Bruder behandeln, als: auch
‚die Pläbe am Meer , die unter deiner Botmäßigkeit fländen,
mir einräumen.” Da fragte er Medofades- wieder, ob er
wahr gefprocdhen hätte? Auch Dieß ward von ihm bejaht.
„Wohlan denn,‘ begann Kenophon wieder, „berichte
Diefem,. was ich dir gleich anfangs in Ehalcedon geantwortet
Habe. — „Du gabft mir zur- Antwort,’ verfeste Diefer,
*) Schon aus biefer Namenaͤhnlichteit laͤßt ſich auf die Ver⸗
wandtſchaft der Europaͤiſchen Thracier mit ‚den Heinafıatis
fchen Bithyniern ſchließen.
ERenophon. Fr Bocqhn. 5
994 Zenophon’s Feldzug IE jüngern Cyrus.
„daß das Heer nach Byzantium Überfesen würde, und deß⸗
halb dürfte weder dir, noch ſonſt Jemand Etwas bezahlt
werben; du felbft würdeft nach der Weberfahrt nad) Hufe ge:
ben ; ımd Dieß ift Alles fo geſchehen, wie du Tagteft.‘‘
„Belchen Beicheid gab ich dir, als du nach Selybrin)
kamſt?“
„Du erklaͤrteſt, daß es nicht angehe: Ihr würdet von
Perinthus nach Aſien überſetzen.“
„Run aber,“ fuhr Xenophon fort, „komme ih mit
Phryniskus hier, einem der Heerführer, und Polykrates, ei⸗
nem der Hauptleute; draußen ſtehen überdieß ans allen Heer⸗
‚abtheilungen, der des Lakoniers Neon ausgenommen, die je:
dem der Führer vertrauteſten Männer; willſt da niitm unſrer
Verhaͤndlung die größtmögliche Zuverläßigkeit geben, fo Faß
auch Die draußen rufen. Du, Polykrates, fage ihnen, daß
ich ihnen befehle, die Waffen zurückzulaſſen: und auch Pu kaß
dein Schwert zurück und komme wieder!‘
Seuthes verficherte, daß er keinem Athener mißtraue;
denn er wüßte, daß fle feine Verwandten **) ſeyen, und er
halte fie für feine Freunde, die ed gut mie ihm Meinten.
Nachdem die Andern hereingetreten waren, fragte Xenophon
zuerſl Seuthes, wozu er das Heer zu btrauchen gedeiite?
*) Rad Strabo eigentlich Selysftadt. Sie gehört zu Thra⸗
“den und Liege zwiſchen Byzantium und Perinthus.
Heut zu Tage Silyvria.
*) Er bezieht ſich Hier auf die Vermahrang des Tereus mit
Pandions Tochter, Prome ans Arhen. Dieſe fand etwa tau⸗
ſend Jahre vorher Star,
Siebentes Bud. 99%
Seuthes erwiederte: „Maͤſades war mein Buter, und -
Diefer herrfchte über die Melanbiten, Thynier und Xra-
nipfen. Aus diefem Lande ward mein Vater, ald der Staat
der Odryſler in Verfall gerieth, vertrieben, und ſtarb an eis
‚wer Krankheit; ich ward als Waife bei dem jetzigen König.
Medokus auferzogen. Als ich zum Jüngling herangewachſen,
ward es mir unertraͤglich, an fremdem Tiſche zu fiben; fo
faß ich eines Tages neben ihm bei Tafel, und bat: ihn fe:
hentlich, mir eine möglichst zahlreiche Mannfchaft zu geben,
um an Denen, bie und vertrieben hätten, Rache zu nehmen,
und nicht, wie ein Hund, von feinem Tiſche mid) füstern zu
faffen. - Da gab er mir die Leute und die Pferde, meiche Sr
fehen werdet, fobald es Tag feyn wird. Ich lebte bisher. mit
‚meinen Leuten von dei Beute, die ich in meinem väterlichen
-Sebiete mache. Wenn Ihr Euch nun zu mir hieltet, fo hoffe
id) das Land mit Hülfe der Götter wieder zu ernbern. Das
ift ed, wozu ich Euch verlange.‘ .
„So fage denn an, was du dem Heere, den Hauptleuten
und:den Heerführern geben könnteſt, damit Dieſe die Nach⸗
richt überbringen. Er verſprach den Gemeinen einen Eyzi⸗
cener, dem Hauptmann zwei und dem Heerführer vier, nebſt
ſo viel. Land, als er wünſchte, ferner ein Ochſengeſpann und
einen. ammauerten Pas an bem Meere.
„Wenn wir Dieß aber,’ fagte Xenophon, „bei’m Heere
nicht»durcchfegen, und die Leute fich vor den Lacebämoniern
fürchten, würdeſt du wohl. Diejenigen, weiche zu dir Kommen
wollten, in dein Land aufnehmen?" Er antwortete: „Sie
ſollen meine Brüder und Tifchgenuffen -feyn, und au Allem
Theil haben, was wir erwerben werden. 7 „Kenophon,
996 Zenophon’s Feldzug bes jüngern Cyrus.
will ich eine Tochter geben, und wenn da eine Tochter haſt,
fie dir nach Thracifcher Sitte abkaufen, und ihr Bifanthe *)
‚zum Sitze geben, die fchönfle Stadt, die ih am Meere
beſitze.“
3. Auf dieſe Erklaͤrung reichten ſie ſich gegenſeitig die
Rechte, und trennten ſich. Vor Tagesanbruch langten fie
bei dem Lager an und gaben den Ihrigen Nachricht von dem
Erfolg ihrer Reiſe. Am Morgen beſchied Ariſtarchus die
Heerführer und Hauptleute zu ſich; ſtatt aber zu Ariſtarchus
‚zu gehen, beſchloßen fie, Das Heer zuſammenzuberufen. Alle,
nur Neon’s Leute nicht, welche sehen Stadien weit entfernt
ſtanden, verfammelten fi. Als fie beifammen waren, traf
Kenophon auf und ſprach, wie folgt:
„Soldaten, dahin zu fchiffen, wohin uns der Sinn fteht,
verbeut uns Ariftarchus, der Dreiruder zur Hand hat; deß—⸗
wegen ift. es nicht vathfam für uns, Frachtfchiffen uns anzu:
vertrauen; er will dagegen, daß wir mit Gewalt über den
heiligen Berg nad dem Cherfones ‚vordringen. Wenn wir
diefen Zug überflanden hätten, und dort angelangt wären, |
: fo verfpricht er, Euch nicht mehr, wie in Byzantium, als
Sklaven zu verkaufen, oder länger hinzuhalten, fondern Euch
dann die Löhnung auszuzahlen, und nicht, wie jetzt, es ge
fchehen zu laſſen, daß Ihr an Lebensmitteln Noth leider. So
‚fpricht Diefers Seuthes aber fagt, wenn Ihr zu ihm kom⸗
..met, fo wolle er Eudy gufe Tage machen. So überlege min,
ob Ihr -fogleich hier, oder, nachdem Ihr in einer Gegend aus
.*) Broifchen Perinthus und Ganos, aud Rhaͤdeſtus genamntı,
das beutie Rodoſto.
Siebentes Bud. 99897
gelangt ſeyn werdet, wo Ihr Lebensmittel habe, einen Ent⸗
fchtuß hierüber falfen wollt, Mein Rath ift, wir gehen, da
wir hier ?ein Geld haben, um Etwas einzufaufen, und
man und ohne Geld unfre Bedürfniffe nicht nehmen läßt,
nach den Dörfern, deren Bewohner und Diefed nicht zu vers’
wehren vermögen; dort Bönnet Ihr im Beflbe der nöthigen
Lebensmittel nath den verfchiedenen Wünfchen die geeignete
Wahl für Euch treffen. Mer hiefür flimmt, der hebe die
Hand empor. Sie thaten es Alle. „So geht nun,“ ſchloß
er, „und macht Euch fertig, um auf den erften Befehl En»
rem Yührer zu folgen.’
Hierauf führte fie Renophon an und fle folgten. Neon
aber und die Partei des Ariſtarchus fuchten fie zum Umkeh—
ven zu bereden; allein fie fanden fein Gehör. Nachdem fie
an dreißig Stadien vorgerüdt waren, Bam ihnen Seuthes
entgegen. Sobald ihn Keunphon auſichtigſwurde, hieß er ihn
beranveiten, um ihm vor fo viel Ohrenzeugen ale möglich zu
eröffoen, was er für zweckdienlich hielt.
Als er herankam, ſprach Renophon: „Unſer Zug geht
dahin, wo das Heer feinen Unterhalt findet; dort wollen wir
deine und der Lakonier Anıräge anhören, und ung für Das
entfcheiden, was wir für das Zuträglichfte halten. Wenn du
uns dahin führft, wo wir die meiften Lebensmittel finden, fo
fehen wir’s an, als ob wir von dir gaftlidy bewirthet wür⸗
den.’ Geuthcd antwortete: „Ich weiß eine Menge Dörfer,
die beifammen liegen, und mit allen Lebensmitteln yerichen
find; fie find nur fo weit entfernt, daß ein Zug dahin Euch
ef zur Vormahlzeit macht.‘
W983 Zenopbon’s Feldzug des füirgern Cyrus.
„So führe und dahin!’ fiel Kenophon ein Als fir
gegen Abend in denfelben anlangten, verfammelten fidy Die
Soldaten, und Seuthes hielt folgende Anrede an file: „Ihr
Männer, ich erfuche Euch, mit mie zu Felde zu ziehen, umd
verfpreche dem Soldaten ded Monats einen Epziccher, den
Hauptieuten und Heerführern nad, Verhältniß das Ihrige;
außerdem aber werde ic, noc den Würdigen weitere Aus⸗
zeihnung verleihen; Speife und Trank bezieht. Ihr, wie andy
jest, aus dem Lande; die Beute aber, die Ihr macht, fpreche
ich für mich an, um durch den Verkauf derfelben Euern Sold
zu bezahlen. Was flieht und davon läuft, mit Dem nehmen
wir es auf 33 Wer fid aber widerfegt, mit Dem wollen wir
mit Eurer Hülfe fertig werden.”
Tenophon fragte noch weiter: „Wie weit vom Meere ab,
wiltft du, daß das Heer dir folge? Er antwortete: z, Nir⸗
gende weiter, als ſieben Tagmärfıhe, oft nicht einmal fo
weit,‘
Hierauf ward Jedem geftattet, feine Meinung zu fagen;
worauf denn Diele erklärten, daß, Seuthes Bedingungen
annehmlich wären; es fey Winter; und wenn? Einer auch
wollte, fo Eönnte er nicht nach Haufe ſchiffen; in Freundes
fand zu bleiben, fey aber eben fo unmöglich,‘ wenn man bie
Lebensmittel Laufen müßte; beffer und ficherer fey es, ſich
auf feindlihem Grund ’iund Boden mit Seuthes zu haften
und von da den Mundbedarf zn nehmen, als allein, zumaf
da fo viele Vortheile ſich zeigten; und wenn fie dann vollends
noch Sofd befämen, fo müßten fie diefen für gefunden bes
srachten. Da nahm Kenophon.bas Wort und fagfe: „wenn
|
Giebantes Bud 999
Yanand. Etwas dawider hat, fo rede er; wo nice, fo. gebe
er. feine Zuſtimmung.“
Als Niemand widerſprach, fo flimmten fie ab, und Alles
ward genehmigt. Hierauf erflärte er Seuthes, baß fie den
Serdzug mit ihm machen mollten. *)
Die Andern aßen nun nad ihren Abtheilungen unter
Zelten; die Heerführer und Hauptleute aber lud Seuthes,
der.ein Dorf in der Nähe hafte, zur Tafel,
Vor dem Eingange, wo fie fpeifen ſollten, fland ein ger
wiſſer Heraklides aus Maronea.**) Diefer ging zu Jedem,
Yon dem er glaubte, daß er Seuthes Etmas fchenten könne.
