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Druck vun Grimme & Trömel in Leipzig.
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2
Inhaltsverzeichnis von Band I.
Seite
Baisch, K. Blasenblutungen bei Retroflexio uteri gravidi incarcerati `, . . . 12
Björkenheim, B. A. Vesikolabialfistel nach Hebosteotomie . . . 277
Cassanello, R. Harnblasenovarialfistel durch die Zystoskopie diagnostiziert . . 196
Devaux. Ein Beitrag zur Lehre der essentiellen Hämaturie . . 101
Everke, 0. Die Operation de fixierter Blasenscheidenfisteln® nach Tren-
delenburg. . . Me ee ee ge e SE
Engelhorn, E. Über Incontinentia urinae . . 321
Palgowski, Wi. Über zystoskopische Befunde nach gynäkologischen Operationen 283
Fisch. Zur Behandlung der Zystitis mit organischen Siberverbindungen . . . 177
Franz, K. Die Schädigung des Harnapparates nach abdominalen Uteruskarzinom-
operationen . . e g 3
Pritsch, H. Nierenexstirpation bei Ureterfistel . Ni re a AT
Hammerschlag. Septischer Abort nach spontaner Kolpokleisis |
Henkel, M. Zur Behandlung der chronischen Zysto-Pyelitis . . 37
Holzbach, E. Über die Funktion des re nach h Operationen in ` Iv-
halationsnarkose und Lumbalanästhesie. . . e a ap 66
— DBlasenblutung bei Retroflexio uteri gravidi . . 175
Kannegießer, N. v. Zur Frage der Heilung von Uretero-Vaginalfisteln, experi-
mentelle Untersuchung . . 329
Kawasoye, M. Über den Zusammenhang "zwischen Funktionsstörung der Niere
und Kochsalzinfusion . . 309
Kehrer, E. Experimentelle Untersuchungen über Reflexe auf die Blase und über
die gegenseitigen reflektorischen Beziehungen zwischen Harnapparat und
Uterus. . Ké e E e Aen SE
— Die Nierendekapsulation bei Eklampsie T p e, aiei e Ae e A
Knorr, R. Der gegenwärtige Stand der Nierendiagnostik de Ber dr ee ër DB
— Funktionelle Diagnostik der Blase mittels des Zystoskops . . 314
Kroemer, P. Eine einfache Vorrichtung zur Entwicklung der kalten. Schlinge
als Ergänzung zu dem Ureterenzystoskop. . . 171
— Die Behandlung unfreiwilliger Ureterläsionen und „Unterbindungen . . . . 262
Leitch, A. Über eine neue Methode der Uretero-Zystotomie VAE . 339
Löwit, A. Dystopie der Niere und Mißbildung der inneren Geschlechtsorgane . 166
Mayer, K. Einseitige zyklisch-orthotische Albuminurie . . . 229
Mirabeau, 8. Über den Zusammenhang der intermittierenden Hydronephrose
mit Genitalleiden bei Frauen . . . ge el in ar E
— Ein zystoskopisches Instrumentarium für den Frauenarzt e ër ée. E
Montuoro, F. Die Ureterozystoneostomie nach Boari . . . nn. 265
— Ein weiterer Fall von Ureterozystoneostomie nach Boari usw. . . . . . 334
Neu, M. Vesikolabialfistel nach Hebosteotomie. . . nn. 203
Peiser, BR Nierenveränderungen bei Uretervaginalfisteln EE sr ër, E e, 136
Reifferscheid, K. Die Dekapsulation der Nieren bei der Eklampsie 20.20.1856
— Über essentielle Nierenblutung . . 344
Rißmann, P. Über Blasenbeschwerden des Weibes ohne "zystoskopischen Befund 210
304551
IV Inhaltsverzeichnis von Band I.
Sellheim, H. Wiederherstellung des abgequetschten Übergangsteiles der Blase
in die Harmröhre . .
Sieber, H. Über die Behandlung der Enuresis nocturna mittels epiduraler In-
jektionen nebst experimentellen Versuchen über die Ätiologie dieser Er-
krankung . TE
— Über den Blasensitus nach "Zystozelenoperationen
Stoeokel, W. Vorwort . .
— Zur Diagnose und Therapie der Schwangerschaftspyelitis er
— Modifiziertes Valentinesches en für die weibliche Urethra
— Gynäkologie und Urologie . > Ri E e 8
Wertheim. Gynäkologie und Urologie . :
Zangemeister. Weibliche Inkontinenz durch Narbenzug
— Verschluß der weiblichen Blase .
Zorn. Inkrustierte Haarnadel bei einem 14 jährigen Mädchen .
Zurhelle, E. Zur Behandlung schwerer Entzündungen der weiblichen Blase
Seite
179
213
87
1
43
234
237
253
14
79
326
82
Sachregister von Band I.
(Die Zahlen geben die Seitenzahl an.)
A.
Albarransche Methode der funktionellen
Nierenprüfung 59, 62.
Albuminurie, einseitige zyklisch-orthotische
229.
Argentum nitric. 55, 85.
Blase, Beschwerden ohne zystoskopischen
Befund 210.
—, Blutung bei Retroflexio uteri gravidi
incarcerata 12, 175.
—, Karzinom der 250.
—, Fisteln 6, 179, 193, 196, 203, 247,
249, 277.
—, Fremdkörper in der 245, 326.
—, Gangrän der 242.
—, Innervation der 218.
—, intraligamentäre 246.
—, Reflex der 66.
—, reizbare 210.
—, Schwangerschafts- 35.
—, Situs der 87.
—, Steine in der 244.
—, Verschluß der 79.
Bullöses Ödem 13, 292.
Carcinoma urethrae 249.
— vesicae 250.
Caruncula urethrae 249.
Chininalkohol bei Zystitis 42.
Chromozystoskopie 63, 252.
Collargol 55, 84, 177.
Colpokleisis 280.
Colporraphie 89.
E.
Eklampsie, Nierendekapsulation bei 111.
Enuresis 213.
—, epidurale Injektionen bei 213, 223.
Epispadie 247.
F.
Fibrolysin 77.
Fisteln 6. 127, 136, 179, 193, 196, 203,
247, 249, 265, 277, 329.
Fa ee | m ege A d'Ziel
m nn mn.
Fremdkörper 245, 326.
Funktionelle Diagnostik der Niere 56, 63,
103.
— der Blase 314.
Gonorrhöe 241.
Haarnadel in der Blase 326.
Hämaturie, essentielle 203.
Harnapparat, Schädigungen des, nach ab-
dominalen Uteruskarzinomoperationen 3.
—, Funktion des, nach Operationen in In-
halationsnarkose und Lumbalanästhesie
65.
—, Reflektorische Beziehungen des, zum
Uterus 299.
—, Verhalten des, bei Exsudaten 295.
Harnausscheidung während der Operation
65.
Harnorgane, Lageanomalien der 245, 246.
Harnröhre 80, 81.
—, Bildungsanomalien der 246.
—, Geschwülste der 249.
—, Prolaps der 245.
Harnröhrenblasenscheidenfistel 179.
Hebosteotomie, Verletzungen bei 203, 277.
Helmitol 40, 51.
Hydronephrose, Zusammenhang der, mit
Genitalleiden 15.
—, Diagnose der 24.
Hypospadie 246.
I.
Indigkarminprobe 63.
Inkontinenz 74, 213, 321.
K.
Kryoskopie 60, 61.
Katheter zur Dauerspülung der Blase 83.
M.
Menstruation und Hydronephrose 22, 28, 30.
Massage bei Inkontinenz 76.
Methylenblau, Injektion von 199.
VI
N.
Natrium benz. Al.
Nekrose der Blasenwand 7.
Nephrektomie 18, 103. 127.
Nephrotomie 52.
Niere, Dekapsulation der, bei Eklampsie
111, 156.
—, Dystopie der 166.
—, Funktionsstörung der, nach Kochsalz-
infusion 309.
—, Tuberkulose der 242.
Nicrenbeckenspülungen 39, 40, 54.
Nierenblutung 344.
Nierendiagnostik 56, 103.
Nierenkapselgeschwülste 246.
0.
Ödem 292.
Okklusivkatheter 57.
Operationszystoskop 106, 171.
P.
Parazystitis 243.
Perforationen in die Blase von Exsudaten
248.
— von Pyosalpingen 249.
— von Dermoidzysten 249.
— von tubaren Fruchtsäcken 249.
Perizystitis 242, 293.
Phloridzinprobe 58.
Prolapsoperationen 90.
Protargol 177.
Protein 40.
Pyelitis gravidarım 43, 243.
— und Perityphlitis 50.
— pustoperative 255, 292.
Pyocyaneus 46.
Pyonephrose 19, 20.
Q.
Quecksilberoxycyanid 40.
Saugzystoskop von Kutner 57.
Schwangerschaftsblase 35.
Separator von Luys 58, 252.
Sphincter vesicae 80.
Steinbildung um Seidenfäden 195, 244.
T.
Thiosinamin 77.
Totalexstirpation, vaginale 91.
Sachregister von Band 1.
' Trypsin bei Zystitis 42.
Tuberkulose der Harnorgane 241.
U.
Ureterfisteln 8, 10, 127, 136, 146. 149,
247, 254, 329.
—, doppelseitige 9.
—, Nephrektomie bei 127.
—, Nierenveränderungen bei 136.
—, Pyelonephritis bei 10.
— , Spontanheilung von 9, 146, 149, 254.
_Ureterimplantation in die Blase 9, 128,
129, 265, 334.
— in den Darm 130.
Ureterknickung 19, 296.
Ureterkompression bei Hydronephrose 20.
— bei Pyelitis gravidarum 47.
Uretermündung, Schleimhautschwellung
an der 19.
Ureterozele 247.
' Ureterozystostomie 339.
Ureterresektion 10.
: Uretersteine 244.
Ureterunterbindung 130.
Ureterverletzung 254, 262.
: Urethritis 240.
Urethroskop 234.
Urethrozele 243.
Urologie und Gynäkologie 1, 237, 253.
= Urotropin 40, 51.
v.
Vaginofixation 89.
Verhandlungen der deutschen Gesellschaft
für Urologie 237—261.
Vesikolabialfistel 203, 277.
W.
Wanderniere nach Hydronephrose 22.
— post puerperium 246.
Zystitis 3, 37, 82, 177, 242, 291.
Zystitis colli 291.
Zystopyelitis 38.
Zystoskopie 196, 239, 251.
— bei Retroflexio uteri gravidi 13.
— nach Operationen 283.
— hei Zystopyelitis 37.
Zystoskopisches Instrumentarium 106.
Zystozele 87, 245.
Zeitschrift für gynäkologische Urologie
1908 Band 1 Nr. 1
Vorwort.
Man spricht und schreibt, hört und liest immer wieder von dem
sroßen Interesse, das die Gynäkologen an dem Grenzgebiet der Uro-
logie haben.
Diese Behauptung ist gewiß richtig, aber sie trifft nicht den Kern
der Sache.
Interesse allein ist zu wenig.
Wer weiter nichts tuen will, als „interessiert“ zuzusehen, wie
andere arbeiten, der darf natürlich auch den Arbeitsplatz selbst nicht
betreten resp. muß es sich gefallen lassen, als störender „Unbefugter“,
dem der Zutritt mit Recht verwehrt wird, über die Absperrungslinie
gewiesen zu werden.
Wer aber zeigt, daß er mitarbeiten will, mitarbeiten kann und
— im Interesse des Werkes — sogar mitarbeiten muß, der wird nicht
nur geduldet, sondern ist „befugt“, ja willkommen.
Von diesem Standpunkt aus ist auch die Arbeitstätigkeit des
Gynäkologen auf urologischem Gebiet zu beurteilen.
Ich meine, wir können getrost und ohne nach unserem Berech-
tigungsausweis gefragt zu werden, das urologische Arbeitsfeld betreten.
Wir haben nicht mehr nötig zu beweisen, daß man kein guter
Gynäkologe sein kann, wenn man nicht zugleich auch Urologe ist.
Wir haben aber auch nicht mehr nötig zu beweisen, daß die Urologie
in ihrer Weiterentwicklung empfindlich aufgehalten werden würde,
wenn die Mitarbeit der Gynäkologen wegfiele. Wir sind jetzt schon
nicht mehr allein die Empfangenden und Lernenden, sondern wir sind
für manche urologische Fragen auch schon die Gebenden und die
Lehrenden geworden. Es gibt bereits eine gynäkologische Urologie,
die nur die Gynäkologen studieren, praktisch ausüben und weiter-
entwickeln können. Wir brauchen die Urologie — nicht weniger aber
braucht die Urologie uns.
Wir müssen dieses berechtigte Selbstbewußtsein zum Ausdruck
bringen, weil es im Interesse der Sache durchaus notwendig ist. Wir
müssen dahin wirken, daß nicht nur die Minderzahl der Fachgenossen,
die sich bereits jetzt mit Energie und Erfolg auf urologischem Gebiet
betätigt, sondern daß auch die Gesamtheit der Gynäkologen und der
Frauenärzte einen wirklichen Überblick über die schon geleistete und
einen Ausblick auf die von uns allen noch zu leistende Arbeit erhält.
Das war bisher tatsächlich schwer, weil die diesbezüglichen Publi-
kationen und Berichte in sämtlichen spezialgvnäkologischen Fachschriften
Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 1
2 Vorwort. `
und in zahlreichen allgemein-medizinischen Zeitschriften so sehr ver-
streut wurden, daß kein rechter Gesamteindruck der geleisteten Arbeit
zutage trat.
Deshalb möchte ich versuchen, die urologische Tätigkeit der Gynä-
kologen gewissermaßen zu zentralisieren und erhoffe von diesem Unter-
nehmen außerordentlich viel. Ich bin überzeugt, daß es dazu beitragen
wird, die bereits errungene Position schnell zu festigen und weiter
auszubauen, daß es die Arbeitslust für urologische Fragen nicht nur
der Kliniker, sondern auch der in der Praxis stehenden Kollegen
anregen und fördern wird.
Die Zeitschrift soll sozusagen die Probe aufs Exempel sein.
Sind unsere Behauptungen richtig, so ist ein derartiges Zentral-
organ auch notwendig. Und deshalb bitte ich alle diejenigen, die meine
Ansichten teilen, meine Mitarbeiter und mich zu unterstützen. Wir
müssen vorwärts kommen, und wir werden vorwärts kommen, wenn wir
uns zusammenschließen.
Marburg a. L., September 1908.
Stoeckel.
Die Zeitschrift wird in Einzelheften ausgegeben, deren Erscheinen
von dem zu Gebote stehenden Material abhängen wird. 6 Hefte werden
einen Band bilden. Preis des Bandes M. 10.—.
Die Arbeiten werden mit M. 30.— pro Bogen honoriert. Den
Autoren steht es frei, ihre Arbeiten durch Abbildungen zu illustrieren.
Nur bei farbigen Bildern, deren Reproduktionskosten bekanntlich recht
hoch sind, muß mit dem Verlage eine{Vereinbarung von Fall zu Fall
getroffen werden.
Außer den Öriginalartikeln werden Sammelreferate veröffentlicht
werden, die besonders wichtige und aktuelle Fragen zusammenfassend
behandeln sollen.
Alle Manuskriptzusendungen sind an Herrn Prof. Dr. Stoeckel
in Marburg a. L. zu richten.
Leipzig, Dörrienstraße 16.
Johann Ambrosius Barth
Verlagsbuchhandlung.
(Aus der Frauenklinik der Universität Jena.)
Die Schädigungen des Harnapparates nach abdominalen
Uteruscarcinomoperationen.
Von
K. Franz.
Die abdominalen Operationen wegen Gebärmutterkrebs gefährden
den Harnapparat sehr. Sie tun es um so stärker, je ausgedehnter sie
sind. Man kann sagen, daß, unbeabsichtigte Verletzungen des Harn-
apparates ausgenommen, die Zahl und Größe der Schädigungen ein Be-
weis für die Ausdehnung der Operationen sind. Je mehr vom Becken-
bindegewebe weggenommen wird, desto mehr werden Blase und Ureteren
aus ihren Gefäß- und Nervenverbindungen gelöst und die Folge müssen
Schädigungen ihrer Funktion und eine Erkrankung ihrer Wände sein.
Cystitis.
Fast regelmäßig tritt nach abdominaler Carcinomoperation eine
Cystitis auf. Zur Erörterung des vorliegenden Themas dienen mir
123 Fälle. Von diesen sind nur 35 ohne Cystitis geblieben, das sind 20 %,.
Sehr selten wird die Cystitis mit zur Operation gebracht. Seit
LI Jahren wird regelmäßig jede Carcinomkranke cystoskopiert. Von
45 Fällen hat nur einer einen Blasenkatarrh gehabt.
Die postoperative Cystitis tritt verschieden stark auf. Gewöhnlich
beginnt sie am 4. Tag mit trübem, leukocytenhaltigem Urin. In den
leichten Fällen bleibt es dabei, in schwereren wird der Harn dickeitrig
oder auch blutig. Die Beschwerden der Patientinnen sind meist sehr
gering, auch bei sehr heftigen Blasenkatarrhen. Sie bestehen meist nur
in häufigem Druck auf die Blase. Aber auch dies Symptom kann ganz
fehlen. Die Empfindungslosigkeit der Blasen in den ersten Wochen
nach den Krebsoperationen ist überhaupt sehr charakteristisch. Daher
kommt es, daß eine große Zahl der Patientinnen die Blase voll haben,
ohne es zu merken, daß sie Wasser lassen und die Hälfte des Harns
zurückbehalten. Wenn dies Symptom übersehen wird, wenn nicht der
Residualharn regelmäßig durch den Katheter entfernt wird, heilen die
Blasenkatarrhe nie aus. Ein weiteres Symptom ist die Inkontinenz.
Wir haben in 10 Fällen beobachtet, daß die Patientinnen 3—14 Tage
naß lagen, ohne daß eine Fistel bestanden hätte.
15
4 K. Franz.
Die Dauer der UCystitiden ist sehr verschieden. Sie können in
wenigen Tagen verschwunden sein, oder auch 5—6 Wochen dauern.
Aber auch wenn der Urin klar geworden ist und die cystoskopische
Untersuchung nur eine stärkere Injektion der Gefäße zeigt, oder völlig
normale Schleimhaut, so können Blasenfunktionsstörungen noch monate-
lang bestehen. Druck auf die Blase, unwillkürlicher Harnabgang beim
Husten und Lachen, Brennen plagen die Patientinnen. Von den an
Carcinom operierten und später nachuntersuchten Frauen haben ungefähr
25°), über diese Blasenbeschwerden geklagt.
6mal beobachteten wir, daß ein scheinbar ausgeheilter Blasenkatarrh
in der 4. Woche post operationem wieder auftrat und erst nach längerer
Behandlung wieder verschwand.
Der postoperative Blasenkatarrh verzögert die Heilung und hält
die Frauen länger im Krankenhaus, als sie nach den übrigen Heilungs-
vorgängen bleiben müßten. Die Frauen, die keine Cystitis bekamen,
konnten nach abdominaler Careinomoperation durchschnittlich am 23. Tag
entlassen werden, die mit Cystitis mußten durchschnittlich 32 Tage
bleiben.
Die Gefahr, daß Blasenkatarrhe zu Entzündungen des Nieren-
beckens, zu Pyelitis und Pyelonephritis führen, ist nach unseren Er-
fahrungen nicht sehr groß. Wir haben 5 Fälle erlebt. 3 davon traten
mit Schüttelfrost Anfang der 4. Woche auf, mit starker Schmerzhaftig-
keit in der Nierengegend und eitrigem Urin. Bei 2 Fällen waren die
Erscheinungen in 11, bei einem in 3 Tagen verschwunden. 2 Fälle
betrafen Frauen, von denen die eine 26 Monate p. o. an Inanition, die
andere 14 Tage nach der Operation an Lungenembolie zugrunde ging. Im
ersten Falle mußte im 8. Monate p. o. ein Nierenabsceß gespalten werden.
Die Ursachen der Cystitis sind Ernährungsstörungen der Blasen-
wand und die Harnverhaltung, die zum Katheterisieren zwingt. Nur in
3 Fällen unvollständiger Operation, wo der Uterus zurückgelassen werden
mußte, weil das Carcinom nicht zu entfernen war, urinierten die Patien-
tinnen am ersten Abend, in allen anderen Fällen mußte katheterisiert
werden 2—7 Tage lang in 26, 8—14 Tage in 21, zwei 15 Tage lang
und ein Fall 24 Tage lang (in den übrigen Fällen ist in den Journalen
über die Dauer des Katheterisierens nichts bemerkt).
Größte Sauberkeit beim Katheterisieren vermag hie und da den
Blasenkatarrh zu verhüten. Auch die cystitisfreien Fälle sind katheteri-
siert worden und 6 davon sogar 8—10 Tage lang. Da aber 7 von den
32 cystitisfreien Fällen eine besondere prophylaktische Behandlung er-
fuhren und 2 von ihnen Fälle betreffen, wo wegen fortgeschrittener
Carcinome die Blase nur wenig freigelegt wurde, so bleiben nur 23 Fälle
übrig, die trotz Katheterisierens von Cystitis frei blieben.
In den meisten Fällen aber nützt alle Sauberkeit nichts und der
Blasenkatarrh kommt doch. Deshalb ist anzunehmen, daß die Haupt-
ursache der Cystitis nicht der Katheter ist, sondern Veränderungen in
der Ernährung der Blasenwand, die durch die Operation hervorgerufen
Die Schädigungen des Harnapparates usw. 5
werden. Und das ist ja klar. Bei der abdominalen Carcinomoperation
wird die Blase von ihrer ganzen Unterlage freigemacht, von Cervix,
Scheide und den Parametrien, ihre Nerven und Gefäße werden durch-
schnitten, Harnverhaltung, Schwellung der Schleimhaut, Sugillationen,
Infektion durch den Katheter und von der Beckenbindegewebswunde
her werden die Folge sein (vgl. Baisch, Beitr. f. G.-G., Bd. VII,
Roith, ebenda, Bd. XI). In den schwersten Fällen kommt es zur
Nekrose der Blasenwand und Fistelbildung. Ein Fall, der zur Sektion
kam, zeigte die halbe Blase gangränös.
Diese Cystitisursachen liegen in dem Wesen der Operation
und nur eine Einschränkung ihrer Grenzen würde eine wirk-
same Prophylaxe der Cystitis bedingen.
Die Erhaltung der Blasenäste der Uterina ist ohne Bedeutung für
das Auftreten einer Cystitis. In 32 Operationsberichten finden sich
Notizen darüber; 8 mal sind die Blasenäste beiderseits unterbunden
worden, 9 mal auf einer Seite und 15 mal beide erhalten worden. Ein
Unterschied der Cystitiden hat sich nicht gezeigt. Auch andere pro-
phylaktische Maßnahmen haben keinen Erfolg gehabt, wie die Deckung
der Blase durch das an dem vorderen Scheidenwundrande angenähte
Blasenperitoneum, ein Verfahren, das von Amann und Krönig
empfohlen worden ist.
Um die Harnverhaltung zu verhindern, hat Werth vorgeschlagen,
die Blase gleich nach der Operation mit 200—300 g 3 %/,igen Borwassers
zu füllen. Diese Methode hat Krönig und Döderlein (Baisch) und
wohl noch manchen andern gerade bei Carcinomoperationen im Stiche
gelassen, und wir haben es deshalb gar nicht angewandt. |
Von Baisch wurde empfohlen, gleich nach jedem Katheterismus
eine ausgiebige Blasenspülung zu machen, und er wie Krönig haben
gute Resultate davon gesehen. Wir haben nichts damit erreicht.
Als bestes Prophylaktikum hat sich uns in jüngster Zeit der
Dauerkatheter erwiesen. In den letzten 15 Fällen ist ein Dauerkatheter,
und zwar ein Skenscher Pferdefuß, am 4. Tage, eingelegt worden und bis
zum 9. oder auch 14. Tage liegen geblieben, länger als 9 Tage, wenn
der Urin nicht ganz hell war. Wir legen den Dauerkatheter am vierten
Tage ein, wenn am dritten Stuhl erfolgt ist und alle Manipulationen
zur Erzielung von Blähungen und Stuhl aufgehört haben. Es hat sich
das für die Pflege praktisch erwiesen.
Von den 15 Fällen, die mit dem Katheter behandelt wurden, sind
7 obne Cystitis geblieben und D hatten eine ganz geringe. Auch die
drei übrigen Fälle zeigten nur mittelschwere Blasenkatarıhe, die nach
Blasenspülungen in kurzer Zeit heilten.
Die Wirkung des Dauerkatheters ist wohl die, daß er jede Harn-
verhaltung verhindert und das Katheterisieren überflüssig macht.
Ich wundere mich, daß Hannes vom Verweilkatheter gerade das
Gegenteil gesehen hat. Die Cystitiden nahmen ab, nachdem der Dauer-
katheter weggelassen worden war (Zeitschr., Bd. 72).
6 K. Franz.
Als ein weiteres Prophylaktikum der Cystitis mag Urotropin und
Folia uvae ursi gelten. Urotropin wird regelmäßig vom 4. Tage an
gegeben, 4—6 Tabletten a 0,5 täglich und mehrere Tassen Bärentrauben-
blättertee. Ich stelle mir ihre Wirkung hauptsächlich als diuretische
vor. Sie vermehren die Harnabsonderung und bedingen eine Blasen-
spülung von innen heraus. Wenn sie so eine Cystitis verhüten, so kann
man sich auch vorstellen, daß sie einen leichten Katarıh auch zur
Heilung bringen können. In einem Drittel unserer Fälle genügten sie,
um die Blasenkatarrhe zu heilen. Ist aber der Urin stark eitrig oder
gar blutig, dann genügen sie nicht mehr. Dann machen wir Blasen-
spülungen mit 2—3°),iger Borlösung. Führen 3, 4 Blasenspülungen
nicht eine entschiedene Besserung herbei, so werden Xeroformsesamöl-
eingießungen in die Blase gemacht. Kolischer (Die Erkrankungen
der weibl. Harnröhre und Blase, Leipzig-Wien, Deuticke, 1898) hat Jodo-
formsesamöleingießungen empfohlen. Wir nehmen 20 ccm einer 10°,-
igen Xeroformsesamölemulsion, die nach Reinigung der Blase mit Bor-
wasser eingespritzt werden. Das wird zunächst jeden Tag einmal ge-
macht; gehen die Erscheinungen des Blasenkatarrhs zurück, ein über
den andern Tag, dann immer seltener, bis der Urin vollständig klar
geworden ist. Wenn das Xeroformsesamöl nicht genügt, so wenden
wir Argentum nitricum an, und wiederum nach Kolischer beginnend
mit 1°/,igen Lösungen und steigend bis 5 und 10°/,igen, von denen in
die leere Blase 2—3 ccm eingespritzt werden. Unter dieser Behand-
lung haben wir alle Cystitiden heilen sehen, wenn uns von den Patienten
Zeit genug gelassen wurde. Ein Fall mußte ungeheilt und 9 gebessert
entlassen werden, weil die Frauen nicht länger in der Klinik bleiben
wollten.
Ich habe schon oben kurz erwähnt, daß Frauen mit Blasenkatarrhen
kontrolliert werden müßen, ob sie beim Wasserlassen ihre Blase voll-
ständig entleeren. Das ist sehr wichtig, wenn man nicht Rezidive er-
leben und Erfolg mit seiner Behandlung haben will. Keine Frau
sollte eher entlassen werden, als sie imstande ist, ihre Blase vollständig
zu entleeren.
Blasenscheidenfisteln.
Die Blasenscheidenfisteln, die nach abdominalen Carcinomoperationen
auftreten, können zwei Ursachen haben, entweder Nekrose der Blasen-
wand oder Insuffizienz der Naht von Blasenverletzungen.
18 Blasenscheidenfisteln sind von uns beobachtet worden, 13 in-
folge Insuffizienz der Naht und 5 durch Nekrose der Blasenwand
bedingt.
Die Nahtfälle betreffen 2 Resektionen der Blasenwand, eine frei-
willige und 10 unbeabsichtigte Verletzungen. Die nicht beabsichtigten
Verletzungen geschahen beim Ablösen der fest auf der Cervix sitzenden
Blase. Es waren das immer Fälle, wo die carcinomatöse Infiltration
oder entzündliche Verdiekung eine besonders feste Verbindung zwischen
Die Schädigungen des Harnapparates usw. 7
Blase und Cervixwand geschaffen hatte, oder wo die Blasenwand durch
entzündliches Ödem sehr brüchig war. Die Löcher in der Blase waren
immer klein. Sie wurden mit Catgutknopfnähten, die durch die ganze
Wand gingen, geschlossen und noch eine die Wand oberflächlich
fassende Schicht darüber gelegt. Jedesmal wurde die Blase nach der
Naht mit Flüssigkeit gefüllt, um die Festigkeit und den Schluß der
Naht zu prüfen. Nur in einem Falle wurden die Beckenbindegewebs-
wunden mit Gaze drainiert, immer wurde die Blase durch einen Dauer-
katheter still gelegt und trotz aller dieser Vorsicht sind von 15 ge-
nähten Verletzungen, die bei den Carcinomoperationen vorkamen, nur
einer geheilt, bei dem das Loch zur Implantation eines durchschnittenen
Ureters benutzt worden war. Bei einem Falle trat der Tod sehr bald
nach der Operation ein. Es ist also so gut wie keine genähte Ver-
letzung primär geheilt. Das kann nur in denselben Ursachen liegen,
die die Verletzungen bedingen, in Erkrankungen der Blasenwand durch
entzündliche Infiltration.
Die Insuffizienz der Naht trat ein in zwei Fällen am 2. Tag,
in einem am 5., in einem am 7., in einem am 8., in dreien am 10., in
einem am 14. und einem am 15. Tage, in drei Fällen nicht angegeben
wann. Drei Fälle sind spontan geheilt, einer am 30. Tag, einer am 43.,
der andere zu Hause. Eine Patientin ließ sich die Fistel nicht operieren,
zwei konnten wegen rasch fortschreitenden, die ganze Blase ergreifenden
Carcinoms nicht mehr operiert werden; 7 wurden operiert, eine am
31. Tage, zwei am 34., eine im 4. Monat, alle mit Erfolg, eine am
49. Tage ebenfalls mit Erfolg operierte Kranke starb am 13. Tage nach
der Fisteloperation an Embolie; 2 Patientinnen, von denen der einen anı
45. Tage, der andern 4 Monate nach der Carcinomoperation die Fistel
geschlossen wurde, heilten nicht, da die Blase von Carcinom ergriffen
war und die Nähte im kranken Gewebe durchschnitten.
Die Operation der Fistel war immer die gleiche: Umschneidung
des Fistelrandes, Abpräparieren der Blasenwand von Scheidenwand rings-
herum auf mindestens */, cm, durchgreifende Catgutknopfnähte der Blase
und darüber eine Knopfnahtschicht, die ich bis vor 2 Jahren mit Silk-
worm gemacht habe und jetzt auch mit Catgut ausführe. Catgutfäden
brauchen nicht herausgenommen zu werden und inkrustieren sich nicht.
Für die Heilung ist es gleichgültig, ob man Silk oder Catgut nimmt.
Seide möchte ich wegen der starken Inkrustation nicht empfehlen.
Blasenscheidenfisteln, durch Nekrose der Blasenwand bedingt,
sind 5mal aufgetreten, 1mal am 3., imal am 4., 2mal Ende der ersten
Woche, imal am 8. Tage. Sie sind also nicht häufig und entstehen
meistens nur dann, wenn die Blasenwand bei der Operation schon krank
ist oder bei sehr schwierigen Operationen die Wand stark gezerrt und
gequetscht wird. Von den 5 Blasennekrosen traten 3 nach schwierigen
Operationen weit fortgeschrittener Carcinome auf, bei einem Fall war
die Blasenwand sehr ödematös, und nur in einem Falle war eine glatte
und leichte Operation vorausgegangen. In keinem Falle waren die .
8 K. Franz.
Wundhöhlen tamponiert oder drainiert worden, sondern nur in die
Scheide hatte man für 20 Stunden einen Gazestreifen gelegt. Ich glaube
wohl, daß ausgiebige Drainagen der Wundhöhle mit Gaze, die an die
Blasenwand zu liegen kommt und mehrere Tage liegen bleibt, bewirkt,
daß die Blasenwand brandig wird.
In dem Falle der ödematösen Blasenwand hatte die Raffung der
Blasenwand an den vorderen Scheidenwundrand die Nekrose nicht zu
verhindern vermocht.
Eine Fistel schloß sich innerhalb 3 Monaten von selbst; eine wurde
am 44. Tage operativ geschlossen, heilte zunächst nicht ganz, schloß
sich aber dann spontan; bei einer Fistel wurde trotz carcinomatöser
Verdickung der Fistelwände der Schluß versucht, aber vergebens; eine
Frau starb !/, Jahr nach der ersten Operation mit Fistel an Rezidiv
und eine Patientin entzog sich der weiteren Behandlung.
Von allen Blasenfisteln sind nur 4 ohne Cystitis geblieben.
Ureterscheidenfisteln
sind wohl von allen. die Carcinome des Uterus abdominal operieren,
beobachtet worden, ich nenne nur Rosthorn, Döderlein, Wertheim,
der unter seinen letzten 158 Operationen 10 Ureternekrosen gesehen hat.
Wir haben bei 145 Operationen 7 Ureternekrosen mit Fistelbildung
erlebt.
Die Fisteln traten auf einmal am 2. Tage, einmal am 4., zweimal
am 7., einmal am 17., einmal am 21. und einmal am 23. Tage. Die
Fisteln saßen viermal links, einmal rechts und zweimal waren sie doppel-
seitig. Diese doppelseitigen ereigneten sich sehr spät, am 17. und 21. Tage,
d. h. von diesen Tagen an lagen die Patientinnen naß.
2 Operationen, die von Fisteln gefolgt waren, verliefen glatt und
ohne Komplikation; zweimal konnten die Ureteren nur mit Schwierig-
keit aus dem infiltrierten Gewebe des Parametriums freigemacht werden;
ein solcher Fall betraf die doppelseitige Fistel; in einem Falle wurden
am Ende der Operation von beiden Ureteren sitzengebliebene Carcinon-
restehen entfernt; beide Ureteren wurden fistulös; bei 2 Fällen mußten
wegen Nachblutungen Scheide und Wundbett fest austamponiert werden.
Wir haben hier die Hauptursachen der Ureternekrosen, die meiner
Meinung nach allein für Ureterfisteln in Betracht kommen, die Tam-
ponade des Wundbettes und oberflächliche Verletzungen der Ureter-
wand. Daß bei unseren Fällen, wo der Ureter schwierig aus seiner
Lage zu lösen war, und wo Fisteln des Ureters eingetreten sind, seine
Wand verletzt worden ist, ist für mich zweifellos. Und wenn sie in den
Operationsjournalen nicht bemerkt sind, so haben wir sie bei den
Operationen eben nicht gesehen. Sampson hat gewiß recht, wenn er
die Schonung der Ureterscheide für besonders wichtig erklärt, sollen
Ureternekrosen vermieden werden.
Die Schonung der Uretergefäße, die auf Wertheims Veranlassung
‚von Feitel genau beschrieben worden sind, ist gleichgültig. Stoeckel
Die Schädigungen des Harnapparates usw. 9
und Bumm haben darauf hingewiesen, daß die Drainage der Wund-
höhlen mit Gaze für die Ureteren besonders gefährlich seien; das ist
ganz gewiß richtig. Ich drainiere die Wundhöhlen nie mehr. Döder-
lein scheint es für sehr bedenklich zu halten, den Ureter aus seiner
Unterlage herauszuzerren und ihn abzuheben, so daß er frei wie ein
Strang durch das Becken hindurch zur Blase zieht (Döderlein-Krönig,
Operative Gynäkologie). Auf den Abbildungen liegt er auch schön in
seinem Gewebe drin. Nur weiß ich nicht, wie man das machen soll,
radikal zu operieren und den Ureter doch auf seiner Unterlage zu
lassen. Oberhalb des Ureters ist ein bischen Parametrium, aber unter
ihm ist doch viel mehr, und das muß heraus. Ich mache keine Car-
cinomoperation, ohne daß der Ureter vom Beckeneingang bis zur Blase
frei wie eine Guirlande durchs Becken zieht, und habe doch nur 7 mal
eine Ureternekrose gesehen und mit Ausnahme von zwei Fällen wegen
ganz bestimmter Schädigungen, die hätten vermieden werden können.
Also das Freilegen des Ureters ist ganz gleichgültig, das verträgt er
ausgezeichnet. Es ist auch nicht nötig, ihn so liebevoll.zu decken, wie
Amann es tut. Bei uns wird nur das vordere und hintere Peritoneal-
blatt über die Wundflächen mit Catgut vernäht, so daß die Bauchhöhle
vollständig abgeschlossen liegt. Der Ureter bekommt also ein peritoneales
Dach.
Man braucht auch nicht allzu ängstlich mit dem Herauspräparieren des
Ureters zu sein, wenn er fest im Gewebe sitzt, und es ist durchaus
nicht nötig, ihn gleich durchzuschneiden. In 5 Fällen mußte der Ureter
mit großer Mühe isoliert werden und ist nicht fistulös geworden. In
3 anderen Fällen wurde er dabei oberflächlich verletzt. Die sofortige
Catgutknopfnaht dieser Verletzung hat eine Fistel verhindert.
Zwei der Ureterfisteln heilten, nachdem die Frauen mit Fisteln
entlassen waren, spontan zu Hause aus. Sehr wichtig sind die neuesten
Mitteilungen von Wertheim (Zentralblatt 1908, Nr. 8) und seinem
Schüler Weibel (Zeitschr., 72. Bd.), daß von 24 Fällen von Ureter-
fisteln -13 spontan heilten, von den letzten 10 sieben, und zwar mit
Funktion der Ureteren. Wertheim und Weibel sprechen bei diesen
Spontanheilungen der Ätzung mit Jodtinktur und Lapis eine große
Rolle zu. Ich bin bisher anderer Meinung gewesen, nämlich die Fisteln
ganz in Ruhe zu lassen. Ich werde von nun an auch ätzen.
2 Fälle sind durch abdominale Implantation des Ureters in
die Blase geheilt worden, der eine 4!), Wochen nach der Carcinom-
operation, der andere 2!/, Monate darnach. Bei diesem Falle handelte
es sich um eine doppelseitige Ureterfistel, die durch die Ein-
pflanzung beider Ureteren in einer Sitzung geheilt worden ist.
Die Technik der Einpflanzung ist von mir im 59. Band der Zeitschrift
beschrieben worden.
Der andere Fall der doppelseitigen Fistel ist zunächst links im-
plantiert worden. Die Frau starb bald an Carcinom, bevor man dazu
kam, auch den anderen einzunähen.
10 K. Franz.
2 Frauen mit Ureterfisteln wollten sich nicht operieren lassen.
Eine davon bekam nach 9 Monaten ein Rezidiv. Die andere starb
2 Jahre nach der Carcinomoperation nach Bericht des behandelnden
Arztes an einer Pyelonephritis der fistulösen Seite. Das ist ein sehr
wichtiger Fall. Er zeigt die Gefahren einer Ureterfistel, wenn sie
lange unbehandelt besteht. Jede Fistel des Ureters verursacht eine
Dilatation des Ureters. Ich habe wenigstens keinen Fall gesehen, wo
die Dilatation fehlte. Der Urin mug sich dann auch im Nierenbecken
stauen, und damit ist die Disposition für eine Entzündung gegeben. An
Bakterien, die von der Fistelöffnung und der Scheide durch den Ureter
nach aufwärts wandern, nicht gehindert durch den schwach fließenden
Urin,. fehlt es gewiß nicht.
Ureterdurchschneidungen und Ureterimplantationen sind
16 gemacht worden, 13mal einseitig und 2mal doppelseitig. Ein Ureter
ist aus Unvorsichtigkeit durchschnitten worden. In allen anderen Fällen
handelte es sich um weit fortgeschrittene Carcinome. Die Infiltration
der Parametrien hatte die Ureteren in 8 Fällen so umwachsen, daß die
Auslösung nicht möglich erschien, in 7 Fällen die Ureteren so kom-
primiert, daß sie oberhalb der Parametrien dilatiert waren. Es fragt sich,
ob man in solchen Fällen doch noch versuchen soll, den Ureter heraus-
zupräparieren, oder ob man ihn durchschneiden und in die Blase im-
plantieren soll. Mackenrodt (Zeitschr., Bd. 54) hält es für selten nötig,
und in den meisten Fällen, wo es geschieht, für überflüssig. Man solle
nur bei krebsigem Ureter resezieren und der Ureter werde selten von
Krebs ergriffen. Auch ich bin der Meinung, daß man immer versuchen
soll, den Ureter aus infiltriertem Bindegewebe herauszupräparieren, auch
wenn es viel Mühe macht. Daß ich trotzdem so viele Ureteren habe
resezieren müssen, kommt daher, weil ich die allerschlechtesten Fälle
noch operiert habe. Und da war es eben nicht möglich, Ben Ureter
frei zu bekommen. Ultra posse nemo tenetur.
Daß es die schlechtesten Fälle waren, bei denen die Ureteren
durchschnitten und in die Blase eingenäht werden mußten, beweist die
hohe Mortalitätsziffer gerade bei diesen Operierten. 7 Frauen sind ge-
storben, 4 kurz nach der Operation im Collaps, eine nach 2, eine nach
4 Tagen an Sepsis und eine nach 54 Tagen an chronischer Eiterung
und Metastasen.
Bei diesem letzten Falle, den ich nicht selbst operiert habe, hatte
der Ureter nicht gehalten, er war aus der Blase herausgeschlüpft und
mündete bei der Sektion in eine große Eiterhöhle. Der eine Fall
doppelseitiger Implantation starb nach 4 Tagen an Sepsis, der eine
Ureter steckte in der Blase, der andere nicht. Ob hier die doppel-
seitige Ureterimplantation den Tod verschuldet hat, ist nicht zu sagen.
Wahrscheinlich ist es nicht. Die Patientin secernierte genügend Urin
und starb unter den Zeichen einer ausgesprochenen Sepsis. Bei den
anderen Fällen ist die Uretereinpflanzung sicher nicht schuld am Tode
gewesen. Die übrigen 9 Fälle von Treterdurcehschneidung sind
Die Schädigungen des Harnapparates usw. 11
alle gesund geworden und alle Ureteren, auch die beiden Ureteren
bei einer Patientin, sind mit guter Funktion eingeheilt.
Wir haben also keinen Fall, wo die Düarchschneidung des Ureters
und seine Einnähung in die Blase den Tod der Patientin bedingt hätte,
und wir haben 9 Fälle, wo die durchschnittenen Ureteren gut einge-
heilt sind.
Wir brauchen also bei einer Carcinomoperation es nicht zu fürchten,
wenn wir einen oder auch einmal zwei Ureteren durchschneiden und
in die Blase nähen müssen. Vorbedingung ist allerdings, daß man vor
der Operation durch Cystoskopie, Harnleiterkatheterismus, Chromocysto-
skopie die Funktion der Nieren prüft. Erst allmählich haben wir uns
von der Notwendigkeit dieser Diagnostik überzeugt. Seit 11, Jahren
wird sie vor jeder Carcinomoperation geübt und in zweien der letzten
Fälle konnten wir vor der Operation mit großer Wahrscheinlichkeit
annehmen, daß ein Ureter wegen Kompression seiner Wand reseziert
werden müsse. Bei dem einen war die Uretermündung stark ödematös,
die Harnsekretion träge, beim andern knickte der Katheter nach 2 cm
ab. Die Operation bestätigte den Befund.
Gar oft habe ich mich schon gefragt, ob man denn überhaupt
noch solche Carcinomkranke, bei denen Ureterenresektionen wahr-
scheinlich sind, operieren soll. Allzuviel Freude hat man nicht an
diesen Fällen. Kommen sie durch, packt sie bald das Rezidiv. Und
doch habe ich mich immer wieder zur Operation auch ganz schlechter
Fälle entschlossen. Die Operation ist doch die einzige Türe ins Leben.
(Aus der Universitäts-Frauenklinik in München. Direktor Prof. Dr. Doederlein.)
Blasenblutungen bei Retroflexio uteri gravidi incarcerata.
Von
Privatdozent Dr. Karl Baisch, Oberarzt der Klinik.
Stärkere Blasenblutungen gehören bei der inkarzerierten Retroflexion
des schwangeren Uterus zu den großen Seltenheiten. Wohl ist es nicht
ungewöhnlich, daß sich bei Verschleppung der Erkrankung dem eitrigen,
ammoniakalisch zersetzten Urin Blut beimischt, aber dann pflegen die Blut-
mengen nicht sehr erheblich zu sein. Diese blutigen Beimengungen
gelten mit Recht als ein schweres, auf tiefgehende Erkrankung der
Blasenmucosa deutendes Symptom und werden allgemein als der
alarmierende Vorläufer der beginnenden Gangrän der Blasenschleimhaut
angesehen, da sie eben die natürliche Folge der Ulceration und Nekrose
der Blutgefäßwände sind.
Wesentlich verschieden von dieser Ätiologie sind nun andere Fälle,
wo nahezu reines oder mit relativ wenig Urin vermischtes Blut die
Blase erfüllt. In den ganz wenigen Fällen von starken Blasenblutungen,
die sich in der Literatur finden, haben die Autoren nur Vermutungen
über die Ursache dieser äußerst bedrohlichen Komplikation. Kroner!)
hat einen solch merkwürdigen Fall eingehend beschrieben. Hier er-
folgte nach der Entleerung von 5 1 völlig klaren Urins eine so vehemente
Blutung in die Blase, daß die Patientin kollabierte. Der Katheter ent-
leerte 21/, 1 blutige Flüssigkeit und außerdem blieben noch Blutgerinnsel
zurück, die die Blase zu einem kindskopfgroßen Tumor machten. Die
Blase war, wie die Sektion der 10 Tage später an Pyämie gestorbenen
Patientin zeigte, mit ihrem Scheitel 10 cm über der Symphyse mit dem
Netz verwachsen. An der Verwachsungsstelle fand sich auf der Blasen-
mucosa ein Geschwür. Kroner beschuldigt diese Verwachsung, die
eine Retraktion der entleerten Blase verhinderte, als Ursache der
Blutung, die er als eine Blutung ex vacuo oder in vacuum auffaßt.
Beachtenswerter für die Ätiologie als diese Fixierung des Blasen-
scheitels, die ja doch niemals zu einem wirklich leeren Raum in der
Blase hätte führen können, ist jedoch die Tatsache, daß nach der
Katheterisierung und Entleerung der Blase der Uterus nicht aufgerichtet
wurde, sondern noch mehrere Tage bis zum Tode der Patientin in Retro-
flexionsstellung verblieb.
!) Zentralbl. f. Gynäk. 1882, Nr. 49,
Blasenblutungen bei Retroflexio uteri gravidi incarcerata. 13
Auch in dem Fall von Reeb!) war katheterisiert, aber der im
5. Monat gravide Uterus nicht aufgerichtet worden. Es folgte nach
der Entleerung von 600 ccm Urin in kurzer Zeit eine Blutung in die
Blase von 400 ccm, die so gefährlich erschien, daß die Sectio alta ge-
macht und die Blase tamponiert wurde.
Dührssen?) erwähnt noch 2 weitere Fälle ähnlicher Blasen-
blutungen bei Retroflexio uteri gravidi von Rasch und Chambers,
in denen gleichfalls die Reposition des Uterus nach der Katheterisierung
unterblieb. Auch Dührssen nimmt die Entstehung eines Vakuums
infolge der unterlassenen Aufrichtung an und meint, der aufgerichtete
Uterus würde die vordere gegen die hintere Blasenwand gepreßt und so
die Entstehung eines luftleeren Raumes verhindert haben.
Man wird diese Vorstellung unbedingt ablehnen müssen und wir
selbst haben einen Fall schwerer Blasenblutung beobachtet, in dem eine
andere Erklärung für den Eintritt dieser Komplikation sich ergab.
Unsere Patientin war, wie dies ja leider noch immer vorkommt,
trotz heftigster Blasenbeschwerden und obwohl die Symptome in un-
zweideutigster Weise die Diagnose herausforderten, niemals katheterisiert,
sondern vom Arzt auf das Ende der Schwangerschaft vertröstet worden.
Sie hatte im Beginn des 4. Monats ihrer 5. Schwangerschaft ziemlich
plötzlich Beschwerden beim Wasserlassen bekommen und den Urin nur
unter starkem Pressen entleeren können. Sie half sich bald dadurch,
daß sie mit beiden Händen auf die Unterbauchgegend drückte und so
den Urin auspreßte. Anfangs war er ganz klar, in den nächsten Tagen
wurde er blutig und bald kam scheinbar nur noch reines dunkles Blut,
dem größere Gerinnsel beigemengt waren.
Bei der Aufnahıne in die Klinik fand sich eine typische Retro-
flexion und Inkarzeration, die Portio stand kaum erreichbar am oberen
Rand der Symphyse. Der Katheter entleerte eine große Quantität
flüssigen Blutes. In Narkose gelang die Reposition leicht, und durch
kräftiges Ausdrücken der Blase wurde noch eine beträchtliche Menge
von Gerinnseln entleert.
Die Besserung war eine unmittelbare, der Urin verlor schon am
nächsten Tage seine Blutfarbe und wurde bald völlig klar.
Von besonderem Interesse war nun der cystoskopische Befund.
Schon am 3. Tag nach der Reposition war der Urin so klar, daß die
Erhebung eines ganz reinen Bildes möglich wurde. Es fand sich keine
Spur einer Cystitis. Die Schleimhaut war überall vollkommen rein, ohne
Belag, ohne Trübung, ohne entzündliche Gefäßinjektion. Nirgends fand
sich ein Ulcus oder ein Defekt. Dagegen fielen 2 Dinge in die Augen.
Einmal waren die Gefäße, speziell die Venen, überall stark erweitert
und zum andern fand sich im untersten Abschnitt der Blase ein er-
hebliches bullöses Ödem.
1) Monatsschr. f. Gebh. u. Gyn., Bd. 24, S. 126.
3) Archiv f. Gyn., Bd. 57. H. 1.
14 Dr. Karl Baisch. Blasenblutungen bei Retroflexiv uteri gravidi incarcerata.
Vergleichen wir unsern Fall mit den wenigen Berichten aus der
Literatur über Blutungen bei Retroflexio uteri gravidi, so ergibt sich
das Gemeinsame, daß eine Entleerung der Blase stattgefunden hatte
ohne folgende Reposition des Uterus. In den Fällen Kroner, Cham-
bers, Rasch, Reeb mit dem Katheter, in unserem Fall durch äußeren
Druck. Diese Übereinstimmung ist wohl kein Zufall. Wir werden
vielmehr darin die eigentliche Ursache der Blasenblutung zu suchen
haben. Der nähere Zusammenbang geht aus dem cystoskopischen Be-
fund unseres Falles klar hervor. Durch die Verzerrung der Blase, wie
sie als Folge des Zuges der hoch über die Symphyse verlagerten Portio
zustande kommen muß, werden die Gefäße, die gerade hier an die Blase
herantreten, stark in Mitleidenschaft gezogen. Es kommt zu einer Unter-
brechung des venösen Abflusses, und die starke Erweiterung der Venen,
die wir noch am 3. Tag nach der Reposition sehen konnten, spricht
dafür, daß diese Stauung des venösen Blutes eine sehr hochgradige
gewesen sein muß.
Wird nun die Blase entleert, ohne daß gleichzeitig durch Korrektur
der Uteruslage die Störung in der Zirkulation aufgehoben wird, so kommt
es beim Wegfall des Innendruckes, den der Urin besorgt hatte, zu Ödem
und zur Blutung. Eine Blutung ex vacuo oder in vacuum kann man
das füglicherweise nicht nennen. Auch findet in unserem Befund die
Annahme mancher Autoren eine Stütze, wonach die oft auffallend große
und rasch sich erneuernde Urinmenge in der Blase nicht lediglich
Nierensekretion darstellt, sondern durch Transsudat aus den Blasen-
wänden vermehrt wird.
Die Stauungsblutung ist somit ätiologisch und prognostisch wesent-
lich verschieden von denjenigen Blutbeimengungen zum Urin, die
wir bei drohender oder beginnender Blasengangrän auftreten sehen,
und unser Fall ist ein einwandfreier Beweis dafür, daß Wertheim?)
mit seiner Anschauung zu weit geht, wonach in allen Fällen von Blasen-
blutungen als Ursache einfach die Eröffnung und Arrosion der strotzend
gefüllten Gefäße infolge Nekrose und Gangrän aufzufassen ist.
Fälle wie der unsrige lassen auch erkennen, daß die früher wohl
von einzelnen Autoren vorgeschlagene Therapie der Retroflexio uteri
gravidi incarcerata, lediglich durch Katheterisierung ohne gleichzeitige
Reposition den spontanen Eintritt der Normallage bewirken zu wollen,
verfehlt ist.
In unserem Fall trat nach der Reposition sofortige Heilung ein.
Die Frau befindet sich jetzt, wie die vor wenigen Tagen vorgenommene
Nachuntersuchung ergeben hat, im 9. Monat der Schwangerschaft. Die
Gravidität verlief seither ohne jede weitere Störung völlig normal.
1) v. Winckel, Handbuch der Geburtshilfe, II, 1, S. 430.
Über den Zusammenhang der intermittierenden Hydronephrose
mit Genitalleiden bei Frauen.
Von
Dr. Sigmund Mirabeau, München.
Das Krankheitsbild der Hydronephrose ist schon ziemlich lange
den Ärzten bekannt und hat sowohl von pathologisch-anatomischer, als
auch von klinisch-chirurgischer Seite bis in die jüngste Zeit herein
eingehende Bearbeitung erfahren. Zwei Momente sind dabei den meisten
Beobachtern aufgefallen, und zwar erstens, daß die Krankheit sehr er-
heblich häufiger beim weiblichen Geschlecht als beim männlichen be-
obachtet wird und zweitens, daß in der Mehrzahl der Fälle die Er-
krankung einseitig und darunter wieder überwiegend rechtsseitig
auftritt.
Nach einer Zusammenstellung von Küster!) betrafen von 538 Fällen
213 Männer, 325 Frauen, und von 492 Fällen 236 die rechte, 217 die
linke Seite, während nur 32 doppelseitig waren. Schon frühzeitig hat
man diese auffallenden Erscheinungen damit zu erklären versucht, daß
ein großer Teil der Fälle von Hydronephrose mit Wanderniere kom-
biniert ist, die ihrerseits unverhältnismäßig häufiger bei Frauen als bei
Männern vorkommt und in der überwiegenden Mehrzahl die rechte
Seite betrifft.
Was das Alter der von dieser Krankheit Betroffenen anlangt, so zeigt
die Zusammenstellung Küsters®), daß alle Lebensalter daran beteiligt
sind, daß aber das Hauptkontingent in die Zeit vom 20. bis zum
50. Lebensjahre fällt.
Man darf wohl annehmen, daß die immerhin erhebliche Zahl von
Fällen, die bei Personen unter 20 Jahren beobachtet werden, im wesent-
lichen auf angeborenen Defekten beruhen, während für die späteren
Lebensjahre die angeborenen und die erworbenen Formen sich ungefähr
das Gleichgewicht halten dürften.
Als eine besondere Form der Hydronephrosen wurde schon in
den 70er Jahren, anscheinend zuerst von Cole?), die intermittierende
') Küster, Die chirurgischen Erkrankungen der Nieren. Deutsche Chirurgie,
Bd. 52b.
"Le
°») Cole: On a case of intermitting hydronephrosis. Brit. med. Journ. 1874, Bd. II.
16 Dr. Siegmund Mirabeau.
Sackniere beschrieben, d. h. diejenige Form, bei der die im Nieren-
becken sich ansammelnde Flüssigkeitsmenge in gewissen Intervallen auf
natürlichem Wege entleert wird. Von ihr soll im Verlaufe dieser Be-
trachtungen in erster Linie die Rede sein.
Wenn man die Literatur auf die Fälle von intermittierender Hydro-
nephrose durchsieht, so ergibt sich auch hier zunächst wieder die Tat-
sache, daß die überwiegende Mehrzahl der publizierten Fälle Frauen
betrifft, und es ist vielleicht kein Zufall, daß mit die ersten ausführlichen
Publikationen von gynäkologischer Seite herrühren. Landau!) war es,
der in den 80er Jahren mehrere Beobachtungen publizierte und an-
scheinend zuerst auf den Zusammenhang der intermittierenden Hydro-
nephrose mit der Wanderniere bei Frauen aufmerksam machte. Seither
wurde diesen Dingen von gynäkologischer Seite erhöhte Aufmerksamkeit
geschenkt, zumal es mit dem Aufblühen der operativen Gynäkologie
gar nicht allzu selten vorkam, daß große Hydronephrosen unter der
Diagnose von Ovarialtumoren in die Hände der Gynäkologen gelangten
und von diesen erkannt oder unerkannt operiert wurden. In allen
Fällen, soweit sie in der Literatur niedergelegt sind, handelt es sich
um weit vorgeschrittene Stadien mit deutlich nachweisbarer Tumor-
bildung, die auf Grund unserer heutigen diagnostischen Hilfsmittel der
Erkennung keine allzugroßen Schwierigkeiten bieten. Daß es aber noch
nicht allzulange her ist, seit man gelernt hat, diese Erkrankungen
richtig zu deuten, möge ein Ausspruch von Spencer Wells?) beweisen,
der noch im Jahre 1872 schrieb: „Selbst Männer von größter Erfahrung
müssen eingestehen, daß eine exakte Diagnose der Nierentumoren un-
möglich ist, so daß oft nicht einmal ein explorativer Schnitt, sondern
erst die Sektion den begangenen Irrtum aufklärt.“ Und Gustav Simon).
der Vater der modernen Nierenchirurgie, sagt: „Die Geschichte der
Operationen von Hydronephrosen besteht aus einer langen Reihe dia-
enostischer Irrtümer.“ Daß diese Reihe sich noch zum Teil bis in die
neueste Zeit fortsetzen ließe, habe ich oben schon angedeutet.
Erst die neuen, mit den endoskopischen Methoden Nitzes in-
augurierten Hilfsmittel haben uns in den Stand gesetzt, den oben
zitierten Satz Spencer Wells ungültig zu machen, und zwar nicht
nur für so vorgeschrittene Fälle, wie sie dieser im Auge hatte, sondern
bis zu einem gewissen Grad sogar für jene Anfangsstadien der Er-
krankung, die bis in die allerneueste Zeit herein, z. B. noch von
Küster*) u. a., als einer Diagnose nicht zugänglich bezeichnet wurden.
Und nicht nur nach der diagnostischen Seite haben die endoskopischen
Untersuchungsmethoden einen entscheidenden Fortschritt gebracht. auch
1) Über intermittierende Hydronephrose. Berl. klin. Wochenschr. 1888. Nr. 47,
48, und Archiv für klin. Chirurgie, Bd. XXVI, 1881.
TI Spencer Wells, On the diagnosis of renal from ovarian cysts and tumours.
Dublin quarterly Journ. of med. Soc., Bd. 43. Febr. 1867.
°) Gust. Simon. Chirurgie der Nieren. Erlangen 1871.
FEG
Über den Zusammenhang der intermiftierenden Hydronephrose usw. 17
zur Aufklärung der Ätiologie, über welche noch die größten Meinungs-
verschiedenheiten herrschen, haben dieselben so Wesentliches beigetragen,
daß die Zahl der früher so häufigen unaufgeklärten Fälle wohl bald
auf ein Minimum zusammenschrumpfen wird.
Die Tatsache, daß selbst bei weit vorgeschrittenen Erkrankungen
die klinischen Symptome sehr häufig durchaus nicht so charakteristisch
sind, daß sie ohne weiteres auf eine Nierenaffektion hinweisen, trägt
dazu bei, daß sehr viele Fälle oft lange Zeit unter anderer Diagnose
laufen und namentlich bei Frauen, die gewöhnt sind, alle Beschwerden
in erster Linie auf die Genitalorgane zurückzuführen, kann uns das
nicht wundernehmen. |
Die Gynäkologen, an welche sich diese Patientinnen infolgedessen
in erster Linie wenden, haben ja bis in die neueste Zeit herein zum
Teil sogar prinzipiell die Erkrankungen des Harnsystems, als nicht in
ihr Gebiet gehörig, auffallend vernachlässigt; erst in jüngster Zeit haben
sie, dank der Verbreitung der cystoskopischen Methoden, diesen Er-
krankungen wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt, und als natürliche
Folge hat sich ergeben, daß man viele Beschwerden, die von den Ärzten
ebenso wie von den Frauen selbst auf die Genitalorgane bezogen wurden,
als Erkrankungen der Harnorgane erkannte.
Die meisten Fälle von Hydronephrose, die ich im Laufe der Jahre
zu beobachten und zu behandeln Gelegenheit hatte, kamen wegen gynä-
kologischer Beschwerden in ärztliche Beobachtung und wurden wegen
solcher von anderer Seite und auch von mir selbst gynäkologisch be-
handelt, ehe die wahre Ursache der Beschwerden erkannt wurde. Erst
eine Reihe ausgesprochener, weit vorgeschrittener Fälle lehrte mich
das wechselvolle Bild dieser Erkrankung so weit kennen, daß es auch
gelang, die Erkrankung in ihren Anfangsstadien richtig zu deuten,
und alsbald mehrten sich, wie das immer so zu gehen pflegt, die
Beobachtungen.
Schon bei dem ersten Fall, den ich kennen lernte, waren es rein
gynäkologische Beschwerden, welche die Patientin in ärztliche Behandlung
geführt hat.
Die 42jährige O-para gibt an, daß sie mit 16 Jahren die erste Periode bekam und
von da an regelmäßig und ohne Beschwerden menstruierte. Mitte der 20iger Jahre
traten zum erstenmal im Anschluß an die Menses angeblich infolge von Erkältung am
3. Tage krampfartige Schmerzen auf, die vom Becken nach der rechten Seite hin aus-
strahlten. Dieselben verschwanden nach wenigen Tagen ohne besondere Maßnahmen
wieder, um sich erst nach ca. ?/, Jahren zu wiederholen. Damals wurde zum ersten-
mal ärztliche Hilfe in Anspruch genommen, und es trat wieder eine längere Pause ein.
Von der Mitte der 30er Jahre an hatte Patientin fast bei jeder Menstruation
mehr oder weniger heftige Beschwerden, und sie wurde damals längere Zeit ohne Er-
folg gynäkologisch behandelt. Mit 40 Jahren bemerkte Patientin zum erstenmal selbst
an sich gelegentlich eines besonders heftigen Schmerzanfalles eine Anschwellung unter
dem rechten Rippenbogen, gleichzeitig bestand Stuhlverstopfung; der behandelnde Arzt
nahm Kotstauung im Colon ascendens an, und auf Abführmittel verschwanden die Be-
schwerden und die Anschwellung. Solche Zustände traten von nun an in immer
kürzeren Intervallen, auch außerhalb der Menses, auf, und zwar mit zunehmender
Heftigkeit. ‘Das Allgemeinbefinden wurde erheblich gestört und auch außerhalb der
Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 2
18 Dr. Sigmund Mirabeau.
Anfälle hatte Patientin häufig Schmerzen im Unterleib, die ihr allmählich längeres
Gehen und Stehen unmöglich machten.
Als ich die Patientin zum erstenmal sah, hatte sie eben wieder einen sehr
heftigen Anfall überstanden, der sie für mehrere Tage ans Bett gefesselt hatte und
angeblich zum erstenmal mit Fieber und Frost verbunden war. Der Anfall war der
Menstruation vorausgegangen, die sich erst am 3. Tag dann eingestellt hatte, während
es früher in der Regel umgekehrt war. Patientin klagte jetzt lediglich über vermehrten
Harndrang und allgemeine Schwäche. Das Aussehen war blaß; die kräftig gebaute
übermittelgroße Frau war in reduziertem Ernährungszustand; die Zunge belegt; Brust-
organe ohne Besonderheit. Das Abdomen war weich, und nirgends bestand besondere
Druckempfindlichkeit. Die rechte Niere war erheblich tiefer gesunken, in ihrem
ganzen Umfang zu tasten, ohne daß eine auffallende Vergrößerung zu konstatieren
war. Von der linken Niere war nur der untere Pol an normaler Stelle zu tasten.
Das Genitale virginell, ohne Besonderheit. Die Ureteren vom Rektum aus nicht zu
palpieren.
Der mit dem Katheter entnommene Urin war leicht getrübt, von saurer Reaktion,
ohne nachweisbares Albumen; im Sediment vereinzelte Leukocyten und Epithelien.
Die Blase war für 250 ccm tolerant; die Schleimhaut ohne Besonderheit, im Trigonum
etwas mehr als gewöhnlich aufgelockert, jedoch ohne entzündliche Erscheinung.
Das Ont mt urethr. glattrandig und zart; die beiden Ureterenmündungen papillen-
artig prominent und schlitzförmig. Aus dem linken Ureter entleert sich in regel-
mäßigen Intervallen und auffallend kräftigem Strahl klarer Urin; aus dem rechten
fließt in unregelmäßigen Pausen leicht getrübtes Sekret. Der Katheter läßt sich im
rechten Ureter ohne Schwierigkeit bis ins Nierenbecken vorschieben, worauf sich
tropfenweise ca. 50 ccm eines ganz leicht getrübten Urins entleeren. Der linke Ureter
wird nicht sondiert. Schon aus diesem Befund ergab sich mit Sicherheit. daß eine
Erkrankung des rechten Nierenbeckens vorliegen mußte und die Patientin wurde an-
gehalten, beim Auftreten eines neuerlichen Kolikanfalles sofort wieder zu kommen.
Dies geschah nach ca. 3 Wochen. Die Patientin war 8 Tage früher als gewöhnlich
menstruiert worden und am 3. Tage der Periode setzten die Schmerzen mit besonderer
Heftigkeit ein. Die Untersuchung ergab nun folgendes: Der Leib im ganzen ziemlich
gespannt und schwer zu palpieren. die ganze rechte Seite ziemlich druckempfindlich,
nur perkutorisch läßt sich eine Dämpfung feststellen, die von der Leber bis über den
Beckenrand und in Nabelhöhe bis beinahe zur Mittellinie des Leibes reicht. Der mit
dem Katheter entleerte Urin war klar, die Blase für 200 ccm tolerant, die Schleim-
haut am Blasenboden stark geschwollen, die Venen prall gefüllt. Die
Ureterenmündungen nur undeutlich zu erkennen; aus der linken entleert sich in
kräftigem Strahl klarer Urin; rechts keine Entleerung zu erkennen. Die Einführung
des Katheters ist ziemlich schwierig; in 20 cm Höhe stößt die Katheterspitze auf
Widerstand, der aber nach einigen Hin- und Herbewegungen überwunden wird, wor-
auf es dann gelingt, bis ins Nierenbecken vorzudringen. Nun entleert sich in konti-
nuierlichem Strahl eine große Menge leicht getrübten Urins und es läßt sich leicht
zeigen, wie bei Druck auf die rechte Bauchseite der Strahl kräftiger wird und beim
Nachlassen des Druckes sich vermindert. Es wurden im ganzen fast 1/, Liter ent-
leert, es war aber auch mittlerweile eine größere Menge neben dem Katheter in die
Blase eingeflossen, so daß sich die Gesamtmenge nicht genau bestimmen ließ.
Die Diagnose: Intermittierende Hydronephrose stand nun fest und es
wurde beschlossen, dieselbe auf operativem Wege zu heilen. Nach Freilegung der
Niere vermittels Bergmannschen Lendenschnittes zeigte sich. daß die ganze Niere
schon in dem Sack aufgegangen war, so daß von einer konservativen Operation
nichts mehr erwartet werden konnte. Es wurde deshalb die Nephrektomie vorge-
nommen, da ja die Existenz und Funktionstüchtigkeit der anderen Niere konstatiert
war. Glatte Heilung innerhalb 3 Wochen. Schon am 3. Tage p. op. war die Urin-
menge 1500 ccm und die Patientin blieb dauernd geheilt.
Am Präparat zeigte sich, daß die Nierensubstanz bis auf eine Schicht von ca.
3 mm geschwunden war, an einzelnen Stellen war die Cystenwand überhaupt nur
Über den Zusammenhang der intermittierenden Hydronephrose usw. 19
noch duroh die Nierenkapsel gebildet. Die Einmündung des Ureters zeigte keinerlei
Abweichung von der Norm, auch konnte an dem mitexstirpierten 10 cm langen
Ureterstück keinerlei Klappenbildung nachgewiesen werden; nur eine ganz ge-
ringgradige Dilatation des Ureters bestand.
Wenn wir uns über die Pathogenese und Ätiologie dieses Falles
Rechenschaft zu geben versuchen, so ist zunächst folgendes zu be-
achten: Der Krankheitsverlauf erstreckte sich über mindestens
17 Jahre und begann mit kolikartigen Schmerzen, die in den ersten
Jahren stets an die Zeit der Periode gebunden waren. Der Ab-
gang eines Konkrementes wurde niemals konstatiert; eine nachweisbare
Tumorbildung wurde erst ca. 10 Jahre nach Beginn der Erkrankung
bemerkt. Trübung des Urins und Fieber traten erst in der allerletzten
Zeit auf. Die Anfälle wurden im Laufe der Jahre häufiger und waren
in den letzten Jahren nicht mehr ausschließlich an die Zeit der Periode
gebunden. Außerhalb der Zeit der Anfälle bestand bis zuletzt kein
Hindernis in der Urinentleerung, dagegen zur Zeit des Anfalles Kom-
pression der Uretermündung durch Schleimhautschwellung
und ein deutliches Hindernis ca. 20 cm oberhalb der Blase, das zweifel-
los einer Ureterabknickung entsprach.
Aus dieser Sachlage möchte ich folgende Schlüsse ziehen: Das
primäre Krankheitsmoment war eine Behinderung des Urinabflusses
zur Zeit der Periode, durch Druck der geschwellten Schleimhaut
auf die Uretermündung, mit Rückstauung nach dem Nierenbecken.
Infolge davon allmähliche Erweiterung des Nierenbeckens, die ihrer-
seits ein Schwererwerden und Tiefersinken des ganzen Organes zur
Folge hatte. Im Laufe der Zeit trat dann in dem Maße, wie die Niere
tiefer sank, gelegentlich eine Abknickung des Ureters ein, die dann
ihrerseits erst recht wieder die Stauung nach dem Nierenbecken und
die Hydronephrosenbildung beförderte. In diesem Stadium bedurfte es
zur Auslösung eines Anfalles nicht mehr der menstruellen Schleimhaut-
schwellung in der Blase, sondern irgendein anderes Moment konnte
gelegentlich die Ureterknickung bzw. Stieldrehung an dem vergrößerten
und dislozierten Organ herbeiführen. Hier ist vor allem die allmählich
sich entwickelnde Obstipation zu beachten, welche gelegentlich durch
Überfüllung des Colon ascendens die Anfälle auslösen konnte. Was
die in letzter Zeit aufgetretene Trübung des Urins anlangt, so ist leicht
zu verstehen, daß in dem stagnierenden Urin einwandernde Bakterien
günstige Wachstumsbedingungen finden und so allmählich eine von Haus
aus sterile Hydronephrose in eine Pyonephrose verwandeln können.
Daß in der Tat solche Umwandlungen von jahrelang bestehenden
Hydronephrosen in Pyonephrosen erfolgen können, wenn durch eine
intervenierende Erkrankung pyogene Bakterien im Körper sich finden,
möge nachfolgender Fall erweisen, der im übrigen sehr viel Ähnlich-
keit mit dem vorhergehenden hat.
29jährige O-para, seit 5 Jahren steril verheiratet, erkrankte in ihrem 17. Lebens-
jahre auf einer Reise im Anschluß an die Periode unter heftigen, kolikartigen
Schmerzen, welche unter Bettruhe in wenigen Tagen spontan wieder zurückgingen.
ok
20 Dr. Sigmund Mirabeau.
Von diesem Zeitpunkte an war die Periode, die früher immer völlig schmerzlos ver-
lief, häufig jedoch nicht regelmäßig, von solchen Schmerzanfällen begleitet, die all-
mählich derartig intensiv wurden, daß sie nur mit Morphium unterdrückt werden
konnten. Jahrelang wurden diese Anfälle als dysmenorrhoische betrachtet und
dementsprechend gynäkologisch behandelt. Als dann später auch außerhalb der Periode
die Anfälle auftraten und die Schmerzen sich mehr und mehr nach der linken Nieren-
gegend konzentrierten, hielt man dieselben für Nierensteinkoliken, ohne daß jedoch je
der Abgang eines Konkrementes beobachtet werden konnte.
In den orsten Jahren nach der Verheiratung der Patientin kamen dann, wahr-
scheinlich im Anschluß an einen nicht erkannten Abort, anderweitige Erkrankungs-
erscheinungen der Beckenorgane hinzu, die das Krankheitsbild komplizierten. Die
Anfälle wurden häufiger, die Patientin bemerkte dabei selbst eine auffallende Spannung
in der linken Nierengegend und erhebliche Verringerung der Urinmenge zur Zeit
der Anfälle.
Gelegentlich eines besonders heftigen Anfalles, der mit Fieber und großer
Prostration verbunden war, sah ich die Patientin zuerst. Es bestanden heftige Schmer-
zen in der linken Bauchseite, die bis in das Schulterblatt ausstrahlten; eine genauere
Palpation war wegen großer Empfindlichkeit nicht möglich, doch bestand Dämpfung
vom Rippenbogen bis zu Nabelhöhe. Der Urin war klar, stark konzentriert, enthielt
eben nachweisbare Spuren von Albumen. Die Temperatur schwankte zwischen 38,5°
und 39,5°, der Puls war gespannt zwischen 80 und 90 Schlägen. Patientin klagte
über Kopfschmerz, Übelkeit und Brechreiz, der Stuhl war angehalten. Mit dem Haus-
arzt nahm ich eine Steinkolik an und wir verordneten entsprechende Maßnahmen.
Nach einigen Tagen gingen die Erscheinungen allmählich zurück, ohne daß ein Kon-
krement beobachtet werden konnte. die Urinmenge vermehrte sich, der Urin wurde
trüb und zeigte deutliche Eiterbeimengung.
Nach Ablauf der akuten Erscheinungen wurde eine gynäkologische und cysto-
skopische Untersuchung vorgenommen, die folgendes ergab: Der Uterus in Anteflexions-
stellung etwas nach rechts verlagert; die rechten Adnexe frei; das linke Parametrium
im ganzen verdickt, druckempfindlich, die Adnexe nicht zu isolieren; Ureteren nicht
zu tasten. Die Blase für 300 ccm tolerant, leicht zu reinigen. Die Schleimhaut im
Trigonum und nach links hin stark geschwellt, die Gefäßzeichnung in diesem Gebiet
verwaschen, das Öberflächenepithel in Desquamation. Aus dem rechten Ureter ent-
leert sich klarer Urin in regelmäßigen Intervallen; aus der linken Uretermündung
entleert sich tropfenweise leicht getrübter Urin, dazwischen geht der Ureter häufig
deutlich leer. Beim Versuch der Sondierung stößt der Katheter in der Höhe von
8 cm auf deutlichen Widerstand, der zunächst uicht zu überwinden ist; erst ein ganz
feiner Katheter kann nach einigen Versuchen vorgeschoben werden und gelangt dann
ohne weiteren Widerstand bis zum Nierenbecken, aus dem sich dann ca. 100 ccm eines
leicht eitrig getrübten Urins entleerten. In einer Reihe von Sitzungen wurde ver-
sucht, die Verengerung am Ureter allmählich zu erweitern, und es gelang schließlich.
die dicksten Ureterenkatheter einzuführen und das Nierenbecken ausgiebig zu spülen.
Trotzdem traten in der Folgezeit, wenn auch in größeren Intervallen, noch eine Reihe
von Anfällen auf, und der Urin blieb dauernd eitrig getrübt, so daß der Verdacht auf
Konkrementbildung im Nierenbecken von neuem auftauchte. Wiederholte Röntgen-
aufnahmen ließen jedoch keinerlei Konkremente nachweisen und die Indigokarmin-
probe ließ erkennen, daß von der linken Seite anscheinend sehr wenig Urin mehr
produziert wird. Trotzdem hat sich die Pat. zu einem operativen Eingriff nicht ent-
schließen können.
Auch in diesem Falle waren also die ersten Krankheitserscheinungen
derart, daß sie als rein dysmenorrhoische lange Jahre hindurch be-
trachtet und behandelt wurden. Es bestand überdies eine Parametritis
sinistra mit Exsudation und Kompression des Ureters, und es ist
zweifellos, daß die Hydronephrose durch diese Verengerung am Ureter
entstanden ist. Eine wesentliche Verlagerung der Niere besteht nicht
Über den Zusammenhang der intermittierenden Hydronephrose usw. 21
und, wie der Katheterismus des Ureters beweist, auch kein weiteres
Hindernis für den Urinabfluß. Bemerkenswert ist auch hier, daß jahre-
lang die Anfälle mit der Menstruation zusammenfielen und
erst in den letzten Jahren auch außerhalb dieser Zeit erfolgten. Die
Infektion der Hydronephrose ist in diesem Falle wohl zweifellos von
dem parametranen Exsudat aus erfolgt. Ob auf dem Weg der Blut-
bahn oder durch direkten Einbruch in den Ureter, läßt sich nicht ent-
. scheiden, doch scheint mir letztere Möglichkeit auf Grund anderweitiger
Erfahrungen als die wahrscheinlichere. Es handelt sich jetzt offen-
bar um das Endstadium einer intermittierenden, nachträglich infizierten
und jetzt offenen Sackniere, bei welcher das Parenchym schon zum
größten Teil zerstört ist.
In der Literatur?) sind eine Reihe von Fällen beschrieben, deren
klinischer Verlauf den hier dargestellten Krankheitsbildern ganz ähnlich
war, ohne daß von den betreffenden Autoren ein Zusammenhang mit
gynäkologischen Erkrankungen konstatiert werden konnte. Doch ist
einer Reihe von Autoren die Koinzidenz der Anfälle mit der Menstrua-
tion aufgefallen. Michalski fand in 6 Fällen den Einfluß der Menses
auf die Attacken notiert, während 2 mal ausdrücklich hervorgehoben
wurde, daß die Anfälle nicht mit dem Eintritt der Menstruation zu-
sammenfallen.
Nun muß man bedenken, daß es sich bei den publizierten Fällen
ausschließlich um weit vorgeschrittene Stadien handelt, in denen
vielfach die ursprünglichen ätiologischen Momente durch sekundäre
Veränderungen vollständig verwischt sind. Man kann deshalb wohl an-
nehmen, daß in einer viel größeren Anzahl von Fällen ursprünglich
ein ätiologischer Zusammenhang zwischen der Hydronephrose und gy-
näkologischen Erkrankungen bestand. Wenn man die ätiologischen
Momente überblickt, die von den einzelnen Autoren?) für ihre Fälle
konstatiert wurden, so sind es vor allen Dingen zwei Befunde, die bei
weiblichen Patienten beobachtet wurden, erstens: die Dislokation der
Niere und zweitens: Abweichungen in der Einmündung des
Ureters in das Nierenbecken.
1) Michalski hat in seiner Arbeit über Hydronephrosis intermittens (Beiträge
z. klin. Chirurgie, Bd. 35) 142 Fälle gesammelt und die Krankengeschichten ausführ-
lich wiedergegeben. Diese Kasuistik zusammen mit einigen neueren Beobachtungen
habe auch ich meinen kritischen Betrachtungen zugrunde gelegt, und es erübrigt ledig-
lich auf diese mit so viel Fleiß zusammengetragene Materialsammlung hinzuweisen.
Auch bezüglich der von Michalski gezogenen Schlußfolgerungen verweise ich ange-
legentlichst auf dessen interessante Ausführungen, ohne mich bezüglich meiner ab-
weichenden Anschauungen auf eine Kritik im einzelnen einzulassen.
2) Vgl. Hansemann, Beitrag zur Mechanik der Hydronephrosen nebst einigen
kasuistischen Mitteilungen. Virchows Arch. für path. Anat.. Bd. 112, 1888. 3. Heft.
Küster, l. c.
Virchow, Onkologie, Bd. I.
Gustav Simon, l. e.
Englisch, Über primäre Hydronephrose. Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 11.
1879, u. a.
22 Dr. Sigmund Mirabeau.
Seit Landau?!) die Wanderniere für eine Anzahl von Fällen als
Ursache der intermittierenden Hydronephrose angegeben, ist dieser
Kausalnexus von den meisten Autoren akzeptiert worden. Man hat
fast allgemein die Wanderniere als das Primäre, die Hydronephrose als
Folgeerscheinung aufgefaßt. Eine Reihe von Autoren hat sich speziell
mit der Frage befaßt, wie aus der Wanderniere eine Hydronephrose
entstehen kann, und man ist im wesentlichen zu der Anschauung ge-
langt, daß durch das Herabsinken der Niere Knickungen und Achsen-
drehungen des Ureters entstehen, welche das Hindernis für den Urin-
abfluß abgeben.
Daß die Beweglichkeit der Niere allein nicht zur Hydronephrosen-
bildung genügt, beweisen die zahlreichen Fälle von oft hochgradiger
Dislokation der Niere ohne Urinstauung; und auch auf experimentellem
Wege gelang es Hildebrand und Haga?) nicht, durch Beweglich-
machen der Niere oder Achsendrehung des Ureters allein eine Hydro-
nephrose zu erzeugen. Erst wenn gleichzeitig eine Fixation des
Ureters vorgenommen wurde, trat Sacknierenbildung ein. Es muß
also zu der Nierenverlagerung noch ein Hindernis in den abführenden
Harnwegen hinzukommen, und es ist ziemlich gleichgültig, ob dasselbe
in der Nähe des Nierenbeckens selbst oder im Verlauf des Ureters oder
schließlich noch weiter peripheriewärts sitzt. Schon Cohnheim?) hat
gezeigt, daß gerade die zeitweilig auftretenden Hindernisse im Urin-
abfluß am leichtesten zu Hydronephrosenbildung führen, während bei
absolutem Verschluß der Harnwege die Nierensekretion meist rasch
aufhört, so daß entweder gar keine oder nur geringfügige Erweiterung
des Nierenbeckens eintritt. Dies ist zweifellos für viele Fälle zutreffend;
ich selbst habe eine Patientin beobachtet, bei der nachweislich über
2 Jahre ein absoluter Ureterverschluß bestand, ohne daß es zu einer
Hydronephrosenbildung gekommen wäre. Andererseits konnte ich aber
durch das Tierexperiment zeigen, daß sowohl bei Kaninchen als auch bei
Katzen die Unterbindung des Ureters, die ich gelegentlich meiner Unter-
suchungen über Schwangerschaftspyelitis*) vornahm, in verhältnismäßig
kurzer Zeit zur Bildung ganz erheblich großer Sacknieren führen kann.
Es würde hier zu weit führen, auf die Kritik aller in der Literatur
niedergelegten Beobachtungen näher einzugehen; auf Grund meiner Be-
obachtungen ganz früher Stadien bin ich aber im Laufe der Jahre zu
der Überzeugung gelangt, daß in einer Reihe von Füllen, vielleicht so-
gar in der überwiegenden Mehrzahl derselben, das Hindernis im
Urinabfluß das Primäre ist, die Dislokation der Niere erst als
Folgeerscheinung der Urinstauung und Hydronephrosen-
DULCUDE auftritt.
IC,
2) Experimentelle Untersuchung der Hydronephrose und des Zusammenhangs
zwischen IIydronephrose und Wanderniere. Deutsche Zeitschr. f. Chirurg.. Bd. 49, 18%.
3) Cohnheim. Allg. Patlı., Bd. 2, Berlin 1882.
1) Mirabeau, Schwangerschaftspyelitiden. Arch. f. Gynäk., Bd. 82.
Uber den Zusammenhang der intermittierenden Hydronephrose usw. 23
Bezüglich der Hindernisse des Urinabflusses, die sich am Nieren-
beckenende des Ureters vorfinden, ist es nicht leicht, bei weit vor-
geschrittenen Fällen zu entscheiden, ob sie primär vorhanden waren
oder erst ihrerseits durch die Hydronephrosenbildung entstanden sind.
Virchow!), Cohnheim?) und Englisch?) haben für die von ihnen
beobachteten Fälle kongenitale Klappenbildung angenommen, während
Simon“) die Hydronephrosenbildung als ursächliches Moment für die
anatomische Veränderung an der Ureterenmündung ansieht, und es läßt
sich sehr leicht denken, daß durch ungleichmäßige Ausdehnung des
Nierenbeckens Faltenbildungen an der Uretermündung erzeugt werden,
die dann als Klappen- oder Spornbildungen imponieren können. Auch
können zweifellos entzündliche Prozesse vom Nierenbecken auf den
oberen Teil des Ureters übergreifen und dann zu Verwachsungen, Ab-
knickungen und Strikturen des Ureters führen, die dann ihrerseits
wieder den Urinabfluß hemmen und die Sacknierenbildung fördern.
Anders steht es mit den Hindernissen, die weitab vom Nieren-
becken im Verlauf des Ureters beobachtet werden und die von allen
Beobachtern als die Ursache der Hydronephrosenbildung angesprochen
werden. Von diesen interessieren uns hier diejenigen, welche von Er-
krankungen oder Funktionsanomalien der weiblichen Genitalien ihren
Ausgang nehmen.
Unter den von Michalski’) gesammelten Fällen befindet sich einer,
bei dem Prolapsus uteri bei doppelseitiger intermittierender Hydro-
nephrose vorhanden war, in zwei weiteren Fällen bestand Retroflexio
uteri, einmal Uterus gravidus im fünften Monat, einmal Cervixcarcinom
des Uterus. In allen diesen Fällen bestand auch gleichzeitig Wanderniere,
und Michalski vertritt die Ansicht, daß diese als die Ursache der Hydro-
nephrose anzusehen, obgleich er die Möglichkeit eines Zusammenhanges mit
den gynäkologischen Erkrankungen nicht bestreitet. Ich bin nun geneigt,
in allen diesen Fällen, ebenso wie in den von mir beobachteten, die
durch die gynäkologischen Affektionen erzeugten Behinderungen des
Urinabflusses als Ursache sowohl der Hydronephrose als auch der
Wanderniere anzusehen, und möchte glauben, daß bei einer großen
Zahl von Wandernieren bei der Frau die zeitweise Behinderung des
Urinabflusses und die dadurch bedingte, wenn auch häufig klinisch
nicht in Erscheinung tretende Hydronephrose die Ursachen der bei
den Frauen so auffallend häufig beobachteten Nierensenkungen bilden.
Ich bin also damit zu einem vollständig entgegengesetzten Standpunkt
gelangt als dem seit den Arbeiten Landaus®) von den Gynäkologen
ziemlich allgemein akzeptierten, und dies erscheint mir vor allem nach der
praktischen Seite hin von großer Wichtigkeit.
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6) l. e.
24 Dr. Sigmund Mirabeau.
Die ausgebildete Hydronephrose ist zweifellos eine sehr ernste Er-
krankung. Ganz abgesehen von dem schweren Krankheitsbild der ein-
zelnen Attacken führt die Sackniere, sich selbst überlassen, zur völligen
Zerstörung des lebenswichtigen Organes, oder es tritt früher oder später
eine Infektion des Nierensackes und damit die Verwandlung der Hydro-
in eine Pyonephrose mit den bekannten schweren Folgeerscheinungen
ein. Für die Behandlung weit vorgeschrittener Sacknieren kann aber
fast nur ein chirurgischer Eingriff in Frage kommen, der in der über-
wiegenden Mehrzahl der Fälle in einer radikalen Entfernung des er-
krankten Organes besteht. Man hat zwar in neuerer Zeit am Nieren-
becken und am Ureter zum Teil mit bestem Erfolg plastische Operationen
der verschiedensten Art vorgenommen (Beckenfaltung nach Israel),
Lappenplastik nach Küster?), Uretero-Ureterostomie nach
Kelly 3), Uretero-Pyelostomie, Cysto-Pyelostomie, Nephro-
Cystanastomose usw.), aber alle diese Operationen setzen zu ihrem
Gelingen völlige Sterilität des Sackinhaltes und Erhaltung einer funktions-
fähigen Niere voraus, was nur für eine verhältnismäßig kleine Zahl zu-
trifft. Eine Besserung der Heilerfolge ist auch hier nur von einer
möglichst frühzeitigen Erkennung der Erkrankung zu erwarten, und
dazu bietet uns die Cystoskopie eine sehr leistungsfähige Handhabe.
Ich habe mich seit Jahren daran gewöhnt, in allen Fällen, in
denen die Frauen über Schmerzen im Bereich der Genitalorgane klagten
und die durch den Genitalbefund nicht genügend zu erklären waren,
neben dem Darm besonders die Harnorgane zu beachten, und habe
dadurch Gelegenheit gehabt, eine Reihe von Hydronephrosen ganz in
Beginn zu erkennen, in einem Stadium, wo keinerlei klinische Symptome
für die Existenz einer derartigen Erkrankung sprachen.
Die subjektiven Beschwerden waren meist ganz unbestimmter Art,
doch konnten in einer Reihe von Fällen die Patientinnen eine bestimmte
Seite als Hauptsitz ihrer Schmerzen bezeichnen. Allen Fällen gemein-
sam war das anfallsweise Auftreten heftigerer Schmerzanfälle in mehr
oder weniger regelmäßigen Intervallen, dazwischen zum Teil ganz be-
schwerdefreie Zeiten, zum Teil leichte, ziehende Schmerzen, die jedoch
das Allgemeinbefinden nur wenig stören. Ein großer Teil der Patientinnen
verlegt die Beschwerden auf die „Mutterbänder“; läßt man sich aber
den Sitz der Beschwerden genau zeigen, so kann man deutlich er-
kennen, daß sie dem Verlauf des Ureters entsprechen und nach der
Nierengegend hin ausstrahlen. Die Palpation der Ureteren *) und der
Nieren ergibt meist ein absolut negatives Resultat, nur in verhältnis-
!) Israel: Chirurg. Klinik der Nierenkrankheiten. Berlin 1901.
2) ]. ec. und: Über die Sackniere. Deutsche med. Wochenschr. 1888.
>» H. A. Kelly, Bull. John Hopkins Hosp. Okt. 1892.
1) Der normale Ureter läßt sich bimanuell nicht mit Sicherheit tasten, führt
man aber einen Katheter ein. so gelingt die Palpation des ganzen Beckenteiles sehr
leicht, und man kann sich über Veränderungen der Gestalt und des Verlaufes und
über die Beziehungen des Ureters zu den übrigen Beckenorganen sehr leicht orientieren.
Über den Zusammenhang der intermittierenden Hydronephrose usw. 25
mäßig wenigen Fällen konnte ich eine deutliche Differenz in der Druck-
empfindlichkeit beider Nierengegenden konstatieren.
Das cystoskopische Bild der Blase bietet meist keinerlei charakte-
ristische Befunde, dagegen fällt eine erhebliche Differenz in der
Art und der Frequenz der Urinentleerung aus beiden Ureteren-
mündungen auf. Die Unterschiede müssen schon recht erhebliche sein,
um daraus irgendwelche Schlüsse auf die Erkrankung einer Seite ziehen
zu können, denn auch innerhalb der physiologischen Grenzen funktio-
nieren die Nieren durchaus nicht gleichmäßig. Weiterhin muß man
diese Beobachtungen öfters und unter verschiedenen Umständen wieder-
holen, um dann aus der Konstanz gewisser Differenzen um so sicherere
Schlüsse ziehen zu können !?). |
Dabei hat sich folgendes ergeben: Unter normalen Verhältnissen
entleert sich der Urin aus der Uretermündung in ziemlich gleichmäßigen
Intervallen und gleichen Mengen, bei Erweiterung des Nierenbeckens
dagegen sind die Intervalle von größter Unregelmäßigkeit und die
Mengen ganz verschiedenartig. Noch charakteristischer wird die Diffe-
renz, wenn man die Ureteren katheterisiert und den Katheder bis ins
Nierenbecken hinaufführ. Man muß dabei zwei Katheter von völlig
gleichem Lumen verwenden, deren gleichmäßiges Funktionieren man
vorher genau ausprobiert hat. Dabei beachtet man nun folgendes: So-
bald das Katheterauge in das Nierenbecken eingetreten ist, fließt der
Urin zunächst ganz gleichmäßig auf beiden Seiten tropfenweise ab;
nach einer gewissen Zeit, wenn ca. 10—20 ccm abgeflossen sind, treten
auf der gesunden Seite Pausen ein und an Stelle des kontinuierlichen
Abflusses tritt die Entleerung in Intervallen. Auf der kranken Seite
dagegen geht der kontinuierliche Abfluß weiter,. bis der ganze Inhalt
des erweiterten Nierenbeckens entleert ist, und in dem abgeflossenen
Urin hat man ein ungefähres Maß der Kapazität des Nierenbeckens.
Hört der kontinuierliche Abfluß auf, so tritt an dessen Stelle nicht
etwa, wie auf der gesunden Seite, eine Absonderung in Intervallen,
sondern es tritt zunächst ein vollständiger Stillstand ein, bis das Nieren-
becken wieder so weit gefüllt ist, daß die Uretermündung in das Flüssig-
' keitsniveau gelangt; dann erfolgt wieder kontinuierlicher Abfluß.
Es ist klar, daß dieses Spiel sich von Fall zu Fall sehr ver-
schiedenartig gestaltet und auch im einzelnen Fall zu verschiedenen
Zeiten sehr verschiedenartig sein kann. Das Wesen der intermittierenden
Hydronephrose beruht ja gerade darin, daß der Füllungszustand des
Nierenbeckens außerordentlich wechselt, und man wird kurz vor einem
Anfall ein ganz anderes Resultat erhalten, als nach Ablauf desselben.
Es bedarf deshalb in jedem Falle einer länger dauernden Beobachtungs-
zeit, um zu einem Resultate zu gelangen. Weiterhin ist es gar nicht
ı) Die Indigkarminreaktion, die ich in letzter Zeit seit der Empfehlung durch
Völcker wiederholt angewandt habe, hat für diese Fälle keinerlei diagnostisch ver-
wertbaren Differenzen ergeben, nur bei weit fortgeschrittenen Fällen mit Zerstörung
des Nierengewebes gibt sie positive Resultate.
26 Dr. Sigmund Mirabeau.
leicht, einen zahlenmäßigen Ausdruck für die Größe der Erweiterung
des Nierenbeckens zu finden, da uns erstens für die physiologische
Kapazität, die individuell eine sehr verschiedene ist, kein einwandfreies
Material zur Verfügung steht, und zweitens die Menge des mit dem
Katheter entleerten Urins nicht ohne weiteres als Maß für die Nieren-
beckenkapazität angesehen werden darf, denn es fließen oft große
Mengen neben dem Katheter in die Blase ab und andererseits gelingt
es durchaus nicht immer, mit dem Katheter den ganzen Hydronephrosen-
sack zu entleeren. Sehr häufig ist gerade der unterhalb der Ureter-
einmündung liegende Teil des Nierenbeckens stark ausgebuchtet und
läßt sich auch mit dem Katheter nicht entleeren.
Alle diese Momente müssen bei der Beurteilung eines konkreten
Falles in Betracht gezogen werden und erschweren die Bildung eines
sicheren Urteiles. Immerhin bin ich im Laufe meiner Beobachtungen
zu dem Resultat gelangt, daß, wenn sich beim Katheterismus über
20 ccm kontinuierlich entleeren, was ja nach dem oben Gesagten
einem Mindestmaß entspricht, man von einer außerhalb der physio-
logischen Breite liegenden Erweiterung des Nierenbeckens sprechen
kann. Als viel unsicherer hat sich mir die Bestimmung der Nieren-
beckenkapazität in der allerdings nur geringen Zahl von Fällen er-
wiesen, bei denen ich im Anschluß an Nierenbeckenspülungen versucht
habe, das Füllungsmaß zu bestimmen. Es hat sich dabei gezeigt, daß
der individuelle Reiz, den die Füllflüssigkeit (2°, Borlösung, physio-
logische Kochsalzlösung, ev. mit Zusatz von Guayasanol) auf das Nieren-
becken ausübt, trotz peinlichster Beobachtung der Temperatur äußerst
verschiedenartig ist, so daß oft schon bei ganz geringen Mengen eine
solche Schmerzhaftigkeit ausgelöst wird, daß man mit weiteren Füllungs-
versuchen sofort aussetzen muß).
Auf diese Weise ist es mir gelungen, in einer größeren Anzahl
von Fällen ganz frühe Anfangsstadien intermittierender Hydronephrosen
zu erkennen, und damit sehr häufig die Ursache sonst nicht erklär-
barer „gynäkologischer“ Beschwerden. Ich habe mich nun bemüht, in
allen diesen Fällen auch die Ursachen für die Urinstauung festzustellen, und
da ist mir vor allen aufgefallen, daß in den allerwenigsten Fällen
Dislokationen der Niere nachweisbar waren. X\ur in fünf Fällen
bestanden gleichzeitig erhebliche Nierensenkungen, und das waren Patien-
tinnen, bei denen der Krankheitsprozeß schon jahrelang bestanden hatte
und in denen die Hydronephrosen schon eine beträchtliche Größe er-
') Völcker und Lichtenberg (Pyelugraphie. Münch. med. Wochenschr.,
Bd. LIII. 1906. S. 105ff.) haben versucht, durch Collargolfüllung und darauffolgende
Köntgenographie Größe und Gestalt des Nierenbeckens zu bestimmen, und es ist ihnen
auch ın einzelnen Fällen gelungen. auf diese Weise sehr instruktive Nierenbecken-
bilder herzustellen. Doch fiel auch ihnen die außerordentlich verschiedene Reizbar-
keit des Nierenbeckens auf. und schon nach Mengen von 5 ccm traten manchmal sehr
lebhafte, kolikartige Schmerzen auf. In einigen anderen Fällen wurden Mengen bis
zu 60 ccm ertragen.
Über den Zusammenhang der intermittierenden Hydronephrose usw. 27
reicht hatten. Dagegen konnte ich in fast allen Fällen mehr oder
minder erhebliche Behinderungen des Urinabflusses an irgendeiner
Stelle der abführenden Harnwege nachweisen.
Die Mehrzahl der Hindernisse bei diesen frühen Fällen saß im
Ureter selbst, und zwar fast ausschließlich im Beckenteil des Ureters,
und bestand in Verengerungen oder Verlagerungen des Ureterlumens
oft bis zur völligen Unwegbarkeit auch für den feinsten Katheter. Ich
lasse hier natürlich alle Fälle von grobmechanischem Ureterverschluß
durch Steine oder Geschwülste, die ja auch selten zu intermittierender
Hydronephrose führen, außer Betracht und will mich nur mit denjenigen
Störungen des Urinabflusses beschäftigen, die von den Genitalorganen
ihren Ausgang nahmen.
Unter 60 Fällen, bei welchen mehr oder minder hochgradige Er-
weiterungen des Nierenbeckens konstatiert werden konnten, betrafen
34 die rechte Niere, 21 die linke Niere und 5mal beide Seiten. Die
Veränderungen in den Genitalien waren dabei folgende:
Verlagerungen der Gebärmutter 32 Fälle,
Senkungen 10 Fälle,
entzündliche Erkrankungen der Parametrien und Adnexe 14,
Cervixcarcinome 2, |
kein objektiver Befund 2.
