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Full text of "Zeitschrift Für Deutschkunde. Ergänzungsheft 17.1921 Walter Hofftaetter. Forderungen Und Wege Für Den Neuen Deutschunterricht"

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2o 5 " 




$oröerungen unö IDege 

für 6en neuen Deut|d)unterri<Jjt 

Qerausgegeben non 

tOaUlfet fjofftaetter 



Oerlag non B.tö.lEeubner in teigig unb Berlin 1921 


Seitfdjrift für Deutfdjfunbe: 17. (Ergänjungsfyeft 


3nf)alt. 

, Seite 

Cinleitung. Don Stubienrat Dr. IDalther Hofftaetter in Dresben. 3 

£ehrplanentmurf. 1. Sprache unb Sdjrift. Don (Dberftubienbireftor Dr. Klaubius Bo« 

junga in 5r<mtfurt «• HX. 6 

2. Das Schrifttum. 3. Auffafc. Dom Herausgeber.8 

Spraye tmb Schrift. Don Klaubins Bojunga.13 

Der mittelhod|beutf(he Unterricht. Don Stubienrat Dr. Paul Dogel in 3midau . . 32 
Der Auffafc ber Unter« unb mittelflaffcn. Don Stubienrat Stils H em PeI in Droben 39 

Der beutfehe Auffafc ber (Dberflaffen. Dom Herausgeber.44 

£t)tif unb Ballabe. Don Stubienrat Dr. Julius Kühn in (Coburg.47 

Die beutfehe profabiebtung. Don Stubienrat Dr. 3oljann (beorg Sprengel in $ran!« 

furt a. lit.55 

3ur Dramenbehanbiung. Don Stubienrat Dr. $ran 3 Sdjnag in Hfl n «ooer. . 68 

(Befchicbte bes Schrifttums. Dom Herausgeber.92 

Die Dorgefchichte im beutfehen Unterricht. Don mufeums«Dotftanb Prof. Dr. Robert 

Belg in Sd}merin.100 

üolfs» unb Altertumslunbe. Don H°<^f^uIprofeffor Dr. Karl Reufdjel in Dresben . 109 
BUbenbe Kunft unb Rlufil im beutfdjen Unterricht. Don Stubienrat Dr. Ria; preitj 
in $rantfurt a. RI.. 116 













^ (Einleitung. 

i Pier $orderungen find es oomehmlich, Me |e%t an den Oeutfdfunterricht hetan« 
treten. (Einmal {oll er fidj einfteUen auf die Peutfchtunde, 3um andern {oll er mehr 
als bisher die ffiegenmart oerfteben lehren und für das £eben etjtehen. Das er« 
fordert aber eine Umfteßung in der Art der Behandlung: immer mehr müffen mir 
jtatt aufs (Eh^elne aufs ©an3e {eben, 3 ufammenfaffungen erftreben, und immer 
mehr mü{fen mir die Schüler felbft 3ur Arbeit betrieben. 

(Es mird nötig {ein, 3uer{t ßat3ufteßen, mas Deut{<btunde i{t. 

Deutfeh funde i{t tein $ach, {ie umfaßt — im meiteften Sinne — alle (Er{djei= 
nungen des deutfcben £ebens in Bergangenbeit und ©egenmatt, {ofem fie für deutfcbe 
Att be3eicbnend {ind. Sie miß das IBerden und den Reichtum der deutfcben Kultur 
mit dem gleichen (Ernft erfaffen und die 3 ugend 3U ihrem Berftändnis et3iehen, 
mie es etma die Altertumsmiffenfibaft für die Arttite anftrebt. Sie oorfolgt alle 
Stagen des deutfcben Pottslebens im Reich und im Ausland, fie miß alles beleuchten, 
mas deutfcbe fjer3en beroegt — foroeit es deutfcb. 

Peutfchtunde umfaßt nach Klaudius Bojungas glüdlithet Saffung: Sprache, 
Schrifttum und Kunft, Sitte, tPeltanfchauung und Recht, Stammesart, Polfsatt 
und Staat, £andjchaft, XDittfchafi und tDohnung. Unter Schrifttum ift dabei auch 
das miffenfchaftUche Schrifttum 3U oerfteben, fomeit es allgemein bildende tPerte 
enthält, unter Kunft neben bildender Kunft, Rtalerei und Kunfthandmerf auch IRufit 
und Gbeater, unter Boltsart auch die ©ntmicflung des Beutfchtums im Auslande. 

Paraus erhellt, äafc die Peutfchtunde oieles hetan3iehen mufj, mas 3ur fjeimat« 
tunde, (Erdfunöe, ©efchichte, Religion, ©eiftestunde und anderen Sägern gehört, 
aber mit den (Ergebniffen des befonderen Beutfcbunterrichts 3U einem großen ©e* 
{amtbild des deutfcben tPefens oereinigt metden mufe. Auch der ©efangsunterricht 
und das 3«»<^rten müffen ihr helfen. 3 br ©eift und ihr ©edanteninhalt müffen die 
gefamte (Erjiehung durchdringen, der gefamte Unterricht ift deutfchfundlich ein« 
3uftelten. 

IDas ift nun das 3 iel der Peutfchtunde? Sie roill alle Regungen des deutfcben 
£ebens betrachten, um an ihnen das deutfcbe tDefen in feinet gan3en mannigfaltig* 
teit erleben 3U laffen. Sie miß aßes auffudjen, mas die ©egenmart aus der Pergangen« 
heit oerfteben lehrt. Per Deutfeh fundier fteßt {ich alfo bemufet anders ein als der 
©efchichtsforfcher, der miffen miß, mie aßes mar, der ein lüdenlofes Bild der Per« 
gangenbeit erftrebi Pie Peutfchtunde betrachtet das £eben der Bergangenheit 



4 


(Einleitung 


nuc um bet ©egenroart willen, [ie fudjt nut bas auf, was weitetgewitft und Stückte 
getragen bat, bie für unfete 3eit noch bebeutfam finb; fie Reibet aus, was nur fln= 
fatj geblieben i{t; nut bann, wenn foldje Anfähe bie befonbete Stellung einer 3 eit 
311m Deutfdjtum erhellen, haben fie auch füt unfete Betrachtungsweife Bebeutung. 
Oie Oeutfchtunbe behält alfo, auch wenn fi<h ihr BlicE oft in bie Oergangenheit richtet, 
immet bie ©egenwatt im Sinn. Damit ift fdjon gefagt, bah richtig oerftanbene Deutfd?= 
funbe nichts mit htftorifc^em tttaterialismus ju tun hat. Sie wählt nut bas aus 
bet Oergangenheit aus, was {ich noch h eu * c lebenbig machen lägt unb was bas <S»e= 
fühl bet ©inigfeit mit unfetet Oergangenheit wedt. Datum ift fie auch frei non der 
©efahr, ein einfeitiges tDunjdjbilb oetflungenet 3eiten 3U malen, iht hat auch das 
IRittelalter, bet je%t fo oiel umftrittene gotifdje Rlenfdj nichts „Dorbilbliches", fie t»ifl 
hier nicht ein neues Rtuftet nah Art bet „tlaffifchen" aufftellen — aber fie muh 
immet wiebet 3um Btjttelaltet 3utüdführen, weil es am flatften bie notbifd^getmatti* 
fdjen Kräfte offenbart, bie auch beute noch unfete Art entfheibenb beftimmen. 

Dot einet ©infeitigfeit brauchen wir allerbings nicht 3utüd3uf<hteden: für uns 
hanbett es fich immet in erftet £inie um unfet £anb, unfete heimat, unfete 
ZDittfhaft, es ift oiel wichtiger, bah u>it wiffen, wie es bei uns ausfieht unb welche 
inneten 3ufammenhänge ba ootliegen, bah u>it unfet £eben oetftehen lernen, 
als bah wit überall auf bet ©tbe gleichmäfeig Befdjeib wiffen, abet nitgenbs heimifdj 
finb. Aber bie gerichtlich* Betrachtung lehrt uns immet wiebet, wie oft uns frembes 
IDefen geforbert, wie oft es uns gehemmt hat — bas gilt es fotgfältig 30 berüdfid?* 
tigen, wenn wit beutfdjes tDefen tlar etlennen wollen —, bas bewahrt uns aber 
00t jebet nationaliftifhen ©infeitigteit. 

güt alle Arten bet gerichtlichen Betrachtung wirb es banach gelten, bie 
gtohen £inien auf3U3eigen, Hat3uftellen, wie aus bet ©igenatt bes Oeutfchen 
immet wiebet bie gleiche Stellung 3ur 3 nnen* unb 3ut Umwelt etwächft: ben auf 
Bewegung unb ©ätigteit unb feelenoolle Durchbringung gerichteten 3 ug, bet bas 
tDetben hoher {teilt als bas Sein, ben burd) bas unerfchöpfliche Kraftgefühl be* 
bingten Unenblichteitsbrang, bet um bes ©ehalts, bes ©tlebniffes willen immet 
wiebet bie $otm fprengt, unb ben unetgtünbUchen ©ieffinn, bet fich hlt^ogen fühlt 
3U bet geheimnisoollen Quelle bes £ebens, um ihren ©wigteitsgehalt in bem ficht* 
Baten £eben immet reichet unb reiner au$3uwitfen — biefe btei groben 3üge, wie 
fie Paul £otenb gefaxt hat, gilt es im Unterricht hetaus3uarbeiten. Oabutch werben 
wit unfet Doll erfennen laffen als ein Dolt emfteftet Arbeit, ftärlften Ringens. 

U)ill alfo bie Deutfdjtunbe alle Regungen bes beutfchen £ebens oetfolgen, fo 
muh fie — roie batgelegt — bie meiften gäcbet mehr ober weniger in ihren Dienft 
{teilen; iht tjauptträger aber wirb bet Deutfchunterricht fein, et wirb fich batum 
in manchem nach Öen ©efichtspuntten bet Oeutfchtunbe wanbeln müffen. 

Oa3u wirb bet beutfche Unterricht auch erweitert werben müffen: einmal 
braucht et eine ©tgän3ung butdj eine planmäfjig ausgebaute ©eiftesfunbe, 3um anbetn 
muh et felbft allerlei aufnehmen, wofüt fich im Ausbau bet Schule fonft nitgenbs ein 
piäfcchen finbet: Dolts* unb Altertumstunbe, Rtufif unb Kunft unb gar manches auch 
aus ben ©ren3gebieten 3wif<hen Deutfeh, ©efchidjte unb Staatsbürgerfunbe. — 

Oie Oeutfchtunbe muh fl<h fchon beshaib fern oon aller Schwärmerei füt Der* 
gangenes hatten, weil fie ja butd? bas Derftänbnis bet ©egenwart, 3U bem alle biefe 



(Einleitung 


5 

Befc^äftigung mit ©efchichtlichem nut fügten foll, Öen tDillen 3ut ITUtaibeit werfen 
uoitl, öie £iebe 3U unfetem £anö unö Doll; weil fie öas Bewufetfein öet toirtjdjaft* 
Ketten unö fojialen 3 ufammengehorigteit werfen will unö öas < 5 efü^I, mitoetant* 
roortlich 3U fein. 

Das ift ihr letztes 3 iel: nicht nut öet ©rlenntnis 3U bienen, fonöetn auf Öen 
IDilten unö öas ©emüt 3U wirten. ©rft öie gem&toolle ©rfaffung öes teilen ©utes 
unfetet Dergangenheit, etft öie gemütoolte Betrachtung aller öet heimatwerte, 
öie auch öie ©egenwatt noch 3U bieten ^at, et3ieht Öen öeutjrfjen ITTenfdjen, Öen 
toit brauchen, lafet U}n wirtlich im Qeimatboöen, in öet Xllitte feines Dolfes wuseln. 

Diefes tiefe ©tleben aufjujeigen ift befonöets Sache öes öeutfchen Unterrichts; 
befonöets wirö er öurrfj öie Dichtung etleben laffen müffen, was öet übrige Unter 3 
ridjt bat oerfteben lebten, 3ufammenfaffen, was fonft nut im ein3elnen beobachtet 
tootöen ift: öie ©inbeit öes Gebens mufe hier gefühlt wetöen. Wichtig ift öabei, 
öafe wir uns nicht auf öie Cebensäufeetungen öet ieweils fübtenöen Kulturfchicht 
befcbränten, fonöetn auch alle geiftigen Äußerungen öet unteren Schichten öer Böller 
betrachten. 

Das gleiche 3 iel, immer für öas £eben 3U eqieben, bat öer Deutfchunterricht 
auch, a>enn et fidj öer anöeren großen Seite feiner Aufgaben 3uwenöet, öie mit öet 
Deutfihtunöe nicht unmittelbar 3ufammenhängt, wenn et öie petfönlidjen $äbig- 
leiten entwirfeln will, öie $ähigleit oerftänönisnollen ©enießens, öie $ähigteit 
fi<h felbft aus3uörürfen in Wort unö Schrift, fluch b'« gilt cs immer, 00m £eben aus 3 
3ugehen unö 3U ftärlen für öie Utitarbeit an öiefem £eben. U)it Deutfchlebrer legen 
großen Wert öarauf, öas feft3uftellen gegenüber Begebungen, öie Öen Deutfchuntet 3 
rieht nut auf öas ©efehiehtliehe einftellen unö ihm ebenfo öas fchöpfetifdje Rad} 3 
fchaffen eines Kunftwerles wie öie ©^iebung 3um eigenen Schaffen nehmen wollen. 
tDir müffen Öa3u aber Heuern Raum fchaffen im fluffaßunterricht unö bei öer Aus* 
wähl öes 3U £efenöen, insbefonöets entfdjieöen eintreten für öie et3öhlenöe Dich* 
tung öes 19 . 3 abrbunöerts unö öie £yril. 

Um für öies alles 3 eit 3U gewinnen, öürfen wir nicht nur eine ©rweiterung öet 
Stunöen3abl fotöem (fo unumgänglich fie ift), wir müffen auch fudjen, unfere eigenen 
Stunöen fo ftarl als möglich aus3ufüllen. Das bebeutet ein flbwenöen non öer all3u 
liebeoollen Dertiefung in ein ein3elnes Wert. Aber auch ohne biefen äußeren ©runö 
braunen wir öiefes ftarle 3ufammenfaffen beim £efen unö bei öer gefehlt» 
liehen Betrachtung öes Schrifttums, wenn wir wirtlich ein ©efamtbilö geben unö 
3eigen wollen, wie ftarl öas Schaffen »ergangener 3 eit narfjgewirlt bat unö wie öie 
letjten, tiefften Aufgaben 3U allen 3 eiten unfere Beften befd}öftigt haben. 

©nölich öet Arbeitsgeöanle. $ür feine Berechtigung braucht man nichts 
mehr 3U fagen, es gilt nur 3U 3eigen, wie er auch Öen öeutfehen Unterricht öutch 3 
bringen lann. 

Wirb öer öeutfehe Unterricht in öiefem Sinn ausgeftaltet, öannwirö er wirtlich 
jum IRittelpunft unferet Bilöung, öann wirö et in gan3 anöetem Ittaße öas Banö, 
öas alle Schulen umfd}lingt, Dolts* unö (Dberfdjulen, aber auch bie Berufsfchulen, 
öann hilft er Öa3u, öaß alle unfere Schulen öeutfehe £ebensfchulen wetöen. 

IDie fich auf ©runö öiefer ©eöanten öie Arbeit im eht3elnen geftaltet, 3eigen 
öie folgenöen Auffähe. Aus ihren ©rgebniffen crwächft ein 



6 


©efamtptan bes beutfhen Unterrichts 


(ßejamtpTan 6cs beutjdjen Unterrichts. 

{. Spraye un6 Schrift. 

Ootbemttfttng. 

(Es unterliegt immer einigen Bebenlen, ohne weitere (Erläuterungen unb Begrün» 
bungen nur mit turjen Stidjroorten onjugeben, wie bie Schule ben Unterrichtsftoff aus dem 
©ebiet bet beutfhen Sprache am beften auf bie einjelnen Klaffen oerteilen folle. Denn eine 
folche Inappe überficht ermedt 3 U leicht ben Anfdjein, als ob bet angeführte Stoff entmeber 
nur eben auf ber betreffenben Stufe 3 U beijartöeltt fei ober als ob er hier 3 uerft vorlaute, 
oielleicht auch, als ob feine Befyanblung hier ihren Abfdjlufe fänbe. 

Oaoon fann inbes bei bet (Eigenart bes Stoffs (eine Rebe fein. Denn jeber fad}oerftän= 
bige gachmann weih, wie einerfeits gerabe bet beutf<he Sprachunterricht fid) felbft mit ben 
fchwierigften letjten gragen bereits in ben unterften Klaffen an ber hanb leicht faßlicher 
(Ein 3 elbeifpiele fachlich befaßt — wenn auch natürlich nicht im 3ufammenhang unb mit 
tieferer Begtünbung —: man bente nur an ben Umlaut, an ben Bebeutungswanbel, an 
bas Derhältnis oon Ittunbart unb fjodjfprache. Unb anberfeits ift es felbftoerftänblich, bah 
auch bie Seiten ber Sprache, bie fdjon niebete Stufen nach ih tcm Umfang einigermaßen 
abfchliefeenb behanbelt haben, fpäter immer wiebet gelegentlich in oertiefenber Betrachtung 
unb mit weiteren Ausblitfen 3 m (Erörterung tommen: etwa bie Beugung, bet tDert ber 
Saßglieber, bie ©tunblagcn ber UJortbilbung. 

Der aufgeftellte plan tann alfo nur ben Sinn haben, baß bie angeführten Abfcbnitte 
unb Seiten bes ©efamtftoffs in ber angegebenen Klaffe im Ulittelpuntt ber Betrachtung 
3 u ftehen haben, weil fie fi<h für bie geiftige Reife ber Spüler befonbers gut eignen unb weil 
bie Derhältniffe bes fonftigen £ehtplans bie (Etlebigung ber betreffenben gragen hn beut* 
fchen Unterricht oerlangen; ich erinnere nur an bas ©infeßen ber erften gtembfprache in 
Sejta, ben Beginn ber 3 weiten gtembfprache in Untertettia. 

Allein unter biefem Dorbehalt unb in biefet Dehnbarleit habe ich ben hier folgenben 
Plan gemeint. 

Se;ta. 

©tunblagen ber Cautbilbungslehre (befonbers Bilbungsftelte unb Bilbungsart) am 
Dergleich oon Rtunbart unb ha^fpradje. (Einteilung ber £aute. £autgefd}t<htliche dinjeU 
heiten (Umlaut, Ablaut) an einfachen Beifpielen. 

IDortttaffen ber Renn* unb 3 eitroörter mit ihten midjtigften Unterabteilungen, Um* 
ftanbs«, Derhältnis* unb Binbewörter. 

Das RHchtigfte aus bet Beugung bet ffaupt*, Bei* unb 3eitwörter fowie einiges aus 
bet Beugung ber gürwörter. 

Dielfättige Übungen in bet (Erweiterung bes RJottfhaßes. Abgten 3 ung ber U)ort* 
bebeutung an leichten Beifpielen. 

Der einfache 3eitwortfaß unb feine fjauptglieber: Ausfage mit <Etgän 3 ung, (hegen* 
ftanb, 3iel, Umftänbe bes Orts, ber 3 eit, ber Art, bes ©runbes, bes mittels. Die (Bruppe 
bes haupt* unb Beiworts. 

Übungen in natürlichem, finnoollem Cefen unb Dortragen. 

Übungen im georbneten ©wählen oon (Erlebtem unb Dorer 3 ähltem (münblich unb 
fchriftlid}) antnüpfenb an bie Umgangsfprache unter Beoot 3 ugung ber Rebenorbnung unb 
unter allmählicher Bereicherung unb Derfeinerung bes R)ortfd}aßes. 

Quinta. 

* Cautwanbel butch Betonung (befonbers Schwächung, Dehnung, Ausfall unb Brechung) 
am Dergleich oon Rtunbart unb f}o<hfP ta <he fowie oon ©liebem berfelben Sippe. 

Silbenlehte (Arten unb BeftanbteUe). ©infache Bilbungsfilben unter Ijetausarbeitung 
ihrer Bebeutung. 




(Bcfamtplan des deutfdjen Unterrichts 


7 


(Einfache 3 ufammenfehungen ( 3 ufammentüdung, 3 ufammenfögung, 3 ufatnmenbil« 
öung). 1 ) 3 ufammenjtellung oon BDortjippen mit Beachtung oon Bildung und Bedeutung. 

Bedingfotm des 3 eitroorts. 

Oie Arten des Qauptfafees und ihre Betonung. Stellung der 3eitn>örtlid}en Ausfage. 

(Einführung in die Hauptfahoerbindung (Bindewörter, gürwörter). Stellung der 
< 5 lieber nach ber ©liedfchwete an ein3elnen Beifpielen. 

Übungen im £efen und Oortragen wie in Sejrta, doch unter aHmShH^er Betonung 
teilt h 0 <hfprad)lid}et Cautgebung. 

Übungen im mündlichen und fchriftlichen <Et 3 ählen wie in Sefta unter fronender 
Überführung der Umgangsfprache in die tjodjfptache. 

Quarta. 

©feines aus der Cautgef^ichte an der H«nd der Zltundart und der gremdfprache. 
Die £aute der Ho<hfP Ta <h*- £aute und Buchftaben. 

Umfehreibungen der 3«ten (Hilfs 3 eiiwörter). 

3 ufammenfaffung und ©gänjung der iDörtüaffen. 

Oer eingliedrige und der 3 eitu>ortlofe Sah. Oie tDortgruppe als Safeglied. Oer 3 U» 
fammengefehte Sah (Reih« und ©efüge). (Einführung in die £ehteoon den Rebenfäfeen: 
der Uebenfah als Sahglied und Beifügung, BOert und Stellung des Rebenjafees. 

IDeitere Übungen im £efen, Oortragen und freien Reden unter allmählicher Steige« 
tung der Anforderungen an £autteinheit, Sinngemäfeheit und Stimmung. (Einführung der 
Betreibung neben der (Etjählung (mündlich und fchriftlich) unter ftärlerer Betonung 
fachgemäfeer (Gliederung. 

Untertertia. 

Oas Sptadjroerljeug und die £autbildung. Oie getmanifche £autoerf<hiebung. Oie 
indogermanijehen Sprachen. 

Oie Bejeichnung der Handlungsarten und «ftufen. 

(Einführung in die Bedeutungslehre der Stämme und Bildungsfilben. 3ufammen« 
faffung der Bildungsfilben und der £ehte oon den 3ufammenfehungen, 

©efidjtspunfte 3 ut Oermeidung oon gremdwörtetn. 

tOeiterfühiung der Sahlehre: ©edanlen« und Safeentfprechung, Anordnung der Sah« 
glieder. 

gortführung der Übungen in freier Rede, im £efen und im Oortrag unter Ausdehnung 
auf anfpruchsoollere BDetfe. 

(Einführung der Schilderung neben Bef djteibung und <Et 3 ählung (mündlich und fchriftlid}). 

Obertertia. 

Hochdeutfdje £autoerfd}iebung, deutfehe RTundarten. 3 ufammenfajfung der £aut« 
lehre. Rtundarten und Hochfprache. 

Silbenbetonung (Haupt« und Rebenton, Stofe» und Schleifton ufw.). 

Übergänge der BDorttlaffen. H au Pfti<htungen des Bedeutungswandels. (Srundjüge 
der Angleichung. Bildliche Ausdrüde und JDendungen; Redensarten und Standesfprachen. 

Betonung des Satzgefüges, Safetifte und Safetonfall, Derfchiebung der Safebedeutung. 

Scfjmud und Radjdrud der Rede an einfachen Beifpielen. 

Übungen in freiem Reden, £efen und Oortragen mie in Untertertia. 

©Weiterung der £ehre oon der (Seöanlenordnung und ihrem Ausdrud in der Rede. 

Unterfefunba. 

Einführung ins Rlittelhochbeutfche unter Ausgehen oom mundartlichen und oon 
Altertümlichem in der Ho<hfP ia< h c * 

Oertiefung lautgefchichtliher Betrachtungen. 

©nführung in die BOortgefchichte (©broort, £ehn®ort, gremdroort). Sinnoerwandte 
BOötter, 3n>iQingsformeln (Knall und gall, Rächt und Rebel), Umdeutungen, Ramentunde. 


1 ) £andesgren3e — £anbgeridjt — (Grablegung aus «ins (Grab legen”. 



8 


(befamtplan bes beutfhen Unterrichts 

Behandlung des Shtoanlenben im Sprachgebrauch auf (Btunb gefhi<hWd?er übet ; 
legungen. 

Sttmmungswert bet Safcatten unb Satperbinbungen. 

Betrachtung oon ODerten bes Schrifttums nach bet ftiltünftlerifchen Seite (lEottfall, 
©ntfptedmng oon ©ebanlen unb Sah, £autmalerei, Stimmung ufw.). 

Übungen in bet herausarbeitung bes Stillünftlerifhen bei Cejen unb Dorttag. ITreff 5 
Übungen nach bet Seite bet tDortwahl unb Sahbilbung in münblichet unb fhtiftlid}ex Rebe 
mit bem 3 *cl fdjatfen unb ftimmungsoollen ©ebanlenausbruds. 

(Elfte Detfuche in einfacher Abhandlung übet genau befannte Stoffe ueben ben früher 
gepflegten Arten bet Darfteilung. 


(Dberfetunda. 

Der ©onwett bet £aute, ihte fünftlerifdje Denoenbung. 

Utfchopfung unb Keubilbung oon IDörtem. (Entftehung unb ©ntwidlung bet Beugung. 
Künftlerifhe Denoenbung bet IDörter unb gügungsmittel. 

überficht übet Bilbet unb IDenbungen nebft (Erörterung ihres Stilwerts. 

(Einführung in ben Stil bebeutenbet Schriftfteller, fjetausarbeitung bes Petfönfid?en, 
Canbfchaftlichen unb Deutfcben. 

gortfetjung unb Dertiefung bes tünftletifhen £efens unb Dortragens unter Beachtung 
bet Stimmbilbung unb Sprachfunft. 

©teffübungen wie in Unterfefunba.' 

TTtünMiche unb fchtiftliche Datfiellungen wie in Untetfeiunba unter (Erweiterung der 
Abhandlung durch Benufcung leichter (Quellen. 

prima. 

(Erörterungen übet Sprachbilbung im allgemeinen (Utfprung bet Sprache) unter An« 
fchlufe an bie ©efchichte bet IDiffenfchaft. 

Überblid über bie (5efdjid}te bet beutfhen Sprache, insbefonbere bet hochfprache 
unter 3ugrunbelegung oon Beifpielen. 

Kulturgefcbichtliche Betrachtungen an bet tjanb bes beutfchen IDottfchatjes (IDörter, 
IDenbungen, bildliche Ausbrüde, Ijanbwerlet* unb Stanbesfprachli^es, fremde Kultur« 
einflüffe wie Bibel, <5ried|entum, Shalefpeare ufw.). 

Die oöllifcbe Bebingtheit bet Sprache. ©efd}ichte bet grembwortbefämpfung. ©in« 
witfung bes Deutfdjen auf anbete Sprachen, ünfere Schrift, ©efchichte bet Rehtfdjteibung. 

Derhältnis bes Stils 3 U ben oetfchiebenen 3u>eden bet Sprache. 

£efen unb Dottrag, münbliche unb fchtiftliche Rebe wie in ©betfelunba. 

halbjährlich eine größere Abhanblung (Stubienarbeit) auf ©rund felbftänbiger, breiterer 
(Quellenarbeit. K. Bojunga. 


2. Das Sdfrifttiim. 

Dorbcmerfung. 

Roch fchwieriger als bei bet Spraye wirb es, bas Schrifttum in eine beftimmte golge, 
in einen feften Aufbau 3 U Zwängen, weil man bie ein 3 elnen IDerle rach Inhalt unb gorm, 
Stimmungsgehalt unb (Eingöngigleit in oerfchiebenfte 3ufammenhänge ftellen unb nah 
feht oetfchiebenen ©efidjtspunlten beleuchten unb datum oetfchiebenen Stufen 3 Ut»eifen 
tann. Darum ift es auch nicht möglich, eine fefte gemeingültige unb per* 
pflichtende Auswahl unter ben oothanbenen IDetlen 3 U treffen, ©s lann (ich 
nur batum handeln, eine untere tötete für bie Derftänbnismöglihteit feft 3 ujtellen unb 
3ufammenhönge für bie Behandlung 3 U 3 eigen. 

tDas unbedingt im £aufe bet 3ahte behandelt werben mufe, ift mit * be 3 eid?net; 
übet bie Derteilung biefes Stoffes müffen fi<h die gadjlehtet an jeder Schule einigen. 

©tunbföhüch ift feföuftellen, bafe bie (Einführung ins beutfhe Schrifttum Selbftjroed 
ift unb bafe biefet Unterricht nicht andern gächem bienftbat gemäht werben darf. 




©efamtplan bes öeutf©en Unterrichts 


9 


Unter ftufe. 

Cefen unb S©rifttum: VI—IV. Auf ffirurb eines beutf©funbli© gerichteten 
£efebu©s (Einfa©ftes an Zahlungen, Sagen, Schilberungen, ©ebidjten. (Es hanbelt fi© 
um bas (Erlernten ber Umwelt, babei ift bas Dollstümli©e 3 U pflegen fowie Stoffe, bie fo 3 iales 
unb n>irtf©aftli©es Derftänbnis anbahnen. 1 ) 

Oa 3 u treten etgän 3 enb für VI ©rimms Rtär©en, V ©rimms Sagen, IV helbenfagen 
(größere Sagentreife äuget Ribelungen unb ©ubrun) unb Dollsbüchet. VI—IV: DoRslieb 
(Singen!). 

DoIIstunbe im engften Anf©luß an ben Sprachunterricht (fjausbeutf©: gehobene 
Sprache, ©affennamen, tjausnamen, ^ausinfAriften. Bei ben Übungen 3 ur (Erweiterung 
bes U)ottf©aßes: Behanblung bet lanöfchaftlichen Derf©iebenheiten in ben Besegnungen 
ber Qanbwerter ufw.) unb an bas £efen: Sitte unb Brauch. 

Altertumstunbe: 3m Änf©luß an bie Sage, Hinweis auf oorgef©i©tli©e Stätten 
unb ihre S©äße: ©räber, gunbe, 3 . B. bie hohe tDertung bes Schwertes, bes ©olbes. 

ntittelftufe. 

Das £efebu© betont immer ftärler bas DoUslunbliche, D)irtf©aftli©e, So 3 iaIe. f}«x* 
aus 3 uheben: £anbf©aft unb Pflan 3 enwelt in Di©tung unb Sprichwort. Die (gefdjidjtlidje) 
Bailabe tritt in ben Dorbetgrunb, bie £yrit 3 urücf. Cetttere betont ftatt bes Allgemeinen 
bas Befonbere in ber Ratur. Die £yril als Ausbrud bes Döllif©en weidet ber £yrit, bie als 
Ausbrud bes perfönli©en (Erlebens erfcheint. 

Das £efebu© wirb in reichem Rlaße ergSn 3 t: Ulli: Deutfdte Uibelungenfage unb 
©ubrun. greytag: (Einige Bilber aus ber beutfcben Dergangenljeit. ♦©oetlje, Reinede gu©s. 
*S©illers Hell. Rooellen oon Paul Keller (©udtaften), <Ebncr*(Ef©enba© (Krambambuli), 
Schmitthenner (Didfopf, Seehunb),*Storm (Pole Poppenfpäler, Die Söhne bes Senators), Sped 
Qoggeli), Rofegger, 3aljn (Der ©eiget), Rieb! (Det ftumme Ratsherr), tjauff (£i©tenftein). 

OIII: Rorbifdje Uibelungenfage. ©ötterlieber ber poetifchen (Ebba. Sagas (Bonus 
3slänberbu©). Dramen: fjeyfe: Kolberg, U)ilbenbruch: Ulennonit, ©uißows. 

Rooellen oon S©mittbenner, 3ah” (gelben bes Alltags), *IUörife (Stuttgarter ffußel* 
männlein), Kut 3 , *Riehl (Stabtpfeifer, 3m 3«h« bes fjerm, Reiner U)ein), U>. 0 . poIen 3 
(Auswahl), *Raabe (etwa: ©Ife oon ber Ranne, Des Reiches Krone), ♦©. Keller (etwa: 
Kleiber machen £eute). 

DoIIstunbe in UIII unb OIII: Utythologie unb Religion bet ©etmanen. Dollslieb. 
Rlär©enmotioe, bie h»er 3 u paffen: .Aberglaube", RTunbartbichtung ber Heimat. 

Dollsetymologie: RJörter unb Sachen. H)i©tigfte gotmen oollstümlicher Dich* 
tungen. Briefe aus oerf©iebenen 3ahrhunberten. Stabt* unb Dorfgrünbungen, Bauern* 
unb Stabthaus. Sitte unb Brauch. 

£iteraturgefchichte: tjerausarbeiten oon ein paar ber houptföchlich behanbelten 
Di©tergeftalten. (Einführung in bas ZDefen bes Dramas unb ber RooeQe. 

Uli: [*fjomer, j m flnfc^lufe batan Schillers Siegesfeft, Kaffanbra, Aeneis; ©oethe, 
Achilleis; Hinweis auf bie antiten Stoffe bet ©per] *RIörite, Gurmhahn. *S©illets ©lode. 
Drama: *£effing, Riinnaoon Barnhelm. ♦©oetlje: ©öß. * Schiller: 3ungfrau oon Orleans. 
Rooellen oon Riehl, Schmitthenner ($riebe auf ©eben, Die grühglode), *<L g. Rleyet 
(©uftao Abolfs Page), ©. Keller (Die brei gerechten Kammacher), Stifter (ho©walb), Raabe 
(Warf© nach h au f e i *Schwat 3 e ©aleere), ♦Annette oon Drofte (3ubenbu©e), *£i!iencton 
(flbjutantenritte), Reuter: Stromtib. 


1 ) $üt bie £yri! hanbelt es fi© um bas rein gefühlsmäßige (Etfaffen bes Allgemeinen, 
<En>ig‘menf©Ii©en, bas im (Erleben ber 3 <>hres 3 eiten, ber ©riftli©en Safte, bet Dollsfitten, 
bet menf©li©en ©runbftimmungen unb ©runbbe 3 iehungen bem Kinbe 3 ugängli© ift. 
©hne baß man irgenbwie auf Dersmaß unb gorm eingeht, muß rein but© bie Art ber ge* 
mahlten ©ebi©te unb ben Dortrag bas ©efühl für bas Deutf©e unb für bas hohe bes 
bidjterifcben (Erlebens gewedt werben.— An BaUaben (ommt befonbers bie RIär©en*unb 
Sagenballabe in grage. 



10 


©efomtplan bes ö«utfd)en Unterrichts 


©bcrftufe. 

(3n Spulen, für 6 ie bet überganq oon UII nad) OII leinen ftarfen tDechfel unter 6 er 
Spülern bebeutet, Ift 3 U empfehlen, fdjon in UII mit bem ©nlefen ins ttlittetyod}öeutfd?< 
3 U beginnen, etwa mit greibants Befcheibenheit unb einem bet Spielmannsepen, 3 . B. 
Alpharts lob. Sonft: 

©berfefunba: gteiban!. ♦Hibehingenlieb mit Ausblicf auf Qebbels Zlibelungen, 
tDagner u. a. ©ubtun mit Ausbliden auf bas Haßleben. 

♦Das höfifdje (Epos. Da 3 u tDagner, hauptmann (Armer fjeintid} u. a.). Proben aus 
bet mitteli}od}beutfd)en £yri! (aufjer tDalther oon bet Dogeltoeibe) unb ben mittellateini* 
fdjen beutfdjen Dichtern. fllittelhochbeutfche Rechts* unb ©efchichtsquellen, Iltyftif. 3otyanne$ 
oon Saa 3 . Die Reformations 3 eit unb bas 16.3aljrljunbert: *Dol!sIieb. *£uthet, »hatts Sachs. 
tDagner, Rleifterfinger. 

3m Rtittelpunft ber Arbeit fteht bas £efen bet Schriftroerte. 3n engften 3ufammen- 
hang bamit tritt ber fiteraturuntertidjt. 1 2 ) 

Derfnüpfung mit ber Dolts* unb Altertumslunbe*): Dergleid} 3 toifchen 
gelben bet Döltenoanberungs 3 eit unb älterer Bron 3 e 3 eit. güngere Bronjejeit, ©ieroraa* 
ment ber Döltenoanberungs 3 eit unb ©otit. Stammesgefdjidjte unb gunbe. fjelöenfage 1 
unb ©olbfunbe. Keltifd?e Art, 3 uerft in bet £a*©bne»3eit, bann in ber ©rals* unb Artusfage. ! 

Dertnüpfung mit ber ©efd)ichte: Dom ©ermanen 3 um Deutzen: Das römifche I 
Deutfdjlanb, Dölfern>anberungs 3 eit, ©ermanenftämme. ©ermanen* unb ©hriftentum. ' 
Kirche unb ijeibnifche Überlieferungen. 3auberfprüdje unb 3«uber^anblungen. Die beutfd?e I 
unb bie norbifdje Mythologie. — £ieberftil unb epifd)et Stil. — Ritterliche tDelt, mittel* 
elterliches Bauerntum, jtäötifdje Kulturfieblung im ©ften, Stubentemoefen, £anbsfnechts* 
toefen. Römifches Recht in Deutfchlanb. 

Die oollstümliche ©runblage bet £iteratur bes 16. Jahrhunbetis. 

Drama: ♦Schiller, Rlaria Stuart ♦Kleift, Prin 3 oon homburg. ©rillparjer, ©ttofar. 
♦Ijebbel, Ribelungen. 

©t 3 ählenbe Dichtung: »Kleift (Michael Kohlhßös), ^offmann (Rleifter Martin 
ber Küfer), *3mmermann (©berijof) (ober OI), ©. £ubrolg (Ijeiteretei), ©otthelf, Stifter, 

©. greytag, Scheffel (©deljarb), »Keilet (tjablaub), ♦Storm, *<L g. RTeyet (Amulett), 
♦gontane (IDanbetungen, Dor bem Sturm), ♦Raabe, *©bnet«©fchenbach, Rofegger, h«ns 
hoffmamt, *£iIiencton. 

1 ) Der £iteraturunterricf)t barf nie ba 3 u führen, bafj ein ein 3 elnes ober eine golge 
oon 3 u|ammengehörigen Kunftroerien 3 erriffen »erben. 

© befteht im toefentliehen im 3 ufammenfaffen bes in bet £e!türe ©rtoorbenen untet 
ergän 3 enber fjetanjiehung ber Dichtungen, bie für ausgebehnteres £efen nicht in grage 
tommen. Unter heran 3 iebung bes gefamten Schrifttums, bet Kunft unb ber Mufif einet« 
feits, fotnie ber ©gebniffe bes fprndblichen Unterrichts, herausarbeiten eines ©efamt* 
bilbes jebes größeren 3eitraums. hie i 3 u ift möglichft bie Mitarbeit ber Klaffe 3 U er* 
ftreben, doch mu| ftellenroeife hier auch ber Dortrag bes £ehters einfetjen. 
£iteraturgefchi<htliche 3 ufammenfaffungen, etroa: 

1 . Ribelungenlieb, ©ubrun, 3 urüdg reifen auf helbenbicbtung: ßilbebtanbs« unb 
IDaltharilieb, ©ermanifche fjelbenfage. Ausblid: UHebetaufleben oet Sägern bet Romantif, 
IDeite rieben. heb bei, tDagner, ©etbel, ©mft harbt, Bailabe. 

2. ©ermanentum unb ©hriftentum: XDuIfila. Merfeburger 3auberfprüche. 
helianb (©tfrieb). ©hriftusbid}tung bes 19.3ahtbunberts. 

3. Diebeutfchen Dichterbes Iateinifchen Mittelalters (nach PauIo.lDinterfelb). 

4. höfifefjes ©pos: Dorläufer Ruoblieb, bie Spielmannsepen. Rachleben. 

5. DietPeltbes Rittertums. Daju Romanifche Bautunft. Ausflang: ITleierheim* 
brecht. 

6 . Don 1250—1500. Die ©otit unb bas Schrifttum bes Bürgertums: UTyftif, Rechts» 
unb ©efebtehtsprofa, Doltslieb, Drama, Meifterfang, gobannes 0 . Saar. 

7. Reformations 3 eit: £uther, Butten, Sachs, Doltslieb, geiftliche £ieberbi<hturtg, 
gifchart; ©rüntoalb unb bas Rürnberg Dürers. 

2 ) 3n jebem Kollegium mufj oereinbart roetben, ob bas Stoffliche in ber <5efchicf|te, 
im ©b* ober Raturtunbeunterricht, im Religionsunterricht ober in ber ITtufitgefehlte ge* 
geben werben foll. Sache bes beutfehen Unterrichts ift bie 3 ufammenfaffung unb ©ga^ung. 



©«famtofoB bes beutf©«« Unterrichts 11 

Unterprima. Don 1600 M* $u SdjKfets Kob; SOjä^tiget Krieg 5Mb 3<it bes Baröd 
mit proben oöä glentming, Cogau, ^ryp^ius, ©rimmelsbaujen und demKirdjenlteö, — 
Pfe geifHge Belegung iim 1700« — Das Äetoto/^ Kiopftod. Ceff^g (öabei BwiäijHif euf 
<Sott|«^eö unb bte Sdjmeijet)., Sjerbet. Oie ©Öttinger. Shmnunb Drang, ©öetfce istib 
Seiner bis 1805 , — 3«?ainnj«nfÄ{tu)!g’, Das Ringen bes beutfdjea ©elftes mit bet'häebfi«« 
3£unft aller Böller, ‘ / •„ - ''■ * / ‘‘ ' ' ‘C\ ■’ . -" 

Dramen*); Dorntofe. — £e?fing. RTirma(roenn n't^iin üfi), 

«©milia ©alotti, Rattan (t»enn rn^ft irspl). ©oet^e, ®gmont, *3p^rgente, — Spüler: 
«Die Raubet, Kabale wnb Diebe, Don Kariös, «Braut oon Rleffina. — Kleift, pentbefileä, 
*3«tbtod}enerKtug, fjermannsj#la$t. — ©KIlpatjer.^XBebbem, der lugt» *Sappbo, Rtebea, 
«XiÄuffa, — fjebbel, «jnaria Rtggbaletia. — fl)tto tubwig, «©rbfbrfter, — gtey tag, 3oür-> 
naliften. —Wagner, Uleifterfinger (wenn nicht irt O R>» — flniengtuber, Rteineibbauecv 
tBanffensttmtm, Das ulerte <5ebot. — Qauptmdn«, Si&efpelj, $ubmtattit ^enfdjcl, Röfe 
Bernd.— Staoenhagen, RTubbet Riems,Rdfertou>, Kater £ampe. 

Balloöenbicbtung, Die Baltabe uns &ie ®eödniiu&t8;hiftg S^illers; ©oetbW. £ytU: 
Rlittelbo^beutf^e £yrU, befonbm Walthertwijfc^ öbr^ppgelmetbc' £ynl bes 18. 3glR* 

^unöerts. poetbe, «^ermann üttb Dötatb«G- 

Das CC^eatec »on öen er«glifd?en Komebicmten bis Dcudfffiftbt. Kluft!: Kirchenlied, 
Kiräjenmufif, Sri|ü^, ^änöet, Bad!, ©tuS, Xjayön, Riojdrt, Beethoven. Biibdhöe Kunft. 

©betprima: Don Spülers Hob bis jur ©egemsari. 1 ) 

3ufatnmenfaffimg: Das Ringen um bk Stellung $um eigenen Dotf unb jur E&rrfiidjleit. 

lefeftoff; Xeffing, «Ilaiban, Stillet, «Wailefijtein, ©oetl)e, *$auft, JDagnex, *P«t* 
fifal. ©in Drama oon Shatefpeate. (Sin antifes Drama. 

flnfihliejjenb Dramen von ©rlüpanet (©albertes Dtief;, 3übin »on Solebo). Kleijt 
(tuen« ni^t fäon ftöjjet behandelt), f^ebbel (*Rgpes Bernauer), ©.Dubroig («IRaUabSerK , 

Xjauptmanu (Weber, ©infame IBenfdben, Xjannele) uff. 

£yti!: Don ©oetljes Cijtü, XjSIbettin unb der Romantif ausgeljenb proben aus der 
£yrif bes 19 . u. 20. 3abrhunbetts. — Rtufgreifen auf die mitteUjocftbeutf^e Syn!. 

ßr 3 äblenöe Didjiung: *©odhe, *3mmermamt, £ubt»ig fnrrtmel 

unb (Erbe), Keller (*§äf}niem bet fleben £Eufted)ten, §r<m Regel, Romeo unb: 3tilia auf 
dem Dorfe, panfroj bet Sdjmoilet), C. §. XReyet (3ütg 3«nätfth, £eiben eines Knoden), 
Storni (*$rf}iffljmefreltet, Aquis submersus), Raebe <*Jum ©Üben Öltmn, «Rite Reftet, 
Ijungerpaftöt), Soutane, Saar, <ibner=$fd}enbo*, Simm Kroger uff. 

Be)ie!jungen jmifdjerr £itetat«r unb bilbenbet Kunft }o©ie IRufi!, jioifdjen Dtomo 
unb Bübne (oon ©oetbe bis lut ©egenmatt). Die geifiige Sptipidlutig bes ig.;3g^uttbert$ 

unjktJ!efm^^ S^tifttums. 

Rüifblid auf die ©efamienttoitflyng bes beuijdjen S<^rifttums. 

nnö fflberprima. 

Dolts-» unb flltertumsiunbe. Bei Sdjiöers fulturbifiotijd)en ©ebtiifkn Blid 
auf bie ©nitoidlung an ^anö ber gunbe. Bei gerbet, ©oet^e unb bet Romanti! oolMsims 
liiie Betradjtungen. IDanölung beT Änfdjauungen über bas DoHslieb. flbfdjnUte uuö Dat- 

• ; 

1) 3cber £ebTet Tttu'g bier eustobbi*« :'Opdj äie Xeliüre fo georbnetajetben, 
bö'g fidb 5ufammenbänge imifdjen b«m U'k \mU Sa'brbvmb«t ergeben. Äis fcld?e 
©nippen empfehlen fiefj: bas- bürgerlidje tlrcättfpiil, b«5 fufifpirl, bas ^umanitatsibeal, 
giauertbwmen, Dichtung unb ©etdjidjt'? n.a. 

.2) Die Bcfymblung bewegt f*dj auf frttfer Stufe gonv \r.vi, i v nm« i|t auf größere 3«^ 
famtnenVSnge bin 3 u|treben (firagif ber ^etrfdjib.'^j, Dürfet «nb IDelirnann, Kun^ «nb 
€ebett, Soziales Drama, Datettanbsgefübl und ’St&ihKidantcaJiv ■/; Xi : 

Klar berausbeben muffen fidj PerfönUmTciten ffic lj.n.Kte.ifi, ©rtl^wrjer, <Hdjen<' 
5ot^Ublanb ( Rlörife,f5ebbel, ©. Srnbrnig, ®, Keller. ü'.S Kley«, Stnrm.Sjöntane.Önencton. 
4benfo ntftffeti bie etnjclnen Strömmrgen fiat bevpcrlteten. bh juro Sdjttfttum ber jüngften 
Dergangenljeii unb bet ©egenwart. Dabei ift bas JDertiiolifte rms bet Didjtung anoetet 
Obitcr beran^ujkben. ' ' ' : ■' 




12 


Gefamiplan bes beuttcn Unterrid|ts 


Stellungen übet Dolts* unb Altertumstunbe. Ausnütjen bet beginnenben Berufsrldjtung 
obet fonftiger Ueigung 3ut Dertiefung in bie Doltstunbe bestimmtet Gebiete. 

Pbilofophie: Der beutjdje Unterricht muh im flnjdjlufe an £efen bes Schrifttums 
unb Auffafe 3U pfydjologifdjen, philofophifchen unb logifchen gtagen fügten. 3 rt <Dber* 
prima ift ein befonberet 3ufammenfaffenber phttofophifchet Unterricht ooqufehen. 


3. Hnffafe. 


Oie Hauptaufgabe bes Auffafees ift bie <Et3iehung 3um genauen (Etfaffen unb 3um 
flaten Ausbtucf. 

Unterftufe. 

HMebergabe eigener (Erlebniffe. Qbetgang 3um Auffudjen bes (Erlebniffes: Beobachtung 
mit Auge, unb ®h r > ausgehenb oom (Einfachften. Steigerung 3U größeren Aufgaben, bei 
benen es gilt, bie bejeidjnenben (Einbrütfe aus3uwählen. Übungen oon folgern Dereinfachen 
butd? bie Üad)er3äblung. Derfeinerte Beobachtung unb Oatftellung. Anfä^c 3m (Eharafteri* 
fietung. Oatftellung aus bet (Erinnerung. Selbftänbige Antoenbung ber erwotbenen flus* 
brudsmittel im Phantafieaufjatj (bodj im Anjdjlufe an Selbfterlebtcs): Dermenfchlichen, 
hmeinoerfejjen in ein (Erlebnis ( 3 d)*Auffät)e). — 3 n Rüdficfit auf bie oetfdjiebcne (Eigenart 
bet Schulet bes öftetn nicht Stellung bes (Themas felbft, fonbetn bet 3ugrunbe liegenden 
Aufgabe. Gelegentlich 9<<n3 freiet felbftgetDähUet Auffa|. — Oetbinbung oon EDott unb 
3ei<hnung. 

9 Uttttelftufe. 


( 3 n Rüdficht auf bie Übetgangs3eil finb allgemeine (Themen unb phantafieoolte 3dj* 
Auffä^e unbebingt abjulehnen.) 

Ausbau ber Aufgaben bet Unterftufe. Dertiefung oon Gegebenem burdj Itebenljanb* 
(ungen unb Scbilberung bes^uftänblichen. Anfähe 3U nooellenartiget Datftellurg. 

gortführung bet Betreibung, oom <Ein3clfall 3um Allgemeingültigen, 3m Schilbetung 
mannigfacher S3enen. gortführung bet <Et3ählung burch Umgestaltung, <Ergän3ung oon 
Gegebenem in beftimmter Richtung (öramatifcfie S3enen). 

Beobachtungen mit gebanflidjet Schlußfolgerung baraus, erfte Detfuche in einfacher 
Abhanblung über genau betannte Stoffe, beibes auf Gtunb naturgemäher Glieberung. 
Briefe. (Tagebuch. 

(Dberftufe. 

gortführen bet Betreibung (im Anfdjluh an Gelefenes) unb (Erjählung (3. B. über* 
fehung nach mittelhochbeutfcher Quelle). 3 nhaltsangabe. Suchen eines Begriffs aus ge* 
gebenen <£in3el3ügen. Auffähe über Sprachliche (Etfcheinungen. Äuffähe, bie 3Ut petfönlichen 
Stellungnahme 3U einem U)er! bes Schrifttums führen. 

Auseinanbetfehen mit einzelnen IDorten unb Ausfpriichen mit IDerfen bet bilbenben 
Kunft — wobei bet Schüler gan3 unabhängig feine Uleinung fagen foll. (Eine grobe ein* 
gehenbe Unterfuchung in jebem 3 ahr über ein freigeroäbltes (Thema aus bem Gebiet bet 
Oeutfd)funbe. 

Perfönliche (Themen, bie bem Schüler helfen, ft übet ft felbft unb bie Umwelt flar 
3U werben. 

Die Aufgaben bes beutfehen Auffches finb mögltft fo 3U wählen, bah bie oerfchiebe* 
nen Ueigungen ber Schüler 3m Geltung tommen, bie retfehiebenen gähigfeiten geübt wetben. 

Allgemein: IDähtenb bes gefamten Cehrgangs Cehre oon ben Ausbrudsmitteln 
(bilblidie Ausbtüde, U)enbungen, Sdjmud ufw., aber nur bei ft bietenbet Gelegenheit). 
(Ebenfo oon Quarta obet Untertertia an befonbete Übungen im Sammeln, Sichten unb 
Gliebern oon Stoffen (ohne Ausführung in Auffc$en). pianmähige münblid.e Übungen 
in ber Stunbe, Übungen im Pottrag unb bet freien AusfpraQe. .jp jj offtaetter 

(Oie Oorentwütfe oon Bojunga unb mir haben einem Ausfchuh oon Dresbnet Deutfeh* 
lehrern oor ge legen unb haben banad} noch Deränberungen unb (Etc ä^ungen erfahren, 
güt meinen Seil höbe ich auherbem noch bie Kritit mehrerer Oeutfchlehrerausfd|üffe 
Sachfens benutzen tonnen, benen idj füt manche Antegung banlbat bin. 3 m gai<3en 
aber finb füt bie ootliegenben Porfdjläge bie beiben Perfafjet oeiantwortlich. D.fjtg.) 



Spraye uttö Schrift. 

Don Klauötns Bojanga. 

Der CeQrneg. 

«Erörterungen über einen Weg laufen fid} nur anftellen, wenn juoot Klarheit 
tjerrjdjt über Öen Ausgangspunft unb bas 3 iel> über bie Art ber Beförberung unb über 
äie Keifenben. (Es ift etwas anberes, ob ich oon grantfurt am Ittain nad} Wiesbaben 
ober nach Hamburg will, etwas anberes, ob id) oon Köln ober oon Berlin nach f}an* 
nooer will. Unb wieber ift’s etwas anberes, ob ich ben U)eg gufe, 3U pferbe ober 
3U U 7 agen mache, unb ob eine Kinbetfdjat Upcen U)eg felbft fudjt ober eine Sumer« 
fdjaft ihn unter bewährter Ceitung wanbert. 

So ift’s felbftoerftanblich auch mit bem Ce^tweg, bet auf höheren Schulen Deutfeh= 
Ianbs für irgenbein $ad} — welches es auch fei—gelten foll, unb alfo auch für ben U>eg 
bes beutf^en Sprachunterrichts. (Es ift baher unumgänglich, biefe Dotbebingungen 
jeher (Erörterung oorfjer feft3ulegen. 

Oer Ausgangspunft ift in biefem $all, ba ber Celjrweg bet oietjahrigen < 5 tunb= 
fdjule hier aufeet Betragt bleiben mufe: bas Sprach gut bes 3ehnjähtigen beutfehen 
Kinbes. Dies Sprachgut umfaßt im allgemeinen bie Umgangsfprache bet ©ebilbeten 
am Sdpilort in bem Umfang, wie fie bie geringe (Erfahmng eines fo fugenblidjen 
Alters 3U beherrfdjen oetmag, nebft bem, was ihm bie ©tunbfchule an Anfängen ber 
fjochfptache im Anfdjauungsunterricht, in erften fpraehlidjen Erörterungen beim 
£efe* unb Schreibunterricht, butdjs Cefebuch unb butch Detfudje im E^ahlen 
unb in fdhriftlicher Darftellung beigebradjt h«t. tDertooIl für bie Weiterarbeit ift 
oon biefem Befife befonbers bas außerhalb bet Schule, alfo 3U fjaus unb im Spiel 
gewonnene Sprachgut. Denn bas oor allem ift ftarf gefühlsbetont bas oor allem ift 
aus bem Bebütfnis herootgegangen unb ift oon ber Sache 3um Wort DotgeJdjritten. 
Dom Schulerwerb fommt wefentlich nur bas in Betracht, was fich auf ben Anfdjauungs* 
unterricht, befonbers ben in bet freien Welt braufeen genoffenen, grünbet; bann ge* 
fungene Kinbetliebet unb bas wenige, was etwa burdj Stegreifaufführungen ober 
anbere Wittel oöltig felbftänbiger Arbeitsleiftung 3um freubig errungenen Befife ge* 
worben ift. Aber bies gan3e Sprachgut barf man in feinem Werte nicht übetfdjäfeen; 
felbft in ihm finben fid? leere Worthülfen bie fjülle unb Sülle, ahmt bod) bas Kinb 
bewufet unb unbewufet bie Sprache bes (Etwachfenen auch ba nach, ®° es fic noch wicht 
ooll oerfteht. Unb über bie Erfolge — ober Wifeerfolge — bes eigentlich fptach* 
betrachtenben Unterrichts in einem Alter, bas biefem Stoff, oon Ausnahmen abgefeljen, 
nod} 9« leine (Teilnahme, gefchweige benn greubigteit, entgegenbringen fann, 
fdjweigt man am beften. ^ebenfalls finb fie fo gering, bafe bie aus allerlei Schulen 
3ufammengeftrömte Anfangstlaffe ben Stoff noch einmal gan3 behanbeln mufe, will 
bet Cehter auch wut einigermafeen ber Belanntfchaft all feiner fo oetfdpeben begabten, 
teilnehmenben unb oorgebilbeten Schüler mit ben einfachften ©runblagen fichet fein. 



14 


Sprach« unb Schrift 


Wenn aber bet flusgangspuntt, gait3 abgefehen oon bet Umwelt jebes cinjclner 
Schülers, (chon nach ben einjelnen Heimatorten notroenbig oerjchieben ift, fo ergib! 
(idj baraus, ba& aud} bet Celjrweg (tart ooneinanbet abroeichen muj$, ie nad}öem es 
fid} etwa um Heibelbetget, Ceip3iger, Königsbetget, IRünchnet obet Hamburger Kim 
bet hanbelt: Stoff unb Auswahl tonnen in biefen Sollen gat nicht gleich («in- Denn 
wit wollen bie Kinbet oot allem heimatfeft unb heimatftol3 machen; bas ©inunu^eln 
unb Detwachfen mit ©efamtoolt unb Datetlanb tann erft bas 3weite (ein, weil es nur 
bann echt unb bauetnb ift, wenn es biefelben U)ut3eln finb, bie oom Heimatboöen aus* 
gehenb in ihrem Wachstum auch ben weiteten Boben bes Allbeutfcfjtums burchötingen. 

Das 3 iel ift alletbings bies Detwwgeln im Deutfdjtum überhaupt. Oie preugi* 
fdjen „Ausführungsbeftimmungen übet bie Ueuotbnung bes höheten IKäbchettfcHul* 
wefens" aus bem 3ahte 1908 fa((en bas Cehrjiel bes beutfchen Sprachunterrichts in 
bie hübfhe $orm: „Belebung bes oaterlänbifchen Sinnes butdj (iebeoolle Befd?äfti* 
gung mit un(etet ITCutterfprache. Befähigung 3U ihrem richtigen münblichen unb 
jd}riftU<hen ©ebtaudje." ©ewife ift bies 3 iel für unfete heutigen Anfprüche 3U eng, 
aber es hebt bo<h über bem platten Rutftiel bes „richtigen ©ebraudjs" bas höhere fitt* 
lidje 3 iel fdjon bebeutfam heroor, inbem es ihm bie erfte Stelle 3uweift. Wir wollen 
bie Schüler bie liefe unb ben Reichtum, bie Stimmungsfülle unb bie ©ebantenfcharfe, 
bie Kraft unb bie Weichheit unfetet Sprache gan3 empfinben lehren, unb wit wollen 
fie ba3U ertennen lehren, wie bie beutfdje Sprache mit bem beutfchen Ooltstum nach 
Art unb ©efchidjte oerwachfen, wie fie allein 3um Ausbrud beutfchen Wefens geeignet ift. 

Aber bas ift nur ein 3 H baneben fteht als 3weites bie freie Herrfdjaft übet bie 
Sprache. Wenn bie genannten preufeifdjen Ausführungsbeftimmungen oon bet Be* 
fähigung 3 u m „richtigen münblichen unb fchriftlidjen ©ebrauche" bet lUutterfprache 
teben, fo ift bamit bies 3 iel nur 3um ©eil angebeutet, übet bie einfache „Richtigfeit" 
hinaus mufj bet Unterricht bie Sd?ület 3um fünftlerifchen, 3um ausbrudsoollen unb 
frönen ©ebraudj ber Sprache anleiten, 3um fd^riftlidjen wie — unb bas ift erheblich 
wichtiger! — 3um münblichen: £aut* unb Betonungswette, Stellungs* unb $ügungs* 
werte müffen fie fo tennen gelernt haben, bafe fie bamit in Rebe unb Schrift frei fchalten 
tonnen, um bas, was fie fagen, nicht nur gebanflich fchatf unb fprachlich richtig, fon* 
bem auch ftimmungsooll unb einbringlich fagen 3U tonnen. 

Wir fteden bem beutfchen Sprachunterricht aber noch ein btittes 3 iel. (Es wäre 
ja unoetantwortlid?, wenn bet Unterricht ben oolltommenen Stoff, ben et beljanbelt, 
ben Stoff, aus bem wie aus teinem anbeten bas Walten unb Witten menfdjlichen 
©eiftes heroorleuchtet, nicht auch ba3U benutze, um ben Schülern bies Schaffen bes 
lUenfdjengeiftes auftu3eigen unb ihn fo an betanntem unb gefühlsbetontem Stoff, 
bei bem bet Unterricht bet ©eilnabme fichet fein batf, in bie Wiffenfchaften bet Seelen* 
funbe unb Oentlehre ein3ufühten. Der Beftanb bet Sprache in feinet gerichtlichen 
©ntwidlung: Cautentwidlung, Bebeutungsentwidlung, Be3iehungsentwic!lung, alles 
bient bem Unterricht ba3u, bie Spület bie beim Sptedjen tätigen Seelenträfte bei 
ihrem Witten belaufchen unb ertennen 3U lehren. Aber nicht nur bie Seelenträfte, 
fonbem auch bas leibliche Spradjwer^eug unb feine ©ätigfeit ift ber ©egenftanb 
biefet Betrachtung. Unb wenn biefe Unterweifung in erfter Reihe bet Rtutterfprache 
3ugute tommt, wenn fie beten Bau unb beten Wanblung auf ben ©tunb feftet (Befere 
(teilt, fo ift hoch wichtig, bafe biefe ©efefee eben allgemein menfchliche ©eltung haben 



Don KToubtus Bojunga 


15 


baljet nicht auf bie ZTCutterfprache befhräntt finö. So legt bet beutle Sprach« 
unterricht 3ugleich bie ©runblagen für ben Sprachunterricht überhaupt. ©s ift ja 
felbftoetftänblih. bafe ber Schulunterricht fid} bemühen mu&, feine ein3elnen $ö^er 
untereinanber in Be3iehung 3U bringen, unb fo wirb auch ber beutfche Sprachunter* 
rieht {ich nicht bamit begnügen bütfett, nur für fich allein 3U arbeiten, er mu& fich oiel* 
mehr oor Rügen hatten, bag feine Arbeit 3ugteich $rüchte 3U tragen hat für bie ftem* 
ben Sdjulfptadjen. ©t fann bas aber, ohne oon feinen eigenften 3 i«len irgenbwie auch 
nur im geringften ab3ufchn>eifen. Denn bas ift eben bas IDunbetoolle biefes ein3ig* 
artigen £el}tftoffs: alles, was bet Unterricht h*et für feine altereigenften 3 wede er» 
arbeitet, läfet fich ohne weiteres auch für bie Betrachtung bet Stembfprachen nutzbar 
machen. ©t mufe in feinen Unterfuhungen nur immer fo tief bohren, bafj er bie all* 
gemeingültigen ©efetje unb bie über bas Deutfhe hinausweifenben ©rfcheinungen 
3utage fötbetn tann. 

So hat alfo ber beutfche Sprachunterricht neben ben auf ihn allein befchräntten 
3 ielen: bie in bet lUutterfprache liegenben hohen EDerte bewufet 3U mähen, ihre un* 
lösbare Detfnüpfung mit bem beutfdjen Dolfstum auf^uweifen unb bie Sprache frei 
behetrfhen 3U lebten, noch bas britte 3toar auch 9®n3 feinen eignen 3weden bienenbe, 
aber 3ugleich über ihn hinaustoeifenbe 3 iel, bie im Sprachleben gültigen ©efe^e nah* 
3un>eifen unb fo ben ©runb für bie Behanblung ber Stembfprachen 3U legen. Dies 
3 iel 3U erreichen roirb ihm aber um fo leichter fein, als es fich bei ben in Betracht fom* 
menben Stembfprachen fa lebiglich um weftinbogermanifhe Sprachen hanbelt, um 
Sprachen alfo, bie fich «ach £aut, Bau unb tDefen mit ber beutfdjen weithin beden. 

Sn weihet XDeife foll nurt bet Unterricht biefe 3 iele 3U erreichen oetfucljen? Die 
Antwort batauf ift leiht, benn es ift heute wohl enblih allgemeine Über3eugung ge* 
worben, bafc niht bas äußerlich ©ingeprägte, fonbem nur bas in eigner Arbeit ©r* 
tungene Bilbungswert für bie Ulenfhenfeele hat. Sn eigner Arbeit alfo müffen bie 
Schüler 3U ben ©rgebniffen fommen. Unb bas ift für einen gefhidten £el}ter in biefem 
Salle niht fhtoet, ift er bodj in bet beglüdenben tage, mit einem Stoff 3U arbeiten, 
ber ben Schülern in manhet fjinfiht fhon vertraut ift. So wirb er ihre Arbeit nur 
leife 3U leiten haben unb fie aus ihrem eignen Sprach wiffen unb Spradjfühlen heraus 
felbft weiterfhreiten laffen. Befonbers hat er fih burhaus baoor 3U hüten, ben Shü* 
lern ben auh ihnen wertvollen Stoff buth itgenbwelhe hineingelünftelte Schwierig* 
feiten ftemb unb läftig 3U mähen. Das gilt oot allem oon ben unoermeiblihen Sah* 
Wörtern. Unter ben Sahöenoffen, bie wirflih etwas oon ber Sähe oerftehen, wirb 
fih ia heute wohl faum mehr ein fo oerlehrter ©elehttet finben, bafe er für bie Bei* 
beljaltung ber unoerftänblihen, nihtsfagenben lateinifhen U)ortungetüme 3ur Be* 
3eicfjnung für ©tfheinungen ber beutfhen Sptahe einträte, befonbers wo es fih um 
ben Unterricht oon Kinbetn hanbelt, bie fein EDort £atein oerftehen unb nie in bie 
£age fommen werben, es 3U lernen: gerabe bet beutfdje Unterriht follte fih berufen 
fühlen, in ben Schülern ein Sauberfeitsbebürfnis in fprahlihen Dingen 3U weden 
unb 3U ftärfen, unb fih baher auf feinem eigenften ©ebiete aller häfelihen unb törih* 
ten Sptahfhnruherei enthalten. 1 ) Der Untetriht mufe bie Sahwörter aus bet Be* 

1 ) Soeben feije ih, bah fih bod} noh Sahflenoffen ber angeführten Art bis in bie ©e« 
gemoart hinein erhalten haben: ©ymnafialbireftor ©eheimer Stubienrat Prof. Dr. Alfreb 
Biefe tritt in feinem gerabe erfhienenen Buhe „BDie unterrichtet man Deutfeh?" für bie 



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Spraye unb Schrift 


fprehung bet Dinge felbft erwachten taffen, bamit fie einleuchtend unb felbftoerftäni 
lidj etfdjetnen. Hat bann tritt fpätet mit bem IDort auch bie Sadje leidet unö öeuttii 
wieder ins Berougtfein, unb iebet, bet im Unterricht Gelegenheit 3U Dergleichen gi 
habt hat, wirb bie (Erfahrung gemacht haben, dag gute beutfche gahausörüde ba 
Detftänbnis erleichtern, dag bagegen bas EDirtfal bet unoetftänblichen altlateinifchei 
unb tuchenlateinifchen EDörtet geradeju eine Detftänbnisfpette ift. EDeldjes Kinö 
bas bie iateinifhe Sprache nicht behetrfcht, finbet fi<h aus bem Durcheinander 001 
Snfinitio, inbefinit, finit, infinit; 3 mperatio, 3 mperfett, imperfektiv, 
petfeftio, Perfett; 3 nfunttio, tonfuntt, Konjunttio, fonfefutio, ton= 
bitional, tonjeffio benn heraus? Sinnlofet Gebächtnisballaft! Dümmfte Der* 
ftänbniserfdjroerung! Übet nichts ift ja fo finntos unb bumm gewefen, dag fiel? nicht 
»ertrodnete beutfche Schulmeifterfeeten gefunben hatten, bie ihm ein £oblieb gefangen 
hätten, toenn es nur auslänbifh» nut unbeutfch war! 

llleht ins 3nnere bes Gegenftanbes gehenb als biefe jtoat wichtige, aber öoct 
immethin äugetlihe gtage bet gahrodrter finb bie Schanerigfeiten, bie bem Der* 
ftänbnis babutch etwachfett, dag man eine ftembe, ben Spülern unoerftänbliche Be 
trahtungsweife an bie Dinge felbft heranträgt. Befonbets btei gehler roitb ber Unter¬ 
richt ba 3U oetmeiben haben. Dot allem batf et bei geftftellung bet beutfchen Sprach* 
oerhältniffe nicht hinüberfhielen nach ben Dethältniffen bes £ateinifhen, bas bei ber 
Beurteilung bes beutfchen gormen* unb Sagbeftanbes noch immer eine fo Verhängnis' 
nolle Holle fpiett. Sobann oetbunfelt bas hineinbeuten überwundener gefdjichtlicher 
3 uftänbe in bie anbetsgearteten Sptadjgruppen bet Gegenwart beten wirtliches Bilö. 
Unb fhlieglih ift es befonbets füt bie Satzlehre unb für bie £el}te oon ber Ungleichung 
bebentiich, wenn bet Unterricht im Spradjleben abge3ogene Denfformen finben will, 
bie fich, wenn überhaupt, fo doch nut nebenfächlid} batin auswirten. Denn bas 


Wetterführung ber Spradjoetfchmufcung im beutfchen Unterricht mit ben tDorten ein: „Rtit 
Recht halten viele Deutfchlehrer unb Grammatiter bie nun einmal überlieferten lateinifchen 
unb grie^ifchen (Termini (ober flusbrüde!) für leichter 3U behalten als bie oerrenften Über* 
ttagungen in bie lllutterfprache, bie wirtlich 3U gut bafür ift; aber alles, was nach ber flntife 
rieht, ift manchem Deutfhfanatiter,rotes Sud} 1 .“ Darauf tonnte man erwibern, bag befagte 
Sptahfhntugerei für ben Kenner burchaus nicht „nah ber flntife rieht“, wie Biefe feit* 
famerweife annimmt. (Er bürfte eigentlih wiffen, bag bie Griechen ihre fprahtoiffenfhaft* 
liehen gahausbtüde burhtueg aus bet IRutterfprahe genommen haben; unb ebenfo 
tonnte ihm auch befamtt fein, bag bie Römer bie gtiehi|h en S a h®örter nicht in ber fremben 
$orm übernommen, fonbetn in ihrer Hlutterfprache nahgebilbet haben. Die ©riehen 
waren halt ebenfo „Griehentumsfanatiter", wie bie Römer „Romfanatifer“ waren; unb 
„Deutfhfanatiter" 3U fein, „rieht" mehr „nah bet flntife“ als ein oon ©riehen wie Römern 
gleich »erachtetes wütbelofes fluslanbs=£alaientum, wenigftens für einen, ber ben ©eift ber 
„flntite“ wirtlich erfaßt hat unb ihn nicht im Prunten mit grembwörtern fu<ht. — Dag bie 
Zltutterfprahe „3U gut bafür" ift, rein gehalten 3U werben, ift auh ein föftliher ©ebanfe! 
Unb wenn Biefe behauptet, unfere neueren beutfchen gahausbtüde, bie boh faft durchweg 
gut unb treffenb aus ber Sähe felbft gebilbet finb, feien „oerrenfte Übertragungen“ aus bem 
Sateinifhen unb Gtiehifh en r fa fieht man mit Bebauern, bag er aus vorgefagter Meinung 
über etwas aburteilt, was er niht genügenb begerrfht, um fih ein Urteil barüber erlauben 
3u bürfen. Dag es im Grunbe nichts als ijohnäfiger Gelehrtenbünfel ift, wenn fo vielen für 
bie „höhere" Schule bie beutfhen flusbrüde ber „Dolts"fhule niht gut genug finb, unb bag 
biefe Gelehrtenüberhebung unfet Dolt im 3 nnerften 3erreigt unb 3erfleifht, tommt Biefe 
offenbar gar niht in ben Sinn. 



Don KfauMus Bojunga 


17 


Sptadjleben ift gefüfylsmäfeigsunbeumfet, nicht benfmäfeigsbewufet. Auf ffinjelljeiten 
liefet ötei geriet werbe ich unten ^iet unö 6a mit einigen EDorten noch näher ein* 
gelten tönnen. 

Oer fjauptgefichtspunft bleibt immer: eigne Arbeit 6er Schüler! Sollen jie aber 
eigne Arbeit leisten, |o müjfen jie freuöig 6aran geben. „EDer fdjaffen will, mu& froh* 
lieh fein!" jagt ein ternbeutjdjer Dieter, unö nitgenbs gilt 6ies EDort mebt als in 6er 
Sdjule. Aber 6a hört man geta6e übet 6en öeutjdjen Sprachunterricht öie bitterjten 
Klagen: et langweilt öie Schüler, er jdjlägt öie $reuöe an 6er Zttutterfptache tot. Oer 
©röentlidje f}onorar*Unioetfitätsptofef jot ©eheimer Regierungsrat Dr. Paul (lauer 
ertlärt eine feinet Seiten gar für „unjart" unö — „unfeufcb", alfo offenbar für fitten* 
oetbetbenb, fo bafe feine (Erteilung eigentlich unter öas Strafgefeij — Oerfübrung 
3ugenöli(ber, minöeftens aber grober Unfug! — fiele. Run, alle öiefe Klagen treffen 
nicht Öen öeutfdjen Sprachunterricht an fich, fonöem nur Öen falfdj erteilten, ©gne 
Arbeit, öeren (Erfolg man auf Schritt unö ©ritt fiebt, langweilt nie; nut öas heran* 
tragen oon ftemöen ©efidjtspunften, öie Öen Schülern höchft gleichgültig finö, an 
eine Sache, öie ihnen oöllig betannt fcheint, öas langweilt alletöings, unö 3war grünö* 
lieh! Um greuöigteit 3U er3ielen, mufe öabet öet Unterricht immer non ffin3elheiten 
ausgeben, öie Öen Schüler oon oomberein feffeln. Oie erfcheinen öann bei öet EDeiter* 
arbeit plötflich in beöeutfamer Beleuchtung, treten in wichtige 3ufammenhänge, et* 
öffnen weite Ausblide, unö öer Schüler merft, öafe hi n * et öem ihm betannten Stoff 
noch eine unentbeefte U)elt liegt, unö 3wat eine EDelt, in öie er felbft bineinwanöern, 
in öer er eigne (Entöedungsfabrten machen tann. Unö öa fteigt et öenn oon Öen hü* 
geln, öie nut einen näheren Runbblid bieten, allmählich auf 3U Öen Bergen mit öet 
enölofen $ernfi<ht, et fiebt hinein in öas EDirfen öet IKenfthenfeele, in gefdjichtliche 
EDeröegänge, in öie ©iefett, aus öenen öie Stimmung auffteigt, unö auf öie hüben, 
wo öie Kunft geboten witö. Unö öas alles findet er in öer eignen Bruft, alles ift ihm 
oertraut unö anbeimelnö — unö bodj ebtwüröig unö oielfach öem (Befühl mehr als 
öem Oenlen 3ugänglich. ©n fo erteilter Unterricht langweilt nicht, et regt oielmeht 
auch Öen fchwächften Schüler an. Oenn öas ift eben unterrichtlich fo wertooll an öiefem 
unoetgleichlichen £ebrftoff, öafe er für feöe Begabung, für feöes Alter, für feöe ©eiftes* 
ridjtung öie te<hte Uabtung bietet, bafe fich überall für Öen Schwachen ebenfo paffenöe 
Aufgaben in ihm finben wie für Öen (Tüchtigen, für Öen fühlen Derftanöesmenfchen 
wie für Öen warmen ffiefüblsmenfchen. 

Oem EDunfche öes fjerausgebers entfprechenö unö öem öiefen Ausführungen ge* 
festen jchmalen Umfang gemäfe fann idj es nun nicht als meine Aufgabe anfehen, für 
alle ©ebiete öes weitoet3weigten Stoffes in fwgen EDotten einige Anöeutungen übet 
öen Unterrichtsweg 3U machen. Das hätte fdjon öeshalb wenig IDert, weil öie IRei* 
nungen übet oielerlei ja einhellig finö. ©s fann mir nut 3uftehen, aus jebem ©eil* 
gebiete eine ober öie anöere Seite betaus3ubeben, öeren übliche Behanölung meiner 
(Erfahrung nach nicht auf öem Stanöpunft fiebt, bafo alle ©n3elheiten öes Unterrichts 
immer öem einen großen ©eöanfen öer Deutfd)funbe 3U bienen haben. ttut oon 
öiefem ©efictjtspunfte aus möchte ich üie folgenöen ©n3elausführungen aufgefaftt 
raffen. 


f.Deutföfunöe, 17 .<Ergän 3 ungsf?eft 


2 



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Spradje unö Schrift 


a) Die Sautlehte. 

Bei bet Sautlehte fommt es bem beutfcfj funblichen Unterricht öarauf an, bie 
Schüler 3unt Detftänbnis für ben U)ert unb bie Bebeutung bet ITCunbart wie 6er tjod}- 
fpradje 3U bringen, ihnen bas Derhältnis 3roifchen biefen oetfchiebenen Ausprägungen 
unfetet RTuttetfprache butch eine (Einführung in bie Cautgefdjichte 3U oerbeutlichen, 
aufeetbem aber bie fo gewonnenen (Erlenntniffe burch Au^eigen ber feelifch*leiblithen 
Urfprünge bes Sautwanbels 3U oertiefen, bamit bie Schüler bie an ber Ittutterfprache 
gewonnenen (Etgebniffe auch 3um Detftänbnis bet entfprechenben Derhältniffe in 
anberen Sprachen oerwenben fönnen. Dafe ber Unterricht ba oieles als fraglich, 
als nur oermutet, als nut möglich ober wahrfdjeinlich hmftellen mufe, ift freilich getoife. 
Das fchabet aber nichts, benn bem Schüler tommen all biefe $ragen unb Überlegungen 
nut näher, wenn et ficht, bafe auch bie tDiffenfctjaft ebenfo wie er felbft immer ftrebenö 
fich bemüht, ohne oieletorts 3um <Enbe, 3um (Etgebnis, 3m Sicherheit 3U fomnten. 
Das hebt feinen IRut unb gibt ihm Selbftoertrauen. 

Abet bet Unterricht hot noch «in anbetes 3 »el- (Er will nicht nut 3Ut (Erfenntnis, 
et will auch 3ur Behetrfchung bet Sprachlaute er3iehen. Die Spüler müffen bie hoch 1 
fptachlichen Saute oerwenben lernen, fie müffen eine munöartlofe, lautlich reine fjocb= 
fprache mühelos fprechen lernen. Unb bies 3 iel fteht an Bebeutung hinter bem am 
beten bet Sprachertenntnis nicht 3urüct. 

Steilih batf bet Unterricht beim hinführen 3ur tjochfprache ben Schülern ihre 
Umgangsfprache nicht oeretetn, et batf fie nicht als „unbeutfch", „falfch", „häfelich“ 
oertefeem, benn „fjäfelichfeit" ift ©efchmacfsfache, unb bann ift fie ia tatfäd}lich webet 
„unbeutfch" noch „falfch", oielmeht lebt bie beutfdje Spraye gerabe in ben ITCunöarten 
ihr frifheftes Seben, in ihr wuselt bas Sprachgefühl ber Schüler, unb fie an3utaften 
bebeutet ein 3 urüdf«hreden, ein 3 nrücfftofeen bet Kinbetfeelen, bebeutet bas Auf' 
richten einer Schrante 3wif<hen Schule unb Seben gerabe auf einem ©ebiete, wo ein 
foldhes Abfpetten am oerhängnisooilften wäre: auf bem Kemgebiete alles Deutfehtums. 