Zuerft machte er ſich an einige Männer aus Parium, die ge:
kommen waren, um mit Medokus, dem Könige der Odryſier,
ein Bündniß zu fchließen und deßhalb fowohl für ihn ale
deſſen Gemahlin Gefchente bei ſich hatten, und bemerkte ih:
nen, daß fie zu Medokus Iandeinwärts nod, einen Weg von
zwölf Tagen hätten, Seuthes aber, der diefes Heer an ſich
. gezogen hätte, würde über das Küftenlaud herrfchen. „Als
Euer Nachbar,’ fagte er, „iſt er am eheflen in dem Fall,
Eud) Gutes oder Böfes zu thun; wenn Ihre nun Flug feyn
wollt, fo gebt Ihr Diefem, was Ihr mit Euch gebracht habt,
and Ihr werdet befier dabei fahren, als wenn Ihr’s Medos
kus gebt, der weiter von Euch wegwohnt.“ Somit überredete
er fie,
*) Nach Renner und Andern geſchah diefe Vereinigung zu Aus⸗
sang des Novembers oder zu Anfang bes Decemberd im
Fahr 400 vor Ehr.
++, Einer Stadt in Thracden am Aegaͤiſchen Meer, nach Reichard
jur Maronja genannt.
1900 Renophon's Feldzug des jüngern Eyrus.
Hierauf ging er den Darbaner Timaſion an, won Dem
er hörte, daß er Perſiſche Trinkgeſchirre und Teppchie befäße,
und fagte, ed fey Sitte, daß die von Seuthes geladenen Gäſte
ihm -Gefchente machten. „Wenn er einmal hier mächtig ſeyn
wird, fo ift er im Stande, dich in deine Heimath zurückzu⸗
führen, oder auch hier reich zu machen.’
Zu XRenophon kam er und fagte: „du ſtammſt aus der
größten Stadt, bein Name fteht bei Seuthes hoch in Ehren,
und du wirft, wie fchon Andere von Euch, in diefem Lande
vielleicht fefte Pläbe nebft Ländereien erhalten wollen; deß—
halb kommt es dir auch zu, Seuthes mit den glänzendften
Geſchenken zu beehren; ich gebe dir den wohlgemeinten Rath;
denn ich bin überzeugt, daß du, je größere Geſchenke du ihm
mahft, um fo reidhlicher "wieder von ihm bedacht werben
wirft.‘ Auf diefes Anfinnen war Xenophon in Verlegenheit;
denn er hatte von Parium Nichts als einen fohönen Kuaben
und das nöthige Reifegeld mitgebracht.
Als man eintrat, festen ſich die anweſenden voruehmen
Thracier und die Helleniſchen Heerführer und Hauptleute
nebſt den Geſandten ber Städte im Kreiſe zur Mahlzeit.
Hierauf wurden Allen dreifüßige Tiſche mit zerfchnittenen
Fleiſch und gefäuerten großen Broden belegt. Die Zifche
mit den Speifen wurden größtentheitd fo geftellt, daß jeder
‚vor einem Gafte zu flehen Bam; deun fo wollfe ed die Sit-
te. Seuthes nahm zuerft die neben ihm liegenden Brode,
brach fie *) und theilte fie nach Gutdünfen aus. Mit dem
Fleiſch machte er es eben fo, und behielt nur fo viel, ald ex
*) Die Brode der Alten Hatten die pintte Form unſrer Kuchen.
mal — — — — — J
-
—
Siebentes Bu: 4604*
ſelbſt eſſen wollte. Die Andern, vor welchen die Tiſche zu
ſtehen kamen, verfuhren auf gleiche Weiſe. Ein Arka⸗
dier, Namens Aryſtas, der ein gewaltiger Eifer war, fand:
das: Vertheilen zu langweilig, nahm ein Brod, au dem Eis
ner drei Tage hätte effen können, Tegte das Fleiſch auf die
Knie und aß. Man trug au Trinkhörner herum, und Ale’
nahmen fie an; Aryſtas aber fagte, als der Mundfchen? auch
an ihn Fam, da er Kenophon noch nicht effen fa: „bring es nur
Jenem dort, der hat fchon Zeit, ich aber nody nicht.‘ Als
Seuthes die Stimme hörte, fragte er den Mundfchenten, was
er. wolle. Der Mundſchenk fagte es ihm; denn er verftand'
Helleniſch; da entitand ein Gelächter.
Gm Verlaufe ded Trinfgelags Fam ein Thracier mit ei⸗
nem weißen Pferd herein, nahm ein volles Trinkhorn und
ſprach: „Ich trinke dir zu, Seuthes, und ſchenke dir dieſes
Pferd; auf ihm wirſt duͤ Jeden, Den du willſt, einholen,
und wenn du fliehſt, dich vor dem Feinde nicht zu fürch—
ten haben." Ein Anderer brachte einen Knaben herein und
fchentte ihm ſolchen, indem er ihm gleichfall® zutrank; ein
Dritter brachte ihm Kleider für feine Gemahlin. ZTimas
flon frank ihm zu, und fchenkte ihm eine filberne Schafe und
einen Teppich, der zehen Minen. werth war. Der Athener
Gneſippus fland auf und fagte: „es iſt eine alte, fehr löbliche
Sitte, nach welcher die Reichen dem Könige der Ehre wegen
Etwas fchenken, der König aber Denen, welche Nichts ha⸗
ben; fo nur,“ fagte er, „din auch ich im Stande, dich mit
Geſchenken zu ehren.“
Xenephon, welcher der Ehre. wegen auf dem naͤchſten
Site bei Seuthes ſaß, war in Verlegenheit. Heraklides hieß
—4
1004 Kenopbon’s Feldig des jimgern Cyrus.
dan Mandſchenken ihm das Trinkhorn reichen. Xenophou,
ſchon etwas trunken, nahm getroſt den Becher, ſtand auf und
ſagte: „Ich, Seuthes, ſchenke dir mich und dieſe meine Ge⸗
noſſen zu treuen Freunden, Keinen gegen ſeinen Willen, ſon⸗
dern Alle, noch mehr als ich, von dem Wunſche beſeelt, dir
treulich zu dienen. Nun ſind wir erſchienen, nicht um Et⸗
was zu erbetteln, ſondern vielmehr mit dem Wunſche, Ar⸗
beiten und Gefahren für dich zu übernehmen; mit ihrer Hülfe
magſt du, wenn die Götter Gnade verleihen, dein großes
väterliched Reich wieder erobern, und nocd mehr dazu ge⸗
winnen; viele Pferde, viele Männer und ſchoͤne Weiber wirft
du erbeuten, die du nicht zu holen brauchſt, fondern freiwillig
erden fie kommen und dir Gefchenke bringen.’
Da fand Seuthes auf, trank zugleich mit ihm aus, und
goß den Reſt des Weines aud. Hierauf kamen Leute herein,
die anf Hörnern, wie man fie zum Schlachtzeichen braucht,
und mit Trompeten aus. ungegerbfer Rindehaut nad, dem
Takte und gleichfam in der Ditave blieſen. Geuthes felbit
fand anf, fließ einen Kriegeruf aus und machte mit großer
Behendigkeit einen Luftfprung, als wollte er einem Geſchoß
ausweichen. Auch’ Poflenreißer traten herein.
Gegen Sonnenuntergang flanden die Hellenen auf und
fagten, es wäre Seit, die Nachtpoften aus zuſtellen und die Lo⸗
fung zu geben. „Du, Seuthes, gib Befehl, daß fein Thracier
zur Machtzeit in's Hellenifche Lager fommt; denn unſre Feinde
find Thracier, und Ihr, unfre Freunde, ſeyd es auch.‘ *)
*) So konnten ſich alfo bie Griechen leicht an ihren (Thracifchen)
Sreunden vergveifen , in ver Meinung, es feyen Feindliche
er
ME fie hingausgingen, erhob ſich auch Seuthes, ohne ir⸗
gend eine Spur von Beranfhung. Er Pam heraus und rief:
die Heerführer wieder zu fi und fagte: ‚Ihr Männer, un⸗
fer Feind weiß noch nichts von unſerer Bundesgenoſſenſchaft;
wenn wir ihn num angreifen, bevor er Gegenanſtalten trifft,
um ſich in Sicherheit zu ſtellen, oder zur Wehr zu feben, fa
können wir am Teichteften Menſchen und Habe erbeten.‘
Die Hersführer billigten feinen Borfchlag und forderten ihn
auf, fie gegen ten Feind zu führen. Er erwiederte: „haltet
Euch ſchlagfertig, bis ich zu Euch komme; dann will ich mit
den Dettaften und End), wann es Zeit ift, aufbrechen, und
mit Hülfe der Götter gegen die Yeinde rücken.“
Zenophon gab ihm nun zum bedenken: „Wenn wir bei
Macht ziehen, fo ift wohl ber Hellenifche Kriegebrauch der
befte. Bei Tag bildet nämlich, je nachdem es vermöge der
Oertlichkeit zuträgkich ift, bald das fchwere Fußvolk, bald die
Reiterei ven Bortrab; bei Tracht aber ift es bei den Helles
nen der Brauch, daß immer die langfamften Truppen voran
ziehen. Denn fo wird verhindert, daß das Heer fich nicht
zerſtreut, und es bleibt am wenigſten unbemerkt, wenn ſich
ein Theil davon machen will; denn zerſtreut, fällt man ſich
oft, da man ſich nicht kennt, gegenſeitig an und kommt ſo
zu Schaden.“
Seuthes antwortete: „Ihr habt Recht, ich will mich
nach Eurem Brauche richten und Euch die der Gegend kundig⸗
ſten, aͤlteſten Maͤnner zu Führern geben, ich ſelbſt aber will
mit ber Reiterei den Nachtrab bilden; denn, fo ed Noth
thut, bin ich. fogleich vorn.” Wegen der Verwandtſchaft mit
4008 Zenophon’d Feldzug. deo ſungern Eyrus.
den Athenern war die Löfung Atheue gebeben. Damit.
beaab man ſich zur Ruhe.
Gegen Mitternacht kam Seuthes mit geharnifchten. Reis:
tern und gewaffneten Peltaften an. Nachdem er die Weg-
weifer übergeben hatte, zogen die Hopliten voranz dann folg⸗
ten die Peltaften ; die Nachhut dedten die Reiter.