Was die Verlagerungen der Gebärmutter anlangt, so bestanden
12 mal fixierte Retroflexionen mit alten peritonitischen Prozessen, 15mal
bewegliche Retroflexionen bei gleichzeitiger seitlicher Verlagerung,
5mal seitliche Verlagerungen mit Anteflexion. Unter den Senkungen
war 2mal Totalprolaps, 5mal Scheidenprolaps,, 3mal ausschließlich
Prolaps der vorderen Scheidenwand mit Cystocelenbildung. Unter den
entzündlichen Erkrankungen waren 4 Fälle von .doppelseitigen Adnex-
tumoren, 10mal parametrane Exsudate, darunter 6 einseitig, 4 doppel-
seitig.
In allen diesen Fällen bestanden mehr oder weniger erhebliche
gynäkologische Beschwerden, und es ist natürlich im einzelnen Falle
schwer zu entscheiden, wie viele von den Beschwerden auf die Ver-
änderungen von den Genitalien und wie viele auf die beginnende
Hydronephrosenbildung zurückzuführen sind. Immerhin waren die
meisten dieser Fälle vor anderen dieser Art dadurch ausgezeichnet, daß
neben den beständigen Beschwerden anfallsweise heftigere Schmerz-
anfälle auftraten, und daß die meisten Patientinnen selbst über nach
den Nieren ausstrahlende Schmerzen klagten, was dann die Veranlassung
wurde, die Untersuchung nach dieser Richtung hin auszudehnen.
Es würde zu weit führen, die Krankheitsbilder aller dieser Fälle
im einzelnen zu analysieren ’), zumal die Beobachtung eine sehr ungleich-
wertige war, so daß zahlenmäßige Schlüsse kaum gezogen werden könnten.
Eine Reihe dieser Patientinnen habe ich nur einige Male in der Sprech-
1) Eine ausführliche Kasuistik soll später in anderem Zusammenhange folgen.
28 Dr. Sigmund Mirabeau.
stunde gesehen, andere konnte ich durch Wochen, Monate und Jahre,
zum Teil bis zu 8 Jahren, beobachten, ein dritter Teil (die operativen
Fälle) konnte längere Zeit klinisch genauer kontrolliert werden.
- Es ist ferner klar, daß nur in den Fällen eine genauere Unter-
suchung des Nierenbeckens vorgenommen wurde, bei denen sich An-
haltspunkte für diesbezügliche Erkrankungen gaben, und daß in einer
ganzen Reihe von Fällen das Untersuchungsresultat ein negatives war.
Um statistisch verwertbare Zahlen über die Häufigkeit von Nieren-
beckenerweiterungen bei gynäkologischen Erkrankungen zu gewinnen,
wäre es notwendig, einmal durch längere Zeit hindurch sämtliche Fälle
nach dieser Richtung hin zu untersuchen, was sich natürlich nur an
klinischem Material durchführen ließe. In der Privatpraxis stößt man
bei einer nicht geringen Zahl von Patientinnen auf nicht zu über-
windenden Widerstand, den man respektieren muß. Immerhin haben
sich mir in meinen Fällen eine Reihe von Beobachtungen ergeben, die,
wenn auch mit einiger Vorsicht, zu allgemeinen Schlüssen berechtigen.
Das hervorstechendste Moment ist die Tatsache, daß in
sämtlichen Fällen der Einfluß der Menstruation ein unver-
kennbarer ist. Welcher Art auch die Behinderungen im Urinabfluß
waren, unter dem Einfluß der menstruellen Blutstauung zu den Genital-
organen wurden sie vergrößert, sehr häufig bis zum völligen Verschluß.
Dies ist ja an sich sehr leicht zu verstehen und durch die cysto-
skopische Untersuchung läßt sich die oft hochgradige menstruelle
Schwellung der Blasenschleimhaut ad oculos demonstrieren.
Weniger leicht ist in vielen Fällen die Einseitigkeit des Pro-
zesses aufzuklären, und auch die cystoskopische Untersuchung hat in
dieser Richtung wiederholt im Stiche gelassen. Wohl war in der über-
wiegenden Mehrzahl der Fälle die Nierenbeckenaffektion auf derselben
Seite, auf der auch der gynäkologische Erkrankungsprozeß ausschließlich
oder vorwiegend seinen Sitz hatte. In einer Reihe von Fällen aber
bestand einseitiger Nierenprozeß bei anscheinend ganz gleichmäßiger
doppelseitiger gynäkologischer Erkrankung, und namentlich die men-
struelle Hyperämie der Blase erstreckte sich vielfach ohne erkennbaren
Unterschied auf beide Uretermündungen. Es bleibt für diese Fälle
nur die Erklärungsmöglichkeit, daß die Ureteren auch bei doppelseitigen
Genitalprozessen nicht in gleichem Maße in Mitleidenschaft gezogen
werden, und daß die menstruelle Hyperämie als letztes auslösendes
Moment auf der Seite sich hauptsächlich geltend macht, auf der von
vornherein schon Abflußbehinderung besteht.
Am schwierigsten ist das, auch in meinen Beobachtungen hervor-
getretene Überwiegen der rechten Seite befriedigend zu erklären,
wenn man nicht bei der verhältnismäßig kleinen Anzahl von Be-
obachtungen an einen Zufall denken will. Da aber von allen Beobachtern
ein solches Überwiegen der rechten Seite konstatiert wurde, und auch
für anderweitige Nierenaffektionen, z. B. für die Schwangerschafts-
pyelitis, vor allem aber für die Wanderniere dasselbe Verhalten kon-
Über den Zusammenhang der intermittierenden Hydronephrose usw. 29
statiert wurde, so hat man nach anatomischen Gründen dafür gesucht.
Landau!) hat eine Reihe von anatomischen Tatsachen ins Feld geführt,
welche die größere Beweglichkeit der rechten Niere bedingen sollen:
erstens das verschiedenartige Verhältnis des Colon zur Niere, zweitens
das verschiedene Verhalten der Nierengefäße auf beiden Seiten, endlich
die Beziehungen des Pankreas zur linken Niere. Aber selbst die
Richtigkeit dieser Landauschen Theorien vorausgesetzt, können die-
selben zur Erklärung der Hydronephrosenbildung ohne Nierensenkung
nicht herangezogen werden. Für diese Fälle bleibt nur die Differenz
in der Topographie der Ureteren übrig, und da ist vor allem
hervorzuheben, daß tatsächlich der rechte Ureter während seines
Verlaufes im kleinen Becken durch seine mehr laterale Lage gegen
Druck von außen weniger geschützt ist wie der linke.
Besondere Beachtung verdienen noch die Fälle von doppelseitiger
Nierenbeckenerweiterung. In 2 von diesen Fällen waren die Ureteren
in Carcinommassen eingebettet?) und durch diese stark verengt; lmal
waren ausgedehnte Beckenexsudate als ätiologisches Moment ohne weiteres
zu erkennen, 1mal bestand Prolaps zweiten Grades mit Cystocelenbildung
und imal endlich eine bewegliche Retroflexion, von der nach der
gynäkologischen Untersuchung kaum anzunehmen war, daß sie einen
wesentlichen Druck auf die Ureteren bzw. den Blasenboden ausüben
konnte.
Endlich wären noch die beiden Fälle besonders zu erwähnen, in
denen keinerlei gvnäkologische Affektionen gefunden werden konnten,
bei denen aber trotzdem typische Anfälle von Urinretention im Anschluß
an die Menstruation beobachtet wurden.
Wenn man nicht annehmen will, daß in diesen Fällen angeborene
Veränderungen am Ureter, etwa Klappenbildung vorhanden waren, wo-
für jedoch der Katheterismus keinerlei Anhaltspunkte ergab, so bleibt
hier die menstruelle Anschwellung der Blasen- und Ureterenschleimhaut
als einziges ursächliches Moment bestehen?).
Wenn man sich nun frägt, ob denn tatsächlich alle diese Fälle
von zum Teil nicht sehr erheblicher Nierenbeckenerweiterung wirklich
als die Anfangsstadien der eigentlichen Hydronephrosenbildung zu be-
trachten sind, so möchte ich dies entschieden bejahen, obgleich ich
selbst nur 4mal die ganze Entwicklung habe verfolgen können. Die
Krankengeschichten dieser 4 Patientinnen, die meiner Meinung nach
ganz charakteristisch für diese Fälle sind, sollen hier in ihren wesent-
lichen Momenten wiedergegeben werden.
Le
D Auch Meome konnen die Ureteren vollständig umwachsen und komprimieren,
vgl. u. a. Amann: Demonstration in der Münchn. gyn. Gesellschaft, 23. Jan. 1908.
Zentr. f. Gyn. 1908, Nr. 24.
3) Der Blasenteil des Ureters und die Uretermündung zeigen ganz auffallende
Verschiedenheiten ihres Lumens und ich habe Fälle beobachtet, in denen Störungen
des Urinabflusses lediglich durch anscheinend angeborene exceptionelle Enge dieses
Ureterteiles bedingt waren.
30 Dr. Sigmund Mirabeau.
1. 38jährige O-para wurde vor 6 Jahren zum erstenmal wegen gynäkologischer
Beschwerden zu mir geschickt. Sie klagte über ziehende Schmerzen rechts zur Zeit
der Periode, und es fand sich eine Verlagerung der Gebärmutter nach hinten und
rechts. Obgleich die Patientin damals schon über ausstrahlende Schmerzen nach der
Nierengegend klagte, wurde nach dieser Richtung gar nicht untersucht und lediglich
die übliche gynäkologische Behandlung eingeleitet. Ungefähr ein Vierteljahr später
wurde ich zu der Patientin während eines Anfalles gerufen, und dabei bot sich das
typische Bıld einer Nierenkolik. Erst daraufhin untersuchte ich die Patientin cysto-
skopisch und konnte mich durch eine Reihe von Untersuchungen überzeugen, daß
das rechte Nierenbecken erheblich erweitert war. Es fanden sich immer zwischen
30 und 80 ccm, und zwar am meisten zur Zeit der Periode. Ein eigentliches Hinder-
nis im Ureter konnte nicht gefunden werden, nur bestand zur Zeit der Periode eine
hochgradige Schwellung der Schleimhaut, die tumorartig aus der Ureterenmündung
hervorragte, und eine auffallend verminderte Toleranz der Blase. Die Patientin hatte
dann eine längere Pause in ihren Anfällen, erst nach einem Vierteljahr setzten sie
von neuem ein, und zwar mit solcher Heftigkeit, daß der Arzt, an den sich Patientin
inzwischen gewendet hatte, wiederholt Morphiuminjektionen geben mußte. Erst nach
anderthalb Jahren sah ich die Patientin wieder. Die Anfälle waren häufiger und
heftiger geworden und der behandelnde Arzt nahm Nierensteinbildung an, obgleich
niemals ein Stein während der Koliken abgegangen war. Die rechte Niere war jetzt
deutlich palpabel, das Nierenbecken entleerte einmal über 100 ccm, und bei wieder-
holten Untersuchungen zeigte sich, daß die Niere im ganzen erheblich herabgesunken
und beweglich war. Irgendein Hindernis im Verlauf des Ureters konnte auch jetzt
nicht nachgewiesen werden. Ein vorgeschlagener operativer Eingriff wurde von der
Patientin abgewiesen. Sie absolvierte eine Trinkkur in Brückenau, die aber keinerlei
deutlichen Einfluß auf die Anfälle hatte. Dieselben wurden vielmehr im Laufe des
nächsten Jahres immer häufiger und traten wiederholt auch außerhalb der Periode
auf. Als ich nach weiteren 2 Jahren Gelegenheit hatte, die Patientin wieder zu unter-
suchen, war der Prozeß erheblich weiter vorgeschritten und der Ureterenkatheteris-
mus ergab jetzt in der Nähe des Nierenbeckens ein deutliches Hindernis, das nur in
steiler Beckenhochlagerung zu überwinden war. Nunmehr entschloß sich die Patientin
zur Operation. Die Niere wurde freigelegt, das Nierenbecken erwies sich ca. gänse-
eigroß und der Ureter mündete nahezu am obersten Ende des Nierenbeckens extrem
spitzwinklig in dasselbe ein. Bei der Abtastung des Organs fühlte man einige derbe
Stellen, so daß ich an die Möglichkeit einer Steinbildung dachte und das Nierenbecken
durch Sektionsschnitt der Niere öffnete. Es fand sich dabei keinerlei Konkrement.
die derben Resistenzen entsprachen vielmehr den auffallend verdickten und zapfen-
förmig ins Nierenbecken hineinragenden Papillen; auch bei der Sondierung des Ureters
vom Nierenbecken aus stieß man bis zum Blasenteil auf keinerlei Hindernis, dagegen
war der Ureter auf eine Strecke von ca. 8cm mit dem Nierenbecken
verwachsen. Die Verwachsungen wurden gelöst, was verhältnismäßig leicht gelang.
Das Nierenbecken wurde durch einen Gazestreifen von der Nierenwunde aus drainiert,
das ganze Organ möglichst boch am Rippenbogen fixiert. In den ersten 24 Stunden
trat eine äußerst bedrohliche Blutung nach der Blase zu ein, die jedoch durch Kom-
pressionsverband und starke Füllung der Blase beherrscht werden konnte. Der Heilungs-
verlauf war im übrigen ein vollkommen glatter; der Streifen wurde am 8. Tage ent-
fernt und nach 3 Wochen konnte Patientin vollkommen geheilt entlassen werden.
Zunächst hatte Patientin keinerlei Beschwerden mehr, und wiederholte «ystoskopische
Untersuchungen ergaben ziemlich gleichmäßiges Funktionieren beider Nieren. Nach
ca. ®/, Jahr traten zum erstenmal wieder kolikartige Schmerzen auf, und es ging ein
zirka doppelstecknadelkopfgroßes kristallinisches Uratkonkrement ab. Im Laufe der
nächsten 2 Jahre wiederholten sich diese Abgänge solcher Konkremente in ganz un-
regelmäßigen Intervallen noch häufig, doch waren die Beschwerden dabei nie erheb-
lich und das Allgemeinbefinden wurde dabei nicht wesentlich gestört. Die „dysme-
norrhoischen" Beschwerden waren seit der Operation völlig verschwunden und die
Patientin ist zurzeit im 6. Monat gravid.
Über den Zusammenhang der intermittierenden Hydronephrose usw. 31
Die Konkrementbildung halte ich für eine Folge des operativen Eingriffes, jeden-
falls steht sie in keinem Zusanımenhang mit der vorher vorhandenen Hydronephrose.
Innerhalb von 6 Jahren entwickelte sich also in diesem Falle auf
der Grundlage eines nur zur Zeit der Menses bestehenden Hindernisses
im Urinabfluß eine Hydronephrose, die ihrerseits eine Senkung des
Organes und als Folge davon zeitweise Abknickung bzw. Achsendrehung
des Ureters mit periureteritischen Verwachsungen am Nierenbecken
zur Folge hatte.
2. 36jährige Frau hatte mit 22 Jahren Lues akquiriert und in der Folgezeit
9 Aborte bzw. Fehlgeburten gehabt. Nach wiederholten antiluetischen Kuren gebar
sie ein lebendes Kind, das an Blennorrhoe erkrankte und total erblindete. Seit dieser
Entbindung hatte Patientin erhebliche Beschwerden bei der Menstruation, die alsbald
einen kolikartigen Charakter annahmen und nach der rechten Nierengegend hin aus-
strahlten. Es fand sich auf der rechten Seite ein parametranes Exsudat, und bei der
Sondierung des Ureters zeigte sich, daß derselbe ca. 5 cm oberhalb der Blasenmündung
stark nach außen verzogen und verengt war. Das Nierenbecken war nicht nachweis-
bar erweitert, die Urinsekretion durch die Katheter war auf beiden Seiten annähernd
gleich. Patientin wurde lange Zeit hindurch gynäkologisch behandelt, das Exsudat
schrumpfte, doch wurden die kolikartigen Anfälle nicht wesentlich gebessert. Nach
2 Jahren sah ich die Patientin wieder, die inzwischen neuerlich einen Abort gehabt
hatte. Die Kolikanfälle waren erheblich heftiger geworden und traten auch außerhalb
der Menstruation auf; dabei bemerkte die Patientin selbst gelegentliche Anschwellungen
in der rechten Nierengegend. Die Untersuchung ergab eine ganz erhebliche Erweite-
rung des rechten Nierenbeckens. die Niere im ganzen war vergrößert, doch nicht nach-
weisbar disloziert. An Stelle des parametranen Exsudates bestand eine narbige Ver-
dickung des Parametriums und der Uterus war nach rechts verlagert. Bei der
cystoskopischen Untersuchung während der Menses zeigtesich, daß aus
dem rechten Ureter kein Tropfen Urin sich entleerte, auch nicht bei
starkem Druck auf die deutlich palpable Niere. Der Katheter ließ sich nach
Überwindung eines erheblichen Widerstandes im Blasenteil ohne Schwierigkeit bis
zum Nierenbecken hinaufführen, worauf sich eine größere Menge leicht getrübten
Urins entleerte, der leider aus äußeren Gründen nicht gemessen werden konnte. Es
wurde versucht, in einer Reihe von Sitzungen den Blasenteil des Ureters zu dilatieren,
doch entzog sich Patientin nach wenigen Sitzungen der Behandlung und ich sah sie
abermals erst nach Verlauf von anderthalb Jahren wieder. Sie hatte in der Zwischen-
zeit eine Reihe schwerer Anfälle gehabt. bei denen auch urämische Symptome (Übel-
keit, unstillbares Erbrechen, heftige Kopfschmerzen) aufgetreten waren, und es war
infolgedessen von anderer Seite eine Nephropexie vorgenommen worden, worauf einige
Zeit Besserung eintrat. Doch schon nach einem Vierteljahr traten die Anfälle mit
erneuter Heftigkeit auf und es zeigte sich, daß die Niere an der Fixationsstelle zwar
verblieben. das Nierenbecken aber außerordentlich erweitert war. Ich
: legte deshalb die Niere von neuem frei, dabei zeigte sich, daß der Ureter um die
Nierengefäße abgeknickt und auf eine größere Strecke hin in Verwachsungen einge-
bettet war. Die Auslösung des Nierenbeckens war äußerst schwierig und blutreich,
doch gelang es, den Ureter frei zu machen, und da mit Rücksicht auf die vorausge-
gangenen urämischen Symptome die Entfernung des Organes, die an sich geboten er-
schien, nicht gewagt werden konnte, so machte ich eine Pyeloureterostomie mit gleich-
zeitiger Nephropexie. Die Heilung verlief glatt und die sehr heruntergekommene
Patientin erholte sich rasch. Wiederholte cystoskopische Nachuntersuchungen ergaben
eine annähernd normale Funktion der rechten Niere. Doch blieb eine Erweiterung
des Nierenbeckens bestehen und der Urin war immer leicht getrübt. Kolikanfälle
traten nicht mehr auf, doch zeigte die Patientin in späterer Zeit Anfälle von melan-
cholischer Verstimmung und endete ein Jahr später durch Selbstmord.
Wenn auch in diesem Falle der ätiologische Zusammenhang der einzelnen
Faktoren, die schließlich im Laufe der Jahre zur Bildung einer Hydronephrose führten,
nicht ganz so durchsichtig ist, wie im vorhergehenden, so scheint doch so viel sicher
32 Dr. Sigmund Mirabeau.
gestellt, daß das primäre Moment die Behinderung des Urinabflusses im
Beckenteil des Ureters war, daß durch Rückstauung eine Nierenbeckenerweite-
rung, als deren Folge eine Nierensenkung mit gelegentlicher Abknickung bzw. Achsen-
drehung des Ureters auftrat, die dann wieder ihrerseits eine Weiterentwicklung der
Hydronephrose begünstigte. |
3. 24jährige 0-para, die von ihrem 14. Lebensjahre an regelmäßig und ohne Be-
schwerden menstruiert war. Mit 19 Jahren machte sie eine Unterleibsentzündung
durch und seither war die Periode mit Schmerzen von zunehmender Heftigkeit ver-
bunden. Trotz verschiedenartiger gynäkologischer Behandlung wurden die Beschwerden
nicht beseitigt, nahmen vielmehr allmählich den Charakter schwerer kolikartiger An-
fälle an. Gelegentlich eines solchen Anfalles sah ich Patientin zum erstenmal. Die-
selbe war benommen, hatte mäßige Temperatursteigerung, dabei einen langsamen,
vollen Puls. Der Leib war eingezogen, zu beiden Seiten bestand Druckempfindlichkeit.
Die gynäkologische Untersuchung ergab das Bestehen einer fixierten Retroflexion
3. Grades, an den Adnexen und Parametrien kein pathologischer Befund. Am auf-
fallendsten war das Bestehen einer vollkommenen Anurie bei leerer Blase. Eine
cystoskopische Untersuchung war zunächst nicht durchführbar, innerhalb 3 Tagen
gingen die Erscheinungen zurück, schon am 2. Tage entleerte sich etwas Urin, der
vom 3. Tage an reichlich wurde. Ein Konkremeut wurde nicht gefunden. Die nach
Ablauf des Anfalles vorgenommene Cystoskopie ergab folgendes: Die Blase für 200 ccm
tolerant, der Blasenboden durch die Portio auffallend stark vorgedrängt und dabei das
Trigonum sehr stark nach rechts verschoben, so daß die rechte Uretermündung ganz
seitlich in einer Nische versteckt lag, während die linke ziemlich genau median auf
der Höhe der Vorwölbung sich befand. Aus beiden Uretermündungen entleerte sich
klarer Urin; der Katheterismus gelang links leicht, während die rechte Uretermündung
erst zu entrieren war, nachdem von der Scheide aus die Nische mit dem Finger vor-
gestülpt wurde. Im übrigen gelangten beide Katheter ohne erheblichen Widerstand
bis zum Nierenbecken, und es entleerten sich keine auffallend großen Mengen Urins.
Eine Messung wurde nicht vorgenommen. Bei der bimanuellen Betastung der kathete-
risierten Ureteren zeigte sich, daß der rechte Ureter auffallend weit lateralwärts aus-
bog und von dem in der Exkavation liegenden Uterus fundus an die Beckenwand an-
gepreßt wurde, während der linke in ziemlich gerader Linie (normalerweise biegt der
Ureter nach der Kreuzung mit der Art. uterin. bogenförmig nach außen ab, so daß
in der Beckenmitte die Distanz beider Ureteren größer ist, als bei der Einmündung
ins Nierenbecken) aus dem Becken aufstieg. Die Nieren selbst waren nicht deutlich
palpabel, die rechte Nierengegend etwas druckempfindlich. Die getrennt aufgefangenen
Urine zeigten beiderseits Spuren von Albumen, aber keinerlei Formelemente. Durch
diesen Befund war nur eine rechtsseitige Harnverhaltung zu erklären, und für die voll-
kommene Anurie mußte man die Annahme einer Reflexanurie linkerseits supponieren.
Mehrere Untersuchungen in der nächsten Zeit ergaben im wesentlichen dasselbe Re-
sultat, und mit dem Eintreten der nächsten Menses stellte sich ein neuerlicher Anfall,
allerdings leichterer Art, ein. Da der Uterus sich nicht aufrichten ließ, wurde der
Patientin ein operativer Eingriff vorgeschlagen, den sie aber zurückwies. Sie absol-
vierte eine Badekur und hatte dann längere Zeit hindurch angeblich weniger häufige
Anfälle. Nach anderthalb Jahren sah ich Patientin wieder. Die Anfälle waren in
letzter Zeit wieder häufiger geworden und zum Teil auch außerhalb der Periode auf-
getreten, doch war nie mehr vollkommene Harnverhaltung beobachtet worden. Die
rechte Niere war jetzt deutlich vergrößert und ganz erheblich herab-
gesunken zu tasten, auch die linke war anscheinend etwas tiefer getreten. Der
Genitalbefund war ziemlich unverändert und die Patientin zu einem operativen Ein-
griff bereit. Es wurde zunächst die vaginale Koeliotomie gemacht, der breit mit der
Beckenwand verwachsene Uterus abgelöst und nach vorn fixiert. Dabei zeigte sich,
daß die Blase auch mit dem Uterus stark verwachsen war; eine Dilatation des Ureters
bestand nicht. In derselben Sitzung wurde die rechte Niere freigelegt, wobei sich
zeigte, daß dieselbe durch das stark erweiterte Nierenbecken um das Doppelte ver-
größert war. Der Ureter mündete an normaler Stelle ein, jedoch unter auffallend
Über den Zusammenhang der intermittierenden Hydronephrose usw. 33
spitzem Winkel. Um diese Spitzwinkelstellung zu korrigieren und gleichzeitig das
Nierenbecken zu verkleinern, machte ich eine Querraffung des Nierenbeckens
in dreifacher Catgutnaht und fixierte das Organ hoch oben am Rippenbogen.
Die Operation verlief glatt, am 20. Tage konnte die Patientin das Bett verlassen. Die
cystoskopische Nachuntersuchung ergab volle Funktion beider Nieren, aber der Blasen-
boden blieb trotz der Korrektur der Uteruslage nach rechts verzogen. Über ein Jahr
blieb Patientin völlig beschwerdefrei, dann traten zunehmende Schmerzanfälle, die
nach der linken Seite ausstrahlten, auf. Die Untersuchung ergab, daß nunmehr die
linke Niere erheblich herabgesunken und deutlich vergrößert war. Bei der Sondierung
stieß der Katheter kurz vor Eintritt ins Nierenbecken auf Widerstand, der zunächst
nicht zu überwinden war. Es wurde nunmehr auch die linke Niere freigelegt, wobei
sich auch hier eine allerdings geringgradige Erweiterung des Nierenbeckens ergab.
Der Ureter war bis ins kleine Becken hinab etwas dilatiert, es konnte aber von der
Operationswunde aus kein Hindernis im Urinabfluß entdeckt werden, und deshalb
wurde lediglich die une vorgenommen. Seither blieb die Patientin dauernd
beschwerdefrei.
In diesem Falle ist "also der nach hinten fixierte Uterus als primäre
Ursache der Harnstauung und Nierenbeckenerweiterung auf der rechten
Seite anzusprechen, während die Nierensenkung erst als Folge der Vergrößerung
des Organes auftrat. Die Verhältnisse links sind schwerer zu deuten; man muß wohl
annehmen, daß die Verlagerung des Blasenbodens eine Zugwirkung auf den Ureter
ausübte, wozu wahrscheinlich dann noch nach der ersten Operation ein Druck seitens
des nach vorn fixierten Uterus sich gesellte.
4. Bei der 2öjährigen Patientin waren die Menses vom 13. Lebensjahre an un-
regelmäßig und schmerzhaft und von vornherein mit Störungen in der Urinentleerung
verbunden. Sie konnte zur Zeit der Periode angeblich oft 24 Stunden keinen Urin
lassen, und öfters sei danach Blut mit dem ersten Urin gekommen. Dieser Zustand
bestand mit wechselnder Heftigkeit viele Jahre hindurch, ohne daß Patientin ärztliche
Hilfe in Anspruch nahm. Die gynäkologische Untersuchung ergab ein virginelles Genitale
ohne Besonderheit. Der Harnröhrenwulst war auffallend verdickt und derb,
im übrigen die Harnröhre leicht durchgängig, die Blase ungewöhnlich ausdehnungsfähig.
Erst bei 600 ccm verspürt Patientin leichten Drang. Die Blasenschleimhaut blaß und
dünn. an vielen Stellen die Muskulatur trabekelförmig durchscheinen lassend. Die
Ureterenmündungen beiderseits klaffend, jedoch zartrandig ohne Narbenbildung. Der
Katheterismus gelingt beiderseits leicht und aus beiden Nierenbecken entleeren sich er-
hebliche Urinmengen. Bei einem Füllversuch gelingt es rechts 40, links 30 ccm ein-
zuführen, worauf ziemlich erhebliche kolikartige Schmerzen auftraten. Da die Patientin
keinen Urin spontan lassen konnte und im ganzen Verlauf des Harnsystems kein
Hindernis zu entdecken war, nahm ich eine nervöse (hysterische) Miktionsbehinderung
an und legte einen Dauerkatheter ein, der bei täglichen Spülungen mit Borlösung
8 Tage obne Reizerscheinungen ertragen wurde. Nach Entfernung des Katheters
konnte Patientin spontan urinieren, bis mit Eintritt der nächsten Menses wieder voll-
ständige Harnverhaltung eintrat. Die Urethra war auffallend hyperämisch und ge-
schwollen und die Einführung eines feinen Glaskatheters äußerst schmerzhaft. Die
Schleimhaut am Blasenboden stark hyperämisch, im übrigen derselbe Befund wie
früher. Ein neuerlicher Versuch mit dem Dauerkatheter wurde von der Patientin
abgelehnt und sie entzog sich der Behandlung. Erst nach dreiviertel Jahren stellte
sie sich wieder vor. Sie hatte inzwischen auswärts verschiedene Ärzte konsultiert,
doch waren die Beschwerden immer heftiger geworden, fast nach jeder Menstrua-
tion mußte sie mehrere Tage katheterisiert werden. Der Befund an Harn-
röhre und Blase war wie früher, dagegen waren beide Nieren deutlich palpabel, be-
sonders die linke bis zu Nabelhöhe herabgesunken. Die Patientin wünschte jetzt selbst.
Befreiung von ihren Beschwerden. Die linke Niere wurde freigelegt und möglichst
hoch fixiert; die Urethra vermittels Simonscher Specula stark dilatiert und ein großer
Pferdefußkatheter in dieselbe eingelegt. Die Heilung erfolgte reaktionslos, nach Ent-
fernung des Dauerkatheters war Patientin einige Tage inkontinent, doch stellte sich
Zeitschrift ft. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 3
34 Dr. Sigmund Mirabeau.
die Kontinenz innerbalb von 8 Tagen wieder her und die Patientin blieb dauernd be-
schwerdefrei. Die Nachuntersuchung nach einem Jahre ergab normale Funktion
beider Nieren, Harnverhaltung ist nie mehr aufgetreten.
In diesem Falle bestand also offenbar primär ein zeitweises Hindernis des Urin-
abflusses in der Harnröhre, das jedesmal unter denı Einfluß der Menstruationshyper-
ämie einsetzte. Durch die oft langdauernden Harnverhaltungen war sekundär Dila-
tation und Atonie der Blase eingetreten und anscheinend infolge davon Stauung nach
dem Nierenbecken, Hydronephrose und zuletzt Nierensenkung.
Es mag auffallend erscheinen, daß in den bisherigen Publikationen
über intermittierende Hydronephrose, obgleich ein erheblicher Teil der-
selben, wie schon eingangs erwähnt, von gynäkologischer Seite herrührt,
verhältnismäßig wenig von den auf die Genitalorgane zurückzuführenden
Entstehungsursachen die Rede ist, die doch zweifellos gar nicht so selten
sind. Es kommt dies offenbar, wie schon oben angedeutet, daher, daß
bei weit vorgeschrittenen Fällen der ursächliche Zusammenhang über-
haupt nicht mehr zu erkennen ist und das klinische Bild ebenso wie
der anatomische Befund bei Operationen oder Sektionen Folgezustände
als ursächliche Momente erscheinen läßt. Natürlich ist nicht in Ab-
rede zu stellen, daß viele Fälle verschiedene Deutungsmöglichkeiten zu-
lassen, und es geht auch nicht an, die Angaben der Autoren nach dieser
Richtung hin einer Kritik zu unterziehen, aber ich zweifle nicht, daB
namentlich bezüglich des Zusammenhanges von Wanderniere und Hy-
dronephrose in vielen der publizierten Fälle das ursächliche Verhältnis
dem von mir beobachteten analog zu stellen ist, d. h. daß die Hydro-
nephrose das Primäre, die Nierensenkung den Folgezustand darstellt.
Sehen wir doch so häufig Wandernieren ohne Hydronephrosenbildung
und andrerseits Hydronephrosen ohne Dislokation der Niere, dagegen
selbstverständlich niemals Hydronephrosenbildung ohne ein
Hindernis in den abführenden Harnwegen. Daß die Vergröße-
rung und das Schwererwerden der Niere die Veranlassung zur Senkung
des Organes werden kann, ist ja völlig einleuchtend und wird auch
durch die Erfahrungen bei Tumorbildung bestätigt. Ich selbst habe
2 Fälle von Grawitztumor der Niere beobachtet, die das ausgesprochene
Bild einer Wanderniere boten, und ähnliche Erfahrungen wurden von
vielen Autoren gemacht. Andrerseits sprechen namentlich experimen-
telle Untersuchungen dagegen, daß die einfache Mobilisierung der Niere
zu Hydronephrosenbildung führen kann!). Auch beim Tierexperiment
bedarf es stets eines Ahflußhindernisses zur Erzeugung einer Nieren-
beckenerweiterung.
Es wurde oben schon erwähnt, daß gerade zeitweise Behinderungen
des Urinabflusses am leichtesten zu Hydronephrosenbildung führen,
während absoluter Verschluß in den meisten Fällen zu einer völligen
Funktionseinstellung der Niere führt. Nun erscheinen gerade bei gynä-
kologischen Erkrankungen, die mit Verlagerungen bzw. Kompressionen
dex Ureters verbunden sind. infolge der durch die Menstruation be-
dingten periodischen Zirkulationsschwankungen ganz besonders geeignet,
No.
Über den Zusammenhang der intermittierenden Hydronephrose usw. 35
zeitweise Behinderungen des Harnabflusses hervorzurufen, und es ist
eine bekannte Tatsache, daß bei sonst ganz gesunden Frauen zur Zeit
der Menstruation mehr oder minder erhebliche Miktionsstörungen ein-
treten. Gewiß sind diese Störungen meist geringfügiger Natur, aber es
ist leicht zu verstehen, daß sie sich doch nach dem Gesetze der
Kumulierung oft wiederholter Reize im Laufe der Jahre in Form
schwererer Schädigungen des Harnapparates geltend machen. Dazu
kommt dann noch vielfach der Einfluß der Schwangerschaften, in deren
Verlauf die verschiedenartigsten Störungen der Funktionen des Harn-
systems zu den häufigsten Komplikationen gehören. In den ersten
Monaten ist es vor allem die allgemeine Hyperämie der Beckenorgane,
an der die Blase erheblichen Anteil nimmt und unter dem Bilde der
„Schwangerschaftsblase“ zu Miktionsstörungen aller Art führt. Dann
macht sich mit dem Aufsteigen des Uterus aus dem kleinen Becken
die Verzerrung des Blasenbodens mit den Uretereneinmündungen in
Form erheblicher Rückstauung des Urins nach dem Nierenbecken geltend
und führt gar nicht so selten beim Hinzutreten von Infektionskeimen
zu dem gerade in den letzten Jahren näher studierten Bilde der
Schwangerschaftspyelitis. Endlich kann p. part. die Erschlaffung der
Bauchdecken zu Enteroptose der verschiedensten Grade führen, als
deren Teilerscheinung vielleicht in der Mehrzahl der Fälle die gerade
bei Frauen so häufige Wanderniere anzusprechen ist.
Wie häufig der Ureter an den Krankheitsprozessen, die sich im
kleinen Becken abspielen, beteiligt ist, hat man erst kennen gelernt,
seitdem die operative Therapie in der Gynäkologie zu ihrer heutigen
Bedeutung gelangt ist. Anfangs waren es wohl meist unfreiwillige und
unbeabsichtigte Begegnungen, die den Operateur out den Ureteren in
Berührung brachten, allmählich hat man dann die Bedeutung des Becken-
teiles der Ureteren für die gesamte operative Gynäkologie kennen und
schätzen gelernt, und besonders bei der modernen abdominalen Carcinom-
operation nach Wertheim hat die Rücksicht auf den Ureter bei der
Ausbildung der Operationsmethode mit einen Hauptfaktor gebildet, und
es ist bezeichnend, daß das klassische moderne Werk über „die Topo-
graphie des Ureters“ von Tandler und Halban') dem Bedürfnisse der
operativen Gynäkologie seine Entstehung verdankt.
Es ist auch zweifellos, daß diese Beziehungen der operativen Gy-
näkologie zum Ureter einen Hauptfaktor für die Beachtung bildete,
welche die Gynäkologen in neuerer Zeit den Harnorganen im all-
gemeinen wieder geschenkt haben und durch die cystoskopischen
Methoden sind wir in die Lage versetzt worden, auch außerhalb der
operativen Tätigkeit die Beziehungen des Ureters wie der gesamten
Harnorgane mit in den Bereich unseres diagnostischen und therapeu-
tischen Handelns zu verlegen. Es ist hier nicht der Ort, dieses näher
1) Tandler und Halban, Topographie des weiblichen Ureters, mit besonderer
Berücksichtigung der pathologischen Zustände und der gynäkologischen Operationen.
Wien u. Leipzig 1901.
3%
36 Dr. S. Mirabeau. Über d. Zusammenhang d. intermittierenden Hydronephrose usw.
zu beleuchten, es soll vielmehr nur angedeutet werden, daß die Be-
achtung, die ich von Anfang an diesen Verhältnissen geschenkt habe,
für mich den Ausgangspunkt der hier niedergelegten Beobachtungen
über den Zusammenhang der intermittierenden Hydronephrose bei
Frauen mit gynäkologischen Erkrankungen und Störungen gebildet haben.
Ich zweifle nicht, daß diese Beobachtungen sich noch erheblich er-
weitern, ergänzen, vielleicht auch teilweise korrigieren lassen, wenn erst
allgemeiner und besonders an klinischen Material auf diese Zusammen-
hänge geachtet wird.
Zusammenfassend möchte ich aus meinen Beobachtungen folgende
Schlüsse ziehen: Ä
1. Ein großer Teil der bei Frauen beobachteten Fälle von inter-
mittierender Hydronephrose steht in direktem ursächlichem Zusammen-
hang mit gynäkologischen Affektionen, die behindernd auf den regel-
mäßigen Urinabfluß wirken.
2. Die größte Bedeutung kommt dabei denjenigen Erkrankungen
der Beckenorgane zu, welche den Beckenteil des Ureters und besonders
die Einmündungsstelle in die Blase in Mitleidenschaft ziehen.
3. Das auslösende Moment der Schmerzanfälle ist dabei häufig die
durch die Menstruation bedingte Hyperämie der Beckenorgane, die auch
für sich allein schon hemmend auf den Urinabfluß wirken kann.
4. Diese an der Peripherie wirkenden Hindernisse im Urinabfluß
erzeugen ganz allmählich Nierenbeckenerweiterungen, aus denen sich
dann oft im Laufe vieler Jahre erst eigentliche Hydronephrosen ent-
wickeln.
5. Die Nierensenkungen sind häufig die Folge und nicht die Ur-
sache der Hydronephrosenbildung, ebenso wie die vielfach beobachteten
Veränderungen in der Form des Nierenbeckens, in der Einmündung des
Ureters in dasselbe und am zentralen Teil des Ureters selbst.
6. Allerdings können dann die unter 5. genannten Veränderungen
ihrerseits wieder wesentlich zur Weiterbildung der Hydronephrosen
beitragen.
7. Erst die cystoskopischen Methoden setzen uns in die Lage, die
Anfangsstadien der Erkrankung zu erkennen und die ursächlichen
Momente richtig zu deuten, was bei dem vorgeschrittenen Krankheits-
bilde meist ganz unmöglich ist.
8. Durch sekundäre Infektion können aus intermittierenden Hy-
dronephrosen offene Pyonephrosen, durch dauernde Verlegung des Harn-
flusses geschlossene Sacknieren werden. Die intermittierende Hydro-
nephrose ist wohl das Anfangsstadium der meisten Formen von Sackniere.
(Aus der Universitäts-Frauenklinik zu Greifswald.)
Zur Behandlung der chronischen Cysto-Pyelitis.
Von
Prof. Max Henkel.
Die Cystitis mit ihren Begleit- resp. Folgeerscheinungen spielt nicht
nur bei der Wöchnerin eine große Rolle, sondern bedeutet auch eine
häufige Komplikation gynäkologischer Leiden, namentlich solcher, die
auf entzündlicher Basis beruhen. Es ist nicht immer leicht zu ent-
scheiden, ob eine Cystitis vorliegt oder eine Pyelitis, ja es ist die
Grenze zwischen Cystitis und Urethritis nicht immer sofort zu ermitteln.
Entzündungen im hinteren Teil der Harmröhre teilen sich sehr leicht
dem Blasengrunde mit, besonders dem Teil, der zwischen den beiden
Ureterenmündungen liegt. Der Harn kann vollkommen klar sein, er
braucht in seiner chemischen Reaktion von der Norm in keiner Weise
abzuweichen, und doch liegt eine Cystitis vor resp. kombiniert mit dieser
eine Pvyelitis.
Die Diagnostik dieser Fälle, bei denen eine Erkrankung der Harn-
apparate mit anscheinend normaler Sekretabsonderung (Urin) vorliegt,
ist oft recht schwierig und ohne Zuhilfenahme des Cystoskops, des
Urethroskops, des Ureterenkatheterismus und schließlich auch der
bakteriologischen Untersuchung des abgesonderten Urins nicht möglich.
Erst auf Grund dieser verfeinerten Untersuchungstechnik sind wir in
den Stand gesetzt, gewisse Blasen- resp. Nierenbeckenentzündungen zu
diagnostizieren, die früher unserer Erkenntnis entgingen resp. entgehen
mußten. Sehr interessant ist nach der Richtung eine jüngst erschienene
Arbeit aus der Zinnschen Abteilung des Krankenhauses Bethanien von
Scheidemantel (Über Pyelitis bei Frauen und ihre Beziehungen zur
Menstruation. Deutsche medizinische Wochenschrift Nr. 31, 1908). Len-
hartz (Über die akute und chronische Nierenbeckenentzündung. Mün-
chener medizinische Wochenschrift Nr. 16, 1907) weist darauf hin, daß
die primäre selbständige Pyelitis nicht zu den Seltenheiten gehört, wohl
aber stößt die Diagnostik derselben auf große Schwierigkeiten, wie man
der Tatsache entnehmen kann, daß so außerordentlich häufig die Diagnose
nicht gestellt wird. Unter 16 Fällen von Pyelitis, über die Scheide-
mantel berichtet, war in keinem einzigen Fall die richtige Diagnose
gestellt worden; dieselbe lautete vielmehr in der Mehrzahl auf Unterleibs-
entzündung, Influenza. Darmkatarıh, Muskelrheumatismus usw.
38 Prof. Max Henkel.
Der Gang der Infektion für das Zustandekommen der Pyelitis
dürfte in der Mehrzahl der Fälle der sein, daß die Bakterien von einer
vorhandenen Cystitis in die Nierenbecken aufsteigen.
Aber abgesehen hiervon ist es sehr wahrscheinlich, daß auch in
solchen Fällen, wo die Bakterien im Blute kreisen, mit dem Urin aus-
geschieden werden, zunächst doch nicht die Pyelitis hervorgerufen wird,
sondern erst die Cystitis auftritt und dann rückläufig die Pyelitis. Als
Erklärung dieser Beobachtung möchte ich annehmen, daß mit in dem
aus den Nieren entleerten Urin die Bakterien direkt in die Blase fort-
geschwemmt werden. Nur eine Urinansammlung in der Blase gibt die
Möglichkeit einer lokalen Vermehrung und Ansiedlung der Bakterien.
Besteht dagegen eine Erschwerung im Abfluß des Urins im Verlauf der
Harnleiter, kommt es mit Rücksicht darauf zu einer Stauung im Nieren-
becken, so werden diese Verhältnisse zunächst zur Pyelitis und dann
zur Cystitis führen.
Cystitis und Pyelitis können wie gesagt bestehen bei anscheinend
klarem, normal reagierendem Urin. Das sind die Fälle, die diagnostisch
die größten Schwierigkeiten hervorrufen, da ja kein markantes objektiv
überzeugendes Symptom vorhanden ist, welches die Diagnostik des vor-
liegenden Krankheitsfalles auf die in Wirklichkeit vorliegende Krankheit
hinlenkt. Als Beispiel möge die Mitteilung des folgenden Falles dienen:
Frau S., 21 Jahre alt, wurde am 25. August in die Klinik aufgenommen
mit der Angabe, daß seit einiger Zeit Schmerzen in der rechten Unter-
bauchgegend beständen. Die genaue Untersuchung ergab keine Anhalts-
punkte dafür, daß eine Erkrankung des Darmes, etwa des Appendix, vor-
läge. Der Urin war sauer, ganz leicht getrübt. Im cystoskopischen
Bilde ließ sich eine sehr geringe Trübung der Blasenschleimhaut er-
kennen, so daß die Konturen der Gefäße namentlich im Blasenboden
nicht klar hervortraten. Da nun die Beschwerden der Patientin in
keiner Weise durch die so geringfügige Cystitis erklärt wurden, und
da auch am nächsten Tage eine Temperatursteigerung von 38,2 eintrat
mit zunehmender Druckempfindlichkeit, die sich aber nicht genau auf
die Nierengegend lokalisieren ließ, so wurde zur Sicherstellung der
Diagnose der Katheter in den rechten Harnleiter eingeführt, der Urin
steril aufgefangen und bakteriologisch untersucht. Zu dieser bakterio-
logischen Untersuchung gelangte nicht der zunächst entleerte Urin,
sondern erst derjenige, der, nachdem der Katheter eine Zeitlang gelegen
hatte, abfloß. In diesem fast klar zu nennenden Urin der rechten Niere
ließen sich nun Staphylokokken und Bakterium coli mit Sicherheit nach-
weisen. Daraufhin wurde die lokale Behandlung des rechten Nieren-
beckens in der Weise in Angriff genommen, daß eine schwache
Argentum nitricum-Lösung CL el in das Nierenbecken instilliert
wurde. Der Erfolg war ein ganz eklatanter, und zwar sowohl objektiv
wie subjektiv, indem die Schmerzen schwanden und die Temperatur
zur Norm zurückging. Das Verfahren wurde noch einige Male wieder
holt. um den Erfolg zu sichern.
Zur Behandlung der chronischen Cysto-Pyelitis. 39
Derartige Fälle haben wir jetzt schon wiederholt gehabt, und es
decken sich unsere Beobachtungen insofern durchaus mit denjenigen
von Scheidemantel und anderen, daß nämlich eine Pyelitis bestehen
kann, ohne daß die Urinuntersuchung und die cystoskopische Unter-
suchung allein die Diagnose zu sichern imstande sind. Klarheit schaffen
in solchen Fällen nur der Ureterenkatheterismus und die bakteriologische
Untersuchung resp. die mikroskopische Untersuchung des isoliert auf-
gefangenen Urins der einen resp. beider Nieren.
In einem anderen Fall lagen die Verhältnisse insofern noch kom-
plizierter, als bei einem Mädchen, das im Juni 1907 eine gonorrhoische
Infektion akquiriert hatte, damals wegen ihrer Gonorrhoe behandelt worden
war, und bei dem sich dann eine chronische Cystitis entwickelte. Da
durch die ambulante Behandlung (Salol, Urotropin, Blasenspülungen)
das Übel in keiner Weise zu beseitigen war, die trübe Beschaffenheit
des Urins sich nicht änderte, das Brennen beim Urinlassen nicht
schwand, so wurde auch hier der doppelseitige Ureterenkatheterismus
ausgeführt und der isoliert aufgefangene Urin bakteriologisch untersucht.
Cystoskopisch ergab sich eine chronische Cystitis mit ausgedehnter ober-
flächlicher Abschilferung des Epithels. Die Reaktion des Urins war
sauer, zahlreiche Versuche, Tuberkelbazillen im Sediment nachzuweisen,
scheiterten trotz aller angewandter Verfahren. Durch den Ureteren-
katheterismus ließ sich dagegen im Nierenbecken beiderseits Pvocyaneus
in Reinkultur nachweisen. Die Therapie bestand daraufhin in der
vorsichtigen Installation einiger Tropfen von 1°, Argentum nitricum-
Lösung in das Nierenbecken. Diese Manipulation wurde 2 mal wieder-
holt. Eine dann vorgenommene bakteriologische Untersuchung des isoliert
aufgefangenen Urins jeder Niere ergab Keimfreiheit derselben. Die
jetzt angeschlossene Behandlung der Cystitis ergab baldige Besserung.
In einem dritten Fall handelte es sich um eine 47jährige Frau,
die mit dem Symptom einer schweren Cystitis in die Klinik kam, der
Urin war blutig-trübe und im cystoskopischen Bilde fand sich eine
ausgedehnte chronische Cystitis mit Ulcerationen; außerdem konnte man
im Blasenboden drei kleine Steinchen entdecken. Durch einfache Spülung
ließen sich die Steinchen aus der Blase entfernen, die Cystitis besserte
sich aber trotz täglicher Spülung mit Borsäure und auch Argentum
nicht. Der Urin war stark alkalisch, und bakteriologisch enthielt er
Streptokokken und Bakterium coli. Wir haben die Streptokokken auf
ihre hämolytische Wirkung geprüft; eine solche bestand nicht! Da die
Gegend um die Ureterenmündung ebenfalls ziemlich stark entzündet
war, die Lumina derselben klaften weit, so wurde auch in diesem Fall
der Ureterkatheter in jeden Harnleiter vorgeschoben; mit demselben
konnte man beiderseits, ohne auf Widerstand zu stoßen, in das Nieren-
becken hineingelangen. Da nun anzunehmen war aus der ganzen Ananı-
nese, insofern nämlich nach krampfartigen Schmerzen im Leib der Urin
bald blutig wurde, daß auch Steine im Nierenbecken sein mußten, so
bestand ohne Rücksicht auf eine etwaige Vernichtung der im Nieren-
40 | = Prof. Max Henkel.
becken nachgewiesenen Streptokokken und Bakterium coli-Infektion unser
Bestreben darin, das Nierenbecken auszuwaschen, um dadurch jede
Sekretstauung in diesem Fall zu beseitigen. Systematische Auswaschungen
der Nierenbecken mit Wildunger Wasser schafften eine bedeutende
Besserung nicht nur des allgemeinen Befindens, sondern auch hinsicht-
lich der Beschaffenheit des Urins; derselbe wurde klarer, es gingen in
ziemlich schneller Reihenfolge eine ganze Anzahl kleinster Steinchen
nach diesen Spülungen, und zwar ohne voraufgegangene Koliken ab.
Diese Fälle zeigen zur Genüge, welche Wichtigkeit der Pyelitis
auch in gynäkologischer Hinsicht zuzusprechen ist, und sie beweisen,
daß für derartige Krankheitsfälle zur Diagnose sowohl wie zur Therapie
der Ureterkatheterismus und die nachfolgende bakteriologische Urin-
untersuchung des isoliert aufgefangenen Urins jeder der beiden Nieren
unentbehrlich sind.
Während wir so gesehen haben, daß gewöhnlich die Pryelitis sich erst
sekundär anschließt an die Cystitis, dürfen wir auf der anderen Seite
nicht unberücksichtigt lassen, daß, wenn die Cystitis zur Pyelitis geführt
hat, diese in chronischen Fällen nur dadurch ausgeheilt werden kann,
daß man sich nicht auf die Behandlung der Blase allein beschränkt,
sondern auch die Nierenbecken einer lokalen Behandlung unterwirft.
Die Verordnungen interner Medikationen in diesen ganz chronischen
Fällen versagt außerordentlich häufig, und deshalb ist es unbedingt not-
wendig, daß, wenn bei Cystitis die Symptome nicht schwinden, man
sofort übergeht zur genauen Untersuchung der Nierenbecken und zur
lokalen Behandlung derselben.
Während die akute Cystitis durch Bettruhe und hamtreibende
Mittel, dann durch die innerliche Anwendung von Salol usw. sicher in
verhältnismäßig kurzer Zeit zur Ausheilung zu bringen ist, bereitet uns
die chronische Cystitis oft die allergrößten Schwierigkeiten. Ein Teil
dieser Fälle, die jeder Therapie zu trotzen scheinen, läßt sich durch
die gleichzeitige Berücksichtigung der bestehenden Pyelitis, wie ich eben
gezeigt habe, zur Ausheilung bringen, aber es bleiben immer noch eine
ganze Anzahl besonders hartnäckiger Fälle von chronischer Cystitis
übrig, bei denen alle unsere Bemühungen nicht zum Ziel führen. Von
internen Mitteln kann man sich bei derartigen Fällen einen gewissen
zuverlässigen Erfolg nur von Urotropin versprechen, auch Helmitol
empfiehlt sich bei stark eitrigem, alkalischen Urin. In solchen Fällen
bewähren sich auch Spülungen der Blase mit 1:5000 Quecksilber-
oxycvanid. In besonders hartnäckigen Fällen, zu denen die Fälle, be-
ruhend auf Proteus- und Pyocyaneusinfektion gehören — es handelt
sich nach meinen Beobachtungen hierbei regelmäßig um Mischinfektionen
dieser Bakterien mit noch anderen Mikroorganismen, meist Staphylo-
kokken und Streptokokken — versagten alle Bemühungen, die angewandt
wurden, um eine Heilung der Cystitis herbeizuführen.
Angeregt durch die Publikationen von Geiser und Müller auf
dem diesjährigen Chirurgenkongreß und die daran sich anschließenden
Zur Behandlung der chronischen Cysto-Pyelitis. 41
Publikationen über Antifermentbehandlung eitriger Abseesse habe ich
versucht, diese Therapie auch zur Behandlung chronischer, eitriger
Cystitiden in Anwendung zu bringen. Ich habe das Verfahren jetzt an
5 Fällen in der Weise ausgeführt, daß ich frisches, steril aufgefangenes
Rinderserum in die Blase nach vorhergegangener Entleerung des Urins
mit dem Katheter injizierte. Die angewandten Quantitäten Serum waren
den verschiedensten Modifikationen unterworfen: mit kleinen Dosen
(5 cem frisches Rinderblutserum) beginnend, sind wir bis zur voll-
ständigen Auffüllung der Blase und der Einverleibung von 150 ccm
Serum in dieselbe vorgegangen. Auch zeitlich haben wir Variationen
in der Weise eintreten lassen, daß wir täglich und in Intervallen bis
zu 4—5 Tagen das Serum injiziert haben. Es erübrigt sich, die einzelnen
Krankengeschichten mit diesbezüglichen Protokollen abdrucken zu lassen.
Das Resümee unserer Untersuchungen geht dahin, daß durch die Ein-
verleibung sterilen Rinderblutserums ein therapeutischer Effekt bei
chronischen, eitrigen Cystitiden nicht konstatiert werden konnte, wohl
aber klagten die Kranken wiederholt darüber, daß die Schmerzen, die
bei und nach der Urinentleerung auftraten, während der Serunbehandlung
erheblich zunahmen. In einigen Fällen, wo bei chronischer Cystitis die
Urinentleerung so gut wie schmerzlos erfolgte, wurde durch die Be-
handlung erst die Schmerzhaftigkeit bei der Miktion erzeugt.
. Es ist selbstverständlich, daß wir in jeder Weise den therapeutischen
Effekt dieser Behandlungsmethode zu kontrollieren suchten, und das
geschah, abgesehen von der \otierung der subjektiven Schmerzempfindung,
auch objektiv dadurch, daß wir die Bakterienuntersuchung fortsetzten,
die Zahl der auf der Agarplatte angegangenen Kolonien verglichen und
auf der anderen Seite auch Sedimentkontrollröhrchen anlegten. Hierbei
verfuhr ich so, daß der Morgenurin in Zylindern aufgefangen und gut
durchgerührt wurde. Von der Mischung wurde dann ein Reagenzglas
voll zum Sedimentieren hingestellt. Zur Vermeidung weiteren Bakterien-
wachstums wurde dem Gemisch ein Tropfen reinen Formalins zugesetzt.
Auf diese Weise konnte festgestellt werden 1. daß ein Verringern des
Bakteriengehaltes nicht eintrat und daß 2. das eitrige Sediment im
Verlauf der Behandlung nicht weniger wurde. In dieser letzten Hin-
sicht traten wohl Schwankungen auf, aber die Differenzen waren nur
vorübergehend und nie so überzeugend, daß sie nicht auch auf andere
einfachere Weise hätten erklärt werden können, da ja die Eiterproduktion
bei chronischen Entzündungsprozessen nicht immer die gleiche ist.
Wir sind auch noch einen Schritt weiter gegangen, um uns ein
möglichst klares Bild über den Einfluß des Rinderblutserunis auf Strepto-
kokken (mit denen wir lediglich experimentiert haben) zu studieren.
Wir sind dabei zu dem Resultat gekommen, daß, wenn man Strepto-
kokken auf frisches steriles Rinderblutserum überträgt, eine gewisse
Hemmung in der weiteren Entwicklung der Streptokokken wohl ein-
tritt, nicht aber ein Abtöten derselben. Auf Grund aller dieser klinischen
und experimentellen Untersuchungen hahen wir jetzt davon Abstand ge-
42 Prof. Max Henkel. Zur Behandlung der chronischen Cysto-Pyelitis.
nommen, diese Art der Behandlung der chronischen eitrigen Cystitis
durch Einverleibung von sterilem Rinderblutserum fortzusetzen.
Auch mit Trypsin haben wir keine erfolgreichen Resultate erzielt.
Zunächst ergab sich bei unseren Bemühungen, daß das Trypsin (Gehe,
Dresden) an sich schon nicht steril ist. Legt man von dem Trypsin
aus den Originalgefäßen Kulturen an, so ergibt sich ein ziemlich üppiges
Bakterienwachstum. Es handelt sich dabei um dicke, plumpe Stäbchen
mit deutlicher Polfärbung, die in Traubenzucker-Bouillon (sauer oder
alkalisch) kein Gas bilden. Nach dieser Erfahrung haben wir erst das
Trypsin sterilisiert, indem wir es 10 Minuten lang auf 150 Grad er-
hitzten. Dann haben wir die Versuche wieder in der Weise auf-
genommen, daß wir zu 5 ccm Streptokokken-Bouillon 0,1 e steriles
Trypsin hinzusetzten. Ein Einfluß auf das Wachstum der Streptokokken
ließ sich nicht erzielen, auch dann nicht, wenn die Trypsin-Bouillon mit
Streptokokken geimpft wurde.
Im Einklang mit diesen Laboratoriumsversuchen stehen unsere
klinischen Beobachtungen insofern, als bei eitrigen Cystitiden durch Ein-
verleibung von 2°), Trypsinaufschwemmungen in die Blase keinerlei
therapeutischer Einfluß ausgeübt worden ist.
Jetzt sind wir dazu übergegangen, unsere therapeutischen Versuche
zur Behandlung dieser besonders hartnäckigen, chronischen Cystitiden
mit Chininalkohol fortzusetzen. Die Laboratoriumsversuche ergeben hier
wesentlich günstigere Resultate als die mit Rinderblutserum und Trypsin-
aufschwemmung. Wir wählten eine Chininalkohol-Lösung, von der wir
sicher wußten, daß sie das Gewebe nicht schädigt. Durch anderweitige,
früher und zu anderen Zwecken vorgenommene Untersuchungen sind
wir in der Lage, eine 5°%,, Chininalkohol-Lösung (50°/, Alkohol) für
unsere Zwecke als geeignet anzusprechen. Nimmt man 5 cem Bouillon
und setzt dieser 0,1 Chininalkohol der angegebenen Konzentration und
Lösung hinzu, so ergibt sich, daß 12 Stunden später Übertragungs-
versuche aus derartig angesetzten Streptokokken-Bouillon-Kulturen naclı
12 Stunden steril sind. Daraus folgt, daß eine Beeinträchtigung des
Wachstums von Streptokokken durch Zusatz minimaler Mengen von
Chininalkohol, wie sie erfahrungsgemäß für das Gewebe durchaus un-
schädlich sind, mit Sicherheit erreicht wird. Da es sich nun bei den
chronischen Cystitiden nicht immer um eine Infektion mit Streptokokken
handelt, sondern schr häufig auch um solche mit anderen Mikroorganismen,
z. B. Bakterium coli, Proteus usw., auch Pyocyaneus, so ist es not-
wendig, daß diese experimentalen Untersuchungen auch die Prüfung
mit diesen Mikroorganismen zu berücksichtigen hat. Ein abschließendes
Urteil über diese Behandlung der chronischen Cystitis habe ich noch
nicht, da die klinischen Beobachtungen noch nicht zahlreich genug
sind, und ich vor allem auch über Dauerheilungen nicht berichten kann.
(Aus der Universitäts-Frauenklinik in Marburg a. L.)
Zur Diagnose und Therapie der Schwangerschaftspyelitis.
Von
W. Stoeckel.
(Mit 1 Figur.)
Die eingehenden und guten Arbeiten von Opitz!), von Barth ?), von
Mirabeau’) und von Albeck*) haben die Schwangerschaftspyelitis vor
einer weiteren Vernachlässigung seitens der deutschen Geburtshelfer glück-
lich bewahrt. Sie haben uns gezeigt, daß wir eine häufige und wichtige
Schwangerschaftskomplikation allzu lange unbeachtet gelassen haben.
Um so eifriger sollten wir uns bemühen, das Versäumte nachzuholen.
Viele Streitfragen harren noch der richtigen Beantwortung und werden
nur gelöst werden können, wenn ein möglichst umfangreiches und ein
möglichst exakt und nach einheitlichen Gesichtspunkten untersuchtes
Beobachtungsmaterial zusammenkommt.
Ich lasse zunächst die Kranken- und Geburtsgeschichten von drei
Fällen folgen, die ich innerhalb einiger Monate an der Marburger
Klinik beobachtet und behandelt habe.
Fall I. J. Nr. 33, 1908. Frau F. III para.
Pat. hatte schon früher in der Klinik wegen Retroflexio Pessare erhalten, war
wegen Endometritis curettiert und wegen Parametritis posterior mit Ichthyoltampons
behandelt worden. Sie leidet außerdem an Lungentuberkulose.
Aufnahme am 6. 1. Graviditas Mens IV.
Von seiten des Internisten (Prof. Schwenkenbecher) wird in der Lungen-
tuberkulose kein Grund zur Einleitung des Aborts erblickt, da kein Fieber besteht.
Allerdings hat das Körpergewicht in letzter Zeit um 3 kg abgenommen.
Pat. klagt über sehr heftige Schmerzen in der rechten Seite und über Schmerzen
beim Weasserlassen.
Die Cystoskopie ergibt akute hämorrhagische Cystitis von fast uni-
verseller Ausdehnung. Schleimhaut verwaschen, glanzlos, sammetartig. Im
Blasenfandus und an der linken seitlichen Blasenwand ausgedehnte submucöse
Hämorrhagien. Blasenspülung.
Doppelseitiger Ureterkatheterismus.
Linker Ureter, der genau median liegt, ist leicht bis zum Nierenbecken
durchgängig. Aus dem Katheter fließt reichlich dunkelgefärbter Urin ab, der einen
schwachen, nicht sedimentierenden Schleimnebel zeigt. Er erweist sich als frei von
Keimen, Epithelien, Zylindern und Leukocyten.
1) Zeitschrift f. Geburtshilfe u. Gyn. 1905, Bd. 55.
?) Deutsche Zeitschr. f. Chirurgie 1906.
2) Archiv f. Gynäkol., Bd. 82.
*) Zeitschrift f. Geburtshilfe u. Gyn. 1907, Bd. 60.
44 W. Stoeckel.
Rechter Ureter stark nach rechts hinten verlagert. Der Katheter trifft
ca. 12 cm oberhalb der Blase auf einen Widerstand, der sich leicht überwinden läßt.
Es entleert sich sehr viel reichlicherer Urin als links, der zudem sehr viel heller
und sehr viel stärker getrübt ist. Das Sediment enthält eine mäßige Menge Leuko-
cyten, sehr viele Colibazillen, einige Epithelien.
Es wird keine Nierenbeckenspülung gemacht, sondern es werden nur 50 ccm
einer 1°/,igen Collargollösung in die Blase injiziert, die nicht wieder abgelassen werden.
Bei anhaltender Bettruhe bessert sich das Befinden rasch. Die Schmerzen ver-
schwinden schnell. Die Qualität deg Urins ändert sich gleichfalls schon nach wenigen
Tagen. Er wird klar, die Menge der Colibakterien vermindert sich; die Bakterien zeigen
Degenerationserscheinungen.
Entlassung am 14. 3. bei sehr gutem Befinden.
Wiedervorstellung am 20. 3. Beschwerdefrei, nur noch ganz wenige Coli-
bazillen im Blasenurin.
Wiederaufnahme am 14. 6. Die Geburt ist bereits im Gange, der Blasen-
sprung schon erfolgt. In der Scheide liegt ein großes Konvolut von Nabelschnur-
schlingen; bei jeder Wehe Blutabgang. Placentargewebe nicht zu fühlen.
Wendung auf den Fuß bei fünfmarkstückgroßem Muttermund, wobei die Nabel-
schnüur bis vor die Vulva vorfällt. Vorsichtige und langsame Extraktion. Kind leicht
asphyktisch, wird wiederbelebt, wiegt 3270 g.
Im Wochenbett einige Male leichte Erhöhungen der Abendtemperatur bis
auf 38,4°. Der Urinbefund wird andauernd und genau kontrolliert und ergibt stets
einen negativen Befund: keine Formelemente, kein Eiweiß.
Bei der Cystoskopie erweist sich die Blasenwand mit Ausnahme eines mälligen
Sphinkterödems vollkommen gesund.
Der Fall ist zunächst dadurch bemerkenswert, daß die Schwangere
an Lungenphthisis litt. Er beweist, daß Nierenaffektionen bei
Tuberkulösen, insbesondere bei tuberkulösen Graviden nicht
immer tuberkulös sein müssen.
Weiterhin ist die gleichzeitig bestehende akute Cystitis, die offen-
bar aszendierend entstandene einseitige (rechtsseitige) Pyelitis und der
therapeutische Erfolg der Ureterkatheterisation zugleich mit der Cystitis-
behandlung hervorzuheben.
Fall 2. J. Nr. 145, 1908. Frau Eu., 23 J. I. gravida.
Pat. wird vom behandelnden Arzt wegen rechtsseitiger Pleuritis und unter
dem Verdachteiner akuten Genitalinfektion der Klinik überwiesen. Temp. 39,5,
Puls 120.
Beginn der Krankheit vor 4 Wochen mit Schüttelfrost und rechtsseitigen Seiten-
stichen sowie trockenem Husten. Nach 14 Tagen Besserung, dann plötzliches Wieder-
auftreten von Schüttelfrost, Fieber, Stechen und Husten. Keine Blasenbeschwerden.
Bei der Aufnahme (29. 10. 07) wird Gravidität im 4. bis 5. Monat konstatiert.
Reichliches, eitriges Scheidensekret. Rechte Niere druckempfindlich, nicht nachweis-
bar vergrößert. Palpation infolge stark gespannter Bauchdecken erschwert.
Lungenbefund: Rechts unten an umschriebenem Bezirk leises pleuritisches
Reiben. Blasenurin: schwach alkalisch, leicht getrübt mit vielen Phosphaten, zahl-
reichen Leukocyten und grammnegativen Stäbchen (Coli). Keine Zylinder, kein
Albumen, kein Zucker.
Cystoskopie: Blase normal.
Katheterismus des rechten Ureters. Der Ureterharn ist eiweißfrei, al-
kalisch. Keine Zylinder, eine mäßige Menge von Colibazillen.
Behandlung: zunächst Bettruhe, Prießnitzscher Brustumschlag, Fieberdiät,
Urotropin.
Die Temperatur schwankt in den nächsten Tagen zwischen 38,8 und 37,1 und
wird am 13. Tage normal, während die Pulsfrequenz noch hoch (110—115) bleibt.
Zur Diagnose und Therapie der Schwangerschaftspyelitis. 45
Nach dreiwöchentlicher Bettruhe wird der Versuch gemacht, die Patientin auf-
stehen zu lassen. Sofort steigt die Temperatur auf 38,7°, am nächsten Tage auf 39,6°.
Spülung des rechten Nierenbeckens mittels Ureterkatheters, der
bis zum Nierenbecken vorgeschoben wird. Es werden 2 mal je 40 ccm 3°j,ige Bor-
lösung durchgespritzt. Unmittelbar nach dem zweiten Einspritzen wird das Cystoskop
mit dem Katheter entfernt. Temperaturabfall auf 39,1°, weiterhin auf 38°.
Am nächsten Tage nochmalige Nierenbeckenspülung, 3 mal je 50 ccm
3°/ ige Borlösung. Temperaturabfall. bis auf 36,6°. |
Seitdem nur noch leichte Temperatursteigerungen am Abend bis auf 37,7°; nach
einigen Tagen normale und normalbleibende Temperatur, Puls zwischen % und 100.
29. 11. 07. Entlassung bei gutem Befinden auf dringenden Wunsch der Patientin.
Wiederaufnahme am 8. 2. 08. Pat. sieht sehr elend aus und ist sehr stark
icterisch. Sie hat keine Schmerzen oder irgendwelche Beschwerden. Lebergegend
und Nieren nicht empfindlich. Uterus gravidus mens. VIII. Kind lebt. Urin gibt
Bilirubinreaktion, enthält viel Leukocyten, viel Colibazillen und etwas Albumen.
Die Temperatur steigt am 3. Tag bis 38,1°, am 4. Tag bis 38,5°.
Cystoskopie: Blase normal.
Katheterismus des rechten Ureters. Der Katheter findet nach ca. 13 cm
einen Widerstand, nach dessen Überwindung sich sofort sehr reichlicher, sehr
heller, stark getrübter Harn entleert. Es fließen in 3 Minuten 21 ccm ab. Der
Urin enthält etwas Albumen, viel Leukucyten, viel Colibazillen.
Katheterismus des linken Ureters. Der Katheter findet keinen Wider-
stand. Es entleeren sich in 3 Minuten 4,5 com dunkelgefärbten, hochgestellten,
fast klaren Urins, der leichte Eiweißtrübung aufweist, wenig Leukocyten und
spärliche Colibazillen enthält.
Rechtsseitige Nierenbeckenspülung mit 50 ccm einer 1°, Collargol-
lösung.
Blutentnahme von 15 ccm aus der Vena basilica. Das Blut erweist sich als
steril, agglutiniert aber Colibazillen aus einem fremden Stamm. Urotropin 3 mal täglich
1 g, später je '/ą g.
Das Befinden bessert sich, Temperatur wird normal, der Puls schwankt zwischen
100 und 1156.
Am 20. 2. unter erneutem Temperaturanstieg Wehenbeginn. Die Geburt zog
sich sehr in die Länge und wurde wegen sekundärer Wehenschwäche durch Becken-
ausgangszange beendet. Starke Nachblutung infolge von Placenta succenturiata, die
manuell entfernt wird. Erhebliche Atonie, die durch kombinierte Uterusmassage,
heiße Uterusspülung, schließlich durch Uterusscheidentamponade mühsam, aber erfolg-
reich bekämpft wird. — Afebriler Wochenbettsverlauf, ziemlich rasche Abnahme des
Icterus. Urinieren stets spontan. Urin enthält zahlreiche Colibazillen und Leuko-
cyten. Nochmalige Entnahme von 30 ccm Blut aus der Vena basilica, das den
Nährboden steril läßt, dessen Serum aber einen aus dem Kot der Patientin gezüchteten
Colistamm agglutiniert.
Das Kind entwickelt sich in der Couveuse gut und ist weiterhin gut gediehen.
Pat. stellt sich nach einigen Wochen wieder vor, sieht dick und wohl aus.
Besonders bemerkenswert waren die Erscheinungen schwerer All-
gemeinintoxikation, der hochgradige Icterus, sowie der günstige Einfluß
der lokalen Behandlung mit dem Enderfolg einer allerdings etwas früh-
zeitig erfolgten Geburt eines lebenden und lebendgebliebenen Kindes.
Fall 3. J. Nr. 324, 1908. Frau Kr.
I. gravida. Wurde vom Hausarzt persönlich mit der Diagnose „akute Perity-
phlitis intra graviditatem‘‘ in die Klinik gebracht. Der Arzt drängte zur Operation.
Graviditas Mens IX. Seit ca. 5 Wochen bestanden leibschmerzen, die
rechts hinten begonnen hatten, seit ca. 3 Wochen machten sich auch im rechten
Hypogastrinm Schmerzen geltend, aber nur bei Bewegungen. In der letzten Zeit
häufiges Erbrechen. Keine Urinbeschwerden. Obstipation.
46 W. Stoeckel.
Der Urin enthält Spuren von Albumen, sehr reichlich grammnegative Stäbchen,
wenige grammpositive Kokken.
Deutliche Druckempfindlichkeit in der Gegend des McBurneyschen Druckpunktes,
der rechten Niere, sowie der Gallenblase und Milz.
Starker vaginaler Fluor, der keine pathogenen Keime enthielt. Pat. bekommt
bald nach der Aufnahme einen Schüttelfrost. Temperatur 39,8°, Puls 100.
Cystoskopie: Blase normal. Trigonum sehr stark injiziert.
Rechtsseitiger Ureterkatheterismus. Der Katheter stieß nach ca. 13 cm
auf Widerstand, der leicht überwunden wird. Es fließt sehr reichlich trüber Urin ab;
die Trübung nimmt im Laufe der Entleerung immer mehr zu. Nierenbeckenaus-
spülung mit 100 ccm 3°/,iger Borlösung. Temperaturabfall bis auf 36,8°. Puls 94.
Schmerzen völlig verschwunden. — Am Abend des nächsten Tages steigt die Tempera-
tur wieder auf 38,2°, Puls 104. — Am Abend des folgenden Tages 39°, Puls 100.
Nochmalige rechtsseitige Nierenbeckenspülung. Der Katheter wird
28 cm hoch hinaufgeführt. Es fließt eine große Menge Urin von der gleichen
Qualität wie bei der ersten Spülung ab. Durchspülen mit 100 eem Borlösung in
2 Portionen.
Der Urin enthielt reichlich Colibazillen, keine Zylinder, ganz geringe Eiweiß-
trübung, Spuren von Indikan.
Katheterismus des linken Ureters. Der Urin zeigt ebenfalls geringe Ei-
weißtrübung und einige grammpositive kurze Stäbchen.
Temperaturabfall bis auf 37,8°. Puls 100. Völlige Schmerzfreiheit. Nach
einigen Tagen völlig normale Temperatur mit andauernd ruhigem Puls (80). Dieses
gute Befinden bei völliger Schmerzfreiheit hält während der nächsten 24 Tage an und
wird auch durch Aufstehen und Herumgehen der Patientin nicht beeinflußt.
Entlassung am 2. Mai. Der Blasenurin enthält noch Colibazillen.
Am 7.5. Wiederaufnahme. Am 8. 5. Geburt eines ausgetragenen Kindes mittels
Forceps (mangelnde Bauchpresse). — Die Wöchnerin verläßt nach völlig normalem
Wochenbett am 6. Tage das Bett und wird am 13. Tage p. partum entlassen.
Der Urin enthielt noch spärliche Leukocyten und vereinzelte Colibazillen.
Das Kind war ausgetragen und wog bei der Geburt 2590 g.
Als feststehend und sichergestellt können wir betrachten:
1. daß es fraglos eine in der Gravidität entstehende und durch die
Gravidität bedingte Pyelitis gibt;
2. daß bei dem Zustandekommen dieser Pyelitis die Harnstauung
in den Ureteren eine wichtige Rolle spielt;
3. daß der Pyelitisharn in der Regel Colibazillen in Reinkultur
oder mit anderen Keimen gemischt enthält;
4. daß die rechtsseitige Erkrankung wesentlich häufiger und wesent-
lich intensiver zu sein pflegt, als die linksseitige.
Völlig unklar aber ist zunächst die Ätiologie in ihren feineren
Details. An Erklärungsversuchen, Vermutungen und Behauptungen
fehlt es freilich nicht. Was aber noch fehlt, das sind die bündigen
Beweise für die vorgebrachten Hypothesen.
Der Hauptstreit betrifft die Art des Hineingelangens der Coli-
bakterien in den Harn.
Die Mehrzahl der Autoren, unter ihnen auch Opitz und Albeck,
nimmt eine aszendierende Infektion von den äußeren Genitalien durch
Urethra und Blase in die Ureteren an. — Die Minderzahl, zu der be-
sonders französische Forscher gehören, hält eine Durchwanderung der
Zur Diagnose und Therapie der Schwangerschaftspyelitis. 47
Darmwand seitens der Colibakterien und ihren Transport ins Nieren-
becken auf dem Blutwege für möglich.
Ich habe mich bereits früher für die aszendierende Infektion aus-
gesprochen, und ich möchte an dieser Ansicht auch jetzt noch fest-
halten — wenigstens für einen Teil der Fälle.
So habe ich in einem Falle bei einer Graviden im 9. Monat der Schwangerschaft
durch Cystoskopie und Ureterkatheterismus neben einer leichten Cystitis einen
trüben, Colibakterien und Leukocyten enthaltenden Harn in derunteren
Hälfte und zwar bis zu einer offenbar durch Kompression verengten
Stelle des rechten Ureters nachweisen können.
Der obere Abschnitt des rechten Ureters und das rechte Nierenbecken enthielt
klaren Urin, ebenso der linke Ureter und das linke Nierenbecken.
Es handelte sich also vielleicht um eine im Entstehen begriffene rechtsseitige
Pyelitis, die sich noch als partielle Ureteritis präsentierte.
In gleicher Weise zu beurteilen ist auch der oben mitgeteilte Fall 1, wo eine
akute, hämorrhagische Cystitis mit beginnender rechtsseitiger Pyelitis festzustellen war.
Es wäre gezwungen, bei derartigen Beobachtungen an etwas
anderes als an eine aszendierende Infektion, an ein etappenmäßiges
Emporwandern der Colibazillen zu denken.
Andere Fälle sind aber nicht so eindeutig. Ich verweise ins-
besondere auf Fall 2, wo die schweren Allgemeinsymptome und der
hochgradige Icterus den Eindruck erweckten, als habe sich eine durch
Colibazillen hervorgerufene Allgemeininfektion im Nierenbecken lokalisiert.
Beweisen läßt sich diese Annahme selbstverständlich nicht. Der Ein-
wurf, daß die Pyelitis nicht als die Folge der allgemeinen Infektions-
resp. Intoxikationserscheinungen, sondern als ihre Ursache anzusehen
sei, ist jedenfalls berechtigt, und die Vorstellung, daß die Colibazillen
vom Nierenbecken aus in die Blutbahn gelangen, bereitet nicht mehr
Schwierigkeiten wie die Annahme, daß sie die Darmwand passieren.
Eine anatomische Tatsache, die diese hypothetische Darmdurchwanderung
während der Schwangerschaft verständlich macht, fehlt jedenfalls bisher.
Ich möchte glauben, daß diese Dinge ein dankbares Objekt für die
weitere experimentelle Forschung bilden.
Wie auch die Coliinfektion zustande kommen mag, keineswegs
bildet sie das eigentlich Typische des Krankheitsfeldes.
Vielmehr muß als das Wesentliche des gesamten Prozesses die
Harnstauung im Ureter und zwar vorwiegend im rechten Ureter an-
gesehen werden.
Wie und an welcher Stelle diese Stauung eintritt, wird ebenfalls
noch durch weitere Studien erforscht werden müssen. Daß die Gra-
vidität resp. der gravide Uterus unter den ursächlichen Momenten die
Hauptrolle spielt, unterliegt keinem Zweifel. Alles Weitere aber ist
vorläufig noch Hypothese. Man hat einen direkten Uterusdruck auf
die Ureteren angenommen, man hat an eine Aufquellung der Ureter-
schleimhaut gedacht unter der Voraussetzung, daß die Ureterschleimhaut
an der universellen Gräviditätshyperämie in kleinen Becken teil-
nimmt — man hat endlich auf den verschiedenen Verlauf des rechten
und linken Ureters verwiesen und gemeint, daß die schon normaler-
48 W, Stoeckei.
weise vorhandene Winkelbildung am rechten Ureter infolge seiner Ver-
lagerung durch den schwangeren Uterus eine Verstärkung erfahre (Opitz).
Alles das ist durchaus möglich.
Ich möchte aber auch zu erwägen geben, ob nicht die schon
physiologisch engen Stellen des Ureters infolge der eben erwähnten
Momente sich intra graviditatem zu pathologischen Verengerungen
ausbilden können. Wir kennen 3 solche, schon normalerweise vor-
kommenden Verengerungen. Die I. liegt dicht am Nierenbecken, die
II. ungefähr an der Stelle, wo der Ureter die Linea innominata über-
schreitet, die III. kurz vor dem Eintritt des Ureters in die Blasenwand.
Ich vermute, daß bei der Graviditätspvelitis an der mittleren Ver-
engerung die Harnstauung erfolgt. Man findet in typischen Fällen auch
eine typische Druckempfindlichkeit am MeBurneyschen Punkt Man
findet ferner beim Ureterkatheterismus ca. 10—13 cm hinter der Ureter-
mündung eine Stelle, an der der Ureterkatheter aufgehalten zu werden
` pflegt. Der äußere Druckpunkt und die Arretierungsstelle des Katheters
liegen also etwa in gleicher Höhe und fallen mit der physiologischen
Verengerung in der Uretermitte ziemlich zusammen.
Ich will nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, daß das Ergebnis
des Ureterkatheterismus in dieser Beziehung auch leicht täuschen kann.
Der Katheter kann auf seinem Wege zum Nierenbecken auch an
anderen Stellen aus verschiedenen Ursachen aufgehalten werden. So kann
beispielsweise ein Ureterspasmus eintreten, oder die Katheterspitze kann
sich in der Ureterschleimhaut verfangen. Dem muß natürlich Rechnung
getragen werden, und es wird in Zukunft darauf geachtet werden müssen,
ob eine typische Arretierungsstelle in einer bestimmten Entfernung
oberhalb der Blase in einer großen Anzahl von Fällen bei technisch
guter Untersuchung sich feststellen lassen wird. Nur wenn das der
Fall sein sollte, würde meine Annahme, daß diese Stelle tatsächlich die
Stauungsstelle des Harns ist, berechtigt sein.
Wie verhalten sich nun Infektion und Stauung zeitlich zuein-
ander? Ich neige zu der Ansicht, daß die Stauung das Primäre ist.
Ich schließe das besonders aus den anamnestischen Angaben. Ich habe
sowohl in den vorstehend mitgeteilten als auch in früher beobachteten
Fällen gefunden, daß man bei genauem Zufragen ziehende Kreuz-
schmerzen und leichte Seitenschmerzen als die Anfangsbeschwerden
feststellen kann. Und diese Beschwerden spreche ich als die ersten
Stauungssymptome an. Ich bin überzeugt, daß sie sehr viel häufiger
vorhanden sind, als man annimmt, weil sie sicher bei Bettruhe oft
wieder zurückgehen, ohne daß es überhaupt zu einer Pyelitis kommt.
Ich habe in der letzten Zeit auch in mehreren solchen Fällen die
Ureteren katheterisiert und eine ausgesprochene Urinstauung, ins-
besondere rechts nachweisen können. Der Urin war aber normal. klar
und steril und die Patientinnen wurden schmerzfrei. ohne je gefiebert
zu haben.
Ich weiß wohl, daß die Ansicht vertreten und von Albeck durch
Zur Diagnose und Therapie der Schwangerschaftspyelitis. 49
seine vorzüglichen und exakten Untersuchungen auch gut begründet
wird, daß in einem Prozentsatz der Fälle bereits vor der Gravidität
eine Infektion vorhanden gewesen sein könnte, dann also als das Primäre
anzusprechen wäre. Ich will die Richtigkeit dieser Ansicht keineswegs
bestreiten und nur bemerken, daß ich sie nach meinen bisherigen Er-
fahrungen zunächst nicht teilen kann. Jedenfalls ist auch dieser Punkt
noch weiterer Aufklärung bedürftig.
Ich möchte hier eine Beobachtung einschalten, die mir zu be-
weisen scheint, daß sich aus der einfachen Stauung zunächst eine
eitrige Harntrübung ohne Infektion entwickeln kann.
Fall 4. J. Nr. 538, 1908.
III. para im 7. Monat der Gravidität. Seit 14 Tagen starke Kreuz- und auch
rechtsseitige Leibschmerzen. Der Urin enthält Leukocyten, keine Bakterien.
Rechtsseitiger Ureterkatheterismus. Beim Einführen des Katheters
fließt in normaler Menge leicht getrübter Harn ab. Beim Hochschieben des Katheters
wird die Sekretion plötzlich sehr viel reichlicher.
Der Urin ist eiweißfrei, enthält reichlich Epithelien, mäßig viel Leukocyten,
keine Bakterien.
4 Tage später doppelseitiger Ureterkatheterismus. Urin beiderseits klar
und völlig normal. Die geimpften Bouillonröhren bleiben völlig steril.
Die Schmerzen verschwinden. Pat. wird mehrere Tage später geheilt entlassen.
Ich schließe aus dieser Beobachtung natürlich nicht, daß man sich
die Entwicklung des Prozesses immer so zu denken hat, daß auf die
primäre Stauung zunächst die Pyurie folgt, aus der sich schließlich
durch Bakterieninvasion das eigentliche Krankheitsbild der Pyelitis ent-
wickeln kann. Dagegen sprechen schon die häufigen Befunde von
reiner Bakteriurie des Ureterharns ohne jede Eiterbeimischung und die
Tatsache, daß viele derartige Bakteriurien auch Bakteriurien bleiben
und niemals Pyurien werden. Aber daß es auch Graviditäts-Pyurien
ohne Bakterienbeimischung gibt, die unter den klinischen Erscheinungen
einer leichten Graviditätspyelitis verlaufen, ist jedenfalls beachtenswert.
Die diagnostischen Schwierigkeiten sind verschieden, je nach-
dem es sich um Fälle mit oder um Fälle ohne Blasensymptome handelt.
Die Fälle mit Blasenerscheinungen scheinen seltener zu sein. Bei
ihnen wird durch die Schmerzen beim Urinieren, den Harndrang, den
Eitergehalt des Urins auch bei oberflächlicher Untersuchung die Dia-
gnose auf eine Erkrankung des Harnapparates hingelenkt.
Der bei dieser Gruppe wohl nicht ganz selten begangene dia-
gnostische Fehler besteht darin, daß die Diagnose unvollkommen gestellt,
daß die Cystitis wohl richtig erkannt, die Pvelitis aber übersehen wird.
Das mikroskopische Harnbild allein gibt auch keine genügenden Auf-
schlüsse. Woher die Leukocyten, die Epithelien. die Coli- und anderen
Bazillen stammen, kann man ihnen nicht ansehen. Nur durch die
Cystoskopie und den doppelseitigen Ureterenkatheterismus kann man
einwandfrei feststellen, ob die Erkrankung über die Blase hinausreicht
oder nicht. Und deshalb muß diese Untersuchungsmethode bei jeder
Schwangerschaftscystitis, die trotz sachgemäßer Behandlung nicht zurück-
geht, vorgenommen werden.
Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 4
50 W. Stoeckel.
Die zweite Gruppe, die Fälle ohne alle Blasenerscheinungen, werden
ebenfalls oft verkannt.
Bei ihnen wird die Diagnose durch die klinischen Erscheinungen
zuweilen in ganz falsche Bahnen gelenkt.
Die Klagen über heftige Rücken- und Leibschmerzen, das Vor-
handensein des McBurneyschen Druckpunktes, die plötzlich, oft unter
Schüttelfrösten auftretenden Fieberattacken, das unter Umständen schwer
gestörte Allgemeinbefinden, heftiges Erbrechen, der zuweilen sich ent-
wickelnde Icterus lassen den unerfahrenen Untersucher an Perityphli-
tiden, Gallenblasenaffektionen, Gallenkoliken, Adnexerkrankungen, intra-
peritoneale Infektionsherde eher als eine Pyelitis denken. Da Blasen-
symptome absolut fehlen, da der bazillenhaltige Urin unter Umständen
nur schwach getrübt ist, wenig oder gar keine Leukocyten enthält, so
kann auch die oberflächliche mikroskopische Harnuntersuchung, sofern
sie wirklich ausgeführt wird, die Situation manchmal nicht klären.
Die Verwechslung mit Perityphlitis ist besonders naheliegend und
besonders verhängnisvoll. Ist die Appendicitis an sich schon ein
drohendes Gespenst geworden, so ist sie es bei einer Graviden in er-
höhtem Maße. Der begründete Verdacht auf eine Wurmfortsatz-
erkrankung rechtfertigt in der Gravidität unbedingt die sofortige Lapa-
rotomie. Und gerade deshalb muß die Differentialdiagnose mit Pyelitis
sicher gestellt werden. Jedenfalls soll man den McBurneyschen Druck-
punkt keine entscheidende Rolle zugunsten der Appendicitis spielen
lassen. Ich denke bei einer Graviden, die diesen Druckpunkt aufweist
und über rechtsseitige Schmerzen klagt, immer zuerst an Pyelitis und
lege außerdem großen Wert auf die nachweisbare Druckempfindlichkeit
der Niere, sowie auf die Qualität des Pulses, der selbst bei starker Be-
schleunigung und hohen Temperaturen niemals einen peritonealen Cha-
rakter zeigt, wenn es sich um Pyelitis handelt.
Entscheidend ist natürlich die genaueste Untersuchung des Urins
und der Harnorgane. Der Urin muß bei allen Graviden, die fiebern
oder über Leib- und Rückenschmerzen klagen, auf das allersorgfältigste
auf seinen Eiter und Bakteriengehalt geprüft werden, wobei besonders
auf die Anwesenheit von Coli (Grammfärbung und Kultur) zu achten
ist. Bei abnormem Urinbefund wird selbstverständlich die Cystoskopie
und der doppelseitige Ureterkatheterismus ausgeführt, der über den
Grad der Harnstauung sicheren Aufschluß gibt und das Sekret jeder
Niere derselben genauen und detaillierten Untersuchung zugänglich
macht, der der Blasenharn unterworfen wird. Geht man prinzipiell so
vor, aber auch nur dann, so wird man jede Pyelitis erkennen, jeden
differentialdiagnostischen Zweifel beseitigen und ein für die wissen-
schaftliche Verarbeitung wirklich wertvolles Untersuchungsmaterial sam-
meln können.
Nun zur Therapie!
Ich möchte leichte, mittelschwere und ganz schwere Fälle
unterscheiden und nach folgendem Schema gruppieren:
Zur Diagnose und Therapie der .Schwangerschaftspyelitis. 51
1. Leichte Fälle = beginnende Stauung im Ureter ohne Harn-
infektion (Hydrureter);
2. mittelschwere Fälle = ausgebildete Stauung mit Harninfek-
tion durch Coli (Bakteriurie, Pyurie, Pyureter, Pyelitis);
3. ganz schwere Fälle = verschleppte Fälle mit Nierenvereiterung
durch Mischinfektion (echte Pyonephrosen).
Jedes Schema ist bedenklich und kann sich bei genauerer Forschung
leicht als falsch herausstellen. Auch das Vorstehende wird vielleicht
bald einer Korrektur unterworfen werden müssen; es soll auch nur
meine jetzige Ansicht wiedergeben und zur Diskussion anregen. Ins-
besondere wird noch klarzustellen sein, ob in der Tat die Mischinfek-
tionen, besonders durch Streptokokken + Colibazillen, durchschnittlich
schwerer verlaufen als die reinen Coliinfektionen, und ob den ganz
schweren Fällen stets Mischinfektionen zugrunde liegen.
Für die leichten Fälle, in denen sich also die ersten Stauungs-
symptome durch leichte Kreuz- und rechtsseitige Leibschmerzen be-
merkbar zu machen pflegen, ist das beste Heilmittel die Bettruhe.
Sie bringt tatsächlich‘oft genug völlige Gesundung und beseitigt auch
Rezidive, wenn sie nur rechtzeitig angewendet und lange genug ein-
gehalten wird. In diesen Anfangsstadien halte ich die Verordnung der
Diuretica und die Verabreichung der Harnantiseptica per os für unnötig.
Bei den schwereren Fällen, bei denen sich die Harnstauung bereits
mit der Harninfektion kombiniert, bei denen die Schmerzen heftig sind,
Fieber mit Frösten, eventuell auch schon mit Allgemeinerscheinungen
aufgetreten ist, kann eine Spontanheilung ohne jeden Eingriff auch
durchaus erfolgen.
Wenn aber Schmerzen und Fieber trotz strengster Ruhelage, trotz
Urotropin, Helmitol und Natrium benzoicum nicht in wenigen Tagen ver-
schwinden, dann müssen Harnstauung und Infektion direkt bekämpft
werden. |
Geschieht das nicht, so ist die Entwicklung der schwereren Fälle
zu ganz schweren und der Eintritt von Komplikationen, die Ausbildung
schwerer Intoxikation, das Übergreifen der Infektion auf das Nieren-
gewebe mit Entwicklung echter Pyonephrosen, die frühzeitige Unter-
brechung der Gravidität infolge einer schweren Allgemeininfektion zu
befürchten. |
Um dem infizierten Stauungsharn Abfluß zu verschaffen, kann man
1. den künstlichen Abort ausführen,
2. den Harnleiterkatheterismus mit oder ohne Nierenbeckenspülung
anwenden,
3. durch Nephrotomie ein Nierenfistel anlegen.
Die Schwangerschaftsunterbrechung als Heilmittel der
Schwangerschaftspyelitis ist unbedingt zu verwerfen. Sie ist
ja sehr.bequem auszuführen, sie ist vor allem auch von sehr prompter
Wirkung, da nach Entleerung des Uterus die Pyelitis ohne jede weitere
Nachhilfe zu verschwinden pflegt. Man behandelt also ganz wissen-
4*
52 W. Stoeckel.
schaftlich, sozusagen ätiologisch, wenn man durch den künstlichen Abort
resp. die künstliche Frühgeburt die Entstehungsursache der Pyelitis fort-
schaff. Aber prinzipiell falsch bleibt dieses Vorgehen deshalb doch.
Wir betonen heutzutage ganz besonders akzentuiert „das Recht des
Kindes auf das Leben“, und wir müssen deshalb auch die praktischen
Konsequenzen dieses prinzipiellen Standpunktes ziehen.
Bei einer Graviden, die vor der Konzeption bereitskrank
war oder nach der Konzeption krank wird, muß die Er-
krankung als Komplikation der Gravidität und nicht um-
gekehrt die Gravidität als Komplikation der Erkrankung an-
gesehen werden.
Die Schwangerschaftsunterbrechung kommt nur als ultimum refu-
gium in Betracht und würde bei der Pyelitis nur dann zu billigen
sein, wenn andere Maßnahmen von der gleichen günstigen Wirksamkeit
uns nicht zu Gebote ständen.
Ein solches Zeugnis therapeutischer Machtlosigkeit brauchen wir
uns aber heute nicht mehr auszustellen.
Wir können die Pyelitis bei und trotz weiterbestehender Gravidität
heilen, und wenn wir das können, so müssen wir es in jedem Fall
auch versuchen.
Man kann eigentlich nicht behaupten, daß die beiden dafür in Be-
tracht kommenden Methoden, der Harnleiterkatheterismus und die Ne-
phrotomie wirklich miteinander konkurrieren. Dazu sind sie zu un-
gleichmäßig. Die Nephrotomie ist allerdings weder eine technisch sehr
schwere, noch auch eine sehr eingreifende Operation, aber es ist doch
immer eine Operation.
Der Harnleiterkatheterismus ist nichts anderes, als es der Blasen-
katheterismus auch ist. Ebenso wie wir dem cystitischen Urin durch
den Blasenkatheter und nicht gleich durch eine künstlich angelegte
Blasenfistel Abfluß verschaffen, ebenso werden wir den Pyelitisharn
naturgemäß durch den Ureterkatheter anstatt durch eine Nierenfistel
entleeren.
Irgendwelche technische Schwierigkeiten für die Cystoskopie und
den Harnleiterkatheterismus sind durch die gleichzeitig bestehende Gra-
vidität nicht gegeben. Das darf ich auf Grund meiner genügend großen
Erfahrung mit aller Sicherheit behaupten.
Es ist sogar meine feste Überzeugung, daß jede vaginale Explora-
tion für eine Schwangere unangenehmer und gefährlicher ist als das
Katheterisieren der Ureteren.
Dazu kommt, daß wir den Ureterenkatheterismus schon bei der
Diagnosenstellung der Pvelitis garnicht entbehren können. Wir müssen
ihn also ausführen und haben den großen Vorteil, daß wir bereits
zweckmäßig behandeln, während wir noch diagnöstizieren. Der Satz
„wer gut diagnostiziert, wird gut heilen“ läßt sich dahin variieren, daß
man sagt „wer eine Pyelitis genau, d. h. durch den Ureterkatheterismus
diagnostiziert, der hat sie unter Umständen schon geheilt“. Daß die
Zur Diagnose und Therapie der Schwangerschaftspyelitis. 53
Die Patientin liegt in gewöhnlicher Steißrückenlage. Das Knochengerüst ist markiert.
Das Zystoskop ist in „kathetergerechter‘ Stellung im Stativ fixiert. In den rechten
Katheter ist ein „Zebra-Ureterkatheter‘‘ bis ins Nierenbecken hinein vorgeschoben. Der
Pavillon des Katheters ist mittels eines kurzen Gummischlauches mit einer Spritze ver-
bunden, deren Inhalt durch den Katheter ins Nierenbecken hinein ausgespritzt wird.
54 W. Stoeckel.
einmalige Katheterentleerung des gestauten Ureterharns genügen kann,
um Schmerzen und Fieber dauernd zu beseitigen, ist jedenfalls zweifel-
los. Das beweist der oben mitgeteilte Fall 3 ebenso wie die Beob-
achtungen von Barth. Ebenso sicher ist es andrerseits, daß die günstige
Wirkung nur vorübergehend sein, daß die Temperatur wieder ansteigen
kann, daß die Schmerzen rezidivieren können.
Dann ist eine einmalige und selbst vielfache Wiederholung des
doppelseitigen resp. des rechtsseitigen Ureterkatheterismus durchaus
richtig und angebracht. Ich glaube allerdings, daß man bei therapeu-
tischer Erfolglosigkeit des ersten, also des diagnostischen Ureterkathe-
terismus den nochmals ausgeführten besser gleich mit einer Nieren-
beckenspülung verbindet.
Diese Methode ist bei uns fast unbekannt und gilt wohl auch für
gefährlich und kompliziert. Wenn meine eigenen Erfahrungen auch
noch gering sind, so habe ich mich von der außerordentlich leichten
Ausführbarkeit und von der recht günstigen Wirksamkeit der Nieren-
beckenspülung doch überzeugen können.
Ich schiebe den Ureterkatheter vorsichtig und allmählich bis ins
Nierenbecken, fixiere das Cystoskop in meinem Stativ und fange den
abfließenden Ureterharn in einem Reagenzglas auf, um ihn auf seine
Trübung zu prüfen.
Sodann verbinde ich den Pavillon des Katheters mittels eines
Gummischlauches mit einer sehr gut und sehr leicht gehenden, 50 ccm
fassenden Stempelspritze, deren Inhalt ich unter sehr schwachem und
ganz gleichmäßigem Drucke langsam durch den Katheter ins Nieren-
becken hinein ausspritze (cf. Figur).