Schon ben Sejtanern läfet fid? tlarmachen — fie wiffen es aus ihrer eignen (Er= 
fahrung —, bafe bas lebenbige ©reiben braufeen fich einer bequemen Umgangsfprache 
bebient unb bafe biefe Umgangsfprache örtlich unb lanbfchaftlich ftarte Derfd}ieöen= 
heiten aufweift, fo ftarte, bafe bie Königsberger bie Kölner, bie Ijambutger bie IKünch' 
net überhaupt nicht oerftehen, fobalb fie fich ihrer heimifchen ITCunbart bebienen. (Ein 
geiftiger Detfeht, ein 3 ufammenwachfen bet Stämme 3um einheitlichen Dolfstum ift 
alfo auf ©runb bieferlTCunbarten nicht möglich, unb bas Bebürfnis nadh einer ©emein= 
fprache macht fid} um fo btingenber fühlbar, ie enget bie erlebten Stämme fich n>irt= 
fdhaftUch, geiftig, ftaatlich 3ufammenfinben. Stielet, Reuter, Stolfee, Kablet — alle 
munbartlichen Dieter tönnen nut auf ben befchräntten Kreis betet wirten, benen 
bie Saute ihrer Sprache oertraut finb, ©oetlje, Schiller, Uhlanb, Keller bagegen wirten 
aufs gan3e Dolf. Seicht finben bie Schület bie Bebeutung ber ©emeinfpradje für bos 
3eitungswefen, für bie ffiefefegebung, für bas wiffenfcfjaftliche, tirdjliche, fdjöne Schrift® 
tum. (Eine gemeinfame „Schriftfprache": bas ift bas erfte (Etforbemis. Sie würbe 
fchon Bebürfnis, als bet Reifeoertehr noch in ben IDinbeln lag. 

Aber wie oerhält fich Wo Ausfptache 3ur Sdjriftfprache? Der Selber braucht nur 
einmal benfelben Abfafe oot3uIefen, wie ihn etwa ein Königsberger ober ein Kölner 




Don KlauMus Bojunga 


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ein tjannooeranet ober ein Dresbnet, ein $tanffutter ober ein £eip3iger Iejen mürbe, 
tlodj beffet natürlich, menn bas Schüler aus ben oetfchiebenen ©ebieten übernehmen 
lömten. Oie Spület ertennen: Derftänblich ift bas immerhin, aber Schmierigleiten 
bereitet es bo<h. Oer f)öret muß oiel 3U fdjarf auf bie Cautform achten, als baß er 
öetn Inhalt bie nötige Aufmerlfamleit mibmen lönnte. Das aber mirb befto ftörenber, 
fe häufiger bie Rebe anstelle bes Dtuds tritt. Seit bet Auffdjmung ber Dolfsmirtfdjaft 
bas beutfdje Doll in ben Stabten fo 3ufammengetrieben unb burdjeinanbetgemürfelt 
hat mie nie 3uoot, feit bie Staatsoerhältniffe bie öffentliche Rebe 3U einem michtigen 
Sriebrab ber Dollsmeinung gemacht haben, feit bie Bühnen ihre Sdjaufpieler, bie 
Kirchen ihre ©eiftlichen, bie ©emeinben ihre Beamten aus allen ©eilen bes Sprach* 
gebietes 3ufammenholen, feitbem ift es mit ber biofeen „Sdjriftfpradje" nicht mehr 
getan, feitbem umfafet bie „Ijochfptache" au<h bie Cautform. Unfdjroer ergibt fich 
baraus auch für bas Derftqnbnis eines 3 ehniähtigen ber Schluß auf bie Pflicht bet 
Schule, ihre Zöglinge 3Ut Behetrfchung biefer fjochfptadje hetan3ubilben, unfdjmet 
auch ber Schluß, baß es nicht nur bem Dormärtstommen bes ein3elnen bient, menn er 
fich in biefer Spraye bequem 3U bemegen oetmag, fonbetn baß auch ber ©ebanle bes 
©inheitsoolles bie ©emanbtheit im ©ebrauch ber fjodjfpradje oon allen Deutfchen 
forbert. 

IRit folgen Überlegungen medt ber Ceßtet bie ©eilnaljme ber Klaffe für bie 
ftembe, ihm noch ungemohnte Cautgebung bet tjödjfprache, unb an ©elegenljeit 3Ut 
©inübung ihrer £autform fehlt es fa nicht. 3»ar bas £ehrgefptä<h felbft barf bie be* 
queme tDerltagsHeibung bet Umgangsfprache heut3utage in beutfchen £anben — im 
©egenfaß etma 3U $rantreich — noch nicht oblegen, menn es fich nicht talt unb fremb 
auch 00m ©emüt ber Schüler abmenben foll. Rur üorfidjtig mirb es mählich fortfchrei* 
tenb aÜ3uftarl munbartlich Anmutenbes befchneiben unb aus ben Unterrichtsftunben, 
nicht aber non Ausflügen unb ©umfpielen, oerbannen; es mirb fich in mittelbeutfchen 
unb fübbeutfdjen Schulen anfangs barauf befcßtänlen, einige menige auffallenbe 
©igentümlichleiten ber munbart — etma Räfelung ber Klanglaute unter Ausftoßung 
eines filbenfdjließenben n unb betgleichen — burch bie hodjfptadjliche £autgebung 3U 
erfeßen unb immer nur fo roeit gehen, baß bie Scßmierigteit bet £autform ben Schüler 
nicht am leisten Ausfptedjen eines ©ebanlens hinbert. Das ©nÖ3iel bleibt freilich 
auch hier bie hochfprache, unb ber Schüler ber (Dberftufe muß imftanbe fein, einen 
freien Dorttag in tabellos ho<hbeutf<her $otm 3U halten. Das ift bie höhere Schule 
bem fo fdjroet errungenen unb heute mieber heiliget unb mistiger als feit btei 3aht* 
hunberten gemorbenen ein3igen Binbemittel unferes Dolles, unferet ffochfptache, 
fdjulbig. Schlimm genug, baß fie in läffigem ©ehenlaffen fich biefer hohen Pflicht bis» 
ßet noch fo menig bemußt gerootben ift! 3 n Rieberbeutf^lanb liegt bie Sache menigftens 
auf bem £anbe unb in ben Kleinftäbten infofetn etmas fdjmietiger, als hiet bet IDeg 
3«m hochbeutfdjen 00m piattbeutfdjen butdjs Rorbbeutfdje 3U führen hat; hier finb 
es alfo brei Stufen, mit benen ber* Unterricht rechnen muß, benn lein Deutschlehrer 
mirb fo töricht fein, nicht auch ber Umgangsfprache ber ©ebilbeten in ben mittel* unb 
©roßftäbten Uieberbeutfchlanbs, eben bem Rorbbeutfchen, feine Berechtigung unb 
baßer auch feinen Anfptuch auf Pflege in ber Schule 3U3ubilligen. 

Aber muß bas Cehtgefpräd) auf bie Anmenbung ber reinen Qochfprache noch oer* 
3i<htett, fo hat biefe bodj oon Anfang an ba ihren piaß, mo es fich um £efen ober Dot* 

2* 



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Sprache unb Schrift 


tragen t>on Stfiden aus bem ßocßfptachlichen Schrifttum handelt. ©in Schriftftellet, 
ein Dieter, bet fein EOet! für ßocßbeutfche Cautform gebaut unb gefcßtieben ljat, bei 
hat berechtigten Anfprucß barauf, baß man es ihm mcßt in bie RTunbart hi«ßW3«tri. 
l)ier hat jehon bet Sextaner bie Pflicht, jidj bet reinen fjocßfprache 311 befleißigen, uni 
bie Aufgabe bes Ceßtets ift es, babei ootbilblich oota^ugeßen. — Daß eine gediegene 
Ausbilbung bes Cehtets in bet Spredjfunft ba3U Dotbebingung ift, bütfte felbftoerftänö 5 
ließ fein, geßött aber hier nicht 3ut Sache. — Die gan3e Klaffe beteiligt fich an bet Der 
befjetung ettoaiget Ausfprachefehlet, unb fie finbet auch bie ©in3eltegeln, bie Ejocß 5 
jptache unb IKunbatt in bet Cautgebung fdjeiben, hanble es fich nun um bie Ausfpradje 
ein3elnetIDötter ({djonn ftatt fdjon, fteembftattfremb, baas, eesftatt bas, es, 
©tbe, werbe ftatt ©erbe, weetbe) ober um durchgängig unßochfprachgentäße 
Ausfprache oon tauten (f <h ftatt cß, ch ftatt g, ft unb fp ftatt fdjt unb fdjp im Anlaut 
unb umgetehrt fcht ftatt ft im Auslaut), ©emeinfame Arbeit faßt bie Regeln bann in 
EDorte: „Auslautenbes g ift außer in bet Bilbungsfilbe ig ftets Derfcßlußlaut." „An 
lautenbes fp unb ft lautet in beutfdjenEDörtem immer fdjp unb fcht." „Auslauten 5 
bes ft batf man nicht als fcht fpteeßen." 

3mmer unb immer aber hat fich bet Unterricht babei oot bem ferneren Sehlet 
3U hüten, bie munbartltche Ausfprache als minderwertig hin3uftellen. 3m ©egenteil: 
er weift butch lautgefchichtliche Ausführungen barauf hin» toie etwa bas anlautenbe 
fp, ft mit j=£aut ftatt fch'Caut ober bas auslautenbe g als Reibelaut ftatt Derfdjluß* 
laut bie ältere, ehrwürdigere Spracßftufe barftellt, toie auslautenbes fcht ftatt ft eine 
folgerichtige EOeiterbilbung bes für ben Anlaut allgemeingültigen Cautgefeßes be- 
beutet ufa>. Denn wenn bet Schüler bas tjeimifeße nicht achtet, wie foll er ba 3m 
Achtung bes Datertänbifchen fommen? Daterlanbsüebe unb Daterlanbsftol3 ohne 
fjeimatliebe unb tjeimatftol3 borrt in bet U)ur3el, unb bie Schule hat gerabe bie EDur* 
3eln 3U hegen unb 3U pflegen, bamit aus ihnen bet ftol3e Baum gefunb, ftcäftig, wiber* 
ftanbsfäßig erwadjfen fann. 

Das führt f<hon hinüber in lautgefchichtliche Betrachtungen. U)ie fünbigt unfere 
Schule ba noch! Auswendiglernen, ©ebädjtnislaften, unoerftanbenes 3eug! EDas 
haben bie Schüler baoon, wenn fie wiffen, ibg. p = germ. f ober nbb. p = ßb. Pf? 
©ine Regel ohne Bitbungswert, ein EDiffen ohne ©rlenntnis. Rieht einmal bas haben 
fie oft erlannt, baß bie ßoeßbeutfeße Cautoerfcßiebung im ©runde nur eine EDieber* 
holung ber germanifeßen ift. Unb wie burchfichtig wirb ihnen bie ©rfcheinung, wenn 
der Unterricht auch nur ben äußeren EDeg auf3eigt, nur bie lautliche ERöglicßfeit bes 
Übergangs, ©in Derfchluß läßt fich auf 3wiefadhe EDeife löfen: ich lann ihn butch einen 
tonlofen Cuftftoß öffnen unb bann erft ben foigenben Klang einfeßen, ober ich lann 
ben Klanglaut feßon bilben unb ben Derfchluß butch ihn fptengen. 3enes tut bet Horb* 
beutfeße, wenn er p*ubel fagt unb babei ben Derfchluß bes p durch ein h fprengt 
(„behauchter Derfcßlußlaut"), bies ber Sacßfe, wenn er hauchlos Pubel fagt unb 
bas p burch bas u fprengt („unbehauchter Derfdjlußlaut"). Die 3nbogermanen 
fannten beibe Arten bet Sprengung, bie ©ermanen gingen ba3u über, nur bie 
fräftigere bet Behauchung an3uwenben: ftatt pater jagten fie — ber ©infach* 
heit halber betrachtet ber Unterricht hißt nur ben Anlaut unb läßt ben anbeten ©eil 
bes EDortförpers auf fich berußen — p hat er. Das erforbert einen feßr feßatfen 
Stellungswecßfel bet Sippen, benn ber Sprechende muß nach bem Derfchluß plöß= 



Don Klaubius Bojuttga 


21 


Ud} bie Oppen fo weit ooneinanbet entfernen, baß fi<ß 3roifcßen ißnen feinerlei 
Keibungsgetäufcße entroideln, bas ß rein unb tonlos austreten fann. Die Spre* 
cßertben erleichtern fi<ß inbes biefe Scßroierigfeit. Sie laffen bie Oppen 3« eng 
attetnanberliegen, unb fofort er3eügt ber 3roifcßen ißnen ßinburcßftteichenbe f}aucß 
einen Reibelaut: pf ater. Der fo entftanbene Doppellaut bereitete nun ber Ausfpracße 
befonbers inmitten eines Saßes unter Umjiänben neue Scfjroierigleiten, man benfe 
etuoa an ben Saß: „Darauf ritt Pfater roeiter." 3n folcßen ©etäufchßäufungen 
oereinfaeßte man bie Cautgruppe unb fagte: „Darauf ritt $ater roeiter", uer* 
mteb alfo bie müßfame Umftellung bes Derfcßlujfes unb ging tom erften Derfcßluß, 
bem bes t, fofort 3um Reibelaut f über, unb biefe ©eftalt bes tOortes rourbe bann oet* 
altgemeinert. So entfprießt germanifeßes f im Anlaut überall einem inbogermanijeßen 
p unb pß. 

©an3 genau entspricht biefem IDanbel ber U)eg ber ßoeßbeutfeßen Sautoerfcßie* 
bung. Hieberbeutfcßes p ift 3uerft behaucht rootben; ber piattbeutfcße jagt Pßetb 
mit beutlicßem ß. Auf mittel* unb fübbeutfeßem Keltenboben hotte bie be3roungene 
Beoölterung eine Schlaffere Art ber OppeneinStellung — bas Keltifcße hot anlautenbes 
p Schließlich überhaupt roegfallen laffen!—,unb bie Siegreiche, an 3aßl ober geringere 
©ermanenbeoölterung nahm biefe (Eigenheit an: Pherb rourbe 3U Pf erb, auf oft* 
mittelbeutfchem Slaroenboben (3. B. Schlefifch) Sogar — gan3 roie im ©ermanifeßen — 
3U $etb, unb bas ift auch bie norbbeutfeße $orm, benn ben Hieberbeutfcßen ift bie 
Cautoerbinbung p f fremb, baher feßroietig. innerhalb bes IPortoerbanbes aber machte 
bas gan3e fjodjbeutfdje biefe roeitere Detfchiebung mit: nbb. Sd}ip > hb. Scßiff, nbb. 
up > hb. auf, nur ein befonbers nachhaltiger, fefter Derfcßluß (in ber Schrift bur<h pp 
gefenn3ei<hnet) blieb auch io biefer Stellung ßoeßbeutjeß erhalten: nbb. ftoppen > hb. 
ftopfen, nbb. ßüppen > hb. hüpfen. 

So erhält bie naefte, tote ©atfaeße bet Sautoerfcßiebung £eben, unb fo laffen fich 
in Antnüpfung an heutige SpracßDerßältniffe auch Schwierigere Derßältniffe, roie etroa 
bas Detnerfche ©efeß, leießtfaßließ machen. U)ie heißt bie alte £anbcsßauptftabt an 
ber Seine? „fjannöfer." Unb ihre (Einrooßner? „fjannoroeräner." hinter bet 
ftar! betonten Silbe fchroeigt ber Stimmton einen Augenblid, gleichfam aufgebraueßt 
burch ben hauptton, roäßtenb ein Abfeßen innerhalb ber Reihe bet oortonigen, jchnell 
jut Orotßeit ber haupttonigen Silbe ßineilenben Silben ben gleichmäßigen Strom 
bes Stimmtons läftig unterbrechen roürbe. 

(Eine Stage liegt bei all biefen £autroanblungen nahe: U)atum treten fie ein? 
Die Antroort ift feßroietig unb unjicher, troßbem barf bet Unterricht fich ißt oießt ent* 
jießett, bietet fie boeß roeite Ausblide auf allgemein fpracßroiffenfchaftliche ©ebanten. 
Alle Spület haben feßon einmal einen Auslänber beutfeß Sprechen hären, einen (Eng* 
länber, einen $tan3ofen, einen Ruffen — bie ununterbrochene Reiße unfetet Siege 
übet bie 3ufammengetriebenen tjccre ber gan3en IDelt ßat uns fa übergenug Dertreter 
biefet Dotter als ©efangene bis ins tleinfte Dorf gebracht —, unb fie haben babei ge* 
mertt, baß er bas Deutfcße gan3 anbers ausfprießt als roir. U)enn nun Deutfcße eitle 
Canbfcßaft erobern unb fieß bauemb barin feftfeßen, in bet eine fpraeßfrembe Beoölfe* 
tung anfäffig ift, unb roenn biefe Beoöllerung im £auf einiger ©efcßlecßter bie beutfeße 
Sprache annimmt, fo roirb fie ißt abroeießenbes Deutfcß roeiter fpreeßett, ja, ba ber 
Derleßr bie Spraeßüerfeßiebenßeiten 3roifcßen ben Berooßnem berfelben £anbfcßaft 



22 


Spraye unb Schrift 


ausglctdjt, läßt fih fogat erwarten, baß 6ie ftembe Dichtheit bie Kinber ber an 3 aht 
geringeren Sieget in intern Sprechen beeinflußt, baß alfo fhließlih bie Cattöfchafi 
3n>ar öeutfh fpriht, aber boh mit frembem Klange. Don hier aus eröffnen fid? nun 
roeitere Ausfichten: oon bem gefhihtlih leicht nachweisbaren (Entfielen neuer ZHunb 
arten auf frembem ©runbe — man benle etwa ans Baltifhe, ans ©ftpreußifche, ans 
©betfähfifhe — getjt ber Blid aljnenb 3Utüd auf bie Ur3eit unb fielet im fjoc^öeutfc^en 
eine ©ntroidtung bes ©etmanifhen im Rtunbe oon Kelten, fa, er glaubt noch oerfc^ie-- 
bene leltifhe Dölter unter ben oetfhieöenen bodjbeutjdjen IHunbarten ertennen 3U 
tonnen. So oerfnüpft fi(^ bie Cautlehre mit bet beutfdjen ©efdjihte unb Urjeit. 

Aber nod) nah einer anberen Seite tut fidj bet Ausblid auf: nah bet Seite laut* 
gefdjidjttidjen IDetbens überhaupt, tjier tommt bie gan3e Cehte oom Sptedjenleraen 
bes Kinbes nah bem Dorbilb ber ©rwahfenen in Betragt: Bewegungsgefühl, Hul?e* 
läge ufto. Die Spület muffen ertennen, warum benn ©nglänber, Stanjofen, Hüffen 
b'as Deutfhe anbets fpredjen als wir. Aber fie muffen auch ertennen, wie es möglich 
ift, baß bei gleichbleibenbet Beoölterung im taufe bet 3 eit Cautoeränberungen ein* 
treten tonnen unb fogar wahrfheinlih eintreten werben. Der Unterricht wirb auf 
bie Ungenauigfeit bes Sprechens unb bie Un3Uoerläffigteit bes Lötens 3U reben lom* 
men, oon bet ©infteltung bes Bewegungsgefühls nah bem Durd^fdjnitt ber gehörten 
taute unb feinet Detfdjiebung bei einer Detänbetung biefes Durc^fc^nitts. Das in 
feinem unterrihtlihen ©ange eht3eln unb ausführlich bat3uftellen, geht inbes über 
ben Umfang biefer tut3en Ausführungen hinaus. 

Dagegen bürfte es angebracht fein, eine anbere Seite bet tautlehre noch tur3 3U 
berühren. Der Unterricht h<*t ia bie ein3elnen taute bet fjohfprahe ihrer Bilbung 
nach 3U erörtern, unb et wirb ihre ©efamtheit in einet tauttafel 3ufammenftellen. 
Dabei ergibt fih, baß unfere Budjftaben jur Be3ei<hnung ber. taute aus ben oerfhte* 
benften ©rünben nicht ausreichen. Ulan müßte oon ber Schrift — wenn fie, wie bie 
unfere, ben Anfptuh erhebt, eine tautfehrift 3U fein — eigentlich oetlangen, baß fie 
feben Sprachtaut burch ein eignes 3 ei<hen wiebergibt. Das tut fie aber teineswegs. 
Die Shület finben leicht, baß halb ein Buchftabe mehrere taute oertritt (Hofe, totf e, 
fteif), halb mehrere Buchftaben benfelben taut be3ei<hnen (©Item, altere), halb 
eine Buchftabengruppe einen ©in3ellaut barftellt (fhön, ich, Stabt), halb ein ©in* 
3elbuchftabe eine tautgruppe umfhließt ( 3 iel, Ajt), halb ein Buchftabe überhaupt 
leinen tautwett hat (Reh, tief), halb ein taut in ber Buhftabenfhrift unbe3eichnet 
bleibt (bas Knadgerauf^ in: eins unb alles). Damit ergibt fid} für bie lauttreue 
Schreibung bie ©inführung oielet neuer 3 ei<h cn » bie „tautfehrift" ift erheblich buch 1 
ftabenreicher als bie übliche Shreibfhrift. Aber einfache Beijpiele 3eigen fhott, baß 
felbft eine noch fo reiche tautfehrift hoch nur einen ©eil ber taute wiebergibt, baß fie 
nur „Stellungslaute", nicht aber „übergangslaute" auf3ei<hnet. Der Schüler wirb 
ertennen, baß bie Sotberung gutmeinenber taien nach einet lauttreuen Schreibung 
an fi<h ein Unbing ift, baß aber auch fh on bie $orberung nach lauttreuer Schreibung 
wenigftens bet Stellungslaute an ber Schwierigfeit biefer Schreibung, an ber ütenge 
ber Buchftaben fheitern muß: ein gutes Beifpiel bietet unfer e. Das ©rletnen biefer 
lauttreuen Schrift mähte unenblih oiel mehr Blühe als bie ©inptägung unferer jeßi* 
gen — gewiß oerbefferungsbebürftigen unb auh oerbeffetungsfähigen — Schrift, ©s 
tauht bie $rage auf, W03U benn bie Schrift hauptfählih biene, unb fhon bie geringe 




Don KlauMus Bojnnga 


23 


(Erfahrung bet Spület oertnag fefouftellen, bafe bie Bequemlichteit bes £efens weit 
urichttget ift als ötc bes Schreibens. DOas faffen mit aber beim £efen auf? Rieht Buch» 
ftaben — Drudfehlet überfielt man oft! —, fonbetn tDortbilber. 3 e fdjnellet unb 
leidster toit bie tDortbitber aufjunebmen oermögen, befto bequemer iefen wir. Ulan 
gebe ben Schülern nur einmal Briefe oon ©oethes IRutter ober oon Blücher in bie 
ijanb; ba feben fie felbft, roelche Sdjtotetigieit bas (Erfaßen bes Sinnes macht, fobalb 
bas tOortbilb ungeroobnt ift. Das geiftige Ceben eines Kulturooltes fpeift fidj aber 
3um guten ©eil aus ben Drudfdjtiften früherer ©efdjlechter, es oerliert ben lebenbigen 
3ufamtnenhang mit feiner Dergangenheit, mit ben tDur3eln feines Seins, wenn es 
nicht imftanbe ift, bie EDerfe alteret 3 citen leicht 3U Iefen. (Ein grunbftü^enber tDedjfel 
in bet Hechtfd)teibung mürbe uns ben 3 ugang ju ber 3 eit ©oethes unb Bismatds 
\djlechterbings oerbauen, unb mit oerfänten noch tiefer in Kulturlojigleit, als mir bas 
bei ben unerfchminglichen Bücherpreifen fomiefo fdjon 3U tun btohen. ©erabe unfere 
heutige 3 eit oerlangt gebieterifd}, baf} unfer gan3es Doll bas ihm nodj 3U ©ebote 
ftehenbe Schrifttum ooll ausnutjen iann, bamit es nicht geiftig gan3 oerhungert. 3 ebet 
Schüler roitb oerftehen, bafc es eine fut3fichtige Schulmeifteranficht fei, bie ba meint, 
bie Ceichtigfeit unb Bequemlichteit bes Schreiben- unb £efenletnens fei ausfd}lag* 
gebenb in biefer $rage: nicht auf bie Bequemlichteit bet hofenmähe tommt es an, 
fonbem auf bie ber (Ermachfenen, bie fchnell, oiel unb in rafchem Überblid bei ooller 
(Erfaffung bes Sinnes 3U Iefen haben. Denen barf man bie gemohnten tDortbilber 
nicht bis 3ur Untenntlichfeit entftellen. Kein großes Kulturool! mit mertooltem Schrift* 
tum bentt besljalb baran, feine gefdjichtlich gemotbene Hehtfdjreibung grunbftüt3enb 
3U änbem: man benfe an bie (Englänber! Hur eine gan3 fchonenöe, allmähliche Um* 
geftaltung mag oon 3eit 3u 3eit geboten fein, aber nie barf bie ben 3ufammenhang 
mit ber Dergangenheit 3erteif$en. Die flnpaffung an bie £aute ber lebenben Sprache 
bagegen ift oon gan3 untergeorbneter Bebeutung. tDer empfinbet benn auch nur 
beim Schreiben* ober £efenletnen bie lautlidje Unfinnigteit oon Schreibungen mie 
Scheune, fteinig, Dieh? 

So mährt bie £autlehre auch na© biefer Seite hin ben 3 ufammenhang mit bem 
meiteren ©ebiet ber Deutfchfunbe, unb fie führt oon hier aus auch leicht 3U bet heute 
miebet oiel erörterten $rage: lateinifche ober beutfehe Buchftaben? Bus bem bereits 
(Erörterten mufe Öen Spülern öreietlei flat gemotben fein: es tommt meniget auf 
bie Sdjreibfchrift als bie Drudfchrift an; bie tDortbilber müffen möglidjft leicht auf* 
3ufaffen fein; bet 3 ufammenhang mit bet Dergangenheit barf nicht 3etfchnitten met* 
ben. Unb 3meietlei Iteues haben fie Öa3u ein3ufehen: es tommt lebiglidj bie Stellung 
bet Deutfdjen 3U biefer $tage in Betragt, nicht bie etmaigen tDünfche unfetet $einbe; 
es tommt nicht auf Splitterrichtereien oon Hugenotten an, bie aus mehr ober meniget 
Rüdungen bet flugenmusteln unb bie bataus angeblich hetootgehenbe größere obet 
geringere (Etmübung für biefe obet iene Schrift eintreten. Denn bet ba herausgered}* 
nete Rachteil obet Dorteil fpielt in tDirflichfeit gar teine Rolle: mit Deutfchen Iefen 
unermübet halbe Rage lang beutfehe Drudfchrift, unb ber $ran3ofe lieft ebenfo un* 
ermübet lateinifche Drudfchrift. IRän mirb auf bie leiste (Ertennbarteit bet £ang* 
buchftaben, auf bie leiste (Ertennbarteit bet fymptfinnträger, bet hauptmörter, butd} 
©tofebuchftaben eingehen unb braucht babei noch lange nicht bie Spitrfinbigteiten un* 
ferer heutigen Rechtfehreibung im ©tofefehreiben alle 3U oerteibigen. Ulan mitb abet 



24 


Sprache unb Schrift 


bas Auge bet Spüler einerfeits auch bafüt offnen, bag bie $tage bet ©rogfdjretbung 
oon tjauptroortem toitllich nicht all3u roejenttich ift — eine gejcgicgtiiche ttberficht 
3eigt fa bas Segmenten bet IHeinungen unb ©eroogngeiten beutlicg genug —> bag 
aber anbetfeits bie $tage bet Drudfcgöngeit bebeutungsooll ift: ettoas fo oollcnbet 
Schönes toie bie Kocgfcgrift gibt es innerhalb bet gefamten Sateinbruderei mit bent 
Ratten ©egenfag bet edigen unb bet getunbeten Bucgftaben nidjt. 

Detartige Übetiegungen fügten alfo fcglieglicg hinüber aufs ©ebiet bes Künft* 
letifcgen. Unb bas ift ein ©ebiet, bas nicht nut für bas Kleib bet taute, bie Schrift, 
oon tüidjtigteit ift, fonbetn auch füt bie Dertoenbung ber Spracglaute felbft. Oie taut* 
ntaletei ift oon jeher füt ben öeutfdjen Spracgausbtud ein toefentlicges Stimmungs* 
mittel getoefen, unb 3toat nicht nut füt ben Dets. ©einig toirb bet Unterricht oon ber 
3 ufammen!Iammetung ber Dersgälften bureg Stab* unb ©nbreim ausgehen, aber er 
toirb bann übergehen 3U bet gleichen Oettlammetung in 3toillingsfotmeln toie oor 
©au unb ©ag, mit Rittern unb 3agen, in fjülle unb $ülle, fcgeiben unb 
meiben. Unb oon ba aus toirb et feglieglieg auf bie tounberooUen Stimmungen fotn* 
men, bie unfere Dichter feit ©icgenbotff burd? bas Abtönen gan3et Gebet auf getoiffe I 
taute igren Dichtungen 3U geben toifjen: Richarb Dehmel unb Rainer IRaria Rille 1 
begertfcgen biefe ITtittel unübertrefflich. Abgesogen oon ben tDörtem unb bem Sinn 
bes ©an3en lagt ficg biefe tauttonlunft alletbings nicht nahebringen, unb fo führt 
biefe lünftlerifdje Betrachtung ber taute fcgon hinüber auf ein anbetes ©ebiet bet 
beutfcgen Spracguntertoeifung, auf bie XDortlegte. 

b) Die UJortlegre. 

Die toiffenJ<haftli<h toichtige $rage, toas man unter U)ortlehre oerftehen foll, 
tommt füt ben beutfchen Sprachunterricht nicht fonberlich in Betragt. Sie ift hoch 
fcglieglich eine $rage bet abge3ogenen, bet planmägig 3ufammenftellenben unb orb= 
nenben Sprachfunbe, aber im Unterricht gleiten beten ein3elne ©eile immerfort toiebet 
ineinanbet übet. Hotroenbigertoeife. Denn bie lebenbige Sprache beftegt eben aus 
Sägen, unb Säge finb äugetlich betrachtet tautfolgen, innerlich betrachtet Dorftellungs* 
folgen, Dorftellungen alfo, bie in itgenbeiner Besiegung 3ueinanber ftegen. Die ©in* 
3eloorftellung aber ift an bas U)ort gefnüpft, unb fo fcfjlingt fi<h tautgebung, XDort 
unb Besiegung immer ineinanbet, fie finb nicgt 3U trennen. Sicherlich bient bie Aus* 
bilbung ber tDortarten ebenfo toie bie ber Beugung 3um Ausbtud ber Besiegung, 
unb oerftänblicg toetben biefe Spracgmittel nur im Sage unb butch ben Sinn bes Sag* 
gansen. Aber fie haften bodg am ©inselroorte, unb fo toirb ber Unterricht nicht umhin* 
fönnen, ignen fcgon in bet UJortlegre Aufmerlfamfeit 3U fdgenlen. $teilieh nut, fo* 
halb et bas U)ort als Besiegungsträger, nicgt als Dorftellungsträger betrachtet; unb 
bas U)ott trägt nun einmal sugleich Dorftellung unb Besiegung. 

Die Seite bes UJortes, bie füg suerft aufbrängt, ift fraglos feine Bebeutung als 
Dorftellungsträger, unb bie Bebeutung biefer Seite für bie Deutfcgfunbe fällt auch 
mehr ins Auge. Sie beganbelt besgalb fcgon ber allererfte Unterricht, ber Anfcgauungs* 
unterricht. Später nimmt bann bet naturfunblicge Unterricht biefen Baben toiebet 
auf, unb mit igm febet Unterricht, ber an bie Anfcgauung antnüpft, befonbets bet 
ganöfertigteits* unb bet erbtunblidje Unterricht. Der Deutfcgunterricgt bagegen, ber 
bocg im lUittelpunft biefer gatten Untenoeifung ftegen follte, tut bafüt geutsutage 



Don KfauMus Bojuttga 


25 


leiber noch fo gut wie nichts. Ulan fd}iebt bie Sdjulb für biefen Utißftanb meift auf 
bas lefebudj, bas ihm nach biefet Seite bin 3U wenig Unterlagen biete. Uber warum 
tut es bas? Dorf} lebiglidj, weil fid} fein Bedürfnis bafür 3eigt. Denn auch ohne bie 
fjUfe bes Sefebudjes follte bie Deutfchftunbe hier eine gölte oon Stoff an ben Schüler 
betanbringen, ober beffet: aus ibm hetausholen unb bann bie Süden feines tDort= 
fefjatjes ergäben. IDenrt fie bas täte, bann fänben fi<b auch bie Sefebüdjet, bie folgern 
Unterricht 3Uljilfe fämen. 3 f)t Sehlen W alfo nicht ber ©runb, fonbem nur ein 3 eid)en 
bes Ulangels. 

Unb boeb ift getabe für bie beutfcbfunblicbe Seite bes Unterri<bts bie Dermittlung 
eines reifen, an beutlicbe Dorfteilungen gefnüpften IDortfehaßes eine unausweichliche 
ttottoenbigfeit. U)ie läßt (ich benn bas reiche Seben nur kgenbwie austeidjenb er* 
faffert, betreiben unb nachfühlen, wenn bie Schüler nicht imftanbe finb, bas, was fie 
fehen unb erleben, auch in tDorten aus3ubrüden! (Ein gan3 planmäßiger Unterricht 
in ber IDortfunbe ift beshalb unbebingt notig, natürlich nicht fo, baß bet Deutfeh* 
lebtet nun nach einer ootgefchtiebenen ©tbnung wie im frembfptachlichen Sehtbudh 
fein nach 0 er Heihenfolge bie eht3elnen Sebensgebiete abadert, fonbem er bot frei, 
wie fich eben bie ©elegenheit barbietet, an feinen Stoff an3utnüpfen, Uabeliegenbes 
beran3U3ieben, Bebeutungen ab3ugten3en, Untlarbeiten 3U erhellen, Schiefes richtig 
3U (teilen, Süden aus3ufüllen. Der (Etfabrungsfreis ber Spüler ift fa recht befchränft, 
unb felbft in ihrem eigenften Erfahtungsfreis ift ihr IDortoorrat febr bürftig unb Diel* 
fad} äußerft unflar. 

Da ift es bie erfte Pflicht bes Unterrichts in ber IDortfunbe, hißt ©tbnung, Klar* 
beit unb eine gewiffe Dollftänbigfeit 3U et3ielen. Da ift 3. B. eine Blauer. Die h fl t 
eine gewiffe Sänge, Dide unb fjöhe, fie bot Pfeiler unb befielt aus Badfteinen: 
bas wiffen bie Spüler. Aber ob alle wiffen, baß fie unter Umftänben einen Sodel 
unb eine Befrönung bot? Daß bie $ugen aus Blörtel ober Speife befteben? 
Daß bie Steine je nach ihrer Seicht entweber Säufer ober Binber finb? Unb 3wi* 
fehen ben Sorpfeilern bängt bas Sot mit ben beiben $lügeln; bas ift befannt. 
fluch wohl, baß es fich in Angeln brebt, üielleidjt noch, baß bie Angeln in fjafpen 
hängen. Aber wie beißen bie Seile bes Sores? Ulan fließt es mit einem Hiegel. 
©ut! Aber wie beißen bie (Eifenbänber, in benen ber Riegel läuft? Das Banb, in 
bas et fich beim Derfchluß fdjiebt? Dom Schloß fennt man gemeiniglich bie Klinfe 
unb bas Sd}lüffelloch — bas ift alles. Süden, Süden, wohin man faßt! Unb hoch 
ift bas noch eins ber einfachen Beifpiele, etwas, was bie Schüler täglich not Augen 
{eben. IDarum wiffen fie mit ben Be3eichnungen für Seile ihres Sahtrabs fo oiel bef* 
jet Befdjeib? U)eil fie es pußen unb auseinanbernebinen unb ausbeffem. Die Be* 
tätigung fdjafft bie Uotwenbigfeit bet IDörter. Die Bebeutung ber Sigenarbeit für 
bie Bereicherung bes Spradjfchaßes fann gar nicht genug betont werben. Aber bie 
Schüler tonnen fich nicht im gan3en Kreis ihrer (Erfahrung felbft betätigen, unb fie 
(ollen auch oiel fennen lernen, was über biefen Kreis bet eignen Erfahrung hinaus* 
gebt: ber Binnenlänbet foll 00m hafenleben unb oon ber Schiffahrt wiffen, ber Hlat* 
fdjenjunge oom fjoehgebitge, bet fjeffe oon Blarfch unb ®eeft. Der erbfunblidje Unter* 
tidji untetftüßt ben beutfehen Unterricht wader, foweit er fann. Aber er fann fein 
Augenmett nicht fo anbauernb, wie es nötig wäre, auf biefe fprachlidjen Dinge richten. 
Das ift Sache bes beutfehen Unterrichts. Der bat fich eben auch nach liefet Seite hin 



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Spraye unö Schrift 


jum Unterricht in Doltstunbe ausjugeftalten, et betrachtet bas $a<hwer!haus mit 
feinem Sattelbach unb feinem Krüppelwalm, feinem $irft unb feinem (Siebet, 
feinem Rahm unb feiner Safcfchwelle, feinen Stänbern unb feinen Riegeln, 
feinen $uf$ftreben unb feinen Kopfbanbern, er oertieft fich in ben Burgbau toie 
in ben Dombau, et führt in bie Arbeit bes Schreiners toie bes Spenglers ein, er fieht 
fich bas ©efchitt bes Pfetbes toie ben Bau bes TDagens an. 

Unb toie lehrt es ins Ceben bet beutfchen Stämme hineinfdjauen, roenn bet Qau<h 
bet Rtunbart in bie Schulftube weht, wenn bie Schüler hören, bah bas hanbmert, bas fie 
als bas ber Itt e h g e t lennen, anberroärtsbas bet$leif<het unbtoieber anberwärts bas 
bet Schlachtet ift, roenn fie oomKnochenhauer*Amtshaus 3U hilbesheim hören 
unb ben Eigennamen $leifchhauer tennen lernen! hier heifet bet Dertaufsraum 
£aben, bort Erter, ba ©ewölbe; ^ier fteigt man bie Ereppe empor, bott bie 
Stiege, unb hier führt fie auf ben Dorpiah, bort auf ben $lut, ba in ben Saal. 

Es ift ein befannter Eimrmrf, bah es für bie Schule oiel 3U weit führe, bie 3 ungen 
in bie Sprache bet Stänbe unb Berufe ein3uführen, bah ettoa 3 agbausbtüde nicht in 
ben Unterricht gehörten. Aber bet befte Eeil unferes Dolles ift roerftätig, feine Sprache 
ift bet bilbfräftigfte, bet lebensfrifdjefte Eeil unferes Deutfeh, aus biefem Umtreis 
ftammt ein guter Eeil auch ber hodjfptache, unb bie Schüler finb gar nicht imftanbe, 
bas fdpriftbeutfehe Spradjgut wirtlich 3U oerftehen, wenn fie feine fprubetnben (Quellen 
nicht tennen. Rafeweis, mit allen fjwttben gehest, oertraut, burch bie 
£appen gehen, einteffeln, aufs Korn nehmen, auf ber $ährte fein, 
nachfpüten, eine feine Klitterung haben, Spürnafe, abgehetzt fein, 
wibet Dethoffen, burchgehen, einen oergrämen, et ift ein tDinbhunb, 
einen töbern, einen auf ben £eim loden, £octfpeife, oerlubert ufw. 
ufw. — wie follen bie Spüler mit folgen IDörtem unb IDenbungen einen heutigen 
Inhalt oetbinben, wenn fie nichts oon ber 3 ägetfptathe wiffen? Unb was oon ihr 
gilt, gilt oon anbeten $achfpra<hen ebenfo: bet £anbmann, bet Bühnentünftler, ber 
Spieler, ber Rittet, ber Kaufmann, ber tjochfchüler, ja, ber ©auner, fie alle haben ihr 
Scherflein beigetragen 3um Schah ber Rtutterfprache bis hot 3um Eedjniter unfeter 
Eage mit feinem Betrieb unb feinen Einfettungen, feiner £eitung unb feinem 
Räbchen, hier ift bie XDortfunbe eine hauptquelle ber Kulturtunbe, unb in ihr fpie* 
gelt fich bie Entwicflung unferes gan3en Doltes. Rieht nur in ben £ehnwörtem pom 
Amt unb 00m Reich bis 3um Streit unb 3um Spott, fonbem auch in £ehnwenbun* 
gen unb Anfpielungen, fei es aus bet Bibelfptache, fei es aus hontet, fei es aus Sljate* 
fpeare. Unb baneben felbftoerftänblich in ben Ausfptüdjen unfeter eignen ©rohen: 
©oethes, Schillers, Bismarcts. 

IDeniget in bie Deutfchfunbe als in bie allgemeinen ©runbwiffenfehaften ber 
Den!* unb bet Seelenlehte führt bie anbere Seite bet tDortlehre hinein, bie £ehte 00m 
IDort als Be3iehungsträger. immerhin erhellt aus bet gan3en Art, wie bie beutfehe 
Sprache bie IDortbeugung um* unb ausgebilbet hat, bas Riefen unferes Doltes beut* 
lid? genug, um fich auch f<h°n bem Derftanbnis ber 3 ugenb 3U offenbaren. Da finb 
es not allem ein3elne Sprachtriebe, bie Aufmertfamteit erforbem. 3 eigt fich in bem 
fdjiet unetfdjöpflichen Reichtum an Ulörtern bie liebeoolle Beobachtung unb finnenbe 
Derfentung in bie Auhenwelt, bie unfet Dolt tenn3eichnet, fo 3eigt bie Ausgeftaltung 
ber Beugung feine fchUchte Sachlichteit. Don ber gan3en mitten $ülle ber inbogerma* 



Don KfauMus Bofunga 


27 


raffen $ormengtuppen 3ut Bcjeidjnung bet 3 ett* unb fjanblungsftufen hat es nut 
3toei übrigbehalten: eine füc 6ie Dergangenheit, eine füt bie Hichtoet gangenheit. 
Unö felbft bie Dergangenheitsfomt haben bie fübbeutfchen Rtunbarten aufgegeben; 
fie haben erfannt, bafj bas Detgangene in bet ©egemoatt oollenbet ift, unb fie be* 
gnugen fich baljer mit einer Dollenbungsumfchreibung. flbet basfelbe oertiefte Be- 
trachten, bas unfet Dolf bet oielgeftaltigen Dingtoelt roibmet, gönnt es auch ben Bot» 
gangen. 3 h m ift es toefentlich, ob ein Dorgang etft eintritt, ob et oetläuft obet ob et 
abfchliefjt; rtjm ift es mistig, ob et nut einen flugenblid mährt obet ob et eine getoiffe 
Dauer beanfptudjt, ob bet Blid fi<h in feinen Beginn obet feine RTitte richtet. Die 
Umfcbteibungen bet fjanblungsarten unb stufen finb habet ungemein reich- Unb \ 
toäbtenb bie lanbläufige, nach lateinifcbem Htufter 3urechtgeftut(te unb 3urechtgeprefjte 
Sptacblebte oon fecbs 3 eiten bes 3 eitu>orts fabelt, ift es Huf gäbe bes roirflid? fach* 
gemäßen Unterrichts, biefe fjanblungsunterfchiebe in ibtet $einheit unb Dielfeitigfeit 
bet Betrachtung bat3uftellen. „<£r bohrt butdj bas Brett", „et bohrt bas 
Brett burd}", „et butdjbohrt bas Brett"; „art bet Sttafte toutben 
Bäume gepflan3t", „finb gepflan3t tootben", „finb gepflan3t", roelche 
Sorgfalt in bet Untertreibung oon Dauer unb Hugenblid, oon Sun unb (Ergebnis, 
oon f)anblung unb 3 uftanb, oon ffinblid auf bie Sätigteit unb ihten flbfchlufj! Obet 
es toitb itgenb etroas als nicht feftftehenb hiugeftellt unb babei fein ausgebrüdt, ob 
man bie Satfache felbft oetmute, ob ein Dtittet obet oielleicht bet in Hebe Stehenbe 
fie behaupte: „(Et toitb babei getoefen fein", „et foll babei getoefen fein", 
„et toill babei getoefen fein", ©bet man be3eid}net, ob ein Übergang fich nut 
auf ben Anfang obet ben gan3en Detlauf bet fjanblung etftreden foll: „Dom Schein 
ten lanten fie 3um Silagen", „oom Schelten tarnen fie ins Schlagen". 
DieleifeftenSchtoingungenbetfluffaffungtoetbenausgebrüdt: „(Et ift 3um Baben 
gegangen", „et ift haben gegangen"; „(Et ift am <Einf<hlummetn", „et 
ift im <Einfd}lummetn". 

U)as füt ben flusbtud bet 3 citen gilt, gilt auch für bie Perfonenformen. Huch 
hier biefelbe (Einfachheit unb Schlichtheit. Überall 3u>ei $ormen, eine für bie Hntebe, eine 
füt ben Bericht. Die Schüler etfennen, toie biefe 3 n>eiteilung aus bet Sache geboten 
ift, ba bas Sprechen ja aus Hnteben unb Berichten befteht. Daneben aber toiebet 
bas feine Hbtoägen bes IDettes bet ffanblung für ben Sprechenben: eine fymbtung 
fügt fich bet Berichtsform nicht, bie nämlich, bie ich felbft augenblidtich ausführe. Die 
fleht mit 3U nah, f<heint mit 3U ein3igattig, hebt fich 3U feht heraus aus bet Ulenge 
aller anbeten fjanblungen, als bafe ich fie mit gleichet $otm wie biefe be3eichnen 
möchte. Unb toähtenb fonft gan3 einförmig unb fdjlicht nebeneinanbet ftehen: tt a g t— 
tragen, trugft — ttug, trugt — trugen, ttügft — trügt, trügt — trügen, 
hebt fich hier neben bet Hntebe ttägft unb bet Berichtsform trägt bie Selbfthanb* 
lungsform ttage fdjarf heraus. Der Schület toitb feinen Blid batauf 3U lenfen haben, 
baf} bie beutfehe Spraye hier ein allgemeines feelifches ©efet} 3ut ©eltung bringt, 
bas ©efeij, baf} uns Semliegenbes mit Ähnlichem 3U oetfehtohnmen fdjeint, baf} toit 
ba in etftet Reihe bie ©teichheit etfennen, nicht ben Unterfdpeb, toähtenb uns bas 
Uaheliegenbe als Befonbetes, ©in3igartiges etfdjeint, beffen Denoanbtfchaft mit an* 
betem toit bähet 3utüdftellen. Hut bie allemächftliegenben, allethäufigft gebtauchten 
3 eittoöttet 3eigen flbfonberlichf eiten toie bie Dettoenbung mehrerer Stämme (gehen 



28 


Spraye uitö Sd)rift 


— ging, bin — ift — mar), nur bie immerfort gebrausten perfönliSen $ürmörter 
3eigen gan3 eigne $all* unb 3 cttjlbilöurtg aus oetfSiebenen Stämmen (iS — wir — 
mir, bu — ißt). Bei biefem gan3 Dertrauten mitb eben jeber Heine UnterfSieb fo 
ftart gefüllt, baß bie SpraSe HS fSeut, für biefe DerfSieöenßeiten bie ©leiSßeit bes* 
felben Stammes an3umenben, Sr fd?eint fSärfer trennenbe Stammoerfettung hier 
angebraStcr 3U {ein. ©benfo i{t’s ja bei bet Steigerung ber Beimorter: oiel — meßt, 
gut — beffer, menig — minber, bei ber Bilbung bes Umftanbsmortes: gut — 
rooßl, be|onbers aber bei ber ©efSleSts* unb Altersbe3eiSnung lebenber tDefen. 
Bei fremben Sieten ßeißt’s etma £öme — £ömin — £ömenjunges, aber bei naß* 
oertrauten Ißengft— Stute —$ullen, Stier — Kuß— Kalb, ©bet—Sau — 
$erfel. Unb mäßrenb neben $reunb: $reunbin, neben Bienet: Dienerin 
fteßt, Reifet es: Ulann — tDeib — Knabe — HtäbSen, Batet — TRutter — 
Soßn — SoSter. $üt biefe miStigften, näSften Derßältniffe ift bet Aufmanb be* 
fonbeter Stämme angebraSt. ©an3 entfpreSenb ßebt unfete SpraSe auS bie im 
Augenbltd oon mir felbft ausgefüßrte fjanbluitg als ein3igartig aus allen anberen 
fjanblungen heraus, inbem fie if?r eine gan3 eigne $orm gibt. Ber ©imoutf liegt 
naße, unb benfenbe SSület ergeben Sn moßl, baß es {iS ßiet boS um ererbtes $or= 
mengut ßanble, baß al{o boS oielleiSt oon einem 3telftSeten SpraStriebe hier niSt 
bie Rebe fein fönne. Unb gemiß l)at ja bie SpraSe altes $ormengut oermanbt. Aber 
bas IDiStigc ift boS bas: U)arum ßat bie SpraSe {on{t überall ausgegliSen, in biefem 
einen $all aber ni<ßt? ©s ßieß boS mittelßoSbeutfS: iS nim — et nimt. ©ine 
AusgleiSung märe alfo, menn man an bas fonft gar niSt feltene Antreten oon t ober 
b benft (IRonb, fjabiSt, jeßt), gan3 leiSt gemefen. Aber bie SpraSe f?at niSt nur 
ben AusgleiS oerfSmäßt, fonbern fie ßat bie Sr für ihre 3 o)ede nocß 3U äßniiSen 
Sotmen fogar auseinanberentmidelt: neßme — nimmt. Unb bas ift bas tDefent* 
liSe, niSt bie Detmenbung oon bereitliegenbem Sormgut. Bas 3U benußen liegt 
oiehneßr miebet gan3 in ber Art ber SpraSe, bie, allem Überfluß abßolb, jebes Split* 
terSen ausnußt. Die SSüler roerben ßiet an Bebeutungstrennungen mie IRännet 

— IRannen, Bänber — Banbe, pflegte — pflog, mebte —mob, befSei* 
ben — befSieben, ergaben — erhoben, faft — feft 3U benfen ßaben. 

Biefet ©rieb 3U einbeutiger, Hater Dermenbung bes SpraSguts ift bann meiter 
3U oerfolgen, ©r prägt fiS etma noS aus in ber fjerausarbeitung fSarfet IReßr3aßl* 
formen (Umlaut, en, er), in ber SSeibung belebter tDefen unb unbelebter Dinge 
(Riefe, Bube — ©raben, Brunnen), unb gerabe folcße ©in3eSeiten maSen es 
bem SSület anfSauliS, mie 3medmäßig unb fiSer bie SpraSe ißren IDeg geßt, unb 
oor allen Bingen auS, toie ber altüberfommene SpraSftoff fiS bem geiftigen Be* 
bütfnis bes Dolfes immer mieber anpaßt, mie bie SpraSe in Ster $otm immer ein* 
faSer, faßliSer, leistet 3U bemalten mirb, um bafür anberfeits immer innerliSer, 
ftimmungsooller, anfSauungsreiSer 3U merben. Unb bas ift beutfSe Dolfsart, bas 
ift basfelbe tDefen, bas fiS auS in ber beutfSen Kunft ausfpriSt, unb fo erfentien bie 
SSüler bie große ©inßeit, bte fiS in allen geiftigen Äußerungen bes Boifes ausfpriSt. 

c) Bie Saß* unb Stüleßre. 

Biefe geiftige ©igenart bes beutfSen Dolfes fennen 3U lernen eignet fiS nun 
gan3 befonbets bie Saßleßte in ißter ©tßebung 3ur Stülebre. RiSt, als ob bas ber 



Don KfauMus Bojunga 


29 


einige ©eminn mäte, öet ft<h aus öet leiste »om Sat^e 3ieljen liefee, ift fie öodj öet 
Seil öet Sprachlehre, an öeffen Anfangsgtünöen öie Spüler fidj befonöets 3U fdjarfer 
Denttätigleit Ijetanbilöen laffen. Aber öas Deuten »erfolgt nicht bei allen Dollem 
gleite 3 i«Ie* 6s ift auch Ijiet mie in öet bilöenöen Kunft unö urie im Büljnenmet!. 
Die Romanen — am öeutlidjften öie Römer — ftellen eine tjaupfootftellung bewert* 
jdjenö in Öen HtittelpunH öes Satjes unö fügen alle Begleitumftänöe nur toie ©rläute* 
rungen IjiiBu: 3 «it unö ©rt, ©tunö unö $olge, Beöingung unö Abfid)t. So entfielt 
ein !unft»oll abgeftufter Bau, einet Bilöfäule ähnlich in öet moljlabgemogenen fjal* 
tung öet ©Ueöet; ein übetlegenet Kunftoetftanö maltet über öem ©anjen, eine ge* 
miffe Küljle öes Denlens, öie uns Deutfdjen öas ©infühlen ebenfo erfdjmert, mie öas 
bei italienifcfjen Bilöetn aus öet 3 eit öet tDieöeretroedung öes Altertums öet $all 
ift. ©an3 anöets beim öeutfdjen Sat$. Auch Ijiet entfpridjt öas IDefen öet bilöenöen 
Kunft unö öes Sdjaufpiels — jomeit öiefe Künfte mitfltch boöenftänöig unö nicht gtie* 
djifdj^tömifch angetränfelt finö — öem IDefen öet Sprache oöllig, unö öiefe Derroanöt* 
fdjaft auf3U3eigen unö nadjempfinöen 3U laffen, um öaöurdj ein ©efüljl für öeutfdje 
Art 3U »ermitteln, ift ein tjofyes 3 icl feöes öeutfdjtunölichen Unterrichts. 3 m ©egen* 
fatj 3um lalten Derftanö öet Romanen äufeert fid} öas marme ©emüt öet Deutfdjen 
fa öatitt, öafe fie feöe ein3elne ©tfcfjeinung öet XDirflictjfcit liebeooll betrachten, in 
iljtem eignen IDefen nadjfütjlen unö fie für roidjtig genug halten, iht au<h an fid}, 
nicht nur in Be3ieljung auf etroas anöeres, forgfältige Aufmetlfamleit unö öie Blühe 
ausführlicher Darftellung 3U miömen. Die öeutfdje Kunft oetlüt3t öen ©igenmert 
öet Blumen im ©tafe auf einem Rtatienbilö ebenfomenig mie Öen Sarbenfdjmefe öes 
Sdjmetterlingsflügels, jeöet begleitenöe Umftanö tragt füt Öen Deutjdjen einen tiefen, 
matmen ©efüljlsmett, Öen er »oll nadjloften laffen mill, um öurdj Öen 3ufammen* 
Hang all öiefet ©injelempfinöungen einen »ollen Unterton 3U geminnen füt öie 
Seelenbemegung, öie et in feinem ©emälöe, in feinem Sdjnitjmert, in feinet Dichtung 
ausörüden mödjte. So mirft feine Kunft nidjt fo einheitlich aufgebaut mie öie toma* 
nifdje, aber auch nid)t fo oetftanöeslühl, fie geht in öie liefe unö 3eidjnet fidj »ot öet 
tomanifdjen öurdj Öen Reichtum öet ©injelljeiten unö öie Sülle öet Stimmung aus. 
Der junge Jjetöet — befonöets im „Reifetagebuch" öes $ünfunÖ3man3igjährigen — 
mat ein Uleiftet öiefes Stils, mie f<hon Bertljolö »on Regensbutg unö Heinrich Seufe 
Bleiftet öatin maten, »ot allen auch Johannes »on Saa3, öet ihn auf öie tjölje teinftet 
Kun jt erhob, unö mie »on Öen heutigen öet mut3eledjte Ijermann Sons Bleiftet öatin mat. 

An foldjen Beifpielen gilt es öie »ölfifdje ©igenatt öes öeutfdjen Satjbaues nach* 
3umeifen, unö an fie Inüpfen fi<h öann öie meiteren ©töttetungen an. IDie öie Kunft 
öas Sanöfdjaftsbilö aus einet Reihe Heiner unö Heinftet Bilöchen unö 3 üge 3ufammen* 
fettf, öie alle gleich ftimmungsgetränH finö, fo betrachtet öet öeutfdje Stil öie ©efamt* 
»otftellung in ihren ©eilen unö ©h^elljeiten, öteht fie gemiffermafeen »ot öem inneren 
Auge mie einen gefdjliffenen ©öeljtein, um öurdj Öen Anblid »on oielen Seiten etft 
ein »olles Bilö feinet ©eftalt 3U erhalten. Der gan3e SHI öet Stabteimöidjtung be* 
ruht auf foldjet Dotftellungs3etlegung, öer fteten IDieöeraufnaljme öesfelben ©egen* 
ftanöes, um ihn in einet anöeten ©igenfdjaft, einem anöeten IDette 3U 3eigen. Aber 
öas tut nicht nur öer Kunftftil, öas tut audj öie Spraye öes täglichen Sehens. Da 
helfet es nicht öas ©ut, öa heifet es tjaus unö Ijof, nicht öie Angehörigen, 
fonöetnIDeib unö KinöoöetKinö unö Kegel, öa gefdjieljt etmas nicht in öer 



30 


Spröde unö Schrift 


Stö^e, fonöetn oot Hau unö Hag, ba ift etwas lieb und wett, null un6 ttidj* 
tig, 6a hat einet jidj toll und ooll getrunlen, et wanlt un6 weicht nicht, 
un6 auch wenn lein anöetes IDott 3ut Beifügung fteht, bleibt 6ie $orm bet Zwillings* 
fotmel bodj gewahrt, unö anftatt 3U jagen „er will öutdjaus nicht" Reifet es 
nachbrüdlid} „et will unö will nicht". Da finit etwas tief unö tiefet, fteigt 
hoch unö ljöljet oöet höh«* unö höh«* — mit feinem Bebeutungsuntetfdjieö 
beiöet TDenbungen. 

Unö wie öet <Ein3elbegtiff jo 3etlegt witö, wie öie flufjäljlung eins öet belieb* 
tejten unö beöeutjamjten Büttel öeutfd)en Stils witö, jo 3etfällt öie ©ejamtoorjtellung 
öes Satjes ebenfalls in eine Reih« gleichberechtigter Seile. Hidjt „weil öies jo ift, 
ijt öas jo", fonöetn „öies ift jo, unö öatum ijt öas jo" ijt öie übliche $otmung 
öes ©ebantens im Deutfchen, nicht „nachbem et gelommen wat, tat et öas", 
fonöetn „et lam, unö öann tat et öas". Die Schüler jinö 3U öet (Erlenntnis 
3u leiten, wieoiel natürlicher als öie lateinifdje öieje öeutjdje Art öet Satjbilöung ift, 
öenn an fich fielen Utjadje unö $olge, bet etfte unö öer 3weite 3 eitpunlt gleid}berech* 
tigt nebeneinanöet, unö es ijt eine KünjtUdjfeit, wenn öes Radjöruds wegen öies 
©eöantenoerhältnis 3ugunjten einet Unietotbnung oetjdjoben witö. 

Siegt in öiejet Seite öes Safcbaues eine befonöete (Eigentümlichleit öes öeutfdjen 
TDefens ausgebrücft, jo nicht minöet in öet Satjftellung, beten ©efetje öie Schule weit 
nachörüdlidjer beljanbeln jollte, als jie öas heute meift noch tut. $inbet jid) öo<h als 
(Begebnis öet Sdjule^iehung bei oielen „gebilöeten" Deutfdjen öie Uleinung, oiel 
öenlrichtiget als in ihrer Ulutterfprache fei öie IDortjtellung im — $tan3Öfij<hen! 
Der Untetjdjieö ijt in IDitllidjfeit öer, bafe im $tan3Öjijd)en — ober bejjet: im Sdjul* 
fran3öjijdjen, öenn öie lebenöige Spraye ijt feineswegs jo hohem — öie Stellung 
mehr erftattt ijt, wähtenb wir im Deutjchen öie UJottgliebet na© Öen leijejten Sdjwin* 
gungen öes Had}öruds umftellen. Die Spület wetöen ohne Blühe Öen Unterjdjieb 
öet Betonung unö öet 3 ujammengehötigleit in Öen Satjanfängen ^erausfinöen: 
„Die ITCöndje pflegten im Utittelalter in ihren Klöftern ...", „Die 
Btönche pflegten in ihren Klöjtern im Ulittelalter...", „Die !Ttönd?e 
im Utittelalter pflegten in ihren Klöjtern...", „Die Blonde in ihren 
Klöftern pflegten im Utittelalter...", „ 3 m Utittelalter pflegten öie 
Utöndje in ihren Klöjtern ...", „ 3 n iljten Klöjtern pflegten öie ITCöndje 
im Ulittelalter ..." Unö jie feljen neben öet nur öutdj Öen Sinn geregelten Stel* 
lungsfreiheit 3ugleidj öie fejte äufeete ©tönung: öie 3 u)eitjtellung öet Sagaus jage, 
öie im Ausjagejatj ausnahmslos herrjefjt. U)ieöet 3eigen jidj gan3 einfache, fdjlichte 
©runbgejetje unö öaneben ein unenölidjet Reichtum, eine enölofe Sülle, öie aber 
weniger aufs Denten als aufs IDetben, auf öie Stimmung, aufs (befühl 3utüdgeht — 
hier wie überall. Das hetausatbeiten heijjt eben aud? in öer Sehre oom Sah Deutfeh* 
funöe treiben, öenn öet (Etlenntnis öes öeutfdjen IDefens öient bod} lebten (Enöes 
öie gan3e Deutfchlunbe. 

UHU öet Unterricht öas aber erreichen, jo ijt es nötig, ba& er öie Sähe jo betrachtet, 
wie jie tatjächlid? jinö, nicht aber nach beliebtem Utujter etft etwas unterjdjiebt, öies 
öann für öie Sache jelbjt ausgibt unö an öem untetgefchobenen IDechjelbalg fdjliefclich 
feine (Etllätung oerfucht. (Ein foldjes Detfahten ift jdjlechtetöings eine Utogelei. U)ir 
aber hoben öie Schüler 3U wifjenjchaftlicher TOahthaftigleit 3U et3ieljen unö müjfen 



Don Klauöius Bojuttga 


31 


bähet felbft wiffenfcfeaftlicfe unb wahrhaft (ein — aucfe bas ift <Et3tehung 3um Deutfcfe* 
tum! „Don bem Rotwein i(t nocfe ba", Reifet es 3. B. Unb was macfet bet 
Unterricht aus biefem tabelIo(en Safee? Da fo(I etwas ausgefallen (ein, non bem 
„Rotroein" abfeänge! Unb bocfe fühlt (eher Junge mit unoetbilbetem Spracfegefüfel, 
bafe bas ein ooUet, guter Safe ift: ein ltocfe=Dafein tnitb ausgefagt, unb 3tnat 00m 
Rotwein. U)as (oll ba fehlen? Der oetbreitete Seglet ift eben, bafe man bei bet (Et* 
llärung ©on Säfeen nicfet nom Jnfealt, (onbetn non bet $otm ausgefet. Das gefet aber 
nicfet, benn bie $otm hängt bei gleichem Sacfeinfealt gan3 non Uacfebtud unb Stimmung 
ab. „Kalt ift’s heute!" „Jft bas talt heute!" „(Elenb lalt heute!" „Üiefe 
Kälte beute!" „tDie lalt heute!" Bei biefen Säfeen hat bet Unterliefet bas Der* 
feältnis ©on ©efüfei unb $otm Hat3uftellen, et batf (ie aber nicfet auf eine notausgefefete 
©tunbform sutüdfüfeten wollen, bie bei ihnen nie beftanben hat. Die Sucfet, ffitunb* 
formen für bie äufeetlicfee Sptacfeptägung 3U fucfeen, tno man nur nacfe innetet, feeli* 
fcfeet $otm fucfeen follte, nerbitbt bie gan3e Safelefete. Da feeifet es: Safeausfage in bet 
Petfonenfotm bes 3 eitworts, Safegegenftanb im Werfall: bas (inb bie 3 eicfeen bes 
richtig gebilbeten Safees. Unb nun finbet bet Junge Säfee wie „Keine £uft non 
leinet Seite", „heute rot — morgen tot", „Darüber ein anbetmal". 
U)as (oll et ba3U fagen? (Ein wichtiger ©eficfetspunlt fefelt ifem eben: Die Sprache 
btüdt nichts Übetflüffiges aus. Wenn jemanb fragt: „Wem feaft bu bas Bucfe 
gegeben?" (0 hat bie Antwort 3U lauten: „UTeinem Btubet." (Eine Antwort, 
wie (ie bie Scfeulfptacfee manchmal oetlangt: „Jcfe habe bas Buch meinem Btu* 
bet gegeben", bas ift überhaupt leine Sprache, unb betattiges oetbitbt (ebes 
Sprachgefühl. 

Don bet lebenbigen Rebe hat alfo bie Safelefete aus3ugefeen, benn in ifet lebt bie . 
Spraye, unb bet Scfeület mufe erlennen, bafe bie fcferiftlicfee Rebe biefe Sptecfefäfee aus 
bem ©runbe nur in geringem Umfang feaben tarnt, weil ifet bie Tttittel bet gefptoefee* 
nen Rebe fehlen: ©onfeöfee, Cautfeeit, Scfenelligleit, Paufen, lut3 bet gan3e Safeton* 
fall, für ben (ie nur bas tümmerlicfee <Er(afemittel bet 3 eicfeenfefeung hat. Da ift (ie 
eben geswungen, weitfcfeicfettger unb umftänblicfeet 3U (ein als bie lebenbige Rebe, 
bamit (ie jebe Unflatbeit, (ebes ITCifeoetftefeen oermeibet. Der Spület mufe erlennen, 
bafe es lein £ob ift, wenn es oon jemanb feeifet: „(Et tebet wie gebtudt." Denn bas 
feeifet: „(Et ift ein umftänblicfeer Wortemacfeet." (Et mufe aber aucfe erlennen, wie 
fcfeief bie Dotfcfetift ift: „Schreibe, wie bu fpricfeft!" Denn lange nicfet alles ©efpto* 
djene pafet füt bie Schrift, bie auf ifete lärglicfeen Tttittel angewiefen ift unb mit biefen 
bat3uftellen oetjucfeen mufe, was bie frifcfee Rebe mit all ifeten vielen Detbeutlicfeungs* 
mittein ofene weiteres llat erlennen läfet. Die Stillofigleit bet lut3lebigen Witllicfeleits* 
flbllatfcfeetei im Schrifttum bet adliger unb neun3iget Jahre bes nötigen Jahr* 
feunberts berufete nid}t 3um getingften Seile batauf, bafe fie biefen Untetfcfeieb 3wifdjen 
ben Ulitteln bes Sprechens unb Schreibens oetlannte, unb 00t biefem gefelet feaben 
mit bie Jugenb 3U bewafeten. 

3 efe feabe in meinen tut3en Ausführungen natürlich nur Stichproben baoon geben 
lännen, wie icfe ein3elne Punlte bes gan3en weiten ©ebiets bet beutfcfeen Sprachlehre 
befeanble. Das entfptacfe aucfe bet Abficfet bes hetausgebets, bet nicfet eine Umfcferei* 
bung bes hier gegebenen £ehrplanes mit anbeten Worten hoben wollte, (onbetn 



32 


Der mitteIt)o<$beutf<f)e Unterricht 


hetausgegriffene Beispiele. Aus biefen Beijpielen follte hetoorgehen, wie man aud? 
Öen Sprachunterricht in Öen Dienft öet Oeutfdjlunöe {teilen !önne. Aber ich mufete 
öodf noch toeiter gehen unö 3eigen, toie man trolj aller Betonung öer Deutfdjfunbe, 
öie ftets öie ©inheit im gefamten öeutfdjen Unterricht bilöen muf}, auch immer auf 
öie allgemein bilbenbett, jagen mir einmal: grunöwiffenfchaftlichen $ragen — Seelen* 
lehre, Oentlehre — einjugehen hat, auf bafe öer öeutfdje Sprachunterricht nicht nur 
— toie manche meinen unö wollen — 3U anheimelnder unö anregenöet Unterhaltung 
öiene, fonöem auf bafj er auch angefpannte Denfarbeit unö {tröffe ©eiftes3u<ht oet* 
lange. Oie öeut{che Schule, öie wir hetauffühten wollen, foll eben feine Schule bet 
geiftigen Schlaffheit unö ©berflächlichfeit werben, {onbem {ie foll es an angeftrengter 
Arbeit burchaus aufnehmen fönnen mit öer alten lateinifchen ©elehrtenfdjule, wie 
{ie 3U ihrer Blüie3eit war: nur ein IDiffensgebiet in öie IRitte {tellenö, aber ein wett* 
weites, unerfchöpfliches, in öem {ich bie gan3e ©röfce unö ©iefe menfdjlichen ©eiftes i 
fpiegett. Hut öafe öies ©ebiet für uns öas geiftige £eben öes eignen Dolfes ift, öes 
Doltes, öas öer ©eift Cuthers unö Kants, ©oethes unö Bismarcfs befruchtet hat — j 
gewife feine {Rechteren Hamen als Aifcfjylos unö Platon, ©icero unö fjora3! 

Der mittelf)0(f)&eut|d)e Unterrid)t. 

Don panf Dogel. 

©s i{t beftemölich, wenn es {ich auch wie alles gerichtlich »erflehen läfet, bafe 
in Öen höhnen Spulen Oeutfchlanös, öie {ich in öer ©rlemung ftemöet Sprachen 
nicht genug tun fönnen, öer mittelho^öeutfdje Unterricht auch heute noch» obwohl 
grunb{ät)lich {eine Hotwenöigfeit unö Beöeutung allgemein anerfannt ift, in un* 
genügenöer H)eife erteilt wirb. Oie lebenöige beutfdje ©egenwartsfptache aber 
mit ihren 3ahlteichen Hlunöarten, öie auf Schritt unö ©ritt öie münöliche unö fchrift* 
liehe Sprache beeinfluffen, ift nur öem oerftänblich, öet öie mafjgebenöen gefehlt* 
liehen Sprachgefefce fennt, mit öeren fjilfe {ich allein eine lebenöige Sprache begreifen 
läfct. ©s genügt nicht, bafe oorübergehenö ein wenig übet öiefe {ehr ern{ten Dinge 
geplauöert wirb. H)it fönnen öie Sprache, öie wir reöen, nur mittels einer {ehr 
grünölichen Betrachtung öer Haturgefetjlichfeit, öet phyfiologifctjen unö pfycholo* 
giften Beöingungen öer öeutfehen Sprachentwicflung oerftanblich machen. Oiefe 
Aufgabe fällt wegen ihrer Schwietigfeit öen ©bertiaffen öer höheren Schulen 3U. 

Oie £öfung öiefer Aufgabe ift aber nur öem möglid}, öer wenigftens eine öer oetgan* 
genen fjauptperioöen öer öeutfehen Spracfjentwicflung aus eigenem Stuöium fennt 
H)ollen wir unfer Heuhochbeutfeh gefchichtlich oerftehen, fo müffen wir uns fo in 
öas Htittelhochöeutfche huteinlefen, bafe es wieöer in uns lebenöig wirb unö wir fein 
oeränöertes gortleben in unfeter ©emeinfprache wahmehmen. Auf öiefe H)eife 
erfchliefet fich uns öer Bücf füt öie ©ntwicflung öet öeutfehen Sprache innerhalb 
öer letzten fieben 3 ahrhunberte. Das Htittelhochbeutfche ift nicht eine frembe Spraye, < 
öie wir neben anöeren ftemöen Sprachen ober als ©rfat) füt eine $remöfpra<he er* 
lernen, ©s fleht uns noch fo nahe, baft es uns anheimelt unö uns fortgefetjt öie $reuöe 
öes IDieberfehens ober beffer öes EDieberhörens erleben läfet. Hut wegen feinet nahen 
Derwanötfchaft mit öem Heuhochöeutfchen öatf öas IHittelhochbeutfche Untenichts* 
gegenftanö in Öen höheren Schulen fein, ©s ift anöererfeits fo weit oon unferet Sprache 



Don Pani Dogel 


33 


entfernt, bafj mir es im ©egenfafe )ur Spraye Cutters als eine vom Zteuljochbeutfchen 
öeutüdj unterfcheibbare Spraye erlernten, fo bafj es ffir eine befd?eibene gerichtliche 
Spradjbetrachtung ausreidjt. Hidjt bet romantijdje 3 auber ber mittethochbeutfchen 
Sprache noch jonft irgenb etwas pi?iIoIogifd?=fjiftoxi|d?es berechtigt 3m Einführung 
bes mittethochbeutfchen Unterrichts, fonbem etr»3ig unb allein bie Eatjache, bie für 
alle Deutfchen aller Stänbe eine fie täglich begteitenbe Lebensfrage ift, bafj ohne 
bie Kenntnis bes fllittelhochbeutfchen ein tiefgrünbiges Derftänbnis unferer Sprache 
nicht möglich ift. Oer mittelhochbeutfche Unterricht ift unentbehrlich, wenn wir 
hineinbliden laffen wollen, fei es auch nur oon ferne, in ben lebenbigen (Seift unferer 
Sprache, in bem fich alles wiberfpiegelt, auch bas flllerfeinfte unb 3 artefte, was 
oon beutfehen UXännem unb Stauen je erlebt worben ift. 

Uicht gan3 fo fchwerwiegenb unb hoch bebeutungsooll genug ift eine 3weite, 
mit bet erften innig 3ufammenhängenbe Rechtfertigung bes mittethochbeutfchen 
Unterrichts. Das Ulittelho^beutfche ift bie Spraye, in bet bie erften wahrhaft 
großen beutfehen Dichtungen entftanben, bie lebenbig bleiben werben, folange es 
ein beutfehes Doll gibt. Es ift bie Sprache, in bet fich eine ho<hf* e h en be beutfdje 
Kultur ihren lünftlerifdjen flusbrud formte, fo bafe 3um erften Riale eine felbftänbige 
beutfdje Hationalliteratur erftanb, bie fi<h mit anbeten Literaturen meffen lonnte. 

Schließlich ift bie fprachüch'formale Bilbung fehr hoch einjufchätjen, bie bie 
Übertragung ber mittethochbeutfchen tDerle in bie Sprache unferer Eage übermittelt. 
Das mittelhochbeutfche ift troff feinet nahen Derwanbtfchaft mit unferer ffiegenwarts* 
fptache uns hoch fo weit 3eitlid? entrüdt, bafj wir es nur mittels berfelben geiftigen 
Eätigleiten beuten lönnen, mit beten fjilfe wir eine frembe Sprache oerftehen. 
Die oerführerifdje Derwanbtfchaft bes mittethochbeutfchen mit bem Heuljochbeut* 
fchen nötigt, bie Bebeutung febes einseinen UJortes oon Sali 3U $all fehr forgfältig 
3U überlegen, ©erabe bet Umftanb, baff aus bem hochbeutfchen ins hochbeutfdje 
3U übertragen ift, lehrt nicht nur bie ©efdjichte bes Bebeutungswanbets ber beutfehen 
IDörter, fonbem auch bie mannigfaltigleit unb $einheit ber Bebeutungsunterfchiebe 
bet gegenwärtigen beutfehen Sprachformen. Uut ein gan3 oorfichtiges flbtaften 
mit bem feingefchulten ©hr unb ein fich einfüljlenbes unb benlenbes Hb wägen 
oetmögen ben jeweilig paffenben flusbrud 3U finben. Der mittelhochbeutfche Sat}- 
bau weicht fo bebeutfam 00m neuhodjbeutfd|en ab, bafj feine Übertragung 3U einer 
llarbemufjten Unterfcheibung bet oerfchiebenen Satjlonftrultionen 3wingt, woburch 
neben bet fptachlichen Logil 3ugleich bie Einficht in bie ©efchidjte bes beutfehen 
Husbruds geförbert wirb, bet beim Übergang 00m Ittittelhochbeutfchen 3um Heuhoch 1 
beutfehen mit bet finneslräftigen flnfdjaulichteit bie wohttuenbe Kür3e oerlor, weil 
bie 3unehmenbe flbftraltion unb begriffliche Spaltung oiel mehr IDörter 3U ihrer 
fprachlichen Sotmung brauchte. Ein mittethochbeutfches IDort oerlangt an oieten 
Stellen 3U feiner Derbeutlichung einen neuhochbeutfdjen Sah. Uon ber Kraft bet 
intuitioen unb begrifflichen Einjicht in bie Unterfchiebe 3Wifd}en bem mittelhoch* 
beutfehen unb bem Reuhodjbeutfchen ift ber äfthetifche ©enufj bes mittethochbeutfchen 
abhängig. Er befchränlt fich anfangs auf bie finnliche Klangfteube über ben mittel* 
hochbeutfchen Dolalreichtum. Erft nach tieferem Einbringen in bie mittelhochbeutfche 
Lyril beijnt er fich aus auf bie rhythmifche unb melobifche Schönheit bes Büttel* 
hochbeutfchen. 3 n oollenbetem Sinne eine mittelhochbeutfche Dichtung äfthetifch 

3titfd)rift f. Deutfdffimb«, 17. ®rgän 3 U!tgs^eft 3 



34 


Oer ntittelf| 0 <f)beuifd)e Unterliefet 


geniefeen fo wie eine neuhoch beutfche, oermögen nur bie, bie nach langem Stubium 
fich ein lebenbiges Sprachgefühl für bie höhere ©efefemäfeigteü unb Itotwenbigteit 
innerhalb bes RUttelhochbeutfchen angeeignet haben. Diefes 3 <el liegt ienfeits bei 
höheren Schule, bie nur öenEDeg bahin 3ubereiten tann. Das roidjtigfte IKittel 
für biefen 3u>ed ift bie überfefeung. Auf fie üerjidjten 3U wollen, ift eine Detirtung 
afthetifcher $einfdjmederei, für bie nicht einmal bet Durdjfchnittsfchüler bet fjod?= 
fdjule teif ift. (Erft nach langem teöltdjen Bemühen ftellt fid? bie wertnolle ©rteimt 5 
nis ein, bafe reftlos beftiebigenbe überfefeungen nicht möglich finb, weil eine Jebe 
tote Spraye, auch bas Rtittelhochöeutfche, ber bedenöe flusbtud einer Detloten* 
gegangenen ©eiftigteit ift, bie fi<h nur auf fünftliche XDeife unb nur teilweife toieber 
lebenbig machen lafet. Die überfefeungsoerfuche, mögen fie aud? noch f° unooll* 
fommen fein, fdjulen auch in jehr beachtlicher IDeife, befonbers beim übertragen 
lyrifchet Dichtungen, bie münbliche flusbrudsfähigteit, bie fich bei ber XDahl bes 
IDortes unb bet Safeform betunbet. fluch bie fdjriftliche neul;cd;beutfche flusöruds* 
weife tann wohltätig beeinflufet werben, wenn fie fich antegen Iäfet, 3m naturfrifchen 
flnfchauKchteit bes Htittelljochbeutfchen 3urüd3utehren. 3ugleich werben bie münö* 
Uche unb f«hriftlid}e flusbrudsweife baburdj geförbert, bafe burch bie faubere laut 5 
liehe flusfpradje unb rhythmifche unb melobifche tDiebergabe bes Blittelhochbeutfcfeen 
bas ©hr für bie feineren lautlichen, rhythmifchen unb melobifchen Unterfdjiebe ge 5 
öffnet unb bie 3 unge unb ber gan3e Sprechapparat für beten ©Beugung gefefeidt 
gemacht werben. IDit tönnen nur fo unfere Sprache behettfehen, bafe wir h°*en 
unb reben lernen, ©s hat ben flnfdjein, als ob bet fotmalbilbenbe IDert bes mittel 5 
hodjbeutfdjen Unterrichts nicht beutlid? ertannt unb genügenb eingefdjäfet würbe. 