Mit Tagesanbruch ritt Seuthes voran und lobte den
Helfenifchen Kriegsbrauch; denn oft, fagte er, fey er ſelbſt
ſchon bei einem Nachtzug mit feinen Reitern von den Fuß⸗
volk abgefommen; „ſo aber find wir, wie ſich's gehört, ‚bei
anbrechendenm Zage Alle beifamnıen. Bleibt nun hier, und
ruhet aus; wenn ich Erfundigung eingezogen habe, Fomme
ich wieder zu Euch.“ \
Damit ritt er über einen Berg hin, anf einem Wege,
den er gefunden hatte. Als er vielen Schnee antraf, fah er
fidy) auf dem Wege um, ob er Fußſtapfen von Menſchen fän⸗
de, die vorwärts oder rückwärts gingen. Da er den Weg
unbetrefen fand, kam er wieder und faafe: „„Es wird gut
gehn, Ihr Helkenen, ſo Gott will; wir Bönnen den Feind um-
vermuthet überfallen. Ic will mit den Reitern vorangeben,
damit Keiner, der unfrer anffchtig wird, den Feinden Kunde
gibt; Ihr folge uns; und wenn She nicht ſchnell genug nadız
komme, fo folge nur dem Huftritt der Pferde; wenn wir
diefe Gebirge hinter und haben, gelangen wir zu einer Menge
reicher Dörfer. ’’
Gegen Mittag war er fchon auf der Höhe und hatte die
Dörfer im Geficht; da kam er zu den Hopliten herangefprenget
und fagte: „ich Laffe nun meine Reiter in die Ebene hinab,
und die Peltaften ſich anf die Dörfer werfen. Folgt Ihe in
—— ——— — ER. 2. — een —
Siebentes Buch. | 410086
‚möglichfter Eile, damit Ihr, wenn man fid) zur Wehre fept,
.zu Hülfe kommt.‘
Xenophon flieg, als er Dieß vernommen, vom Pferde.
Auf Seuthes Frage, warum er abfleige, da es doch Eile has
be, antwortete er: „weil ich weiß, daß man mich allein nicht
nöthig hat; die Hppliten aber werden ſchneller und freudiger
apraneilen, wenn ich zu Fuße fle anführe.
Damit ritt Seuthed davon und. mit ihm Zimaffon , nebſt
‚ungefähr vierzig berittenen Hellenen.
Kenophon ließ von den Lochen Alle, bis zu den Dreißi⸗
‚gern, leicht gegürtet hernortreten, und fepte fi mit Diefen
in vollen Lauf; Kleanor Bam mit den übrigen Hellenen nach.
Als fie an den Dörfern waren, ritt Seuthes zu ihnen
Heran und fagte: „es iſt gegangen, wie du fagtefl: die Leute
nd im unferer Gewalt; allein meine Reiter haben fich auf
der Verfolgung nad) allen Seiten hin zerftreut; und ich bes
.forge, die Feinde möchten ſich zufammen thus, und ihnen
Schaden zufügen. Es müßen auch in den Dörfern Einige
von uns bleiben ; denn fie find vol Menfchen.‘‘
„Ich wilt mit meinen Leuten,“ fagte Kenophon, „die
Höhen beſetzen; du aber gib Kleanor den Befehl, die Pha⸗
fanr auf der Ebene an den Dörfern hin auszudehnen.“ Nach—⸗
‚dem fie diefe Maßregeln getroffen, brachten fie an faufend
Gefangene, zweitaufend Stiere umd gegen zehntaufend Stück
Kleinvieh auf. Sie blieben die Nacht über hier.
4. Um folgenden Tage ſteckte Seuthes alle dieſe Dörfer
in Brand, und ließ Bein einziges Haus fiehen, um den An⸗
dern Furcht einzujagen, und ihnen zu zeigen, welches Schick⸗
4006 Zenpphon’s Feldzug: des Jüngern Cyrus.
‚ at fie erwartete, wenn fie ſich nicht untermärfen. Dany
309 er ab, und ließ Heraklides die gemachte Beute in Perins
thus verkaufen, um den Soldaten den Sold von dem Erids
zu entrichten. Er felbft bezog mit den Hellenen in ber Thy⸗
nifchen Ebene ein Lager. Die Bewohner verließen ihre Be⸗
hauſungen und flüchteten auf die Gebirge.
Es lag ein tiefer, Schnee, und die Kätte war fo Areng,
daß das Waſſer, welches fie zum Eſſen hoften, und der. Wein
in den Gefäffen gefrorz ja Vielen von den Hellenen ;verfros
ren Nafen und Ohren. Da beoriff man, warum die Thra=
eier Kopf nnd Ohren mit Fuchsbaͤlgen verwmahrten, warum
ihre Leibröcde nicht bios die Bruſt, fondern auch die ‘Beine
bedeckten, und warum fie zu Pferde nicht den ‚gewöhnlichen
‚Unterwurf, fondern bis auf die Fuͤße hinabreichende Mäntel
tengen. .
Seuthes ſchickte Einige der Gefangenen auf die Gebirge
und ließ fagen, wenn fle nicht herabfämen und ſich unters
wärfen, fo würde er auch ihnen Käufer und Getreide in
Brand fteden, fo daß fle verhungern müßten. Da kamen
Weiber und Kinder nebft: den Alten herab: die Füngern flan-
den in den Dörfern am Fuße des Gebirge.
Als Seuthes Dieß erfuhr, befahl er Xenophon, ihm mit
der jüngften Mannfchaft der Hopliten zu folgen. Sie bra⸗
hen in der Nacht auf und erfchienen mit Anbruch bed Ta⸗
ges vor den Dörfern; die Meiften entkamen wegen der Nähe
des Gebirges durch die Flucht; Die aber, welche ihm: in die
Hände fielen, ließ Seuthes uhre Erbarmen mit dem Gpeere
nieberftechen.
— — — — — —
Eictbentes Buch.. 10007
Der Olhnthier *) Eplſthenes, der in ſchone junge Leute
verliebt war, fah einen mit einer Pelta bewaffneten Jüngling,
der eben fterben ſollte; er lief zu Renophon und bat ihn, den
ſchönen Knaben zu retten. Diefer wandte fi an Geuthes .
mit der Bitte, dem Knaben das Leben zu fchenten, und er:
zähfte ihm von Epiſthenes, daß er einmal einen Zochos warb,
wobei er bios auf fchöne Leute gefehen, und daß er ſich mit
Diesen fehr brav im Felde gehalten habe,
Seuthes fragte ihn: „würdeſt du, Epiſthenes, wohl_für
den Jungen ſterben?“ Er hielt ſeinen Nacken hin und ſagte:
‚Sau zu, wenn es der Jüngling beſtehlt, und mir dafür
Dank wiffen will!" Seuthes fragte den Juͤngling, ob er
ihm ſtatt feiner tödten folte? Der Jüngling ließ es nicht
zu, fondern fagte, er möchte Beiden das Leben ſchenken. Da
umfaßte Epifthenesd den ungen und fprach: „Nun mußt du
dich um ihm mit mir ſchlagen, Seuthes; denn in Gutem laß
ich dir den Knaben nicht!” Ä
Seuthes lachte und Tieß ed dabei bewenden; er fand
aber für gut, die Gegend befest zu haften, damit Die auf
dem Gebirge ihre Bebürfniffe nicht aus ‘den Dörfern bezie-
ben könuten. Er ſelbſt zog ſich mehr in die Ebene hinab;
Zenophon aber blieb mit einer auserleſenen Mannfchaft in
dem aͤußerſten Dorf am Fuße des Gebirges ftehen; und auch
‚ die andern Hellenen Tagerten fid, in dem Gebiete der foge:
genantiten Gebirgsthracier.
Nach Verlauf weniger Tage kamen die Thracier von
Tem Gebirge zu Seuthes herab, und-unterhandelten mit ihm
erg, I, 2. ’
41008 Zenophon’s. Feldzug des jüungern Cyrus.
‚über Geißeln und Bertragsbebingungen. Auch Xenophon
Sam zu Seuthed und flellte ihm vor, wie fie in der Nähe
der Feinde einen harten Stand hätten, und fie lieber auffer-
‚halb des Dorfes an irgend einem haltbaren Plage unter
freiem Himmel, als unter Dach und Fach blieben, wo ihnen
augenblicklicher Untergang drohe. Seuthes aber hieß ihn gu:
ten Muthes ſeyn, und zeigte ihm die aumwefenden Geißeln.
Man wandte fi) auch an Kenophon, zur AÜbfchließung eines
Friedensvertrages mitzuwirken. Er verfland fid dazu und
Sprach ihnen Muth ein: es fole ihnen nichts zu Leite gethan
‚werden, wenn fie ſich Seuthes unterwürfen. Sie thaten
dieß Alles aber bios, um die Stellung ihrer Feinde auszu⸗
kundſchaften.
Dieß geſchah noch am Tage; in der ſolgenden Nacht
machten die Thracier vom Gebirge einen Angriff auf ſie.
Ihre Führer waren die jedesmaligen Hausbeſitzer; denn ſonſt
mochte es ſchwer ˖halten, in der Finſterniß die Käufer in den
Dörfern anfzufinden; zumal da fie, des Kleinviehs wegen,
‚ringsum mit hohem Pfahlwerk eingezäunf waren.
An den Thüren der Häuſer angefommen, warfen fle
Wurfſpieße hinein; Andere fchlugen mit Keulen an, womit
fie, ihrer Ausfage nach, die Epigen der Lanzen abfc)lagen
wollten; . wieder Undere legten Feuer ein, und riefen Keno-
phon beim Namen, herauszukommen und den Zod zu ems
pfangen; fonft würden fie ihn innen mit lebendigen ‚Leibe
verbrennen.
Schon fihlug die Flamme zu dem Dache heraus, und Xe⸗
nophon war mit feinen Gepanzerten (fie waren mit Scyilden,
Schwerter und Helmen ausgeräftet) noch innen. Da ſtieß
Siebentes Bub. 1009
Silanus aus Maciftus*), ein Füngling von achtzehn Jahren,
‚in die Zrompete; und mit einem Mat ftürzten auch die Andern
aus .den übrigen Häufern mit gezogenen Schwertern hervor,
Die Thracier nahmen mit auf den Rüden gehaltenen
Schilden, wie es bei ihnen Sitte ift, die Flucht. Einige
wurden, als le über das Pfahlwerk [prangen, und mit den
Schilden fid darin verfingen, anfgegriffen; Andere wurden
niedergehauen, weil fle die Ausgänge nicht mehr fanden; die
Hellenen verfolgten fie bis zum Dorf hinaus.
Einige der Thynier kehrten in der Dunkelheit, um wars
fen aus der Zinfterniß in's Helle auf Diejenigen, welche an
einem brennenden Haufe vorüberliefen, und verwundeten Nies
ronymus und bie Hauptleute, Euodens und Theogenes, den
Lokrier; es blieb jedoch Fein Einziger; Einigen aber ver-
srannten Kleider und Gepäde.
Seuthes Fam mit den erflen fieben Reitern zu Hülfes
auch hatte er den Thracifchen Trompeter bei ſich. Sobald
er wußte, was vorging, ließ er auf dem ganzen Herweg
den Trompeter blafen, was auch dazu beitrug, die Feinde
in Furcht zu fegen. Als er ankam, reichte ex ihnen die Rechte
und fagte, er hätte geglaubt, viele Todte zu finden,
Hierauf erſuchte ihn Kenophon, ihm die Geißeln zu übers
geben, und, wenn er wollte, mit ihm-einen Zug auf den Berg
zu machen, wo nicht, ihn allein ziehen zu laſſen. Am fol⸗
‚genden Tag überlieferte Seuthes die Geißeln, Männer, die
ſchon fehr betagt waren, und bei den Bergthraciern, wie es
hieß, in großem Anſehen ftanden, und ftieß mit feiner gan⸗
*) Aus der Stadt Maceftus in Triphylin im Peloponnes.