Die ausgespritzte Flüssigkeit läuft aus dem Nierenbecken neben
dem Katheter nach der Blase zurück, wenn der Katheter dünn ist und
das Ureterlumen nicht völlig ausfüllt. Nach Abnahme der Spritze fließt
auch aus dem Katheter ein Teil der Spülflüssigkeit zurück. Er wird
in einem Spitzglas aufgefangen und wiederum auf seine Trübung hin
geprüft. Von dem Grad der noch bestehenden Trübung hängt es ab, ob
ich die Durchspülung noch 1 oder 2 mal in derselben Sitzung wiederhole.
Die Benutzung des Stativs ist bei der ganzen Prozedur besonders
wichtig. Man benötigt es unbedingt, wenn man ohne Assistenz arbeiten
will. Man kann aber auch jede Assistenz entbehren, wenn man es
benutzt,
Das Cystoskop liegt absolut ruhig in gut kontrollierter Stellung, so
daß es die Blasenwand nicht berührt. Es braucht nicht gehalten zu
werden. Der Untersucher hat beide Hände frei; er kann die Licht-
leitung, die während der Spülung abgestellt werden kann, jederzeit
wieder anstellen, um den Rückfluß der Spülflüssigkeit in die Blase zu
kontrollieren. Er kann jederzeit den Katheter, der manchmal nicht
gleich bis zum Nierenbecken gelangt, mehr vorschieben oder mehr
zurückziehen — kurz alle Manipulationen sehr bequem ausführen,
ohne die Patientin im geringsten zu belästigen. Wer diese Vorteile
Zur Diagnose und Therapie der Schwangerschaftspyelitis. 55°
für nebensächlich hält, der versuche einmal, an Stelle des Stativs die
Hand eines Assistenten zur Fixierung des Cystoskops während der
Spülung zu benutzen und er wird sehen, wieviel komplizierter und wie-
viel lästiger für die Patientin die Sache wird. Bei derartigen Behand-
lungsmethoden spielen eben technische Kleinigkeiten oft eine ausschlag-
gebende Rolle.
Ich habe die Nierenbeckenspülung zunächst als ein Mittel zur
schnelleren und ausgiebigen Wegschaffung des infizierten Urins ange-
sehen und dementsprechend eine indifferente Spülflüssigkeit, eine 3 \,ige
Borsäurelösung benutzt.
Ich habe in einem Fall eine 1°/,ige Collargollösung, die sich mir
bei der Cystitisbehandlung ganz außerordentlich bewährt hat, auch zur
Nierenbeckenspülung benutzt, ohne davon allerdings eine bessere Wirkung
zu sehen.
Ich werde aber in Zukunft auch noch andere Mittel, insbesondere
10°), .ige Argentumlösungen prüfen, um festzustellen, ob es mehr auf
eine mechanische Säuberung oder auf eine antibakterielle Einwirkung an-
kommt. Ich werde weiter versuchen, ob man mit Instillationen einiger
ccm stärkerer Argentumlösungen, vielleicht 1°,., bessere Resultate
erhält als beim Durchspülen schwacher Lösungen, oder ob es vielleicht
‘richtig ist, an eine mechanische Säuberung des Nierenbeckens mittels
Spülung eine energisch antiseptisch wirkende Instillation anzuschließen.
Das alles sind noch zu prüfende Erwägungen.
Man darf nicht befürchten, daß die geschilderten Manipulationen
schmerzhaft sind oder irgendwelche unangenehmen Begleiterscheinungen
zeitigen. Die Patientinnen empfinden dabei nicht die geringste Belästigung,
wenn man nur den Druck sorgfältig dosiert und nicht plötzlich verstärkt.
Man muß sich allerdings darüber klar sein, daß man mit keiner
einzigen Methode die Pyelitis in dem Sinne heilen kann, daß der Urin so-
fort bazillenfrei wird und bazillenfrei bleibt. Das gelingt weder durch den
Ureterkatheterismus noch durch die Nierenbeckenspülung, noch durch
Nephrotomie, selbst nicht durch den spontanen oder den künstlich herbei-
geführten Geburtseintritt. Der Urin bleibt stets noch wochenlang, ja
monatelang colihaltig. Diese Colibakteriurie hat aber nichts zu be-
deuten, wenn kein Passagehindernis für den Urin eintritt. Die Stauung
allein macht die wirkliche Erkrankung; die Stauung vor allem muß
also beseitigt werden. Und das hat mir die einmal oder wiederholt
angewendete Nierenbeckenspülung geleistet. Die Frauen wurden fieber-
und schmerzfrei, haben lebende Kinder geboren und sind post partum
gesund geworden. Und deshalb glaube ich, die Methode ist empfehlens-
wert. Wieweit ihre Leistungsfähigkeit geht, weiß ich noch nicht. Ich
glaube aber, daß sie, rechtzeitig angewendet, zu einer Verminderung
jener schweren Fälle führen wird, bei denen sich aus der Pyelitis eine
tiefgreifende, nur noch durch Nephrotomie in Angriff zu nehmende
Pyonephrose entwickelt hat.
Der gegenwärtige Stand der Nierendiagnostik.
Von
Dr. Richard Knorr, Berlin.
Der moderne Stand der funktionellen Nierendiagnostik ist, soweit
sie für den Frauenarzt in Betracht kommt, in dem ausgezeichneten
Werke von Döderlein und Krönig in klarer übersichtlicher Weise
geschildert worden, so daß auch derjenige, der über dieses dem Gynä-
kologen abseits liegende Gebiet weniger orientiert ist, sich im Bedarfs-
falle rasch zurechtfinden kann. Auch ich selbst habe entsprechend der
Bedeutung der funktionellen Nierendiagnostik für den operativen Gynä-
kologen dieselbe in meiner „Cystoskopie und Urethroskopie beim Weibe“
in kurzer Form geschildert und dabei das für den Praktiker brauchbarste
Verfahren beschrieben.
Da es sich hier um ein Gebiet handelt, auf dem noch sehr vieles
strittig ist und da hier in rascher Aufeinanderfolge neue Arbeiten er-
scheinen, die geeignet sind, unsere Anschauungen stetig zu modifizieren,
ist es zweckmäßig, in kürzeren Zwischenräumen kritische Umschau in
der Literatur zu halten.
Dies ist hier um so melır am Platze, als dem Gynäkologen manche
der in chirurgischen oder urologischen Zeitschriften erschienenen Arbeiten
weniger bekannt werden.
Außerdem möchte ich hier ganz kurz über Erfahrungen berichten,
die ich mit einem neuen Instrumente zum Auffangen des Harnes aus
dem Ureter, das R. Kutner konstruierte, gewonnen habe.
Als Methode der funktionellen Diagnostik habe ich auch weiterhin
die Casper-Richtersche Methode angewendet, in der letzten Zeit aber
auch die Indigokarminprobe herangezogen und, soweit ich aus den noch
zu geringen Beobachtungen schließen kann, Gutes von ihr gesehen.
Auf Grund meiner Erfahrungen und mit Berücksichtigung der
neuesten urologischen Literatur will ich versuchen, den gegenwärtigen
Stand der funktionellen Nierendiagnostik zu schildern.
In zweifacher Hinsicht. ist man bestrebt eine Verbesserung dieser
Methode herbeizuführen:
1. nach der instrumentellen Seite hin, durch Vervollkommnung
der Verfahren zum getrennten Auffangen des Harnes beider Seiten,
2. in physiologischer Beziehung, indem die chemische und
physikalische Untersuchung verbessert und die Prüfung der Nierenarbeit
mittels verschiedener Reagenzien noch weiter vervollkommnet wird.
Der gegenwärtige Stand der Nierendiagnostik. 57
Was den ersten Punkt anlangt, die Harngewinnung, so nehmen die
„gynäkologischen Urologen“ aus begreiflichen Gründen eine spezielle
Stellung ein. Bei der großen Leichtigkeit, mit der beim Weibe der
Katheterismus der Ureteren und die Separation des Urins ausgeführt
werden kann, bei der Möglichkeit, dickere Ureterkatheter als beim Manne
einführen und auch länger liegen lassen zu können, sind wir in der
Lage, die Trennung beider Harne viel exakter und vollständiger
durchzuführen, wie dies beim Manne geschieht.
Diese Tatsache ist für die Auswahl der einzelnen Methoden von
großer Bedeutung. So ist es z. B. bei Ausführung des Albarranschen
Verfahrens, bei der die gesamte Menge des Harnes eines jeden Ureters
ohne Verlust zu messen ist, sehr wichtig, möglichst dicke Katheter zu
wählen, die den Ureter genügend ausfüllen, damit kein Harn nebenbei-
fließt, wodurch die quantitative Methode völlig ihren Wert verlieren
würde.
Pereschiwkin (Zeitschr. f. Urologie, Bd. I, Heft 10) hat nun nach-
gewiesen, daß die neben dem Ureterkatheter vorbeifließende Menge Harn
recht bedeutend sein kann, ja sogar die Hälfte des ganzen Quantums
betragen kann.
Wir ersehen daraus, daß wir bei allen quantitativen Proben, wie bei
Feststellung der beiderseitigen Harnmenge, möglichst dicke Katheter (bis
zu 8° Charriöre) eventuell eigene Obturationskatheter mit knopfartiger
Anschwellung verwenden müssen.
Der Nitzesche Okklusivkatheter hat sich bis jetzt nicht in die
Praxis eingeführt, und zwar deshalb, weil seine Herstellung viel zu teuer
kommt.
Um die Gefahr der Infektion durch den Ureterkatheter sowie eine
Blutbeimengung zum Ureterharne zu vermeiden und insbesondere den-
selben ohne Verlust zu erhalten, hat ganz kürzlich R. Kutner ein neues
Verfahren der Ureterharngewinnung erdacht und daraufhin ein sehr
praktisches Instrument konstruiert, das, wie ich selbst an mehreren Fällen
feststellen konnte, recht zweckmäßig ist.
Die neue Methode, über die eine vorläufige Mitteilung in der
Zeitschr. f. ärztliche Fortbildung, Nr. 17, 1908, erschienen ist, beruht
darauf, daß das Cystoskop außer der üblichen Optik und Lampe zwei
Kanäle enthält, deren einer dazu bestimmt ist, mittels einer Luftpumpe
das Instrument zum Ansaugen an die Blasenwand zu bringen,
während der andere Kanal zur Ableitung des Harnes dient. An der
abgeplatteten Spitze des Instrumentes münden beide Kanäle, und zwar
trichterförmig innen der Ableitungskanal und zirkulär um ihn als Ring-
kanal der Kanal, in dem die Luft verdünnt wird.
Es hat sich nun bei Versuchen, die ich gemeinsam mit dem Erfinder
des Instrumentes machte, ergeben, daß die Ansaugung leicht und dabei
vollständig gelingt, wodurch ein sicherer Abschluß des Ureterlumens
nach der Blase und eine vollständige Ableitung des gesamten Ureter-
harnes durch den Zentralkanal möglich ist.
58 Dr. Richard Knorr.
Die Veränderungen auf der Mucosa nach der Ansaugung scheinen,
soweit ich bis jetzt urteilen kann, nur geringfügig (Rötung und kleine
Ekchymosen). zu sein. Die Asepsis läßt sich noch besser wie beim
Ureterkatheterismus durchführen, da der Saugapparat ausgekocht werden
kann.
Wenn sich das Instrument bewähren sollte, ließen sich die Quan-
titätsbestimmungen des Ureterharnes sehr exakt durchführen, was für
die funktionelle Nierendiagnostik einen großen Gewinn bedeuten würde.
Allerdings muß zu diesem Zwecke das Instrument mittels eines Statives
längere Zeit unverändert in derselben Lage fixiert werden. Besonders
wertvoll ist aber diese neue Methode dann, wenn wegen Infektion der
Blase das Katheterisieren des gesunden Ureters gefährlich ist.
Der Harnseparator, insbesondere der von Luys, scheint sich neuer-
dings größerer Beliebtheit zu erfreuen, so haben Zuckerkandl und
Suter gute Resultate von ihm gesehen.
Wenn wir uns nun den einzelnen Mitteln zuwenden, mit denen die
Nierenfunktion geprüft wird, so sehen wir, daß unter ihnen an Ver-
breitung und Beliebtheit das Phloridzin als Reagens die erste Stelle
einnimmt.
Fast alle Untersucher stimmen darin überein, daß wir in diesem
Glykoside ein vorzügliches Mittel besitzen.
Nur über die Art der Anwendung bestehen noch Differenzen
zwischen den einzelnen Autoren.
Die größere Mehrzahl der Unteaucher hält an der ursprünglichen
Methode, wie sie Casper und Richter zuerst angegeben haben, fest
und bestimmt den Zuckergehalt des gleichzeitig während desselben
J,eitraumes aus beiden Ureteren fließenden Harnes. Aus dem Ver-
gleich der jederseits gefundenen Zuckerprozentzabl werden Schlüsse auf
die Beschaffenheit des Parenchyms gezogen.
Die Methode ist technisch nicht schwierig und ist, da kein langes
Liegenlassen der Ureterkatheter nötig ist, weder sehr zeitraubend noch
sonst lästig. Allerdings muß sie unter gewissen Kautelen vorgenommen
werden und es dürfen die gefundenen Zahlen nicht schematisch verwendet
werden, worauf Casper immer wieder aufmerksam machte. Da durch
Phloridzin eine Polyurie hervorgerufen wird, die sich sehr störend
machen kann, ist vor der Untersuchung eine bestimmte Trockendiät
(nur 150 g Milch, ein Brötchen und zwei Eier) zu genießen und jede
Flüssigkeitsaufnahme zu vermeiden.
Den Wert der Phloridzinprobe nach der Casperschen Vorschrift
erkennt auch Kümmell an, der sonst die Gefrierpunktsbestimmung in
erster Linie verwendet.
Bei aller Anerkennung der Methode muß aber gesagt werden, daß
der fundamentale Satz Caspers: Gesunde Nieren scheiden inner-
halb gleicher Zeit gleiche Zuckermengen aus, eine gewisse Ein-
schränkung bedarf. Wie vergleichende Untersuchungen von Döderlein
Der gegenwärtige Stand der Nierendiagnostik. 59
und Krönig ergaben, sind zwar die in gleichen Zeiträumen gewonnenen
Zuckermengen fast stets gleich, es können aber immerhin Differenzen
bis zu 0,3°), vorkommen. Und zu ähnlichen Ergebnissen kommt auf
Grund von eingehenden Untersuchungen in der Klinik von Fedoroff
Pereschiwkin (Zeitschr. f. Urologie, Bd. I, Heft 10). Obwohl er die
Phloridzinprobe als die genaueste unter den von ihm studierten Proben
(Harnstoffbestimmung, Gefrierpunktsbestimmung) fand, hat er doch
Quantitätsschwankungen bis zu 0,25°, in der Zuckerausscheidung
gesunder Nieren gefunden.
Pereschiwkin entkräftet übrigens einigermaßen die Bedenken
Albarrans gegenüber der Casperschen Lehre dadurch, daß er nach-
weist, daß ersterer zur Nachprüfung der Casperschen Resultate viel-
fach Fälle von operierten Hydronephrosen, Pyonephrosen und Wander-
nieren statt normaler Nieren verwendet hat. Besonders bei Wander-
nieren, bei denen Fedoroff fast stets interstitielle Bindegewebswucherung
und manchmal eine Erweiterung der Tubuli contorti und der Malpighi-
schen Knäuel fand, kann es sehr leicht vorkommen, daß die Zucker-
ausscheidung verringert ist. |
Es ist meiner Meinung nach jedoch nicht angängig, die kleinen
Differenzen zwischen den beiderseitigen Zuckerzahlen ohne weiteres als
Fehlergrenzen der Methode zu bezeichnen.
Es ist ebensogut möglich, daß die bei den obigen Versuchen als
„gesund“ bezeichneten Nieren dennoch geringe Veränderungen aufwiesen,
welche die recht sensible Methode uns anzeigt.
Wenn nur eine Niere, und zwar erheblich krank ist, dann sind die
Unterschiede in den Zuckerprozentzahlen recht augenfällige, hier gibt
die Caspersche Methode ohne weiteres einwandfreie Resultate; nur für
solche Fälle, in denen beide Nieren ziemlich in gleicher Intensität er-
krankt sind, soll die Methode nach der Ansicht Döderleins und
Krönigs versagen, in solchen Fällen soll die genauere, aber auch um-
ständlichere Albarransche Methode verwendet werden.
Neuerdings hat auch Tanaka über gute Resultate mit Phloridzin
berichtet (Zeitschr. f. Urolog. 1908. 10).
Inwieweit die Kapsammersche Modifikation der Phloridzinprobe
eine Verbesserung darstellt, läßt sich noch nicht absehen. Wegen der
nach Phloridzininjektion meist eintretenden Polyurie zieht dieser Forscher
es vor, statt des Prozentgehaltes an Zucker den Zeitpunkt des Be-
ginnes und die Dauer der Zuckerausscheidung zu verwenden.
Ich selbst habe die Kapsammersche Methode bis jetzt nicht aus-
geführt, kann also kein eigenes Urteil über sie abgeben. Die Ansichten
der Autoren über dieselbe sind noch sehr geteilte, so hielten Lichten-
stein und Katz die zeitliche Zuckerbestimmung als Reagens einer
Niere für zweifelhaft und unzuverlässig, da auch normalerweise Retarda-
tionen eintreten können.
Blum und Prigl (Wien. klin. Woch., Nr. 22, 1908), die Versuche
in der Klinik von Frisch anstellten, bestreiten, daß das als normal be-
60 Dr. Richard Koorr.
zeichnete Auftreten von Zucker 15 Minuten nach der Injektion von
Phloridzin die anatomische oder funktionelle Intaktheit der Niere be-
weise. Auch der spätere Eintritt der Glykosurie sei nicht als Zeichen
der Insuffizienz der Niere anzusehen. Nach ihrer Meinung sei die
Vergleichung des prozentualen Zuckergehaltes jeder Seite der sogenannten
„Zeitmethode“ an Genauigkeit überlegen.
Auch Lenk (Wien. klin. Woch. Nr. 21, 1908) hält die Kap-
sammersche Modifikation nicht für eine sichere Methode auf Grund
seiner Untersuchungen.
Dem stehen aber die günstigen Erfahrungen anderer Autoren wie
v. Eiselbergs (Zeitschr. f. Urol. 1908) gegenüber, der mit der Zeit-
methode gute Erfahrungen gehabt hat, sowie der Ausfall der Tier-
experimente Haberers aus der Klinik dieses Chirurgen, aus denen
gefolgert wird, daß die Kapsammersche Methode einen ausgezeichneten
Gradmesser für die Funktionstüchtigkeit des vorhandenen Nierenparen-
chyms abgebe.
Schr empfehlend sprechen sich neuerdings über die Zeitmethode
Krotoszyner und Lieck (Arch. f. klin. Chir. Bd. 85) aus. Letzterer
berichtet über die wertvollen Erfahrungen Barths.
Während der Wert des Phloridzins von allen, die überhaupt
funktionelle Nierendiagnostik treiben, anerkannt wird, sind die Meinungen
bezüglich der Kryoskopie, der Bestimmung der molekularen
Konzentration, noch geteilt. Besonders gilt dies für die Kryoskopie
des Blutes, die von einzelnen Autoren für unzuverlässig angesehen wird.
Die Gefrierpunktsbestimmung des Harnes erfreut sich größerer
Beliebtheit, sie wird auch von denen, die andere Methoden wie die
Phloridzinprobe, die Indigokarminprobe bevorzugen, meist als ergänzendes
Verfahren angewendet. Nur Kümmell hält sie allein für genügend,
wenn er auch andere Methoden häufig mit heranzieht.
Die Resultate, die man mit der Kryoskopie des Harnes erhält, sind
nach Kümmell ausgezeichnete. Nur erfordert sie ein sehr genaues
Arbeiten, was durch die neuen Apparate Claude und Balthazard.
sowie Citron dem Praktiker erleichtert wird.
Nach Kümmell, der über 2000 Fälle untersuchte, ruft selbst eine
geringe lokale Erkrankung eine deutlich erkennbare einseitige Funk-
tionsstörung hervor. Auch Casper sah stets große Übereinstimmung
der Gefrierpunktszahlen mit den durch Phloridzingaben hervorgerufenen
Zuckermengen im Harne jeder Seite.
Neuerdings haben Döderlein und Krönig und ebenfalls Pere-
schiwkin bei den Gefrierpunktsbestimmungen des Harnes Unterschiede
zwischen rechts und links bis 0,4° beobachtet.
Während letzterer infolgedessen die Harnkryoskopie für wertlos
hält, gehen Döderlein und Krönig nicht ganz so weit; nach ihrer
Ansicht versagt allerdings die Methode bei leichteren Erkrankungen
einer Niere und bei Erkrankung beider Nieren, von denen die eine
Der gegenwärtige Stand der Nierendiagnostik. 61
weitgehender, die andere weniger ergriffen ist, da auch unter normalen
Verhältnissen Differenzen bis 0,4° vorkommen.
Albarran hält die Kryoskopie des Harnes nur dann für wertvoll,
wenn sie im Verein mit den anderen Proben an dem in halbstündigen
Zeiträumen gewonnenem Harne beider Seiten ausgeführt, während
Kapsammer und neuerdings Tanaka ihr jegliche Bedeutung ab-
sprechen.
Sollen wir nun die Harnkryoskopie bereits definitiv aufgeben? Ich:
glaube nicht. Die guten Erfahrungen, die Kümmell an einem recht
großen Material bisher damit gehabt hat, lassen sich nicht ignorieren.
Wir werden noch weiterhin dieselbe ausführen unter peinlich genauer
Befolgung der technischen Vorschriften, womöglich genau in derselben
Art, wie sie Kümmell ausführt. Besonders wenn wir die Methode
zeitlich von der Phloridzinprobe trennen, jede derselben gesondert aus-
führen zur Vermeidung der störenden Phloridzinpolyurie, dürften die
Resultate noch genauer sein.
Allerdings müssen die Ergebnisse noch mehr wie bei der Phloridzin-
probe kritisch verwertet werden.
Noch mehr angefochten wird die Kryoskopie des Blutes, die
ebenfalls in Kümmell und seinen Schülern ihre Hauptverteidiger hat.
Albarran, Kapsammer und besonders Rovsing und dessen Schüler
Kock bekämpfen den Kümmellschen Standpunkt, und zwar dreht sich
der Streit hauptsächlich um die Frage, ob bei einem Gefrierpunkt unter
— 0,60° noch operiert werden soll.
Während die genannten Autoren noch bei tieferem Gefrierpunkt
erfolgreich operierten, will Kümmell doch an der Grenze — 0,60°
festhalten, da alle seine Fälle, bei denen er mit einem ò = — 0,60
operierte (5 Fälle), dem Nierentode erlagen.
Die Kontroverse zwischen Kümmell und den Gegnern der Blut-
kryoskopie läßt sich nicht durch Stimmenmehrheit entscheiden. Die
Majorität ist zwar gegen die Blutkryoskopie, doch steht ihr die Autorität
des sehr erfahrenen und erfolgreichen Nierenoperateurs entgegen.
Schließlich wird doch der Wert einer Methode aus ihrem prak-
tischen Nutzen erkannt.
Hier mögen Zahlen sprechen.
So hatte Kümmell unter 95 Nierensteinoperationen eine Gesamt-
mortalitität von nur 3,1°/,, während andere hervorragende Operateure
10°, —14°, haben; bei aseptischen Steinnieren hat er gar 0°), (51 Fälle).
79 Nephrektomien verliefen ohne Todesfall.
Die günstigen Mortalitätszahlen Kümmells werden auch von anderer
Seite anerkannt, so betont v. Eiselsberg die Tatsache, daß bei Nephrek-
tomien wegen maligner Tumoren Kümmell nur 10°), Mortalität habe,
während er und andere Operateure (Schede, Riedel, Küster) 35—50 /,
hätten.
Ich bin nach meinen Erfahrungen mit der Kryoskopie der Ansicht,
daß die Differenzen in den Anschauungen Kümmells und der übrigen
62 Dr. Richard Knorr.
Autoren vielfach durch Beobachtungsfehler bedingt sind. Die Kryoskopie
erfordert eben große Übung und minutiöses Arbeiten.
Bekannt ist, daß verschiedene Untersucher an demselben Patienten
und an derselben Blutmenge zu verschiedenen Resultaten kommen.
Die Blutkryoskopie ist somit m. M. zwar hart bedrängt und viel-
leicht erschüttert, aber noch lange: nicht abgetan.
Sie ist besonders da am Platze, wo beide Nieren erkrankt sind,
und stellt in den Fällen von sehr schwerer Schrumpfblase, sowie bei
Nierenerkrankungen kleiner Kinder, überall da, wo die Trennung der
Harne unausführbar ist, die einzige Methode der funktionellen Dia-
gnostik dar.
Das von Albarran vor einigen Jahren angegebene Verfahren, mittels
vermehrter Wasserzufuhr die sekretorische Fähigkeit der Niere zu
prüfen, hat noch keine ausgedehnte Verwendung gefunden, wenn man
aus der Literatur Schlüsse ziehen darf.
Sie ist, wie neuerdings auch Kusnetzky (Zeitschr. f. Urolog. 1908)
nachwies, eine wertvolle Probe, aber sie ist auch umständlich und zeit-
raubend, da man bei ihr den Ureterkatheter längere Zeit (2—3 Stunden
lang) liegen lassen muß.
Heresco hält Albarrans Methode für außerordentlich zuverlässig;
in drei Fällen, bei denen das Fehlen einer Phloridzinglykosurie gegen
eine Operation gesprochen hatte, nephrektomierte er im Vertrauen auf
erstere Methode erfolgreich.
Albarran verwendet die experimentelle Polyurie nicht allein,
sondern kombiniert sie bekanntlich mit den anderen Proben der Kryo-
skopie und der Bestimmung des Kochsalz- und Harnstoffgehaltes. Nach-
dem reichliche Gaben kohlensauren Wassers vorher verabreicht wurden,
wird beiderseits, wenigstens bei Frauen, der Ureterkatheter eingelegt
und 2—3 Stunden lang liegen gelassen. Der Harn wird dabei in
4—6 halbstündigen Portionen jederseits aufgefangen und an diesen
Teilproben die mannigfachen Untersuchungen vorgenommen. Auch die
Phloridzinprobe kann damit verbunden werden.
Die Methode ist nur dann genau, wenn es uns gelingt, die Harn-
mengen vollständig zu erhalten, was ganz einwandsfrei nur mittels
zweier dicker Katheter bei Frauen gelingt. Die Separatoren sind hier-
zu nicht geeignet, da sie nicht so lange liegen bleiben können. Ob
das neue Kutnersche Instrument so lange Zeit in der Blase liegen
kann, ist noch nicht erwiesen, doch ist dies mit Stativ wahrscheinlich
wohl ausführbar. Dadurch ließe sich eine sehr genaue vollständige
Trennung der Urine durchführen.
In allerjüngster Zeit hat man in größerem Maße mit der Indigo-
karminprobe Versuche gemacht, die sehr günstige Resultate ergeben.
Als Völcker und Joseph an Stelle des vordem üblichen Methylen-
blaus das Indigokarmin als Färbemittel für den Harn empfahlen,
Der gegenwärtige Stand der Nierendiagnostik. 63
wurde allseitig darin eine Verbesserung erblickt. Während man in der
Chromocystoskopie ein gutes Hilfsmittel zum Aufsuchen der Ureteren,
besonders für den Unterricht sah, hat die Mehrzahl der Autoren anfänglich
ihren Wert für die funktionelle Nierendiagnostik verneint.
Die Mißerfolge, die man mit dem lange Zeit üblichen Methylen-
blau hatte, waren wohl hauptsächlich daran schuld, daß man auch dem
Indigokarmin als geeignetem Mittel für die funktionelle Nierendiagnostik
im allgemeinen mißtraute.
Vor allem haben zur Rehabilitation dieser schönen und einfachen
Methode die exakten Untersuchungen Suters beigetragen, über die er
am I. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Urologie berichtete. Nach
seinen an 119, darunter 25 gesunden, 94 nierenkranken Fällen angestellten
Versuchen, von denen 48 durch die Operation kontrolliert wurden, hat sich
ergeben, daß die Indigoprobe ein brauchbares Mittel zur Funktionsprüfung
ist. Nach Injektion einer subkutanen 4 /,igen Aufschwemmung von Indigo-
karmin in physiologischer Kochsalzlösung in der Menge von 4 ccm
erschien, wie die Cystoskopie oder der Ureterenkatheterismus oder die
Separation des Harnes nach Luys ergab, bei gesunden Nieren der blaue
Farbstoff meist gleichzeitig, und zwar in der überwiegenden Anzahl
der Fälle nach 8—10 Minuten und nur in einem Fünftel der Fälle 10
bis 15 Minuten nach der Injektion.
Die Farbe erschien in ca. ®/, der Fälle gleichzeitig, in den übrigen
Fällen betrug die Differenz des Auftretens der Färbung nur einige
Minuten.
Interessant war das Ergebnis bei kranken Nieren. Es zeigte sich
deutlich ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Ausdehnung der Paren-
chymerkrankung und der Indigoausscheidung.
Bei kleinen Herden (tuberkulöser Natur) war der Ausscheidungs-
beginn auf gesunder und kranker Seite derselbe, die kranke Seite
dokumentierte sich durch die geringere Intensität der Farbstoffbei-
mengung.
Markanter ist aber der Unterschied bei größerer Extensität, wenn
mehr als !/, der Niere erkrankt ist. In diesem Falle erscheint die Farbe
5—10 Minuten später als wie auf der gesunden Seite, in schweren Fällen
noch später.
Nieren, die keine Farbe mehr ausscheiden, sind schwer krank.
26 mal war dies bei Suters Fällen der Fall und die Nephrektomie
ergab 19 eitrig-zerstörte Nieren, 6 Hydronephrosen, 1 cystische De-
generation.
Bei der gewöhnlichen chronischen parenchymatösen Nephritis zeigten
sich andere Verhältnisse wie bei chirurgisch kranken Nieren. Hier
wurde das Indigo wie in der Norm ausgeschieden.
Aus dem Rhythmus der Ureterentleerungen, aus den Pausen zwischen
zwei Expulsionen Schlüsse zu ziehen, hat Suter unterlassen, während
Sträter dies tut.
Neuerdings haben noch andere Untersucher den Wert der Indigo-
64 Dr. Richard Kuorr. Der gegenwärtige Stand der Nierendiagnostik.
probe für die Nierendiagnostik betont, so u.a. Thelen, der sie gleich-
falls wie Suter besonders bei Nierentuberkulose für zuverlässig hält.
Auch König lobt die Methode. Blum und Prigl, die über Versuche
an der Klinik v. Frisch berichten, haben ebenfalls mit der Indigoprobe
gute Resultate erhalten. Von Gynäkologen haben besonders Zange-
meister und neuerdings Döderlein und Krönig die Indigokarmin-
probe als funktionelle Methode empfohlen, allerdings nur in Ver-
bindung mit anderen Verfahren.
Meine eigenen Erfahrungen mit Indigo als funktionelle Methode
sind noch zu gering, als daß sie mir Schlüsse zu ziehen gestatten. Doch
rate ich, in Zukunft dasselbe neben den anderen Methoden der Phlo-
ridzinprobe und Kryoskopie anzuwenden.
Allerdings darf man nicht Phloridzin und Indigokarmin bei der
Injektion kombinieren. Es kann sonst, worauf Kapsammer und Seelig
aufmerksam machen, die Zuckerausscheidung ausbleiben, ein Ereignis,
dessen Ursache man noch nicht kennt, das aber zu verhängnisvollen
Irrtümern führen kann.
Als Resümee meiner Darlegungen möchte ich folgendes geben:
Die zahlreichen Streitfragen auf dem Gebiete der funktionellen
Nierendiagnostik harren noch immer ihrer Lösung.
Ein allgemein gültiges Verfahren für die Praxis läßt sich zurzeit
noch nicht festlegen. Solange nicht die Zuverlässigkeit einer Methode
allseitig. anerkannt ist, muß durch Kombination mehrerer Methoden
eine größtmögliche Sicherheit gewonnen werden.
Die Indigokarminprobe verdient mehr angewendet zu werden, als
dies bisher geschah; besonders in Verbindung mit dem Ureterenkathete-
rismus und nicht blos als einfache Chromocystoskopie.
Vor allem aber ist die Phloridzinprobe zu vermeiden. Wo diese
Methoden zur Feststellung der Funktionsfähigkeit nicht ausreichen, ist
die Kryoskopie und schließlich als feinstes aber auch umständlichstes
Verfahren die Albarransche Methode heranzuziehen.
a o M in = EE
E ` aan
2
Zeitschrift für gynäkologische Urologie
1908 Band 1 Nr. 2
(Aus der Universitäts-Frauenklinik zu Tübingen. Direktor: Prof. Dr. Sellheim.)
Über die Funktion des Harnapparates nach Operationen in
Inhalationsnarkose und Lumbalanästhesie.
Von
Dr. Ernst Holzbach, Assistenzarzt.
Die chirurgische Literatur hat sich bis jetzt wenig ınit den Er-
scheinungen befaßt, die am Harnapparat im Gefolge von Narkosen und
Anästhesien aufzutreten pflegen. Der Ablauf einer jeden postoperativen
Urinausscheidung birgt nicht nur Interessantes für den Theoretiker,
sondern auch für den Praktiker des Wissenswerten genug, durch dessen
Beachtung manche Cystitis und manche Nierenbeckenentzündung ver-
hütet werden könnte. Ich will im folgenden versuchen, die Beein-
flussung der physiologischen Harnausscheidung durch Operationen in
Narkose und Lumbalanästhesie an Hand klinischer Daten kurz zu schildern.
Den Beobachtungen liegen Fälle von gynäkologischen und von
Darmoperationen zugrunde, durch die der Harnapparat selbst direkt
nicht tangiert wurde. Die Fälle, bei denen Manipulationen an Ureteren
und Blase vorgenommen wurden, sind besonders vermerkt.
Beginnen wir mit der Beobachtung der Nierenarbeit während und
nach der Operation. Wir sind dabei angewiesen auf die Kontrolle des
in einer bestimmten Zeit ausgeschiedenen Produkts dieser Arbeit, und
zwar sowohl bezüglich seiner Menge wie der darin gelösten harnfähigen
Stoffe. Gleichzeitig läßt der Rhythmus der Ureterenkontraktion, wie sie
speziell während der Carcinomoperation direkt oder nach kleineren Ein-
griffen cystoskopisch verfolgbar ist, Schlüsse auf die Nierentätigkeit zu.
Es war zu erwarten, daß durch die Veränderungen im Blutdruck einer-
seits, durch das Einbringen toxischer Substanzen mit der Narkose und
die Anhäufung von Zerfallsprodukten im Körperhaushalt durch den
operativen Eingriff andererseits, eine wesentliche Alteration der Nieren-
arbeit eintreten würde. Nicht wahrscheinlich war dagegen, daß durch
die Injektion von Giften in den Lumbalsack Störungen im Splanchnikus-
gebiet hervorgerufen würden, die irgendeinen meßbaren Ausschlag er-
geben konnten. Als erstes überraschendes Resultat ist zu ver-
zeichnen, daß die Harnausscheidung während der Operation
vom Blutdruck überhaupt nicht beeinflußt wird. Zu den Blut-
druckmessungen habe ich das Syhygmomanometer nach Riva-Rocci
mit der Recklinghausenschen Manschette verwendet. Die Prüfung
wurde am Tage vor und nach dem Eingriff, sowie direkt vor und
Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Rd. 1. 5
66 Dr. Ernst Holzbach.
während der Narkose resp. Anästhesie vorgenommen. Die Resultate
ergaben nichts Neues: Eine mäßige Herabsetzung bei Chloroform, eine
ebensolche Erhöhung bei Äther und ein annäherndes Gleichbleiben bei
Lumbalanästhesie. Gleichgültig, in welcher Art der Schmerzbefreiung
die Operation ausgeführt wurde, ganz unabhängig vom Blutdruck sistierte
die Nierentätigkeit während der ganzen Dauer der Operation fast voll-
ständig. Auch die unterschiedlichen Flüssigkeitsmengen, die den Patienten
vor der Operation zugeführt wurden, beeinflußten diesen Funktions-
stillstand der Niere nicht. Selbst am Ende von mehrere Stunden dauern-
den Eingriffen habe ich kaum je mehr als 20 ccm Urin in der Blase
gefunden. Der Durchschnitt bei 50 Fällen betrug 14 ccm. Ganz dem-
entsprechend ist auch eine spontane Ureterenaktion selten. Bei 4 Car-
cinomoperationen konnten in der Stunde nur 3—4 selbständige Zu-
sammenziehungen beobachtet werden, während man eine Kontraktion
des Harnleiters durch mechanische Reize, z. B. durch Betupfen, immer
auslösen konnte. Die Schuld an der Trägheit der Ausscheidung liegt
also nicht etwa in einer Lähmung der Ureteren, sondern im Fehlen
entsprechender Harnmassen im Nierenbecken.
Nach Tigerstedt ist die Größe der Nierenleistungen wesentlich
von 2 Momenten abhängig, nämlich 1. der Menge des durchströmenden
Blutes und 2. dem Gehalt des Blutes an harntreibenden Substanzen.
Thompson hat versucht, an Hunden nach Chloroform- und Äthergaben
einen gewissen Parallelismus zwischen der Menge des ausgeschiedenen
Urins und Veränderungen im Nierenvolumen festzustellen. Dieser
Parallelismus besteht bei Äther stärker als bei Chloroform; bei beiden
Narkotika ist eine Vermehrung des Volumens der Niere bei steigender,
eine Verminderung bei sinkender Urinsekretion nachweisbar. Ganz im
Beginn der Narkose beobachtete er außerdem bei Äther ein deutliches,
bei Chloroform ein geringes Ansteigen der Urinmenge, die bei Voll-
narkose aber ebenfalls alsbald herabsinkt und sehr häufig ganz erlischt.
Ein Zusammengehen der Blutdruckkurve mit der Urinkurve besteht
auch bei seinen Hundeversuchen nicht; auch hier kann ein Stadium
der vollständigen Unterdrückung der Nierenarbeit koexistieren mit einem
verhältnismäßig hohen Blutdruck.
Es bleibt also nichts übrig, als anzunehmen, daß eine Überschwenı-
mung des Blutes mit toxischen Substanzen diesen Stillstand der Nieren-
arbeit bedingt. Das erscheint bei Inhalationsnarkosen auch durchaus
verständlich. Nicht einzusehen ist jedoch, wieso die Lumbalanästhetika,
die bekanntlich außerordentlich langsanı aus dem Duralsack ins Blut
resorbiert werden, die gleichen Erscheinungen verursachen können.
Anzunehmen, daß thermische Reize die alleinige Ursache sind, daß
2. B. durch die Kältewirkung auf den Splanchnikus bei Bauchoperationen
eine Herabsetzung des Vasomotorentonus und damit eine Verminderung
der Urinausscheidung bedingt sei, ist deshalb nicht angängig, weil auch
bei Operationen an den Extremitäten und am Damm die gleichen Er-
scheinungen zu beobachten sind. Wir müssen deshalb wohl den opera-
Über die Funktion des Harnapparates nach Operationen usw. 67
tiven Eingriff als solchen zur Erklärung heranziehen und vermuten,
daß durch die Überschwemmung des Körpers mit noch nicht harnfähigen
Zerfallsprodukten der Gehalt des Blutes an harntreibender Substanz
derart gering wird, daß die Nierentätigkeit auf eine Zeitlang eingestellt
werden muß. |
Wie wir gleich sehen werden, wird dieser Sekretionsstillstand durch
um so intensivere Nierenarbeit nach der Operation alsbald wieder kom-
pensiert. Von der Qualität der dabei zutage geförderten Abfallstoffe
wird weiter unten die Rede sein.
Setzen wir zunächst die Quantitätsprüfung fort, so finden wir, daß
nach beendeter Operation die Harnausscheidung rasch wieder in Gang
kommt, wobei sich wesentliche Unterschiede zwischen den in Lumbal-
anästhesie Operierten gegenüber Narkotisierten nicht ergeben. Wenige
Stunden nachdem der Patient ins Bett gebracht ist, finden
sich in der Blase oft schon so große Urinmengen, daß man
bei noch völlig eingestellter Flüssigkeitszufuhr direkt von
einer Harnflut sprechen muß. Das stimmt mit dem Tierexperiment
durchaus überein. Das Maximum der Harnausscheidung fand Thomp-
son bei seinen narkotisierten Tieren 3 Stunden nach Beendigung der
Narkose. Die Urinsekretion war dabei oft bis aufs Vierfache vermehrt.
Hawk fand gleichfalls an Tieren ein Parallelgehen zwischen der Menge
des Urins und der Dauer der Narkose. Die Urinmenge war von DI,
bis 24,8°% vermehrt, je nachdem die Narkose 1,—4!/, Stunden ge-
dauert hatte. Flüssigkeitsbilanzen an meinen Operierten, die ersten beiden
Tage post operationem, ergaben ganz ähnliche Erscheinungen: Bei völliger
Verhinderung der Flüssigkeitszufuhr 12 Stunden vor bis 18 Stunden
nach der Operation fand ich Harnmengen von 250—900 cem in den
ersten 10 Stunden nach dem Eingriff. Ganz gleichgültig, welcher Art
die ausgeführte Anästhesie war, stets war am ersten Tage die Flüssig-
keitsabgabe größer als die Aufnahme: und zwar war die Differenz um
so bedeutender, je näher dem operativen Eingriff die Bilanz versucht
wurde. Eine kurze Reihe solcher Beobachtungen soll das erläutern:
TE = | | Abgabe überwiegt
also die Aufnahme
Zeit nach der Operation | Flüssigkeitsaufnahme Ä trotzdem Abgabe
1
| um das
| ccm | . ccm
In 10 Stunden keine | 310 |
1 S 250 670 | 2,68 fache
4 „ | 920 | 1470 1,59 ,„
26 y 660 | 1013 188 „
8 „ | 1890 | 2640 | 1389 „
Gewöhnlich ist bis 2mal 24 Stunden nach beendeter Operation ein
Ausgleich erreicht. Bei längerer Beobachtung pflegt die Bilanz um-
zuschlagen, die Flüssigkeitsaufnahme überwiegt dann beträchtlich die
Abgabe. Man hat jetzt den Eindruck, als ob nach Ausscheidung der
harnfähigen Substanzen, für deren große Masse nach der Operation eine
5*
68 Dr. Ernst Holzbach.
gewisse Flüssigkeitsmenge im Organismus mobil gemacht wurde, jetzt
der Körper ein Flüssigkeitsdefizit zu decken habe. Betont muß dabei
werden, daß der Körperblutverlust bei den modernen Operationsverfahren
auf ein Minimum beschränkt ist. Gerade nach großen Eingriffen finden
wir dann nicht selten eine Herabsetzung der Urinmenge bis auf die
Hälfte der aufgenommenen Flüssigkeit, und erst allmählich tritt auch
hier wieder vollständiges Gleichgewicht ein.
Es wäre wünschenswert, zu erfahren, wie sich die Harnausscheidung
nach operativen Eingriffen verhielte, die ohne jedes Narkotikum oder
Anästhetikum ausgeführt sind. Da dies schwer hält, so ziehe ich als
Vergleich den Geburtsvorgang heran, der in gleicher Weise einen enormen
Insult für den Organismus darstellt, und bei dem ganz ähnliche Er-
scheinungen wie nach Operationen nachweisbar sind. Im Gegensatz
zur gesunden, nicht schwangeren Frau ist der Harn in den ersten 8 Tagen
des Wochenbettes vermehrt, und zwar ist das Maximum dieser Ver-
mehrung am 5. Tage erreicht, dann fällt die Harnmenge stetig bis zum
8. Tage. Ebenso gesteigert ist die Harnstoffausscheidung; von morpho-
logischen Bestandteilen findet man gleich nach der Geburt fast immer
Leukocyten im Urin, seltener rote Blutkörperchen und in 30°), der
Fälle vereinzelte hyaline Zylinder. Auch eine vorübergehende leichte
Eiweißreaktion im Harn Frischentbundener ist häufig (Sellheim in
Nagels Handbuch d. Physiologie). Vergleichen wir mit unseren Be-
obachtungen weiter den Modus der Harnausscheidung nach starken
Muskelaktionen, z. B. bei Bergsteigern, so stellt sich der ganze Vorgang
der postoperativen Nierenfunktion als eine Konsequenz einer großen
Arbeitsleistung mit entsprechender Vermehrung der Zerfallsprodukte dar,
wie wir sie oben aufgefaßt hatten.
Bei pathologischen Zuständen im Körperkreislauf, vor allem bei
Versagen des Herzens, verschieben sich natürlich diese Daten wesentlich.
Wenn auch hier stets die Flüssigkeitsabgabe zunächst die Aufnahme
überwiegt, so begegnen wir doch in solchen Fällen Tagesmengen von
nicht 250 ccm. Dasselbe gilt für schwere Störungen im postoperativen
Verlauf. Große Flüssigkeitsverluste unter der Operation bei tuberkulösem
Ascites usw. können ebenfalls rasch gedeckt werden. Die Bilanz nach
Ablassen eines Ascites aus disseminierter Carcinose des Peritoneums,
der sich schon innerhalb weniger Tage ersetzt hatte, ergab:
2 Zeit ` er. en | Aufnahme
9 "Stunden | SH |
15 j5 100 f 170
27 | eg | 1200
usf.
Was die Qualität des postoperativ ausgeschiedenen Harns anlangt.
so fällt in erster Linie das hohe spezifische Gewicht auf. Selten wiegt
Über die Funktion des Harnapparates nach Operationen usw. 69
der Urin unter 1020, Werte bis 1025 und mehr werden häufig an-
getroffen. Entsprechend dem hohen spezifischen Gewicht findet sich
eine starke Vermehrung der geformten Bestandteile, vor allem der
Chloride. Die Reaktion ist fast stets sauer. Im Sediment finden sich,
speziell nach länger dauernden Operationen, viel Leukocyten, bisweilen
Zylinder, diese häufiger nach Inhalationsnarkose wie nach Lumbal-
anästhesie. Eiweiß in Spuren, bisweilen in Mengen bis zu 1,%,, ist
nach Lumbalanästhesie häufig nachweisbar, seltener nach Äther und fast
nie nach Chloroform. Auf die genaue chemische Untersuchung der
ausgeschiedenen Harnbestandteile und vor allem auf den Körpereiweiß-
verlust durch Narkose und Operation einzugehen, liegt nicht im Rahmen
dieser Arbeit.
Kurz zusammengefaßt ergibt sichy daß ziemlich unabhängig
von der Art des gegebenen Anästhetikums die Nierenarbeit
während operativer Eingriffe fast völlig stillsteht. In den
ersten Stunden post operationem beginnt eine starke Aus-
scheidung harnfähiger Substanzen; die dazu nötige Flüssig-
keitsmenge wird dem Körper entzogen. Das dadurch ent-
stehende Flüssigkeitsdefizit wird im Verlauf der nächsten
Tage aus der Nahrung gedeckt.
Parallel mit dieser Tätigkeit der Niere sollte man jetzt erwarten,
auch die Blasenarbeit postoperativ in Gang kommen zu sehen. Das ist
nun durchaus nicht der Fall, sondern jeder (Operateur weiß, daß er
kaum vor 8—10 Stunden nach Beendigung der Operation auf ein
Wasserlassen der Patienten zu rechnen braucht.
Setzt die Harnentleerung spontan ein, so fördert sie bei den
ersten Mictionen, z. B. nach 8 Stunden, fast immer nur geringe Urin-
mengen zutage, meist 50—-60 ccm, selten einmal bis 200 ccm. Kathe-
terisiert man versuchsweise, so findet man zur gleichen Zeit durchweg
größere Harnmengen in der Blase, fast nie unter 300 ccm, oft bis zu
800 ccm.
Um diese Erscheinungen verstehen zu können, müssen wir uns zu-
erst über den normalen Ablauf der Harnentleerung klar werden: Nach
den Untersuchungen von Langley, Müller, Roith u. a. existieren
spinale Zentren für die Regulierung der Blasenfunktion nicht; der zur
Harnausstoßung führende reflektorische Vorgang spielt sich in einem
autonomen Nervensystem an, in dem die spinalen Bahnen lediglich die
den Reiz vermittelnden Fasern enthalten. Nach den genannten Autoren
läuft der Vorgang ungefähr folgendermaßen ab: Der Drang zur Harn-
entleerung wird wesentlich durch die Anfüllung der Blase angeregt.
Dabei wird zuerst stärkere Kontraktion und Spannung der Blase und
dann erst Füllungsgefühl und Harndrang hervorgerufen (Tigerstedt).
Das Gefühl des Harndranges wird nach Müller von der Blasenschleim-
haut durch sympathische Ganglienzellen hindurch in den unteren Teil
des Rückenmarks geleitet und gelangt in diesem herauf bis ins Gehirn.
Ebenfalls durch spinale Bahnen wird nun der Reflex willkürlich aus-
70 Dr. Ernst Holzbach.
gelöst, indem zuerst der äußere (Rhabdo-) Sphinkter willkürlich er-
schlafft, worauf die reflektorische Arbeit der glatten Blasenmuskulatur
beginnt. Damit entleert sich die Blase ohne weiteren Willensimpuls:
doch kann die Entleerung durch Anwendung der Bauchpresse, also
durch Erhöhung des intraabdominellen Drucks, beschleunigt werden.
Daraus ist ohne weiteres ersichtlich, daß, solange durch die Wirkung
oder unter der Nachwirkung der Narkose der Wille ausgeschaltet ist,
der die Urinentleerung bedingende Reflex nicht ausgelöst werden kann.
Die starke Blasenfüllung, die wir bei Leichen sehen, wenn der Exitus
erst nach langer Agone eintrat, ist eine Folge derselben Erscheinung.
Mit der Rückkehr des Bewußtseins wird bei in Narkose Operierten die
Miction wieder in Gang kommen. Anders nach Lumbalanästhesie: Hier
ist der Wille nicht ausgeschaltet; dagegen besteht eine direkte Leitungs-
unterbrechung in der Reflexbahn durch Lähmung der zentripetalen
und -fugalen spinalen Nerven. Gleichzeitig sind die Hilfsmuskeln
(Beckenboden, Bauchpresse) außer Funktion gesetzt. Normalerweise
wird nach Abklingen‘ der Stovainwirkung der Reflexbogen wieder ge-
schlossen sein, der Reiz kann vermittelt werden. Man sollte nun er-
warten, dal bei der jetzt stark einsetzenden Nierensekretion und ent-
sprechend schnellen Blasenfüllung die Miction alsbald zustande käme.
Wenn trotzdem nach Lumbalanästhesie wie Inhalationsnarkose die spon-
tane Urinentleerung erst viele Stunden nach Beendigung der Operation
eintritt, so muß der Grund dafür in dem immer noch mangelnden Ge-
fühl für den Füllungszustand der Blase gesucht werden. Abgesehen
von der die Sensibilität herabsetzenden Nachwirkung der Narkotika
wirkt eine gleichzeitige starke Erregung großer Gruppen anderer sen-
sibler Nerven stets reflexhemmend. Der einsetzende Wundschmerz über-
täubt das beginnende Gefühl des Harndranges und unterdrückt damit
den Reflex. Wird endlich der Harndrang perzipiert, so besteht gerade
nach Unterleibsoperationen eine nicht zu unterschätzende Schwierigkeit,
nämlich die Angst der Patientin, den Sphinkter oder gar die Bauch-
muskeln in Tätigkeit treten zu lassen. Wenn auch den Bauchmuskeln
bei der Miction nur eine untergeordnete Rolle zukommt, so haben sie
doch zusammen mit den Muskeln des Beckenbodens die Fähigkeit, den
nach der Detrusorkontraktion noch vorhandenen Harnrest auszustoßen.
Von der Bauchpresse machen frisch Operierte aber fast nie Gebrauch.
Man kann nun sehr häufig beobachten, daß der Katheter, direkt nach
der spontanen Harnentleerung eingeführt, noch ganz beträchtliche
Mengen von Residualharn entleert, der nicht ausgepreßt wurde. Ja es
scheint, als ob die Blase bei den ersten spontanen Mictionen nur sehr
selten einmal völlig entleert würde. Selbst wenn man Frauen bis zu
24 Stunden nach der Operation unkatheterisiert liegen läßt, um eine
spontane Harnentleerunz zu erzwingen, so bleiben die Mengen doch
stets beträchtlich hinter denen zurück, die man in der gleichen Zeit
mit dem Katheter gewinnen kann. Aus der folgenden Tabelle geht das
deutlich hervor:
Über die Funktion des Harnapparates nach Operationen usw. 71
Spontan entleerter Urin: Katheterurin:
Myom "hp op 30 cem Myom 8° p. op. 300 cem
11° » » 100 nm Oystom 11° » »„» 500 ,
9 „ „ 120 „ Carinom 20° „ „ 450 „
29
21
Maligne 9> „ „ 80 „ Darmsarcom 20° „ „ 500 „
Ov. Tumoren J 15" „ „ 100 „ Hemie 24 „ „1470 „
Cystom 12° „ „ 200 „ usf.
Myom 16° „ „ 170 ,
e 20 nn 120 „
: WW 21 7) 29 215 9
Cystom 26° „ „ 215 „
Erhält sich diese unvollkommene Urinausscheidung längere Zeit,
ohne bemerkt zu werden, so können sich beträchtliche Harnmengen in
der Blase sammeln, die Blasenwand wird überdehnt und es resultiert
daraus schließlich eine Ischurie von mehr weniger lang stagnierendem
Residualharn. Besonders deutlich wird dies, wenn gleichzeitige Mani-
pulationen an der Blase oder in deren Nachbarschaft eine Schädigung des
Nerven- und Gefäßapparates der Blasenwand bedingen. Stöckel
(Cystoskopie der Gynäkologen) weist darauf hin, wie sehr die Blase
auf mechanische Insulte bei Operationen zu reagieren pflegt. Ein paar
typische Beispiele dieser Art lasse ich hier folgen:
1. K.W. 43 j. 12 p. In Lumbalanästhesie Prolapsoperation durch Colporrhaphia
anterior und Colpoperineoplastii. Am Öperationstage und den drei folgenden Tagen
jeweils spontane Harnentleerungen in Mengen von 120—180 ccm. Am fünften Tage
ist die Blase bis zwei fingerbreit unterhalb des Nabels in die Höhe gerückt und als
praller Tumor deutlich palpabel. Der Katheter entleert 1700 ccm Urin. Trotz spon-
tanen Wasserlassens wird auch an den beiden folgenden Tagen einmal 900, einmal
1400 ccm Urin durch Katheterismus herausbefördert.
2. M. St. 49 j. 13 p. In Lumbalanästhesie Radikaloperation einer doppelseitigen
Leistenhernie und Prolapsoperation durch Colporrhaphia anterior und Colpoperineo-
plastik. Am Operationstag spontane Urinentleerung. Am folgenden Tag entleert der
Katheter nach zwei spontanen Mictionen 1470 ccm aus der hoch hinaufgerückten Blase.
3. M. K. 50 j. 2 p. In Chloroform - Äthernarkose Prolapsoperation durch Col-
porrhaphia anterior und Colpoperineoplastik. Die ersten vier Tage spontane Harn-
entleerung. Am fünften Tag entleert der Katheter aus der hoch hinaufgerückten
Blase 1700 ccm Urin; trotz häufigen spontanen Wasserlassens werden auch weiterhin
noch bis zum zehnten Tag Residualharnmengen von 900—1300 ccm durch Kathete-
rismus entleert.
4. K. M. 56 j. O. p. In Lumbalanästhesie Radikaloperation des carcinomatösen
Uterus nach Freund-Wertheim. Die ersten vier Tage spontanes Wasserlassen, am
Abend des vierten Tages Katheterismus wegen tumorartiger Resistenz in der Unter-
bauchgegend, entleert „massenhaft‘‘ Urin. Menge nicht angegeben.
Eine ganz ähnliche Erscheinung beschreibt Müller bei Tabes-
kranken, sieht aber bei diesen den Grund der Störung außer in einer Hyp-
ästhesie der Blasenschleimhaut in einer Alteration des Reflexzentrums
im sympathischen Gangliensystem. Unser Fall 3 beweist, daß nervöse
Störungen durch Lumbalanästhesie, etwa Spätläihmungen des Detrusor,
nicht schuld sein können; außerdem hat auch Baisch nach Inhalations-
= narkosen ähnliche Urinretentionen beobachtet und findet infolge der
72 Dr. Ernst Holzbach.
über die Grenze der Kapazität gesteigerten Blasenfüllung sogar Ischuria
paradoxa bei seinen Operierten.
Diese Erscheinung hat eine praktisch recht wichtige Konsequenz.
Baisch schreibt darüber, daß in solchen Fällen, selbst wenn die Re-
tention nicht so hochgradig ist, daß es zur Ischuria paradoxa kommt,
doch das beständig vorhandene Urinreservoir einen flüssigen Nährboden
darstelle, in dem sich etwa eingedrungene Keime leicht vermehren und
unter bestimmten Bedingungen die Blasenwände infizieren können.
Ähnlich hat man sich auch das Zustandekommen der postoperativen
Cystitis in den seltenen Fällen zu erklären, in denen es trotz spontaner
Urinentleerung nach der Operation zu einer Blasenentzündung gekommen
ist Die Keime sind entweder bei einem früheren Katheterismus (bei
oder unmittelbar nach der Operation) in die Blase importiert worden
oder spontan aszendiert, sie vermehren sich in dem stagnierenden Harn
und bewirken nun die Cystitis.
Ist die Blase einmal so stark überdehnt, so wiederholt sich trotz
mehrmaligem Katheterismus der beschriebene Vorgang gern. Solche
Frauen entgehen denn auch ihrer Cystitis kaum. Auch Pyelitis haben
wir in solchen Fällen 2mal beobachtet, die als Aszensionspyelitis zu
deuten ist. Eine direkte Rückstauung in das Nierenbecken ist bei
überdehnter Blasenwand nach den übereinstimmenden Versuchen von
Lewin und Goldschmid, Courtade und Gayon u. a. dank dem
Mechanismus des Harnleiterverschlusses nicht möglich.
Für die Funktion der Blase ergibt die Zusammenfassung,
daß die postoperative Harnentleerung nicht parallel der
Nierenarbeit einsetzt, daß der Blasenreflex vielmehr oft
nicht perzipiert oder aber willkürlich unterdrückt wird. Die
Häufigkeit der unvollkommenen Harnentleerung bei spon-
taner Miction läßt Residualharnischurie und Überdehnung
der Blasenwand auftreten und ist wegen der Gefahr der
Stagnationscystitis zu fürchten.
Aus den beschriebenen Beobachtungen ergeben sich folgende Nutz-
anwendungen für die Praxis: Das Bestreben des Organismus, nach
Operationen in Narkose oder Lumbalanästhesie möglichst große Mengen
harnfähiger Zerfallsprodukte auszuscheiden, ist evident. Die dazu nötige
Flüssigkeitsmenge wird dem Körper, der ohnehin durch Purgantien,
Blutung usw. einen beträchtlichen Wasserverlust erlitten hat, entzogen.
Der Körper muß deswegen durch reichliche Zufuhr von Flüssigkeit,
am besten in Form von Infusionen und Einläufen im Anschluß an die
Operation, in seinen Bestreben unterstützt werden.
Auch bei spontaner Harnentleerung ist die Harnmenge wegen der
(Gefahr der partiellen Harnverhaltung und daraus resultierender Stagna-
tionscystitiden sorgfältig zu kontrollieren. Einer Überdehnung der Blase
ist unter allen Umständen vorzubeugen.
Über die Funktion des Harnapparates nach Operationen usw. 73
Literatur.
Baisch, Bakteriologsche und experimentelle Untersuchungen über Cystitis nach
gynäkologischen Operationen, Hegars Beiträge 1904.
Courtade und Gayon, Annales de maladies des Organes genito-urinaires Aoüt 1894.
Hawk, On the dioresis following ather narkosis, Journ. of Med. researed 1908.
Holzbach, Der Wert der Rückenmarksanästhesie für die gynäkologischen Bauch-
operationen. Münch. med. Wochenschrift 1908.
Lewin und Goldschmidt, Versuche über die Beziehungen zwischen Blase, Harn-
leiter und Nierenbecken, Arch. f. pathol. Anatomie und Physiologie, Bd. 134.
Müller, L. R., Klinische und experimentelle Studien über die Innervation der Blase,
des Mastdarms und des Genitalapparates. Deutsche Zeitschrift für Nerven-
heilkunde, Bd. 21. 1902.
Roith, Zur Anatomie und klinischen Bedeutung der Nervengeflechte im weiblichen
Becken, Archiv f. Gyn. Bd. 81.
Roith, Welche Schädigungen ihres Gefäß- und Nervenapparates verträgt die Blase
ohne dauernden Nachteil, Beiträge zur Gebh. und Gyn. Bd. 11.
Tigerstedt, Lehrbuch der Physiologie des Menschen.
Thompson, Anästhetics and renal activity etc. Brit. med. Journ. 1906, I.
(Aus der Kgl. Univ.-Frauenklinik zu Königsberg in Pr. Direktor Prof. Winter.)
Weibliche Inkontinenz durch Narbenzug.
Von
Prof. Zangemeister, Königsberg in Pr.
Zu den vielen verschiedenartigen Ursachen, welche einer Inkon-
tinenz beim Weibe zugrunde liegen können, gehört auch der Zug
durch vaginale oder paravaginale Narben. Wenn auch nicht un-
bekannt, so ist dieser Form der Inkontinenz bisher doch nicht das ihr
gebührende Interesse entgegengebracht worden.
Ich sehe hier ab von solchen Narben, welche mit Defekten der
Sphinktermuskulatur — mit oder ohne Fistel — verknüpft sind. Bei
der reinen Inkontinenz durch Narbenzug handelt es sich ausschlieB-
lich um eine — direkte oder indirekte — Verzerrung der als SchließB-
apparat fungierenden Muskulatur des Blasenhalses und der Harnröhre.
Die Einwirkung einer reinen Dislokation der Muskulatur des
Sphinkters auf seine Funktion ist in diesbezüglichen Lehrbüchern erst
neuerdings hervorgehoben. Stoeckel!) führt unter den Ursachen der
Inkontinenz „starke Zerrungen am Blasenhals und wohl auch direkte
Auseinanderzerrung des Sphinkters“, wie sie vornehmlich im Anschluß
an vaginale Operationen auftreten können, an. In älteren gynä-
kologischen Speziallehrbüchern ist darüber kaum etwas erwähnt.
Von Einzelarbeiten, die sich mit dem vorliegenden Gregenstand be-
fassen, ist vor allem diejenige von Cumston ?) zu erwähnen. Dieser
Autor hat als erster die Wirkung eines sich auf die Harnröhre ent-
faltenden Zuges klar ausgesprochen und die richtigen therapeutischen
Konsequenzen daraus gezogen. Er führt die sich bei gewissen Lage-
veränderungen von Uterus und Scheide gelegentlich einstellende In-
kontinenz auf eine Dislokation der Harnröhrenmuskulatur zurück; nach
seiner Vorstellung bewirkt der Zug ein Klaffen der Harnröhre in ihrem
vesikalen Teil. Diese Erklärung trifft für manche Fälle zweifellos zu,
für andere ebenso sicher nicht.
Wie Fritsch?) bereits — ohne Cvstoskopie — erkannt hat, kommt
es bei Senkungen der vorderen Scheidenwand oft zu einer trichterartigen
Eröffnung des oberen Teiles der Harnröhre, und zwar durch Zug der
1) Veits Handbuch d. Gebh., II. Aufl.. Bd. Il., S. 296 u. 298.
2) Monatsschr. f. Gebb. u. Gyn.. Bd. 19, S. 538.
3) Veits Handbuch. I. Aufl.. Bd. II, S. 153.
Weibliche Inkontinenz durch Narbenzug. 75
Scheide an der hinteren Wand der Harnröhre Ich!) konnte diese
Tatsache später durch das Cystoskop sowie durch einen Gefriermedian-
schnitt bei Prolaps vollauf bestätigen. Daß diese fast regelmäßig wieder-
kehrende Erscheinung an der Hamröhre nicht viel häufiger zur In-
kontinenz führt, als es tatsächlich der Fall ist, liegt daran, daß die Harn-
röhre in ihrem hinteren Teil dem Zug auch in toto nachgibt und
es somit zu einer Knickung der Harnröhre kommt, welche kompen-
satorisch den reduzierten Blasenverschluß wieder herstellt.
Cumston geht entschieden mit seiner Theorie zu weit, wenn er jeden
Zug, der auf die Harnröhre ausgeübt wird, gleichgültig in welcher Richtung,
für eine Inkontinenz verantwortlich macht (l. c. S. 544). Nach meiner Er-
fahrung ist es lediglich eine Zerrung der Hinterwand in der Längs-
richtung (oder eine auf andere Weise bewirkte gleichgerichtete Dis-
lokation der Harnröhrenwand z. B. durch Descensus, Uterusmyome),
welche den Blasenverschluß beeinträchtigt. Der Zug auf die ganze
Harnröhre, wie wir ihn bei Elevationen des Uterus, in minderem
Grade auch bei Retroposition desselben, vorfinden, bewirkt genau das
Gegenteil, eine Erschwerung der Blasenentleerung, in extremen Fällen
Ischurie. Diese Erfahrung, die ich früher schon mitteilte ®), die sich
übrigens auch mit den Erfahrungen anderer deckt, läßt sich sehr wohl
therapeutisch verwerten. Zahlreiche Fälle von Ischurie bei den ver-
schiedensten Genitaltumoren, ferner nach gynäkologischen Operationen
(Ventrofixation, Alexander-Adam, Kolporrhaphia anterior usw.) sind in
dieser Weise zu erklären und können demgemäß durch geeignete Modi-
fikation der Technik vermieden werden.
Die Fälle von Inkontinenz durch Narbenzug rekrutieren sich
zum größten Teil aus früheren Fisteloperationen. Ist eine Blasen-
scheidenfistel mühsam — vielleicht nach wiederholten Mißerfolgen —
zum Verschluß gebracht, so bleibt mitunter eine Inkontinenz zurück,
die für die Trägerin des Leidens den oft schwer errungenen ÖOperations-
erfolg illusorisch macht. Daß solche Mißerfolge nicht allzu selten sind,
ist bekannt. G. Simon è) widmet ihnen bereits ein besonderes Kapitel.
Ebenso werden sie von Winkel +) erwähnt und neuerdings speziell von
Cumston®) und Popescu ®).
Diese Inkontinenz nach Fisteloperationen ohne zurückbleibende
Fistel erklärte man sich in der verschiedensten Weise: durch Sphinkter-
lähmung, Sphinkterzerreißung, Harnröhrendefekte usw. Derartige Ur-
sachen treffen gelegentlich zweifellos zu. Häufig ist es aber eine reine
Verzerrung und Immobilisierung der Harnröhrenmuskulatur in der oben
bezeichneten Richtung, welche die Schuld trägt.
1) Zeitschr. f. Gebh., 55, S. 302.
2?) Zeitschr. f. Gebh. u. Gyn., Bd. 55, S. 318.
3) Mitteil. aus d. chir. Klin. d. Rost. Krank., 1861—65, Abt. II, S. 159.
4) Krankh. der weibl. Harnröhre u. Blase, 1877, S. 149.
5) l c.
e) Refer. Münch. med. Wochenschr. 1908, S. 1301.
76 Prof. Zangemeister.
Die Erörterung dieser Störung des Verschlußmechanismus der
weiblichen Blase würde lediglich das Interesse des Theoretikers in An-
spruch nehmen, wenn sich nicht auf Grund der richtigen Beurteilung
der Ursache eine wirksame Prophylaxe und eine erfolgreiche Therapie
dieses Leidens durchführen ließe. G. Simon bezeichnete (l. c. S. 163)
die Therapie noch als „fast machtlos“ gegen diese zurückbleibende In-
kontinenz. Auch Winckel (l. c. S. 149) wußte keine wirksamere The-
rapie anzugeben als Tampons, Vaginalduschen, Pessare.
Wie schwerwiegend die Störung zu beurteilen ist, geht aus dem
weiteren Vorschlag Winckels hervor, in schweren Fällen eine Blasen-
fistel über der Symphyse anzulegen und die Urethra operativ zur Obli-
teration zu bringen!
Heutzutage liegt die Sache günstiger. Wir verfügen über neue
geistreich erdachte Operationsmethoden, um Defekte der Sphinkter-
muskulatur erfolgreich plastisch zu ersetzen; wir können die Lähmung
oder Schwäche des Sphinkters operativ kompensieren durch Torsion
oder Streckung der Harnröhre oder neuerdings (Schröder, Zentr. f.
Gyn. 1908, 1137) durch Biegung und Kompression der Harnröhre durch
den Uterusfundus, schließlich durch paraurethrale Paraffininjektionen.
Handelt es sich nun um eine Inkontinenz, hervorgerufen durch
Jerrung von Narben, so läßt sich dieselbe in den meisten Fällen eben-
falls operativ, oft sogar ohne Operation, heilen.
Beseitigt man nämlich den Zug, welchen die Narben ausüben, so
tritt — oft sofort — wieder Kontinenz ein, resp. die Insuffizienz des
Blasenverschlusses nimmt mehr und mehr ab.
Am einfachsten kann man das oft durch Massage erreichen. Die-
selbe wird in der Weise ausgeübt, daß man die gewöhnlich stark nach
vorn verzogene Portio nach hinten schiebt und gleichzeitig die Narbe
zu dehnen und zu mobilisieren trachtet.
Ich konnte in mehreren Fällen eine vorher monate- bis jahrelang
bestehende Inkontinenz auf diese Weise beseitigen. Bereits nach der
ersten Sitzung gaben die Patientinnen meist an, daß sie den Urin viel
besser halten könnten.
Freilich war der Erfolg nicht immer ein so prompter. Eine Pa-
tientin kam wenige Monate nach der erfolgreichen Massagekur mit den
alten Beschwerden wieder; bei ihr war auch der Erfolg der zweiten
gleichen Therapie nur ein temporärer.
Eine andere Patientin ließ überhaupt keinen Erfolg bemerken; es
handelte sich jedoch bei ihr um sehr ausgedehnte und äußerst harte,
derbe, alte Narben, die sich bei der Massage kaum dehnen ließen.
Daß man in Fällen, in denen ein größerer Teil der hinteren Harn-
röhrenwand selbst aus Narbengewebe besteht, keinen Erfolg hat, ergibt
sich von selbst.
Die Massage läßt sich ganz wesentlich beschleunigen und wirkungs-
voller gestalten, sofern man sie mittels Vibriation durchführen kann.
In der ersten Zeit meiner diesbezüglichen Versuche setzte ich
Weibliche Inkontinenz durch Narbenzug. TI
große Hoffnungen auf das Thiosinamin resp. Fibrolysin; ich in-
jizierte dasselbe lokal und verband diese Therapie mit der Massage.
Leider war der Erfolg stets ein negativer. Wo die Massage allein ver-
sagte, konnten auch jene Mittel nichts ausrichten. Zudem waren die
Injektionen in das narbenreiche Gewebe stets mit erheblichen Schmerzen
verbunden.
Sind die Narben schon alt und rigid, sind sie zu ausgedehnt oder
ist die Verkürzung, die siejin der vorderen Scheidenwand bedingen, eine
zu ausgiebige, so kommt man mit der Massage nicht aus, d. h. sie
schafft wohl eine Besserung, aber keine dauernde und keine absolute
Heilung.
Eine kleine plastische Operation, wie sie auch von Cumston
(L c. S. 544) bereits vorgeschlagen worden ist, ist dann am Platze: man
durchtrennt das Narbengewebe, den narbigen Strang quer mit dem
Messer, mobilisiert die beiden Partien, namentlich die nach vom ge-
legene Hälfte, so gut es geht, und vereinigt durch einige Silknähte
derart, daß aus der queren Schnittwunde eine sagittale Nahtlinie entsteht.
Stoeckel!) führt einen ähnlichen Fall an, in welchem eine ver-
kürzende Narbe in der vorderen Scheidenwand nach Heilung einer
durch Vaginofixation entstandenen Fistel lag, und in dem die gleiche
Plastik zu sofortiger und dauernder Heilung führte.
Fall: Fr. Sch. hatte an einer Blasenscheidenfistel gelitten; nach mehrmaligen
Fisteloperationen war es gelungen, einen völligen Verschluß herbeizuführen. Da aber
eine beim Herumgehen der Frau fast völlige Unfähigkeit, den Urin zurückzuhalten,
noch ein Jahr p. oper. bestand, wurde eine paraurethrale Paraffininjektion nabe dem
Sphinkter vesicae gemacht. Dieselbe hatte nur einen geringen Erfolg auf die In-
kontinenz und führte — wahrscheinlich durch allmähliches Zugrundegehen der das
Paraffin zunächst von der Blase trennenden Gewebspartie — allmählich zur Ent-
stehung eines Blasensteines. Nach Entfernung des letzteren bestand die alte In-
kontinenz wieder wie früher.
Nach einmaliger Massage (Dehnung des Narbenkomplexes in sagittaler
Richtung) konnte Patientin den Urin fast komplett halten! Dieser Erfolg wurde noch
vervollständigt durch die weiter fortgeführte Massage. Er war aber in diesem Fall
kein dauernder. Die Frau kam nach '!j, Jahr zurück mit Inkontinenzklagen, wenn-
gleich bei weitem nicht mehr so hochgradig wie früher.
Ich nahm nun die oben beschriebene Plastik vor, welche zur dauernden (jetzt
2 Jahre) Heilung führte.
Weit wichtiger als die Tatsache, daß man relativ häufig eine nach
Fisteloperationen zurückbleibende Inkontinenz durch Dehnung oder
Spaltung der ursächlichen Narbe heilen kann, scheint mir eine Kon-
sequenz zu sein, die sich daraus für Operationen an der vorderen
Scheidenwand, vornehmlich Fisteloperationen, ergibt. Prinzipiell ist bei
diesen jede Verkürzung in sagittaler Richtung zu vermeiden.
Bei Kolporrhaphien, Vaginofixationen u. dergl. ist eine derartige Gefahr
bei der üblichen Technik kaum vorhanden. Bei Fisteloperationen liegt
die Ursache aber in der heute zumeist angewandten Operationsmethode.
1) Veits Handbuch der Gyn., II. Aufl., Bd. II., S. 298.
78. Prof. Zangemeister. Weibliche Inkontinenz durch Narbenzug.
Dadurch daß die angefrischte Fistel durch sagittale Nähte, also
zu einer queren Nahtlinie vereinigt wird, kann die gewöhnlich mehr
oder weniger weit nach vorn reichende Fistelnarbe künstlich gar leicht
eine Fixation und Zerrung der hinteren Harnröhrenwand im Gefolge
haben.
Es muß vielmehr als das Erstrebenswerte gelten, nach der An-
frischung die Fistel durch quer gelegte Nähte zu vereinigen, also so,
daß die Nahtlinie danach sagittal verläuft. Wo das nicht geht, sind
Entspannungsschnitte zu Hilfe zu nehmen, entweder seitlich von
der Fistel, oder es ist die Zugwirkung der Naht sofort durch eine
Plastik, wie oben beschrieben, zu kompensieren.
In ähnlicher Weise ist bei andersartigen Defekten der vorderen
Scheidenwand diesem Umstand Rechnung zu tragen.
Verschluß der weiblichen Blase.
Von
Prof. Zangemeister, Königsberg i. Pr.
Mit 2 farbigen Abbildungen auf Tafel und 1 Textfigur.
Die Tatsache, daß eine Verzerrung der Harnröhrenwand, wie wir
eben sahen, bei der Frau zu Störungen des Blasenverschlusses führt,
beweist von neuem, daß wir uns unter dem Sphinkter der Blase nicht
nur eine an der Ausmündung der Blase gelegene ringförmige Partie
glatter Muskulatur vorzustellen haben. Mit einer solchen Annahme wäre
die beschriebene Störung schlechterdings nicht vereinbar. Auch mit
der Annahme einer obligatorischen oder fakultativen Mitwirkung eines
Teils der Harnröhrenmuskulatur kommen wir ohne weiteres nicht aus.
Da über den Verschlußapparat der weiblichen Blase sich in neueren
Lehrbüchern im allgemeinen nur etwas dürftige Angaben finden, ver-
lohnt es sich, an dieser Stelle etwas näher auf ihn einzugehen. Wir
verdanken unsere heutigen Kenntnisse über die genauere Anatomie der
in Betracht kommenden Muskulatur vornehmlich einer vor einer Reihe
von Jahren erschienenen Arbeit von Kalischer!).
Die am Verschluß naturgemäß nur akzessorisch beteiligte quer-
gestreifte Muskulatur entstammt der Beckenmuskulatur und zwar
einem als Sphinkter urogenitalis bezeichneten Muskelkomplex, wel-
cher in seinem vorderen Teil Harnröhre und Scheide gemeinsam um-
zieht, indes die nach der Blase zu gelegenen Bündel schließlich die
Harnröhre allein umgreifen.
Von größerer Bedeutung und für die Erhaltung der Kontinenz
allein ausschlaggebend ist die glatte Muskulatur. |
Auch sie greift in ihrem vorderen Teil auf die Scheide über. Etwa
von der Hälfte der Länge der Urethra an senken sich die Muskelzüge
in das Septum urethrovaginale ein, so daß die Harnröhre in ihrem
hinteren Teil vollkommen umfaßt wird. Am Orificium internum urethrae
verdickt sich die Muskelmasse; ihre Bündel laufen von hier schräg in
das Trigonum der Blase hinein („Sphinkter trigonalis“). Der hintere,
an Masse hier viel bedeutendere Teil dieses schräg gelagerten Ringes
umfaßt das ganze Trigonum. Der vordere Teil der am Blasen-
ostium gelegenen Muskulatur gehört dagegen zur Blasen-
1) O. Kalischer. Die Urogenitalmuskulatur des Dammes mit bes. Berücksich-
tigung des Blasenverschlusses. — Berlin 1900, Karger.
80 Prof. Zangemeister.
muskulatur. Die letztere steht nicht in direkter Verbindung mit der
glatten Muskulatur der Harnröhre; die Muskelzüge der einen gehen
nicht in die der anderen über. Ein Querschnitt am Ostium vesicae
trifft also vorn Blasen-, hinten Harnröhrenmuskulatur. (Siehe Fig. 1
und 2.)
Diese Tatsache muß präzis hervorgehoben werden, weil sie die
alte Anschauung eines am „Blasenhals‘‘ gelegenen Muskelringes ohne
weiteres widerlegt.
Der Verschluß kann also nicht etwa wie am Anus einfach durch
konzentrische Verkleinerung des Querschnittes erfolgen. Infolge Ver-
teilung der Muskulatur, hauptsächlich auf den hinteren Teil
der Zirkumferenz, wird es bei der Kontraktion hier zu einer Ver-
engerung des Lumens kommen, wie sie etwa durch einen Quetschhahn
bedingt wird (A, BJ). Ferner muß durch den schrägen Verlauf
der Muskelbündel bei deren Kontraktion eine Verschiebung der
vorderen Wand der Harnröhre gegen die hintere eintreten.
Durch diese (zur Harnröhrenachse) schräge Anordnung der die Urethra
umgreifenden Fasern wird die auf das Lumen bei der Kontraktion ent-
GA e
Fig. 3.
faltete Kraft wesentlich erhöht, indem der Weg verlängert ist, auf
welchem die gleiche Kraft gegenüber dem gleichen Widerstand aus-
geübt wird.
Dadurch daß ein Teil der als Sphinkter fungierenden (Harnröhren-)
Muskulatur in die Blase selbst (Trigonum) eingelagert ist, und die voll-
ständige Trennung der übrigen Blasen- von der Harnröhrenmuskulatur
erwiesen ist, ist es verständlich, daß bei der Kontraktion der Blase
deren Ausgang nicht mit verengt wird.
Von mechanischer Bedeutung für den Blasenverschluß ist zweifellos
auch die — nicht radiäre, sondern in mäßigem Grade — schräge
Einmündung der Harnröhre in die Blase (vgl. z. B. Tandler-
Halban, Tafel 11, 20, 30, 32). Denn bei gleichbleibender Anordnung
und Leistungsfähigkeit der kontraktilen Elemente um den Ausführgang
herum wird sich ein um so größerer Inhaltsdruck überwinden lassen,
je mehr sich die Ein- resp. Ausmündung in ihrer Achse der Tangente
nähert. Zweckentsprechenderweise verläuft der hintere Harnröhrenteil
bei steigender Füllung der Blase schräger und schräger, allmählich
nahezu tangenital gegen die Blase; damit wird die zum Verschluß not-
wendige Muskelkraft mit zunehmender Füllung relativ verringert.
Die Ausdehnung der als Sphinkter wirkenden glatten Mus-
kulatur auf die ganze hintere Hälfte der Harnröhre erklärt die klinisch
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Verschluß der weiblichen Blase. 81
bekannte Tatsache, daß die Suffizienz des Verschlusses möglich ist, auch
wenn die dem Blasenostium zunächst gelegene Muskulatur zerstört oder
funktionsunfähig ist, ferner, daß bei Defekten im hinteren Teil der
Harnröhre Inkontinenz eintreten kann, obwohl die unmittelbar am
Ostium der Blase gelegene Muskelmasse intakt und funktionstüchtig ist.
Was speziell die oben erwähnte Inkontinenz durch Narbenzug an-
langt, so erscheint es an der Hand der erwähnten anatomischen Grund-
lagen und der sich daraus ergebenden Folgerungen für die Mechanik
des Verschlusses durchaus verständlich, daß alle solchen Momente, welche
die schräge Einmündung der Harnröhre in die Blase reduzieren, und
diejenigen Faktoren, welche die Verschieblichkeit der Harnröhren-
wände in der Längsrichtung beeinflussen, insbesondere wenn
sie eine dauernde Dislokation der hinteren Harnröhrenwand
bedingen, die Verschlußfähigkeit der Blase gefährden müssen. Hierzu
sind die in der vorderen Vaginalwand, namentlich nach Fisteloperationen,
gelegenen Narben zu rechnen. Daß es sich hierbei nicht ausschließlich
um eine narbige Immobilisierung der Harnröhrenmuskulatur als Ursache
der Inkontinenz handelt, dafür spricht der Erfolg der Therapie, durch
die nur der dislozierende Einfluß der Narbe behoben wird.
Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1.
(Aus der Universitäts-Frauenklinik in Bonn. Direktor: Geh. Öbermedizinalrat
Prof. Dr. Fritsch.)
Zur Behandlung schwerer Entzündungen der weiblichen Blase.
Von |
Privatdozent Dr. Erich Zurhelle.
(Mit 1 Figur.)
Es ist heutzutage wohl allgemein anerkannt, daß in schweren Fällen
von chronischer Cystitis die lokale Behandlung im Vordergrund steht,
und daß ihr gegenüber die medikamentöse nur eine untergeordnete Rolle
spielt, wenn auch mit Recht gewarnt werden muß vor kritikloser Aus-
spülung bei jeder chronischen Cystitis.
Die Blasenspülungen bezwecken vollständige Entfernung des zer-
setzten Urins und des ihm beigemengten Eiters, gründliche Reinigung
der Blase und eventuell auch medikamentöse Beeinflussung der er-
krankten Blasenwand.
Dieser Zweck kann nur erreicht werden, wenn die Spülungen sach-
kundig (vom Arzt!), schonend und so häufig gemacht werden, daß in
der Zwischenzeit nicht Gelegenheit gegeben ist, daß durch Zersetzung
des sich wieder ansammelnden Urins eine neue Schädigung der Blasen-
schleimhaut hervorgerufen wird. In erster Linie kommt es an auf aus-
giebige Reinigung und Fortschaffung der infektiösen Sekrete. In zweiter
Linie erst kommt die Abtötung der Bakterien in Betracht, soweit sich
dieselbe ohne schwere Gefährdung der Blasenwand selbst erreichen läßt.
In keinem Falle darf der Nachteil stark desinfizierender Gifte größer
sein als der Vorteil der Keimtötung. Die beste Säuberung einer chro-
nisch schwer entzündeten Blase läßt sich unzweifelhaft erreichen durch
rationelle Dauerspülungen, und doch werden dieselben bisher kaum
angewandt. Fritsch und Stöckel empfehlen im Veitschen Handbuch,
wenn die andere Therapie versagte, für verzweifelte Fälle zu diesem
Zweck in Verbindung mit einem Schückingschen Tropfrohr zwei an-
einandergenähte Gummischläuche in die Blase zu bringen, von denen
der eine als Einfluß-, der andere als Abflußrohr dienen sollte, das Ganze
in Verbindung mit einem großen, 12 Liter fassenden Irrigator. Als
Nachteil dieser Methode der permanenten Irrigation bzw. permanenten
Instillation erkannten wir, daß, abgesehen davon, daß die Harnröhre
durch die eingelegten Gummischläuche zu stark gedehnt wird, die Blasen-
wand sich dabei oft so zusanımenlegt, daß die Spilflüssigkeit zum größten
Zur Behandlung schwerer Entzündungen der weiblichen Blase. 83
Teil abfließt, ohne mit der ganzen Blaseninnenfläche in Berührung zu
kommen. Sie kommt oft nur in eine Tasche, einen Divertikel und fließt
dann sofort wieder ab. Eine Kontrolle, wie weit die Blase durch die
Spülflüssigkeit entfaltet wird, fehlt, ebenso eine Maßnahme, den jeweiligen
Dehnungsgrad nach Bedarf zu regulieren. Langdauernde, sehr reich-
liche Spülungen mit einem Zweiwegehahn auszuführen, hat, wie jeder
weiß, auch seine Nachteile, zumal die Füllung der Blase bis zum Ein-
treten des Druckgefühls und die damit abwechselnde Blasenentleerung,
womöglich mit Anschlagen der entzündeten Blasenwand an den Katheter,
den Kranken sehr unangenehm ist. Um diesen Nachteilen abzuhelfen,
habe ich vor etwa drei Jahren einen Rücklaufkatheter für Dauerspülungen
bei schweren Entzündungen der weiblichen Blase (s. Abb.) anfertigen
lassen, der sich uns öfter bei hartnäckigen Fällen sehr bewährt hat.
(Etwa '/ der natürlichen Größe.)
Die Einrichtung des Katheters !) geht aus der obigen Abbildung hervor.
Etwa 5 bis 6 cm vor der im Sinne der weiblichen Harnröhre leicht
gebogenen Spitze befindet sich eine runde Scheibe, die ein zu weites Ein-
führen des Katheters in die Blase verhindern soll. Durch je einen Hahn
am Zufluß- und Abflußrohr hat man den großen Vorteil, daß man jederzeit
imstande ist, den Füllungsgrad der Blase während der Dauerspülung zu
regulieren, so daß die Spülflüssigkeit tatsächlich die Blasenwand in
ganzer Ausdehnung reinigen kann. Die Klagen der Kranken über ab-
wechselndes Leer- und Vollaufen der Blase fallen fort und für den, der
die Spülung macht, bietet die Methode große Bequemlichkeit. Gegen-
über der Permanentinstillation mit dem Schückingschen Tropfrohr hat
dieser Katheter, den ich aus Metall habe herstellen lassen, der sich aber
auch aus Glas oder Hartgummi anfertigen läßt, den Vorteil, daß ein
kräftiger Strahl die Blase ausspült, wodurch eine stärkere Abkühlung
der Spülflüssigkeit, wie sie bei zu langsamem Durchfließen durch den
Schlauch unvermeidbar ist, nicht eintritt. Sehr große Mengen Spül-
flüssigkeit (abgekochtes Wasser, physiologische Kochsalzlösung usw.)
können so in Anwendung kommen. Das Kaliber der zu- und abführen-
den Röhren darf nicht zu eng sein, speziell das Abflußrohr und seine
Fenster nicht, damit nicht Schleim- und Eiterpartikel dasselbe verlegen.
Auch dürfen die Fenster nicht scharfrandig sein, damit sie keine Fissuren
in die geschwollene, leicht verletzliche Urethralschleimhaut reißen. Die
!) Der Katheter ist erhältlich bei F. A. Eschbaum, Bonn.
6*
84 Dr. Erich Zurhelle.
Regulierhähne dürfen nicht zu nahe an der runden Scheibe liegen, da
man sonst beim Stellen derselben behindert ist, worauf der Instrumenten-
macher achten muß.
Frauen, die früher auf andere Weise gespült worden sind, sind für
diese Methode der Dauerspülungen sehr dankbar und wissen die Vorteile
am besten zu würdigen.
Was soll nun geschehen, nachdem auf diese Weise Schleim, eitriger
Belag, kurz alle Entzündungsprodukte entfernt sind?
Stöckel empfiehlt im Veitschen Handbuch als „souveränes Oystitis-
mittel“ das seit Jahrzehnten erprobte Argentum nitricum. In verschieden
starken Lösungen ist es auch wohl das meist gebräuchliche, obwohl
jeder weiß, daß Argentumspülungen, auch mit schwachen Lösungen und
bei geschickter Anwendung, oft schmerzhaft sind. Das Brennen ist bei
stärker gereizten Blasen bei Argentumspülungen oft so heftig, daß man
zu Linderungsmitteln greifen muß. Nur in einem Teil der Fälle kann
man den Rest der Spülflüssigkeit für längere Zeit in der Blase belassen,
meist muß schon nach wenigen Minuten der Inhalt entleert werden.
Um alle diese Übelstände zu’ vermeiden, habe ich nun seit 14, Jahren
den Versuch gemacht, statt der Argentumlösungen 1°/, Collargollösungen
zu nehmen, veranlaßt durch eine Mitteilung aus der Czernyschen
Klinik von Voelcker und Lichtenberg!), die zum Zweck der Sicht-
barmachung der menschlichen Blase im Röntgenbild 2%, Collargollösung
in die Blase gebracht hatten. Es war ihnen dabei aufgefallen, daß
einige Fälle von chronischer Cystitis durch die Collargolinjektion auf-
fallend gebessert wurden. Auf Grund dieser zufällig gemachten thera-
peutischen Erfahrung habe ich in der Bonner Klinik in einer Reihe
z. T. verzweifelter Fälle von chronischer Cystitis nach gründlicher
Auswaschung der Blase etwa 100 ccm lauwarmer 1°, Collargollösung
mit einer Stempelspritze in die entleerte Blase eingespritzt und darin
längere Zeit gelassen. Das absolute Fehlen irgendwelcher Reizerschei-
nung machte ein viele Stunden langes Belassen der Lösung und eine
entsprechend intensive Wirkung möglich. Ja, ich möchte glauben. dad
man es direkt mit einer Dauerwirkung zu tun hat. Jedenfalls habe ich
in mehreren Fällen, nachdem ich einige Tage die Behandlung ausgesetzt
hatte, cystoskopisch an der ganzen Schleimhaut der Blasenwand verteilt,
reichliche Collargolniederschläge haften sehen. Ich glaube kaum, daß
wir auf eine andere Weise imstande sind, ähnliche Dauerwirkung auf
die Blasenschleimhaut zu erzielen. Dabei ohne jede Reizung! In ganz
schweren, bisher mit Argentumlösungen erfolglos behandelten Fällen, in
denen starke Veränderungen der Blasenwand nachweisbar waren, konnte
ich mit Injektion von Collargollösung in 10—12 Tagen zum Ziele ge
langen, in leichteren Fällen innerhalb einer Woche. Jedenfalls ist diese
Methode der vielfach empfohlenen Instillation weniger Tropfen einer hoclı-
1) Voelcker und Lichtenberg, Die Gestalt der menschlichen Harnblase im
Röntgenbilde. Münch. med. Wochenschrift 1905, Nr. 33.
Zur Behandlung schwerer Entzündungen der weiblichen Blase. 85
konzentrierten, 1°/,igen Argentumlösung in die vorher entleerte Blase,
von der auch andere!) nur geringen Erfolg, aber sehr heftige Schmerzen
gesehen haben, bei weitem vorzuziehen. Wie die therapeutische Wirkung
des Collargols in der Blase sich abspielt, ob die auf seinem Charakter
als kolloides Metall beruhenden katalytischen Eigenschaften und seine
Fähigkeit, durch Einleitung von Oxydationsvorgängen giftige Bakterien-
produkte in ungiftige Körper überzuführen, hier vor allem eine Rolle
spielen, wage ich nicht zu entscheiden. Die Tatsache der guten Wirkung
steht fest.
Die Herstellung der Lösungen dieses ungiftigen, geruchlosen Des-
infizienz ist die denkbar einfachste durch die im Handel befindlichen
Tabletten. Man löst dieselben in einer gut gereinigten Flasche aus
schwarzem Glase mit der nötigen Menge abgekochten und wieder ab-
gekühlten destillierten Wassers und schüttelt nach einiger Zeit tüchtig
um. Die Lösung bleibt monatelang, auch nach mehrfachem Öffnen der
Flasche haltbar. Sie kann ohne Nachteil gekocht werden, wenn auch
eine Sterilisierung nicht nötig ist, da die Collargollösung sich selbst
steril hält. Beim Eintropfen in destilliertes Wasser muß sie eine braune
klare Flüssigkeit geben, tut sie das nicht, sondern wird das Wasser grau,
trübe oder bilden sich Niederschläge, so muß man die Lösung als un-
brauchbar fortschütten. Die Nachteile der Argentumlösungen, die leichte
Ausfällbarkeit und das Hervorrufen stärkerer Schmerzen fehlen der
Collargollösung, die außerdem noch den Vorteil hat, daß die durch sie
in der Wäsche hervorgerufenen braunen Flecke durch gewöhnliches
Waschen verschwinden.
Die lästigen und schmerzlichen postoperativen Cystitiden sind in
unserer Klinik in den letzten Jahren nahezu vollständig verschwunden.
Wir sehen sie fast nur noch nach abdominellen Uteruscarcinomopera-
tionen, und zwar ohne Unterschied, ob wir einen Dauerkatheter ein-
legen oder nicht. Auf Grund dessen, was ich bei Küstner und Wert-
heim gesehen, lassen wir jetzt, wenn die Blase unverletzt ist, den
Dauerkatheter fort, nachdem wir bis zum Sommer d. J. prinzipiell nach
abdominellen Carcinomoperationen ihn angewandt hatten. Im übrigen
ist die Abnahme der postoperativen Cystitiden wohl in erster Linie
darauf zurückzuführen, daß wir im Prinzip so wenig wie möglich kathe-
terisieren. Wir sind sehr viel seltener genötigt, zum Katheterismus zu
schreiten, seitdem wir uns nicht mehr scheuen, die Operierten sehr früh-
zeitig zum Zweck des Urinierens auf den Nachtstuhl zu lassen. In
Fällen, in denen auch dann noch spontane Urinentleerung unmöglich ist,
oder in Fällen, in denen uns ein Aufsitzen der Operierten wegen Fieber
usw. kontraindiziert erscheint, kommen wir fast stets zum Ziel mit der
von Baisch empfohlenen Injektion von etwa 20—30 cem Borglyzerin-
lösung in die gefüllte Blase, nur nach abdominellen Uteruscarcinom-
operationen bleibt auch hier oft der Erfolg aus. Vielleicht macht hier
ı) Döderlein u. Krönig, Operative Gynäkologie. 1907. II. Auflage. S. 634.
86 Dr. Erich Zurhelle. Zur Behandlung schwerer Entzündungen der weibl. Blase.
prophylaktische Collargolfüllung der Blase nach der Operation die Cystitis
seltener.
Ich glaube, daß die oben skizzierte Behandlungsmethode schwerer |
Entzündungen der weiblichen Blase nicht nur die Behandlung dieser
Erkrankung sehr oft abkürzt, sondern auch in vereinzelten Fällen in-
stande ist, einen von der ultima ratio abzuhalten: ich meine die An-
legung einer Blasenscheidenfistel. Besonders geeignet scheinen mir die
Fälle, in denen die Kontraktilität der Blase so weit geschwunden ist,
daß nach spontanem Urinieren stets „Residualharn“ mit Stagnation und
Zersetzung zurückbleibt, der die Cystitis unterhält, und deren man bis-
her nur mit einem Dauerkatheter Herr werden konnte. Hier kann das
Collargol gute Dienste tun. Selbstverständlich ist das Collargol kein
Allheilmittel der Cystitis, aber der Umstand, daß jeder die Pflicht hat,
das bekannt zu geben, wovon er, bei Behandlung bisher erfolglos be-
handelter Fälle, Heilung hat eintreten sehen, mag diese Zeilen recht-
fertigen.
Nachwort: Zu meiner Freude ersehe ich aus einer Bemerkung
Stöckels in dem eben erschienenen ersten Heft dieser Zeitschrift S. 55,
daß „sich ihm die Collargollösung bei der Cystitisbehandlung ganz außer-
ordentlich bewährt hat“. Hoffentlich werden die guten Erfahrungen
bald auch von anderer Seite bestätigt.
(Aus der kgl. Universitäts-Frauenklinik, Marburg. Direktor: Prof. Dr. Stoeckel.)
Über den Blasensitus nach Cystocelenoperationen.
Von
Dr. H. Sieber, Assistenzarzt.
Die Beurteilung der Leistungsfähigkeit einer Cystocelenoperation
wird gewöhnlich nur davon abhängig gemacht, ob nach Verlauf längerer
Zeit die vordere Vaginalwand und mit ihr der anliegende Teil der Blase
noch in der durch die Operation korrigierten Lage verblieben ist. Man
nimmt an, daß in diesem Fall die Blase dann ebenfalls richtig liegen
müsse und kann sich auch durch Sondierung vermittels eines Katheters
von der ungefähren Lage derselben überzeugen. Nicht jedoch ist es
möglich, festzustellen, welche Beziehungen die einzelnen Blasenabschnitte
sowohl unter sich als auch zu ihrer Umgebung eingegangen haben.
Dies zu erkennen, lehrt uns nur die Cystoskopie, und durch sie klärt
sich häufig erst der Grund der mannigfachen Klagen, die wir oft nach
„glänzend gelungenen“ Vorfalloperationen zu hören bekommen. Sicher-
lich spielt bei dem Entstehen oder Wiederauftreten eines Vorfalls der
vorderen Scheidenwand die Blase als solche eine große Rolle, und so
gewinnt die Cystoskopie für frische Fälle auch noch einen prognostischen
Wert.
Wir haben vier Operationsmethoden der Cystocele in Betracht ge-
zogen, weil diese die Hauptoperationstypen vertreten und weil momentan
nur diese 4 Arten zwecks cystoskopischer Untersuchung zur Verfügung
standen. Die einzelnen Fälle sind tabellarisch zusammengestellt. Es
handelt sich um vordere Kolporrhaphie, vordere Kolporrhaphie
mit Vaginofixura uteri, die Schautasche Prolapsoperation und
die Totalexstirpation mit vorderer Kolporrhaphie. Daß an alle
Operationen, da ja bekanntlich mit einem festen Damm der Effekt jeder
Prolapsoperation steht und fällt, eine ausgiebige Scheidendammplastik
angeschlossen wurde, sei hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt.
Entsprechend der Tatsache, daß bei der zweiten und dritten Methode
der Uterus künstlich eine veränderte Lage gegenüber der Blase ein-
nimmt und je nach Art seiner Einwirkung verschiedene Blasensituationen
schaffen kann, sind von diesen Operationen mehr Fälle zur Unter-
suchung genommen als von den beiden anderen Arten, wo die Blasen-
verhältnisse alle mehr oder weniger gleich angetroffen werden.