Der mittelhochbeutfche Unterricht uetmag freilich bie angegebene Beben* 
tung nur bann 3U erlangen, wenn et in ben IKittelpuntt bes öeutfchfprachlichen 
Unterrichts ber oiet b3w. brei ©bertiaffen gerüdt wirb. Die Rüdficht auf bie Schwierig* 
leiten bet tlaffifchen Dichtungen ber neuhochbeutfdjen Literatur nötigt ba3U, mit 
bem mittelfeod}beutfd)en Unterricht bereits in U II 3U beginnen unb oon ben oier 
wöchentlichen literaturftunben, bie ich in ben oiet ©bertiaffen für notwenbig halte» 
^m 3wei 3U3Uweifen. Hlit berfelben 3 eitoerteilung foll er in 0 II fortgefefet werben. 
3 n UI unb 01 ift oiet3ehntäglich eine Citeraturftunöe bem ITCittelhochöeutfchen 
ein3Utäumen. Sonach würben insgefamt 3weihunbert Stunben 3ur Derfügung ftefeen. 
©s ift gan3 ungenügenb, bie mittelhoch beutfche Cettüre nur auf eine Klaffe 3U be* 
fchränten. 3 n biefem $alle müfeten bie oiet Citeraturftunben in 0 II ihr 3ufommen. 
Dagegen (ptechen brei Bebenten. ®s bliebe bei biefer Stoffoerteilung nur ein 3 eit 5 
raum oon 3wei 3 ahten übrig für bie Betrachtung ber ferner oerftänblichen IDerte 
ber neueren Citeratur, ferner müfeten auch bie mittelho<höeutf<hen Dichtungen, bie 
wie bie politifchen Sprüche XDalthers eine eingeljenbere gefchidjtliche Sachtenntnis 
oorausfefeen, in 0II gelefen werben, unb fdjliefelich würbe ein gtofeer ©eil bes müh* 
fam ©rlernten in Öen Iefeten 3wei Jahren oerlorengehen. ©rft bie geiftige Reife 
bes Primaners erlaubt nach mehrjährigem Sidjeinlejen ein genufefrohes Derftänbnis 
bes Hlittelhochöeutfchen. 

Der Hufeen biefes ausgebehnten mittelhochöeutfchen Unterrichts wirb in Stage 
geftellt; wenn in ber Stoffauswahl nicht bas Allexwichtigfte allein, bas Klaffifchfte 
bes Klaffifcheti, berüdfidjtigt wirb, flu^utäumen ift mit ber fjäppdjenliteratut, 



Don Paul Dogel 


35 


öie in Cefebüdjern unö Schulausgaben nui Proben unö pröbdjen öarbietet, öie 
größeren IDetfe nie in ihrer ©an3heit erfaßen -läfet unb barum 31t einem großen 
Seil bie literarische ©betflädjenbilbung Derfchulbet. Sowohl bas rein Sprachliche 
n>ie auch bas äfthetiS=Iiterarijc^ e Derftänbnis werben Schwer gefd)äöigt, wenn nicht 
wenigstens möglichst gtofee Seile ber umfangreichen Ijauptwerfe gelefen werben. 
3 m wesentlichen hat fich bie mittelhochbeutfche Celtüre 3U beS«htän!en auf bie reiffte 
(Epit bes Zlibelungenliebes unb bie am höchften entwickelte £yri! tDalthers. (Es ift 
feht uiel 3 ^it nolwenbig, bamit bet Schüler in beiben h«imifch wirb. (Er foll öiefe 
tlafSifdjen Dichtungen, an beten unoetgänglidjen Sehenswert er hetangefüljtt 
werben mufe, wenn irgenb möglich in oollftänbigen Ausgaben befifcen. 1 ) Der hcroifdje 
©eift bes nibelungenliebes liegt ber jugenblichen gaffungstraft nahe, barum ift mit 
biefet Dichtung 3U beginnen, unb 3wat ift Sie ben Klaffen UII unb 0 II 3U3uweifen, 
roährenb bie fachlich «ab Sprachlich Schwierigeren ®ebi<hte tDalthers in UI unb 01 
3U würbigen finb. ©s ift 3eitlich nöllig unmöglich, bafe bie Spület Sämtliche 39 aven- 
tiuren bes tlibelungenliebes mittelho<hbeut(ch lefen. Die Befchränfung auf bie 
fchonften aventiuren unb bas Btuchftücflefen gefährben aber bie Iiterarifch*äfthetifche 
tDürbigung bes tlibelungenliebes als ber unoergleichlich fchonften mittelalterlichen 
beutfchen Dichtung. Der ©enufj nollenbet Sich erft, wenn bie Dichtung als ®an3es 
aufgefafet wirb. ITUt Jjilfe ber Barthf<h«n Ausgabe ift es unter Anwenbung bes 
arbeitsteiligen Derfahtens möglich, bafe ieber Spüler oon jebet aventiure innerhalb 
unb außerhalb bes Unterrichts einige Strophen in ber Urfpradje lieft, fo bafe ein 
oertiefter übetbltd über feöe aventiure Sowie über bie gan3e Dichtung 3ufammen 
erarbeitet werben !ann. 3 m Unterricht oollftänbig in ber Utfpradje 3U lefen finb 
bie erften aventiuren, bamit burdj ben geöanflichen 3«fammenhang bas e'rfte ©in* - 
lefen geförbert wirb unb im Späteren Derlauf nur bie aventiuren, bie tjöhepunfte 
barftellen unb fich butch ihre tünftleri{che Schönheit aus3eid}nen. Die {leinen, in fich 
abgefdjloffenen Dichtungen tDalthers finb nicht mit einer Schwer übersichtlichen um* 
fangretchen Stoffülle belastet, ihre Snljalte finb weniger Schwierig 3U erfaffen, wenn 
bie beutfche < 5 efd?idjte bie politischen unb iulturellen Derhältniffe eingehenb öarftellt, 
beren Kenntnis 3um Derftänbnis bet Sprüche tDalthers nötig ift. Das 3 ufammen* 
arbeiten non ©efchichtsunterTtcht unö Deutschunterricht, bas noch all3ufeht nur auf 
bem Papiere fteht, oerlangt bei ber angegebenen Stoffoerteilung bie Derlegung 
ber germaniSch*beutfchen ©eSchidjte oon ber Dölferwanberung bis 3ur Reformation 
in bie Klaffen UII unb 0 II. Die Sdjwierigfeiten ber fotmenreichen unö oon fehr 
oetfchiebenartigen Stimmungen befeelten £yri! tDalthers liegen im Rhythmus 
unb in bet Sprache, beren Übertragung eine entwidelte Ausbrudsfähigfeit unö einen 
aufgefchlofSenen Sinn für lünftlerifche Schönheit Dorausfetjt. 

Aufeer bem Ribelungenlieö unb IDalther tonnen Dielleicht noch ber Atme tjeinrid} 
unb einige fchöne unö bebeutungsoolle Stellen aus bem pat3ioal in ber Urfprache 
gelefen werben, tlleine (Erfahrungen aber Sprechen öafür, ft<h auf öie erstgenannten 
Dichtungen 3U befdjränfen. ©s wirb bem Spüler fehr Diel,3ugemutet, wenn er in 

1) gut bas Ribelungenlieb ifi fehr empfehlenswert bie Ausgabe ton Karl Battfd}, bie 
töort* unb Sachertlärungen, eine breifache Strophen3ählung nach ben btei f) au Pthanb* 
Schriften unb 3 nhaltsüberfichten für alle aventiuren enthält. Die ©ebichte tDalthers finb 
nach ber Ausgabe ton ^ermann Paul 3U lefen. 


3* 



36 


Der mittetf)od)t>eutföe Unterricht 


bie fptodjlidje unb fünftlerifd}e Schönheit 6er mittelhochbeutfchen $omt biefet EDetfe 
einbringen foll. Hut gefdjloffene ©ebanfenfreife tonnen ihm bie (Erreichung öiefes 
3 ieles ermöglichen. Das ©ubtunlieb, ber Pat3»al unb ©riftan unb 3 folbe firtö in 
einer neuhochbeutfdjen Übertragung oollftänbig 3U lefen, bie lebten beiben wenn 
möglich * n ber beften non EDilhelm hertf. Die Ceftüre biefer EDetfe fällt nicht in Öen 
Unterricht, fie werben 3U häufe ftücfmeife gelefen, unb nur ihr äfthetif<h*Kterarif<her 
©ehalt wirb in gemeinfamet Befptedjung erarbeitet. Das gefchieht auch innerhalb 
ber ausgerechneten 200 Stunben, oon benen alfo ein größerer Bruchteil bem Cefen 
mittelhochbeutfcher Uejcte ent3ogen wirb. Das ©ubrunlieb unb ber Amte Ejeinrich 
finb UII, ber Pat3»al unb ©riftan unb 3 folbe 0 II 3U3ufprechen. Das ©ubrunlieb 
unb bas ttibelungenlieb übermitteln eine Bare Anfchauung eines Dolfsepos, welcher 
Begriff nach abgefchloffenet Cefture 3U entmicfeln ift. Der Arme fjeinrich fjortmanns, 
biefes gemütstiefe U)erf ooll fd}lichter Klarheit, feffelt ben finblich'jugenblichen 
©eift. Der Pa^ioal ift »egen bes faft mafjlofen Umfangs unb ber nicht feiten et» 
mübenben Datftellung nur mühfam 3U lefen. Die ©ebanfentiefe biefer inhaltfchmet» 
ften Dichtung bes beutfchen Rlittelalters hellt fich auf, »enn bie Rlufifgefchichte 
in OI ben Schüler in Richarb EDagners Parfifal einführt, (Ebenfo empfängt < 5 ott» 
friebs ©riftan unb 3 folbe, beffen Cefture trotj bet Keufchheit bet Datftellung eine 
gemiffe fittliche Reife oorausfetjt, feine tieffte Deutung burdj Richarb EDagner. Das 
Stubium biefet flafjifchen Deutungen bet mittelhochbeutfchen Citeratur, bie als folche 
unb but<h bie Reubichtungen Richarb EDagners, Ijebbeis, ©erhärt fjauptmanns, 
©mft fjarbts unb Karl ©in3feys gan3 unb gar gegenwartslebenbig finb, fpannt bie 
Kräfte bes Schülers, bet fich * n biefe U)erfe fo hineinarbeitet, bah ihm beten 3 been» 
gehalt unb ßaffifche Schönheit 3U einer Cebensmad}t »itb, betmafeen an, bah eine 
»eitere Ausbehnung bes Stofffreifes nicht möglich ift* 3 ebes Rieht nähert fich ber' 
©efahr bes tötenben fjiftorismus. R)ohl aber ift es »ünfdjensmert, bah bet Unter» 
rieht aud} bie mittelhochbeutfchen Dichtungen geringeren EDertes ebenfo »ie bie 
althocfjbeutfchen Citeraturbenfmäler als gerichtliche 3 eugniffe »ürbigt, inbem et 
fie in größere 3ufammenhänge einftellt. 

Aufjer bet Stunben3ahl unb bet Stoffausmahl entfeheibet bie Riethobe über ben 
(Erfolg bes mittelhochbeutfchen Unterrichts. Die fjauptfdjmierigfeit befteht barin, 
bah 3®ei an fich felbftänbige Aufgaben, bie literar ifd}»äfthetifche EDütbigung unb ,bie 
grammatifalifche Betra<htungs»eife, fi<h but<hfteu3en unb beftänbig ©efahr laufen, 
fich gegenfeitig 3U fchäbigen, fo bah feinet bie Aufmerffamfeit 3ufommt, bie fie 3U 
beanfpruchen hot. ©ffenbat muh bie Riethobe bes mittelhochbeutfchen Unterr idjts 
fo befdjaffen fein, bah bie naheliegenbe ©efahr, bie fünftlerifche Befinnung 3U fd}ä» 
bigen infolge einet 3U »eitgehenben Dertiefung in bie teinfpradjlichen (Etfdjeinung en, 
umgangen unb bet Blicf fo rafch »ie möglich auf bie Kunftfotm, »eichen Begtiff 
id} gehaltoollften Sinne auffaffe, eingeftellt »irb. Das $inf<hauen auf bie rein* 
{prächtigen ©in3elfotmen batf ben Sinn für bie poetifche Schönheit bes ©an3en 
nicht trüben. Darum ift eine Bare Begten3ung ber beiben Aufgaben notwenbig. 
3 n bie Ceftüreftunbe barf nur fo oiel ©rammatifalifches oerlegt »erben, als für 
bas lautlich unb metrifch richtige Cefen unb bas genaue Derftänbnis bes Rlittelhod} 5 
beutfchen unbebingt etfotbetlich ift. 3 m »efentlidjen ift für biefen 3 »cd nur 3»eiet» 
lei nötig: bas Aufmetfen auf bie auffälligften ©rfdjeinungen bes oofalifdfen unb 



Don Paul üogel 


37 


tonfonantifdjen £autwanbels beim Übergang vom ITtittelljodjöeutfdjen 3um Heuljodj* 
beutfdjen unb Mc Sorgfältige Beadjtung des Bebeutungswanbels vieler tDorte. 
Pie Beifpiele für ben Bebeutungsroanbel, weldje bie £ettüre bietet, finb 3wed* 
mäßig in ein Sammelßeft einjutragen. naturgemäß 3wingt bie übetfeßung fort* 
gefeßt 3U Überlegungen über bie mittelljodjbeutfdje tPortbiegung, tPortbilbung, 
tDortftellung unb Saßbilbung, aber fyftematifdj verarbeitet »erben biefe Erwägungen 
nidjt, es ift nidjt mittelljodjbeutfdje ©rammati! 3U lehren. 

Der rein fptadjlidje Ertrag bes mittelljodjbeutfdjen Unterridjts ift in einem in 
befonbeten Stunben nebenljerlaufenben Unterridjt 3ufammen3uarbeiten. Dtefer 
bat mit einer getviffen fyftematifdjen Dollftänbigteit bie Sptadjgefeße 3U entwidein, 
bie bie beutfdje Sprache als eine lebenbige Sprache bewegen unb bie Unterfdjiebe 
3tvifdjen bem ITtittelljodjöeutfdjen unb bem ITeuljodjbeutfdjen, beten Etfaffung ben 
Sdjület erft reif madjt für bie gefdjidjtlidje Spradjbetradjtung, verfielen laffen. Un* 
bebingt fefouljalten ift, baß audj alle biefe Erwägungen immer von ben gegenwärtigen 
Spradjformen ausgeljen, beten Eigentümlidjfeiten 3U etHären als bas Problem auf* 
3ufaffen ift, 3U beffen £öfung bas fltitteltjodjöeutfdje beiträgt. Es ift allein unfet 
Heuljodjbeutfdj 3U lebten, unb bas TTtittelljodj beutfdje ift nur Htittel 3um 3 n>ed. 
Per mittelljodjöeutfdje Unterridjt orbnet fidj ein als organifdjes ©lieb bes mutter* 
fpradjlidjen Unterridjts. Er fdjafft bie ©runblage, auf bet fidj ber widjtigfie unb 
fc^xDierigfte ©eil ber beutfdjen Sdjulgrammatit, bie lautierte, aufbaut. 3 n biefe 
ift alles ijinein3uarbeiten, was bie mittelljodjbeutfdje Cettüre in be3ug auf lautlidje 
Deränberungen gelehrt ßat. Die £eljre vom Bebeutungswanbel !ann fidj auf eine 
abfdjließenbe 3Ufammenfaffenbe Betradjtung bet gefammelten Beifpiele unb bet 
in iljnen Kegenben ©efeßmäßigleiten befdjränlen. Die Cautleljte hingegen vermag 
nur bann in bas tDefen ber beutfdjen Spradje als einet (ebenbigen Spradje einjufüfj* 
ren, wenn fie in breit angelegten Befpredjungen fidj auf wiffenfdjaftlidj einwanb* 
freiet ©runblage aufbaut. Die Befpredjung bes gefamten £autwanbels muß fo 
oetlaufen, baß bet Sdjület, foweit es fein geiftiger Stanbpuntt erlaubt, ben pljyfiolo* 
gifdjen unb pfydjologifdjen Utfadjen feber £autoeränberung nadjgeljt, baß er fidj 
ju verfteljen bemüht, baß jebet £autwedjfel fidj pljonetifdj begreifen läßt unb baß 
bie naturgefeßlidje Spradjentwidlung beljettfdjt wirb von ber töirtfdjaftlidjteit 
bes Denlens, bie ben flusgleidj aller übetflüffigen Detein3elungen fotbert. 3 um 
Derftänbnis bes £autwanbels ift freilidj bie Kenntnis bes ITtittelljodjbeutfdjen nidjt 
oöllig fjinreidjenb. Diefe muß erweitert werben burdj einen befdjeibenen Einblid 
in bie bem Htittelljodjbeutfdjen votausgeljenbe fpradjgefdjidjtlidje 3cit, inbem vom 
Center in möglidjfter Bejdjränlung geeignete altljodjbeutfdje, germanifdje unb inbo* 
germanifdje tDortformen 3weds Erkennung bes £autwanbels ljin3ugefügt werben. 
Dos 3 urüdfdjauen in bie ferne unb femfte Dergangenfjeit läßt bie Spradjentwidlung 
00m 3 nbogermanifdjen bis 3Ut ©egenwart in groben Umtiffen ertennen. Snfonber* 

( Wt bie £autverfdjiebungen gellen bie Spradjgefdjidjte auf. 3 n biefem 3 ufammen* 
fange ift cs 3wedmäßig, bas fjilbebranbslieb unb vielleidjt audj bas tDeffobtunner 
®«bet unb HtufpilK in ber Utfpradje oot3ulefen, bamit ber Sdjület eine Dorftellung 
»on bem lautlidjen unb rljytljmifdjen Klange ber altljodjbeutfdjen Spradje erhält. . 
Pie Befpredjung bet Deränberungen bet Selbftlaute in ben unbetonten Xlebenfilben 
9ibt ©elegenljeit, bie altljodjbeutfdje, mttteHjodjbeutfdje unb neuljodjbeutfdje Defli* 



38 


Der mittenjod)beutfd)e Unterricht. Don Paul Dogel 


ttation oetgleichsweife 3U betrachten, 6ie Konjugation !ann in gleichet IDeife bei bet 
Betrachtung bet Umlaute berüdfichtigt werben. Alle in bet Cautlehre erwähnten 
©i^elheiten übet ben tDetbegang bet beutfehen Sprache werben 3ufammengefafet 
in einer ©efchid}te bet beutfehen Sprache, injonberheit ber Schriftfpraehe, woburch 
bie beutjehe Sprache eingeorbnet wirb in ben menf<hheitli<hen Kulturorganismus. 
3 n biefet IDeife, eingefügt in bie angebeuteten 3 ufammenhänge, bient bie Kenntnis 
bet mittelhochbeutfchen Sprache einem oertieften Derftänbnis bet Rtutterfprache, bas 
3üm minbeften bie leitenben ©efidjtspunfte erfaßt, nach benen alle (Etfdjeinungen bes 
Sprachlebens 3U beurteilen finb. Diefe bie wiffenfchaftliche Sprachauffaffung oor- 
bereitenben Unterrebungen laffen fidj frei oom ^eüigcnfc^ein philologifcher ©eleht' 
famfeit fchlicht unb einfach, gan3 oom ©egenwartsleben umwoben, im (Seifte Hubolf 
fjilbebtanbs unb bet ihm ©leichgefinnten geftalten. 

Die Uterarifch s afthetif<he IDürbigung bet mittelhochbeutfchen Dichtungen ©er- 
läuft im wefentlichen in bet gleichen IDeife wie bie ber neuljochbeutfchen EDerfe. 
So ift bas Uibelungenlieb 3U würbigen als bie unoergleichüch fchöne Dichtung, in 
ber ein gan3 großer Dieter aus bet 3 *it bes beutfehen djriftlichen Rittertums mittels 
eines epifdpbramatifchen, in feinen ein3elnen Ausbtudsfotmen leineswegs gleich 2 
wertigen Stiles bas getmanif<h 5 h e ibnifche h c lben3eitatter, beffen laten alte £ieber 
lobfangen, in urgewaltigen, hetoifchen ©eftalten oerherrlicht. Der feht naheliegende 
Detgleich bes Ribelungenliebes mit bem ©ubrunliebe lehrt, bafr bie epifche Dar- 
ftellung biefer Dichtung gemäfe bem oetänberten Stoffe mit feinem mehr weiblichen, 
wenn auch h c lbemoeibli<hen ©haraltet trot$ bes nicht feltenen Schematichen eine 
mehr bem £ytifd}en angenähette Ausbrudsfotm aus fich entwidelt, welche bie halben- 
hafte ©attentteue einer $tau befingt. IDalthers formenteich'e £ytif ift 3U oerftehen 
als ber Ausbtud eines fraftoollen fittlidjen Denfens, bas {ich ritterlich lämpfenb 
mit bem Kulturleben feiner 3 «it auseinanberfetjt unb beutfdjes Recht, beutfehe Rittet* 
Hchteit, Sitte unb $römmigteit oerteibigt. Der pat3ioal ift 3U begreifen als bie Dich 2 
tung, bie in einem oon ben Dollsepen abweiehenben, weit mehr perfönlichen epifchen 
Stile barftellt, wie bas beutfehe Rittertum neben feinen ftarl weltlichen 3 ntereffen 
bie d)tiftliche ©rlöfungsfehnfucht in fich aufnahm, ©ottfriebs ©riftan unb 3 foibe 
ift 3U betrachten als bas gtofee Kunftwerl, bas butch bie Sittlichleit feiner fünftlerifchen 
Schönheit bie finnliche Ciebesleibenfchaft über bie Rieberung bes ©emeinen erhebt. 
Der Arme fjeinrtch tjartmanns oon Aue ift 3U lefen als ein 3 eugnis für bie Reinheit 
unb ©emütstiefe beutfehen mittelalterlichen IDunberglaubens, beffen erfchüttembe unb 
ethebenbe Kraft in einet fehlsten unb Haren, wohltuenb Iut3en $orm befungen wirb. 

©ine befonbete Beachtung erforbert bie tiefgrünbige, gehaltoolle Deutfdjheit 
bie fich to biefen Haffifchen Ortungen bes beutfehen Rlittelalters offenbart. IDohl 
ift fie begren3t, ba fie fich mit auf bie ©eiftigfeit bes beutfehen Rittertums bes 12. 3 aht= 
hunberts, alfo nur eines ©eiles bet geiftigen ©berfdjicht jener 3 eit erftredt. Aber 
biefet Rlangel wirb baburd} teilweife ausgeglichen, bafe biefe ©eiftigteit einen Ijöhe* 
punft beutfdjer Kulturentwidlung barftellt unb butch bas über3eitli<he Denlen bes 
tünftlerifchen ©entes fo oertieft unb erweitert worben ift, bafe fie über bie ©ten3en 
. bes Jahrhunberts unb bie Schranfen bes Stanbes hinausreidjt. Rtögen bie Sagen 2 
ftoffe biefet Dichtungen bem germanifchen helben3eitalter unb bem romanifchen 
Kulturfteis angehören, fo ift hoch bie lünftlerifche Bearbeitung gan3 oon beutfehem 




Der fluffag bet Unter« nnb lUittelflaffen. Don 5rlft Qempel 


39 


Seifte erfüllt. Oie Bestechung biefet Haffifchen tOerte hat nidjt nur Öen 3eitge* 
fdjichtlichen (Behalt heraus3uarbeiten, bet fidj bei ber fortlaufenben Lettüre toie 
non felbft hetausjtellt, fie mug auch öie über öle begtenjte 3 ^it hinausgretfenben 
öeutfdjen EDefens3üge fennjeichnen, öie ji<h in biefen geiftigen Schöpfungen offen« 
baten. Sie mug ben Schüler bis in bie Höhe ber ITCetaphyfit biefet Dichtungen heran« 
führen. Sie mug ihn wenigftens gan3 leife ahnen lehren, bag in biefen EDerlen 
ijöchfientwidelte öeutfdje ©eiftigleit, bie 3um minbeften in einer geiftigen Oberlicht 
ihren EDibethall fanb, mit Lebensptoblemen oon Unenblidjleitstiefe ringt. EDeil 
biefe tDerfe unoetgängliche Lebensfragen an bet EDmgel erfaffen, barum haben 
H. EDagner, fjebbel, < 5 . tjauptmann, S. fjarbt, K. ©injtey fie in Reufcgöpfungen 
bem beutfdjen Dolle noch einmal gegeben. (Es ift ber irönenbe Abfdjlug bes mittel« 
hodjbeutfchen Unterrichts, roenn bie begabteften Schüler als abfdjliegenbe Aufgabe 
bem nachgehen, n>ie ber mobeme Seift bie alten Probleme noch bebeutfam oertiefte, 
toie er auch auf bie norbifchen Bearbeitungen 3urüdgriff unb toie er in ber RUtfil 
Richard EDagners ben oollenbetften Ausbtud bet oom IDorte nicht faßbaren Untiefen 
bes Srlöfungsetlebniffes fanb. 

Der Huffatf 6er Unter* un6 Xltittelklaffen. 

Don $rifc hempel. 

Unfere Spület follen fich einleben in bie Srfcheimmgen bes äußeren Lebens 
unb fich oerfenlen ins eigene Snnete. Sie follen bie Stfcheinungen um fich unb in 
{ich nicht nur oorübergleiten laffen unb ihr Dafein regiftrieren, fonbern fie erleben. 
Den Begriff bes (Erlebens möchte ich babei gan3 roeit gefaxt toiffen: alles, toas ich 
mir Har oot Augen (teilen tarnt, erlebe id). 3 <h fpteche nicht nur oon einem (Erleb« 
nis, roenn ich etroa ein (Eifenbahnunglüd ober einen Branb erlebe, auch febe Beobach« 
tung eines Segenftanbes um mich, iebes Singehen auf Dorgänge in meinem 3 nnem 
ift ein (Erlebnis, in biefem Salle ein oon mir aufgefud}tes. EDenn bet Auffag ber ein« 
gangs enoähnten $orberung entfprechen foll, mug et alfo 3ut Srunblage bie St« 
fahrung haben, bie Anfchauung. ©hne Anjchauung ift lein Stieben möglich. — 
Sinen breiten Raum unter ben Shemett, an denen unfere Schüler fich üben, nehmen, 
bistoeilen in andere fprachlidje 0 otm gefaxt, folgende ein: Sin fchönet Schulaus« 
flug — IRein fchönfter $erientag — meine $etienerlebniffe — mein Schulweg 
— Srühlingsanfang — Der fferbft — Die Dentmöler unfeter Stabt — Die Um* 
gebung unfeter Stabt — Das Leben in ben Kolonien — Leben im Urtoalb — Der 
hunb ufto. Alle biefe Auf jähe, mögen fie noch fo fliegend gefdjrieben fein — unb toie 
{eiten find fie es! —, mögen fie noch fo wenig Orthographie ober Satfteichenfehler 
enthalten, alte biefe Auf jage haben basfelbe minderwertige (Ergebnis: fie find nicht 
ber Iliebetfchlag eines (Erlebens, fie geben leine noch fo befdjeibene Andeutung ber 7 
taufenbfältigen Schönheit, bie norm Auge ftemb, fie oermitteln leine Anfchauung bes 
Stiebten, fo bag es nun etwa ilar in feinet (Eigenart oorm Lefet erftünbe. Rur all* 
gemeine Redensarten, oerwafchene Ausbrüde, Phrafen fördert ber Auffag 3utage. 
Unb bet ©efichtspunft, nad} bem biefe nid)tsfagenben Ausbrüde gebraucht find? 
(Einfach ber ber Abwechflung. Qat ber Schüler, etwa bei bem Shema: Sin fd)öner 
Schulausflug, 3weimal gehen gejagt, fo fchreibt er nun marfchieren, ift biefes EDort 
oorgelommen, fo fchreibt er gelangen, bann fich begeben, unb toenn fein Dor« 



40 


Der Auffab 5er Unter« un5 UTittelHaffen 


rat an Ausörüden 6er Belegung erfdjöpft ift, fängt er oon oorn an. ©enau fo ift 
es mit Öen tDßrtern, butd? Me er öle Schönheit, öie in mannigfachfter Art vor iijtn 
fid} auftat, öem £efet ©ermitteln nrill: fdjön, ^errlidj, prächtig unö anöete werben 
öet Reibe nad}, wie fie öem Schüler einfallen, oerwenbet, bis er {eine mehr weife 
unö auf öie fd}on gebrausten 3Utüdgreifen mufe. ©b es fid? ^anöelt um ein flottes 
Rlarfchieren auf ebener Strafe, ob um ein mühfames Berganfteigen, ob um ein Caufen 
oöer Rennen nad} einer befonbers fdjönen Stelle, öie oorm Auge liegt — unö toie 
gern laufen öie Jungen öa öem teurer weg! —, ob um ein müöes 3urüdgeben, 
ganj gleidj: abwechfelnb etfd}einen im Auffab öie leeren Ausörüde geben, gelangen, 
matfdjieren, eintreffen ufw. Das ift öas (Ergebnis öes Auffa^es, öet öie (Erlebniffe 
öes Hages in aller Schönheit oöer, wenn öas 3uoiel oerlangt ift, mit einiger Anfd?au* 
lid}feit öem £efet ©ermitteln foll! Ja, warum mufete öet Auffab fo ausfallen, warum 
muffte er feinen 3 o>ed oerfehlen? Denn oetfeblt ift jeöet Auffab, bei öem öet Sd?üleT 
nichts gelernt bat für öie $äbigfeit öes (Erlebens unö für öie Steigerung feiner Aus* 
örudsfäbigteii Die AnfSauung, öie allein öas (Erleben ermöglicht unö öamit öas 
Suchen nach öemfenigen Ausbtud, öer öem £efer öenfelben (Einörud wie öem Schreibet 
©ermittelt, batte öet Schüler 3wat haben fönnen, aber bat er öerm 3 eit gehabt 
3U „fSauen"? Rein! Beöenlen wit öod}, bafe öet Auffab feinen Banö umfaffen foll, 
fonöern nur wenige Seiten. Auf öiefen wenigen Seiten foll öer Schüler öie taufenö 
unö aber taufenö (ErfSeinungen, öie auf ihn eingeörungen finö, fo wieöergeben, 
bafe öer £efer öie (Empfinöung eines fd}önen Hages bat! Da3u müfete fie öer Schreiber 
alle anfSauen, bei ihnen oetweilen, fie öarftellen, inöem et öie Dorgänge fo ablaufen 
läfet, wie fie in öer Ratur abgelaufen finö. Derfenft et fid? nur in einen Heil öet (Er* 
fSeinungen — unö mehr fann et gar nicht —> fo füllt öas allein ja Öen Auffafe, 
unö öer Schüler erhält feine Arbeit mit öem Bemerfen 3utüd, öafe er nicht öas gan3e 
Hbema bebanöelt habe. (Er bat feine 3 «it 3um Anfdjauen, weil öer Rahmen oiel 
3U weit gefpannt ift. Das Hbema ift eine Sammlung.©on Hbemen, öie ein3etnen 
Heile öes Auffafees finö alles Auffäbe für fid?. Sie fönnen nicht als ©efamtauffafe 
auf wenig Seiten bebanöelt werben, fonft fommt eben nichts weiter heraus als all* 
gemeine Rebensatten. Daher mufe geforöert werben: Der Rahmen öet (Etfcheinungen 
öatf nur fo weit gefpannt fein, bafe öer Schüler 3 «t bat fie an3ufdjauen. 

Roch eine Stage. R)as lernt öer Spüler für Öen nächften Auffafe? Die Auffäbe 
follen öoch öie $äbigfeit 3U erleben unö fi<h aus3uötüden in fteigenöer £inie auf* 
weifen. Der £ehter oerbeffert Derftöfee gegen öie Regeln öer Red}tfd}teibung, öet 
©rammatif, öet 3 nterpunftion, oielleicht auch einige all3u grobe Derftöbe gegen öie 
Richtigfeit öes Ausöruds. Das Schablonenhafte, öas Allgemeine, Detwafchene 
bleibt meift ungetaöelt. Der Auffab Ui ja richtig, oielleicht gar fliefeenö gefdjtieben, 
öie (Eteigniffe alle aufge3äblt. Der Schüler befommt feinen neuen Auffab, öiesmal 
oielleicht öas Hbema: Der Qerbft, unö tritt mit genau öenfelben leeren Rebensatten 
wieöer auf Öen Plan. (Er bat feine Anleitung 3um Beffetmachen befommen, fann 
alfo auch nicht fortfehreiten. Dielleicht taöelt öer £ehtet wirtlich, öafe man gar nicht 
Öen (Einötud eines frönen (Erlebniffes habe, aber was nübt öas, wenn fid? weöer 
£ehrer nod} Spüler über öie Rrfad}e flat finö? — 

fjatte öet Spüler bei öiefer Art oon Auffäben feine 3 «t, öie Dinge an3ufd}auen, 
fo bat et bei einer 3weiten Art überhaupt feine Rlöglid}feit Öa3u. (Et befommt (oiel* 



Don Stift fjcmpel 


41 


leidjt in Anlehnung an ben ©eogtaphieunterridjt) ein ©henta, wie ich es am Anfang 
biefet 3 cilen erwähnt habe: Das £eben in ben Kolonien. Dielleidjt hat bet Center 
es oerftanben, öurdj feine (Etja^Iung ben Sdjulet 3U paden, hat iljn miietleben 
lajfen, toas bott gefdjieljt. IDat aber fdjon bie Oarftellung bes Centers, bet bas Seben 
in ben Kolonien meift auch nidjt lennt, ein wäfferiget Aufguß bet Ratur, fo wirb bet 
Auffaft bes Schülers eine nochmalige Derwäffetung bebeuten, ba ja bie Anfdjauung 
nun fdjon aus 3weiter ober gat britter fjanb ftammt. 3 ur Oarftellung gehört eben 
mehr als fjötenfagen, ba3u braucht es eigenes (Erleben, eigene Anfdjauung. All* 
gemeine Rebensatten werben roiebet bas (Ergebnis fein. Unb nicht nur bas! Un= 
genauigfeiten, Unroahthaftigleiten werben folgen, benn bet 3unge hat ja nicht ge* 
feljeit, was er fdjilöetn foll. Rur Selbftgefdjautes befähigt 3U eigenem ©eftalten. 
Als 3weite $otbetung muft bähet aufgeftellt werben: Oer Spüler batf nur foldje 
(Etfdjeinungen im Auffaft behanbeln, bie er aus eigener Anfdjauung fennt. 

Sailen muffen alfo alle üfjemen, bie biefen beiben Sorberungen nicht genügen, 
benn fie oerwehren bem 3 ögling fidj ein3uleben in bie (Etfdjeinungen unb et3iehen 
out 3Ür hohlen Phtafe, 3um unllaten Ausbruch ja 3ut £üge. Unb im 3ufammen* 
hange- bamit mufj idj auf eine ©atfadje 3U fpredjen fommen, bie fich auf allen ©e* 
bieten finbet. ©s wirb immer beflagt, bafe ein bebenflidjet Rlangel an Klarheit bes 
Ausbtuds (eben nur ein Rlangel an Klarheit ber Oorftellung) ootljanben ift, baft 
fidj bie Phtafe, ber Sdjwulft, bas Schlagwort breitmadjt, wohin man blidt, gleich* 
gültig, ob wir bie Auffäfte unferet Schüler, bie Ausbtudsweife ber (Etwadjfenen, 
bie 3 eitungen, ja bie Oarftellungen unferet tDiffenfdjaftler anfehen. U)o es auch fei, 
überall bet Rlangel an Pflege bes Ausbtuds, unb bafüt H)orte, hinter benen nichts 
ftedt. Unb fjanb in fjanb bamit bie Kritiflofigleit gegenüber fptadjlidjet Oarftellung, 
fei fie fdjtiftlidj ober münblidj. Das Publifum nimmt in feiner Rlehrljeit alles ent* 
gegen, ohne Kriti!, ohne ben EDüIen unb bie $äljigleit, hinter bie tDorte 3U fehen, 
nadjjuprüfen, was an tDirflidjleit unb IDahrljeit bahinter fteht. U)äre unfer Dolf 
ba3u exogen, hinter ben R 5 otten bas ©egenftänblidje 3U fudjen unb 3U fehen, 3U 
»erlangen, baft hinter ben IDorten bas Angefdjaute, bas (Erfahrene 3um Dorfchein 
! lomme, es wäre unmöglich, ih m Sdjmtbliteratur, gleichgültig welker Art, oot3ufeften, 

: es wäre unmöglich, es mit Schlagmorten 3U übertölpeln. Rur Sachen über Öen 
j tjüflofen Oetfaffer, ber fein Ridjts mit Phrafen bebeden muft, oerädjtlidjes Beifeite* 
roerfett wäre bet (Erfolg, Öen fo ein Sdjmabroneur erntete an Stelle bes Beifalls, 

I bet ihm jeftt ge3ollt wirb. Darum muft bie Schule ihre 3 ugenö ba3u e^ieljen, über 
nichts 3U reben ober 3U fdjreiben, was nicht angefdjaut ift, über nichts, was man 
nidjt überfdjaut unb beherrfdjt. 

Aufgabe bes Auffaftunterridjts bet Unter* unb Rlitteltlaffen muft es 3unädjft 
fein, 3um Raren Ausötud 3U er3iehen. Oer U)eg Öa3u führt nur übet bie Sache. 
Oie Sache ift ber Boben, aus bem berjenige Ausbrud hetoorwädjft, ber !enn3eidj* 
nenb für fie ift. 31 jr muft ber Sdjüler ben Ausbrud abringen, er mufe bas Ding fo 
lange betrachten unb hin* unb fjerwenbert, bis er baran bas U)efentlidje unb bie 
tteffenbe fptadjlidje $otm bafür gefunben hat. 3 n ben meiften gälten feftt bet Schüler 
für etwas, was er gefeljen hat, einen Ausbrud aus feinem im Saufe ber 3 eit angeeig* 
neten Dorrat, wenn er nur ungefähr bas 3U fagen fdjeint, was ber Schreiber Jagen 
will, tjier mufc bie Schule bas ©ewiffen fdjärfen unb bas unabläffige Streben gtofe* 



42 


Dei Huffaft öet Unter* und litt tt elf laffen 


3ic^ctt, immer miedet Jeden flusdrud daraufhin 3U prüfen, ob et au<d trifft Oer 
flusdrud foll im £efet denfelben Eindtud, diefelbe Empfindung ^erootrufett, die 
der Schreiber datte, als er das Oing fad, deshalb mufj dem Sdjület die Hufgabe in 
$leifd) und Blut übergeben: Oenfe bidj als £efer, der ja das, mas du gefeden ^aft, 
nic^t gefeden dat. Prüfe deinen flusdrud, ob et dem £efet das vermittelt mas 
dir dured die eigene flnfedauung oermittelt morden ift. EDenn niedt dann fuede 
meiter. Htit der Befolgung diefer $orderung fedminden oon felbft alle allgemeinen, 
alle ni<dtsfagenden Hedensarten. 

Oie Edemen, die 3um flaten flusdrud füdren und die den Untere und Hlittel* 
Haffen gemafj find, meil fie eine tlare flnfedauung erlauben, find Iut3e flusfdjnitte 
aus der umgebenden tDelt. IDas dur<d Auge oder ©dt aufgenommen metden fattn, 
gibt das Edema; mas der Spület fiedt und dort daran foll et fidj mit feiner Aus* 
drudsfädigleit roagen, mit idm ringen und niedt eder aufdoren, als bis er es Har 
miedergegeben dat. ©b er er3adlt oon der $euermedr, oon einem Strafjenauflauf, 
oon Enten oder fjüdnem, von fliegenden Dögeln, oon Pferden auf der IDeide, oon 
der Eifenbadn, oom fadrenden IDagen, tropfenden Hegen, taufenden EDald, oon 
der Drofcdfe, die am Badndof oorfädrt oom Strafeendändler, oon Kindern beim 
Spiel, beim 3 ant beim Prügeln, oon der ©ebatde et3ädlender, doftender, fi(d freuen* 
det ZTCenfcden, gan3 gleicd: flnfedauung mufj oordanden fein und der fefte Sieget* 
roille, das alles unter feine flusdrudsfädigfeit 3U beugen. Es ift Har, dafe derjenige 
Oorgang die größte ausdtudbildende UKrfung daben mird, der den Sd)ület am 
meiften rei3t Es empfiedlt fi<d dader, niedt der gan3en Klaffe dasfelbe Edema 3U 
geben, fondern nur diefelbe dem Edema 3ugrunde liegende Aufgabe. Ittan fage alfo 
niedt: Schildert wie fied ein Drofcdfenfutfeder benimmt wenn et am Badndof oot* 
fadrt fondern: Beobacdtet einen IHenjdjen bei einem beftimmten Oorgang. Oann 
mird der Scdüler dingeden, fi<d mit offenen Augen umfeden und den Oorgang und 
den OTenfcden roädlen, der idn am meiften paeft. Das genaue Edema verfaßt dann 
der Spüler felbft. 

Oie Entroieflung, die det fluffatj oon Klaffe 3U Klaffe 3U nedmen dat wird etma 
darin befteden, dafe det Spüler 3unacdft Erlebniffe fdfildert, die et gedabt dat und 
dann angedalten wird, das Erlebnis auf3ufud}en, alfo 3U beobaedten. Oon fluffatj 
3U fluffad muf} oerfeinertes Seden und oerfeinerte Oarftellung 3U fpüren fein, ©e* 
fptäcde 3. B., die junäcdft nur eine Abmilderung der Hatur maten, müffen allmäd* 
Ucd die Hlenfden, oon denen fie gefüdrt merden, <darafterifieren. 

Smmer mufj das Erlebnis, die flnfedauung, die ©rundlage bilden, das füdrt 
3um flaten flusdrud. Und umgefedrt wird das Sudjen nadj dem genauen flusdrud 
das Erlebnis des Spülers oerftärfen. Ein 3unge, der fi(d 3. B. in die Oorgänge im 
fferbft oertieft, welcdet beobacdtet wie das Sterben der Hatur fid? ooll3iedt in taufend 
Etjcdetnungen, der wird dabei das Erlebnis diefes Sterbens immer ftärfer empfinden 
und damit einen ©eminn daben für fein Snnetes: er mird 3um naedfinnenden IHen* 
feden exogen. So exogene junge Hlenfcden fönnen dann aud? einmal veranlagt 
merden, fi<d ins eigene innere 3U oerfenfen oder aued fied in andere dineinjudenfen 
und die dabei gemaedten inneren Erfadrungen etma als Eagebucdblätter oder Briefe 
an einen $reund in fptacdlicde $orm 3U bringen, ©emodnt ©efedautes, dict innerlicd 
©efedautes, in ftrengen Einflang mit dem flusdrud 3U bringen, merden fie laum 



Don $ri% tjempel 


43 


in (Befaßt fommen, Stimmungen unb (Befühle hetaus3uquälen, bie jie gac nicht 
^aben, fonbetn werben 3U fdjilöcrn oerfudjeit, was fid? aus intern 3 nnem ans Cidjt 
brängen will. 

Allmählich mufe bet Sdjület lernen, aus bet $ülle bet (Beweinungen, bie ihn 
bebrängt, eine Auswahl 3U treffen, biefenigen hetaus3unehmen, bie ihm djarafteri* 
ftifd} für feine Aufgabe unb barum befonbets barftellenswert erfdjeinen, alfo 3. B. 
aus einem Dorgang bas, was bie fjanblung entfdjeibenb weiterfüljrt, was bie Ijanbeln* 
ben Petfonen befonbets flat fenn3eidjnet, aus einet ©tfdjeinung bas, was bie Stirn* 
mung wiebergibt. Kann bet Sdjület bas — aber nicht eljet —, bann barf et aud} 
eine Aufgabe befommen, bie an unb füt fidj Diele Dorgänge unb Cinörüde um* 
fpannt. Cr toitb bann nicht, wie bisher, fie alle nut in Abteilungen paden unb ihnen 
einen allgemeinen, leeten Ausbrud geben, fonbetn toitb fä^ig fein, bas, toas bas 
©eprage gibt, aus3uwäfjlen unb lebenbig in liebeoollet Detfenfung toiebet3ugeben, 
roähtenb et alles anbete enttoeber fortläfet ober nut fo erwähnt, bafe es füt bie fjaupt* 
jadjen 3eitlidje ober erflätenbe Anhalte gibt. 3 ut ©ntwidlung biefet SWigfeit bient 
unter anbetem bie Hadjerjaljlung. Da fie auf Anfdjauung aus 3toeitet fjanb beruht, 
führt fie ben Spület 3um biofeen ITadjfd^teiben bes 00m (B^äljler gebrausten treffen* 
ben Ausbtuds ober 3um Suchen nad} IDotten mit ähnlicher, bamit aber bie Sache 
nid}t treffenbet Bebeutung. 3 n beiben Sollen entbehrt fie baljet bet ausbtudbilben*) 
ben XDitfung unb tann habet nicht am Anfang bes Auffafeuntertidjts fteljen, toie 
fie es bisbet oft getan bat. Dagegen fann bet Sd)üler an ibt ootttefflidj bie $äljig* 
feit entwideltt, aus allem Beimetf, aus allem Drum unb Dran bie tjauptfadjen, 
bie Qauptbanblung heraus3ufdjälen, bamit et fpatet imftanbe fei, fid} bei allem, 
was et bött unb fiebt, oom Hebenfädjlidjen 3« befreien unb bie gtofeen Cinien auf3u* 
finben unb als tDefentlidjes mit nach häufe 3U nehmen, eine Übung, bie 00t allem 
auch benen 3uftatten iommen toitb, bie auf bet fjodjfdjule ©ehöttes in feinen toefent* 
lidjen 3ügen auffaffen unb nadjfdjreiben müffen. 

IDenn bet Spület an bet Umwelt auf bet ©tunblage bet Anfdjauung ben 
Dottat feinet Darftellungsmittel genügenb erprobt unb erweitert bat, mufe et 
lernen, Dinge wiebet3ugeben, bie nicht mehr 00t feinem leiblichen Auge fteben, 
alfo aus bet (Btinnetung heraus, aber auch hier wieber mit bet $otbetung: Stelle 
bit bas, was bu fdjilbem toiüjt, wiebet genau 00t unb fudje ben tteffenben Aus* 
btud bafüt. 

©nbliS mufe bet 3 ogling batan geben, bie erworbenen Ausbrudsmittel felb* 
ftänbig an3uwenben. Da3U bient bet Pbantafieauffafe, aber nidjt etwa einet, bet 
ein ufetlofes Schweifen bet Pbantafie erlaube; oielmebt mufe auch biefet Auffafe 
auf bem Boben bet TDittUdjfeit, bet Anfdjauung fteben: Beobachtung oon IHenfdjen 
auf bet Sttafee (tDohin gehen fie? U)obet fommen fie? Sdjlufefolgetung aus bet 
©ebärbe). An bet fjalteftelle bet Strafeenbahn (TDohin wollen fie fahren? Schlüffe 
aus bet Detfdjiebenheit bes IDattens). (Btlebniffe oon Knaben gleiten Alters. Ciet* 
gefdjidjten, babei Derfudj, 3U djatafterifieten, 3. B. bet ängftlidje fjafe. Hadjbilbung 
unb $ortbilbung befanntet lltärchen unb £efeftüde. Kinbet bei beftimmten Dot* 
gangen (Cbaraftetifietung). Detmenfdjlidjungen: Der IDinb, bet feinen Spafe treibt, 
Kätfel, S3enen fürs Kafperletbeater, ©efptädije (Cbarafterifietung). Auch hier 
beftebt bet Sortfdjritt in oetfeinettet Anfdjauung (innerlicher) unb Darftellung. 



44 


Oer bcutfdje ftuffaß ber ©berüaffen 


Schließlich noch ein XDort über Dispofitionsübungen. Sie bienen bet Übung 
im Stofffammeln unb »orbnen nach ©efidjtspunften unb »erben entweber oorge* 
nommen an Sefefiüden ober auch an gesellten fernen, ©b fie auch 3um Auffaß 
erweitert »erben folleit, {ei ba^ingefiellt. Oie ©efaljt, baß fid) babei bas die 
frampfhafte Suchen nad} übergangen (nicht nur — fonbem audj) »ieber einftellt, J 
ift groß. — 

3 ufammengefaßt tann als 3 iel bes Auffaßes ber Unter* unb Ulittelflaffen be* 
3eidjnet »erben: ©^ießung 3um Haren Ausbrud auf ber ©runblage ber Anfdjauung. 
Damit ift für biefe Stufe bie (Erfüllung ber $orberung gegeben, bie bie Deutfdjfunbe 
{teilt: bas (Erleben. 

Der 6eutfd)e Huffat; öer ©berWo||en. 

Don tDaltljer hofftaetter. 

U)as in Unter* unb RlittelHaffen angebahnt ift, gilt es in ben ©betflaffen be* 
»ußt fort3ufeßen. 3 mmer Harer muß bem Schüler ber Unterfd|ieb oon Schreiben 
unb Reben »erben, immer bewußter ift hiiBuwirfen auf forgfältige IDortroa^l, 
Stellung, Steigerung, aber bei allebem ift forglid) barauf 3U achten, baß bie Ur* 
fprünglidjleit nicht oerlorengeht. 

3 mmer ftärter »irb nun bie Rüdfidjt auf bie (Eigenart bes Spülers »erben 
müffen. ©alt es oon Anfang an 3U beamten, baß bie (Erfahrungen ber Spüler oer* 
fliehen finb unb auch bie Art, »ie fie fid? barauf einftellen, fo »erben fdjon in ben 
Ulittelflaffen immer Harer bie oier Arten ber Schüler heroortreten: bie befdjreibenbe, 
bie beobadjtenbe, bie gefühlsmäßige unb bie gelehrte Art — babutd} »irb es faft 
unmöglich gemacht, einer gan3en Klaffe nur eine Aufgabe 3U {teilen. 

3 dj muß noch ein paor U)orte über bie Ulitteltlaffen fagen, infofern fie bie 
Dorftufe 3U ben ©betflaffen barftellen. Oie Spüler in biefem übergangsalter finb 
nicht geneigt, 3 nnerftes 3U offenbaren, barum follten 3»ei Arten oon Auffäßen auf 
ber Ulittelftufe ausgefdjloffen fein: bie allgemeimbetradjtenben ©hemen, »omögli<h 
mit moralifchem ©infcßlag — unb phantafieoolle 3 <hauffäße. Statt beffen ift bie Siebe 
biefes Alters 3um ©egenftänblicfjen aus3unüßen, bie Derbinbung oon U)ort unb 
3 eidjnung hier befonbers 3U pflegen, au<h bie Phantafie auf Sdjilberung oon 3 u* 
ftänben (etwa einer oergangenen 3eit) 3U lenten. 

©egen ©nbe biefes 3 eitraumes aber follte man fdjon Aufgaben {teilen, bie ben 
Schüler 3»ingen, fid? felbft mit ber Umwelt ober frembet Uleinung auseinanber3u* 
feßen; man rege alfo 3U Dergleichen oon CEtfdjeinungen an (Dorfgaffe, ©roßftabt* 
ftraße), {teile aber auch Brägen »ie: habe ich eine fjeimat? ©ber: was ift bas Be* 
fonbere meiner Ijeimat? XDeiter: Ijo* bas Sprichwort ... immer Berechtigung? 

©s muß babei aber »irHich eine Auseinanberfeßung angeftrebt »erben, man barf 
nicht etwa ben Beweis für bie Richtigfeit eines Sprich* ober Didjterwortes forbem. 
©nblich finb Briefe auf biefer Stufe geeignet, »eil fie bas $ormgefühl fteigem unb bie 
$reube am Schilbern ausnußen. 

Auf ber ©berftufe gilt es bie (E^äßlung 3U oertiefen, fie führt 3U ftarfem ©in* 
leben in ©elefenes ( 3 nhaltsangabe, ©tfdjließen bet Dorgefchidjte eines Dichtwertes 
ober bes perfönlidjen ©tlebniffes, aus bem ein XDert entftanben ift). Die Betreibung 




Don tDaftßer ßofftaetter 


45 


fteigert ließ jut Scßilbetung einet beftimmten 3 eit obet einer fltenfeßengtuppe, 3m 
©ßaralteriftit einjelnet Perfonen obet einet ganjen Sd?id?t: fcßließlicß !ann aus öem 
Schrifttum heraus bas IDefentlicße einet geiftigen Auffaffung gejeießnet werben, 
alfo etwa bet (Ehrbegriff bet ©ermanen. 

$reilicß wirb fid? bei biefen Aufgaben bie Derfcßiebenßeit bet oben gefennjeitß* 
neten Arten ftarf bemetfbar machen. • Dem gefühlsmäßig ©erichteten Kegen biefe 
£ßemen nicht gut unb manche, nicht bie fcßlecßteften, mosten fuß nicht begnügen, 
eine 3 eit, eine IKeinung bar3uftellen, fonbetn fie werben perfönlicß ba3U Stellung 
nehmen, {ich bamit auseinanbetfeßen wollen. Datum wirb man alfo mit ©ßemen öer 
Art fparfam fein müffen. Dasfelbe gilt oon ben Aufgaben über fptacßlicße ©rfcßei* 
nungen — manchem finb fie äußetft erfreulich, anberen bebeuten fie eine (Qual 
unb batum feine $örbetung. 

Solche Aufgaben, nicht bafüt begabten Schülern geftellt, er3ießen nicht, wie 
man irrtümlich behauptet, fürs Ceben. Auch im Ceben wirb niemanb gejwungen, 
über etwas 3U fchreiben, wooon er nichts oerfteßt unb W03U er feine innere Stellung 
finben fann — immer wirb es 3U feinem ©rfaßrungsgebiet gehören, wenn es auch 
nicht im Utittelpunft feinet ©eilnaßme fteht. IDir müffen uns barum getabe3U hüten, 
bie Dorfteilung 3U erweefen, als müffe man über alles fchreiben fönnen. 

©ewife bebeuten folche Aufgaben eine formale Übung, oiel wichtiger aber ift 
bie ©t3ießung 3um felbftänbig benfenben ZTCenfcßen. IDir müffen alfo bem Schüler 
Arbeiten geben, bie ihn anleiten, fiel? ein eigenes Urteil 3U bilben, feinen eigenen ©e* 
jeßmaef, fein ©efüßl geltenb 3U machen, ©ine betartige ©t3iehung halte ich — im 
©egenfaß 3U vielen Amtsgenoffen unb befonbers 3U ben älteren Auffaßtheoretifem 
— für möglich, ia für nötig, ©s fommt nur batauf an, oon früh an batauf ßi^uar* 
beiten, ßaben wit bereits in ben Unterflaffen begonnen, bas Perfönliche im Spüler* 
auffaß 3U pflegen unb feßen wir bas bewußt über bie UTittelflaffen fort, fo ift es nicht 
feßwet, auf bet ©berftufe 3U einer gewiffen ßöße unb $reißeit oor3ubringen. 

h«an füßren wit an folcße Art, wenn wir ben Scßület fagen laffen, welcße Ho* 
©eile, welches Drama ißm befonbeten ©inbruef gemalt ßat ober welcße ©eftalt 
bataus. ©r foll einem Cieblingslytifet muß gehen bürfen unb aus feinen ©ebießten 
feine ©eftalt erfteßen laffen, et foll bas IDetben eines IDerles oerfolgen. Das hilft 
bie Arbeit bes Dichters erfaffen unb fteltt 3 ufammenßänge ßer 3wifcßen ber Perfön* 
licßleit unb bem XDetl. Auch Dergleicße oon Dichtungen eignen fieß ju bem 3 n>ecf. 
So belommt unfere 3ugenö Achtung not bet Arbeit unb oor bet Dichtung unb wirb 
oor einfeitigem Urteil bewaßrt. Dann aber wirb man weiter fragen müffen: warum 
ben eht3elnen nun gerabe biefet Dieter feffelt, wie er fich mit beffen ©ebanfen aus* 
einanberfeßt unb wie babureß bei ißm ähnliche ©ebanfen erwaeßfen. 

3cß benfe an Aufgaben wie: Auf welcher Seite fteße icß beim £efen oon Raabes feßwatjer 
©aleete? IDas feffelt miß an ben ©ebießten tDaltßers oon bet Dogelweibe! Klein £ieb* 
Ungsbicßter? IDatum greife icß immer wieber 3 U...? IDas paeft miß an bet neueften £ytif! 
laffen fieß £effings ©ebanfen oon bet Stellung bes einjelnen 3 Ut Religion aueß auf bie 
Stellung 3 um Doll übertragen? ßat bet Staat ein Recht auf uns? (im Anfcßluß an Agnes 
Betnauet). IDas ergreift uns an Schillers 3ugenb? ßat IDettßers £eiben aueß 3ßnen noch 
etwas 3 U fagen? Det Junge ©oetße unb wit Jungen. 

Anfcßiießenb fann man aueß antegen, fuß mit ein 3 elnen Dicßterworten auseinanber* 
3“feßen. Sttmmt bas IDort: Der IDerbenbe witb immet banfbat fein? Rennt Stiller 



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Der beutfche fluffafc 6er ©berflaffen. Don IDoIt^er £joffta«tier 


mit Red}t 6as £eben feinblid)? ©ilt aud) für mein £eben un6 (Empfinben bas IDort: IDas 
man ift, bas blieb man anbem fdjulbig? ijat (Eljamijfo redjt, „Das Reid) bet Dichtung ift 
bas Reid) ber Wahrheit"? 

fjierljet gehören nun auf biefer Stufe aud) bie Auffähe über bilbenbe Kunft. 
f)at man etwa in UII bas Befd)teiben geübt, ift man bann 3U Dergleichen 3wifchen 
Bilb unb ©ebidjt oorgefchritten, jo gilt es in ben Primen 3U fragen: tDie roirft bas 
Bilb auf Sie? tDas empfinben Sie babei. ZTCan roirb babei bie überrajdjenbften 
©gebniffe ermatten unb tieffte ©nblide in bas Seelenleben tun. ($ür uns teurer 
ergeben fid) bei foldjet freien Stellung ber Spüler 3U biejen unb ben literarifcf]' 
perfönlichen ©fernen roertoollfte $inget3eige für ben gejamten Unterricht.) Selbft* 
oerftänblid) ift aber bie Dorausfetjung, bafe l)i et bie jungen IKenfchen gan3 frei unb 
offen ihre ITCeinung jagen bürfen, ohne Rüdfid)t auf bie Rleinung bes Cehrers: 
hier gilt es wirtlich Ästung oor ber 3ugenb unb ihrer ©genart 3U 3eigen. 

Auf ben oberjten Stufen jollte man auch eine grofee freie Arbeit machen laffen, 
worin ber Schüler eine eingehenbe, eigene Unterjud)ung anjtellt; für fie ift ent* 
fprechenb 3eit unb $reiheit 3U gewähren unb nur 3U oetlangen, bafc fie irgenbwie 
mit bem Kreis bet Oeutjchtunbe 3ufammenhängt. 

(Es bleiben nun noch bie gan3 perfönlichen Aufgaben, auf bie ich befonberen 
EDert lege, ba jie bem Schüler helfen, jidf übet fid) jelbft unb feine Stellung 3Ut tDelt 
flat 3U werben. Denn bas ift bod) bie fjauptfadje, bas ift bod) bas, woraus fid) bie Reife 
eines Schülers ergibt. 

3 <h benfe an ©) emen wie: IDas wirft mehr auf mich» ein Buch ober ber Derfeljt mit 
Rlenfchen? Die Bebeutung bet Ratur, bet Kunft für mein £eben. Wie id) mit ein befrie* 
bigenbes £eben benfe. IDo fomme id) het, wo will ich hin? IDas erwarte id) »on meinem 
Beruf? (Erinnerungen unb 3 «lunftsplane. IDas banfe id) meinet fjeimat? IDas feffett 
mid) am £eben ber ©rofcftabt, was ftöftt mich ab? $rei wouon, frei W03U? 

Solche Hhemen er3iehen nidjt, wie man behauptet, 3ut Phrafe, im ©egenteil, 
ich h fl be gerabe bei folgen Aufgaben fehr reife, ja erfchütternbe Arbeiten erhalten, 
©s ift ein Irrtum, bafj ein Schüler foldje ©ebanfen nod) nicht butchbenfen, bafe ein 
Ad^ehnjähriger ein inneres ©lebnis noch nicht geftalten fönne. IDenn bet Auf* 
fatpmterricht fo aufgebaut wirb, wie oben bargelegt ift, fann er es — bas be* 
beutet Reife. 

3 n bet perfönlichen ©nftellung liegt auch bie Bebeutung bes Auffatjes für bie 
Deutfdjfunbe. Sie erftrebt ein innerliches Derhältnis 3U unferem Dolf unb feinem 
£eben in Dergangenheit unb ©egenwart — bas erreichen wir, inbem wir unfere 
3ugenb immer wieber oeranlaffen, felbftänbig 3U beobachten unb ein3ubringen unb 
für bas Selbftgewonnene aud) ein3utreten. Das ift wahrhafte ©3iet)ung. 

Sd|riftenna<hweis: 

©tto 0. ©reyet3, Der Deutfd)unteni<ht als IDeg 3m nationalen ©3iehung. päö 
agogium Bb. HI. £eip3ig, Klinfharbt. 

©)• Dalentiner, Die Phantafie im freien fluffafc bet Kinber unb 3 ugenblid)en. 
£eip3ig, 3 oh. Ambr. Barth- 



Cqrif unb Ballade. Don 3 ulins Kfl^n 


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£t)rik unö Ballaöe. 

Don Julius Kühn. 

IDcntt der deutfdje Unterricht 3U einem (Quell lebendiger (Erneuerung merden foll, 
mö|ten mit die Begriffe Dol! und Daterland miedet tiefet faffen. JDit müfjen uns 
ju der „mosten Daterlandsliebe" im Sinne $idjtes 3urüdfinden, dem das Dol! als 
dräger des Göttlichen oder, mie er fagte, des Urfprünglidjen erjcfjien. Diefes Gmige 
in der befonderen $ülle unferes DoKstums gilt es 3U ergründen. 

Das muß den deutfdjen Unterricht in feinem !ünftigen IDefen beftimmen, ihm 
3 iel und IDege meifen. Die deutfdje Art in ihrer tiefften Gigentümlidjfeit gilt es 3U 
begreifen. Hid}! Dinge des Budjmijfens hot die deutle Stunde 3U oermitteln — 
fie muß UTittlerin fein 3mifdjen dem ein3elnen und feinem Dol!, indem fie ihm das 
IDefen diefes Dolfes in Sprache und Dichtung aufhellt, ihm den inneren 3ufammen* 
hang mit diefem Dol! 3um Bemußtfein bringt. 

nirgends ift folche Dertiefung des deutfdjen Unterrichts fo dringend geboten mie 
auf dem Gebiet der £yri!, diefem Stieffind, das — menn es überhaupt je ernftlidj 
in den Kreis der Betrachtung ge3ogen murde — doch ungebührlich hinter allem an* 
beten (oor allem hinter der Ballade) 3urüdftand. 

(Es ift an der 3 *it, daß die Schule die £yrit als befonderen 3 meig pflegt. 
Rieht mehr dütfen nur 3ufällige Stunden oder gar nut Bruchteile non Stunden (lur3 
rot dem Klingeln, „menn es fich nicht mehr lohnte, etroas Heues an3ufangen") für 
die £efung non Gedichten benußt metden. 3 n der £ytif find die Grund3Üge des 
beutfdjen Gemütes am reinften und tlarften 3U et!ennen; fie führt am tiefften 3U 
ben (Quellen unferes IDefens hinab. Deshalb müffen dem Unterricht in beutfdjer 
£yti! beftimmte und tlare 3iele gefegt merden. 1 ) 

tDenn £yri! in diefem Sinne gemertet und gepflegt metden foll, ift 3unächft ein* 
mal eine gan3 gründliche Säuberung der £efebüdjet non allem Rlindermertigen 
nötig. (Es müßte niel, niel meniger aufgenommen merden; denn man braucht 3ut 
richtigen Dermittlung eines guten Gedichtes und 3ut $ruchtbarmachung des dichte* 
rifdjen (Erlebniffes jemeils eine befondere £ehrftunde. „(Einen Sah einnerleiben ift 
mehr, als ein Buch oerftanden haben", fagt Rudolf Pannmiß einmal („Die deutfdje 
£ehte“, S. 278 ). So ift auch ^in Gedicht erlebt 3U haben mehr, als ein gan3es Ge* 
bidjtbudj gelefen 3U haben. Deshalb find 40—50 Gedichte für ein Klaffenlefebuch eine 
Zureichende Ausmaßl. EDas darüber ift, ift unnötig und alfo non Übel. Bei der 
Detteilung des lytifdjen Stoffes follte man ftufenmeife oerfahten: 

I. Unterftufe (VI—IV). hier handelt es fich um das rein gefühlsmäßige Gr* 
faffen des Allgemeinen, Gmig*RTenfchli<hen, das im Grieben der 3ahres3eiten, der 
djriftlidjen $efte, der Doltsfitten, der menfdjlidjen Grundftimmungen und Grund* 
be3iehungen dem Kinde 3ugänglidj ift. (Dfjne daß man itgendroie auf Dersmaß oder 
Samt eingeht, muß rein durch die Art der gemähten Gedichte das Gefühl für das 
Deutfdje und für das hohe des didjterifdjen Gtlebens gemedt metden. 

II. Rtittelftufe (UIII—UII). Heben die Hatur im allgemeinen tritt die £and* 


1 ) Die 3 ahlen oertoeifen auf den Schriftennahmeis. 



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Cqtif unb BaHabe 


fcgaft im befonbeten. Die Cyrit als flusbtud bes Döltifcgen toeidjt allmählich jettet 
£ytig bie als flusbtud bes perfönlicgen (Erlebens erfegeint. 

III. ©berftufe (OII—Ol). 3 mmet mehr gat bie £yrit als petfönlicges Betennt* 
nis in ben Dotbetgtunb }u treten. Das ©egeimnis bet lyrifcgen $otm ift 31t et* 
arbeiten. 

Diefe gan3 allgemeinen Richtlinien follen 3eigen, wie auch w bet £yrit eine 
organifege (Entfaltung erteilt werben !ann. Sie finb genüg nicht neu, aber fie follten 
entfehiebenet als bisher burchgeführt tuetben. 

$ut ben Unterricht in £ytif ift allgemeinfte Dotausfegung: ein inniges unö le= 
benbiges Derhfiltnis bes Sekrets 3U ben ©togen bes beutfehen ©ebichtes. Dann 
waren etwa folgenbe gtunbfägliche Sorberungen 3U ftellen: 

1 . Das iytifche (Erlebnis hot ber £egrer burch ben eigenen Dortrag bes ©e* 
bichtes 3U uermittein. Die fegt uiel erörterte „Stimmbilbung" ift ba3U nicht unbebingt 
nötig. XDichtiger als ber rgetorifeg eimuanbfreie ift ber gemütoolle Dortrag bes 
©ebichtes 2 ), ben auch bie Schüler aus ihrem Racherleben heraus 3U lernen gaben. 

2. Der 3 ngalt bes ©ebichtes batf nicht mit in bie „Dorbereitung" gineinge3ogen 
werben. 3 ) 

3 . 3 ebe „tDort* unb Sacgettlärung" ift 3U uetmeiben. Rur bie Bebeutung un* 
betannter R)orte (Bluft, R)afen, Sterte) ift an3ugeben. 

4 . Inhaltsangaben unb ©liebetungsübungen finb unbebingt 3U unterlaffen. 

5 . Das ©ebiegt hat rein als Kunftwert 3U wirten. Diefe R)irtung hat ihren XDert 
in fich felbft. Deshalb bütfen teine „Derwertungen" ober „Ruganwenbungen“ 
angefcgloffen werben. Selbft mit ber hetan3iegung uort Derwanbtem follte man 
uorfiegtig fein; benn gerabe bie Befonbergeit bes ein3elnen ©ebichtes gilt es ja 3U 
etfaffen. 

6. Die bis 3um Übetbrug gepautte äugete $orm mug uor ber (Erfaffung ber in* 
neren $orm (im Sinne ©oetges) 3urüdtreten. 4 ) 

R)enn ich nun gefragt würbe, wie benn ich ein lyrifches ©ebicht beganble, 
fo wäre icg in einiget Derlegengeit, was ich antworten follte. Denn bie ©eftaltung 
einet lyrifcgen Stunbe etwächft bei mir — alletbings mit gan3 beftimmten 3 ielen — 
aus bem Duntel bes Unbewugten. ©erabe bei bet Beganblung eines ©ebichtes 
liegt alles fo fegt im ©onfall, im gan3en R)efen unb ©egaben bes Cegrets, bag ein 
gebrudter flbrig non notngetein auf bas (Entfcgeibenbe oet3icgten mügte. Ruch foll 
ja um teinen Preis bie Befolgung itgenbeines Beifpiels, fonbetn eigene, utperfön* 
liege Darbietung bes ©ebichtes erftrebt werben. 3 cf) befegränte mich öager lieber auf 
einige wichtige Punfte, bie ben Unterricht in Cytif in beutfcgtunblichem Sinn be* 
fruchten tonnen. 

I. Unterftufe. 3 n ben btei unteren Klaffen biene bie £ytü rein ber ©emüts* 
bilbung! Das Kinb ift uiel enger unb inniger mit ber Ratur oetbunben als ber (Et* 
waegfene. Darum gilt es, fein Raturgefügl 3U ergalten unb 3U fötbetn. Kein Dolt 
bet DOelt gat einen agnlicgen Reicgtum an Raturgebicgten als bas beutfege. Das ift 
in unfetem IDefen begrünbet. Das „deus sive natura“ ift uns allen itgenbwie ein* 
geboten; wir erleben in ber Ratur bas ©wige. Über nicht nur im Raturingalt liegt 
es — es wirft fieg aueg unmittelbar im rgytgmifcgen unb tlanglicgen Organismus 
bes ©ebiegtes aus. Datum finb biefe (in ber Scgule bisher faft gan3 unbeachtet ge* 


Don Kitf)n 


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bliebenen) Dinge in 6en Dotbetgrunb 3U rüden. 3 n bet Unterstufe barf man freilich 
nidjt baoon teben, weil berartiges übet bas 3affungsbetmögen bes Kinbes hinausgeht, 
fluch erhöbt es bie (Ebrfurdjt cot bem ©ebicht unb bie £iebe 3U ihm, wenn bas Kinb 
übet bie innere $otm nicht aufgeflart toirb. (Es wirb ihm bann um Jo unbegreiflicher 
jdjeinen, wie einige wenige EDorte, beten jebes ihm »erbaut ift, eine fo geheimnis* 
solle EDirfung ausüben fönnen. 

Der Center aber muß fich übet bie innere $otm bis ins ein3elne Hat (ein. (Er 
muß fie in ji<h erlebt höben, ehe er bas (Erleben eines ©ebidjtes butch feinen Dortrag 
bei anbeten toeden lann. 

£Us Beifpiel 3t»ei belannte IRonbliebet. 

EDet hat bie fdjönften Schäfchen? 

Die hat bet golbne RIonb, 
bet hinter unfern Baumen 
am h*mmel broben wohnt. 

Klanglich finb hin not allem bie beiben 0 in ben 3 «il«n 2 unb 4 3U beachten: ift es nicht, 
als ob bas Rtonbgolb fchon facht aus bem ©ejweige heroorleuchte? Unb bet Stabreim in 
ber l. 3 eile: ift er nicht weich wie weibliche EDolle, nicht linb wie bas Streicheln einet Kinber* 
hanb? IDet bas aus bem ©runbe bes Dichterhe^ens heraus nachgefühlt hat, ber muß bann 
ben Rhythmus bet Strophe 3U ergrünben fudjen. Der Rhythmus ift bet eigentliche (Erreget 
bes ©ebichtes. „Rhythmus ift nämlich nichts anbetes als fjet3f<hlag" (Ric. huch). (Et allein 
fann bas lyrifche (Erlebnis »ermitteln.*) IDohl lann man fi<h im Rhythmus helfen unb 
fchuten laffen — aber wichtiger als alles EOiffen um bas IDefen bes beutfdjen Rhythmus 
ift fein unbewußter Befiß. Der mufifalifche Rlenfch erlennt rhythmifche EDefenljeiten intuitio 
unb witb alfo attioen unb paffioen Rhythmus, (Tempo, Binbung, Betonung ufw. gan3 »on 
felbft tichtig erfaffen. 3ut oortraglichen ©eftaltung gehört bann Eingebung unb liebeoollfte 
©ebulb. ©he hugo EDolf ein ©ebicht oertonte, hat et es (auch n>enn er’s auswenbig tannte) 
40 bis 50 mal laut gelefen, bis et bie Schwingung jebet 3 eile heraus hatte. IDer in gleitet 
DOeife oorgeht, witb in unfeter Strophe bas langfame Aufleuchten bes Rtonbes hinter ben 
Bäumen rhythmifch 3um Äusbtud bringen lönnen, bem bann in bet 3Weiten Strophe mit 
ihrer fteten Bewegung ber Aufgang unb in ber britten Strophe mit ihren langen Silben bas 
oolle Auftauchen ins nachtblau folgt: 

©t lommt am fpäten Abenb, 
wann alles fdjlafen will, 
heroot aus feinem häufe 
7um himmel leif’ unb füll. 

Damfweibet et bie Schäfchen 
auf feinet blauen $lut . . . . ufw. 

So ausfichtslos es auch manchem flehten mag, foldjes bidjtetifche ©rieben butch feinen 
Dortrag 3U »ermitteln — man muß es wiebet unb wiebet oerfuchen; benn es gibt leine anbere 
Wöglichleit. Den Dotfdjlag »on ©. »on §auth unb ®. IDolff, „baß fprachtechnifch gefaulte 
Künftler als ©rgän3ung 3Ut Befpte^ung bet Dichtungen butch ben lehtenben regelmäßig 
in bie Schulen lämen unb unfere Kinber butch oollenbeten Dortrag bie ©ebichte erleben lie= 
ßen", lehne ich ab. Dabei fänle bet lehret 3um hanblanget bes Sprechlünftlers herab. 
Auch »fl es ja noch feljt fraglich, ab ben Sprechet nicht ein gan3 anbetes ©rieben mit ben ein* 
3elnen ©ebichten oerlnüpft als ben lebtet, fo baß eine Übereinftimmung »on »ornheteln 
3weifelhaft erjeheint. Riemanb anbers als bet lehter barf unb lann nach liebeooller, fotg* 
liehet ©inftimmung butch empfinbungsechten Dortrag bas bichterifche ©rieben weden. 
Hut fo ift es möglich, baß bas ©ebicht mit ber gan3en lehrftunbe 3U einem eigenen, unoer* 
gänglichen ©rlebnis wirb — baß es bann fpäter wie bet Rlonb felber aus ben bämmemben 
IDipfeln bes Unbewußten mit holbem ©ian3 wieber auffteigt. 

3cU(d)tift f.Deut[<f)funi>e, 17. (ErsSnjungs^eft 


4 



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Cqrit unb Ballobe 


Oie fdjönfte Hlonbjttop^e bet beutfchen Dichtung ftammt oon ©laubius: 

Oet IRonb ijt aufgegangen, 
bie golbnen Stetnlein prangen 
am fjimmel l}eU unb Hat. 

Oet IDalb jtel)t |d}ioatj unb fdpoeiget 
unb aus ben tDiefen fteiget 
bet »eifee Hebel »unbetbat. 

Oie lOiebetfyolung bes o—a bet etften 3 «Ue in bet 3»eiten »itb laum beamtet unb ift bodj 
bebeutfam. Oet IRonb (langes o) ift viel gellet als bie Stetnlein, in beten Attribut „golben" 
bas o tut3 ift. Dann bet raumhafte Stabreim in bet britten 3 «ile! Unb bie hoppelte Der* 
loppelung in bet oierten, »o (neben bem bteimaligen ») „fdjmatj" mit bem ootangefyenben 
„IDalb" burd) flffonanj, mit bem folgenben „fd)»eiget" butdj Alliteration oetbunben ift.a) 
Aber bie Krone bes (Banjen ift unb bleibt bodj bie oerlängerte, rhythmifch unroibetfteljlidje 
Sdjlufejeile. (Eine folche Strophe tonnte nur bem reinften ©emüt gelingen.b) 

tDie bei bet Hatur, fo fudje man auch in ben lynfdjen Darftellungen bes £ebens 
bem Kinbe gefühlsmafeig bas (Etoige nafyejubringen. „Alles (Einjelne als einen Seil 
bes ©anjert, alles Befdjränfte als eine Oarftellung bes Unenblidjen hiunehmen, bas 
ift Religion" (Schleietmachet). 3 n biefem Sinne ift bas Kunftroert felber religiös, 
©eburt unb ©ob, (Eltern unb Kinb, fjaus unb ©arten, Spiel unb $reunbf©aft müffen 
Ijeroorge^oben »erben. Sie als Ausbrud bes ©»igen auf3ufaffen, ift beutfdj. Das 
Deutfcfje im (Ei^elnen ift butdj entfpredjenbe Bilber aufj^eigen unb 3U ergäben. 
tDie lieb ift bas fleine £ub»ig Ri©ter*Böd}lein im <Einljorn=Derlag 3U Dachau 
ober bas bet „Blauen Bücher", unb in »eldj »unberoollem (Eintlang befinben fid? 
in ber (Eidjenbotffausma^l bet betannten „Bücher bet Rofe" bie Sdjminbfdjen Bil* 
bet mit ben emigjungen £iebetn! So tonnte man ben fjeimats* unb 3ahres3eiten» 
gebieten Oautfjenbeys (bie fidj 3um ©eil fdjon für bie Unterftufe eignen) Bilber oon 
fjans ©homa gefellen. Überhaupt »äte 3U erwägen, ob in bet Unterftufe ben ©e* 
bitten bes £efebudjs nicht folche Bilber (aber ja feine „Slluftrationen") beigefeilt 


a) Anbere Beifpiele für biefelbe gigur: U h l a n b: „... ein Sdjlofe fo hoch unb beb 1 *“ 
tDilb- oon Sdjol3 : „Dor meinemS«nfter faufenhäufe Kronen"... (®ef. XDertel, 47 ). 

b) Auch bei ben Bailabenfinb bie Klanglidjteitenimmer 3U ergtünben! 

fjaft bu bas Sdjlofe gefeben, 
bas bobe Sdjlofe am Tlteer? 

©olbig unb rofig »eben 
bie XDolfen brüber b«- 

Oiefe Strophe ift gan3 auf o abgeftimmt, » 03 U bie e in ben Reimen lautlich bie berrliibften 
Komplementärfarben finb, bie fidj benlen laffen. überhaupt ift getabe Ublanb ein Rleifter 
bes Dofalismus ge»efen. Selbft ardjitehonifdje IDirtungen »eife er burd* Dofale 3U et3ielen: 

„(Es ftanb in alten 3 eiten ein Sdjlofe fo hoch unb heb 1 *“ 

(Eines ©ages ging mir bas ©ebeimnis biefes anfcbaulidjen Oerfes »ie ein tOunber auf. 
Oie erfte Qalb^eile gleicht einer ©bene, auf ber ficb Berg unb Burg erbeben: 

e 

0 0 
aait ( 

Solche Oinge tann man in ©ertia auch einmal ermähnen. Sie ftofeen ba auf ein übertafdjenb 
lebhaftes Derftänbnis unb erhöben ben „Refpett" 00t bem ©ebidjt, b3». bem Dichter ge» 
»altig. —Oie finnfälligften Beifpiele für Klang»it!ungeh bietet ©beobot Oättbler, bei bem 
fi© bas ©ebicht oft in eine »ahrc 03 eihtau<h»olte oon Ootalen auflöft. (Sein (Epos 
„Das Horblicht" erfdjeint foeben im 3 nfeloerlag in 2. Auflage.) 