Kenophon, 85’ Bhchn, 6
4010 Zenophon’s Felbzug bes füngern Cyrus.
zen Macht zu ihnen. Diefe wer berrits am das Doeifade
ftärter;; denn viele Ddryflier waren auf die Kunde Don feinen
Unternehmnngen herabgelommen, um an dem Feldzuge Theil
zu nehmen. Als die Thynier von dem Gebirge herab die
Menge Hopliten, Peltaften und Beiter -fahen, Lamen fie
herab und daten demüthig um Frieden. Sie gelobten, Alles
su than, und darüber die Gewähr zu Teilen,
Sengthes berief Kenopken zu ſich und legte ihm ihre An-
träge vor, mit dem Bebenten, er werde ſich in Beinen -Ber-
trag einlaffen, wenn er wegen bed Ueberfalls au ihnen Rache
nehmen wollte.
Kerophon erffärte dagegen: „ſie find, glaube ich, ſchon
geftraft genug, werm ſie ſtatt freier- Leute nun Sklaven wer:
den; jedoch rathe ich Bir, in Zukunft Bofkhe-zu Geißeln zu
nehmen, die dir am meiſten ſchaden Tönen, die Alten aber
‘zu Haufe zu laſſen.“ Hiezu verſtanden fich alle Shvarier im
dieſer Gegend.
5. Hierauf rückten fie Über die Berge ‚gegen vie Thra⸗
cier, welche oberhalb Byzankium in dem fogenaumen Delta
"wohnen; dieſes gehörte nicht mehr zu dent Sebiete des Maͤ⸗
ſades, ſondern zu dem eines alten Odryſenfürſten Tores,
Hier kam Heraklides mit dem aus der Beute erldsten Gelde
an. Seuthes ließ drei Manleſelgeſpanne — denn er hatte nicht
"weiter — und mehrere Joch Ochſen vorführen; rief Xencep hon
herbei und hieß ihn nach Belieben nehmen, das Uebrige aber
unter die Heerfuͤhrer und Hauptleute vertheilen.
Xenophon ſagte: „ich bin zufrieden, wenn ich erſt ſpäter
Etwas erhalte; vertheile es nur unter die Heerfuüͤhrer und
Hauptleute, die mit mir kamen." Da bekam von den Maul:
- — — — —
Siebentes Buch. 4041
efelgeipannen Eines ber Derbanier Zimaflon, der Orchomes
nier Kleauor Eines, und Eines der Achäer Phryniskus. Die
Ochſengeſpanne wurben unter :bie Hauptleute vertheilt. Am
Sold zahlde er, obgleich der Monat abgelaufen war, nur
zwanzig Tage; denn Heraklides gab vor, er habe nicht
mehr aus ber Beute erlöst, Xenophon war. Haider aufge:
bracht und fagte zu ihm: „Du ſcheinſt mir nicht. gehorig auf
ben Vortheil ded Seuthes Bedacht zu nehmen; denn würbeft
du es, fo haͤtteſt du die volle Lähmung: gebracht, und wenn
dues and) Hätteft borgen, aber das Kleid vom Leibe .vestanfen
müßen. “
Dieß nahm Heraklibes Fehr Abel muf, und mar Heforgt,
er möchte aus bes Seuthes Gunf verdrängt werden, und
ſuchte von dieſem Tage an, ſo viel er konnte, Xenophon hei
GSenthes zu ſchaden. Die Soldaten gaben Kenephon-Schuid,
daß ſie nicht den vollen Gold. erhielten; Seuthes aber mar
empfindlich darüber, daß er fo ſehr auf die Vezahlnug des
BSoldes für die Soldaten draug.
Bisher hatte er immer davon geſagt, er wolle ihm bei
ihrer Ankunft an. der: Küſte Se Veſten Biſanthe, Ganns ynd
Neonteichus geben; allein von dieſer Seit an wollte er. nichts
mehr davon wiſſen; denn Hrraklides wußte ihm beizubringen,
wie es dicht rathſam ſey, einem Manne, der am. ber. Spitze
einer Heerecsmacht ſtände, feſte Pläte anzuweiſen.
Kenophon ging nun zu Rath, was in Betzeff Des. bevor⸗
flehenden Zuges in das Binnenland anzufangen ſey; Hexa⸗
klides führte die andern Neerführer zu Seuthes und Tagte,
fie follten erklären, daß fie eben. fo gut als Fenophon das
Heer anführen; daun verſprach er ihnen, ‚dahin Suenisen Ta⸗
4042 Xenophon’s Feldzug des jüngern Eyrus.
gen eine zweimonatliche Löhnung verabreicht werden follte,
wenn fie fid zur Fortſetzung des Feldzuges entfchlößen.
Zimaflon erklärte: „Ich wollte, wenn auch für fünf Mo⸗
nate Sold bezahlt würde, ohne Kenophon den Feldzug doch
:nicht mitmachen.‘ Dieſelbe Erklärung gaben auch Phrynis⸗
kus und Kleanor ab.
Da fchalt denn Seuthes den Heraklides, dab er Xeno⸗
phon nicht auch gerufen hätte. Er ward nun allein vorbefchie:
den. Allein er merkte die Argtift des Heraklides, wie:er ihn
den andern Heerführern verdächtig machen wollte, und er:
ſchien in Begleitungädiefer und der gefammten Hauptlente.
Da fih Alle zur Theilnahme an dem fernern Feldzug bereit:
willig fanden, zogen ‚fie aus und gelangten, den Pontus zur
Hechten, durch die Thraciſche Landfchaft der Melinophagen *)
nach Salmydeſſus. Hier werden viele der in den Pontus
ſegelnden Schiffe auf Untiefen ‚getrieben und firanden; denn
das Meer ift weithin ſeicht. '
Die Thracifchen Küftenbewohner haben die Gegend durch
-Sränzfäulen abgeſchieden, und nach diefen bekommen fie die-
jenige Dente, welche in ihrem Bezirk an's Land gekrieben
wird; denn vorher ‚Yfagten fie, feyen oft über der, Plünde⸗
zung Viele um's Leben gekommen. Man fand daſelbſt viele
Polſter, Kiften, Roten Papier und andere Waaren, welche
die Schiffer in hölzernen Behältern mit fi führen.
Nachdem diefe Gegend bezwungen war, 308 man wieder
ab. Des Seuthes Heer war nun bereits zahlreicher, als das
H D h. Fencheſſer; ige eigentlicher Name war After In
dieſe Gegend ließ nach Strabo der Macedoniſche König Wh: _
Kppns feine aͤrgſten Verbrecher deportiren.
Siebentes Buch. | 1045
Hellenifhe; denn von den Ddryfiern waren immer Mehrere.
herabgefommen, und Die ſich unterwarfen, fchloßen. fich dem
Heere an. Das Lager ftand auf der Ebene, oberhalb Sely⸗
bria, ungefähr dreißig Stadien vom Meer entfernt. Immer.
aber wollte nody Fein Sold erfcheinen; die Soldaten waren
gegen Xenophon Äußerft aufgebracht; auch Seuthes war nicht
mehr fo verfrant mit ihm, fondern fchüßte, wenn er ‚ihn be⸗
füchen wollte, überhäufte Geſchäfte vor.
6. So waren beinahe zwei Monate verfloſſen, als der
Lakonier Charminus und Polynikus von Thibron mit der
Botſchaft kamen, die Lacedämonier hätten gegen Tiſſaphernes
den Krieg beſchloſſen, Thibron ſey bereits gegen ihn mit der
Flotte ausgelaufen, und bedürfe biefes Heer, wofür er dem
Gemeinen einen Dariten monatlichen Sold, den Hauptleuten
das Doppelte und den Heerführern dus Vierfache verfprecdhe.
Sobald Heraklides ihre Ankunft und Abſicht erfuhr,
ging er zu Seuthes und ſprach: „es fügt ſich allerliebſt! Die
Lacedämonier kommen, und bedürfen diefes Heer, da du es
nicht mehr brauchſt; wenn du es ihnen abtrittft, machſt du
fie dir geneigt; die Soldaten werden den Sold dir niche mehr
abfordern, und du wirft ihrer auf eine bequeme Urt aus dem
Lande los.“
Seuthes hieß ihn nun die Gefandten bei ihm einführen,
Als fie ihm erklärten, daß fle des Heeres wegen kommen, er-
soiederte er, daß er es ihnen abtrete und ihr Freund und Ver⸗
bündeter zu werden wünſche. Er lud fie an feine Tafel und
bewirthete fie aufs glänzendſte. Kenophon aber und bie
übrigen Anführer wurden nicht geladen.
41046 Zenophon’s Feldzug des füngern Cyrus.
Weberfahrt verwehrte, ließ ich Eu, wie es meine Pflicht
war, zuſammenkommen, damit wir rashfchlagten, was nun
anzufangen wäre. Wriftarchus hieß uns, wie Ihr hörtet,
nad) dem Eherfones aufbrechen, Seuthes dagegen, bei ihm
in Dienfte treten. Da erflärtet Ihr einflimmig, Ihr wol⸗
Vet mit Diefem gehen, und faßtet darüber einen förmlichen
Beſchluß. Habe ich alfo Unrecht gefhan, daß ic Euch dahin
führte, wohin Ihr Alle wolltet? Wenn ich des Seuthes
Verfahren, nachdem er Eudy die Löhnung verkürzte, gut
bieße, fo hättet Ihr ein Recht, mid) darob zu haffen und at=
zuklagenz da ich aber, der ich vorher von Euch Allen am
meiften mit ihm befreundet war, mid) am meiften mit ihm
verfeindet habe, ift es nun Recht, daß Ihr mir, der ih Euer
Beftes vor dem des Seuthes im Auge habe, aus demfelben
Grunde, aus dem ich mit Jenem zerfallen bin, eine Schuld
beimefjet? Aber vielleicht jagt Ihr: ,, „beit Belragen gegen.