88 Dr. H. Sieber.
So haben wir nur 3 Fälle einfacher Kolporrhaphie als Beispiele
dieser Art gewählt, von denen der erste vor 4 Jahren, der zweite vor 8
und der dritte vor 4 Monaten operiert wurde. Beim ersten Fall be-
steht ein nur leichter Descensus der vorderen Vaginalwand, der Uterus
liegt vollständig korrekt, der Damm ist genügend hoch und fest und
doch müssen wir cystoskopisch feststellen, daß eine ganz erhebliche
Senkung des Blasenbodens eingetreten ist, die eine vollständige Ent-
leerung der Blase unmöglich macht. Die Patientin leidet auch an
häufigem Urindrang, Nachträufeln, unfreiwilligem Urinabgang. Pro-
gnostisch läßt der cystoskopische Befund hier, wo der Blasendescensus,
wenn man so sagen darf, dem Scheidendescensus vorauseilt, den Schluß
zu, daß sich mit der Zeit ein noch erheblicheres Rezidiv einstellen
wird. Nach der vaginalen Untersuchung würde man jene deutlichen
Entleerungsstörungen nicht für möglich halten, cystoskopisch zeigt sich
jedoch die Senkung des Blasenbodens noch dadurch verstärkt, daß das
Ligamentum interuretericum stark vorspringt, als ob es in die Höhe
gezogen würde, während der vordere Teil des Trigonums, wie auch der
hinter dem Ligament gelegene Teil des Blasenbodens nach unten sich
ausbuchtet. |
Der zweite Fall zeigt keinerlei anormale Verhältnisse mehr. Da-
gegen findet sich beim dritten Fall, obwohl die Lage der vorderen
Scheidenwand annähernd normal ist, schon eine Senkung des vorderen
Teils des Trigonums und ein deutlicher Recessus des Fundus nach
rechts unten. Dementsprechend klagt auch die Patientin über häufige
Schmerzen nach dem Urinlassen. Der Hochstand des Ligamentum
interuretericum, welcher besonders im ersten Fall gegenüber den an-
grenzenden Funduspartien deutlich ist, läßt sich wohl folgendermaßen
erklären: Der Ureter durchdringt den an der Basis des Ligamentum
latum gelegenen Bindegewebsraum und ist dort mehr oder weniger
fixiert, mehr jedenfalls, wenn parametritische Prozesse, wie in diesem
ersten Fall, vorhergegangen sind. Handelt es sich nun um reinen
Scheidendescensus, einen Zustand, bei welchem der Uterus und die
Ligamenta lata hoch stehen, so ist es begreiflich, daß die Blase an den
von den Ureteren schräg durchsetzten Stellen von diesen hochgehalten
wird, während die übrigen Fundusteile nach unten sinken. Es können
also in diesen Fällen schon leichtere Formen von Blasenscheidende-
scensus Störungen bei der Miktion hervorrufen, während die Beschwerden
wohl geringer wären, wenn auch ein leichter Uterusdescensus mit der
Lageanomalie vergesellschaftet wäre. Bei der Operation der vorderen
Kolporrhaphie werden die wenn auch schwachen Verbindungen der
Blase mit der Cervix und den seitlichen Uteruspartien künstlich gelöst
und so leuchtet es ein, daß die nur verkürzte, aber durch die Mus-
kulatur des Diaphragma nach wie vor ungenügend gestützte vordere
Vaginalwand dem vollen Blasendruck über kurz oder lang nachgeben
wird. Näher auf diese Verhältnisse einzugehen, liegt nicht im Rahmen
dieser Arbeit.
Über den Blasensitus nach Cystocelenoperationen. 89
Anders liegen die Verhältnisse bei den Fällen von vorderer Kol-
porrhaphie mit Vaginofixur. Durch diesen Operationsmodus wird der
Fundus uteri in nahen Konnex mit der Blase gebracht, dessen Folgen
wir cystoskopisch sich verschieden äußern sehen. Die Zeit, welche seit
der Operation dieser Fälle verstrichen ist, schwankt zwischen 4 Jahren
und 3 Monaten. Unter den 13 Fällen fand sich 9mal ein stark vor-
gebuckelter Blasenfundus mit entsprechend größeren und kleineren seit-
lichen Recessus und steil stehendem Trigonum. 3 mal hiervon war
dieses vollständig schief gestellt, so daß die eine Uretermündung nach
vorne, die andere nach hinten lag. In einem Fall, Nr. 13, lag das
Trigonum ebenfalls schief, war jedoch zu gleicher Zeit nach unten ge-
sunken; trotz der kurzen Zeit nach der Operation, nach 8 Monaten, war
hier schon wieder ein Descensus des Blasenbodens eingetreten. Wohl
hochgezogen, aber nicht vorgebuckelt war in einem Fall (11) der Blasen-
fundus, wo der Uterus zwar anteflektiert, doch retrovertiert lag, die
vordere Scheidenwand wurde von dem nach hinten gekippten, aber an
ihr fest fixierten Uterus energisch in die Höhe gehoben. Es bestand
also eine sogenannte Retroversio cum Anteflexione. 2 mal war Recidiv
mit Retroflexio und Retroversio eingetreten, hier hatte sich natürlich
auch der Blasenboden gesenkt. Besonders interessiert uns in dieser
Gruppe das Ergebnis, daß 6 mal erhebliche, 5 mal leichtere entzündliche
Erscheinungen und 2 mal Symptome alter Entzündungen zu finden
waren. Es zeigte sich also keine einzige Blase ganz frei von Ent-
zündungserscheinungen, welche auch in den Urinbefunden ihren Aus-
druck finden. Dem entspricht, daß 11(!) Patientinnen Klagen betreffs
der Blase vorbrachten und es wird hierdurch die von Fritsch und
Bumm ant dem Würzburger Gymäkologenkongreß 1903 aufgestellte
Behauptung, daß fast alle Vaginofixierten über jahrelange Blasenbe-
schwerden klagten, vollauf bestätigt. Ebenso äußert sich Stoeckel?).
Die Urinbeschwerden bestanden vom Operationstag ab; 12 Eauenunnen
mußten 3—14 Tage katheterisiert werden.
Wie läßt sich nun eine so eklatante Blasenalteration erklären?
Durch die Blasenverzerrung, welche der sich in den Blasenboden
bohrende Fundus uteri hervorruft, muß eine erhebliche Störung des
normalen Entleerungsvorgangs bewirkt werden. Der Urin wird lange
zurückgehalten, nur mit Mühe und nur unvollkommen entleert und die
über Gebühr in Anspruch genommene Blasenwand begünstigt nur zu
sehr eventuell eintretende Zersetzungsvorgänge. Denkbar wäre, daß die
Funktionsstörung sich selbst auf die Ureteren fortsetzte, besonders bei
schief verzogenem Trigonum und in einem Fall (Nr. 5) ist auch einige
Zeit nach der Operation eine Pyelitis aufgetreten, die vielleicht diese
Erklärung finden kann. Weiteren Abbruch tut dieser Methode der
Umstand, daß selbst unter den Fällen mit gut anteflektiertem Uterus
ein Cystocelenrezidiv zu verzeichnen ist. (Fall 13.)
1) Die Cystoskopie des Gynäkologen, S. 302, und Veits Handbuch, 2. Auflage,
Bd. 2, S. 438.
90 Dr. H. Sieber.
Eine noch erheblichere Verlagerung erfährt die Blase bei der dritten
Gruppe, der Schautaschen Prolapsoperatiion.e Hier wird bekanntlich
der Uterus extraperitoneal gelagert und in das Septum vesicovaginale
eingenäht. Er nimmt gewissermaßen den ganzen Blasenboden auf den
Rücken und hindert ihn am Vorfall. Dementsprechend finden wir
cystoskopisch die ganze Blase sehr stark hochgehoben und besonders
das 'Trigonum springt stark vor. Das ist aber nicht alles. Jedesmal,
mit Ausnahme des einen vor längerer Zeit operierten Falles (Nr. 17).
zeigten sich rechts und links vom Trigonum Recessus von verschiedener
Gestalt. Liegt der Uterus nicht genau median, so erscheint der ent-
gegengesetzte Recessus geräumiger und flacher, der gleichseitige schmäler
und tiefer mit spitzer abgeknickten Winkeln. Man könnte nun annehmen.
daß diese Erscheinung der seitlichen Recessus dadurch bedingt würde,
daß der Uterus für die Blase als Unterlage zu schmal ist und ihre
Seitenteile über seine Kanten herunterhängen. Den ist jedoch nicht
so. Wie sich schon nach der oft sehr scharfwinkligen Blasenabknickung
vermuten läßt, sind diese Blasenteile nicht heruntergesunken, sondern
werden heruntergezogen. Es ist aber nicht ohne weiteres klar, wo-
durch dieser Zug an den seitlichen Funduspartien ausgeübt wird.
Dührssen!) meint, daß hier Aussackungen der Harnblase infolge der
Verbindung der Blasenzipfel mit den breiten Mutterbändern bestehen
blieben, wenn diese Verbindung operativ nicht getrennt würde. An
verschiedenen, von Herrn Geheimrat Gasser mir mit größter Liebens-
würdigkeit zur Verfügung gestellten Präparaten konnte ich mich von
dem Vorhandensein irgendwelcher festerer Verbindungen der sogenannten
Blasenzipfel mit den Ligamentis latis nicht überzeugen, und auch Herr
Geheimrat Gasser teilt diese Ansicht. Wohl soll zugegeben werden,
daß von den Seiten des Blasenbodens zu den Uterusseitenkanten Muskel-
bündel ziehen, wie sie Ziegenspeck?) beschreibt. Aber einmal werden
diese durch die veränderte gegenseitige Lage nicht angespannt, da ja
die Uteruskanten noch näher zum Blasenboden gebracht werden, und
dann sind sie nicht von einer solchen Stärke, daß sie einem länger-
dauernden Zuge, den nun die Blase nach oben zu ausüben müßte,
standhalten würden. Hingegen bilden, wie man sich stets überzeugen
kann, die bedeutendste Fixation der Blase gegen die Parametrien zu die
Ureteren mit ihren bindegewebigen Hüllen. Die Harnleiter werden, da
sie ja die Basis der Ligamenta lata durchsetzen, bei der besprochenen
operativen Verlagerung des Uterus durch die Verziehung der Ligamente
stark nach unten gezogen und treten erst wieder von unten her in
die Blase ein. Sondiert man einen solchen Ureter von der Blase aus,
so gleitet, wie ich mich selbst durch eine an der Leiche vorgenommene
Schautasche Operation überzeugen konnte, die Sonde zuerst beinahe
senkrecht nach unten außen, um dann in scharfem Bogen wieder nach
!) Gynäk. Rundschau 1907, Nr. 11.
TI Archiv für Gynäkologie, Rd. 31.
Über den Blasensitus nach Cystocelenoperationen. 91
oben umzukehren. Es wird durch diese neuen topographischen Ver-
hältnisse dem Ureter ein größerer Weg als vorher zur Blase auf-
gezwungen und so ist es nicht anders möglich, als daß er einen Zug
auf.seine Anheftungsstelle an der Blase ausübt. Wie an dem Präparat
zu sehen war, steigt der Ureter in derselben Richtung, welche der
Recessus einnimmt, in die Tiefe und durchsetzt die Blasenwand in
den Partien, welche dem Boden des Recessus entsprechen. Cystoskopisch
ist dieses Verhalten besonders deutlich an den Fällen zu sehen, wo
schon selbst die Uretermündungen in den Recessus liegen und beinahe
verschwinden (Fall 21), oder wo sie hinter dem im übrigen stark hoch-
gehobenen Trigonum liegen und mit ihrem Lumen vollständig nach
hinten sehen (Fall 19). Es nützt also auch eine weit hinaufreichende
Ablösung der Blase nichts gegen das Auftreten dieser Recessus. Sie
schaden aber auch nichts, denn die Patientinnen haben keinerlei Be-
schwerden davon, und sie verschwinden, wie wir in einem Fall (Nr. 24)
selbst konstatieren konnten, mit der Zeit (hier schon nach 2!/, Monaten)
von selbst. Auch Fall 17, der einzige, dessen Operation längere Zeit
zurückliegt, weist, wie schon oben bemerkt, keine Recessus mehr auf.
Erwähnt muß werden, daß bei beiden Untersuchungen von Fall 24 die-
selbe Flüssigkeitsmenge zur Füllung benutzt wurde. Es findet hier
offenbar eine allmähliche „Eigenretraktion“ der Blase statt, was Dührssen
(l. c.) nur bei seiner Methode des breiten Ablösens für möglich hält.
Diese Retraktion überwindet schließlich den Zug der Ureteren, welche
sich dehnen und ihrer neuen Lage anpassen. Bei keinem einzigen Fall
haben wir Entzündungserscheinungen der Blase beobachtet, obgleich in
6 Fällen (= 60°,,) bis zu 7 Tagen nach der Operation katheterisiert
werden mußte. Allerdings konnten von den Patientinnen mit Vagino-
fixur 92%, bis zu 14 Tagen nach der Operation nicht spontan Urin
‚lassen. Bei der Schautaschen Operation kamen später weder Klagen
über die Blase noch über das Genitale vor. Was die Leistungsfähig-
keit dieser Methode betrifft, so glauben wir sie sehr hoch anschlagen
zu dürfen. Allerdings liegen fast alle unsere Fälle noch nicht weit
zurück, jedoch ist bei keinem einzigen auch nur die Andeutung eines
Rezidivs zu konstatieren. Der Uterus zieht in seinem Bestreben, sich
in die Höhe zu richten, die vordere Scheidenwand empor und hebt zu-
gleich den Blasenfundus. Endlich wirkt die so verlagerte Gebärmutter
auch noch als Pelotte und verstärkt das offenbar funktionsuntüchtige
Diaphragma urogenitale. Wir glauben also die Schautasche Operation
nach jeder Richtung hin aufs wärmste empfehlen und sie in Fällen, wo
Konzeption nicht in Betracht kommt, an die Spitze der Vorfalloperationen
stellen zu dürfen.
Es erübrigt noch wenige Worte über 4 Fälle von Totalexstirpation
mit vorderer Kolporrhapbie. Leider kann hier wenig Günstiges berichtet
werden. 3 mal waren Entzündungserscheinungen der Blase vorhanden —
bei keiner Patientin wurde katheterisiert oder Dauerkatheter gelegt —,
2 mal war der Blasenboden und mit ihm die vordere Vaginalwand stark
92 Dr. H. Sieber.
— — i
Name Krankhei i Tag der Juli 1908
Na; Alter pa Operation Operation Touchierbefund
1.| Fr. L | Prolapsus vaginalis Kolporrhaphia 18. 8. Uterus anteflek-
48 J duplex. duplex. 04. tiert, etwas recht:
Cystocele. eis liegend. Noces Ve-
perateur: ı ginalwand descen-
Prof. Opitz. dert, Damm hoch u
| fest.
2.| Fr. V. | Prolapsus vaginalis Kolporrhaphia 3. 12. | Uterus anteflektiert.
7J. ei duplex. 07. EE an
tocele. Dammplastik. escendiert. amm
| Operateur: von guter Festigkeit. |
Prof. Stoeckel.
3.| Frl. B. | Prolapsus vaginalis Kolporrhaphia 12. 3. Uterus anteflek-
27 J. duplex. duplex. 08. tiert. Andeutung
Cystocele. Dammplastik. von vorderem Vagi-
Operateur naldescensus. Damm |
Prof. Stoeckel. | sehr fest.
| |
4.| Fr. S. | Prolapsus vaginalis | Breite Vaginofixur. | 1.3. | Vagina eng. Damm
62 J. | duplex. Kolporrhaphia 04. fest u. hoch. Uterus
Cystocele. 5 E mn uch, nn
ammplastik. er vorderen Vaginal- |
Operateur: wand antevertiertauf. '
Prof. Opitz.
5.| Fr. V. | Prolapsus vaginalis | Vaginofixura uteri. | 22. 7. | Uterus entsprechend
28 J. duplex. Kolporrhaphia 04. dem IV. Graviditäts-
Cystocele. duplex. monat vergrößert,
N uteri eege SS rechts ante-
mobilis. perateur: flektiert, fixiert. Kein
| Prof. Opitz. | Vaginaldescensus,
| |
6.; Fr. H. | Prolapsus vaginalis auei uteri| 12. 7. | Prolaps der vorderen
44 J. duplex. an den Ansätzen der 04. Vaginalwand. Uterus
| Cystocele. Ligg. rotunda. liegt links, retro-
Retroversio uteri Kolporrhaphia flektiert.
mobilis. duplex. | Damm hoch u. fest.
Dammplastik. |
Operateur : i
Prof. Opitz. |
7.| Fr. A. | Prolapsus vaginalis | Vaginofixura uteri. 3.1. | Uterus anteflektiert,
30 J. duplex. Kolporrhaphia 06. vaginofixier. Kein
Cystocele. duplex. | Descensus der Vagi-
Retroflexio uteri Dammplastik. | nalwände.
mobilis. Operateur:
Prof. Opitz.
8| Fr. \. | Prolapsus vaginalis | Vaginofixura uteri. | 30. 4. | Uterus anteflektiert,
28 J duplex. Kolporrhaphia 07. vaginofixiert, links
Cystocele. duplex. | liegend. Vordere
Retroflexio uteri Dammplastik. Vaginalwand hoch-
mobilis. rateur: gezogen.
Prof. Opitz. |
zität: 400 ccm.
Über den Blasensitus nach Cystocelenoperationen. 93
Juli 1908 Katheterisierter
Cystoskopischer Befund Urin Beschwerden Bemerkungen
Trigonum verschwindet zum Teil | Sauer, getrübt, ent- | Häufiger Urin- Hat vor der
hinter dem Sphincter. Tiefer hält sehr viel Epi- drang, auch Operation Para-
Recessus des Blasenbodens. In- | thelien u. reichliche nachts. metritis durch-
jektion der Blase. Kapazität: Leukocyten. Nachträufeln. gemacht.
450 ccm. | Mehrmaliger Ab-
gang in einzelnen
Partien.
Die Blase zeigt keine Besonder- | Sauer, klar, ohne Keine. —
heiten, insonderheit keine Aus- | Besonderheiten.
buchtungen. Kapazität: 250ccm.
azität: 200 ccm. Der größte | Sauer, trübe, Eiweiß-| Schmerzen im —
Teil des Trigonums liegt hinter | trübung, sehr viel| Leib beim Urin-
dem Sphincter verborgen. Der un u. Epi- lassen.
hintere Teil des Fundus ist in elien.
der Mitte vorgebuckelt. Rechts
davon findet sich ein tiefer
Recessus nach unten.
Trigonum springt sehr stark vor, | Neutral, getrübt, Brennen nach Pat. mußte
ist deutlich injiziert. Schleim- |sehrreichlich Leuko- | dem Urinlassen. | mehrere Tage
belag. Ureteröffnungen sehen | cyten und Schleim. p. op. katheteri-
ganz nach vorne, so daß sie bei siert werden.
gewöhnlicher Cystoskophaltung
nicht gesehen werden können. |
Hinter dem Trigonum starke
Fältelung des Fundus. Kapa-
zität: 200 ccm.
Sphincterödem. Injizierte Blase. | Leicht sauer, trübe, | Druck auf die Mußte 9 Tage
Fundus hochgehoben. Trigonum | reichlich Leuko- | Blase und Urin- | lang p. op. kathe-
sieht mit seiner Fläche nach |cyten und Schleim, drang, auch terisiert werden.
links, der rechte Ureter steht| viele Epithelien. nachts des 2 Monate p. op.
viel höher als der linke. Kapa- Öfteren. Am Pyelitis.
zität: 200 ccm. meisten Schmer- | Zurzeit Graviditas
zen beim Beginn mens IV.
des Urinlassens.
Blasenboden mit Trigonum ge- | Sauer, trübe, ziem- | Häufiger Urin- | Mußte 5 Tage
sunken. Beiderseits, besonders | lich viele Leuko- drang, auch p. op. katheteri-
rechts erheblicher Recessus nach | cyten u. Epithelien. | nachts öfteres siert werden.
unten. Injektion der Blase. Aufstehen. Muß
Kapazität: 300 ccm. stark pressen.
Brennen beim
Urinlassen.
Blase hochgehoben, Fundus vor- | Neutral, trübe, ziem- | Schmerzen nach | Mußte 14 Tage
ebuckelt. Sphincterödem. Ziem- | lich reichliche Leu- |dem Urinlassen. | p. op. katheteri-
ich starke Gefäßinjektion und |kocyten, viele Epi-| Öfters Harn- siert werden.
graue Verfärbung der Schleim- thelien. drang.
haut. Kapazität: 450 ccm.
Fundus stark vorgebuckelt. Tri- | Sauer, getrübt, mäßig Keine. Mußte 7 Tage
Kun injiziert. Rechts großer, | viel Leukocyten und p. op. katheteri-
inks kleiner Recessus. Kapa- Epithelien. siert werden.
94 Dr. H. Sieber.
m nn E
Juli 1908
Touchierbefund
9.| Fr. V. | Prolapsus vaginalis | Vaginofixura uteri| 22. 9. Uterus anteflek-
| Krankheit Operation a
34 J. anterior. am Ansatz der Ligg. 06. tiert, vaginofixier
Cystocele. rotunda. Descensus der Vor-
Retroflexio uteri Kolporrhaphia derwand der Vagin
mobilis. anterior. Damm hoch und vë
Ruptura perineï Dammplastik. guter Festigkeit.
inveterata. Operateur:
Prof. Opitz.
10.| Fr. St. | Prolapsus vaginalis | Vaginofixura uteri| 24. 10. | Uterus anteflek-
48 J. | duplex. neben der Ansatz- 06. tiert, inofixier.
Cystocele. stelle der Ligg. Descensus beider Vs-
Retroflexio uteri rotunda. ginalwände. Damr
mobilis. Kolporrhaphia fest. |
duplex. |
Dammplastik. |
Operateur: |
Prof. Opitz.
11.| Fr. B. | Prolapsus vaginalis | Vaginofixura uteri. | 27. 10. | Uterus anteflektiert.
26 J. | duplex. Kolporrhaphia 06. retrovertiert.
| Cystocele. | duplex. Vordere Vaginalwani
ı Retroflexio uteri Dammplastik. stark hochgezogen.
| mobilis. Operateur: Scheidenwände und
Dr. Rieländer. Damm von guter
Festigkeit.
12.| Fr. H. | Prolapsus vaginalis | Vaginofixura uteri. | 24. 2. | Uterus anteflektiert.
45 J. duplex. Kolporrhaphia 05. vaginofixiert, etwas
Cystocele. duplex. nach rechts liegend.
Retroflexio uteri Dammplastik. Vaginalwände und
Prof. Opitz. der Festigkeit.
mobilis. Operateur: Damm von genügen-
|
| |
13.| Fr. F. | Prolapsus vaginalis | Vaginofixura uteri. | 11. 3. | Uterus anteflek-
55 J. duplex. Kolporrhaphia 07. tiert, vaginofixiert.
Cystocele. | duplex. Vordere Vaginalwand
Retroflexio outen ` ` Dammplastik. descendiertt. Damm
mobilis. Operateur: fest und hoch.
Prof. Opitz.
|
| !
| |
14.| Fr. F. | Prolapsus vaginalis | Vaginofixura uteri. | 30. 11. | Uterus liegt ante-
49 J. | duplex. Kolporrhaphia Ä 07. flektiertu.rechts.
Cystocele. duplex. | vaginofixiert. Leich-
| Retrotlexio uteri Dammplastik. | ter Descensus der vor-
mobilis. Operateur: | deren Vaginalwand.
Prof. Stoeckel. ı Damm sehr fest und
| hoch.
15.| Fr. W. | Prolapsus vaginalis | Vaginofixura uteri. | 6. 4. Uterus dextroante-
34 J. duplex. Kolporrhaphia | 08. flektiert, vaginofi-
Cystocele. duplex. xiert. Vordere Vagi-
Retroflexio uteri Dammplastik. nalwand descendiert.
mobilis. Operateur: Damm von genügen-
Prof. Stoeckel. der Höhe und Festig-
keit.
Juli 1908
Über den Blasensitus nach Cystocelenoperationen. 95
ne Beschwerden | Bemerkungen
Cystoskopischer Befund |
Kapazität: 300 ccm. Trigonum
mäßig gerötet, verschwindet z. T.
hinter dem Sphincter. Fundus
in seiner vorderen Hälfte stark
aochgehoben, in seiner hinteren
erheblich nach unten ausgebuch-
tet. Der ganze Blasenboden zeigt
verwaschene Gefäßzeichnung.
Das stark injizierte Trigonum
verbirgt sich teilweise hinter
dem Sphincter. Die Mitte des
Fundus ist bedeutend eleviert,
während beide Seiten erheblich
gesunken sind. Injektion der
Blase. Kapazität: 350 ccm.
DeutlichesSphincterödem. Liga-
mentum interuretericum auffal-
lend stark vorspringend. Links
im Fundus findet sich ein
Recessus. Stark ausgebildete |
Venen im Fundus und an der
Hinterwand. Injektion des Bla-
senhalses. Kapazität: 250 ccm.
Kapazität: 200 ccm. Stark vor-
gebuckeltes Trigonum, rechts
mehr wie links. Rechter Ureter
ganz vorne. linker ganz hinten.
Ligamentum interuretericum
eine fast ganz von vorne nach
hinten verlaufende Linie. Aus-
gesprochene Leukoplakia vesicae
mit Epithelverdickung. Sehr
starker Symphysenhöcker.
Das Trigonum wird bei normaler
Cystoskophaltung beinahe voll-
ständig vom Sphincter verdeckt.
Fundus stark gewulstet und
hochgehoben. Sphincterödem.
Kapazität: 250 ccm.
Blasenboden deutlich gesunken.
Trigonum liegt schief, sieht mit
der Fläche nach links. Injektion
der Blase. Kapazität: 200 cem.
Trigonum vorgewölbt, steht ganz
schief, sieht mit der Front nach
links. Rechter Ureter steht
hoch, der linke tief. Ersterer
liegt in einer scharfen Falte
versteckt, welche auch durch
den Sphincterrand verläuft. In-
jektion. Kapazität: 250 ccm.
Sauer, leichte Trü-
bung, sehr viel Epi-
thelien, mäßig viel
Leukocyten.
Pat. muß beim | Mußte 3 Tage
Urinlassen sehr |p. op. katheteri-
stark pressen, siert werden.
manchmal auch
Schmerzen dabei.
Sauer, deutlich ge- | Sehr oft recht | Mußte 6 Tage
trübt, enthält mäßig | lästiger Urin- |p. op. katheteri-
viel Epithelien und drang. siert werden.
eine Menge Leuko-
cyten.
Mußte 1 Woche
Sauer, leichte Trü- | Fortwährender
bung, enthält viel} Druck auf der |p. op. katheteri-
Schleim und Epi- Blase. siert werden.
thelien. Muß nachts öfters
aufstehen zum
Harnlassen.
Sauer, trübe, viel|Oft sehr lästiger| Mußte 6 Tage
Epithel und Leuko- Urindrang. p. op. katheteri-
cyten. siert werden.
|
Sauer, mäßig trübe, | Keine. —
ziemlich viel Leuko-
cyten u. Epithelien. |
Neutral, trübe, er- | Muß stark pressen | Mußte mehrere
hebliche Menge Leu- | beim Urinlassen. age p. op.
kocyten und Fpi- | ÖftersHarndrang. | katheterisiert
thelien. werden.
Sauer, leicht getrübt. | Schmerzhafter | Mußte 2 Tage
Mäßig viel Leuko- | Druck beim Urin- | p. op. katheteri-
cyten, sehr viel lassen. siert werden.
Epithelien.
96 Dr. H. Sieber.
Name u . Tag der Juli 1908
ES Alter Krankheit SES Operation | Touchierbefuni
16.) Fr. M. | Prolapsus vaginalis | Vaginofixura uteri. | 14. 5. | Uterus retrovertir
49 J duplex. Kolporrhaphia 08. Portio elongier:.
| Cystocele. duplex. Descensus der vr
Retroversio uteri Dammplastik. deren Vaginalwari
mobilis. Öperateur:
Prof. Stoeckel.
17.| Fr. H. | Prolapsus vaginalis Schautasche 28. 2. | Uterus atrophisch. śe
| 62 J. duplex. Prolapsoperation. 06. vorderen V aginalwir.
Cystocele. Kolpoperineoplastik. aufliegend.
| Retroflexio uteri _Operateur:
| mobilis. Prof. Opitz.
18. | Fr. G. | Prolapsus vaginalis Schautasche 17. 2. Uterus liegt der
50 J. duplex. Prolapsoperation. 08. Vagina antevertier
Cystocele. Kolpoperineoplastik. auf, Damm von gu:
Retroflexio uteri Operateur: Festigkeit.
mobilis. Prof. Stoeckel.
19.| Fr. H. | Prolapsus vaginalis Schautassch | 6.5. |Uterus in Antever:
45 J. duplex. Prolapsoperation. 08. der Vagina anliegen:
Cystocele. Kolpoperineoplastik. Scheidenwände wz:
Retroflexio uteri Operateur: Damm fest.
mobilis. Prof. Stoeckel. |
20. Fr. M. | Prolapsus uteri et | Schautasche 15. 5 Der anteveriiert-
40 J. | vaginae. ! Prolapsoperation. 08. Uterus ist an die vor
| Cystocele. | Kolpoperineoplastik. dere Scheidenwani
| | Operateur: fixiert. Damm sel!
| Prof. Stoeckel. hoch und fest.
E Fr. D. | Prolapsus vaginalis Schautasche 19. 5. | Uterus antevertier.
61 J. duplex. Prolapsoperation. 08. | antefixiert.
Cystocele. Kolpoperineoplastik. | Hoher, fester Damm |
Operateur : |
| Prof. Stoeckel. |
| | |
| !
|
| |
| |
22.: Fr. W. | Prolapsus vaginalis Schautasche 21. 5. | Uterus antevertiert!.
36 J. duplex. Prolapsoperation. 08. 'andie Vagina fixier‘
| Cystocele. Kolpoperineoplastik. etwas links liegent
Retroflexio uteri Operateur : Damm fest und hoc!
mobilis. Prof. Stoeckel.
|
23. Fr. G. | Prolapsus vaginalis Schautasche 25. 5. ! Uterus liegt recht
| 55d duplex. Prolapsoperation. 08. und in Anteversio 3"
| Cystocele. Kolpoperineoplastik. die vordere Vaginal-
| Retroversio uteri Operateur: wand fixiert.
| mobilis. Prof. Stoeckel. | Damm sehr fest un
| hoch.
|
Über den Blasensitus nach Cystocelenuperationen. 97
Juli 1908 Katheterisierter
Cystoskopischer Befund Urin Beschwerden
Bemerkungen
Sauer, schwache | Muß stets drücken | Mehrere Tage
Trübung. Reichliche | beim Wasser- |p. op. katheteri-
rigonum und Blasenboden deut-
ch gesunken, viel Falten im
‘andus. Injektion der Blase. Leukocyten. lassen. siert.
Kapazität: 280 ccm.
Erigonum und Fundus gehoben. | Sauer, annähernd Keine. Mußte 4 Tage
3eringe Balkenblase mit leichter | klar, etwas Schleim p. op. katheteri-
Injektion. Kein Recessus. enthaltend. siert werden.
Kapazität: 200 ccm.
Trigonum stark hochgelioben. | Sauer, leicht getrübt, Keine. —
In beiden &eiten bedeutende
Recessus, besonders rechts.
Leichte Injektion des Blasen-
halses. Kapazität: 500 cem.
Blase sehr stark hochgehoben;
Trigonum deutlich vorgewölbt.
Zu seinen beiden Seiten, bes.
rechts, starke schmale Recessus.
Ureteren sehen nach hinten.
Kapazität: 300 ccm.
Stark elevierte Blase. Wand- | Sauer, klar, ohne Keine. —
ödem in den an den Sphincter Beimischung.
grenzenden Partien. Keine Ent-
zündungserscheinungen. Erheb-
lich vorspringendes Trigonum
mit beiderseitigem Recessus.
Kapazität: 350 ccm.
Blase bedeutend nach oben ver- | Sauer, klar, wenig Keine. Mußte 7 Tage
lagert. Trigonum stark vorge- | Epithelien, spärliche p. op. katheteri-
wölbt. Rechts besteht kleinerer, Leukocyten. siert werden.
linksgrößerer Recessus, in denen
die beiden Seiten des Trigonums
verschwinden. Rechts ist der
Blasenboden in scharfer Falte
umgebogen, in welcher die Ure-
termündung verborgen lie
Auch der linke Ureter sieht
ganz seitlich nach außen. Fäl-
telung des Fundus. Keine Ent-
zündung. Kapazität: 300 ccm.
Blase in toto nach oben und |Sauer, leichte Trü- Keine. Mußte 1 Tag
rechtsgehoben. Trigonum vor- | bung, mäßig viel p. op. katheteri-
gewölbt und etwas nach rechts | Schleim enthaltend. siert werden.
reht. Beiderseits Recessus.
Leichtes Sphincterödem.
Kapazität: 280 ccm.
Blase stark hochgehoben, liegt | Sauer, klar, ohne Keine. Mußte 4 Tage
in toto mehr links. Rechts klei- Beimengung. p. op. katheteri-
nerer, links größerer Recessus. siert werden.
Blasenwand normal. Kapazität:
300 ccm.
mäßig viel Leuko-
cyten u. Epithelien.
Sauer, unmerklich Keine. Mußte 3 Tage
getrübt, mäßige p. op. katheteri-
Mengen Leukocyten siert werden.
und Epithel.
Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1.
~]
98
Dr. H. Sieber.
Name | Ge |
Nr. Alter | Krankheit |
26. |
27.|
28.
Prolapsus vaginalis
duplex.
Cystocele.
Retroversio uteri
mobilis.
Fr. G.
58 J.
Prolapsus vaginalis
duplex.
Cystocele.
Retroflexio uteri
mobilis.
Frl. D.
46 J.
Prolapsus vaginalis
duplex.
Cystocele.
Retroflexio uteri
mobilis.
Fr. S.
33 J.
Prolapsus vaginalis
duplex. |
Cystocele.
Retroflexio uteri
mobilis.
Fr. D.
53 J.
|
Prolapsus vaginalis
duplex.
Cystocele.
Retroflexio uteri
mobilis.
|
|
Prolapsus uterı et
66 J. vaginae.
Cystocele.
Prolapsus uteri et
vaginae.
Cystocele.
Fr. S.
Schautasche
Prolapsoperation.
Kolpoperineoplastik.
Operateur:
Prof. Stoeckel.
Schautasche
Prolapsoperation.
Kolpoperineoplastik.
Operateur:
Prof. Stoeckel.
Schautasche
Prolapsoperation.
Kolpoperineoplastik. |
Operateur:
Prof. Stoeckel.
Exstirpatio uteri
totalis.
Kolporrhaphia
duplex.
Dammplastik.
Operateur:
Prof. Stoeckel.
Exstirpatio uteri
totalis.
Kolporrhaphia
duplex.
Dammplastik.
Operateur:
Prof. Stoeckel.
Exstirpatio uteri
totalis.
Kulporrhaphia
duplex.
Dammplastik.
Operateur:
Prof. Stoeckel.
Exstirpatio uteri
totalis.
Kolporrhaphia
duplex.
Dammplastik.
Operateur:
Prof. Stoeckel.
17. 6.
Juli 1908
i Tag der |
Operation peration Touchierbefund
Uterus lie mehr
08.
zieht die fixierte
vordere Vaginalwanid
stark nach oben.
Hoher, fester Damn.
2. 7. | Uterus liegt mehr
08. nach links zu, ist
antevertiert, an die
Vagina fixiert.
Damm von guter Fe-
stigkeit, hoch.
|
|
11. 7. | Uterus etwas links
08. von der Medianlinie
der vorderen Vaginal-
wand aufliegend.
Damm hoch u. sehr
fest.
14. 5. | Vordere Vaginalwand
08. descendiert. Damm
genügend hoch und
08. ; wände von genügen-
der Festigkeit.
fest.
|
|
22. 5. | Vordere Vaginalwand
08. | prolabiert. Damm
hoch und fest.
27.5. Vaginalwände und
08. Damm fest.
|
14. 7 | Damm und Vaginal-
|
i
l
links, ziemlich stell, |
|
ne
Über den Blasensitus nach Cystocelenoperationen. 99
u Juli 1908 Katheterisierter
Cys toskopischer Be fund Urin Beschwerden Bemerkungen
Trigonum stark hochgehoben,
sieht etwas nach rechts. Ureter-
wülste springen extrem vor.
Gleich neben ihnen findet sich
links ein scharfwinkliger enger,
rechts ein weitausgebuchteter
Recessus. Über das Trigonum
und den Fundus verlaufen viele
grobwulstige Falten. Kapazität:
250 ccm.
Stark hochgehobenes, etwas nach
rechts sehendes Trigonum.
Rechte Kante des Trigonums
mit dem Ureter, der ganz nach
außen sieht, in einen großen
Recessus einbezogen. Links
kleinerer Recessus. Kapazität:
cem.
Fundus und Trigonum stark
eleviert, letzteres etwas nach
rechts gedreht. Rechts großer,
links kleinerer Recessus.
Kapazität: 150 ccm.
Sauer, klar, ohne
Besonderheiten.
Sauer, leicht getrübt,
mäßig viel Leuko-
cyten und Schleim.
Sauer, etwas getrübt,
Leukocyten u. Epi-
thelien ziemlich
zahlreich.
Ganze Blase injiziert. Trigonum
und Fundus deutlich gesunken.
Leichte Balkenblase. Kapazität:
400 ccm.
Sauer, getrübt, viel
Leukocyten u. Epi-
thelien.
Blase und besonders Trigonum
stark injiziert. Ganzer Blasen-
boden erheblich gesunken.
Kapazität: 320 ccm. |
Sauer, deutliche
Trübung, sehr viel
Leukocyten, viel
Epithelien.
Blasenboden gewulstet, injiziert. | Sauer, leicht getrübt,
Kein Recessus. mäßig viel Leuko-
Kapazität: 300 ccm. cyten u. Epithelien.
Sauer, etwas trübe,
ziemlich viel Leuko-
cyten u. Epithelien.
Trigonum etwas vorspringend.
Wandödem. Deutliche Balken-
blase. Kapazität: 200 ccm.
Keine.
Keine.
Keine.
Öfters heftiger
Urindrang.
Häufiger, starker
Drang zum Urin-
lassen und erheb-
liche Leib-
schmerzen dabei.
Keine.
Druck beim Urin-
lassen. Öfters
Drang.
3. 9. 08.
Cystoskopie:
Es finden sich
keine Recessus u.
keine Falten
mehr. Die Blase
ist in toto hoch-
gehoben. Kapa-
zität: 250 ccm.
Mußte 1 Tag
p. op. katheteri-
siert werden.
»eooo*
(RAA A
t e
20o
` e
, SZ a
7*
100 Dr. H. Sieber. Über den Blasensitus nach Cystocelenoperationen.
gesunken und 2 mal war Balkenblase zu konstatieren, welche allerdings
möglicherweise schon vor der Operation bestanden haben kann. 3 Pa-
tientinnen hatten Urinbeschwerden. Wenn diese Zahlen auch sehr
klein sind, so ermutigen die Resultate doch nicht zu dieser Methode,
die trotzdem in manchen Fällen sich nicht wird umgehen lassen. Aller-
dings glauben auch wir, daß sie hier in einem allzu ungünstigen Lichte
erscheint.
(Aus der Universitätsfrauenklinik in Freiburg i. Br. Direktor: Prof. Krönig.)
Ein Beitrag zur Lehre der „essentiellen“ Hämaturie.
Von
Dr. Devaux, Assistent der Klinik.
Die meisten Autoren sind wohl heute der Ansicht, daß es eine so-
genannte essentielle Hämaturie nicht gibt. Mit wenigen Ausnahmen
zeigten die wegen Blutung exstirpierten Nieren bei genauer Unter-
suchung anatomische Veränderungen, wenn nicht makroskopischer, so
doch mikroskopischer Art. Allerdings waren diese Veränderungen in
manchen Fällen sehr geringer Natur, so daß Casper in diesen Fällen
nicht geneigt ist, einen Zusammenhang zwischen Blutung und anato-
mischer Veränderung anzunehmen. Es bestehen in diesen Fällen ge-
ringe Veränderungen nephritischen Charakters.
Nun wird die Frage diskutiert, ob es sich in den Fällen einseitiger
Nierenblutung, wo nach Nephrektomie der blutenden Niere diese Ver-
änderungen gefunden wurden, um eine einseitige Nephritis handelt, oder
ob nicht die Erkrankung beiderseitig ist und sich nur zufällig an der
einen Niere durch die Blutung geäußert hat, während die andere Niere
in derselben Weise, jedoch symptomlos, erkrankt ist. Der Umstand, daß
der Urin der nicht blutenden Niere vollkommen normalen Harn liefert,
ist für die anatomische Intaktheit dieser Niere nicht beweisend, denn
Nephritis braucht nicht Albuminurie und Zylindrurie zu verursachen.
Die Entscheidung der Frage ist recht schwierig, denn es gibt nur wenig
derartige Fälle, wo eine anatomische Untersuchung beider Nieren mög-
lich wird.
Ee wird daher von großem Wert sein, solche Fälle einer möglichst
genauen funktionellen Diagnostik zu unterziehen. Obgleich solche blutende
Nieren in den blutfreien Perioden oft einen anscheinend normalen Urin
liefern, ergibt sich bei Anwendung genauerer Untersuchungsmethoden
eine funktionelle Minderwertigkeit der blutenden Niere, die in manchen
Fällen recht beträchtlich ist. Kapsammer fand bei 3 Fällen eine ge-
ringere molekulare Konzentration und eine verspätete Phloridzinzucker-
ausscheidung im Urin der blutenden Seite. Kotzenberg fand bei
6 Fällen geringeren prozentualen Harnstoffgehalt auf der blutenden Seite,
in einem Falle war der Harnstoffgehalt im Urin beider Nieren derselbe.
Casper fand in seinen Fällen eine geringere molekulare Konzentration
im Urin der blutenden Seite. Allerdings betont er, daß die Unter-
' mg SE Teile ne | Sc ii SCH "kommt an Set zu. Zeit ohne Bat
| ‚nöglich,, da sich. der Katheter. vorstopit; ela Versuch, die Blase durch Spühme zu).
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‚manchmal werden Sch Bluütserinusel ‚entleert: Katheterismus der Blasi Ans GC CN
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Ein Beitrag zur Lehre der „essentiellen‘‘ Hämaturie. 103
Gesamtausscheidung während der Untersuchung:
Rechte Niere Linke Niere
Menge 102 77
"AV 6475 14725
*3 V 4600 10818
Harnstoff 81,67 cg 170,10 cg
Chloride 31.85 cg 78,11 og
Verlauf der Ausscheidungen:
17. II. Da aus dem obigen Versuch (Kurve 1) die Funktionstüchtigkeit der
linken Niere nicht einwandsfrei hervorgeht, wird derselbe wiederholt. Anordnung wie
oben. In die Blase flossen 20 ccm. Beiderseits klarer Urin. Im Sediment beider
Nieren außer wenigen Blutkörpern nichts Besonderes.
Gesamtausscheidung während der Untersuchung:
Rechte Niere Linke Niere
Menge 315 396
AV 7219 16664
SV 5849 11166
Harnstoff 111,34 cg 205,09 cg
Chloride 24,07 cg 78,58 cg
Verlauf der Ausscheidungen:
21. II. Da aus dem zweiten Verdünnungsversuch (Kurve 2) die Funktions-
tüchtigkeit der linken Niere unzweifelhaft hervorgeht und da ein Tumor der rechten
Niere bei der großen funktionellen Minderwertigkeit derselben nicht ausgeschlossen
werden kann, wird wegen der starken Blutung und wegen der schweren Anämie der
Pat. die Nephrektomie ausgeführt.
Pat. übersteht den Eingriff gut. 3 Wochen nach der Operation ist die Nephrek-
tomiewunde geschlossen. Im Urin gleich am Tage nach der Operation kein Eiweiß,
kein pathologisches Sediment. Wird am 16. IlI. entlassen.
20. V.08. Pat. stellt sich wieder vor. Vollkommenes Wohlbefinden. Urin voll-
kommen frei.
Pathologisch-anatomischer Befund (Path. Institut): Die übersandte Niere läßt
schon makroskopisch zahlreiche, scharf umschriebene, rote Pünktchen an der Ober-
fläche erkennen. Auf dem Durchschnitt bietet die Niere nichts Besonderes dar. An
der Nierenbeckenschleimhaut mehrere bis halblinsengroße hämorrhagische Flecken. An
einer Stelle der Oberfläche eine flache, ungefähr halbpfennigstückgroße Vertiefung.
Auf dem Durchschnitt hierselbst deutliche Verringerung der Rindensubstanz, aber
keine sonstigen, etwa an alte Infarktnarben erinnernde Veränderungen.
Mikroskopisch fällt die Erweiterung der meisten Kanälchen und die Erweiterung
der Glomeruluskapseln, die sich freilich in mäßigen Grenzen hält, ins Auge. In den
erweiterten Kanälchen liegen ziemlich reichlich aus hämoglobinartigen Massen auf-
gebaute Zylinder. An einzelnen Stellen läßt sich der Zusammenfluß dieser Massen
aus roten Blutkörperchen deutlich feststellen. An den Epithelien der gewundenen
Kanälchen zum Teil, deutliche Pigmentierung. Hier und da sind die Epithelien, von
der Abplattung abgesehen, eigentümlich verändert, die Kerne sehr ohrumatinreich, die
Zellen zum Teil mehrkernig, bucklig vorgewölbt; die ganzen Bilder erinnern an die
Regenerationsprozesse nach frischer tubulärer Nephritis. Die Glomeruli sind alle sehr
blutreich, aber ohne besondere Veränderungen; nur an einzelnen finden sich deutliche
leukozytäre Einlagerungen in die Kapsel. Vereinzelt finden sich auch Leukozyten-
zylinder im Lumen der Harnkanälchen.
Diagnose: Es handelt sich um eine in Ausheilung begriffene hämorrhagische
Nephritis, bei welcher die Epithelien der sezernierenden Kanälchen besonders stark
A = molekulare Konzentration.
d = molekulare Konzentration nach Abzug der Chloride.
V= Volumen.
Ein Beitrag zur Lehre der „essentiellen Hämaturie. 105
ergriffen gewesen sein müssen, jetzt aber meist regeneriert oder in Regeneration be-
griffen sind. Die Glomeruli sind weniger verändert.
Der Fall entspricht also den zahlreichen in der Literatur beschrie-
benen Fällen, wo trotz abundanter Blutung die Niere makroskopisch un-
verändert erschien, während sich mikroskopisch Veränderungen nach-
weisen ließen. Bemerkenswert ist das Ergebnis des zweimal vorgenommenen
Verdünnungsversuches. Derselbe beweist, daß die blutende rechte Niere
relativ funktionsfähig ist — sie reagiert prompt auf Wasserzufuhr, daß
sie aber gegenüber der linken Niere funktionell bedeutend minderwertig
ist. Die Ausscheidung von gelösten Substanzen, insbesondere des Harn-
stoffs, der Chloride und der andern Salze verhält sich in der gleichen
Zeit rechts zu links ungefähr wie 1:2. Wenn man auch hieraus
die anatomische Intaktheit der linken Niere nicht mit absoluter Sicher-
heit folgern kann, so läßt sich doch sagen, daß die Erkrankung haupt-
sächlich einseitig ist. Falls überhaupt eine Erkrankung der linken Niere
besteht, so ist sie doch so gering, daß sie mit den uns zur Verfügung
stehenden Methoden nicht erkannt werden kann. Jedenfalls geht aus
dem Erfolg der Operation — was auch nach dem Ausgang des Ver-
dünnungsversuches zu erwarten war — hervor, daß die linke Niere
vollkommen funktionsfähig und geeignet ist, die gesamte Arbeit beider
Nieren zu übernehmen.
Ein cystoskopisches Instrumentarium für den Frauenarzt.
Von
Dr. Sigmund Mirabeau, München.
In dem Maße als sich im Laufe des letzten Jahrzehntes die Urologie
des Gynäkologen aus der Abhängigkeit von der allgemeinen Urologie,
die ihrer ganzen Entwicklung nach eine Andrologie war, emanzipiert
und sich zu einem blühenden Zweig der Gynäkologie ausgewachsen
hat, ist mehr und mehr das Bedürfnis empfunden worden, auch das
Instrumentarium der besonderen Anwendungsweise bei der Frau an-
zupassen.
Sehr bald schon, nachdem das Nitzesche Cystoskop sich Eingang
bei den Ärzten verschafft hatte, wurde in dem Brenner-Leiterschen
Ureterencystoskop ein Instrument geschaffen, das sich in erster Linie
zur Anwendung bei der Frau eignet und namentlich von der Wiener
Schule (Kolischer, Wertheim u. a.) den Gynäkologen empfohlen
wurde. Ich selbst habe von Anfang an mit Vorliebe dieses Instrument
verwendet und stehe noch heute auf dem Standpunkt, daß es und alle
nach seinem Prinzip gebauten Cystoskope für den Gynäkologen die
besten und leistungsfähigsten Instrumente darstellen.
Gewiß soll nicht geleugnet werden, daß zur Besichtigung der Blase
allein Instrumente mit prismatischer Optik gewisse Vorzüge besitzen,
vor allem, weil sie gestatten, die Umgebung des Orific. int. urethr. be-
quemer zu übersehen, eine Gegend, in der sich auch bei der Frau eine
Reihe wichtiger Krankheitsprozesse abspielen und kein Arzt, der sich
eingehender mit den endoskopischen Methoden beschäftigt, wird diesen
Behelf entbehren wollen. Auf der anderen Seite aber gestattet ein
Instrument mit geradliniger Optik eine beyuemere Übersicht der hinteren
Blasenwand und des Blasenbodens, Gegenden, die für den Gynäkologen
wegen der Beziehungen zu den Genitalorganen von größter Wichtigkeit
sind. Das wichtigste Gebiet endlich für die Besichtigung der Blase,
die Umgebung der Ureterenmündungen und das Trigonum, sind für beide
Systeme gleich bequem zugänglich.
Was nun den Ureterenkatheterismus bei der Frau anlangt, so ist
derselbe zweifellos mit dem Brenner-Leiterschen Instrumente leichter
und sicherer auszuführen und infolgedessen auch zu erlernen, als mit
irgend einem anderen der zahlreichen Ureterencystoskope, die im Laufe
der Jahre angegeben worden sind.
Ein cystoskopisches Instrumentarium für den Frauenarzt. 107
Was endlich die intravesikalen Operationen anbetrifft, so sind auch
diese unter Leitung von Instrumenten mit geradliniger Optik wegen der
leichteren Orientierung in dem aufrechten und ganz der natürlichen
Topographie entsprechenden Bilde erheblich leichter auszuführen als
mit prismatischen Instrumenten. Es mag daher auffallend erscheinen,
daß trotzdem, soweit ich das Gebiet übersehe, die Mehrzahl der Gynä-
kologen Instrumente mit prismatischer Optik gebraucht, und ich kann
mir eine Erklärung dieser Tatsache nur aus dem Umstande
verschaffen, daß die meisten Gynäkologen in Ermangelung |
anderweitiger Lerngelegenheit bei den Andrologen, besonders
bei Nitze selbst, bei Casper und deren Schülern in die Lehre
gegangen sind. Auch der Umstand, daß in der ersten Auf-
lage des Handbuches für Gynäkologie von Veit das Kapitel
der Harnkrankheiten von einem Andrologen, Viertel, bear-
beitet wurde, hat sicherlich in dieser Richtung gewirkt, zumal
unter diesem Einfluß auch Stoeckel, der ja mit das größte
Verdienst um die Ausbreitung der cystoskopischen Methoden
in der Gynäkologie sich erworben hat, in seinem Lehrbuch
in erster Linie die Nitze-Casperschen Instrumente emp-
fohlen hat.
Nun hat ja das Brenner-Leitersche Instrument in
seiner ursprünglichen Form gewisse Nachteile namentlich
bezügl. der Optik und der Lichtquelle, und es ist den neueren
technischen Erfahrungen, die man auf dem Gebiete der Cys-
toskopkonstruktion gemacht hat, nicht in dem Maße gerecht
geworden, wie andere Systeme; erst in jüngster Zeit hat
Leiter selbst und andere das Cystoskop in einer Weise. mo-
dernisiert, daß es allen billigen Ansprüchen zu genügen ver-
mag. Während nun von andrologischer Seite die Konstruktion
der verschiedenen Arten von Cystoskopen immer komplizierter
und damit schwieriger zu handhaben und kostspieliger wurde,
habe ich von jeher die Tendenz gehabt, das Instrumentarium
möglichst einfach zu gestalten, und so hat sich mir nach
einer Reihe weniger gelungener Versuche das im folgenden
zu beschreibende Cystoskop als gynäkologisches Universal-
instrument in jeder Beziehung bewährt. |
Das Prinzip des von der Firma Reiniger, Gebbert
& Schall hergestellten Instrumentes ist das des Brenner-
Leiterschen Ureterencystoskops. Der wesentlichste Unter-
schied besteht darin, daß der Führungskanal für den Ureterenkatheter
in Form einer abschiebbaren Rinne vom eigentlichen Cystoskop getrennt
wurde. Diese einfache technische Maßnahme bietet eine Reihe obne
weiteres einleuchtender Vorteile. Ohne die Rinne (siehe Figur a)
stellt das Instrument ein einfaches Besichtigungscystoskop dar, das
wegen seines kleinen Kalibers auch als Kindercystoskop und zu-
sammen mit dem von mir angegebenen intravesikalen Instrumen-
108 Dr. Sigmund Mirabeau.
tarium ?), auf das ich weiter unten noch zurückkommen werde, als
Operationscystoskop verwenden läßt. Die Rinne ist so gestaltet, daß sie
auf den Cystoskopschaft aufgeschoben einen Kanal für zwei feinere oder
einen stärkeren Ureterenkatheter darstellt (siehe Figur b); an dem dem
Okular zugewendeten Ende läuft sie in zwei kurze,
etwas nach auswärts gebogene Röhren aus, die durch
einfache Metallstöpsel verschlossen werden können. '
Will man das Instrument zur Spülung benutzen, so
werden an Stelle der Metallstöpsel kleine Spülhähne
aufgesetzt. Am Cystoskop selbst habe ich alle Hähne
vermieden, da ich die Erfahrung gemacht habe, daß
dieselben sehr rasch schadhaft werden und dann die
vorbeistreifenden Katheter lädieren. Das Objektiv-
ende der Rinne ist möglichst stumpf gehalten, um bei
der Durchführung des Instrumentes durch die Harn-
röhre die Schleimhaut nicht zu irritieren. Der Okular-
trichter des Cystoskops ist möglichst klein gehalten
und gestattet daher ein fast parelleles Einführen von
Instrumenten neben dem Cystoskopschaft; auch ist er
mit einem Gewinde versehen zum Aufsetzen eines
Demonstrationsdoppelokulars.
Zur Vornahme intravesikaler Eingriffe eignet sich
das Instrument ohne die Katheterrinne, wie schon er-
wähnt, wegen seiner geradlinigen Optik und seines
kleinen Kalibers ganz besonders gut, und ich möchte
an dieser Stelle auf die Instrumente verweisen, die
ich seinerzeit für diese Zwecke angegeben und im
Jahre 1900 im Zentralbl. f. Gynäkol. empfohlen habe?).
Auch bei der Angabe dieser Operationsinstrumente
(siehe Figur c und d) bin ich von dem Grundgedanken
ausgegangen, daß nicht ohne weiteres die für den
Gebrauch bei Männern angegebenen komplizierten
und kostspieligen Operationscystoskope bei der Frau
zur Verwendung kommen dürfen, sondern daß der
leichtere Zugang zur weiblichen Blase uns gestattet,
entsprechend gebaute Instrumente neben dem Cysto-
skop einzuführen, was eine ganze Reihe sehr wesent-
licher Vorteile bedingt. Ich möchte diesbezüglich
lediglich auf meine oben zitierten Ausführungen im Zentralblatt ver-
weisen und nur erwähnen, daß der Instrumentensatz inzwischen einige
Bereicherungen erfahren hat, indem zu den damals angegebenen
Instrumenten noch zwei stärkere Faßzangen und namentlich eine
1) Siehe Zentralblatt f. Gyn. 1900, Nr. 36.,
2) Diese Instrumente werden hergestellt durch die Firma C. Stiefenhofer, Fabrik
chirurg. Instrumente, München.
Ein cystoskopisches Instrumentarium für den Frauenarzt. 109
kalte Schlinge hinzugekommen sind, welch letztere noch mit ein paar
Worten erläutert werden sol. Während alle anderen Instrumente
einen gemeinsamen Handgriff und ein Führungsrohr haben, mußte
für die Schlinge das Führungsrohr verdoppelt und der Handgriff dem-
entsprechend mit drei Bohrungen versehen werden. Die Schlinge selbst
besteht aus zwei Metallstäben, die an einem Ende mit Ösen zur Be-
festigung des Drahtes versehen sind. Die beiden Stäbe laufen in dem
doppelten Führungsrohr und durch die mit Flügelschrauben versehenen
7 — y 8 10
Fig. d.
Bohrungen am Kopfe des Handgriffes. In dem Maße, als man die
Stäbe zurückschiebt, verkleinert sich naturgemäß die Drahtschlinge. So-
bald man auf diese Weise den zu fassenden Gegenstand mit der Schlinge
umgriffen hat, werden die Stäbe durch die Flügelschrauben fixiert und
nun tritt der einfache Mechanismus wie bei allen anderen Einsätzen in
Funktion: durch den am Handgriff angebrachten Hebel wird die Doppel-
röhre nach vorn geschoben und dadurch die Schlingenwirkung zu Ende
geführt. Die Handhabung dieser Schlinge ist, wie sich aus dem Ge-
sagten und aus der beifolgenden Abbildung ergibt, denkbar einfach;
wichtig ist lediglich, daß der zur Schlinge verwandte Metalldraht —
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Die Nierendekapsulation bei Eklampsie.
(Sammelreferat.)
Von
Privatdozent Dr. E. Kehrer, Heidelberg.
Der Amerikaner Edebohls!) empfahl im Jahre 1903 für eine
Reihe entzündlicher Nierenveränderungen die Enthülsung oder Dekap-
sulation der Nieren. Nach Freilegung der Organe mit den gewöhn-
lichen Schnittmethoden wird bei der in situ befindlichen oder besser in
die Hautwunde luxierten Niere — ganz wie beim Sektionsschnitt — vom
einen zum andern Pol längs des konvexen Randes die Capsula propria,
dann die Capsula fibrosa (am besten auf einer Hohlsonde) eingeschnitten
und die Niere allseitig bis zum Hilus mit der Hand ausgelöst. Der
Blutverlust soll gering und die beiderseitige Operation in 20—30 Mi-
nuten beendet sein. Nach Reposition der Niere in ihre Fettkapsel mit
oder ohne Exstirpation der Capsula fibrosa erfolgt die Vereinigung der
Muskelhautwunde.
In ähnlicher Weise operierten — scheinbar unabhängig von Ede-
bohls — Gelpke?) und Rovsing?). Aber Gelpke bedeckte die von
der Kapsel befreite Niere teilweise mit Peritoneum, während Bakes 4),
E. Müller®) und Parlavecchio®) eine Einhüllung in das durch einen
Peritonealschlitz retroperitoneal gelagerte Netz vornahmen (Epiplo-Ne-
phroplastik nach E. Müller). Diese an die Talmasche Operation an-
knüpfenden Verfahren bezweckten eine bessere Gefäßversorgung der
dekapsulierten Niere von seiten des umgebenden Gewebes, als sie durch
die Capsula adiposa renis gegeben war.
Schon bald nach der ersten Mitteilung erfolgte im Jahre 1903 eine
kleine, von Beutner übersetzte Monographie von Edebohls”?), in
welcher über 8 Heilungen bei 18 wegen Morbus Brightii ausgeführten
Dekapsulationen berichtet wird.
Und nun beginnt über die Erfolge der neuen Operation eine wahre
Flut kasuistischer Mitteilungen amerikanischer Operateure, welche freilich
die europäischen Länder kaum berührt. Konnte sich doch niemand die
Wirkungsweise der Edebohlsschen Operation so recht klar machen.
Im Jahre 1903 versuchte Edebohls!) seine Methode bei der
puerperalen Eklampsie, im Jahre darauf®) bei der Schwangerschafts-
eklampsie; aber trotz aller Empfehlungen erfuhr sie auch bei den Gy-
näkologen anfangs eine kühle Abweisung. Die ersten, die in Europa bei
Eklampsie dekapsulierten, waren die Franzosen Cavaillon-Trillat?)
112 Dr. E. Kehrer.
(1903) und Pinard-Chambrelent-Pousson!°®) (1906). Sippel?)
und Witzel!?) empfahlen die Operation — unabhängig von Edebohls
— in Deutschland und Polano!?) und Gauß!*) waren die ersten, die
sie hier ausführten. In den letzten Monaten folgten rasch weitere
Mitteilungen, so daß die Zahl der bisher mit der beiderseitigen
Edebohlsschen Nierendekapsulation behandelten Eklampsiefälle auf
231°) gestiegen ist. Ich habe sie zur raschen Orientierung in der
Tabelle zusammengestellt. Dazu kommen nach Essen-Möllers An-
gaben Fälle von Lambinon und Treub, die, in ausländischen Zeit-
schriften erschienen, im Referat noch nicht zugängig sind. Ich weiß
daher nicht, ob es sich um beiderseitige oder um einseitige Dekapsu-
lationen handelt. Die Fälle dieser letzteren Art, von Jardine*®), Pieri*?)
und de Bovis*3) mitgeteilt, habe ich in der Tabelle nicht aufgeführt.
Will man die Berechtigung und die Wirkungsweise der
Nierendekapsulation bei Eklampsie verstehen, so muß man aus-
gehen von den Beziehungen der Nieren zur Eklampsie. Daß Nephritis
und Eklampsie Begriffe sind, die sehr verschiedenen Krankheitsbildern
entsprechen, ist allbekannt. Aber an dem Bilde der Eklampsie ist die
Niere nach pathologisch-anatomischen und klinischen Untersuchungen
in der Regel beteiligt. Man beobachtet parenchymatöse Entzündung,
Hyperämie und Vergrößerung des Organs mit Degeneration des secer-
nierenden Apparats (große weiße Niere), weiterhin die Stauungsniere,
drittens die akute toxische Nephritis ohne Vergrößerung des oft weichen,
matschen, ödematösen Organs und endlich in besonders akuten Fällen
das Fehlen wesentlicher histologischer Veränderungen, das Fehlen von
Albuminurie usw.; in diesem letzteren Fall pflegen Leber, Herz und
Gehirn die am schwersten veränderten Organe zu sein.
Es ist von vornherein klar, daß eine Operation mit dem Angriffs-
punkt an den Nieren in diesen letzteren Fällen von Eklampsie sinn-
los ist.
Jede beträchtliche akute Vergrößerung der Niere („Nierenglaukom“
nach Reginald Harrison und Sippel) ist mit einer erhöhten intra-
renalen und intrakapsulären Spannung verbunden: nach Durchschneidung
der Kapsel quillt das Nierenparenchym über die Schnittfläche vor. Und
wenn man auch die Ursache der Eklampsie nicht, wie Mynlieff!®)
neuerdings will, in einer erhöhten Intrarenalspannung sucht, so wird
diese doch nicht selten bei der Eklampsieniere beobachtet und spielt
gleich der Halbertsmaschen Ureterkompression eine nicht zu verken-
nende Rolle.
Will man in denjenigen Fällen, in denen die Niere durch den er-
höhten Druck im Ureter und durch den Druck der gespannten Kapsel
komprimiert wird, helfen, so bleibt nur die Beseitigung der beiden
Druckkomponenten: die Aufhebung der Ureterkompression durch die
Entleerung des Uterus, und die Spaltung und Entfernung der Nieren-
kapsel nach Edebohls oder die in der Wirkung wohl analoge Nephro-
tomie. Vorbedingung aber wäre die Erkennung dieser Druckkompo-
Die Nierendekapsulation bei Eklampsie. 113
nenten an der Lebenden durch die Funktionsprüfungsmethoden der
Nieren und Ureteren — ein Wunsch, der hoffentlich noch einmal ganz
erfüllt wird. Denn die Durchsicht der mitgeteilten 23 Fälle zeigt, daß
eine erhöhte intrakapsuläre Spannung wohl in der Regel vor der De-
kapsulation angenommen, aber nur von Falgowski, Asch, Fraenkel-
Goebel, dem 2. und 3. Wiemerschen Fall und in den Kleinertzschen
Fällen beobachtet wurde. Die anderen Operateure betonen ausdrücklich, -
daß die entzündeten Nieren bei der Operation nicht unter einer erhöhten
Spannung gefunden wurden.
Wie ist nun die Wirkungsweise der Nierendekapsulation
zu erklären? Nach Edebohls bildet sich einige Tage nach der Opera-
tion zwischen Nierenparenchym und Fettkapsel ein neues kollaterales
Capillarnetz; die darauf bezogene arterielle Hyperämie läßt er die
Heilung einleiten; sie soll zu einer Absorption der Entzündungsprodukte
und zu regressiven Vorgängen an den Nierenepithelien dienen.
Wer die Capsula adiposa vom Sektionstisch kennt, wird in ihr, als
einem ziemlich gefäßarmen Gewebe, keine besondere Tendenz zur Bildung
von Gefäßsprossen vermuten. Aber selbst wenn die letztere von den da
und dort bei der Kapselabstreifung gesetzten Wunden der Nierenober-
fläche erfolgt, so vergehen mehrere Tage, bis die Kollateralbahnen
funktionieren können. (Gerade einen akuten Erfolg brauchen wir aber
bei der Eklampsie; erst die weitere Ausheilung des Nierenparenchyns,
das Verschwinden der Albuminurie und Zylindrurie könnte durch die
Funktion der Kollateralen geschehen.
Schon durch diese einfache Überlegung wäre die von Edebohls
seiner Operation supponierte Wirkungsweise abgelehnt. Aber auch die
experimentell-histologischen Untersuchungen der vielen Ungläubigen seiner
Hypothese haben die Kollateralbahnen als inkonstante Erscheinung nach-
gewiesen. i
Zuerst scheint Johnson?°) die Veränderungen im renalen und
perirenalen Bindegewebe zu verschiedenen Zeiten nach experimenteller
Dekapsulation gesunder Nieren von 15 Hunden mikroskopisch studiert
zu haben. Die neue Kapsel, bald dicker, bald dünner als die frühere
und aus einem feinen Exsudat an der Nierenoberfläche hervorgegangen,
ließ in keinem Fall bemerkenswerte Anastomosen zwischen den renalen
und perirenalen Blutgefäßen erkennen. Auch Boncz-Osmolowski?!),
Ehrhard?), Hall und Herxheimer?®), Gifford?*), Rouville?°),
Rautenberg?®) konnten bei verschiedenen Versuchstieren, zum Teil
selbst nach experimentell erzeugter Nephritis, eine Neubildung von
Kapillaren zwischen der Nierenoberfläche und der Capsula adiposa nicht
nachweisen, während van Cott?”), Asakura ?®), Emerson ??),Martini?®),
Rovighi?t), Stern®®), Lanz°®3), Zaaver°t), Stursberg°®), von YII-
y€s3®) kapilläre Gefäßverbindungen, wenn auch meist in spärlicher
Zahl, gesehen haben. Zu einer reichlichen Anastomosenbildung führt
allein die Bedeckung der Niere mit Peritoneum und Netz (Asakura ?®),
Gelpke?), E. Müller), Parlavecchio®).
Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 8
114 Dr. E. Kehrer.
Nach diesen Untersuchungen ist die Etablierung der Kollateralen
inkonstant, bei den einzelnen Versuchstieren vielleicht verschieden, und
jedenfalls viel zu spärlich, als daß sie bei der Ernährung der Nieren
eine nennenswerte Rolle spielen könnte.
Mehrere der genannten Autoren betonen trotzdem die schnelle
Regeneration der Capsula fibrosa, welche so dick und durch narbige
Schrumpfung so derb werden könne, daß die Niere in ihrer späteren
Funktion leiden müsse.
Nun könnte man gegen alle Tierversuche, wenigstens gegen die-
jenigen, in denen keine künstliche Nephritis erzeugt wurde, einwenden,
daß sie weder für noch gegen die von Edebohls gewählte Erklärung
der Etablierung von Kollateralbahnen etwas beweisen — doch leider
haben sich auch auf dem Sektionstische oder bei der Exstirpation
früher entkapselter Nieren keine Anastomosenbildungen nachweisen
lassen (Jewett®”), Ries®®) [nur eine einzige Anastomose], Berg °°),
Nydegger®°. Die anatomische Grundlage ist der Dekapsu-
lation damit entzogen.
Besteht nun die Beobachtung zu Recht, daß der Edebohlsschen
Operation ein schnelles Ansteigen der Urinmenge und des Harnstoff-
gehalts folgt, so müssen andere Momente eine Rolle spielen. Auf den
Blutverlust allein kann die Besserung kaum bezogen werden; sie wird
im allgemeinen als gering, nur im Fall Falgowski, Asch und Haim
als „ziemlich stark“ angegeben. Doch können ganz gewiß auch beträcht-
liche parenchymatöse Blutungen aus der Rindensubstanz (Fall Free-
mant!): Hämaturie bei chronischer Nephritis) erfolgen, besonders bei
der großen weißen Niere, bei der es durch Abziehen der Kapsel
wenigstens auf dem Sektionstisch stets zu Verletzungen der Nierenober-
fläche kommt. Nach Pinard, Sippel, Hall und Herxheimer??),
Falgowski und Haim liegt die Ursache des Erfolges in der Beseitigung
der intrarenalen Spannung resp. des intrakapsulären Überdrucks; damit
sei die fast lahmgelegte Blutzirkulation wieder geregelt, die Resorption
der Entzündungsprodukte und die Wiederherstellung der Sekretion ein-
geleitet. Die Besserung bei den in der Mehrzahl befindlichen Fällen von
schlaffen, kleinen, in relativ weiter Kapsel liegenden toxischen Nieren
erklärt diese Theorie nicht. Für diese Fälle suchen Sippel, Claude?)
und Haim die Deutung in der Möglichkeit des Austritts des entzünd-
lichen Ödems aus den durch die Aushülsung eröffneten Gewebsspalten
des Nierenparenchyms.
Sind vielleicht beide Erklärungsversuche richtig — das Trauma
des mechanischen Eingriffs muß die Hauptursache für die ver-
mehrte postoperative Diurese sein, gleichgültig zunächst, ob der
mechanische Reiz direkt oder auf dem Weg des sympathischen Nerven-
systems wirkt: durch Zerrung desselben bei der Luxation der Niere
oder durch Zerstörung seiner Nervenfasern bei der Ablösung der Cap-
sula fibrosa vom Nierenparenchym. Ich erwähne hier die Versuche mit
Entmarkung der Niere an welche sich eine enorme Harnflut in den
Die Nierendekapsulation bei Eklampsie. 115
von der Rinde eingeschlossenen Hohlraum hinein und von da in die
Ureteren anschließt; ich erinnere an die Erfahrungen der Physiologen
und Chirurgen, daß bei partieller Resektion einer Niere die Sekretion
beider beträchtlich und dauernd ansteigt und zu gleicher Zeit auch die
Harnstoffabgabe gesteigert wird (Bradford, Tigerstedt*?). Beide Er-
scheinungen wurden als charakteristische momentane Folgen der Nieren-
dekapsulation bei Eklampsie in fast allen Fällen und außerdem von fast
allen denen, die die Operation bei Nierenentzündungen ausführten, an-
gegeben, selbst im Fall Polanos, in dem 19 Stunden nach der Opera-
tion der Exitus eintrat. Nur ausnahmsweise (Falgowskis Fall) erfolgte
die Steigerung der Diurese erst nach vielen Stunden oder unterblieb, wie
im Fall Gauß II, Ham und Essen-Möller. Der Grund dazu liegt
in den beiden letzten Fällen in der Schwere der parenchymatösen Nieren-
degeneration, die beide Male in der fünften Stunde nach der Operation den
Tod herbeiführte, und im Gaußschen Fall wohl in dem Fortbestehen
der Schwangerschaft. Wir müssen also in erster Linie in der Ver-
mehrung der Diurese den Erfolg der Dekapsulation sehen und diese
gerade in den Fällen von starker Oligurie oder Anurie, deren nach-
teilige Rückwirkung auf das Herz, das Zentralnervensystem und die
parenchymatösen Organe erwiesen ist, zur Verwendung bringen. Wir
erreichen mit anderen Worten durch die Operation das, was wir bei
jeder Eklampsie durch Phenacetin, Pilocarpin, heiße Einpackungen,
Magenspülungen, Ableitung auf den Darm usw. einzuleiten suchen: die
Eliminierung der in der Blutbahn kreisenden Toxine durch Anregung
der Ausscheidungsorgane des Organismus. Von allen diesen Mitteln ist
die Nierendekapsulation das heroischste, aber — wie es scheint — auch
wirksamste. Und es ist auf Grund unseres Erklärungsversuches nur die
Frage zu beantworten, ob nicht eine einfache mechanische Reizung,
energisches Massieren und Kneten der Nieren bei mageren Puerperae
die Operation ersetzen oder, bei der Dekapsulation angewendet, ihren
Erfolg verstärken kann.
Gehen wir nun von der Erklärung der Wirkungsweise der Ede-
bohlsschen Dekapsulation zu einer kurzen kritischen Betrachtung der
einzelnen Eklampsiefälle über.
In Parallele stehen die schweren Fälle von Edebohls III, Falgowski,
KleinertzIund II, Stenglein, Asch, Wiemer, Baumm und Polano.
In ihnen handelte es sich um puerperale Eklampsie mit Beginn der
Krämpfe mehrere Stunden nach der Geburt. In der Regel besei-
tigte die Dekapsulation die Krämpfe, und eine Besserung des Allgemein-
zustandes und besonders der Urinverhältnisse war nicht zu verkennen.
Den Fällen Edebohls II und Gauß II ist gemeinsam, daß die
Eklampsie in der Schwangerschaft einsetzte, und daß als erster
Eingriff die Nierendekapsulation gewählt wurde. In Edebohls
Fall verschwanden die Anfälle nach der Nierenoperation, und zwei Tage
später erfolgte am Endtermin der Schwangerschaft der Geburtseintritt
spontan. Im zweiten Gaußschen Fall aber blieb der erhoffte Erfolg
Ch
116 Dr. E. Kehrer.
der Nierenenthülsung aus; der Zustand verschlimmerte sich sehr, Unter-
brechung der Schwangerschaft durch vaginalen Kaiserschnitt wurde not-
wendig. Erst jetzt erfolgte Heilung. Aus diesem Fall läßt sich —
wie Döderlein**) betonte — der Schluß ziehen, daß die Nieren-
dekapsulation vor der Entbindung prinzipiell unrichtig ist.
Erst ist die Quelle der Vergiftung, die wir wahrscheinlich in der
Placenta suchen müssen, zu entfernen. Übereinstimmend mit diesem
Votum hat Sippel!!) gegen die Edebohlssche Meinung, man könne
durch die Dekapsulation jede Unterbrechung der Schwangerschaft um-
gehen, Front gemacht. Erfolgt Besserung nach der Nierenenthülsung in
der Schwangerschaft, wie im zweiten Edebohlsschen Fall, so kann nach
den Ausführungen Sippels bei Fortbestehen der Gravidität jederzeit
von neuem eine Stauung und toxische Entzündung der Nieren mit
Eklampsie eintreten, weil die Ursache der Vergiftung, der Inhalt des
Uterus, weiter wirken kann.
Gemeinsame Merkmale zeigen wieder die Fälle von Edebobls I,
Pinard-Chambrelent-Pousson, Gauß I, Cavaillon - Trillat,
Franck, Cotret, Wiemer II, Weinhold-Winkler, Fränkel-
Göbel, Essen-Möller. Die Geburt wurde wegen Eklampsie in
der Schwangerschaft operativ beendet. Die trotzdem erfolgte Stei-
gerung der Anfälle veranlaßte die Nierendekapsulation innerhalb der
ersten 1—3 Tage nach der Geburt. Fälle dieser Art scheinen mir
mit Döderlein, Sippel, Stenglein, Asch die Paradigmata für
die zukünftige Verwendung der Dekapsulation zu geben. Nur
für die Entbundene kann die Dekapsulation in Frage kommen,
wenn trotz aller unserer therapeutischen Mittel, einschließlich der segens-
reichen Venaesectio, die Zweifel neuerdings wieder empfohlen hat,
die Krämpfe nach der Geburt erst eintreten oder trotz der
Geburt nicht verschwinden oder gar zunehmen und die Urin-
sekretion weiterhin versagt. Die Entbindung aber ist schnell und
schonend im Sinne des Halbertsma-Bummschen Standpunkts vor-
zunehmen. Ich halte es bei kritischer Betrachtung der mitgeteilten
Eklampsiefälle für wahrscheinlich, daß die Dekapsulation mehr als einmal
zu umgehen gewesen wäre, wäre zur richtigen Zeit ein Aderlaß vor-
genommen worden. Doch gibt es freilich Anämien durch starke Blut-
verluste bei der Geburt, die nicht noch zur Venaesectio ermutigen.
Ebenso bedenklich wie die Dekapsulation in der Schwangerschaft
scheint mir der neue Vorschlag von Krönig und Gauß!#), „Dekap-
sulatio renum und Accouchement force, in der Therapie der Eklampsie“
in einer Sitzung kombiniert auszuführen. Dieser Plan kann wohl nur
in verzweifelt schweren Fällen von Eklampsia gravidarum diskutiert
werden. Wissen wir doch, daß in etwa 80°/, der Fälle von Eklampsia
gravidarum durch sofortige Entbindung Heilung erfolgt. In diesen 80°%
wäre demnach die Dekapsulation überflüssig.
Was die ganz schweren Eklampsiefälle betrifft, wie sie von
Cotret. Polano, Kleinertz, Franck, Haim und Essen-Möller
Die Nierendekapsulation bei Eklampsie. 117
beschrieben worden, so war selbst durch die Nierenenthülsung der letale
Ausgang nicht mehr aufzuhalten. Die degenerativen Veränderungen der
parenchymatösen Organe waren viel zu weit vorgeschritten, als daß noch
eine Rettung möglich gewesen wäre. In manchen dieser Fälle, gewiß
in denen von Polano, Essen-Möller und Franck, ist zu spät operiert
worden. Interessant ist in dieser Rubrik der Francksche Fall von
schwerster Eklampsie im 4. Schwangerschaftsmonat.
Im allgemeinen aber sind die Resultate der bisher wegen Eklampsie
ausgeführten beiderseitigen Nierendekapsulationen keine schlechten —
wenn man die Schwere der Krankheitsbilder berücksichtigt. Auf 23 Fälle
kommen 8 Todesfälle = Mortalität von 34,7°/,, und wenn wir den Fall
Franck, in dem der Tod durch Bronchopneumonie erfolgte, den Fall
Baumm, in dem eine innere Verblutung aus Magengeschwüren notiert
wurde, und den Fall Wiemer II, in dem die Kranke durch Infektion
der rechtseitigen Nierenwunde am 13. Tage starb, nicht berücksichtigen,
weil eine Heilung der Eklampsie nach der Dekapsulation auftrat und
der Tod durch andere Erkrankungen erfolgte, so bleibt eine Mortalität
von 21,7°,. Nur einer dieser Fälle, der von Wiemer, ist auf die
Nierenoperation selbst zu beziehen. Dieser Mortalitätssatz läßt sich in
Zukunft bei präziserer Indikationsstellung und etwas frühzeitigerer
Dekapsulation gewiß herabdrücken. Von dem Zustand der Nieren zur
Zeit der Operation hängt es ab, ob die plötzlich einsetzende Harnflut
die vorhandenen Entzündungsprodukte wegschaffen kann oder nicht.
In der Mehrzahl der Fälle, in 17 von 23, scheint das gelungen zu sein,
denn die Albuminurie, Hämaturie und Cylindrurie besserte sich bald
nach der Operation bis zum Verschwinden. Nur im Fall Cotret und
Haim wurde weder Nierensekretion noch der Allgemeinzustand gebessert.
Über die Indikationsstellung zur Operation geben, wie Steng-
lein in seiner fleißigen Dissertation aus der Aschschen Klinik angibt,
die bisher veröffentlichten Fälle keine genauen Anhaltspunkte. Es ist
klar, daß in erster Linie die Zahl und Schwere der Anfälle und der
Allgemeinzustand ausschlaggebend sein werden. Ist erst einmal ster-
toröses Atmen, Trachealrasseln, Irregularität, starke Spannung oder Klein-
heit des Pulses, beträchtliche Steigerung seiner Frequenz eingetreten, so
wird auch die Dekapsulation die schweren Herz- und Lungenerschei-
nungen nicht bessern können.
Von großer Bedeutung für eine präzise Indikationsstellung ist der
Urinbefund. Starke Oligurie oder fast Anurie, ein hoher Eiweißgehalt,
der unter 12 genau untersuchten Fällen vor der Dekapsulation im Mittel
10,4°%,, betrug, im Fall Gauß II auf 24°,,, im Fall Wiemer II auf
38o angestiegen war, der Gehalt an Erythrocyten, Leukocyten, ver-
schiedenartigen Zylindern, geben Anhaltspunkte für Beurteilung der
Schwere der Nierenerkrankung. Doch gibt es auch Fälle mit ziemlich
geringer Albuminurie (6°,, im Fall Haim und Cotret, 4°/,, im Fall
Franck, 3°,, im Fall Kleinertz I), in denen trotz Dekapsulation der
Tod erfolgte. Die Eiweißausscheidung durch die Nieren kann also nur
118 Dr. E. Kehrer.
zz Alter | o
der Gravida. Allgemeinbefinden und Zahl Urinbefund
Schwang.- der Anfälle ]
Autor 3 ; vor der
Eklampsie vor der Dekapsulation. Dekansulation
od. puerperale Geburtsverlauf SE
Eklampsie ?
Edebohls I!) |
1903.
23j., I-Grav.
ı Schwang.-Ekl.
|
|
|
|
|
|
| Nephritis im 7. Monat. —
Eklampsie 8. Monat. — 5 An:
fälle a.p. Dann 46 Std. Ruhe. — |
Dann 10 Anfälle. — Accouche- |
ment force im 5. Anfall.
Cavaillon- Schwang.-Ekl. | Accouchement forcé. — Trotz- —
Trillat?) | dem Fortdauer der Krämpfe.
1903. |
Edebohls II®) | 20j., l-Grav. | Nephritis i im letzten Monat. SCH Fast Anurie.
NK ACH Schwang.-Ekl. 3 Tage Koma, Erblindung. — -
l Dann ekl. Anfälle. |
|
Edebohls III'*)| 20j., I-Para. SE — 20 Std. p. p. | Oligurie.
1906. Puerp.-Ekl. :!Kopfweh, Erblindung, Zuckun- Alan Alb.
gen, Koma. — 23.bis30.Std.p.p. | Cylindrurie.
7 schwere und mehrere leichte |
| Konvulsionen.
Pinard- 21j., I-Grav. |4 Anfälle a. p. — 3 Anfälle Oligurie
Chambrelent-| Schwang.-Ekl. | '/,Std.p.p. Dann Koma. Manuelle | (in 40Std. 200cen
Pousson'!®) | Cervixdilatation 16 Std. nach vom Wehen-
1906. | Webenbeginn. beginn an).
Polano°°) 38j., IX-Para. . Nephritis ınit Ödemen im letzten | Tgl. 1600 ccm u.
1907. Puerp.-Ekl. | Monat. — Spontangeburt. — | 1°/., Albumen
| 13 Std. p. p. 2 Anfälle. Koma| bis 1 Tag a. p.
9 Taxe. Somnolenz. Dann plötzlich
Oligurie ohne Zu-
nahme der Album.
Gauß 1°") 25j., I-Grav. | Beim Blasensprung 1. Anfall. — Oligurie
1907. Schwang.-Ekl. | Nach dem 2. Anfall Forceps. — Den lb
Von der 4. bis 10. Std. p. p.
3. bis 14. Anfall, an Intensität
zunehmend.
Gauß II") 18j.. I-Grav. |Im 9.—10. Schwang. - Monat Oligurie.
1907. Schwang.-Ekl. | Kopfweh, Erbrechen, Ödeme. 24w Alb.
| — 5 Anfälle mit nur kurzdau-
| ernder Bewußtlosigkeit.
Falgowski!®) | 28j., IV-Para. | Spontangeburt. — Von der 13. Oligurie.
1908. Puerp.-Ekl. bis 34. Std. p. p. 24 schwere Sehr starke
Anfälle, Koma, Kollaps, Lungen- Albuminurie.
ödem. Hämaturie.
Ham ii 30j., III-Grav. | Am normalen Schwang. -Ende Oligurie.
1908. Schwang.-Ekl. | plötzlich 4 Anfälle, Koma, | Di ew Albumen.
Cyanose, Lunsenödem. Nach
Spontangeburt kurze Besserung.
Dann fast kontin. Krämpfe.
Die Nierendekapsulation bei Eklampsie. 119
Zeit Veränderung des Veränderung des
der Vornahme Nierenbefund Allgemeinbefindens | Urins
der bei Operation |
Dekapsulation nach der Dekapsulation
72 Std. p. p. = ~ 72 Std. p. p. >, — I Keine Anfälle mehr. ‚Sofortige Steigerung von
ausscheidung.
60 Std. p. p. u Heilung. | =
|
In der Schwang. | R. Niere ver- | Keine Anfälle mehr. — | Sofortige Steigerung von
im 2. Anfall. größert. SpontanerGeburtseintritt | Urinmenge u. Harnstoff-
Parenchymat. |2 Tage p. op. Forceps. ausscheidung.
Nephritis. Zwillinge.
30 Std. Parenchymat. |In 48 Std. p. op. noch | Sofortige Steigerung von
im 8. Anfall. Nephritis mit |2 Anfälle. — Erst dann | Urinmenge u. Harnstoff-
Stauung. Verschwinden desKomas. | ausscheidung. Sebr lang-
same Besserung der Al-
buminurie.
24 Std. Nieren groß. Keine Anfälle mehr. Urinsekretion schnell
nach 7. Anfall; Akute parenchy- | Koma verschwindet erst gebessert.
zugleich matöse Nephritis. am 3. Tag p. op. |
Nephrotomie.
10 Tage p. p. | Akute parenchy-
nach 10 täg. | matöse Nephritis
Somnolenz. mit Stauung.
Deutliche Besserung. |Sofortige Steigerung der
Trotzdem + 19 Std. p. op. Urinmenge.
Lungenödem. Parench. ı
Degen. von Leber, Herz, |
' Urinmenge u. Harnstoff-
Nieren.
13 Std. p. p. | Nieren weich, |6 und 13 Std. p. op. noch | Sofortige Steigerung der
nach 11. Anfall. | rotbraun, nicht je 1 Anfall. ‚ Urinmenge. — 14 Std
vergrößert. | P- op. sind Alb. u. Cyl.
verschwunden.
In der Schwang. | Nieren anschei- | P. op. innerhalb 6 Sea. | Stan. Harnmenge nach
nach dem 5. An- nend nicht weitere 12 Anfälle, u. 36, ' Dekapsulation 5ccm u.
fall. vergrößert. |dann 15°/,, Alb. Daher ' 36 dann 15%, Alb. —
vag. Kaiserschnitt. Nach : Erst nach Sectio caesarea
diesem noch 6 leichtere | vag. vorübergehende
Anfälle. Genesung. !Steigerung der Harn-
imenge und vorüber-
igehende Besserung
der Albuniinurie.
34 Std. p. Vergrößerung, | Keine Anfälle mehr. — | Schnelle Steigerung der
nach dem 24. Se Cyanose. Koma 7 Std. p. p. ver- !Harnmenge und anhal-
fall. schwunden. itende Besserung der
Albuminurie.
|
8 Std. p. p. Parenchy mat. t 5 Std. p. op. Gem
Nephritis.
120 Dr. E. Kehrer.
Alter
der Gravida. Allgemeinbefinden und Zahl Urinbefund
Schwang.- der Anfälle | i
Autor : : vor der
Eklampsie vor der Dekapsulation. | Dekansulation
od. puerperale | Geburtsverlauf | ps
Eklampsie?
Kleinertz I!) | 27j., II-Para. | Spontangeburt. — 1. bis 15. An- Oligurie.
1908. Puerp.-Ekl. fall 10!/, bis 18%/, Std. p. p.| 3° Albumen.
Koma. Cylindrurie.
Kleinertz Il!”)| 24j., I-Para. |A. p. Kopfweh, Sehstörungen. | Albuminurie.
1908. Puerp.-Ekl. |Sofort nach Ausstoßung der Cylindrurie.
Placenta Beginn zahlreicher An-
| fälle.
|
O. Franck*®) | 26j., III-Grav. |Im 4. Schwang.-Monat häufige | Oligurie.
1907. Schwang.-Ekl. | Anfälle. Cervixdilatation. Aus- 4%, Alb.
räumung des Uterus. Fötus
20 cm lang. P.p. Anfälle häu-
figer und stärker: in 17 Std.
33 Anfälle.
Rene de VII-Grav. Ödeme, Albuminurie. Ende des Anurie.
Cotret°®) Schwang.-Ekl. |8. Monats 1. Anfall. Manuelle 6%, Alb.
1907. Cervixdilatation. Extraktion in
Steißlage.
Baumm’!) 34 j., Ill-Para. | Nach der Spontangeburt 10 An- —
1907. Puerp.-Ekl. | fälle. Koma. Atemstörungen. |
|
|
|
Wiemer 1%) | 37j., IX-Para. i Anfall 20 Std. p. p. Oligurie.
Puerp.-Ekl. | 12°) Alb.
'Koma. 7 weitere Anfälle und | Rote und weiße
| zunehmender Verfall. Blutkörperchen.
| Zylinder.
| Gallenfarbstoffe.
|
Wiemer II’) | 227., I-Grav.
Schwang.-Ekl.
|
|
In den letzten Monaten der
Schwang. starke Odeme. Nach
dem 12. Anfall Spontangeburt
nach Metreuryse. Bewußtsein
' kehrt zurück. Besserung. 5Std.
`P- p. Beginn neuer Anfälle. Ver-
Nach
‘dem 3. Anfall, 1':, Std. später,
schlimmerung.
In 8Std. 75 ccm.
38%), Alb.
Rote und weiße
Blutkörperchen.
Zylinder.
Die Nierendekapsulation bei Eklampsie. 121
Zeit Veränderung des Veränderung des
der Vornahme Nieren befund Allgemeinbefindens Urins
bei Operation
Se EE GEN oder Sektion
CARDS nach der Dekapsulation
18t/, St. p. p. | Parenchymat. | Weitere 26 Anfälle p. op. | Steigerungder Urinsekre-
Nephritis. + 571, Std. p. op. tion. Aber auch Stei-
L. Ureterdilata- gerung des Eiweiß-
tion. gehalts von 3 auf
"lan
? Auffallende Ver- | In den ersten 4 Std. p. op. | Steigerung der Urinsekre-
ößerung der r. |keine Anfälle; danach |tion u. schnelle Bes-
iere. Nieren- 29 Anfälle. serung der Albumin-
substanz quillt urie bis zum Ver-
vor. schwinden.
16 Std. p. p. | R. Niere nicht | Vorübergehende Besse- Wesentliche Besserung
vergrößert. L. | rung der Anfälle und des|der Diurese und der
Niere dunkelrot, | Allgemeinzustandes. Albuminurie.
starkgeschwollen.| + 48 Std. p. op. an
Beiderseits ein- Bronchopneumonie.
zelne Verwach-
sungen zwischen
Kapsel u. Paren-
chym. Akute
parench. Nephri-
tis. | |
23 Std. p. p. |R. Niere groß, 1. , Geringe Besserung p.op.;! Diurese nicht gebessert.
klein. Beide stark | aber 37 Std. später ekl.
granuliert. Kap- | Anfall. t.
seln leicht ent-
fernbar. |
2. Tag p. p. l. — i Besserung der Anfälle. | —
Dekapsulation, : Aufhellung des Bewußt-
da r. Niere ' seins. Am 4. Tag p. op.
Psychose. + am 5. Tag
| p. p. durch innere Ver-
blutung aus 2 Magen-
fehlte. | |
geschwüren.
Keine Anfälle mehr.
Bewußtsein kehrt mit
dem Erwachen aus der
Narkose zurück.
Etwa 26Std. p.p..
í
Beide Nieren |
stark hyper-
| ämisch. Paren-
: chym etwas her-
' vorquellend. Die '
r. sebr vergrößert.!
Mikroskopisch: |
albuminöse Trü-
bung; Fett-
degeneration.
— Schnelle Besserung.
|+ am 18. Tag p. op. durch
i lnfektion der r. Nieren-
wunde.
12 Std. p. p.
Kurz nach der Op. nur
11/2? Albumen. Wahre
- Harnflut.
Schnelle Besserung der
Diurese und der Albu-
minurie. Am Tag p. op.
LL Dan Alb.
122 Dr. E. Kehrer.
E Alter
der Gravida. Allgemeinbefinden und Zahl Urinbefund
Schwang.- der Anfälle
Autor A i vor der
Eklampsie vor der Dekapsulation. Dekavsulation
od. puerperale Geburtsverlauf p
Eklampsie?
Wiemer III)! IV-Grav. |Nach dem 3. Anfall Entbindung. | Oligurie.
Schwang.-Ekl. Danach 4 weitere Anfälle.
Sehr viel Alb.
R. Asch®) 21 j., I-Para. |3. Tag p.p. Beginn zahlreicher | In 7 Std. 250 ccm
Puerp.-Ekl. Anfälle, Koma. Ödeme. mit 101/,%., Al-
bumen.
Elis Essen- | 36j., V-Grav. | Etwa 8 Tage vor dem Endtermin Oligurie.
Möller®) ' Schwang.-Ekl. | Kopfweh, Odeme, Albuminurie. | 13°/% Albumen.
| Nach dem 5. Anfall Koma; vagi- Zylinder.
| naler Kaiserschnitt. Dann fast
| 6 Std. keine Anfälle. Von da
in weiteren 24 Std. 13 schwere
| Anfälle. Plötzliche Verschlim-
merung, Cyanose, Tracheal-
rasseln.
Fraenkel- 26 j., I-Grav. ;2Std. nach Blasensprung 1. An- | Oligurie. Starke
Goebel?’®) Schwang.-Ekl. |fall. Schwinden des Bewußt- | Albuminurie.
seins. Anfälle alle 15—20 Min.
Nach 6. Anfall (5 Std. nach
Blasensprung) Forceps aus
hohem Querstand. Dann keine
Anfälle mehr, aber Verschlech- '
terung des Allgemeinbefindens.
Weinhold- 31j., I-Grav. | Ende der 31. Schwang.-Woche Oligurie.
V. Winkler’) | Schwang.-Ekl. | Kopfweh, Mattigkeit. In 16!!,Std. | Enorme Albumin-
12 Anfälle. Koma. Cyanose. urie. Zylinder.
Bossi-Dilatation. Forceps. Vor- | Gallenfarbstoffe.
Stenglein-
Falgowski’)
übergehende Besserung (in 2Std.
kein Anfall), dann zunehmende
Cyanose mit Trachealrasseln.
We
H Std. nach Spontangeburt nn
27j., 1-Para.
dromalsymptome der EHI.
Puerp.-Ekl.
Spez. Gew. 1032.
| Oligurie (in 12Std.
a. op. 80 ccm).
14 Std. 9schwere Anfälle, Gil Hämaturie. 131.
| Koma; zunehmende Verschlech- | | wenige Std. später
| terung. 6°). Alb. Reich-
Gi Zylinder.
einer der Gradmesser, aber nicht der alleinige, ja vielleicht nicht ein-
mal der wesentlichste für die Veränderungen des Nierenparenchyms
sein. Die übrigen Methoden der funktionellen Nierendiagnostik: in
erster Linie die Bestimmung des spezifischen Gewichts des Urins beider
Nieren, die quantitative Harnstoffbestimmung, die Völkersche Indig-
karminmethode, ferner die Phloridzinbestimnung nach Casper-Richter
oder Kapsamer, die Kryoskopie, die Bestimmung der elektrischen Leit-
fähigkeit, des Kochsalz- und Stickstoffgehalts und die Methylenblau-
methode müssen genauere Anhaltspunkte über die Beschaffenheit der
i
t
Die Nierendekapsulation bei Eklampsie. 123
Zeit Veränderung des Veränderung des
der Vornahme Nierenbefund Allgemeinbefindens Urins
bei Operation
a oder Sektion >
Dekapsulation
nach der Dekapsulation
P. op. noch 2 Anfälle. | Besserung der Diurese.
Abnahme von Alb. und
Formelementen.
R. Niere Kein Anfall mehr. Am | Besserung der Diurese.
geschwollen,cya-|2. Tag p. op. Ödeme, | Am Tag p. op. 71), oo
notisch; Kapsel- | Kopfweh verschwunden; | Alb., am 2. "Tag An
Einige Std. p. p.
3. Tag p. p.
| _ spannung. Sensorium frei. 14. Tag p. op. Albumin-
L. Niere stark urie verschwunden.
gelappt.
Etwa 40Std. nach| Nur geringe | Zunehmendes Lungen- —
dem 1. Anfall u. Vergrößerung. | ödem. + 5 Std. p. op.
33 Std. nach |
Sectio caesarea
vag.
5 Std. p. p. R. Niere ver- Noch 3 Anfälle. Besserung der Diurese
ı größert, blaurot, Heilung. und Albuminurie. Am
aus der Kapsel 2. Tag p. op. 850 Urin
hervorquellend und 1°/% Alb.
— im Gegensatz
zur linken; an
dieser einige
ı blaue Flecken.
6 Std. p. p. | Nieren eher |Noch 13 Anfälle p. p.,| Besserung der Diurese
i klein, schlaff, |an Dauer und Intensität und Albuminurie.
blaurot. abnehmend.
Parenchym quoll
nicht hervor.
24 Std. p. p. | Beide Nieren Keine Anfälle mehr. |Schnelle Steigerung der
hyperämisch, | Schnelle Besserung des | Urinmenge (innerhalb
prall. L. stärker! Allgemeinzustandes. |der ersten 24 Std. p. op.
geschwollen als r. 405 ccm) und Besserung
‚ Parenchym nicht der Albuminurie.
: hervorquellend.
Nieren geben. Und es ist die Aufgabe, von diesen Methoden die zu-
verlässigsten und am schnellsten ausführbaren auszuwählen — denn sehr
kurz ist die Zeit, die bei diesen schweren Eklampsiefällen für die Funk-
tionsprüfungsmethoden zur Verfügung steht. Dazu kommt das meist
spärliche Urinmaterial. |
Endlich ist bei der Untersuchung des Urins zur Beurteilung derSchwere
des allgemeinen Krankheitsbildes auch auf Gallenfarbstoffe zu achten, die
im Fall Weinhold-Winkler und Wiemer II nachgewiesen wurden. Sie
beweisen eine gleichzeitige ernste Schädigung des Leberparenchrnns.