Don 3ulius Küfjn 


51 


werben tönnten. Sie wirten auf bie Anfdjauungsfraft fo tief ein, baß jie nicht wiebet 
oergeffen werben. IDentt man neben bem beutfdjen Bilb bann unb wann noch bie 
Itlelobien bet ©efangsftunbe ijeranjie^t, fo wirb für bie gefühlsmäßige (Etfaffung 
heutigen IDefens ein feftet ©runb gelegt. 

II. Rtittelftufe. Sn ben Übergangsjahren feßt eine tfatür ließe Scheu oot allen 
® e f üßlsäußerungen ein. ITCan laffe beshalb bie £yrit langfam oot bet Ballabe 311* 
rüdtreten unb wähle im übrigen ©ebicßte, bie mehr basBefonbere als bas Allgemeine 
bet Ratur 3«m ©egenjtanb haben. Der 3 ufammenhang oon RTenfch unb £anbfd}aft 
foDte auf biefer Stufe aus ber £yrit ertannt werben. Heben ben Jjeibegebidjten foll* 
ten bie oerfchiebenften Rleergebicßte gelefen werben; unb bie oberbeutfdje £anb* 
Idjaft barf man neben ber rheinifdjen unb ber mittelbeutfdjen nicht oergeffen. Bas 
Bilb oerfdjminbet nun aus ber beutfdjen Stunbe, foweit fie bem ©ebicßt gewibmet 
ift. Husgewähtte Profaftüde berfelben Dichter müffen bas tDefen bes beutfchen 
Stammescharafters aus bet £anbfchaft heraus ergän3en. Kulturelle (Einjelheiten in 
roeitefiem Umfang finb heran3U3iehen. 6 ) 

Bei jenen ©ebicßten, bie Ausbrud perfönlichen (Erlebens finb, fdjaue man oor* 
roiegenb auf bie ©haraftetbilbung. („dharafter haben unb beutfch fein, ift ohne 
3 toeifeI gleichbebeutenb." $i<hte) 3 u biefem 3 »ed witb man jeßt auch bas £eben 
ber Dichter beuchten müffen, bamit bie ©ebichte emftlich weiterwirfen tonnen. Die 
(ttlijtifdjen unb fpradjlichen (Eigentümlichfeiten ber oetfchiebenen Dichter finb ge* 
meinfam ßerausjufinben.' 

III. ©berftufe. Sn ben oberften Klaffen wirb man auch fernerhin einige 
Dichter mit einet gefdjloffenen ©tuppe lytifdjet ©ebichte im Unterricht beßanbeln 
müffen: Klopftod, ©oethe, Ijölberlin; auch bie Romantifer unb bie Reueften. Dabei 
gilt es: bie Snbwibualität bet Dichter auf3ufpüten, bie ©ebichte aus bem tiefften 
Quellgtunb bes perfönlichen (Erlebens 3U begreifen. Reben ben fprachlichen finb 
nunmehr auch bie tlanglidjen unb rhythmifdjen (Eigentümlichleiten in ben Kreis bet 
Betrachtung 3U 3iehen. Doch barf bas nie Selbft3wed werben: alles biene immer nur 
bet (Ergrünbung ber bidjterifchen tDefenljeit! 

Schefflet hat in feinem „©eift bet ©otif" ben Dualismus in ber Kunft entbedt, 
richtiger: neu formuliert. Unter biefem ©eficßtspunft fann man bie fruchtbarften 
dntbedungen machen. Am beften geht man oon Schiller aus, beffen Begriffspaar 
naio unb fentimentalifch ben oetfchwommenen ©egenfaß anti! unb mobem oom 
Stanbpunfi ber (Empfinbungsweife aus genau feftlegte. Seine Benennung hat fich 
freilich nicht gehalten. Aber bie einmal ertannte Doppelpoligteit wirft feitbem in 
ben oerfchiebenften Schlagworten weitet: tlaffifch unb romantifch — apolünifch unb 
bionyfif^ — gtiechifch unb gotifd}. Auch ben angeblichen ©egenfaß oon Smpreffio* 
nisntus unb (Ejpteffionismus glaubte man unter bem ewigen ©eficßtswintel biefer 
3 weiheit feftlegen 3U tonnen. 3 a, bas futturgefchichtliche Urteil über bie gan3e 
Ueujeit wirb butd} ben gleiten ©egenfaß beftimmt. dt ift in bet £yrit am beut* 
Iichften 3U ertennen. 

Radj gtunblegenben (Ertlärungen über bie Derfdjiebenheit oon Rtetrum unb 
Rhythmus ift bie fefte unb freie Sotm in bet (Entwicklung bet £yrit 3U oetfolgen. 7 ) 
Den getmanifchen Dets — ben lateinifchen (Einfluß — bie burch bie Rlufit bebingte 
Strophenform bes Doltsliebes lann man nur fireifen. ©enauet ift bie neuere 3eit * 

4* 



52 


£yrif und Ballade 


3U betrachten, Ulan betone oon ootnherein, bag fid} bet formale Dualismus oiel* 
leicht nie 3ugunften bet einen ober anberen Art ausgleichen wirb. Denn öie Reihe 
piaten (reine Sotm) — ©eibel (fchöne $otm) toirb heute, noch ebenfo öutch Stefan 
George (ftrenge $otm) fortgefegt tote bie Reihe Klopftod — ©oethe (Hymnen) — 
tjölbetUn— Rooalis (tj^mnen an bie Rächt) — fjeine (einige Rorbfeebilber) burdi 
©mft Stabler unb <Ernft Cif jauet. Aber toenn man bie beiben Reihen oetgleidjt, fo 
toirb man fogleid} bemerten, bag bie erfte fid? immer mehr oetengert, toähtenb fid? 
bie 3toeite immer mehr oerbreitert unb heute als bie allgemein hettfehenbe gelten 
tann. 3 u ihr gehören beifpielstoeife Alfteb Atombert, Arno Q0I3 (Phantafus), ©tto 
3ur Cinbe unb bet ©harontreis 8 ), ffieorg (EtaH, §ran3 EDerfei, $riebtidj unb Anton 
Schnad u. a. m. Rach ben Unterfucfjungen oon Ben3, Schefflet, EDorringet ($otm= 
ptobleme bet ©otif), fjaufenftein (EDefen bes Barod) ufto. nimmt man heute mit Recht 
an, bag fich rhythmifch in bet 3toeiten Reihe bas eigentlich beutfehe EDefen äußert. „Der 
griechifche ©eift neigt 3um 3 bealifieten bes Phyfifchen, toie ber gotifche ©eift 3ur tiber- 
fteigerung bes Pfydjifchen neigt." „(Es gerät bet Htenfch im ©otifchen toie oon felbft 
3um Petfönlichen unb im ©tie<hif<hen 3um ©ypifchen." „EDie bie griechifche $otm ben 
3 uftanb bargeftellt hatte, fo bie gotifche ben inneren Dotgang" (Schefflet). „Den Aus* 
btud bet Ruhe unb Ausgeglichenheit lenttt bie germanifche Poefie nicht, alles geht 
auf in Bewegung"; „ 3 gre Aufmertfamteit feffelt nur bewegtes ©un unb ftarb 
flutenbe (Empfindung"; „EDit erleben innerlich ben Anblid einer gotifchen Käthe' 
brale ... wie einen in Stein ausgebrüdten Ausbruch tranf3enbentalen Derlangens." 
„Die Raffifche Architeftur gipfelt in ber Schönheit bes Ausbruds, bie gotifche in 
bet Htacht bes Ausbruds" (EDottinget). Beides gilt auch oon bet $orm bes ©ebich* 
tes. „ 3 m Deutfchen herrfdjt unmittelbarer finnlichet Ausbrud bes ©eiftigen; im 
©riechifchen Darftellung bes ©eiftigen in einet für fich begehenden finnlichen $orm" 
(Ben3). „Dem Romanen lommt es auf (Einbrud bei anberen an, dem ©etmanen auf 
Ausbrud feinet felbft." „$üt ben Klaffiler ift bie $orm ein EDerl an fich —-im beut- 
fegen ©ebichte wächft bie $otm mit dem 3 nhalt, bie beutfehe $otm ift organifhe 
$orm. Das aber bedeutet, bag bie Raffifche $orm gebundene $otm ift, während bie 
beutfehe freie $orm genannt werben lann" (R. müllet s $teienfels). 9 ) 

Die ganje Sorfdjung ber jüngften 3 eit fommt in »oller Übereinftimmung 3U dem gleichen 
(Ergebnis. Auch Ricarda huch hat in ihren EDeltanfhauungsbüchern das Problem mehrfach 
geftreift. Sie figt »on ihrem befonderen djtiftlichen Standpunft aus: „Die gotifche Kunjl 
dtüett die dutd} den heiligen ©eift wiederhergeftellte (Einheit aus, der eine jerreifcende Spam 
nung oorhetgegangen ift. Datum ift griechifhe Kunft bei uns immet ein Ausbrud oon 1 
(Ermüdung, wenn fie nicht Ausbrud oon heucgelei, bejieljungsweife Derfhalung ift" An 
anderer Stelle: „Künftler, die auch in reiferen 3 aljten unpetfönlkh bleiben, deden diefen 
IRangel hinter der Antite entlehnten $otmen; da fie aber die Antite niemals erreichen, nur 
fie abfhwächen tönnen, find fie eigentlich übetflüffig." ©der: „Die grie<hif<he und italienifche 
Kunft hat oor3ugsweife die göttliche (Einjelerfheinung 3um ©egenftande, die beutfehe das 
törperlich erfheinende Unendliche." Sie erwähnt auch ben italienifchen (Einflug auf beutfdj* 
Rlänner: „litan hat oiel 00m (Anflug 3 taliens und det Antite auf ©oethe gefptohen; mir 
fcheint, fie haben überwiegend hemmend auf ihn gewittt, weil et fich nicht fidjet genug in 
feiner chriftlichen Kraft fühlte. Cutljers und Dürers Derljältnis 3m Antite und 3U Dtalien toat 
oiel organifhet und fruchtbarer, gerade weil fie durch den ©egenjag fich ih tct (Eigenart öejlo 
mehr bewugt wurden; iht eigenes EDefen erfuhr teine hemmung, fondetn eine (Erweiterung.“ 

EDet fein ©rieben prüft, wirb 3U bemfelben (Ergebnis tommen. Unb man gehl J 
* gewig nicht in bet Annahme fehl, bag all biefe Begebungen mertmale einet gtogen j 



Don 3ultus *KflI)n 


53 


geiftigen XDanölung finb, bie unfer Dolf öutd)3umad)en im Begriffe ijt.c) Da fich 
biefe tDanblung, wenn auch unbewußt, im Ceben bet 3ugenb fid)tlidj fpiegelt unb 
nach einem Ausgleich ©erlangt, fo ift es Pflicht bet Celjtenben, bie Spüler in biefe 
Stagen einjufüfyten. 11 ) 

IDenn man nun bie neuere £yrit unter biefem gtogen ©ejid}tswinfel betrachtet 
unb ben gotifdjen unb baroden Rhythmus als bas eigentlich Deutfdfe erfannt hat, 
jo wate es hoch verfehlt, alles anbere als unbeutjeh 3U be3ei<hnen. Deutfeh ift, bag 
bet Inhalt fidj feine befonbere $otm jdjafft, bag bie $orm alfo legtljin nichts anbetes 
ift als bet fidjtbar geworbene Inhalt. Dielleicht follte man aus biefem ©tunbe 
lieber bas IDort „©eftalt" anstelle oon „$omt" gebrauchen; benn$otm ift immer et* 
roas ©otes, roährenb ©eftalt lebenbig ift. 

IDelch nachteilige golgen für ben Dieter bie Übernahme einer fertigen Sorm bat 
fattn man recht anfchaulich an einem betannten Cenaujdjen ©ebicht flarmadjen. 

H>eU’ auf mir, bu bunfles Äuge, 
übe beine ganje macht, 
ernfte, milbe, ttäumetijdje, 
unergtünblich füge Rächt! 

Diefe Strophe gleißt einem ©efäg, bas ber lytifche ©egalt nut h«U> ausfüllt. Dets 3 unb 4 
enthalten nur ben Ausruf: Rächt! Damit bie „$otm" voll werbe, mug ber Dichter nicht 
roeniget als vier abjeftioifdje Attribute einfügen unb noch baju bas legte burch eine' filben* 
jüHenbe aboetbiale Beftimmung erweitern, ©in Schulfall für bie Derwäffetung bes ©ebidjts 
mit ©igenjehaftsworten. — Diel feltener ift ber umgelehrte $atl, bag nicht bet gefamte 
3 nljatt in eine Strophe htneingeht, wobutch ftc 3U gebrängt unb fehwet wirb. Das finbet 
man oft bei ber Drofte: 

Unb hirtenbuben hoden 
im Kreis umher, fie ftreden 
bie fjänbe, ©orfes Broden 
feh’ ich bie £olje Ieden ufw. 

Hut mit mühe bringt bie Dichterin ihre ©ejidjte in ben jdjmalen Strophen'unter, man 
N bas beutliche ©efügl, bag manches nicht mit hineinging; bähet eiüärt fid) auch bie auf* 
fallende Spatjamfeit mit Abjeftioen. — ©an3 feiten nur finb $otm unb Dnljalt einanber an 
Saum völlig gleich — wobei es auch bann noch fraglich bleibt, ob biefer Inhalt genau biefe 
Sorm oon innen heraus gewonnen hätte, wenn fie nicht fegon oother bagewefen wäre! — 
3 m allgemeinen wirlen bie Rlage ber griechifchen Oben (Klopftod, hölbetlin ufw.) oiel 
beutfeher als bet gleichfötmige R)echfel betontet unb unbetonter Silbe© bei ben troehäifehen 
unb jambijdjen Strophen. 

tDie auch innerhalb fcheinbar gegebener $orm fiel) ber Rhythmus 3U perfönliehftet 
©eftalt entfalten !ann, 3eigt neben ©oethes £ieb „Übet allen ©ipfeln..." am beften 
Slötiles „hier lieg ich auf bem Stühlingshügel...". Sn Xltörites ©ebicht hat (trog 
her Strophenform) febe 3eile ihren eigenen Pulsfchlag: es ift ein Rtufter „beutfeher 
Sorm". 

Um bas alles reftlos 3U verbeutliehert, ift es auf bet ©berftufe nötig, bie Rlufil 
h«an3U3iehen. Reben ©oetge unb Schiller ftehen Beethoven unb Säubert, ©s ift 
fein 3 ufall, bag Schubert getabe aus ©oethefdjen ©ebidjten feine herrlichften £iebet 
fänf» währenb Beethoven mit Schillers R)orten (in bet „Heunten") bas fjöchfte oet* 
önbete. Denn©oethe unb Schubert finb „naiv", Schiller unb Beethoven „fentimenta* 
iif<h". Die IRufil erft erlöft all bie im ©ebicht fdjlummernben rhythmifchen Regungen 

c) PataHel 3U ben angeführten Beftimmungen griechifdl«n unb beutfehen $otmwillens 
taufen bie Detfuche, ben ©ehalt unfern 3 eit in einem neuen, ffiythos 3U oerbiehten. 10 ) 



54 


£qrit unb BoRdbe. Don Julius Kühn 


3um collen Zehen. 3 n ihr fhwingt bas ©ebi<ht feelifh teilt aus. Datum follte man 
bet Klaffe S<hubert*£ieber wie „Auf bemSee", „DetRTufenfohn", „IDanberets Rächt- 
ieb", „©anymeb", „An Schwager d^tonos", „©teitjett bet Alenfhheit" oorfpielett 
unb ettlären. 12 ) Bei (Eidjenbotff ift bann Robert Schumann, bei Rlörife f)ugo XDolf 
3U betüdfidjtigen.d) 

©ewifj !ann bet £yrif im beutfhen Unterricht immer nut ein geringer Geil bei f 
3 eit gewibmet toetben. IDenn man in ftanbigem 3 ufammenhang mit ben geiftigen 
Strömungen bet 3 rit fteljt, fo lann man trotjbem ©efdjloffenes erteilen. IDüttfchens* 
toett märe es bafüt alleröings, bafe ein unb betfelbe Center (mie es an ber flnftalt, 
an ber ich tätig bin, für alle £ehtfächer eingerichtet toutbe) bie gleiche Klaffe in 
Üeutfh unb ©efdjidjte feweils butch eine gan3e Stufe führt. 

Diel einfacher liegen bie Derhältniffe auf bem ©ebiet bet Ballabe. Die ift nie* 
mals oernadjläffigt unb eigentlich immer in beutfhfunblichem Sinn bShanbelt wor* 
ben. Doch fann man bas fünftig noch erweitern unb oertiefen. Auch bei bet Bai* 
labe follte eine fttenge Stoffoerteilung ootgenommen toetben. 3 n bie Unterftufe 
gehören bie Rtärchen* unb Sagenballaben, in bie Rtittelftufe bie gefchichtlichen, in bie 
©berftufe bie phiiofophifhen Ballaben.e) 

Deutfeh funbliche Belehrung im engeren Sinn fäme bann nur für bie Unter* 
unb Rtittelftufe in Stage. Sie toirb fi<h im allgemeinen auf bas fulturgefchichtiiche 
©ebiet befdjränfen. Rtan furchte nicht, bafc butch foldjes Beitoerf bie fünftlerif^e 
tD'trfung 3U fut3 fomme! Bei ben Bailaben liegt bet Shwerpunft im Stofflichen, 
bas nach allen Abfchtoeifungen immer toiebet burch fi<h felbft wirft. 

©hne bis fe^t für bie beutfhfunbliche Behanblung ber Bailaben einen feften 
Plan oerfolgt 3U hoben, hot fich bei mit bas Beftreben burchgefeht, ein3elne Bailaben | 
fo in 3 ufammenhang 3U bringen, bafe fie geroiffe Stufen tulturgefchichtlichet ©ntwief* 
lung oerförpetn. Unb ich oerfuchte bann, butch er3ählenbe Ausfüllung bes Da3toifchen* | 
liegenben anf<hauli<he £ängsf<hmtte oot3ufühten, in benen 3. B. bas Bauernhaus, 
bas Stäbtetoefen, bie Bewaffnung ober bie Kleibung ein3elnet Stänbe, bas Schul* 
wefen u. a. m. berücffichtigt würbe. 

IDenn bie Ballaben im £efebuch nach folgen ©efichtspunften ausgewählt unb 
angeorbnet würben, fönnten fie eine wertoolle ©runblage für bie Kulturgeschichte 
bilben, bie als befonberes £ehrfach wohl niemals möglich fein wirb. 

Sdpifteitnadüweis. 

1) Die roichtigften hilfsbüher finb tDilhelm peper, Die Iyrifhe Dichtung (Ceipjig, 

B. ©. lleubnet)unb ®. 00n South unb®. IDolf f, Dichtung bet ©egenwart (Cangenfalja 
1920 , Julius Belt)); beibe tiefgtünbig, feinfinnig unb reich an wettoollen Anregungen. 

2 ) 3 u beachten bie Bücher oon Ottmar Rut$: „Heue ©ntbeefungen oon ber tnenfh' 
Rhen Sttmme" unb „IRufif, Xöort unb Kötpet als ©emütsausbrud". 


d) 3 <h tue bas teils im Rahmen ber Cehrftunben, teils bei befonbets oerabrebeten 
3 ufammenfünften an freien Rachmittagen, wie ich mit berfelben Klaffe im nötigen Jahr 
in gemeinfamen Abenbsufammenfünften Sdjefflers „©eift bet ©otif" gelefen höbe, um ben 
beutfhen Stunben eine breitere ©runblage 3U geben. 3 n ber ©efdjihte tonnten bann bie 
tunftgefihi^tlichen Betrachtungen ohne 3 ritoerluft benfelben ©ebantengängen eingeorbnet 
werben. 

e) Die melften Shi(letfh en Baßaben (felbft ben »Ring bes polyfrates" unb ben „Kampf 
mit bem Drohen") follte man erft auf ber ©berftufe behanbeln. 



55 


Die beutfcfee Profablcfetung. Don Johann ©eorg Sprengel 


3) Dgl. meinen fluffafe „Der Urfptung bes ©ebicfetes" (3eitfcfet. f. b. beutfcfe. Unt. 
XXXIII, S. 300ff.), bet metfeobifcfe audfe 311 ben genannten Bücfeetn oon Pepet unb oon 
$autfe unblDolf f in ©egenfafe ftefet. 

4) Dgl. bie bett. Scferiften non Diltor tjefen, IDilfe. Diltfeey, ©slar EDafyel: 
£eben, (Erleben unb Dicfeten, Johannes Cippolb: Die Aftfeetit bet inneren gorm u. a. m. 

5) Heben ben Bücfeetn oon ©ttmar Rufe unb ben Rfeytfemtfcfe=melobiftfeen Stubien 
oon ©buatb Sieoers ift unbebingt Det beutfcfee Rhythmus unb fein eigenes ©efefe oon 
Dr. Siegfrieb Befen feetan 3 U 3 iefeen; Strafeburg 1912, K. 3 . ©tübnet. getnet (feinen 
beachtenswert bie Stubien oon ©lata Scfeafffeorft unb feebwig flnbetfen (in Rotfeen* 
bürg a. b. gulba), auf bie ©ug. Dieöeticfes in 3ulifeeft feiner „Hat“ (1920, fjeft4) nacfebtüdlicfe 
hinwies. 

6 ) Die £iteratur barüber bei ®. IDeife, Die beutfcfeen DollsftSmme unb £anbfdfeaften 
(AHu© Rr. 16). — getner ift beachtenswert fllberi oon fjofmann, Das beutfcfee 
£anb unb bie beutfcfee ©efcfeicfete. Stuttgart 1920, Deutfcfee Derlagsanftalt. 

r '. 7) güt bie „freien Rfeytfemen" ift trofe teilweifet Überfeolung immer nocfe brauchbar 
flbolf ®olbbed*£oewe, 3ur ©efcfeicfete bet freien Detfe in bet beutfcfeen Didfetung 
(oon Klopftod bis ©oetfee). Kielet Differtation 1891. 

8 ) gür ben Deutfcfeieferer ift 3 m ©rfenntnis bes Rfeytfemus wicfetig ®tto 3 Ut £inbe, 

flrno £)ol 3 unb ber Gfeaton. Berlin 1911, ©featonoetlag. -** **•-•> 

9) Die nationale (Eigenart bet beutfcfeen £yrit (ogl. 3«itfcfer. für Deutfcfelunbe Bb. 34, 
S.'lff.). 3 cfe nafem ben fluffafe in 01 ausfüferlicfe butcfe, toas mir ber Detfaffet butcfe 
freunblicfee überlaffung feiner Sonberabbrude ermöglichte. Diefet unb äfenlicfee RuffSfee 
(3eitf(hr. f. b. beutfch- Unt. XXXI, S. 209ff.) finb flbfcfenitte bes Budfees „Die Pfydfeologie 
ber beutfcfeen Kunft", bas bei Bed in Rlüncfeen erfcheinen wirb. 

10 ) Dgl. (Ernft Rtichel, Det IDeg 3 um ITlytfeos. 3ena 1918, Dieberidfes. 

11 ) Dgl. aucfe Paul £otenfe, Die tünftige Stellung bes beutfchen Unterrichts an ben 
feöfeeren £eferanftalten, S. 10—18. Berlin 1917, IDeibmannfcfee Bucfefeanblung. 

12) ©ine gutefjilfe ift f). non ber Pfotbten, gran 3 Schubert unb bas beutfcfee £ieb 
(IDiffenfcfe. u. Bilb., Rr. 130. £eip 3 ig 1916). 


Die öeut|d)e profaöicf)tung. 

Don 3 ofeamt ©eorg Sprengel. 

Unfete Profabicfetung gefeört, foroeit fie für bie Schule in Betracfet T !ommt, mit 
roenigen Ausnahmen bem 19 . 3 aferfeunbert an. Sie bilbet einen roefentltcfeen, ifetem 
3 nfealt unb beffenflusmirtung nacfe faft ben lebenstoichtigften Beftanbteil unfetetneu* 
eren Didjthmft unb ftellt ficfe, namentlich auf bem ©ebiet ber Rooelle, mit einer Reifee 
flaffifdjet flTetftenoetfe but<h bebeutenben £ebensgefealt unb tünftlerifcfee Dollenbung 
ebenbürtig an bie Seite alles ©tofeen, toas beutfcfeer Spracfehmft feit einem 3 afertau* 
fenb in glüdlicfeer Stunbe gelang, flucfe ber beutfcfee Roman feat feit bem „IDilfeelm 
IReifter" eine nicfet geringe 3<*fel ftattlicfeer Ceiftungen oon ftarter Cebensfunft 3U 
oerjeicfenen. 

Bereits 1907 gelangte icfe im Rafemen einet grunbfafelicfeen Betrachtung übet bie Ruf* 
gaben bes beutfcfeen Unterridfets unb feine Stellung im ©an 3 en bes ©T 3 iefeungstDetls (bei 
IDilfeelm Rein, Deutfcfee Scfeuler 3 iefeung, Rlüncfeen, 3. g. £efemann, S. 345 ff.) 3 u bem 
(Ergebnis: „3ft es nicfet eine feocfebebeutfame Pflicfet ber feöfeeren Scfeule, bie 3 ugenb in 
bas Derftanbnis iferet eigenen 3eit einjufüfeten, bafe fie beren Rntlife begreifen lerne? 
IDie aber will man 3 um Derftänbnts bet ©egenwart gelangen ofene bie 3 eitgenöffifcfee 
Oteratur, wo ficfe bie gragen unb Rufgaben bet 3cit mit ienet lebensoollen Klarfeeit ab* 
fpiegeln, bie 00 t allem anberen ber poefie innewofent? 3 um minbeften müffen alle anberen 
Wittel un 3 ulänglicfe bleiben ofene biefe (Ergebung. Sie ift um fo notwenbiger, als bie Hielt 
unb gan 3 befonbets bie beutfcfee Ration feit bem oorausgefeenben 3eitraum... eine faft auf 



56 


Die beutfdje Profabiehtung 


allen Gebieten bes £ebens gtunbwäljenbe, neugeftaltenbe Sntwidlung erlebt bat, bie int 
Schrifttum ibten eigenartigen Ausbtud finbet... Auf biefes Schrifttum ihrer 3eit bat unfete 
3ugenb bie oerbürgteften Anrechte ... fjier aber bebarf fie, fo gut rote itgenbwo, 6 er füb« 
tenben fjanö..." 

XDie blutnotwenbig foldje Betrachtungen waren, beweisen manche bet bantals unb }unt 
Seil no<b beute geltenben amtlichen £ehtpläne, 3 eigten bie Derbanblungen oetfdjiebenet 
preufeifdjet DireftotenDetfammlungen bet oorausgehenben 3ab ie über bas neuere beutfdje 
Schrifttum mit ihrer fjilflofigfeit gegenüber biefer $rage bei gutem IDillen unb manchen 
richtigen Srfenntniffen, ergab fidj aus bem tDiberfprudj, ben bie Betonung unferer neueren 
Dichtung — neben oielfadjer unb lebhafter 3u|timmung — bei manchen Schulmännern 
fanb. Rubolf Cebmann, Paul Sauer, paul©olbfdjeibet unb Alfreb Biefe finb in biefem Sinne 
befonbers 3 U nennen. Unter ben ©rünben bes IDiberfprudhs ftebt bie Sinfeitigfeit bes 
flafftyftifdjen Doturteils an erfter Stelle. Ss bat auch fonft in unferm neueten ©eiftesleben 
Dielfaltig hemmenb unb gerabe 3 u oerhängnisooll geroirtt unb tut es brüte noch in nettem 
ITCafee. <San 3 oerftänbnislos ftebt offenbar R. £ehmann bet Bebeutung unferer neueten 
Dichtung für bie Schule gegenüber (ogl. £y 3 eum oom ©ttober 1914). fluch p. ©olbfcfjeiber, 
beffen Buch „£efeftüde unb Sdjriftwerfe im beutfdjen Unterricht" (Rlündjen 1906) fonft 
oiel Sdjäfebates bringt, oerfagt in biefem punfte faft oollftänbig, woran auch eineStwiberung 
auf meine Beanftanbungen (UTonatsfchrift f. höh. Schulen 12 . 3al?tg., S. 649ff.) grunb« 
faßlich nicht al^uoiel änbert. „Ulan iann wohl fagen, bafe alle unfere nacfjflaffifchen Rieh« 
tungen fidj immer mehr oon bem entfernen, was ©oettje unb Stillet in ihrer Bereinigung 
als bas ilaffifche 3 beal bet Kunftform gegolten batte; unb aud} ber Anteil an 3beengebalt 
in bet Poefie wirb übetwiegenb ärmer": Das tann nur bebeuten: bie neuere Dichtung ift 
nach S 01 *™ unb ©ebalt unter bie bet Klaffif herabgefunfen; bie oon mir unterftrichenen 
beiben U)Örtchen „unb auch" laffen leinen Zweifel barüber, bafe (ich gän 3 li<hes Derlennen 
bet £ebenswerte unfeter neueren Dichtung mit flafftyftifchet Beengtheit in biefem 3 ufammen= 
faffenben Urteil einheitlich oerbinbet, unb ba 3 U ftimmt alles übrige bei ©olbfeheiber. Auch 
Alfreb Biefe ftebt gtunbfäfelidj auf flajfoiftifdjem Stanbpuntt. Sr ftellt gan 3 fiewufet bie beut« 
fche Dichtung bes 19. in ben Schatten bet bes 18. 3ahrijunberts („Panther" tom De 3 embec 
1916 unb preufe. 3abtb. Bb. 164, fjeft 1 ), wenn er ausbrüdlidj erllärt: U)ir haben nur 3eit, 
bie eine ober anbere in Prima grünblich 3 U bebanbeln; ba mufe bie erftere befcheiben 3 utüd* 
treten. Dabei bat er lange Auffäfee 3 ut eingehenbften Behanbiung Ulöriles ober Storms 
in prima gefchrieben. U)it lommen hier jeboch 3 U bet fchuipolitifdjen Sette ber Sache, bie 
bei folgern Abwinten unb Bremfen mehr ober weniger, bewußt ober unbewußt, oon Be« 
lang ift. U)enn es'in unfeten £eijtplänen füt notwenbige Aufgaben bes beutfehen Unter« 
ridjts an 3«tt fehlt, fo gibt es aufeer ber Schlußfolgerung: U)ir müffen uns befcheiben! auch 
nod? bie anbere: IDit müffen bie 3 «»t eben forbern unb müffen fie nehmen, gleidjoiel, woher 
fie lommt. Biefes unterbeffen erfdjienenes Buch übet ben beutfehen Unterricht bringt nichts 
Heues; fein Derhältnis 3 ur beutfehen profabidjtung bleibt gan 3 im Unflaten unb wiber« 
fptud)Sooll, 3 umal im fjittblid auf feine phantajtifchen £iften 3 ur £iteraturgef^i<hte. 

Sine oortrefftiche Abwägung unferer Klaffit unb unferer neueren Dichtung in ihrer 
Bebeutung für bie ©eiftesbilbung gibt Otto oon ©reyet 3 in feinem Buch »Der Deutfehunter« 
rieht als U)eg 3 Ut nationalen St 3 iehung" (£eip 3 ig bei 3ulius Klinlharbt 1914), bas bei uns 
oielteicht weniger befannt würbe, weil es oon einem Schwerer gefchrieben ift. Ss läfet auch 
bet beutfehen Profa ihr Recht 3 ufommen. Auf bie Bebeutung unferer Profabiehtung füt bie 
Sdjule habe ich feit 3«h tcn immer oon neuem hingewiefen unb babei einen fdjäfeenswerten 
Bunbesgenoffen an Heinrich Dedelmann gefunben, bem meine Schriften fdjeinbar gütlich 
unbefannt geblieben waren. 3m 3al)te 1912 erfchien fein Buch über „Die £iteraturbes 19. 
3abrbunberts im Unterricht", bas auch 6 er profabiehtung einen größeren Abfchnitt wibmet, 
unb 1917 liefe et eine Schrift über „Deutfche prioatleltüre" folgen. (Beibe jefet in Reuauflagen, 
bie mit leibet noch nicht befannt geworben finb, bei ber tDeibmannfdjen Buchhanblung in 
Berlin.) Bei weitgebenber grunbfäfelidjer Qbereinftimmung mit Dedelmann habe ich hoch 
im ein 3 etnen oielfach tritifdje Dorbehalte 3 U machen. Die Angaben ber literaturgefchidjtlidjen 
Sorfchung finb, wenigftens in ber erften Auflage, oft überaus un 3 ulänglich. 3n bet Stoff* 
auswahl unb «oerteilung ift manches 3 u beanftanben. Don bem Begriff „Prioatleftüre“, 



ödn 3ofantt (Beorg Sprengel 


57 


an bem einige Unfiar^eit haftet unb mit bem viel IRifebraud} getrieben u>irb, trtu| noch bie 
Rebe fein, ^ebenfalls haben DecJelmanns Schriften reichliche Anregung unb nämliche An¬ 
leitung gegeben. 

Um fich eine Dorfteilung oon bet Bedeutung bet beutfdjen Profabidjtung 3U 
oetfdjaffen, ift es unumgänglich, einen fut3en Übetblid bet darin niebetgelegten 
Sehenswerte, toenigftens bes Allertoefentlichften, 3U geben. 3 uoörberft ift bas ©rund* 
faßliche übet bie ootljerrftuenden Kunftfotmen 3U fagen. 

Der neuere beutfdje Roman (ogl. darüber R. Htüller*$reienfels in bet 3 eitfd}r. 
f. b. beutfd}. Unterricht 1919 ), bet mit bem „IDilhelm IReifter" beginnt, ift bei 
fehr freier Belegung in der äufeeten $otm gan3 beftimmt durch bie innere $otm bet 
»Entwicflungsgefchichte, bas Behertfdjenbe bet Perfönlichleit unb ihrer feelifdjen, 
ftets felbljeitlichen Bedingtheiten, fei es ein ein3elner ober eine Dielheit, durch die 
gewiffemtafeen enblofe Cinienfühtung, durch bie geheimnisoolle Derfnüpfung bet 
Sebensläufe mit einer übetfinnlichen, unmefebaren unb unwägbaren tDelt. (Er 
ift dabei ftets R)elt* unb ©efellfchaftsbilb, aber nicht im Sinne ejafter Raturwiffen* 
fdjaft nadh 3 olas Auffaffung, oieimeht, toenn man biefen flusbtud mit ©oethe an* 
©enden will, in bem ejatter Phantafie, bie 3ugleich oon bem Drang nach un* 
endlicher, bunter Dielheit unb ftrömenber, traufer Sülle beherrfcht wirb unb aller be* 
rechneten ©benmäfjigleit fpottet. Seine ®efe%Ud?leit ift gleich den Shafefpearifchen 
B&hnenhanblungen ober fpätgotifdjen Kirchenhallen gan3 oon innen heraus 3U er* 
fdjliefjen. (Es ift ein Srrtum, den Roman als halbfunft auf3ufaffen. Anders fteht es 
um unfere Rooelle. Sie geht ftets auf eine feelifche <Ein3elfrage unb toitb gan3 
baoon beherrfcht. 3 m ©egenfafc 3U bet breiten, fich ausbehnenben Dielfältigteit, 
bem jeder (Eite abgeneigten Rhythmus bes Rotpans roeift bie Rooelle tnappe Sinien* 
führung auf, hol3f^nittartige Rtagerfeit bei innerem Reichtum, drängende ©angari 
unb fiatfe Spannung; fie ift bie echte epifche Schwefter bes Dramas, gleich liefern 
beherrfcht oon einem ein3elnen fjöhepunlt. 3mifthen beiden ©attungen fteht bas 
eigenartige ©ebilbe der Romannooelte, welche beftimmenbe 3 üge oon beiden Seiten 
in fich aufgenommen hat; man tann fie als eine 3um Sehens*unb RJeltbilb gefch wellte 
pfy^ologifche Problembichtung be3eidjnen. tDir befitjen oollenbete Rtufter biefet 
3 ©ifchengattung etroa in Storms „Schimmelreitet" unb (E.$.RTeyers „ 3 ütg 3 enatfch". 
Dies find bie ©runbfotmen unfetet Profabichtung, neben denen auch &ie einfache 
„©efchi^te" ihr Recht beanfprucht. Als befonbete uralte $orm er3ählenbet Dichtung 
fteht daneben auch bas lRärd}en mit feinet oielgeftaltigen Rtofaifarbeit oon RTotioen. 
4 s lenn3eichnet ft<h als eine ©efdjichte, deren Utfprung noch jenfeits oolfifch beftimmter 
©gählungsfunft liegt, bie fich leine ©rtlichleit ober gefdjidjtli^en (Ereigniffe an* 
lehnt, dabei aber, durch 3 ahttaufenbe fi<h felbft treu bleibend, nationale (Eigenart 
lebendig abfpiegelt. 3«®eilen lä&t bas Rtärd}en ein hinübergleiten ins roman* 
mäfjige, gefdjloffene Sebensbilb ober auch nooellenartige Schulung erlennen. 3 n 
bet formenden hant> IDilhelm ©rimms hat es bei uns feinen eigenen lünftlerifchen Stil 
gewonnen. 

Doch lebten roit 3urüd 3U bem Sebensgeljalt, den biefe roefentlich erft im 19 . 
Jahthunbert 3Ut oollften Ausbructsfähigleit entwicfelten Kunftgattungen einfdjHefeen. 
Auf dies feelifche Kapital fommt es uns an. Sein Reichtum, feine (liefe bet Betrach* 
tong wat es, was bie ©ebunbenljeit bet älteren epifdjen $otmen fprengte, um fich 



58 


Die fteutfäe Profabidjfuttg 


frei ausleben 3U lönnen. tDie in bet (Entmidlung ber Spraye ift finnlidje Ausbruds» 
form unb äußere Binbung burdj innere IDerte eifert rootben, bie miebetum ihre 
eigene, neue ©efetjlichteit etjeugten. IDit erbliden im Spiegel biefet etjöblenben 
Dichtung bie tDirflidjteit unferes eigenen £ebens in feinen eigenartigen Dotaus» 
fetfungen, mit aller oetmittenben ITCannigfaltigteit feinet Detfnüpfung, feinet-Der» 
anferung in ber befonbeten, unenblicf) mechfelnben perfönlidjen unb gefellfdjaftlidjen 
Bebingtheit ber Stanbes* unb Stammesunterfdjieöe, bet teligiöfen unb fittlid?en 
Anfdjauungen, ber Cebensjiele unb noege aller Art biefes ganjen Dafeins, einet Be» 
i>ingtheit, bie 3U teiner anberen 3eit fo befdjaffen mar mie in biefem Deutfdjlanö, 
bas fid? feit oier bis fünf ©efdjledjtem unter Dorausfetpmgen entroidelte, bie es fonft 
niemals unb nirgenbs gegeben bat unb gibt — bei aller Übereinftimmung im ©tunb» 
mefen bes Rtenfchfeins. Auch mo uns in biefen Bietungen beutfdje Dergangen» 
beit entrollt mirb, oetfpüren mir bei ber (Einbeitlicbleit unb Beftänbigteit alles » 51 * 
fiftben IDefens unb Seins in bet ©eftaltung bes Dergangenen aus bem ©egen» 
märtigen benPuIsfdjlag unferes eigenen IDeltfüblens, in bem ber ©eift ferner 3eiten 
miebetum Ceben geminnt. So mirb in gan3 befonbetem Sinne unfere neuere Ptofa» 
bi<btung 3um „Organ unferes £ebensoerftänbniffes", 3um anfdjaulidjen tDert3eug 
einet 3ielbemufeten Deutfeh tunbe, aus bem IDefen unb tDerben bes beutfcben ZTtenfcben 
erbeilt unb bas Deutfchtum unferer 3 cit oerftänblid} mirb. Das ift es, mooon mir ftets 
aus3ugeben buben unb rootauf mir ab3ielen. Allmählich fließt aus allen (Einjel» 
geftalten unb »3Ügen ein umfaffenbes Bilb bes beutfcben ©efamtlebens, feines in» 
neren Aufbaues unb feines Derbältniffes 3ur BTenfdjbett 3ufammen, anfchaulichet 
unb oollftänbiger, als es irgenbmo gegeben metben lann. Denn es märe oetgeblicbes 
Bemühen, mit unferer burcb bie Iebenbige IDirfung ber Bübne mobl ftürter 3ugrei» 
fenben bramatifcben Dichtung im fjinblicf auf bas ©an3e bes nationalen £ebens 
ein ©leicbes 3U Ieiften. $teili<h foll babei nicht oergeffen merben, bafo erft bie ©efamt» 
b$t unferer Kunft in ©egenmart unb Dergangenheit bas ©an3e bes beutfcben Dolls» 
tums unb bas lüdenlofe Belenntnis „feiner Auffaffung göttlicher, menfcblicbet unb 
natürlicher Dinge" ergibt. 

Bur in fnappen Strichen unb ohne irgenbroelihcn Anfptud* auf Dollftänbigteit 
tann b»^ eine Umfchau auf bie IlTaffe ber beutfcben Profabichtung unb bie batin 
enthaltenen £ebensmerte oerfucht merben. Hut foldje IDerte follen genannt merben, 
bie ihrem ©ehalt nach einen roettoollen Beitrag 3um Derftänbnis beutfcben £ebens 
in feinet ©ntmidlung unb feinem gegenmärtigen 3uftanb liefern, bie fi^ 3ugleich 
burcb fünftlerifdje Dollenbung, minbeftens burcb (Eigenart unb ©ebiegenheit aus» 
3eicbnen. 3 n biefet fjinficht mag bemertt merben, bafe nicht eben beabficbtigt 
mirb, nur ZTteiftermerfe erften Ranges an3uführen, menn auch 3ablrei<be ber an» 
geführten Dichtungen als foldje be3eicbnet merben bürfen, bies um fo meniger, als 
berartige IDertuttgen ftets bis 3U einem gemiffen ©rabe fubfettm bleiben, mie benn 
auch bas Urteil über heroorragenbe IDerte unferer Klaffit, bie Iängft einen feften 
piaij im £ebrplan bet Schule einnehmen, bis 3um heutigen Gage oielfacb fchmantt 
unb fi<h änbert Ulan molle bie nachftebenbe Auf3äblung nur als eine Auslefe aus 
bem IDefentlichen betrachten, bie einer roeitgehenben (Erga^ung febr mobl fähig ift. 

(Entmidlungstomane unb Rooellen mit (Entmidlungsproblemen. Aus ftüberer 3eit: 
3örg tDicfiam, Der ©olbfaben, erneuert »on Klemens Brentano, ©rimmelsbaufen, Simplt» 



Don 3ofjann ©eorg Sprengel 


59 


ciffiraus. Unfer ©nttoidlungsroman beginnt mit ©oethe, Wilhelm TITeifters £ehrjabte. 
Der romantifd}e Cebenslauf: ©djenborff, Aus bem £eben eines ©augenichts. Don ben 
Romanen bet Romantiter: Rooalis, ©fterbingen; Sied, gran 3 Sternbalbs IDanberungen. 
fln biefe Reibe anfdjliefeenb: Wörife, Waler Holten. Keller, Der grüne heinnd}. Raabe, Der 
fjungerpajiot, Rite Hefter, Die Alten bes Dogeifangs. Storni, Der Schimmelreiter. Keller, 
Panfraj ber Sdjmoller, grau Regel Amtain unb i^r 3üngfter. Riebt, Der ftumme Ratsherr, 
ij. fl. Krüger, ©ottfrieb Kämpfer. Otto ©rnft, flsmus Semper. 5 etman « ^effe, Peter 
©amenjieb. H)ilbelm Sped, 3»ei Seelen, ©uftao grenffen, 3ötn Uhl, Klaus Ijinridj Baas. 
£ubtoig gindb, Rapunjel. 3ugenbli<he £ebensläufe roeiter bei Storm, Pole Poppenfpäler, 
Karften Kurator, ©berbarb König, gribolin ©infam. ©. g. Weyer, Die £eiben eines Knaben. 
Hermann fjeffe, Unterm Rab. tDilbenbrud}, Das eble Blut. 

KinbergefRichten: flbolf Schmittbenner, Der Seebunb, DerDidlopf unb bas peterlein. 
©rnft 3abn, Das £eni, Der ©eif}*©hrifteli, Die Säge oon Wariels. 

Sittliche £ebensftagen, innerer 3a>iefpalt, überroinbung obet ©liegen: Kleifi, Wicbael 
Koblboas. £ubmig, 3roifd?en fjintmel unb ©rbe. Raabe, 3um roilben Hlann. ©. g. Weyer, 
Die hod} 3 eit bes Htön<hs. g. ©b- Difdfer, Auch einer. Keller, Kleiber machen £eute. Riehl, 
Reiner Wein. 

©laube unb Belenntnis: ©. g. Weyer, Das Amulett. Riehl, Die Werte ber Batmbe^ig* 
leit. Raabe, fjöfter un 5 iotoey. getbinanb oon Saat, 3nnocens. ©nrica h«nbel* 
Wa 3 etti, Die arme Wargret. Storm, Renate. ©. g. Weyer, Der fjetlige. Keller, Ürfula. 
ffidjenborff, Das Warmotbilb. Keller, £egenben. Waj 3ungnidel, Der Wollenfchutye. ©er* 
hart h®uptmann, Der Han in ©brifto ©manuel (Quint. 

£iebe: ©oethe, tDerthers £eiben. Keller, Romeo unb 3ulia auf bem Dorfe. Storm, 
3mmenfee, Aquis submersus. <L g. Weyer, ©uftao Abolfs Page. £ubtoig, Die Qeiteretbei, 
Aus bem Regen in bie ©raufe. Schmittbenner, Die grübglode. Keller, Kleiber machen 
£eute. gontane, 3rrungen, Wirrungen. 

So 3 iale Dichtung: 3mmermann, Der ©bethof. greytag, Soll unb hoben, ©bomas 
Wann, Die Bubbenbtools, Königliche h°h c it- Wilhelm oon Polen 3 , Der Büttnerbauer. 
Rubolf h et 3°9r Die Wislottens. Storm, Der Schimmelreiter, Die Söhne bes Senators, Pole 
poppenfpäler. 

heimatbichtung, Stammesatt: gür Jjolftcin auf}er Storm ©imm Kröger, gür Wedlen* 
bürg grit| Reutet, Ut mine Stromtib u. a. 3ofef Btindmann, Kafpar ©hm un id. gür Pom* 
metn h ans Jjoffmann, ©efchidjten aus h*”terpommern. gür ©büringen ©tto £ubroig. 
gür Hiebetbeffen Wilhelm Sped, Urfula, Der 3oggeli. gür bie ©fei Klara Diebig. gür ben 
Schtoar 3 toalb Bertbolb Auerbach, ^eirttidj fjansjalob. gür Schwaben Karl unb Richarb 
Weitbrecht. gür bas fd?toäbifcf}e Donauries Wel^iot Weyr. gür bie alemannifche Sdjtoey 
3etemias ©ottbelf, Keller, ©rnft 3<»b n r h c i nt ><*? Sebeter, Abolf huggenberget. gür ©ber* 
öfteneich An 3 engtuber. güt bie Steiermarl Peter Rofegget. 

Staat unb Staatsbürgertum: Keller, Das gähnlein ber fieben Aufrechten, Wartin Sa* 
lanbet, grau Regel Amtain unb ihr 3üngfter. ©. g. Weyer, 3ürg 3enatfch. 

Deuifche ©efd)i<hte unbKulturentroidlung: greytag, Die Ahnen. Abolf Schmittbenner, 
Der erfte Reiter (Ut 3 eit). Riehl, König Karl unb Worolf. ©. g. Weyer, Die Richterin (Kati 
bet ©tofje). Riehl, 3m 3<*h re bes hettn (Katolingifche 3eit). Scheffel, ©Heharb. Keller, 
Oietegen. Sperl, Die Söhne bes h«tn Bubirooi. (©egenfafc 3 roifchen Deutfchen unb Slaroen. 
fjiet 3 u fpätet Klara Diebig, Das jchlafenbe fjccr.) Keller, fjablaub. Riehl, Der ftumme Rats» 
bett (Stänbelampf). Raabe, bie hömelfchen Kinber. ^auff, £id}tenftein. ©. ©. A. hoff* 
mann, Weiftet Wattin unb feine ©efellen. Riehl, Die £ebrjahre eines humaniften. Riehl* 
f<he Hooellen aus ber Barod 3 eit: ©oib bei hofe, Der £eibmebifus, Der Stabtpfeifer, Rhein* 
gauer Deutfeh. Die Religionsltiege: Raabe, Unftes h^ngotts Kan 3 lei. 3eit bes 30jährigen 
Krieges: ©rimmelshaufen, Simpliciffimus. Stifter, Der hochtoalb. Raabe, ©Ife oon ber 
©anne. Schmittbenner, gtiebe auf ©tben, ©illy in Höten. ©. g. Weyer, ©uftao Abolfs Page. 
£öns, Der Wehrroolf. Raabe, Der Warfdj nach häufe (oom 30}ährigen Krieg 3 ut Schlacht bei 
gehtbeUin). Rkatba h^h, Der gtofee Krieg. Raabe, Die fchtoa^e ©aleere (Unabhängigfeits* 
tampf bet Hiebetlänber). preufeifche ®efRichte: Willibalb Alejis, Die hofen bes hertn oon 
Breboio ufa)., oon Heineren ©gählungen hett oon Saden, fjons Prellet oon £auffen. 3eit 



60 


Die beutfehe profabichtung 


bes Siebenjährigen Krieges: Raabe, bas (Dbfelb, fjajtenbed. (Ebetijarb König, IDenn bet 
Alte $riß gemußt hätte. Dot ben greiheitsfriegen: gontane, Dot bem Shrnn. Raabe, 3m 
Siegesttan 3 e. Die greiheitstriege: Rubolf fj« 3 og, Die Burgfinber. Preußen unb bie Rhein« 
lanbe: Klara Diebig, Die IDacht am Rhein. Det Deutfch*gtan 3 Öfijche Krieg: Ciliencton, 1 
Kriegsnooellen. fjetmann Stegemann, Die Krafft non 3U3ad}. Die heutigen Schußgebiete: 
grenffen, Petet Ittoots gahrt nach Sübroeft. j 

Sage unb ünärdjen: Die beutjdjen Doltsbächet, h'tausg. oon ©uftao Schwab, Richatb 
Ben 3 u. a. Stimm, Deutfdje Sagen. gouquö, Unbine. Stimm, Kinbet* unb Qausmärchen. 
Brentano, IHäidjen. ^auff, IKätchen. Rooalis, Jjya3inth unb Rofenblüt. dhamiffo, Petet i 
Sdfiemthl. Rtörile, Das Stuttgarter tjußelmännlein. Dolfmann*£eanber, Träumereien an 
ftan 3 öji|^en Kaminen. Sdjmitthennet, Die fieben EOodjentage. (Ebetljaib König, Das Rlät= j 
djen com tDalbfchratt. 

Kunjt unb IRufif: Soethe, tDilhelm IUeifter, auch bet llrmeifter fommt in Betragt, j 
tDadentobet, h^ensetgiefeungen eines funftliebenben Klofterbtubers, Phantafien übet bie i 
Kunft. Schmitthenner, Sin RTidjelangelo. Sbethatb König, Die ©efhihte non bet filbetnen 
IDolfenfaumweis. ZKörife, ITto 3 art auf bet Reife nach Prag- Riehl, Das Quartett, Ampßion, 

Det Stabtpfeifet. SriUpat 3 et, Det atme Spielmann. Stotm, Det ftille ITCufitant. Hermann 
fjeffe, Setttub. IDilhelm fjol 3 amer, 3nge. 

Sedjnit: Ria? Syttj. 

(Einige wenige bet genannten Bietungen finb an ntehreten Stellen ange= 
führt. Dies hatte bei ben allermeiften gesehen tonnen. 3n weitem Umfange fo* 
gar. Das £eben ift eine (Einheit, jebe ein3elne Heufdjöpfung burch bie Kunft fteflt 
nur einen Ausfd}nitt bar, bet 3toat in fi<h ein gefdjloffenes ®an3es oorftellt — es I 
braucht lein äußerlicher Abfdjtuß 3U fein, bas hat man bei unferer neueren Dichtung 
oft oetgeffen, aber hoch burch hunbert gaben mit bem Sefamtleben 3ufammenhfingt ! 
unb mannigfache Saiten bes großen Spiels berührt ober mittlingen läßt. tDohl 
finb es immer befonbere gtagen, welche bie Seele bes Künftlers erregen, in Sdjwin* 
gung oerfeßen, 3um Ausbrucf brängen; fie finb batum aud} als foldje auf3ufaffen 
unb 3U betrachten, hoch ftreben fie immer 3um (Sanjen bes Sehens 3urüd, aus bem 
fie nach Dürers tDort „herausgetiffen" toerben — bies fjerausreißen ift, wie (Dstar 
fjagen ausfühtt, bie Srunbleiftung gerabe bes beutfdjen tünftlerifchen Sehens 
(Deutfdjes Sehen. ITCünd)en, R. Piper u. Ko. 1920 ). hieraus ergibt fich, baß bet 
Unterricht jebes IDer! in bie oerfdfiebenften 3 ufammenhänge ftellen fann, unb 
jebet lebenbige Unterricht wirb bas tun in unetfchöpflichem XDechfel. 

Schon hieraus erfieht man, baß es unmöglich ift» bie Profabichtung in eine 
beftimmte $olge, in einen feften Aufbau 3U 3toängen, fie auf gewiffe Klaffen 3tt 
perteilen. Da3u führt inbeffen aud} eine weitere (Erwägung. UJje man jebes tDert 
nach mannigfachen ( 5 efid}tspunften beleuchten tann, fo finb auch faft immer oerfdjie* 
bene Stufen, TTtöglid}feiten bes Derftänbniffes ins Auge 3U faffen. Seien wir uns ein* 
mal flar barüber, baß reftlofes Detftänbnis niemals et3ielt werben fann ober folL 
IDir lernen ba unfer gan3es £eben nicht aus, lernen jebes Kunftwerf immer non 
neuem unb immer anbers betrachten unb nerftehen, unb jebe 3eit, jebes neue ®e* 
fchlecht gewinnt ein eigenes Derhältnis ba3u. U)as wir in ber Schule erftreben unb 
erreichen tonnen, bas ift Anregung 3U nerftänbnisooller Dertiefung in bie Kunft, 

3U anfchaulicher (Einfühlung, 3um Itacherleben beffett, was in bet Seele bes Künftlers 
lebenbig war. So fann man aud} manche profabichtung in wedjfelnbem BKdwintel 
oetfdjiebenen Stufen 3uweifen. Auch in biefem Sinne oerbietet fi<h ein ftarrer 
£ehrplan. 



61 


Don Johann ©eorg Sprengel 

$aft noch unmöglicher ift es, eine fefte, gemeingültige unö oerpfli<htenöe Aus* 
toa^I unter Öen oorljanbenen IDerten 3U treffen. 3 h te 3 ahl tft fo gtofe, bafe auch 
bei erheblich oermehrter 3 cit für Öen öeutfdjen Unterricht immer nur ein oerhältnis* 
mäfjig Heiner Seil 3« Beljanölung tommen tann (hierüber ogl. man Ijetmann 
3 tfd}ners Buch „£ehtetbilbung unö Dolfstum". £eip3ig 1917 ), unö öie Dotaus= 
fetjungen für biefeAuslefe finö ftets unö überall anöete. Rlit Recht fagt ©.o.fitey* 
er3: öic Sdjullettüre 00m Banne öes Kanons befreien, beöeutet in letzter £inie: 
Öen < 5 eift öes Unterrichts oon einet untoütbigen unö ftörenöen Dormunöfchaft be¬ 
freien. Ulan tann biefe Dettoahrung gegen bürofratifdje $effelung nicht nadjörüdltdj 
genug unterftreichen. Anberfeits mufe toieöer anertannt toeröen, bafe es toie auf 
allen anöetn ©ebieten öeutfcher Kunft auch * n bet Profabichtung eine Reihe oon 
tOerfen gibt — man tarnt fie in gan3 engen fiteren halten, auf öie unter teinen 
Umftanöen oer3i<htet toeröen öürfte, fo ©oetljes IDerther, (Eidjenborffs Saugenichts, 
3 mmetmantts ©bethof, Kellers $ahnlein, Steffels (Effeharb, <L $. Uleyers Amulett, 
Storms Schimmelreiter, Ulörites fjuhelmämtlein, Hauffs £id?tenftein, $reytags Soll 
unö fjaben, um nur einige atgufühten. 

3 toeietlei ift hittfidjtlich öet Auslefe öer Dichtungen tunlich unö roünfchensioett. 
(Einmal toitö fi<h eine untere ©ren3e für öie Derftänönismöglichteit ermitteln laffen. 
hier hatDedelmann 3uroeilen arg öaneben gegriffen. (Eichenborffs Saugenichtsnooelle, 
Scheffels (Effeharb oöet Riehls „König Karl unö Ulotolf" nach Untertertia, 3 mmer= 
matms ©bethof, <L $. Uleyers Amulett nach ©bettertia 3U feijen, ift, toie fidj mit 
triftigen ©tünöen ertoeifen läfet, einfach ein Unöing. IDenn Sertianer folche U)erte 
aus eigenem Antrieb lefen, fo mögen fie es immerhin tun, unö es f«habet auch toeiter 
nichts. 3 <h habe fdjon als {(einer Junge oieles gelefen, toas mir nur ein bunfles 
Ahnen erregte, habe feit früher 3 ugenö öie Uleiftenoerle Rembranöts, Rubens’, 
oan Dy!s, Seniets’ unö anöeret Hieöetlönöet eifrig unö mit Begeiferung betrautet 
unö feinen Rachteil öaoon gehabt (Echte unö grofee Kunft fann faum jemals etroas 
oetöerben; too es fcheinbar gefdjieht, öa ift es in XDirÜichfeit nicht ihre Schulö. <Et= 
toas anöetes ift es jeöoch, toelche Altersftufe fi<h öie Schule ausroählt, um öurch 
Derftanönis 3um £ebensgetoinn unö bewußten ©enufj 3U führen. Ulan wirb auch 
öa nicht aÜ3U ängftlich 3U fein brauchen. (Etroas hoch greifen ift gewife an fich fein 
$ehler; öie begabteren, reiferen, teilnehmenöen Schüler fommen öabei beffer 3U ihrem 
Recht, unö für öie anöeten macht’s feinen großen Unterfchieb. Aber getoiffe Doraus= 
fetpmgen öer feelifchen (Entroidlung unö öet Derftanöesreife finö öoeh nicht aufjer 
acht 3U laffen, toenn nicht öie Bemühung mehr oöet weniger 3U>e<fIos bleiben foll. 

Darum ift 3toeitens roünfchensioett für jeöes in Betracht fommenöe IDetf 
©ejichtspunfte auf3uftellen, unter öenen es an oetfehiebenen Stellen behanöelt 
toeröen fann. Drei (Entroidlungsftufen fommen öafüt 00m Beginn öes £efenletnens 
in Betragt: öie Kinöheit bis 3um Beginn öes Öbergangsalters, alfo bis 3um 12. Jahr, 
öie (Entroidlungsjahre 00m 13 . bis 3um 15 . oöet 16 . 3 aht öie 3 ugenö nach (Eintritt 
öet ©efchlechtsreife, 00m 15 . oöet 16 . 3 aht ab. natürlich finö öas fliefeenbe ©ten3en. 

Die fjanölung in 3 mmermanns „©bethof" ift fo entfeheibenb unö entfliehen 
auf bas Derhaltnis öet ©efchlechter geftellt unö getaöe in öiefem Belang oon fo aufeet* 
oröentlidjer Klarheit unö (Einörücflichfeit — öas noch 9 a n3 utfprüngliche Derhaltnis 
oon Dlann unö IDeib bei öem naturhaften Bauemftanö, feine Derfeinerung unö 



62 


Die tceutfdje profabidjlung 


Derfünftelung beim Abel, öaoon fich fdjatf abfjebenö bas IDunfdjbilb öer Seelen» 
unb Sinnenliebe bei ©swalb unb Cisbetlj mit allen tjö^en unb liefen —> bafe eine 
Betrachtung biejes gewaltigen IDetfs not (Eintritt ber lefeten bet genannten Alters» 
ftufe gar feinen Sinn Ijat. Da bie ©swalb*£isbet^^anblung eigentliche (Trägerin 
bes ®an3en ift wirb man bie Betrachtung bet Rooelte unter biejem (Befichtspunft 
am Iiebften in bas reiffte Alter oerlegen, alfo in bas Iefete Schuljahr, um bie herr» 
liehe DarfteUung ber für jebes ooUe Iltenfchenbafein fo ausfchlaggebenben Cebens» 
frage 3U möglidjfter UHtfung 3U bringen. lUan tann inbeffen biefen Punft auch mehr 
3urü<ffteIIen unb aus anbeten Rücffidjten bie Behanblung ein bis 3wei Jahre früher 
anfefeen. ITCan tann bie Hooelle als eine Art Auftatt 3U unjeret altbeutjchen fjelben» 
bichtung benufeen, inbem man bie (Beftalt bes tjoffdjuljen mit ihrer tragifchen IDucht 
unb ihren geheimnisooUen IDmgeln in bet urtümlichen (Tiefe beutfehen Dolfstums 
in ben Dorbergtunb rüdt. Ittan tann weiterhin bie Rialen tDerte, bas unoergleichliche 
Bilb heftigen Bauerntums mit allen Bezügen unb $ehlem, in {einem (Begenfatj 
3um alten $eubalabel unb 3um „ehrwürbigen, tätigen, wijfenben, arbeitjamen 
IRittelftanb" 3um Ausgangs* unb IHittelpunft machen. (Enblidj {inb Anfnüpfungs» 
möglichfeiten gegeben butch bie Darusfchlachh bur<h bas heimliche (bericht unb burd} 
bie befonbere Ianbfchaftliche (Einbettung bet Hooelle in bas £anb bet roten (Erbe. 

(Es ift gan3 lehrreich, ber (Einorbnung ben „(Effeharb" neben ben 

„©berhof" 3U halten. Auch hier wirb alles 3ufammengefafet butch bie (Entwicflung 
bes Derhältniffes 3mifchen (Effeharb unb fjabwig, beffen oolles Detfiänbrtis bas reife 
Jugenbalter oorausfefet. Jnbeffen wirb bet Derlauf bet Seelenljanblung hier gan3 
wesentlich oon äußeren, leichter oerftanbüchen Cebensbebingungen behertfehh betn 
Kloftergelübbe bes ITCönchs unb bem hohen Rang ber fjetjogin. Die bahinterftehenben 
bunflen (Bemalten unfetes {innlich oetanferten Seelenlebens werben nicht in fo be» 
wufete Beleuchtung gerüeft, bafe fie nicht auch bei bet Betrachtung im Schatten bleiben 
fönnten, ohne bafe biefe gerabeju Schaben litte. Kloftergelübbe, (Bewiffetispflicht 
unb gute Sitte: bas ift auch betjugenb bes(Entwicflungsalters recht wohl oerftänb* 
lieh. Überbies wirb bie gan3e Zahlung weitgehenb oon bet fulturgefchi<htii<hen ® n ‘ 
Heibung, oon äufeeten fpannenben Dotgängen beherrfcht. 3 n Sefunba fann man 
bemnad) an biefe Dichtung fchon mit gutem Erfolg h^rantreten. Sie in Untertertia 
mit Kinbem 3U Iefen, wäre fchabe bafüt; ba bliebe es bei einer rein ftofflichen Aus* 
beutung, bas erhabene Kunftwerf als folches fiele unter ben (Tifch- So wertooll unb 
wünfehenswert es erfdjeint poetifdje BUbet ber beutfehen Dergangenheit mit bem 
©efchichtsunterricht 3U oerfnüpfen, Didjtfunft batf babei hoch niemals 3um Afchen» 
puttel biofeer Stofffunbe werben, fonft geht babei gerabe bas oerloten, was bas eigen!» 
lieh Cebenbige unb IDertooIIe ift. UHU man alfo ben „Effeharb" mit bem ©efchichts* 
unterricht in Derbinbung fefeen, fo hat es auf ber ©berftufe 3U gesehen. Anbere 
Anfnüpfungspunfte ergeben fiefe aus bet Berührung mit bet beutfehen fjelbenfage 
butch bas TDalthariKeb, aus bet Sthilberung bes Klofterlebens, bie Be3ieljung 3um 
Religionsunterricht gewinnt, aus bem 3 toi«fpaIt 3wifd}en £iebe unb Pflicht in (Elfe* 
harbs Seele, ber fi<h etwa bem in Schillers Johanna gegenüberftenen läfet 

Diefen beiben ©efichtspunften Iäfet fich noch eine britte gtunbfäfefiche Soibetung 
beifügen. Sie würbe fchon gelegentlich ber Dorfeet gegebenen Auswahl berührt (Es 
fommen nur folche Dichtungen in Betracht bie myweifelhaft fünftlerifches (Bepräge 


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Don 3of}ann ©corg Sprengel 


63 


auftoeifen. B)ebet bet Stoff noch bie ©efinnung allein geben ein Anrecht auf 3 u* 
laffung in ben Kreis bet Betrachtung. B)it haben bes (Buten unb Beften fo reichlich» 
bafj esfdjabe ift um febe Stunbe, bie mit (Beringroertigerem oertan wirb. Das mufj 
bei bet 3ugenb Überjeugung unb ©runbfat; toerben. Bur fo ift es möglich, bet blöben, 
urteilslofen Cefetout, ber 3aitoergeubung mit toertlofer Unterhaltungsroare, mit 
mobilem neroenfpannenben Kitfch unb Schlimmerem 3U fteuern. (Berabe auf 
bem (Bebiet ber Profaerjählung ift biefe ©efaljt befonbets ausgeprägt; nur früh* 
jeitige, fachfunbtge, 3ieIberouf$te ©emüts* unb ©efdjmacfsbtlbung tann ba helfen. 
3 n ben fjänben bes Deutfchlehrers liegt eine befonbets heilige Derantroortung gegen 
bie Seelen ber 3 ugenb. Bichts BTenfchliches fei ihm fremb. Unbebingte Aufrichtigfeit 
ift eine ©runbbebingung für bas (Belingen feinet Arbeit. (Et fei fich bemüht, bafj 
Kunft feine Sittenlehre ift, bafe aber bei aller echten Kunft bas IBotalifche {ich oon 
felbft oerfteht; fo wirb im Sinne Schillers bas Schöne gan3 non felbft 3um (Buten. 
4 t öffne bet 3 ugenb bie Augen, bafe fie lernt, B)ert unb Unwert 3U unterfdjeiben, 
unb führe fie burch bie B)ahrheit ber Kunft 3U flatetn, gefunbem (Etfaffen bet 10eit 
unb 3U finnenfreubigem, oergeiftigtem B)eltfühlen. 

Die Behanblung eines Kunftwetfs in ber Schule mufe fi<h ieben Augenblicf 
beroufet bleiben, baf} Kunft £ebens ift, Beufdjöpfung bes £eben aus bem inneren (Et* 
. lebnis bes Dieters. (Es hanbelt fich barum, bies Erlebnis in fich einfühlenb unb ein* 
, bentenb 3U erneuern, 3U begreifen, toas ber Künftler über Snhalt unb Sinn bes £ebens 
ju fagen hat. fjiet3U ift nötig, fich oöllig in bas 3 ch bes Künftlers 3U oerfe^en, fich ihm 
gan3 httt3Ügeben. (Erft wenn bies gefdjehen ift, lehren toit aus bem ftembenOch in bas 
eigene 3urücf unb laffen bies Stellung 3U ienem nehmen. Bei ber untrennbaren (Ein* 
heit unfetes Bewufetfeins läfet fi<h biefet Dotgang in B)irflict)feit nicht trennen; man 
; mufj fi<h aber ftets bewufjt bleiben, bafe bas erftere unbebingt nötig ift, toill man einem 
j Kunftwerf unb bet Abficht feines Schöpfers überhaupt gerecht toerben. Bnfere 
1 Citeraturroiffenfchaft, alle literarifche Betrachtung unb Kritif, toie fie bei uns üblich 
| ift, oerftöfjt all3uhäufig gegen biefes ©runbgefeh bes Kunfterlebens. 

B)eiterhin ift 3U beachten, bafj jebes Kunftroerf eine in fich gefcfjloffene (Einheit 
ift unb alle Dotausfefcungen bes Derftänbniffes in fich trägt. (Es mufe alfo aus {ich 
felbft entroicfelt werben. (Erft toenn bies gefchehen ift, roirb man unter Umftänben 
Me Betrachtung erweitern unb oertiefen fömten, inbemman im Kunftroerf ben Künft* 
j ler fefjaut, bie Schöpfung aus bem £eben bes Schöpfers erflärt, Selbftbefenntniffe 
; unb anberroeitige 3 eugniffe übet Abficht unb Bebeutung herbeibringt. Ulan toiib 
I weiterhin bas IDetf unb feinen Stopfer in ben 3 ufammenhäng bes (Beifteslebens 
{teilen unb oerbinbenbe £inien oetfehiebenet Art 3iehen, bie auf ben Stoff, bie B)elt* 
anfdjauung, bie Kunftform gehen — alles bies nach £age ber Dinge im ein3elnen Sali, 
j unb nur bas batf in ber Schule herange3ogen toerben, toas.toirflich anfchaulid} unb 
; fruchtbar toerben fann. 

' Auch bas Derhältnis einer Dichtung 3U ihren Dotlagen fann überaus lehrreich 
werben. Das glan3enbfte Beifpiel hierfür ift oielleicfjt ©oetljes „ 3 phigenie", too man 
I aus ber ©egenüberftellung mit (Eutipibes ben fchroffen ©egenfatj bet BJeltanfdjauung, 

' griechifchen unb beutfehen BJeltfüljtens flarftellt. Bei unfeter Profabichtung roirb 
I fich nicht fo oft paffenbe ©elegenheit 3U folcfjen Dergleichen bieten, unb man hüte 
fi<h, fie getoaltfam unb 3toedlos ljetbe^iehen unb bie Philologie — bie auf ihrem 



64 


Oie beutfd|e Profobidjtung 

eigenen ©ebiet fdjon oft recht übetflüffiges treibt — in bie Schule 3U 3iehen, u>o fie 
als foldje nichts 3U fudjen hat. XDenn h- Binber in feinem Auffafe übet <L $. Itteyets 
„Amulett" in 0 2 ober U 1 (10. Grgänjungsheft ber 3 eitfd}t. f. b. beutfcfj. Unt. 1916 ) 
fagt: „Seht locfenb ift für ben Philologen natürlich bie Quellenfrage", fo erfc^rictt 
man gerabe3U. 3 n ber Hat ift alles, was Binber über bie Quellen biefer Dichtung am 
führt, für ben Unterricht nicht nur überflüffig, fonbern gefährlich. Der £ehret mufe 
wiffenfdjaftlich auf bet höh« fein; bas oerfteht fich non felbft; aber ebenfo feft fteljt, 
bafe er oieles ben Schülern nicht fagen foll, was er weife. Unfere tDiffenfcfeaft unb 
auch unfere höhere Schule trägt fdjon fdjwer genug an ber Bürbe eines ungefunben 
hiftorifchen unb ftofflichen Rtaterialismus; wir wollen uns bo<h emftlich ootfehen, 
ben beutfdjen Unterricht bamit 3U belaften. U)as nufet es unfern Schülern, wenn 1 
fie erfahren, bafe ein3elne 3 üge in bet Perfonenfchilberung bes „Amuletts" fich in 
Utichelets Histoire de France finbett, bafe bas IHotio bet Cebensrettung eines Pro- 
teftanten bur<h «inen Katholifen augenfdjeinlich oon IKärimäe entlehnt ift, ufro.? 
3 ft es wirtlich Aufgabe bes Unterrichts, „ben U)erbepro3efe ber Dichtung möglihjt 1 
3U erflären"? 3 ft bie Behanblung einet beutfdjen Dichtung ba3u ba, ben Stabtplan 1 
bes heutigen ober früheren Paris ri<htig3uftellen? £eibet fagt Binber um fo weniger, 
wie er bies in ber Gat ein3igartige Kunftwert ber 3 ugenb 3um (Erlebnis machen will. 
U)it werben gleich 3ufehen, worauf es babei anfommt. Alles StoffgefQichtlidhe ift in 
biefem $all gleichgültig unb tarnt, wernt überhaupt baoon bie Rebe fein foll, mit 
wenigen tDorten bes Cehrers abgemacht werben. Das (Bleiche gilt oon ber Behänd 
lung bes Sdjauplafees. Rur wenn aus biefen Dingen fich Rüdjdflüffe über bie Ab» 
fichten bes Dichters, bie Bebeutung bes Dorgangs, bie (Eigenart bes tünftlerifdjen 
Schaffens fich ergeben, wenn geiftesgefQichtliche Grfenntniffe baraus abgeleitet werben, 
ift es am piafe, barauf ein3ugehen. 

3 ebes Kunftwert ift 00t allem anbem in feinet (Einheit 3U erfaffen. Dafür ift 
gerabe bie Honette befonbets geeignet unb lehrreich, weil fie in gefQIoffener ftraffer 
$otm ein pfychologifches Problem, ein „Seelengeheimnis in ber Dertnüpfung unb 
£öfung erbichteter Gatfachen", wie Riehl fagt, enthüllt. H)as ber Sinn oon G. $. 
IHeyets „Amulett" ift, ergibt fid? Hat unb fidjet aus bem oon bewufeter Kunft 3eugen» 
ben Dorfafeftüd bes Rahmens. U)ie tarn es, bafe in bet Bartholomäusnacht bet Kat^O' 
lit Boccarb für feinen Schwerer £anbsmann, ben Galoiniften Sdjabau ftarb? 3nwie* 
fern hat biefer ben $teunb in ben Hob ge3ogen unb barf fich öoch fchulblos fühlen? 
Diefe $ormel ift 3unächft feföufteHen, bie bas Rüdgrat ber gan3en fjanblung abgibi 
Das fefet ootaus, bafe fämtliche Spüler bie Dichtung 3U häufe forgfältig gelefen haben, 
fo forgfältig, bafe fie übet ben ftofflichen 3 nhalt oöllig frei oetfügen. Unb bies ift 
überhaupt auf allen Stufen unerläfelicheDotbebingung ber Behanblung in bet Klaffe. 
Die Schüler metlen halb, wie notwenbig es ift, wenn fie bei bet Grfchliefeung bes Kunft' 
werfe mitlommen wollen. Sie werben fich anfangs unb auch noch fpäterhin fchrift' 
liehe Aus3üge bes 3 nhalts machen, wobei fie 3uglei<h ge3wungen finb, auf beffen 
©lieberung 3U achten. Das ift eine ausgejeichnete Übung, ber Beginn aller wiffen* 
f<haftH«hen Arbeit. Später wetben fie auch 3uweilen einfach U)efentliQes im Geft 
unterftreichen unb Ranbbemertungert 3ufügen. Bei billigen Druden ift bies Der» 
fahren bringenb 3U empfehlen. Gs ift niemals fd?abe um bas Buch, öas fo 3um 
perfönlichften Gigentum wirb. 3 n einer fo behanbelten Ausgabe finbet man alles 



Don 3ofjann Cbeorg Sprengel 


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(ofort roiebet. 3 n öer Klaffe hoben bie Spület öie Ausgabe gefdfloffen 3ut !}anb 
unö muffen imfianbe fern, feben Augenblid in bet Quelle eine gefügte Stelle auf« 
jufdjlagen. 

Oie Aufteilung einer fnappen Sormel bet Dichtung gelingt in prima ohne große 
SdjtDterigfeiten mH geeigneten Richtfragen bes Centers. Solls es nicht recht geben 
©iil, ift 3unäd}ft ein Dutchblid burdb bas ©efcheljnis 3U geben, bet fich anbemfalls 
öaran anfchließt. Auf ber ITlittelftufe roirb man b^tpon aus3ugeben hoben. Alan 
Ioffe bie Spület ba ruhig et3ählen unb nehme ihnen nicht bie $teube an bet Sache 
öurch ftänöiges (Eingreifen unb unbarmhet3ige Ablehnung einer noch u^ulanglichen 
Dorfteltung, laffe oielmehr am Abfdjluß eines (Eeilberichts 3ure<htrü<fen unb ergäben, 
©as nötig ift. Auch toirb man roohl mit ganj tnappen 3toifchenfragen unb «hinroeifen 
bie Aufmerffamteit auf bie Bebeutung eines Biotins hinlenlen, fo in Storms „Söhnen 
bes Senators" auf ben befonberen Cebenstreis, in bem bie SamiUengefhichte non 
ben ftreitenben Btübern fi<h 3utragt, auf bas Oerhältnis biefet Domehmen 3U ber 
unteren Doltsfchicht, baß bet Oorgang fi<h in bet „guten, alten 3 *it" abfpielt, in 
einet „Küftenftabt", unter „Kaufherren" — bet befonbete Sinn biefet IDorte ift 3U 
erläutern (ich nertneife auf bie norbilbliche „Sefeübung" non ©. Rofenhagen „IDort 
unb ©ebante" in bet Seftfdjrift 3ut Hamburger tjouptoetfamtnlung bes Allg. beutfdj. 
5 pra<hneteins l 914 ). Oie Bebeutyng bes ©artens, bet Blauer im J?of, fachlich unb 
bilblich, ntuß beutlich herausgeholt toetben. 

An biefet Stelle ergibt fi<h eine Bemertung übet bie Sprache unfetet Ptofa* 
bichtung. Oer junge ©oethe berichtet einmal an herber über bas (Erlebnis, bas 
„©ie eine ©öttererfcheinung" über ihn getommen ift, „toie ©ebanf unb (Empfinbung 
bas B)ort gebübet hat". 3 nbem mir bem nachgehen, roie im Schaffen unfetet großen 
Sprachmeifter ber ©ebanle bas B)ort bilbet, toie tDörter unb Sachen fich entfprechen 
unb roietDort unb Anfchauungmiteinanber nerbunben ift, bringen mit nicht nur in bie 
fptachfchöpferifche Ceiftung bes Oichters ein, rohr tommen auch felbft ber Sprache 
nähet. IBchts ift für bie Ausbilbung unferes eigenen Sprachgefühls, bet Kunft, 
bie mir alle üben müffen, fo bilbfam mie bie Sprachfunft unfetet profabichtung. Sie 
ift bie lebenbige Sprache unfetet 3 rit, unferes gefamten Sehens, ber Ausbrud unferes 
gegenmärtigen geiftigen Seins unb feines Oerhältniffes 3ut tDelt ber Dinge, unfetet 
flnfhauung non IDelt unb B 3 eltgefheben, bet nirgenb anbersmo fo oorhanben unb 
}u finben ift. Oie Sprache unfetet Klaffit ift uns bereits etmas ©efdpchtliches, 3U bem 
©ir in beutlich bemustern Abftanb ftehen. Oie IgrifQe Dichtung hot ihre befonbete 
flusbtudsroeife, ebenfo roie Philofophie unb IDiffenfQaft. Das Drama bes 19 . 3 aht* 
Ijunberts bebient fich großenteils entroeber bet Ausbtudsformen eigenartig be* 
öingter Stilfunft ober einer Sptethroeife bes Alltags, einer Dertehrsfprache, fjalb* 
ober ©an3munbart, bie nicht als Dorbilb 3U bienen geeignet ift. So bleiben benn unfere 
et3ählenben Dichter mit ihrer B)irllichteitl!unft bie berufenen eigentlichen Bleiftet 
natürlicher unb hoch gepflegter Sprachgeroöhnung, als Anleitung 3U beroußtem Sprach 5 
ftil unb ©egengeroicht 3U bem in unferen höheren Schuten hetrfchenben fchtimmen 
überfeßungsbeutfQ. Solche Anregung ift btingenb notroenbig bei bet betrüblich ge* 
ringen Sprachtultur unferes Doltes, auf bie in früherer unb in neuerer 3 «it oielfadj 
oon Berufenen nachbrüdlich hingeroiefen morben ift, bie 3U hoben als eine ber mich* 
tigften Aufgaben unfetet ©eiftesbilbung betrachtet merben barf. 