Seuthes ift blos WVerftelung, und du bift doch im Bells
Deffen, was Seuthes uns hätte geben ſollen.““ Allein ift es
nicht natürlich, daß Seuthes, wenn er mir Etwas gab, es
gewiß nicht fo gegeben hätte, daß er ſich durch. die für midy
beftimmfe Summe in Koften feste, und-Eud) eine andere '
auszahlte? Ich glaube vielmehr, wenn er mir Etwas gege-
ben hätte, fo häfte er es im der Abficht gegeben, durch die
geringere, an mich gezahlte Summe, die größere. Euch ſchul⸗
dige nicht zahlen zu dürfen. Glaubt Ihr nun, daß es ſich
fo verhätt, fo könnt Ihr unfern ganzen Handel dadurch ver⸗
eiteln, daß Ihr das Geld von ihm einfordert. Aber ich bin fo
weit entfernt, euer Eigenthum zu befigen, daß ich Euch foger
bei allen Göttern und Göttinnen ſchwöre, daß ich nicht eins
. Biebentes Buch. 1017
mal Das bekommen habe, was Seuthes mir noch befonders
verfprochen hat. Da ſteht er ferbft, und weiß ale Ohren
zeuge, ob ich einen Meineid fchwor. Aber damit Ihr Ench
noch mehr verwundert, fo fchwöre ich noch weiter, daß id)
nicht. fo viel bekommen habe afs die andern Heerführer, ja
nicht einmal fo viel, als Einige der Hauptleute. Und warum
that ich fo? Weil ich hoffte, Ihr Männer, wenn ich mit ihm
feinen zeitigen Mangel ertrüge, dann einen um fo zuverläßis
gern Freund an ihm zu haben, wenn er -in beffern Umſtän⸗
den wäre Run fehe ich ihn im Glück, und kenne feine
Dentungsart. Es könnte aber Einer fagen: „„ſchämſt du
Dich nicht, daß du ein folcher Narr warft, dich alfo von ihm
äffen zu laſſen?““ Sa, beim Zeus, ich würde mich Deffen
fehämen, wenn mie von einem Feind fo mitgefpielt wäre; in
ber Freundfchaft aber ift es fchimpflicher, zu betrügen, als
betrogen zu werden. Denn wenn bei Freunden von Vorſicht
bie Rede feyn Bann, fo habt Ihr es, ic, weiß es, an Nichts
ermangeln laffen, wodurd er gerechten Vorwand zur Nicht⸗
erfüllung feiner Iufage Hätte; denn wir haben ihm Nichts
zu Xeide gethan, und weder durch Saumfeligkeit feinem Bor:
theil gefchadet, nod) durch Feigheit ihn mie feinen Planen im
Stiche gelaffen. Aber Ihr wendet vielleicht dagegen ein:
„„man hätte foldhe Gewähr nehmen follen, daß er, went
er auch wollte, uns nicht hätte hintergehen können.” Dars
auf erwiedere ich, was ich in Gegenwart diefed Mannes
nie würde gefagt haben, wenn Ihr Euch nicht durchaus uns
billig und undankbar gegen mic, bewiefen hättet: Erinnert
Euch, in welcher Lage Ihr Euch befandet, aus der id Euch
riß, indem ih End Senthes zuführte. Verwehrte Euch nicht
4018 Renophon's Jelbnug des jüngern Cyrus.
der Lacedamonier Ariſtarchns, nach Perinthus zu kommen, in⸗
dem er die Thore verſchleß? Mußtet Ihr Euch nicht mitten.
im Winter auffen unter freiem Himmel lagern ? Nrauchtet Ihr
nicht Lebensmittel, deren man Eud) mer wenige zu Kauf bradwe?
Und auch das Wenige konntet Ihr kaum erfichen, Ihr hattet Beine
Wahl: in Thracien mußtet Ihr bleiben; denn es lagen Drei
ruder im Hafen, die Euch die Ueberfahrt wehrten ; blieb man
aber, fo war man in Feindesland, und hatte es mit einer
zahlreichen Reiterei, mit zahlreichen leichten Truppen zu thus.
Mit unfern Hopliten konnten wir vieleicht, wenn wir in
flarten Haufen in Dörfer eindrangen, . einigen, aber nur
fpärfichen, Mundvorrath anftreiben, zur Verfolgung aber
uud zum Erbenten! von SHaven und Scafen befaßen wir
Seine Mittel; denn ich fand weder Reiterei, uoch leichtes
Fußvolk mehr in braudhbarem Stande vor. Wenn ich nen
unter fo traurigen Umfländen, ohne irgend eine Löhnung
auszubedingen, Seuthes, der Beides, Reiterei- und leichtes
Fußvolk zur Derfägung hatte, mit Euch verbüudete, konnte
ich auch den Schein haben, als ob ich Euch übel berathen
wollte ?_ Vereinigt mit Diefen fandet Ihr doch wohl reichlis
dern Mundvorrath in den Dörfern, wenn Ihr die Thracier
nöthigtet, mit aller Gewalt zn fliehen, uud konnte fo mehr
in den Beh von Sklaven und Schafen kommen. Seitdem
die Reiterei zu ung gefloßen war, befamen wir Beinen Feind
mehr zu Gefiht; bis dahin folgte uns der Feind mit Reite⸗
rei und Fußvolk überall hin, und ließ und nirgends mit ge⸗
singerer Mannſchaft reichlichern Mundbedarf gewinnen. Wenn
nun der Mann, welcher Euch diefe Sicherheit verfchaffte,
nicht auch den erwarteten großen Seid Euch zahlte, ift Dieß
Siebentes Buch. 1649
ein: fo hartes Schichſal, daß Ihr glaubt, Ihe müßet mir
darob dad Leben nehmen? In welcher Lage ſeyd Ihr merm
bei Eurem Abzug? Habt Ihr richt den Winter hindurch alle
Bedurfniſſe reichlic, befriedigt und Das zurückgelegt, wa
Ihr noch aufferdem von Seuthes bekamet? Lebtet Ihr de
anf Koſten der Feinde, und veyloset dabei nicht einen einzi⸗
sen Mann, weder durch den Tod, noch durch Gefangenfchaft!
Wenn Ihr nun den in Aften gegen die Barbaren erfochtenen
Rahm behauptet, und durch die Beflegung der enropäifchen
Thraetier, gegen die Ihr zu Felde zoget, neuen Ruhm ein⸗
geerntet habt, fo ſeyd Ihr nach meinem Beduͤnken für Das,
worüber Ihr mir zürnet, den Göttern als für eine Wohl⸗
that zum Dante verpflichtet, So fieht es mit Euch. Wohlen
denn bei den Göttern, werft num einen Blick auf meine Lage.
Ars ich im Begriff war, nach Haufe zu reifen, fegelte ich
ab, begleitet von Eurem Beifall, fand in großem Ruhme bei
den andern Hellenen, und genof das Vertrauen der Lacedä⸗
monier; denn fonft hätten fie mich nicht wieder zu Euch her⸗
gefandt. Nun aber fdjeide ich, von Euch bei den Lacedaͤms⸗
nieen verleumdet, mit Seuthed Euretwegen verfeindet, wit
ihm, von dem ich hoffte, daß er für die Verdienſte, die ich
mir mit Eurer Hülfe um ihn erwarb, mich für mid und
meine Kinder, wenn ich Deren hätte, einen ehrenvollen Zu⸗
Auchtsort finden ließe. Ihr, deretwegen id) mit Mäns
nern, die mächtiger find, denn. ich, alſo zerfallen bin, für
deren Wohlfahrt ich noch immer nad Kräften thätig bin,
möget ein ſolches Urtheil über mich fällen? Wohlan! id
bin hier in Eurer Gewalt, wollte Euch weder offen, noch
heimlich entlaufen; wenn Ihr mir aber thut, wie Ihr fagt,
1020 Zenophon’s Feldzug des jüngern Eyrus,
fo wißt, daß Ihr Euch au einem Manne vergreift, ber für
Euch viele Nächte durchwachte, mit Euch fi vielen Mü-
hen und Gefahren nad unb über Gebühr unterzog, der,
unter dem Beiftande der Götter, in den Landen der Barbas
ren viele Siegesdenkmale errichtele, und jederzeit alle feine
Kräfte aufbot, damit Ihr Euch mit Feineni Hellenen verfeins
den möchtet. Nun könnt Ihr unangefochten zu Waffer und
zu Lande Euch wenden, wohin Ihr wollt. Da fich Euch fols
che Ausfichten eröffnen, und Ihr dahin abgehet, wohin Euch
ſchon lange der Sinn fland, da Euch die mächtigſten Helles
nen in ihre Dienfte und ihren Sold begehren, die Lacedaͤmo⸗
nier Eure Führer find, denen der Ruf den Preis der Ta⸗
pferkeit fichert; jest meint Ihr, fen es hohe Zeit, mir dad
Leben zu nehmen! Geht doch Nichts über Euer glückliches
Gedaͤchtniß! dachtet Ihr doc) ganz anders, als Ihr in Euern
Nöthen Euch nicht zu vathen und zu helfen wußte! Da
war ih Euch Vater, Wohlthäter, der ewig, wie Ihr ſagtet,
in Euren Herzen fortieben follte. Auch die Männer hier,
welche zu Euch gekommen find, haltet nicht für fo unbillige
Richter, daß Ihr glauben dürft, durch Euer Betragen gegen
mic, in ihrer Achtung zu gewinnen.” Damit fchloß er und
trat ab.
Hierauf erhob fih der Lacebämonier Charminus und
ſprach alfo: „Ich glaube, Soldaten, Ihr thut dem Maune
hier großes Unrecht, wenn Ihr auf ihn böfe feyd; ich ſelbſt
“ Bann bezeugen, daß Seuthes auf meine und des Polynikus
Frage, was Xenophon für ein Mann fen, gegen ihn Nichts
einzuwenden hatte, ald daß er, wie er ſich ausdrückte, ein zu
großer Soloatenfreund fen; wodurch er fich ſowohl bei ung
Siebentes Buch. 41024
Lacedämoniern, als and) bei ihm im Lichte fände. Nach,
ihm trat Eurylochus aus Zufl in Arkadien auf und fagte:
„Ic bielte es fürs befte, Ihr Lacedämonier, wenn Ihr:
Euern Dberbefehl über und damit begännet, daß Ihr und
von Seuthes, er mag wollen oder nicht, unfre Lohnung ver
Schafft, und ung nicht eher von dannen führt.‘
Hierauf erhob ſich der Athener Polykrates und ſagte:
„Wie ic) fehe, Soldaten, ift ja audy Heraklides gegenwärtig,
der die durch unfern fauern Schweiß errungenen Güter in Em;
pfang nahm und verkaufte, den Erlös aber.weder an Seuthes,
noch an uns abgab, fondern diebifcher Weite für ſich behielt.
Wenn wir num klug find, .fo halten wie uns an ihn; .denn
er ift nicht Thraeier, fondern hat als Helene an feinen -
Landsleuten den Schurken gemacht.‘
Hierüber ward Heraklides aufs äußerſte beſtürzt, ging
zu Seuthes und fagte: „Wenn wir Bug find, fo- entfernen
wir und aus bem Bereich diefer Leute. Gie fliegen zu
Pferd und fprengten nach ihrem Lager zurück. Don da ſandte
Seuthed feinen Dolmetſcher Abrozelmes an Kenophon, und
ließ ihm fagen, er folle mit taufend Hopliten bei ihm biei-
ben; er verfpreche ihm, die feften Plaͤze am Meer, und Al⸗
les, was er ihm zugeſagt habe, zu verabfolgen. Insgeheim
ließ er ihm noch fagen, er habe von Potynikus gehört, This
bron laſſe ihn, fobald er in der Gewalt ber Zacedämonier
fey, am Leben firafen.
Das Nämliche fagten Xenophon auch nad) viele Andere,
er fey übel angefchrieben und habe fid) in Acht zu nehmen.
Auf diefe Kunde fchladytete er Zeus dem Könige zwei Opfers
thiere, um zu erforfchen, ob es für ihn beffer und vore
1022 Xenophon’s Felbzug des: jüngern Cyrus.
theilhafter wäre, unter den angebetenen Bebingangen bei
Seuthes zu bleiben, oder mit dem Heere abzuziehen. Der
Gott bedeutete ihm, mit abzuziehen.