124 Dr. E. Kehrer.
Die kritische Durchsicht der bisher mit der Edebohlsschen Nieren-
dekapsulation behandelten Eklampsiefälle gestattet die Aufstellung folgender
Sätze:
1. Die Dekapsulation bei Eklampsie in der Schwanger-
schaft auszuführen, ist prinzipiell unrichtig. Hier bleibt zu-
nächst keine andere Wahl, als die entgiftenden therapeutischen Ver-
fahren und das Accouchement forcé.
2. Nach dem jetzigen Stand unseres Wissens ist die Dekap-
sulation in jenen schweren Fällen von puerperaler Eklampsie
mit vorwiegender Beteiligung der Nieren berechtigt,jaempfeh-
lenswert, in denen trotz erfolgter Entbindung, trotz Venae-
seetio und aller übrigen die Ausscheidungsorgane des Organis-
mus anregender Maßnahmen eine Verstärkung der Anfälle
und Verschlimmerung des Allgemeinzustandes erfolgt. Doch
darf in solchen Situationen mit der Dekapsulation nur wenige
Stunden gewartet werden.
3. Durch die Edebohlssche Operation wird — meist akut,
seltener langsam einsetzend — eine Vermehrung der Urin- und
Harnstoffausscheidung und damit gewiß auch der Eklampsie-
toxine des kreisenden Blutes angeregt.
4. In dieser Steigerung der Diurese, deren Erklärung
physiologisch, nicht anatomisch zu geben ist, wie oben aus-
einandergesetzt wurde, dürfte der Erfolg der Dekapsulation
zu suchen sein. Denn die anatomische Grundlage zur Opera-
tion, auf die sich Edebohls, O. Franck u. a. stützen: die Aus-
bildung von Gefäßanastomosen zwischen Nierenoberfläche
und Capsula adiposa, fehlt. |
5. Eine Besserung der Albuminurie, Hämaturie und
Zylindrurie pflegt mit der Steigerung der Diurese einher-
zugehen oder ihr bald zu folgen. Das Verschwinden dieser
Harnveränderungen hängt in erster Linie ab vom Degenera-
tionszustand des Nierenparenchyms zur Zeit der Operation.
Soerklärtsich, warum die Dekapsulation gerade bei der frisch
entstandenen \ephritis die besten Erfolge hat, während chro-
nische, in der Schwangerschaft schon bestehende und plötz-
lich exacerbierende Entzündungsprozesse wenig oder nicht
beeinflußt werden.
6. Den genauesten Funktionsprüfungen der Nieren nach den
bekannten Methoden, wie sie systematisch z. B. in der Kroenigschen
und Sellheimschen Klinik ausgeführt werden, muß die präzisere
Indikationsstellung zur Operation und die weitere Unter-
suchung des Einflusses der Dekapsulation auf die Tätigkeit
der Nieren und des Gesamtorganismus überlassen bleiben.
Auch ist zu hoffen, daß durch die mikroskopische Unter-
suchung von exzidierten Aierenstückchen [Fergusson $5),
Wiemerž?)] im Vergleich mit den vor und nach der Operation
Die Nierendekapsulation bei Eklampsie. 125
ausgeführten Funktionsprüfungen der Zeitpunkt zu Vor-
nahme der Dekapsulation für künftige Fälle genauer bestimmt
werden kann.
Auf diese Weise läßt sich wohl auch entscheiden, ob in
allen Fällen, in denen die Indikation zur Dekapsulation an-
erkannt wird, die beiderseitige Operation notwendig ist oder
ob der einseitige Eingriff genügt. Auch der Effekt roher
mechanischer Eingriffe an der Niere (Massage) ist experi-
mentell zu studieren.
7. Alles zusammengenommen scheintin der Dekapsulation
der Nieren, die wir Edebohls verdanken, ein weiteres Hilfs-
mittel für schwere Eklampsiefälle gegeben, und es ist zu hoffen,
daß ein Teil der 20%, Eklampsien, die sich nach der Entleerung
des Uterus nicht bessern oder danach erst auftreten, durch die
im richtigen Augenblick vorgenommene Nierendekapsulation
geheilt werden kann. Unbeeinflußt aber sind und bleiben
natürlich die verzweifelten Fälle von degenerativen Verän-
derungen anderer Organe, insbesondere der Leber und des
Herzens, die Fälle von Lungenödem und von Blutungen in
innere Organe. Das letzte Wort über die Berechtigung der
Nierendekapsulation wird aber erst die Zukunft zu sprechen
haben: ob nicht durch Einhüllung der Nieren in unnachgiebige
bindegewebige Schwielen die spätere Nierenfunktion beein-
trächtigt wird.
Literatur.
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8. Edebohls, Boston med. and surg. journ. 1904, 2. Juni.
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16. Haim, Beitrag zur Nierendekapsulation bei Eklampsie. Zentr. f. Gyn. 1908,
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126
Dr. E. Kehrer. Die Nierendekapsulation bei Eklampsie.
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Edebohls, Ein neuer durch Nierendekapsulation geheilter Fall von puer-
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Zeitschrift für gynäkologische Urologie
1909 Band 1 Nr. 3
Nierenexstirpation bei Ureterfistel.
Von
Heinrich Fritsch.
Die Exstirpation einer gesunden Niere, um die Beschwerden einer
Ureterfistel zu heilen, gilt heute allgemein als ein Kunstfehler, obwohl
feststeht, daß der Mensch mit einer Niere gut leben kann, ja daß selbst
Schwangerschaften und Geburten bei einer Niere gut verlaufen.
Die Technik der Ureterimplantation ist so ausgebildet und so ver-
einfacht, daß es kaum noch lohnt, viel Worte darüber zu machen.
Die Gynäkologen haben wohl allgemein den extraperitonealen Weg
als den schwereren, umständlicheren und komplizierteren aufgegeben.
Man soll aber zweierlei nicht vergessen. Erstens, daß die Fälle
verschieden sind und also auch eine verschiedene Technik verlangen,
und daß zweitens Fälle vorkommen, bei denen man, auf die Ureter-
implantation zu verzichten gezwungen, die Nierenexstirpation auch
heute noch machen muß.
Die Verschiedenheit der Fälle rührt von der Art der Entstehung
her. Die, wenn ich so sagen darf, geburtshilflichen Ureterfisteln sitzen
tief unten, dicht über der Einmündung des Ureters in die Blase.
Dies ist erklärlich, denn sie entstehen dadurch, daß die Cervix zerrissen
wird und sich der Riß in das Parametrium fortsetzt.
Die Technik ist schon deshalb eine andere, weil der Uterus noch
vorhanden ist und innerhalb des Peritonealraumes die anatomischen
Verhältnisse fast normale geblieben sind.
Die gynäkologischen Ureterfisteln, bei abdominalen oder vaginalen
Totalexstirpationen entstanden, liegen oft höher. Sie haben dadurch
andere Verhältnisse, daß der Uterus fehlt, daß an seiner Stelle Narben
liegen, die Blase, Ureter, Peritoneum und Beckenboden in ihrer ana-
tomischen Lage und Beweglichkeit mehr oder weniger beeinträchtigt
und verändert haben.
Die gynäkologischen Ureterfisteln entstehen bei abdominalen Total-
exstirpationen oder tiefer supravaginaler Amputation dadurch, daß die
Uterina vor der Abbindung nicht genügend isoliert war. Gewiß sollte
man stets subperitoneal sich die Uterina ganz deutlich machen und sie
isoliert unterbinden. Allein trotz dieser Absicht gelingt es nicht immer,
da einerseits die Uterina durch das Wachstum eines unregelmäßig ge-
formten Myonıs stark nach hinten, öfter nach vorn zu verlagert ist, und
da andrerseits viele Äste abgehen, und diese Äste mitunter so stark er-
Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 9
128 Heinrich Fritsch.
weitert sind, daß man zwar glaubt, die Uterina unterbunden zu haben.
daß aber trotz dessen noch ein Ast daneben oder unterhalb spritzt. Wird
dann, um die Blutung zu stillen, „umstochen“, so wird zwar selten der
Ureter direkt mitgefaßt, aber doch durch eine naheliegende, festgeknüpfte
Ligatur verzerrt, abgebogen, stenosiert und atretisch. Eitert ein Stich-
kanal bei der Abstoßung des abgebundenen Stumpfes von der Scheide
aus, so kommt es schließlich, wie es Stöckel ausführlich beschrieben
und erklärt hat, zur Fistel.
Überlegt und erinnert sich der Operateur genau an die einzelnen
Momente der Operation, so wird er wohl meist den Zeitpunkt angeben
können, wo das Unglück zustande kam. Diese Fisteln sitzen natürlich
höher und die anatomischen Verhältnisse sind wegen des Wegfalls des
Uterus, der Verzerrung des Peritoneums und der Narbenkontraktion
auf dem Beckenboden schwerer übersichtlich als bei den geburtshilflichen
Fällen.
Ist der Uterus noch vorhanden und der Beckenboden unverändert,
wie es bei den geburtshilflichen Ureterfisteln der Fall ist, so ist der
Ureter sehr gut zu finden, gut beweglich zu machen und leicht an
die Blase heranzubringen. Die künstliche Verlagerung der Blase nach
einer Seite, wie sie Witzel empfohlen hat, ist dann nicht nötig.
Für diese Fälle empfehle ich eine Methode, die mir ein sehr gutes
Resultat gegeben hat. Man klappt das Peritoneum nach oben und
macht das Loch in dem Teile der Blase, der nicht vom Peritoneum be-
deckt ist. Dann spaltet man frontal den Ureter und zieht zuerst die
untere Halbrinne in die Blase nach abwärts und dann die obere
nach oben in das Blasenloch hinein. Die Nadel wird, wie vielfach be-
schrieben, von der Außenwand der Blase ca. 2 cm nach abwärts vom
Blasenloch nach innen durchgestochen, geht durch den Ureter wieder
nach außen und wird außen auf der Blase geknüpft. Zu dieser Naht
eignet sich, wie zur ganzen Operation, am besten die feinste Nummer
des Jodkatguts. Dadurch, daß diese Naht ca. 2 cm von dem Blasen-
loch entfernt durchgeführt wird, gelangt in das Loch selbst der ge-
schlossene Ureter oberhalb der Spaltung. Nunmehr wird mit 4 Suturen
der Ureter mit der Blasenwand, die etwas nach innen gestülpt ist,
vereinigt. Und zum Schluß wird das Blasenperitoneum mit dem Becken-
peritoneum so genau vereinigt, daß die ganze Implantationsstelle unter-
halb des Peritoneums, aus dem Peritonealraum völlig ausgeschaltet ist.
Auf diese Weise schafft man jedenfalls am besten ganz normale Ver-
hältnisse. Die Implantationsstelle liegt völlig extraperitoneal, und der
intraperitoneale Druck drückt die Operationsstelle gut zusammen. Die
sroße Beweglichkeit des Blasenperitoneunis gestattet seine Nahtbefestigung
ziemlich weit nach oben. Der Abschluß macht keine Schwierigkeiten.
Eine so operierte Frau kam ein Jahr nach der Operation, spontan
ohne Störung in der Klinik nieder.
Ich gebe aber zu und habe es selbst öfter konstatiert, daß bei
` trvnäkolorischen Ureterfisteln der narbig mit der Umgebung verwachsen®
Nierenexstirpation bei Ureterfistel. 129
Ureter oft nicht so tief herabzuziehen ist, und daß man deshalb ge-
zwungen sein kann, den Ureter und den Scheitel der nach seitwärts
oben gezogenen und nach Witzel durch Nähte fixierten Blase zu im-
plantieren. Daß auch diese Methode gute Resultate gibt, haben wir ja
genugsam erfahren.
Jedenfalls ist die Ureterimplantation, mag sie nun subperitoneal
oder intraperitoneal gemacht sein, eine leichte und prognostisch sehr
günstige Operation.
In meiner Klinik sind im ganzen 16 einseitige Ureterimplantationen
gemacht. 12 habe ich, 2 Stöckel und 2 hat Reifferscheid operiert.
In allen Fällen trat prima intentio ohne jede Wundstörung ein. Niemals
schloß sich eine Peritonitis an. Ein Todesfall ist nicht vorgekommen.
Viele Fälle wurden später cvstoskopisch kontrolliert und zeigten normale
Funktion des Ureters.
Dennoch, trotz der guten Resultate, ist die Nierenexstirpation, wie
auch Wertheim betonte, nicht völlig überflüssig. So ist gewiß selbst-
verständlich, daß man mit allen Mitteln der Nierendiagnostik vor der
Implantation feststellen muß, daß die Niere und der Ureter normal
sind, resp. daß der Urin nichts Pathologisches enthält. Ein solcher
Fall ist der folgende:
Frau K. K., 45 Jahre alt, 1896, J.-Nr. 203. Seit 24 Jakren verheiratet. Mit
27 Jahren erste Geburt, danach noch 10 Geburten, 3 Aborte. Enorme Blutungen,
Uterus vergrößert, interstitielles Myom. Am 17. August 1896 vaginale Totalexstirpation.
Katheterisation notwendig. Am 7. Tage p. o. Cystitis, ohne Fieber, am 14. Tage
p. o. Urinabfluß aus der Scheide. Da gleichzeitig aus Blase und Vagina Urin ab-
geht: Ureterfistel. Urin eiter- und eiweißhaltig, rote Blutkörperchen. Keine Zylinder.
Allmählich nehmen in den nächsten Wochen die Schmerzen in der linken Nieren-
gegend unter leichten Fieberbewegungen zu. Cystoskopie ergibt: Gefäße der Blasen-
schleinhaut injiziert. Rechter Ureter arbeitet normal, der linke liegt völlig tot.
Hinten links in der Blase scharfrandiges Geschwür. Zunahme der linksseitigen
Nierenschmerzen. Der linke Ureter läßt sich von der Scheide aus katheterisieren.
Der aufgefangene Urin der linken Niere ergibt reichlich Leukocyten, fettig zerfallene
Zellen, kleine Plattenepithelien. Auch der Urin der rechten Niere wird nach Aus-
waschung der Blase durch Ureterkatherisation genommen. Er ist völlig normal. Am
9. Oktober linksseitige Nephrektomie. Die exstirpierte Niere ist vergrößert, die
Kapsel verwachsen. Beim Durchschneiden zeigt sich das typische Bild der eitrigen
interstitiellen Nephritis. Nierenbecken gerötet mit feinen Hämorrhagien durchsetzt.
Glatte Heilung. Pat. stellte sich wiederholt in der Klinik vor und war ein
volles Jahr nach der Operation noch gesund.
Ich würde auch dann die Niere lieber exstirpieren als die Im-
plantation machen, wenn auch nur der entfernteste Verdacht auf Nieren-
tuberkulose besteht, z. B. wenn die Umgebung der Ureteröffnung ge-
rötet und geschwürig ist. Wir hatten einige Fälle, wo ganz allein diese
Rötung der Ureteröffnung den Verdacht auf Nierentuberkulose hervor-
rief, und es nicht gelang, bei vielen sorgfältigen Urinuntersuchungen
TB. nachzuweisen und dann doch die positiven Impfungsresultate an
Meerschweinchen die Diagnose auf Tuberkulose stellen ließ.
Bei jedem Verdacht auf Nephritis oder Tuberkulose würde ich
um so mehr die XNierenexstirpation empfehlen. als ja ohne Zweifel
g*
130 Heinrich Fritsch.
diese Operation ganz ausgezeichnete primäre und definitive Resultate
ergibt.
Außerdem gibt es drei Gründe, die uns anregen, auf die Ureter-
implantation zu verzichten.
Erstens, wenn das Ureterende zu weit von der Blase entfernt
ist, zweitens, wenn der Ureter entzündet und erweicht ist, und drittens.
wenn das Peritoneum nicht intakt, entzündet ist.
Für diese Behauptung möchte ich durch Schilderung einiger Fälle
den Beweis liefern.
Der erste Fall ist schon von meinem Sohne Dr. med. Karl Fritsch
in einer Dissertation: Vierzehn Nierenexstirpationen infolge gynä-
kologischer Leiden, Bonn 1906, veröffentlicht.
Fr. K., 1%1, J.-Nr. 495, 35 J., seit 10 J. steril verh. Jetzt schwanger, aufge-
genommen am 9. November, letzte Menstruation im November vor einem Jahre. Die
Ende Juni erwartete Geburt trat nicht ein. Der dicke Leib wurde dünner. Leichtes
Fieber soll öfter dagewesen sein. Große Mattigkeit. Der Uterus von der Größe wie
im 5. Monat der Gravidität, liegt auffallend links. Vom Kinde läßt sich nichts Deut-
liches durchfühlen. Diagnose: Ausgetragene Extrauteringravidität, abgestorbener Fötus.
Laparotomie am 11. XII. Linksseitige pseudointraligamentäre Tubo-(Uvarial-
gravidität. Kind im 6. Monat abgestorben. Es gelingt den Fruchtsack zu exstirpieren.
Der linke Ureter war so stark nach vorn und oben verlagert und so fest in der Wand
des Fruchtsackes eingewachsen, daß er, obwohl erkannt, mit dem Fruchtsack reseziert
werden mußte. Da das obere Ende ungefähr in der Höhe des Nabels durchschnitten
war, so mußte wegen der großen Entfernung der Blase von einer Implantation Ab-
stand genommen werden. Es kam in Frage, ob man den Ureter einfach unterbunden
versenken sollte. Dies riskierte ich nicht. Vielmehr nähte ich den möglichst ge-
lockerten Ureter in das obere Ende der Bauchwunde dicht am Nabel ein, um später.
wenn die sehr heruntergekommene Patientin sich erholt hatte, die Nephrektomie zu
machen. Vorläufig völliger Schluß der Laparotomiewunde bis auf den eingenähten
Ureter. Urin per vesicam 1000—1500 ccm ohne Albumen, doch mit Eiterzellen und
Blasepithelien. Der Fistelurin beträgt, so gut man die Menge bestimmen kann, etwa
400—500 ccm. ist sehr trübe, enthält 21/,—3°/,. Albumen,
Am 20. I. hat sich das Allgemeinbefinden so weit gebessert, daß die linksseitige
Nephrektomie ausgeführt werden kann.
Die Niere ist etwas vergrößert. Die Kapsel ist an einigen narbigen Einziehungen
adhärent.
Heilung und Rekonvaleszenz ohne Störungen.
Von dem Einnähen des Ureters in den Darm bin ich ein ent-
schiedener Gegner, weil ich jedesmal die so Operierten nach längerer
oder kürzerer Zeit an Nephritis mit Abscessen in der Niere verloren
habe. Auch wenn ich das ganze Trigonum Lieutaudii in den Darm
nähte, z. B. nach Exstirpation der ektopischen Blase, trat dennoch später
Nephritis ein, der die Patientin nach Monaten oder Jahren erlag.
Ich konnte ja auch, vertrauend auf die gewiß richtige Beobachtung
von Füth (Metz) einfach den unterbundenen Ureter versenken. Ich
habe dazu noch nie den Mut gehabt, obwohl ich zugeben muß, daß
Fälle mit allmählicher Nierenverödung gewiß öfter unabsichtlich vor-
gekommen sind. In älteren Arbeiten ist wiederholt beobachtet, dal
bei Ureterunterbindungen recht unangenehme Erscheinungen eintraten.
So schildern Simon und Band] Fälle, wo unmittelbar nach der zu-
Nierenexstirpation bei Ureterfistel. 131
fälligen Ureterabbindung bei Fisteloperationen heftige Schmerzen und
hohes Fieber eintraten. Dies habe ich auch öfter beobachtet. Bei der
Exstirpation der Basis einer großen Zottengeschwulst, die am Trigonum
Lieutaudii saß, habe ich einmal, nachdem die heftige Blutung aus der
Blasenwunde durch Naht gestillt war, die Blase wieder aufmachen und
die Ligatur lösen müssen. Der Ureter war durch die Naht nicht ge-
faßt und umbunden, sondern so verzerrt, daß er undurchgängig geworden
war. Noch an demselben Tage trat eine Temperatur von 40° ein. Die
Schmerzen in der Nierengegend waren so stark, daß der Grund der
Komplikation klar wurde. Nach der Öffnung der Sutur hörten sofort
Fieber und Schmerzen auf. Da aber mittlerweile die Gefäße throm-
bosiert waren, stand definitiv die Blutung und die Kranke genaß, wenn
auch langsam, weil die suprasymphysäre Wunde nun nicht per pri-
mam heilte.
Auch bei vaginalen Fisteloperationen sah ich öfter die von Bandl
beschriebenen schweren Symptome eintreten.
Und in der allerersten Arbeit von W. A. Freund über eine Ureter-
fistel, in Betschlers Beiträgen, schildert Freund, wie jedesmal, wenn
er die Fistel von der Vagina aus zuklemmte, sofort die heftigsten
Schmerzen eintraten. Warum das eine Mal der Ureterverschluß schwere
Symptome macht, das andere Mal nicht, ist mir nicht klar. Der nahe-
liegende Gedanke wäre ja der, daß bei infektiösem Inhalte des Nieren-
beckens Fieber entstände, bei normalem Urin nicht. Doch dies stimmt
durchaus nicht. Auch bei völlig aseptischem Urin können schwere
Symptome sich einstellen. Ich halte es deshalb für richtiger, wenn man
die Ureterimplantation nicht machen kann, auf die Verödung der Niere
nicht zu vertrauen, sondern die Niere zu exstirpieren. Wäre die Ver-
ödung der Niere die Regel, wie könnten dann die riesengroßen Hydro-
nephrosen entstehen, die ein Jahrzehnt oder länger brauchen, um bis
zur Größe des hochschwangeren Uterus heranzuwachsen.
Daß. eine Abbindung des Ureters nicht stets zur symptomlosen
Schrumpfung der Niere führt, bewies mir auch der folgende Fall:
Frau H., 1904, J.-Nr. 258, 26 Jahre alt. Diagnose: großes Ovarialcystom bis über
den Nabel reichend, den Douglas tief in die Scheide hervorwölbend. Laparotomie
am 27. VII. 1904. Sehr viele Adhäsionen der Därme an dem Parietalperitoneum und
dem Uterus. Der Tumor umgreift völlig den Uterus und liegt hinten entweder retro-
peritoneal oder ist so intensiv mit dem Peritoneum parietale verwachsen, daß vom
Promontorium aus ein Eindringen nach unten unmöglich erscheint. Der Tumor wird
mit großer Kraft manuell losgedrückt und herausgehoben. Stränge, die zu fest sind,
werden unterbunden und dann durchschnitten. Da die Höhle stark blutet: Tamponade
der großen Höhle und Gegentamponade von der Vagina aus. Der Tampon wird wieder-
holt entfernt und erneuert. Die Höhle verkleinert sich langsam. 38 Tage nach der
Operation ist der Verband plötzlich sehr naß, beim Herausziehen der Gaze fließt
reichlich urinös riechende Flüssigkeit aus der Bauchfistel.
Die Cystoskopie ergibt, daß der rechte Ureter normal fungierte, der linke aber
tot liegt. Bei der Katheterisation des linken Ureters von der Blase aus stößt der
Katheter 15 cm oberhalb des Blasenostiums auf Widerstand. Auch bei Aspiration
fließt Urin nicht aus. Deshalb am 7. XI. Nephrektomie. Niere von normaler Größe,
aber ziemlich bedeutende Hydronephrose. Ob der Ureter erweitert war, konnte nicht
132 Heinrich Fritsch.
entschieden werden, weil die Niere dicht unter dem Eintritt der Gefäße abge-
bunden war.
Entlassung nach glatter Heilung am 9. X.
Es war also am 38. Tage nach der Ureterabbindung, die wohl bei
der Unterbindung der festen, die Cyste fixierenden Stränge geschehen
war, der Ureter irgendwo geplatzt, so daß der Urin dann noch durch
die Bauchfistel sich ergossen hatte.
Allerdings ist ja einzuwenden, daß vielleicht der Ureterstumpf, in
der Nähe der eiternden Bauchfistel liegend, erweicht sein konnte, aber
anderseits beweist doch der Fall, daß jedenfalls die Niere durchaus
nicht schnell ihre Funktion einbüßt.
Der zweite Grund ist eine abnorme Weichheit. und Zerreißlichkeit
des Ureters, wie sie auch allein durch eine starke Dehnung eintreten
kann. Bei Frauen, die an Uteruscarcinom starben, findet man ja in
der Regel Hydronephrose und Uretererweiterung. Ich habe dabei
Ureteren gesehen, die papierdünn bis zum Umfange eines Dünndarms
dilatiert waren. Aber auch ohne diese Erweiterung kann die Ureter-
wand auffallend weich und zerreißlich sein, wie der folgende Fall beweist.
Frau E. K. 1906/7 J.-N. 371. 46 Jahre, verheiratet seit 22 Jahren, 2 Geburten,
letzte vor 18 Jahren. Carcinon der hinteren Lippe, etwas auf die hintere Scheiden-
wand übergegangen. Rechts großer Emmetscher Riß. Vordere Lippe ganz normal.
Vaginale Totalexstirpation 26. September 1906. Umschneiden der Portio. Hinten wird
der Schnitt ca. 3cm entfernt vom Carcinom durch die Vaginalwand geführt, so daß
ein großes Stück der hinteren Vaginalwand mitgenommen wird. Losschieben der
Blase. Zuerst Abbinden links mit Seide. Dann auf der rechten Seite, wo das Para-
metrium am Ende des Risses narbig verkürzt und unnachgiebig ist. Die Adnexe
werden beiderseits zurückgelassen. Die Stümpfe werden in die Scheide herabgezogen
und unterhalb der Vaginalperitonealnaht fixiert. Dies gelingt nur links vollkommen.
Rechts wird etwas Jodoformgaze in den Trichter geschoben. Blasenurin fließt am
Ende der Operation klar ab. Patientin kann spontan urinieren.
In den ersten Tagen ist Pat. bei stets normaler Temperatur merkwürdig
benommen, viel schläfrig. Als Symptom der Undurchgängigkeit des, Ureters auf-
gefaßt. Keine Schmerzen in der Nierengegend.. Am 10. Oktober Entfernung der
Seidenfäden. Damals wandte ich noch bei den vaginalen Totalexstirpationen Seide
an. Seit der Jodkatgut existiert, nehme ich auch bei dieser Operation allein Katgut. Nach
Entfernung der Fäden Urinabfluß per vaginam, bei gleichzeitigem normalem Urin-
lassen per urethram. Zunächst Vaginalspülungen mit 50 g Alkohol zu 1 Liter Wasser.
Da die Pat. weit hergereist war und nun gesund nach Hause zurückkehren
wollte, mußte die Ureterimplantation sobald als möglich gemacht werden. Daß: die
Fistel rechts saß, war nach der Beobachtung bei der Operation zweifellos.
Am 29. Oktober, also 4!/, Woche nach der ersten Operation, Laparotomie,
Längsschnitt. Sehr dicke, fettreiche Bauchdecken. Die Därme trotz Vorbereitung
sehr ausgedehnt und lufthaltig. Blase ganz in Fett eingehüll. Nach Auffinden
des rechten Ureters wird er an seinem distalen Ende losgetrennt resp. gelockert und
isoliert. Die Blase wird nach Einführung eines Katheters durch die Harnröhre rechts
im Fundus eröffnet. Beim Versuch, durch den Ureter eine Sutur zu legen, um ihn
in die Blase zu ziehen, reißt die Sutur jedesmal aus. So wird der schr zerreißliche.
dilatierte Ureter immer kürzer, und es gelingt nicht. den Ureter in das Blasenloch zu
bringen, zumal auch die Blase sich nicht hochziehen läßt, weil sie an der Narbe
im Beckenboden fixiert ist. Deshalb wird sofort die Implantation aufgegeben und
das Blasenloch mit Katgutfäden verschlossen. Naht der Bauchdecken in üblicher Weise.
Heftpflasterverband.
Nierenexstirpation bei Ureterfistel. 133
Die Pat. wird auf die linke Seite gelegt. Parallel dem Rippenbogen rechts Schnitt.
Die Niere, deren Kapsel etwas mit dem Fett verwachsen ist, wird in den Schnitt
luxiert und mit 3 Seidenfäden abgebunden, dann abgetrennt. Jodoformgaze um den
Stumpf, der an die Narbe fixiert wird. Naht der Haut mit Seide bis auf das kleine
Loch für die Seidenfäden und den Jodoformgazestreifen.
Heilung der Laparotomiewunde per primam. Völlig glatter, fieberfreier Verlauf.
Am 24. November wird Patientin gesund entlassen. Die Seidenligaturen an dem Nieren-
stumpf hängen zu einem kleinen Loch in der Narbe heraus.
Nach Mitteilung des behandelnden Arztes lösten sich erst nach 4 Wochen die
Fäden, worauf die Fistel sich sofort schloß. Pat. war im Juli 1908, also nach
2 Jahren, völlig gesund.
Gewiß war es ein Fehler, schon 4 Wochen nach der Vaginal-
operation die Implantation zu versuchen. Ich hätte gern 3 Monate
gewartet, dies war aber bei der auswärtigen Kranken nicht gut möglich.
Der Fall lehrt also einerseits, daß man je länger je besser warten soll.
zumal ja mir und andern Fälle vorgekommen sind, wo solche Fisteln
sich spontan schließen. Hier aber war bei der Zerreißlichkeit des in-
filtrierten Ureters ein anderes Verfahren unmöglich. Findet man also
einen so weichen Ureter, so kann die Implantation daran scheitern, daß
ein festes Anziehen und Hineinziehen in die Blase unmöglich ist. Dann
soll man so schnell wie möglich, ehe durch langes Operieren, Mani-
pulieren und Offensein der Bauchhöhle das Peritoneum geschädigt ev.
infiziert ist, die Ureterimplantation aufgeben und sofort die Nieren-
exstirpation anschließen.
Der dritte Grund, von der Implantation abzustehen, liegt in einer
Peritonitis resp. in einem pathologischen Zustande des Peritoneuns,
der eine primäre Heilung unwahrscheinlich macht.
Fräulein M. H., 36 Jahre, 1908/9. J.-Nr. 72. Pat. hat ein Uterusmyom von der
Größe des im vierten Monat schwangeren Uterus. Das Myom ist frei beweglich, sehr
weich, so daß die Differentialdiagnose mit Gravidität in Betracht kam. Sehr starke
unregelmäßige Blutungen hatten die Patientin zum Arzt geführt.
Myomotomie am 25. April 1908. Chloroformäthernarkose. Medianer Längsschnitt.
Der Uterus ist durch eine fundal sitzende, auffallend weiche etwa kindskopfgroße
Geschwulst vergrößert, die Adnexe sind frei von Veränderungen. Abbindung des
Lig. infundibulopeloicum beiderseitig. Spaltung des vorderen Blattes des Lig. lat. bis
zum Blası:nansatz beiderseitig zur Aufsuchung der Uterinae. Da wegen der großen
Weichheit der Geschwulst an Malignität gedacht wird, Totalexstirpation beschlossen.
Stumpfes Freilegen der Uterinae, isolierte Unterbindung derselben. Sagittale Spaltung
der hinteren Scheidenwand dicht an der Portio, die darauf sofort in der Wunde sicht-
bar mit einer Hakenzange emporgehoben wird. Zirkuläre Absetzung der Scheide mit
Unterbindung der spritzenden kleinen Rami vaginales. Schluß des Scheidenlumens
mit Katgutnähten und des Peritoneums darüber ebenfalls mit Katgut. Also völliger
Abschluß der Peritonealhöhle. Bauchnaht in üblicher Weise.
Am 3. Tag nach der Operation abends 38,0, am 4. 37,9, am 5. früh 38,0,
abends 39,2, am 6. abends 38,1. Danach normaler Verlauf ohne Fieber. Am 7. Tage
tritt, unter Nachlaß des Fiebers, unwillkürlicher Urinabgang ein. Bis dahin Urin
klar, spontan, ohne Blut oder Eiter. Da der unwillkürliche Urinabgang trotz Dauer-
katheters anhält, so ist die Ureterfistel klar. Nunmehr glatter Verlauf. Heilung
der Laparotomiewunde per primam. Entfernung des Verbandes und der Fäden am
12. Tage post operationem.
Am 14. Mai Cystoskopie (Prof. Reifferscheid). Rechter Ureter liegt tut.
134 Heinrich Fritsch.
linker arbeitet regelmäßig. Katheter läßt sich in den linken Ureter 10 cm vorschieben.
Spätere Ureterimplantation beschlossen.
22. Mai. Pat. liegt trocken, der Urinabtluß sistiert. Es wird zunächst spontane
Heilung der Ureterfistel angenommen.
23. Mai. Sehr heftige Leibschmerzen und Schmerzen in der Gegend der
rechten Niere.
24. Mai. Die Schmerzen halten an. Leib weich, aber unten rechts sehr druck-
empfindlich. Stuhl nach Einlauf. Urinmenge in 24 Stunden 600 g. Es wird an-
genommen, daß die Narbenkontraktion die Ureteröffnung komprimiert hat, und daß
ein Platzen des Ureters ev. eingetreten ist. Allgemeinbefinden schlecht. Urinmenge
ca. 700 g. Temperatur 37—39. Puls sehr beschleunigt.
25. Mai. Operation. Chloroformäthernarkose. Längsschnitt rechts neben der
alten Narbe. Sofort nach Eröffnung der Bauchhöhle quillt hellgelbe, urinös riechende
Flüssigkeit in reichlicher Menge vor. Die Därme sind untereinander und mit dem
Beckenperitoneum verklebt. Die Serosa hochrot und geschwollen, mit fibrinösen Be-
schlägen bedeckt. Einige größere Fibrinflocken werden herausgetupft. Bei Berührung
und bei Versuchen, die Darmschlingen von der Uretergegend loszuziehen, Blutung
aus den Verklebungsstellen. Wegen dieser Peritonitis wird sofort die Ureterimplantation
aufgegeben. Die Bauchhöhle wird mit steriler Gaze dräniert, die Bauchwunde bis
auf einen Spalt zum Hinausleiten des Endes des Gazestreifens geschlossen. Verband.
Sofort Schrägschnitt am rechten Rippenbogen. Luxation der Niere. Abbinden
mit Gesamtligatur. Fixierung des Stumpfes an die Fascie. Ganz wenig Jodoform-
gaze um den Stumpf. Exakter Schluß der Wunde, Muskelschichten mit Katgut,
Fascie mit Silkworm, Haut ebenfalls mit Silkworm, bis auf das kleine Loch für die
Suturen. Gazeverband. Bilasendränage.
Glatter fieberloser Verlauf.. Am ersten Tage 950 g Urin. Am zweiten 850,
am dritten 2200 g Urin. Am dritten Tage teilweise, am fünften völlige Entfernung
der Peritonealdränage, wobei sich noch viel Flüssigkeit entleerte. Das Allgemein-
befinden hebt sich schnell. Heilung ungestört. Am 16. Juni 1908 Entlassung.
Interessant ist bei diesem Falle, daß der aseptische Urin zwar
keine septische Peritonitis, aber doch jedenfalls eine Peritonitis erzeugte.
Ich habe schon einmal vor vielen Jahren einen Fall erlebt, bei dem eine
große, teilweise abgestorbene Ovarialcyste sehr schwierig vom Becken-
boden subperitoneal ausgelöst war. Die Patientin lebte nach der Ope-
ration noch drei Monate und ging dann dekrepide zugrunde Bei der
Sektion wurde ein abgekapselter, mit klarem Urin gefüllter manns-
kopfgroßer Peritonealraum rechts gefunden. Seine Begrenzungen be-
standen in den verklebten Därmen. In diese Cyste öffnete sich der
zerrissene Ureter. Auch da war der Verlauf, trotz der festen Ver-
klebungen und Urinretention, stets fieberfrei gewesen.
Allerdings glaube ich, daß, wenn wir nicht in unserem Falle schnell
eingegriffen hätten, die Patientin bald gestorben wäre. Ich machte
die Operation, weil ich mit Sicherheit annahm, daß hier der -gestaute
Urin, der nicht mehr abfloß, sich in die Bauchhöhle ergossen hätte.
Die Nierenschmerzen ließen die Undurchgängigkeit des Ureters, die
Druckempfindlichkeit des Bauches die Peritonitis diagnostizieren. Daß
das Fieber fehlte, war ja nicht auffallend. Gibt es doch auch Peri-
tonitiden ohne Fieber.
Jedenfalls aber war der Entschluß, sofort nach Eröffnung des
Leibes, der Konstatierung der Peritonitis und des urinösen Inhalts,
jede weitere Manipulation im Bauche aufzugeben. der richtige Ent-
Nierenexstirpation bei Ureterfistel. 135
schluß. Auch die Dränage war gewiß, wie der Erfolg zeigt, am Platze.
Früher hat man oft die Dränagen länger liegen lassen. Dies ist falsch,
wenn man auf primäre Heilung hoff. Dann muß man spätestens am
vierten und fünften Tage die Gaze entfernen.
Der Fall ist deshalb so interessant, weil sich hier der Urin vier
bis fünf Tage lang in die Peritonealhöhle ergossen hatte, weil er sicher
teilweise vom Peritoneum resorbiert war, weil er allerdings einen
schädlichen Einfluß auf das Peritoneum ausgeübt, aber doch keine
septischen Symptome gemacht hatte.
Zum Schluß möchte ich noch bemerken, daß ich die Abbindung
der Niere stets mit sehr dicken Seidenfäden so mache, daß ich den
Faden unter der Niere um die Gefäße und den Ureter herumführe und
alles zusammen in eine Ligatur fasse. Man kann dann die Niere so
abschneiden, daß das ganze Nierenbecken als Stumpf oberhalb der
Ligatur liegt. Auf diese Weise wird man außerordentlich schnell
fertig, und eine Nachblutung resp. ein Abgleiten der Ligatur ist unmög-
lich. Seit ich weiß, daß einem sehr bedeutenden Chirurgen bei der
Isolierung der Gefäße und isolierter Ligatur eine Verblutung aus der
entschlüpften Nierenarterie vorgekommen ist, habe ich prinzipiell die
Gtesamtligatur angewendet. Das ist zwar nicht recht chirurgisch, aber
bei diesen Fällen das einfachste. Bei bösartigen Geschwülsten, die ich
nicht operierte und nicht operieren werde, mag ja die isolierte Unter-
bindung und ev. Auslösung des Ureters nötig und richtig sein. In
unsern Fällen ist es nicht notwendig. Die Abkürzung der Operation
bei Gesamtligatur aber ist jedenfalls für die Patientinnen von großer
Bedeutung.
(Aus der Frauenabteilung des Allerheiligen-Hospitals zu Breslau. Primärarzt: Dr. Asch.)
Nierenveränderungen bei Uretervaginalfisteln.
Von
H. Peiser.
(Mit einer farbigen Tafel und 4 Textfiguren.)
Wie jede Art von Urinfisteln für die damit Behafteten die Ursache
eines schweren Leidens, ja häufig eines geradezu bejammernswerten
Zustandes darstellt, so gilt dies auch in vollem Umfange von den Ureter-
Vaginalfisteln. Während nun früher solche Fisteln eine Seltenheit
waren, so haben sich dieselben in neuerer Zeit erschreckend gehäuft.
Ereigneten sich derartige Erkrankungen früher fast ausschließlich durch
schädigende Einflüsse bei der Geburt — spontan (Drucknekrose) oder
durch Kunstfehler (scherenförmiges Perforatorium, schlechtliegender
Zangenlöffel [Küstner 19]) hervorgerufen —, so spielen heute die Ver-
letzungen, die durch die mehr und mehr zunehmenden großen gynä-
kologischen Operationen — gewollt wie ungewollt — entstehen, in der
Ätiologie dieser Fisteln ebenfalls eine ganz hervorragende Rolle. Unter
diesen Operationen nehmen wohl die abdominalen und vaginalen Total-
exstirpationen den ersten Platz ein, insbesondere bei Carcinomen, wenn
der Ureter selbst schon von Krebsmassen umwuchert ist. Kamen in
früheren Jahren und leider auch heute noch hin und wieder Uretero-
Vaginalkommunikationen durch Krebswucherung zustande, so waren
diese lästigen Begleiter der zerstörenden Krankheit in gewissem Sinne
der Anfang vom Ende. Jetzt müssen wir oft das Entstehen einer Harn-
leiterfistel beklagen, weil wir ohne dieses Opfer eine Frau nicht von
dem sicher tödlichen Leiden des Krebses befreien konnten. Damit wächst
aber natürlich die Aufgabe, auch dieses konsekutive Leiden zur Heilung
zu bringen und die Verantwortung, die vom Krebstod gerettete Patientin
auch einem lebenswerten Leben zurückzugeben. Auch bei anderen
notwendigen Operationen kommen genug Ureterunterbindungen oder
Trennungen als Nebenverletzung vor, die ihrerseits wieder häufig zu
Harnleiterfisteln führen. Beobachtung und Heilbestreben haben über
dieses Thema eine überaus reichhaltige Literatur hervorgerufen, und eine
große Reihe von Operationsmethoden zur Heilung dieses traurigen Leidens
sind in den letzten Jahrzehnten ersonnen und bekannt gegeben worden.
Zusammenfassend bespricht Stockel (38) in seiner Monographie
die Implantationsmethoden des Ureters in die Blase, die Ureterimplan-
Nierenveränderungen bei Uretervaginalfisteln. 137
tationen in den Darm, in den anderen Ureter usw. usw., und stellt
schließlich diesen mehr konservativen Methoden die Nephrektomie als
ultimum refugium gegenüber. |
Vielleicht könnte man diesen operativen Heilungsversuchen in ge-
wissen Fällen noch eine andere mel abwartende Therapie gegenüber-
stellen, die in drei von uns beobachteten Fällen — von denen aller-
dings nur einer ganz genauer Beobachtung zugänglich war — zur
Heilung geführt hat. Wie unsere Fälle, so sind ganz gewiß auch
manche der vielen in der Literatur niedergelegten Fälle bei eingehender
Kritik in diesem Sinne zu verwerten. Betrachtet man nun die in dieser
Literatur ausgesprochenen Anschauungen der Autoren, so sieht man,
daß sie fast ausnahmslos darin einig sind, frische, etwa bei einer Ope-
ration entstandene Kontinuitätstrennungen des Ureters möglichst sofort
wieder zum Verschluß zu bringen, um dem Entstehen einer Ureter-
fistel vorzubeugen. Auch die sofortige Einpflanzung in die Blase wird
vielfach mit Erfolg ausgeführt, oder das durchschnittene Ureterende in
die Scheidenwunde oder in die Bauchdecken genäht, um dem Urin-
abfluß zu gegebener Zeit den richtigen Weg in die Blase wieder zu
eröffnen. Stark gehen die Meinungen nun aber auseinander über die
Behandlung länger bestehender Harnleiter-Scheidenfisteln. Hier haben in
Laufe der Jahre die Anschauungen sehr gewechselt. Während man früher
leichter geneigt war, zur Nephrektomie zu greifen — die erste wurde
im Jahre 1869 von Simon ausgeführt —, traten die durch eine fort-
geschrittene Asepsis in ihrem Erfolg immer mehr versprechenden
plastischen Methoden später mehr und mehr in den Vordergrund.
Der Nephrektomie sprach man eine Berechtigung nur noch beim
Versagen aller anderen Methoden zu und das auch nur in der Voraus-
setzung, daß die andere Niere tadellos funktionsfähig war. Denn stets
war man sich der Folgen bewußt, die eine Nephrektomie bei nicht
völlig einwandsfreier Funktion der anderen Niere nach sich ziehen
konnte. Der hier präzisierte Standpunkt: Nephrektomie als ultimum
refugium wurde, z.B. von Mackenrodt, Tuffier und Levi, Th. Landau,
Mac Monagle und (Geyl vertreten. Letzterer äußerte sich zu diesem
Thema im Jahre 1892 wörtlich: „Wer bei zweifelloser Gesundheit der
anderen Niere eine kranke Niere wegnimmt ohne die Gewißheit, daß
ihre Affektion absolut unheilbar, sogar letal sein wird und entstanden
ist von einer von der Fistel herstammenden Infektion, der begeht mehr
als eine Unvorsichtigkeit, wer dagegen eine kranke Niere hinwegnimmt.
wenn die zurückbleibende nicht gänzlich gesund ist, begeht sicher und
bestimmt Totschlag“ (Frommels Jahresberichte).
Andere wieder wollten von der Nephrektomie selbst als ultima
ratio nichts wissen, so Fergusen, der, geblendet von zwei plastischen
Erfolgen, die Nephrektomie gänzlich verwirft.
So schroff wird nun die Nephrektomie bei Harnleiter-Scheidenfisteln
nicht mehr beurteilt, und wiederholt sind von namhaften Autoren gut
funktionierende, gesunde Nieren zur Heilung der Fisteln — allerdings
138 H. Peiser.
immer als ultimum refugium -— exstirpiert worden, d. h. dann, wenn
alle Versuche, den Schaden durch Implantation des Ureterendes in die
Blase (oder den Darm) zu heilen, gescheitert waren, oder aus irgend-
welchen Gründen von vornherein als aussichtslos erschienen.
Versucht man das vorhandefe Material zu sammeln und kritisch
zu sichten, so muß man sich leider bald sagen, daß eine erschöpfende
Zusammenstellung der mit Nephrektomie behandelten Fälle von Harn-
leiter-Scheidenfisteln nicht gut ausführbar erscheint. Denn einmal sind
sicher nicht alle Fälle veröffentlicht, zweitens sind viele in Sitzungs-
berichten verschiedener Gesellschaften und Kongresse so kursorisch er-
wähnt, daß eine wissenschaftliche Verwertung unmöglich ist; Gründe
der verschiedensten Art haben zu verschiedenen Zeiten die Operateure
zu verschiedenem Vorgehen veranlaßt. Die soziale Stellung der an
Ureterfisteln Leidenden, die mehr allgemein-chirurgische oder gynä-
kologische Ausbildung des Operateurs, ja oft die gerade erfolgte Ver-
öffentlichung einer bestimmten Öperationsmethode scheinen hier nicht
ganz selten ausschlaggebend gewesen zu sein.
In mancher Veröffentlichung ist nicht viel mehr als die Tatsache
des Heilerfolges erwähnt, vielfach auf den ferneren Verlauf und das
Befinden der „Geheilten“ in keiner Weise hingewiesen. So mag es
genügen, durch eine Zusammenstellung einer größeren Reihe von be-
sonders prägnanten Fällen ein einigermaßen präzises, wohl sicher verwert-
bares Bild der klinischen und pathologisch-anatomischen Befunde zu geben.
So kann schon dieses gar nicht kleine Material als Unterlage für
die ferneren Ausführungen als völlig ausreichend angesehen werden.
Die erste Nierenexstirpation wegen Ureterfistel wurde, wie erwähnt,
im Jahre 1869 von Simon ausgeführt.
Außer Simon führten in der nächstfolgenden Zeit diese Operation
aus wegen Ureter-Bauchdeckenfistel Le Fort und Billroth, wegen
Ureter-Scheidenfistel und Ureter-Uterusfistel Stark, Bardenheuer,
Zweifel, Crede, Czerny und Starck.
Zweifel (46): Nach Zangenentbindung entstandene Ureter-Üterus-
fistel. Auch nach ausgiebiger Spaltung des Cervixkanals-Fistel unauf-
findbar. Mißlingen anderer therapeutischer Versuche, daher Nephrek-
tomie. Ungestörte Heilung.
Billroth (2): Postoperativ entstandene Ureter-Bauchdeckenfistel.
Fortwährend wiederkehrende Peritonitis zwingt zur Exstirpation der
Niere. Nierenbecken mit Eiter gefüllt. Am elften Tage Tod.
Cred6 (3): Post partum entstandene Ureter-Cervixfistel. Exstirpierte
Niere zeigt interstitielle Nephritis.
Czerny (5): Post partum entstandene Harnleiter-Scheidenfistel.
Nephrektomie, Heilung.
Fritsch (17): Ureter-Uterusfistel, post partum entstanden. 16mal
vergebliche Kolpokleisis. Daher Niere exstirpiert. Niere gesund.
Fritsch (17): Post partum entstandene Ureter-Scheidenfistel. Ne-
phrektomie.
Nierenveränderungen bei Uretervaginalfisteln. 139
Gusserow (15): Postoperativ entstandene Bauchwundenfistel. Ureter
von der Bauchwunde unerreichbar, daher Nephrektomie, Heilung.
Schede (34): Ureter-Scheidenfistel und Pyonephrose. Post
partum entstanden. Vergebliche Versuche die Fistel zu schließen.
Daher Nephrektomie. Es finden sich Abscesse und kleine Infarkte in
- der Niere.
Schede (34): Fall von Ureter-Uterusfistel. Vergebliche Versuche
des Fistelschlusses. Nephrektomie. Heilung.
Van der Weed (43): Fall von Ureter-Vaginalfistel. Rechter Ureter
noch einen Zentimeter durchgängig. Aussichtslosigkeit aller konser-
vativen Verfahren, daher \ephrektomie. Niere tiefgreifend erkrankt.
Iversen (18): Nach Zangenentbindung entstandene Ureterfistel.
Andere Niere funktioniert gut. Fistelniere funktionsuntüchtig, daher
Nephrektomie. |
Steinthal (37): Ureter-Cervixfistel mit eitriger Pyelitis auf Seite
der Fistelniere; Nephrektomie.
Piqué (28): Operativ entstandene Harnleiterfistel, anderthalb Jahre
nach Auftreten der Fistel nephritische Erscheinungen. Nephrektomie.
Heilung.
Schauta (32): Postoperativ entstandene Harnleiter-Scheidenfistel.
Nierenexstirpation. Niere degeneriert.
Condamin: Ureterfistel, Nephrektomie, Heilung.
Dunning (7): Postoperativ entstandene Ureterfistel, Nephrektomie.
Asch: Nach Spontangeburt entstandene Ureter-Scheidenfistel. Mehr-
fache vaginale Einpfanzung gelingt nicht. Laparotomie: extraperitoneale
Einpflanzung nach Witzel; Steinbildung im Ureter; Ureter-Bauchdecken-
fistel; Nephrektomie.
Sutton (39): Nach abdominaler Adnexexstirpation Auftreten von
Harnbeschwerden. Eine Schwellung im rechten Scheidengewölbe wird
gefühlt und für einen Abszeß gehalten. Punktion derselben. Es ent-
leert sich kein Eiter, sondern Harn. Anschließend tritt eine Ureter-
Scheidenfistel auf, die sich nach einiger Zeit spontan schließt. Wieder-
auftreten der früheren Beschwerden; daher Nephrektomie.
Zeiß (45): Postoperativ entstandene doppelte Fistel eines Ureters.
Exstirpation der Fistelniere; Heilung.
Treub (41): 3 Fälle. In drei Fällen Niere exstirpiert wegen post-
operativ entstandener Ureterfistel. T. hält diese Therapie für nicht zu
radikal, da die Ca.-Patientinnen, um die es sich handelte, sich möglichst
ihrer Scheingenesung erfreuen sollten, und weil er glaubt, daß meistens
die entsprechende Niere erkrankt ist.
Obalinski (26): Nach Totalexstirpation enstandene Ureterfistel.
Implantation ins Rektum gelingt nicht, daher Nephrektomie. Heilung.
Naumann (23): Nach Zangenentbindungen entstandene Ureter-
Uterusfistel (vor 5 Jahren aufgetreten). Vor einem Jahre Abgang eines
eigroßen Konkrements per vaginam. Jetzt Abgang eines gänseeigroßen
aus der Cervix. Danach Exstirpation einer Steinniere. Heilung.
140 lH. Peiser.
Gnesda (13): Postoperativ entstandene Ureter-Scheidenfistel. Da
andere Niere gesund, Nephrektomie der Fistelniere; einige Monate später
Tod infolge neuntägiger Anurie.
Landau (20): Ureterfistel. Die beiden getrennten Teile desHarnleiters
sondierbar. Gleichzeitig besteht Pyelitis, daher Nephrektomie. Heilung.
Lindström (21): Fall von Ureter-Uterusfistel. Fünf Jahre vorher
durch Zangengeburt entstanden. Nephrektomie einer Steinniere, die zu-
sleich stark degeneriert ist. Dauernde Heilung. |
Schauta (32): Operativ entstandene Ureter-Scheidenfistel; wegen
Neigung zu starkem Blasenkrampf Unmöglichkeit der Implantation des
Ureters. Daher Nephrektomie; Heilung.
Seeligmann (36): Postoperativ entstandener Absceß; von der
Vagina aus eröffnet und drainiert. Nach Ausheilung des Abscesses
Bildung einer Ureter-Scheidenfistel. Da rechte Niere funktioniert, wird
die Fistelniere exstirpiert; sie ist schwer erkrankt.
Israel (17a): Postoperativ entstandene Ureter-Scheidenfistel; 15 Tage
darauf Temperatursteigerungen und Druckempfindlichkeit der rechten
Niere. Der aus der Scheide ausfließende Urin, der bisher klar war,
wird trübe und eitrige. Die Harnsekretion, die früher ebenso stark war.
wie auf der gesunden Seite, sinkt auf die Hälfte herab. Die Cysto-
skopie zeigt, daß der rechte Ureter seltener und weniger kräftig arbeitet.
— Exstirpation der Niere. Heilung. Niere enthält viele Abscesse.
Feodoroff (9): Bei rechtsseitiger Ureter-Scheidenfistel wird Im-
plantation des in festes Narbengewebe eingebetteten Ureters in die Blase
ausgeführt. Später ausgesprochene Pyurie mit Schüttelfrost und Fieber
infolge aszendierender Ureteritis und Pyelonephritis. Daher Ureter und
die mit Abscessen durchsetzte Niere exstirpiert.
Denuc& (6): Postoperativ entstandene Ureter-Scheidenfistel, die
sich erst drei Monate nach Ausführung der Operation öffnete Hydro-
nephrotische und zugleich bewegliche Niere exstirpiert. Heilung.
Schatzkii (30): Ureterfistel, die zur Exstirpation der entsprechen-
den Niere nötigt.
Fritsch (12): Postoperativ entstandene Ureter-Scheidenfistel, Nephrek-
tomie. Heilung.
Fritsch (12): Postoperativ entstandene Ureter-Scheidenfistel. Chro-
nisch eitrige Nephritis. Daher Nephrektomie.
Fritsch (12): Postoperativ entstandene Ureter-Bauchwandfistel.
Bestehen einer Hvdronephrose. N\ephrektomie. Heilung.
Fritsch (12): Postoperativ entstandene T'reter-Scheidenfistel. Wegen
Bestehens einer Nephritis Unterlassung der Implantation in die Blase.
Nephrektomie. Heilung.
Nach Jieser Zusammenstellung exstirpierten bei Ureter-Scheidenfistel
Nieren, die schon vor der Operation als krank erkannt wurden:
a) wegen Hydronephrose, Nephritis, Pyelitis, Atrophie: Denuct.
Fritsch (3 Fälle). Feodoroff. Israel, Iversen. Landau.
© Piqué, Schauta, Schede, Steinthal, Sutton, Treub.
Nierenveränderungen bei Uretervaginalfisteln. 141
b) wegen Steinbildung: Asch, Lindström, Naumann.
Nieren, die erst nach der Operation als krank erkannt wurden:
Billroth, Credćé, Gnesda, Schauta, Schede, Seelig-
mann, van der Weed, Zweifel.
Lediglich der Fistel wegen: Boeckel, Czerny, Fritsch
(2 Fälle), Gusserow, Obalinski, Schauta, Schatzkii.
Schede (2 Fälle).
So sehen wir, daß häufig die Erkrankung der Niere selbst als
Indikation zum Eingriffe zu betrachten ist. Während das Opfer einer
gesunden Niere nur dann gerechtfertigt erscheint, wenn man weiß, daß
die andere funktionstüchtig ist, so wird es einen Operateur immer
weniger Überwindung kosten, eine Niere, die bereits krank war und
ihre Funktion in mehr oder weniger hohem Grade eingestellt hatte, heraus-
zunehmen; hat ja doch dabei die andere schon gleichsam den Befähigungs-
nachweis für die gesteigerte Inanspruchnahme erbracht.
Selbstverständlich ist es möglich, daß in späteren Monaten die nun-
mehr einzige Niere von irgendeiner ganz unabhängigen Krankheit be-
troffen wird und so das Leben der Patientin aufs höchste gefährdet, wie
z. B. im Falle von Gnesda, bei dem die Operierte einige Monate nach
der Nephrektomie infolge neuntägiger Anurie zugrunde ging.
Nun erhebt sich die Frage: Besteht bei dem häufigen Zusammen-
treffen von Harnleiter-Scheidenfistel mit Erkrankungen der dazugehörigen
Niere ein Kausalkonnex’? |
Will man diese Frage untersuchen, so stehen zwei Wege zur Ver-
fügung:
1. die klinische Untersuchung, die sich mit der Vergleichung des
aus der erkrankten Niere stammenden Fistelharns und des aus der ge-
sunden Niere stammenden Blasenharns, sowie den sonstigen Krankheits-
erscheinungen zu beschäftigen hat;
2. die pathologisch-anatomische Untersuchung der exstirpierten Niere
bzw. bei letal verlaufenden Fällen von Ureter-Scheidenfisteln der bei
der Sektion gewonnenen Niere.
1. Klinische Beobachtungen.
Zangemeister (44): Zwei Beobachtungen von Ureterfisteln, ein-
mal kombiniert mit Blasen-Scheidenfisteln. In beiden Fällen konnte 2.
mit absoluter Sicherheit und Klarheit mittels Chromocvstoskopie nach-
weisen, wie die gesunde Niere einen Teil der wohl infolge Narben-
schrumpfung des zugehörigen Ureters zum Teil erloschenen Funktion
der anderen Niere übernommen hatte.
Hagen-Torn (16): Zwei Fälle von Ureter-Scheidenfisteln; konse-
kutiv Pyelonephritis ascendens.
Grimsdale (14): Postoperative Ureter-Scheidenfistel. Ureter mündet
in eine Absceßhöhle im linken Ligament. Linke Niere stark vergrößert.
Pyelitis. Probelaparotomie. Tod an Urämie.
142 H. Peiser.
Fränkel (11): Rechtsseitige Ureter-Scheidenfistel nach schwerem
Partus. Transperitoneale Einpflanzung nach Fritsch. Glatte Heilung
trotz daumendicker Dilatation des Ureters und Pyonephrose (zeitweise
Fieber vor der Operation). Chromocystoskopische Untersuchung: Ein-
heilung und deutliche, aber sehr träge Funktion des Ureters.
Thumin (40): Fall von Einbeziehung des Ureters in die Narbe
einer operierten Ureter-Scheidenfistel. Bildung einer intermittierenden
Hydronephrose.
Onufrowitsch (27): Einnähung des bei der Operation verletzten
Ureters in die Bauchwunde. Ansteigen der Harnsekretion in der Folge-
zeit links, völliges Erlöschen in der rechtsseitigen Fistelniere infolge
Nierenatrophie.
Neumann (25): Bei Zunahme des Fistelurins Vermehrung der
Erscheinungen, welche auf katarrhalischen Zustand der zugehörigen
Ureteren- und Nierenbeckenschleimhaut hinweisen. Zu diesen Zeiten
enthält Urin viel Schleim und Eiter. Sekretorische und filtra-
torische Funktionstüchtigkeit der gesunden Niere größer als die der
Fistelniere.
Mackenrodt (22): Ein geheilter Fall von Harnleiter-Gebär-
mutterfistel. Exstirpation des kranken Uterus und Einnähung der
Wandung des rechten Ureters in den rechten Wundwinkel der Scheiden-
Peritonealöffnung. Blase entleert den Urin aus der rechten Niere:
durch die neuangelegte Ureter-Scheidenmündung ergießt sich der Urin
der linken Niere. In den ersten Tagen geringere Fistelurinmengen,
vom sechsten Tage ab Fistelurinmenge stark gesteigert (beträgt zirka
1000 g pro die).
Mackenrodt vermutet, daß der Urinabfluß durch die Fistel er-
heblich leichter vonstatten gehe, als durch die Ureterpapille, und daf
dementsprechend sozusagen durch den geringeren Diffusionswiderstand
in der rechten Niere mehr Flüssigkeit abgeht, als links. Auch Posener
- teilt diese Ansicht.
Schatz (29): Fall von Harnleiter-Scheidenfistel. Bei gleichen
Sekretionsmengen besitzt der aus der Scheide abfließende Harn ein
spezifisches Gewicht von 1003 bis 1006, der in die Blase sezernierte ein
solches von 1030 bis 1040. Dieses Verhältnis blieb durch fünf Wochen
konstant, ohne Rücksicht auf die Lage der Kranken und die Getränk-
zufuhr, sowie auch bei Einlegen eines Verweilkatheders und bei An-
wendung von Diureticis. Das aus der Scheide fließende Sekret war
ferner sehr arm an Eiweiß und außerdem konnte kein Harnstoff
darin nachgewiesen werden. Nach der Operation (Vereinigung von
Ureter und Blase) wurde aus der Blase ein Harn von 1018 bis 1022
spez. Gewicht exzerniert. Die Fistel hatte zur Zeit der Untersuchung
viereinhalb Monate bestanden.
In einem zweiten Fall von Ureterfistel, die durch totale Uterus-
exstirpation entstanden war, war nach dreimonatlichen Bestehen der
Fistel der aus der Scheide abfließende Harn von 1012, der Blasenharn
Njerenveränderungen bei Uretervaginalfisteln. 143
von 1024 spez. Gewicht und der Fistelharn doppelt so reichlich als
der Blasenharn. — Schatz ist der Anschauung, daß diese Veränderung
des Harns Folge des Bestehens der Fistel ist und vielleicht dadurch
bewirkt wird, daß Mikroorganismen aus der Scheide durch den Ureter
emporsteigen. Er glaubt also an entzündende Vorgänge in der be-
treffenden Niere, und tritt deshalb für eine möglichst baldige operative
Vernähung des Ureters oder Implantation in die Blase ein.
Iversen (18): I. sieht in der Nephrektomie die Hauptbehandlung
des betreffenden Leidens, weil er das Auftreten einer suppurativen
interstitiellen Nephritis in der dem lädierten Ureter angehörigen Niere
als fast nie ausbleibende Folge des Leidens ansieht. Als Zeichen einer
solchen Nierenentzündung führt er (außer Fieber, Druckempfindlichkeit
usw.) auch die vergrößerte Menge des durch die Fistel entleerten
Harnes, sowie hauptsächlich die verringerte Menge Harnstoff mit der
des Blasenharnes verglichen an. In seinem Falle enthielt der Fistel-
harn nur 0,33, der Blasenharn 1,57 °/), Harnstoff.
Neumann, Per (24): Zwei Monate nach einer Adnexoperation
Öffnung einer Ureterfistel durch die Bauchnarbe. Ein Versuch, eine
Scheiden-Ureterfistel statt der Bauch-Ureterfistel anzulegen (um erstere
leichter schließen zu können) gelang nur vorübergehend. Neun Monate
nach Entstehung der Fistel Erweiterung der Bauchwunde; der Ureter
war dermaßen in Narbengewebe eingehüllt, daß eine Vernähung der
Fistel oder Implantation in die Blase unmöglich erschien. Nach diesem
Eingriff schloß sich aber die Fistel allmählich. Patientin ist völlig ge-
sund und kaum ein Jahr später wieder schwanger. (Siehe weiter unten
drei von Asch beobachtete Fälle.)
Aus diesen Beobachtungen geht hervor, daß bei Bestehen einer
Harnleiter-Scheidenfistel die Funktionstüchtigkeit der Fistelniere häufix
Ip irgendeiner Weise beeinflußt wird.
In den Fällen von Zangemeister und Fränkel hatte die gesunde
Niere die erlöschende Funktion der anderen übernommen, was cysto-
skopisch nachzuweisen war.
In den Fällen von Hagen-Torn, Grimsdale und anderen sind
es entzündliche Prozesse, die die Nierentätigkeit beeinflussen, bei
Thumin eine intermittierende Hydronephrose.
S. Neumann weist bei seinem Falle eine sekretorische und fil-
tratorische Funktionsabnahme nach, bei Onufrowitsch atrophiert die
Niere völlig; im Falle Schatz zeigte der Fistelharn vermindertes spezi-
fisches Gewicht, sowie Fehlen des Harnstoffgehaltes. Ähnliches gilt
für den Fall von Iversen, und wenn sich bei Per Neumann die
Fistel allmählich schließt, so wird dies auch auf keine andere Ursache,
als auf Versiegen der Nierentätigkeit zurückzuführen sein.
Demgegenüber steht die Tatsache, daß bei Mackenrodts Fall der
Fistelurin vom sechsten Tage ab gegenüber dem Blasenurin reichlich
vermehrt war und ebenso in Schatz’ zweitem Falle die Fistelniere
doppelt so viel Urin lieferte, als die andere. Mackenrodt und Posener
Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 10
144 H. Peiser.
suchen sich dies durch die Annahme zu erklären, daß durch die Fistel
der Urinabfluß erheblich leichter vonstatten gehe, als durch die Ureter-
papille, und so in der Fistelniere ein geringerer Diffusionswiderstand
herrscht. Bekanntlich beginnt aber sehr bald eine Schrumpfung der
. Fistelnarben, so daß die Fisteln häufig in haarfeine Kanäle umgewandelt
werden. Überträgt man hierauf nun die Mackenrodtsche und Posener-
sche Annahme, daß bei erweiterter Abflußöffnung der Diffusionswider-
stand abnehme — umgekehrt bei verengerter Abflußöffnung der Diffu-
sionswiderstand, wenn auch vielleicht nur zeitweilig steigen muß —.
so wäre bei Offenbleiben der Fistel wahrscheinlich die Harnmenge
bald gesunken, vielleicht schließlich gänzlich versiegt. Indessen konnte
bei Mackenrodt infolge der zeitigen Operation das Stadium der Ver-
engerung gar nicht erst auftreten. Hätte Mackenrodt wie Schatz
auch Harnstoffbestimmungen gemacht, so wäre er wahrscheinlich zu
einer geringeren Funktionstüchtigkeit der Fistelniere gelangt.
Vielleicht ließe sich auch der Gedanke nicht von der Hand weisen.
daß die Steigerung am sechsten Tage — wenn man annimmt, daß an
diesem Tage ein aszendierender entzündlicher Prozeß die Niere erreicht
hat — das hypersekretorische Stadium dieser Entzündung darstellt.
wie es sich häufig im Anfange von Nephritiden zeigt. Zur Beobachtung
des zweiten Stadiums wäre Mackenrodt infolge der Operation jeden-
falls nicht gekommen.
Ist man so berechtigt, die von Mackenrodt und Schatz, für
dessen zweiten Fall dasselbe gilt wie für Mackenrodt, gemachten
Beobachtungen nicht als Gegenbeweis aufzufassen, so stellt sich die
oben erwähnte Sekretionsbeeinflussung stets als eine Funktionsverminde-
rung dar, die in manchen Fällen bis zum völligen Versiegen führen
kann.
2. Pathologisch-anatomische Beobachtungen.
Fritsch (17): Beschreibung der exstirpierten Niere: Niere ver-
größert, Kapsel verwachsen. Beim Durchschneiden zeigt sich das
typische Bild der eitrigen interstitiellen N\ephritis.
Seeligmann (36): Niere hochgradig fettig degeneriert: im Hilus
Eiter um kalkulöse Konkremente. |
Feodoroff (9): Niere mit Abscessen durchsetzt.
Lindström (21): Niere zeigt mit Steinen angefülltes Becken, sie
ist stark derreneriert.
Gnesda (13): Niere groß, Nierenoberfläche blaß, im Durchschnitt
das Nierenbecken weiß, seine Schleimhaut injiziert; in der Rinden-
substanz gelbliche und verfettete Stellen. Mikroskopischer Befund:
Diffuse kleinzellige Infiltration mit stellenweiser Verödung der Harı-
kanälchen: hier und da granulierte Zylinder in vom Epithel entblößten
Kanälchen.
Naumann (23): Niere ist eine Steinniere.
Lindström (21): Niere ist eine Steinniere.
Nierenveränderungen bei Uretervaginalfisteln. 145
Crickx (4): Niere atrophisch; renaler Teil des Ureters und Nieren-
becken dilatiert. In der Blase in der Nähe der Kommunikation zwischen
Blase und Scheide grangränöse Herde in der Schleimhaut.
Schauta (31): Stärkere Injektion der Pyramiden; in der Rinden-
substanz gelbliche verfettete Stellen; diffuse kleinzellige Infiltration,
stellenweise Verödung der Harnkanälchen; hier und da Zylinder und
von Epithelien entblößte Kanälchen.
Piqué (28): Niere vollständig zerstört und in mehrere miteinander
koınmunizierende Eitersäcke mit sehr dünnen Wandungen verwandelt.
Van der Weed (43): Exstirpierte Niere bereits tiefgreifend er-
krankt und mit kleinen Abscessen durchsetzt.
Zweifel (46): Herausgeschnittene Niere klein, vom Nierenbecken
aus aufgeschnitten zeigt es sich, daß funktionierende Substanz fast voll-
kommen atrophisch und alles noch Bestehende nur aus dem Nieren-
becken mit seinen vielen Buchten besteht. |
S. Neumann (25): Exstirpierte Niere zeigt partielle, interstitielle,
chronische Entzündung.
Iversen (18): Exstirpierte Niere vergrößert und mit zahlreichen
interstitiellen Abscessen durchsetzt.
Schede (33): Exstirpierte Niere hydronephrotisch, mit Schrump-
fungsprozessen der Rinde und Verwachsungen mit der Umgebung.
Schede (34): Exstirpierte Niere voll kleiner Infarkte.
Fritsch (12): Exstirpierte Niere graurot, Zeichnung verwischt.
Nierenbecken erweitert, Innenfläche mit Eiter belegt. Epithel fettig
degeneriert, Harnkanälchen mit zerfallenen Epithelien erfüllt. Im ver-
dickten interstitiellen Bindegewebe diffuse, kleinzellige Infiltration. An
einigen Stellen Parenchym gänzlich zerstört. Reichliches Vorhandensein
von Mikrokokken.
Diese Übersicht über die pathologisch-anatomischen Untersuchungen
lehrt uns, daß sich in der Fistelniere Prozesse abspielen, die zur Schä-
digung des Nierenparenchynis, mitunter sogar zur Vernichtung desselben
führen. Bald wird von den Autoren eine einfache Atrophie beobachtet,
bald handelt es sich um entzündliche Prozesse mit Wucherungen bzw.
narbiger Schrumpfung des Zwischengewebes. Bald bildet sich eine
Hydronephrose, bald eine Pyonephrose aus.
Bevor wir nun zum Entscheid der oben aufgeworfenen Frage nach
dem Kausalkonnex zwischen Fistel und Nierenerkrankung gehen und
das pathologisch-anatomische Material kritisch würdigen, seien drei von
Asch behandelte Fälle aufgeführt, von denen der erste klinische —
dessen Geschichte wir in extenso bringen — ganz genau beobachtet
und registriert werden konnte, während die beiden anderen — Privat-
patientinnen — sich einer > ebenso genauen klinischen Beobachtung ent-
zogen.
Fall I.
A. Sch., Dienstmädchen, 24 Jahre, Aufnahme 26. II. 08. Mutter an Tuberkulose
gestorben, sonst Familienanamnese belanglos. Mit 16 Jahren Gelenkrheumatismus.
10*
146 H. Peiser.
Erste Periode mit 15 Jahren, alle drei Wochen, vier bis fünf Tage dauernd.
Blutungen ziemlich stark, ohne Schmerzen.
Erster Partus spontan, Wochenbett afebril. Zweiter Partus, der auf der Frauen-
abteilung des Allerheiligen-Hospitals am 30. IX. 06 erfolgte, mit Fieber im Wochen-
bette infolge gonorrhoischer Aszension. Auch bestand damals Lues im sekundären
Stadium. Die Aszension führte zur Entstehung von chronisch entzündlichen Adnex-
tumoren, die auf langdauernde konservative Behandlung sich nicht besserten und der
Pat. viele Beschwerden verursachten. Infolgedessen am 29. XII. 06 vaginale Hystero-
salpingo-oophorektomia dextra, durch den Sekundärarzt der Frauenabteilung des Aller-
heiligen-Hospitals.
Wenige Tage nach der Operation lag Patientin naß, und zwar ging in der Folge-
zeit bald mehr, bald weniger Urin per vaginam ab. Es stellten sich bei ihr wieder-
holt pyelitische Anfälle mit hohen Temperatursteigerungen ein, die sich aber bei der
üblichen internen Behandlung besserten. Vermittels Chromocystoskopie wurde fest-
gestellt, daß, während der rechte Ureter tadellos funktionierte, der linke verödet war.
Im weiteren Verlaufe zeigte sich, daß der Urinabgang durch die Scheide sich stark
verringerte und bei einer genauen Besichtigung wurde festgestellt, daß während einer
Beobachtungsdauer von einer Viertelstunde kein Urin hbervortrat, die Scheide vielmehr
trocken blieb. Daraufhin wird Patientin am 12. IV. 07 entlassen. Nach kurzer Er-
holung auf dem Lande konnte sie wiederum eine Stellung annehmen, in der sie im
allgemeinen tüchtig zu arbeiten imstande war. Patientin befand sich dabei dauernd
in poliklinischer Beobachtung und gab an, seit der Operation sei stets wenig Urin
durch die Scheide unfreiwillig abgeflossen, so daß ihre Unterkleider immer etwas nab
gewesen seien. Mitunter — etwa alle fünf Wochen — stellten sich vier bis fünf
Tage dauernde Schmerzen in der Nierengegend ein, doch konnte sie trotzdem ihre
Arbeit stets verrichten. Eine ihr wiederholt behufs Fisteloperation angeratene Auf-
nahme lehnte sie jedoch stets ab. In letzterer Zeit wieder Schmerzen in der Nieren-
gegend, daher läßt sie sich am 26. II. 08 aufnehmen.
Status bei der Aufnahme:
Kräftiges, gut genährtes, gesund aussehendes Mädchen.
Herz: Zweite Töne akzentuiert, sonst normal.
Lungen: Normal.
Puls und Temperatur: Normal.
Abdomen: Linke Nierengegend auf Druck empfindlich, sonst normal.
Urin: Blasenurin (rechte Niere) reagiert sauer; enthält kein Eiweiß und keinen
Zucker.
Genitalbefund: Scheide mittelweit, am oberen Ende des Scheidenblindsackes
kleine, kirschkerngroße, platte Vorragung; sonst glatte Scheidenwände. In der Mitte
der oberen Scheidenverschlußnarbe eine hochrote, leicht blutende, einer massigen
Granulation ähntInde Substanz, die weich und gestielt ist. Von einer etwa irgendwo
sezernierenden Fistel ist nichts zu bemerken. Die Scheide bleibt auch nach längeren:
Zuwarten vollkommen trocken.
13. III. 08. Abtragung der Granulation mit dem Paquelin. Urinmenge aus der
Blase allein 1600—1900 g pro die; bei reichlichem Trinken noch mehr; per vaginam
nur wenig Urinsekretion.
16. III. 08. Patientin liegt wenig naß. Kein Fieber. Wohlbefinden.
30. III. 08. Aus der Scheide nur minimale Spuren von Urinsekretion.
10. IV. 08. Cystoskopie: Rechter Ureter prompt funktionierend, linker scheint
vollig verödet zu sein.
25. IV. 08. Cystoskopie: Rechter Ureter stark und regelmäßig sezernierend.
links statt der Uretermündung ein weißes tiefliegendes Feld auf injiziertem Grunde.
Ziemlich starke Injektion der ganzen Blasenschleimhaut.
28. 1V. 08. Ureterenkatheterismus (ausgeführt von Dr. Löwenhardt, welcher
zu den urologischen Untersuchungen zugezogen wurde): Rechter Ureter sezerniert
reichlich Urin, linker Ureter ist von der Blase aus höchstens zwei Zentimeter weit
zu sondieren: alsdann ein auch für die dünnsten Katheter unüberwindliches Hindernis-
Nierenveränderungen bei Uretervaginalfisteln. 147
Auf dieser Seite kein Tropfen Urin (hieraus geht hervor, daß sich links aller Harn
durch die Ureter-Scheidenfistel ergießt, ohne daß sich auf dieser Seite auch nur ein
Tropfen Harn in die Blase entleert).
29. IV. 08. Nach reichlichem Trinken wird der aus der Fistel sezernierte Urin
mit dem Blasenurin verglichen. Blasenurin nach dreiviertel Stunden 350 ccm, frei von
Eiweiß und Zucker. Fistelurin in derselben Zeit etwa 20 ccm, frei von Eiweiß und
Zucker, enthält vereinzelte Epithelien.
4. V. 08. Erneute Probe: Blasenurin in 60 Minuten 150 ccm, kein Eiweiß und
kein Zucker. Fistelurin in derselben Zeit 1!j, ccm, getrübt. Enthält reichlich Eiweiß
nnd besitzt größeren Salzgehalt als der Blasenurin.
6. V. 08. Cystoskopie nach Indigkarmininjektion: linker Ureter funktioniert
nicht, auch aus der Scheide tritt keine blaugefärbte Flüssigkeit aus.
7. V. 08. Ein Probetampon nach Indigkarmininjektion in die Scheide eingelegt.
Bei der Herausnahme zeigt er sich nur ganz schwach bläulich gefärbt.
Es hat hier also eine postoperativ entstandene linksseitige Ureter-
fistel allmählich immer weniger Urin abgesondert. Der Vermutung,
die von mancher Seite ausgesprochen worden ist, daß ein seitlich ver-
letzter Ureter etwa wieder in normaler Weise wegsam geworden wäre.
daß die seitliche Kommunikation mit der Scheide allmählich sich ver-
engend schließlich zur Heilung kommen könne und der Urin wieder
der Blase zugeführt werde, konnte durch die cystoskopische Untersuchung
wiederholt entgegengetreten werden; der auf kurze Strecke wegsanıe
Ureterstumpf funktionierte nie; die vollkommen ausreichende Urinmenge
des Blasenharns wurde lediglich von der rechten, stets gesund befundenen
Niere geliefert.
Von einer Implantation des Ureters in die Blase sah Asch ab, weil der Urin
der Fistelniere wiederholt abnorm befunden worden war, die Beschwerden auf eine
Erkrankung dieser Niere hinwiesen. Auch eine Nierenexstirpation riet Asch der
Pat. zunächst nicht an, weil die Urinmenge in so außerordentlichem Maße abgenommen
hatte, daß eine völlige Verödung des Nierenparenchyms, ein völliges Versiegen der
Fistel abzuwarten war; zu dieser Annahme berechtigten ihn zwei frühere, weiter unten
besprochene Beobachtungen. Nur der ausdrücklich wiederholt geäußerte Wunsch der
Patientin, sie endgültig von ihrem, wenn auch wenig störenden Leiden zu befreien,
ließ Asch schließlich zur Entfernung des fast untauglichen Organes schreiten.
8. V. 08. Nephrektomie: Schnitt parallel dem Rippenbogen an der Flanke.
Fascie scharf, Muskulatur stumpf durchtrennt. Abschieben des sich vorwölbenden
Abdominalsackes durch Bauchserviette.
Einschneiden der Fettkapsel der Niere in situ. Darauf stellt sich die Niere ein.
Die Kapsel liegt ihr in losen Falten völlig verschieblich auf. Das Organ selbst ist
ganz auffallend klein, ziemlich derb und solid. Es besteht keine eigentliche Hydro-
nephrose. Die Niere wird aus der Wunde herausgezogen. Der Nierenbeckengrund
wird samt der Einmündungsstelle der großen Gefäße mit Nierenquetsche gefaßt und
mit zwei Fäden abgebunden. Hierauf Abtragung mit dem Paquelin. Der Stumpf
wird versenkt und danach die Wunde wieder schichtweise verschlossen. Blutung war
minimal.
9. V. 08. Temperatur 38,1, Puls 82, Urinmenge 1625 cen.
12. V. 08. Temperatur 36,7, Puls 80, Urinmenge 1500 cem.
15. V. 08. Temperatur 37,2, Puls 82, Urinmenge 1875 ccm.
18. V. 08. Temperatur 36,5, Puls 76, Urinmenge 2620 ccm. Verbandwechsel.
Primäre Wundheilung. Entfernung der Hautfäden. Urin frei von E. und Z.
23. V. 08. Normale Urinmenge. Pat. steht auf, gutes Wohlbefinden.
3. VL 08. Pat. wird geheilt entlassen.
148 | H. Peiser.
Nach der Entlassung hat sich Pat. öfters vorgestellt; sie befindet sich in bestem
Gesundheitszustande.
Untersuchung der exstirpierten Niere. Die Niere ist klein und macht schon bei
oberflächlicher Betrachtung einen atrophischen Eindruck. Die Nierenkapsel ist stark
gefältelt und verschieblich. Das Lumen der Nierengefäße zeigt eine normale Weite.
Auch das Lumen der zuführenden Arterie ist nur unwesentlich verändert. Die Farbe
der Niere ist ein blasses Braunrot; ihre Oberfläche zeigt mehrfache der fötalen Lappung
ähnliche Einziehungen. Das Gewicht beträgt 27 g (120—140 g bei Frauen normal).
Die Länge 7,6 cm (gegen 12,3 normal). Die Breite 3,8 cm (gegen 5,9 normal). Die
Dicke 2,6 cm (gegen 4,2 normal). Das Nierenparenchym ist stark verschmälert, nur
9—14 mm dick (gegen 23—27 mm). Hiervon entfallen aufs Mark 4—7 mm (gegen
16—19 mm). Auf die Rinde 3—5 mm (gegen 7—8 mm). Im Verhältnis zum Paren-
chym ist das Nierenbecken vergrößert. Länge 5 cm, Breite 2,5 cm (normale Weite
ca. 30 mm). Öffnung an der Schnittstelle ca. 1 cm D. Ferner sind die Papillen ab-
geflacht; statt der Pyramidenspitzen der Papillen ist eine vollkommene Abflachung,
stellenweise sogar eine leichte Exkavation eingetreten. Am Nierenhilus ist an Stelle
des geschwundenen Parenchyms reichlich Fettgewebe getreten (s. Abb. S. 155).
Im mikroskopischen Präparate (s. Tafel Fig. 1) sieht man vielfach narbige Schrump-
fung des Zwischengewebes namentlich in der Rindensubstanz. Hier sind die Glomeruli
stellenweise dicht aneinandergerückt; vielfach sind sie vollkommen verkalkt und ihre
Kapseln stark verdickt. Daneben sieht man fibrös degenerierte Glomeruli, sowie eine
Reihe von Übergangsstadien, bei denen in erster Linie die Verdickung ihrer Kapsel
auffällt, die zum größten Teile in einer konzentrischen Verdickung ihrer Bindegewebs-
lagen besteht. Nicht selten trifft man zugleich mit der Vermehrung des fibrösen Ge-
webes eine Gestaltsveränderung des Glomerulus an, der seine rundliche Forın vielfach
eingebüßt hat, und der an manchen Stellen nur noch spärliche Reste der Gefäß-
schlingen erkennen läßt. An diesen Teilen des Präparates ist die Verdickung der
Kapsel besonders stark; auch deren Inneres ist mehrfach von Bindegewebe erfüllt.
In den so veränderten Glomerulis tritt der Kalk zunächst fleckweise auf, um dann
später mehr und mehr die Kapsel vollständig auszufüllen; ebenso sind die geraden
Kanälchen stellenweise verkalkt. Die weniger stark veränderten Tubuli zeigen mehr-
fach Epithelverluste oder — wo solches erhalten ist — geringere Färbbarkeit oder
Kernschwund der Zellen. Andere hinwiederum lassen unverkennbar eine Erweiterung
ihres Lumens hervortreten, die stellenweise an cystenähbnliche Dilatation erinnert. In
diesen Hohlräumen sieht man sehr häufig größere Haufen abgestoßener Epithelzellen,
die jedoch eine bestimmte Struktur nicht mehr erkennen lassen. Ferner besteht in
der Rinde eine ausgedehnte fettige Degeneration der Epithelien der Glomeruli sowie
der gewundenen Kanälchen. Vielfach haben die Epithelien ihre Kerne verloren und
sind hier die Zellen von großen Vakuolen erfüllt, die offenbar auf die fettige Dege-
neration zurückzuführen sind; an anderen Stellen vollkommenes Fehlen des Epithels.
In der Marksubstanz (s. Tafel Fig. 2) findet sich hingegen das Bindegewebe reichlich
gewuchert, namentlich um die Tubuli recti herum. Infolge der Verminderung des Paren-
chyms ist die Abgrenzung zwischen Rinde und Markschicht nicht mehr eine so scharfe
wie in der normalen Niere. Infolgedessen trifft man hier und da im oberen Teile der
letzteren vereinzelte Glomeruli an, die in ihrem histologischen Verhalten das gleiche
Bild darbieten. wie die oben geschilderten. Die geraden Kanälchen sind streckenweise
erfüllt von zylinderförmigen Ausgüssen, die sich größtenteils aus abgestoßenen. stark
veränderten Epithelien zusammensetzen, vielfach auch hyaline Beimengungen auf-
weisen. Gegen die Pyramidenspitze hin tritt die Wucherung des Bindegewebes, die
bisher so häufig angetroffen wurde, besonders stark und deutlich hervor.
Ebenso tritt an der Peripherie der größeren Gefäße eine reichliche Zunahme
des fibrösen Gewebes auf. Die Intima und Muscularis der Blutgefäße ist ebenfalls
stark gewuchert, stellenweise sogar so stark, daß das Lumen der Gefäße völlig oblite-
riert ist (s. Tafel Fig. 3).
Das mikroskopische Bild ergibt demnach: Schrumpfung des Bindegewebes in der
Rindensubstanz und Vermehrung desselben in der Marksubstanz; ferner Verdickung
Nierenveränderungen bei UTretervaginalfisteln. 149
der Glomeruluskapseln mit fibröser Degeneration des Gefäßknäuels: stellenweise Ver-
kalkung der Glomeruli. Auch die Tubuli sind schwer verändert, das Epithel degeneriert,
teilweise völlig geschwunden. An einigen Stellen Erweiterung ihres I umens. In der
Marksubstanz besteht durchweg Vermehrung des Bindegewebes, nicht selten Ver-
dickung der Gefäßwände, verbunden mit Verengerung des Gefäßlumens. Es handelt
sich also um eine allgemeine Atrophie des Nierenparenchyms infolge fibröser Dege-
neration und Verkalkung der Glomeruli, sowie Vermehrung des interstitiellen Binde-
gewebes. Die vorliegenden Präparate entsprechen demnach dem Bilde der Nieren-
schrumpfung, wie solche sich bei Kombination interstitieller und parenchymatöser Ent-
zündungsprozesse ausbildet. |
Im Nierenbecken finden sich nirgends Anzeichen einer bestehenden Pyelitis.
Trotz sorgfältigster Untersuchung der mikroskopischen Präparate zeigt die Nieren-
beckenschleimhaut nirgends entzündliche Veränderungen.
Fall II und II.
Es sei mir bier gestattet, noch zwei Fälle aus der Privatpraxis des Herrn
Dr. Asch anzuführen, die beweisen, daß eine spontane Verödung der durch eine
Ureter-Scheidenfistel mit der Außenwelt kommunizierenden Niere eintreten kann.
Im ersten handelte es sich um eine von ihrem Gatten gonorrhoisch infizierte
Frau, die in einem Badeorte vom Arzte lokal behandelt, an schwerer Salpingitis und
Pelveoperionitis erkrankte; trotz aller Ermahnungen blieben Reinfektionen von seiten
des wiederholt von seinem Arzt gesund erklärten Gatten nicht aus; immer wieder
waren Gonokokken nachweisbar und häufig traten Exazerbationen der Metritis und
Pelveoperionitis auf. Trotz viele Jahre hindurch fortgesetzter konservativer Behand-
lungsmethoden besserte sich der Zustand der Frau nur wenig oder vorübergebend,
sie kam immer mehr und mehr herunter und entschloß sich endlich, Aschs Rate zur
Radikaloperation zu folgen.
Diese gestaltete sich infolge der vielfachen und festen Verwachsungen ausnahms-
weise schwierig; die Parametrien waren mehr als bei einfach gonorrhoischer Infektion
mitergriffen und stellten starre, dicke infiltrierte, kaum von den Adnexen und den
perimetrischen peritonealen Schwarten und eingedickten Exsudatresten zu trennende
Massen dar. So kam es wohl, daß bei der gründlichen Ausräumung und den mehr-
fachen Umstechungen der Ureter nicht vermieden wurde. Wenige Tage nach der
Operation lief Harn durch die Scheide ab; im übrigen ging die Heilung glatt von-
statten, und die Pat. verließ nach 26 Tagen die Klinik mit einer rechtsseitigen Ureter-
fistel. Der Blasenurin war eiweißfrei und klar; der Fistelurin trübe und enthielt
Flocken; in gut filtriertem Fistelurin kein Eiweiß. Die Pat. wollte sich einige Zeit
erholen, um später die Fistel operieren zu lassen.
Bald aber nahm die Sekretion aus der Fistel auffallend ab. Schon drei Monate
nach der Exstirpation kam nur noch wenig Urin aus der Scheide; dabei war die
Niere nicht vergrößert, der Urin aus der Blase reichlich. Ganz allmählich hörte die
Absonderung völlig auf und nach einem weiteren Vierteljahre konnte nie wieder eine
Funktion der Fistelniere — weder von der Pat., noch von Asch — entdeckt werden.
Der Blasenurin blieb normal.
War in diesem Falle der Gedanke an eine Verödung der Niere mehr als nahe-
liegend und die Annahme, daß der Urin der betreffenden Niere etwa mehr und mehr
den normalen Weg wiedergefunden habe, durch nichts zu begründen, so konnte
Asch sich in einem anderen Falle mit Sicherheit von dem Eintritt der Nierenatrophie
überzeugen.
Eine 60jährige Frau kam mit einem ziemlich fortgeschrittenen Cervixcarcinom
hinter enger, seniler Scheide in Behandlung. Bei der Totalexstirpation nach Wert-
heim zeigte sich der linke Ureter in die Carcinommassen einbezogen. Asch rese-
zierte das befallene Stäck und pflanzte das zentrale Ende in den Scheidenwinkel ein,
um später bei rezidivfreiem Verlauf die vaginale Implantation vorzunehmen. Eine
sofortige transperitioneale Implantation in die Blase schien bei dem Zustande der Pat.
150 H. Peiser.
nach der an sich eingreifenden Operation weniger geraten. Öperierte genaß und blieb
rezidivfrei, ist es auch jetzt nach mehr als vier Jahren noch.
Hier verzögerte die Ausführung des Planes einer Fısteloperation eine Cystitis,
die erst drei Monate später völlig geheilt wurde. Asch scheute vor einer Plastik
an der erkrankten Blase und fürchtete, zumal der Fistelurin eiweißfrei war, die sonst
gesunde Niere mehr zu gefährden. Auch ließ die Sekretion aus der Scheide nach
einigen Monaten nach. Statt des üblichen zuerst getragenen Urinals genügte eine
von Asch angegebene einfache Vorrichtung. In ein gut passendes Mensingasches
Okklusivpessar wird ein Schlauch schräg eingelötet, der aus der Vulva heraushängend
mit einem Quetschhahn versehen ist. Die Pat. entleerte die oberhalb angesammelte,
immer geringer werdende Urinmenge durch Öffnen dieses Hahnes. Sieben Monate
nach der Laparotomie war nur ein ganz geringes Sickern aus der Ureterfistel zu
konstatieren, der Urin in der Blase reichlich, eiweißfrei und völlig klar.
Nach neun Monaten war die Urinsekretion aus der Fistelniere völlig versiegt.
Während der ganzen Zeit waren nie Erscheinungen von Hydronephrose oder
irgendeiner Erkrankung der Niere aufgetreten; das Befinden der Pat. wurde immer
besser und ist auch heute ein völlig gutes.
Hier ist die Möglichkeit eines Wegsamwerdens des durchschnittenen,
eingenähten Ureters völlig ausgeschlossen, und der Fall beweist aufs
deutlichste die Möglichkeit einer spontanen Verödung einer Ureter-
fistelniere, möglicherweise ohne den Umweg einer Hydronephrose, für
deren Bestehen nie ein Anhalt zu finden war, und ohne irgendwelche
auffallende Erkrankung des Organs. Bei gesunder, gut funktionierender
anderer Niere mag wohl hier eine langsame Schrumpfung zur Atrophie
geführt haben, die auf das Allgemeinbefinden ohne merkbaren Einfluß
geblieben ist. In der Zeit von der Entfernung des Carcinoms bis
zum völligen Versiegen der Fistel hatte die Dame sieben Pfund zu-
genommen.
Geht man zur Beantwortung der Frage über, ob ein Kausalkonnex
zwischen Erkrankung der Fistelniere und Vorhandensein von Ureter-
Scheidenfistel besteht, so muß diese Frage unbedingt bejaht werden.
Natürlich; denn es können ja die in der Fistelniere entstehenden Druck-
differenzen, die durch narbige Schrumpfung der Ureterfistel hervor-
gerufen werden, nicht ohne Einfluß auf die Niere bleiben, es müssen
die durch den Ureter aus der Scheide aufsteigenden Bakterien ihren
schädigenden Einfluß auf das Nierengewebe geltend machen. Selbst-
verständlich wirken diese beiden ungünstigen Einflüsse zusammen,
denn wenn bei einer einfachen Ureterabbindung allein die Drucksteige-
rung zur Hydronephrose führt, so daß, wenn keine hämatogene Infektion
hinzutritt, es bei einer einfachen Druckatrophie bleibt, so wirken bei
der Ureterfistel mechanische Momente und bakterielle Einflüsse ge-
meinsam auf eine Erkrankung der Niere hin.
Vielleicht könnte man auch daran denken, daß die anormale Ent-
leerung des Ureters mit ihren veränderten Abflußbedingungen auch ver-
änderte Sekretionsbedingungen in der Niere selbst hervorruft.
Man müßte bei einer Fistel a priori annehmen, wie schon bei
Mackenrodts Fall besprochen, daß durch einen fistelnden Ureter mit
seiner weiten Öffnung der Urin leichter abfließen könne, als durch die
Ureterpapille, die gleichsam ein Ventil darstellt. Indessen ist dieses
Nierenveränderungen bei Uretervaginalfisteln. 151
Stadium des leichteren Abflusses wohl nur ein ganz vorübergehendes,
da die bald eintretende narbige Schrumpfung des Fistelganges diesen
immer feiner und feiner und schließlich oft zu einem haarförmigen
Kanale werden läßt, so daß die Fistel nunmehr nicht nur kein physio-
logisches Ventil, sondern nahezu einen Verschluß darstellt. Ist diese
Schrumpfung eingetreten, so kommt es zu zeitweiliger Urinstauung im
Ureter, rückwärts im Nierenbecken, und wenn erst einmal solche Druck-
schwankungen in der Niere zustande gekommen sind, so bewirkt einmal
der zeitweilig auftretende erhöhte Filtrationswiderstand ein geringeres
Sezernieren des Nierengewebes, andererseits kann das unter den Druck-
differenzen leidende Parenchym atrophieren. Immerhin ist eine ein-
fache Nierenatrophie auch ohne Zustandekommen einer Hydronephrose
durch irgendwelche Einflüsse möglich, ein Gedanke, den auch schon
einmal Veit (42) ausgesprochen, als er bei narbiger Ureterenchrumpfung
das Auftreten einer Nierenatrophie ohne irgendwelche hydronephrotische
Erscheinungen zustande kommen sah.
Hierzu kommt noch das zweite ätiologische Moment: das Aszen-
dieren der Bakterien aus der Scheide durch den Ureter, wie es Feo-
doroff, Schatz u. a. annehmen; je nach der Art dieser aufsteigenden
Bakterien werden sich ihre Einflüsse verschieden geltend machen.
Handelt es sich um harmlose einfache Scheidenbakterien, so dürfte die
Folge eine einfache chronische interstitielle Nephritis sein, die ihrerseits
ebenfalls allmählich das sezernierende Gewebe außer Funktion setzt.
Sind es dagegen Bakterien pyogener Art, so kommt es zu Pyelitis,
Pyelonephritis, Nierenabscessen resp. Pyonephrose, bei denen sezer-
nierendes Parenchym eitrig eingeschmolzen, d. h. völlig vernichtet wird.
Wie soll sich nun die Therapie gestalten? Stellt man die normale
Kommunikation zwischen Niere und Blase wieder her, so könnte beim
Vorhandensein einer solchen Pyelitis die Blase und retrograd die andere
Niere gleichfalls ergriffen werden. In solchen Fällen würde eine selbst
gelungene Implantation zwar die Fistelbeschwerden beseitigen, dafür
aber Gesundheit und Leben der Frau aufs höchste gefährden, man wird
um so sorgfältiger auf eine solche Pyelitis fahnden müssen, als er-
fahrungsgemäß die Pyelitiden bei den Ureter-Scheidenfisteln wenig Be-
schwerden machen; auch gestaltet sich die Untersuchung des durch die
Scheide entleerten Urins schwieriger. In unserem ersten Falle konnte
die Pat. trotz wiederholter Schmerzanfälle in der Nierengegend ihren
Dienst verrichten. Denkt man an das schwere Bild, das sonst Pyelitis-
kranke darbieten, so kann ınan sich diese Beschwerdefreiheit vielleicht
in der Weise deuten, daß durch die Fistelöffnung wie sonst bei irgend-
einem Absceß durch Dränage für Abfluß besser gesorgt ist, als bei
normaler Kommunikation.
Vergleichen wir nun die aus einigen Fällen gewonnene oben er-
wähnte Ansicht, daß es bei Ureterfisteln häufig zu einer Degeneration
der Fistelniere kommt, mit unsereın genau dargestellten Falle, so werden
wir finden, daß er sowohl in klinischer wie in pathologisch-anatomischer
152 H. Peiser.
Beziehung unsere Annahme aufs genaueste bestätigt. Die Sekretion
aus der Fistelniere gegenüber der anderen Niere war gering, ja minimal,
und verringerte sich während der ganzen Dauer ihrer Beobachtung
stetig. Die Niere zeigte schon makroskopisch, was auch sofort bei der
Operation auffiel, eine weitgehende Atrophie, die besonders durch die
schlaffe und gefaltete Kapsel gekennzeichnet war, der man sozusagen
ansah, daß sie früher einmal eine größere Niere beherbergt hatte.
Mikroskopisch zeigte sich überall das Bild der Atrophie: Kernschwund.
Verlust des Epithels, sowie der Degeneration: fettige und hyaline Ent-
artung, Kalkeinlagerungen usw.
Ziehen wir nun noch einmal das Resümee aus dem Befunde der
aus der Literatur zitierten und bei uns geschilderten Fälle, so sehen
wir, daß, so mannigfaltig die Erkrankungen der Niere auch sich ge-
stalten mögen, sie alle wenigstens in vielen Fällen ein und demselben
Ziele zustreben: einer Atrophie der Niere mit Nachlassen der Funktion
und schließlich völliger Funktionseinstellung. Sicher einer Art ven
Selbstheilung. Einer Art, denn die Fistel, d. h. die Eröffnung des
Ureters in die Scheide, besteht weiter; ob diese später auch noch
obliteriert, mag dahingestellt bleiben, und kann späteren Untersuchungen
überlassen werden. Die Erscheinungen und Beschwerden der Fistel
haben aufgehört. Die Fistel selbst ist — streng genommen — nicht
geheilt, die Pat. dagegen ist beschwerdefrei, ist gesund, die Fistel gehört
zu einem nicht mehr sezernierenden Organ.