3eitfd)dft f. Dmifdffunö«, 17. <£rg Atmung sheft 


5 



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Die öeutfc^e Profabidjtung 


HHt festen 3um „Amulett" 3utüd. Der Aufbau ift aufeerorbentlich tlar unb 3eigt 
nachbrüdlid} Öen Qöhepunft auf in bem flbfrfjlufe bes ff^ensbunbes, auf bett alles 
im bisherigen Detlauf bebeutfam ^intoeift, ber unter ben Schatten unb Schauem 
bes ©obes gefdjloffen wirb, beffen ©efchid bis 3ur Rettung bet Ciebenben aus ber 
IRorbhöIjle Paris in bie Schwerer Heimat weiterhin uon ftarffter Spannung erfüllt 
ift. Diefe im Sinne Schillers erhabene Ciebesgefchidjte erweift fich als bas bramatifche, 
bas tragenbe Ceitthema bet Hooelle, bie fid? hier befonbets beuüich als bie et3ahlenbe, 
mit anbeten, 3. 5 . fehr wirffamen IRittein arbeitenbe Schwefter ber Bühnenfunft 
funbgibt. Das ®efdjid ber Ciebenben 3eigt jich nun aufs engfte oerfnüpft mit einem 
ihre 3 eit beherrfchenben großen IRenfchheitsgegenftanb, mit ber Religion, unb baraus 
formt ber Dichter bas 3toeite Ceitthema, bas philofophifdje, bas bie geiftige $fihrung 
ber Rouelle übernimmt unb fich auf bem fnappen Raum in unglaublicher ZRannig* 
faltigleit abfpiegelt. Rlan tonnte faum geiftreicher bie (Torheit unb bie (Befahren 
religiöfet Unbulbfamteit auseinanbetfehen, als es hier gefchieht, unb alle biefe feinen 
unb paefenben ©ebanfengänge gehalten fich non hofftet U)arte aus, in fpamtenbe 
fjanblung aufgelöft, 3m erfchüttembften Prebigt religiöfer Dulbung. 

Das tDefensbilb ber brei fjauptträger biefer Qanblung ertoächft baraus in le* 
bensooQet Klarheit: Schabau, Boccarb, ©asparbe, brei Pradjtgeftalten oon eigenartig 
felbheitlichem Rei3. 3u beachten ift bie innere ©efdjloffenheit bet Zahlung, bei ber 
jebe Cinie ber dhatatter3eidjnung 3ugleidj ber $ötbetung bet Qanblung bient ober 
umgefehrt. Aber auch bie Rebenfiguren toerben, 3um ©eit in wenigen Striaen, 
anfchaulich h^geftellt. Befonbets lehrreich ift bie Art, toie ber König, auf beffen 
Gattung alles anfommt unb bet hoch im Qintergrunb bleibt, mit äufeerft fpatfamen unb 
hoch mannigfaltigen IRittein anfchaulich wirb, ein IReifterftüd epifchet Darftellungs* 
tunft. 3u biefer gehören weiter bie benutzen Ceitmotioe: bas fjod^eitsmotio, bas 
Duellmotio, bie maletifche Sinnbilblichteit mancher ©in3el3Üge, bie ebenfo wirtfame 
fnappe ©inbruefstunft in bet Ausgeftattung ein3elnet Cebensbilber, bie überlegene 
3urücfhattenbe Sachlichteit, mit welcher bet Dichter uns butdj bie ©egenföfee bet R 3 elt= 
anfehauung leitet, ber oerhaltene innere Anteil an alten feinen Perfonen unb ihrem 
©efchid, gebunbene tDarme, oft mit teifem irontfehen Auftrieb, bie bewußte Kunft 
ber Dereinfachung unb bie lichtoolte Klarheit bet Cinienführung. Die mannigfachften 
Stagen erwachfen gan3 3wangtos aus bet Betrachtung alter biefer Dinge unb geben 
Stoff 3U anregenben unb fötberfamen (Erörterungen. (Ein Ausblid auf <£. $. IReyers 
Dersbichtung ergibt fid? oon feibft. 

Rtan erfleht an bem nur angebeuteten ©ang ber Betrachtung, welche h<>h en 
Anfotberungen ^iex geftellt werben. Anbere Beifpiele biefer Art finbet man in <E. $. 
IReyers „ 3 ürg 3 enatfd}", in Kellets „$ähnlein ber fieben Aufrechten", mit benen 
fich meine Schrift über bas Staatsbewufetfein in bet beutfehen Dichtung (12. (Et* 
gän3ungsheft bet 3 «itf<hr. f. b. beutfdj.*Unt. 1918 ) befd)äftigt, in Storms Schim* 
melreiter, ben ©. Rübmann unlängft beleuchtet hat ( 3 eitfchr. f. Deutfehfunbe 1920 , 
S. 290 ff.). 

Auch bie anfpruchsoottfte Betrachtung beruht, wie man fah, auf Rarem unb 
fixerem Derhältnis 3um ftofflichen 3 nhatt. IRan wirb hierauf ftets bie größte Sorg* 
fatt oerwenben unb feine Ungenauigfeit hingehen taffen. Diefe ©ewöhnung an ©e* 
wiffenhaftigfeit gegenüber ben Dingen unb IRenfdjen ift ein nicht 3U unterfchäfcenbes 



67 


Don 3o!)ann CBeorg Sprengel 

- 1 - 

XDer^eug bet £ebensbilbung unb bet wiffenfchaftlichen ©t3ieljung. Cs förbert nur öle 
(Entwidlung einer im RTenfchen oorljanbenen Anlage. Itianc^e Rlutter, bie ben Hin« 
dem fdjon beiannte RTätchen unb ©efchichten oon neuem erjä^It, hat es erfahren, 
toemt fie fich einmal Anbetungen erlaubte unb oon ben Beinen 3ui}öretn 3ur Sache 
gerufen würbe. Don früh auf übe man bie 3 ugenb in folgen Inhaltsangaben burdj 
einfaches ©fahlen 3um £efen aufgegebener ober eben angehörter ©efchichten oor 
öet Klaffe, wobei bie Klaffe forgfältig nachprüft unb berichtigt. 

Die gewiffenhafte Inhaltsangabe leitet ohne weiteres unb fo3ufagen unoer» 
merft in bie Crfdjliefeung bes ©ehalts, ber Abfichten bes Dichters, feiner tDeltan* 
fdjauung, bes im Stoff enthaltenen feelifdjen Kapitals. 3 eöe ©efchichte hat ihren 
eigenen Cebensheis urtb 3ieht bamit bie geiftigen ffitunb» unb Umti&linien bet 
Betrachtung. ©Höhlungen wie Schmitthenners „Stiebe auf ©rben", Kaabes „©Ife 
oon ber ©anne", Riehls „tDerte ber Barmhet3igfeit", Stifters „fjochwalb" heben 
fich auf oetfchiebene tDeife oon ber fürchterlichen Rot bes größten Unglüds unferer 
früheren Dolfsgefchichte ab. Raabe hat bas am Schluß in einen fchlichten Sah gefaxt. 
Das Rebeneinanbet folcher ©efchichten führt oon felbft auf mannigfache R)eife 3um 
Dergleich, bet fchon früher beim £efen bet ffirimmfehen Rtärchen fich anregenb unb 
fruchtbar erwies unb oerbinbenbe $äben 3ur Sage fpann. Ritt ben Kinbet» unb 
{jausmörchen, einem bet gan3 großen ©runbwerte unferes Schrifttums, fetjt natfir® 
Hch alle 3ufammenhangenbe Betrachtung beutfdjer Dichtung ausgiebig ein. 3 n 
ben „^amelfchen Kinbetn" Raabes wirb an einem hübfdjen Beifpiel bas Derhältnis 
oon Sage unb ©efchichte erläutert. Kellers „fjablaub" berichtet oon ber ©ntfteljung 
jener berühmten Rtanneffefdjen Ijanöfcfjrift bes Ittinnefangs. Riehls „Damals wie 
heute" fdjilbert, wie ein Dolfslieb entfteht, W 03 U als ©egenbeifpiel $tei(igraths 
„Prin3 ©ugen" biene. Rlörifes Rto3artnooelle ftellt in ben ent3ücfenben Rototo- 
rahmen bie Perfönlichfeit eines großen ©eifteshelben natürlich unb lebenswahr. 
Da3U wirb natürlich JTtufif gemacht. Riehls „Quartett" bietet als ©egenftüd fjaybn. 
Beibe Rooellen führen nach öfterreich. H)it hatten all3ufeht oergeffen, bah auch 
bas beutfehes £anb ift, unb wollen biefe Derfäumnis ernftlich nachholen in ber hoff 5 
nung auf balbige TDieberoereinigung mit unferen öfterreichifchen Brübern. ©e» 
benlen wir an biefer Stelle bes oortrefflichen Peter Rofegger als eines unferer 
beften ©fahler für bie 3 ugenb. 3 n Riehls „Stummem Ratsherr" umfchliefet bei 
lebensoolle fulturgef^ichtliche Rahmen eine $rage bes Seelenlebens, wie ©haffo, 
bet IDolfshunb, feinen Ijettn et3ieht, ein prachtooller Dotwurf für ©ertianer. 

Itlit biefen Beifpielen muh es genug fein. Alle $äben oetfdjlingen fich 3« einem 
©emätbe beutfdjen Cebens im £auf bet 3ahrijunberte in feiner ©inheit unb Rlannig* 
faltigleit, aus bem uns immer oon neuem bas Bilb bes beutfchenRlenfdhen entgegen» 
tritt. 3 m „Amulett" ftehen fich beutfehes unb frembes IDefen be3eichnenb gegen» 
über, auch geiftige Brüden werben ba gefchlagen. Aber auch in ber ©eftaltung 
frember Dolfsart offenbart fich in unferer Diehtlunfi ftets bas beutfdje Sehen. 

Roch eine Schluhbetrachtung bleibt übrig. Rtand}e Profabichtungen oerlangen 
einbringenbe Durcharbeitung, anbere laffen fich lut3 eriebigen. Das ift Sache bes 
©altes. Ulan wirb hier angemeffenen XDechfel eintreten laffen, überbies auch 30Ü 5 
f<hen et3ählenber, bramatifcher unb lyrifdjer Dichtung wechfeln, wie es ber ftets 
planooll angelegte ©ang bes Unterrichts mit fich bringt. Rlan wirb in möglichft weitem 

5* 



68 


3ur Dratnenbehanblung 


Ittage bie Denfmälet ber beutfchen bilbenben Kunft fyetanjiefyen, fowie man bet 
jeöet Gelegenheit öie Gonwelt beutlet Itlufit erflingen lägt. hier liegt noch ein 
weites $elb bewugter einheitlicher beutlet Ziehung. Auf gtünblidje Arbeit 
fommt es ftets an, wobei immer 311 bebenfen bleibt, bag Grünblichteit nicht gleich' 
bebeutenb mit EDeitfchweifigleit ober Schulfuchfetei ift. $teiltch min gut Ding tDeile 
haben. Ulan bilbe fid) bo<h nicht ein, bag auf bem Gebiet ber Deut|chfunbe unb fo 
auch bei bem Betrachten unferer Profabichtung mit flüchtigem Hippen fich itgenb et' 
was Gtfptiegliches erjielen taffe. Berichte einjetner Schüler übet Bietungen, bie 
ben anberen unbefannt finb, taffen fich gelegentlich 3ut Grgän3ung heran3iehen 
unb tönnen bei richtiger Behanblung antegenb wirten; aber fie finb niemals ein (Et' 
fag für bas, was unfere 3 ugenb braucht. So 3wecftoibrig es ift, ein Drama Schillers 
ober Goethes ein Diertelfahr lang burd^ufneten, ebenfo entfliehen mug man gegen 
bie törichte Anfdjauung Stellung nehmen, als tonne man bie grogen tDerte unferer 
neueren Profabichtung im honbumbteljen abtun. tltit bem Begriff ber „Prinat* 
leftüte" wirb gerabe3u ein Unfug getrieben. Wan nimmt in bem noch immer be' 
ftehenben fchlimmen 3 eitmangel bes beutfchen Unterrichtes feine 3 uflu<ht 3U 
biefem Ausweg, „ut aliquid fieri videatur“. Das ift nichts als Selbfttäufchung; 
ieber (Erfahrene wirb es be3eugen. Die flüchtige (Erledigung beutfcher Dichtfunft 
wiberfpricht ebenfofeht ben Gtunbfägen ber Ziehung wie ber oölfifchen Selbft= 
achtung. U)er bas empfiehlt oerfteht nichts non ber Sache, hat tein fjet3 bafür, 
ober et nerbecft bamit lebiglich anbere Beweggtünbe. Don folchem Sdjwinbel müffen 
wir uns entfdjloffen abtehren unb bem beutfchen Unterricht fein Recht unoettwgt 
3uteil werben laffen. Da gilt es wie im Wärdjen: 

„Bäumchen, rüttle bich unb fdjüttle btd?, 

Wirf Golb unb Silber über mich." 

3ur Dramcnbctjanölung. 

Don $ran3 Sh nag. 

I. Reue 3iele. 

1. Reue Sefeftoffe. tDährenb bie „Sehrpläne unb Sehraufgaben für bie höheren 
Schulen in Preugen" ( 1901 ) ,Dramatifches‘ erft in 0 III 3ulaffen, bie folgenben 
Klaffen fpätlid} bamit bebenten unb non nachfdjillerfchen Dramen nur ben Ptin3 non 
tjomburg ( 1810 ), 3 tiny ( 1812 ), Sappho, Ijet3og (Emft non Schwaben (beibe 1818 ) unb 
tjeyfes Kolberg ( 1868 ) auswählen, lägt bie eingangs norgefchlagene Stoffoerteilung 
bas Dramenlefen fdjon in UIII beginnen, aufwärts ftärter heroortreten unb bis 
mitten in bieGegenwartsbichtung hineinteichen. Drei beachtenswerte Unterfdjiebe! 

Befürchte bod) niemanb, bag bamit ein unhaltbares 3 ufpät unb 3 uwenig übet* 
wunben würbe butch Umfragen in ein unburchfühtbates 3 ufrüh unb 3 uoiel! Det 
neue Plan bebeutet einen wefentlichen $ortfchritt, beffen erfreulichfte Hebenwirfung 
wohl batin beftehen bürfte, bag biefe oeränberte Stoffwahl 3um Det3icht auf bie 
hertömmliche, fchnectenträge Sefeweife 3wingt unb ein 3wedbienlichere$ 
Derfahten anbahnt. 3 ft nämlich bet Kanon 3U arm an Stücfen, fo geraten biefe um 
fehlbar in eine übetbrug et3eugenbe Strecffolter. U)et es felbft mehrfach erlebt hot, 
wie troftlos langweilig unb abftumpfenb wodjen*, ja monatelanges, erflärwütiges 



Don $ran3 Sdptafe 


69 


3erlefen wirft, fann fidj nur lebhaft freuen, wenn burch bie beträchtlich nermehrte 
3 afjl 3U behanöelnbet Dramen bent gar nicht feltenen Unfug gefchmacflofen Aus* 
toaljens unb oben Breittretens »on uomhetein ein Kiegel oorgejdjoben wirb. 

Heigt bet alte Kanon 1 ) aus gelehrtem Dorurteil 3um einfeitigen Beoo^ugen 
literarifch anerfanntet, tlaffifcher Dichtungen unb Phantajieroerfe, jo begrüben wir, 
bafe bet neue Plan bie moberne £iteratur ftärfer hcranjieht unb fidj auch an 
Dolf sbtqmen unb f glicht« tDirllichfeitsbarftellung wagt, übet bie bie IDiffen* 
jehaft noch nicht enbgültig befunben hot- Unfete alten Rteifter in (Ehren, mit benen 
wir gute ©elfter bannen! (Es Reifet aber bas wirHichfeitsfreubige £ebensgefüJ}l unb 
tatjä^liche Sntereffe unjerer 3ugenb butchaus oerfennen, wenn man einet mife* 
oerftanbenen, jogenannten wijjenjdjaftlichen ©bjefthntät 3uliebe ober aus beljütungs* 
erjieherijchet Angjt bie Betrachtung bes beutjehen Dramas bei ben (Epigonen Schillers 
zeitig abbricht. XDit fönnen unfern jungen £ejem bas ihnen fidj aufbtangenbe 
Heue nicht entreißen. Sljnen mu 6 fogat ein gegenwartsfrember £ehret, bet es 
grunbjüfelich überfielt, in ben Derbacht tommen, es nicht 3U tennen. Die £ebensj<hule 
joll behebt aus bem Strom auch bes literarijehen £ebens fdjöpfen; jie batf nicht un* 
jelbftärtbig abwarten, bis bie IDiffenfchaft batübet bas lefete IDort gejprodjen hat. 
©eichet berufsfrohe „Pabagoge" mod}te als „$ühtet bet jiugenb" auf bies föftlidje 
Dortecht Berichten, jie mitten in bie ©egenwartsbichtung ht«ein3ugeleiten? 
helfen wir ihr freunblicf? burch biefen Srrgarten, bann wirb jie fid? um jo oertrauens* 
ooller Don uns bie ihr oft befremblichen Schäle bet Dergangenheit aufweifen laffen. 

An unfetem größten Problembramatifer, an fjebbel, öatf bet Deutfchunterricht 
ebenfowenig ootbeigehen wie an £ubwig, bem bühnenficheren Realiften. Des* 
gleichen batf ihr berufener $ortfefeer An3engtuber nicht totgefchwiegen werben, 
weil feine femigen Bauern* unb Dollsftücfe hiuüberleiten 3um bühnengerechten 
Haturalismus. Der Schöpfer romantifcher Dreiafter, Richarb XDagner, feffelt 
burch feine gehaltoollen TTCufübtamen bie Schüler ebenfo ftarf wie ber oiele Stoffe 
unb Stile burdjprobenbe hauptmann, ber im Stammlichen, heimatlichen fo tief 
unb feft wuselt, hoch auch rein menfdjlich fo Stofe unb reich ifh bafe et 3ugleich bem 
gefamten Deutfchtum, nicht nur einer Schicht ober Prooin3, angehört. Auch bet natio* 
nal begeifterte, fchwungoolle IDilbenbruch greift mit feinet lauteren, mannhaft 
aufrechten Ambtnatur unb feinem ibeal geftimmten, temperamentoollen £Der! 
unfeter 3 ugenb aufrüttelnb ans het3- ©ehört Shatefpeare fraglos 3um beutfdjen 
®eijt, fo batf auch ber butchaus germanifche Rotweger Sbfen nicht fehlen. Die 
(einen eutopüifchen Ruhm begrünbenben ©efellfchaftsftüde würben nicht nur not* 
toiegenb auf beutfehem Boben gefchaffen unb oon Deutfchen am beften gewürbigt 
(Brahm, Schlenther, dollin), jie finb 3um eifetnen Beftanb unfeter Bühnen geworben. 
3 ugleich ift feine wahrhaftige Perfönlidjfeit, bie fich bidjtenb in fdjärffter Selbftfritif 
läuterte unb überwanb, nach tDal3els Beweis ein ausgefptochen gottfdjer dharatter. 2 ) 
drblicft man enblich mit IRüllet*$teienfels 3 ) gegenüber ber gefdjloffenen dinftimmig* 
leit, 3eitli<hen 3 ufammenbrangung, piaftifchen Klarheit unb einfachen dypifierung, 
bet ©eftalten bes flaffifchen Dramas — bas IDefen unb bie eigenartige Schönheit 
bes germanifchen Dramenftils in ber Dielftimmigfeit über ji<h hlaausgreifenbet 
hanblungen, in bem fi<h breit entfaltenben, bewegten DOetben, in bet geheimnis* 
»ollen Dämmerung, in weniger burchficfjtigen, wiberfpruchsoollen IHenfdjen—, bann 



70 


3ur Dramenbehanblung 


reißt fid) bet ein ganjes RIenfchenleben umfpannenbe unb ins übetfinnlidje hinauf’ 
tagenbe Peer ©ynt butdjaus ftiloerwanbt an ben abgtünbigen fjamlet, ben getabeju 
ftillofen, unausfdjöpflidjen Sauft, ben oieltönigen Hell, an fjebbels „offen" fdjließenbe 
3 uöith unb Ribelungen, an bie bunte Rtannigfaltigfeit oon EDallenfteins £aget. 

Aber geben wir gettoft noch einen Schritt weitet. Die ^d^ere Schule, namcnt* 
ließ bie gtoßftäbtifche, batf nicht müßig 3ufd}auen, wie non bet Bühne aus unfete 
Doltsfeele netgiftet witb. 3 ßt gebietet eine oolfset3iehetif<he Pflicht: wappne ben 
Racßwuchs gegen laftetnollen Büßnenfchunb, gegen erbärmlichen Dramenfitfch! 
IDie bet fittlicße ©hötafter bur<b Scßulb wäcbft unb Böfes übetwinbenb fid} feftigt, 
fo fteigert ficb bie litetatifche Urteilsfraft, fo Ilätt fi<h bet ©efcßmad burcb fritifches 
Auseinanberfeßen mit fehlerhaften, mißlungenen, wertlofen Stüden. (Einem Dramen- 
lefet follten bie Klippen btamatifcben Staffens nicht netbotgen fein. tDiffen muß 
er, wie ein (Entgleifen ins £ßtifche ober ©pifcße ben feften Rahmen fprengt, ben tafchen 
Puls lähmt. IDie babutdj bas eigentlich Dtamatifche etftitbt, bas läßt {ich gut be= 
obachten: einetfeits an bem phantaftifch nerfdjwommenen Stimmungsnebel roman* 
tifcher Dramen (©ieds ©enooeoa, Oenßarbs tDielanb bet Schmieb, o. Ijofmanns* 
tßal), anbetfeits an bet 3um 3etfall in ©hyelbilbet neigenben, bteiten 3uftanbs- 
fchilbetung im wahllofen, ungeläutetten Sefunbenftil fraß naturaliftifcher Stüde 
(Samilie Selide, Hacßtafyl, IDebet). Die für bas urteilenbe Betrachten oon Bilb* 
wetten beliebt geworbene Beifpiel*©egenbeifpiel*Rtethobe 4 ) tonnte beim 
Dtamenlefen ebenfalls frudjtbate Anwenbung finben. ©betptimanet feßen unfchwer 
ein, wie bas fo tief in beutfdjer £ebensauffaffung gegtünbete RTotio oom Untergang 
bes Rlannes, bet bie $rau nicht mit bet nötigen Achtung behanbelt, wohl oon fjebbel 
(fjolofemes, ©olo, Getobes, Kanbaules), aber nicht oon IDeöefinb (Rlatquis oon 
Keitß) ttagifch gemeiftett worben ift. Seht lohnenb ift 3. B. auch ein Dergleich bet 
Agnes Bemauet*Dramen oon ©örring, ©reif unb fjebbeL 

2. Reue Bilbmtgswerte. ©ewiß follen aus biefet £eftüte ben Sch&lem ge- 
biegene litetatifche Kenntniffe 3uwa<hfen: oon unfern beften £uft* unb Schau* 
fpielen, unfern gehaltoollften ©ragöbien; oon ben fruchtbarften Rtotioen (feinblicße 
Btübet, ftänbifch getrennte £iebenbe, ©egenfaß 3wifcßen Dater unb Sohn, Pflicht 
unb Reigung, Kunft unb £eben, Ruhm unb U)ürbe, Stellung bes Rlannes 3wifcßen 
3wei Stauen ober umgelehtt, ©tagii bet $rauenfchönheit u. ä.); oon Dramatifem, 
benen ihte Stüde nicht wie oon felbft in ben Sdjoß fielen, fonbetn bie, oft oon Ktanf* 
ßeit unb Sotge hart angefocßten, um ihr tDert heiß gerungen haben. „tDas follte 
ein ©tagöbienfcßteibet benn anbets fein als ein ©tagöbienhelb!" (fjebbel). Ob 
man nun £effing ober Spület, Kleift ober fjebbel, ©tillpat3er ober £ubwig, IDagnet 
ober An3engtubet betrachtet, (Ehrfurcht oetfpütt jebet 00t biefen ßeroifcßen Uten* 
fcßen, biefen prachtoollen ©ßarattetföpfen, biefen gelben bes ©eiftes, bie fid} wie 
Dütets entfcßloffenet Rittet 3wifcßen ©ob unb ©eufel butcß bie notoerbüfterten, 
fäßtnisteicßen ©ngpäffe bes £ebens mutig unb mannhaft getämpft obet gebulbet haben. 

©ewiß bringt bie 3 ugenb babei „öutdjs Rlorgenrot bes Spänen in bet ©rtennt* 
nis £anb". TDeil bramatifche fjanblungen aus bem ©efüßls* unb U)illensleben her* 
ootgehen unb tieffinnige etßifcße Stagen auftollen (3. B. tDillensfreißeit), fo gewinnt 
bet £efet teils pfydjologifcße ©infichten, bie ißn anbete unb fid? felbft beffet oet* 
ftehen, fd}ätfet beobachten laffen, teils willenftählenbefittliche Übet3eugungen, 



Don 5*0X3 Sdjnofe 


71 


bie bet Hharafterbilbung bienen. 5 ) IDeil fetnet bramatifches (Begatten (probet ober 
Ijeiflet Stoffe im folgerichtigen Begrünben, im Bernden bes Bühnentoirfjamen 
bie reife Künftlerroeisheit, ben fixeren KünftletroiUen befonbets beutlid? etfennen 
(affen, jo fpenbet bas Dtamenlefen äftfjetijdje ©tunbanjdjauungen: oom Hragi= 
fehen unb Komifehen, (Erhobenen unb Cädjetlidjen, oon (Ejpojition unb Kataftrophe, 
Anfehwellen unb ©egenfab, oon fynthetifchem unb analytifdjem Bau. Oa lernt 
ntan, bah Dichten — ein Derbichten ift, ein burchgeiftigenbes „Derwefentlichen butch 
Hilgen bes Denoeslichen" (Ric. huch); lernt, bafe bet Künftler bie bruchftüdhafte IDit!* 
lichfeit ergänjt ober oertü^t, ibealifiert unb ftüifiert, bas (Enbliche unb ©i^elne 
läutert unb erhöht 3um Unenblichen unb Allgemeinen, lernt, roie babutch Dergängliches 
3um ©leidjnis toirb, barin anfchauHches Bilb unb unergrünbliche ©ebanfen, inbioi* 
buelle ©eftalt unb unioerfeilet ©ehalt (ich innig oetmählen. 

Das alles wollen mir nicht gering oetanfchlagen. Allein, nachhaltige» empfänglich 
ftimmenbe Begeifterung ift mertooller als im ©ebächtnis oetblaffenbes, oberflächliches 
(Ein3elroiffen. Deshalb erftreben mit 3Uoörberft ein ßebeoolles Begreifen, ein het3* 
liches Derftehen bet fchönften, noch iebt bebeutfamen Dramen als einbrudsmächtiger 
©ffenbarung beutfehen ©eiftes, beutfeher Art. „IDas wäre ein Dichter, beffen IDefen 
nicht ber gefteigerte Ausbrud ber Doltsfeele ift ? (®. hauptmann). IDitb iebes Kunft* 
wett als ©an3es im 3 ufammenhang mit bem oöltifchen ©eiftesleben erfdjaut, bann 
oetmachfen folche <Ein3eleinbrüde in tiefem Seelenfchichten fchliehlteh 3U einem un* 
oerlietbaren „Summations3entmm" 6 ) beutfehen Dentens unb Sühlens, bas fich &e* 
mährt in emjter Cebensauffaffung, in weithet3iget bulbfamet ©efinnung, in mit' 
fühlenber Anteilnahme, in felbftlos ebler Hat. ©erabe in unferer etwetbsgierigen 
3 eit brauet bas hetanmachfenbe ©efdjlecht gefunbe, ftarle 3 beale, bie im horten 
Cebenslampf nicht erweichen, fonbem beharren. 

Run gilt es, gangbare IDege auf^U3eigen, mie biefe hohen 3 iele erreicht, mie 
biefer erheblich oermehrte Stoff fo gemeiftert merben tann, bah Me Spület nicht barin 
ertrinten unb nicht mit unnützem Ballaft befrachtet merben, ben fie nach beftanbener 
Prüfung aufatmenb oon fich u>etfen. (Ein Derfahren müffen mir fuchen, bas bie 
Dramen oon ber 3 ugenb freubig, mit ©enuh aufnehmen lägt butch ein nachfdjaffen* 
bes ©ratbeiten bes IDefentlichen unb XDertoollen. ©ine Behanblung wirb 
bann gut fein, menn fie bie Schüler fo für bie Dichtung erwärmt unb begeiftert hat, 
bah biefe fie aus eigenem Antrieb mieber unb mieber (efen unb baoon feelijeh tiefer 
unb tiefer gepadt merben. XDas bagegen ein Kunftmer! oerbunteln unb oetleiben 
lönnte, was bas Sntereffe lähmen, bie ©enuhfähigfeit abftumpfen mürbe, bas muh 
ftreng oermieben werben. Solche Stunben, bie Cefjrenbe unb Cemenbe im Banne 
beutfeher Dramen oerbtingen, müffen fo unoergehlich meiheooll fein, fo ethebenb 
oerlaufen, bah fie ix bet (Erinnerung meiterleben als etwas $eftliches, als ein grobes, 
ftilles Ceuchten. 

II. Reue IDege. 

1, a) Rieht fchematifieren. Rafch über3eugen mir uns baoon, bah es einen 
fd}te<hthix oerbinblichen, immer ein3uhaltenben tDeg nicht geben tann unb batf. 

Schiller fdjrieb einmal einem Re3enfenten: „©in poetifdjes IDerf muh, infofetn 
es — auch nur in hypothesi — ein in (ich felbft organifiertes ©an3es ift, aus (ich 



72 


3ut Dramenbefyanölung 


felbft h er aus, nicht aus allgemeinen unb batum bohlen $ormen beurteilt werben, 
benn oon bie|en ift nie ein Übergang 3U bem $attum." Der Künftter lehnt alfo ein 
ftarres Urteilsfchema bes Krititers als unangemeffen ab; berm fein „©enie ift — 
toie Kant richtig befiniert — bie angeborene ©emütsanlage, öurdj welche bie 
Ratur ber Kunft bie Regel gibt". RI. a. ID. es ift begnaöenöe, felbftfichere «fähig* 
teit, nicht erlernbare $ertig!eit. Das ©enie ift „original", b. h- unnachahmlich, unb 
es fdjafft muftergültige IDerfe, bie bem Urteil höh«*® ©efetje geben. RJefensoer* 
febieben oon bem nach Regeln erltügelten ATachwert entftebt naio, aus ficber leiten« 
bem Schönbeitsgefübl bas Kunftroerl, aus bem hetnach bie Kunfttehre ©efet$* 
mäfjigteiten ableiten fann. ©rft bie Hat, bann bie Hheorie. in bet Kunft ftebt ber 
Könner über bem Kennet. Kant hat*) bas Sdjredgefpenft jener in (Dpitj unb ©ott* 
fcheb oertörperten, gefetjgeberifchen Aftheti! „oon oben" 3erftört unb eine empirifdje, 
beobadjtenöe Aftheti! „oon unten" begrünbet. Diefes richtige Derhältnis oon Künft* 
let unb Kunftwiffenfd}aft fchroebt ©oetbe oor, als et 3U Hdetmann fagte: „Das Ha* 
lent erlernt alles, bas ©enie weif} alles." Aus ber gleichen Anficht rebet Schi Iler Öen 
©enius an: „Dieb fann bie IDiffenfchaft nichts lebten; fie lerne oon bir ... U)as 
bu tuft, roas bir gefällt — ift ©efeij." 

Sinb uns biefe Anfichten Kants unb ber Klaffiler faft 3U Binfenroabrbeiten ge* 
toorben, fo 3aubetn gleidjtoohl oiele immer noch, nun baraus auch methoöifd} unb 
lebrprattif^ bas Richtige 3U folgern. Seitbem Rub. Sran3 7 ) unb Arth- R>ol}l* 
that 8 ) bie böchft anfechtbare Bteinung ©. $reytags über „Die Hechnif bes Dta* 
mas" ( 1863 ), als fei Ufr bühnenwirlfamftes ©efüge an bie $ünfteiligfeit gebunben, 
bet Schule 3ufübrten, hetrfd)t hier bie Reigung, alle Dramen übet einen Kamm 3U 
fcheten. Dies „überfichtUche ©liebem" eines oertoidelten ©efchebens in: 1. Hypofi* 
tion mit erregenbem RToment; 2. Schulung bes Knotens unb fteigenbe fjanblung; 
3 . höhe unb Umfehr; 4 . fallenbe hanblung; 5 . Kataftrophe ober Cöfung — foll für 
bas Derftänbnis bes Kunftroerts „unerläßlich" unb obenbrein eine „förberliche Den!* 
Übung" fein, ©taphifches Darftellen biefes normalen Derlaufs wirb oft geübt, als 
gälte es, Dramenarchiteften heran3ubilben. Hnbet benn toirllich ber Hell mit einer 
„Kataftrophe ber Doßs* unb Ruben3hanblung"? Derläuft nicht in Kolberg bie 
hanblung 3uerft fallenb, unb toirb nicht bie höhe, bie Befreiung, 3uletjt erftiegen? 
Die äußere ©eftalt enttoächft mit organifcher Rottoenbigfeit oon innen heraus bem 
©ehalt. Kein gebotener' Dramatiter toirb fein R)erl nach einer bereitftehenben Sd}a* 
blone 3immem. Dorgefaßte Aufbaubegriffe führen nur ba3u, inhaltliches heraus* 
3uhebett, toas fich getabe3u toie eine bide ifolierfdjicht 3wifd}en ben Betrauter unb 
Öen Rero bes Dramas fchiebt. Sehr bebauerlich erfcheint es mir öesljalb auch, toenn 
man mit RJohltat jene, oon falfchen Dotausfeßungen ausgehenbe „logifche" Be* 
trachtung bes inhalts als bie nicht 3U umgehenbe Dorftufe oon ber toichtigften, ber 
„äfthetifchen" Betrachtung, trennt. 3 ene oerrammelt Öen 3 ugang 3U biefer. RKrb 
nun oollenbs mit öiefem oermeintlich eyatten ©liebetn einem Drama nach bem 


*) ©swalb Külpe bejeichnet treffenb biefen neuen Stanbpunft: „Die Kunft ift ein 
Hatfachengebiet, aus bem man äfthetifhe ©efeßmäßigleiten 3 U abftrahieren hat, nicht 
ein Anwenbungsgebiet, bas a priori feftffeljenben äftljetifchen Hotmen unb Sorbetungen 
3 U unterwerfen wäre." (immanuel Kant, Darftellung unb IDütbigung, S. 128. £eip 3 ig 
1913», B. ©. Heubner.) 



Don 5»'«n3 Sdjnafe 


73 


anbem, von Sopfjotles bis Cubroig, biefe günfteilung aufgeprefet, bann brängt fich ’ 
roofel febem Kunftfreunb bas fjamletroort über bie Cippen: „ 4 s ift Unfinn 3roar, 
hoch ^afs Rtetljobe!" Soldes 3 «tftüden folgt aus finnroibtigem Detquiden oon 
Poefie unb Rtatljematif. gunttionales Denfen toenbet ^ict eine Derljältnis* 
betrachtung auf einen ©egenftanb an, betn allein eine IDefensbetrachtung angemeffen 
ift. Solch übertriebenes Derallgemeinern mufe bas (Eigenartige 3erftören. $ür bie 
fehöpfetijehe Dramaturgie gibt es eben roeber Rormalturoen noch gornteln! — 
Bebarf toirflidj „bas neuere Drama 5 Alte 3ur reicheren flusgeftaltung ber fteigenben 
unb fallenben fjanblung"? Sinb etroa Phiiotas unb Der 3 etbrodjene Krug, beibes 
(Einatter, fyanblungsarm? ©ber Subermanns „Stilen"? Beoo^ugten nicht DOag* 
net unb Jbfen ben Dreiatter, roäljtenb Rofenom Dieratter fdjuf? — 3 toeifellos 
gliebert audj bet Künftler; geroife nicht nach Schema $. Dafür ein Beifpiel ftatt oieler. 

mitten aus bet DoUenbung feinet Jungfrau oon Orleans fdjrieb Schiller an 
©oetlje (3. April 1801): „Don meinem lebten Att inauguriere id) ölet ©utes, et ertlärt 
ben erften, unb fo beifet fid? bie Schlange in ben Schroa^." Dies Bilbroort beutet unoer* 
tennbar auf beroufetes Hbrunben öutefe Dertnüpfen bes (Enbes mit bem Anfang. Run, 
roas bet ©^bifefeof roünfdjt: „Der ^immel fdjlage burdj ein IDunber (icf? ins mittel" — 
im lebten, entfdjeibenben Att gefc^ie^f s: bie ©efeffelte 3erreifet bie Ketten unb fdjlägt ben 
ftol3en übettoinber nieber, toie bes ffieiftes Ruf ihr geboten hatte. 3um Schluß erfüllt fi(h, 
toas ber Prolog oerljeifet. fltt I unb IV 3eigen ben madjtoollften Auftoanb an perfonen, 
bie Johanna erft als ©ottgefanbte, als heilignounbetbares Rläbchen aufnehmen unb »et* 
ehren („So oiel vermag fein ITCenfch", „IDit folgen blinb, wohin bie ®öttlid)e uns führt"), 
bann als fjeje fdjnöbe oerftofeen unb fchmäljen. Die beiben Rlittelafte 3eigen bie dnt^wtU 
ung 3tvifchen bem furchtbaren Beruf unb bem liebenben fjet3en; erft fiegt bie etbatmungs» 
lofe Pallas (RIontgomery), bann bas fühlenbe IDeib (Cionel). mithin ift bet Prolog ein 
ooliroertiger Au^ug unb bas ©an3e ein breipaarig»fymmetrifch angelegter Sechsatter, 
©er ben Prolog als biofees Dorfpiel aufeer Betracht lafet, tann biefe Architettonit nicht auf* 
finben. Der Blid für bie an eine gerabe 3®hl gebunbene Symmetrie roitb burd} bas Dogma 
bet günfteiligfeit völlig oerfdjleiert. Statt fich auf ein oerfälfchenbes Schema 3U ftüfeen, 
fpüre man beffer ben Abfichten bes Dichters nach! 

Rieht anbers oerhält es fidj mit bem als unumftöfeUd} Ijingeftellten Safe oon ber 
©nfeeit bet fjanblung. (Er toitb 3U eng gefafet. Roch «h c röallenftein 3ut Hat tommt, 
werben ifem bie Rüdtoirfungen feines herrenmenfchlichen (Entfdjluffes 3um tragifefeen 
Dethängnis. Das Rüdgrat oon „Staunt ein Ceben" ift ein Rlenfch, beffen Renten 
unb XDoIlen einen völligen Umfdjtoung erfährt. Als befonbere Schönheit bes fjamlet 
rühmte gerbet bas „Rleer oon Begebenheit", Reifet es nicht, ben mähren Sa<h= 
oetfealt auf ben Kopf ftellen, toenn man bas im Hell butef) feine Kernfrage geforberte 
gehlen einer einheitlichen fjanblung als eine Coderung bes Baues anfpridjt? Jmmer 
wiebet beftätigt es fidj: IDet mit oorgefafeten Rleinungen unb oon irrigen Dotaus* 
jefeungen befangen an ein Kunftroert hcrangefet, oerbunfelt ft<h felbft bie (Ertennt* 
nis unb oerbirbt fid} ben ©enufe. Billige Alletroeltsgefid)tspunfte laffen am tDefent* 
liehen oorbeifehen unb Rebenfächlidjes beachten. 

Das Sdjema ift bequem, aber lebensfeinblich unb besfealb tunftroibrig; benn 
im Kunftroert offenbart fich gefteigertes Ceben. Darum läfet es fich nur jenfeits 
oon Schablone unb Schema erleben. Diefe oergeroaltigen bie unetfdjöpfltche unb 
öeshalb fo te^oolle Sülle perfönlidjen Staffens, bas fid} fold} oetlefeenbem 3roang 
en^iefet. Den Schroerpunft feines Schaffens fühlt ber Künftler nie im Stoff, fonbern 
in bem Siegel, bas fein ©eift ifem einprägt. Rach Sdjillet liegt bas eigentliche „Kunft* 



74 


Sur Dramenbeljanblung 

' geheimnis bes IReifters batin, bafe et Öen Stoff burd? bie $otm oettilgt". „ 3 ebet 
Stoff will feine eigene $orm, unb bie Kunft befielt batin, bie ihm anpaffenbe 3U 
finben." $olglih ift biofees (Einfangen bes 3 nhalts in eine ftatre ©lieberung oollig 
unäfthetifh- Das anberjpticfjt fhnurftrads bem EDefen bet Kunft, namentlich bet 
Dihtfunft, in bet es ftets bet ©eift ift, bet fidj ben Kötpet baut. IDet ben »Kötpet* 
nah einem fettigen Shnittmuftei 3etteilt, wirb nicht ben £ebenstnoten tteffen. 
3 hm enfaoifht bet ©eift. Als im ©emüt unb in bet tDeltanfdjauung geroutjelte 
©eiftes* unb tDillensfdjöpfungen finb Kunfhoetle nottoenbig eigentümlich «nb ein3ig. 
TDit begreifen fie als TDiUensäufeerungen feetoottagenbet TUenfdjen nut, menn mit 
tfete Seele ertaften. Dom Schaffen unb ©eniefeen bes Kunftroerfs gilt ©rillpatjets 
TDott: „Die Sammlung hafs getan unb hat’s etfannt." Detftänbnisooller Dramen* 
genufe oetlangt beteittoilliges, felbftoetleugnenbes ©infühlen in bie &bfid)ten bes 
Dichters. ©t etfotbett bie Kraft inneren Schauens unb ein gebulbiges Detfenten, 
bas bet Schöpfung ihr eigenes ©efefe ablaufdjt. Die äfhetifh auf $reytag, metfeo* 
bifh auf fjetbart unb 3 iller ©ingefhtootenen gehen oon bet IRethobe 3um Stoff. 
TDit müffen umgefehtt aus bem Stoff bie Tllethobe hetleiten. 3 ebes Kunfttoerf 
oetlangt liebeoottes ©inbtingen unb anfhmiegfames flusfünben 
feines TDefens oon innen h«r* Heben biefem obetften ©tunbfafe batf feine 
Tllethobe 3m allgemeingültigen, für febes Dtama tauglichen geftempelt werben. 

b) nicht oereinjeln. Die Sebensfäben, bie eines Künftiets oetfchieöene 
TDetfe 3U einet in feinet Petfönlichfeit unb IDeltanfchauung oetanletten ©inheit 
oetfnüpfen, 3etfhneibet bet Sehtplan, toeil et bie Dramen eignungsgemäfe aus* 
mahlen unb an mehtete Klaffen 00m Seihten 3um Shtoeren fortfdjteitenb oet* 
teilen mufe. Die babuth etjeugte 3 folierung wirft fhablih» toenn man iht niht aus* 
btücflih entgegenarbeitet. ©eigentliche Rüdblide unb oetgleihenbe fjimoeife ge* 
nügen niht. ©betptimanet müfeten toenigftens oon einem Dtamatifet obet 
boh »on einet wichtigen ©pohe feines Sehens ein einheitliches, entnridlungstteues 
Bilb erhalten unb bie 00m Ringen unb Streben eines gtofegeatteten THenfhen aus* 
ftrahlenbe Kraft oetfpüten. ID. Dilthey*) meint, bafe „bie höhfte TDitfung bet toahthaft 
gtofeen Dichtet etft bann entfteht, toenn 3U bem 3 ufammenhang fottgegangen wirb, 
in bem bie in ben einjelnen TDetfen hingeftellten Sebensbejüge 3ueinanbet ftehen". 

Don oielen IRöglihfeiten feien toenigftens btei fut3 aufgejeigt: 

1. Bei Kleift ober ©rillpaget fönnte auf bie toibrigen Sebensfhidfale unb un* 
glüdlihe ©h aia tteroeranlagung bet Hahbrud gelegt werben. 

2. Ü)etben hintereinanber Die Räuber, $ies!o, Kabale unb Siebe, Don darlos oec* 
gleihenb betrachtet, fo läfet fih einbrudsooll etlennen, wie fih bet junge Schiller philof 0* 
phifh toanbelt 00m rouffeaufhen Kulturpeffimiften 3um 3utunftsfrohen 3bealiften, wie 
er fih fünftlerifh läutert 00m fubjettioen Raturaliften 3um objeftioen Stiltünftler, 
00m lämpfenben 3um betrahtenben Dichter, bet Symbole, niht Auflagen, fdjafft. 

3. Bei einem fo ausgefprohenen IDeltanfhauungsbihter wie fjebbel f ann man 5^ 
Dramen — im freien Anfhlufe an R. IR. IReyet‘") ibeen3ytlifh otbnen unb ben „$aupt* 
fragen bet mobemen Kultur" 3uweifen, nämlich: 

a) fejuelle $r. Kampf ber ©efhlehter, IDefen unb Reht oon IRann unb IDeib; 
bet Sinnlichleitsteufel; grobe unb feine Auffaffung ber ehelihen ©reue: 3ubitlj, 
©enooeoa, hetobes unb IRariamne; 

ß) fo3iale $r. Kapitalismus; bürgerliche Beengtheit, felbftgerehte Sheinmoral, 
Kunfttritit: Diamant, TRatia IRagbalena, IRihel Angelo; 



Don 5*0**} SS**aß 


75 


y) politifdje $t. Staat unb ©feinet; Überlieferung unb Heueter, Htyftif bet Sitte, 
<Erbmonatd)ie unb tOahllönigtum: Agnes Betnauet, ©yges unb fein Ring, Derne* 
trius; 

4 ) r eligiöfe $r. ©otterleben unb Kult, ffinjelbefteiung unb Rtaffenfne^tung, Sünbe 
her ffinfeitigteit unb Deteinjelung: Ittolodj, Ribelungen. 

©eßt man auf bie (Entfteßung ein, fo petmeibe man mögliSft bloß lalen* 
batifS« Hotijen. Das für bes Didjtets Sdjaffensroeije Bejei^nenbe muß am 
3 uftanbefommen bes ©njeltoetfs naSg«wiefen werben. 

Daß ßebbel im Utör3 1843 in Kopenhagen anfängt, fein bürgerliches ürauerfpiel 3U 
fSteiben, baß er es im ©Höbet bis Dejembet 1843 in Paris oollenbet, bas finb offenbar An* 
gaben, bie für fuß gar leinen IDert haben. Betont man jeboch, baß beibe ITtale bies Staffen 
fi<h roäßrenb ber lalten Jahresjeit »01130g, baß fjebbel ein ausgefprodfener tDintermenfS 
toar, ber ben für feine Kunft unergiebigen Sommer am liebften oerfdjlafen möchte; betont 
man ferner, baß ihn bamals in Kopenhagen eine £ungenent3Ünbung törperlich, feine un* 
geroiffe £age feelifch peinigte, baß ihn in Paris bet lob feines fleinen Rlaf erfchütterte, 
baß alfo Schmelzen fein Dichten beflügelten, bann ift bas Äußerliche überrounben unb ins See* 
lifdje oertieft, bann oerfteßt bet Schüler, baß ßebbels £yrit „bem Schmet3 fein Recht" gibt: 
„Unergtünblichet Schmet3* KnirfSt’ ich in nötigen Stunben, jeßt, mit noch blutenben 
tDunben fegnet unb preift bich mein fjet3‘'; bann beachten fie auch 3 agebuch©orte wie: 
„ 3 ch bin nur bann fruchtbar, wenn bie Ratur unfruchtbar ift." 

Beim IDetöen eines Dramas fpridjt nidjt nut PetfönliS«s mit (wie fluslöfungs* 
bebingungen, tDillens* ober Stimmungsbi^ten, IRobell ober Phantafie, überrajcßt* 
werben burdj (Erlebnis ober abfiStliS« s Sudjen bes Stoffes, freies Sdjauen ober 
„Sdjematifieren" u. bgl. m.). tDas einet ift, bas blieb et anbern fdjulbig. Dies 
©oetßewort gilt auch »om Künftler. Der flltmeifter äußerte einmal: „Das größte 
©enie würbe nicht feßt weit lommen, wenn es alles aus fich f«hopfen wollte. tDas 
ift benn ein ©enie, wenn es nicht bie ga^igfcit beiißt, alles, was ihm naßefommt, 
fich nußbar 3U machen." (Einer geiftesgefSichtlichen Coslöfung würbe fiS fS**l= 
big maSen, wer nicht berüdfiStigt, wie litetarifS« Strömungen, politifS*fo3iale 
Bewegungen, 3 «itftimmung, Dotbilbet auf eine DiStung abfärben. Den ffiöß uet* 
fteßen wir erft im 3 ufammenßang mit bem Sturm unb Drang, ber bie fraftoolle 
SeibenfSaftücßteit Shatefpeares erftrebte unb ben „großen Btann" im Stile piutarchs 
ßerbeifeßnte. Kabale unb Siebe, wo bie S3ene 3um Tribunal wirb, bleibt unfetm 
Süßlen ftemb, wenn wir uns nicht 3uoot uergegenwärtigen, wie traurig es bamals 
in Staat unb ©efellfSaft ausfaß. tDer bie 3 ubith oerfteßen will, muß wiffen, wie 
ßebbel fuß 3U ber oon ben 3 ungbeutfS«n erörterten $rauenfrage unb bem oer* 
ftiegenen $rauenfult ftellte. tjauptntanns n) c h ct toollen begriffen werben im 3u* 
fammenhang mit bet fo3ialen Srage unb bem fdjlefifd^ctt Pietismus. tDas Parfifal 
als bet „butcß TUUleib wiffenbe, reine dot" oetförpem foll, ertennt man nur, 
wenn man weiß, welch* ©ebanfen SSopenßauets über bas fittliSe ©enie, 
weis« ©ebanten ©obineaus übet bie (Erneuerung bet lltenfSß«it HS IDagnet 3U 
eigen gemaSt hat. 

Dem Detein3eln wirb ferner oorgebeugt butS ©tuppenbilbung, bie 3U* 
fammenhängenbe (Erfenntniffe et3eugt. Seßt oerfSicben tann fie burSgefüßrt 
werben. Rein biStungsgefSiStl*S c ©tuppen, wie bie Siteraturfatiren ber Roman* 
tit, bie 3etfaßrene Sturm*Drang*Dramatit fS«iben aus. Darf iS hier bie wiStigften 



76 


3ur Dramenbeljanblung 


Sypen folget Dramengtuppen anfühten, fo möchte ich 3ugleidj 31« Stoff* 
austoahl bes Plans ©rgan3ungen oorfchlagen.*) 

1 . Als eine Dramengattung fieht ber plan für UI bas beutfdje £uftfpiel 00t, über 
öeffen ©ntroicflung ein ttnftern fdjtoebt: Kleift unb Rofenoto ftarben not 6er 3 eit; Stiller 
gab in öem Blohren fltulay fjaffan, 6ent fjofmarfchall 0. Kalb, 6em Kroatenoberft Sfolani 
nur oollfaftige Proben feines fjumors. — 3 m flnfdjlufe an 6ie „©eliebte Domrofe" tonnten 
Sdjülerberichte 3eigen, roie bas alte Rtotio oon ben fich liebenben Kinbem jroifdjen ftreiten* 
ben Dätern in flnjengrubers „Doppelfelbftmorb" glüdlid; gelöfi toirb, toährenb ©ttofar unb 
Agnes in Kleifts ©rftling ebenfo 3ugrunbe gehen roie Sali unb Drendjen in Kellers ergreifen* 
bet Rooelle. Betont man, bafe bamals ©typhius bas erfte, fünftlerifch roertoolle Dialeft* 
ftüd geraffen hat, fo toirb ein Hinweis auf Riebergalls reyenbe £ofalpoffe (in leidet oer* 
ftänblidjer Darmftäbter BTunbart) „Oer Dattericff ( 3 nfelbücherei 137 ) angebracht fein. 
Oer beliebte Dergleidj bes Verbrochenen Krugs" mit bem „Biberpel3" feftige ben ©in* 
brud, bafe beibes lebensooQe ©^arafterftüde ooll töftlicfjcr Situationstomi! finb, ohne bie be* 
3eichnenben Rnterfchiebe 3U oertoifchen. Die ©itel nennen ben umftrittenen ©egenftanb, 
übet ben eine ©eridjtsoerljanblung Klarheit ftfjaffcn foll, bei ber jeöoch bie bllnbe ©eredjtig* 
feit bie 3 eugen irre macht. Dort möchte ber nichtsnutzige Dorfrichter Abam als Schulbiger 
bie IDahtheit oerbergen; hier oermag ber Amtsoorfteher 0. IDehrhahn, ein hochmütig bummer 
Streber, bie IDahtheit nicht 3U feljen. ©rheiternb roirft bas bei Kleift gefchioffene, bei haupt* 
mann offene ©nbe, bort ber entlarote Schulbige, hier bie als IKufter ber ©h r ^te*t gelobte 
Diebin. Dort ftraffe ©edjnif bes Sneinanbers, hi« lofe <Xed)nif bes Hebencinanbers. Dort 
nach antifem, fophofleifchem Dorbilb tunftooll gelenfte, fchrittmeife ©nthüllung bes oorauf« 
liegenben Dergehens; hi« entroidelt fid) ein mobemes „naturroahres £ebensfragment", 
bas 3toei Diebftähle oorführt unb mit breitem Pinfel bie Umtoelt malt. — Die Bauern* 
tomöbiemagburch An3engtubers „Kteu3*lfchreiber" unb „©’toijfenstDurm“ oertreten toerben. 

2. Stoffgef<hichtli<h 3eigt bie gleichfalls für Ul oorgefehene 3toeite ©ruppe: bie 
Demotratifierung ber ©ragööie im bürgerlichen ©egemoartsftüd, bas oon ©nglanb über 1 
$ranfrei<h 3U uns tarn (£effing!). Anfnüpfenb an bie Bürger bei Sljatefpeare (Staffage) 
unb IRoli&re (Spott), an bie Sät;e oon ©pitj 3eige man, tote langfam fi<h bie Übet3eugung 
burchfeijt, bafj „man nur ein Rtenfch fein bürfe, um ein Schidfal 3U haben". XDährenb £effing 
unb Stiller ben tragifchen 3 ufammenprall bet unterbrüdten tugenbftrengen Bürger mit 
bem henfehenben, lafterhaften Abel behanbeln, entroächft bei hebbel bie ©ragif als Selbft* 
3erfet$ung ber einfeitigen ©ebunbenheit bes Bürgertums. IDelche £äuterung behmbet 
bie Abfichtlichteit ber Hamengebung: von thoroughgood, trueman (engl, ©ugenbbolöe) 
übet „Kalb" unb „IDurm" (fatirifch!) 3U bem ethifdjen Symbol „IRatia ITlagbalena"! IDie 
ergteifenb Hingt bas IRotio bes oetführten IRäbchens in ber Rofe Bemb roeiter! Alletbings 
immer noch „behaftet mit bem IRuttermal bes Kriminaliftifchen" (Buffe). 3 bfens ©cfpenfter 
berühren {ich bei gleichfeftem, analytifdjem Bau mit bet fittlichen 3 bee bes hebbelfchen 
Dramas. IDie bort IReiftet Anton, fo fteht hier $rau Aloing im Rtittelpunft, unb leicht fann 
ein befähigter Schüler nachtoeifen, roie fie burch £ebenslüge erft ihr Stauen*, bann ihr IRutter* 

*) tDenn fich in ber ©berftufe ber Stoff all3ufehr brängt, fo bafj nicht alle Stüde, 
bie man gern behanbeln möchte, in ber Klaffe butchgenommen toerben tonnen, fo empfiehlt 
fi<h eine Arbeitsteilung, bie fidjetlich für bie Schüler äufeerft antegenb ift, ihre $teube am 
Deutfchunterricht oermehrt unb ihren ©h r 9ct3 anfpomt. Ittan fann bie oorgefd)lagenen 
Stoffgruppen auf bie ein3elnen Schüler toahlfrei oerteilen unb bann mehrere Stüde 3m 
Durchnahme bet ©ruppe als ©an3es anfejjen. Diefe Stunben toerben fich aufeerft lebhaft 
geftalten, benn jeber Schüler ift in bet £age, fein Scherflein beitragen. IDenn biefe 3U* 
fammenfehauenbe Analyfe oon bem £el}tet in bet richtigen $otm gehanbhabt toirb, regt 
jie ben Schüler unbebingt 3m felbftänbigen fjausleftüre auch öet nicht aufgegebenen Stoffe 
an, oon benen ihm fein Rtitfchüler e^ählt hat, ober bie ihm ber £ehter in ben Analyfeftunben 
beigebracht hat. So entfteht auf jeben $aü ein abgerundetes Bilb, auch menn bie ein3elnen 
Stüde nidjt in bet Klaffe gelefen toerben. Dorträge aus Difchets Afthetif bes Komifchen, 
Bergfons „Sachen", Jjöfföings „fjumot" mögen bie £efung oertiefenb begleiten. 



Don $ran 3 Sd)nafj 


77 


glüd einbüfet. flnjengrubers „llteineibbauet“ unb £ubtoigs „Crbförfter" fügten bie Cragit 
bes Starrfinns ©eitet. IDte bühnenroirffam ©itb Schillers rhythmifche 3»eiteilung erneuert 
in Subermanns „Chre", in flnjengtubers „Diertem <5ebot". Dies IDienet Dolfsftüd fann 
mit fjebbets Drama be3Üglich bes unljeifoollen (Einfluffes bet (Eltern auf ihre Kinbet »er* 
glitten ©erben. Staoenhagens „Blubber ITCe»s" oerbient als bisher befte nieberfächfifche 
Dialetttragöbie Berüdfichtigung. 

Sehr lohnt es ficfj, 3U »erfolgen, ©ie bet Hibelungenftoff nach feiner altnorbifdjen 
Überlieferung »on gouquö, IDagner, 3orban, 3bfen; nach ber mittelljodjbeutfdjen gaffung 
»on (Beibel, Raupadj unb tjebbel bramatifiert unb neu befeelt ©orben ift. 

3 . 3 um 3 ufammenftellen nach »ermanöten ITtotioen null folgenbe Über* 
fid)t anregen: 

a) ebtgeijige fjetrfchfucht: 3ul. (Eöfar, giesto, IDallenftein, König Ottofar; 

b) Htonarchentragif: Philipp im Don Carlos, fllfonfo in bet 3übin »on Colebo, 
fjeigog fllbredjt in Agnes Bernauer, Karl in Kaifer Karls (Beifel, Rubolf »on fjabs* 
bürg (<5rillpat3er), Kanbaules in (Byges unb fein Ring, fjafon in 3bfens Ktonprä* 
tenbenten; 

c) problematif<h*tragifche grauen: 3ungfrau »on Orleans, penthefilea, fjebba 
©abler, ITCebea, Hora, Rtariamne; AgnesBetnhofer, bie Bäuerin »om „£ebigen fjof"; 

d) Dichter unb IDeltmann, Kunft unb £eben, Ruhm unb £iebe, fleißiges 
latent — verbummeltes (Benie, Spießbürgertum — Künftlerfreifinn: 
Caffo, Sappljo, £ohengrin, Derfuntene (Blöde, IDenn ©ir Coten etroadjen, IRtdjael 
(Eramer. Heimat. pri»atie!türe: Betenntnisnooellen »on C^omas Rtann (Conio 
Kröger!) unb Ecce poeta »on glaifchlen; 

e) Arbeiterelenb: tjauptmanns „IDebet" unb Rofeno©s „Die im Statten leben". 
3n beiben ©eicht bie Cragif bes ein3elnen bem £eib ber Htenfdjengruppe. — guht* 
mann fjenfchel. tjanneles Himmelfahrt; 

f) Daterlanbsgefühl unb ttationalbewußtfein 11 ): flnfäße in bet 3ungftau »on 
Orleans. IDirfung biefes Dramas »or bem grei^eitstrieg,— Rofe Blan! in ffeyfes 
Kolberg! Die IDanblung fjeintichs 3um Patrioten fann »erglühen ©erben mit 
Reinholbs Cnftoidlung in IDilbenbruchs IKennonit, ebenfo Cljibauts unb 3uftus’ 
RTatt^er3igfeit. („£affen ©ir bie ©roßen, ber (Erbe gürften um bie (Erbe lofen" uf©. 
„IDas fümmert’s mich, ob ber Hapoleon mein fjert ift ober bet ba in Berlin, ber 
König »on Preußen ...") Kleifts Prin3 »on ffomburg »eranfert im Staatsbemußt* 
fein ben beutfdjen 3öealmenfdjen, ber eine lebensvolle (Einheit fdjafft 3©ifchen 
Potsbam unb IDeimar, Bismard unb ©oethe. („Das ftrenge Kriegsgefeß foll herr* 
fdjen, jeboch bie lieblichen (Befühle aud}."); 

g) bas Qumanitatsibeal erftrahlt in einem leudjtenben Dreigeftirn »on Dramen: 
als Dulbung im Rattan, als greiljeit im Don Carlos, als EDafjrfyeit in 3phigenie. 
Dtfdjet nennt fie bie „brei priefterlic^en, fyodjteligiöfen Dichtungen bes flufflärungs* 
3eitalters in ber relnften, geläutertften gotm feinet 3bee". Die Oberprimaner folgen 
mit 3ntereffe einet geiftesgefc£?i<^tlid?en Betrachtung 12 ), ©ie bet fjumanitätsgebanfe 
in Spino3as Cheologifch 5 politifchem Craftat anhebt, »on fjamann unb h er öer, 
Kant unb ID.». fjumboibt ©iffenfchaftlidj begrünbet, »on ben Klaffifem bichterifdj 
verherrlicht »itb. Bei Rieh- IDagner »erfötpern ihn bie (Bralsritter plaftifdj, »enn 
fie bei bem Brubermahle einanber bie Qänbe reichen; 

h) faßt man in Ol beutfchfunblich bie IRaria Stuart, 3ungfrau »on Orleans unb 
ben Demetrius 3ufammen, fo fönnte ihre »erglei^enbe Betrachtung folgenbes er* 
geben: 

Dot bem EDelttrieg hat {ich bet beutfd)e (Beift fchon »or 100 3ahten in einem 
feinet herrlichften Cräger, in Stiller, mit unfern fjauptgegnern auseinanbergefeßt 
Stiller hat nämlich ber ©efdjichte unferet brei geinbe ie einmal ben Stoff für ein 
Drama entnommen: bet englifchen für ITtaria Stuart, gleich barauf bet ftan3Öfi* 
f<hen für feine 3ungfrau »on Orleans unb 3uleßt ber ruffifchen für feinen Derne* 
trius. 



78 


3ut Dramenbehanblung 


Gegenüber Rtaria Stuait, bet be3aubernb frönen Königin, bie aus meib« 
liehen ©ebredjen fehlte, bie aber angefidjts bes ©obes ihr Ijeifees Begehten, ihre ftatfen 
£ebenstriebe überroinbet unb fidj manbelt aus einem oollfaftigcn „phyfifehen 
IDefen" in eine mütbig gefaxte, moralifehe Perfönlichleit, gegenübet biefer lönig* 
liehen Qbettoinbetin erfcheint bie eiferfüdjtige, fittlidj übermunbene Königin ©lifa= 
beth, bie anbets feheinen möchte, als fie ift unb bie mähten ©rünbe ihres Qanbelns 
gefliffentlich oerbedt, etfeheint bie Ijeimtüde bet englifehen Staatsfunft, in bet nicht 
IDahrheit, nicht ©erechtigfeit, fonbern boshafte Heuchelei, fchamlofe Selbftfucht 
bie Stimme führen, in aller ©rbärmlichleit. 

Die3ungfrau oon Orleans, bie bet ftanjöfifche Spottet Doltaite als ben 3m 
begriff mittelalterlicher Dummheit unb Derlehrtheit mafelos oethöhnt, ja butch fehmutji' 
gen tX>i% [djamlos befubelt hatte, umgab Sch. mit bet ©lorie einet ©ottesftteitetin, 
bie burch bie Ktaft aufopfernben, h*il>9 reinen IDollens, bergeoetfe^enben 
©laubens ihrem bebtängten Datetlanbe rounbetbare hilf« unb Befreiung bringt. 

Demetrius enblid}, bem bie Selbftertenntnis, bafj et hoch nicht bes 3aren 
Sohn ift, für ben er fich anfangs hielt, auf raffet Siegeslaufbahn ©inhalt gebieten 
müfete, ber ftatt beffen aber als betrogener Betrüger mit übermenfchlichetn, bef* 
potifchem ©roh fi<h burehfetjen unb in ber angemafeten IDürbe behaupten mül, 
Demettius 3erfd;eilt an bet Tliacht ber IDahrheit, bie ihm in ttlarfa, ber trauern« 
ben 3arin, entgegentritt, bie als IKuttet troff glänjenbfter Derfprechungen es nimmer 
übers fjet3 bringt, ben breiften ©mporlömmling als ihren Sohn anjuerlennen. 

Diefer ©eift ber IDahrheit, burch ben Schillers fittltcher 3bealismus ben fal* 
fd?en Demetrius untergehen Iäfet, biefer glaubensftarte, aufopfernbe, lautere 
XDille, ben bet Dichter aus eigener ©eiftesatt heraus in ber fiegteichen 3<>hanna oer- 
törperte, biefe Kraft fittlicher Selbftüberminbung, burch bie Sch. bie unglüdlidje 
tttaria 3U einer erhabenen ©eftalt geabelt hat, — biefe brei hohen ©üter tonnte ber 
Dichter feinen ©eftalten einprägen, metl er fie felbft befafe, unb mir fchätjen fie als 
beften Kern beutfehen IDefens. Unb höre ich recht, bann ruft Schillers ©enüis 
unferem fchmer$geprüften Doli prophetifch 3u: Seib getroft, beutfehe Brüöet unb 
Sdjmeftern, erläget ihr ber Übermacht, fo follen hoch ruffifefjer Cügen* unb Defpoten* 
geift, fran3Öfifd}er Unglaube unb Spott, englifche Heuchelei unb Selbftfucht beinen 
unbeftedjlichen IDahrheitsfinn, beinen 3uoerfichtlichen, h'ngebenben IDillen, beine 
Kraft 3ut fittlichen Selbftüberminbung niemals oernichten. 

2 . a) £anöläufige fehlet ber ©tnjelbehanblung. CDerben Dramen aus per« 
fönlichen ober fachlichen 3ufammenhängen h^tausgelöft unb für fid} betrachtet, 
bann mufe gerabe bet germaniftifch oorgebilbete Deutfchlehrer bet Derfuchung toiber« 
ftehen, eine beutfehe Dichtung wie eine ftembfptachliche 3U einem etläuterungs* 
bebütftigen ©ejt hetabjuroürbigen: butch 3ufammenhangslofe tDort* unb 
Sachetflärungen. U)et bas tut, ben trifft fjebbels hartes tDort: „Die ©töfee bes 
Philologen befiehl barin, öafe er alles fo Hein 3U machen fudft, als er felbft ift." 

$emet bleibe man nicht an jeber Senten3 hängen. ©ft roerben fie in Dispofi« 
tionen unb fluffäjjen (©tyrie!) ausgeprefet tnie eine 3 itrone. tDieoiel plattes 3 eug 
toitb babei gefchroatft! 

«) Statt beffen laffe ich gern bie 3eile herausheben, bie bas Problem fchlagenb fut3 unb 
jdjön be3eichnet, 3. B. 3phigenie: „©emalt unb £ift, ber Ulänner häuftet Ruhm, mirb 
burch bie IDahrheit biefer hohen Seele befdjämt." Räuber: „Run, glaubt ihr mohl, ©ott 
metbe es 3ulaffen, bafj ein einiger Htenfch in feiner U)elt mie ein IDüterich häufe unb bas 
©berfte 3U unterft lehre?" ©yges unb fein Ring: „© rühre nimmer an ben Schlaf ber 
IDelt"; ober beleuchtet butch bas ©afforoort: „Rach Steilheit ftrebt ber Rlann, bas IDeib 
nach Sitte." Rtebea: H U)ie tönnen menige 3ahre hoch oermanbeln!" Der ©raum ein 
£eben: „©ines nur ift ©lüd hienieben, eins: bes 3nnetn ftiller gtieben unb bie fdjulb* 
befreite Bruft." 



Don Sdjnag 


79 


ß) IDcit bildender als das Auffüllen folcger Sintifprüche mit weithergeholten, all* 
täglich abgefcgtnacften ©etanten i(t ihre philofophtjcge 3ufammenftellung. ED. fjans 13 ) 
entwictelt eindtudsvoll an der tjand treffjidjer gemailter Stellen aus 3bfens Dramen, <5e* 
dichten, Briefen und Beden deffen felbheitlidje (Etljil: Berufsidee und CEntwidlungsglaube, 
gatalismus und Detetbungsgedanfe, Urteile über Uloral und Tradition, ®e|djid|te und (Er* 
3iel}ung, Warnt und IDeib, <5efellfdjaft und Partei, Staat und Kird)e, gamilie und CEhe, 
Sreunbfdjaft und Siebe. (Es würde fidj lohnen, Kernftellen aus den EDetfen unferer großen 
Dramatiter fo 3U ordnen, dag ihre EDeltanfcgauung daraus einheitlich begriffen werden tann. 

fjöchft pedantifd} ift es auch, roenn man, geblendet non wiffenfchaftlidjer Doll* 
ftändigfeit, die männlichen und weiblichen tjaupt*und Rebenpetfonen eines Dra* 
mas fämtlich det Reihe nach oomimmt oder ihr Riefen btöcfcgenhaft aus ieder Sjene 
3ufammenflicfen lögt. (Es fcheint mir durchaus nicht 3wedmägig, die Betrachtung 
det <E^araftcre 3U ifolieten, weil an ihnen nur die 3 üge wefentlieh lind, die nom Rem 
des ©ansen aus lebendig werden. 

Den anfchaulichen ©efamteindrud eines Dramas*) als Kunftwerl !ann uns nur 
die Bühne nermitteln. Rur mitten in der flauenden, laufchenden dheatermenge 
tann der ein3elne das aufgeführte Stücf als fich ereignende, uns mitreigende und 
erfchütternbe Handlung e 1 1 e b e n. Deshalb halte ich es für gan3 ausfichtslos, im Dramen* 
unterricht nach «inet „RTethode des (Erlebens" ((Earfen) 3U fucljen, was übrigens eine 
contradictio in adjecto ift. Den höchften, öfthetifchen ©enug des Dramas als eines 
Kunftwerfs tann der Klajfenunterricht niemals erreichen. R)oljl aber mügte er eins 
meines (Erachtens mehr als bisher berüdfichtigen. tagt fi<h ein ©emälbe, eine 
Statue oder ein Bauwerf leicht als ©anjes überbauen, fo befchräntt fich die Aus* 
drudsmöglichfeit det R)orttunft auf das Racheinander. Aus den vielen Auftritten 
eines Dramas mug fich erft nach und nach unfer ©eift eine einheitliche ©eftalt auf* 
bauen. So gewig wir die Kinodramatit nicht billigen, die untet möglichfiet Aus* 
fchaltung des R)ortes nur noch «ine Bilderflucht übrig lägt, fo follte wenigftens das 
3ufammenfchauen nicht unnötig erfchwert werden durch eine triechende, 3er* 
ftüdende Befptedjung. R)ird Jede S3ene 3U langfam und gründlich durdjge* 
nommen, wird das ©an3e über H)ochen und Rlonate ©er3ettelt, ftändig durch andere 
(Eindrüde unterbrochen, dann gelangen die Schüler nicht 3U einer gefdjloffenen, 
einheitlichen, tlaren, nachhaltigen ©efamtauffaffung. möglich ft früh fallen fie lernen, 
ein Drama deniend in einem 3 uge 3U lefen; wir müffen unfere Befprechung um die 
Angel* und högepuntte herumftraffen und hemmende (Einfchiebfel grundfäglich mei* 
den. 3 n unferem ©eift tann ein oon der erften bis 3m legten S3ene getreues Rach* 
bild nicht einwwgeln und dauern. Der ©ang det Handlung ift meines (Erachtens 
überhaupt nicht behaltenswert. Der mug flauend erlebt werden im ©heater. Bloge 
3nhaltsoergegenwärtigung ift etwas rein ©edächtnismägiges und als folcges baldi* 
gern 3 etfall, rafchem Detblaffen preisgegeben. Dauernd erfagt unfer ©eift ein Drama 
aus der aufbauenden 3 dee, die fich darin entfaltet. Dom Problem als rechtem Stand* 
ort aus gewinnen wir einen einpräglichen Durchblick Rieht der äugere fjandlungs* 
ablauf, nein, die innern gedanflichen 3ufammenhänge müffen erfpürt und begriffen 
werden. Rlir ift es unoerftändlich, wie viele Dichterbarfteller und *etfläret fich gar 

*) Det ©ejt ift tatfächlich nur die überliefetbar machende gifietung, erheblich verfchieden 
oon det unmittelbaren Ausführung in gatben, Stein, Bronje, vielmehr wie die Hotenfcgrift 
nur eine mittelbare geftlegung! 



80 


3ut Dramenbe^anMuttg 


nicht genug tun tonnen im langftieligen lla^etjä^len. 3 ft nicht öle ^ertömmlic^e 
Dtamenbehanblung auch 3U feljt auf 3 nhaltsbericht eingeftellt? Durch fold} um* 
ftänbliches Huftöfert bet Poefie in Profa entfteht nur ein ärmlicher ©tfafe, 
bet bem tieferen Derftänönis in teiner JDeife bient. Befifet nicht häufig bas f3enifch 
Derfichtbarte nur fymbolifchen tDert? Da oerbunfelt Ua<het3ählen bes äußern tjer* 
gangs ben magren Sinn! Die S3enenfoIge ift fein ©ebantenpro3efe! Balb mirb öie 
fjanblung geförbert, balb ein Gljaratter entroidelt, balb Stimmung geroetft. tDie 
roirb bas fdjöne Dichtermort abgefdjroächt butd} fdjlechtes Umfchteiben! Aber — 
entgegnet man — bie jungen muffen bodj miffen, toas btin fteljt. ttun, ob fie ben 
3 nhalt erfaßt ^aben, 3eigt ihr (Erarbeiten ber flnalyfe. (E^rlic^ roill ich’s gefielen: 
mir haben früher unfete Sekret, bie glaubten, burch Hachet3ählenlaffen unfet häus* 
Iid?es £efen am beften nadjptüfen 3U tonnen, fo Sinters £id}t geführt, bafe mit aus 
ben betannten Bänöchen oon Stoffel, Kuenen=(Eoets ober (Bube ben 3 nl?alt fjer* 
nahmen. IDas man oon uns oerlangte, liefe fich fo bequemer befdjaffen. tDie mir 
uns babutdj fdjäbigten, ahnten mir nicht. Der Unterricht hätte uns fo anregenbe 
Aufgaben ftellen müffen, bie folgen Unfug unmöglich malten unb bas £efen ber 
Dichtung 3m geiftigen £uft erhoben. Statt beffen matb es uns 3m £aft, bie mir be* 
gteiflichermeife abfRüttelten. Um bet Kunft unb ©efchmactsbilbung millen lehne 
ich biefen 3 n^altstult ab. Bei foldj unterfchiebslos ausführlicher 3 n^altsbetradjtung 
lernt ber funge £efer nie, felbftänbig bie Kernf3enen ^erausfinben, in benen bas 
her 3 bes ©an3en Hopft, tlar bie ^auptmotioe ^erausfdjälen. Die äfthetifdje ©rjieljung 
mufe aber gerabe bahin 3ielen, bie, geiftige Unreife betunbenben, für £aien unb Hin* 
ber be3eidjnenben, rein inhaltlichen Urteile 3urüd3ubrängen; fie mufe lehren, alles 
Stoffliche unter bem ©efidjtspuntt bes burchgeiftigenben Sinnes unb oertlärenben, 
lünftlerifdjen tDertes, alle ©eile aus ber ©efamtmirtung bes ©an3en 3U mürbigen. 
Um besmillen forbere ich eine 

b) 3entralanalyfe. ©in befonberet Harne' fcheint mir für bies Detfahten 
notig, meil meiftens bas, mas fid} „flnalyfe" nennt, hoch — trofe bes Beimorts äftlje* 
tifdj — im ©tunbe nichts anberes ift als ein überflüffiges flbfdjilbem bes 3 nhalts, 
nicht ein geiftiges Durchbtingen unb logifch=philofophifd)es 3 ergliebern ber Dichtung, 
aus bem fid} ein tlares ©ebanfenbilb ergibt. 

3entral mitb eine folche flnalyfe, mie fie mit oorfchmebt, burch ih«n ©ehalt 
unb ihre $otm. Alles Beimett ausfdjaltenb, befchränft fie fich auf bas ©runbthema, 
auf bas äftljetifch ober literarifch tDertoolle unb Be3ei<hnenbe. Don innen h«t min 
fie ein Drama als ein 3medoolles ©an3es erhellen unb eine grofe3Ügige ©efamtauf* 
faffung fidjetn. tDas fie ertlärt ober fprachlidj hetoorljebt, orbnet fie burchgeljenben 
£eitgebanten unter. 

tDas ihre $orm betrifft, fo ©e^ichtet fie bemufet auf eine buchmäfeige, feft* 
ftehenbe ©lieberung, mie: ©ntftehung, Aufnahme, (Quelle, Dorgefdjichte, fymblung, 
Aufbau, ©h ata ftere, 3 bee, Uachmirtung. Sie benufet berartige fefte ©efidjtspunfte 
höchftens, um brauchbaren Stoff auf3ufinben. Diefen geftaltet fie aber bann burch 
Ausmaß in ftets abmechfelnbet IDeife fo, mie es fich mit bem inbioibuellen tDefen 
ber Dichtung am beften ©erträgt. Dicht disiecta membra, nicht aneinanber geftüctelte 
©atfachen, nicht 3ufammengeftoppelte Hotten, fonbetn aus einem ©ufe! 3 *ntral 
mitb bie flnalyfe, menn fich ihte ©ebanfenfühtung runb unb gefchloffen ausmächft 




Don 5*«”3 Sdjnafj 


81 


um öurchgehenöe ©efidjtspunfte, öie nidjt fdjablonenartig oon aufeen an öie Di©* 
tung hetangetragen finö, fonöem öie in jeöem Drama immer toiebet neu aufgefunöen 
toeröen. galten öie Spület als geistiges Ceitfeil oor öem £efen joldje ©efichtspunfte, 
io gleicht öeten XDirfamg auf öie Dorftellungs* unö ©ebanlenmaffen öer eleftrifchen 
oöet magnetifchen 3nfluen3: traft öes unterem Denfen innerooljnenben logifchen 
3n>angs friftallifiert fi© bas innerlich 3ufammengehötige um foldje ©efi©tspunfte. 
Diefes Scheiben öer £efeeinbtüde ift beileibe fein 3 etpflüden, fonbetn eine gebanl* 
li©e Synthefe, öie bur© ©re fefte $ügung beftimmt na©bauert; mit öem nur oon 
bet Bühne 3U empfangenöen „bireften" ©nbtud oerf©mil3t fie als „affo3iatioer 
§aftor" (Segnet) unö babut© toirb öet ©enufe ni©t unbeöeutenö berei©ert unö 
oertieft. 