„.. Geuthes rädte nun mit feinem Lager weiter weg,
die Hellenen aber legten ſich in Drfer ein, von wo fie nach
reichlicher Beköftigung zum Meere kommen woliten. Die
Dürfer aber waren non Genthes an Medoſades gefchenft
worben. Als Diefer fab, daf von ‚den Hellenen in Jen Doͤr⸗
fern Altes anfgezehrt wurde, war er fehr ungehalten, umb
Sam mit einexı Odryfier, einem der Augefehenften. und Maͤch⸗
‚tigen von Denen, welche vom Gebirge herabgekommen wa-
zen, nad einem Gefolge bon dreißig Reitern zu: dem Helle⸗
nifchen Zager, und :ließ. Xenophon herausrufen. Dieſer kam
mit einigen Hauptleuten und noch andern geeigneten Männern
heran; worauf Mehofades Folgendes fagte: „Es iſt nicht
recht von Euch gehandelt, Kenephon, daß Ihr nufre Dörfer
verheeret. Wir befehlen Ench alfo, ich in Seuthes, Diefer in
des Mebokus Namen ,. ver bie Bergthracier beherrſcht, das
Sand zu verlafſſen; wibrigenfalls:wir Maßregeln gegen: End)
ergreifen, and ‚bei weiterer Beichäbigung des Landes Euch
als Feinde behandeln werden.” |
Kenophon .erwicherte: hierauf: „fat verdrießt es mich,
dir auf foldye Beben zu antwortenz doch diefes jungen: Man⸗
nes wegen will ichs thun, damit er fickt, was The and wir
für Leute find. Ehe wir ung mit Euch befremdeten, zogen
wir Durch: diefes Land, fensten und brannten, wie es uns
‚geile. Da Du zu und als Gefanbter kamſt, fhliefft du. in
unſerm Lager, mhne: irgend einen Feind zu fürchten. Ahr
‚dagegen kamet nicht in dieſes Land, oder, wenn Ihr fa:
Giebentes Bud). 2025
met, fo finden Eure Pferde aufgezännt im. Lager, als im
Gebiet eines überlegenen Feindes. Run wir Eure Freunde
wurden, wolft Ihr, nachdem Ihr mie ımfrer und Der Göt⸗
ter Hilfe von dem Lande Beſitz genommen habt, aus ihm
ung vertreiben, und, die wir es erobert, und uch abge:
treten haben. Denn der Feind war, wie. du felbft weißt,
nicht im Stande, nnd daraus zu vertreiben. Weit entfernt
aber, und für. Die Berbienfte, die wir ſuns um dich erwor-
ben haben, mit Gefchenten und Beweisen des Wohlwolleus
zu ehren, möchteft Du , fo viel an dir ift, ums ſogar verweh⸗
ren, hier unter freiem Himmel uns zu lagern, bis wir von
bannen ‚ziehen. Schämft du dich nicht mit ſolchen Reben
vor den Göttern und vor diefem Manne, der dich nun
im Reichthum fieht, da du doch vor unfrer Freundſchaft,
wie du ſelbſt geftehft, vom Raube leben mußteſt? Und wa⸗
zum ſagſt du zu mir Sokhes? Ich bin nicht mehr Befehls⸗
aber ; die Lacedämonier find es, denen Ihr, vermöge Eurer
:Meisheit , :hinter meinem Rüden die Abführung des Heeres
übertruget, da ich fonft, wenn ich ferbft ihnen das Heer: über⸗
ab, ebenso ihre Gunſt wieder gewann, wie ich fie-verlor,
daß ich ed Euch zuführte,'‘
Als Dieß der Odryſier hörte, -fagte er: „Medoſades,
id) möchte bei diefen Worten in die Erde finten; wenn id)
06 feüßer gewußt Hätte, ſo wäre ich dir nicht. gefolgt.
Jetzt gehe ich fortz.denn der König Medokus wärde ed fehr
-mißbtlligen, wenn ich Eure Wohlthaͤter mit aus den Lande
vertreiben wollte. Damit fchwang er: id) aufs Pferd, und
titt mit den meiften Reitern bavon ; nur vier oder kunfe blie⸗
ben zurück.
4024 Zenophon’s Felbzug des jüngern Cyrus.
Medofades aber konnte ed nicht verfchmerzen, daß da
Land alfo mitgenommen wurde, und hieß Kenophon die bei
den Lacebämonier rufen. Er ging mit geeigneter Begleitun
zu Charminus und Polynikus, und fagte ihnen, daß Medoſa
des fie zu fprechen wünfche, um ihnen, wie ihm ſelbſt, zı
befehlen, das Land zu räumen. „Ich glaube, Ihr würdet
dem Heer den rüdftändigen Sold verfchaffen, wenn Ihr fag:
tet, das Heer habe von Eud) begehrt, ihm bei Seuthes, er
möge wollen oder nicht, zu feinem Solde zu verhelfen; nach
Empfang deffelben wolle ed Euch willig folgen; Ihr hieltet
diefe Forderung für gerecht, und hättet verſprochen, nicht
eher das Land zu räumen, bis das Heer empfangen hätte,
was es verfangen könnte.‘
Auf diefen Vorfchlag erklärten ſich die Zakonier bereit,
Dieß zu than und ihre Forderung auf’d nachdrücklichſte zu
unterftüäsen, und gingen fogleish mit den geeigneten Männern
hin. Charminus ;fagte nun: „Haſt du und Etwas zu er:
öffnen, fo fage ed; wo nicht, ſo haben wir dir Etwas zu
ſagen.“
Medoſades ſprach in ſehr demüthigem Tone: „Ich und
Geuthes halten es für billig, daß nunfern Freunden von Eud)
Nichts zu Leide gefchehe; denn was Ahr Diefen thüt, das
thut Ihr und, weil fie jebt und angehören.‘
„Wir zögen ab,“ entgegneten die Lakonier, „wenn die
Männer, welche Euch in diefen Stand verſehten, ihren Lohn
‚empfangen hätten; widrigenfalls find wir jebt da, ihnen bei:
zuſtehen und an Denen Rache zu nehmen, die ihnen dem
beftehenden Vertrag zumider Unrecht thaten. Seyd Ihr fol-
Siebentes Bud). | - 4025
he Leute, fo wollen wir bei Euch anfangen, unfer Recht zu
ſuchen.“ | —
.Zenophon ſetzte hinzu: „Wollt Ihr, Medoſades, De⸗
nen, in deren Land wir find, und welche Ihr Eure Freunde
nennt, überlaffen, zu entfcheiden, Wer von ung, Ihr oder
wir, diefed Land verlaffen fol ?' Er verftand fich nicht da⸗
zu, fondern ſchlug vor, Die beiden Lakonier follten des
Soldes wegen zu Seuthed gehen: fie würden ihn gewiß will:
fährig finden ; wo nicht, fo follten fieXenophon ihm beigeben;
ex felbft wolle fic, dafür verwenden: nur follten fie die Dör⸗
fer nicht niederbrennen.‘'
Sie ſchickten demnach Zenophon mit den hiezu geeignet:
ften Leuten ab. Als er bei Seuthes ankam, fprach er, wie
folgt:
„Nicht um Etwas von dir zu erbitten, Seuthes, bin ich
zu div gekommen , fondern dic, wo moͤglich zu überzeugen,
daß du mit Unrecht auf mich zürnteſt, wenn ich für die Sol:
daten den Sold forderte, den du ihnen freiwillig verſprochen
haft. Denn ich hielt ed für nicht weniger vortheilhaft für
dich, ihn auszuzahlen, als für Jene, ihn zu empfangen.
Erſtlich waren fie ed, welche dich, naͤchſt den Göttern,
dadurch, daß fie dic zum König über ein fo großes, bevöl⸗
kertes Sand magıten, auf einen jo erhabenen Standpunkt
ftellten, daß es Meiht verborgen bleiben kann, ob du eine gu⸗
fe, oder einE fchlechte Haudlung begehft. Für einen Mann,
wie du bift, ſcheint es mir, wichtig zu ſeyn, nicht das Anfes
ben zu haben, ald ließe ev Männer, die ihm Gutes thaten,
unbeloßnt von damen ziehen, wichtig, bei fechstaufend Män«
nern in gutem Leumund zu flehen, am wichtigften aber, auf
Renophon. 86 Bdehn. 7
e
2026 Zenophon’s Zelbzug des jüngern Cyrus.
keine. Weife in Zuſagen ſich als unguverläßigen Mann zu
zeigen. Wir erleben es täglich, daß die Reden unzuverlä⸗
ßiger Leute eitel, unkraͤftig und ungefchäst an. dem Hörer
abgieiten, während die Reden Soicher , deren Zuverläßigbeit.
anerkannt iſt, ebenfo viel fruchten, als Auberer Gewalt.
Wollen fie Andern. den Kopf zu Recht fegen, fo haben ihre
Drohungen diefelbe Kraft, als bei Andern wirkliche Zuͤchti⸗
gung; verſprechen fie Etwas, fo gilt ihr Wort eben fo viel,
als baare Bezahlung bei Andern. Erinure dich, ob du uns
Etwas voransbezahlteft, ald wir deine Bundesgenoffen wur⸗
den? "Nichts, fo viel ich weiß. Im Vertrauen auf deine
Wahrhaftigkeit ſeßten fich fo.viele Menſchen in Bewegung,
um dir im Kriege beizuftehen, und ein Neich zu erkämpfen,
das doc, wohl weit mehr werth ift,ald die fünfzig Talente,
weiche: fie jest von dir fordern zu können glauben. Alſo
verkanffkt du um folchen Preis das öffentliche Vertrauen, das
Bir den Thron erwarb! Denke zurüd, wie hoch du es an⸗
fchingeft, Das zu erobern, was: du nun erobert haft. Ich bin
überzeugt, daß bu diefe Eroberung deiner jesigen Bellgun =
en nicht um eine ungleich größere Summe, als diefe iſt,
abtreten würdeſt. Ich halte dafür, daß es ein weit größerer
und fchimpflicherer Verluſt wäre, die jeyigen Vortheife nicht
zu. behaupten, als fie gar nicht erkämpft haben; wie
es weit empfindlicher ift, nach früherem Neilthum- arm zu
werden, ald gar nicht reich geweien zu ſeyn; wie es weit
ſchmerzlicher ift, von dem - Königsthron in den Privatſtand
herabzufteigen, als nie König gewefen zu fern: Wohl weiße
du, daß deine jehigen Unterthanen- ſich nicht aus Wohlwol⸗
len, fondera aus Noch zum Gehorfam gegen dich’ verſtanden,
GSiebentes Buch. 19027
And daß fie ſich wieder in Freiheit zu ſetzen ſuchten, wenn
fle nicht Furcht davon abhielte. Wie glaubft du, daß Diefe
deffer in Furcht und Unterthänigkeit erhaften würden, ent:
weder wenn fie fehen, daß die Soldaten fo geftimmt wären,
daß fie da blieben, falls du es beföhleft, oder auch nöthigen
Falls wieder Pämen, und daß auch Andere, wenn fle fo
viel Buntes von dir hörten, zu beliebigen Dienften bei dir
fi einfänden, oder wenn fie in der Meinung flünden , daß
aus Mißtrauen wegen der jesigen Vorfälle keine AUndern zu
Bir kommen, und daß Diefe es mehr mit ihnen als
mit dir haften würden ? Nicht weil wir ihnen an Truppen⸗
zahl überlegen waren, unterwarfen fie fich dir, fondern weil
es ihnen an tauglichen Führern fehlte. Iſt alfo nicht zu
befürchten, daß fie unter Denen, die fich von dir befeidigt
alanben, Sotche finden, oder noch beffere als Diefe, die La⸗
cedämonier felbft? Verſprechen die Soldaten ihnen mit deſto
mehr Eifer in den Krieg zu folgen, wenn fie ihnen zur Ber
friedigung ihrer Yorderungen an dich verhülfen, fo werden
die Lacedämonier gerne darem willigen. Daß die dir unterwor-
fenen Thracier Tieber gegen dich, als für dich föchten, unterliegt
feinem Zweifel; denn fiegft du, fo erwartet fie Knechtfchaft,
wirft du Aberwunden, Unabhängigkeit. Wenn dunun für das
Sand, dad jetzt dein Eigenthum ift, forgen mußt, glaubft du,
daß es mehr Schaden nehme, wenn diefe Soldaten, nad)