Man wird also in jedem Falle von Ureterfistel, wenn sie nicht
früh durch Plastik geheilt werden kann, danach zu forschen haben, ob
nicht die Funktion der Fistelniere im Begriffe ist nachzulassen, d. h.
ob sich diese Art von Selbstheilung anbahnt. Ist dies aber der Fall,
so wird man abwarten können, und die Frauen damit vertrösten dürfen,
daß ihre Beschwerden eines Tages von selbst aufhören werden. Wir
sind jetzt, zumal nach denı pathologisch-anatomischen Befunde der Niere
in unserem Falle, fest davon überzeugt, daß diese Art von Spontan-
heilung wenig später eingetreten wäre und die Pat. auch ohne Operation
von ihren Beschwerden befreit hätte.
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Erklärungen zu der farbigen Tafel.
Figur 1 (aus der Rinde):
Das Bindegewebe ist geschrumpft.
Die Glomeruli sind teilweise degeneriert (kalkig, hyalin) und geschrumpft.
Die Glomeruluskapsel ist stark verdickt.
Figur 2 (aus dem Mark):
Das Bindegewebe ist reichlich gewuchert.
Cystenäbnliche Dilatation der Tubuli.
In den Tubuli recti finden sich zylinderähnliche Ausgüsse.
Das Epithel der Tubuli ist verloren gegangen oder degeneriert.
Figur 3 (verdickte Nierengefäße):
Wucheruns der Intima und Muscularis der Blutgefäße.
(zu Peiser.)
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(Aus der Universitäts-Frauenklinik in Bonn. Direktor: Geh. Obermedizinalrat
Prof. Fritsch.)
Die Dekapsulation der Nieren bei der Eklampsie.
Von
Prof. Dr. K. Reifferscheid, Oberarzt der Klinik.
Im Jahre 1896 hat Harrison darauf hingewiesen, daß in Fällen,
in denen die Krankheitserscheinungen: Albuminurie, Hämaturie, kolik-
artige Schmerzen und auffallende Verminderung der Nierensekretion
auf die Diagnose von Nierensteinen oder Nierenabscessen hindeuteten,
die einfache Inzision der Niere, obgleich sie zeigte, daß weder Steine
noch Abszesse vorlagen, doch allein zur Heilung der Nierenerkrankung
führt. In seiner Präsidentenrede in der British Medical Assoziation
(1901), die den Titel führt: Renal tension and its treatment by surgical
means, kommt er auf dieses Thema wieder eingehend zurück. Da die
Inzision stets extrem gespannte und geschwollene, purpurrote oder blau-
rote Nieren bloßlegte, vergleicht er diese Fälle von Drucksteigerung in
der Niere mit denen im Auge und spricht von einem renalen Glaukonı.
Er weist dabei ferner auf die Analogie beim Hoden hin, in dem durch
Entzündung ähnliche Zustände vorkommen, bei denen es durch Inzision
gelingt, sowohl die Schmerzen zu beseitigen als weitgehende Schädigungen
des Gewebes zu verhüten.
Harrison ist der Ansicht, daß die extreme Spannung der Nieren-
kapsel und die dadurch herbeigeführte Stauung die Rückbildung eines
Entzündungsprozesses und die Urinsekretion zu hindern imstande sei.
Die Aufhebung der Spannung durch Inzision genügt dann, die Urin-
sekretion wieder in Gang und die Entzündung zur Heilung zu bringen.
Für die Operation eignen sich seines Erachtens besonders Fälle von
akuter Scharlachnephritis, die sich nicht bessern, sondern in die chro-
nische Form überzugehen drohen, ferner besonders auch die, in denen
es sehr rasch zur Anurie und Urämie kommt. Die Operation besteht
in der Freilegung der Niere und Spaltung der Kapsel mit oder ohne
Inzision des Organs. Es ist nur eine einseitige Operation nötig, da die
Druckentlastung der einen Niere günstig auf die andere einwirkt.
Harrison sah keine üblen Folgen nach der Operation.
Der günstige Einfluß der Nierenspaltung bei entzündlichen Er-
krankungen der Niere ist dann in der Folge öfters bestätigt worden,
so besonders auch von Israel, der angibt, daß die Inzision der Niere
Die Dekapsulation der Nieren bei der Eklampsie. 157
in vielen Fällen den nephritischen Prozeß und seine Symptome günstig
zu beeinflussen, ja auch Anurie auf Grund akuter aufsteigender CERS
zu heilen vermag.
1902 empfahl Lennander bei akuter Nephritis, wo eine starke
Oligurie oder Anurie bei einem relativ guten Allgemeinzustande auf-
tritt und wo heftige Schmerzen über der einen oder über beiden Nieren
vorhanden sind, eine Inzision auf der Seite der größten Schmerzen zu
machen, die Niere frei zu legen, die fibröse Kapsel zu spalten und die
Niere völlig aus dieser auszulösen.
1899 hat dann der New Yorker Gynäkologe Edebohls empfohlen,
die chronische Nephritis operativ zu behandeln und zwar auf Grund
der Erfahrung, daß in 4 von 6 mit Nephritis komplizierten Fällen von
Wanderniere, die zum Zwecke der Nephropexie unternommene Spaltung
der Nierenkapsel Heilung auch der chronischen Nephritis gebracht hatte.
Während er anfangs so operierte, daß er nach Spaltung und Abziehen
etwa der halben Kapsel die Niere annähte, empfahl er später zur Heilung
der chronischen Nephritis die ganze Capsula propria unter möglichster
Schonung des Nierengewebes abzuziehen und zu exzidieren. Er konnte
bald über eine große Anzahl von Heilungen und Besserungen berichten
und gibt in seiner letzten Mitteilung an, daß sich als ein so gut wie
konstantes Ergebnis bei über 100 von ihm wegen chronischer Nephritis
ausgeführten Nierendekapsulationen eine sofortige oft sogar ganz enorme
Steigerung der Diurese erwiesen habe. Israel, Rovsing u. a. haben
mit dieser operativen Behandlung der chronischen Nephritis nicht zu
gleich günstigen Resultaten wie Edebohls gelangen können und das
Urteil über den Wert des Eingriffes ist noch ein sehr geteiltes, zum
Teil sogar direkt ungünstiges.
Edebohls war auch der erste, der die Nierendekapsulation bei der
Eklampsie empfohlen und mit gutem Erfolg ausgeführt hat. (Renal
decapsulation for puerperal eclampsia. New York med. journal. Juni 1903.)
Im Jahre 1906 berichtet er dann über zwei weitere von ihm mit der
Dekapsulation geheilte Fälle von Eklampsie. In zwei der Fälle war
die Entkapselung 6 bzw. 72 Stunden nach der Entbindung vorgenommen
worden, in dem dritten im letzten Monat der Gravidität mit gleich
gutem Erfolge, so daß Edebohls zu dem Schluß kommt, daß nicht
mehr die künstliche Entbindung als ultimum refugium in der Behand-
lung der Eklampsie anzusehen sei, sondern daß man durch die Nieren-
dekapsulation der Eklampsie Herr werden könne, auch ohne den Uterus
zu entleeren. Die Indikation zu seinem Vorgehen gab die gehemmte
Tätigkeit der Nieren und die lebenbedrohende Urämie. Eine nähere
Begründung seines Vorgehens gibt Edebohls nicht, er verweist nur
auf seine Erfolge bei der operativen Behandlung der chronischen
Nephritis und die dabei beobachtete sofortige Steigerung der Urea-
ausscheidung nach der Operation.
In Deutschland war unabhängig von Edebohls Sippel bereits
1904 auf Grund eines Sektionsbefundes bei einer Eklamptischen, bei
158 Prof. Dr. K. Reifferscheid.
der sich eine starke Schwellung und Spannung der Niere fand, dafür
eingetreten, daß eventuell die Spaltung der Nierenkapsel in den Fällen
zu versuchen sei, wo sich trotz Entleerung des Uterus die Nierenfunktion
nicht wieder herstellt. Er spricht von einem Glaukom der Niere und
erklärt sich das Entstehen der hohen intrarenalen Spannung mit Korte-
weg so, daß infolge Behinderung des Urinabflusses durch Kompression
eines Ureters es zu einer starken venösen Stauung der Niere und damit
zu einer Anschwellung und Einklemmung der Niere innerhalb der
straffen Nierenkapsel kommt. Auch bei nur einseitiger Einklemmung
kann dann auf sympathischem Wege auch die andere Niere außer
Funktion gesetzt werden, so daß es dann zu einer völligen Anurie
kommt. In diesen Fällen vermag nach Sippel die Nierenaushülsung
oder -spaltung intensiv auf die gehinderte Sekretion zu wirken durch
die einfache Herabsetzung der intrakapsulären und somit intrarenalen
Drucksteigerung, indem dadurch die beeinträchtigte Blutzirkulation wieder
frei und die Nierentätigkeit wieder möglich wird.
Auch Mynlieff weist auf die Wichtigkeit der mechanischen Mo-
mente für das Zustandekommen der schweren Nierenstörungen, wie wir
sie bei der Eklampsie beobachten, hin und stützt sich dabei besonders
auf die Versuche Lindemanns, die beweisen, daß schon eine geringe
Druckerhöhung im Ureter zu einer raschen Änderung der Nierenfunktion.
zu einer Verminderung der Urinsekretion und einer Verringerung der
Harnstoffausscheidung führt. Diese Veränderung der Nierenfunktion
ist die Folge einer eintretenden venösen Stauung, die zu einer deutlich
nachweisbaren Volumzunahme der Niere führt. Er sieht daher in dem
Zustandekommen einer erhöhten intrarenalen Spannung auf mechanischem
Wege durch Druck auf den Ureter in der Schwangerschaft eine der
Ursachen für das Auftreten der Eklampsie, die in weitgehendem Maße
neben dem toxischen Moment berücksichtigt werden müsse, und rät für
diese Fälle zu der chirurgischen Behandlung, wie sie Edebohls emp-
fohlen hat.
Als dann aber die Entkapselung der Nieren öfter gemacht wurde,
zeigte sich bald, daß nicht immer eine Erhöhung der intrarenalen
Spannung sich findet, sondern daß in manchen Fällen die Nieren viel-
mehr matsch, weich und schwappend sind. Sippel glaubt aber, daß
auch in diesen Fällen, die also das Bild der toxischen Niere bieten,
die Entkapselung mit Erfolg angewandt werden könne, da es sich hier
um eine ödematöse Durchtränkung des Nierengewebes handele, die zu
einer Kompression der Kapillaren und damit zu einer schweren Schädigung
der Nierenfunktion führe. Wird die Kapsel abgestreift, so werden die
(rewebsspalten der ganzen Nierenoberfläche eröffnet und die ödematösen
Flüssigkeitsansamnılungen können nach außen entleert werden; dadurkcl
werden die Kapillaren vom Druck entlastet und die Zirkulation kann
wieder unbehindert erfolgen.
Der Vorschlag von Edebohls wurde in Deutschland zum ersten
Male von Polano zur Ausführung gebracht. allerdings mit unglück-
Die Dekapsulation der Nieren bei der Eklampsie. 159
lichem Ausgang, den er damit erklärt, daß er die Operation zu spät
vornahm. Trotzdem war aber auch in seinem Falle eine Besserung der
Diurese und des Allgemeinbefindens nach der Operation deutlich nach-
weisbar. Die nächsten Fälle waren die von Gauß aus der Freiburger
Klinik veröffentlichten. Die beobachteten guten Erfolge brachten Gauß
zu dem Schluß, daß im Interesse einer möglichst sicheren Einwirkung
auf die Eklampsie Accouchement force und Dekapsulation der Nieren
stets in einer Sitzung auszuführen seien. Sehr wichtig ist von seinen
Beobachtungen die eine, die beweist, daß die Entkapselung der Nieren
vor der Entbindung ausgeführt, ohne jeden Einfluß auf die Nieren-
funktion bleibt, besonders wichtig deshalb, weil ja Edebohls auf Grund
einer Erfahrung das Gegenteil behauptete.
Bis jetzt sind in der Literatur insgesamt 28 Fälle?!) von Dekap-
sulation der Nieren bei der Eklampsie mitgeteilt worden, denen ich
zunächst zwei weitere Fälle aus der Bonner Frauenklinik anreihen
möchte:
Fall I., Jahrg. 1907/08. Frau Chr. E., 44 Jahre alt, XXI-pa. Von den voraus-
gegangenen 20 Schwangerschaften endigten 2 durch Frühgeburten, die übrigen ver-
liefen gut (1mal Zwillinge, 1mal Drillinge, 1 Gesichtslage). Alle Wochenbetten ohne
Störung. Pat. will nie ernstlich krank gewesen sein. Letzte Menstruation Anfang
Mai 1907, Schwangerschaftsverlauf angeblich ungestört.
Am 29. I. 08 wurde die Pat. völlig benommen in die Klinik aufgenommen mit
der Angabe, daß außerhalb 5 Krampfanfälle von der Hebamme beobachtet worden
seien, nachdem vor einigen Stunden die Wehen begonnen hatten.
Die Untersuchung ergab: Ia Schädellage, Kind lebt, Herztöne 132. Sehr gute
Wehentätigkeit. Muttermund 5-Markstückgroß, Blase steht, Kopf beweglich über dem
Becken. Da die Weben sehr gut sind und z. Z. kein Anfall auftritt, wird zunächst
yon einem sofortigen Eingriff Abstand genommen. Nach einer halben Stunde springt
die Blase, der Muttermund ist auf Handtellergröße erweitert, der Kopf hat sich in
extremer Hinterscheitelbeinstellung eingestellt. In Narkose wird die Wendung gemacht
und unter vorsichtiger Dehnung des Muttermundes die Extraktion angeschlossen, die
ohne Einriß gelingt. Kind 3250 g, leicht asphyktisch, bald wiederbelebt. Nachgeburts-
periode ungestört.
In der Nacht nach der Geburt 6 schwere eklamptische Anfälle. Bewußtlosigkeit.
Der Gesamturin nach 12 Stunden 200 ccm, dunkelbraunrot, 2°%/,, Eiweiß.
Angesichts des schlechten Allgemeinzustandes der Frau, der Fortdauer der Anfälle
und des Daniederliegens der Nierentätigkeit trotz der vorausgegangenen Entbindung,
wurde beschlossen, die Dekapsulation der Nieren vorzunehmen.
30. I. 08. Äthernarkose (Operateur: Geh. Rat Fritsch). Schrägschnitt. Frei-
legen der Niere und Luxieren derselben vor die Wunde. Leichte Entkapselung der
Niere, Versenkung derselben. Einführen eines Jodoformgazestreifens auf die Niere
1) Asch (Z. f. G. 08, Nr. 9), Baumm (Z. f. G. 08, Nr. 12), DE Bovis (Se-
maine méd. 07), Chambrelent und Pousson (Annal. d. Gyn. 06), Edebohls (Zentr.
f. Gyn. 06, Nr. 25, 3 Fälle), Essen-Möller (Zentr. f. Gyn. 08, Nr. 14), Falgowski
(Asch) (Zentr. f. Gyn. 08, Nr. 2), Frank (Münch. med. Woch. 07), Gauß (Zentr.
f. Gyn. 07, Nr. 19, 2 Fälle), Haim (Zentr. f. Gyn., Nr. 20), Jardine (Journ. of
obstetr. a. gyn. of the brit. emp. 06), Kleinertz (Zentr. f. Gyn. 08, Nr. 26, 2 Fälle),
Pieri (Annal. de Gyn. 07), Polano (Zentr. f. Gyn. 07, Nr. 1), Rene de Cotret
(Union med. de Canada. Juni 07), Runge (Bumm) (Berl. klin. Woch. 08, Nr. 46,
3 Fälle), Stenglein (3 Fälle von Asch, Fränkel und Weinhold, Inaug. Diss.
Breslau 1908), Wiemer (Monatsschrift f. Geb. u. Gyn., Bd. 27, H. 3, 3 Fälle),
Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 11
.160 Prof. Dr. K. Reifferscheid.
und Sohluß der Wunde mit versenkten Katgutknopfnähten und oberflächlichen Silk-
wormnähten bis auf die für das Herausleiten des Gazestreifens nötige Öffnung. Die
Operation wird erst rechts, dann in gleicher Weise links ausgeführt.
Die rechte Niere ist dunkelblaurot, die Kapsel stark gespannt, so daß bei der
Spaltung das dunkle Nierengewebe etwas vorquillt und die Kapselränder auseinander-
weichen. Links ist die Niere weniger gespannt, zeigt fleckweises buntes Aussehen,
gelbere Partien mit dunkelblauroten abwechselnd.
31. I. 08. Urinmenge in 24 Stunden seit der Operation 1450 ccm, Urin dunkel,
stark blutig. Keine Anfälle mehr seit der Operation, Puls 96, Temperatur 37.6; noch
leichte Benommenbeit.
1. 11. 08. Urinmenge 1900 ccm, Urin klarer, weniger bluthaltig. Subjektives
Befinden gut, auf Rizinus reichlich Stuhl. Temp. morgens 38,0, abends 39,3.
2. II. 08. Bewußtsein klar, aber starke Unruhe. Temp. morgens 39,2, deshalb
in 8stündigen Zwischenräumen Uterusspülungen mit Kresolseifenlösung. Abends plötz-
licher Tobsuchtsanfall, so daß Pat. kaum zu bewältigen ist. Erst nach Morphium
0,03 + Skopolamin 0,0003 + 0,0006 tritt so weit Beruhigung ein, daß ein Verband.
wechsel vorgenommen werden kann. Die Jodoformgazestreifen werden entfernt und
ein kleiner steriler Gazestreifen eingeführt. Im Urin ist Jod reichlich nachweisbar.
Die Urinmenge ist nicht zu bestimmen, da die Pat. häufig unter sich läßt, doch ließen
sich etwa 1000.ccm auffangen.
Auch am 3. II. 08 ist im Urin noch Jod nachweisbar. Andauernde motorische
Unruhe. Pat. läßt den Urin unter sich gehen, liegt häufig naß. Erst auf feuchte
Packung des ganzen Körpers tritt Beruhigung ein. Gegen Abend verfällt die Pat.
zusehends und es erfolgt um 7 Uhr der Exitus letalis, nachdem die Temperatur kurz
vorher auf 42,3 gestiegen war.
Bei der Sektion fand sich der Uterus gut involviert, keine Anzeichen von Sepsis
oder Peritonitis.
Subendokardiale Blutungen im linken Ventrikel, Verkalkung der Bronchialdrüsen
beiderseits. Subpleurale Blutungen, dekapsulierte Nieren, kleines Blutgerinnsel im
rechten Nierenbecken.
Mikroskopischer Befund der Nieren: Etwas Fett auf Glomerulusschlingen und im
Kapselepithel. Harnkanälchen leicht erweitert mit vereinzelten homogenen Zylindern.
Etwas Fett in den Epithelien der gewundenen Kanäle. Trübung und Nekrose ein-
zelner gewundener Harnkanälchen. Geringe Verbreiterung des Interstitiums von Mark
und Rinde. Leichte Hyperämie der Marksubstanz.
Fall II. Jahrgang 1908/09, J.-Nr. 525. Frau B., 33 Jahre alt, V-pa. Pat. war
früher angeblich stets gesund, die vier vorausgegangenen Schwangerschaften verliefen
normal, die Geburten spontan, die Wochenbetten ungestört. Letzte, Menstruation am
27. Januar, Schwangerschaftsverlauf angeblich ungestört. |
Die Pat. wurde am 9. Oktober 1908 bewußtlos mit folgender Anamnese vom
behandelnden Arzt eingeliefert. In der Nacht vom 8. zum 9. X. erkrankte die Pat.
plötzlich an Eklampsie, es wurden 3 Anfälle beobachtet, seit 6 Uhr morgens besteht
Bewußtlosigkeit. Im ganzen wurden 0,06 Morph. subkutan verabreicht.
Befund bei der Aufnahme: Pat. bewußtlos, stark cyanotisch, enge starre Pupillen.
Graviditas mens. X. Schädellage, Kind lebt, aber kindliche Herztöne verlangsamt. Aus
der Blase werden mit dem Katheter einige ccm dunkelbraunen Urins entleert. Urin
erstarrt beim Kochen. Muttermund geschlossen, Cervikalkanal erhalten, Kopf im
Beckeneingang beweglich.
Es wurde die sofortige Entbindung mittels vaginalen Kaiserschnittes beschlossen,
den ich in Vertretung von Herrn Geh. Rat Fritsch ausführte. Athernarkose. Sagit-
tale Spaltung der vorderen Muttermundslippe und der vorderen Scheidenwand. Ab-
schieben der Blase und Spaltung der vorderen Cervixwand, bis eine ausreichende
Erweiterung vorhanden ist. Eingehen mit der Hand in den Uterus, Sprengen der
Blase, Wendung und Extraktion des in Schädellage liegenden Kindes, das lebend ent-
wickelt wird. Sekakornininjektion. Abwarten, bis nach 31. Stunde die Placenta sich
ohne Schwierigkeit exprimieren läßt. Vorziehen der Wundränder des Cervixschnittes,
Die Dekapsulation der Nieren bei der Eklampsie. 161
der nach links seitlich etwas weiter gerissen ist. Sorgfältige Vereinigung mit Katgut-
knopfnähten, sowohl der Cervixwunde als der Scheidenwunde. Keine Blutung mehr
nach Beendigung der Naht, Uterus gut kontrahiert. Nach der Entbindung sieht die
Frau besser aus, besonders hat die starke Cyanose nachgelassen.
Der vor der Entbindung katheterisierte Urin enthält 7°/,, Albumen, im Sediment
finden sich reichlich Nierenepithelien, Blutkörperchen und granulierte Zylinder.
10. XI. 08. Keine Anfälle mehr nach der Entbindung, Allgemeinbefinden besser,
Atmung freier, Puls voller, Temperatur normal. Aber die Urinmenge ist minimal, der
Urin von dunkler, stark blutiger Beschaffenheit.
11. XI. 08. Die in den letzten 25 Stunden entleerte Urinmenge beträgt nur
150 ccm. Es wird deshalb die Dekapsulation der Nieren beschlossen (Operateur:
Reifferscheid). Schrägschnitt, Freilegen der rechten Niere, was ziemlich schwierig
ist, da die Niere ganz unter dem Rippenbogen verborgen liegt. Es gelingt aber, ohne
die Niere zu luxieren, die Nierenkapsel abzulösen, die an einzelnen Stellen ziemlich
fest mit der Nierenoberfläche verwachsen ist. Die Niere erscheint vergrößert, dunkel-
blaurot, an der Oberfläche finden sich einige narbige Einziehungen. Kein Klaffen der
Kapselränder nach der Inzision, kein Vorquellen von Nierengewebe. Die Operation
wird ebenso links ausgeführt; hier ist die Niere etwas weniger vergrößert als rechts,
verhält sich aber im übrigen gleich. Beiderseits ist das Gewebe in der Umgebung der
Nieren auffallend ödematös. Beiderseits wird ein steriler Gazestreifen in das Wund-
bett eingeführt, dann die Wunde bis auf die zum Hinausleiten des Gazestreifens nötige
Öffnung mit versenkten Katgutknopfnähten geschlossen. Die äußere Haut wird mit
Michelschen Klammern vereinigt, Verband.
12. XI. 08. Pat. ist bei klarem Bewußtsein, gibt richtige Antworten. Temperatur
37,2, Puls 100. Urin stark blutig, Menge in den letzten 24 Stunden 120 ccm. 3mal
täglich 0,3 Theocin.
13. XI. 08. In der Nacht kein Schlaf. Bewußtsein klar, keine Schmerzen.
Verbandwechsel, Entfernung der Gazedräns. Urinmenge in den letzten 24 Stunden
160 ccm, Urin heller und klar. Im Sediment wenige Nierenepithelien, keine Zylinder,
reichlich Leukocythen und einige rote Blutkörperchen. Abends 2mal reichlich Stuhl.
Temperatur 36,9, Puls 110.
14. XI. 08. Wieder fast kein Schlaf, Pat. sehr apathisch, erkennt ihre Um-
gebung. Puls 120, Temperatur 36,2, Urin wieder stark blutig, Menge nur 50 ccm.
Im Sediment reichlich rote und weiße Blutkörperchen und vereinzelte Nierenepithelien.
Gegen Mittag wird die Pat.’ benommen, der Zustand verschlechtert sich zusehends
und um 6 Uhr mittags erfolgt der Exitus letalis. Die Sektion wurde verweigert, es
war daher nur möglich von den Operationsschnitten aus die Nieren zur Untersuchung
zu entnehmen. Beide Nieren waren vergrößert, die Rinde deutlich verbreitert, blaß
und getrübt.
Mikroskopisch: Fleckig interstitielle Herde mit teilweiser Glomerulusverödung,
Atrophie von Harnkanälchen und Zellinfiltration. Etwas Fett auf Glomerulusschlingen.
Sämtliche Kanäle der Rinde deutlich erweitert mit reichlich Eiweiß im Lumen. Ein
Teil der gewundenen Kanäle (Schaltstücke) enthält etwas Blut. Fett im Epithel zahl-
reicher Harnkanälchen der Rinde. Reichlich Fett im Interatitium der Rinde. Keine
Nekrosen.
Es wurde also in dem ersten Falle operiert, weil trotz der Ent-
bindung die Anfälle nicht sistierten und eine sehr erhebliche Oligurie
bestand, in dem zweiten deshalb, weil trotz der Entbindung und trotz
des Sistierens der Anfälle eine fast völlige Anurie noch 45 Stunden
nach der Entbindung fortbestand.
Beide Fälle kamen zum Exitus. Aber in dem ersten Falle war
eine erhebliche Zunahme der Diurese nach der Operation zu beobachten,
die mit einer Aufhellung des Sensoriums und mit einer deutlichen
Besserung des Allgemeinzustandes während der ersten beiden Tage nach
11*
162 Prof. Dr. K. Reifferscheid.
der Operation einherging. Dann traten die Zeichen einer schweren
Jodoformintoxikation infolge der Dränage der ÖOperationswunden mit
Jodoformgaze ein, und es muß dahingestellt bleiben, ob nicht ohne
diese vermeidbare Komplikation die Besserung eine dauernde und zur
Heilung führende geblieben wäre. In dem zweiten Falle blieb die
Operation ohne jeden Erfolg. Bemerkenswert ist, daß in Fall I eine
erhöhte intrarenale Spannung an dem Klaffen der Kapselränder nach
der Inzision und dem Vorquellen des Nierengewebes zwischen den
Kapselrändern deutlich zu erkennen war, während in Fall II diese
Zeichen völlig fehlten.
Ich möchte diesen Fällen noch einen dritten anreihen, der streng
genommen, nicht hierher gehört, weil es sich nicht um eine Eklampsie
handelt, sondern um eine schwere Nephritis in der Geburt, die zu einer
völligen auch im Wochenbett anhaltenden Anurie führte, bei der ich
ebenfalls die Dekapsulation der Nieren als letztes Mittel versucht habe.
Fall III. Jahrgang 1908/09, J.-Nr. 319. Frau J. K., 28 Jahre alt, I-pa. Früher
angeblich stets gesund. Verlauf der Schwangerschaft ohne Störung. Die Wehen be-
gannen in der Nacht vom 8. auf den 9. VIII. 08. Bald nach Beginn der Wehen
Blasensprung. Am 9. VIII. macht die Geburt trotz guter Wehen keine Fortschritte.
Der behandelnde Arzt macht deshalb (!) die manuelle Erweiterung des Fünfpfennig-
stückgroßen Muttermundes, schließt daran vergebliche Extraktionsversuche mit der
Zange und versucht schließlich die Wendung, die gleichfalls nicht gelingt. Die Ope-
rationen werden in halber Chloroformnarkose ausgeführt. Da der Kopf noch beweg-
lich über dem Becken steht nimmt der Arzt eine Exostose des Kreuzbeins oder (‘)
ein plattes Becken als Geburtshindernis an und da er sich nicht zur Perforation ent-
schließen kann, überweist er endlich die Patientin der Klinik zur Weiterbehandlung.
Befund bei der Aufnahme in die Klinik: Rücken rechts, Kopf auf die linke
Beckenschaufel abgewichen. Herztöne nicht zu hören. Beckenmaße: Dist. spin.
27 cm, Dist. crist. 28 cm, Conj. ext. 18,5 cm, Conj. diag. 10 cm, Conj. vera 8 cm.
Innere Untersuchung: Blase gesprungen, Muttermund kleinhandtellergroß, zeigt mehr-
fache Einrisse, darunter einen großen nach links hin bis über den Scheidenansatz
hinaus. Kopf beweglich über dem Becken, Kind tot.
In Chloroformnarkose wird die Perforation und Extraktion des toten Kindes vor-
genommen. Sehr kräftiges Kind, wiegt enthirnt 3600 g. Placenta wird eine halbe
Stunde post partum spontan ausgestoßen. Uterusspülung mit 12 Litern Lysollösung.
Temperatur 36,5, Puls W.
Da der vor der Entbindung mit dem Katheter entnommene Urin blutig ist, 50
wird ein Dauerkatheter in die Blase eingelegt. Am 11. VIII. beträgt die in 24 Stunden
ausgeschiedene Urinmenge 350 ccm, 1°/, Albumen (Esbach). Trotz Digitalis und
Diuretin bleibt die Urinausscheidung auch in den folgenden Tagen minimal.
12. VIII. 120 cem Urin, !/,%!/,, Albumen, reichliche Stuhlentleerung. 13. VIl.
120 cem Urin, 1°/,°/, Albumen. 14. VIII. 130 ccm, 1°, Albumen. Verordnung:
3mal täglich Theocin 0,3. Schwitzbett. Zur Ableitung auf den Darm Purgen. Auf-
treten leichter urämischer Symptome in Form von Kardialgien, Unruhe, leichter Be-
nommenbheit.
Wegen der beginnenden Urämie und angesichts der Erfolglosigkeit der interne?
Medikation wird als letztes Mittel, die Nierenfunktion wieder in (rang zu bringen, die
Dekapsulation der Nieren beschlossen.
15. VIII. (Operateur: Reifferscheid) Äthernarkose. Schrägschnitt, Freilegen
der Niere und Entkapselung derselben in situ, was ohne Schwierigkeit gelingt. D?
die Blutung sehr gering ist, wird von jeder Dränage Abstand genommen. Exakter
Schluß der Wunden mit versenkten Katgut- und oberflächlichen Silkwormknopfnähte?-
Die Dekapsulation der Nieren bei der Eklampsie. 163
Die Operation verläuft auf beiden Seiten gleich. Beide Nieren dunkelblaurot, geschwellt,
so daß bei der Inzision der Kapsel die Kapselränder auseinanderweichen.
Einige Stunden nach der Operation entleert Patientin spontan 100 ccm Urin, der
stark blutig ist und massenhaft Sediment enthält, das sich mikroskopisch als ein Brei
von Nierenepithelien und roten und weißen Blutkörperchen erweist. Bis zum nächsten
Morgen beträgt die Urinmengd 340 ccm, die folgenden Portionen sind klarer und
weniger blutig.
16. VIII. Während des Tages werden nochmals 200 ccm Urin entleert, gegen
Mittag wird aber die Patientin sehr unruhig, klagt über heftige Schmerzen in der
Herzgegend, der Puls ist stark beschleunigt und klein. Mehrfach läßt Pat. unwill-
kürlich Urin ins Bett, so daß die Gesamtmenge des Urins nicht zu bestimmen ist.
Immerhin läßt sich so viel sagen, daß die Diurese erheblich reichlicher ist als vor der
Operation.
17. VOII Starke Zunahme der Unruhe und der Beklemmungen. Unwillkürlicher
Abgang von Urin, so daß Patientin häufig naß liegt. Menge nicht zu bestimmen.
Puls dauernd hoch. Gegen Abend verfällt die Patientin schnell, und um 11,50 Uhr
erfolgt der Exitus letalis.
Sektionsbefund: Zellgewebe um die linke Niere blutig imbibiert. Linke Neben-
niere ohne Besonderheiten. Kapsel der linken Niere ist abgezogen und liegt abseits
als blutig durchdrängter Wulst am Hilus. Niere vergrößert, Rinde deutlich verbreitert,
sehr blaß und teilweise getrübt. Markkegel im Nierenbecken hyperämisch. Das Zell-
gewebe in der Umgebung der rechten Niere zeigt nur auf der hinteren Seite blutige
Durchtränkung. Die Kapsel ist abgelöst, hat sich aber zum Teil wieder in situ hin-
gelegt. Im ganzen verhält sich die rechte Niere wie die linke.
Mikroskopisch: Reichlich Eiweiß im erweiterten Kapselraum der Glomeruli.
Leichte Schwellung des Kapselepithels der Glomeruli. Deutliche Erweiterung der
gewundenen und geraden Harnkanälchen. Reichlich Eiweiß und etwas Blut in den
gewundenen, reichlich Blut und Leukocyten in den geraden Kanälen. Etwas Fett im
Parenchym. Keine Nekrosen.
Also auch in diesem Falle war ebenso wie in Fall I eine deutliche
Besserung der Diurese nach der Operation nicht zu verkennen, doch
vermochte sie nicht den Exitus letalis zu verhüten. Vielleicht wäre
der Erfolg ein besserer gewesen, wenn der Eingriff früher ausgeführt
worden wäre, doch erschien an den ersten Tagen des Wochenbettes
angesichts des guten Allgemeinzustandes und des Fehlens jeglicher be-
drohlicher Symptome die Operation nicht indiziert, solange nicht die
innere Medikation versucht war.
Mit den vorstehenden Fällen (I und II) steigt die Zahl der bekannt
gegebenen Fälle von Dekapsulation der Nieren bei Eklampsie auf 30.
Von diesen starben 15, also eine Mortalität von 50°/,. Darunter sind
allerdings 3 Fälle, in denen nach Aufhören der Anfälle und Besserung
der Diurese der Exitus an einer komplizierenden Erkrankung am 4.
bzw. 5. Tage p. op., und zwar einmal an einer Infektion der Operations-
wunde (Wiemer), einmal an einer Pneumonie (Frank), einmal an
Verblutung aus zwei Magengeschwüren (Baumm). Nach Abzug dieser
Fälle würde die Mortalität noch 40°), betragen. Auch von den tödlich
verlaufenden Fällen zeigten 7 zunächst noch eine deutliche oft sogar
erhebliche Besserung der Diurese, so daß unverkennbar die Operation
einen wohltätigen Einfluß ausübte, wenn sie auch nicht mehr lebens-
rettend wirken konnte.
Naheliegend war der Gedanke, daß diejenigen Fälle, in denen sich
164 Prof. Dr. K. Reifferscheid.
keine Erhöhung der intrarenalen Spannung bei der Operation nach-
weisen ließ, sondern die Nieren schlaff und weich waren, schlechtere
Resultate ergeben würden als die mit erhöhter Spannung einhergehenden.
Es finden sich 8 derartige Fälle. Von ihnen starben 4, so daß sich
also kein Unterschied in der Mortalität ergibt.
Ein abschließendes Urteil über den Wert des Eingriffs zu fällen,
ist noch nicht möglich; immerhin ist aber nicht zu leugnen, daß in
einer Reihe von Fällen an die Ausführung desselben sich eine erheb-
liche Besserung der Diurese anschloß, noch bestehende Anfälle sistierten
und rasche Heilung eintrat. Ferner ist zu bedenken, daß vielfach, wie
auch in den von mir mitgeteilten Fällen der Eingriff vielleicht zu spät
vorgenommen wurde, so daß der Einwurf nicht von der Hand zu weisen
ist, daß die Operation, früher ausgeführt, möglicherweise einen besseren
Erfolg ergeben hätte. Jedenfalls muß man angesichts der in einzelnen
Fällen beobachteten eklatanten Erfolge die Berechtigung des Eingriffs
durchaus anerkennen.
Von vornherein ist es abzulehnen, die Operation, wie Edebohls
auf Grund eines glücklich verlaufenen Falles es will, in der Gravidität
ohne Entleerung des Uterus auszuführen. Dagegen spricht die von
Gauß mitgeteilte wichtige Beobachtung, wo der nach der Entkapselung
ausbleibende Erfolg erst eintrat, nachdem der Uterus entleert worden
war und die häufig in der Geburtshilfe gemachte Erfahrung, daß die
Entleerung des schwangeren Uterus allein schon genügt, die Eklampsie
zum Aufhören und die Nierenfunktion wieder in Gang zu bringen.
Auf Grund eben dieser Erfahrung ist aber auch der Vorschlag von
Gauß, in jedem Falle von Eklampsie an die Entbindung sofort die
Entkapselung anzuschließen, als ein zu weitgehender zu bezeichnen.
Es würden dadurch eben eine Reihe von Fällen, in denen die sofortige
Entbindung allein zur Heilung ausgereicht hätte, einem immerhin nicht
ganz gleichgültigen Eingriff, wie ihn die Nierendekapsulation darstellt,
überflüssigerweise unterworfen werden. Und das müssen wir unter
allen Umständen vermeiden. Ich glaube, daß es richtiger ist, nach der
sofort nach dem Ausbruch der Eklampsie auszuführenden Entleerung
des Uterus, noch 8—10—12 Stunden das Verhalten der Nierenfunktion
abzuwarten und erst dann einzugreifen, wenn keine Besserung sich zeigt.
Der Eingriff selbst ist einfach und schnell auszuführen und be-
deutet, gute Technik und Asepsis vorausgesetzt, keine wesentliche Ge-
fährdung des Patienten. Von einem schrägen Flankenschnitt aus durch-
schneidet man schichtweise die Muskeln und die Fascia transversa bis
auf das retroperitoneale Gewebe. Dann läßt man sich von der Bauch-
seite her die Niere entgegendrängen, was namentlich bei einer frisch
Entbundenen leicht gelingt, spaltet zwischen zwei Pinzetten die Fett-
kapsel und kann nun, ohne die Niere zu luxieren, in situ die Dekap-
sulation vornehmen, indem man von einem oberflächlichen Einschnitt
in die Kapsel aus, diese stumpf von der Nierenoberfläche abschält.
Edebohls empfiehlt dann auch die abgeschälte Kapsel zu resezieren;
Die Dekapsulation der Nieren bei der Eklampsie. 165
jedenfalls kann man durch die Resektion verhüten, daß etwa die Kapsel
sich teilweise wieder anlegt oder die schrumpfende Kapsel den Hilus
komprimiert. Wenn die Blutung sehr gering ist, so kann man von
jeder Dränage absehen, sonst, oder wenn, wie ich das in einem Fall
beobachtete, das umgebende Gewebe sehr ödematös ist, führt man einen
Streifen steriler Gaze zur Dränage ein. Niemals darf Jodoformgaze
dazu benutzt werden. Dann wird in exakter Weise die Fascie und die
Muskulatur wieder vereinigt und die Wunde bis auf die für die Drä-
nage notwendige Lücke geschlossen. Die Operation läßt sich auf jeder
Seite in 10—15 Minuten ausführen. Nicht immer gelingt es aber die
Niere ganz in situ zu entkapseln, nämlich dann, wenn die Niere ganz
unter dem Rippenbogen verborgen ist. Hier muß man, wenn man nicht
die 12. Rippe resezieren will, was wegen der möglichen Pleuraverletzung
nicht gleichgültig und außerdem zeitraubend ist, die Niere etwas aus
ihrer Lage in die Wunde hinein luxieren, um die Kapsel ablösen zu
können. Der Dränagestreifen kann schon nach 24 Stunden wieder
entfernt werden.
(Aus der gynäkologischen Abteilung des Rothschildspitales in Wien.
Vorstand: Primarius Dr. C. Fleischmann.)
Dystopie der Niere und Mißbildung der inneren Geschlechtsorgane.
Von
Dr. Alfred Löwit, Sekundararzt der Abteilung.
Die Diagnose der kongenital dystopen Niere, sowohl bei patho-
logischer Veränderung dieses Organes als auch ohne diese, bot seit
jeher große Schwierigkeiten und wurde in nur verhältnismäßig wenigen
Fällen vor Eröffnung der Bauchhöhle richtig gestellt. Erst im letzten
Jahrzehnt sind vielfach Fälle der angeborenen Nierenverlagerung, die
zu verschiedenen klinischen Symptomen führte, beschrieben, und ist
auf die außerordentliche klinische Bedeutung der Nierendystopie hin-
gewiesen worden, hauptsächlich in dem Sinne, daß wir bei den meisten
unklaren, im kleinen Becken befindlichen Tumoren sie in den Kreis
unserer Erwägungen ziehen müssen.
Bei der kongenitalen Nierendystopie handelt es sich um eine Lage-
anomalie, darin bestehend, daß das Organ nicht an der ihm zukommen-
den Stelle entsprechend dem 11. Brustwirbel bis zum 2. Lendenwirbel
seinen Sitz hat, sondern an irgendeiner Stelle der bei seiner Entwicklung
zu durchlaufenden Bahn liegen geblieben ist.
Für dieses Verhalten der Niere hat man mechanische Momente als
ursächlich angenommen, Entzündungen in einem frühen Entwicklungs-
stadium, selbst das Fehlen der normalen Wachstumsenergie verantwortlich
gemacht, ohne jedoch einen sicheren Beweis für diese oder jene Hypo-
these erbringen zu können. Auffällig war der häufige Befund von
gleichzeitigem Auftreten von Anomalien des inneren Genitale mit der
Nierendvstopie. Dieser Zusammenhang zwischen beiden Entwicklungs-
störungen kann kein zufälliger sein, läßt vielmehr auf das Vorhandensein
einer gemeinsamen Ursache schließen, um so mehr, als die Anomalie des
uropoetischen Systems und des Genitale sich stets auf der gleichnamigen
Seite findet. So fand Paltauf unter 79 Fällen von Uterus unicornis
27 mal eine kongenitale Mißbildung von Niere und Ureter, und hierunter
mal eine kongenitale Nierendystopie. v. Rosthorn fand unter 79 Fällen
von Uterus unicornis in der Literatur 76mal eine Komplikation mit
Anomalien im uropoetischen System (Defekt, Dystopie, rudimentäre Aus-
bildung einer Niere).
Im folgenden will ich über einen Fall von Hydronephrose einer
kongenital dystopen Niere, kombiniert mit einer Mißbildung am inneren
Dystopie der Niere und Mißbildung der inneren Geschlechtsorgane. 167
Genitale, berichten, der vor kurzer Zeit auf der gynäkologischen Ab-
teilung des Herrn Primarius Fleischmann zur Operation kam"
Pat. Pr. H., 49 Jahre alt, wurde am 20. IX. 08 sub J.-Nr. 1393 von der internen
Abteilung (Hofr. Oser) transferiert, woselbst sie unter den Erscheinungen einer akuten
Gastritis aufgenommen wurde. Anamnese: Die Menses traten im 13. Lj. auf; regel-
mäßig, in 4wöchentlichen Intervallen, von 3tägiger Dauer, mäßig stark, schmerzlos.
Letzte Menses 27. VIII. Pat. hat 6mal normal geboren, zuletzt vor 10 Jahren, nie-
mals abortiert. Nach der letzten Geburt angeblich Blinddarmentzündung. Sonst stets
gesund gewesen, erkrankte sie am 9. IX. 08 plötzlich mit heftigen, nach dem Unter-
leibe ausstrahlenden Kreuzschmerzen. Tags darauf mehrmaliges Erbrechen, kein Auf-
stoßen, keine Stuhl- oder Windverhaltung, keine Harnbeschwerden. Während des
Aufenthaltes auf der int. Abteilung wiederholte sich der Schmerzanfall. Auf Befragen
gab Pat. noch an, nie blutigen Harn gehabt zu haben.
Stat. praes.: Mittelgroß, von kräftigem Knochenbau und gut entwickelter Mus-
kulatur, ziemlich reichem Pannic. adipos. Temperatur normal, Puls regelmäßig. kräftig,
88. Perkussion der Lungen normal. Das Atmen vesikulär, mit etwas verlängertem
Exspir über beiden Spitzen. Herzdämpfung nicht verbreitert. Herztöne begrenzt,
nur der erste an der Spitze dumpf. Harn klar, frei von Zucker und Albumen.
Das Abdomen leicht vorgewölbt, mit sehr schlaffen, mäßig fettreichen Bauch-
decken. Links oberhalb der Symphyse und des linken Schambeins bis zum Nabel
reichend ein rundlicher glatter, wenig empfindlicher, anscheinend fluktuierender, seit-
lich und von oben nach unten etwas verschiebbarer Tumor.
Genitalbefund: Introitus gerötet; kleiner faltenförmiger Prolaps der hinteren
Scheidenwand. Portio vag. in der Excav. sacri, nach hinten gerichtet. Uterus dex-
trovert., antefl., nicht vergrößert, gut beweglich. Links oberhalb des Beckeneingangs
der vorerwähnte nahezu kindskopfgroße Tumor. Der untere Pol des Tumors läßt sich
etwas nach außen und oben verschieben. der obere erscheint fixiert. Die Finger
können leicht zwischen Uterus und Tumor eindringen, ohne einen Stiel zu tasten.
Über den Tumor ziehen von rechts oben nach links unten mehrere Stränge (Netz?).
Adnexe können nicht getastet werden. Es wird angenommen, daß ein oberhalb des
Beckens fixierter Tumor des linken Ovariums vorliege, und am 24. IX. zur Operation
geschritten (Roth-Drägersche Narkose, ruhiger Verlauf), Oper. Prim. Fleischmann.
Mediane Laparotomie ein Querfinger oberhalb der Symphyse bis ein Querfinger
oberhalb des Nabels. Es präsentiert sich sofort der glatte, glänzende, dicht über dem
Beckeneingang gelegene kindskopfgroße Tumor, der von fettreichem Peritoneum über-
zogen, zu beiden Seiten und an seiner oberen Peripherie vom Dünndarm umgeben ist.
Die Besichtigung der Genitalorgane zeigt, daß ein gut entwickeltes rechtes Uterus-
horn vorliegt mit großem, ein frisches Corp. lut. enthaltendem Ovarium, normal ge-
bildeter Tube und einem auffallend kräftigen, breiten Ligt. rot. Dieses inseriert am
Uterus nicht dicht unterhalb der Tubeninsertion, sondern viel weiter medialwärts etwas
unterhalb der Ansatzlinie der Tube. Das rechte Uterushorn ist nach rechts geneigt.
Etwa in der Höhe des inneren Muttermundes geht von demselben nach links bogen-
förmig ein etwa 1 cm breiter, 3 mm dicker Strang gegen den Beckeneingang ab, von
dem aus nach vorne gegen den Annulus inguinalis int. ein kurzes Ligament (Ligt. rot.
sin.) abzweigt, während eine Bauchfellfalte gegen das Darmbein ausstrahlt, an deren
medialen Fläche das dünne, lang ausgezogene linke Ovarium sichtbar wird. Lateralwärts
von diesem in einer seichten Bauchfelltasche versteckt eine kleine, dünne Tube mit
offenem zartem Fimbrieneude. Vom Ovarium zieht nach oben gegen das Mesosigm.
das auffallend stark vorspringende, sehnig glänzende Ligt. susp. ovarii.
Nachdem nun der retroperitoneale Sitz des Tumors festgestellt ist, wird das be-
deckende Peritoneum quer gespalten, worauf sich der Tumor an seiner vorderen und
seitlichen Peripherie leicht ausschälen läßt. Nur nach hinten zu sind die Verbindungen
1) Der Fall wurde im Dezember 1908 von mir in der Gesellschaft für Gynäkol.
u. Geburtshilfe in Wien demonstriert.
168 Dr. Alfred Löwit.
mit der hinteren Bauchwand -dicht neben der Wirbelsäule fester. Beim Versuche,
diese zu lösen, reißt der Tumor ein, und es entleeren sich aus demselben etwa
300 cm? einer dünnen, dunkelbraunroten Flüssigkeit. Nun läßt sich der entleerte
Sack bis auf drei rabenfederkieldicke Stränge, die ligiert und dann durchschnitten
werden, vollständig ausschälen. Nach unten zu findet das Geschwulstbett am Becken-
eingang seine Grenze. Verschluß des gesetzten Peritonealschlitzes mittels Katgut-
knopfnähten. Vierreihige Bauchdeckennaht.
Präparat: Etwa faustgroßer entleerter Cystensack. Außenfläche glatt, stellen-
weise von fetzigen Membranen und Fettgewebe besetzt. Der größte Teil des Sackes
von einer zarten, leicht ablösbaren bindegewebigen Membran überzogen. Innenfläche
größtenteils glatt, hier und da gerunzelt, graurot. An drei Stellen finden sich bis
!/, cm hohe, dünne, leistenförmig vorspringende Septen, zwischen denen die Cysten-
wand dellenförmig vertieft erscheint, so daß es den Anschein hat, als wäre die Oyste
aus mehreren kleineren hervorgegangen. Dicke der Wand 2 mm bis !/, cm; wo sie
dicker ist, findet man kleine, kompakte, bucklige Vorwölbungen. Auf dem Durch-
schnitt zeigt die Cystenwand eine äußere, grauweiße weichere und eine dünnere,
derbere, dunklere Schichte Am unteren Pole findet sich eine feine schlitzförmige
Öffnung, die in einen etwa 3 mm dicken, kanalisierten Strang führt, der sich auf
etwa 3 cm weit verfolgen läßt. Die mikroskopische Untersuchung des Pri-
parates, die wir der Liebenswürdigkeit des Herrn Prof. Dr. Stoerk verdanken, ergab
eine Hydronephrose mit einer schmalen Randschicht erhaltenen Nierenparenchyms:
die inneren Schiehten in derbfibröses Gewebe umgewandelt; die Beckenschleimhaut
von Granulationsgewebe substituiert.
Verlauf nach der Operation vollkommen glatt. Die Harnmenge schwankte
zwischen 1000 und 1500 cm?. Pat. konnte am 5. X. das Bett verlassen.
10. X. Chromocystoskopie: leichte Cystitis in der Gegend des Blasenhalses
und der unteren Blasenwand. Nach 38 Minuten entleert sich aus dem rechten Ureter
in kräftigem Strahle deutlich blaugefärbter Urin, auf der linken Seite sieht man wohl
die Uretermündung, doch fehlt das Ureterphänomen.
Wir haben also in unserem Falle die richtige Diagnose erst nach
der Operation gestellt, obzwar wir während derselben hauptsächlich
mit Rücksicht auf die Mißbildung des Genitales an die Möglichkeit einer
Nierengeschwulst dachten. Doch das Fehlen eines jeden einer Nieren-
affektion zukommenden Symptomes, sowie das anatomische Verhalten in
unserem Falle — auch die bei den meisten kongenitalen Nierendystopien
vorkommende Lage des Hilus an der vorderen Fläche wurde vermißt —
haben uns von der richtigen Diagnose abgelenkt. Hätten wir vor der
Operation an die Möglichkeit eines Nierentumors gedacht, so wäre auf
cvstoskopischem Wege die Diagnose eine leichte gewesen.
Ein diagnostisches Hilfsmittel, das uns durch die cystoskopische
Untersuchung zur Bestimmung einer Nierendystopie geboten wird, ist
zunächst die von Hochenegg und Müllerheim empfohlene Sondierung
der Ureteren. Die Kürze des einen zur dystopen Niere führenden
UTeters gegenüber der normalen Länge des anderen muß, wie Hochen-
egg sagt, auf die richtige Diagnose führen.
Die von Casper und Müllerheim, Loewenhardt und Schmidt
empfohlene Röntgenaufnahme eines mit einem Bleimandrin versehenen.
his ins Nierenbecken vorgeschobenen Katheters bedeutet einen Fortschritt
in der Diagnostik. Leider führt der Ureterenkatheterismus nicht immer
zu einer sicheren Diagnose; insbesondere ist dies der Fall bei erkrankten
(lvstopen Nieren, doch auch bei normaler Beschaffenheit derselben kann
Dystopie der Niere und Mißbildung der inneren Geschlechtsorgane. 169
er im Stiche lassen, wie z. B. in einem Falle Israels, wo der Ureter
einer dystopen Niere normal lang war, und deshalb größere Schlingen
bildete.
In unserem Falle wäre wohl die Sondierung der Ureteren nicht
nötig gewesen, da wir durch bloße Cystoskopie uns vom Fehlen des
Ureterphänomens hätten überzeugen können — handelte es sich doch
sicher um eine abgeschlossene Hydronephrose — und daraus der Schluß
auf das Vorliegen eines Nierentumors sich von selbst ergeben hätte.
Müllerheim war der erste, der bei einem Falle die Diagnose auf
kongenitale Nierendystopie (mittels Ureterensondierung) stellte und durch
Operation dieselbe bestätigt fand, auch Israel hat in einem Falle die
Wahrscheinlichkeitsdiagnose gemacht. Albrecht stellte auf dem Kon-
greß der deutschen Gesellschaft für Urologie einen von ihm diagnosti-
zierten Fall von Beckenniere vor, Richter beschreibt einen gleichfalls
erkannten Fall von Hydronephrose einer kongenital dystropen Niere aus
der Abteilung Zuckerkandls.
Was nun die Mißbildung am Genitale anbelangt, so handelt es sich
entsprechend der Terminologie v. Rosthorns um einen Uterus bicornis
mit rudimentär entwickeltem linken Horn, rudimentär entwickeltem
Ovarium und Tube, also nach der Einteilung v. Winckels um eine
Entwicklungshemmung zweiter Stufe, entstanden zwischen vierter und
achter Woche des embryonalen Lebens.
Alle Doppelbildungen der Gebärmutter sind auf das Ausbleiben der
Verschmelzung der unteren Abschnitte der Müllerschen Gänge zurück-
zuführen. Über die Ursache der ausbleibenden Verschmelzung sind
verschiedene Hypothesen aufgestellt worden. Paltauf schreibt dem
unvollständigen Descensus ovariorum eine wichtige Rolle zu. Er sagt,
daß „der Müllersche Faden beim fortschreitenden Wachstum eine
Dehnung erfahren muß, die nur zu bald in ein vollständiges Dehiszieren
desselben ausarten kann“.
Diese Anschauung scheint in unserem Falle zuzutreffen, da wir
das langgezogene linke Ovarium sehr hoch über dem Beckeneingang
fixiert vorfinden. Eine gleiche Erklärung findet Natanson zutreffend
in einem eigenen Falle, sowie in Fällen von Ballowitz, v. Winckel
und Hönigsberg. Als Erklärung für den unvollständigen Descensus
ovariorum werden z. T. fötale Entzündungen, z. T. das Stehenbleiben
der Nierenanlage angenommen.
Von den anderen Hypothesen zur Erklärung der Doppelbildungen
wäre die von Winckel, Frankl, Robert Meyer angenommene Kürze
und Stärke des Lig. rot, oder die Ungleichheit derselben auf beiden
Seiten, sowie die breite Ansatzlinie der Ligamente am Uterus zu er-
wähnen. Die bestehende Veränderung des rechten Lig. rot. in unserem
Falle läßt eine Deutung der Doppelbildung auch im Sinne dieser Hypo-
these nicht von der Hand weisen. Doch scheint nach den Erwägungen
Natansons diese Erklärung nicht erwiesen. Vor allem ist es bis jetzt
nicht sichergestellt, ob die Veränderung am Lig. rot. das Primäre, die
170 Dr. Alfred Löwit. Dystopie der Niere usw.
Mißbildung das Sekundäre ist, finden wir doch, wie Natanson durch
Vergleich des Falles Blum von Josephson mit dem Fall Winckel
Nr. III hervorhebt, einmal die Verdickung und breite Ansatzlinie auf
der Seite des normal entwickelten Hornes, ein anderes Mal aber auf der
Seite des verkümmerten.
Was die abnorme Insertion des Lig. rot. dextr. in unserem Falle
anbelangt, so wäre es möglich, daß dieselbe im embryonalen Leben sich
entwickelt hat und im Sinne Frankls die Folge einer frühzeitigen In-
volution des hyperplastischen Wolffschen Körpers auf der Seite des
entwickelten Hornes wäre. Doch auch ein Zustandekommen im ex-
trauterinen Leben wäre nicht von der Hand zu weisen.
Es wäre ganz wohl denkbar, daß der lateralwärts von der Insertion
des runden Bandes gelegene Abschnitt der Tubenecke im Verlaufe der
wiederholten Schwangerschaften sich bei seiner Beteiligung an der Be
herbergung des Eies stärker entwickelt habe und dadurch eine größere
Distanz zwischen der Abgangstelle der Tube und des Ligt. teres zustande
gekommen sei.
Dies ist um so weniger zu entscheiden, als uns eine genaue ana-
tomische Untersuchung nicht zu Gebote steht.
Literatur.
Albrecht, Über kongenitale Nierendystopie. Verhandlungen der Deutschen Gesell-
schaft für Urologie 1907.
Chrobak-Rosthorn, Die Erkrankungen der weiblichen Geschlechtsorgane, II. Teil.
Frankl, O., Über Mißbildungen der Gebärmutter und Tumoren der Uterusligamente
im. Lichte embryologischer Erkenntnisse. Volkmanns Sammlung klin. Vorträge,
N. F., Nr. 363.
Kehrer, Die klinische Bedeutung der kongenitalen einseitigen Nierendystopie. Bei-
träge zur Geburtshilfe und Gynäkologie, Festschrift für Chrobak, 1903.
Natanson, Zur Anatomie und Entwicklungsgeschichte des Uterus unicornis. Monate
schrift f. Geburtshilfe und Gynäkologie, Bd. XX, H. 6.
Richter, Infizierte Hydronephrose einer angeborenen dystopischen Niere. Wiener
klinische Wochenschrift 1907, Nr. 40.
Sträter, Beiträge zur Pathologie und Therapie der kongenitalen Nierendystopie-
D. Zeitschrift für Chirurgie, Bd. 83.
(Aus der Universitäts-Frauenklinik der Kgl. Charite zu Berlin.
Direktor: Geheimrat Prof. E. Bumm.)
Eine einfache Vorrichtung zur Entwicklung der kalten Schlinge
als Ergänzung zu dem Ureterencystoskop.
Von
Prof. P. Krömer, Berlin.
(Mit 3 Abbildungen.)
Der Verbreitung des ziemlich komplizierten Operationscystoskopes
nach Nitze stehen manche Schwierigkeiten entgegen. Man fürchtet
gewöhnlich das allzugroße Kaliber, das ungewohnte Arbeiten mit dem
diffizilen Apparat, mit dessen Handhabung man nicht vertraut ist, end-
lich wohl auch den hohen Preis des Instrumentes. Der Gynäkologe
suchte daher gern das Operationscystoskop zu umgehen, indem er neben
dem gewöhnlichen Cystoskop Instrumente in die Blase einführte, oder durch
Scheidenblasenschnitt bzw. durch Sectio alta die Blasentumoren beseitigte.
Trotzdem halte ich das Vertrautsein mit dem endovesikalen Ope-
rationsverfahren der Urologen für sehr wertvoll aus zweierlei Gründen.
Einmal gibt es keine bessere Übung für den Schüler als das Arbeiten
mit der Schlinge und zweitens mahnen uns die Erfahrungen der
Chirurgen!) über die malignen Rezidive in der Bauchwand nach Ent-
fernung gutartiger Blasenpapillome durch Sectio alta zur Einschränkung
dieser immerhin eingreifenden Maßnahmen und zur Wiederaufnahme
der Schlingenoperation. Die Blasenpapillome stellen offenbar eine ganz
eigenartige Geschwulstgruppe dar, welche bei dem harmlosen Vorgang
der Schlingenabschnürung am wenigsten zur Propagation und Implan-
tation neigen.
Während ich daher für Entfernung von Fremdkörpern, Ligaturen,
Steinen gern die neben dem Cystoskop eingeführte Fremdkörperzange
in der weiblichen Blase benutze, scheint mir für Tumoren die An-
wendung der Schlingeninstrumente unerläßlich. Schließlich widerstrebte
es mir auch, in den Lehrkursen ausschließlich einseitige Verfahren zu
demonstrieren, welche nur für Frauen und nicht für Männer verwendbar
sind. Das diffizile Nitzesche Operationsinstrument dem Schüler in
die Hand zu geben, schien mir nicht ratsam, zumal ich gegen die An-
wendung der heißen Schlinge mancherlei Bedenken hatte. Ich ließ
daher durch die Firma L. & H. Loewenstein, Berlin, Ziegelstr.,
1) Lichtenstern, Zeitschrift für Urologie II, 2. 1908.
172 Prof. P. Krömer.
welcher ich für die rasche Erledigung dieser Angelegenheit sehr zu
Dank verpflichtet bin, eine einfache Schlingenführung konstruieren,
welche ich zur Prüfung auf ihre Brauchbarkeit empfehlen möchte.
Das Instrument, siehe Figur 1, besteht im wesentlichen aus zwei
dünnen, parallel gerichteten Metallröhren, in welchen die Schenkel der
Schlinge laufen. Am freien Ende E öffnen sich beide Röhren, um die
Schlinge austreten zu lassen. Am entgegengesetzten Ende ist an die
Röhrenleitung ein Verschlußkonus V aufgesetzt, welcher seitlich einen
kleinen Knopf Kn trägt. An den Konus ist der eigentliche Schlingen- |
führer angesetzt in Gestalt eines im Konus sich aus- und einwärts
bewegenden Metallzylinders, welcher dank der Führungssicherung im
Konus nur in der Richtung des Drahtes sich verschieben läßt. Zur
leichten Handhabung ist an den Führer F ein Bügel B angesetzt, in
welchen man bequem den Daumen einlegen kann. Dem Bügel gegen-
über befindet sich der Klemmstempel S, welcher durch einen leichten
Fingerdruck in Wirkung gesetzt wird. Sobald der Stempel angedrückt
wird, fixiert er den Draht, welcher sodann beim Einwärtsbewegen des
Führungszylinders zur Erweiterung der Schlinge am freien Ende hervor-
gestoßen wird.
TOWS u WLLIEWENS TEIL SERII. Yv F
Fig. 1.
Einfacher Schlingenschnürer, fertig zum Einführen in den Sondenkanal des Ureterencystoskep
(Beschreibung im Text.)
Während der Führungszylinder beständig aus- und einwärts ge-
schoben wird, soweit es die im Konus angebrachte Hemmung gestattet,
kann der Operateur beliebig die Schlinge bilden oder schließen. Um
die Schlinge zu bilden und zu vergrößern, ist die Klemme beim Ein-
wärtsbewegen des Führungszylinders anzudrücken, beim Auswärtsbewegen
zu öffnen! — Umgekehrt muß beim Schließen der Schlinge der Führer
beim Einwärtsbewegen (d. i. in den Konus hinein) mit loser Klemme
leer gehen, während beim Auswärtsbewegen der Draht durch die Klemme
fixiert werden muß.
Infolge der überraschenden Einfachheit des ganzen arbeitet der
Führer leicht und spielend. Eine besondere Technik ist zur Hand-
habung nicht zu erlernen. Es ist die Technik des Ureterenkatheterismus.
Das Auswechseln der Schlinge ist denkbar einfach. Nach Ent-
fernung der Bruchstücke führt man beide Enden der neu einzuziehenden
Schlinge in die Röhrenöffnungen am freien Ende des Apparates und
stößt sie mit Hilfe einer flachen Pinzette durch die Röhren, bis sie am
anderen Ende zum Vorschein kommen. Der eine Schenkel wird um
den seitlichen Knopf am Verschlußkonus gelegt und daselbst fixiert,
Eine einfache Vorrichtung zur Entwicklung der kalten Schlinge usw. 173
der andere Schenkel läuft durch den Führungszylinder und ist lang
genug, um zur Erweiterung der Schlinge reichlich Material zu
liefern. Die Schlinge erweitert sich also einseitig durch die Bewegung.
des einen. Schenkels, während der andere stillsteht. Ich habe bisher
einen Nachteil gegenüber den zweischenklig beweglichen Schlingen
nicht finden können. Man lernt sehr rasch durch Andrücken der
Schlinge an die Blasenwand bzw. an den Boden des Phantomes die
Schlinge nach Belieben formen, wie es seinerzeit auch Nitze empfahl.
Will man den Apparat benutzen, so führe man den Schlingenführer
an Stelle des Ureterenkatheters in den Katheterkanal des Ureteren-
cystoskopes (Figur 2). Je nach Wunsch wird von der Firma Loewen-
Fig. 2.
Ureterencystoskop nach Nitze, armiert mit dem Schlingenschnürer.
Veranschaulicht den vom Albarranschen Finger gehobenen Kopf des Schlingen-
führers, aus welchem die Schlinge soeben entwickelt wird.
stein der Führer so lang gebaut, daß er mit seiner kugligen Spitze
gerade auf den Fingerhebel zu liegen kommt, welcher sonst den
Ureterenkatheter zu krümmen bestimmt ist. Neuerdings baut die
Firma L. den Apparat mit verschieblichem Verschlußkonus, so daß der
Operateur das innere Ende mit der Schlinge beliebig weit in die Blase
vorschieben kann. Wenn der Führer etwas den Hebel überragt, so
läßt sich auch die Schlinge mittels dieses Hebels aufrichten oder
flacher legen (Figur 3). Der Verschlußkonus paßt als Verschlußstück
genau in die Öffnung des Sondenkanals, so daß die Füllungsflüssig-
keit aus der Blase nicht ablaufen kann. Nach Einführung des ‚mit
der Schlinge armierten Cystoskopes in die Blase fixiert die linke
Hand, welche ja den Schaft des Cystoskopes umfaßt hält, durch leichten
Druck des Daumens gegen den Knopf des Verschlußkonus den letz-
teren im Sondenkanal. Die rechte Hand hat Freiheit zur Schlingen-
174 Prof. P. Krömer. Eine eivf. Vorrichtung z. Entwicklung d. kalt. Schlinge usw.
entwicklung. Die Schlinge erscheint vom Rande des (resichtsfeldes her
im Bilde und stört nicht die Übersicht des Ganzen. Besonders emp-
fehlenswert ist die Verwendung des bildaufrichtenden Cystoskopes
(Frank) oder des Korrektionsapparates nach Jakobi in Verbindung
mit der Schlinge, weil alsdann die Irritierung durch das Arbeiten ım
Spiegelbild vermieden wird.
Doch ist diese Kombination durchaus nicht notwendig. Ich habe
mich gewöhnt, möglichst wenig an der Schlinge zu ändern. Entwickelt
sie sich sagittal, d. h. stehend in der Längsrichtung des Cystoskopes,
so schiebe ich sie von der Seite her über den Tumor, entwickelt sie
sich horizontal, d. h. liegend, so fange ich das Objekt, indem ich die
Schlinge von oben her darüber werfe.
Die Herren, welche das Instrument in meinen Kursen benutzen,
betonten besonders, daß ihnen vor allem das Beibehalten des ihnen
bereits vertrauten Ureterencystoskopes angenehm sei. In der Tat arbeitet
man in dem breiten Gesichtsfelde dieses Instrumentes sicherer als bei
Anwendung des eingeschränkten Gesichtsfeldes komplizierter Operations-
cystoskope.
Zum Schlusse scheint mir der geringe Anschaffungspreis besonders
bestechend. Wer ein Ureteren-Spülcystoskop kauft, ist auch noch im-
stande, sich einen Schlingenführer für 12 Mark als Ergänzung zu dem
Instrument bauen zu lassen.
Bevor ich das Instrument empfahl, habe ich seine Brauchbarkeit
klinisch erprobt durch Entfernung eines breitgestielten Papilloms. Um
die Operation bei der Frau eines Collegen möglichst in einer Sitzung
zu ermöglichen, führte ich nach dem Umlegen der Schlinge (bei Fixation
des Kystoskopes im Stativ) neben dem Cystoskop eine kleine Zange in
die Blase und faßte damit die in der Schlinge sitzende Geschwaulst.
Während ein Assistent mit der Zange den Tumor leicht anzog, konnte
ich die Schlinge bequem um die Basis des Papilloms legen und letzteres
abschnüren. Die Blutung war denkbar gering. Rekonvaleszenz bis auf
38,2° am 2. Tage ungestört. Bei der Nachuntersuchung (*/, Jahr später)
konstatierten wir eine glatte Narbe an Stelle des Tumors.
(Aus der Universitäts-Frauenklinik zu Tübingen. Direktor: Prof. Sellheim.)
Blasenblutung bei Retroflexio uteri gravidi.
Von
Dr. Ernst Holzbach, Assistenzarzt.
Baisch hat im ersten Hefte dieser Zeitschrift eine interessante
Beobachtung von Blasenblutung bei Retroflexio uteri gravidi incarcerata
beschrieben. Die Seltenheit der Erkrankung und die Tatsache, daß
außer Stöckel und Baisch bisher kaum jemand die Gelegenheit be-
nutzt ‚hat, die Affektionen der Harnblase im Anschluß an durch die
Rück wärtslagerung der schwangeren Gebärmutter bedingte Harnverhaltung
mit dem Cystoskop zu verfolgen, veranlaßt mich, einen ähnlichen Fall
hier mitzuteilen. |
Es handelt sich um eine 4ljährige Frau, die 5mal spontan ge-
boren und die letzten 4mal abortiert hat. Ende Februar 1908 ist die
Periode wieder ausgeblieben; Anfang Juni traten Blasen- und Stuhl-
beschwerden bei ihr auf, die sich allmählich steigerten, und sie kommt
Ende Juli in die Klinik, weil seit 8 Tagen unter enormen Drang der
Harn tropfenweise von ihr abgeht. Wir konstatierten einen graviden
Uterus in der Größe entsprechend dem 5. bis 6. Schwangerschafts-
monat. Ein etwa mannsfaustgroßes Segment der hinteren Corpuswand
war im kleinen Becken eingekeilt. Die Portio stand dicht hinter der
Schoßfuge und die Blase war bis fast in Nabelhöhe hinaufgezogen.
Der Katheter entleerte etwa 2 Liter kaum getrübten, eiweiß- und
zuckerfreien Urin. Im Verlauf des Tages wurde die Frau noch einmal
katheterisiert; dabei floß 1300 ccm Harn ab. Wir diagnostizierten eine
partielle Inkarzeration des graviden Uterus und bestimmten die Frau
zur klinischen Demonstration am nächsten Tage. Aber schon am
frühen Morgen wurde ich gerufen: die Patientin hatte spontan dunkel-
blutigen Harn entleert; von den aufgefangenen 800 cenı bestand etwa
ein Viertel aus geronnenem Bodensatz. Durch den Katheter lief ein
weiterer halber Liter selır stark blutigen Urins ab. Das Befinden war
dabei gut, es traten keinerlei bedrohliche Erscheinungen auf, und nach-
dem noch 2mal Blutharn ausgeschieden war, wurde der Urin leicht
wolkig, dann fast klar. Die vorsichtige Untersuchung ergab jetzt, daß
das bisher im Becken eingekeilte Segment des Uteruskörpers völlig aus
der Beckenhöhle herausgeglitten war. Die Blase war als doppeldaumen-
dicker Sack bis fingerbreit über der Schoßfuge fühlbar. Nach Ablauf
von 24 Stunden konnte die cystoskopische Untersuchung ausgeführt
werden. Ich fand dabei die Blasenschleimhaut so gut wie frei von
Entzündung, nur im Trigonum Spuren von Katarrh. Vom Blasenhals
her schob sich ein starkes Ödem vor, die Ureteren funktionierten gut
und lieferten klaren Urin. Die Gefäßfüllung war enorm; strotzend ge-
füllte Venen hoben sich scharf von der Unterlage ab und sprangen
_ 3) Die Mitteilung war für die Oktobersitzung der oberrheinischen gynäkologischen
Gesellschaft angemeldet, unterblieb aber aus äußeren Gründen.
Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 12
176 Dr. Ernst Holzbach. Blasenblutung bei Retroflexio uteri gravidi.
stellenweise direkt aus der Schleimhaut vor. Im Blasenvertex saß ein
über markstückgroßer, apoplektischer Herd, der mit noch flottierenden
Gerinnselmassen bedeckt war und um den herum in der Blasenwand
einige kleinere Hämorrhagien sichtbar waren. Auch im Blasenfundus
saßen einige Ekchymosen, und überall die prall gefüllten Venen.
Eine neue Blutung trat nicht mehr auf. Die nach 8 Tagen wieder-
holte Cystoskopie fand den apoplektischen Herd nicht kleiner, aber im
Abblassen; die hämorrhagischen Infarkte waren noch vorhanden, die
Gefäßstauungen und das Ödem waren verschwunden.
Die Versuchung, solche plötzliche Blasenblutungen nach kurz vor-
ausgegangenem Katheterismus damit zu erklären, daß der rasch heraus-
schießende Urin ein Vakuum in der Blase schaffe, liegt ungemein
nahe. Bucura hat sogar neuerdings daraus die Konsequenz abgeleitet,
man dürfe bei der Behandlung der Retroflexio uteri gravidi nicht zu
viel Urin auf einmal aus der Blase ausfließen lassen. Fritsch betont
demgegenüber sehr mit Recht, daß er in seiner 40jährigen Erfahrung
nur ein einziges Mal eine solche Blutung erlebte, trotzdem er katheteri-
sierte und stets die Blase ganz entleeren ließ. Dem entspricht durch-
aus, daß in der Literatur nur ganz wenige Fälle von Blasenblutung
bei Einkeilung des graviden Uterus bekannt sind. Auch bei uns ist
es die erste derartige Beobachtung gewesen, und es ist dabei besonders
zu bemerken, daß die Blutung nicht etwa direkt im Anschluß an den
Katheterismus erfolgte. Erst etwa 12 Stunden, nachdem zum zweiten
Male Harn abgenommen war, trat das Ereignis ein. Ich schließe mich
deswegen Baisch unbedingt an, der sagt, daß man das eine Blutung
ex vacuo oder in vacuum füglicherweise nicht nennen kann. Wie
sollte auch in einem Organ, dessen Entleerung durch die Kontraktion
seiner elastischen Wände erfolgt, ein negativer Druck entstehen? Die
Deutung, die Baisch dem Vorkommnis gibt, scheint mir vielmehr die
einzig richtige zu sein. Die Stauung und deren Folgen, die pralle
Venenfüllung und das Ödem, ja stellenweise Blutaustritte in das Blasen-
gewebe, bestand in unserem Fall wie in dem von Baisch beschriebenen.
Und sie bestand auch nach dem Katheterismus noch weiter, da ja der
Uterus nicht aufgerichtet wurde. Eine so reine Form der Stauungs-
blutung wie der von Baisch beschriebene Fall stellt freilich der
unsrige nicht dar. Ich glaube vielmehr, daß hier das rein mechanische
Moment des plötzlichen Herausgleitens des eingekeilten Uterussegmentes
aus dem Becken im Augenblicke der Spontanaufrichtung eine wesent-
liche Rolle zum Zustandekommen der Apoplexie gespielt hat. Der
brüske Umschwung in den Zirkulationsverhältnissen, vielleicht der
bloße Ruck des Herausgleitens kann schon genügt haben, um eines
der varicösen Gefäße zum Bersten zu bringen. Eine einigermaßen be-
trächtliche Cystitis, die zur Arrosion der Blutgefäße oder gar zu
Gangrän der Schleimhaut geführt hätte, bestand nicht. Die wiederholte
Cystoskopie hat hier, wie in Baischs Fall, den wahren Sachverhalt
ohne weiteres erkennen lassen.
Zur Behandlung der Zystitis mit organischen Silberverbindungen.
Von
Dr. Fisch, Frauenarzt, Barnıen.
In Nr. 2 dieser Zeitschrift empfiehlt Zurhelle einen von ihm
konstruierten kleinen Katheter, speziell zu Dauerspülungen der Blasen-
wand bei Zystitis mit dem augenscheinlichen Vorteil, durch je einen
Hahn am Ab- respektive Zuflußrohr den Füllungsgrad der Blase regu-
lieren zu können. Hierin liegt in der Tat ein wesentlicher Vorteil
gegenüber dem bisher gebrauchten gewöhnlichen doppelläufigen Katheter.
Des weiteren behandelt er die so gründlich gereinigte Blase mit
einer 1°/, Kollargollösung, wovon er und neuerdings Stöckel sehr
befriedigt sind. Diese Kollargolbehandlung respektive Behandlung mit
organischen Silberverbindungen habe ich schon seit einer Reihe von
Jahren in genau derselben Weise zur Heilung der Zystitis angewendet,
wie dies Zurhelle beschreibt. Ich ging dabei von der alten bekannten
Tatsache der ausgezeichneten Wirkungen der Silberlösungen bei allen
Katarrhen der weiblichen Geschlechtsorgane aus, von denen das an-
organische Arg. nitr. in Lösungen von 2!/, bis 5°/, bei Scheidenkatarrhen
vortrefflich wirkt.
Seiner Anwendung bei der Zystitis steht in erster Linie neben
der scharfen Ätzwirkung in die Tiefe, der selbst bei ganz dünnen
Lösungen stets auftretende mehr oder weniger heftige Schmerz im
Wege, wie auch die Notwendigkeit, öfters die in die Blase gebrachten
Lösungen durch Kochsalz neutralisieren respektive wieder ablassen zu
müssen. |
Als vor etwa zehn Jahren durch die Elberfelder Farbenfabriken die
organische Silberverbindung „Protargol“ speziell zur Injektionsbehand-
lung der männlichen Gonorrhöe ‘mit der vortrefflichen Wirkung Ver-
wendung fand, daß !/,°/,, dann 1—2°/, Lösungen dreistündlich ange-
wendet bei fünfminutiger Belassung in der Harnröhre geradezu reizlos
vertragen wurden, mit dem Erfolg, daß die Gonokokken sofort ver-
schwanden und bei regelmäßiger konstanter Durchführung der Injek-
tionen sich mikroskopisch nicht mehr nachweisen liesen, so daß diese
Fälle in vier Wochen geheilt waren, kam mir der Gedanke, das Pro-
targol bei der Zystitis statt des Arg. nitr. anzuwenden. Ich war erstaunt,
wie schnell heftige akute und subakute eitrige Zystitiden nach einer
gründlichen Auswaschung und dahinter Einspritzen einer 30 Gramm
Menge mittels Stempelspritze von 1°, Protargol zur Heilung kamen.
12*
178 Dr. Fisch. Zur Behandlung der Zystitis mit organischen Silberverbindungen.
Ich habe es wiederholt beobachtet, daß Patienten, die seit 8—14 Tagen
unter dem lästigen Urindrang sehr zu leiden hatten, nach einer ein-
maligen!Applikation von einer, oft auch zwei Spritzen (also etwa 60 cem)
Protargol geheilt wurden, indem der Urindrang nach einigen Stunden
ganz aufhörte und der Zustand geheilt war, so daß man bei einer
zweiten Untersuchung nach einigen Tagen bei subjektirem Wohlbefinden
mit dem Katheter ganz klaren Urin bekam, ohne eine Spur des vor
einigen Tagen noch reichlichen Eitersediments mehr zu finden. Bei
anderen war eine zwei bis dreimalige Wiederholung dieser Behandlung
nötig, um zum Ziele zu kommen. Ich habe sogar oft bei dieser ambu-
lanten Zystitisbehandlung die Blase, wo ich keinen Residualharn ver-
mutete, gar nicht erst lange ausgespült, sondern sah nach Ablassung
des trüben Urins mit dem Katheter und sofortiger Injektion von 30
respektive 60 ccm 1°/, auch 2%% Protargollösung in kurzer Zeit Heilung
eintreten. Mengen von 100 g anzuwenden, habe ich nicht für nötig
gehalten, sondern im Laufe der Jahre eigentlich empirisch die 30 Gramm-
spritze als gerade genügend befunden, um nit dieser Menge auf die
Blasenwände durch die Körperbewegungen bei ambulanter Behandlung
einzuwirken. Ein Ablassen der Silberlösung erübrigte sich, indem
durch die Miktion dieselbe nach %/, bis Y/, Stunde wieder abge-geben
wurde.
Aber nicht bloß die mehr akuten ambulanten Fälle, sondern auch
chronische schwere Zystitiden, wo zystoskopisch schwere Gewebsver-
änderungen der Blasenwand nachgewiesen wurden, habe ich klinisch
in derselben Weise täglich behandelt mit vollständigen und verhältnis-
mäßig schnellen Heilerfolgen. Seit etwa vier Jahren habe ich ab-
wechselnd mit Protargol das neu empfohlene Kollargol ganz in der-
selben Weise und mit gleich gutem Erfolge angewendet. Das Kollargol
hat zunächst chemisch den Vorteil, daß es sich sofort mit Wasser zu
einer Lösung anreiben läßt, was bei dem Protargol nicht der Fall ist.
indem letzteres sich durch Aufwerfen des Pulvers auf destilliertes
Wasser erst langsam in einigen Stunden durch Diffusion löst, und zwar
soll dies nur bei kalten Wasser geschehen, weil es sich bei Anwärmen
leicht zersetzt. Das Kollargol ist hinsichtlich der Herstellung der Lösung
in dieser Beziehung indifferenter, weshalb ich es besonders da vorziehe,
wo eine für länger haltende Dauerlösung beabsichtigt ist, ohne Rück-
sicht auf den ber doppelt so hohen Preis.
Ich glaube nun nach meinen jahrelangen Beobachtungen sagen zt
müssen, daß beide genannten Mittel eigentlich gleich gute Resultate
hei der Zystitisbehandlung geben, Wirkungen, die zurückzuführen sind
auf die organische Verbindung des Silbers im Gegensatz zu der viel
zu scharf ätzend und schwerzend wirkenden norranischen Silber-
verbindung des Arg. nitr. Andere organische Silberverbindungen zu
versuchen, lag für mich keine V Ge vor.
Zeitschrift für gynäkologische Urologie
1909 Band 1 Nr. 4
(Aus der Frauenklinik der Universität Tübingen.)
Wiederherstellung des abgequetschten Übergangsteils
der Blase in die Harnröhre.
Von
Hugo Sellheim.
(Mit 19 Textfiguren.)
In der modernen Geburtshilfe sollte mehr und mehr an Stelle der
Überwindung von Geburtshindernissen mit roher Gewalt der Schnitt
treten. Rechtzeitiges Schneiden vermeidet Quetschungen und Zer-
reißungen von Uterus, Scheide, Mastdarm und Harnapparat. Besser
prophylaktische Geburtshilfe als renovierende Gynäkologie!!) Das be-
stätigt der unglückliche Ausgang einer gewaltsamen Zangenentbindung,
der sich durch rechtzeitigen Entbindungsschnitt wohl hätte abwenden
lassen. Das Heilungsproblem war um so interessanter, als sich zu den
schweren somatischen Läsionen der Mutter eine psychische Erkrankung
gesellte, so daß an eine vollständige Wiederherstellung der nach einem
lebenden Kinde verlangenden Mutter nur unter Erhaltung der Fort-
pflanzungsfähigkeit zu denken war, ein Umstand, der bei der Wahl der
Operationsmethode mitsprach.
Die Patientin war 25 Jahre alt, stammte aus gesunder Familie. Brustkind.
Rechtzeitiges Laufenlernen. Auf dem Lande unter günstigen Ernährungsbedingungen
aufgewachsen. Hausarbeit. Mit sieben Jahren Masern. Mit zwölf Jahren Knochen-
eiterung am rechten Unterarm, welche chirurgische Behandlung nötig machte. Mit
16 Jahren Rippenfell- und Herzbeutelentzündung.
Die Periode tritt seit dem zwölften Lebensjahre regelmäßig alle vier Wochen
ein, dauert mit mäßig starkem Blutabgang und geringen Kreuzschmerzen 4—5 Tage.
Vor zwei Jahren Heirat. Vor !/, Jahr am normalen Ende der ersten Schwanger-
schaft nach 36stündigem Kreißen schwere Zangenentbindung. Keine Nar-
kose Kind tot. Dammriß, genäht, geht aber bald wieder auf. Dünner Stuhl
und Blähungen können nicht zurückgehalten werden. Unmöglichkeit des Wasserlassens
seit der Geburt. Die ersten zwölf Tage des Wochenbetts täglich Katheterismus. Seit
dem zwölften Wochenbettstage geht aller Urin spontan durch die Scheide ab.
Im Spätwochenbett machten heftige Erregungszustände die Internierung der
Frau in der psychiatrischen Klinik nötig, von wo sie nach dreiwöchiger Behandlung
der gynäkologischen Klinik überwiesen wurde.
Mittelgröße. Graziler Knochenbau. Gute Entwicklung von Fettpolster und
Muskulatur.
1) cf. Sellheim, Über Indikation und Technik der Zange. Deutsche med.
Wochenschrift 1909, Nr. 13.
Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 13
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Wiederherstellung des abgequetschten Übergangsteils der Blase usw. 181
zirka 1 cm im Durchmesser haltenden Loch in die Scheide. Das Harnröhrenende läßt
sich nur durch starkes Vorziehen mit Häkchen sichtbar machen (Fig. 1). Der einge-
führte Katheter hat nirgends einen sphinkterähnlichen Widerstand zu überwinden. Der
obere Rand dieses Harnröhrenendes grenzt an eine der hinteren unteren Schoßfugen-
fläche aufsitzende Narbe von 2 cm Quer- und ebensoviel Sagittaldurchmesser. Am
hintern Rande dieser Narbe präsentiert sich ein 2 cm im QQuerdurchmesser und 1!/, cm
im Sagittaldurchmesser haltendes Loch der Blase mit einem 3 mm breiten, nach
außen stark umgeworfenen Blasenschleimhautsaum — der Übergang der Blase in den
Blasenhals. Links und rechts ziehen von dem Blasenloch harte narbige Stränge nach
den absteigenden Schambeinästen.
Die Portio vaginalis steht vor und über der Spinallinie und etwas nach
rechts von der medianen Sagittallinie. Der Muttermund ist nach unten gerichtet.
Von der Portio vaginalis sind nur der linke und hintere Teil ihrer Zirkumferenz einiger-
maßen deutlich zu erkennen. Rechts vorn und rechts hinten, sowie links durchsetzen
von tiefen Zervixrissen herrührende Narben die Muttermundslippen, laufen durch
die Scheidengewölbe und setzen sich noch ca. 3—4 cm weit auf die Scheide nach unten
fort. Der Uterushals ist durch diese Risse so weit aufgeschlitzt, daß man deutlich
die Falten des Arbor vitae fühlt.
Der Uterushals ist 3cm lang. An den Hals schließt sich nach oben ein
gänseeigroßer harter gradestehender Uteruskörper. Ligamenta sacro-uterina
und Ligamenta lata sind stark verdickt, gespannt, starr, druckempfindlich. Die
Gebärmutteranhänge sind unter diesen Umständen nicht zu fühlen. Der Uterus-
hals ist ganz unbeweglich.
Der Schambogen ist etwa normal, aber sehr niedrig. Die Distantia tuberum
ossium ischii beträgt 10'/, cm. Die Entfernung vom unteren Schoßfugen-
rand nach der Außenfläche der Steißkreuzbeinverbindung nur 8 cm.
Die Schoßfuge ist 4 cm hoch. Wenn auch eine weitere genaue Austastung
des Beckens wegen der starken Narben in der Scheide und in ihrer Umgebung, sowie
wegen der infiltrierten Parametrien nicht durchzuführen ist, so kann man doch durch
die Kombination der verschiedenen Arten äußerer und innerer Untersuchung (durch
Blase, Scheide, Mastdarm) feststellen, daß der Beckeneingang ziemlich weit ist.
Diagnose: Im Ausgang verengtes Becken mit verhältnis-
mäßig weitem und niedrigem Schambogen. Parametritis.
Kompletter Dammriß. Vollkommene Zerstörung des Über-
gangsteils der Harnröhre zur Blase. Scheidenrisse. Zervix-
risse. Puerperale psychische Alteration.
Zur Wiederherstellung der Defekte an Mastdarm und Harnapparat
waren drei Operationen in Abständen von je !/, Jahr notwendig.
In der ersten Sitzung gelang es, die Verletzung des Harnapparates teil-
weise, den kompletten Dammriß vollständig zu heilen. Die zwei folgen-
den Operationen vollendeten die Reparatur der Läsion am Harnapparat.
Die Wiederherstellung des Dammes und Mastdarmver-
schlusses erfolgt in typischer Weise durch Narbenspaltung, Mastdarm-
naht, Sphinkternaht, Vereinigung der Levatorschenkel, Dammnaht,
Scheidennaht und heilte per primam intentionem.
Die Operation an den Harnorganen bot größere Schwierig-
keiten und ist wegen der Seltenheit solcher Vorkommnisse ausführ-
licherer Mitteilung wert.
Einige Zeichnungen erleichtern das Verständnis und kürzen die
Beschreibung.
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186 Hugo Sellheim.
(Fig. 10 und 11) und durch drei versenkte feine Nähte unter
Kontrolle des eingeführten Katheters um das hintere Ende
der Urethra so stark zusammenzuziehen, daß dort ein ela-
stischer, mit dünnem Katheter leicht zu überwindender
Widerstand geschaffen wurde (Fig. 11, 12 und 18). Über dieser
„Sphinkternaht“ wurde die Scheidenschleimhaut quer vereinigt. Das
Resultat der zweiten Operation war ein dicker Querwulst am
hinteren Harnröhrenende, der für den eindringenden Katheter
einenbleibendenelastischen, aberleicht überwindbaren Wider-
stand darstellte (Fig. 13).
Fig. 11. Fig. 12.
Figur 10. Die in Fig. 9 angelegte Wunde ist seitlich bis ins Muskelgewebe vertieft
und in sagittaler Richtung auseinandergezogen.
Figur 11. Die in den seitlichen Wundwinkeln freigelegten muskulösen Elemente
wurden durch 3 Knopfnähte zu einem Sphinkter über dem hinteren Ende der Ham-
röhre quer zusammengezogen.
Figur 12. Die in den seitlichen Wundwinkeln freigelegten muskulösen Elemente sind
durch 3 Knopfnähte zu einem Sphinkter über dem hinteren Ende der Harnröhre zu-
sammengezogen. Schluß der Wunde in querer Richtung.
Die durch die zweite Operation erzielte Verbesserung läßt einen
Vergleich der Fig. 13 mit Fig. 7 und 8 erkennen. Jetzt war für einen
Verschlußapparat der Harnröhre gesorgt und für die weitere Anfrischung
Wiederherstellung des abgequetschten Übergangsteils der Blase usw. 187
an dem heikelsten Punkte, am hinteren Harnröhrenende, reichlich brauch-
bares Gewebe zusammengedrängt.
Die dritte Operation erstrebte einen definitiven Verschluß
der Fistel. Gleichzeitig sollte der Verschlußapparat noch ver-
stärkt werden. Die Schwierigkeit lag in der Beschaffung geeigneten
Materials zur Deckung des Defektes. Nach der insbesondere auf
die Erfahrung bei der ersten Operation gegründeten Berechnung er-
schien es unmöglich, durch Gewebsspaltung und Verschiebung allein,
selbst unter Zuhilfenahme größter Entspannungsschnitte, aus der starren,
vielfach mit Narben durchsetzten, am Knochen fixierten und stark ver-
kürzten Vagina den Defekt ohne Spannung zu decken. Den Uterus
durfte man nicht zur Ausfüllung der Lücke benutzen, weil sehr viel
auf die Erhaltung der Fortpflanzungsfähigkeit ankam. Die Kombination
von Gewebsspaltung, Verschiebung, Einstülpung von Scheiden-
schleimhaut in die Blase mit Lappenplastik versprach Erfolg.
N Fig. 14.
Figur13. Querwulst am hinteren Harnröhrenende, der für den eindringenden Katheter
einen elastischen Widerstand bildet, als Resultat der zweiten Operation.
1. Wiederhergestellter Sphinkter.
Figur 14. Anfrischung für die dritte Operation, den definitiven Verschluß der Fistel.
Die ausgezogene Partie der Anfrischungslinie liegt im Bereich des durch die zweite
Operation gebildeten Querwulstes; die quere Zusammenziehung der hier entstehenden
Wunde durch zwei versenkte Nähte vernäht den Sphinkter. Umschneidung der Fistel
in !/; cm nach außen von der Blasen- und Scheidenschleimhautgrenze.
Der Sphinkter konnte dadurch verstärkt werden, daß der durch
die zweite Operation gebildete Querwulst am hinteren Harnröhrenende
durch einen kurzen Querschnitt angefrischt und die so entstandene
Wunde in querer Richtung zusammengezogen wurde, wobei zwei
Nähte als „Verstärkungsnaht des Sphinkter“ versenkt wurden.
Fig. 14 zeigt die Schnittrichtung, Fig. 15 die vollendete Sphinkter-
verstärkungsnaht. Die Enden dieses Querschnittes am vorderen Rande
der Fistel liefen links und rechts um die Fistel herum und hinter
der Fistel zusammen. Um wenigstens das Loch in der Blasenschleim-
188 Hugo Sellheim.
haut aus lokal vorhandenem Gewebe ohne Spannung schließen zu
können, wurde die Umschneidung der Fistel nicht hart an
der Grenze von Blasen- und Scheidenschleimhaut, sondern
ringsum ca. !, cm nach außen von dieser Grenze vorge-
nommen. Der zentrale Wundrand wurde frei präpariert und dann
weiterhin die mit dem !/, cm breiten Streifen Scheidenwand ringsum
umsäumte Blasenwand von der übrigen Vaginalwand abgespalten. Durch
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Fig. 15. Fig. 16.
Figur 15. Verstärkungsnähte des Sphinkters im vorderen Wundwinkel geknotet, die
medialen Wundränder sind durch Lappenspaltung frei präpariert, eingestülpt und mit
Quernähten versehen.
Figur 16. Durch die Anleihe an die Scheidenschleimhaut ist es gelungen, die Kon-
tinuität der Blasenwand wiederherzustellen. Entspannungsschnitte. Andeutung des
Lappens, der in den Scheidendefekt gedreht werden soll. ca. °/, nat. Gr.
diese Anleihe an die Scheidenschleimhaut gewann man einen
genügend großen Wundrand, der, mit der mit Epithel bekleideten Fläche
in das Blasenloch gestülpt, den Defekt vollständig ausfüllte und ohne
Wiederherstellung des abgequetschten Übergangsteils der Blase usw. 189
alle Spannung in sagittaler Richtung vereinigt werden konnte. Fig. 15
zeigt den abgespaltenen Rand nach der Einstülpung in das Blasenloch,
Fig. 16 die fertige Naht und Fig. 18 den Verbleib der Anleihe an
Scheidenschleimhaut in der neugebildeten Blasenwand.
Die Scheidenwand über der wiederhergestellten Blasenwand ohne
weiteres zu schließen, erschien auch nach zwei starken Entspannungs-
schnitten (Fig. 16) unmöglich. Es blieb ein talergroßer Defekt in der
starren Scheidenwand, der durch einen großen gestielten, aus Scheide
und Vulva entnommenen Lappen gedeckt wurde. Den Lappen
umschnitt ich gut fünfmarkstückgroß (Fig. 16) und den Schnitt vertiefte
ich unter Kontrolle vom Rektum aus bis in die Muskulatur des Becken-
bodens. Der Lappen wurde unter Mitnahme von Teilen des Diaphragma
Figur 17. Gestielter, aus Scheide und Vulva genommener Lappen in den Scheiden-
defekt gedreht und dort festgeheftet. Wundbett, aus dem der Lappen entnommen, quer
zusammengezogen. ca. °/, nat. Gr.
pelvis bis auf den Mastdarm abgelöst, nach exakter Blutstillung in den
Defekt gedreht und dort mit feinen Nähten angeheftet (Fig. 17). Die
durch die Lappenbildung entstandene Wunde zog ich durch einige
Knopfnähte zusammen. Den angehefteten Tappen drückte ein Gaze-
tampon von der Scheide aus leicht gegen die Blasenwand an.
Die Wunden sind unter Anwendung eines Dauerkatheters voll-
kommen geheilt. Der Defekt ist geschlossen. Der Schließmuskel
funktioniert ausgezeichnet. Trotz der großen Schwierigkeiten,
welche die Versorgung der außergewöhnlich starken Geburtsverletzungen
an Mastdarm und Harnapparat verursachten, ist es gelungen, der Frau
die Fortpflanzungsmöglichkeit zu erhalten. Fig. 18 gibt einen
Überblick über das mit den drei Operationen erreichte Resultat.
1. Bezeichnet den Effekt der ersten Operation, die Ein-
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192 Hugo Sellheim. Wiederherstellung des abgequetschten Übergangsteils usw.
Fall annehmen, daß falsch, erst zu früh nach vorne (Quetschung des
Harnapparates) und dann zu lang nach unten (kompletter Damnriß)
gezogen wurde. Es ist aber auch ganz gut denkbar, daß bei der vor-
liegenden ungünstigen Größe und Gestalt des Beckenausganges jedes
Erzwingen der Geburt, auch mit Einhalten vorschriftsmäßiger Zug-
richtungen, das Unheil hätte herbeiführen können. Ob mit einem großen
Scheidendammschnitt das Unglück abgewendet worden wäre, oder ob
nur die Umgehung des Beckens durch den Kaiserschnitt Kind und
Mutter wohlbehalten voneinander zu trennen vermocht hätte, läßt sich
ohne genauere Geburtsnotizen nachträglich nicht entscheiden.
Für eine spätere Entbindung bleibt schon wegen der Gefährdung
der mühselig wiederhergestellten Verschlußapparate an den Harn-
organen und dem Mastdarm nichts anderes übrig als der Kaiserschnitt.
Die Operation großer fixierter Blasenscheidenfisteln
nach Trendelenburg.
Von
C. Everke, Bochum.
Wir alle haben die Erfahrung gemacht, daß die Blasenscheiden-
fisteln seltener werden, und zwar ist dies zu danken sowohl der ver-
besserten Ausbildung der praktischen Ärzte in der Geburtshilfe, als auch
dem Umstande, daß infolge unserer verbesserten Verkehrsverhältnisse
unsere Frauen zeitig in ein Krankenhaus oder in eine Klinik geschafft
werden können. Man kann sagen: gottlob sehen wir solche unglückliche
Frauen seltener, denn in vielen Fällen gelang uns früher eine operative
Heilung nicht, und wenn eine Fistel nach 8—10 Tagen wieder aufging,
so war das natürlich für Patientin und Operateur sehr deprimierend.
Allerdings haben die Fortschritte der Technik im Laufe der Jahre
es uns möglich gemacht, durch geeignete, energische Anfrischung und
Naht von der Scheide aus, die Fistel zu schließen, wenn dieselbe nicht
allzu groß ist, und wenn die Blase noch nicht stark am Beckenknochen
fixiert ist.
Ich habe bei einer großen Anzahl von Fisteloperationen während
der 22 Jahre meiner Praxis (zirka 3—5 im Jahr) durch energische An-
frischung, d. h. auch der Blasenschleimhaut und durch geeignete Naht
alle Fisteln bis auf zwei geheilt. Ich vernähe dieselben in der Weise,
daß ich die Schleimhaut für sich nähe durch Katgutfäden, die nach der
Blase zu geknotet werden; eine zweite Reihe von Fäden wird nach der
Scheide zu geknotet. Selbst eine zirka Dreimarkstück große Fistel konnte
ich nach Entfernung eines taubeneigroßen Blasensteines und gründlicher
Desinfektion der Blase und energischer Anfrischung nach obiger Methode
in einer Sitzung heilen.