Als hö©ftes 3iel erftreben mit eine aufbauenbe 3entralanalyfe. fjören mit brei 3eugen 
öiefet 3bee! ©oetlje: „Itatur* unb Kunftmerfe lernt man ni©itennen, wenn fie fertig finb; 
man mufe fie im (Entfielen aufhaf©en, um fie einigermaßen 3U begreifen." fjebbel: „mir 
fhroebt bas 3beal einet Kritif not, bie bie beutf©e Citeratur no© nicht fennt. üiefe hätte bie 
Aufgabe, bie ©runbibee eines Wertes aus feinen gefamten (Einjeiheiten toirtli© 3u entroicfeln, 
fie ni<ht bloß aus3ufpre<hen. 3© glaube, auf biefem Wege mürbe bie IDiffenf©aft bet Kunft, 
bie äfthetif, fehr oiel geminnen tonnen; bennin bem Sinne, mie ich es meine, oon ben (Einjel* 
beiten ausgehen, heißt bie Schöpfung bes Wertes aus feinen innerften (Embryonen anf©au* 
lieh machen." „Wer ein Kunftmer! in fi© aufnimmt, macht benfelben pw>3eß bur© mie bet 
Künftler, bet es heroorbrachte, nur umgetehtt unb unenbliih oiel raffet." Hach Weu* 
mann 14 ) befteht bas Kenn3eichen bes äfthetif© genießenben Derhaltens barin, baß es „eine 
inftmttioe ober abfi©tli©e unb bemühte innere tDieberholung bet Phantafie* unb ©efühls* 
arbeit bes Künftlers ift". 

tDertoollfte EDegmeifet für öies aufbauenbe Derftehen finö Selbftausfagen 
bes Dichters, 3. B. Btiefroedjfel 3toif©en Stiller unö ©oethe, Stiller unö Kötner, 
Wagners Briefe an Htatljilbe IDefenöonf, Kleifts Briefe, ©rülpaqets Selbftbiogtaphie, 
hebbels ©agebü©et, fhyengtubets „Ka©geholte ©agebü©erei", ©. £uömigs Briefe, 
Stuöien unö bramaturgif©e Aphorismen. 

©ft finö im Drama felbft öie tDachstumsringe nod? beutli© etfennbar. ©nt* 
fpte©enb öem $ortf©reiten öes Di©ters oon öet rühtenöen ©eftalt 3um Urheber 
ihres S©idfals unö 3Ut umfaffenöen 3 öee umf©ließen fi© im Don ©arlos eine Ptin* 
jen*, Königs* unö Philofophentragööie; ähnlich bejei©net „Warta Wagbalena" 
bie leßte fymbolif©e Stufe, öet ooraufgingen „bürgerliches ©rauetfpiel" unö „Klara"; 
bie Begrünöung ihres Untergangs liefe fie als gamilienglieb 3urüdtreten oor Weiftet 
Anton, öem tyrannifchen $amilienhaupt. 

Wan©mal ift es möglich, öas Werben feelif<h 3U oerfolgen. 

3© gebe biefe (Entmictlung für bie 3ubith in Schlag®orten: Sehnenber IDüle 3um 
XDerf (Wün©en 1836—1837), bet an 3ubitljs Gat erinnetnbe plan ber flthenertragöbie, 
Me an h°l°femes hetanrei©enben ©ebanten über Uapoleon, bie bithmarfif©e tfelben* 
jungftau, Doltsf3enen 6$s gragments; Anfang ©ftober 1839 bie erften 3ubUhf3enen in 
„lörttiger Ptofa"; burch Romanos 3ubithbilb an bie „alte gabel" erinnert; oeränberter 
Ausgang; 3ubi©s mahre Wotioe; neue fluffaffung bet 3ubith burch feinen 3eitgenoffen 
unb Waler fjorace Demet, fj eines Betreibung im Salon (mie eine „entmeihte fjoftie"!), 
Keufchheitsftofe bet 3ubith, (Ehe mit Wannaffe; „höchfte fymbolifche Bebeutung" be3ügli© 
ber $rau, bie fich »on ber (Ehrfurcht oor bem Wann befreien möchte; (Entftehung ber 3bee 
bür© Wlöetfpru© gegen S©illers 3ungfrau oon ©rleans, gegen bie fungbeutf©en (Ema^ipa* 
tionsbeftrebungen, Selbftmorb ber <Eh<nlotte Stieglife, bie überfpannte 3erufa in ©ußloms 
«König Saul". 

f. D<utfd)tun6e, 17. {rgäit3ung$I)«ft 5 



82 


3ut Dromenbeljonbluitg 


3n anbertt $öllen löfct fid) bie genetifche fluffaffung butdrfiumreit an 6 cm be= 
nulten Stoff un 6 feinet Dramatifierung. 

' So tarnt man aus IDagners Parfifal hetausheben als öltefte literarifche Beftanbteile: 

1 . ©talsmytbus: 0.129, 175—183 (Hitutel), 1227, 148 (Can 3 e), 65, 518, 912 (Ritt«), 
1101,188 (3nfchrift), 452f. (Brot), 189 (Haube). 2 . parjtoalfage, Me Hhretien oon Hroyes 
3 uetft, ihm folgenb IDolfrant oerbunben haben, öie „Hempelbertn" oetberrlichenb: D. 297, 
753 (IHuttet), 287 f., 298,755 Qugenb), 301—306 (Rittet), 319, 771—774 (Hob bet IRutter), 
482—485 (hohn in bet ©ralsbutg), 151—163 (flnfort). IDagnets wegroerfenbes Urteil 
übet bas (Epos. Katfteitag in 3ürid}, etlebt D. 1160—1193, 1007, Hietfdjut} 977, Schwanen» 
motio D. 250f. Problem bet hanblung: D. 46—49, 220 , 1091, 1097, 408, 411, 428, 400, 
328, 835, 832, 400, 1280. ntögliehleit bet £öfung: D. 723f., 894, 267f., 322, 809f., 816f., 
328. Otamatif<be (Entfaltung bet 3bee but<b ben Kampf bes fjelben 1 . mit Klingfor D. 544, 
547, 196f., 553f., 204—209, 151 f., 155, 506, 845f., 159f., 215—217, 556f., 1263; 2. mit 
Kunbry D. 531, 332 f., 84, U4f., 494, 869, 877 f., 941 f., 116f., 871 f., 495, 867, 886 f., 994, 
503f., 38, 334f., 132,489f„ 980f., 721f., 155, 521, 529. Dies Durcbeinanber bet Det^ablen 
läfet ettennen, mle meit fi<h bie 3 enttalgenetifche flnalyfe entfernt oon bem 
textlichen Hachelnanber bes f 3 enif<hen 3nbalts! 

©ne flnalyfe bes Sauft wirb beibes, bie Stoffüberlieferung unb bas feelifdje Hr s 
leben, 3 U oereinigen haben. 

3. a) Befonbets fotgfam fei in UIII bie (Einführung in bas Dramenlefen. 
Spreche i<h baoort, fo toanbeln fid) bie bisher oortoiegenb tbeoretijdjen (Erwägungen 
in lehrpraftifche Dorfchlage unb tDinte. 

3n breifacher fjinficht ift eine bramatifdje Propäbeutit möglich unb wüm 
fd)enswett. 

1. fln größeren Cefeftücfen üben {ich bie Schulet weniger im Uachet 3 äblen, als im 
flusfonbetn burch h etQUS b e ben ein 3 elnet Heile, bie butdj einen ©efichtspunft oeteinigt 
toetben. Beifpiet: ©ü&felbt, „3n ben <Ets= unb Schneetegionen bet hochalpen". Aufgaben: 
(Etbtunbliche Begriffe untetftteichen; Klettetgefüble unb Klettertätigteit burch G ober T am 
Ranbe anmetten. 

2 . Botinsti (Poetit S. 142) nennt bie Bailabe ben „lytifchen flnfat; 3 um Drama", 
ben „btamatifchen (Embryo". Durchaus bramatifch entwidelt (ich 3 . B. bie fjanblung im 
Kampf mit bem Drachen, Kinb am Brunnen, (Etnfts „Himm Hlafen" ift bet letzte fltt einer 
©fetfuchtsttagöbie. Hbamiffo bat „Die Sonne bringt es an ben Hag" als fcbrittroeije (Ent* 
büllung eines Raubmotbs anaiytifch gebaut. „(Etllönig“ ift ein epifch gerahmter Dialog; 
Das Schloß am Rteet ein teinet Dialog, Der 3aubetlehtling ein IRonolog. So führen oiele 
Ballaben unge 3 toungen 3 ut flftbetit bes Dramas. 16 ) 

3. Hin $aftnachtsfpiel oon fjans Sachs tonnte ootbet gelefen unb aufgefübtttoetben, 
3 . B. Sabtenbe Spület im patabeis. Rofebieb. Hattenfchneiben. Kälberbrüten. Hbenjo 
Storms Rtärchenfpiel „Schneewittchen". 

b) $ür UIII unb 0III finb an äufeerer ^anölung reiche Stüde 3 U beooQugen, 
3 . B. Schönbetts „(Haube unb Heimat", Cubwigs „Horgauer Jjeibe", < 5 tillpat 3 «s 
„Der Htaum ein Ceben", fjarlans „tlümbergifd) ©". 3n Uhlanbs 18 ) „fjet 3 og Hmft 
oon Schtoaben" fdjlägt ber bramatifche puls 3 U matt; in Kötners „3riny" finb bie 
©eftalten untoabt heroifiert. <5. IDenbt irrt, wenn er annimmt, bafj „ber IRangel 
an eigentlich fpannenbet IDirtung ben Spülern noch wenig fühlbar wirb". 0 er 
3 ugenb bas Befte! 



Don 5*01*3 Sdjna| 


83 


£efyrfteifpfel für u lll: roiiheim Gell, i. ait. 

Die Schüler haben den Auf 3 ug ju Qaufe 3 m eimal gelefen. 3n 6 er Stunde gebrauchen fie einen llejt 
mit Derf^ähiung und einige Buntftifte. 

Richtlinien: Oie Befpredfung be}roedt 1. eine ©efamtauffaffung bes CEjpofitionsattes, 
Me bem Sinn bes <San}en entjpricht; 2. eine (Entwidlung aller ©efichtspuntte, bie im Saufe 
bet weiteten Seftfite gebanflid; s !ün{tlerifd)e EDefen$ 3 üge bes Dramas erfaffen foUen. 

Einleitung. IDann wirb ein ©ejpräd) bramatifd}? Aufeinanberplatfen gegenteiliger 
Meinungen. Auf ber Gribüne im Sitjungsfaal! tDo IDiUe toiber tOille fteljt, füllen mit uns 
gefeffelt. Kämpfe, 6egenfät$e finb bie Seele bes Dramas. 3ft es bie aufführbare Kampf* 
banblung entgegengefefct »oüenber Petfonen ober Parteien, fo mufe ber 1. Alt einführen 
in bie fjanblung unb ©egenhanblung. (Dbfett unb 3iel bes Kampfes im Seil »erben an ber 
fjanb 3 ugemiefener Stellen entwidelt. 

tPie nennt IDaUer Sürft 3roing«Uri? VI,72: »Grad ber Stetheit* Oie begründet UtflCbthal feine 
Sorge um den Dater? 29: „Der Dogt ift ihm gehfifftg. weil er ftets für Recht und Stetheit redlich h«* 9«* 
jtritten. II, 70 Gertrud 3 U Stauffacher: „Dir grollt beT Candoogt . .. denn du btft ihm ein fjindernis, dag 
(ich der Schwerer nicht dem neuen fürftenhaus min untermerfen.** 3um Schlug (lagt Rtelchthal „DUnder, alter 
Dater! Du fannft den Hag der frcthett nicht mehr fchaueit.“ (Das 3iel!) — Ergebnis: Kampfobjeft 
ift die von Öfierreich bedrohte freiheit der Schn>ei 3 er. 

EDet fteljt fidj gegenüber? $rembe Unterbrüder unb Dollsfühter. tDas fidf auf jene 
besiegt, ftreidjen mir am Ranbe rot, bas ©egenfpiel blau an. An ber ttafel entfteht eine 
Überfidjt: 

1. Die ©emaltherrfchaft ber Dögte. 

IDas foUen fie? II, 42: »Des Kaifers richterliche IRadft oorftellen im'Sanöe." II, 8: 
3I;t hartes Regiment liegt mie ein bumpfer Drud auf bem Canbe. Hadpoeis. 

a) 1,77: Per WolfenfAtegen auf Rogberg. Wo? D. 100 : „tfafs laug oerbtent um’* DoB non 
Untermalden. 83: fch&ndet Baumgartens Cgre und fein tDeib. IV, 47: Bis in das 3imerfte der Käufer 
bringen die Boten der (bemalt Genauerer Bericht des Dorfalls, D. 90—97. Wo miederholt? IV, 87—93 
(burdj Stauffacher). 

b) I, 170: Des Candenhergers Reiter. 178: 5alU in ihre Werden, die Qfitten reigt ein und fd)lagt 
nieder! II, 100 : 3eber flfdjerfahn oerffindet neues Unhetl und (bemalt II, 8 , 107: OChfenraub. H, 112—120, 
147: Blendung und Beraubung des alten IRelchtbaL 

c) II, 48—53, 78, 87: (Begier oon Kügnad)t beleidigt Stauffach et. 

d) III, 7, 15, 30. 95 : 3ming*Urt fronnogt treibt Greife an, Hob des Schieferdeckers. UI, 41—46, 54, 
60: ftmachooiles Qutedttt. 

(Ergebnis: Allgemein bie ©egenfätje nennen: Bosheit — Cauterleit, $re»el — Recht, 
Tyrannei — Steilheit. Die Unterbrüdung medt (Empörung, bie (bemalt — Auflehnung, 
ächtet barauf, mie beibes parallel geht! 

2. IDiberftanb bet Schwebet. a) Dollsftimmung. 

_ I, 100 : Der (mit der Rft erfChlagene) IDüterich hat nun feinen Sohn. II. 2 mahnt Pfeiffer: Schmärt nicht 
3« GftemiCh« H, 94—98: Gertruds Rat III. 21: Spott der Gefeiten: Bttt diefem ffüusleitt mollt ihr Uri 
ptngen? 25: frdtheitsftolie ©orte des Steiitmeg: den tjammer merf ich in den tiefften See . . . 49: Als 
der Ausrufer das Qutgebot oertündet, lacht das Dolt laut auf. IV, 257: So oerabfeheut tft die (Tyrannei. 

(Ergebnis: IV, 39—40: Die Gyrannen teilen fi«h bie fjänbe ... Sie lehren uns, mas 
mit tun follten. 

b) Die Sührer bes Dolles. 

IV, 247: IDie »erteilen fie fid) auf bie Kantone? Drei typifche Dertreter ber ©efamt* 
h«it. £ebensalter? 

1. Unterroolitn — OTeldgttial: 3fingltng — feurig, tgigig, fl^omig, feiner frlbft ntdgt Qerr. IV, 12, 
24, 176* 

2. Si|tDt )3 — Stauffad)er: tttann — ernft, befonntn. geartet. 

3. Uri — malt ber Sfirft: (breis — Dorfidgtig, nftrbeooU, meife. Regt bie RfttlibefpreAung an. IV, 
2M, 276f., 284. 

OenDanbtfdgaftsoerlgälhiis tu Bell? Benetfe, baft er fein SCgmtegeroater ift! IV, 97: „Cuer Clbam !}<it 
“I# geflfid)tet .." — »erfdgieben tm Temperament! «Einig in freiqettsftoljer »aterlanbsliebe! 

Deutlich erlernten mir bie Steigerung ber Dollshanblung: (Erft macht fich jebet 
«Hein feine ©ebanlen; ftilles Raunen 3 roifchen Wann unb $rau, oerfdfmiegenes Beraten 
bet ©efinnungsfreunbe, nächtliche 3ufammenlunft ber Canbsgenoffen (ber Kreis 
erweitert fidj!). IHe fjanblung geht oon ein 3 elnen auf eine Itlenge über. Rlit Schillers Seil 
beginnt tn unferer £iteratur bas 


6* 



84 


3ut Dtamenbef)anMung 


Rlaffenbrama. 

Oie Ittaffenfeele ift nicht einfache Summe bet (Einjelfeelen. Das Qanbeln einet (Sejamt- 
helt hat eigenes ©eptäge. 

1 . IV, 202: 3eber roagt mit $reuben £etb unb Blut, roenn er am aitbem einen Hülfen feat nnb Sdjtrm. 
$o »erben fie einer burife ben anbent ftarf. Alle für einen, einer für alle. Sie feanbeln folibartfife. 

2 . IV, 79: 5tei mar ber Scferoei 3 er von uralters ber. tPtr jtnb’s geroofent, ba| man tm$ aut be* 
gegnet. Born Boben bes Altfeergebraifeten roelibt ein DoIb ungern ab. Hur ferner reifet fl<fe em tBe* 
metnfefeaft los von überlommenen Andauungen unb duftänben. ntefets Heues mollen bie S<feroet 3 er erfämpftx 

(Ergebnis: 3*»«i fojialfeelifc^e Rtotioe, SoübatiiSt unb (Etabiiion beftimmen als 
Qauptyebel bie Doüs^anblung. Derfolgt, wie beibe Kräfte fidj auswitten! 

3. Seil, a) Sein ^anbeln. 

I, 127. SpreAroetfe: roorttarg, nflifetem. H)o alle ve^agen, baubeit er entfcfeloffen. 139: Ber braoe 
Hlann benft an fkq felbft 3 ulefet — Bas fltngt roie ein morafififeer ©runbfafe, bem er als Hä^ftenliebenber 
ftets folgt Aber biefer allgemeine Safe roirb alsbalb eingefcferänlt. tDeldjen Auftrag gibt ©. bem feilten, 
als er bie gefaferooHe 5<*fert roagt? 158: 3$ feab’ getan, roas iefe niifet laffen tonnte. — Barauf fommt es an. 
Hiifet unter irgenbeinem angelernten, äufeent, fittlicfeen 3roang, fonbern aus innerftem Brgng feeraus bat er 
ben Sanbsmamt gerettet. Als ©atmen fefe feanbelt er fraftooll, ofene liefe burife langes Überlegen unb Üb* 
mögen (ob er niifet ©ott oerfuQt, ob es feeute Simon unb 3ubä ift, ob er ftQ ben Seinen erfealten mufe, ob 
er fd niifet ben Bögten oerfeafet maefet) unfiefeer 3 U macfeen. 

Seils IDefen enthüllt fidj uns weitet in bem ©efptäd} mit Stauffa^er. 
b) Sein unpolitifches Oenlen. 

III, 80—93. Cef ent feebt bie ©egenfäfee feeraus! 3 ufammen — elnjeln, gemein - fiefe felbft; »er* 
bunben — allein; Baterlanb — Sreunb. ©rgebnis: ©eil roill niifet mit anberen oerbunbett, ntefet burfe an* 
bere gebunben fein, ©r roill in feinem ©eroiffen nur fiefe felbft ocrantroortli* fein, ©r unternimmt leinen 
©egenftoft, bis ihm roas gefefeiebt mit bem Abftraftum „Baterlanb * 4 roetfe er ntifets an 3 ufangen; ber Begriff 
Ieuefetet tfem niifet ein. Aber feinen Sreunben, bie er jiefet, roirb er ft* niefet ent$ie|«ii. ©. ift lein Bolls* 
rebner. mit Dielen einen feierlicfeen Siferour 3 U leiften, rotberftrebt feiner Hatur. Umftanbliifees Reben, feeim* 
liefe es planen. Beraten unb ©rroägen liebt er niefet ©r ift ein treuer Bater unb 5reunb, lein Patriot ©r gefet 
feine eigenen IDege. 

(Ergebnis: Oiefe {Trennung oon Dolls* unb ©ell^anblung beleuchtet bas Ijauptthema: 
fittltches Der^ältnis bes einjelnen 3 ut Allgemeinheit. Um biefet 3bee willen hat Stiller 
bie in ben fchwefeetifchen üellenjpielen oorljanbene „(Einheit ber fjanölung" aufgegeben. (Es 
ftagt fid?: Kommt Hell mit feiner Anfdjauung öurdj obet nicht? IDirb rticEft Hell, ohne ba| 
et's will, bem gan 3 enOoIf ben größten Dienft leifien? Sieht et fidj ni©t oieUeid^t 3 U einer 
fdpoeten (Tat genötigt, von beten Derantwortung ilpt nut bie 3 ujtimmenben DoIIsgenojfen 
entlüften lönnen? 

3üge bes Umweltbtamas. 

Bie Spüler uerfefeen einige feeftfeiten mit ben erforberltcfeen ©etlüberfefertften, fammeln barunter bas 
paffenbe unb ftellen bas ©efunbene naefe beenbeter Celtüre georbnet bar. Alfo burefe Analofieren *ur Sqntfeefe! 

Bie ausfflferltdjen Bfifenenanroeifungen! ©enaue Angaben ber S 3 enerte, lein Betroerf, niifet blofje 
Augenroeibe, fonbem roefentUifees ©Ueb ber feanblung. Ceben unb Art eines Bolles entroidelt fiefe aus bett 
natürltcfeen Dafeinsbebtngungen. Ausffiferlicfe unb getreu fefeilbert fie ber Bicfeter auf ©runb fleißiger Quellen« 
ftubien. 

Hatur. I: Seen, fltatten, (Eisgebirge. 1,25f.: (Es öonnetn Me Ijöh’n ..58, IV, 191: 
©emfen, 1,110: S<>h*t, 115: Seefturm; IV, 138: Alpenglühen. Das „Htilieu" eines Doßes 
nennt man beffet feine 

Umwelt Oet Kulturhiftoriler U). Riehl rechnet Öa 3 u n 4 S.". IDit machen uns Mefe 
Elemente burch $arben lenntlich (oiolett, braun, gelb, f<hwat 3 >: 

1. Stamm, a) CEigenWaften: II, 60f., 135, 147 foodrä« 3 tge Stauen). I, 47 (abttgMublldi). II, 62Pietät, 
©ferfurefet vor ben Pergamenten. 1.IJ, 25: 5 reifeeitsftol 3 . 

b) ©rroerb$ 3 roeige: l 5if<fecr, ifirt, 3ägcr. 40—45: roetterlunbig. 

c) Stänbififeer Sroiefpalt: H, 154. III, 102. Bie Qtlfe ber Abeligen roirb fiferoff abgelefent M ©efet, wir 
roaren frofee menfQen, eb' ifer lamt." IV, 234: H>as branefefs bes ©belmamts? 

2 . Spracfee. IHunöartlitfee Ausbrücfe: 1,15: Senne, 21 : matte, 35: lPerai, Kuobi, Kuoni, Seppi, 3«*^ 
Haue, 5im. 46: lug 51 nit II 5. 

3. Sitte. III, 71: feuernden bei $5fen. 11, 6 unb 161: ©aftfreunbfQaft. 

4. Siebelung. 1. Dürftige 5if<feerfeütte am Seeufer; Dörfer unb ©tn 3 elfeöfe. II, 21—31, 165, IV,62: 
Stauffacfeers Efaus, baoor bie Sinbe mit Bant. 

Afthetifche R>üt 6 igung bet 1. S 3 ene. 

Sqmboltl a) bes SanbfQaftlicfeen; b) ber Qanblung. 

a) metfterfeaft ift ber ©tnfafe, roie ber Auftritt ibqlltfdtfrdfeltife anfeebt mit ©efang unb barmontfifeem 
©el&ut ber ßerbenglocfen, roie bie liebitefee 5lur im feeitem Sonnendein lacfet unb leuifetet wie fi* oa«n 
plöfettife — Stimmungsumfcfelag — bie Canbfifeaft oerbüftert, roie CDinbftdfee ein 3 e*ne CDollenfefeen bafeet* 
tagen, roie es fiefe immer feferofi^er unb brofeenber 3 ufammen 3 iefet, bis ber roiitenbe Sturm losbrtcfet unb bie 
atefen bes Sees aufroüfelt unb bte Berge oon Iracfeenben Bonnerfcfelägen bröfenenb rotberfeallen; 




Don Sronj S<bna| 85 

b) iDie bann öießanölung gleich öem Unwetter f)eftig einfefet. Baumgarten, ber gebebte, flüchtige 
IRöröer, ftfir 3 t herein uno ftoferoetfe, feudjenb, nodj bebenb vor tPut berichtet er non bem fdfänblidien tDüftling 
tDoIfenjchiefeen unb feiner graufigen Hl orbtat. Die Verfolger finb ihm bidft auf ben ferfen. ßafttges 5Iehen, 
oenoorrenes Bitten, iammernbe DeT 3 ©eiflung. Da erfdjeint Hell. €r bringt Ifilfe in ber Ifödfften ttct, unb 
enblid) bie Btcrbbrenner, bie an ben Unfctülbigen ihre tDut auslaffen. Das alles führt mit einem Silage 
in bie groben <&egenjä%e unb ihr heftiges Hingen ein: £auterfeit ©ehrt Heb aeqen Bosheit, Sreilfeit gegen 
Hqrannet Der 5rieben ber tlatur unb ber Xttenfdfen ift geftört, bie Konfllüftimmung geweift: Das gan 3 e 
Dolf gilt es öureb bas tobenbe Hleer ber Unterörücfung unb (Entrechtung mit fieberet Kraft 3 U fteuem. IDirb 
er bas anbere (Beftabe öes Hechts unb ber $retyeit glücflid) erreichen ? IDann wirb ber Retter tommen biefem 
Canbe? IDirb oielleicht ber Prioatbelfer Hell 3 um DoHsbefteier ©erben? So nimmt biefe erfte S 3 ene bas 
<Ban 3 e in fqmbolifdfer Deriür 3 ung oorweg. 

Dorftehendes lägt fid) in 3wei Stunden bewältigen. Oie weiteten Alte werben in 
5—7 Stunden nach d e n f e l b e n ©efidjtspunften dur<hgefpto<hen, einige Pta<htf3enen 
fnapp gewürdigt. Da die Schüler nun genau wiffen, worauf |ie befonders 3U achten 
haben, darf ihnen 3ugemuiet werden, f<hon beim sweiten häuslichen Cejen felbfttätig 
Stoff 3um Ausbau der Analyfe 3U fammeln und ihren Beobad)tungsbogen ein3uordnen. 
3 n 2 —3 Stunden erfolgt ein 3ufammenfaffender Rüdblid. Oie äufeete Handlung ift 
jo einfach, öafe faum ein IDort darüber oerloren 3U werden braucht. Oas Sd)wierigfte 
ift die ©ntwidlung CEells, desftarten, felbftherrlidjen <Ein3eInen (fein Red)tsgefühl, 
©emeinfdjaftsibeal, Hotwehr des Datets, ausnahmsweife guter (Erfolg der Selbfthilfe, 
weil der Bund hinter ihm fteht). Heben diefem fittlidjen Problem mug die neu* 
artige fünftlerifdje Aufgabe betont werden, die Schiller mit der Derarbeitung der 
üellfage 3U lofen oerfuchte, indem et fowohl das 3 uftändliche in Hatur und Kultur, 
als auch Bewegung und EDirfung eines ©efamtwillens dramatifierte. Oarauf gründet 
fich die-befondere Iitetarifd?e Bedeutung als Blaffen®, Umweltdrama und gehalt* 
oolles Dolfsfthaufpiel. $üt Hlädchentlaffen empfiehlt fid) ein Detgleich der drei 
$rauen. Die eigenartige (Entftehung et3ählen wir fo, dag deutlich wird, wie es 
nur eines getingen Anlaffes, eines grundlofen ©erüd)ts bedurfte, um Schillers 
fd)öpfetif<he Kraft 3U weden, wie dann der tränte Hlann mit herrlichem Steife und 
herrfchetwillen die Poefie „tommandierte". Haldem das ©an3e aufgefagt ift, wird 
eine der fd)önften S3enen (II, 2, III, 3 oder IV, 3 ) mit oerteilten Rollen gelefen. 

©ewig weicht diefe Hlethode oon der üblichen fehr ab; doch Re wurde prattifd) 
erprobt. 3edenfalls ift es ein Rtigbraud), wenn man den Hell da3u benugt, den 
Schülern unfruchtbare Begriffe und ein Aufbaufdjema auf3utjalfen oder fie im 3 n* 
haltswiedergeben 3U üben. Solcher ©berfläd)lid)feit entgeht das EDefentliche. 3 rre 
ich, wenn ich behaupte und betlage, dag gerade dies XHeifterwert infolge feiner Popu* 
Iaritat durch unterrichtliche Derfrühung und Detäugerlidjung unoet3eihli<h leiden 
mug? 


tehrbetfptef für 0 III: Ij e yfes Kolberg. 

Dorbemerfung. Huf Mefer Stufe gefdfielft öle 3 entralanalt)tifd)e Durd)fpra$e evft, nadiöent öle SAüler 
Me galtDichtung 3 u fjaufe gelefen $aben. Die nur in groben 3figen fixierte Belfanblung trögt öes Dieters 
eigenem Urteil 11 ) Redjnung, öie (Ebaraftere feien bas Derbienftoollfte; metffobifdf möchte fie 3 eigen, ©lehn 
Sinne öer geiftigen Hrbettsfd)ule öer £ernpro 3 efj Öen Sdffiler öutäf Selbfttätigfett 3 ur Selbjtänöigleit 
ffilfrt, fo öag oon UII ab öer meifte Stoff 3 ur 3entralanaltffe oon Öen Sdjülern mittelft öer ipnen 
allen, gruppenweife ober ein$eln 3 uge©iefenen töefidftspunfte feibft Iferbeigefdjafft ©irö ©äbrenö öes 
ffäuslidfen (5an3lefens. Uber öes Dieters Derböltnis 3 um gef^icfftlidfen HoMtoff, über ©efülflsgebalt, Cparaftere 
unb Spraye Helfe 1). (Bio öl, Paul fjetffe. Kolberg. Itr. 15 öep £t)on|$en Slg. „Deutfdfe Dieter öes 19. 
3afyrbunberts << . £eip 3 ig 1914 2 , Heubner. (Heidflidf hiiifdf, aber mit trefflidpn metlfoöifdfen IDinfen. 3m Punft 
ber €tn 3 elerlöuterungen unö ber 3n^alts©iebergabe benfe idf anbers. Klein plan ift völlig unabhängig oon 
Gfoöl. HUe Sailen be 3 ieffen fidf auf öie <Eottaf$e Husgabe.) 

1. Dortereitrnöes. Um öas 3niereffe 3 U toeden unö Derftanönis für öie tjaupt* 
geftolt anjuba^nen, gelje idj aus uon Ijolteis Det$et 3 ä^Iung 18 ): „Der preufee in Ciffabon." 

3n öer Sdjülerbüdjerei befinöen fidj 3 eljn Stüd uon fj. <L Starten, Itettelbed 
(Defljagen u. Klafings Doltsbüdjer, Ur. 102). Diefe tueröen an fähige Spüler ausgeteilt. 



86 


«5ur Dramenbeljanbtung 


(Eitrige lefen bas ©attje unb berieten bet Klaff? übet Hettelbeds Ceben uttb tDefen. 
Sie fchilbem 1 . bett Seemann, 2 . ben Rtenfchenfreunb, 3. ben Patrioten. 

N (Ein anbetet 3ögltng fd^ilbert nad? S. 1 unb 16: Preußens 3ufammenbtu<h, 
Kapoleons Dorntarfch nach ©ften, Belagerung Danjigs unb Sicherung bet (Etappenftrafee 
nach Stettin burdf bie Sortnahme Kolbetgs. 

Aus bet Dichtung — bamit ihr ^tftottfc^ec dharattet eingefehentoirb — ergänje 
ich felbft, tnas brei anbere Schüler ausführen über: 

a) Starten S. 1, 17: Kolbetgs Sage: (Dftfeefjafen an ber Perfante V, 220; l, 136; II, 559. 

S. 6: Der Bürgereiö I, 204 f. 

b) S. 17t Befeftigung, Wolfbergf($an 3 € III, 111; IV, 71. 5u Kettelbed« Beriet über ben DerfaU 

($. 17 f.) ber Werte ftimmt, was fjetnrtd) I, 117f. unb ©neifenau II, 505 barüber fagen. 

c) Belagerung vom Htär 3 bis Juli 1807. ©reigniffe: 

S. 28: Sauenburger Dorftabt voreilig niebergebrannt II, 158 f. 

S. 30f.: Sdjreden ber Befd|te[jung lll r 228. 

S. 29: ©neifenaus offenfloe Uattif II, 1 38. 

S. 30: ©neifenaus 3ufammenarbelt mit ber Bürgerföaft II, 570; I, 401. 

3dj felbft toeife bie Schüler befonbets auf folgenbe Puntte hin unb lefe bie 3 ugehörigen Detfe. 

S. 3: rote IT. bei ber großen (Teuerung (1744) ben fjungemben Speife reidjt III, 73. 

S. 6: ber alte unb funge tl. unter ©enerat t>. b. ffepbt im Siebenfältigen Krieg II 415, 170. 

S. 16: 11. mit 55 Jahren oereinfamt; fonft finb IV, 306 irrefülpenb. 

S. 26: Derteiölgungsma&nabmen an ber perfante I, 5, 13—18. 

S. 21: wie lt. für Proviant forgt II, 341. 

S. 33: tute n. bas englifdfe irtunition$fd)iff etntotft III, 256, 259, 282, 423. 

S. 22: feine 3ufammenarbeit mit Sdjill, beffen Fortgang I, 143 f.; II, 15—23. 

S. 27: Brief an ben König 5rte6rl$ Wilhelm III. I, 374, 411 f. 

Kun fehen bie Schüler bie Berechtigung bes ditels „fjiftorifches Sdjaufpiel" ein unb ftofeen 
mähtenb bes Cefens nicht mehr auf fachliche Schurierigteiten. 

Weshalb tvar btefe mannhafte Derteiblgung Kolbergs ber öid)terifd|en Der!) errlldjung wert? 
Der ©ctft, ber biefe Keine Seefeftung hielt, führte fd)oit 6 Jahre fpäter 3 ur Dolfsbefreiung. Sieben bamals 
gute Deutfdje bie Köpfe hönfl««* weil glaubten, mit Preußens f)errli<hfeit fei’s enbgültig vorbei, fo weifte 
otefe tapfere (Eat im niebergefdjmetterten Dolf ben ©lauben an fich felbft unb feine 3utunft. ©ine Kation, 
bie fold)e männer hat, braucht no<h nicht alles verloren 3 U geben, barf nicht ver 3 tveifeln. So ent 3 Ünbete 
Kolbergs Ruhm ben tDunfch, bas naj>oleonifd)e Jod) ab 3 ufchütteln. Der erfte Stein 3 um befreiten Preu&eit warb 
hier gelegt von 3 wei BTännern, bie tüchtig unb tapfer, treu unb fromm. Hug unb tüljn bem übermächtigen 5einb 
trofcten: ©neifenau. ber friegstunbige. 3 ielbewu|te IKafor, Kettelbed. ber fernige, brave Bürger. Dlefen 
beiben fernbeutfehen Qelben fefct bie Dichtung ein Doppelftanbbilb. vergleichbar bem Kolberger Denfmal (1902 
errichtet, ftbb. S. 29 bei Starten). Ijört, wie Subw. Qäuffer über Kettelbed, biefer über ©neifenau urteilt 
(Starten S. 33). 

(Eine Sdjületgtuppe übernimmt es, toähtenb bet Ceftüte befonbets 3 U beachten, u»as 
bet unetmübliche, greife Kettelbed füt feine Bürget tut; eine anbete Arbeitsgruppe 
verfolgt, toie fich ©neifenau als Krieger unb als Ktenfch 3 eigt. 

Anregung 3 ut prioatleftüre : ©btoohl „nid)t fijc mit bem Schriftlichen", begann 
ber 80jährige Kettelbed hoch noch ein Buch über fi<h felbft 3 U fchteiben, bas in lebenbiger, 
bilbhafiet Sprache fein £eben fo ehrlich unb befcheiben, frifch unb feffelnb et 3 ählt, bafe uns 
aus biefem nun 100 3ahte alten Buch feine lautere, tüchtige Perfönlichteit toie im £eben 
greifbar nahe tritt. Keue Ausgaben in ben Büchern ber Hofe (£angenroiefche*Branbt). 


2. Cefeaufgaben. a) Alle Schüler müffeh 3 mei ©efi^tspunlte toähtenb bes ®an 3 * 
lefens im Auge behalten: 1. Derfolgt, toie Heinrich Blanl, ein ebler, aber oerblenbeter 
3üngling, fich vom Weltbürger unb Kapoleonsf^märmw 3 um Patrioten unb fjelben cn * 5 
nudelt; II. beachtet, toie bei allem (Ernft boch auch ber fjumot 3 U feinem Recht gelangt. 
— b) Drei Schüler führen eine fpradfliche Beobachtung burch unb fammeln in einet dabelle 
1. Kraftausbrüde („Bomben unb ©ranaten"); 2. tDortfpiele („Bonaparte, toas gan 3 Apartes") 
3. plattbeutfche Ausbrüde (fchroögen, fij); 4. oolfstümliche IDenbungen („(Einen beim VOiäel 
Wegen"); 5. $rembu)ottumfotmungen (mifetablig); 6 . aus bet Seemannsfptache („burch 
bie Stabt lotfen", „im Schlepptau mitgehen"); 7. bilbliche Rebe („ber Kamm fch»oll", 
. „Sufegeftell feines Ruhms"). 


3. Verarbeitung bes ©efunbeneu. a) (Eine Derftänbnisprobe ift in Olli noch 
erforberlich. 

I. fltt: IDas erfahren wir über bie 3eittage? 0. 135,260,517-52«. ffandtung? n.oertynbertdteooi« 
Kommandanten be|d)lo|[ene Kapitulation (I, 4), wird amtiert. Da (eine Blttfärlft befdjlagnaljmt wird, et« 
Bofe felbft nad) Rlemet, um fjUfe für ttjre Daterftadt 3 U erflel)en. 

II. Alt: Aus Danzig ift omeifeuau als neuer Kommandant eingetroffen, hinter den flcü die gan 3 e tcurg« 
fdjaft fteilt (554 f„ 74;, Rofe berietet llfre erfolgreiche Rudten 3 378 ff. Knttteloerfe ber Stammtlfajf 3 < n «! 




.Don Sd)naf) 


87 


III. Äft: IDIefo oerf<hle<ht«rt fid) Mc tage? P. 3, 4% 116, 196: Prooiant und Dulder feblett. 265, 342: 
Danzig ^at Kapituliert. CDU wirft wneifcnau? P. 108 j., 168, 350. Ilettelbeds DcrhäUnU $u 4m? 105 f., 202, 
216—220. 

IV. AKt: Cage? P. 7, 25, (41) f&were Befdjte&mtg, Rathausbrand. ffineifettau: P. 17, 49. 61 f., 1!6f., 
266f. prächtige Krieg$ratf 3 ene IV, 9. Cefen! $rudjt feines tDirtens? Off^iere. Soldaten, Bürger fteben treu 
hinter ihm, der Unterhändler wird fortgefandt. (Ergreifende Rede des Rettors über die Spartaner bei(tf)ermo* 
pglae. Uettelbecfs furbitte für Qeinrid) 102, 120. 

V. AKt: Während die 5rauen flüchten 20» fcharen fld* die Bürger um Hettelbe<f (134). P. 194: Kano* 
nade, 126 f., 300, 304 f. Dammburdtftid). Den pldtilid)en 4>efed|tsabbru$ ertlärt XL 312 ff. Qeinridj, der Befreier. 

fjiitweis auf 'cpifche) (Ergänjung der Handlung 1. durch Bericht ($. 16 U. beim Kommandanten; S. 59 
Rofe beim Köntgspaarj; 2. durch (Eeichof Kopie, S. 131, 136, 138. 

b) 3u ben beiöen füStenben ®efi<htspunften: 

I. Qeinridfs (Brüning I, 42 . III, 400. Wie entftand feine Perblendung? S. 8. 14. 20 , 50—52. Seine 
Dtutlofigfeit <71), (5roll über den nuftlofen UHderftand (81, 86); wie er ITUesmachet aufftadteU (87) und fid) an 
(bneifenau fdjroer ©ergebt (III. 9 lefen!) Starrfinn oor dem Kriegsgeridit (104), unbeugfamer drofc (106). 
titteifenaus tluge Strafe werft feine Selbfta^tung (117, 129.f), Reue, 3 um Schiliften Korps <130;, Heldentat 
und (Eod (141). 

II. Eiumoriftifrfi wirft: a) manches Kraftwort tlettelberfs, I, 222; IV, 42. 483f.; V. 213; III, 348f. 
ß) Per neugierige Kellermeifter II, 2, bef D. 61. tDadttmeifter IPe^er IV, 1. y) Per fffedertstanifte derbe 
3noaIide IDflrges II, 208f.; III, 148-185; IV, 327; V, 89. 109, Ul. cT) Per warfere Reftor 3ipfel, eine 

tapfere deutfte Seele, tro&dem er gern lateinert II, 231 f.; V, 107f.; II, 109, 111; II, 290f., 327; 

c) fluffat}*Dorbereitung: Hofe Blan! — ein öeutfdjes Rtäöcfjen. 

UMe urteilen andre über fie? I, 228; IV, 220; V, 55; I. 31. 

Wlt empfindet fie die Rot? I, 23. 35, 404. 571; II, 399f., 430; III. 346f. 

Als Sdtwefter; Derfjältnis 3 U Ihrem Bruder: I, 176; V, 176, 155, 132. (Erofcdem I, 42, 79; UI, 422; 
IV, 183f. 

Als ttxhter fleht fie treu 3 ur mutter: V, 35, 234. Audi §itv bewährt fft Qeqfe als Schildern einer 
$rauenfeele. 

4. flbfcSliefjenöes. ^eyfes nun fdjon übet 50 3aSte altes Sdjaufpiel S«t in ben 
Kriegsjafyten bie ®emüter geftärft unb erhoben. nicht nut fdjten manches IDort wie für 
biefe fdjwere 3«it geprägt, bet ganje ®eSa!t tarn bet Serrfchenben Stimmung fo entgegen, 
bafj et begeiftette unb tröjtete. Dom $teiSeits!rieg 3 utüdblidenb, für ben (bneifenau bäs 
heer fd)uf unb als Blüchers „Kopf" (©eneralftabsdjef) ffitofces geleiftet hat, legte bet Dich* 
tet bem $elbSenn propSetifcfje Worte in ben ITIunb IV, 404—418. Dem greifen Rettelbecf 
roat es nod} oergönnt, biefe Befreiung bes Datetlanbes unb ben Stuq Hapoleons mitjuer* 
leben. Als abet fjeyfe 1868 fein Siftotifches Sdjaufpiel in ein mannhaftes ®ebet austlingen 
Hefe V, 348—354, tonnte et freilich noch nicht ahnen, baf} bies fdjon $wzi 3ahre fpätet glänjenb 
erfüllt toetben follte. Ceiber toat es ifjm nicht mehr belieben, biefe Sinteiftenbe Stimmung 
eines „treuoerbrüöerten Dolts in Waffen" beim Ausbruch bes tDelttriegs 3 U flauen. 3m 
flptil 1914 ift bet Sochbetagte Dieter an einet £ungenent 3 ünbung geftotben. 


4. tltethobifche ShQelheiten. Wie roeit eine Derftänbnisprobe ber in* 
Saltlichen ©efdjeijmsfolge (burd? Kernfragen) nötig ift, Sängt oon ber geiftigen Reife 
bet SdSüler, oon bet flrbeitsgewöhnung unb 3 u»etläffig!eit einet Klaffe ab. Don 
UII an müfete fie entbehrlich toetben. Unerläßlich fcheint mit nut bies (Eine: füt 
bie häuslicheDtamenlefung erSalten bie Spüler burchgehenbe ©efidjtspuntte, 
bie bewirten, baß iSt Seift nicht nut bem Stofflichen pethaftet bleibt, fonbetn bem 
Wefentlichen unb Wertoollen ftch öffnet. ©Sne foldje, eine ©efamtauffaffung an» 
baSnenbe Denfrid}tungen mütbe ben jungen Cefetn bas Wichtige, <Entfd)eibenbe 
entgehen, toie Sanb butdj bie gleitet. Die unoetfnüpften (EinjelSeiten oet» 

mitten unb oettoi(<hen bas ©anjbilb. (Es ift oiet getoonnett, toenn fd}on bet etfte (Ein» 
btud oom Sinn bes Weites butdjfättigt unb etleudjtet toitb. Die bet bas be» 
jtoedenben Cefeaufgaben toitb nut fachlich, nicht metSobifch beftimmt; benn mit 
„Schulaufgaben“ gewöhnlichen Schlages haben fie nichts 3U tun. Weil bie geiftige 
Spannfraft befchtänft ijt unb bie Hufmetffamfeit an Schätfe einbüfet, toas iSt Selb 
an Weite gewinnt, gebe i<h in bet Reget bet ganjen Klaffe nidjt meSt als 3wei butdj» 
jufüStenbe Ceitgebanten. (Erfotbett bas Dtama no^ meht, bann übetnehmen fie 




88 


3ur Dramenbehanbfang 


bie Spüler gruppemoeife unb ergäben wedjfelfeitig ihre Beobachtungen. 3 m gün= 
ftigften $alle bedt ftdj Mefe Derteilung an alte unö eht3etne mit ben Jjaupt* unb 
Hebenmotioen. ©erabe foldje Arbeitsteilung regt ben tDetteifer an: iebe ©tuppe 
möchte ihre Sonbetaufgabe am beften löfen. Die Klaffe fühlt fidj als eine ©emein* 
fdjaft, beten ©liebet einanber bienen. X)a3U noch ein arbeitstechnifdjer IDint (Es 
empfiehlt fid} bet ©ebrauch flatet Abfindungen für bie ©etfdjiebenen ©efidjtspuntte, 
bie tafch am Ranbe oermerft toetben tonnen. So toitb bas Cefen nicht butch vieles 
Ausfcfjteiben geftört unb bie nachfolgenbe 3 ufammenftellung erleichtert, ohne bafe 
bie $ühlung mit bem Sept oerloten geht. Bei bet „ 3 ungftau von Orleans" liefe ich 
3. B. oon allen Schülern ©erfolgen: 1. inwiefern bet Untertitel „romantifch" bered)* j 
tigt ift; 2 . wie Johanna als rounbertoirtenbe ^eilige in btei typifdjen Stufen fich } 
entwicfelt, berufen, geprüft ©erflärt wirb. Die Bud)ftabenfigel bafür waten R 
unb Hj, H 2 , H a . Daneben tonnten ein3elne einen hoppelten, mobemen (Einfdjlag 
oerfolgen, bas 3 tx>iefpöltige bet fjelbin: unb bas nationale Ittotio: n. 

natürlich wirb bas fo (Erarbeitete nicht aufgabenmäfeig wie gelernte Dotabeln 
„abgehört"; bas wäre wenig antegenb. An bet paffenben Stelle gliebert es fich 9°©} 
3wanglos bet 3 entralanalyfe ein, beten ©ebantengang bet Xehter beftimmt. Dieles, 
was bet Dichtung nicht entnommen werben tann, bleibt hin3U3ufügen. Damit ber t 
©ebanten3ufammenhang nicht leibet butch 3«tfchneiben infolge ber tur3en 3 «t 
finb füt bie ©berflaffen 3wei aufeinanberfolgenbe Deutfchftunben wün* 
fchenswett. 

Schüler unb £el)ter finb leine Dorttagstünftler. Deshalb ift 0. Räumers Dot* 
fchlag, bas Drama nur 3U lefen, oerfehlt, (Erft nach bem has ©003« oerftanben ift, 
wirb eine befonbers fetjöne S3ene, etwa ein bramatifches Anfchwellen (wie Kabale 
unb Siebe II, 7 — 9 ), mit ©erteilten Rollen gelefen. ©ebanflich wichtige Svenen ober 
Seile baraus werben in bie Analyfe oerwoben, 3. B. in bet Agnes Bemauet bas 
©efptäch 3wifdjen Kahler pteifing unb h ct 3©9 Albtest (III, 10 ). (Einige Dramen 
erforbem neben ber Derteilung oon ©efichtspunften eine (Einführung, fei es in 
bie 3 citoerhältniffe (ITCinna oon Bamhelm, (Egmont), feien es Mitteilungen übet 
bie Ijauptperfon (Sappho, Maria Stuart). Sür fie gilt: je tnapper, befto beffer. \ 
namentlich bei hiftorifehen Dramen liegt bie ©efahr nahe, 3U breit 3U werben. Kein , 
3U profaifdjer Auftaft! 3 n anbem $ällen ift es angebracht, erft ben Rohftoff mit* 
3uteilen, bie (Duelle ober bie Dorlage, bann heroorjuheben, was batin unbramatifch, 
blofe traurig (ftatt tragifch) ober fittlich unbefriebigenb ift (3. B. in Schuberts St* 
3ählung bie 3U ungleichmäfeige 3 eichnung bet beiben Brüber, $iesfos 3ufälliges St 5 
trinten, bie bürftige Kriegsanetbote übet ben Prisen oon Jjombutg, bas Rohe her 
©ygesfabel bei Qetobot). Daburch wirb 3 ntereffe füt bie fünftlerifche ©eftaltung 
angeregt, bie folctje Un3ulängli<hteiten überwunben hat. 

Da 3 nl)altswiffen lein rechter Cefeerfolg ift unb bie Ceftüre auch tein „*? a P cn 
nach hem Ausgang" fein foll, empfiehlt fich ein oorläufiger Durchblic! burch hie 
fjanblung. Dann wirb bie Aufmetffamteit ©om Stofflichen entlaftet unb aufnahnte* 
willig füt bas ©ebanfliche unb Künftlerifdje. Rlit Recht weift S. Rüttgers 1 *) batauf 
hin, bafe bie Dramen bet ©rieten unb bes Mittelalters burchweg nur Stoffe formten, 
bie allen 3ufchauetn aus bet epifdjen Überlieferung belannt unb oertraut waten. 
„Sie gingen nicht 3U ben Aufführungen, weil fie neue ©efchichten erfahren wollten, 



Don 5ran3 Sdjnaß 


89 


fonbetn fie erwarteten, durch bie Aufführung 3U einem neuen, noch ungeahnten, 
ftarten (Erlebnis bet belannten gobcl geführt 3U werben." 

(Es ift fein beoormunbenbes ©ängeln, wenn ber Cehtet bie Schüler nicht im 
Ungewiffen herumtappen läßt, fonbem ihnen auch für ihre Prioatleftüre unb Refe* 
rate fur3e IDinfe gibt. 

IDurbe einige 3 ahre fo gearbeitet, bann mögen Oberprimaner oetfuchen, eigen* 
tätig in bem Drama bie Seitgebanfen für eine grofftügige XDürbigung au^ufpüren. 
Doch fei oor blinbem Dertrauen 3U bem RIobefchlagtDOtt Selbfttätigleit gewarnt! 
Unfer Dorttag macht bie Schüler butchaus nicht paffio. Angefpanntes ITCitbenten ift 
auch Selbfttun. Exempla trahunt! Rlii Rücfficht auf bie befonbere tDürbe bes ©egen* 
ftanbes unb bas reifere Alter benuße ich gern bie atabemifche, bo3ierenbe Sehr* 
form. 80 ) $ür einen gut burchgearbeiteten Dortrag finb bie Schüler banfbat. RTan 
lieht es ihnen ja ohne weiteres an, ob fie gefpannt 3uhören unb innerlich mitgehen. 
®em übernehmen fie banach etgän3enbe Referate. IDer ber reiferen 3 ugenb etwas 
(Tüchtiges bietet, werft ihre Schaffensfteube. Als Anfpom mag auch bie Ausficht 
mitten, mit bet beften Analyfe fidh in bet S<hul3eit|chrift gebrudt 3U feßen. 3 dh 
laffc ein literarifches Berichtbuch, bas ber Klaffe gehört, führen. (Es gilt als 
ehrenbe Aus3eichnung, feine Arbeit hitteinfehteiben 3U bütfen. Die übrigen höben 
auch wehr oon einem Schüleroortrag, ben fie in Ruhe nadjlefen fönnen. Um ber 
Qberbürbung oot3ubeugen, gilt ein gutes Referat als (Erfaß für einen Auffaß. — 
Dereint mit bem Rlufif* b3w. ©efanglehrer fann man für bie (Dberllaffen über ein 
Drama eine IDeiheftunbe oeranftglten. 

Um einmal unfern Schülerinnen eindringlich 3 U©emüte 3 u führen, wie IDagners fdjaffen* 
bet ©enius uraltes Sagengut aus epifchet Breite in padenbe Dramatif umfchmol 3 , mit mo* 
deinen 3been burchgeiftigte unb ins <Ett>ig*7Henfd}li^e emporläuterte, feierten wir gemein* 
fam einen Parfifalabenb. Die auf ber Orgel 3 U ©ehör gebrachte „©ralsfeiet" gab ben 
einftimmenben ©runbflang. Der Dortrag fchilberte IDagners Kunftibeal unb fein Derhölt* 
nis 3 U bem Parfifalftoff bis 3 U bem, feine neuartige ©eftaltung auslöfenben Karfreitags* 
etlebnis. Uun ertönte bet weiheoolle „Karfreitags 3 aubet", bet mufitalif^e Qohepurtfi bet 
tiefreligiöfen Schöpfung. Der Dortrag würdigte, was ZDagner als Dieter unb Denlet in feinem 
OTufifbrama ausgebrürft hat. 3n gefühlsmäßiger 3ufammenfaffung etllangen bie befeeienben 
Sebanlen in bem gegenfaßreichen „Dotfpiel", mit bem unfete 3 weiftünbige Seiet fchloß.' 

tDollen bie älteren Schüler ihr Derftänbnis bes Dramas fcßaffenb erproben 
durch eine Aufführung, fo oerfdjaffen wir ihnen mit Steuden regielunbigen Rat 

Die Berüdfichtigung bes Selbfttätigfeitsgrunbfaßes batf auch nicht ba3U führen, 
baß ein Drama für Rebeübungen unb Auffaßfehreiben ausgefehlachtet wirb. Schrift* 
liehe unb münbliche Ausbrurfspflege foll gewiß nicht 3U fur3 tommen. $ür beibes gibt’s 
Gebens* unb Sachftoff in hülle unb $ülle. Kunftwerte finb fein übungs* 
gelänbe. Das „$ruchtbarmachen" batf nicht unehrfürchtig werben. Schöningljs 
Klaffiterausgaben oer3ei<hnen 3um ©eil 123 , 3m Rtinna oon Barnhelm 79 Auf faß* 
themen! IDer in ber IRöglichteit, nüßließe Kenntniffe, Stil* unb Sprechübungen 
an ben Dramentejt „anfcßließen" 3U tonnen, ben bilbenben IDert ihrer Settüte er* 
blidt, follte hebbels XDort ernftlich erwägen: „Die poefie feßt bas, was man Bildung 
nennt, ooraus; fie foll es nicht bringen. Sie hat, wie alle Kunft, bas hohe Amt, an 
ben lUenfrfjen bie leßte tjonb 3U legen .... Rtan fann aus ©olb fogut ein ©rabfdjeit 
machen, als eine Rtonftran3; doch werben nur bie IDilben dies tun." 



90 


3ur Dramenbeljanblung 


lUctfcn bie Sdjüler öagegen, öa& bet Auffah nicht einfach eine „Sdjulaufgabe", 
fonbem eine fachlich gefotbette unb beshalb förbernbe (Etleitntnis* 
auf gäbe ift, bann bewältigen fie freubig biefe Arbeit. manchmal ftelle ich ein (E^enta, 
burd) beffen Bearbeitung alle Redjettfdjaft geben oon ihrer ©otalauffaffung, 3. B. 
Ceffings Derbienft um bas beutfehe Drama, U)efens3üge ber 3 ugenbbramen Schillers, 
©efühlsoetwirrungen in ben Dramen Kleifts, 3 bfens ©efpenfter — eine Kette tragi* 
{djer 3 ronie. — UTeift aber ftelle ich mehrere ©h emcn 3ut tDahb 3. B.: 

©gmont: ©echni! ber tragif<ben Derbüfterung. Paffen auf <E. bie Begriffe Schulb unb Sühne? 
©gmont als Seelenbrama bämonifeben Setbftoertrauens. Auch ©gmont, bas Bruchftüd 
einer großen Konfeffion. (Egmont als Doppelgänger ©oethes. ©gmonts ©ragiL Shafe* 
fpeare=(EtnfIüffe. IDas gefiel, was mißfiel mit? 

©ot|: Drei $rauenbilbet, eine oergteichenbe <Hf<tra?teriftif. ©St} — ein beutfeher Rtann. 
Siterarifdje ©igenari unb Bebeutung. Deutfdje Re<hts 3 uftänbe im 16. jahrhunbert. 
Blotio ber oerlaffenen Braut. 

Ptin 3 uon fjomburg: Als oaterlänbifches Seelenbrama. IDelche ©ntwidlung butdjlaufen 
Prin 3 unb Kurfürft? Die fittli^e 2at bes Prin 3 en oon fjombutg. Des ©rofeen Kurfürften 
©T 3 iebungsfunft. Der Staatsgebante. Das Cebensibeal. IDiefo bejeiebnet bes Sdjau* 
fpiels ©nbe bie ©eburt bes gelben? 3nroiefern bewegt fid? bie fj«nblung unb Stimmung 
in ©egenfäfcen? Der polare Rbytbmus. 

Rteifterfinger: IDie benft IDagner übet ben Konflift 3 wifdjen ©enie unb ©rabition? Das 
©ntfagungsmotio. fjans Sachs bei IDagner. Altnürnberger Rleifterfingertum in IDagnets 
Rtufitbrama. > 

[©Sticht unb gefchmacflos erfcheinen mit 3 U geroaltfame ober äußerlich aufgefif<bte 
Parallelen, 3 . B. Paufanias unb IDallenftein. £aby Rtacbeth unb ©räfin ©er 3 fy. Alba 
unb ©ctaoio. Rübiger non Bedjlern unb RIaj Piccolomini. 3roei beutfehe IDachtmeifter 
(RI. 0 . B. unb ID. £ager). 3*oei ©aftroirte (RI. o. B., hetm. unb Dor.). 

Befonbers ftarle, literarifche Sntereffen oerbienen bur<b wahlfreie wiffen* 
fchaftlidje Übungen geförbert 3U werben. Der Arbeitsplan wirb gemeinfam be* 
taten. Der Cehret nimmt oortragenb unb tritifierenb teil. 

. 3eber ©eilnehmet erhielt früh genug ( 00 t ben grofeen Serien) eine fdpoietigere Auf» 
gäbe, 3 . B. ©rillpat 3 ers IDeltanfchauung in feinen Dramen. 3bfens Kampf gegen bie Selbft* 
fu<bt. Das ©eniethema in IDagnets Dramen. IDie {teilen Shafefpeare, ©oethe (©gmont, 
Sauft), Kleift (Robert ©uisfatb), ©tabbe (Rapoleon, fjnnnibal), £ubwig (Rtaflaböer), 
fjauptmann (IDebet) eine Rlaffe bat? Dramatifierung bes Agnes Bernauerftoffs bei ©String, 
©reif, £ubwig, Jjebbcl. Altmene bei Rlolibte unb bei Kleift. An 3 engtubers Dramen — 
ein Stüd Dol!set 3 tehung. fjebbels Anficht oom ©tagifdjen. — ©emeinfam würbe burch* 
gearbeitet a) als ©inielwert: ©oethes ©öt$: 1. Derhältnis 3 m (Quelle (Reclamtejt). 
2 . Dergleieh ber beiben $affungen (Urgöb, Rr. 160 Snfelbüdjer). 3. 3nnere unb äufeere 
©edjnit (Aufbau, (Drt, 3eii). 4. Das tragifebe Problem. 5. Det nationale ©ehalt. 6 . Rlotio 
bes ütanif(ben RIannes unb bes bämonifeben IDeibes. 7. ©reue unb Untreue. 8 . £iebe unb 
Sreunbfdjaft. 9. Kontraftierenbe ©haratteriftit. 10. Rachwirtungen oon ptutarch, Shale* 
fpeate, Rouffeau unb Berber im ffiötj. 11. Spraye: Dittion, biblif<ber Anflug, Alter* 
ähnliches, Rlunbartliches, fpridjtoörtlidje IDenbungen, Senten 3 en. 12. Kulturgef<bi<htK^ el 
bintergrunb. b) als ©ruppe: Das beutf che Sdjidfalsbtama. IDie biefe bead^tens» 
werte literarifche ©attung ber Rapoleonifchen 3eit entwuchs, würbe im Anfdjluf} an 
3at. Rlinots ausge 3 eichnete Arbeit gefchilbert. Dann {teilten wir gegenüber: Schillers 
„Braut oon Rleffina", bie eine Schidfalstragöbie fein foO, es tatfächlich nicht ift, «nb 
©rillpaQers „Ahnfrau", bie es nicht fein foQ, aber wirtlich ift. 3n ©in 3 elreferaten 
würben angeregt: ©iects „Karl oon Berned", Kleifts „$amilie Schroffenftein", IDemers 
„24. Sebtuat", piatens „DerhängnisooUe ©abel". Reuere Radjwirtungen fteHten oh 
feft in 3bfens „fjebba ©abler", RIaj falbes „©isgang" unb „Strom", hofmarms* 



Don Stans Sdptafj 


91 


thal , f Det Hälfet unö öle fjefe". Data« fdjlofe fid) ein fjinroeis auf öle ©tauen ein* 
fföfeenben Stimmungsftücfe IHaetetlinds unö ihre hilflos fd}t»ad}ert, oom üoöesjchicffal 
gelähmten Ittenfchen. 

ITtan fatge aud) nicht mit ©elegenheitsbelehrungen, 3 . B. 00 t einem 
<X^eaterbefu<^, bei einem Dicfytergeöenftag, bei Angabe beöeutfamet Bühneneteig* 
ttiffc (IDeöefinbtaufch!). Aus öet ©efcfyidjte unfetes Dramas, unferes Sweaters, 
©tttroidlung öes Schaufpielerftanöes, öer Bühnenfunft, H^eateräft^etif. Schrööet, 
Kaitt 3 . Deröienfte öer BTeininget. Dom „Staffen öes Sdjaufpielers": mie er feine 
Rolle einfüljlenö ertaftet, 3 erglieöemö »erarbeitet unö aufbauenö abfchleubert, 
toobei er in geljeimnisooller Detmanölung Öen eigenen Dämon fdjön entbinöet 
unö im Ijödjften Sdbftgenufe auf ©aufenöe befreienö mtrft (nach ©regori 21 ). 

Dramen finö Ausörud oon tDdtanfchauungen, nicht erflärungsbeöütftige ©ejte. 
©in Kunftroert ift fein Sdjulpenfum! Unfete jdjönften ©ragööien enthalten abgrün* 
öige Probleme. tüohl oerurteilen mir es, roenn öet Center einfad} über öie Köpfe 
binroegreöet. Der Dramenunterridjt foll aber auch jdjtoierige $ragen mebet über* 
gehen noch 3 U ftarf pereinfachen. Die Spület öütfen nicht öas ©efühl befommen: 
mm finö mit fettig öamit, nun haben toir’s „gehabt" unö reftlos begriffen. $tüh* 
reife ©rofeftaötjugenö gebäröet fid} leicht blafiert. Dem mehren mir, menn mir fie 
fpüren lafjen, öafc es ihr noch fetjr an Cebensetfafyrung, Urteüsfraft, ©efe unö 
Schärfe öes Denfens fehlt, öafj fie mithin nur eine ungefähre Ahnung oon öem 
Reichtum öes öeutfd}en ©elftes haben, öer in Öen Dramen mirft unö mebt, eingeöenf 
öet Stormfchen UTahnung: 

Kannft öu öen Sinn, Öen öiefe tDorte führen, 

UTit öeiner Kinöerfeele nicht oerftehn, 

So foll es roie ein Schauer öich berühren 
Unö rnie ein Pulsfchlag in öein £eben gehn. 

Sdhtiftemtadhwtis. 

1) ©ne temperamentoolle Kriti! gibt ®. 0 . ©teyet 3 , Der Deutf^unterridjt als tt)eg 
3 ur nationalen ©giehung, S. 296—305. £eip 3 ig 1914, Klinfharöt. 

2) ®. U)al 3 el, henrif Sbfen. 3nfel*Bücherei, Kr. 25. 

3) Die Stilprin 3 ipien öes germanifchen Dramas. 3dtfchr. f. ö. öeutfdj. Unt. 31. 3ahtg., 
12. fjdt S. 593—601. £etp}ig, B. ©. üeubner. 

4) h- €otnelius, ©ementargefetje öer Bilöenöen Kunft. ©tunölagen einer praf» 
tifchen Äfthetif. 2. Aufl. £eipjig 1911, B. <5. Heubper. Jj. IDölfflin, Kunftgefchi<htli<he 
©runöbegtiffe. münchen 1917, Brucfmann. p. Branöt, Sehen unö ©rfennen. Anleitung 
3 U oergieichenöet Kunftbetrachtung. 4. Aufl. Stuttgart 1921, Ktöner. 

5) Diel Antegenöes Öa 3 u bietet Dir. Dr. £orent) in £ambecfs „Philofophifher Propä* 
öeutif", S. 130—173. £eip|ig 1919, B. ©. (Eeubnet. 

6) Uber Öen motalpäöagogifch grunöiegenöen Begriff öes Summations 3 entrums 
oeigietche ©. Störring, Die Jjcbel öet fittlidjen (Entmidlung öer 3ugenö, S. 25f. unö 149ff. 
2. Aufl. £eip 3 ig 1919, ©tgelmann. 

7) Ruö. S*an 3 , Der Aufbau öer fjanölmtg in Öen flaffifchen Dramen. 1892. 

8) Arth- IDohlthat, Die flaffifchen Schulöramen nach Inhalt unö Aufbau. 1902. 

9) VO. Dilthey, Syftematifche ptjilofophie, S. 53. Kultur öer ©egenmatt I, 6. £eip* 
3 tg 1908, B. ®. Heubner. 

10) R. m. meyer, Die öeutfdje £iteratur öes 19. 3ahthunöerts, S. 331—352. Berlin 
1906, Bonöi. <E.hammacher, fjauptfragen öet moöernen Kultur. £eip 3 ig 1914, ©eubnet. 

11) ©.Sprengel, Das Staatsbemufetfein in öer öeutfehen Dichtung feit h*inri<h ».Weift 
(82 S.). 12. ©gän 3 ung$heft ö. 3*»tf<hr. f. ö. öeutfdj. Unt. £eip 3 ig, 1918, B. ©. ©eubner. 



92 


©efdjid)te öes Sdjrifttums 


12) ID. Hin fei, Oer ^umanitötsgeöanfe. Betrachtungen 3 « görberung 6 er Humani* 
tat (192 S.). £eip 3 ig 1918, meiner. R. Unger, Don Ilatljan 311 gauft. 3«t ®efd}. 6 . beutjd}. 
3beenbramas. (53 S.) Bafel 1917, Qelbing u. £id)ten^a^n. SeHr roertooll. 

13) 10. Ijans, Sd}idfal unb XDille. ©in Derjudj über fj. 3bfens töeltan[d}auung. (109 S.) 
münden 1906, Bed. 

14) firnft Rteumann, Syftem 6 er AftHetif, S. 113. £eip 3 ig 1914,- Quelle u. meyet. 

15) Oatenbetg, Oie Bailabe als Kleinörama. £eip 3 ig 1911, H)unberlid}. Streubel* 
Sdjnafe, ©ebid}tsbeHanblungen, Bö. I, S. 192—197, 269—285, 231—246. ©fterroied 
1920, 3WfeIöt. 

16) Dgl. öas Urteil oon 3 . <5. Sprengel, Oie neuere beutfdje Oidjtung in 6 er Sd}ule, 
S. 39. grantfurt 1911, Dieftermeg. 

17) p. fjeyfe, 3ugenberinnetungen unb Betenntniffe, S. 367. 

18) Streubel^Sdjnajj, ©ebid}tsbeHanblungen, Bb. I, S. 164—170. 

19) S. Rüttgers, Die Oidjtung in ber DollsfcHule, S. 421. £eip 3 ig 1914, Dürr. 3n 
anregenber gotm bietet foldje Dutd}blide ©tnft £inbes 3 uoetläffiget „güfyrer öutd; 
bie Oranten bet tOeltfiteratur. Ausgeumljlte BüHnenbidjtungen tm Aussug" (826 S., 
£eip 3 ig 1914, ©b. f). mayer), auf ben als braudjbarften £eHtbeHelf biefet Art emp* 
feblenb oetroiefen fei. 

20 ) 3d } oetmeife auf meine Beitrage in bet „£eI}tetfottbiIbung", 1917, Heft 11— 12 ; 
1918, Heft 1; 1920, Heft 4. 3eitfd}t. f. b. beutfdj. Unt. XXVIII, tjeft 11 u. 12; XXX, Heft 1. 
Päbagogifdjes Ard^m 1914, fjeft 9. 3citfd?t. f. lateinl. fjölj. Spulen 1912, Heft 1. 

21 ) gerb, ©regoti, Oer Sd}aufptelet (132 S.). Aus Ratur unb ©eiftesroelt 
Rr. 692. £eip 3 ig 1919, B. ©.©eubner. ©benba Rr. 230 ©Hrtft. ©aefybe, Das ©Heater 
»om Altertum bis 3 Ut ©egen matt (126 S., 17 Abb.). 3. Au fl. 1921. 

Bemerlung. 3u bet met^obifdjen Streitfrage „R>ie beljanbelt man ein Drama?" 
äußerte neuerbings Alf re b Biefe An fisten, bie mit meinen Dielfad} 3 ufammenllingen. 
— Sold; tueitgefjenbe Qbereinftimmung Hat mid} gefreut; bod} fei betont, öafo fie rein 
3 ufä 0 ig ift. Oie fymbfdjrift porftebenber AbHanölung mürbe ©nbe Auguft 0 . 3 ., einen 
Hlonat oor ©rfdjeinen uon Biefes RJegroeifer, bem Herausgeber biefes ©rgöt^ungs* 
Heftes eingefanbt. 

©e[d}id)te öes Schrifttums. 

Oon ttlaltlpx Hofftaetter. 

Der £iteratutuntetrid}t ift fidjet bas Sorgentinö aller DeutfdjleHrer, betten es 
roirflid} unt ©infübrung, ums ©inleben ber Schulet 3 U tun ift. ©s gibt ja fteilid} auch 
Heute nod} £eute, bie gebulbig Abfdjnitt für Abfdjnitt einer £iteraturgefd}id}te be* 
Hanbeln unb bie nötigen Sdjlagmorte unterftreidjen taffen ober bajufetjen, fo ba& Her 
Sdjüler bann getroft bie XOetsHeit feines £eHrers nad} Jjaufc tragen tarnt. IDas Hilf* 
aber fold} angelerntes tDiffen? Angefidjts fold}et BeHanblung ber £iteraturgefd}ldjte 
oerfteHt man freilid}, bafe Diele bie £iteraturgefd)idjte gan 3 ableHnen. Aber mit fol* 
cHer Ablehnung ift nidjts geHoIfen, mir bütfen auf bie £iteraturgefd}id}te nid)t per* 
3 id}ten, roenn mir unferen Sd}ülem roirllid} ein Bilb beutfdjen JDerbens unb lOefens 
geben mollen. 3 ®Geriet aber mufe man unbebingt feft im Auge beHalten: nur fein 
Syftem, in bem nun bie gef amte £iteraturentmidlung gegeben merben mufe (faft 
alle Sdjulliteratutgefdjidjten tränten baran, bafj fie meHr ober meniget Dollftänbig* 
feit erftreben), unb 3 um anberen: möglid)ft nur bas fudjen, mas fidj mit ben Sd}ülem 
erarbeiten lagt, mo man aber XDiffensftoff barbieten mufj, bann fidj mirtUd) auf fol* 
djen ©atfadjenftoff befdjränfen unb Urteile uermeiben. 

Danad) wirb bie £iteraturgefd}idjte feHr Detfdjieben gegeben merben, bet Unter 5 
rieht mirb abhängig fein oon ber ©igenart bes £eHrers unb ber bet Klaffe. 1003 « 



Don tDaltljer tjofftaetter 


93 


et felbft leiitc innere Stellung finben fann, was nicht mehr für ihn lebt unb was er 
btum auch nicht lebenbig mähen fann, bas foll bet Center auch nicht unter Auf* 
bietung fretnbet Urteile behanbeln — et wirb es ftteifen muffen, wo bie 3 ufammen= 
Ijänge es erfotbem, aber ben hauptwert wirb et auf bie 3 eiten beutfe^en ©elftes» 
lebens legen, bie tfjm felbft innerlich nabe finb (ootausgefetjt, bafe et nicht nur für ein 
einiges, Heines ©ebiet lebt). Aber ich fann mir auch nicht Dornehmen, wie ich mit 
einer netten Klaffe bie Citeraturgefchichte treiben will — bas wirb fi<h erft aus bet 
(Eigenart biefet Klaffe ergeben unb aus ber inneren $üblung, in bie ich mit iht fomme. 
Bei ber einen werbe ih fofort oerfudjen, auch bas ©inleben in bie literatur möglichft 
auf bie Selbfttätigfeit ber Klaffe 3U [teilen unb nut noch als ©rbnet tätig 3U fein, 
bei einer anbeten muh ich mid) mit bet gan3en Kraft bet perfönlichfeii einfetjen, um 
burch bas eigene ©rieben IRiterleben 3U weefen — auch biefet U)eg führt 3um 3iele, 
benn gerabe bet £iteraturunterri<ht hat ftarfe e^iefjerifhe IDirfung; wenn es bet 
£ehter recht anfängt, fo reifen auch finblihe Klaffen oon Stunbe 3U Stunbe. ©ine 
allgemeiite Dorfhrift alfo, nach ber ich unterrichten möchte, fann ich nicht aufftellen, 
ich fann auch — bei einer neuen Klaffe — mit bem berühmten plan nichts anfangen, 
ben iebet gute lehret für bie Arbeit bes gan3en Jahres in ben ©fierfetien aufftellen foll. 

Alfo nur ©efüljl unb ©jperimentieren? Hein, bas hoch nicht. 3 h meine, man 
foQ fich 3uerft mit ben Schülern 3ufammenlefen, foll fehen, wie bie ein3elnen fi<h 3Ut 
Cvjtif (teilen, wie fie ein Drama 3U etfaffen fuhen, wie fie ein et3ählenbes töerf 
auf fich mitten laffen. Daraus ergeben fich bie nötigen ©efidjtspunfte für bie Be* 
hanblung bet literaturgefhihte: ih fehe, wer 3U feffeln ift, wenn et heraus* 
atbeiten fann, was hier ber Künftler aus eigenem ©rieben gegeben hat, wie anbere 
bie 3 eitfärbung rei3t unb wiebet anbete bafüt feinen Sinn haben, fonbetn nur bas 
fjetausfuchen, was uns heute noch unmittelbar anfprihh ben menfhlihHittUheu) 
(Behalt bet Dichtung. Das läfct fich unb bas mufe man ausnütjen. Hoch immer nicht 
fyftematifh. 3 ft bie ©inftettung einet Klaffe 3iemlich übereinftimmenb, bann ift 
es leiht; fonft aber mufe bie je%t mit Recht immer wieber geforberte „innere Diffe* 
ren3terung" eintreten: ber eine wirb barauf hingewiefen, wie er burh ben Dergleih 
mit einem anberen tüerf besfelben Künftlers Dielleiht beffen befonberet Auffaffung 
noh näherfommt, ein anbermal mag man ein ©ebiht, eine profaftelle eines gleich* 
jeitigen Didiers bieten, bann wiebet mag man ein U)etf gleicher ©attung aus am 
betet 3 eit baneben (teilen unb fo Auffhlüffe geben. Dabei wirb man biefe hinweife 
manchmal fhon begtünben müffen burh einen fjinweis auf bas 3 iet, um bem Shület 
£uft 3U ber Arbeit 3U mähen unb feine Arbeit förbetlih 3u geftalten. Dem aber, 
ber ben Stoff unmittelbar auf fih witfen läfet, ja, bem batf ih wohl nihts 3um Der* 
gleih geben. Dem mufj ih nur helfen, gan3 in bie ©iefe 3U bringen. Das alles aber 
gehört 3um leftüreunterriht—unb fo meine ih benn auch» er foll eine gan3e 3eit 
lang bie hauptaufgabe fein, nur müffen babei immer wiebet Baufteine bereitgelegt 
werben, hier einer, bort einer, unb fie müffen burh Rücfgteifen auh immer wieber 
gefiebert werben. Alte biefe Baufteine im Auge 3U behalten, bamit fie 3m rehten 
3eit herangeholt werben fönnen, bas ift bie fhwete aber überaus fhöne unb 
fmhtbare Aufgabe bes lehters. 

Dann lommt enblih bie 3 ufammenfaffung. ©ines ©ages ift* s an ber 3 eit, 3m 
fammen3uftellen, was man alles oon einem Didjter gelefen hat, nun mag man fih 



94 


<5efd)id)te 6 es Schrifttums 


oergegenwärtigen, was man öaraus über Öen Dieter felbft gelernt hat — ba bleibt 
für Öen £ehtet faum etwas mehr 3U tun, benn nun müffen bie Spüler alle ihre Bau* 
jteine herbeibringen — unb jie tun es mit $teuben. ©enau fo ift’s mit bem Bilb 
einer 3 eit. fluch & a ift’s eines Hages fo weit, baf} man fagen tarnt: toas ergibt fidj 
nun aus bem ©etefenen allen, toie ähneln fi<h bie einen unb ums gibt’s für gewaltige 
Unterfchiebe? Run fuchen Sie alfo, toas ift bas (Eigenartige biefer 3 eit? Unb toiebet 
bauen bie jungen Htenfdjen Stein um Stein auf, bis ein gtofees Rtofaitgemälbe oot 
uns prangt, nicht allenthalben gleich ausgeführt, hier mit hellen, flaten $atbett, 
bort nur mit leisten Einbeulungen unb in jarten Umriffen — aber hoch ein Bilb, 
bas einen ©efamteinbruef gibt. 

©bet aber: tobt haben nun eine Reihe £ytifet tennen gelernt, tennen Oranten 
oerfchiebenfter 3 eit. IDieber fchreiten wir 3um ©rbnen unb fuchen uns ben (Entwirf* 
lungsgang einet ©attung flar 3U machen, fud)en bie wefentlichften (Eräget in ihrer 
(Eigenart hetaus3uhebeit, fuchen bie 3üge, bie eine gan3e 3 eitftrömung ten^eidjnen: 
wieber nicht, um fefte ©efefce, feftes U)iffen mit3ugeben, fonbetn nur um aufmerffant 
3u machen, bafj lp* 1 9*ofee ©ntwidlungen oorliegen, bie es 3U oerfolgen lohnt — 
foldje ©ebanfen follen bann weitertlingen in unferen Schülern auch über bie Schule 
hinaus, bamit fie fich angefichts neuer R)erte an früher ©elefenes erinnern unb ba* 
burch ein ©efühl für bas tDertoolle gewinnen unb ebenfo ein ©efühl für bie ©efe|e 
bes UJetbens, für bie großen 3ufammenhänge. 

(Enblich aber: wir haben nun immer wieber oot bem gleichen Problem geftanben, 
haben gefeljen, wie es mit jeber neuen 3eit immer wieber ein neues ©eficift betont* 
men hat, etwa ber ©ebante ber $reiheit, bes Staates, ber ©igenperfönlichteit, bes 
Künftlers in feinem ©egenfajj 3ur tDelt, bie Stellung oon ©Item unb Kinb ober bas 
ewige Ringen 3wif<hen RIann unb EDeib. Run faffen wir noch einmal 3ufamnten, 
erinnern uns, was jeber ber Dichter aus eigenem ©rlebnis gegeben, was bie 3 eü 
für befonbere $ätbung gebracht hatte, unb wenn wir bas abftreichen, bann fteljen wir 
oot bet Aufgabe felbft, oot bet $tage, bie immer wiebet bie Hlenfchen bewegt unb 
im tiefften ©tunbe immer wieber biefelbe ift unb bie auch uns heute fo paeft, bafe wir 
bei all iljten oetfehiebenen ©eftaltungen empfinben: tua res agitur. Dann tommen wir 
3U tieffter flusfprache miteinanber, 3um Beften, was unfet Deutfchunterricht 3U geben 
hat — 3ugleich geht uns aber auch auf, bajj ber Dichter ein $ühter ber RTenfchheü 
ift, bafe et oor—lebt, oor—leibet unb bann oorfüljrt, was bie anberen bumpf emp* 
finben, bafe er 3U ber Klarheit burchbringt, um bie wir ftumpferen Hlenfchen uns oer* 
geblich bemühen, ber wir oft aber auch nur all3U gern aus bem IDege gehen. IPit 
ertennen ben ©wigteitswert ber Dichtung. 