Empfang Deffen , was fie verlangen, in Frieden abziehen,
oder wenn fie hier, als in Feindesland blieben, und Du gee
nöthigt wäreit, mit einem überlegenen Heere, das doch auch
feine Bedürfniffe Hat, in's Feld zu rüden ? Auf welchem
1028 Renophon's Feldzug des jüngern Cyrus.
Wege wird wohl mehr Geld darauf geben, wenn du Diefen
deine Schuld abtrügeft, ald wenn du ihn ihnen. fchuldig
bliebeſt, und eine flärkere Macht gegen fie in Dienft und
Sold nehmen müßteft ? Doch Heraflides hält, wie er gegen
mich Aufferte, diefe Sunme für erſtannlich groß. Allein es
ift dir jegt doc, viel TYeichter, fie aufzutreiben und auszu⸗
zahlen, ald vorher, ehe wir zu dir kamen, auch nur den
zehnten Theil derfelben. Denn nicht die Zahl beftimmt das
Viel oder Wenig, fondern dad Vermögen Deffen, der da gibt
und empfängt. Deine Einfünfte von Einem Jahr werden
in Zukunft mehr befragen, als früher vielleidyt deine ganze
Habſeligkeit betrug. — Sch hatte bei diefer Angelegenheit
Zweierlei im Auge: für’s erfte wänfchte ich, als dein Freund,
Seuthed, daß du dich der Wohlthaten, welche die Götter
dir verliehen haben, würdig erzeigeft, und daß ich dadurch)
bei dem Heere nicht zu Schanden käme. ‚Denn wife, daß
ich jept, wenn ich auch wollte, mit diefem Heere eben
fo wenig dem Feinde ſchaden, als dir bei allem guten
Willen zu Hülfe fommen Eönnte. So ftehe id) zu dem Hee⸗
ve. Aber ich fordere dich bei den altwiffenden Göttern zum
Zeugen auf, daß ich nie Etwas von dir erhielt, das den
Soldaten angehört hätte, noch das Ihrige für mid) verlang-
fe, oder auch das mir von Div Verfprochene abforderte; ich
ſchwöre dir ferner, daß ich aud Nichts angenommen hätte,
wenn du mir’3 häfteft geben wollen, wenn nicht auch das
Heer das Seinige mit befommen hätte. Denn es hätte mir
Schande gebracht, für mich geforgt, ihren Vortheil aber nicht
berücfichtigt zu haben, zumal da ich bei ihnen ftetd mit fol-
cher Achtung beehrt wurde, Dieß Alles fiheint freilich dem
Siebentes Bad. 4039
Heraklides Nichts zu befagen, wenn er nur das Geld behaͤlt;
ich aber hafte dafür, Seuthes, daß für einen Mann, und.vol:
{ends einen Fürften nichts fchöner und ruhmvoller iſt, als
-Zugend, Gerechtigkeit und Edelmuth. Denn mit Diefen Ei:
:genfchaften ift er reich am Freunden, und an Solchen, die nadı
feiner Freundſchaft trachten; im Glück hat er Theilnehmer
feiner Freude; im Unglück ift Alles bereit, ihm beizufprins
gen: Wenn du aber aus meinen Handlungen nicht erfahelt, daß
ic) von Herzen dein Freund war, noch auch meine Reden
dir dafiir bürgen, fo denke mwenigftens an Das, was die Sol:
daten fagten. Dir flandeft dabei und hörteft, was Diejeni-
gen vorbracdhten, die mir Etwas anhaben wollten. Sie ga-
ben mit gegen die Lacedämonier Schuld , daß id) Dich ihnen
vorgezogen hätte; fie ferbft aber warfen mir vor, .daß mir
dein Vortheil mehr am Herzen liege, als der ihrige; auch
fagten fie, ich hätte Befchente von dir empfangen. Glaubſt
Du nun wohl, daß fie diefe Geſchenke als eine Folge von
Uebelwollen gegen dich anfahen, und nicht vielmehr als bie
Folge großer Zuneigung zu dir? Ich wenigſtens halte dafür,
daß alle Welt meint, man fey Demjenigen Wohlwollen fchuls
dig, von welchem man Gefchenfe empfängt. Du dagegen
nahmft mich, noch ehe ich dir in Etwas gedient hatte, mit
einem MWohlwollen auf, das fih in Bid, Stimme und Gaft-
freundlichkeit Fund gab, und konnteſt mir nicht genug Vers
fprechungen machen: da du aber deine Abſicht erreicht und
eine Höhe von Madıt erfliegen haft, wie fie immer nur möglich
war, kannt du ruhig zufehen, wie ich ohne Achtung und Ans
fehen beitm Heere bin? Doc ich hoffe, die Zeit wird dich
belehren, daß es billig ſey, dieſe Schuid abfutragen; und du
“
4080 Zenophon’s Feldzugn des Füngern Cyrus.
wirft es ‚unerträglich finden, mit anzufehen, wie Diejenigen, -
die auf. Treu und Glauben deine Wohlthäter wurden, nun
klagend gegen dich auftreten. Ich erſuche dich nun, wenn
du das Verlangte bezahlſt, mich auch bei dem Heere wieder
ſo zu Ehren zu bringen, als ich vor unferer Bekanntſchaft war.“
Als Seuthes Dieß angehört Hatte, verfiuchte er den
Dann, der Schu war, daß der Sold nicht längſt ſchon ab⸗
bezahlt wurde; wobei Ale der Meinung waren, daß er He⸗
raklides Damit meinte. „Ich Tieß mir nie einfalfen,‘ ſagte
et, „uch den Sold vorzuenthaften, und will ihn bezahlen.‘
Da fuhr Kenophon fort: „Da du Dichalfo zur Ausbe⸗
zahlung des Soldes verftehft, ſo laß es durch mic, gefchefen,
und gib nicht zu, daß ich durch dich von der Achtung ver⸗
liere, in der ich ſtand, als wir zu dir kamen.“
Seuthes entgegnete: „durch mich ſollſt du bei dem Heere
Nichts an Achtung verlieren, vielmehr, wenn du mit tau⸗
ſend Hopliten bei mir bliebſt, die feſten Plaͤtze nebſt Allem
haben, was ich fir sugefagt habe.
Renophon antwortete: „Das geht nun nicht mehr an;
laß uns nur ziehen.“
„Und doch iſt es, ſag' ich dir,“ verſetzte Seuthes, „für dich
ſicherer, bei mir zu bleiben, als fortzuziehen.“ Er erwie⸗
derte: „Ich bin dir für deine Sorge verbunden; ſey indeſſen
verfichert, daß, wo ich zu Ehren komme, es nicht dein Scha⸗
den ſeyn ſoll.“
Hierauf ſagte Seuthes: „Geild habe ich keines; das wer
nige, welches ich vorraͤthig habe, und dir geben will, beträgt
nicht einmal ein Talent; dagegen folft du ſechshundet Rin«
der und viertaufend Schafe, nebſt ungefähre hundert und
GSiebentes Vuch. — 260634
zwanzig Sklaven haben. Dieſe ninm mit den Geißeln Des
rer, die den Wertrag gegen dich gebrochen,: mit dir fort.“
Zenophon fagte lachend; „Wenn dieß Alles nun nicht
zur Löhnung hinreicht, weſſen Eigenthum foll dann das Tas
- dent ſeyn? Glaubſt du nicht, daß es für mich rathſamer tft,
durch eine ſchleunige Abreiſe der Steinigung zu entgehen ?
Du weißt, was fie mir zugebacht haben.‘
Sie bleiben nun diefen Tag noch bei ihm.
Am folgenden Tag übergab ihnen Seuthes das Verſpro⸗
dyene , und ließ dad Vieh durch feine eigenen Leute in das
Sager treiben. Die Soldaten Tagten indeſſen, Xenophon fep
zu Seuthes gegangen, um bei ihm zu bleiben, und das ihnen
Berfprochene für fich zu behalten; da fie ihn aber kommen
fahen, liefen fie freudig ihm entgegen.
Als Xenophon Charminus und Polynikus erblickte, fagte
er zu ihnen: „Dieß iſt Alles, was ich von Seuthes durch
Euern Vorſchub für dad Heer erhalten konnte; nehmt und
pertheilt es nuter dad Heer.“ Sie nahmen ed in Empfang,
dießen es durch beſonders hiezu aufgeftellte Kleinhändler ver =
kaufen, wobei man fie vieler Unterfchleife befchuldigte.
Kenophon nahm ſich Deffen nicht mehr an, ſondern
fAyichte fich unverhofen zur Abreife in die Heimath an; denn
das Verbannungsurtheil war in Athen noch nicht über ihn
ausgefprochen. Es Famen indeflen feine Freunde im Lager
zu ihm, und baten ihn, fich nicht eher vom Heere zu tren⸗
nen, als big er es abgeführt, und Thibron übergeben häfte.
8. Von hieraus fchifften fie nach Lampſakus *) über. Hier
*) Das jegige Lapfat oder Lapfer in Kleinmyſien, eimer
Landſchaft Kteinafiens, an ber Hüfte der Propontis ober des
heutigen Meeres von Marmora.
AM
41052 Renophon's Feldzug des füngern Cyrus,
traf Kenophon den Seher Euklides, aus Phlius, * bes
Kleagovas Sohn, welcher bie in dem Lyceum aufgefelkten
<raumgemälde gefertigt hat. Diefer bezeugte Xenophon feine
Freude über feine glückliche Zurückkunft und fragte ihn, wie
viel er Geld hätte, Als er ihm verficherge, daß er nicht
‚einmal hinlaͤnglich Reifegeld ‚zur Heimkehr hätte, wenn er
nicht fein Pferd und Altes, was er bei ſich habe, verkaufte,
fo wollte er ihm nicht glauben: -
Da ihm, aber die Einwohner von Lampſakus Gaftge-
schenke zufandfen, und er dem Apoll opferte, zug er Euklides
bei; und nad) Befichtigung der Opfer fagte er, nun glaube
er ihm, daß er Fein Geld habe; aber id) weiß auch, ſetzte er
hinzu, „daß, wenn dir auch einmal Solches werden füllte,
dir Etwas im Wege ſteht, und wenn es auch nichts Anders
feyn follte, als du ſelbſt.“ — „Das mag wohl ſeyn,“ antwortete
Xenophon. — ‚Dir ift, „fuhr Sener fort, „Zens Milichius **)
entgegen.’ Haft du ihm fchon einmal auf die Weife geopfert,
wie ich zu Haufe für Eudy zu opfern pflegte, indem ich das
ganze Dpfer verbrannte?“ Er erwieberte: „ſo lange ich
von Haufe weg bin, habe ich diefem Gott noch tie geopfert.’