Viel ungünstiger und schwieriger liegen die Verhältnisse, wenn bei
großen Fisteln die Blase fixiert ist. In solchen Fällen kommt man mit
obiger einfacher Methode nicht aus, und zur Heilung solcher scheinbar
inoperabeler Fälle sind vielfach verstümmelnde Operationen (Opferung
des Uterus, Scheidenverschluß usw.) angewandt und empfohlen worden,
um solche arme Frauen wenigstens arbeitsfähig zu machen und sie von
dem für sie selbst und für ihre Umgebung unerträglichen Zustande zu
befreien.
Nachdem Trendelenburg seine Beckenhochlagerung eingeführt hat,
konnte er als neues Verfahren zur Heilung dieser Fisteln die endovesikale
194 C. Everke.
Methode empfehlen, welchen in solchen schwersten Fällen von ihm selbst,
Bumm, Madelin, Fritsch, Mechill mit Erfolg angewandt wurde. Das
Verfahren besteht ja darin, daß in steiler Beckenhochlagerung die Blase
von oben extraperitoneal durch Querschnitt geöffnet wird. Die gut zu
übersehende Fistel wird angefrischt, vernäht; die obere Blasenwunde
wird dann wieder verschlossen.
Ich habe dreimal auf diese Weise Fisteln operiert und davon zwei
schön geheilt, bei denen die vaginalen Methoden sich bei andern und
bei mir als unausführbar erwiesen hatten; im ersten Falle war sogar
schon von anderer Seite die Kolpokleisis gemacht worden. In Anbetracht
der Seltenheit der Fälle will ich dieselben hier kurz anführen:
Frau Sch. (J. Nr. 364, 91; 373, 97.) war in Ostpreußen von der Hebamme ent-
bunden und bekam im Anschluß daran eine Blasenscheidenfistel. Sie wurde in der
Königsberger Klinik dreimal erfolglos operiert, deshalb wurde ihr dort die Kolpokleisis
gemacht. Sie kam zu mir mit kleiner Fistel im Scheidenabschluß; diese schloß ich
ibr am 20. VI. 1891. Die Frau hatte aber stets noch Blasenbeschwerden (Urindrang,
Abgang kleiner Steinchen usw.) Da mir mittlerweile die Trendelenburgsche
Operation bekannt geworden war, beschloß ich zu versuchen, der Frau wieder normale
Verhältnisse im Unterleib zu schaffen. Am 2. VI. 1897 spaltete ich den Scheiden-
verschluß und konstatierte neben einem hühnereigroßen Adnextumor eine große Blasen-
scheidenfistel.
Am 4. VI. in steiler Beckenhochlagerung Sectio alta nach Trendelenburg, Quer-
schnitt der Blase. Man kann die Blase gut überblicken und sieht eine zwischen beiden
Ureteren beginnende Fistel, welche, 5 cm breit, nach hinten oben geht. Schwierige An-
frischung der Fistel und Naht endovesikal mit Seide. Schluß der oberen Blasenwunde
nach Lembert, durch die Urethra wird ein Verweilkatheter gelegt. Glatte Heilung.
Am 21. VII. stellt sich Patientin vor; kann gut Urin halten, ist immer trocken, mit
dem Katheter fühle ich in der Blase Inkrustationen und entferne mit der Kornzange durch
die Urethra sechs inkrustierte Fäden. Bei Blasenfüllung floß nichts durch die Scheide ab.
Nachdem ich am 28. VII., also fast zwei Monate nach der Operation noch zwei Fäden
ebenso entfernt hatte, hat sich Patientin nicht wieder sehen lassen. Es werden wohl
alle Fäden abgegangen sein und damit auch die Beschwerden verschwunden sein.
Frau Üb. (J. Nr. 577,07; 420, 08). Bei dieser Frau war bei der zweiten Geburt
schwere Wendung und Extraktion gemacht. Im Anschluß hieran entstand eine große
Blasenscheidenfistel und Puerperalfieber, weshalb die Frau mehrere Monate in der
Universitätsklinik gelegen hat. Ein großer Nierenabszeß wurde dort durch Inzision
geheilt. Die Frau kam am 7. X. 1907 zu uns; die Fistel war zirka Fünfmarkstückgrob,
vordere Muttermundslippe fehlte. Am 10. X. 1907 Versuch, die Fistel von der Vagina
aus zu schließen, mißlingt wegen Größe der Fistel und Fixation der Blase. Deshalb
sofort Trendelenburgsche Beckenhochlagerung, Laparotomie durch Querschnitt ober-
halb der Symphyse, Eröffnung der Blase, die rechts fest fixiert ist, durch Längsschnitt,
Erweiterung des Blasenschnittes, Anfrischung der Fistel bis unten hin, Naht dieser
großen Blasenwunde von unten herauf mit zirka 40 endovesikalen Seidenfüden-
Lembertsche Naht der Blase, Ventrofixatio uteri; der Uterus wird über die peritoneale
Blasenwunde gelegt, Dränage nach vorn, Naht des Scheidenschnittes durch vaginale
Fäden von der Vagina aus, Verweilkatheter, glatte Heilung; nur eine zirka stecknadel-
kopfgroße Fistel bleibt. Patientin wird vorläufig entlassen; es bilden sich aber bald
Blasenkonkremente, die immer lästiger werden; Urindrang und Schmerzen in der
Blase. Deshalb kommt Patientin am 25. VII. 1908 wieder, Katheter kann nicht in die
Blase kommen, da sie ganz mit Konkrementen gefüllt ist. In der vorderen Scheidenwand
ist eine kleine linsengroße Fistel. Zur Heilung mußten die zahlreichen Blasensteine
entfernt und die Fistel mußte geschlossen werden; bei der großen Menge der zurück-
gelassenen Seidenfäden schien uns der Weg durch die Urethra unzulänglich. Darum
Die Operation großer fixierter Blasenscheidenfisteln nach Trendelenburg. 195
am 25. VII. 1908 Beckenhochlagerung. Extraperitonealer Längsschnitt. Ein Querschnitt
eröffnet die Blase. Entleerung etwa einer Tasse voll von Steinen, die teilweise wallnuß-
groß sind, und einer ganzen Anzahl Seidenfäden mit der Kornzange unter Leitung des
Fingers. Von oben war die kleine Fistel nicht zugänglich, da sie tief unten an der
Urethra lag. Schluß der oberen Wunde, Verweilkatheter nach oben. Die Frau wird
in Steinschnittlage gebracht; Schuchartscher Scheidenschnitt links, Anfrischung der
linsengroßen Fistel von der Scheide aus und Naht derselben. Verweilkatheter durch die
Urethra. Glatte Heilung. Oberer Verweilkatheter wird nach einigen Tagen entfernt, der
urethrale nach zirka 14 Tagen. Patientin wird nach zirka 4 Wochen geheilt entlassen
mit gut funktionierender Blase. Wie sie mir eben mitteilt, geht es ihr sehr gut; sie
kann den Urin schon eine Stunde lang halten, der Urin kommt in Strahl ohne Schmerz,
sie hat absolut keine Beschwerden mehr, auch der Uterus funktioniert normal. Ende
Dezember schreibt sie ganz glücklich über ihre Heilung. Blase und Genitalien funk-
tionieren nun gut.
Die Konkremente hatten sich um die Seidenfäden gebildet; in den Konkrementen
sieht man noch die Seidenknoten.
Ich besitze einen großen Blasenstein, der von einer Patientin stammt, bei der
die Geburt wegen Eklampsie mit Zange nach Dührssenschen Inzisionen gut beendet
war. Ein tiefer Zervixriß wurde ein Jahr später von meinem Assistenten mit Seide
vernäht. In der Rekonvaleszenz schwere Zystitis; zwei Jahre später zeigte sich als
Ursache der andauernden Blasenbeschwerden ein fast apfelgroßer Blasenstein. Diesen
Stein entfernte ich durch Sectio vesicovaginalis mit gutem Erfolg; auch im Innern
dieses Steines sieht man einen Seidenfaden. Es ist also wohl sicher anzunehmen, daß
ein tiefliegender Seidenfaden in die Blase wanderte und den Ansatzpunkt für den großen
Stein abgab und fördernd für die Zystitis war.
Die Seidenfäden sind bekanntlich Fremdkörper in der Blase, und deshalb warnt
schon Trendelenburg vor der Anwendung von Seide bei endovesikaler Naht und emp-
fiehlt statt dessen Katgut. Obwohl mir das bekannt war, und obwohl wir Katgut mit
bestem Erfolge zum Versenken in der Bauchhöhle und zur Bauchnaht ausnahmslos seit
vielen Jahren gebrauchen, so wagte ich doch bei der Schwere der Fälle hier nur Seide
zu gebrauchen. Ich sagte mir, die Hauptsache ist, wenn ich die große Fistel schließe;
die Steine kann ich durch Nachoperation beseitigen; für die Naht solcher Fisteln war
mir doch Katgut nicht zuverlässig genug.
In einem dritten Falle waren wir nicht so glücklich; diese Patientin ging infolge
von Kompression beider Ureteren durch die Nähte zugrunde.
Frau E. (J. Nr. 650, 03.) hatte nach schwerem Forzeps eine Blasenscheidenfistel
akquiriert. Nachdem bereits von anderer Seite vergeblich von unten her operiert war,
kam sie zu uns mit fünfmarkstückgroßer Fistel; Blase fest adhärent an der Becken-
wand. Fistel von unten nicht erreichbar.
9. X. 03. Laparotomie. Schwera Lösung der Blasenverwachsungen. Inzision
der Blase; Fistel von Fünfmarkstückgröße sitzt tief im Grunde der Blase. Schwere
Anfrischung der Fistel in der Tiefe und quere Vereinigung derselben (8 Fäden). Naht
der Blase. Dränage nach vorn. Verweilkatheter.
Anurie. Deshalb am 11. X. Lap. sec. — Beide Ureteren daumenballen-, resp.
fingerdick prall gedehnt, sind in der Fistelwunde abgebunden. Durchschneiden und
Implantation beider Ureteren in der Blase. — Dränage nach vorn (Mikulicz). — In
die Bauchhöhle kam viel Urin beim Durchschneiden der prall gefüllten Ureteren. Zu-
nehmender Kollaps und abends Exitus letalis.
Ich glaube, daß auch diese Fälle beweisen, daß sich zur Heilung
auch der größten und schweren Fisteln die verstümmelnden Operationen
immer mehr werden vermeiden lassen.
Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 14
(Aus der chirurgischen Klinik zu Pisa [Italien]. Direktor: Prof. A. Ceci.)
Harnblasenovarialfistel durch die Zystoskopie diagnostiziert.
Von
Prof. Dr. Rinaldo Cassanello, I. Assistenzarzt der Klinik.
(Mit 1 Tafel und 1 Textfigur.)
In den letzten Tagen des Juni vergangenen Jahres wurde ich von
Herrn Prof. Ceci gebeten, an Frau A. A., 44 Jahre alt, verheiratet, ge-
boren in Gibraltar und wohnhaft in Livorno, die Zystoskopie vorzunehmen
und nötigenfalls die Ureterenkatheter einzulegen und die Urine ge-
sondert aufzufangen. Die Krankengeschichte der Patientin war folgende:
Patientin menstruierte zum ersten Male mit 11 Jahren, die Menstruationen
waren stets regelmäßig bis zu dem ersten Partus. Sie heiratete mit 21 Jahren und
machte vier normale Schwangerschaften durch; die Kinder sind lebend und gesund.
Den letzten Partus machte sie im Jahre 1893 durch. Nach dem dritten Partus hatte
Patientin eine Puerperalinfektion. Sie dauerte etwa zwei Monate. Patientin genas,
doch blieben starke Störungen der Menstruation zurück. (Menorrhagie, Dysmenorrhöe.
Leukorrhöe.) Während der ganzen letzten Schwangerschaft trat die Menstruation
regelmäßig ein. Im Jahre 1894 wurde eine Curettage gemacht. Es ging ihr zwei
Jahre hindurch gut, dann begannen aufs neue die Menorrhagien, Schmerzen, Leukor-
rhöen. Man schickte sie sechs Jahre hintereinander zur Kur nach Salsomaggiore.
und es schien, daß sie gewissen Vorteil davon hätte, so daß sie in den letzten Jahren
die Kur als überflüssig aufgab.
Im Jahre 1900 konstatierte Patientin plötzlich ein starkes Sediment im Urin,
häufigen Harndrang, Dysurie. Sie machte eine Balsamkur und behauptete zunächst.
dadurch geheilt worden zu sein. Vor zwei Jahren konstatierte sie dann eine wahre
Pyurie, die intermittierend auftrat, derart, daß klare Urine mit sehr stark getrübten
abwechselten. Gleichzeitig spürte sie Schmerzen, die von der rechten Seite nach der
Schulter ausstrahlten und ihr auch das Gefühl verursachten, als ob der Arm steif
würde. Die Schmerzen waren so stark, daß Patientin gezwungen war, 3 bis 4 Tage
das Bett zu hüten. Während dieser Schmerzanfälle, die sich oft in den letzten zwei
Jahren wiederholten, hatte sie bisweilen eine leichte Temperatursteigerung. Im April
vergangenen Jahres hatte sie eine starke Hämaturie; das mit dem Urin entleerte
Blut war rot, fleckig, zum Teil auch flüssig, zum andern Teil wieder koaguliert. Entleert
wurde mehr als ein halbes Nachtgeschirr voll. Die Hämaturie, wenn auch nicht in
solcher Stärke, wiederholte sich später 10 bis 12 mal.
In der synthetischen Krankengeschichte dieser Patientin scheinen
zwei Krankheitsperioden recht scharf getrennt sich abzuheben: eine
erste genitale Periode, die mit der Puerperalinfektion nach dem
dritten Partus begonnen und wie es scheint bis zum Jahre 1900 ge
dauert hat. Dann eine zweite Periode, die dem Anscheine nach absolut
nur die Harnorgane betraf und einsetzte, als der genitale Prozeb
Harnblasenovarialfistel durch die Zystoskopie diagnostiziert. 197
aufhörte. Dieser erste Prozeß hing sicher von einer Infektion des
Endometriums und einer Entzündung der Adnexe ab, die sich beide
erheblich besserten, die erste infolge einer Curettage, die zweite infolge
der Jodsalzkur in Salsomaggiore. Was den Prozeß im Bereiche des
Harnapparates betrifft, so schien es sich anfangs um einen einfachen
Blasenkatarrh zu handeln; so dachten die Ärzte, die eine Balsamkur
offenbar mit gutem Erfolg verordneten. Im letzten Moment kommt
plötzlich und in ausgesprochenster Weise ein Symptomenkomplex hinzu,
der scheinbar vollkommen von der rechten Niere abhängt: Kolikanfälle
in der Seite, von größter Heftigkeit; Pyurie, die hartnäckig fortdauert
und sich durch intermittierenden Charakter auszeichnet; ferner Häma-
turien, die selbst der sorgfältigsten Kur nicht weichen.
Von der Mehrzahl der zahlreichen Ärzte, welche die Patientin unter-
suchten und behandelten, wurde die Möglichkeit einer Pyelonephritis
purulenta angenommen, mit Steinen oder auch ohne solche, und mit
intermittierenden Retentionserscheinungen. Einige neigten infolge der
Blutungen, die charakteristische Blasenblutungen schienen, auch zur
Annahme einer Affektion der Blase. Bei zahlreichen Harnanalysen
waren stets reichliche Schleim- und Eiterkörperchen gefunden, oft auch
Blutelemente, Blasenzellen, niemals aber mit Sicherheit Nierenbecken-
oder Nierenelemente; ebenso niemals neoplastische Elemente oder Tuberkel-
bazillen. DBlasensteine waren mit Leichtigkeit auszuschließen. Unter
diesen Umständen schien die Möglichkeit einer präzisen Diagnose aus-
geschlossen.
Als Prof. Ceci Patientin untersuchte, fand er, daß die Patientin,
eine recht kräftige Frau, sich mehr als je über Schmerzen in der rechten
Seite und Beschwerden beim Urinieren beklagte.
Bei der Inspektion des Abdomens fand sich keine Anormalität. Bei der Palpation
in der Regio hypochondriaca iliaca dextra wurde lebhafte Schmerzempfindlichkeit mit
energischer Muskelabwehrreaktion konstatiert; dieselben Erscheinungen fanden sich
bei der Palpation der Lumbalregion. So viel man auch versuchte, mit der Hand unter
dem Rippenbogen in die Tiefe zu dringen, das sichere Gefühl, die Niere zu palpieren,
hatte man doch nicht. Es ist zu bemerken, daß diese Untersuchung sehr schlecht
auszuführen war, weil Patientin außer sehr starken dicken Bauchdecken eine besondere
Konstitution des Skeletts hatte, derart, daß der Rippenbogen so nahe aın Beckenrande
stand, daß zwischen der letzten Rippe und dem Beckenrande nur ein Zwischenraum
von wenigen Zentimetern blieb. Diese Sachlage erschwerte nicht nur sehr die Unter-
suchung der Lumbalregion und der Regio hypochondriaca, sondern bewirkte auch, daß
man bei der Palpation der letzteren, z. B. auch die Aa. colica und iliaca komprimierte.
Bei der Perkussion konnte man keine klaren Anzeichen für die Anwesenheit eines
Tumors im Abdomen finden.
Bei der kombinierten Vaginaluntersuchung fühlte man die Zervix und das Corpus
uteri vergrößert, wenig beweglich, schmerzhaft; die Adnexe gleichfalls vergrößert, un-
beweglich und empfindlich, besonders die rechten.
Die Untersuchung der Blase mit einer gewöhnlichen, metallischen Guyonschen
Sonde ließ bis auf geringe Schmerzempfindlichkeit nichts Abnormes in der Wand
oder dem Blaseninnern erkennen. Die Kapazität der Blase betrug 150—200 cem,
ferner war häufiges Urinieren, bisweilen mit Schmerz verbunden, vorhanden.
Die oft wiederholte Urinuntersuchung gab folgendes Resultat:
14*
198 Rinaldo Cassanello.
Urinmenge in 24 Stunden 1800 —2000 cbem. Der Urin ist von gelbweißlicher
Farbe mit Sediment. Dieses ist bisweilen sehr reichlich, ein andermal wieder gering.
Gelegentlich fanden sich deutliche Spuren von Blut. Spezifisches Gewicht des Urins
1021, Reaktion sauer, Harnstoff 14—16°/,„ Eiweiß 1 Blo Zucker nicht vorhanden.
Bei der mikroskopischen Untersuchung finden sich zahlreiche Schleim- und Eiter-
körperchen, Blutkörperchen, Blasenepithelzellen, dagegen keine Kristalle von Ammonium
triplophosphaten; es finden sich ferner Kokken und Bakterien, jedoch sicher keine
Tuberkelbazillen (auch bei Kontrolle durch Impfung von Meerschweinchen nicht);
ebensowenig neoplastische Elemente.
Auf Grund dieser Symptomatologie, dieses objektiven Befundes und
des Resultates der Urinuntersuchung, waren auch wir in gewissen
Maße gezwungen, eine reine Affektion der Harnwege anzunehmen.
Nachdem die Annahme eines Nierentumors ausgeschlossen war, gegen
den die lange Dauer des Leidens sprach, zugleich mit dem Fehlen einer
sicheren Vergrößerung der Niere und dem Fehlen jeglicher Kachexie
der Patientin, beschränkte sich die Differentialdiagnose auf die An-
nahme einer Pyelonephritis purulenta mit Nierensteinen, oder
einer Nierentuberkulose. Gegen die letzte Annahme sprach der
absolut negative Befund der Harmuntersuchung und das vollständige
Fehlen erblicher Belastung, die Anamnese und der durchaus nicht
tuberkulöse Habitus der Patientin. Die Hämaturien waren durchaus
durch eine Pyelonephritis mit Bildung von Steinen zu erklären, und
das Intermittieren der Pyurie unterstützte sehr diese Annahme, inden
man den Vorgang sich so erklärte, daß von Zeit zu Zeit aus der rechten
Niere sich kein Harn entleeren könnte wegen Verschlusses durch einen
Schleim- und Eiterpfropf oder durch kleine Steine, deren Abgang der
Beobachtung der Patientin entging. Diese Annahme schien um so be-
rechtigter, als mit jeder reichlichen Eiterentleerung auch eine Ver-
mehrung der Urinmenge zusammenfiel.
Als ich zum ersten Male die Zystoskopie unternahm, suchte ich zunächst
über die Beschaffenheit der Blasenwand Klarheit zu erhalten. Die Schleimhaut zeigte
nur leichte Zeichen von Hyperämie, nichts Genaues konnte ich jedoch hinsichtlich des
Urins feststellen, der aus den Ureterenmündungen ausfloß. Der Blaseninhalt war
sehr trübe und ließ sich nicht klar spülen. Infolgedessen blieb das Gesichtsfeld un-
durchsichtig.
Sofort darauf nahm ich die endovesikale Trennung des Urins vor mit dem
Separator von Luys; die in einer halben Stunde aufgefangenen Urinmengen er-
gaben folgendes bemerkenswerte Resultat: der rechtsseitige Harn enthielt Eiterflocken,
während der Urin der linken Seite vollkommen klar war. Die chemische und mikro-
skopische Untersuchung ergab die Anwesenheit von Eiterkörperchen, in reichlichster
Menge und ebenso das Vorhandensein von Eiweiß in dem Harn der rechten Seite.
Die Diagnose einer rechtsseitigen Pyelonephritis wurde
nach diesem Ergebnis der endovesikalen Scheidung der Urine
immer wahrscheinlicher. Jedoch, da ich von dieser ersten zysto-
skopischen Untersuchung nicht vollkommen befriedigt war, bat ich die
Patientin zu einer zweiten Untersuchung wiederzukommen und womöglich
zu einer Zeit, in der der Urin weniger getrübt war.
In der Tat gelang mir die zweite Untersuchung besser, da der Blaseninhalt
klarer war. Die Schleimhaut war fast in ihrer ganzen Ausdehnung normal. Die
Harnblasenovarialfistel durch die Zystoskopie diagnostiziert. 199
linke Uretermündung war vollkommen normal; die Kontraktion des Ureters regelmäßig,
der austretende Urin klar. Der rechte Ureter kam mir weniger deutlich zu Gesicht;
eine ziemlich dichte Wolke, die sich um ihn herum bei jeder Bewegung des Zysto-
skops erhob, verhinderte eine klare, genaue Besichtigung. Ich sah undeutlich einen
kleinen Spalt, der seiner Lage nach die rechte Ureterenmündung sein mußte. Bei
noch genauerer Beobachtung, und besserer Einstellung des Zystoskops, entdeckte ich
einen kleinen Tumor, von gelbrötlicher Farbe, der durch einen medianen Spalt in
zwei Teile gespalten schien und wie ein Fleischknopf aussah, der aus einer kreis-
förmigen Öffnung in der Blasenwand herauszukommen schien. In der nächsten Um-
gebung war die Mukosa der Blase entzündet, und zeigte sich stark gerötet (s. Fig. la).
Die Deutung des Falles wurde durch diesen Befund zunächst
komplizierter. Stellte dieser kleine Tumor ein gestieltes Papillom dar,
ganz in der Nähe der rechten Ureterenmündung, oder war der Spalt,
den ich für die Ureterenmündung hielt, es in Wirklichkeit nicht, sondern
war vielleicht jene kreisförmige Öffnung, aus der der kleine Tumor
hervorkam, die Ureterenmündung? Hatten wir es also mit einer Kom-
bination von zwei verschiedenen pathologischen Prozessen zu tun,
eines Blasentumors und einer pyelorenalen Affektion, weil doch der
Eitergehalt des Urins aus der rechten Niere stammte, wie es die endo-
vesikale Urinscheidung ergeben hatte? Oder kam der kleine Tumor
tatsächlich aus der Uretermündung hervor und war er nur das Produkt
einer entzündlich ödematösen Schwellung, hervorgerufen durch den
fortwährenden Reiz, den der Eiter beim Passieren ausübte? Um die
Frage zu lösen, mußte mit Sicherheit festgestellt werden, welches die
Ureterenmündung war, und das war nicht leicht. Wer sich mit Zysto-
skopie und dem Katheterisieren der Ureteren beschäftigt, weiß, wie
schwer es bisweilen auch unter normalen Verhältnissen ist, die Ureteren-
mündungen zu erkennen; in diesem Falle waren die Schwierigkeiten
wegen der Trübung des Blaseninhaltes besonders groß. Ich verzichtete
deshalb auf den Ureterkatheterismus und machte eine Injektion von
Methylenblau.
Dabei überzeugte ich mich, daß der Tumor von der Uretermündung unabhängig
war. Diese war tatsächlich jener Spalt, der an der typischen Stelle lag, und der
Tumor lag rechts und etwas oben von ihr. Es handelte sich also anscheinend um
einen Polypen. Während ich fortfuhr, aufmerksam die rechte Ureterenmündung zu be-
obachten, wurde ein starker Druck ausgeübt, der eigentlich nur die Regio hypochon-
driaca betreffen sollte, aber bei dem besonderen Bau der Patientin auch die Regio
iliaca dextra betraf. In diesem Augenblick sah ich deutlich einen langgezogenen,
zylindrischen Eiterpfropf heraustreten, von weißgelblicher Farbe und ziemlich harter
Konsistenz, eine Art von dickem, gedrehten Faden; jedoch sah ich genau, daß er nicht
aus der Uretermündung heraustrat, sondern zwischen dem Tumor und jener Art von
kreisförmiger Öffnung, die diesen umgab. Ich erinnerte mich jetzt der langdauernden
genitalen Erkrankung der Patientin, der Puerperalinfektion, der nachfolgenden Ent-
zündung des Endometriums und der Adnexe, ferner der Tatsache, daß diese Er-
scheinungen aufgehört hatten, als die Symptome von seiten des Harnapparates ange-
fangen hatten, und ich dachte daran, daß es sich um einen Ovarialtumor
oder um eine Salpingitis handeln könnte, mit Durchbruch nach der Blase,
infolge von Verwachsungen. Sofort ging ich zur Untersuchung der Genitalorgane
über, und unsere Annahme wurde zur Tatsache.
Als ich nämlich mit größter Aufmerksamkeit und Genauigkeit die inneren Genital-
200 Rinaldo Cassanello.
organe untersuchte, fühlte ich links die Adnexe, Tube und Ovarium vergrößert, emp-
findlich, ziemlich unbeweglich und ein wenig nach dem Douglasschen Raum disloziert.
Rechts waren die Adnexe noch größer, sie bildeten eine eiförmige Masse von der
Größe eines kleinen Hühnereies, von straff elastischer Konsistenz, empfindlich, auf der
einen Seite am rechten Rande des vergrößerten anteflektierten Uterus adhärent, auf
der andern Seite der Harnblase aufliegend.. Wenn man von der Regio iliaca aus
auf diesen Tumor drückte, sah man mit dem Zystoskop wiederum Eiter
an der beschriebenen Stelle austreten. Übrigens trübte sich der Urin stets
mit Eiter, wenn man nach vorhergegangener Blasenausspülung auf jene Region drückte.
So löste sich die verwickelte Frage auf die einfachste Weise; der
Ovarial- oder Tubarsack, der mit der Blase durch eine Art Klappe in
Zusammenhang stand, entleerte seinen Inhalt in dieselbe intermittierend,
je nach seinem Füllungsgrad.e Damit waren auch die Schmerzanfälle,
die pseudorenalen Koliken, die hartnäckige und intermittierende Pvurie,
die Hämaturie, die entweder aus den Granulationen stammte, die den
durch Entzündung gebildeten Sack bekleideten, oder aus jenen, die in
die Blase hineinragten, erklärt.
Das therapeutische Verfahren, das, wie es zuerst schien, sich
hauptsächlich gegen die rechte Niere zu richten hatte, mußte jetzt
radikal geändert werden und hatte sich gegen die inneren Genitalorgane
zu wenden. Die Adnexe, besonders die rechten, waren wahrscheinlich
nicht nur mit der Blase, sondern auch mit anderen benachbarten Organen
verwachsen. Daher und um ein weites, offenes Operationsfeld zu haben,
um ferner die Kommunikation zwischen Blase und Adnexen gut im Auge
zu haben und sie in geeignetster Weise versorgen zu können, zog mein
Lehrer, Prof. Ceci, die Laparotomie dem vaginalen Wege vor,
wobei er die größte Vorsicht ausübte, um eine Infektion der Bauchhöhle
mit dem Eiter des Entzündungssackes zu verhüten.
Die Operation wurde am 21. Juli 1908 in Sauerstoff-Chloroformnarkose gemacht,
und der Öperationsbefund bestätigte vollkommen die vorher gestellte Diagnose.
Mit einem medianen Schnitt vom Nabel bis zum Schambein wurde das Abdomen
in Trendelenburgscher Position weit geöffnet. Sofort wurden die Darmschlingen sorg-
fältigst geschützt, unter reichlicher Anwendung sterilen Flanells gegen das Diaphragma
zurückgedrängt. Darauf wurde der Doyensche Wundrandspreizer eingeführt, der
Uterus mit einem Pean gefaßt und so weit als möglich hervorgezogen. Die Ver-
wachsungen der Adnexe hielten ihn jedoch zum Teil fest, daher begann man damit, die
linken Adnexe zu isolieren, das linke Ligamentum rotundum und latum zu durch-
trennen und zu ligieren (Katgut). Rechts waren die Verwachsungen viel stärker und
fester; der Adnextumor lag viel tiefer im kleinen Becken, mit dessen Wand er fest
verwachsen war. Unter großer Vorsicht wurde der Tumor zum größten Teile isoliert.
Im untern Teile seiner vorderen Fläche war er gegen die Gegend des Trigonuns mit
der Blase verwachsen. Als diese letzte Verwachsung durchtrennt wurde, trat aus dem
Abszeßsack Eiter und aus der Blase Urin aus. Sofort wurde steriler Flanell ein-
gestopft. An der vorderen und hinteren Fläche des Uterus wurden nun die Peritoneal-
lappen abgehoben bis zur Vagina hin, diese wurde nach vollständiger Isolierung des
Collum Uteri geöffnet und endlich der Uterus mit den Adnexen exstirpiert. Revision
und Reinigung des Operationsfeldes. Darauf wurde eine Metallsonde in die Blase ein-
geführt und damit ein kleines kreisfürmiges Loch rechts im Fundus und dicht am
Trigonum nachgewiesen. Unter größter Vorsicht, um nicht den rechten Ureter mit-
zufassen, der ganz in nächster Nähe verlaufen mußte, und unter größter Schwierigkeit,
da das Loch in der Blase sich ganz in der Tiefe des kleinen Beckens befand, wurde
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202 Rinaldo Cassanello. Harnblasenovarialfistel durch die Zystoskopie diagnostizier.
genitalapparates die Zystoskopie diejenige Untersuchungsmethode ist,
auf die man sich am sichersten verlassen kann, und die man deshalb
vor allen andern anwenden muß. Sie muß die Indikationen geben für
etwaige nachfolgende komplementäre Untersuchungen, wie z. B. für den
Ureterenkatherismus, die endovesikale Scheidung der Urine. In unserem
so höchst lehrreichen Falle hätte man ohne die Hilfe der Zystoskopie
nicht nur nicht die Diagnose dieser seltenen genitovesikalen Läsion
stellen können, sondern, wenn jemand leichtfertig, ohne sich genaue
Rechenschaft abzulegen über den Zustand des ganzen Innern der Blase,
nur präokkupiert von den vorwiegenden rechtsseitig renalen Symptomen,
den rechten Ureter katheterisiert hätte, so würde er wohl sicher eine
gesunde Niere infiziert haben. Oder, wenn ohne Zystoskopie nur die
Scheidung der Urine vorgenommen wäre, so hätte sie die falsche An-
nahme einer rechtsseitigen Nierenaffektion bestärkt.
Erklärung der Figuren.
Fig. Ia. Links oben sieht man die rechte Uretermündung in Form eines Spaltes.
Rechts unten die kreisförmige Fistelöffnung, aus der das gelbrötliche, zweilappige
Granulationsgebilde hervortritt. Rings um die Fistelöffnung ist die Mukosa entzündet
und intensiv gerötet.
Fig. Ila. Rechts unten, dort wo in Fig. la die Öffnung der Vesikoovarialfistel
und das polypöse Granulationsgebilde war, sieht man die feine, linienförmige, ein
wenig ausgezackte Narbe. Die Blasenschleimhaut ist in der Umgebung zum vollkommen
normalen Zustande zurückgekehit.
Fig. Illa. Links vom Uterus und an der Tube befestigt sieht man den eiförmigen
Ovarialtumor, der vorn unten einen dunklen Punkt zeigt, unregelmäßig, kreisförmig
mit ausgezacktem Rande; dieser Punkt stellt die Kummunikationsöffnung der Blase
mit dem Innern des Övarialsackes dar.
Zeitschift. für qmäkologische Urologie Bd. 1909. EEE NR
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(Aus der Frauenklinik der Universität Heidelberg. Direktor Prof. Menge.)
Vesikolabialfistel nach Hebosteotomie.
Von
Privatdozent Dr. Maximilian Neu, I. Assistent der Klinik.
Durch die beckenerweiternden Operationen hat die gynäkologische
Urologie ungewollt eine Vermehrung der Krankheitsbilder und eine Er-
weiterung ihres Arbeitsgebietes erfahren. Bei dem vom ursprünglichen
Enthusiasmus abflauenden Interesse, das sich der Hebosteotomie gegen-
über, wenigstens in manchen Kreisen, nachgerade feststellen läßt, möchte
es wenig angebracht erscheinen, mit dieser in Zusammenhang stehende
Störungen anderer Organgebiete zur Kenntnis zu bringen. Aber abge-
sehen davon, daß meines Erachtens die Hebosteotomie auch künftig
die ihr gebührende Stellung als wohl indizierbare Operationsmethode
in der geburtshilflichen Therapie behalten wird und derartige Kompli-
kationen deshalb von praktischer Bedeutung sind, glaube ich insofern
zur Bekanntgabe der seltenen und eigenartigen Blasenfistelform in ihren
Einzelheiten verpflichtet zu sein, als Mayer!) in seiner umfassenden
Monographie auf eine genauere Publikation meinerseits vorbereitet hat.
vom rein theoretischen Interesse ganz zu schweigen.
Zunächst der Auszug aus unseren klinischen Beobachtungen:
Pf. K., 38 J., V. p. Rachitische Anamnese. Vier Geburten, am Ende der
Gravidität, durch Kraniotomie beendet (sehr kräftige Kinder).
Zwei Monate vor Eintritt in die Klinik Prochowniksche Diät. Rachitisches
Skelett; plattrachitisches Becken. C. v. 7 cm. Doppeltes Promontorium; Symphysen-
höhe 5 cm, breite, stark vorspringende Knorpelleiste. Drei Tage vor dem eigentlichen
Geburtsbeginn schon Wehentätigkeit. Zweite Schieflage, Hydramnios.
27. I. 08. Ordination (G. R. v. Rosthorn):
Punktion der Eiblase zur Größenbestimmung des Kindes, alsdann Hebosteotomie.,
bei zu starkem Kinde Sectio caesarea.
10,05 a.m. Mmd. bequem für zwei Finger durchgängig, unterer Eipol prall gespannt
in Höhe des innern Muttermundes. Innerhalb 25 Min. werden unter Kontrolle der
kindlichen Herztöne 2500 ccm Fruchtwasser langsam abgelassen. Der Schädel scheint
hart und in seinem äußern Umfange einem reifen Kinde entsprechend. Mit Rück-
sicht auf die vaginalen Manipulationen von der Sectio caesarea Abstand genommen:
zur Vermeidung des völligen Fruchtwasserabflusses Kolpeuryse; Korrektur der Dextro-
versio uteri durch Bandage.
Operatiousbericht: (Operateur: Dr. Neu):
2 cm lange Inzision rechts entsprechend dem horizontalen Schambeinaste. Nach
Spaltung der Faszie und stumpfer Abschiebung der Weichteile wird mit dem Döder-
3) Mayer, A., die beckenerweiternden Operationen. Tübinger Habilitationsschrift.
Berlin, S, Karger 1908.
204 Maximilian Neu.
leinschen Führungsinstrument die hohe Symphyse lateral vom Tuberculum pubicum
dextrum mit einiger Schwierigkeit (wegen der geringen Bogenweite der Nadel) um-
gangen. Durchsägung. Trotz sogen. „Mittelstellung“ der Beine fühlt man von der
Scheide aus den vordern Beckenring um reichlich zwei Fingerbreite klaffen. Scheide
nicht verletzt. Die Frucht ist vom Uterus fest umklammert (minimaler Fruchtwasser-
rest). Wendung und Extraktion. Die obere Inzisionsstelle war schon vor der Wendung
durch zwei versenkte Katgut- und zwei Seidennähte verschlossen worden. Der nach
der Entbindung gesetzte Katheter enthält reines Blut. Die nochmualige
Kontrolle der Scheide ergibt keine penetrierende Verletzung. Borspülung der Blase er-
gibt reichlich Blut. Die Spülflüssigkeit schien vollkommen durch den Katheter ab-
zufließen. Dauerkatheter. Pat. wird ins Bett zurückverbracht. Aus der untern
(Ausstich-)Öffnung fließt immer noch Blut ab, daher dauernd manuelle Kompression.
Anlegen eines Beckengurts in Trochanterhöhe. Sobald man am rechten horizontalen
Schambeinast einen Gegendruck macht, fließt einerseits zwischen den Nähten dünn-
flüssiges Blut im Strahl heraus (retinierte Borflüssigkeit mit Blut), andrerseits fließt
durch den Dauerkatheter mehr dickflüssiges Blut anscheinend mit Urin untermischt
ab. Es kann demnach keinem Zweifel unterliegen, daß eine ergiebige Blasenverletzung
und Kommunikation mit der Hebosteotomiewunde vorliegen muß. Senkrecht zur oberen
Inzision wird nach Eröffnung der Suturen eine etwa 5 cm lange Inzision über das
rechte große Labium herabgelegt, so daß jetzt ein T-förmiger Schnitt vorhanden ist.
Nach Austupfen der Blutkoagula läßt sich zwischen dem Sägespalt die Blase vorziehen:
Es erweist sich eine scharfrandige Öffnung über die ganze rechte seitliche Blasen-
höhe, die den gleichen Verlauf nimmt wie der Knochenspalt, von außen oben etwas
nach unten innen. Die Länge des Schnittrandes dürfte schätzungsweise 10 cm le-
tragen. Schleimhautknopfnähte (Katgut), Muskeldecknähte, Fasziennaht (Seide), desgl.
Hautriaht. Durch die untere Hebosteotomie- (Ausstich-)Öffnung Einführen eines Dräns;
Blasenspülung in Portionen von 50 ccm. Zuletzt fließt die Flüssigkeit völlig klar ab.
Kompressionsverband im Bereich der oberen Wunde (Scultets Binde), 5" pm. Aus
dem Dränrohr sickert beständig Blut in mäßiger Menge. Trotzdem entwickelt sich
im rechten Labium ein Hämatom.
28. I. 08. Der Urin fließt klar durch den Katheter ab. Hellrotes Wundsekret
aus der Dränageöffnung.
1. II. Drän spontan ausgestoßen. Auf geringen Druck entleert sich aus dem
untern Wundwinkel der suprasymphysären Wunde reichlich Hämatomflüssigkeit mit
Blasen.
4. II. (9. T). Nach Entfernung des Dauerkatheters Vorlage voll Urin. Aus
Ein- und Ausstichwunden kein Urin: Inkontinenz, Vaginalfistel? Urin fast klar, sauer,
geringe Anzahl von Leukozyten. Dauerkatheter wieder eingelegt. Ausstichöffnung
nicht verklebt; aus ihr kommt dünne (urinüöse?) Flüssigkeit: Blasenfistel?
5. II. (10. T.).. Dränage des rechten großen Labium.
7. II. Da immer noch aus der Ausstichöffnung dünne Flüssigkeit ausfließt;
Füllung der Blase mit Borlösung. Von 100 ccm ab entleert sich die Flüssigkeit aus
der Ausstichöffnung im rechten großen Labium und auch aus einer stecknadelkopf-
großen Öffnung im untern Winkel der obern Inzisionswunde: Vesikolabialfistel.
8. II. Pat. steht Ok auf.
9. I. L. Bein, besonders Unterschenkel diffus geschwellt, Schmerzen; keine
Rötung. Hochlagerung, Alkoholverband. Herpes der rechten Unterlippe.
12. II. T. 39,3, P. 112. Bei tiefer Palpation im linken Hypogastrium Schmerz-
empfindung ohne deutlich tastbare Resistenz. An der Vorderfläche des rechten Ober-
schenkels schmerzhafter Strang: Thrombophlebitis. Eisblase, Alkoholumschläge-.
18. II. Aufsitzen. Schmerzhaftigkeit und Schwellung am linken Bein zurück-
gegangen.
19. II. Pat. steht auf; der Gang beschwerlich, wohl infolge der Schwäche der
Muskulatur; keine eigentlichen Gehstörungen, die auf das Becken bezogen werden
könnten. Venen frei. Links Knöchelödem.
25. II. Entlassungsbefund: Die obere Hebosteotomiewunde 2 cm lang, 1
Vesikolabialfistel nach Hebosteotomie. 205
der Mitte eingezogen; die dieser Wunde aufgesetzte ist 3 cm, p. p. geheilt. Die untere
Ausstichöffnaung 1 cm lang, narbig eingezogen, im Niveau der Klitoris adhärent.
Beckenbefund: Entsprechend dem durchsägten Knochen rechts eine Rinne, in
die man den Mittelfinger eben einlegen kann. Die laterale Begrenzung dieser Rinne
ist als eine Leiste vorgebuchtet. Beim Spreizen der Beine deutliches Federn an dieser
Stelle, ebenso bei der Hängelage. lleosakralgelenke frei.
Zystoskopischer Befund: Blasenschleimhaut gehörig, deutliche Gefäß-
zeichnung. Im rechten unteren Blasenabschnitt eine schräg verlaufende Narbe, die
in dem oberen zwei Drittel lineär verheilt ist, im untern Drittel eine trichterförmige
Einziehung zeigt. Die Blasenschleimhaut in der Umgebung dieses Trichters injiziert,
Harn klar.
12. VII. 08. Wieder vorgestellt: Völliges Wohlbefinden.
Das Bemerkenswerte meiner Beobachtung liegt in der ausge-
dehnten Sägeverletzung der Blase bei einer nach Döderlein durchge-
führten Hebosteotomie, wobei also das Einführen des Fingers zum Ab-
schieben der Weichteile und der Blase nicht unterlassen war.
Döderlein!) selbst legt nämlich den allergrößten Wert darauf,
daß die Operation unter direkter Fingerkontrolle von der Wunde aus
durchgeführt werde; wenigstens glaubt er, daß er diesem Verfahren
seine so sehr günstigen Erfolge zu verdanken habe; denn gerade aus
der Furcht vor Blasenverletzungen hat er von Anfang an diese Weg-
bahnung in das Cavum Retzii angestrebt. Wir haben uns ebenfalls
unter der klinischen Leitung von Rosthorns von Anfang an an diese
Vorschrift gehalten und bis zu dieser meiner Beobachtung keine Neben-
verletzung der Blase gesehen. Die Ätiologie der Blasenverletzung, die
bei dem nachgerade berühmt gewordenen Verblutungstodesfall der Heidel-
berger Frauenklinik konstatiert worden war), ist bei der Kompliziert-
heit dieses Falles meines Erachtens nicht eindeutig genug, um hier ver-
wertet zu werden. Aber auch von Herff?) hat zwei Blasenverletzungen
bei strenger Befolgung der Döderleinschen Vorschrift erlebt, von
denen der eine Fall eine reine Sägeverletzung darstellt. Nun betont
Döderlein, daß in den meisten Fällen von Blasenverletzungen die In-
strumente (Nadel und Säge) oder besser ihre Handhabung an der Ver-
letzung schuld sei. Demgegenüber hebe ich hervor, daß ich vor der
Operation des hier diskutierten Falles eine Serie von Hebosteotomien
nach der gleichen Methodik ohne Nebenverletzungen ausgeführt hatte.
Döderleins Einwand, es beständen über die Art und Weise,
wie die Blasenverletzungen zustande gekommen sind, recht weitgehende
Meinungsverschiedenheiten und es sei der jeweiligen Auffassung des
Operateurs ein ziemlich weiter Spielraum gelassen, kann ich für mich
en
1) Döderlein, Technik, Erfolge und Indikationen der beckenerweiternden
Operationen.
Verhandlungen der deutschen Gesellschaft f. Gynäk. Bd. XII, 1908.
2) Mayer, |. c. S. 138 (Fall 4).
3) von Herff, Anstaltgeburtshilfe und Hausgeburtshilfe usw., Monatsschrift f.
Gebh. und Gynäk. Bd. 24, S. 720.
v. Herff, Sitzungsbericht der Oberrhein. Gesellsch, f. Gebh. und Gynäk., ibidem
Bd. 25, S. 129.
206 Maximilian Neu.
nicht gelten lassen. Ich muß also feststellen, daß eine primäre Blasen-
verletzung nach der Döderleinschen Methodik nicht auszuschließen
ist. Dabei will ich auf die noch immer nicht endgültig entschieden:
Meinungsdifferenz, ob die Möglichkeit einer Blasenverletzung bei den
Stichmethoden größer als bei der Döderleinschen Öperationsart se.
nicht eingehen, zumal mir eigene Erfahrungen mit der Stichmethod:
fehlen. Ich erachte es vielmehr als meine nächste Aufgabe, die Ursache
aufzufinden, der die Blasenverletzung im vorliegenden Falle zuzu-
schreiben ist. Diese sehe ich in der Änderung des Blasensitus: dei
Schädel stand auf dem Beckeneingang in der Weise aufgestemmt. dal
das untere Uterinsegment und die hochgehobene Blase mit samt dem
Schädel förmlich als Tumor über der Symphyse hervordrängte. Trotz-
dem sub operatione eine Korrektur in dem Sinne vorgenommen ward.
daß der Schädel von außen durch einen Assistenten vom Beckeneingan:
abgehebelt wurde und der im Hängebauch stark antevertierte gravil-
Uterus manuell emporgebracht wurde, glückte es offenbar nicht, dit
dislozierte Blase aus dem Sägebereich zu schaffen. Nur so ist für mich
die Entstehung der ausgedehnten Sägeverletzung der Blase durch di:
Giglische Säge, die den gleichen Verlauf wie der Knochensägespal!
hatte, denkbar. Im Interesse der Güte der Döderleinschen Method:
scheint es mir nicht unwesentlich, hiermit festzulegen, daß auch hi
strenger Befolgung der Vorschriften und bei hinreichender Erfahrun:
in der Technik mit Blasenverletzungen infolge Ansägen gerechnet werde!
muß. Seitdem habe ich es mir zum Grundsatze gemacht, die Bla
durch besondere Aufmerksamkeit, ev. nach Lage des Falles, durch Ein
führen einer entsprechenden Schutzvorrichtung (Metallspatel, Säst-
rinne usw.) zu sichern.
Die klinische Bedeutung der Verletzungen des Harnapparate
bei der Hebosteotomie liegt auf der Hand; sie ist in dem klassischen
Referat Döderleins!) klar gezeichnet: „Urinaustritt in die Operations-
stelle und Urininfiltration der umgebenden Gewebe führen zu schweren.
phlegmonösen, jauchigen Entzündungen. Das Leben und die Gesund-
heit ist auf das schwerste bedroht.“ Angesichts dieser die Prognose
trübenden Möglichkeiten muß man sich über das therapeutische Ver-
halten nach entstandenen Blasenläsionen wundern: Im allgemeinen wird
ein völlig exspektativ-konservatives Verfahren empfohlen. Stöckel‘)
besonders schätzt die Bedeutung der nach Hebosteotomie entstehenden
Blasenverletzungen wenig hoch ein; er stellt ihnen bezüglich der Spontan-
heilung eine gute Prognose. Stöckel ist der Ansicht, daß das Ein-
legen eines Dauerkatheters stets allein genügt, um die „Stichstelle“
schnell zum Verschluß und ohne Fistelbildung zur Heilung zu bringen.
Er argumentiert so°): Die Fistel liegt in Fällen von Blasenverletzungel!
2) 1]. c. S. 178.
2) Stöckel, Zentralbl. für Gynäk. 1906, S. 81.
») Stöckel, Die Erkrankungen der weiblichen Harnorgane.
Veits Handbuch für Gynäk. 2. Aufl., 2. Bd. 1907, S. 461.
Vesikolabialfistel nach Hebosteotomie. 207
nach Hebosteotomie hinter dem Os pubis, also recht hoch. Wird ein
Dauerkatheter in die Harnröhre eingelegt, so wird die Fistel dadurch,
daß ein Ansteigen des Harnniveaus bis zu dieser Höhe nicht mehr
eintreten kann, außer Funktion gesetzt und schrumpft so zusammen,
daß sie zuletzt völlig an den Knochen herangezogen und dadurch ver-
schlossen wird. Die Knochenfixation ist bei den extragenital gelegenen
Verletzungen ein direkt heilendes Moment. Ich kann mich nach den
Erfahrungen meiner Beobachtung diesem exspektativen Verhalten nicht
durchaus anschließen. Hinsichtlich der Stichverletzungen der Blase
nach der Bummschen Methode, aus denen Stöckel seine Erfahrungen
hauptsächlich gesammelt haben dürfte, mag diese Argumentation wohl
manches für sich haben; der Erfolg hat diese ja auch veranlaßt und
bestätigt. Das Verfahren schließt meines Erachtens aber eine sehr große
Gefahr in sich, wenn es sich um ausgedehntere Verletzungen, vor
allem um Sägeverletzungen der Blase, handelt. A priori aber können
wir unmittelbar post operationem nicht so leicht die Differentialdiagnose
stellen. In ‘der Literatur finde ich denn auch bei diesem Vorgehen
schon ernste Komplikationen niedergelegt. Kroemer!) meldet von
einem Todesfall infolge Urininfiltration aus der Bummschen Klinik;
fünf restierende Blasenscheidenfisteln mußten operativ geschlossen
werden (!) Besonders beachtenswert scheint mir Reebs?) Beobachtung
zu sein: Beim Durchziehen der Säge (allerdings ohne Fingerleitung)
war ein Blasenzipfel verletzt worden. Er ward vorsichtig reponiert.
1°/,* nach der Operation klagte die Pat. über starke Schmerzen in
Abdomen; dasselbe war aufgetrieben und bei Berührung schmerzhaft.
Aus dem eingeführten Katheter entleerte sich fast reines Blut. Trotz
des Dauerkatheters entleerte sich in den ersten Tagen Urin durch die
obere Pubiotomiewunde; in der Folge bildete sich in der linken großen
Labie noch ein Abszeß, aus dem nach Inzision und Dränage einige
Tage lang Urin floß. Die Blasenfistel schloß sich 23 Tage nach der
Operation; der weitere Verlauf wurde noch durch eine doppelseitige
Thrombosierung der Vena femoralis und durch einen Infarkt der linken
Lunge kompliziert. Die Pat. konnte erst 52 Tage p. o. aufstehen.
Ganz ähnlich alarmierend war der postoperative Verlauf im 19. Falle
von Leopold (Kannegießer?). Die Verletzung der Blasenwand war
zystoskopisch konstatiert. Die Behandlung bestand lediglich im Ein-
legen eines Dauerkatheters und innerer Darreichung von Urotropin.
Das Allgemeinbefinden war sehr besorgniserregend (Puls von 140—160,
Kampfer, Tet. Strophanthi, Analeptika usw.; bis zum dritten Tage
Temperaturanstiege bis 39,8 unter drei deutlichen Schüttelfrösten). Die
1) Kroemer, Die Erfahrungen der Univ.-Frauenklinik an der K. Charité über
die Pubotomie. Autorefer. Zentralbl. f. Gynäk. 1908, S. 1012.
2) Reeb, M. Über Klinik und Technik der Pubiotomie. Münch. Med. W.
1905, S. 2320.
3) Kannegießer, Beitrag zur Hebotomie auf Grund von 21 Fällen. Arch. f.
Gyn. Bd. 78. 1906, S. 79.
208 Maximilian Neu.
Ursache war eine Harninfiltration der rechten großen Labie mit be-
ginnender Rötung der prall gespannten Haut. Außerdem etablierte sich
eine Blasenbauchdeckenfistel; als besonderer Grund hierfür wurde die
öfters vorgekommene Verstopfung des Dauerkatheters durch Blutge-
rinnsel angesehen. Jedenfalls mußte die ganze Länge der infiltrierten
großen Labie inzidiert werden. Von da ab Besserung von Puls und
Temperatur. Eine Blasenfistel, deren äußere Öffnung die obere Heb-
steotomiewunde bildete, sonderte Urin ab bei Störungen in der Ham-
ableitung durch den Dauerkatheter. Erst am 42. Tage p. o. blieb d
Hautwunde ohne Katheter trocken. Am 51. Tage erst konnte die Pat
das Bett verlassen, am 58. Tage ward sie entlassen.
Stellt man den postoperativen Verlauf meiner Beobachtung dem
von Reeb und Kannegießer gegenüber, so ist der Unterschied eri-
dent; er ist wesentlich günstiger: am 10. Tag p. o. eine kleine Vesik«-
labialfistel, die sich in den nächsten Tagen spontan schloß; am 13. Tas
konnte Pat. das Bett verlassen. Freilich fesselte eine Thrombose der
Vena saphena sinistr. (bei rechtsseitiger Hebosteotomie!) die Pat. nocl
für eine Woche ans Bett; vom 22. Tage ab war und blieb die Pat.
völlig geheilt.
Nach dieser Erfahrung möchte ich also nicht ohne weiteres di
Blasendränage nach Blasenläsionen bei Hebosteotonie für absolut aus
reichend erachten. Leichtere Blasenläsionen, allenfalls auch Stichrer-
letzungen nach der Bummschen Hebosteotomiemethode, mögen damit
zweckmäßig behandelt sein. Es muß aber doch hervorgehoben werden
daß die von Stöckel u. a. als typische Behandlungsmethode vertreten:
Blasendränage für derartige Fälle wie den meinen große Gefahren in
sich schließt. Ich gebe ohne weiteres zu, daß die Diagnose der Art
und Größe der Blasenverletzung nach Hebosteotomie oft erschwert sei
kann; mir will es sogar scheinen, daß es sich in einer großen Zahl
von Fällen, in denen blutiger Urin zu konstatieren war, gar nicht um
penetrierende Verletzung der Blasenwandung, sondern nur um Läsionen
der Blasenschleimhaut gehandelt habe. Auch Stöckel') betont dies:
er sagt: „Übrigens darf man in den Fällen, wo nach der Pubotomie
etwas blutiger Harn entleert wird, nicht sofort an eine penetrierende
Blasenverletzung denken. Ich habe mich durch zystoskopische Nach-
untersuchungen davon überzeugt, daß es sich dabei in der Regel um
leichte Quetschungen und Rupturen von Schleimhautgefäßen handelt.”
Es kommt daher sehr auf die Diagnose der Art und Größe
der Läsion an. Bei den größeren penetrierenden Verletzungen scheint
es mir gewagt, sich mit der Dränage bescheiden zu wollen. In diesen
Fällen hat man m. E. die Verpflichtung, tunlichst die Läsionsstelle frei-
zulegen und durch exakte Naht zu versorgen; die bindegewebige Un-
sebung muß durch Dränage vor ev. sekundärer Urininfiltration bei g°
störter Wundheilung geschützt werden. Die Patientinnen sind nämlich
a) L e S. 461.
Vesikolabialfistel nach Hebosteotomie. 209
bei ausgedehnten Urininfiltrationen des Parazystiums sehr gefährdet,
zum mindesten aber ist die Rekonvaleszenzzeit nicht unbedeutend ver-
zögert, wie ich das oben an Hand der Literaturaufzeichnungen darlegen
‚konnte. Gerade dieser Punkt ist aber auch bezüglich der Thrombose-
frage recht bedeutungsvoll; die Pat. können nach Überwindung der
primären Sepsisgefahr aufs neue durch die Thrombosen gefährdet
werden.
Das führt uns zur kurzen Besprechung des Zusammenhanges von
Thrombose und Blasenverletzung. Reifferscheid!) hat schon sehr
bald im Beginn der Hebosteotomieära zwischen beiden einen bedeutungs-
vollen Zusammenhang annehmen zu müssen geglaubt; er ist der An-
sicht, daß in dem mit Urin imbibierten Gewebe die Thrombosegefahr
vermehrt sei. Der Fall, aus dem er seinen Schluß zog, ist an Lungen-
embolie zugrunde gegangen (Urininfiltration der Sägestelle).. Auch
Döderlein?) kommt zu dem Schlusse, daß die Thrombosierung größerer
Gefäße der Öperationsstelle und davon ausgehende Embolie bei Fehlen
anderer Komplikationen, wie z. B. Blasenverletzungen, nicht zu fürchten
zu sein scheint. Die oben schon erwähnte Reebsche Beobachtung
spräche ebenfalls in diesem Sinne. In meiner vorliegenden Wahr-
nehmung ist die Thrombosebeziehung zur Blasenverletzung insofern nicht
eindeutig, als die Thrombose kontralateral auftrat; wollte man einen
direkten Zusammenhang annehmen, so wäre das mehr als hypothetisch;
daher registriere ich lediglich die Tatsache, zumal die Frage der Throm-
bosen im Wochenbett sich augenblicklich eines besonderen Interesses
zu erfreuen hat.
Zusammenfassung:
1. In jedem Falle von Blasenläsion nach Hebosteotomie (Blutharn)
ist die Art, Größe und Lage derselben genauestens festzustellen.
2. Bei allen größeren Verletzungen der Blasenwand ist eine
chirurgische Versorgung anzustreben wegen der Gefahr der Urin-
Infiltration des Bindegewebes, der Thrombose und Embolie.
3. Bei kleineren Verletzungen, z. B. hochgelegenen Stichverletzungen
oder isolierten traumatischen Schleimhautläsionen (Quetschungsblutungen).
wird im allgemeinen die Blasendränage durch Dauerkatheter genügen.
(Stöckel u. A.).
9 cit. nach Mayer, 1l. c., S. 98 (Zentralbl. f. Gyn. 1906, Nr. 48, S. 1326).
2) Verh. d. deutsch. Gesellsch. f. Gyn., S. 177.
Über Blasenbeschwerden des Weibes ohne zystoskopischen Befund.
Von
P. Rißmann in Osnabrück.
Es hat mich oft in Erstaunen gesetzt, wie gut die alten Ärzte am
Krankenbette bei ihren oft unvollkommenen Untersuchungsmethoden be-
obachtet haben. Wenn wir glaubten, in ätiologischer Beziehung Altes
völlig über Bord werfen zu müssen, so kam nicht selten das schein-
bare Überwundene in etwas veränderter Form und Einkleidung wieder
zu uns. Zum Beispiel dachten wir auf urologischem Gebiete ohne
„essentielle Hämaturie“ auskommen zu können, besonders in der Zeit,
als wir mit Hilfe von Zystoskop und Ureterkatheter die Häufigkeit der
Nierentuberkulose kenen lernten. Wir wissen jetzt aber — ich selbst
habe einen solchen Fall operiert — daß starke Nierenblutungen ohne
Tumor, ohne Tuberkulose und ohne Steine vorkommen. Ähnlich liegen
die Dinge bei der reizbaren Blase (irritable bladder), oder wie man
es früher auch nannte, bei den nervösen Blasenbeschwerden des
Weibes. Gewiß sind tuberkulöse Erkrankungen des Harnapparate:.
ja vielleicht gar einfache Zystitiden früher übersehen und wurden da-
für fälschlich „nervöse‘“ Blasenbeschwerden angenommen. Aber m. E.
müssen wir Blasenbeschwerden unangenehnster und heftigster Art ohne
zystoskopischen Befund auch heute noch als vorhanden erklären. Wenn
ich nun auch zugeben muß, daß die Zystoskopie das dunkle Gebiet
der irritable bladder nicht völlig aufgeklärt hat, so möchte ich doch
dafür plaidieren, die Diagnose „nervöse“ Blasenbeschwerden möglichst
einzuschränken. Das ist mit Vorteil möglich, wenn wir nur immer be-
müht sind, den pathologischen Prozeß im Becken oder, wo das nicht
mäglich ist, den krankhaften Zustand des gesamten Körpers, von dem
die Blasenbeschwerden nur ein Teil sind, herauszufinden und für die
Bezeichnung unserer Diagnose zu verwenden. Wenn beispielsweise
Tumoren des Uterus wie Myome oder Analfissuren oder Hämatozelen
Tenesmus erzeugen, so darf m. A. n. nicht von nervösen Blasenbe-
schwerden gesprochen werden. Wenn zu Beginn der Periode von jungen
Mädchen über Harndrang geklagt wird, so ist zweifellos die Hyper-
ämie der gesamten Beckenorgane Schuld an den Blasenbeschwerden.
Bestehen doch auch gar nicht selten bei verheirateten Frauen während
der Periode Veränderungen bei der Stuhlentleerung, die wir auch nicht
als nervös zu bezeichnen pflegen. Gar nicht selten hatten bei meinen
Patientinnen, die an seniler Kolpitis litten, die Frauen selbst und teil-
weise ihre Ärzte ein Blasenleiden angenommen, weil die Urinentleerung
ein Brennen veranlaßt hatte. Als bewiesen muß ferner gelten, daß die
Tabes und Myelitiden, seltener auch Tumoren des Rückenmarkes im
Beginn der Erkrankung Steigerung des Harndranges und andere
Über Blasenbeschwerden des Weibes ohne zystoskopischen Befund. 211
Blasenbeschwerden hervorrufen können. Besteht eine ausgesprochene
Hysterie, so würde ich es für falsch erklären, eine „reizbare Blase“ zu
diagnostizieren, sondern von „hysterischen Blasenbeschwerden“ zu
sprechen für das allein Angebrachte halten. Es war eine mit deutlichen
hysterischen Zeichen behaftete Frau, die mich auf die hier besprochenen
Zustände zuerst aufmerksam gemacht hat.
Fall I. Die erste Beobachtung der Frau liegt nun schon über neun Jahre zurück;
ich habe sie ab und zu wiedergesehen und kann versichern, daß keine objektiv nach-
weisbare Erkrankung von Nieren oder Blase eingetreten ist. Als die damals 47 jährige
Frau zuerst in meine Sprechstunde kam, bestand seit zehn Jahren heftigster Harndrang,
so daß die Patientin tagsüber alle halbe Stunde und nachts etwa viermal Urin ent-
leerte. In den zehn Krankbeitsjahren war die Frau von einer ganzen Reihe von
Ärzten mit allen möglichen inneren Mitteln, mit Blasenspülungen und Dehnungen der
Harnröhre vergeblich behandelt. In der Annahme, daß hier eine Tuberkulose vorlag,
zystoskopierte ich sofort, ohne den zentrifugierten Urin mikroskopisch untersucht zu
haben. Die zystoskopische Untersuchung ergab zu meiner Verwunderung normale
Verhältnisse. Der darauf mehrfach mikroskopierte Urin enthielt keine pathologischen
Bestandteile, namentlich kein Blut und keinen Eiter. Das Ergebnis meiner Unter-
suchungen war mir so unerwartet und auffallend, daß ich die Frau veranlaßte, meinen
Lehrer Nitze aufzusuchen. Nitze bestätigte meinen Befund und riet in Briefen,
die noch in meinem Besitze sind, Balsamika und ev. alkalische Säuerlinge zu versuchen
und lokal nichts zu machen. Da die Pat. Brunnen ohne Erfolg häufig getrunken
hatte, gab ich Kapseln mit Ol. Santali in üblicher Dosis. Daneben legte ich besonderen
Wert darauf, den Mut und das Zutrauen der Pat. zu heben und ihre Aufmerksamkeit
von der Blase abzulenken. In den nächsten Wochen wurden zunächst die Pausen in
der Nacht größer, erst allmählich wurde der Harndrang auch am Tage seltener. Nach
etwa sechs Wochen erklärte die Pat. sich selbst für gesund, hatte nun aber Globus
hysteric., welches Symptom auch früher schon ab und zu vorhanden gewesen sein soll.
Die Beobachtung der nächsten beiden Patientinnen, deren Kranken-
geschichten ich in Kürze folgen lasse, hat mich auf die Vermutung ge-
bracht, daß bestimmte gelöste oder ungelöste Bestandteile des
Urins vielleicht häufiger, als bislang angenommen wird, Harn-
drang veranlassen kann. Wahrscheinlich werden eine Anzahl der
als „irritable bladder“ gedeuteten Krankheiten uns auf diese Weise ver-
ständlicher werden.
Fall II. 26jährige Restaurationsfrau G. hatte seit zwei Jahren häufigen Harndrang,
muß auch nachts deshalb aus dem Bette. Urotropin und Brunnen wurden ohne Er-
folg genommen. Zystoskopisch nichts, mikroskopisch sehr viel harns. Natron, Reaktion
des Harns stark sauer. Die Frau ist keineswegs als nervös zu bezeichnen. Therapie:
Ol. Santali; dabei Änderung der Lebensweise empfohlen, da die Frau, die früher in
gesunden ländlichen Verhältnissen lebte, jetzt dauernd in der Gaststube ist. Verbot
des Bieres (? Hopfensalze). Nach vier Wochen waren die Blasenbeschwerden ver-
schwunden und sind jetzt nach zwei Jahren nicht wiedergekehrt.
Fall III. 1öjähriges Mädchen hatte im neunten Jahre Masern (? Scharlach),
daran anschließend häufiger das Bedürfnis Wasser zu lassen, und falls diesem Drange
nicht gleich nachgegeben wird, unwillkürlicher Abgang des Urins. Seit ?/, Jahren
menstruiert das Mädchen, und seitdem sind die Beschwerden besonders groß, nament-
lich in den Tagen der Blutung.
Objektiver Befund: starke Hypertrophie und dunkle Pigmentation der kl.
Labien und der Klitoris (Onanie eingestanden), der zentrifugierte Harn enthält mehr
Epithelien der unteren und oberen Harnwege (keine Zylinder, ganz spärliche Leuko-
zyten) als man gewöhnlich findet; sonst alles normal.
Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 15
312 P.Rißmann. Über Blasenbeschwerden des Weibes ohne zystoskopischen Befund.
14tägige Anstaltsbehandlung, teilweise der genaueren Beobachtung wegen und
teilweise, um Bettruhe und psychische Behandlung durchführen zu können. Intern
keine Medikation, die letzten Tage Elektrisieren. Völlige Heilung. Das Mädchen
kam nach der Entlassung noch wochenlang in die Poliklinik und war ohne Beschwerden.
Gewiß werden die abnormen geschlechtlichen Reizungen in unserem
letzten Falle bei der Krankheit nicht ohne Bedeutung gewesen sein.
Ich glaube, daß geschlechtliche Aufregungen auch bei dem vierten Falle
mitspielten, muß jedoch zugeben, daß wir es hier tatsächlich mit einer
ungemein nervösen jungen Dame zu tun hatten. Übrigens handelte es
sich um die leichteste Erkrankung unter meinen Beobachtungen.
Fall IV. Verlobte, will in zwei Monaten heiraten. Weint leicht, hat Gesichts-
ziehen, Stuhlgangsbeschwerden und häufigen Urindrang (nachts 2—3 malige Unter-
brechung der Nachtruhe). Da ich zystoskopisch und chemisch-mikroskopisch nichts
Pathologisches gefunden batte, versuchte ich psychisch einzuwirken. Schon bei der
nächsten Konsultation sagte die Patientin, daß das Drängen auf das Wasser besser
sei, dafür seien jetzt Kopfschmerzen vorhanden. Die Besserung der Blasenbeschwerden
hat sicher vier Wochen angehalten (später ist mir die Pat. aus den Augen gekommen).
Als einen reinen Fall nervöser oder neurasthenischer Blasenbe-
schwerden möchte ich nur meinen fünften Fall bezeichnen, jedenfalls
muß ich bekennen, daß ich außer Neurasthenie keine Anhaltspunkte zur
Erklärung der Blasensymptome anführen kann. o
Fall V. 28jährige, geistig sehr angeregte Lehrersfrau. Zystoskopiert und Urin-
untersuchung ohne Ergebnis. Heftiger Harndrang besteht set Lil, Jahren, so daß
Pat. tags alle halben Stunden wenig Wasser entleeren muß und rachts meist viermal
das Bett verläßt. Pat. schläft schlecht, zittert nach Vorträgen stundenlang. 3. Febr.
Ol. Santali, psychische Einwirkung, Ruhe, Pflege und frische Luft empfohlen. Zu-
nehmende Besserung, am 2. März betrachtet sich die Pat. selbst als geheilt.
So sehr ich das Zystoskop und den Harnleiterkatheter schätze, bin
ich, durch die oben berichteten und anderen Erfahrungen belehrt, doch
von einer allzu schnellen Anwendung dieser Instrumente zurück-
gekommen. Namentlich schicke ich jetzt dem Gebrauche des Zysto-
skops eine genaue chemische Untersuchung des Harnes und die mikro-
skopische Betrachtung des zentrifugierten Urins stets voran. Bei
Katarrhen der Blase behandle ich zunächst intern oder mit Spülungen,
eine Lehre, die Nitze seinen Schülern auch zu geben pflegte, die aber
früher von mir und, wie ich in manchen neueren Veröffentlichungen
sehe, auch von anderen Ärzten außer acht gelassen wird.
Was die Therapie solcher Blasenbeschwerden ohne lokalen, objektiven
Befund anbetrifft, so hilft in manchen Fällen schon allein die psychische
Behandlung, die Wachsuggestion, ev. mit Zuhilfenahme der Elektrizität.
Bei hartnäckigen Fällen halte ich die Hypnose wohl für berechtigt.
Innerlich habe ich mit Vorteil Kapseln mit Ol. Santali gegeben,
während das neuerdings empfohlene Santyl teilweise nicht gern ge-
nommen wurde. Dabei darf die Rücksichtnahme auf die gesamte Lebens-
weise der Kranken, auf die Diät, auf Bewegung in frischer Luft und
ähnliches nicht außer acht gelassen werden. Direkt zu warnen ist nach
meinen Erfahrungen vor Trinkkuren, vor den üblichen Harndesinfizien-
zien und vor Blasenspülungen, wie überhaupt vor jeder lokalen Therapie.
(Aus der Kgl. Universitätsfrauenklinik Marburg. Direktor Prof. Dr. Stoeckel).
Über die Behandlung der Enuresis nocturna mittels epiduraler
Injektionen nebst experimentellen Versuchen über die Ätiologie
dieser Erkrankung.
Von
H. Sieber, Assistenten der Klinik.
(Mit 3 Textfiguren.)
In Nr.1 desZentralblattes für Gynäkologie1909 hat Prof.Stöckel über
die Resultate berichtet, welche er mit den von Cathélin in der Uro-
logie empfohlenen sogenannten epiduralen Injektionen auf dem bisher
nicht betretenen Gebiet der Geburtshilfe zwecks Linderung des Wehen-
schmerzes zu verzeichnen hatte. Zugleich hat er erwähnt, daß auch
auf urologischem Felde von dieser Methode gute Erfolge gesehen wurden.
Über letztere soll in folgendem Näheres mitgeteilt werden.
Die Ansichten über den Nutzen der besagten Behandlungsart sind
nicht bei allen Autoren dieselben, und ein Teil der Fachleute steht dem
Verfahren ziemlich skeptisch gegenüber. Andererseits fehlt es nicht an
zahlreichen Stimmen, die sich sehr befriedigt aussprechen.
Cathe&lin (8), der Erfinder der Methode, hoffte eine ungefährlichere
Anästhesierungsart an die Stelle der Lumbalanästhesie setzen zu können.
Seine Erwartungen wurden nicht erfüllt. Er hält jedoch das Vorgehen
für geeignet, um z. B. bei inoperablem Rektumkarzinom die Schmerzen
zu beseitigen. Zu derselben Zeit empfahl auch Sicard (37) die Ein-
spritzung in den epiduralen Raum, um besonders bei Operationen an
den unteren Extremitäten Analgesie zu erzeugen. Nicht befriedigt über
seine Erfolge spricht sich dagegen Tuffier (41) aus. Viel versprach
sich Brocard (3) von der neuen Methode bei der Bekämpfung von
Neuralgien verschiedener Art und glaubt, ihr eine bedeutende Zukunft
prophezeien zu können. Die erste Veröffentlichung nebst Mitteilung
verschiedener Erfolge bei Inkontinenz stammt von Albarran und
Cath6lin (1). Weiterhin teilt Lumeau (28) unter 9 Fällen 4 Heilungen
und 4 Bessernngen des Leidens mit, und Frank (19) sah in einem
größeren Teil seiner Fälle gute Resultate. Nur mäßigen Erfolg erzielte
Reynès (35) mit dieser Therapie. Cathelin (9) berichtet ferner über
meist günstige Resultate bei 11 Kindern. Le Clerc Dandoy und
Hermans (14) hatten alle so behandelten Enuresen vollständig geheilt.
Nachdem Cathclin (10 u. 11) eine sehr große Zahl von Fällen (ca. 2000)
15*
214 H. Sieber.
mit diesen Injektionen behandelt hatte, spricht er von 75°/, Heilung,
einem Prozentsatz, der etwas hoch gegriffen zu sein scheint, von Kap-
sammer (26) aber noch übertroffen wird. Dieser hatte außerordentlich
gute Effekte zu verzeichnen, denn von 31 Fällen wurden 25 vollständig
hergestellt, 6 entzogen sich, wesentlich gebessert, der Behandlung.
Strauß (38) hat von 6 Fällen 3 geheilt und 3 gebessert. Bei 6 Kindern
erzielte Masmonteil (29) Heilung und bei 3 Besserung unter ins-
gesamt 10 Fällen, während Preindelsberger (33) von 6 Fällen 4 voll-
kommen heilte. Valentine und Townsend (42) sind mit der Methode
wohl zufrieden, Vialle (43) dagegen hat bei Erwachsenen keinen Er-
folg gesehen. Strauß (39) hinwiederum behandelte Erwachsene ohne
Mißerfolg, während er von 8 Kindern nur zwei geheilt hat. Kapsammer
(27) hatte unter einem größeren Material, nämlich 45 Fällen, 38 Heilungen
nebst 5 Besserungen erzielt. Recht günstig spricht sich auch Millon (30)
aus, und Cantas (6 u. 7) ist ein begeisterter Anhänger dieser Ein-
spritzung. Er hat von 15 Kindern 13 geheilt und die 2 anderen ge
bessert; ebenfalls glänzende Resultate hatten D&jardin (15) mit Waroun.
sowie Scharff (36). Die ersteren hatten von 10 Fällen 9 mal, Scharff
in 75°% Erfolg zu verzeichnen. Preindelsberger (34), Goldberg
(22 u. 23), Hirsch (24), Freeman (20) und Pelz (32) erklären sich als
Anhänger, von Eiselsberg (34) und Goetzel (21) sprechen sich gegen
das Verfahren aus. Hirsch hatte 81,5°, seiner Kranken zur Heilung
gebracht und bei 11,1%, wesentliche Besserung herbeigeführt, In einer
späteren Veröffentlichung (25) gibt er 80°/, Heilungen und 13%, Besse-
rungen an. Günstiges haben auch Brusi (4), Forbät (18) und Buzi (d)
über die Anwendung der Injektion mitzuteilen. Cavalieri (12) wie
auch Terrien (40) und Dcschamps (16 u. 17) treten für die Be
handlungsweise ein. Barbier (2) veröffentlicht 13 Fälle von Enuresis.
von denen 9 durch epidurale Injektion vollständig geheilt und 2 ent-
schieden gebessert wurden, 2 Fälle wurden nach deutlicher Besserung
aus den Augen verloren.
Was die Art der Injektionsflüssigkeit betrifft, so herrscht auch
hier keine Einigkeit. Es sprechen sich Déjardin, Waroux, Freeman
und Cavalieri nur für physiologische Kochsalzlösung, Cantas, Hirsch
und besonders Strauß nur für Kokainlösung aus, während ein dritter
Teil der Autoren, nämlich Cath6lin, Kapsammer, Masmonteil.
Buzi, Deschamps und Terrien beide Lösungen benutzen, ohne
große Unterschiede in der Wirkung feststellen zu können. Auch die
Menge der Injektion ist großen Schwankungen bei den verschiedenen
Praktikern unterworfen. So injiziert Hirsch 15—20 cem, Brusi und
Cantas, welcher kleinere Dosen für weniger wirksam hält, 10 ccm.
Cathélin 10—15. Déschamps und Terrien 10—20, Albarran und
Cathélin 15—20, Kapsammer, Déjardin und Waroux 10—40 cem.
Die Konzentration der Kokainlösung wird von Cathélin 0,5—1 °%
Kapsammer 0,5°%,, Strauß 0,1%% und Buzi 1°% angegeben; auf eine
Injektion geben Hirsch 0,001 g, Déschamps und Terrien 0,0058:
Über die Behandlung der Enuresis nocturna usw. 215
Cantas 0,01—0,02 g Kokain. Albarran und Cathölin empfahlen an-
fangs bei Kokainanwendung nur 1 ccm einer 2°/, Lösung zu injizieren.
Zugleich halten sie es für angebracht, eine Zeitlang jeden zweiten
"Tag eine Injektion zu machen, bis sich der Erfolg einstellt. Forbät
gibt bis zu 25 und 30 Injektionen, und D&schamps und Terrien wieder-
holen dieselben alle 3—4—5 Tage. Kapsammer endlich wendet diese
Behandlung durchschnittlich dreimal in der Woche an und hält es für
ratsam, es in keinem Falle bei einer Einspritzung bewenden zu lassen,
auch wenn das Leiden schon nach dieser behoben erscheint, sondern
stets 2—3 Injektionen in kürzeren Zwischenräumen auszuführen. Diese
Forderung halten wir für wohlberechtigt und sehen vermutungsweise
den Grund für den teilweise unzureichenden Erfolg in unseren Fällen darin,
daß oft äußere Umstände die Erfüllung jener Forderung verhindert haben.
Wir haben über 10 Fälle zu berichten, welche sich über alle Alters-
klassen verteilen.
Fall I. 43jähr. Pat. leidet seit einigen Jahren an öfterem Bettnässen. Urin-
befund normal. 12. XII. 07. Injektion von 30 ccm physiologischer Kochsalzlösung
bleibt ohne Erfolg auf die Enuresis nocturna. Nach genauer Untersuchung des
Nervensystems wird multiple Sklerose mit großer Wahrscheinlichkeit festgestellt,
Fall II. 25jähr. Pat. mit gesunden Organen und normalem Urinbefund, seit
früher Kindbeit fast jede Nacht Bettnässen. Mit 12, 13 und 19 Jahren jedesmal
länger dauernde ärztliche Behandlung mit Hydrotherapie, wie kalte Sitzbäder, Wasser-
treten, Duschen usw., ohne jeden Erfolg. Die Symptome sollen sich im Gegenteil
noch verstärkt haben.
1. XI. 07. Epidurale Injektion von 20 ccm physiolugischer Kochsalzlösung,
darnach 3 Wochen lang nur einmal wöchentlich Enuresis, dann wie vor der Injektion.
29. XI. 07. Epidurale Injektion von 25 ccm physiologischer Kochsalzlösung; genau
derselbe Erfolg.
6. III. 08. Epidurale Injektion von 20 ccm physiologischer Kochsalzlösung mit
demselben Erfolg.
30. III. 08. Epidurale Injektion von 30 ccm physiologischer Kochsalzlösung
plus 0,15 Novocain-Suprarenin (Höchst), wieder mit dem gleichen Erfolg. Seit der
Gravidität (Anfang August 08) nur einmal wöchentlich Bettnässen, jedoch in den letzten
14 Tagen (15.—30. III. 09) wieder jede zweite Nacht.
Fall III. 19jähr. Pat. Anamnese ohne Besonderheiten. Seit der Jugend
Enuresis nocturna. In letzter Zeit mehrmals wöchentlich. Oft, aber ohne Erfolg be-
straft. Bisher nicht behandelt. Seit vielen Jahren Erschwerung der Nasenatmung,
Urin o. B.
19. X. 08. 0,2 Novocain-Suprarenin (Höchst) plus 30 ccm physiologischer Koch-
salzlösung epidural injiziert. In der darauffolgenden Nacht Bettnässen. Bis 27. X.
trocken, dann am 28. und 31. wieder Enuresis. Pat. wird wegen Schwellung der
Nasenschleimhaut behandelt, darmach soll die Enuresis nicht wieder aufgetreten sein.
Fall IV. 17jähr. Pat., gesund. Leidet seit Jahren alle paar Wochen an Enuresis
nocturna. Urinuntersuchung ergibt nichts Pathologisches.
13. XII. 07. Injektion von 15 ccm physiologischer Kochsalzlösung. Sofort dauern-
der und voller Erfolg über 1'/, Jahr.
Fall V. (Schwester von Fall IV.) 16jähr. Pat. leidet seit vielen Jahren an
Enuresis nocturna, die alle 3—4 Wochen und zwar meist mehrere Nächte hinter-
einander auftritt. Sonst keine Erkrankung festzustellen. Urinbefund normal.
28. IV. 08. Injektion von 15 ccım physiologischer Kochsalzlösung. Einen Monat
trocken, dann wie zuvor. Nach allgemeiner Faradisation, kalten Spritzduschen auf
die Blasengegend und Kreuzbeinmassage seit !/, Jahr vom Leiden verschont geblieben.
216 H. Sieber.
Fall VI. 14jähr. Pat., seit frühester Jugend Enuresis nocturna. Mehrmals
jede Nacht; nie bestraft; bisher unbehandelt. Keine Organerkrankung nachweisbar.
Urin zeigt keine Absonderlichkeiten.
23. VI. 08. 0,2 Novocain-Suprarenin (Höchst) plus 20 ccm physiologischer Koch-
salzlösung epidural injiziert. Darauf 4 Wochen absolut trocken. Von da ab ca. alle
14 Tage einmal, später jede Woohe ca. zweimal Bettnässen, deshalb
19. X. 08 nochmals Injektion von 0,2 Novocain-Suprarenin (Höchst) plus 20 Go
physiologischer Kochsalzlösung. 2 Tage später einmal Bettnässen, 10 und 15 Tage
später wieder einmal. Hat sich nicht wieder vorgestellt.
Fall VII. 12jähr. Pat. Seit früher Jugend jede Nacht naß; sonst gesund.
Urin o. B.
5. IV. 08. 7 ccm physiologischer Kochsalzlösung. Eine Nacht mit Erfolg, dann
wie vorher.
15. IV. 08. 23ccm physiologischer Kochsalzlösung mit nur vorübergehendem Erfolg.
Fall VIII (Schwester vom Fall 6). 7jährige Patientin näßt seit früher Jugend
jede Nacht das Bett. Einzelne Organe ohne pathologischen Befund, desgleichen Urin.
24. 4. 08. 12 ocm physiologische Kochsalzlösung epidural injiziert, bringt keine
Besserung des Leidens mit sich.
Fall IX. 7jähr. Pat., von Jugend auf an unregelmäßigen Anfällen von Enuresis
leidend. Dieselben treten bei Erkältung häufiger auf, im übrigen ist Pat. gesund, der
Urin zeigt nichts Absonderliches.
11. II. 08. 20 cem physiologischer Kochsalzlösung. Darnach noch zweimaliges
Auftreten des Bettnässens. Seit einem Jahr dauernd trocken.
Fall X. 6jähr. Pat. hat keine besonderen Krankheiten überstanden, leidet aber
von Jugend auf jede Nacht an Bettnässen.
1. 1V. 08. Epidurale Injektion von 10 ccm einer 1°), Novocainlösung. Enuresis
verschwindet sofort. Patientin bleibt 5 Tage unter Beobachtung, ohne daß Bettnässen
eintritt. Wird geheilt entlassen. Eltern lassen nichts von ihrer Tochter hören.
Leider haben wir weder über ein großes Material von Enuresis
nocturna zu verfügen, noch können diese Resultate — 3 Heilungen,
2 dauernde Besserungen, 3 vorübergehende Besserungen und 2 Miß-
erfolge — den Anspruch erheben, glänzend genannt zu werden. Einen
Teil der Schuld hieran wird vielleicht der Umstand tragen, daß die
Injektionen zu selten gemacht wurden. 7 Fälle erhielten nur eine
einzige Injektion. Der Grund lag in äußeren Verhältnissen; teils waren
die Patienten von auswärts zugereist und wollten sich nicht zu weiterer
Behandlung länger aufhalten, teils blieben dieselben fern, weil sie nicht
an eine vollständige Heilung glaubten. Jedenfalls aber wird auch aus
den wenigen Fällen jedermann ersehen können, daß bei wirklicher
Enuresis nocturna idiopathica, die also nicht ein Begleitsymptom einer
organischen Erkrankung, wie z. B. höchstwahrscheinlich im Fall II, ist,
ein gewisser Einfluß der epiduralen Injektionen auf die nächtlichen
Blasenentleerungen statthat.
Was die Technik betrifft, so ist dieselbe sowohl in der Cathe&lin-
schen, von Strauß übersetzten Monographie (16) ausführlich, als auch
kürzer von Stöckel (l.c.) — dort mit sehr schönen Abbildungen —
beschrieben, so daß hier darauf nicht eingegangen zu werden braucht.
Frwähnt soll nur werden, daß die Ausführung in den meisten Fällen
sehr leicht ist, und daß wir unter den nunmehr ca. 200 geburtshilflichen
Füllen keinem einzigen begegneten, hei welchem die Technik auf
Über die Behandlung der Enuresis nocturna usw. 217
Schwierigkeiten gestoßen wäre. Spritzt man mehr als 5 ccm ein, so
läßt sich, wenn die Nadel sich einmal nicht im Canalis sacralis befinden
sollte, diese Tatsache bei einiger Achtsamkeit daran erkennen, daß im
umgebenden Gewebe eine Infiltration entsteht, die sich auch dem Auge
bemerkbar macht. Außerdem fließt dann stets aus der steckengelassenen
Kanüle die Flüssigkeit tropfenweise zurück, während bei richtig liegender
Nadel dies niemals vorkommt, selbst wenn 80 ccm eingespritzt werden
und zu den letzten Mengen ein großer Stempeldruck erforderlich war.
Eine Anästhesierung der Einstichstelle ist nicht erforderlich; der Ein-
stich ist nicht schmerzhafter als bei irgendeiner anderen Injektion. Einen
merkbaren Unterschied zwischen Novocainlösung und physiologischer
Kochsalzlösung konnten wir in der Wirkung nicht feststellen. Da die
Methode sicher unschädlich und bei Einhalten der gewöhnlichen asep-
tischen Regeln ungefährlich ist, so ist ein Versuch mit derselben bei
hartnäckigen Enuresen unbedingt zu empfehlen. Manchen Praktikern
wird vielleicht die Tatsache, daß man mit epiduralen Injektionen manche
Enuresis bessern und manche heilen kann, genügen, und wir dürfen
uns auch, obgleich über die Art und Weise der Wirkung noch manches
Dunkel gebreitet ist, nicht abhalten lassen, trotzdem diese Therapie an-
zuwenden. Andererseits widerstrebt es dem wissenschaftlich denkenden
Arzt einigermaßen, Mittel anzuwenden, über deren Effekt auf den
menschlichen Körper er sich kein rechtes Bild machen kann. So ist
es begreiflich, daß verschiedene Theorien ausgedacht wurden, wie man
sich wohl die Einwirkung der Injektionen auf das Leiden vorzustellen hat.
Cath&lin und mit ihm verschiedene andere Autoren nehmen eine
direkte mechanische Einwirkung auf die im Sakralkanal gelegenen
Nervenwurzeln resp. die Cauda equina an und Cath6lin spricht von
einem „vertebralen Traumatismus“. Dies mag z. B. bei Verwen-
dung von größeren Mengen über 10 ccm schon zutreffen, erklärt aber
nicht die sicher festgestellte Wirkung kleinerer Mengen. Für diese
Fälle ist doch mehr ein chemotaktischer Einfluß auf die Nerven-
elemente und hierdurch eine Änderung in ihrem physiologischen Ver-
halten anzunehmen. Wenn auch die Resorption von Stoffen, wie
Stoeckel (l. c.) gezeigt hat, in diesem epiduralen Raum keine rasche
ist, und die voh der injizierten Flüssigkeit umspülten Nervenwurzeln
noch von der Dura umschlossen sind, so muß doch ein Fortschreiten
des ausgeübten Reizes von der Dura auf die Nervenwurzeln angenommen
werden. Chat&6lin meint nun, daß der auf die Nerven ausgeübte Reiz
sich bis zum spinalen Zentrum fortpflanze und bei diesem eine Funk-
tionsänderung hervorrufe. Jabouley glaubt an eine Übertragung
der Nervenerregung auf den Plexus hypogastrieus und Kapsammer
nimmt mit verschiedenen anderen Autoren eine Tonuserhöhung des
Sphincter internus zugleich mit einer Relaxation des Detrusors urinae
durch nervösen Chok an. Cantas (6) glaubt an eine Dehnung der
Nervenwurzeln, weil mit der Erhöhung des Injektionsquantums der
Effekt steige, eine Erfahrung, die wir auf geburtshilflichem Gebiet, wo
218 H. Sieber.
bis 80 cem injiziert wurden, nicht machen konnten. Die Erklärung
der Wirkungsweise der epiduralen Injektion läßt sich erst dann
definitiv geben, wenn die Ursache des Bettnässens, die durch die
Injektion behoben wird, bekannt ist. Diese Ursache hinwiederum ist
dann zu ergründen, wenn der normale Mechanismus der Urin-
entleerung, der bei dem Leiden eine Störung erfährt, festgestellt ist.
Hierzu müssen wir uns kurz die einschlägigen anatomischen und phy-
siologischen Verhältnisse der Blase vergegenwärtigen. Man unterscheidet
bei der Blase bekanntlich im wesentlichen zwei Schichten glatter Muskel-
fasern, eine äußere längsverlaufende, welche den sog. Musculus
detrusor urinae darstellt, und eine unter dieser gelegene Ring-
faserschicht, die sich am Blasenhals zum Musculus sphincter
vesicae internus verdichtet. Dem aus quergestreiften Muskelfasern
bestehenden, der Willkür unterworfenen Musculus sphincter vesicae
externus des Mannes entspricht bei der Frau der Musculus sphincter
urogenitalis (Kalischer).
Was die motorische Innervation der Blase betrifft, so sind die
Einzelheiten noch nicht definitiv festgelegt. Sicher ist, daß zwei
Bahnen existieren: die eine von den letzten vorderen Lumbalwurzeln
über den Grenzstrang des Sympathikus und das Ganglion mesentericum
inferius zum Plexus hypogastricus (resp. vesicalis), die andere von der
zweiten und dritten vorderen Sakralwurzel über den Nervus erigens
zum Plexus hypogastricus (resp. vesicalis) (Langendorff in Nagels
Lehrbuch der Physiologie).
Das Blasenzentrum sitzt nach Langendorff etwa im zweiten bis
vierten Sakralsegment Es müßten also nach seiner Ansicht alle sen-
siblen Reize der Peripherie und von der Blasenwand solche, welche
in die zweite und dritte hintere Sakralwurzel eintreten, dieses Zentrum
benutzen. Aber weder Durchschneidung des Rückenmarks oberhalb der
Pars lumbalis noch Entfernung dieser und der Pars sacralis (Goltz und
Ewald, Müller) haben dauernd eine Beeinträchtigung der Reflextätig-
keit der Blase zur Folge; also ist weder das Gehirn noch auch das
Lumbosakralmark zur Ausübung dieser Funktion absolut nötig. Diese
Tatsache bedingt das Vorhandensein eines weiteren Reflexzentrums, und
dieses ist auch tatsächlich gefunden und gehört dem sympathischen
System an. Es wurde festgestellt, daß das Ganglion mesentericum in-
ferius ein Reflexzentrum der Blase darstell. Wir kommen hiermit
auf das noch ziemlich dunkle und sehr schwierige Gebiet des Sym-
pathikus. Eine erhebliche Erschwerung der Forschung auf diesem Felde
beruht darauf, daß Experimente am Menschen bedeutende Schwierig-
keiten bieten, und daß die Versuchstiere zum Teil andere anatomische
Anlagen des Sympathikus als der Mensch zeigen. Langley, der sich
besonders eingehend mit der Physiologie des Sympathikus beschäftigt
hat, stellte vor einigen Jahren folgende Einteilung des Systems auf:
Es ist zu unterscheiden zwischen 1. dem Grenzstrang des Sympathi-
kus mit seinen Ganglien, 2. den sog. autonomen Systemen, nämlich
Über die Behandlung der Enuresis nocturna usw. 219
dem bulbären, dem sakralen und den peripheren sympathischen Ganglien.
Das sympathische System ist anzusehen als zwei hintereinander ge-
schaltete Nervenelemente, von welchen jedes in Hinsicht auf die tro-
phischen und funktionellen Beziehungen als selbständig und unabhängig
anzusehen ist. Denn einerseits ziehen die weißen Rami communicantes
aus den vorderen Rückenmarkswurzeln zu den sympathischen Ganglien
und endigen dort mit einem Endbäumchen (präzelluläre [Kölliker],
präganglionäre [Langley] Faser), welches dann die eigentliche sym-
pathische Zelle umspinnt. Von letzterer geht dann andererseits der
Achsenzylindecr zum (Gewebe (postzelluläre, postganglionäre Faser;
motorische Eingeweidenerven I. und II. Ordnung [Kölliker]. Nach
Langley gehen zu jedem Spinalnerven durch einen grauen Ramus
communicans postganglionäre sympathische Fasern, während nur ein
Teil der Spinalnerven, nämlich der erste Dorsal- bis fünfte Lumbal-
nerv — beim Menschen wahrscheinlich nur bis zum dritten Lumbal-
nerven —, präganglionäre Fasern zu den sympathischen Ganglien ab-
geben. Der Sakralteil des Grenzstranges erhält also nach Langley
keine spinalen Fasern. Deshalb tritt hier das autonome sakrale System
ein. Seine aus dem Sakralmark stammenden präzellulären Fasern ziehen
im Nervus erigens zu den Ganglien des Plexus hypogastricus, die post-
zellulären von da zur Blasenwand. Weiter wird, wie wir oben ge-
sehen haben, die Blase innerviert von einem autonomen peripheren
Ganglion aus, dem Ganglion mesentericum inferius. Dieses erhält (bei
der Katze) vom ersten bis vierten Lumbalnerven über den Grenzstrang
seine präganglionären Fasern und sendet (beim Tier) unter anderem die
beiden Nervi hypogastrici nach abwärts zur Blase. Soweit Langley.
Beim Menschen findet sich nun kein Nervus hypogastricus, sondern
nur der viel umfassende Plexus hypogastricus. Daß das Ggl. mesen-
tericum inferius Reflexfunktionen für die Blase ausübt, wird durch die
Tatsache bewiesen, daß nach Durchtrennung der Verbindungen des
Ganglion mit dem Rückenmark und Durchschneidung eines Nervus
hypogastricus bei Reizung des zentralen Stumpfes desselben eine Kon-
traktion auf der anderen Seite der Blase eintritt. Wenn das Ganglion
funktionsunfähig gemacht ist oder die präzellulären Fasern durchschnitten
oder degeneriert sind, so tritt der Reflex nicht mehr ein. Er muß also
im Ganglion vor sich gehen und durch präzelluläre Fasern vermittelt
werden. Eine präzelluläre Faser, welche nicht in dem besagten Gan-
glion endigt, sondern es durchläuft bis zu einem noch mehr peripher
gelegenen Ganglion, gibt in dem ersteren eine Kollaterale ab. In der
präzellulären Faser läuft nun der Reiz „antidrom“ bis zur Kollateralen
im Ganglion und wirkt durch diese auf die Zellen des Ganglions und
ihre (postganglionären) Fortsätze (präganglionärer Axonreflex [Langley)).
Möglich sind nach Langley auch postganglionäre Axonreflexe. Alle
Teile des sympathischen Systems enthalten zentripetale Fasern, welche
dem Rückenmark angehören und durch die weißen Rami communi-
cantes in dasselbe eintreten. Ob auch die grauen Rami sensible Fasern
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Über die Behandlung der Enuresis nocturna usw. 221
eine starke Kontraktion der Blase zur Folge haben (Schultz, l. c.;
Wlasow, Referat im Zentralbl. für Physiol. 1904, 24). Die Blasen-
funktionen würden nach Langley u.a. vom Grenzstrang des Sympathi-
kus nicht beeinflußt werden. Dieser Ansicht steht die Tatsache ent-
gegen, daß erstens von den sympathischen Sakralganglien graue Rami
zum Nervus erigens ziehen und zweitens auch direkt vom Grenzstrang
durch den Plexus vesicalis zahlreiche Fasern zur Blase gehen!). Man
möge die beigedruckte Abbildung aus Toldts anatomischem Atlas ver-
gleichen. Dieselbe ist von Herrn Medizinalpraktikanten Bönning ge-
zeichnet, dem hiermit auch hier der beste Dank ausgesprochen werden
sol. Um zu versuchen, in diese Verhältnisse mehr Klarheit zu bringen
und zugleich eventuell die Wirkungsweise der epiduralen Injektion aus-
findig zu machen, wurden folgende Versuche an Kaninchen angestellt.
Tierversuche.
Versuch]. 4'/, Pfund schweres männliches Kaninchen. Äthernarkose. Es wird
der Grenzstrang in der Höhe des zweiten bis fünften Lumbalwirbels mittels Elektrode
gereizt. Dabei deutliche Zusammenziehung der Blase, stärkere Aktion einzelner Darm-
partien. Nach Durchschneidung des Grenzstranges in der Höhe der Reizungsstelle
ist wohl proximal zur Blase, aber nicht mehr distal eine Kontraktion zu erzielen.
Der Grenzstrang verläuft in zwei dünnen Fäden hinter der Aorta zwischen den
medialen Rändern des M. psoas nach abwärts.
Versuch II. 5 Pfund schweres weibliches Kanivchen. Äthernarkose. Reizung
des Grenzstranges im ganzen Lumbalteil gibt, wenn auch nicht so deutlich wie in
Versuch 1, Kontraktion der Blase. Desgleichen wird bei Reizung des Ggl. mesenteri-
cum inferius und des Plexus hypogastricus Zusammenziehung der Blase beobachtet.
Die Elektrodennadel wird zwischen dem zweiten und dritten Sakralwirbel in den Sakral-
kanal eingestochen, um die dort verlaufenden Nerven zu reizen. Es ist eine Zusammen-
ziehung des Halsteils der Blase zu konstatieren, so daß die übrige Blase glatter als
sonst erscheint. Diese Beobachtung, die wir mehrmals gemacht haben, steht im Gegen-
satz zu den obigen Mitteilungen über die Kontraktionswirkung der sakralen Nerven.