Unb bas ©nbetgebnis? ©s wirb immer wieber oerfchieben fein: eine Reihe oon 
Dichterperfönlichfeiten, bie bem Schüler wirtlich nahegetommen finb, bie ©rtenntnis 
oon bet ©ntwicflung einer Dichtungsgattung (alle wirb man taum ©erfolgen tonnen), 
bas Bilb oon ben großen 3 eiten unferer Dichtung unb ein3elner ©tfcheinungen aus 
ben Heineren 3wif<hen3eiten unb enblich bas Derftänbnis für bie Bebeutung bes 
Schrifttums in ber ©ntwictlung unferes Doltes. 

freilich, um biefes ©nbergebnis 3U erreichen, bebatf es 3ulet(t bo<h fyftema* 
tifdjer Arbeit, ©eben wir im allgemeinen auf ein3elne größere 3 eitbilber aus, fo 
müffen wir hoch bie Derbinbung 3wifd}en ihnen herftellen, inbem wir einige ©in3el* 



Don tDaltljer tjofftaetter 


95 


erfcheinungen aus ber 3wif<h en 3 e *t furj beleuchten. — Hoch mehr jyftematifdje 
Arbeit aber gibt es, wenn man bas Büb einer 3 «it wirtlich h cta usarbeiteit will: 
neben bie großen (Erscheinungen, bie bem Schüler burdjs Cejen nähergetommen 
finb, muffen — butdj Dermittlung einjelner Proben — bie Heineren Sterne, treten; 
3 Ut Dichtung fommt bann bas ganje anbere Schrifttum, foweit es eine 3 eit tenn* 
3eichnet — au<h bas teligiöfe —, bann finb bie (Ergebniffe fptad^Udjer Betrachtung 
noch einmal 3ufammen3ufaffen, fobann ift bie Kunft ber 3eit heran3U3iehen (was 
fchon bei ber Behanblung ber Dichter angebahnt würbe), bie barftellenbe Kunft 
ebenfo wie bie Zltufit. Dann enblich finb wir fo weit, bafe wir bas IDertoollfte leiften 
fönnen: bie gan3e geiftige Bewegung in bas gerichtliche ©efamtbilb ein3U3eichnen. 

Das bebeutet oiel fyftematifdje Arbeit — aber mehr ein 3 ufammenfaffen als 
ein Darbieten, möglichft foll auch hier bie eigene Arbeit bes Schülers bie t)auptfa<he 
leiften. Um bies (Enbetgebnis ber gan3en 3 ahresarbeit 3U gewinnen, follte man fi<h 
im lebten Dierteljahr ber Schularbeit eine gan3e Keihe oon Stunben ficfjern. hier 
müfete ber Deutfd}untetri<ht nun wirtlich 3um ©efamtunterricht im Sinne bet Deutfeh* 
tunbe werben unb alle (Ergebniffe aus ben anberen 3 meigen bes Untertichtes »et* 
wenben, befonbets aus ber ©efchidjte, ber Religion, ber philofophifdjen Ptopä* 
beutit (bie fa teineSwegs immer in ber fjanb bes Deutfchlehrers 3U liegen brauet) — 
bamit ein oolles ©efamtbilb bet 3 «it entfteht, ber bie Arbeit einet Klaffenftufe ge* 
gölten hat. (Dorausfefeung ift allerbings, bafe auch wirtlich bie gleiche 3 «it in biefen 
3ufammengehörigen gächern behanbelt wirb, barauf muffen wir getabe 00m Stanb* 
punfte ber Deutfeh tunbe bringen.) x ) tDenn wir folche 3 ufammenfa(fungen in ben 
btei ©bertiaffen erreichen, wenn fie wirtlich aus bet 3 nfammenarbeit ber Schüler 
mit ben Cehrem etwachfen, bann tonnen wir bie 3 vwerfidjt hoben, ben Schülern eine 
©runblage fürs Ceben mitgegeben 3U haben. 

freilich: alles tonnen fich bie Schüler nicht felbft erarbeiten; hier mufe ber Dot* 
trag bes Cehters hoch ab unb 3U 3ufammenfaffen, was an 3U oielen Stellen »er* 
ftreut ift, hier mufj er ben Stoff fo 3ufammenftellen, wie et gerabe für bie rolle 
(Ertenntnis bes ©egenftanbes nötig ift unb wie ihn ber Schüler noch nicht otbnen 
tonnte: aus bet befonberen 3 ufammenftellung bes Stoffes wirb fich bann bie (Er* 
tenntnis ergeben, auf bie es antommt — anbetnfalls müfete man 3uerft bas Urteil 
geben unb tonnte es bann nur „beweifen" laffen. Unb ebenfo ift’s mit ben „Proben" 
— wo itgenb möglich, follen fie oon ben Schülern felbft burchgearbeitet werben, 

1) 3<h weife, bafe bas eine ibeate gotberung, in bet ptajis nut fchwet bütchfühtbat, 
ift, aber jebe Celjrerfchaft einer Schule wirb oerfudjen muffen, biefem 3beale burch gegen* 
feitige Deteinbarung möglichft nahe 3 utommen, inbem fie bie Stoffe aus ben ©ren 3 gebieten 
fo oerteilt, bafe ein möglichft gleicher (Bang gewahrt wirb. Ulan weift fobann barauf hin, 
wie oerfchieben ber Stanbpunft ber einjelnen Unterrichtenben fei — bas jdjaöet meines 
«Erachtens nichts, mufe hoch ein Schüler lernen, bafe man fich 3 u gefdpchttichen unb 3eiter* 
fcheinungen oerfchieben (teilen tann unb bafe man hoch auch unter ber oerfefeiebenen Be* 
leuchtung bie wefentlichen 3üge, auf bie es i« antommt, ertennt. Das forbert freilich Haft. 
Unb enblich werben biefe 3ufammenfaffungen etfdjwert baburefe, bafe auch öet fleifeigfte 
unb tüchtigfte Deutfchlehrer nicht bas nötige ©efamtwiffen hat — aber es tommt hier hoch 
nut auf bie gtofeen 3üge an, bie ihm Hat geworben fein muffen, unb es («habet unebenem 
nichts, wenn ber ober jener Schüler neues herbeibringt unb bies ©ewinnen eines ©efamt* 
bilbes wirtlich eine gemeinfame Arbeit unb eine gemeinfame Bereicherung für Celjter unb 
Schüler barfteUt. 



96 


(beff if te 6es Schrifttums 


im tjaus ober im Unterrif t, aber es bleiben nof Gelegenheiten genug, u>o bei Center 
bie Probe nur barbieten tann. Unb hoch foll auch hier bas (Erleben nicht ausgeffaltet 
jein — es muß im Cehret liegen unb muß fo ftart fein, baß es bie Sch&let mittest. 
Kerfchenfteiner fagt h^u 1 ): 

(Es gibt allerbings feljt nichtige unb barum für {eben Schultypus unerläßliche Unter 5 
ii<htsgebiete, in benen eine eigentliche (Erarbeitung bes Ceßrgutes felbft bei reiferen Sf ületn 
fo gut tote ausgefchloffen ift. 3n ihnen muß ber Schüler bie ihnen anhaftenben BOerte butd) 
bie Dermittlung bes Sehrers unb <Et}iehers „erleben". 3ebermann lennt biefe Unterrichts 5 
gebiete bet Religion, ber Geff if te, ber Oteratur. 3eber, vor allem ber, weifet butch bie 
höheren Schulen gegangen i[t, weiß, wie bie in biefen Kulturgütern niebergelegten IDerte 
getabe 3 U tot bleiben, wenn bie Cefjrer oon ihnen nicht oölUg erfüllt unb burf brungen finb, 
ober wenn fie unfähig fein follten, bas in ihnen pulfierenbe IDeiterleben 3 U einem entfpre 5 
chenben perfönlif en flusbrud 3 U bringen. flUe (belehrfamteit, alles UHffen, alle $otffet 5 
begabung bes Sehrers erfeßt hier nicht ben ungeheuren Rei 3 , bet oon bet lebenfpenbenben 
Geftaltungsfraft bes werterfüllten Ceßrers ausgeht. 

3ebet Deutff lehret muß ein Künftler fein, ein Raf etlebenbet, Rafff affenber 
— nirgenbs aber wirb {ich fein Künftlertum fo offenbaren tonnen wie in bet £iteratur= 
ftunbe — tann et hi« «ine große Perfönlichfeit felbft etfaffen, eine ganje 3 «»t tief 5 
innerlich 3ufammenff auen unb bies BUb mit lebenbigen $arben feinen Schülern 
malen, bann hot et fein fjö<hftes geleiftet. 

IDie geftaltet fi<h mir banach bie Gätigteit in ben ein3elnen Klaffen? Oie Unter 5 
Haffen tommen für bie literaturgeffiftlife Betrachtung noch nicht in Stage, in 
ben UlittelHaffen aber tönnen fchon einjelne (Ergebniffe gewonnen: ein paar Dichtet* 
geftalten in großen 3 ügen erfaßt, aus bet £ettüre bie Grunb3Üge 00m U)efen bet 
Hooelle unb bes Dramas etfchloffen werben. 

3 n Rüdfift auf bie nach flbffluß bet Unterfetunba flbgeljenben gab man hier 
mancherorts einen Überblid über bie gan3e (Entwidlung ber £iteratut unb befonbers 
eine Sammlung bet £yrit (bas Döbelnet £efebu<h 3. B. ift gan3 barauf eingekeilt) 
—ich holte bas für oerfrüht; wie man aber in Sachfen in bet Geffifte bieflbgehen 5 
ben an bem Unterfetunbaunterricht über bas Altertum nicht teilnehmen läßt unb ihnen 
bafüt Staatsbürgertunbe unb Geffifte bes 19 . 3ahth ur, berts bietet, fo follte man 
an ben Schulen, bie fchon in Unterfetunba bas IRittelhof beutff e beginnen, womög 5 
lieh bie flbgehenben baoon ausfchließen unb in (Erfaßftunben tiefer in ein paar Dramen 
unb (E^ählungen einfühten. $teilif bleibt 3U wünff en, baß bie neunflaffige ©Bet 5 
f<hule immer meht oon biefen Schülern befreit wirb, bie fa mit einer troftlofen halb", 
ja nur Diertelsbilbung ins £eben gehen. 

fluch bie oberfte Klaffe ber Realff ule follte meines (Erachtens auf einen £iteratut 5 
unterrift oer3if ten, aber burch reifliches £efen 3U erreichen fuf en, baß iljte Reif 5 
linge ein Drama, eine Rooelle mit Dorteil unb Derftänbnis aufnehmen unb baß in 
fnen ein Gefühl für gute Dichtung erwedt wirb; mehr wirb man nift erreichen 
tonnen. Die neunflaffige ©berffule aber muß einen oollen Überblid anftreben. 
Drei Klaffen finb ba3u 3U wenig, unb barum ff läge if oot, bas IRittelhof beutff e 
ff on in Ull 3U beginnen unb fif bort ff on ins Hibeiungenlieb ein3ulefen. Dann 
tann man in 0 II, wenn auf bie Gubrun gelefen unb bie Geff if te etwa bis 3U Karl 

* '' 1) Das öffentliche Unterriftswefen im Doltsftaate. Die Heue Runbffau XXX, 
10. heft ®tt. 1919, S. 1183. 



Don IDalther fjofftaetter 


97 


b.®r. gebiehen ift, oon biefer fjelbenbicf)tung einmal 3urüdgreifen 3U früheren, 
iann Jjilöebranös' unb Rlaltharilieb beijanbeln unb bie getmanijdje ffetbenfage 
im 3ufatnmenhang etläutetn. 3u bem 3urüdgreifen mufj aber bann 3ugleid} bas 
Dorroärtsfdjauen treten. 3 dj habe es immer beim altbeutjdjen £efebu<h oon Dilmar 
als wertoolle Beigabe empfunbett, bafe es nach ben alten Proben auch Beweife für 
bas IDeiterleben eines Stoffes, eines Dichters gibt. tDenn man ben reifen Sagenfdjatj 
bes tttittelalters überbaut bat, bann wirb man hmweifen m&ffen auf bie Romantif 
mit ihrer Reubelebung bes Rtittelalters unb auf bas IDeiterleben ber Stoffe bei tjebbel, 
Ridjarb tDagner unb ©rnft fjaröt. ®erabe ber Dergleidj ber neuen ©ejtaltung mit ber 
alten ift unenblidj fruchtbar unb gibt bleibenbe Anregung. Auch weiterhin wirb man im* 
met toieber fudjen miiffen, bie £inien oon ber alten bis auf unfete 3*it 3U 3ieljen — 
ich oer3i^te barauf, bies im eitt3elnen immer toieber 3U betonen. 

©ine 3toeite ®elegenheit 3ut 3 ufammenfaffung bietet fich im Anfdjluf} an ben 
Religionsunterricht: getabe 00m IDaltharilieb tann man ausgehen, biefer Selben« 
öichtung eines Klofterfchülers, unb bie $rage erörtern, wie fich ber ©ermane 3um 
(Ehriftentum ftellte: UJulfila, IRerfeburget 3 auberfptüd}e, fjelianb, ©tfrieb muffen 
hier in Probe unb Überfettung lebenbig werben, bie DoHstunbe hat ergcht3enb ba3u= 
3utreten. 

©in britter Kreis fdjlie&t fich an: bie beutfdjen Dichter bes lateinifchen TRittet 
alters, bie uns Paul 0. IDinterfelb wieber fo wunbetooll nahegebracht hat 3 jt 
bann tDalther gelefen, fo reihen fich ein paar ber Beften aus IRinnefangs $ruhling 
an, mufj er hoch oerftanben werben aus bem Kreis bet IRitftrebenben heraus, über 
ben et fo ftol3 emporfteigt. Reibharbt oon Reuenthal, Reinmar oon 3 weter unb 
$reibani würbe uh bann noch anfchliefeen. 

Das hofifche ©posl IDiebet ein Kreis: man weift oielleicht 3Utüc! auf Ruoblieb 
(bei RKnterfelb überfetjt), man fagt oielleicht ein paar R)orte baoon, bafj bas ©pos 
ber Spielleute gern abenteuerliche $ahrten behanbelt hat (fjerjog ©rnft), aber es 
genügt, wenn bie btei ©rofeen Rar erfaßt werben. Damit ift wieber ein Ruljepunff 
erreicht unb es gilt, bie Kultur bes Rittertums 3ufammenfaffenb 3U betrachten, 
wobei auch 3Utüdgegriffen wirb auf ben Rieberfchlag bes ritterlichen £ebens in unf erer 
Sprache, ber in 0 III behanbelt ift. 3 ugleid} gibt bie Befprechung bet tomanifchen 
Kunft (3U ber ber Religionsunterricht oiel bereitgeftellt haben mufe) ben hinter* 
grunb. Rüt Reibharbt unb RJetnljets Hteier fjelmbrecht Hingt es aus: eine grofje 
3eit oetfinft. 

Run lommt eine fchwietige Aufgabe: bie 3 eit oon 1250 — 1500 . Sie ift bisher 
meift 3U fehlest weggelommen — eine einfeitig nur auf bie gro&e Kunftbichtung 
ausgehenbe Richtung hat bie Bebeutung biefer 3 eit oerfannt — unb bo<h haben wir 
hiet bie beutfehe Ptebigt eines Bertholb unb bann bie IRyftüer, bie Rechts« unb 
©efchidjtsprofa, bie ©ierfage, ben Rteiftergefang, bas Doltslieb, ben Anfang bes 
Dramas unb haben 1400 noch bas oerein3elte aber fo überaus ergreifenbe unb 
auff<hlu&tei<he IDerf bes beutfdjen $tühhumanismus: bes 3 ohannes oon Saa3 
„Adermann unb ber ©ob". XDas tun? Soll man oon allem etwas geben unb bas an* 
einanberreihen? R)o ift hier bet Rlittelpunft? Da !ommt uns, wie einft bem iungen 
©oethe, bie ©otit 3U hilf*» in fie gilt es bie Spüler hmeiTQufühten, unb wenn fie 
bie oerftanben haben, bann haben fie auch *>as Banb für biefe ©in3eletfcheinungen: 

3 ettfdjrift f. Deutfdff uttbc, n.Srgänjungsfjeft 7 



98 


<5efd)i<i)t« öes Sd)rift(uttt$ 


bas beutfdje Bürgertum fud}t fid} ^ier feinen tPeg 3U (Sott unb 3ur Kunft, aus bem 
Dolle ermächft immer mieber bas Beftreben 3U geiziger unb lünftlerifcher Betätigung, 
unb fo haben mir hier ein geistiges leben — bas 3mar an lünftlerifdjen Ijöhepunften 
(aufeer in ber Baulunft) arm, aber für bas IDerben beutfchen XDefens feljt roidjtig 
ift. tDieber gibt fi<h alfo ein einheitßchet ©efid)tspunft, unb nun fann man gerabe 
hier bie ein3elnen Spüler hewiDiehen: ber eine mag ein paar geiftlidje Dramen 
lefen, anbere Dollsßeber uff., unb roenn iebet Iur3 berichtet unb ba3u oorlleft, mas 
ihm am meiften gefallen hat, fo gibt es ein ©efamtbßb. Sdjmierigftes, roie bie Ittyftit, 
mufj fidj ber leerer felbft oorbehalten. 

Dann lommt als nächftes bie Reformation — mit iljt finb mit im Bereich ber 
Unterprima. 3mmet freiet lann fid} ber Unterricht nun geftalten: mir oetfolgen 
etma bas lieb oon Suther über bas Dollslieb, bie geglichen lieberbidjter unb $letn' 
ming 3U ©üntfjer, Klopftod unb ben ©öttingern, bas Drama bei f?ans Sachs, 
©typhius (feine luftfpiele!), leffing unb bem Sturm unb Drang, mit feljen bie Gr* 
3ählung oom breiten er3ählenben ©ebicht tjans Sachfens unb $ifd}arts 3U ben Doßs* 
büchetn, ©timmelshaufen, ©ellert unb IDielanb, fehen bie $reube an Iut3et Spruch 5 
roeisheit unb $abel bei Suther, logau, Schefflet, ©ellert, leffing unb anberes mehr 

— mit tummeln uns frei, lefen unb fammeln, unb bann lommen bie 3ufammen= 
faffungen. Die Reformations3eit, ber Dreißigjährige Krieg unb feine $oIgen, bie neue 
3 eit um Klopftod unb leffing: ba ift nun noch Plaß für Hutten unb IRurnet, ba taucht 
oor uns bas Dürnberg Dürers auf unb ©tünmalbs gemalßge ©eftalt — bann fürs 
17 . 3 ahrhunbert ftreifen mit gan3 Iur3 ©piß unb ftellen nochmals logau, $Iemming, 
©typhius, ©timmelshaufen unb bie geglichen lieberbichter beibet Konfeffionen 
3ufammen unb fragen fie, mas fie uns oom ©haftet bet 3«'t 3U er3ählen haben. 
Unb bas alles erhellt bann ber Barod als bejeidjnenbfte Ausprägung biefer 3 e '* 
mit roefentlich beutfchen 3 ügen. Don ben Sd}lefietn aber fchmeigen mit — mit mollen 
leine literarhiftoriler et3iehen (im übrigen finb fie bei bet ©efdjidjte ber neuhoch 5 
beutfchen Spraye 3U ermähnen) — unb oom Streit ber Sdjme^et mit ffiottf^eb 
fchmeigen mir auch — mas baoon nötig ift, lann man gan3 lut3 bei leffing abtun, 
babei auch ©ottfdjebs Bebeutung Ienn3eichnen. Don bet Umgeftaltung bes 
tDeltbilbes um 1700 müffen mir lut3 reben, einbtinglichet aber oon ben Riebetlänbem 
unb befonbets oon bet beutfchen Utufil eines Sdjütj, ^änbel unb Bach- Run aber 
hinein ins große 3 ahrhunbert beutfdjer Kunft, bas ja mit Hecht bie Hauptarbeit ber 
Primen beanfprucht. Jjier gibt es bet Rlöglichleiten fehr oiele, immer mieber 
bie Detbinbungslinien 3U 3iehcn bis 3ur ©egenmatt, Je nadjbem, meines Problem 
man in ben Dorbergtunb {teilen miß, hi«* gilt es in feinem 3ufammenmtrlen oon 
bem, mas man eingehenber in bet Klaffe befpredjen ober im mefentlichcn ber eigenen 
Befchäfttgung bet Schüler überlaffen unb nur in feinen ©rgebniffen oermenben 
miß — alfo in feinem Aufbau ber Settüte in bie ©iefen 3U bringen. Unb hoch t»i*& 
man immer im Auge behalten müffen, baß man oon 3 «it 3« 3 «it 3ufammenfaffen 
lann: in Unterprima muß noch «in Kares Bilb entfteljen oon leffing, H« 1 ^«*' & en 
©ättingem unb bem Sturm unb Drang (IDielanb mitb nur geftreift), unb momöglich 
möchten guch Schiller unb ©oethe noch bis 3U ihrer Bereinigung behanbelt metben 

— {ebenfalls muß bie 3 «it oon 1750—1805 bem ©betprimanet in ben erften Wodjen 
Hat 00t Augen ftehen. Snjroifchen ift aber immer mieber mit bet leltüre fd? on ‘ ns 



Don Cüaltfjer fjofftaettec 


99 


19 . 3 ahrh u «&ett hineingegtiffen worben, und nun wirb man auch mit bet literar* 
gefchichtlidjen Betrachtung Ijineingeljen tonnen. 3 uerft wirb es roieöer gelten, ein* 
3elne Perfönlichfeiten heraus3uheben, befonbers bie Cytifer, benen man forgfältig 
nadjgehen muf}, bamit unfete Spület toiffen, wo fie für fülle Stunben befte Haftung 
finden, bann bie großen Dramatifer, beten IDetfe uns jdjon feit Sefunba begleiten 
unb beten (Eigenart nun durch ben Dergleich mit ©oethe unb SdjUler flat wirb, unb 
endlich unfere (Et3ähler. IDiebet gibt es einen Sammelpunft: bie Romantif, in beren 
IDefen nicht nut durchs Schrifttum, fonbetn audj butd) Htalerei unb TTtufil ein3ufü^ten 
ift, einen anderen: ben Realismus unb fo fort, fjiet wirb ja Auswahl unb Stellung* 
nähme entfliehen bem ein3elnen Center übetlaffen bleiben müffen; nur eins muf} 
et jidj jagen: er hat bie Derpflichtung, bis 3ur ©egenwart oot3ubtingen, benn gerabe 
bafüt roill die 3ugenb einen $ühret haben. ©b et fid? batauf befd)ränft, an einer 
Gattung bie $äben bis in unfete Sage 3U oerfolgen, ob er barauf ausgeht, auch hier 
noch 3eitlidje ©tuppierungen 3U oerfuchen, bas wirb oon bet oerfügbaren 3«it unb 
bem ©eift der Klaffe unb feiner eigenen (Einteilung abhängen. 3 ebenfalls aber muf} 
ex bie großen Cinien auch fürs 19 . 3 a^unbert ge3ogen unb bie ©rofjen gebührend 
herausgehoben unb naljegebradjt haben. Oie meiften unferer Schüler haben nach ihrer 
Reifeprüfung feinen $ühter mehr beim Suchen nach roertooller Koft: bie ©rofjen 
ntüffen ihnen hier fixere Begleitet fein unb ihnen einen IKafjftab geben, toas roert* 
eott ift. 

IDeffen Klaffe ba3U fähig ift, ber mag fie auch einführen in bas Ringen oon 
ftusbrudsfunft unb (Einbruefsfunft, oiele roerben barauf oet3id}ten müffen. Rtag 
aber auch für bie lebten 3aht3ehnte feine flate ©rfenntnis ber Strömungen unb ihrer 
Uxfachen 3U er3ielen fein — bas fdjabet nichts; mögen bie Schüler ruhig ben (Einbrud 
einer bunten RTannigfaltigfeit behalten, burd) bie toit alle uns erft ben IDeg fudjen 
muffen — es ift mehr toert als eine blofje Abftempehmg. (Ein abgefdjloffenes Bilb 
roerben toit ja nie erreichen fönnen unb 3uftieben fein müffen, roenn xoir ben Sinn 
jüx (Echtes gexoedt haben unb roenn mit gerade durch öie neuere unb neuefte Dich* 
tung an bie einigen Probleme herangeführt haben. 

Aber ein anderes muf} man im Rüge behalten: immer wieder oon ben (Etfchei* 
nungen des 19 . 3 ahrhunberts unb bet ©egenroart 3urüd3ufühten auf gleiche Be* 
ftxebungen oergangener Seiten: bas miftelhochbeutfehe Schrifttum darf nicht mit 
©betfefunba abgetan fein, ebenfotoenig aber dürfen bas Dolfsbud}, bas Dolfslieb, 
bie Anfänge des Dramas unb oieles andere aus bem ©efichtsfreis entfefjwinben, 
es muf} ge3eigt werben, wie altes Schrifttum ober altes Dolfsgut noch h €U * e lebendig 
ift ober toiebet 3um Ceben erxoedt wirb, muf} ge3eigt werben, baf} bet Kampf 3wifd}en 
$orm unb ©ehalt immer wieder bie Beften bewegt hat, baf} bas Ringen um tieffte 
Kenntnis nie aufhört. 

Denn bas muf} immer bie Aufgabe bleiben: fein tDerf ift um feinet felbft willen 
}u betrachten, fein Dichter für fi<h allein 3U würdigen, feine 3 *it ift an fich wertooll: 
olles muf} unter bie eine $tage geftellt werben: wo offenbart fid} hier bet beutfehe 
©eift, wie ringt er fi<h durch eigene Unflarheit unb fremde Beeinfluffung hindurch, 
®as ift feine (Eigenart — wie fönnen wir oon einer ©ntwidlung des beutfehen Schrift* 
twns, ber beutfehen Kunft, des beutfehen ©eifteslebens reden. 


7* 



100 


Die Dorgefchichte im beutfchen Unterricht 


Die Dorge[d)id)te im öeut[d)en Unterricht. 

Don Roheit Bel$. 

Dor 3a^ten 3eigte mit einmal ein tjofbejitjet auf Bomholm mit Stol3 öie in 
feinem ©ehöfte aufbewahrte $ahne eines Bauernoeteins, auf meldet ein fjünen* 
grab jener ©egenb bargeftellt mar mit bet Umfchrift af förtids minder goer fretn- 
tids daad i en vaagen slaegt (aus ber (Erinnerung an bie Dot3eit erwachft bie Hat 
ber 3ufunft in einem wachen ©efchlecht). Diefer ©ebanie ift in Dänemat! längft 
©emeingut geworben, unb feit langem bat man bort bie Srübgefdjidjte in ben Dienft 
bet ©Ziehung 3um nationalen ©mpfinben geftellt, befonbets auch in ben Dollsljoch* 
faulen, ©in gleiches fehlt in Deutfdjlanb noch butchaus. Auf bie ©tünbe fann hier 
nicht eingegangen werben, fie liegen tief in bet ©ntwidlung, welche bie ©efdjichte 
bes beutfchen Dolles genommen hat. Aber bie troftlofe. ©egenwart brängt bahin, 
uns bet tDerte bewufjt 3U werben, bie in unferem Boben unb feinet ©efchichte liegen, 
unb in ihnen einen (Etfab 3U fudjen für bie furchtbaren Detlufte an ©ut unb ©hte, 
bie wir erlitten haben; es mufe bahin geftrebt werben, aus bem Stol3 unb bet $reuöe 
an einet langen unb reichen Dergangenheit Blut für bie 3utunft 3U gewinnen. tDir 
müffen hetangehen bis an bie (Quellen bes Deutfchtums, wobei bie literarifche ©ta* 
bition oerfagt unb welche nur bie Dorgefchichte erfchliefeen lann. 3h* fällt bei bet 
Heufafjung bes Deutfdjunterrichts auch in biefem eine gan3 befonbere Aufgabe 31t. 
tDie bie Dorgefchichte bie Brücfe bilbet non bet Sanbestunöe 3ut ©efdjichte, fo foll 
fie auch Unterricht bie Derbinbung non Ijeimatgefühl unb gefchichtlichem ©mp* 
finben herftellen, auf ber erft ein oolles Deutfchbewufetfein fidj aufbaut. 

Auf ben Inhalt ber beutfchen Dorgefchichte fann hier nicht eingegangen werben; 
wir 3äl}len im Anhang eine An3ahl bahin gehotenber IDetle auf. Aber ein Blicf auf 
ihren ©ang ift notwenbig wegen ber Ausetnanbetfetjung mit anbeten Unterrichts* 
fasern. (Eine fyftematifche Behanblung ber Dorgefchichte fällt bem beutfchen Unter* 
tid}t nicht 311, aber eine richtige EDütbigung bet im Deutfdjen 3U gebenben Abfchnitte 
ift nur bann möglich, wenn bas ©an3e wenigftens in feinen ©runb3ügen geiftiges 
(Eigentum geworben ift. Auch für ben Schüler, ©s wirb eine (Teilung bes gefamteit 
Stoffes auf bie oetfehiebenen Unterrichts3weige herbei3uf übten fein, ©ine Aufgabe bes 
Deutfchlehrets ift es bann nicht nur, mit biefen $ühlung 3U behalten (befonbets je#, 
wo man mit ber Stellung bes Deutfdjen als 3entralfach ©rnft machen will) unb feinen 
Anteil als ©lieber einer großen, weiten, gerichtlichen ©ntwidlung lebenbig 3U machen, 
fonft bleiben fie wertlofe Sonberbarfeiten, fonbetn auch bas geiftige Banb he*3u* 
jtellen, burch welkes bie ©in3elfenntniffe erft echten Bilbungswert erhalten. 

Die frühefte uns bisher erreichbare Stufe ber Blenfchheitsfultur wirb bem natur* 
wiffenfchaftlichen Unteramt 3U übetlaffen fein, wo bet palaolithifdje Blenfih als eine 
Seitform bet Diluoialpetiobe 3U faffen ift, fo ungern man auch im Deutfdjen auf bas 
bie Phantafie mächtig anregenbe Bilb Berichten wirb, fich unferen Urahn in einet 
arftifchen Umgebung im Kampfe mit einer tiefigen (Tierwelt mit feinen fthwache» 
Steingeräten ben heimifdjen Boben fich gewinnenb aus3umalen. Die Behanblung 
bes Stoffes wirb fchon hier in ben oerfchiebenen beutfchen Canbfcfjaften eine recht »et 5 



Don Robert Beiß 


101 


fchiebene fein, benn fie muß bem Rechnung tragen, baß in ben Ijöljlen Sübbeutfch* 
lanbs ber Rlenfdj wefentlid} früher erfcheint unb unter gan3 anbeten llimatifchen 
unö fauniftifd}en Cebensbebingungen als an ber beutfdjen Seelüfte. — Rlit bet jün* 
geten Steigert aber feßt bie Arbeit bes Deutfdjleljtees ein. 3 ft biefe bo<h nach heute 
allgemein geworbener Anfdjauung in weiten (Teilen Deutfchlanbs eine Kultur unferes 
Stammes; bie fjinterlaffenfcbaft bes Reolithilers ift bie ältefte Äußerung nicht nur 
utgetmanifdjet lOerftätigleit, fonbetn auch germanifdjen ©eifteslebens, es ift ©eift oon 
unferem ©eift, was aus biefer Periobe 3U uns fpridjt; unb wo im beutjdjen Unterricht 
3uerft oon bet 3ugehörigleit bet Deutfdjen 3U bem ©ermanenftamm bie Rebe ift, 
mufe man auch biefe älteften 3eugniffe bes ©ermanentums ihre emfte unb ein* 
öringenbe Spraye teben laffen. Die geogtaphifdjen ©ren3en biefer Urheimat finb 
ju umfehreiben, bie allgemeine materielle Kultur bet Petiobe ift 3U würbigen, aber 
auch bie geiftige, wie fie in bet $ormengebung bet ©erate unb befonbets in ben 
madjtoollen Äußerungen äfthetifdjen ©mpfinbens, in ben Hünengräbern heroortritt, 
froigleitsbauten, bie ihre XDirtung bis in bie ©egenwart nicht oetloten haben. Diefe 
Bemäntelung getmanifchet Reolithit hat fi<h felbftoerftänblich nicht auf bie Canbfchaften 
3u befdjränlen, in benenfie 3U Haufe ift, fonbetn ift überall auf beutjehem Hoben oor* 
junehmen, wenn fie auch bott am wirlfamften fein witb, wo man bie Schüler 
3u Öen Originalen felbft führen lann. 

ITOt bet töeiterentwidlung bet jüngeren Stein3eit 3ut Bron3e3eit treten wit in 
mirtfdjaftlicfj^gefdjidjtlidje Derhältniffe ein, bie in ben Bereich bes ©efdjichtsunterridjts 
gehören, befonbets bet alten ©efdjichte. Sie wirb bie altere notbijehe Bton3e3eit als 
Patallelerfcheinung 3ur IRylenefultur barftellen, beten ©Ian3 in ben homerifchen 
töebichten feinen Rieberfchlag gefunben hat. Reben bet ©efd)i<hte lann bähet auch 
bie Homerieftüre ein tieferes Derftänbnis biefes Stüdes Dorgefchichte oermitteln 
imö oon ihr Belebung erfahren. Derwanbtfchaft bet ©rabfitten, ©leidjheit im ©tab* 
bau als ©ebenthügel, bet ©eift eines ritterlichen Herrengefchlechtes, ber aus ber gan3en 
flusftattung bet ©rabet fpridjt, ift fchwerlich nur „Konoergen3etfdjeinung". Direlte 
Bejiehungen ergibt ja fchon ber Bemftein unb fein Hanbel, unb hier hat fich in ber 
Sage oon ben Heliaben unb bem ©ribanus*©Ibe ein poetifches Banb hergeftellt, bas 
fchon in ber ©oibleltüte feine Derwertung finben lann. 

IDie auch bet beutfehe Unterricht bei bet Behanblung bet Helbenfage fich beten 
geiftige Derwanbtfchaft mit ber älteren notbifdjen Bron3e3eit nußbat machen lann, 
baruber unten. 

Huch bie jüngere Bron3e3eit ift als gefchid}tlid)e ©rfdjeinung 3U nehmen unb als 
ein ©lieb jener großen Dolletbewegungen 3U faffen, bie um bie Scheibe bes erften 00t* 
hriftlichen 3 ahrtaufenbs bie alte XDelt oeränbert haben. 3 n bem ftarlen 3 mport oon 
Bton3egegenftänben aus bem Süben haben bie engen Be3ieljungen 3wif<hen ben oet* 
fchieöenen Kulturen befonbets beutlichen Ausbrud gefunben. Auch heben fich jeßt 
öie Stammesgruppen ber inbogetmanifchen Dölletfamilie fchärfet ooneinanbet ab. 
®n Überblid übet bie Kulturetfcheinungen oon Kelten unb 3 llyriem ober wie man 
Mt bie Racßbatn bet getmanifchen Kulturgruppe nennen will, ift unerläßlich. An 
ber Hallftattlultur, bie ja auch große (Teile Deutfdjlanbs behercfdjt, lann bet ©e* 
fdji^tsunterricht nicht oor übergehen; ob man fie bet alten ober bet beutfd)en ©ejchidjte 
jutoeifen will, lommt auf bie Derteilung ber penfen an, bie in ben oetßhiebenen 



102 


Die Dorgefd)id)te im öeulfdjen Unterricht 


Stooten oetfchieben ift. TTlit bem ganj eigenartigen Stil bet norbifdjen jüngeren 
Bronjejeit müffen wenigftens in ben Cänbetn, wo er auftritt, bie Spület oertraut 
gemacht toetben als einet bet originellften Äußerungen germanifchen Kunftempfin* 
bens (f. unten); hier follte auch ‘bet 3 eichenunterricht mit eintreten. Da eine fjaupt* 
quelle unfetet Kenntnis biefer Periobe in ben weit oerbreiteten unb leicht 3ugänglid}en 
Umenfelbern liegt, tonnen ^icr, toenn auch mit großer Dorfidjt, bie Spüler auch 3ur 
(Teilnahme an bet Sorfdfungstätigteit felbft hetange3ogen toerben. 

Mit bet folgenben Periobe, bie archäologifdj als ältefte ©fenjeit 3U be3eichnen 
ift, treten toir in bas Sicht ber ©efchichte. Die ©ntbedung ©etmaniens ift als eine 
(Tat hetteniftijeher Kultur 3U beroerten. Jjelleniftifch finb auch bie ©runblagen 
bes Stils, bet nun Mitteleuropa beherrfcht (Satbne). Mit jeinen (Trägem, ben Kelten, 
toitb auch bet Unterricht, am einfachen toeitet bet gefdjichtliche, fid} eingehenbet 
befdjäftigen. Kelten unb ©etmanen bilbeten ben tlaffifdjen Döltem noch eine 
ettjnifche ©nheit, unb bie ftaunenbe Ächtung, bie fie ben Rorbftämmen, als fie 311= 
erft in ihren ©ejichtsfreis traten, entgegenbrachten unb bie auch 3 U monumentalen 
Bilbungen geführt hat (Sterbenber ©allier), gilt jener buntlen Welt, beten 3 ntunft 
fie ahnten. fluch für bas Derftänbnis bet beutfehen Bobenaltertümer, bie burdjaus 
unter teltifchem (Catöne) ©nfluß ftehen, ift bie Kenntnis ber teltifcfjen ©rfcheinungen 
etforbetlid}. 3 «ßt toerben biefe auch fdjon 3ur gefchid}tli<hen (Quelle, benn bie große 
Än3ahl unb ÄUsbehnung ber ©rabfelbet mit ihrer fümmetlichen Äusftattung in ben 
weftbaltifchen Cänbem ift ein fdjlagenbet Beleg jener Überoölterung, bie in ben großen 
Dölfetbetoegungen (©imbetn3ug u. a.) 3um elementaren Ausbruch gefommen ift. 

Unb ebenfo äußert fid} bie gan3e ©töße ber (Tat ©äfats, bie ©toberung ©alliens 
unb ihre $olgen, faft unmittelbar in ben Bobenaltertümem. Wenn bie ©etmanen* 
fchilbetungen bei (Täfat unb (Tacitus 3U bem eifetnen Beftanbe bet ©ymnafialbilbung 
gehören, fo finben fie ihre oolle ©rtlärung bo<h erft burch bie Dentmäler, bie ber 
Boben bewahrt hat. Das Stüd römifcher unb beutfdjer ©efchichte, bas in ben groß* 
artigen Änlagen im Rhein* unb Donaugebiet liegt, lebenbig 3U machen, gehört 3U 
ben bantbarften Aufgaben bes ©efchidjtsunterrichts. Äber auch bie archäologifdjen 
©rfcheinungen in bet Germania libera finb ©efchidjtsquellen unb als folche 3U oet* 
toenben. Die $ülle herrlichfter ©^eugniffe bet tömifchen Snbuftrie 00m Qilbesheimer 
Silberfunbe bis 3U bem lampanifchen ©afelgerät weit im Rotben 3eigt bie flus* 
toirtungen einer Weltmacht, 3U beten Stüßen auch eine wohlgeleitete fjanbelspoßtit 
gehörte. Den ©nfluß, ben fie auch auf bie entfernt woßnenben ©ermanenftämme 
übte, fpüten wir nicht nur in bem Wanbel bet ©rabgebtäuche, fonbetn auch in einet 
gan3 neuen $ormengebung bet ©eräte, bie bis in bas Übet3ierlid}e Jich oerfeinert 
unb bie fo gar nicht paffen will 3U bet lanbläufigen Änfchauung oon ben norbifchen 
Bärenhäutern. U)it werben uns biefe Reoifion gefallen laffen, unb auch oor einet 
leifen Korreftur bes ©efamtbilbes bes äußeren Kultur3uftanbes, welches aus bet Dar* 
fteilung bes (Tacitus fid} hcrausbilbet, wirb ein erfahrener Sehrer nicht 3urüdfchreden. 

fluch bie neue Stilwanblung bet fpätrömifdjen 3 ^it ( 200 — 400 ), wo überall bie 
flaffifchen 3üge 3utüd* unb bie alten einheimifchen neu auftreten, ift ein rebenbes 
3eugnis bes ©elftes bet 3 «it, jenes Riebetgangs ber italifd}*römif<hen Dorherrfchaft, 
welche bas ©nbe bes tömifhen Weltreiches oorbereitet. tjier, wo in ber ©efchichte fo 
wenig 3U fagen ift, fönnen bie Bobenaltertümer ergän3enb eintreten. Sie lehren bie 



Do« Robert Belg 


103 


Anbetungen in bet Sotm bet IDaffen unb (Berate, äbetall ein 3 utüdgteifen auf alte 
nationale Rtotioe, aber machen auch in bet anbetsattigen Derteilung bet ©tabfelbet, 
in bem allmählichen Deratmen ganjet Canbfchaften an ©tabfelbern bie allmähliche 
©ntoölfetung weitet ©ebiete unb bas ©injeljen bet Döltetwanberung erllätlid}, non 
bet noch teine ©efdjichtsquelle tebet. 

Das gilt in noch erhöhtem Rtafee oon bet Dölterwanbetungsjeit |elbft, bie im 
alten Deutjdjlanb nut oeteinjelte Sputen hintetlaffen hat, in bet jich aber ein gan3 
befonbetet, nun echt getmanifchet Stil hetausbilbet. IDie bie großen ffieftalten ber 
Dölletwanbetung im heutigen tjelbenliebe weiterleben unb alfo auch bem beutfehen 
Unterrichte 3ufallen, hat biefet nun auch bie banlbate Aufgabe, bas Kultutgan3e ber 
3eit butdj hctan3iehung bet Ulatetialien, welche bie Bobenaltertümer bieten, in far= 
bige lebhafte tDirllichfeit um3ufet)en. 

Ulit bem Schlujjabfchnitt bet Dorgefdjichte, bem frühen fltittelalter, ift eine oöl= 
lige Derfchiebung aller ITCachtoerhältniffe eingetreten, bie in ben oetfchiebenen £anb= 
jehaften fi<h gan3 oetfdjieben barjtellt unb bähet auch ein oetfehiebenes IRafe bet Be= 
rüdjichtigung ©erlangt. ©tofee ©eile altgetmanifchen Stammlanbes jinb in Befilj 
eines ftemben Doltsftammes, bet IDenben, gelangt, welche auch nach bet beutfehen 
Rüdgewinnung bauetnbe Sputen in bet Beoölfetung, ben ©rtsnamen, bet Sage ber 
Stäbte u. a. hintetlaffen haben. Auf altfeltijchem unb romanijiettem Boben hat jich 
bie jetzige Diffeten3ietung bet Stämme hetausgebilbet unb jinb beutjehe Staaten^ 
bilbungen erfolgt, ©ine eingehenbe Betüdfichtigung bet wenbijdjen Kultuterjd)ei= 
nungen, bie ja 3um ©eil unmittelbare gejchichtlidje (Quellen barjtellen (Butgwälle), 
gehört jelbftoerftänbiich in ben Beteich bet Canbesgefchichte, wo aud) bet gewaltige 
Untetjchieb 3wifdjen getmanifchet unb wenbijdjet Kultur 3ur ©rtlärung bet gefdjicht* 
liehen ©teignijje nuljbat 3U machen ift. Diel mehr aber, als bisher meift gejehehen ijt, 
muffen wir übet bie ©ten3en Deutfdjlanbs hinausbliden unb bie tDelt bet IDitinget, 
als einet glän3enben Äußerung echten ©etmanentums, hetan3iehen, befonbets auch 
in feinem Auftreten auf beutfdjem Boben (Runenfteine, ^eithaby, 3 omsbutg). Unb 
ba 3iehen fich auch $äben 3um beutfehen Unterricht hinüber, auch in Kleinigteiten wie 
bet 3omsburg im Caofoon. 

3 ut ©infügung bet Dorgefdjichte in ben beutfehen Unterricht, ©ine 
oollftänbige Dotfühtung gtöfeetet Komplexe (ootgefdjichtlicher Petioben) ift nach bem 
©efagten auf teinet Stufe Aufgabe bes Deutfchen, fonbetn bie Dotgefdjichte ift nut fo 
weit hetan3U3iehen, als bet Stoff ba3U Detanlaffung gibt. Unb biefe ©elegenheit bietet 
jich feht früh- Schon bei bet Behanblung bet Sage, (©s wirb hierbei ootausgefeljt, 
bafe bie (Einführung in bie Sagenwelt mit bem beutfehen Unterricht oetbunben ift; wo 
bas bisher nicht bet $att ift, wirb es bei bet Heuorbnung bet Deutjchtunbe fid; oon felbft 
ergeben.) Sagen oon Riefen, ©nomen, beftatteten ober fdjlafenben gelben, oet= 
funfenen Stäbten unb Schlöffetn fnüpfen oielfach biteft an oorgefdjichtliche Stätten 
unb ©rjdjeinungen an ober laffen jich 3wanglos bamit oetbinben. ©s gehört päbago* 
gif «her ©att ba3U, bie ©s war einmal*Stimmung nicht 3U ftöten unb hoch auf bie 
©ntftehung bet Sagen ein3ugehen unb fo auch in bie Dotgefchichte ein3uf ühten. Unb es 
ijt gewifc eine fchöne ©infühtung, wenn auf biefem poetifchen IDege 3uetft Hünen* 
gtäbet unb Hügelgräber, Stein3eit unb Bron3e3eit bem Schüler nahegebracht werben. 



104 


Die Dorgefdjichte im beutfchen Unterricht 


Daljin führt bie Huffaffung ber rieftgen fteinjeitfidjen Blegalithgräber als Hünen¬ 
gräber, etnjelner Steinblöde als tDurfgefcfjoffe ober Spieljeug oon Riefen, oft mit 
entfpredjenben Hamen, bet Hügelgräber mit ihrem 3 nhalt an feltfam altertümlichem 
(Berat, oft auch ©olb als ber Behaufung Schöße hütenber „Unterirbifcher" (XDichte, 
(Bnomen, Dlönlen ufta.). 3 m einjelnen befteht ja in ben beutfchen Sanbfchaften eine 
jel}t große Derfd}iebenheit in ber Art, u>ie bie oorgefchichtlichen (Erfcheinungen auf 
bie Phantafie bes Dolles eingewirft haben. Das ift natürlich auch im Unterrichte 
3U berüdjichtigen unb auf ber ©berftufe, wo bie Sage theoretifch behanbelt toirb unb 
ihre pfydjologifdje (Brunblage (Erörterung finbet, auch 3 U etllären. (Es ift 3. B. ein 
felbft für bas Derftänbnis norbbeutfdjen Dolfstums intereffanter 3 ug, baß man bort, 
roo bie oöltifche Überlieferung butch bie tDenben unterbrochen ift, in ben Hügelgräbern 
bie unheimlichen 3n>etge häufen läßt, in ben notbifdjen Sänbetn aber, too bie übet* 
liefetung lebenbig geblieben ift, fie als (Bräber oon Halben ober (Böttem anfieht. 
Heben ben (Bräbetn finb es befonbets bie Burgtoälle, beten fid} bie Sage bemächtigt, 
tooburch fie oft bireft 3m (Bef^idjtsguelle toirb (Rethra, Dineta 1 ). Heueröings hat 
es 3U fchönen (Etgebnijfen geführt; baß man gelernt hat, bie (Bebilbe ber Sage als 
Ütittel 3m Seftlegung oon alten Kultpläßen 3U oertoenben (R. H)offiblo). 

(Es fönnen alfo butch bie Sagen fdjon früh Be3iehungen 3U ben „feften Den!* 
mälern" ber Dor3eit getoonnen werben; unter ben „beweglichen" ebenfo früh wenig* 
ftens 3U einem mistigen, bem Schwert. Schon bas Schwert 3 ung*Siegftiebs führt 
3U einem XDort über bie hohe EDertung unb Seltenheit ber Schwerter in ber $rüh3eit 
ber (Befchichte, unb es läßt fich auch aus beutfchen (Bräbetn manches Stüd 3eigen, 
welches ber Stoffwelt, ber jene Sagen unb (Bebidjte angeboren, 3eitlich nahefteht. 
Das Schwert bes „Blinben Königs" labet gerabe3u 3U einem Blid auf bie Hügelgräber 
fdjon ber älteren Bron3C3eit ein, in benen ber DTann mit feinem Schwert begraben ift, 
aber auch auf bie herrlichen Htoorfunbe Horbbeutfchlanbs, wo bas Schwert als IDeihe* 
gäbe bes Derftorbenen ober für ben Derftorbenen im See oerfentt war. Seicht ift oon 
bort bie Überleitung 3um König oon (Ehute, ber „alles feinen (Erben gönnt, ben 
Bedjet nicht 3uglei<h", benn auch bron3ene Schalen bilben wie bron3ene Hals* unb 
Kronenringe, golbene Hanbtinge u. a. einen Beftanbteil jener fchönen, im See oet* 
fenlten ober fonft geborgenen Sdjaßfunbe, welche unfere jüngere Bron3e3eit 3U einer 
ber glän3enbftenPerioben bet Dorgef^ichte machen. DettBebanle, baß berHibelungen* 
fdjaß ben Rheintödjtem gehöre, führt fo 3urüd auf uralt germanifdjenBrauch, ben unfere 
$unbe fchatf beleuchten. (Erft bur<h bas Heransieljen biefer oorgefchichtlichen Sitten 
gewinnen bie 3 üge oon Sage unb Dichtung, bie fonft nur als 3ufälüge (Eh^efljeiten et* 
fcheinen, ihre tiefere allgemeinere Bebeutung als ein Stüd altbeutfchen (Beifteslebens. 

So bringt ber Spüler fdjon eine Sülle oon flnfdjauung oorgefchichtlichet Dinge 
mit, wenn bie 3ufammenhängenbe Darftellung auf ber oberen Stufe bie größeren 
3ufammenhänge bringt. (Bleich wo 3uerft oon öeutfd)er Citeratur gehandelt wirb 
unb bie 3 ugehörig!eit ber Deutfdfen 3um inbogermanifchen Sprachftamm 3m (Er* 
örterung lommt, wirb auch ih tc (Eigenart, wie fie in ben älteften uns nachweisbaren 
Äußerungen beutfchen Cebens fich ausbrüdt, fdjatf 3U betonen fein, unb bas finb eben 

1) (Es fei bie perfönliche Bemerfung geftattet, baß ber Schreiber biefer 3eilen alt 
Schüler butch bie Dinetafage bie für fein Cebensintereffe an »orgefchidjtlidien Stubien 
entfcheibenbe Anregung erfahren h«t. 



Don Robert Belfc 


105 


die DorgejcfyidjtUdjen Dentmäter. Sdjon ^tet wirb bas proprium et sincerum et sui 
tantum simile oerftänbUch. Befonbets bas Kulturbilb bet älteren Bronjejeit mit 
iljten hetoifdjen ©tabbauten, bem Sinn für fütjtlidje Würbe unb Auftreten unb bet 
bodjftebenben ©echnif, $otm, ©rnamentit bet ©eräte ift ein 3 ug b°b ß t Selbftänbigleit 
(was natürlich Derwanbtfchaft mit geiftig, jum ©eil fogat 3eitli<h naheftehenben ©t* 
fdjeinungen wie bie bet homerifchen Hielt nicht ausjdjliefet, f. oben). 3 l}ten geiftigen 
Ausbrud bat heutige Art in bet beutfdjen fjelbenbicbtung gefunben; bie Kultur* 
anfd)auung, bie fid} in ibt ausfptidjt, ift eine junge Paralleletfdjeinung innerhalb 
besfelben Dolfsjtamms 3U bet, welche aus ben ©räbern bet älteren Bronjejeit rebet, 
unb mit finb wohl berechtigt, bie $atben 3U ihrem Bilbe aus biefer bur<h ^ahrtaufenbe 
getrennten 3«it 3U entnehmen. 3a, bas einige gewaltige Oenlmal, bas bie 3*ü bet 
fjelbenfage hinterlaffen hat» bas ©heoberichgtabmal, führt no<h roeiter hinauf unb 
wirb uns erft flat, wenn mir bie gejdjlofjene tt)ud)t feiner in bem tiefenhaften Den!* 
ftein gipfelnben ©tfdjeinung aus bem ©eifte ab3uleiten oerfteljen, ber einft bie Hünen* 
gröber ber Stein3eit getürmt hat. Auch bie folgenbe petiobe, bie jüngere Bron3e3eit, 
ift für bas Derftänbnis bes älteften hiftorifchen Deutfeh tums nu^bar 3U machen. Denn 
ihr Stil mit ber ftar!en Bewegtheit feines Sinienfpiels unb feiner Dramen* unb tüellen* 
motioe, ber in fo ftarlem ©egenfatj fteht 3U bem ftrengen fymmetrifchen Stil ber äl* 
teren Bron3e3eit, ift bodj bie erfte ©tfdjeinung jenes fräftigen batoden $ormenempfin* 
bens, bas fpäter in ber ©ierornamentif ber Dölferwanberungs3eit auftritt, in bas bie 
beutfdje ©otif fid? aufloft unb bas mir heute als einen edjtbeutfdjen 3ng auf3ufaffen 
uns gewähnt haben. 

An bie Sprache fnüpft fidj bie Hty tljologie. ©s ift ja nicht gerabe Diel, was bie 
Dorgefd}ichte beifteuem tarnt, aber fo weit finb wir bodj f<hon, ba& wir 00t bie lite* 
ratifdje Überlieferung fichere Belege oon einem weit höheren Alter fetjen tonnen. 
Das gilt fdjon für ben Aljnenfult, ben für bie Steigert bie Hünengräber mit ihren 
Häpfdjenfteinen, für Bron3e3eit unb ©ifen3eit bie ©pfergruben be3eugen, abet auch 
für einen Sonnentult, ben bet Wagen oon ©runbljolm in fo ungemein 3wingenber 
Art erweift. Auch bie anbeten Kultwagen, bie f)ellriftningar u. ä. mögen befprodjen 
werben. Unb bie Antnüpfung an bie alte Mythologie unb ©ötterfulte, bie man in 
Schweben neuerbings hcrgeftellt hat bur<h ©rabljügel unb ©rtsnamen, wirb auch 
für ben beutfdjen Unterricht nicht oetloten fein. 3 m allgemeinen abet ift not einem 
3U tiefen ©ingehen in biefes ©ebiet, welkes etfahtungsmäfjig fo ftart oerlodt unb 
hoch gar 3U halb in rein Hypothetifdjes führt (Keffel non ©unbeftrup!) 3U warnen. 

Die beutfdje Citeraturgefdji^te mufe ausgehen Don ber ©efdjichte ber beut* 
fdjen Sprache unb biefe oon ber ©efdjichte bet beutfdjen Stämme. Die „©ntbecfung ©er* 
maniens" burch Pytfjeas gehört auch in bie Citeraturftunbe, unb ein Blid auf bie ba* 
malige Kultur (Catbne) wirb bie mageren gefdjiehtlichen Uadjridjten beleben. Auch 
bie um jene 3 «it einfet>enbe Scheibung in Weft* unb ©ftgermanen, wie fie heute als 
eines ber fdjönften ©tgebniffe atchäologifcher Betrad|tungsweife Hat oorliegt, wirb 
an bet Hanb bet Bobenfunbe 3U erläutern fein: IDanbalen, Butgunber, ©otenhöten 
auf, leere Hamen 3U fein, wenn ihre Ableitung oon ben Horbftämmen, ihre Über* 
fieblung unb Sonberentwidlung fi<h aus ben Altertümern ablefen läfjt. ©erabe in 
unferen ©agen mufe es jebem beutfdjen Schüler 3um Bewufetfein gebraut werben, 
baf} bie beutfehe Heimat bet 00m Schimmer beutfdjer Helbenbidjtung oerHärten Bur* 



106 


Die Dorgef<f)id)te im öeutfcfjen Unterricht 


gunben bas ©ebiet ber unteren IDeichfel ift. Dirett oerfnüpft fid? Srühgefchidjte mit 
Citeratut in Öen Hünen; finb hoch bie ältesten Runenbentmäler Speerfpihen unb 
Spangen, beten Deutung natürlich «ut im Rahmen bet ard)äologifchen ©efamtetfchei* 
nungen möglich ift. Die (Entstehung ber Runen in ben S<hu)at3enmeetlänbetn unb ihre 
Horbtoanberung mit bem gotifdjen Kulturftrom i|t Ja felbft ein Stüd Stühgefdjichte. 

IDeiterhin, bei ben Stoffen bet tjelbenfage, ift bie gefdjichtliche ©tunblage Starter 
3U betonen unb burd} bie Dentmäler 3U oerbreitern. Bei Dietrich oon Bem ergibt bas 
jich ia oon felbft, aber auch Xanten*Gronje barf tein inhaltlofer Harne bleiben,.fonbern 
mufe gefdjichtlich greifbare (Erjcheinung toerben, unb es ift ja heute auch burch bie 
Ausgrabungen leicht 3U ertlären, roarum bie tjeimat oon Siegfrieb unb Qagen bahin 
oerlegt ift. Damit tommen toir oon felbft in bie Bobenaltertümer hinein. Die Alter* 
tümer ber fpäteten DöIferroanberungs3eit liegen in reicher Sülle oor, unb fene halb 
barbatifche Steube an glän3enbem IRetall unb bem Stimmer oon eblem ©eftein 
unb ©lasflufe, mit bet aus altorientalifdjen, tlaffifchen unb einheimifchen IRotioen ein 
gan3 neuer, in feiner fräftigen, roilltürlichen Phantaftif hbdjft an3iehenber Stil, ber 
ber notbif^en Gierornamentif, gefchaffen ift, ertlätt auch bie unheimliche Rolle, 
toelche bie Schöne in biefem Sagentreife fpielen. Uns in bie Sdjatsfammer (E^els 3U 
oetfetjen, fallt fe^t nicht mehr fchojer. Audh hier mufj man felbftoerftänblich roeit über 
ben beutfchen Boben hinausgehen unb befonbets auch ben Horben hetan3iehen, roo 
in ben fabelhaft reichen fchtöebifdjen ©olbfunben etroas toie eine 3 lluftration bes 
Hibelungenfchahes oorliegt. 

Audj roo man beim IDeitergange ber beutfchen Citeratur auf bie feltifdjen (Eie* 
mente bes ©rals unb bes Artusfreifes tommt, tann man biefe Be3iehungen unter ben 
roeiteten ©efichtsrointel oon Keltentum unb ©ermanentum bringen. Oer Catbneftil 
ift ein teltifdjer Hationalftil getoefen, unb aus feinet leichten <Elegan3 Iaffen fi<h Süben 
hinüberfpinnen 3U bet (Erfinbungsfreube bet mittelalterlichen Sage, bie ein gefchidter 
Sehret oerfnüpfen toirb, ohne bamit bie ©efaht herauf3ubefdjroöten, bafj ber Schüler 
fich nun bie ©ralsritter mit £atbnef«hroertern getoaffnet oorftellt. 

3 n ber neueren Siteratur ift bie Dorgefchichte befonbets 3m (Erläuterung ber 
Sdjilletfchen fultutgefchidjtlichen Dichtungen berufen. Rieht als ob biefe 3m 'Betrach* 
tung oon Sa^altertümern Deranlaffung böten. (Dafe auch biefe Seite Schiller nicht 
gan3 fern lag, 3eigt bie allerliebfte Haboxoeffifche Gotenflage, an bet im Unterricht 
bet Gertia nicht oorbeigegangen toerben follte.) Aber bie in ihnen liegenben, 3U Sdjil* 
lers 3 eit rein theoretifch behanbelten Probleme finb in ber ©egentoart ein ©egenftanb 
ethnoIogifch*oorgef^i<htIichet Betrachtungsroeife geroorben. Die Kritit, toelche fich 
baraus 3. B. an ber S<hilletf<hen Auffaffung ber Kulturftufen ergibt, ift nur eine leichte 
Berichtigung eines bauetnb roertoollen ©ebantengehaltes, bet auch bas Derftänbnis 
bet Kulturperioben, mit benen bie Dorgefchichte rechnet, lebljafteft 3U fötbetn ge* 
eignet ift. Stein*, Bron3e*, (Eifen3eit lafet fidj leicht an bie Sdjilletfchen ©ebanfen an* 
fnüpfen, unb befonbers ift bie (Einbringlichfeit, mit bet in ber ©lode bie Gechnit oer* 
geiftigt ift, ein unfeh Spates TRittel, auch biefe für bie Dorgefchichte fo rotchtige Seite 
in geiftigen Befilj um3ufet)en. 

3 ur Art bet Behanblung ber Dorgefchichte im beutfchen Unterricht. H)enn 
oben mieberholt herootgehoben ift, bafe bie gan3 oetfehiebene (Enttoidhmg, roeldje bie 



Don Ro&ett Seife 


107 


drehten öeutjcfjen Sanbfcfjaften in öet oot* unö frühgefchidjtlichen 3dt genommen 
haben, and} eine Ungleichmäfeigleit in öet Betüdjidjtigung öet einjelnen (Etfcheinungen 
Öetbeifüijrt, fo foll öamit öurchaus nicht gejagt fein, öafe öie Dotgef djidjte im mefentlichen 
als £anbesgefchi<hte 3U beljanbeln ift. (Es ergibt fid? oon felbft, öafe man öie Ummelt, 
oon öet man umgeben ift, ftärler ^eranjie^t, öafe öet Rfjeinlänöet mehr Römifches, öet 
an öet roeftlidjen ©ftfeelüfte ^eimtfdje mehr Stein3eitlidjes mitten läfet, aber öet öeutfdje 
Unterricht mufe öas flllgemeinöeutfdje betonen unö öie Differen3ietung öet ein3elnen 
Stämme als ein (Ergebnis and* ootgef^i^tlidjet Ausmalungen 3U oerfteljen lebten. 
So tann et |id} auch nicht auf germanifche oöet öeutfdje Altertümer bejchtänlen, fonöetn 
hat fiel} mit Dotgetmanifchem, Keltifdjem, Römijdjem, TDenöif^em ab3ufinöen, mo 
öiefes eine entfc^eiöenöe EDirtung auf fefet öeutfdjes £anö unö Dolf geübt hat. 

Die ootgefdjidjtlidje Archäologie ift im mefentlichen eine Sachwiffenfdjaft, unö 
es flnö 3unäd}ft Dinge, öie öem Schüler naöegebradjt meröen müffen. Unö 3toat fo 
nahe wie möglich. (Einen Butgwall mufe et etüettetn, eine $euetfteinajrt in öie fjanö 
nehmen öütfen, um ein lebenöiges (Befühl oon intern Sinne 3U betommen. U)o ein 
lltufeum ober eine Altertümerfammlung am ©rte ift, ift natürlich in öiefes ein3ufüh® 
ten, unö 3wat mieberholt, auf oetfdjieöenen Bilöungsftufen unö nicht nur 3U einmali* 
gern „laltftaunenben Befudj". Dafe unfete Altertumsmufeen wie unfete IRufeen über® 
haupt bisset auch nicht annähemö tötet Hufgabe als Doltsbilöungsanftalten geredet 
gewotöen finö, weife feöet, öet felbft öamit 3U tun hat; weife aber audj, öafe öabei gan3 
eigentümliche Sdjwietigfeiten oorliegen, öie etft nod) übetwunöen meröen müffen. 
$üt Öen Hanbgebtaud} follten öie Schulen fid} felbft eine fln3ahl einfacher, befonöets 
typijdjer Stüde unö Rachbilöungen unö OTobelle, mie öie frönen ITCai^et Krieger, 
anfchaffen. Diefe tleinen Sammlungen follten auch iw 3 ei<henuntetricht ausgiebig 
Derwenbung finöen. Damit foll abet öem Anlegen eigentlicher Sdjulmufeen in leinet 
EOeife öas EDort geteöet meröen. Solche fd)äöigen Öen Betrieb öet Altertum smiffen* 
fdjafi öutch öie 3 etfplitterung öes ERaterials (gat manches mettoolle Stüd liegt in 
jolchenSammlungen oergtaben, öet EDifjenfchaft unö Allgemeinheitoetloten) unö geben 
jtets ein fchiefes unö öatum gefährliches Bilö, öa fie ja bo<h auf 3ufällige (Etmetbungen 
angemiefen finö. — Abbilöungen müffen natürlich in umfänglicher IDeife oorhanöen 
fein unö an leicht 3ugängli<hen Stellen aufgehängt bleiben, öamit öie Schüler fid? 
hineinfehen tännen. 3 n Dielen £änöetn finö fa fchon längft gute EDanbtafeln in all* 
gemeiner Benufeung, öie fdjönften mohl öie oon EDeftpreufeen. ((Es gibt abet auch 
gan3 fdjeufeliche, öie man balöigft etfefeen follte.) Abbilöungen oon Hünengräbern 
unö Burgmällen finö reichlich Dorhanöen unö leicht 3U befdjaffen; in öet oft etmas 
romantifd}en Aufmachung liegt leine roefentliche (Befahr. Die oolle $teuöe an Alter* 
tümern erroächft etft, menn man fie felbft finöet, unö öiefem natürlichen Stieb 3m 
Selbfttätigleit foll auch öet £ehter nachhelfen. 3 um Sammeln oon Altfachen hot 
Schreibet biefet 3 dlen feine Schüler oiele 3 af?te lang angeregt, ihre Sätigleit aber im 
allgemeinen auf öie $euerfteinmerlftätten 3U befchränlen gefucht, mo öie Dinge leicht 
ju finöen finö, 3U taufenöen hetumliegen unö beim Sammeln leine Sd}äbigung ber 
£agerftelle ftattfinöet; hö<hftens auch einmal mit ihnen Urnen ausgegtaben. (Ein 
Hetan3iehen gröfeerer Schülergruppen 3U ernfthaften mistigen Ausgrabungen mit 
ihren fchmietigen technifchen Problemen ift grunöfäfelid} 3U unterlaffen; es erfchwert 
nur öie Sätigleit öes Ausgrabungsleiters, öet oolle Sammlung auf öie Sache nötig 




108 


Die Dorgefdjidjte im beutfdjen Unterricht. Don Robert Bel% 


hat unb nicht nebenher noch belehren tarnt, beförbert Öen Dilettantismus unb reijt 
3ut Raubgtäbetei. 3ebenfalls follte man auch bei einer einfachen Umengrabung bie 
Sache recht fchtoet machen, 3eigen, wie oiele ©ejichtspunfte babei 3U beachten, wie 
fdjarfe Beobachtung unb peinlichfte Sorgfalt erforöetlich finb, um bem Befunbe bas 
ab3ugeu?innen, toas man jucht; recht einbringlich hwweifen, bafe in jeöemgalle eine 
emjthafte Aufgabe oorliegt, ba es fith um Kulturroerte hanbelt, bie fchlechthin nicht 
3U etfefeen finb, unb bafe jebe rein fportlidje Betätigung baran ein unoerantroort» 
lidjes 3 erftörungswerf barftellt. Damit fann allerbings auch eine Schülerausgrabung 
helfen, 3U bet ©oetljefchen verecundia 3U er3iehett, bie uns heute fo bitter not tut — 
Dagegen finb Ausflüge, mit benen fi<h Belehrung übet bie Sanbesoorgefchichte oet= 
binben läfet, in ausgebehntem Wtafee oot3unehmen. (Es gehören foldje XDanberungen 
3u ben liebften Erinnerungen bes Derfafjets aus feiner Seljttätigfeit IDenn man 
braufeen ben Schülern bas Derftanbnis ©ermittelt für bie (Entftehung bes Bobens ihrer 
fjeimat unb ben 3 ufammenhang ber Sanbfchaft mit ben Befiebelungen in ben oet= 
fcfjiebenen Kulturperioben, tlarmacht warum getabe hier ein Ijünengrab, öort ein 
Kegelgrab, bort ein Umenfelb unb bort ein Burgtoall liegt fo erfchUefet man ihnen 
eine neue tDelt, in bet fie mit gteube unb bauembem ©eroinn an Sehenswerten 
heimifch werben. Wicht immet liefern fid? }a birefte Be3iehungen 3um beutfehen Untere 
rieht finben, aber es fällt hoch fchliefelich bem Deutfchleljtet 3U, bie oorgef<hiehtli<hen 
(Erfcheinungen als €hara!ter3Üge bes Stüdes Deutfchtum, bas in bet beutfehen Sanb* 
jehaft liegt heraus3uarbeiten unb bamit biefe oerftänblich 3U machen. Unb oerftehenbe 
Siebe für bie gefdjichtlich geworbene Ijeimat unb beutfehes Empfinben, bas ethifh« 
haupt3iel bes beutfehen Unterrichts hängen mit feinen unb ftarten gäben 3uf ammen. 
Die befte Kontrolle gibt immet ber beutfehe Auffafe; idj habe faum fe innerlichere Aufe 
fäfee belommen als bie über bie Ausflüge mit Altertumseinfchlag. Kun liegen ja bie 
Derhältniffe nicht aller ©rten fo günftig wie an bem tDoljnort bes Derfaffers, wo man an 
einem Wachmittagsausflug bie fdjönfte ©nbmoräne mit Durchbruchstal, eine fteinjeitlicf/e 
Eoteninfel, mehrere ftein3eitlid?e IDerfftätten, oier Urnenfelbet unb einen wenbifdjen 
Butgwall, alle in djaratteriftifcher Sage, befugen lann; man wirb bie ^rfdjeinungen 
oft mühfamer juchen müffen, aber erreichbar finb fie wohl bei ben meiften ©rten. 

Dem Klaffenunterricht tnufe, wie überall, burch häusliches Sefen nachgeholfen 
werben. ©Höhlungen, bie ihren Stoff bet Dorgefdjichte entnehmen, finb leibet nut 
fpätlich oorhanben unb bewegen fid) meift in Bereiteten Anfchauungen, aber U)einlanbs 
Rulaman, bet früher gem gelefen würbe, unb Scheffels Elfeharb, ber in altgefchi<htli<he 
Derhältniffe recht gut entführt, fann man feht wohl ben Schülern auch für unfere 3wede 
in bie fjanb geben, unb 3enfens ©letfeher wie bie Pfaljlbauepifobe aus „Auch ©net" 
entfpricht auch höherem Uterarifchen Bebütfnis. Dem reiferen Schüler fönnen auch 
fdjon bie meiften ber unten angeführten 3ufammenfaffenben Oarftellungen überlaffen 
werben; ber Seitfaben oon Schwante s 3. B. ift für weitere Kteife berechnet Sehr 
wichtig aber ift es, bafür 3U fotgen, bafe bie beutfehen Sefebüchet mehr als bisher 
Stüde mit oorgefdjichtlichem Stoff enthalten. Die ©eftaltung ber beutfehen Sefebücher 
bebatf bringenb einer Umwanblung; fie müffen auf Sanbes* unb Stammesart 3«* 
gefchnitten werben, bann wirb fid} oon felbft ergeben, bafe, wie ber heimijehe Boben 
unb bie heimifehe ©efdjichte, jo auch bie heimifche Dorgefdjichte auf allen Stufen eine 
entfprechenbe Darftellung erhält. 



Dolfs» unb fllfettumsfunbe. Don Karl Reufdjel 


109 


Sdjriftennachmeis. 

Allgemeines: S. Ittüller, Kotbtfche Altertumsfunbe, 1898. RTonteltus, Kultur« 
gefdpehte Sdjtoebens, 1906. S^udjljarbt, Alt=(Europa, 1919. fjörnes, Katur* unb Ur« 
gejdjirfjte bes ITlenjchen, 1909. Koffinna, Die beutjdje Dorgefdjidjte eine nationale EDiffen» 
fdjaft, *1915. tjaijne, Das oorgefdpdjtlidje (Europa, 1910. Kauffmann, Deutfdje Alter» 
tumstunbe, 1910b Schmantes, Aus Deutfölanbs Urgejdjidjte, 1913. 

(Einzelne £anbfchaften unb Abfchnitte: Köpp, Die Römer in Deutfdjlanb, 
*1919. Sprater, Urge{d?id}te bet Pfalj, 1913. Sd)Iij, Dorgefd}id}te oon EDürttemberg, 
1910. ©oe^e, hoefer, 3i^icd?e, DorgefdjidjtlidjeAltertümerI^üringens, 1909. Deich* 
müllet, Dorgefdfidjte SadjJens in IDuttte, Säcijfifche Doüstunbe, 1901. Rlertins, EDeg* 
roeifer durch bie UtgeJdjic^te Sdjlejtens, 1906. Bell} unb IDagner, DotgeJdjidjte oon Ried« 
lenburg, 1899. Belt;, Dorgefdjicfytlidje Altertümer oon RTedIenburg*Sd?u>erin, 1910. EDof» 
fiblo, Anteilige Stätten in Rledlenburg, Rledlenburg 1919, S. 41. Schumann, Kultur 
Pommerns in oorgefdpehtiieher 3eit, 1897. Kiefebufd}, Dorgejtfjidjte bet ITlat! Btanben* 
bürg, 1912. £a Baume, Dorgefdjtchte oon EDeftpreufeen, 1920. Koffinna, Das tDeichfel* 
lanb, ein uralter tjeimatboben bet ©ermanen, 1919. fjollad, Dotgejd}id}tIi<^e Überfichts* 
farte oon ©ftpreufeen, 1908. 

Dorgefd^idite in bet Schule: Kielebufch, tjeimatfunbe unb Schulreform. 
Branbenburgia 1919. R. R. Schmidt, Die Dorgefd)id}te in bie Schule! S<htoäbif<he $Iug» 
fdjriften, fjeft 2,1919. $ritf <h, Rlainjer 3eitf<hrift, 1911, S. 23 (für Baben). 


üolks* un6 Hltertumskunöe. 

Don Karl Reufdjel. 

„Sehet! Das Heue finbet uns neu", fingt ffioethe in einem feinet gefedigen 
Ciebet. Damit fdjlägt et ben ©runbton an füt bie Stimmung, bie hinfort ben beut» 
fdjen Unterricht befeelen follte. 3 n unermöblichet Arbeit helfet es bas Bemufetfein 
oon oaterlanbifchet Art, oon unferen Dorjügen toie oon unferen $ehletn ertoeden. 
Der (Seift bes beutfd?en Dolfstums mufe alle Untertoeifung abein. Deshalb finb 
gerabe bie tDiffenfdjaften,. bie oom Doltstum honbeln, 3U fräftiger Rtitmirfung bei 
ber Ziehung auf3urufen. Denn nicht ein haltlofes ©efchledjt brauchen mir, bie 
Beute oetfehmommenet EDeltoerbrüberungspläne, fonbem eine 3 ungmannfchaft, 
bie, ergriffen oon bet ©töfee bes Beitrags, ben bet Deutfdje feit Jahrhunderten 3ut 
Kulturentmidlung liefert, tlaren Sinnes ben fteilen EDeg emporfchteitet, übet3eugt 
oon bet IDahrheit, bafe jedes Dolf feine Senbung hat unb nicht blofe.bas Recht, auch 
bie heilig« Pflicht, fie 3u erfüllen, bamit bie fllenfchheit oormärtstomme. 3 n 3 «iten 
gemaltfamer Ummäl3ung tann ber Sinn nicht entfliehen genug auf bas Bleibenbe, 
auf bie Stetigfeit im Kulturmanbel (Alfteb Dierlanbt) gelenft merben, bamit mert* 
oolle 3 ufammenhänge nicht oerlotengehen. Die IDiffenfchaften oon bet Dolfsfeele, 
bie Dolfs* unb Altertumsfunbe, finb forgfam 3U pflegen. Das Detgangene ftellt 
bie eine bat, bas ©eftem unb Dotgeftern im fjeute fpiegelt bie anbete mibet. Aus 
bet Altertumsfunbe lernen mit bie ©riebfebem unfeter ©efcfjichte fennen, aus ber 
Dolfsfunbe bas ©egenmartige oerftehen, unb beibe fügen fidj 3U einet umfaffenben 
Dolfstumsmiffenfchaft 3ufammen. Dor romantifchet Schmärmerei, bie ©ntfdjmunbe* 
nes mit ©almiglan3 umgibt, bemahrt ber ©inblid in gefdjichtliches EDadjfen. 

Diefe Dolfstumsfunbe als eigenes 5 a<h gehört an bie fjochfchulen. Ztlit Rach» 
brud merben ba, roo fie nur Afchenbröbelbienfte oerrichtet, Dertreter für fie geforbert. 
An Dolfs* unb TTtittelfchulen, an Berufsbilbungsanftalten — fie oerlangen nadj (Er* 



110 


Dolfs« unb Altertumstunbe 


Icidjtctung von Ballaft — will bie Dolfstumswiffenfd)aft Unterrid}tsgtunöfaß 
werben. Keine Celjtftunbe fei gän3lid} ohne Bejahung auf fie. 

Koch vor etwa 20 3 aljren burfte man fragen, ob fie reif fei 3U bet Aufgabe, 
aud} nur hier unb ba mit3ubeftimmen; jeßt märe es untlug, ja oermeffen, ihr freien 
3 utritt 3U oerfagen; jeßt Ijat fie bie Schule überall 3U butd}btinge^ 

Aber eines (Einfprucßes ift 3 U gebeuten, ben 3 uleßt Artur Jacobs erhoben hat (Oie Ar* 
beitsgemeinfchaft 1 ,337—349, befonbets auf S. 343ff.). dt beftreitet, baß man 3 um „.beut* 
fchen" Rlenfchen et 3 iehen tann, unb halt bas Beftreben bet Hamburger $id)tel}ochfchule 
für falfdj. „Sie leitet“, fagt er, „ihr Recht ab aus bem ©ebanlen, baß bie 3bee bet Rlenfd}* 
heit in jebem Dolfe auf eine neue unb eigenartige fl)eife 3 unt Ausbtucf tomme unb baß, 
wie es leinen Baum an fid}, leine Blume an fid} gebe, fo auch leinen Rlenfchen an fid}. Aber 
inbem fiejid} nun bewußt 3 um 3ül fe^t, ben „beutfchen" Rlenfchen 3 U et 3 iehen unb nicht 
ben Rlenfd}en „an fid}", verleugnet fie getabe bie dtlenntnis, auf bet fie oorgibt, auf 3 ubauen. 
Denn wenn es leinen Rlenfdjen an fid} gibt, fo heißt bas bod} eben: ber Rlenfd) tann es an* 
ftellen, toie et will, wenn et nut Rlenfd) bleibt, fo ȟb et auch immer ein Rlenfd) feines 
Dolles bleiben. (Es bebarf alfo gar nicht bet <Et 3 iehung 3 um „beutfchen" Rlenfchen, fonbern 
nur ber <Et 3 iel}ung überhaupt, fteilid} wahrer Ziehung, beten 3iel nicht me<hanifd}e 
©leid)mad)erei, fonbern lebenbiges Itlenfchentum ift. tDas bann für Deutfdje babei 
heraustommt, bas ift eben beutjch- 

Sie baut abet 3 »eitens auf einet Reihe von Hrugfdjlüffen auf. Der erfte dtugfd)luß 
ift bie Annahme, man tonnte 3 U „beutfdjem IDefen" bewußt etjiehen. Der 3 »eite befteht 
in bem ©lauben, man tonnte biefe d^ieljung et 3 ielen butd} Befcßaftigung mit „beutfchen" 
©egenftänben. Der britte, ber ben beiben erjten 3 ugrunbe liegt, grünbet fid) auf bie An* 
nähme, man tönne burch beftimmte Rlerfmale feftftellen, was „beutfdjes IDefen", was 
„beutfd}e (Eigenart" fei. Alle btei drugfdjlüffe hängen eng 3 ufammen. Sie bebingen ein* 
anber. tDer 3 U beutfchem IDefen bewußt et 3 iehen will, muß »iffen, worin beutfdje (Eigen* 
art befteht, unb er muß es nidjt nut gefühlsmäßig wiffen, fonbern aud} oerftanbesmäßig." 