Da rieth er ihm, dem Gotte auf die gewohnte Art zu
opfern; dann werde es ihm beffer gchen.
Am folgenden Tage begab ſich Kenophon nach Ophry⸗
nium ***), wo er nad) heimifcher Sitte zwei Schweine als
DBrandopfer darbrachte; das Opfer war ihm gänftie. ° "
- *) Stadt in Achaja im Peloponnes.
”) Eigentlich der Freundliche, der Verſoͤhnliche, oder
der Verſoͤhner.
+4) Eine Stadt nahe bei Dardanus, in ber Landfchaft Troas. im
Kleinphrygien, am Aegaͤiſchen Meer.
Siebentes Buch.
An dieſem Tage Fam Bion und mit ihm Euklides an—
um dem NHeere Gelder ausznzahlen, fchloffen Gaftfreund -
fchaft mit Zenophon, und gaben ihm fein Pferd, das er in
Zampfatus um fünfzig Dariken verfanft hatte, ohne den
preis deffelben wieder anzunehmen, zurüd; denn fie hatten
‚gehört, er halte viel auf das Pferd und vermutheten, er habe
ed aus Noth verkauft. Don da zogen fie durch Troas und
gelangten über den Berg Ida *) A ag nady Antandrus; **)
von da kamen fie längs dem Meere nach der Ebene von
Thebe ***) in Lydien, fodann durch Atrampttium + und
Eertonium +1) an Utarneus +rr) vorbei, in die Ebene des
Kaitus *) und erreichten Pergamus **) in Myſien.
Hier fand Kenophon bei Hellas, der Gattinn des Gons
gylus aus Eretria ***) und Mutter des Gorgion und Gon-
gylus, eine gaftlihe Aufnahme. Sie fagte ihm, daß fich
ein Perſer, mit Namen Afidates, in der Ebene aufhalte;
wenn er bei Nacht mit dreihundert Mann auegbgeı fo könnte
er ihm mit Fran, Kindern und bedeutenden Schägen aufhes
ben. Sie gab ihm ihren Neffen, und Daphnagoras, anf den
fie fehr viel hielt, ald MWeaweifer mit.
Mit Diefen opferte Xenophon, und Der Seher Bafiad
ans Efis, welcher zugegen war, verficherte, daß die Opfer
fehr günftig wären, und er des Perfers würde habhaff
*) Hent zu Tage Kaz Day, Kara Dagh.
*5) Gleichfalls in dev Landſchaft Troas; noch heut zu Tage ſteht
bier ein Dorf diefes Namens,
+4), Das afiatifche Thebe, weiches nach Homer Acilles zerftbrte.
7) Das Heutige Adramitty, Edremit, Yöramitt. ”
TH Wahrſcheinlich die Stadt Karine ded Herodet.
71) Seeſtadt in Myſien am Aegaͤiſchen Meer.
*) Dieſer Fluß ergießt ſich zwiſchen Atarneus und Eläa in
den Staitifchen Mieerbufen, und heißt heut zu Tage Erimas
eli oder Grimatli,
+*) Das Heutige Pergamo,
+4) Eine Stadtauf ber Infel Eub õ a, dem heutigen egroponte.
wa 4
7
403 phon’s Feldzug bes jüngern Cyrus.
5 ach dem Abendefſen/brach er, in Begleitung
Ate, die ſich früher als die ihm geneigteſten
Aften bewährt hatten, und denen er einige Vor⸗
Im. nden wollte, auf; es wollten ſich noch an ſechs⸗
bunden „Andere zur Theilnahme aufdringen ; die Hanpkleute
aber trieben fie zurück, damit ſie nicht von ihrem Antheite,
ben fie nur im Empfang nehmen zu Dürfen glaubten, ihnen
mittheilen müßten.
Als fie um Mitternacht ankamen , ließen fie die Skla⸗
ven, weld:e rings um den Thurn her flanden, und fehr viele
Beute entwifhen, um fich des Afidates ſelbſt und feiner
Schaͤtze au verfihern. Sie belagerten nun den Thurm; da
fie ihn aber wegen feiner Höhe und Größe, und weil er von
den Schugwehren herab von zahlreicher und ftreitbarer Manns
haft vertheidigt wurde, nicht nehmen konnten, unternahmen
fie es, ihn zu durchbrechen. Die Mauer hatte eine Dice
von acht Ziegeln.
. Mit Anbruch ded Tages war fie durchbrochen. Durch
die erfte Deffuung , die gemacht ward, durchſtach Einer dem
Nächftftehenden mit einem großen Spieße den Schenkel; ſo⸗
dann fchoßen fie mit Pfeifen hervor und machten jede Annd-
berung gefährlich. Auf ihr Gefchrei und ihre Nothfeuer
kam ihnen Itabelius mit feiner Manufchaft, aus Komania *)
Aſſyriſche Schwerbewaftnete, am achtzig Hyrkaniſche Reiter,
gleichfali Eönigliche Söldner, nnd noch gegen achthundert
eichtbewafinete zu Hülfe; auch von Parthenion **), Apol⸗
fonia ***) und den nahe liegenden Plägen eitte Fußvolk und
Reiterei heran.
Nun war es Seit, auf den Rückzug zu denken. Man.
fchloß ein Viereck, nahm Ochſen, Schafe und Sklaven in
die Mitte und z0g davon, indem man nicht ſowohl auf die
Beute Bedacht nahm, als darauf, Daß nicht etwa durch Zurücklaſ⸗
fung derſelben ihr Rückzug den. Schein einer Flucht bekäme,
2) MWahrfcheintich ein Schloß unfern Pergamus.
++) Stadt in Mofien.
+4), Stadt in Lydien im der Nähe von Thyatira.
— — —ü— — — — —
Girbentes Buch. 4056;
die Feinde fo: dreifter. würden, und die Soldaten den Muth
verlören ; nun aber hatte es bei ihrem Ruckzug den Schein,
ale od fie für die Beute kämpften.
Da Gongyius das Feine Häuflein der Hellenen von eis
ner fo großen: Macht bekämpft ſah, zog er ſelbſt wider Wil
fen. der Mutter mit feinen Leuten aus, um am Gefechte
Theil zu nehmen. Asch Prokles, ein Nachkömmling des Dama⸗
ratus, *) führte aus Halifarne *) und Teuthrania Hülfe herbei,
. Kenophon’s Leute, denen von den Bogenfchüben und
Schleuderern heftig zugefeht wurde, fchloßen einen Kreis, ***)
um ihre Schilde gegen das Gefchoß kehren zu können, und
vermochten nur mit Mühe, da die Hälfte verwundet war,
über den Kaifus zu fegen. Hier ward auc der Stymphalier
Agaſias, der immer mit dem Feind im Gefechte war, vers
wunbet. Indeſſen brachten fie doch gegen zweihundert Skla⸗
Sen Au fo viel Schafe, ald man zum Opfer braudyte, +) in
icherheit.
Am folgenden Tage opferte Kenophon, und 308 hieranf
bei einbrechender Nacht mit dem ganzen Heere and, um fo
weit als moglich in Fobien vorzudringen, und den Seind ba, wo
ex nicht, wie in der Nähe, auf feiner Hut war, zu überfallen.
Ars Afidates hörte, daß Kenophon wieder über einen
Zug gegen ihn die Opfer erforfchte, und mit dem ganzen
Heere gegen ihn Fommen: würde, z0g er mit feinem Lager in
bie in der Nähe von PartHenion Tiegenden Dörfer.
Hier ſtieß Kenophon mit feinem Heere auf ihn und nahm ihn
mit Iran und Kindern, Pferden und Allem was er Hatte, gefatts
gen. So.war bie frühere Opferdeutung in Erfüllung gegangen.
Nun gingen fie nach Pergamus zurüd Da Eonnte fich
Zenophon nicht mehr über den Gott ++) beklagen; . denn die
*) Bor. II, ı. g
**) Stadt in Myſien.
#38) Durch dieſe kreisformige Stellung wurden. bie Geſchoße, bie
nun meiſt ſchief anprallten, uswirkfam.
D Um den Göttern für ihre gluͤckliche Rüdtehe ein Dankopfer
zu bringen. Es mochten alfo nicht mehr Biele ſeyn.
HD Zeus Milichius.
4
1056 Zenophon’d Feldzug des fjüngern Cyrus,
Lakonier, die Hauptleute und die Abrigen Heerführer, ja felbft
die Soldaten forgten dafür, daß er nuter den Pferden, Ges
fpannen und der übrigen Beute die Auswahl erhielt, und fo
in den Stand geſetzt war, auch Andern wohlzuthun.
Nun tam Zhibron an, übernahm *) dad Heer, und zog
us deffen Vereinigung mit dem übrigen Helfenenheer gegen
Tifiaphernes und Pharnabazus zu Felde.
Folgendes **) waren die Statthalter in dem Reiche des
Königs, ſo weit wir es durchzogen : in Lydien Artimas, in
Phrygien Artakamas, in Lykaonien und Kappadocien Mis
thridates, in Eilicien Syennefis, in Phönizien und Arabien ***)
Dernes, in Syrien und Aſſyrien Belefis, in Babylonien Rho⸗
paras, in Medien Arbakas, im Lande der Phaflanen und
efperiten Tiribazus — die Karduchen, Ehafyben, Chaldäer, +)
akronen, Kolchier, Mofipuöten, Köten und Tibarener wa⸗
ren freie Volker — in Paphlagonien Korplas, in dem Bithy⸗
nischen Thracien Pharnabazus, und in dem Enropäifchen Seu⸗
thes +3). m
Der ganze Wes hin und her betrug au Tagemärſchen
zweihundert und fünfzehn, an Parafaugen eilfhundert fünf
und fünfzig, an Stadien vierumddreißigtaufend fechshundert
und fünfzig, trr) der Zeitraum des ganzen Zuges hin und her
ein Jahr und drei Monate.
*) Dieb fand nad) Rennel im Meäyg”oder April des Jahres 399
vor Chr. G. Statt. |
*+, Diefen ganzen Endabſchnitt halten Neuere für undaht.
ar) Vrgl. I, 5.
9 Bor. IV, 3. V, 8. Naq; Ritter find bie Chalyben und Chaldaͤer fo
zu unterſcheiden, daß ſie zwar verfchtedene, aber. vermiſcht un⸗
ter einander, oder wenigſtens neben einander wohnende Voͤl⸗
kerſchaften waren.
++) Kruͤger findet es unrichtig, dab hier die europaͤiſchen Thras.
cier als Untertanen bes Perfertinigs aufgeführt werden.
+44) Alfo ungefähr 780 geographifche “Meilen,
24
N
LS
8
1
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