Jacobs läßt alfo nut ben angeborenen dharatter gelten unb leugnet nöllig ben erwotbe* 
nen. (Et braucht nut bie Ausführungen von ©Ifenhans (dljataltetbilbung*, 5. 80ff. unb 
3ut Pfydjologie bet (Einwitlung auf anbere Rlenfchen, Deutfdje Pfydjologie Bb. 2, f)eft 1 
(3uli 1918) 3 U lefen, um fid} oon ber völligen 3trigfeit feines Stanbpunltes 3 U übet 3 eugen. 
©ewiß bringen wir als Rlenfchen beutfchen ©eptäges eine befonbete „(Etbmaffe" mit, aber 
es ift Aufgabe bet (E^iehung, fooiel wie möglich bataus 3 U geftalten. Unb was Rlethnale 
ber ein 3 elnen Dölter finb, hat bie oon DJunbt als „dharatterologie bet Döllet" be 3 eidjnete 
IDiffenfchaft, bie man aud} Dolfspfyd)ologie ober Dollstumsfunbe nennen mag, fich 3 U et* 
gtünben bemüht. 3 I)te datfadjenergebniffe finb fd>on fo weit gefidjert, baß fie für bie dt* 
3 iehungslel}te ausgenüßt werben tonnen. Unsweifelljaft trägt aber, wer, ftatt etwa oftafiati* 
fche ober inbifche £ebensauffaffung ootwiegenb auf ben 3 öglütg wirten 3 U taffen, ihm bas 
lebensnahe, bas heimatliche oorführt unb ertlärt — fehen wir babei aud} non ©efüljlsbeein* 
fluffung ab — ba 3 u bei, feine (Eigenart aus 3 ubilben. Ridjt fo feht bie Rlenfdjen als bie Dinge 
follen et 3 iehen, unb inbem bet fubjettive dinfdjlag möglid)ft vermieben wüb, entfteljt jenes 
bewußte Deutfchtum, bas uns als <Et 3 iel}ungs 3 iel oorfchwebt. 

IDenn fid} in Artitel 148 bet Reidjsvetfaffung an bie Sotbetung „im ©eifte bes beutfchen 
Dollstums" bie weitere anreiht „unb bet Dölletvetföhnung", fo liegt lein IDibetfptud) oot, 
benn beutfcfje IDefensart ift nicht „nationaliftifd)", Jdjauviniftifd}", vielmehr immer geneigt, 
bem Anbersartigen — oft bis 3 Ut Selbftoerleugnung — ©eredjtigleit wibetfahten 3 U laffen. 
Rtaffenpfyd)ologifd}e Aufwallungen bieten nicht bas richtige Bilb, nad} bem bas Doll als 
Dauetoerbanb 3 U beurteilen wäre. Rur ba, »0 fich folcfje Auswüchfe 3 U ©ewohnheiten aus* 
bilben, tommen fie als (Trübungen bet Doltsfeeie in $tage. Das ift abet bei ben Deutfdjen 
nicht bet $all gewefen unb nid}t 3 U befürchten. So tönnte man ben 3ufaß, bet felbft maffen* 
pfychologifdj 3 U bewerten ift, als überflüffig betrad)ten, weil bet ©eift bes beutfchen Dolfs* 
tums fdjon ben ©eift ber Dölletvetföhnung enthält. 

Die Schule als Dermittlerin oon Bilbungsgütem muß national fein, fonft hätte fie lein 



Don Karl Kcuföe! 


111 


Dafelnsrecht. Künftighin wirb bas nationale, bas Döitifdje in öem oben bejei^neten Sinne, 
bewußter 3 U pflegen fein als bisher. 

Auf Sic Ceiftungen beutfdjer IDiffenfdjaft, Kunjt unb ©echntt ift fottwäljtenb h' n 3 u ‘ 
seifen, Sie $ürforgeeinrichtungen unferes Reiches, ber £änber, bet ©emeinben, bie ©rofj* 
taten einjelner, wie bes fdjöpferifdjen ©rnft Abbe, finb 311 erläutern. <£s mujj bie tiebes« 
tätigleit unferct firc^Ii^cn ©emeinfchaften befprodjen roerben, unb Ktaffenoerföhnung 
(djeint notwenbiger als Dölletoerföhnung. 

Die Hauptaufgabe ber Pflege bes Dolfstums fällt ben fogenannten 6eutfdj= 
funblichen $äd}etn 3U: öem Deutfchen, ber ©tbfunbe, bet ©efchid)te unb ber Reit* 
gionsleijte. 

Den Anfang macht bie heimatliche Kulturfunbe, tute fie ©uftao Klemm liebeooll 
barftellt. (Er 3eigt, bafe bamit Derbinbungsgliebet oon ber Dolfsfdjule 3m höheren 
Schule unö 3ur Dollshochfchule möglich finb. 

IDeit mehr, als es 3U gefdjehen pflegt, lönnen bie Schulausflüge 3U bem 3wede 
benutzt roerben. Dabei laffen fich merltDürbige Sieblungs* unb Baufotmen etfläten, 
ber Cehter lann auf Sagen unb ihre Deranlaffung hinbeuten, oollstümliche Kamen 
oon Pflogen, (Tieren unb ©efteinen erläutern, in bie ©efdjichte bes Canbes ein* 
führen, (Bebädformen, lanbwirtfchaftliche ©eräte mit ben Spülern beoba<hten 
unb in eine engere ©efühlsgemeinfdjaft mit ihnen treten, wenn er an paffenbem 
©rte ein Cieb anftimmt. (Bei ber $tei3ügig!eit finb immer einige Schulet oorhanbett, 
bie aus anberen ©egenben ftammen ober in ben Serien weitab oon ber Arbeitsftätte 
ben Blicf gefdjärft hoben. Sie werben gern oon ihrem IDiffen fpenben.) tDenn auf 
bie TDichtigfeit bes fjeintatfehutjes hingewiefen wirb, fobalb man einmal bie Sputen 
unpfleglidjet ober gar roher Behandlung entbeeft, wenn babei ber oäterliche $ühtet 
bes Schabens gebenft, ben babutdj bie Allgemeinheit erleibet, fo ift bas ein gan3 
unauffälliger, aber einbtinglichet IRotalunterricht. Auch Bleiftiftf!i33en unb photo* 
gtaphif^e Aufnahmen follten nicht oerfäumt werben. 1 ) 

Qrtsgefchichtliche TTCufeen wären häufig 3U befugen. Da gibt es ©elegen* 
heit, auf tDohnweife oergangener 3 eiten ben Blid 3U lenlen, alte 3 unftgegenftänbe, 
©tabfteu3e 3U betrauten, ben Sinn 3U fefjärfen für Stilformen. ©benfo lohnen bie 
Kirchen unb ©ottesäder Befuch unter fadjhinbiger Ceitung. IDieoiel haben fie 
oft oon früheren (Tagen 3U berieten! Befonbers aufgewedten Schülern follten 
Heifebeihilfen gewährt wetben. Unterftütjung oerbienen bie Begebungen bes IDan* 
betoogels, foweit fie nicht ausgeartet finb, fein Detfuch, Dollslieb unb Doltstan3 
wieber 3U ©h tcn 3“ bringen. 

Schulabenbe feien Cichtbilberoorträgen über ©egenftänbe ber Altertums*unb 
Dolfsfunbe häufig unb planmäßig gewibmet. Dabei lönnten nicht nur fdjöne ©eile 
unferes Daterlanbes ge3eigt werSen, es würbe fich f c h r lohnen, wenn bie Koloni* 
fation bes beutfdjen ©ftens befprodjen, wenn bas £eben bet Auslanbsbeutfdjen 
gefdjilbert, wenn ihrer Bewahrung hemtifcher Art in ber $rembe gebacht würbe, 
ouch inbem man ihre treulich überlieferten bramatifchen Spiele oorführte. fjoofe* 
Betlow hätte oiel ©elegenheit, weitere glüdKdje Ausgrabungen 3U machen wie 
bie ber (Dbet ufetet Stüde. Aber mit befcheibeneren IRitteln wäre Ähnliches auch 

1) (Empfehlen würbe fich, wenn man oor einem folgen oollsfunblichen Schulausflug 
freiwillige Dorträge an ein 3 elne Schüler oerteilte, bie an ben betreffenben Orten gan 3 
anbets witlen bürften als ein „fchulmäfeiget" Dortrag bes £ehrets. 



112 


üolfs. unb flltertumsfunb« 


oon Öen Schülern felbft 3U leiften. Anregungen in öiefet Bejieljung fehlen nicht. 
ZDarum nidjt tjans Sachs ftatt öes lllaitre Patljelin, warum nidjt einmal öas (Eife* 
nadjet 3efjn}ungftauenfpiel in öet fcfjönen Bearbeitung oon $elij$reiljetTn oonStengiin 
(im „tDattburglieö"), toatum nidjt Burdjatö tDalöis’ Detlomen Soljn? 

Oie ©t3ieljung öer Eltern 3U beutfdjem Doltstum töte not. Ulan follte 
ihnen öie Augen öffnen für Öen tDert öes Kinöerfpiels, für öie ©efdjidjte unö Beöeu* 
tung öer nicht gelehrten Berufe u. a. 

1 Oas alles finö aber nur ©rgansungen öet eigentlichen Schularbeit. 0üt öie 
Unter* unö Utittelllaffen ljöh eicct Seljtanftalten liefoe fidj öas $a<hlehterfyftem 
ohne Sdjtoierigleit einöämmen. U)o es nidjt 3U oermeiöen ift, müffen oiele Brüden 
oon einem ©egenftanöe 3um anöetn gefdjlagen roeröen. Oie ©efdjidjte oettoeife 
auf öie Unterfchieöe 3toifdjen fchriftlich unö münölidj fortgepflan3tem Beriet, öie 
©rbfunbe laffe fich ooltspfydjologifdje ©atfacfjen nidjt entgehen, öie Heligiottslehre 
bemühe fidj überall, öie befonöere oolfstümlidje Ausgeftaltung firdjlidjer $eiem, 
öie germanifdj*beutfdje Ausprägung <hriftli<her ©ebanten 3U 3eigen. 

Schon auf öer Unterftuf e hot öer öeutfdje Unterricht auf öie nach .bet höhen* 
läge oerfdjieöene Sptedjtoeife 3U adjten, tjausbeutfdj (Umgangsfptadje) unö ge* 
hobene Sprache. (Es mufe ein erfter Derfuch gemacht roeröen, ITCunöartlidjes tintig 
einfdjätjen 3U lehren. TRärdjen, Sagen, Spridjtoörter finö in befdjeiöenem ITCafje 
oetgleidjenö unö öamit 3um Uachöenlen anregenö 3U behanöeln. U)ie tommt es 
toohl, öafj öer 3üngfte getoöhnlich 00m ©lüd begünftigt ift? fjebels „Unoerljofftes 
tDieberfeljen" toirö in feinet gan3en Schönheit begriffen, toenn öet Seljrer öie ur= 
fprüngliche fdjtoebifdje Begebenheit (ogl. ©eorg Stieömann, Oie Bearbeitungen 
öet ©efdjidjte oon öem Bergmann oon $aljlun. Berliner Doltorfdjrift oon 1887 , 
Öa3u Stuöien 3Ut oergl. Stteraturgefdjidjte III, 1 — 28 ) er3ahlt unö öie eine oöer 
anöere öidjterifdje ©eftaltung öes Oorganges öarbietet. Solche ©rlenntnis öet Be* 
3iehungen 3ioifdjen U)ir!lidjleit unö Sage ift gtunbfätjlidj oon tDidjtigteit. 3 eigt 
fie öodjr roie öet Oichter gleichfam 3um ©artner in öem Paraöiefe öerDollsfage 
toirö. Auch öeutfehe U)ortgeographie läfjt fich fdjon in Unterflaffen betreiben, etroa 
an öer tjanb oon Betufsbe3eidjnungen roie (Effenlehter, $euerrüpel, oöer oon ©erat* 
namen roie Sdjubfattett, Raöetoelle, Raöefatre, Raötoet oöer oon Dot* unö $amilien* 
namen, felbft oon Ortsnamen, bei öenen eine erfte oorfidjtige Oarftellung öer Sieölungs* 
gefdjidjte möglich ift- U)ieoiel mehr als jetjt mufe öie (Eibe in Saufen oerbreitet ge* 
toefen fein, öa fie im (Et3gebirge in öet Staöt (Eibenftod, in öer Saufiij in ©ibau oor* 
lommt! UMdje geroaltige Arbeit hoben öie Oeutfdjen im Oogtlanöe geleiftet, roie 
öie häufigen »reuth 3eigen, unö toohet tarnen öieje Oeutfdjen? $ragt man einen 
©Ijemnitjet nach öer ooltstümlidjen Benennung feiner Ijeimat, fo antwortet et: 
„Karns", unö es ift ein Seichtes, öaoon ausgeljenb Öen 3 ufammenljang mit Kamen3, 
Kemnitj b. Otesöen unö öem Kamnifcbadj in öer Sächfifchen Sdjtoeis finöen 3U laffen. 
fjilöebtanö hat oft gefagt, bafe butdj foldje Betradjtungen $reuöe in öie Sdjule tommt. 
Unö roie fühlt fidj öet angeljenbe Sateiner, toenn et oemimmt, öafe „pax“, toas 
et in Ceip3ig ruft, fobalö et beim tjafdjefpiel öas $teimal erreicht hat, fich offenbar 
auf Öen $rieöen öes fjausljetbes be3ieljt, öet allen Döltern heilig ift. Ulan benutze 
eine foldje Stunöe erhebenöet Auftlärung, um ettoa ©hamiffos „Kotfifche ©aftfrei* 
heit" oot3ulefen unö an ähnliche $äl(e aus öem tlaffifdjen Altertum 3U erinnern 



Don Karl Reuföet 


113 


oder oom Burgfrieden 3U {preßen, ©bet es werbe einmal bas Kinderoetscgen: 
,©ne, bene, ©intenfag 1 behandelt. Sft bas nicht batet Unfinn? Aber wenn id} ba3U 
— idj lönnte es auch als Betfpiel für die Derslunft Ijeranjieben — die $affung: 
„Doftot Cutter, ©intenfag, geh’ in die Schule und lerne was" beibringe, da witd 
die Sache fefjelnd. Sollte fich eine (Erinnerung an die Art, wie der Bitter ©örg fi<g 
den (Teufel oom fjalfe fegaffen wollte, darin aufbewagrt haben? ©ewig nicht. Aber 
was ift denn oon Cutgers Büchern in allen Schulen eingeführt gewefen? Bet Kleine 
Katechismus. Ben rnugte alfo jeder mitbringen. Ba3u auch ein ©intenfag mit Stecher. 
Bie (Tinte wurde oom Cegret nicht geliefert. So hatte man denn, das Schreibheft 
ausgenommen, alles beifammen, was für den Anfangsunterricht gebraucht wurde. 
Sch meine, die Kleinen achten nun gan3 anders als bisher auf ihre Heime. Bag im 
Spiel: (Es fommt ein RTann oon Hinioe das Jubilate! des Sonntags ftedt, ift auch 
leine üble (Entbecfung. Ber Sejtaner fragt wohl auch* was das Boppeldathgaus 
im tjerm oon Ribbecf auf Ribbed im fjaoelland bedeutet. Ba 3eichne der Cegrer 
flugs eins an die tDandtafel und ftelle den Schülern die Aufgabe: Seht euch m der 
Stadt um, ob nichts Berartiges 3U finden ift. ‘Bei folchem auf ein beftimmtes 3 i«l 
gerichteten Stteifen wird wohl manches nebenbei gefunden: merfwürdige ©affen* 
namen, Jjausinfcgtiften, tjausnamen. Bie Keinen Sorfdjcr bringen, fobald fie auf 
folcge Dinge aufmerlfam geworden find, oft mehr 3ufammen, als erwartet wurde. 
Bähnhardt hat an der ©gomasfcgule auf tjildebrands Sputen gute Racglefe halten 
laffett. An Rtädcgenfchulen wird heutzutage bei ©elegengeit des „Dimdlloftüms" 
allerhand Rüglicges übet (Tracht und Rtode 3U fagen fein, ©in hübfehes Beifpiel 
oergleichender Kinderreimbetrachtung ift: „Schnede, Schnede, Saniere, 3eig* mit 
deine niete" und das franjöfifcfje: „Colima9on borgne, montre-moi tes comes“. 
Sn manchen Sefebücgem fteht das ©ediegt: „Ber Stieglitz". Bei det Befptechung 
mag immerhin erwähnt fein, dag det Rame wie auch ber des 3 eifigs aus dem Slawi« 
fegen ftammt und durch die ©frechen, die f<hon feit etwa 1200 als Bogelhändlet auf* 
treten, 3u uns gefommen ift. 

Bie IRitteltlaffen höherer Schulen, find oon dem äugetlicgen Sptachdtill im 
Beutfchen entlaftet und befondets geeignet, in ein tieferes Derftändnis ein3uführen. 
hier tann die Dollsetymologie mit Rügen betrieben werden, hi« bietet fug mit Be* 
handlung der Standes* und Berufsfptachen ein danfbates $eld, hi« ift mit der tDort* 
lunde die Sacglunde in enge Derbindung 3U fegen, gier lägt lieg auch an Briefen 
bereits det TDandel deutfegen ©emütslebens feit dem 16 . Jahrhundert 3eigen, hi« 
wäre det wiegtigften $ormen ooltstümlicger Dichtung 3U gedenlen, det 3ufammen* 
hänge 3wifcgen tDirtfcgaft und ©eiftesleben, der feineren Unterfcgiede 3wifcgen 
Scgriftfpracge und IRundart, det XDortgeogtapgie. ©der es lönnte forgfam dem 
IDacgfen der Sage, det inneren Samt des IRärcgens nachgegangen werden, weil die 
beffete fremdfptacgliche Schulung Dergleicge mit Ausländifchem ermöglicht. übet* 
all bereichert {ich auf diefer Stufe ©mpfänglichleit und IDiffen, gefcgicgtlih« Sinn 
erlennt, wie die Bollsfeele fich ändert; Raturbeobacgtung 3iegt weitere Kreife, fo 
dag aueg in igr die Doltslunbe eine nüglicge Helferin gewinnt. tDir 3eigen etwa 
und laffen finden, dag fieg der gemeine IRann Kranlgeiten auf feine tDeife erHärt 
und mit be3eicgnenden Ramen belegt, wie ©idjt, fjejenfegug. IDit gedenlen der 
Stadt« und Botfgründungen, befpreegen die Stile des Bauern* und Stadtgaufes, 

3eitfd)rift f.DeutfätunÄ, 17. (ErgAttjungs^cft 8 



114 


Dolfs« unb Altertumsfunbe 


fd)ilbem ehtötinglid) bas £eben in Burg, Sd)lofe unb tjütte, benutzen bas munbart* 
(id^e Schrifttum unb oetfudjen uns mit fjilfe oon oolfstümIid)en Berichten »ie non 
Dolfsctjäblungen in bec Beurteilung oon £anb unb Ceuten. Sitte unb Brauch, 
Dollsiümlidje teligibfe unb Red)tsanfchauungen teijen 3um Itadjbenfen. Der 3 ug 
bet hetanttifenben 3ugenb 3ut fjelbenoetehtung »erbe geftärft burd) £ebensbefd)rei= 
bungen gtofeet BTenfdjen, bie beftimmte Seiten beutfd)er Art oertreten, ftilles Bulben, 
Aufopferung im Bienfte oon 3 been fei als ebenfo ootbilblid) ^ingeftellt, bie Arbeiter» 
biogtapbte nid)t oemadjläffigt. 

(Erft bann aber, toenn bas HUtteIho<hbeutfd)e in ben ©efidjtsfreis bet Spüler 
tritt, beginnt ein planoolles (Einbringen in bie Altertums* unb Boltslunbe. Bas 
tömifdje Germanien, bie Bölfenoanberungsjaljr^unberte, bie allgemeine politifd)e, 
»irtfd)aftlid)e unb geiftig*feelifd)e £age ber getmanijdjen Stämme, aus ber bie An* 
nähme bes ffljtiftentums, bet Kampf bet Kirche mit ben beibnifdjen Überlieferungen 
3U begreifen ift, bie (Eintoitluttg ber Klofterfultur finb nad) Quellen 3U beleuchten. 
3 etjt ift bie religiöfe Boltslunbe mit 3 auberfptud) unb 3 <wberl)anblung bet ©eil* 
nähme fidjet. (Ein ©efamtbüb beutfdjer unb norbifdjer Mythologie gehört auf biefe 
Stufe. DJie fid) ber £ieberftil, ben uns bie (Ebba unb bas tjilbebranbslieb aufbemahren, 
3um epifdjen Stil geftaltet, mufj ge3eigt toetben. Had) bem Ruoblieb, nad) ber Hibe* 
lunge Hot, nad) bet Kubrun, nad) ^attmanns Armem Heinrich, nad) tDolframs 
Pat3toaI, ©ottfriebs ©riftan unb Sfolbe, nad) IKinneliebetn, nad) ITCeier heim* 
bteQt feien Urjptung, Blüte unb tliebergang ber ritterlichen BDelt befd)tiebeit, unb 
©öt) oon Betlid)ingen fdjliefee bas Sot auf 3ur Bereit. (Es roetbe eingehenb ber 
Säuberungen mittelalterlicher länblidjer Berhältniffe gebacht unb ber allmählichen 
Befreiung ber Bauern oon tjörigfeit. Bie ftäbtifd)e Kultur mit ihren Bebingungen, 
bie Kolonifation bes (Dftens müffen öurcf) tDott unb Bilb erläutert toetben, ebenfo 
bas Stubenten* unb £anbstned)ts»efen, für bas im Boltslieb fo oiele 3 eugniffe oot* 
liegen. 3 mmet mag bie £iteratur, 3umal bie bes 16 . 3 ahrhunberts, auf ihren Bei* 
trag 3ut Kenntnis bes Bolfslebens hin lüürbigung finben. Bei £uil)et toeife ber 
£ehtet bie Ü)ut3eln im Bolfsboben nach, bet tjans Sad)s oetgeffe er nicht ben ©in* 
flufe ber TReifterfinger auf bie bramatifd)en Boltsftüde, bei $ifdjart laffe er fid) bie Bei* 
träge 3um Kinberfpiel nicht entgehen. XDenn et oon ber (Einführung bes römifd)en 
Hechts fpridjt, übetfdjaue er bie (Enttoicflung bet Boltsrechte unb gebe Beifpiete 
füt bas oft übertafdjenö 3arte (Empfinben, bas fich in mannen Befiimmungen 
äußert; et fdjilöete bie Bufeen unb Strafen unb fcheue fid) auch nid)t, $olter»erf* 
jeuge 3U ertoähnen. 

3 n ben beiben oberften Klaffen finb herber, ©oethe unb bie Homantit bie Qaupt* 
antnüpfungspuntte füt Betrachtungen auf unfeten ©ebieten. Allbetanntes braucht 
hier nicht noch einmal gefagt 3U toetben. Aber es ift toid)tig, bafe man bet tDanblung 
in ben Anfd)auungen über bas Boltslieb gebentt. Abfdjnitte aus Barftellungen ber 
Bolls* unb Altertumslunbe, aus ©uftao $reytag ettoa, ber aud) fdjon oorhet heran* 
ge3ogen »erben follte, aus 3 acob unb IBilhelm ©rimms Schriften, aus Riehls tul* 
turgefchid)tlid)en Abhanblungen Ȋten 3U lefen unb 3U befptedjen. ITleifingers unten 
angeführtes Bud) bietet Anregungen in Sülle. Bie Schüler »äten an3uhalten 3U 
fleißiger Benutzung oon $ontanes tBanberungen, oon (Dtto (Ebuarb Schmibts Kur* 
fächfifchen Streifigen unb ähnlichen EDerfen. 3 e nach öer Berufswahl möchten fie 




Don Karl Reufdjel 


116 


fid) in Auffät}en unb Dorträgen übet bie (Entmicflung bestimmtet ©ebiete bet Alter* 
tums* unb Doltshmbe betätigen. Den, bet Hechniter roerben min, feffelt gemifj bie 
©efd)ichte non IDettjeugen, ben Späteren 3 uri{ten bie alte Rechtspflege, ben 3um 
geistlichen Amt Bestimmten bie teligiofe Doltshmbe, ben angehenben Haturforfdjer 
bie ooltstümliche Haturetliänmg, bie fojufagen eine oorroiSfenfchaftlithe Stufe bat« 
Stellt, bem 3ut Philologie (Entfchloffenen unb bem bereinftigen Jjiftotilet tun fidj 
taujenö IRöglidjfeiten fruchtbringender Betätigung auf, unb auch bet nicht miffen« 
fdjaftlich Deranlagte finbet in bet Altertums* unb Dollstunbe ©egenftänbe feinet 
Iteigungen. Unb meldje frönen 3 iele minten bem metbenben XTlufifet, bet {id) bet 
Dolfsmeifen unb Dollstän3e annimmt, bem tünftigen Bautünftlet, bet aus Sdjminb* 
ta3heims Büchern lernt, mie et Sich Schulung im Sehen etmetben tann! Unter bem 
Abbilbe bes beutfchen IRidjels hat unfet Dol! fid} felbft oettörpert; es lohnte ein 
Dergteich biefet ©eftalt, beten ©efchichte Abolf fjauffen gejchrieben hat (Prag 1918 ), 
mit Derttetetn ftemben Doltstums, mie 3 ohn Bull unb anbeten. Das finb nur 
flüchtige Anbeutungen, notgebtungen flüchtig, abet fie genügen oielleicht. (Es mufe 
aber immet betont metben, bafj blofje Büchergelehtfamteit, bloßes EDiffen um bie 
Dinge niemals 3 i«l Solcher Befttebungen fein tann, bafj Steigerung bet (Erlebnis* 
fähigfeit not tut. So mitb bas Detgangene ein Stüd EDitHiches, geht ein in ben feeli« 
jchen Befitj, lehrt bie uns umflutenbe U)elt nicht im Sinne bet unerreichbaren All* 
gemeinbilbung, fonbetn aus bet Perfönlichteit begteifen, fdjafft ©atfadjenmenfchen, 
bie übetmunbenes nicht als Saft mit fid} hetumfchleppen, fonbetn Kinbet ihrer 
3 eit, abet nid)t iljtet Hage finb unb aus taufenbjähtigem Auf unb Ab unfern ©e« 
Schichte ben ©tauben Schöpfen, öaft öeutfd)es Dolfstum unoermüftlich ift. 

S^rtftemtachmeis. 

©uftao Klemm, Kulturtunbe auf heimatlicher ©runbtage. 2. »etm. Aufl. DresbemK., 
(E. fjeinrich- 

Reufchel, Das beutfche Dolfstum im Untenicht an höheren Schulen (Deutschunterricht u. 

Deutfchtunbe). Berlin 1917, ©. Salle. 

Boiunga, Oet beutfche Sptadjunt. auf höheren Schulen (ebenba). 

Paul fjettmann, ©laube unb Brauch ber alten Üeutfchen im Unt. (ebenba 1919). 
fjettmann, (Einführung in bie beutfche ITlijthologie ufto. (ebenba). 

©star IDeife, Deutfche heimat unb beutfche Stammesart im Uni (ebenba). 

^ermann $if<her, ©runbjüge ber beutfchen Altertumsfunbe. IDiffenfchaft u. Bilbung, 
Quelle u. IReyer. 

£ubroig Schmibt, Die germanifchen Reihe ber Döllertoanberung (ebenba). 

©tto Cauffer, Deutsche Altertümer im Rahmen beutfchet Sitte (ebenba). 

-Deutfche Sitte (ebenba). 

(Eugen ©adle, Das ©eftern im heute. (Kulturgeschichtliche Kleinbilbet.) heibenljeim, 
fjoroahrbe. 

©thmar IReifinger, BUbet aus bet Doltsfunbe. Stantfurt a. IR., Diefterroeg, 1920. 
©tto £auff et, Rieberbeutfche Dollstunbe. IDiffenfchaft u. Bilbung, Quelle u. IReyer. 
Ab am IDrebe, Rheinifhe Doltsfunbe (ebenba). 

©tto £auffer, Das beutfche haus in Dorf unb Stabt (ebenba). 

Reufhel, Deutfche Doltsfunbe im ©runbrifj. 1. Heil: Allgemeines, Sprache, Dolfsbidttung 
ARu®. Bb. 644. £eip;ig, B. ©. Heubner. 

IDalther Sdjoenichen, Der biologifd}e Unterricht in ber neuen (Erjiehung. £eip 3 ig 1919. 

3 citfd)rift f. Dcut|d)lun6«, n.Stgfinjungsfjeft 8* 




116 


Kunft iinb tltaf» 


Kunft unö ntufifi. 

Don Dia; Preitj. 

Kunft ift erhöhte EDirflichfeit, ift überwirflichfeit, überwirfliche HeufdjSpfunj 
oon IDclt unb Ceben unb trägt baburdj wahrhafte (Erlöferfräfte in fid;. (Ein RTeufch 
obnc inniges Derhältnis 3ur Kunft ift feine Perjönlichfeit, unb mag er noch fo tiefe 
IDiffenfdjaftserfenntniffe befitjen. Die Schule barf bei bet formalen Schulung ber 
üjeoretifdj*begrifflid}en $ä^tgfetten nicht haltmachen im ©lauben, ihr Beftes getan 
3U haben: oollfommen gleichwertig fteht neben bet Begrifflidjfeit bes grammatifchen 
EDort* unb bes mathematifchen 3ablbenfens bas Kunfterlebnis. 3 a, an (liefe un& 
Starte ift es bem fDiffenfchaftserlebnis »eit über, unb nadjbilbenbet mie mufifalifeher 
Kunftbrang betätigt ficb beim Kinbe lange oor bem erften Scbulgange fo lebhaft, 
baff es beinahe unbegreiflich Uh miß es bie Schule bisher fertiggebracht hat, biefen 
Kunftbrang nieber3uhalten, ja meift oetborren 3U laffen bis 3um frühen (Eobe. Auge 
unb <Pb r forbem hungrig unb burftig ihr Recht, 3U empfängnisteichen (Organen bes 
Seelenlebens ausgebilbet unb bamit fähig 3U toerben 3U unbeftechlichent Blicf unfr 
©ebör für RJirflichfeit, woraus erft bie (Erlebnisfähigfeit für bie überwirflichfeit 
werben fann. So ift bas Kunfterlebnis wichtig genug, bafe bie Schule es ber 3 ugen(r 
um feiner felbft willen oermitteln mufe, ohne anbere 3®e<fß bamit 3U erftreben. 
Unb hieraus folgt bie flipp unb flare Hotwenbigfeit, ber „Kunftbetrachtung" oom 
erften Schultage an im Schulunterricht breiten Raum, möglichft oon ber IKittelftufe ber 
höheren Schule ab, unbebingt auf ber ©berftufe gefonberte Unterrichtsftunben bereit* 
3uftellen, abgefehen oon ber großen Sülle oon ©elegenheiten, bie anbere Unterrichts* 
fädjer haben, IDege 3m Kunft 3U weifen. Diefe Üotwenbigfeit 3wingt ebenfo ftarf, ftellt 
man bie Kunft unter bie $rage bes nationalen: mag man es noch f° gleifeenb oer* 
fünben — es gibt feine internationale Kunft; je ftärfer, höher, tiefer, reiner fie ift, befto 
ftärfer ihre oölfijche Bebingtheit. $ragen wir alfo gefdjichtlieh, was bie Kunft ben Deut* 
fdjen gewefen, ober oom ©egenwartsleben aus, was fie uns Deutfdjen ift, immer wer* 
ben mir es erleben, bafj fidj unfet Seelenleben mit bem unferer Dorfahren unb unferer 
3 eitgenoffen berührt, bafe wir aus beutfdjer Kunft uns felbft erfragen unb oerftehen. 

Die Schule hat bemnach alles, was fie fann, be^utragen 3ur „Schmeibigung, 
£öfung unb ©ffnung ber Sinne" (Burbad;, Deutfche Renaiffance, S. 92 f, 3üm „Der* 
langen nach großer ebler Kunft". Die 3 iele ber Kunftbetrachtung finb: bie $ähigfeit, 
U)erfe ber bilbenben Kunft unb IRufif mit fidjerem (Befühl unb Derftänbnis für 
wahrhafte, echte, eble Kunft, über unflares (befallen unb Rttfjfallen hinaus, auf* 
3unehmen; Derftänbnis für wefenhaft beutfehe Kunft unb bie unterfcheibenben Uterf* 
male nichtbeutfcher Kunft; Kenntnis ber bebeutenbften beutfehen Künftlergeftalten 

— benn es ift fünbljafter Deicht gewefen, bie unfäglich großen Perfönlidjfeits* 
werte, bie in einem Dürer, Rembranbt, Ittenjel, einem Bach, ^anbei, ITCojart, 
Beethooen, U)agner begriffen liegen, alle höhen unb (liefen bet IDelt umfpannenb, 
ja im größten halben unter ihnen, in Beethooen, mit menfchheitserlöfenber übet* 
winbergewalt alle Rahmen bes Rlenfdjentums fprengenb, alle Schladen abfchüttelnb 

— biefe EDerte ber beutfehen 3 ugenb oot3uenthalten. Aus allem: beutfehes Sehen, 
beutfehes hören, beutfehes $üljlen, beutjeher tDUte. So fann bie Schule ein3ig gegen 
Kunftheuchelei unb Urteilslofigfeit ber Ittaffe fämpfen, fann fie ein ©ejchledjt heran* 
bilben, bas frei ift oon ben Striden Schlagwort unb (Eagesmeinung. 



Don Itta; preitj 


117 


Diefe 3 ielc bet Kunftbetradjtung barf bie Sdjule nur im 3 ufammenljang mit 
bet Deutfdjtunbe oerfolgen. Das Reifet: Die Kunftbetradjtung wirb einmünöeit 
müffen in bas gtoge ^auptjiel bes auf bem ©runbe bes beutfdjen Doltstums auf* 
gebauten einheitlichen (Etjieljungswerls bet Deutfdjtunbe; fie roirb 3eigen, wie 
auch beutfdje bilbenbe Kunft unb Utufif im innetften Ketn feit alters beutfdje Art 
enthalten unb entfalten, roie nur jebe anbere Schöpfung beutfdjen ©elftes (fonbet* 
lidj bie Spradje) es oetmag. (Dgl. bie Arbeiten oon Iljobe, pinber, Karl Schefflet, 
©sfat fragen, $riebtich Panjer.) Danach beftimmt (ich bet Rhythmus ber tDeglinie 
oon felbft: oom gefdjloffenen Sein 3um bewegten tDerben. ©rft laffe man bie 3 ugenb 
grünblich brauflos Kunft erleben; bann fie bes ©rlebniffes beraubt »erben; bann fie 
bas Seienbe ber Kunft als et»as ©erootbenes ertennen; enblicfj fie folcf? (Erlebnis 
fuchen unb mit Klarheit empfangen. Die gefdjidjtlidjen ünien (unter Berüdfidjtigung 
ber ©inflüffe, bie, hemmenb ober förbetnb, bie mittelmeerifdje Kunft bes Altertums, 
bie maurifdhe, tomanifche, 3ulegt »ohl auch bie oftafiatifche in ben tjauptabfdjnitten 
ber funftgefchichtlichen ©ntroidlung auf bie beutfdje Kunft, bis in bie jüngfte 3 eit, 
geübt haben), bie Betrachtung eines Kunft»et!s als eines Ausbruds ber 3 eit, 
ber beftimmten fünftlerifchen Perfönlidjfeit, bes ©emperaments, ber IDeltanfchauung 
feines Stopfers (Beifpiel: Celjrptoben unb Celjtgänge 1917 , 3 . fjeft, S. 74 ff. mit 
Steinhaufens Sdjlug»enbung), cnblich bie (Einleitung 3U ben Bebingungen bes 
Kunftfchaffens fegen bemnach planmäßig erft an ber XDenbe ber ©berftufe ein unb 
»erben fortfehreitenb tiefet begrünbet. 

hieraus ergibt fich bie ZTCetljobe für bie Kunftbetradjtung oon felbft: Alles ift 
in inbuftioem Derfahren aus bem ©rfaljTungsbefig bes Spülers h«t3uleiten unb 3U 
ent»ide(n, alle Dotausfegungen für bas fünftlerifche ©efüfjlsetlebnis finb aus bem 
IDerf felbft 3U gewinnen, fo »ie auch bie Abficht bes Künftlers aufgebedt »erben 
mug — 3um Beften oertiefter (Einfühlung. Unb fdjlieglidj mug bas Derhältnis oon 
$otm, Stoff, ©ehalt unb feine innere ©efegmagigfeit in beutfdjer — im ©egenfag 
3U ftember — Kunft aufgebedt »erben, als Sieg bes ©eiftes über Stoff unb $orm. 
All bas barf fich unb »irb fich nicht oor bas (Erlebnis brängen. Kunftbetradjtung 
»ill nicht mehr, aber auch nicht weniger als bas: lagt fie’s fühlen, erfühlen! Da3u 
foll fie mithelfen unb ihre ZTtittel in teufdj.unb befcheibener 3urüdljaltung anwenben. 

Auf ber Unterftufe h*igt Kunftbetradjtung banadj laum mehr, als fich burch 
$ragen oergewiffem, bag bie Kinber mit ihrem ©efüljl auf bem richtigen U)ege 
3um (Erlebnis bes Kunft»erts finb, bas ihre Augen abtajten. Das fltotio barf baher 
nicht augerhalb noch überhalb bes Dorftellungsfreifes bet Kinber liegen, bie Aus* 
brudsmittel müffen finblidjer Beobachtung leicht 3ugänglidj fein. Dag bie gefühls* 
mägig*beobachtenbe Anfdjauungsart beim Kinbe weitaus über»iegt, barin aber 
erftaunüdjet $einheit fähig ift, ift bas (Ergebnis ber (Erfahrung unb »iffenfdjaftlidjen 
$orfdjung (Dehning, Bilbunterridjt, 1912 ). Deshalb ift gerabe für bie 3 ugenb — 
nicht immer, aber meift — bie Kunft »ieberum bas feinfte ©rgan 3m (Erfaffung bet 
Kunft: »ill fagett, bag »edjfelfeitige $ötberung unb (Erhellung ber bilbenben Kunft 
unb ber Rlufit burch bas Didjter»ort, »0 innerfte Derwanbtfdjaft 3»ifchen beiben 
befteht, bas feinfte Kunfterlebnis 3U ©ermitteln, 3U oerftarlen, ja überhaupt 3U fchaffen 
oermag. Das tann natürlich ebenfo gelten für bie Dertiefung oon Sptadjfunft»erten 
burch tDerlc oon bilbenbet Kunft unb Utufif. ( 3 ahlteidje oor3üglidje Beifpiele bei 
©eifei, Betrachtung oon Kunft»erten in Schule unb fjaus, ®lüdftabt_ 1912 ; ba3U 




118 


Kunft unb Rlufif 


Hadjträgc in £ehrproben unb £ehrgänge 1915 , 1. S. 70 yf.) Unb tote bic 
(Erjieherlunft, eben bie 3m Kunft 3U erjiehen, felbft Künjtlerfeelen forbert, 
unb wie biefe Kunft ausgeübt werben mufe, bafüt ift unb bleibt £i<htwart nicht trotjr 
fonbem gerabe wegen ber (Ein^igartigfeit feiner Künftlerperfönlichleit bas mufter* 
gültige Dorbilb. Auf feine „Übungen in ber Betrachtung oon Kunftwerlen" (Berlin 
bei Bruno Gaffirer) fei hier oertotefen an Stelle eines ein3elnen eigenen Beifpiels. 
Beffet lann leine Kinbesfeele 3um Sehen geleitet, beffet nicht ber ftumme Augenfinn 
gelöft werben, beffer nicht aus oerfchwommener ©emütswallung wahrer Kunftgenug 
gewonnen, beffer nicht ©hrf 11 ^* unb Staunen oor bem Kunftwerle erhalten unb 
gefteigert werben, biefe Urgefühle, oon benen alle Kunft unb aller Kunftgenufe aus* 
gehen. Bei Cichtwarf erlennt man 3ugleid?, wie Kunftbetrachtung flrbeitsunterricht 
fein muff: ba ift fein Anfatj 3um 3 o>ong, fertige Urteile 3U übernehmen, etwas dt* 
3wungenes unter bem Kunftwerl 3U fuchen ober fich 3U benlen. Da ift enblich bie 
wunberoolle Dielheit ber flnlnüpfungsmöglidjleiten, bie nicht ein beftimmtes ©e* 
banlengerüft mechanif(h*graufam febem Kunftwerle aufprefet, fonbem 00m ©ebote 
bes Kunftwerls feinet jebesmal grunbeigenen U)elt ausgeht: es ift bie glüdlidje 
Sicherheit, für jebes Kunftwerl ben Punlt 3U gewinnen, ber bas ©anje beljerrfcht, 
ober an bem ber $aben angefnüpft ift, an bem wir uns ben U)eg burch bie Sülle bes 
mannigfaltigen 3m (Einheit fuchen. 

<San3 felbftoerftänblich ift es, ba& für bie erften 3ahre ber Kunfter3iehung nur 
beutfehe Kunftwerle herange3ogen werben; bie beutfehe $orm barf, fo wie im Sprach* 
gefühh auch tut Kunftgcfühl nicht ben leifeften Staben nehmen burch ein Sehen* 
lernen nach fremben IHuftern. So geübten jungen Augen fann bann ein allmählich 
unb mafeooll mitgeteiltes tDiffen um bie Kunft, wie es oben für bie ©berftufe an* 
gebeutet worben ift, bie Unbefangenheit bes Kunftgenuffes leineswegs beeinträchtigen 
ober 3erftören, im ©egenteil, cs wirb ihn nur oertiefen. Dagegen gehört ber IRecha* 
nismus einer funftgefchichtlichen ITtethobe, wie ihn £uife Potpefcfjnigg in ihrer 
„(Einführung in bie Betrachtung oon tDerfen ber bilbenben Kunft" (IDien 1915 ) 
empfiehlt, nicht als herrfchenbe Regel in bie Kunftbetrachtung ber Schule, (©enauere 
Begrünbung in ber 3 ettf<hr. f. b. b. Unterr., 32 . 3 ahrg., 1.—2. fjeft, S. 75 ff.) Das 
oerfchlägt nichts, öafc man gelegentlich einen Derfudj biefer „objeltioen" methobe 
baibietet, um 3U guter £etjt 3U 3eigen, was bie Kunftwiffenfchaft will. 

Dagegen finb auf ber ©berftufe Ausfprachen ber Schüler (in bie ber £ehrer nur ein* 
greift, wenn fie bas Ufer oerlieren), Dorträge ein3elner Schüler mit angefchloffener Aus* 
fprache aufeerorbentlich erfpriefelich: jeber wirb feine $teube batan hoben 3U fehen, 
welch Uefe, an bas £et$te ftreifenbe $ragen ba oft fein unb Iräftig angebohrt werben. 

So würbe benn eine Reihenfolge beffen, was an IDerfen bet 

Bilbenben Kunft 

bargeboten werben mag, bergeftalt ausfehen. 

1 . Unterftufe. Bilber in Anlehnung an ben beutfehen Unterricht. Deutung unb 
Dertiefung burch ein ©eöicht, eine einlleibenbe ©efchidjte, ein Stimmungsbilb, ein (Er¬ 
lebnis. herousfragen, ob alle richtig fehen. Das ©egenftänbliche, ber Stof wiegt oor. 
©enrebilb Klärchen», Cegenben», Sagen*, ©efchichtsbilb. 3 ahres* unb (Eagesjeiten, Kinber* 
unb Somilienleben. $efte (Richters UJeihnachts*, Öfter* ufw. bilber, „Daterunfer"); Riemling, 
Dürer (Rlarienleben), £ubwig Richter, Sleoogt (Rübejaljl), Pocci, Spectter, Bufch (Bilber* 
bogen), Spitjweg, Paul heg, (Ernft £iebetmann, h ans dhoma. Bilber beutfher Stäbte 
unb Dörfer, Burgen, Rlärfte, Strafen. 

2 . Rlittelftufe. 3 u Sage unb ©efdjichte (in Anlehnung an beutfd}* unb gefdjichts* 



Don Rtaf Preitj 


119 


lunbliche Stoffe): ©homa (Deutle f}dbett- unb ©ötterfage), Schwinb, Böcfltn, prellet 
(Roröifd)e Canbfchaften), Rethel, Kaulbadj, Riegel Religiöfe Kunft: Riemling, Ktanach, 
Dürer. Zlaturbefeelung: Sdjtoinb ( 3 U ©oethes Bailaben), Phil ©. Runge, Kaspar Dao. 
griebridj, Böcfltn („Pan erfdjredt einen Ritten" unb anbere ©emätbe bet Sdjadfammlung), 
Steinhaufen (3U (Eicljenborff). Dürer „Ritter, ©ob unb ©eufel", tjaug „Rtorgenrot" (3U 
fjauff; ogl 3eitjchr. f. b. b. Unt'rr., 32. 3«h r 9-» 3. fjeft, S. 188ff.). 3 um antifen £efeftoff: 
Pteller, geuetbadj. RI nfdjenleben: Richtet, £ieb oon bet ©lode, Braut 3 ug, Dollslieber. 
Deutfche £anbfchaften, Burgen, Stabthäufer, Sdjlöffer, Kirchen. Kunftgewerbe (oon allerlei 
©efdjmacfsbummheiten — ogl. Pfeilftücfer, IDege 3 ur Bilbung bes Kunftgefchmads, 1917, 
unb £inbemann, Beiträge 3 ut ©ejchmadsbilbung, ba 3 u 3eitf<h r - f. b. b. Unten.. 33. 3ahtg. f 
4.-5. fjeft, S. 182ff.). 

3. ©betftufe (angenommen oierjähtig). ©unlidjft Anlehnung an ben beutfchen unb 
gefd)ichtlichen £ehrgang; bo<h leine fyftematifche Kunftgefd}id}te, immerhin an ben höh«* 
punften bet ©ntwidlung ein tjerausarbeiten bet gerichtlichen ©atjachen, wie ftembe (Ein» 
flüffe fommen, aufgenommen, abgelehnt firtb, wie fidj bas Deutfche bagegen aufgelehnt, 
behauptet h°t- Der ©runbfat) ber Dergleichung in ©efolgfchaft oon p. Branbts „Sehen 
unb ©rfennen" ift aufeerorbentlich fruchtbar. Die im folgenben getrennt aufgefiühtten 
Kunft 3 tt>eige braunen leinestoegs getrennt behanbelt 3 U werben; erfotberlich ift bie tjeraus* 
arbeitung ber gleichartigen (Erscheinungen in ben Jjöfjepurtften. £eitfaben für bie ©ber» 
ftufe: Dolbehr, Bau unb £eben ber bilbenben Kunft. — Kunftgewerbe: fjonbarbeit unb 
Rlafchinenarbeit. Raturform ((Etslriftalle ufro., „Kunftformen bet Ratur" oon fjäcfel) unb 
Kunftform, StUifierung, ©apetenmufter, Stoffmufter, Det 3 ietung. Schrift unb Dtud; 
Dtudbilb unb Inhalt; Bucheinbanb, Budjbedel. 

Baufunft: Aufrife oon Romantif, ©otif, Renaiffance (unter (Einfchaltung bet gtiedjifchen 
unb helleniftif^en Baulunft), Batod (Dresben, IDü^burg, Berlin), Klaffil unb neuerlichem 
Bau (Semper, Rieffel); £eitfaben: RIatthaeis oier Bänbchen in „Ratur unb ©eiftesroelt". 
Deränberungen bes Raumgefühls (Entroidlung oon Stabt* unb Strafeenbilb. Denfmals* 
unb ©artenbaulunft (Bismard*©ürme, £eberersBismard). 3nbuftriebau unb £anbfd}aftsbilb. 

Plaftif aus Romanifcher, ©otifcher, Renaiffance* unb Barod 3 eit Die Klajfiler. Klinget, 
tjilbebranbt, £ehmbrüd. Relief, fjoljplaftif (BarlachhO 

RIalerei: fjöhlenfunft. Die garbe im frühen Rlittelalter. Rlallunft in beutfchen fjunö* 
fchriften bes Rlittelalters. ©egenfat} oon italienifcher unb beutfcfjer RIalerei bes 15. unb 
16. jfahrhunberts (©slar tjagen, Deutfehes Sehen!). Die großen beutfchen Rlaler oon ben 
Kölner Rleiftern bis fjolbein. Die Rieberlänbet. Deutfehes Batod unb Rololo (Ch°öotoiedi). 
Klaffotsmus unb Romantif. Das 19. 3ahtljunbert (£eitfaben: l)<im«nn). Die jüngfte 
Kunft (£eitfaben: IDätjolbt; ferner Kauhfdj: „Die bilbenbe Kunft bet ©egenroart" ufro., 
1920). Seht brauchbar bie „©infühtung in bas Derftänbnis ber RIalerei" (1920) oon Uebing. 

Beifpiele oon <Ein 3 e(aufgaben für Dorträge ober freie Ausfprache: Der gotifche Rlenfch 
(3<*h l t*ücher für päbagogif, 1917, S. 311 ff.). gran 3 öfifche unb beutfehe ©otif (©slar fjageri 
S. 98). Schroar 3 toeifefunft unb farbige Kunft Schön unb fjäfelich (<E. R). Brebt, „fjäfelicfje 
Kunft?"). U)ahr unb unwahr. Ratur unb Kunft (in Anlehnung an Dürers belanntes R)ort). 
Deutfehes unb weites Sehen (©slar fjagert). Der artiftif<h*öeloratioe fjouptjug ber Re* 
naiffancefunft Künftlerifehe £anbfchaft unb Sidjtbilb. Afthetil bes bewegten £ichtbilbes. 
Bau unb Baumaterial Die R)oltentrat)er. Kulturgefchidjtlicher Inhalt bes Bauwerts. 
Denlmäler in Riefenmafjen. Die ©ntbeder beutfdjer £anöfdjaften (Kleift, gontane, £ei* 
ftilow — Rlarf; Arnim, Brentano, Riegel—Berlin; fo Rhein, tjeibe, Alpen ufw.). Deutfche 
Stammestunft (parallel Rablers £iteraturgefd}ichte). (Erneuerungen unb <Ergän 3 ungen 
alter Bauten (ein Kapitel 00 m ©efchmad). ©efühlswert ber garbe (garbenfymbolil). 
Rhythmus ber £inie. (Entwurf unb Doltenbung; ober mehrfache Ausführung bes gleichen 
IRotios ( 3 . B. bei Bödlin). Allegorie in bet bilbenben Kunft ©egenüberftellung 3 weiet 
Künftler (Dürer, ber ©ffenbarer bet £inie, unb Rembranbt, bet ©ffenbaret bes farbig 
flutenden £idjts; ©rünewalb—©homa; Dürer—Bohle; Segantini—Steinhaufen; Rlillet— 
oan ©ogh (©slar fjagert S. 114ff.). ©uerfchnitte: Das Kinb in bet bilbenben Kunft („Kinb 
unb Schule", S. 319ff., £eip 3 ig, Dünfchet Derlag); Rübe 3 ahl bei Ritter unb Sleoogt (es 
ift mit ber Rlärchenfunft in Sejta nicht abgetan!); ber ©ob (Iotentän 3 e), ber Krieg, obet 
ber Regenbogen, bas ©ewitter u. a. in ber bilbenben Kunft. grauen als bilbenbe Künftler. 
Der Buchfehmud. Die Aufgabe bes Bilbnismalers. Kunftfeinblich«' 3«tt«n unb Döller. 



120 


Kunft unb Rtulit 


Oie tünftlerifche Darftellung oon Arbeitern unb Arbeitsftätten (ogL Branbt, Das Problem 
ber Arbeit in ber bilbenben Kunft). Das öeutfcfje SchönfjeitsibeaL IDas ffat uns bet Rem* 
branbtbeutfche heut ju fagen? Rationale ober internationale Kunft? (OgL internationale 
RIonatsfchrift oom 1 . Rooember 1914.) ZDie 3 eigt fich beutfcfjoölfifdjes Riefen in ber Art, 
toie Deutfdje bie frembe, namentlich griechifche Kunft aufgenommen haben? RMfche $or* 
mung, beutfche ©eftaltung. 

Sraglos werben unb muffen anbcre Unterrichtsfächer auch bet Kunftbetrachtung wert* 
volle Beifteuer leiften, toie benn biefer ganje plan auf völliges 3 neinanber wirten aller 
(Erjiehungsarbeit 3 U einer ftarten IDerteinheit angetviefen ift: alle <Ein 3 elgebiete ftehen in 
3onen, bie fie beherrfchen, beten ©te^en aber offen liegen füt bie Radiant So gibt bet 
beutfche Unterricht her: ben LDortfchaß, beffen Dermehrung planmäßig auf bie Künfte 
ausgebehnt werben muß (burch £efeftüde, bei Ausflügen, Betätigungen ufw.), ferner bie 
3 ahUofen (Erlebniffe ber Sprachtunftwerte, Beiträge 3 ur £ebensgelchi<hte ber Künftler unb 
aus bem Schrifttum über bie Künfte. Da finb bie Ceffing (vgl. Rofenthafs mehrere frud}t* 
bare Unterfudjungen, auch bos feh 1 brauchbare Bänbchen „Die ©ruppe bes Caotoon", Ijeft 
112 non ©räfers Schulausgaben), RJincfelmann, Schiller (Afthetifche Briefe, „Künftler", 
„Spa 3 iergang" ufw.), tjerber, ®oethe (Strasburg, Sarbenleljre — 3eitfchr. f- b. b. Unterr., 
3ahrg. 34, £? e ft 1, S. 55 ff. —, italienifche Reife, dellini, eigene 3e«hnungen unb Entwürfe 
— ogL Dolbeht, ©oet e unb bie bilbenbe Kunft, 1895), bie Romantiter (IDadentober—Dürer; 
Brentano—®rünewalb—Straßburger Rtünfter in ber „dhronita“—Runge), ®ottfrieb Keilet 
(®rüner Qeinrich), bie 3 ah(reichen Künftlerromane unb Künftlernovellen. Da gibt ®oethes 
„tjans Sachs" mit fptachlichen Rütteln fo greifbar Bilbha'tes, manch lyrifches ®ebi<ht fo 
flares £anbf<haftsbilb, baß man begabte 3ei<hnet unb Rlaler unter ben Schülern gerabeju 
glüdlich machen tann mit ber Aufforberung, mit Stift ober pinfei nachiugeftalten, was bas 
IDort vorge 3 ei<hnet hat Die mannigfachen R)e<hfeibe 3 iehungen 3 wifd}en „beutfdjer lOort* 
funft unb Bilbtunft" bedt ja Uläßolbts Berliner Dortrag (ber 3 weite ber beutfchen Abenbe 
im 3entralinftitut) tunbig auf unb führt fie für ®oethes tunftgefchichtliche Senbung in ber 
3eitfchr. f. b. b Unterr. Qahrg. 34, fjeft 4, S. 273 ff.) genauer aus. Unb wer würbe fich’s 
am (Enbe entgehen laffen, in ber Anlehnung an ben Citeraturatlas tunftgefchichtliche Be* 
Pachtungen an 3 uftellen übet Buchgewerbe, ®raphit. Bilbnistunft (©oethe im Bilb, ein 
lehrreicher Banb bes 3nfeIoerlags)? Religion (©ottesoerehrung unb Bilb; ©ottesßaus, 
Bau unb Schmud; (Einfluß tirchlicher Strömungen unb Bewegungen auf Kirchenbau unb 
Bilbfchmud) unb Phitofophifche Propäbeutit (Afthetifche ©runbbegriffe — 3eitf<hr. 
f. b. b. Unterr., 33. 3ahrg., 1.— 2 . tjeft, S. 43ff. —; Ulefen unb Begriff ber tünftlerifchen Srei* 
heit ufw.) finb hilfsbereit Da 3 u tommt, was bie beutfche ffieiftesgefchichte unb ber ® ef chidjts* 
unterricht (bie großen Perfönlichteiten, Kämpfer, Übetwinbet) be^utragen hoben mit tunft* 
unb lebensgefchichtlichen Darftellungen, enblich was bas £efebu<h ober beffen <Ergän 3 ungen an 
tunftwiffenfchaftlicher Citeratur bieten, an Abschnitten aus lebensgefchichtlichen Selbftbarftel* 
lungen, Briefen ufw. bilbenber Künftler (Dürer, Richter, £ubwig ©rimm, Beuerbach u. a.). 

Da ift bet 3eithenunterricht, ber Auge unb ®fjt in eigener Übung bilben, b. h- für 
bie Kunft fähig machen, Probleme bet tünftlerifchen Darftellungstechnit prattifch löfen, 
bas Derftänbnis füt tünftlerifche Sormen burdjbilben, 3 um eigenen Staffen anregen muß, 
fraglos feßr oft Kunftbetrachtung enthalten wirb, 3 ur fjouptfache aber grunbfäßlich etwas 
anberes ift unb fein will als ber Unterrichts 3 weig ber Kunftbetrachtung. Da ift ber Weil* 
unb honbarbeitsunterricht (©efchmadsbilbung), bie ©rbtunbe (3ei«henentwürfe, Profil* 
barftellung, berühmte Kunftftätten), Rtathematif (befonbers Stereometrie, bie 3 ut Ausbilbung 
bes ©efühls für piaftif unb Raumtunft, unb ©eometrie, bie für bie ©tunbformen bet 3eid}* 
nung unb RI derei ungewöhnlich viel beitragen), Phyfit (®ptit), Biologie (Kunftformen ber 
Ratur), Chemie (Kunftformen — Kriftalle —, $arbenfunft), durnen — fie alle fteuern bei 
unb empfangen oon ber Kunftbetrachtung reichen Dant 3 utüd. 

Die $rage: wie tomme ich 3 U ben Kunftwerten allen, wo betomme ich fie her? entfcheibet 
bet Schulort 3ft eine ©emälbefammlung, eine Kunftgewerbef^au, ein Dölfermufeum 
bort, fo ift bas alles fraglos aus 3 unußen. Doch tonn nicht jebe Unterweifung ober Kunft» 
betrachtung am ©tiginal gefcheljen. Rlit anbern Anfchauungsmitteln (Kunftwartblättern, 
Klappen, Stein 3 ei<hnungen, £i<htbilbern) läßt fi<h faft alles machen, unb bie Stunbe vor 
bem ©tiginal bleibt immer befonbers feierlich als fjöhepuntt, als feftliche Krönung Wochen* 
langer Kunftbetrachtung int Schulraum. 




Don ntof Preifc 


121 


Außerhalb öes Unterrichts mufj bas Auge an tDanbbilbem im Sdjulhaufe feöe^eit 
fein fünftlerifches Sefjbebürfnis befriebigen lönnen, unb ein befonbers feiger, aber jetjt 
ooQenbs bejroungener ZDunjch ift bet, bafe nicht hunberttaufenbe oon beutfd?en Kinbem 
ben beiebenben ©enufe eines wenn auch noch fo bejdjeibenen Kunftroerls oon Schulbaus 
entbehren müßten. Ulan wirb auch Ausflüge für bie Kunjtbetradjtung nutzbar machen, 
befonbers im Sinne ber heimatlichen Kunftpflege. Unb fefjt förberlich für Kunft'<etrad)tung 
tote 3«id?enunterric^t benie ich mir fünftlerifdje Arbeitsgemeinfcfjaften unb, oielleicfjt halb' 
Jährlich einmal, Kunfttage als Seft in ber Schule, bie etwa oormittags aus einer Ausfiellung 
oon Sattlerarbeiten unb einem Dortrage über eine umfaffenbe grage bet bilbenben Kunft, 
nachmittags aus einer Seiet ber rebenben Künfte, Itlufif unb Did}t!unft, befteljen tonnten. 
Das tofiren am <£nbe hoch Schulfeiern, bie wahrhafte ©ipfelpuntte im Schuljahre bebeuten 
unb aller, Schüler wie Celjter, lebhafteften Anteil fefjeln tonnten. 

II. Die tRufif. 

$üt bie Honlunft liegen bie Derhältniffe in ber gegenwärtigen höheten Schule 
ungleich ungünftiger als für bie bilbenbe Kunft: einfach besljalb, weil bie 3 al?l berer, 
bie ber ZIZufit wirtlich nahe genug fteben, ihre tDunber auch anbern 3U erfchliefeen, 
in gleichem Zitate hinter ben wirtenben $reunben ber bilbenben Kunft 3urüctfteht, 
wie nach lanbläufiger ZlZeinung bie ZDerte ber bilbenben Künfte für hanbgreiflicher, 
leichter fafelich, in ihrem 3 nhalt leichter erfdjliefebar gelten als bie oon aller (Erben* 
fchwere, oon aller Dinglidjteit befreiten Honfchöpfungen. (Es ift leicht 3U erfennen, 
bafe biefe ootherrfchenbe ZIZeinung burdjaus falfch ift: es gibt inZDahrheit nicht halb 
fo oiel — gemeinhin gefptodjen — „unmufitalifche" ZtZenfchen, als fich bafür ausgeben. 
Der Hrieb, bem bewegten ober nur befchäftigten 3 nnern in Rhythmen unb Honen 
Ausbrud 3U geben, ift beim Kinbe bis auf oetfchwinbenb wenige Ausnahmen mim 
beftens ebenfo ftart wie ber 3eichnerifch*bilbenbe — nur bafe er in ungleich häufigeren 
Sollen oertümmert unb einfchläft, weil er nicht fräftig unb wach erhalten wirb. 
Unb es ift Hatfache, ba& im allgemeinen ber 3 eichenunterrid}t bem mufitalifchen 
weit ooraus ift. Kein ZDunber, ba& biefe offenbare Rüdftänbigteit ber mufitalifchen 
3ugenber3iehung, bie fich in ben noch gültigen Sehr* unb Slunbenplänen beutlich 
ausfpricht, ZAänner 00m Schlage eines h^tmann Krehfdjmar 3U gorberungen ge* 
führt hat, bie ben Rahjnen ber Schule fprengen müßten. (Ein Strom oon ZIZufit 
tann auch ohne biefe geforberten Ausmafee an Unterrichtsumfang butch bie höhere 
Schule fließen unb Cabung, (Erhebung unb menfchenbilbenbe Kraft fpenben, wenn 
ber ©efangunterricht nur 00m erften Schultage ab fchöpferifch ift, Stimme, ZDille 
unb £eben im ©eifte ber ZIZufit wedt, entfaltet, fdjafft unb fdjöpft. ZZiemanb wahr* 
lieh hat ein Recht, fotche ZDunber ber ZlZöglichteiten 3U be3weifeln, feitbem fie fdjöpfe* 
rifdjen ZIIufitet3iehern wie bem Hamburger grit} 3 öbe („Ztlufi! unb Ziehung", 
1919 ) geglüdt finb. Das aber finb nicht einmalige Znöglidjfeiten, fonbern fie erweifen 
fich bei näherem 3 ufeljen als Rotwenbigfeiten, unb ift erft einmal ber Bann gelöft, 
fo wirb bas beutfehe Doll, beffen Stol3 es einft mit Recht hat fein lönnen, fich als bas 
auserwählte Doll im Heiligtum ber Honlunft 3U fühlen, ben ZDeg 00m ber3eitigen 
Schein 3um glüdlidjen Sein halb wieber butchmeffen haben. 

Rirgenb anberswo aber ift bie Reueinftellung ber Unioerfität auf bie 3 iele ber 
Deutfehtunöe fo bringenbes Bebürfnis als auf ber h^lich toenig belebten 3 one 
3wifdjen Honlunft unb heutigem Unterricht. Unb babei würbe gerabe bie ZIZufit auf 
allen ZDegftreden bes beutfdjen Sprachunterrichts unb ber Betrachtung beutfdjer 
Sprachlunftwerfe aus allen $elsmaffen herootfptubeln, wo man nur an fie fdjlägt — 
auch ohne eine ZlZofesnatur 3U fein. 3 ft nicht bie Sprache in allererfter £inie Klang? 



122 


Kunft uttö ntuf» 


Beftehen nicht feinfte Bejahungen 3t»ifchen Dofalen unö donintetoallen, ift nicht 
öie Seele jeöes Satjes eine Satjmeloöie, nicht jeöer Umlaut jut einen Hälfte mufifa* 
Iifcher Hatut? Unö mas hot nicht Sieoers öataus für $olgerungen 3U jie^en »er* 
mocfjt! haben fiel} nicht U)ort unö U)eife taufenöfältig »erbunöett, öurdförungen 
in eins in Kinöerreim, £ieö, Dolfslieö, dhotal, Kantate, ©tatorium, ©pet, Rlufif* 
örama, öafc fie unlösbar ooneinanöer finö, öafe es unmöglich ift, eins getrennt 00m 
anöem ju empfangen, 3U oetfteljen, 3U betrachten? haben mir anöerfeits nicht fpradj* 
mufitgefättigte Dichtungen genug, öie eine Dertonung 3urüdroeifen, ja ftreng »erbieten? 

Die fymptpuntte öiefes Derhältniffes oon Dichtung unö Rlufif feien in Stich* 
motten Ijiet angegeben, nach £angs* unö ©uerfchnittert, gan3 abgesehen »on Öen 
mehr petfönlichen Bejahungen, öie unjählige Dichter 3ur Rlufif, Rlufifer 3ur Dicht 3 
funft unterhalten hüben: Kultus unö Rlufif (mit U)ort unö danj). Httifd?e dragööie 
— flpollinifch unö Dionyfifch — Rlufif als drägerin öes Rlytljos in öet dragööie. 
Das mufitarme Rom. Allmacht öet Rlufif bei Öen ©ermanen (Kampflieöer, Kult* 
gefänge, Attilas Sänger, ©elimar, König Rotljer, fjorant ufm.). (Ehciftlidjer Kirchen* 
gejang — im Unterfchieö 00m hebtäifchen (Pfalmen, hymnett, öas Jubilieren, in 
öeffen $ormenreichtum öeutfches ©eftaltungsprinjip 3U erfennen ifl). Sequen3 
unö dtope. ©ermaniftifche unö altöeutfche Sprachmeloöif. Stopen unö $ahrenöe 
(bis hin 3U Staötpfeifern, fjofmufijis ufm.). Kreu3fahtet* unö pilgetlieöer. fjöfifch« 
Sangesfunft. Rleiftergefang. £itutgifches Singfpiel unö geiftlidje ©per. Renaiffance. 
dragööie unö Schultomööie mit dhor. Doltslieö unö Kirchenlieö. £uther unö öie 
Rlufif. Bach—Paul ©erhatö; fjönöel—Renaiffance unö Barod. Die ©pitpfche 
XDüfte. Der erfte mieöerfehrenöe mufitalifche £yrifer: Klopftod (Öa3u Job- Abr. 
Peter Schul3 unö ©lud). Deffen theoretifche Ahnenreihe in ftaunensmert gefchlojfenet 
europäifdhet Ausfpradje, unö feine $ottmirfung (£effing, fjomann, h^öer). Der 
£eip3iger unö öer Strafeburger £yrifer ©oetlje. IDetthermufit. Rlufif öet freien 
Iyrifchen Rhythmen (bis auf Arno hol?)- Klopftods Schöpfung einer öeutfchen mufi* 
!alifch*öramatifchen Spraye; feine Baröiete. ©erftenberg unö öie Rlufif („Ugolino", 
„Atiaöne" — Sdjaufpiel mit Rlufif, Rleloöram). £effing unö öas Rlufiförama (dhea* 
tralifche Bibliothef, £aofoon 2. deil, fjombutgifche Dramaturgie), fjeröers pro* 
phetenblid („Aöraftea"). IDielanös Singfpiel. ©oethes Kantaten, Sing* unö üeöer* 
fpiele, Opera buffa, „3auberflöte 2. deil", „Danaiöen"*pian, M $auft" unö öie Rlufif. 
Schillers dhorörama. Das Rlufifalifche in Schillers unö ©oethes Sprache. Die Rlufif 
Kulturmacht (öie Rlannheimer, öie IDienet). Romantif unö Rlufif. IDadenroöet. 
died (Rlufif unö £iebe). Hooalis über Rlufif. Audition coloree. Seit öer Romantif 
öie eigentliche, oorher »on fjeinfe, Schubart fchon geübte »ielgeftalte Rlufiffchrift* 
ftellerei (Umfehreibung öer Rlufif; ©eftaltung gehörter Rlufif öurd) öas Rlittel öer 
Sprache, in ©eöicht, (Stählung; Derfuche 3U fprachlidjer ©eftaltung rein mufifa* 
Iifcher Kort3eptionen; Rlufifalifches in öer öidjterifchen Spraye — £autmalerei, 
£autfymboIif, Dofalmahh Konfonantenmufif, rhythmifche $einheiten). Rlufif im 
Blütchen (©rimms, Brentanos), drneuerung öes Dolfslieöes. dichenöorff, Bren* 
tano, U). RlüIIet unö öie Rlufif. Die geroaltigfte romantifche Schöpfung: öas Rlufif* 
örama (dheorie; Pläne; Anftieg — d. dh. A. hoffmann, Rlarfdjner, Spohr, IDeber; 
©ipfel: IDagner). — Struftur öer Dofale (fjelmholh’ Analyfe, Stumpfs Synthcfe). 
Dofalismus unö donfyftem, ihre übereinftimmung unö öeten dinflufj auf {prächtiges 
unö mufifalifches Kunftfchaffen. Rhythmifche Sprad)funft. Rhythmus unö Sah* 

1 



Don mo( Prell 


123 


melobie oereint im Welobram. Deutle Stämme unb bie Wufil. Sieb. Oratorium. 
Wufilörama. IPefen oon Sprat* unb Gontunft. Wufil als ©eheimnis bet lyrijdjen 
Spratform, als Seele bes lynfcfjen (Bebidjts (natgewiefen etwa an ©oetyes „bet 
bu oon bem Fimmel bift", ober an Wötile, Storm). ©eforberte unb oerbotene Per» 
binbung oon tDort unb Hon. „3nhalt" bet Wufil. Ptogramm*Wufil. Wufilalifte 
Stopfungen, butt bie tDorüunft angeregt. Derhältnis oon tDort unb Gon im Sieb. 
Seitmotio tm Wufilbtama unb in ber Spratlunft. (Brennen bes fpratlit*N unb 
bes mufilaliften Ausbrudoermögens. Beibe Künfte unb bie bilbenbe Kunft. Wufil 
beim bitteriften Staffen (©oetlje, Stiller, ©rillparjer, Otto Subtoig, tDagner ufw.). 

So öffnen fit im beutften ttnterritt Hur unb Hot ber Stwefterlunft Htufif. 
Sie muß oot Anbeginn roilltommen gereiften werben. Das wirb fit bewähren in 
bet beutften Spratlehre, in bet Dortragslunft, in bet SiteratuTäftfjetif, in bet immer 
gefteigetten Siterheit bes Stilgefühls für bie ©genart beibet Künfte. 3um wir!* 
liten Erlebnis bet mufilaliften Syti! (in Winnefang, Dollslieb, Kittenlieb, ©oethe— 
Schubert, ©tenborff—-Stumann, Dollsweife'—Reger, Brahms, Wählet, Wörile— 
tDolff; in Bailabe: Stubert, Söwe ufw.; im Welobram: Stillet unb tDilbenbrut— 
Stillings, Ijebbel—Stumann, Genny fon—Strauß ufw.; im Ittufilbrama: tDagner 
unb bie nat t m ) gehört fo unb fo oft eine Stunbe am $lügel. Keine tDote follte 
oetgehen, ohne baß bie Klaffe eine Deutftftunbe mit einem Dolls* 
liebe ftimmungsooll eingeleitet hätte. 

Da3u tommt bie $ötbetung, bie aus bem Seljtftoff 3U gewinnen ift: Aluftiftes, 
tltufüaliftes, Sebensgeftit^i^es, Ausgang für Gonftöpfungen. Aus G. Glj. fl* 
fjoffmanns mufilaliften Gablungen ift ebenfootel 3U ftöpfen wie aus Storms 
„Königsfinbetn", aus Söhles Wufilantengeftitten wie aus tDagners Wußtet» 
nooellen, aus ben Stubienföpfen bet La Mara wie aus Riehls mufilaliften Gharaftet* 
löpfen ober ben mufilaliften Watten bet Glife Polio. Unb fo genuß* wie auf* 
fcblufereit wirb es fein, bie feinen $äben ftauen — man mufe fagen hören 3U laffen, 
bie oon 3ean Pauls „$legeljahten" 3U Stumanns „PapUlons", Ijoffmanns „Prinjeß 
Brambilla" 3U Stumanns „$aftingsftwanl", oon ©oethes „Ggmont" ober Sljate* 
fpeares „Sturm" 3U Beethooens Wufil, oon ©oethes „Weetesftille" 3U Wenbelsfohns 
fymphoniftet Dittung, oon 3orbans „Brunljilbe" 3U Klugharbts F-moll s Symphonie, 
oon Lenaus 3U Klugharbts „St»lfliebet"*Wufih oon Lenaus „Don 3uan" 3U Ritarb 
Strauß Symphonifter Dittung weben. So gut wie ungehoben finb bie Stöße 
bet mufifcbiographiften Darftellungen, Wufilerbriefe, Gagebüter, bie 3um Gbelften 
gehören, was in beutfter Sprate geftrieben ift. Aus einet Reihe, bie mit © Gl). fl* 
Ijoffmanns berühmtem Beethooenauffaß anhebt, über Stumann, Wenbelsfoßn, 
Woriß fjauptmann, tDagner, Paul Beller hm 3U Ratorps erjtütternber Watburger 
Rebe (1920) führt, bie ©ewalt, bie Gragit, bie tDeltüberwinbung Beethooens beutfte 
3ünglinge erleben, ahnen, fühlen 3U laffen ober bas gotterfüllte fjet3 Bats, bie 
in fremben Lanben in immer eblerer Deutftheit entfaltete Barodfeele Ijänbels, 
bas tDunber Wo3arts, in beffen Bruft aut «in Dämon wohnte, bas Kunftringen 
©luds in Paris, bie be3wingenbe genialifte Ginfalt bes großen Künftlers fjaybn, 
bas Gthos Stuberts, bie ©emütstiefe Stumanns, bas tDeltfühlen beutfter Seelen 
wie Brahms, Brudner, Wählet — bas ift, wie gefagt, genau fo unerläßlich wie bas 
Grlebnis tDolframs, Walthers, Luthers, $riebrits II., Stillers, ©oethes, St leier* 
maters, Bismards. ©nem neuen beutften Lefebut blüht hier ber tDe^en, fo 



124 


Kunft unk HTuftf. Don ITtof Prelß 


tote ec 6en Rlufilfchriftftellern blühen tonnte, wenn fie öie Aufgabe erlernten wollten, 
ißte $eber mebt als bisher in Öen Dienft öiefer eölen Sache 3u (teilen. 

über öie gebenöe unö empfangenöe Beteiligung öer anöern Unterrichtsfächer 
an öer SufülRunü neuer (Erlenntniffe, neuer Bewunöerung öer Hielt öer Gone unö 
Klänge gilt öas gleiche, was für öie bilöenöe Kunft gefagt ift,' unö öas ift für öie 
ein3elnen Sädjet leicht ab3ulefen. Uuv für Öen $remöfpra^enunterricht fei befonöers 
öarauf hingewiefen, toie fruchtbar öie $rage öer Saßmelobie oon ihm bebanöelt 
toeröen fann: toie öeutlich öie öeutfehe £yrif (öie im tiefften XDefen mufilalifche) 
öiesfeits, öie (wefentlich rbetorifche) lateinif<h*romanifche fenfeits öes Rheins fteht, 
öer öie Rlufil abgren3t — ein Problem, öas bei öer Betrachtung öer fprachlünftlerifchen 
Rachöichtung toelfcher Kunfttoerle in öeutfdjer Sprache (Derlaine—Stefan George), 
oollenös bei ©pemtejtüberfeßungen, öeutlich toirö. 

Stehen öiefe Dinge, öie ja größtenteils im weiteren Sinne Angelegenheiten 
öer Rlufil finö, witflid} in öer 3 one 3wifdjen Dichtung unö Rlufil unö gehören 
fie öamit in Öen Rahmen öer Deutfchlunöe (in Öen fie nach öen Stufen leicht ein3u* 
glieöem finö bis hin 3ur 3ufammenfaffenöen Kunftbetrachtung auf bet ©berftufe) 
unö öes öeutfchfunölichen Unioerfitätsunterri^ts, fo lommt öie Ziehung 3Ut Rlufil 
im engeren Sinne öem ©efangunterricht 3U, folange es nicht hinreidjenö oft oot* 
lommt, öaß öer Deutfchlehrer 3ugleich ausgebilöeter ©efang» unö RlufiHehter ift. 
Die hier angeftellten Betrachtungen toeröen eins haben öeutlich toeröen laffen: toie 
neiöenstoertes ©lüd es ift, toenn öer Deutfchlehrer 3ugleich ©efanglehtet fein, toenit 
er oon Anbeginn Rlufil aus Kinöerfeelen fdjöpfen, öas eöelfte Gonorgan, öie Rlen* 
fchenftimme, bilöen, ©eljör unö Rhythmus {dürfen, öie mufilaüfchen $ormen als 
©efäß unö Snhalt 3ugleich oon leßten IDunöern öer Rlenfchenfeele erfühlen, öiefe 
$ormen alle als ettoas ©eworbenes unö ftänöig UJeröenöes begreifen unö öie Hin* 
genöen Kunfttoerfe als Schöpfungen perfönlicher, 3eitli<her unö oöllifdjer Beöingt' 
heit unö öoeh oon 3eitlofer, toeltentragenöer, erlöfenöet Gigenlraft oerfteljen laffen, 
toenn er Schülerchot, Schülerorchefter an Sd?ulfeft= unö Sdjullunfttagen als Berater 
ober Sühret ihr Kunfterlebnis in begeifterter Gonfprache anöern mitteilen laffen 
lann, unö toenn er auf3U3eigen oermag, toie fich in „Rlattljäuspaffion", „IDohl* 
temperiertem Klaoier", in öer „$ünften", in Öen „Rleifterfingern", genau fo fefte 
Kunftgipfel fteil in reinftes höhenlicht reden toie in „Gaffo" ober „$auft" ober öem 
Straßburger Rlünfter. Da3u fehlt freilich noch h er 3 ^ oiel: erweiterter £el}tplan unö 
gefiederterer Aufbau öes ©efangunterridjts (öet noch »fei 3U feht oon öer ftimmlidjen 
3 ulänglichleit öer Spüler abhängig gemalt toirö — als ob öie ptaftijdje Antoenöung 
fein ein3iges (Ergebnis wäre!), unö unter Büchern befonöers eines, bas ©slar fjagen 
als ©efdjwifterftüd feines „Deutfdfen Sehens" oerheißt: „Deutfehes hären", unö 
öas öen übertoiegenö gefdjichtlichen Aufriß oon o. ö. Pforötens fegensreichem Buche 
„Deutfche Rlufil" toirö oertiefen müffen. 

Diefe Anöeutungen über bilöenöe Kunft unö Rlufil in öet Deutfchlunöe — 
haben fie 3U ihrem Geile öeutlich gemacht, öaß es nicht um $tagen eines Sadjes 
geht, öas fich äa mit befonöeren Anfprüdjen heroorörängt unö öen Rlunö außer« 
getoöhnlich tocit aufreißt, ebenfotoenig um öie hetanj Achtung oon Künftlermaffen 
fc groß toie Sanö am Rleer, fonöern um öie Ginfeßung öes öeutfdjen ©eifies 
in feine Rechte, fo haben fie geleiftet, toas fie teiften foQen. 






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