Zu bemerken ist, daß das Kaninchen sieben Lumbalwirbel besitzt,
ferner daß beim Weibchen der paarige Plexus hypogastricus 7 mm unter-
halb der Teilungsstelle der Aorta abdominalis aus dem Plexus aorticus
abdominalis abgeht. Das Ggl. mesentericum inferius liegt vor der Aorta
abdominalis etwas oberhalb der Abzweigung der Arteria mesenterica
inferior. Auch eine Reizung des Nervus hypogastricus, welcher beinı
Männchen aus dem vor der Arteria iliaca communis dextra liegenden
unpaaren Ggl. hypogastricum entspringt, erzeugt Blasenkontraktion. Der
Nerv verläuft medial von der Arteria iliaca interna dextra und vor der
Vena iliaca interna dextra. Venae iliacae communes gibt es beim
Kaninchen nicht, vielmehr nimmt die Cava inferior etwas oberhalb des
Promontoriums die beiden Venae iliacae externae und die Vena iliaca
interna communis auf, welch letztere sich tief im kleinen Becken aus
den beiderseitigen Venae iliacae internae gebildet hat.
D Por die liebenswürdige Beratung in diesen schwierigen Fragen bin ich Herrn
Geheimrat Gasser zu großem Dank verpflichtet.
299 H. Sieber.
Versuch Ill. 6 Pfund schweres männliches Kaninchen. Äthernarkose. Reizung
des Grenzstranges, des Ggl. mesentericum inferius, des Nervus hypogastricus, sowie
der Sakralwurzeln im Kreuzbeinkanal ergibt dieselben Reaktionen bei der Blase, wie
Versuch 2. Dieses Mal wurde, um die Reizung der Sakralwurzeln mit dem Auge zu
kontrollieren, die knöcherne Hinterwand des Sakralkanals entfernt und die freiliegenden
Wurzeln gereizt. Auch jetzt zeigt sich nur eine partielle Kontraktion der Blase
(Collum vesicae).
Versuch IV. 4 Pfund schweres weibliches Kaninchen. Äthernarkose. Reizung
wie bei Versuch 2 mit demselben Erfolg. Es wird mit der Pravazschen Spritze
eine epidurale Injektion gemacht, und zwar wird, um den Duralsack nicht anzustechen,
die Nadel zwischen zweitem und drittem Schwanzwirbel eingestoßen, da das Filum
terminale beim Kaninchen erst in der Höhe des zweiten Kreuzbeinwirbels beginnt.
Als Injektionsflüssigkeit wird 1 ccm physiol. Kochsalzlösung plus 0,005 Novoc. Suprar.
(Höchst) verwandt. Fünf Minuten nach der Injektion sind die obigen Reizeffekte
nicht mehr zu konstatieren. Auch von den Sakralwurzeln aus erhält man keine Blasen-
kontraktion mehr. Zugleich scheint der Herzschlag gegen vorher verlangsamt zu sein.
Versuch V. 5t/, Pfund schweres männliches Kaninchen. Äthernarkose. Dieselben
Versuche wie bei 4 resp. 3. Es treten nach der epiduralen Injektion — dieselbe
Technik wie Menge — die Reizeffekte nur mehr ganz undeutlich zutage. Ebenfalls
anscheinend Pulsverlangsamung.
Versuch VI. 4°], Pfund schweres weibliches Kaninchen. Äthernarkose. Versuch?
wie früher und mitdemselben Erfolge. Außerdem ergibteine Reizung von Dünndarmpartien,
die möglichst weit von der Blase entfernt sind, deutlich außer Kontraktion dieser Teile
solche der Harnblase. Desgleichen lassen sich vom Brust- (Rippenresektion) und Hals-
teil des Sympathikus ebenfalls Bewegungen der Blase und anderer vom Sympathikus
versorgter Eingeweidemuskeln auslösen.
Wir sind uns wohl bewußt, daß solche Versuche sehr schwer ein-
wandsfrei durchzuführen sind, da auch bei größter Sorgfalt Fehler-
quellen in der Anordnung und Technik mit unterlaufen können. Es
ist ferner zu beachten, daß Verblutung mit Erstickung automatische
Blasenkontraktionen zur Folge hat (Landois). Die Narkose führte
nie zu Asphyxie und Blut ist fast gar keines geflossen. Trotzdem ist
es uns nach diesen Versuchen sehr wahrscheinlich, daß sich — wenigstens
beim Kaninchen — funktionell nicht eine so strenge Scheidung in
Grenzstrang und autonome Systeme, wie Langley annimmt, durch-
führen läßt. Denn die Versuche zeigten uns kurz folgendes:
1. Reizung des Hals-, Brust- und Lendenteils des Sympathikus
haben deutliche, wenn auch manchmal schwache Kontraktion der Blase
(neben anderen Eingeweiden) zur Folge.
2. Nach Durchschneidung des Grenzstranges läßt sich peripher von
der Durchschneidung (in bezug auf die Blase) keine Kontraktion der
Blase mehr hervorrufen, sondern nur proximal. Es spricht dies dafür,
daß der Reiz nicht auf Umwegen zur Blase gelangt.
3. Außerdem läßt sich durch das Ggl. mesenteric. inferius und den
Plexus (resp. Nervus) hypogastricus ein Reizeffekt auf die Blasenwand-
muskulatur auslösen.
4. Auch bei Reizung von Dünndarmschlingen setzte sich der Reiz
auf die Nerven der Blasenmuskulatur fort.
ö. Alle diese Effekte werden aufgehoben oder stark vermindert durch
die epidurale Injektion.
Über die Behandlung der Enuresis nocturna. 223
6. Reizung der Sakralwurzeln im Sakralkanal bewirkt Kontraktion
der Blase in den Halspartien (?).
Unsere auf diese Versuche begründete Annahme der Möglichkeit
einer Beeinflussung - des sympathischen Systems von irgendeiner Stelle
des Sympathikus aus wurde bestärkt durch
Beobachtungen von Menschen bei der epiduralen Injektion.
Wir sahen konstant in einwandfreier Weise, daß bei schmerz-
loser Injektion in den Sakralkanal während derselben eine deutliche
Pupillenerweiterung und Beschleunigung des Pulses auftrat.
Auch Hoffmann sah nach Reizung einiger Wurzelfäden des ersten und
zweiten Dorsalnerven allgemeine Pupillenerweiterung. Zirka 5 Minuten
nach der Injektion waren die Pupillen entschieden enger als vor der
ganzen Prozedur und der Puls deutlich verlangsamt.
Es wurde zuerst genau Puls und Pupillenweite festgestellt. Dann
wurde die Nadel eingestochen und so lange gewartet, bis jede Reaktion
(Pupille und Puls) vom Schmerz des Einstichs verschwunden war.
Dann wurde vorsichtig die Spritze auf die Kanüle gesetzt und langsam
so injiziert, daß die Pat., wie die Betreffende stets versicherte, absolut
nichts von der Injektion spürte. Ein zuverlässiger Beobachter stellte
währenddem die Puls- und Pupillenverhältnisse fest. Wie gesagt, finden
wir durchweg in allen Fällen während des Einspritzens und kurze Zeit
danach deutliche Pupillenerweiterung und Pulsbeschleunigung, die dann
einer Pupillenverengerung und Pulsverlangsamung Platz machten, hoch-
gradiger, als sie je zuvor bestanden hatten. Zählte der Puls vorher
75 Schläge, so bekam die Pat. während und kurz nach der Injektion
95—100 und nach einigen Minuten 50—60 Pulse in der Minute. Dieser
letzte Zustand hielt ca. eine Stunde an. Wir erkennen hieraus eine
Reizung mit nachfolgender leichter Lähmung des Sympathikus und
müssen annehmen, daß eine Beeinflussung des sympathischen Systems
vom Sakralkanal aus bis zu seinem anderen Ende stattgefunden hat.
Die Erweiterungsfasern der Pupille gehen vom sympathischen Ggl. cer-
vicale supremum durch den Plexus caroticus internus in der sog. Radix
media zum Gel ciliare. Die Frage, ob auch von der Nasenschleimhaut
aus, welche ja ebenfalls von Ggl. cervicale supremum Fasern erhält
(Ggl. nasale), eine Beeinflussung des Sympathikus statthaben kann und
so vielleicht die schmerzstillende Wirkung der Kokainpinselungen der
Nasenschleimhaut auf den Uterus zu erklären ist — das Aufhören der
Enuresis nach Entfernung adenoider Vegetationen aus der Nase könnte
darauf hinweisen — diese Frage wollen wir nur streifen, und müssen
die Entscheidung vollständig dahingestellt sein lassen.
Nach allem aber, was wir bisher gesehen haben, müssen wir an-
nehmen, daß zwar Gehirn und Rückenmark (Ggl. vesicospinale, beim
Hund vierter Lumbalwirbel [Landois]) zum geregelten Mechanismus der
Blasenentleerung notwendig sind, während der Sympathikus eine ver-
294 H. Sieber.
mittelnde Rolle hierbei spielt, daß aber in Ausnahmefällen sich der Vor-
gang automatisch ohne Zutun jener Zentralorgane abspielen kann.
Der normale Vorgang ist folgender: Bei Anfüllung der Blase
werden durch Dehnung der Blasenwand die sensiblen Fasern derselben
gereizt. Diese treten durch die erste bis vierte hintere Sakralwurzel,
sowie vereinzelt durch Vermittlung des Plexus hypogastricus zum
Kückenmark. Der Reiz pflanzt sich auf das Ggl. vesicospinale fort und von
da zum Gehirn, wo das Gefühl der gefüllten Blase zum Ausdruck kommt.
Der Reflex kommt erst zustande, wenn der durch das Gehirn aus-
geübte oder vom Rückenmark automatisch bewirkte hemmende Einfluß
aufgehoben wird. Willkürlich wird die Hemmung noch durch den
Tonus des Musculus sphincter vesicae externus resp. Sphincter urogeni-
talis unterstützt. Wird der Reiz zu stark oder wird die Hemmung frei-
willig unterbrochen, so spielt sich der reflektorische Entleerungsvorgang
ab, indem die motorischen Bahnen den Reiz in voller Stärke übermittelt
bekommen. Voraussetzung für diese Verhältnisse ist, daß Sphinkter
und Detrusor sich in einem aufeinander abgestimmten Tonus befinden.
Ist das nicht der Fall und besteht eine Hypertonie des Sphinkters oder
Detrusors, so müssen Störungen in der Reflextätigkeit des Entleerungs-
vorganges die Folge sein. Es entsteht entsprechend Harnverhaltung
oder Inkontinenz. Tritt nun eine Aktion des Detrusors ein, ehe eine
Wanddehnung besteht und die sensiblen Nerven einen deutlichen Reiz
vermitteln können, ehe also zentrale Hemmungseinflüsse wachgerufen
werden, so resultiert eine unwillkürliche Entleerung der Blase.
Wie Kapsammer (26) u. a., so möchten auch wir unbedingt die
Anschauung vertreten, daß für gewöhnlich nicht der Eintritt von Urin
in den Blasenhals als Hauptmoment das Gefühl des Harndrangs auslöst,
sondern die Dehnung der Blasenwände bei stärkerer Füllung. Dann
auch tritt erst der gewöhnliche Entleerungsreflex ein. Bei Enuresis
kommt es jedoch gar nicht erst zu einer solchen Dehnung, daß ein
sensibler Reiz durch dieselbe hervorgebracht werden könnte, sondern
die Kontraktion des Detrusors ist das Erste. Wird, wie in den
Fällen von einer Enuresis nocturna, bei Tage durch diese Kontraktion
infolge Eindringens von Urin in den Blasenhals und den Spinkter ein
gewisser Reiz ausgeübt, der zwar schwach ist, aber doch auftritt, so wird
der Sphincter externus arretierend in Aktion treten und bei dem dann
beginnenden Spiel von Expulsion und Arretierung wird das Gefühl des
Harndrangs ausgelöst. Dann erst, durch den doppelten Druck auf die
Blasenwand von außen und innen, findet hierzu eine genügende sensible
Reizung statt. Ist die spontane Detrusorkontraktion eine recht intensive
und häufige, so tritt das Gefühl des gesteigerten Harndrangs am größten
Teil des Tages in Erscheinung. Es beginnt, wie gesagt, wenn der
Gegendruck von seiten des Sphincter externus einsetzt. Der vom Blasen-
hals-aus sich einstellende Reiz ist jedoch in tiefem Schlaf nicht stark
genug, um Arretierungsreflexe auszulösen. Die Blasenentleerung erfolgt
infolgedessen schon bei der ersten Detrusorkontraktion. Bei dem nicht
Über die Behandlung der Enuresis nocturna usw. 225
an Enuresis leidenden Menschen tritt auch im Schlafe erst bei stärkerer
Blasendehnung ein sensibler Reiz und Kontraktion des Detrusors, zu-
gleich aber eine automatische Hemmungswirkung vom Rückenmark aus
ein. Wird der Reiz stark, so kommt das Individuum zum Erwachen.
Diejenigen Fälle, wo auch eine Enuresis diurna, und zwar ohne
Harndrang besteht, möchten wir hier nicht weiter berücksichtigen, denn
diese stellen nach unserer Ansicht nicht das reine Krankheitsbild dar,
' welches die Enuresis nocturna bietet. Dort muß teils eine anatomisch
begründete Anomalie des Verschlußapparates, teils eine Unterempfindlich-
keit dieser Partien bestehen, welche bei den Fällen alleiniger Enuresis
nocturna nicht gefunden werden. Auch nehmen wir bei unserem Leiden
nicht eine Schwäche des Sphinkters an, sondern glauben, daß derselbe,
allein betrachtet, normale Verhältnisse, sowohl anatomisch als funktionell,
zeigt. Durch die bestehende Hypertonie des Detrusors wird jedoch jenen
eine verhältnismäßige Hypotonie aufgezwungen, welche leicht als Schwäche
gedeutet werden kann. Kontrahiert sich der Detrusor, so wird, wie
Wlasow (l. c.) meint, infolge der eigenartigen Bauart des Sphinkters
dieser auseinandergezogen, d. h. geöffnet. Jene Hypertonie des Detrusors
beruht auf nervöser Basis, und zwar beschränkt sich die physiologische
Eigentümlichkeit nicht auf einen einzelnen Teil des Sympathikus, son-
dern die mit dem Leiden behafteten Individuen zeigen meist einen all-
gemein nervös alterierten Zustand. Hierfür spricht auch die Heredität
des Leidens. In unseren Fällen finden sich zweimal Schwestern. Unsere
Versuche lassen uns annehmen, daß irgendwelche längerdauernden
Reize, welche das sympathische System irgendwo treffen, das-
selbe in einen allgemeinen dauernden RBeizzustand (Hyper-
tonie) versetzen können, der bei manchen Fällen in Enuresis noc-
turna seinen Ausdruck findet. So erklärt sich das häufige Vorkommen
dieser Krankheit bei Eingeweidewürmern — es sei an den Versuch der
Dünndarmreizung erinnert — und bei adenoiden Vegetationen in der Nase.
Möglich wäre, daß der Druck irgendwelcher innerer Organe, eventuell
durch Verlagerung derselben, oder beispielsweise in der Nähe des Trun-
kus gelegener vergrößerter Drüsenpakete auf den Grenzstrang oder
periphere Ganglien einen Reiz ausübte Je tiefer sich ein solcher
Reizzustand eingewurzelt hat, um so mehr epidurale Injektionen würden
bis zu seinem völligen Verschwinden nötig sein. Die Fortleitung des
irgendwo gesetzten Reizes kann man sich vielleicht nach der Art des
von Langley angenommenen präganglionären Axonreflexes denken. Im
Grenzstrang oder peripher verlaufende präzelluläre Fasern werden ge-
reizt und geben durch Kollateralen den Reiz an die Nervenzellen der
Ganglien, die sie durchlaufen, weiter (siehe Fig. 2).
Von da tritt die postzelluläre Aktion auf das Gewebe ein. Even-
tuell wäre auch nach Langley an die Wirkung eines postganglionären
Axonreflexes zu denken.
Schultz (l. c.) gibt die Möglichkeit zu, daß durch lokale Einflüsse
gereizte Ganglien Impulse zu den Geweben abgeben.
226 H. Sieber.
Wenn wir also eine allgemeine Hypertonie des sympathischen Systems
annehmen und uns dåmit teilweise auf den Standpunkt von Jaboulay u. a.
stellen, die zwar einen alleinigen Reizzustand des sakralen Systems vor-
aussetzen, so muß logischerweise durch die epidurale Injektion eine
Tonusänderung des Sympathikus hervorgebracht werden. Daß die
epiduralen Injektionen tatsächlich auf den ganzen Sympathikus Einfluß
haben, konnten wir durch die Beobachtungen am Menschen feststellen.
Wie jedoch im Genaueren dieser Einfluß statthat, welchen Weg er
vom Sakralkanal aus nimmt, das zu entscheiden stößt bei dem immer
noch nicht genügend erforschten Gebiet auf große Schwierigkeiten. Ist
doch noch nicht einmal von allen anatomischen Autoritäten angenommen,
daß der Sakralteil des Grenzstranges beim Menschen keine weißen
Rami vom Rückenmark erhält. Langley läßt die sicher vorhandenen
Präganglionäre Faser. Sympathisches Ganglion.
€
.r
D ae e wm mm geg
Rückenmark
=
A
vi `
Fig. 2.
Nach einer schematischen Skizze von Langley.
C. = Collaterale, P.G. — Postganglionäre Faser. A. — Reizungsstelle.
direkten Verbindungen der Grenzstrangganglien mit den Bauch-
eingeweiden ganz außer Betracht. Solcher Schwierigkeiten finden sich
noch mehrere. Nehmen wir aber an, daß nur graue Rami vom Grenz-
strang zu den Beckennerven entsandt werden, so kämen unseres Er-
achtens vier Möglichkeiten für den Wirkungsweg der epiduralen In-
jektion auf den Sympathikus in Betracht: 1. eine direkte Einwirkung
auf den aus den Sakralwurzeln entspringenden Nervus erigens, der zum
Plexus hypogastricus zieht. Es wäre an eine Art präzellulären Axon-
reflexes zu denken, aber ohne antidrome Bewegung. Diesem Nerven
sind außerdem schon graue Fasern durch einen grauen Ramus bei-
gemengt und nach Langley beeinflussen diese grauen Fasern die
autonomen (rebilde im Verbreitungsbezirk des spinalen Nervens; 2. könnte
man eine „antidrome“ Bewegung im grauen Ranmus communicans zum
Grenzstrang annehmen, wofür die prompte Pupillenerweiterung und Puls-
beschleunigung bei schmerzloser Injektion sprechen würde; 3. wäre in
Betracht zu ziehen, daß, wie auch Stoeckel (l.c.) an verschiedenen
Versuchen gezeigt hat, die Flüssigkeit epidural weit in die Höhe
Über die Behandlung der Enuresis nocturna usw. ` 227
wandern kann und also auch die für das Ggl. mesentericum inferius
in Betracht kommenden weißen Lumbalrami beeinflussen könnte; 4. end-
lich kann, wie auch Stoeckel (l. c.) gezeigt hat, die Flüssigkeit zu den
Foramina sacralia hinausdringen und die Nerven dort beeinflussen. Die
von Langley stammende schematische Skizze, welche für die topo-
graphischen Nervenverhältnisse bei der epiduralen Injektion in Betracht
kommt, sei hier wiedergegeben (Fig. 3).
Jaboulay (Soc. med. des höpiteaux de Lyon 1902) empfiehlt die
sogenannten retrorektalen Injektionen. Er spritzt in den vor dem Kreuz-
bein und hinter dem Rektum gelegenen Bindegewebsraum 100—200 cem
physiologischer Kochsalzlösung und berichtet mit anderen über glänzende,
Hint. Wurz.
Grenzstrang
des Sympathikus.
Verbreitungsrichtung der
Symp. Gangl Injektionsflüssigkeit.
For. intervertebr. sacr.
grauer Ramus
communicans.
Vord. Wurz. zum Nerv. erig.
Fig. 3.
Nach einer schematischen Skizze von Langley.
auf diese Weise erreichte Erfolge. Es wird hier zwar der untere Teil
des Grenzstrangs unmittelbar getroffen, bei der großen Injektionsmenge
verbreitet sich jedoch die Wirkung — und das will der Autor auch —
auch auf die spinalen Sakralplexus, so daß keine reine Sympathikuswirkung
entsteht. Man müßte geringe Mengen anästhesierender oder reiner Koch-
salzlösung auf diese Weise injizieren und die Wirkung auf den Sympa-
thikus prüfen. Leider hatten wir in letzter Zeit keine Gelegenheit, diese
Methode anzuwenden. Ohne jede Indikation dürfte sich das Verfahren
doch nicht rechtfertigen, da die Asepsis sich hierbei etwas schwer durch-
führen läßt. Sobald uns aber der Zufall günstig sein wird, wollen wir
dabei die Einwirkung auf den Sympathikus studieren. Heute können
wir unsere Ansicht über das Wesen der Enuresis nocturna dahin zu-
sammenfassen, daß eine Sphinkterschwäche, die durch die Einspritzung
behoben würde, wohl auszuschließen ist, daß dagegen es sich um einen
Reizzustand des Detrusors handelt, der auf einer allgemeinen Hyper-
tonie des sympathischen Systems beruht. Die Enuresis diurna mit ver-
Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 16
228
H. Sieber. Über die Behandlung der Enuresis nocturna usw.
mehrtem Harndrang ist der höchste Grad unseres Leidens, wo die
Detrusorkontraktionen ad maximum gesteigert sind, so daß auch der
Sphincter externus nicht kurze Zeit standhalten kann, die Enuresis
diurna ohne Harndrang hat auch noch pathologische Verhältnisse ana-
tomischer Natur zur Grundlage.
OD si DEn Gb ra
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(das. v. Eiselsberg.)
. Reynes, Annal. d. mal, des org. gen.-ur. 22, 1137, 1902.
. Scharff, Wiss. Arztever. Stettin, und Berl. klin. Wochenschr. 41, S. 799,
1904.
. Sicard, Noc. de Biologie Paris, Ref. Münchn. med. Wochenschr. 23. S. 953,
1901.
. Strauß, Münchn. med. Wochenschr. 50, S. 1206, 1903.
. Strauß. Ther. Monatsh. 2, 1904.
. Terrien, Annal. de la Policl. centr. de Bruxelles Rev. mens., Nr. 4, 1908.
. Tuffier, Soc. de Biologie Paris, April. Ref. Münchn. med. Wochenschr. 23,
1901.
. Valentine und Townsend., Med. Record, New York, 64, 486, 1903.
. Vialle, Annal. des mal. des org. gen.-urin. 21, 1835, 1903.
(Aus der Universitätsfrauenklinik zu Marburg a. L.
Direktor: Prof. Dr. W. Stoeckel.)
Einseitige zyklisch-orthotische Albuminurie.
Von
Dr. Karl Mayer
ehem. Assistenten der Klinik.
Trotz zahlreicher sorgfältiger Untersuchungen speziell von pädia-
trischer Seite ist es bisher nicht gelungen, Klarheit über die Ätiologie
der sogenannten zyklisch-orthotischen Albuminurie, die haupt-
sächlich im zweiten Kindesalter vorkommende, nur bei aufrechter Körper-
stellung vorhandene Eiweißausscheidung im Urin, zu gewinnen. Der
„Zyklus“ der Eiweißausscheidung ist allerdings insofern kein wahrer, als
er jederzeit künstlich hervorgerufen werden kann durch den Wechsel der
Körperstellung von der horizontalen zur vertikalen Richtung. Neben Lang-
stein, der im Handbuch von Pfaundler und Schloßmann eingehend
das Kapitel der zyklisch-orthotischen Albuminurie bearbeitet hat, ver-
danken wir vor allen Dingen der Heidelberger Universitätskinderklinik
eine Reihe sehr fleißiger Arbeiten auf diesem Gebiete.
Während unzweifelhaft festgestellt ist, daß im Anschlusse au
chronische Nephritiden intermittierende Albuminurie auftreten kann
(Johnson und Senator), sind doch ebenso einwandsfreie Fälle von
zyklischer Albuminurie mitgeteilt, für deren Entstehung eine Ursache
überhaupt nicht gefunden werden konnte. Ein solcher Fall, bei den durch
die Sektion die absolute Intaktheit der Nieren makroskopisch und mikro-
skopisch nachgewiesen wurde, ist von Heubner und Langstein be-
obachtet worden.
Andere Forscher, so vor allem Edel, suchten die Ursachen der
zyklischen Albuminurie in zirkulatorischen Störungen, welche entweder
durch Änderung des Gesamtblutdruckes oder durch mechanische Stö-
rungen zustande kommen sollen. Edels Untersuchungen haben ergeben,
daß bei Horizontallage der Gesamtblutdruck erheblich höher ist, als bei
aufrechter Stellung, wodurch eine vermehrte Diurese und im Gefolge der-
selben eine Verminderung der Eiweißausscheidung im Liegen statt-
hat. Loeb ist ebenfalls ein Anhänger dieser sogenannten kardio-vasku-
lären Theorie, deren Vertreter besonders die klinischen Anomalien der
Zirkulationsorgane betonen. Er fand bei seinen Untersuchungen, daß
immer Verminderung der Harnmenge und Eintritt von Albuminurie
voneinander gefolgt waren. Diese Verminderung der Harnabsonderung
16*
230 Dr. Karl Mayer.
im Stehen wurde neuerdings wieder von Frank, Weintraud und
Bruck bestätigt.
Sutherland, Morey und Goublain machen die orthotische
Albuminurie nicht von Zirkulationsstörungen im Kreislauf, sondern
von solchen in den Nierengefäßen abhängig und betonen den Zusammen- .
hang zwischen dieser Anomalie und der Wanderniere. Zuletzt wurde
von Jehle ein ganz neues Moment in die Ätiologie der orthostatischen
Albuminurie hineingebracht. Jehle fand nämlich Eiweißausscheidung
nur bei einer ausgesprochenen Lordosenstellung der Lendenwirbelsäule.
Sowie die Lordose durch entsprechende Körperhaltung ausgeglichen
wurde, verschwand das Eiweiß im Urin. Jehle hält diese Lordose für
eine Schwäche der Lendenmuskulatur, da es sich in der Mehrzahl der Fälle
um schwächliche Individuen handelte. Durch mechanische Störungen, die
noch nicht aufgeklärt sind, soll eine Abknickung der Ureteren oder Ge-
fäße und damit eine Störung des Blutzuflusses zu den Nieren, eine
Stauung, zustande kommen, welche von Eiweißausscheidung gefolgt ist.
Bruck hat auf Veranlassung von Feer diese Jehleschen Befunde
nachgeprüft und konnte die gefundenen Tatsachen bestätigen. Er fand
aber nie im Liegen, selbst bei stärkster Lordosenstellung, Eiweißaus-
scheidung. Deshalb hält er neben der lordotischen Krümmung der
Wirbelsäule noch aufrechte Haltung für notwendig zum Zustandekommen
der orthotischen Albuminurie. Bruck konnte außerdem die wichtige
Tatsache feststellen, daß Kinder, die nicht orthostatisch waren, bei künst-
lich erzeugter Lordose Eiweiß ausschieden. Allerdings zeigten diese
Kinder häufig die klinischen Symptome der Zirkulationsstörungen, wie
sie bei orthotischer Albuminurie beschrieben wurden. Bei einem ob-
jektiven Befunde von Dikrotie, stark hebendem Spitzenstoß und Arythmie
sind allgemeine Beschwerden, wie Mattigkeit, Schlaffheit, Kopfschmerzen
und Herzklopfen, vorhandeu. Krehl bezeichnet diese Veränderungen
der Zirkulationsverhältnisse als „Cor iuvenum“, während die Franzosen
(Germain Sc() diesen Symptomenkomplex unter der Bezeichnung
„Hypertrophie et dilatation de la croissance“ zusammenfassen. Bruck
nennt die Eiweißausscheidung bei Kindern, welche entweder gar keinen
Krankheitsbefund bieten oder einen sogenannten „orthostatischen Typ“
zeigen, „Albuminuria provocativa orthostatica“.
Ob nun die kardio-vaskuläre Theorie zu Recht besteht, oder ob eine
mechanische Störung der Zirkulation in den Nierengefäßen die eigent-
liche Ursache der orthotischen Albuminurie ist, soll an dieser Stelle
nicht entschieden werden, ebenso wie es nicht unsere Aufgabe sein soll,
auf die chemische Struktur des bei orthotischer Albuminurie gefundenen
Eiweißkörpers einzugehen. Darüber steht die Entscheidung den Pädiatern
und Internisten zu. Als Ausgangspunkt unserer Veröffentlichung möchten
wir die durch Versuche festgestellte Tatsache anführen, daß Verschluß
der Nierenarterie Albuminurie zur Folge haben kann (Senator). Über
gleiche Resultate berichten Pichler und Vogt, welche durch Abklemmen
der Nieren Nukleoalbuminurie erzeugen konnten.
Einseitige zyklisch-orthotische Albuminurie. - 231
Unseres Wissens liegt bisher noch keine klinische Beobachtung
über einseitige orthotische Albuminurie vor. Ein derartiger Fall,
der wesentlich zur Deutung der Ätiologie der orthotischen Albuminurie
auf der Basis mechanischer Zirkulationsstörungen in der Niere beitragen
könnte, ist vor kurzem an unserer Klinik genau beobachtet worden.
Interessant ist derselbe vor allen Dingen deshalb, weil diese einseitige
orthotische Albuminurie im Anschluß an ein Trauma auftrat.
K. W., 19 Jahre alt, hereditär nicht belastet. Als Kind Masern, sonst nie krank
gewesen.
Menses mit 13 Jahren, regelmäßig 3—4 wöchentlich, 4—5 Tage anhaltend, stark,
ohne Beschwerden.
Patientin hat nach ihren Angaben am 26. VIII. 08 bei der Ernte schwere Garben
auf einen Wagen geladen. Dabei traten bei einer starken Beugung des Körpers nach
links plötzlich heftige Schmerzen in der Seite und im Kreuz auf. Patientin begab
sich sofort in ärztliche Behandlung. Eine genaue Diagnose konnte nicht gestellt
werden, und der behandelnde Arzt beschränkte sich darauf, da eine ernste Erkrankung
oder Schädigung eines Organes anscheinend nicht vorlag, Medikamente zu verordnen.
Als erste Folge des Unfalls traten die Menses zum ersten Male zwei Wochen zu früh
ein. Patientin hatte dauernde Schmerzen in der linken Seite und im Kreuz, ferner
bestanden schlechter Appetit, allgemeine Mattigkeit, Kopfschmerzen und Herzklopfen.
Da jede Behandlung erfolglos war, wurde Patientin mit dem Verdacht eines be-
stehenden gynäkologischen Leidens der Frauenklinik in Marburg überwiesen.
Eintritt in die Klinik am 29. IX.
Status: Großes, schlankes. kräftig gebautes junges Mädchen mit gesundem Aus-
sehen und blühender Gesichtsfarbe. Herz und Lungen normal.
Unterleibsorgane normal, Druckempfindlichkeit der linken Nierengegend. Niere
nicht palpabel.
Genitalien bieten ebenfalls normalen Befund.
Urin: Geringe Trübung bei der Eiweißprobe, keine Formelemente, keine
Leukozyten.
1. X. Ureterenkatheterismus (Prof. Stoeckel): Beide Nieren sondern reichlich
und gleichmäßig klaren Harn ab. Die Untersuchung desselben ergibt: rechter Ureter-
harn normal, links Albumentrübung, kein Sediment, keine Formelemente, keine Bakterien.
Ein im Laufe der nächsten 3 Wochen mehrmals wiederhulter Ureterenkatheterismus
bestätigt den erst erhobenen Befund.
Um die Möglichkeit einer immerhin denkbaren einseitigen Nierentuberkulose aus-
zuschließen, wurden häufig Untersuchungen des zentrifugierten linksseitigen Ureter-
baros auf Tuberkelbazillen vorgenommen, welche aber stets negativ blieben. Zur
Sicherheit wurde noch ein Tierversuch vorgenommen und einem Meerschweinchen
1 ccm Harn aus dem linken Ureter in die Bauchhöhle injiziert. Das Resultat war
ebenfalls negativ.
Eine bestehende einseitige Nephritis, vielleicht auf dem Boden der früher statt-
gehabten Maserninfektion konnte wohl ebenfalls ausgeschlossen werden, da einerseits
keine Formelemente nachweisbar waren, andererseits Patientin bis zum Tage des Un-
falls trotz ständiger schwerer Landarbeit nie die geringsten Beschwerden gehabt hatte.
Außerdem ist ja festgestellt, daß der häufig vorhandene Zusammenhang von Infektions-
krankheiten mit Eıweißausscheidung aus dem Grunde nicht immer haltbar ist, da man
auch Infektionskrankheiten ohne Einfluß auf schon bestehende Albuminurie hat ver-
laufen sehen. Es blieb also nur die Diagnose: linksseitige Albuminurie, welche Diagnose
auch von physiologischer Seite (Prof. Kutscher) nach Untersuchung der Ureter-
harne bestätigt wurde.
18. X. Auf dringenden Wunsch wird Patientin mit einer Leibbinde nach Hause
entlassen. 30. X. Wegen ständig fortdauernder Beschwerden sucht Patientin von
selbst wieder die Klinik auf.
232 | Dr. Karl Mayer.
Aufnahmebefund o. B. Im Blasenurin eine Spur Albumen.
2. XI. Menses. Patientin hält einige Tage Bettruhe ein. Untersuchung des Urins
ergibt Fehlen jeglicher Trübung bei der Eiweißprobe.
Sowie Patientin wieder außer Bett ist, treten im Urin Spuren von Albumen auf.
Diese Beobachtung, die sofortigen Verdacht auf orthostatische Albu-
minurie wachrief, gab Veranlassung, bei der Patientin den Ureteren-
katheterismus nach Bettruhe und nach Bewegung vorzunehmen. Dabei
zeigte der Ureterharn morgens immer beiderseits normale Beschaffen-
heit, während im Tagesurin, wenn Patientin außer Bett gewesen war,
links Spuren von Albumen vorhanden waren. Einmal, nach einem
größeren Spaziergange, war auch im rechten Ureterharn eine minimale
Trübung beim Kochen, doch war dies trotz mehrfacher Nachbeobachtung
in den nächsten Wochen nie mehr zu konstatieren.
Eventuell denkbare Fehlerquellen wurden nach Möglichkeit aus-
geschaltet. So wurden die sterilisierten Ureterenkatheter unmittelbar
vor dem Gebrauch mit sterilem Wasser durchgespritzt und diese Flüssig-
keit auf Trübung beim Kochen und Zusatz von Essigsäure geprüft, ohne
daß irgendwelche Trübung konstatiert werden konnte. Der Direktor
des pharmakologischen Institutes Prof. Dr. Gürber verpflichtete uns zu
Dank, indem er in zuvorkommender Weise eine chemische Untersuchung
des Tages- und Nachturins vornahm. Seine Diagnose lautete: Nachturin
normal. Im Tagesurin (linker Ureter) Nuklein.
Nach Ausschluß aller andern Möglichkeiten konnten wir also mit
Sicherheit die Diagnose „Albuminuria orthostatica unilateralis“ stellen.
Bedingt konnte diese Albuminurie nur sein durch eine lokale,
mechanische Störung im Kreislauf der linken Niere. Eine grobe Ab-
knickung des Ureters ist auszuschließen, denn der Ureterkatheter glitt
jedesmal ohne Widerstand bis zum Nierenbecken vor. Wanderniere
war trotz genauer Palpation, auch in Chloroformnarkose, nicht festzu-
stellen. Wohl aber wäre denkbar, daß beim Heben vielleicht eine
Lockerung der Niere in ihrem Lager stattgefunden hat, und daß die
Lageänderung derselben beim Stehen vielleicht eine mechanische teil-
weise Abknickung der zu- oder abführenden Nierengefäße verursacht.
Es wäre damit auch eine Erklärung für die beim Stehen und Arbeiten
vorhandenen Schmerzen gegeben.
Vor allen Dingen geht für die Bewertung des Falles die grobe
Bedeutung des Ureterenkatheterismus hervor. Wäre die Patientin nicht
ureterkatheterisiert worden, so hätte man wohl aus dem Urinbefund die
Diagnose „orthostatische Albuminurie“ gestellt. Bei einem Fehlen von
weiterem objektivem Befund, speziell auch von seiten der Genitalien,
wäre aber ein Zusammenhang mit dem Trauma sicherlich niemals au-
genommen worden. Wir können ja allerdings nicht mit Bestimmtheit
behaupten, daß der Urin der Patientin vor dem Trauma eiweißfrei war.
Aus dem Fehlen jeglicher Krankheitssymptome aber vor dem Unfall
und aus den charakteristischen Beschwerden seit demselben dürfen vi
mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auf einen Zusammenhang des Traumas
Einseitige zyklisch-orthotische Albuminurie. 233
mit der einseitigen Albuminurie schließen, und die gerechtfertigten An-
sprüche der Patientin in dieser Beziehung werden unsere Unterstützung
finden müssen.
el E OH „> WW
Literatur.
. Pfaundler u. Schloßmann, Handbuch der Kinderheilkunde.
. Heubner, Lehrbuch der Kinderheilkunde.
. Senator, Die Albuminurie. Berlin 1890.
. Edel, Zykl. Albuminurie und neue Gesichtspunkte für Bekämpfung von Albu-
minurien. Münch. med. Wochenschrift 1901, Nr. 46 u. 47.
. British med. Journal 24. Aug. 1889.
. Gesellschaft der Chariteärzte zu Berlin, 16. Mai 1889.
. Kannegießer, Über intermittierende und zyklisch-orthotische Albuminurie. Archiv
für Kinderheilkunde B. XLIII.
. Kuttner, Albuminuria minima und orthotische Albuminurie. Zeitschrift für klin.
Medizin, B. 47, Heft 5 u. 6.
. Langstein, Med. Klinik 1905, Nr. 3.
10.
11.
12.
13.
14.
Pichler u. Vogt, Zentralblatt für innere Medizin 1894. XV, 17.
Leube, Über physiologische Albuminurie. Therapie der Gegenwart. Oktober 1902.
Weintraud, Zeitschrift für ärztliche Fortbildung. 1908, Nr. 13.
Frank, Inaug.-Diss. Straßburg 1908.
Jehle, Neue Beiträge zur Ätiologie der orthotischen Albuminurie im Kindes-
alter. Münch. med. Wochenschrift 1908, Nr. 1.
. Bruck, Über Albuminuria provocativa orthostatica. Münch. med. Wochenschr. `
1908, Nr. 44.
(Aus der Universitätsfrauenklinik Marburg.)
Modifiziertes Valentinesches Urethroskop für die weibliche
Urethra’).
Von
W. Stoeckel.
(Mit 3 Abbildungen.)
Die zur Ableuchtung der Urethra von Leiter, Casper, Görl und
Valentine konstruierten Panelektroskope resp. Urethroskope habe ich
sämtlich benutz. Am meisten bewährt hat sich mir das Valentine-
sche Urethroskop. Seine Überlegenheit besteht darin,. daß das Ge-
sichtsfeld völlig frei, und daß das Bild außerordentlich hell ist. Diese
wesentlichen Vorzüge verdankt das Instrument der Anordnung der Licht-
quelle, die nach Nitzeschem Prinzip an der Spitze des Instrumentes
in Gestalt eines Mignonlämpchens angebracht ist, infolgedessen in die
Urethra eingeführt und in größtmögliche Nähe der zu besichtigenden
Harnröhrenwand gebracht werden kann. Bei den andern Urethroskopen
ist die Belichtung eine indirekte: die Lichtquelle befindet sich am
Okularende des Instrumentes, bleibt also außerhalb der Harnröhre, so
daß die Lichtstrahlen mittels eines Spiegels in den Harnröhrentubus
hineindirigiertt werden müssen. Das Bild ist deshalb lichtschwächer
und die Übersicht infolge der Anbringung des aus Lampe, Spiegel und
Kondensorlinse bestehenden optischen Apparates, der vor dem Tubus
etwas in das (Gtesichtsfeld hineinragt, behindert.
Valentines Urethroskop ist sowohl für die männliche wie für
die weibliche Urethra brauchbar und zeigt infolgedessen einen Durch-
messer und eine Länge, wie sie dem Harnröhrenlumen und der Harn-
röhrenlänge des Mannes entsprechen. Es ist also für die weibliche
Urethra, die weiter resp. leichter dehnbar und sehr viel kürzer als die
männliche ist, eigentlich zu lang und zu eng.
Das Gesichtsfeld wird um so größer, das Bild um so heller sein,
je kürzer und je weiter der Tubus ist. Ich habe infolgedessen kürzere
und weitere Ansätze konstruieren lassen und diese Modifikation als
wesentliche Verbesserung empfunden. Man sieht die Einzelheiten des
Bildes (Sphinkter, Gefäßzeichnungen, Faltung der Schleimhaut) so deut-
lich, daß der Untersucher sein Auge nicht unmittelbar an den Tubus
1) Das Urethroskop wird von Louis und H. Löwenstein, Berlin N., Ziegelstraß®,
angefertigt.
mm Okulavande dée "Tabu, habe anbringen Tassen hält dër:
d lei. benutze das Urethroskop nicht nuy zur Keck
ap $ KE RH sur ‚ie weiche GR om > 2
ett vn RE ht. indomi. in. einer Ditam von‘ Ann? a ;
Meter, vm. den Venten Moien kaon D ist, much? aus, en EN.
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Zeitschrift für gynäkologische Urologie
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Gynäkologie und Urologie.
Referat, erstattet auf dem II. Kongreß der deutschen Gesellschaft für Urologie in Berlin
(19.—22. April 1909).
Von
W. Stoeckel (Marburg).
Meine Herren!
Der Titel des mir übertragenen Referates ist so knapp gefaßt, daß
er sehr verschieden interpretiert werden kann.
Würde ich vor einem Gynäkologenkongreß stehen, so würde ich
meinen, hinter die Worte „Gynäkologie und Urologie“ ein Ausrufungs-
zeichen setzen und meine Ausführungen auf einen werbenden Ton
stimmen zu sollen. Auf einem Chirurgenkongreß würde ich hinter dem
Referattitel eher ein Fragezeichen vermuten. Wenigstens bin ich gerade
von Chirurgen häufig gefragt worden: „Was können die Gynäkologen
denn eigentlich zu ihrer Entschuldigung anführen, wenn sie sich je länger
um so urologischer gebärden?“ Hier, auf dem Urologenkongreß, nehme
ich das Referat sozusagen interpunktionslos und erblicke meine Auf-
gabe darin, den Werdegang unserer urologischen Mitarbeit und ihre
Resultate kurz darzulegen.
Ich füge mich etwas widerstrebend einem Wunsche unseres Vor-
standes, indem ich mich dabei vorzugsweise auf die Symptomatologie
und Diagnostik der wichtigsten urologischen Ian ENENSBEUDpEN be-
schränke, die uns Gynäkologen beschäftigen.
Wenn ich die Entwicklung unserer Beziehungen zur Uro-
logie kurz skizzieren darf, so muß ich eine irrtümliche Ansicht, der
ich häufig begegnet bin, anführen und richtigstellen.
Man wundert sich vielfach darüber, daß die Gynäkologen ihr uro-
logisches Herz reichlich spät und auffallend plötzlich entdeckt hätten.
Erst nachdem ihr eigenstes Gebiet ihnen genügend durchforscht und
schließlich etwas zu enge erschien, hätten sie ein unbezwingbares
Expansionsbedürfnis gespürt und seien in das urologische Nachbargebiet
abgeschwenkt — weniger gezwungen durch die Entwicklung ihres
Faches, als von der Absicht geleitet, ihren territorialen Besitz zu
vergrößern.
Diese Auffassung ist durchaus falsch. Unser urologischer Taten-
drang ist durchaus nicht plötzlich erwacht — unsere urologischen
Beziehungen sind absolut nicht erst in den letzten Jahren
Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 17
238 W. Stoeckel.
entstanden und sind auch nicht künstlich konstruiert, sondern
sie sind uralt und durchaus natürlich.
Die entzündlichen Erkrankungen der Harnorgane, die Harnfisteln,
die Blasendurchbrüche von Exsudaten und Extrauteringraviditäten und
noch manches andere sind keine neuzeitlichen Entdeckungen, sondern
gaben den Geburtshelfern schon vor 100 Jahren zu denken — zu
einer Zeit, wo Gynäkologie und Urologie als selbständige Arbeitsgebiete
noch gar nicht existierten.
Aber das Interesse für diese Komplikationen konnte damals nur
ein theoretisches sein und sich manchmal erst am Sektionstisch bekunden.
Klinisch bedeutungsvoll und dadurch intimer wurden die Be-
ziehungen erst, als beide Organsysteme einer exakten Diagnose und
einer rationellen Therapie zugänglich wurden.
Und deshalb erfuhr das urologische Interesse der Geburtshelfer oft
gleichsam ruckartige Antriebe, die jedesmal einsetzten, wenn die Ent-
.deckung neuer Untersuchungs- und Heilmethoden eine Vorwärtsent-
wicklung brachte.
Der erste dieser Antriebe fällt in die Zeit, in der sich
die Geburtshilfe zur Gynäkologie auswuchs — in der die
Scheidenspekula und Harnröhrendilatatorien erfunden wurden — in der
die kombinierte gynäkologische Untersuchung entstand —, in der alsu
Methoden aufkamen, welche nicht nur die Genitalorgane einer genauen
Inspektion und Palpation zugänglich machten, sondern welche auch die
exakte Einstellung und Operation der Harnfisteln, die Abtastung und
Austastung der Blase, die Exstirpation von Blasengeschwülsten per
urethram, ja sogar schon die Sondierung der Ureteren unter Leitung
des Fingers ermöglichten.
Je chirurgischer sich die Gynäkologie weiterentwickelte, um so
nachdrücklicher spürten es die Gynäkologen, daß sie den weiblichen
Harnorganen ihre vollste Aufmerksamkeit schenken mußten. Sie emp-
fanden ihre unmittelbare Nähe zunächst mehr als Last, und mancher
Operateur, der damals autodidaktisch seine Technik erwerben mußte.
hat wohl gewünscht, daß Blase und Ureteren weit abseits vom Bereiche
seines Messers liegen möchten.
Die Grenzüberschreitungen, die passierten, waren anfangs durchaus
ungewollte, und unfreiwillig schufen sich die Öperateure selbst ein
neugeartetes urologisches Material durch Nebenverletzungen der Harn-
organe. Es gibt in der Tat keinen einzigen gynäkologischen Eingriff.
bei dem solche Nebenverletzungen nicht passieren können und passiert
sind, und es gibt auch heute noch keinen Operateur, der sie mit ab-
soluter Sicherheit stets vermeiden kann. — Die Gefahr derartiger
Läsionen beeinflußte in besonders hohem Maße die Technik der
Uterusexstirpation und hat bei allen Modifikationen, denen sie untet-
worfen wurde, namentlich auch in dem Konkurrenzkampf der abdominalen
und vaginalen Operationsmethoden, eine entscheidende Rolle gespielt
Diese über Jahrzehnte, bis in die neueste Zeit hinein sich ¢'-
Gynäkologie und Urologie. . 239
streckende Epoche der Weiterentwicklung der gynäkologischen Operations-
technik ist fraglos reich an technischen Fehlern gerade bezüglich der
Harnorgane, aber sie trägt doch die Signatur eines außerordentlichen,
stetig sich steigernden Fortschritts und einer Arbeitszähigkeit, die an
der Schwierigkeit der zu lösenden Probleme erstarkte! — Und der
Arbeitsgewinn bestand nicht nur in der Festlegung einer sicheren
operativen Technik, sondern auch in einer äußerst genauen Erforschung
der topographisch-anatomischen Beziehungen zwischen den
weiblichen Harn- und Geschlechtsorganen — sowohl unter nor-
malen wie unter den verschiedenartigsten pathologischen Verhältnissen.
Die Blutversorgung der Blase und der Ureteren, ihr Verhalten gegen-
über traumatischen Schädigungen wurden sehr gründlich studiert, und
manche Lücke wurde geschlossen, die die Präparierarbeit des Anatomen
hatte offenlassen müssen.
Einen zweiten kräftigen Anstoß nach den Harnorganen
hin erhielt die Gynäkologie durch die Bakteriologie. Früher
noch als die Bakterienflora der Scheide wurden die Krankheitserreger
der Zystitis von den Gynäkologen erforscht. Die Hauptarbeit auf
diesem Gebiet haben ja fraglos die Urologen geleistet. Aber ergebnis-
reiche Untersuchungen gerade aus den letzten Jahren haben doch ge-
zeigt, daß unsere Kliniken ein Material enthalten, das für die Ent-
scheidung der noch schwebenden bakteriologischen Streitfragen, insbe-
sondere der Zystitis- und Pyelitisgenese, recht wertvoll ist.
Eine dritte und die bei weitem nachhaltigste Anregung
zum Studium der Urologie gab uns dann die Zystoskopie. Es
hat eine Weile gedauert, bis wir sie uns nutzbar machten und bis wir
das Vorurteil aufgaben, die Methode könne sich ihrer diffizilen Technik
wegen nicht einbürgern.
Nachdem diese Skepsis aber überwunden war, hat uns die Zysto-
skopie tatsächlich die Augen geöffnet und hat uns den Umfang unserer
urologischen Interessensphäre erst eigentlich erkennen lassen.
Es war uns fast zur Gewohnheit geworden, unbedeutende Blasen-
beschwerden zu den banalen gynäkologischen Symptomen zu rechnen.
Sie kehren ebenso wie die Klagen über Fluor, Kreuzschmerzen und
Menstruationsanomalien fast in jeder gynäkologischen Anamnese wieder.
Und ein kausaler Zusammenhang mit genitalen Affektionen läßt sich
auch fast immer konstruieren. Liegt der Uterus retroflektiert, so drückt
die Portio auf das Trigonum — liegt er spitzwinklig anteflektiert, so
belastet das Korpus die Blasenhinterwand — prolabiert die vordere
Scheidenwand, so wird der Blasenboden zystozelenartig mitdisloziert —
wächst ein Myom aus der vorderen Uteruswand heraus, so wird die
Blase hochgezerrt — entwickelt sich ein Exsudat, so wird die Blase
verdrängt — klemmt sich ein Tumor im kleinen Becken ein, so wird
die Blase komprimiert — kurz, es gibt fast keinen pathologischen Zu-
stand der Genitalorgane, der zum Verständnis etwaiger Urinbeschwerden
nicht genügt und nicht auch als genügend angesehen wäre.
17*
240 W. Stoeckel.
Enthielt der Urin nicht gerade Eiter und Blut, so wurden solche
Fälle meist lediglich gynäkologisch behandelt. Verschwanden trotzdem
die Harnbeschwerden nicht, so wurde ein Übriges getan und die Blase
ausgespült.
Nicht alle Gynäkologen waren so einseitig, aber die Augen recht
vieler waren wirklich nur auf Uterus und Adnexe eingestellt.
Das ist anders geworden, und zwar durch die Zystoskopie.
Wir betrachten jetzt Harnbeschwerden auch unbedeutender Art
so lange als Ausdruck einer Erkrankung des Harnapparates selbst, bis
eine genaue Untersuchung das Gegenteil erwiesen hat.
Und dabei hat sich- dann gezeigt, daß wir früher gelegentlich so
wichtige Affektionen, wie z. B. die Nierentuberkulose, übersehen haben.
weil sie sich symptomatologisch hinter mehr in die Augen fallende
gynäkologische Erkrankungen gleichsam verstecken kann — daß wir
andere Krankheiten, wie z. B. die chronische Cystitis colli, gar nicht
erkannt — daß wir infolgedessen zuweilen eine unvollkommene oder
falsche Therapie getrieben und Fälle gynäkologisch behandelt haben, die
entweder gynäkologisch und urologisch oder die nur urologisch be-
handelt werden mußten.
Nicht nur waren aber unsere gynäkologischen Diagnosen
zu wenig urologisch, sondern unsere urologischen Diagnosen
waren auch zu ungenau, zu wenig spezialisiert gewesen. Wir
hatten Urethritiden und Zystitiden, Zystitiden und Pyelitiden, infektiöse
und nicht infektiöse Zustände der Harnorgane nicht präzis genug aus-
einandergehalten und hatten geglaubt, alle diese Dinge unterschiedslos
mit dem Irrigator wegspülen zu können.
Seit sich unser urologisches Gewissen geschärft hat und unser uro-
logisches Können gewachsen ist, hat sich bei uns auch mehr und mehr
die Überzeugung gefestigt, daß unsere urologische Mitarbeit nicht
nur für uns notwendig, sondern auch für die Urologie nütz-
lich ist. Manche urologische Affektionen sind der Frau überhaupt
eigentümlich — andere verlaufen bei ihr anders als beim Mann. Wir
dürfen uns deshalb nicht damit begnügen, die Forschungsergebnisse der
Andrologen einfach zu übernehmen, sondern wir müssen die Eigen-
artigkeit mancher Krankheitsbilder selbst erforschen.
Ich hoffe, diese Behauptung mit einigen Beispielen belegen zu
können und möchte zunächst die entzündlichen und infektiösen
Erkrankungen herausgreifen.
Wir sehen sehr viel Urethritiden, aber wir erblicken nicht mehr
in jeder Urethritis eine gonorrhöische Infektion.
Gerade die nichtgonorrhöischen Harnröhrenentzündungen
müssen bei der Frau mehr Beachtung finden, nachdem die Abhängig-
keit des Harnröhrenkeinigehaltes von der Bakterienflora der Vulva und
das häufige Vorkommen pyogener Kokken und Bakterien in der Urethra
kranker und gesunder, gravider und puerperaler Frauen exakt nach-
gewiesen Ist.
Gynäkologie und Urologie. | 241
Die gonorrhöische Urethritis verläuft anders, und zwar milder
als beim Mann. Sie etabliert sich vorzugsweise als Urethritis anterior,
wenn man diese Bezeichnung bei der Frau überhaupt gelten lassen will.
Sie wird rasch subakut und chronisch und setzt sich gerne in den
Skeneschen Drüsen fest. — Als Analogon der Prostatitis sehen wir
häufig den suburethralen Abszeß. Bei seiner Entstehung spielt der
Gonokokkus scheinbar mehr eine Vermittlerrolle, indem er den eigent-
lich pyogenen Keimen Eingang in die paraurethralen Drüsen verschafft.
Seltener finden wir diffuse Verdickungen des ganzen Urethral-
rohres, welche die in die Tiefe der Harnröhrenwand gehende Infektion
hinterlassen hat — noch seltener begegnen wir Strikturen. -
Besonders zu betonen ist, daß die Urethralgonorrhöe bei Frauen
außerordentlich wenig Neigung zeigt, in die Blase oder noch
höher hinauf zu aszendieren. Ich halte die gonorrhöische Zystitis,
Pyelitis und Pyelonephritis für exquisit seltene Erkrankungen. Nach
meinen Erfahrungen kann man mit großer Sicherheit auf ein Lokalisiert-
bleiben des Prozesses in der Harnröhre rechnen, wenn man die ebenso
verbreitete wie schädliche Polypragmasie in der Therapie des Harn-
röhrentrippers vermeidet und nicht zu früh mit seiner Lokalbehandlung
beginnt. Auch schafft die Gonorrhöe bei der Frau nicht, wie es beim
Mann behauptet wird, eine Disposition zur Entstehung der Tuberkulose.
Bezüglich der Tuberkulose nur wenige Worte. Eine Urogeni-
taltuberkulose wie beim Mann gibt es bei der Frau nicht. —
Selbst bei gleichzeitiger Erkrankung beider Organsysteme ist ein Über-
gang der Tuberkulose per continuitatem von einem System auf das
andere noch nicht einwandfrei nachgewiesen worden — auch dann
nicht, wenn z. B. tuberkulöse Adnextumoren mit der Blase adhärent
sind. Vielmehr ist stets eine gemeinsame Infektionsquelle für beide
Systeme in einem 'anderweitigen primären Tuberkuloseherd anzunehmen
und nachzuweisen, daß die Infektion in beiden Systemen selbständig,
und zwar deszendierend weiterschreitet. Im übrigen sehen wir fast
regelmäßig entweder nur Peritoneal- resp. Genitaltuberkulose oder nur
Blasen-Nierentuberkulose. Es ist aber keine allzugroße Seltenheit, daß
Frauen mit ausgeheilter Peritonealtuberkulose später an Nierentuberkulose
erkranken. Eine solitäre Tuberkulose der weiblichen Blase ohne Mit-
beteiligung der Nieren ist entschieden sehr selten. Ich verfüge nur
über einen einwandfreien Fall, der jetzt 10 Jahre hindurch genau kon-
trolliert und völlig genesen ist.
Nach der Statistik ist die Tuberkulose der Harnorgane bei Frauen
seltener als bei Männern, aber zweifellos werden gerade die Anfangs-
stadien der Nierentuberkulose bei Frauen gar nicht selten übersehen.
Und gerade solche Fälle gleichsam latenter Nierentuberkulose
kommen in unsere Kliniken mit gynäkologischen Klagen und gynäkolo-
gischen Leiden, aber mit kaum angedeuteten Harnsymptomen. Auffallend
Ist mir dabei stets das Fehlen von Blutungen oder nur von Blut-
242 W. Stoeckel.
beimengungen in dem kaum getrübten Urin gewesen. Sicherlich bleiben
manche dieser Fälle ungeheilt, wenn bei ihnen nicht direkt auf Tuber-
kulose gefahndet und sofort das ganze diagnostische Rüstzeug: die Harn-
untersuchung, die vaginale Palpation mit ihrem oft charakteristischen
Nachweis der Ureterverdickung, der Ureterkatheterismus und das Tier-
experiment aufgeboten wird.
Ich finde, daß eine versäumte Diagnose im Anfangsstadium
einer einseitigen Nierentuberkulose zu denselben Vorwürfen
berechtigt, wie das Übersehen eines beginnenden Karzinome.
In beiden Fällen ist die Frühdiagnose die hauptsächlichste Vorbedingung
für die. Dauerheilung, und deshalb kann die Suche nach derartigen
Fällen gerade von den Gynäkologen gar nicht eifrig genug betrieben
werden.
Betreffs der akuten und chronischen Zystitis wäre zunächst
hervorzuheben, daß wir sie früher viel zu häufig diagnostiziert und oft
mit der Urethritis, aber auch mit der Pyelitis verwechselt haben.
Von den verschiedenen Zystitisformen sehen wir besonders häufig
die Cystitis colli, besser Cystitis trigoni genannt. Wir subsummieren
darunter verschiedene Zustände: sowohl die Residuen chronisch ge
wordener Zystitiden wie hyperämische Reizzustände im Blasenhals, die
durch Zirkulationsstörungen in den Genitalorganen, durch Menstruations-
und Graviditätshyperämien, durch manche vaginale Operationen und
durch onanistische Manipulationen bedingt sein können.
Das an sich unscheinbare Leiden beansprucht wegen der Vielge-
staltigkeit der zystoskopischen Befunde sowie wegen der Hartnäckigkeit
der subjektiven Beschwerden sowohl wissenschaftliches wie klinisches
Interesse.
Nicht weniger wichtig ist die Cystitis vetularum, der Blasen-
katarrh der Greisirinen. Er entsteht spontan durch aszendierende In-
fektion, weil die senile Involution die natürlichen Schutzvorrichtungen
der Harnröhre und der Blase schwächt. Die schrumpfende Vaginalwand
zerrt die äußere Harnröhrenmündung auseinander, so daß sie nicht mehr
schließt. Die in ihrer Kontraktilität und Kapazität reduzierte Blase ent-
leert sich häufig; der träge heraussickernde Urin stagniert in der Urethra
und leitet die Keime, insbesondere die Kolibazillen, blasenwärts.
Ferner nenne ich die Blasengangrän, die wir seit langem als
Komplikation der Retroflexio uteri gravidi incarcerati fürchten.
Durch die Verlegung der Urethra kommt es zur Urinretention, die eine
enorme Blasenausdehnung und eine Nekrose der überdehnten, anämi-
sierten Blasenwand zur Folge haben kann. Durch die schließlich ein-
setzende Ischuria paradoxa wird der stagnierende Harn infiziert und
die nekrotische Blasenwand gangränös. Gewöhnlich kommt es zur De-
markation: die innersten Sċhichten der Blasenwand stoßen sich in Form
eines Sackes ab, der oft einen völligen Ausguß der Blase darstellt und
unter wehenartigen Schmerzen per urethram herausgepreßt wird.
Gynäkologie und Urologie. 243
Neuerdings sehen wir eine auf den Blasenfundus und die
Blasenhinterwand beschränkte Gangrän nach der abdominalen
Radikaloperation des Uteruskarzinoms dann, wenn bei der Becken-
ausräumung die Unterbindung einer Arteria vesicalis superior versehent-
lich oder notgedrungen erfolgte.
Zur Perforation in die Bauchhöhle kommt es bei beiden Gangrän-
formen selten. Wohl aber besteht, besonders wenn die Ureterlumina
in den Bereich der gangräneszierenden Zerstörung fallen und als große
Narbenkrater ihre Schlußfähigkeit eingebüßt haben, die Gefahr der
aszendierenden Infektion — bei den Karzinomfällen außerdem auch eine
Neigung zur Blasenscheidenfistelbildung.
Auch sonst spielen operative Schädigungen der Blasenwand
bei uns eine große Rolle. Die weibliche Blase muß sich recht viel ge-
fallen lassen. Sie wird, wenn sie im Wege liegt, verschoben, durch
Spekula gedrückt und gequetscht, vom kindlichen Kopf komprimiert,
ihrer natürlichen Verbindungen beraubt, und sie läßt das alles in ziem-
lich weiten Grenzen über sich ergehen. Aber die Spuren solcher Insulte
sind zystoskopisch in Form submuköser Blutextravasate und ödematöser
Aufquellung der Blasenwand und des Sphinkters sehr deutlich erkennbar.
Sie erklären die vorübergehende Funktionsstörung, wie sie als post-
operative und puerperale Ischurie oft beobachtet wird.
Es ist falsch, in solchen Fällen von vornherein von postoperativer
oder puerperaler Zystitis zu sprechen, aber es ist klar. daß in
derartig geschädigten Blasen die Infektion, wenn sie durch den Katheteris-
mus hineingetragen wird, einen besonders günstigen Boden findet.
Eine weitere Folge von gynäkologischen Operationen, bei denen die
Blase oft zur Deckung des Operationsfeldes benutzt wird — ebenso wie
von Pyosalpingen, Adnextumoren und Hämatozelen —, sind perizysti-
tische Verwachsungen, die zur Verklebung der Blasenserosa mit
dem Netz, dem Wurmfortsatz, der Flexur und mit Dünndarnschlingen
führen. Die Blase wird dadurch oft stark disloziert und gelegentlich
auch in ihrer Funktion beeinträchtigt.
Parazystitische Infiltrationen und Exsudate kennen wir als
Teilerscheinungen von Entzündungen des Beckenbindegewebes, die auch
noch andere urologische Konsequenzen nach sich ziehen. Sie führen
auch zur Paraureteritis und zu einer Verzerrung und Knickung des
parametran gelegenen Ureterabschnittes. Dadurch entstehen Passage-
hindernisse für den Harnabfluß, die neuerdings zusammen mit anderen
gynäkologischen Affektionen als Entstehungsursache von intermit-
tierender Hydronephrose angesprochen sind, welche dann ihrerseits
zu einer, in solchen Fällen also sekundären Wanderniere führen kann.
— Der gleiche Kausalkonnex zwischen Ureterkompression und Nieren-
affektion spielt bei der Eklampsie eine gewisse — bei der Pyelitis
gravidarum die Hauptrolle.
Über diese letztgenannte Erkrankung sind die Akten noch nicht
geschlossen. Wir haben die differentialdiagnostischen Schwierigkeiten,
244 W. Stoeckel.
insbesondere hinsichtlich der Appendizitis, überwinden gelernt und sind
therapeutisch so weit gekommen, daß wir den künstlichen Abort zur
Heilung der Pyelitis ablehnen. Wir sind auch darüber einig, daß der
gravide Uterus mittelbar oder unmittelbar die Stauung, vorzugsweise
im rechten Ureter veranlaßt. Wir wissen aber noch nicht sicher, ob
die im Anschluß an diese Stauung sich entwickelnde Koli- resp. Misch-
infektion immer aszendierend, oder ob sie nicht gelegentlich auch häma-
togen entsteht.
Aus dem Kapitel der Lithiasis erwähne ich die Uretersteine.
Es scheint, daß die drei physiologischen Engpässe im Ureterlumen bei
der Frau etwas stärker ausgebildet und der Nierensteinpassage hinder-
licher sind als beim Mann.
Es hat sich ferner gezeigt, daß die bereits erwähnte Verzerrung
und Knickung der Ureteren außer durch die Parametritis und Para-
ureteritis auch noch durch andere gynäkologische Erkrankungen (puer-
perale Peritonitis, Extrauteringravidität, Adnextumoren, langdauernden
Pessardruck) hervorgerufen werden und dann eine Disposition zur Stein-
einklemmung schaffen kann.
Die klinischen Symptome sind oft so wenig markant, daß Fehl-
diagnosen und falsche Operationen, besonders an der Appendix und an
den Adnexen, wiederholt gemacht wurden.
Die vaginale Exploration, der Ureterkatheterismus und das Radio-
gramm schützen uns heute im allgemeinen vor groben Irrtümern. Doch
bleibt zu beachten, daß verkalkte Thromben der Uterinvenen
palpatorisch und röntgenographisch sehr leicht mit Uretersteinen ver-
wechselt werden können.
Blasensteine sehen wir seltener, weil die kurze und weite Urethra
der Frau selbst größere Konkremente passieren läßt.
In Zystozelensäcken finden sich aber gelegentlich besonders große
und besonders zahlreiche Steine. — Auch haben voluminöse und harte
Steine schon Geburtshindernisse abgegeben. Es ist vorgekommen,
daß der herabrückende kindliche Kopf den Stein vor sich herschob und
ihn durch die Blasenscheidenwand hindurchpreßte, so daß der Stein
vor dem Kinde geboren wurde; es ist auch vorgekommen, daß ein
Blasenstein, vom Kopf des Kindes fest an die Symphyse gepreßt, eine
Beckenexostose vorgetäuscht und den Kaiserschnitt veranlaßt hat.
Sehr viel häufiger bekommen wir Versteinerungen zu sehen,
deren Kern von Fremdkörpern gebildet wird. Ich nenne an erster
Stelle die Ligaturen, welche nach Operationen, die sich an der Blase
selbst oder auch nur in Blasennähe abgespielt haben, in die Blase ein-
wandern können.
Meist ist wohl eine lokale Infektion die Ursache dieser Einwanderung:
allerdings wirken dabei die dauernden Verschiebungen der ligierten D:
webe durch die Blasen- und Darmbewegungen befördernd mit.
Bei ausschließlicher Verwendung von Katgut lassen sich solche
Gynäkologie und Urologie. 245
Fadenwanderungen, die nur zystoskopisch frühzeitig erkannt werden
können, mit Sicherheit vermeiden.
Eine leider ziemlich reichhaltige Kasuistik existiert über die von
Chirurgen und Gynäkologen bei Bauchhöhlenoperationen zurück-
gelassenen Operationsutensilien. Auch sie finden manchmal den
Weg in die Blase. Ich selbst stellte bei einer Frau den Einbruch eines
21 cm langen Gazetupfers, bei einer anderen den Einbruch einer Arterien-
klemme zystoskopisch fest. Der Tupfer wurde per urethram, die Klemme
durch Kolpokystotomie entfernt und beide Frauen genasen.
Sodann können Fremdkörper in Form von Schamhaaren, Ka-
theterspitzen, Schellack- und Gummipartikelchen, Wachs- und
Paraffintropfen, Wattepfropfen nach instrumenteller und medika-
mentöser Blasenbehandlung zurückbleiben. Auch können Pessare, die
Jahrzehntelang vernachlässigt in der Scheide lagen, die Blasenscheiden-
wand usurieren und völlig in die Blase rutschen.
Die merkwürdigste Kollektion läßt sich aber aus den Dingen zu-
sammenstellen, die während masturbatorischer Manipulationen in
die Blase entglitten, oder die von hysterischen Frauenzimmern
absichtlich dort hineingeschoben wurden, oder die, zur Konzeptions-
verhütung bzw. zur Einleitung des kriminellen Aborts bestimmt,
den rechten Weg verfehlten.
Sämtliche Sorten von Nadeln, Federkiele, Holz- und Drahtstücke,
Nägel, Bleistife, Krayons, Getreideähren, Manschettenknöpfe, Kieselsteine,
Bohnen, Erbsen, Tannenzapfen, Thermometer, Meerschaumspitzen, Ok-
klusivpessare und noch manches andere hat man da gefunden.
Die klinische Bedeutung der Lageanomalien der Harnorgane
habe ich bereits gestreift; deshalb sei nur weniges zur Vervollständigung
hinzugefügt.
Die als Urethrozele bezeichnete divertikelartige Aussackung im
hinteren Harnröhrendrittel beruht gewöhnlich auf geburtshilflichen Ver-
letzungen der Muscularis urethrae.
Der partielle und totale Harnröhrenprolaps entsteht bei
schwächlichen kleinen Mädchen oft akut im Anschluß an eine plötz- -
liche Steigerung des intraabdominalen Druckes — bei alten Frauen mehr
als allmähliche Umkrempelung der Schleimhaut infolge der senilen Ge-
websretraktion in den äußeren Wandschichten der Urethra.
Die Zystozele ist eine gewöhnliche Folgeerscheinung geburtshilf-
licher Scheiden- und Dammrisse und die wichtigste Komplikation geni-
taler Prolapse. Sie ist als Blasenhernie aufzufassen, in die fast die
Gesamtblase einbezogen werden kann. Die Unfähigkeit der Blase, siclhı
völlig zu entleeren, die oft beträchtliche Menge des stagnierenden
Residualharnes, die schließlich gestörte Schlußfähigkeit des Blasen-
sphinkters führen zur Harnzersetzung, zur Zystitis, zur Balkenbildung,
zur Steinbildung. Die Therapie soll deshalb frühzeitig einsetzen und
möglichst stets eine operative sein.
246 W. Stoeckel.
Die sonstigen, durch Tumoren, durch den graviden Uterus und durch
entzündliche Prozesse bedingten Verzerrungen und Verschiebungen
der Blase sind, wie ich schon betonte, besonders für die Technik unsrer
gynäkologischen und auch der modernen geburtshilflichen Operationen,
der Pubotomie und des extraperitonealen Kaiserschnittes, von bestim-
mendem Einfluß, fallen also nicht in mein Referatprogramm.
Kurz erwähnen möchte ich die erst in wenigen Fällen beobachtete
sog. „intraligamentäre Blase“, wobei die Blase zwischen die ent-
falteten Blätter eines Lig. latum gelangt. Es können dadurch sowohl
pathologische Kindeslagen wie gynäkologische Fehldiagnosen, insbesondere
Verwechslungen mit Ovarialzysten, veranlaßt werden.
Auch die Lageanomalien der Ureteren werden, soweit sie nicht
bereits gewürdigt sind, mehr vom technisch-operativen Standpunkt aus
zu behandeln sein. Schon bei normalen Verhältnissen bildet der Kreuzungs-
punkt des Ureters und der Uterina eine kritische Stelle für die Verletzung
und Ligierung des Harnleiters. Noch erheblich größer wird die Gefahr,
wenn der Ureter durch parametrane Stränge an den Uterus herangezerrt,
— durch Geschwülste in extremer Weise medial verschoben oder lateral
abgedrängt, — von Karzinomen, ja selbst von Myomen völlig umwachsen,
— über die Kuppe eines intraligamentären Tumors hinwegziehend oder
an der Basis eines solchen Tumors breit adhärierend gefunden wird. Von
der Sicherheit, diese Lageanomalien schnell und richtig zu erkennen,
hängt oft der Erfolg unsrer Laparotomien ab.
Lageveränderungen der Nieren sehen wir häufig rechtsseitig
bei Frauen, die an allgemeiner Enteroptose leiden und deren Bauch-
decken durch mehrfache Geburten aus den Fugen gegangen sind. Ich
bin überzeugt, daß für die Prophylaxe der Wanderniere eine rationelle
Bauchdeckenpflege im Wochenbett von Bedeutung ist.
Differentialdiagnostische Schwierigkeiten bereiten uns gelegentlich
die kongenital-dystopischen Nieren. Sie sind auch von sehr ge
wissenhaften Untersuchern ebenso wie die Nierenkapselgeschwülste
für Ovarial- oder Parovarialzysten angesprochen worden und kommen, da
sie ausgesprochene Unterleibssymptome machen, relativ oft in unsre Hände.
Wenn ich hier die sonstigen kongenitalen Bildungsanomalien
einschalten darf, so sehen wir zuweilen, besonders an pseudoherma-
phroditischen Genitalien, Abnormitäten der Harnröhrenanlage.
Die Urethra kann doppelt angelegt sein; sie kann auch — bei
Persistenz des Sinus urogenitalis — völlig fehlen. Die Blase
mündet dann in den Sinus, der sowohl Urethra wie Vagina darstellt.
Das sind die Fälle, in denen der Koitus angeblich durch die abnorm
dilatierte Urethra erfolgt. In den Füllen von totaler oder partieller
Hypospadie ist die hintere Halbrinne des Urethralrohres durch mangel-
haftes Vorrücken des Septum urethrovaginale mehr oder weniger rudi-
mentär geblieben. Nur in den schwersten Fällen pflegt Inkontinenz zu
bestehen.
Gynäkologie und Urologie. 247
Die Epispadie, die Fissura vesicae inferior und die totale
Blasenectopie bieten ebenso wie die zystoskopisch erkennbaren Vor-
wölbungen des unteren Ureterabschnittes, die nicht Harnleiterzysten,
sondern Ureterozelen genannt werden sollten, kaum hervorzuhebende
Besonderheiten. Das gleiche gilt von den überzähligen Ureteren.
Nur wenn sie — offen oder geschlossen — in der Urethra, in der
Vagina oder in einem persistierenden Gartnerschen Gange enden,
machen sie die Symptome von Ureterfisteln oder kommen als Scheiden-
zysten zur Operation.
Die Fisteln und Verletzungen der Harnorgane beanspruchen
in unsrer Literatur und auch noch in unsren Kliniken einen breiten
Raum. Allerdings haben die „geburtshilflichen“ Fisteln in dem Maße
abgenommen, in dem eine rationelle Geburtsleitung auch auf dem Lande
durchführbar geworden ist. — Die meisten dieser Fisteln entstehen
spontan. Es kommt wohl vor, daß ein schlecht gedecktes Perforatorium
die Blase verletzt, daß ein fehlerhaft angelegter Kranioklast eine Mutter-
mundslippe mitsamt dem ihr nachfolgenden Blasenzipfel abquetscht, daß
ein abgleitender Haken die Blasenscheidenwand aufschlitzt oder die
Pubotomienadel die Blase ansticht. Die Hauptrolle spielte aber früher
fraglos die lange Geburtsdauer und die über Stunden und Tage anhal-
tende Blasenkompression zwischen Becken und Kindskopf, die die Blase
bis zur irreparablen Wandnekrose anämisiert. Durch die Sequestration
des nekrotischen Stückes bildet sich dann die Fistel im Wochenbett. Sie
entsteht also nicht, weil operiert oder weil falsch operiert wurde, son-
dern weil gar nicht oder zu spät operiert wurde.
Das Gegenteil trifft für die „gynäkologischen Fisteln“ zu.
Hier handelt es sich meist um direkte Blasen- und Ureterverletzungen,
die, übersehen oder ungenügend repariert, sofort zur Fistelbildung führen.
Die trophischen Schädigungen der Blasen- und Ureterwand rangieren
erst an zweiter Stelle.
Eine vervollkommnete Operationstechnik und die guten Resultate
bezüglich der Blasennaht, der Ureternaht und der Ureterimplantation
haben auch bei dieser Fistelkategorie einen erheblichen Rückgang der
Frequenz mit sich gebracht.
Diagnostisch hat uns die Zystoskopie erheblich gefördert. Mit ihrer
Hilfe können wir die Blasenfisteln genauer als früher, besonders be-
züglich ihrer Lage zu den Ureteren, lokalisieren. Eine genügende
Blasenabdichtung zur zystoskopischen Untersuchung läßt sich durch
Scheidentamponade oder Kolpeuryse meist durchsetzen. In schwierigen
Fällen bewährt sich die Zystoskopie in der luftgefüllten Blase in
Kniebrustlage.
Bei Ureterfisteln können wir absolut sicher bestimmen, welcher
Ureter verletzt ist, in welcher Höhe die Fistel sitzt und ob es sich um
eine totale oder um eine nur partielle Ureterdurchtrennung handelt.
Der Fistelureter „geht leer“, d. h. er agiert, olıne dabei Urin zu
248 W. Stoeckel.
fördern, wenn er nur teilweise durchtrennt ist — er „liegt tot“, d.h. er
agiert überhaupt nicht mehr, wenn er völlig durchtrennt ist. In zweifel-
haften Fällen entscheidet der Ureterkatheter, der an der Läsions- resp.
Unterbindungsstelle stets arretiert wird, weil der Ureter hier regelmäßig
scharf abgeknickt ist.
Besonders wichtig ist die Diagnosenstellung bei frischoperierten
Fällen, in denen innerhalb der ersten 24 Stunden, noch bevor Fistel-
symptome da sind, die Entscheidung getroffen werden muß, ob eine
einseitige oder gar doppelseitige Ureterunterbindung passiert ist.
Die klinische Feststellung der Oligurie oder Anurie genügt nicht,
weil eine postoperative Niereninsuffizienz auch ohne jede Behinderung
des Harnabflusses schnell einsetzen kann und somit für den Entschluß
einer eventuellen Relaparotomie nicht ausreicht.
Mir sind solche Aufgaben wiederholt gestellt worden, und ich habe
bei Frischoperierten im Querbett den Harnleiterkatheterismus ebenso
schnell und leicht ausführbar gefunden als sonst.
Das prophylaktische Einlegen von Ureterbougies vor der
Operation hat sich nicht eingebürgert und schützt die Ureteren nicht
so gut, als die absolute Vertrautheit des Operateurs mit der Becken-
anatomie.
Dagegen spielen Zystoskop und Ureterkatheter als postoperative
Kontrollmethoden der Fistelheilung eine große Rolle. Besonders
nach der Naht und der Implantation des Ureters in die Blase läßt sich
auf andre Weise gar nicht entscheiden, ob die Heilung tatsächlich mit
erhaltener Funktion des Ureters und der zugehörigen Niere erfolgt ist.
Eine kurze Erwähnung verdienen diejenigen Formen von unwill-
kürlichem Urinabgang, denen Verletzungen des Harnapparates nicht zu-
grunde liegen. Dazu gehören die Reflexinkontinenz bei -Onanie
und bei Hysterie, sowie die Enuresis. Nach experimentellen Unter-
suchungen aus meiner Klinik möchte ich die letztgenannte Affektion
einer abnormen Sympathikuserregbarkeit und Detrusorreizung, nicht aber
einer Sphinkterparese zuschreiben.
Als wichtige Krankheitsgruppe nenne ich weiter die Perforationen
benachbarter Krankheitsherde in der Blase. Am bekanntesten
ist der Durchbruch parametraner Exsudate, der sich zystoskopisch
durch ein mächtig entwickeltes bullöses Ödem anzuzeigen pflegt und
klinisch durch plötzliche, massenhafte Eiterentleerung aus der Harnröhre
in Erscheinung tritt. Die Eiterentleerung bedeutet fast stets den Beginn
einer schnell fortschreitenden Heilung. Der Gewebsdruck in der sich
rasch verkleinernden und schrumpfenden Exsudathöhle läßt eine Urin-
rückstauung nicht zu. — Zystitis entsteht so gut wie niemals, selbst
wenn virulenter Eiter literweise durch die Blase fließt. Und deshalb
erübrigt sich auch meist jede weitere Therapie.
Ungünstiger ist die Perforation von Pyosalpingen, die aller-
dings auch seltener vorkommt.
Gynäkologie und Urologie. 249
Hierbei tritt eben ein mit Schleimhaut ausgekleidetes Organ in
Kommunikation mit dem Blasenkavum, und die Tubenschleimhaut sezer-
niert natürlich auch nach der Perforation weiter. Diese markiert hier
also nicht den Beginn einer Heilung, sondern einer sehr fatalen Kom-
plikation. Der Verlauf ist chronisch, der wahre Sachverhalt wird ge-
wöhnlich ohne Zystoskopie nicht erkannt. Es wird viel katheterisiert.
So entsteht Zystitis und Blasenüberempfindlichkeit, und Heilung tritt
erst ein, wenn der Eiterherd operativ ausgeschaltet wird.
Ganz ähnliche Verhältnisse bestehen beim Durchbruch von
Ovarialabszessen.
Am unangenehmsten ist die Situation beim Durchbruch tubarer
Fruchtsäcke und von Dermoidzysten. Im ersteren Fall besteht
der Tubeninhalt aus dem bereits abgestorbenen, skelettierten Fötus und
ist vom Darm aus infiziert. Die einzelnen Skelettknochen eitern suk-
zessive in die Blase hinein. Die Passage ist infolge der vielgestaltigen
Knochenformation natürlich erschwert. Die Knochen können auf ihrer
Wanderung stecken bleiben und ragen dann mit einem Ende in die
Tube, mit dem andern in die Blase hinein, bedecken sich mit Konkre-
menten, scheuern die Blasenschleimhaut wund und rufen schwere
ulzeröse Zystitiden hervor.
Früher gingen solche Frauen nach langem Siechtum elend an
Sepsis zugrunde, heute werden wir sie, da wir diagnostisch und thera-
peutisch leistungsfähiger geworden sind, meistens retten können.
Die Perforation einer Dermoidzyste habe ich einmal durch
den zystoskopischen Nachweis des in die Blase herabrinnenden Dermoid-
breies diagnostizieren können. In der Klinik Schauta wurde an der
Perforationsstelle ein in Inkrustationen eingehülltes Haarbüschel in die
Blase hineinragend gefunden.
Blasendarmfisteln nach Perforation von perityphlitischen Ab-
szesse, Darmkarzinomen, Dickdarmdivertikeln oder bei schwerer Bauch-
felltuberkulose sehen wir im Ganzen selten.
Endlich sei derjenigen Geschwulstbildungen in den Harn-
organen gedacht, die speziell gynäkologisches Interesse haben.
Von gutartigen Tumoren der Urethra beobachten wir am häufigsten
die sog. Karunkel, die histologisch den Bau eines Granuloms, eines
papillären Angioms oder eines teleangiektatischen Schleimhautpolypen
aufweisen kann.
Myome und Fibromyome sind sowohl als Polypen wie als para-
urethrale Bildungen beobachtet.
Das Schleimhautkarzinom der Urethra zeichnet sich durch
seine Neigung zur raschen Exulzeration aus, während das periurethrale
Karzinom derbe Infiltrationen im Septum urethrovaginale macht.
Als dritte Form ist das Carcinoma vulvourethrale beschrieben,
das vom Saum der äußeren Urethralmündung sowohl vulvawärts wie
urethralwärts weiterwächst.
250 W. Stoeckel.
Alle drei Karzinomformen geben eine schlechte Prognose, weil sie
frühzeitig metastasieren und häufig rezidivieren. Ein radikaler Heil-
versuch erfordert zudem oft die Mitnahme des Sphincter vesicae und
ist dann von einer kaum zu beseitigenden Inkontinenz gefolgt.
Von den Blasenkarzinomen will ich nur die sekundären be
sprechen, die aus einem primären Scheiden- oder Uteruskarzinom ent-
stehen. Ihre Frequenz ist im Vergleich zu der Häufigkeit des Uterus-
karzinoms nicht groß. '
Wenn das Karzinom schon das ganze Parametrium bis zur Becken-
wand durchwachsen hat, wenn der Ureter schon in Karzinommassen
völlig eingemauert ist, so werden Blase und Ureter in ihren inneren
Wandschichten sehr gewöhnlich noch karzinomfrei gefunden. Diese jetzt
in großer Zahl vorliegenden Beobachtungen sprechen dafür, daß die
Lymphsysteme der weiblichen Harn- und Geschlechtsorgane ziemlich
unabhängig voneinander sind, und daß der Lymphstrom des Uterus an
der Blase und an den Ureteren vorbeigeht.
Und auch das sukzessive Hineinwachsen genitaler Karzinome in
die Harnorgane ist lange nicht so häufig, als man bei der unmittelbaren
Nachbarschaft beider Systeme erwarten sollte. Wohl finden wir bei
unsren Karzinomoperationen gar nicht selten die Blase innig mit dem
Karzinomtrichter verwachsen, aber häufiger infolge entzündlicher Pro-
zesse, wie sie sich an der Karzinomperipherie regelmäßig abspielen, als
durch übergewuchertes Karzinom.
Infolgedessen gibt uns auch das zystoskopische Bild nur selten
Aufschlüsse, die unsre Indikationsstellung präzisieren. Wir finden bei
der Ableuchtung oft Zeichen einer ausgesprochenen Zirkulationsstörung.
insbesondere kissenartiges Wandödem und bullöses Schleimhautöden.
Das besagt aber nur, daß der karzinomatöse Prozeß oder der ihn um-
rahmende reaktive Entzündungswall die Außenseite der Blase erreicht
haben. Wie nahe sie gekommen sind, ob unlösbare Verwachsungen
bestehen, ob die Blase wird reseziert werden müssen, das können wir
aus der Stärke des Ödems höchstens vermuten. Eine Kontraindikation
gegen die Radikaloperation liegt also in solchen Befunden nicht.
Sind ‘aber Krebsnester auf der Blasenschleimhaut oder ganze Höhen-
züge durchgewachsener Karzinomknollen zystoskopisch zu sehen, so halte
ich die Aussicht auf Radikalheilung für minimal. Wie müssen dann
gewöhnlich mit einer Metastasenbildung rechnen, welche die operativ
erreichbaren Drüsengruppen überschritten hat und auch mit der Wahr-
scheinlichkeit eines lokalen Rezidivs. Zu dieser Anschauung werden
sich mit der Zeit wohl auch diejenigen Operateure bekennen, die dem
Reiz noch nicht widerstehen können, sich den besonders großen tech-
nischen Schwierigkeiten solcher Operationen gewachsen zu zeigen.
Eine ebenso strikte, mehr und mehr anerkannte KontraindikabeN
bildet der Nachweis einer komplizierenden Niereninsuffizienz oder \ieren-
erkrankung. Und deshalb machen manche Operateure ihren Entschlub
zur Operation mit Recht von dem Ausfall des Ureterkatheterismus abhängig:
Gynäkologie und Urologie. 251
Bei den primären Blasentumoren, insbesondere. bei den Papil-
lomen der weiblichen Blase, wird besonders darüber zu diskutieren sein,
ob eine spezifisch-gynäkologische Operationsmethode, die Kolpozystotomie,
zu bevorzugen oder, wie ich meine, abzulehnen ist. Vom diagnostischen
Standpunkt aus wäre höchstens das häufige Fehlen subjektiver Be-
schwerden und auch stärkerer Blutungen selbst bei faustgroßen Ge-
schwülsten — ferner ihr oft gut durch die kombinierte Untersuchung
gelingender Nachweis zu erwähnen. Daß die zystoskopische Untersuchung
trotzdem unentbehrlich ist, bedarf kaum der Versicherung. Als Geschwulst-
raritäten nenne ich noch das Chorioepitheliom und das Dermoid.
Bezüglich unsrer urologisch-diagnostischen Technik kann
ich mich kurz fassen. Wir brauchen keine gynäkologische Sonder-
technik, sondern wir stehen in dieser Hinsicht völlig auf Ihren Schultern.
Die einzige, speziell für die weiblichen Harnorgane in Betracht kom-
mende Methode der Harnröhrendilatation ist antiquiert und durch die
Zystoskopie überholt. Da sie gelegentlich zur irreparablen Inkontinenz
führt, ist sie zu streichen. Wir müssen sämtliche urologische Unter-
suchungsmethoden: die chemischen, die bakteriologischen, die
radiologischen, die endoskopischen, sowie die Methoden der
funktionellen Nierendiagnostik von Grund aus beherrschen. Dazu
gehört ein fleißiges und besonders ein ausdauerndes Studium. Ober-
flächlicher Dilettantismus und zystoskopische Spielereien können uns
nichts nützen. Vierwochen-Spezialisten, die sich nach einem sog. „Kurs“
bereits für urologisch zuständig halten, sind vom Übel!
Unser diagnostisches Instrumentarium zeichnet sich durch große
Einfachheit aus. Wir gebrauchen keine Sonden, keine filiformen Bougies,
keine Urethrometer, keine komplizierten Dilatationsinstrumente, keine
Steinsonden, kein Sortiment verschieden geformter elastischer und me-
tallener Katheter, keine retrograden Zystoskope.
Wir kommen mit geraden Glaskathetern, mit unsern Uterusdilata-
toren, einem Zystoskop und einem Urethroskop aus.
Unter den Urethroskopen halte ich das Valentinesche in etwas
modifizierter Form für das zweckmäßigste. Unter den Zystoskopen
bevorzuge ich die nach Nitzeschem Prinzip gebauten und finde unter
den neueren Kombinationsinstrumenten, die zur Beleuchtung, zur Irri-
gation und zum Ureterkatheterismus verwendbar sind, diejenigen mit
herausziehbarer Optik, z. B. das Israelsche Modell, besonders empfehlens-
wert. Spezielle Konstruktionen für die weibliche Blase haben sich als
unnötig, sogar als unvorteillaft erwiesen.
Das Brennersche Instrument ist gewiß leistungsfähig und wird
von vielen Gynäkologen besonders geschätzt. Ich kann aber nicht zu-
geben, daß es den Nitze-Instrumenten in irgendeiner Beziehung über-
legen ist. Auch habe ich mich an das zystoskopische Spiegelbild so
gewöhnt, daß mir die Bildaufrichtung nach Frank und Jacobi nur
bei intravesikalen Operationen eine wesentliche Erleichterung bringt.
252 W. Stoeckel. Gynäkologie und Urologie.
Die Methode von Kelly-Pawlik, ebenso wie die neuerdings von
Luys empfohlene scheinen mir mit der klassischen Methode nach Nitze
nicht konkurrieren zu können.
Die Harnsegregatoren und -separatoren kann ich als Kon-
kurrenzmethoden des Ureterkatheterismus nicht anerkennen. Es liegt
auf der Hand, daß sie unter Umständen fehlerhafte Resultate ergeben
können. Sie sind aber in den recht seltenen Fällen, in denen der Ureter-
katheterismus undurchführbar ist, ganz außerordentlich wertvolle Hilfs-
mittel, um eine Sonderung der Nierenharne wenigstens in der Blase
zu versuchen.
Die Chromozystoskopie benutze ich sehr selten und halte es
für falsch, sie prinzipiell zur Erleichterung der zystoskopischen Diagnostik
anzuwenden. Wer sich von vornherein daran gewöhnt, nur den gefärbten
Ureterharn zu erkennen, wird eine wirklich gute zystoskopische Technik
schwer erwerben. Ich will jedoch den außerordentlichen Nutzen der
Methode für diejenigen Fälle, in denen das Ureterostium sich der direkten
Betrachtung entzieht, ganz besonders und nachdrücklich betonen und
auch ihren Wert zur funktionellen Nierenprüfung nicht in Abrede stellen.
Endlich soll nicht unerwähnt bleiben, daß die instrumentelle Unter-
suchung der weiblichen Harnorgane sehr leicht ist, daß besonders die
Schwierigkeiten, die die anatomische Struktur der männlichen Harnröhre
der Einführung von Instrumenten entgegenstellt, bei der Frau gewöhn-
lich ganz wegfallen, und daß demzufolge sich alle diese Untersuchungen
schmerzlos, ohne irgendwelche Läsionen, und bei der nötigen aseptischen
Sorgfalt ohne jede Infektionsgefahr nicht nur klinisch, sondern auch
ambulant durchführen lassen.
Liegt darin auf der einen Seite ein gewisser Anreiz zu kritikloser
und übertriebener Anwendung des Katheters und des Zystoskops, so
ergibt sich auf der andern Seite doch auch die Möglichkeit, die Ent-
scheidung prinzipiell und allgemein wichtiger urologischer Fragen, wie
die Erforschung der Nierenarbeit, der Ureterfunktion, der Infektions-
genese gerade durch systematisch durchgeführte Untersuchungen an den
weiblichen Harnorganen zu fördern.
Und somit glaube ich, meine Herren, zum Schlusse nochmals wieder-
holen zu dürfen, daß unsre urologische Arbeit nicht nur egoistischen
Interessen dient, sondern daß wir auch imstande sind, unsern Teil zur
Förderung der urologischen Wissenschaft beizutragen.
Wenn auch meine skizzenhaften Ausführungen für die Begründung
dieser Behauptung wohl weder erschöpfend noch eingehend genug ge-
wesen sind, so hoffe ich doch, Sie erneut davon überzeugt zu haben,
daß wir die urologische Diagnostik ebenso wie die gynäkologische be-
herrschen müssen und daß es nicht genügt, wenn nur einzelne von uns
den Fortschritten der Urologie folgen, sondern daß wir in corpore dazu
verpflichtet sind!
Gynäkologie und Urologie.
Referat, erstattet auf dem II. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Urologie in Berlin.
19.—22. April 1909.
Von
Prof. Wertheim, Wien‘).
(Autoreferat.)
Wertheim beschränkt sich darauf, die Beziehungen zwischen
Urologie und Gynäkologie vom Standpunkte des gynäkologischen
Operateurs zu besprechen. Die Fortschritte bei der Operation intra-
ligamentärer Tumoren, ferner die neueren Methoden bei der Operation
von Blasenscheidenfisteln und Zystozelen erwähnt er nur kurz und
wendet sich sofort jener Operation zu, bei welcher der Operateur in
einer Weise mit den Harnwegen zu tun bekommt, wie bei keiner andern,
d. i. nämlich die moderne Uteruskarzinomoperation.
Nirgends sonst sei eine so weitgehende Ablösung der Blase und
Freilegung der Ureteren notwendig, und es haben sich diesbezüglich
sowohl in der Operationstechnik als in den postoperativen Folgen einige
neue Gesichtspunkte ergeben.
Es sei hier vor allem die Parese der Blase zu nennen, welche fast
regelmäßig unmittelbar nach der Operation sich einstelle und erst im
Verlaufe mehrerer Wochen nach und nach verschwinde. Solange die
Patientinnen zu Bette liegen, können sie infolge dieser Parese nicht
spontan urinieren, und auch wenn sie das Bett verlassen haben, sei die
Entleerung der Blase gewöhnlich durch längere Zeit unvollständig. Zu-
gleich mit dieser Parese resp. als Folge derselben pflege eine mehr
oder minder hochgradige Zystitis aufzutreten, sogar in solchen Fällen,
in denen ein Katheterismus nicht stattgefunden habe. Zu verhindern
sei diese Zystitis in keiner Weise, weder durch Spülungen irgendwelcher
Art, noch auch durch die sorgfältigste Aseptik beim Setzen des Katheters.
Es handle sich um Ernährungsstörungen infolge der hochgradigen Ab-
lösung der Blase, um Lähmung derselben und endlich wohl auch um
ein Einwandern von Mikroorganismen aus dem großen subperitonealen
Wundraum, der nach dieser Operation verbleibe.
Relativ häufig bilden sich nach der erweiterten abdominalen Kar-
zinomoperation Blasenscheidenfisteln. Es handle sich da meist um Fälle,
in denen das weit vorgeschrittene Karzinom des Collum uteri bereits
auf die Blase übergegriffen habe, so daß bei der Ablösung der Blase
1) Erscheint ausführlich im Kongreßbericht der Zeitschrift für Urologie.
Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 18
254 Wertheim.
dieselbe entweder zur Eröffnung kam oder doch wenigstens sehr ver-
dünnt wurde. Indem sich an dieser Stelle im postoperativen Verlaufe
eine Nekrose einstelle, komme es zur Fistelbildung. In einer Reihe von
Fällen schließen sich diese Fisteln wieder von selbst, in andern Fällen
müßten dieselben durch. Anfrischung und Naht zum Verschlusse gebracht
werden. Eine Occlusio vaginae habe Wertheim zu diesem Zwecke
bisher nicht gebraucht.
Noch wichtiger als das postoperative Verhalten der Blase sei das
der Ureteren. Zufällige Ureterverletzungen während der Operation hatte
Wertheim unter seinen zirka 500 derartigen Karzinomoperationen nur
acht. In dem einen dieser Fälle handelte es sich um eine Duplizität
des Ureters, in einem zweiten Falle um schwere entzündliche Infiltration,
in den andern Fällen sei der Ureter nicht genügend freigelegt worden.
Neben diesen acht zufälligen Verletzungen verzeichnet Wertheim unter
seinen 500 Fällen nur fünf beabsichtigte und mit Vorbedacht ausgeführte
Ureterresektionen. Die nachträgliche mikroskopische Untersuchung habe
aber gezeigt, daß nur in einem dieser fünf Fälle das Karzinom bereits
die Ureterwand ergriffen hatte.
Seien somit Verletzungen der Ureteren während der Operation
etwas sehr Seltenes, so komme es relativ häufig im postoperativen Ver-
laufe zu Störungen von seiten der Ureteren. In 29 Fällen seien Ureter-
fisteln aufgetreten, in 14 links, in zehn rechts und in fünf bilateral.
Nachdem Wertheim die klinische Erscheinungsweise, die Diagnose
und die Anatomie dieser Ureterfisteln besprochen, konstatiert er, dab
in der großen Mehrzahl dieser Ureterfisteln spontane Heilung sich ein-
stelle, und zwar manchmal erst nach zwei bis drei Monaten. Während
dieser Zeit sei natürlich die Gefahr einer aufsteigenden Pyelitis durch
Infektion vorhanden; durch sorgfältige Reinhaltung der Scheide und
fleißiges 'Tuschieren der Fistel mit Jodtinktur und Lapis gelinge es fast
immer, dieselbe zu verhinden. Wertheim erwähnt, daß er an seiner
Klinik im Anfange, bevor er erfahren hatte, daß sich derartige nach
der erweiterten Karzinomoperation auftretende Ureterfisteln spontan zu
schließen pflegen, mehrfach, um einer Pyelitis und Pyelonephritis zu-
vorzukommen, sich zur Nephrektomie habe verleiten lassen. Heute aber
stehe er auf dem Standpunkte, unter entsprechenden Kautelen gegen
eintretende Infektion unbedingt drei bis vier Monate, eventuell länger zu
warten. Bleibe die Heilung aus, dann sei noch immer Zeit zur Nephrek-
tomie.
Die Funktion derartiger Ureteren nach der spontanen Ausheilung
sei, wie Weibel an der Klinik Wertheims konstatiert habe, eine durch-
aus genügende. Wohl sei der Harnstrahl manchmal etwas schwächer,
auch die Intervalle zwischen den einzelnen Harnförderungen seien
manchmal etwas größer, aber von einer wirklichen Stenosierung séi
nicht die Rede.
Auch diese Ureterfisteln verdanken ihre Entstehung einer Nekrose.
Es mag wohl sein, daß in manchen Fällen eine Wandverdünnung des
Gynäkologie und Urologie. 255
Ureters intra operationem zustande komme, daß also die Ureternekrose
in ganz analoger Weise entstehe, wie die Nekrose der Blasenwand.
Man sehe aber derartige Nekrosefisteln in sehr vielen Fällen auftreten,
in denen die Auslösung des Ureters keineswegs eine schwierige war und
das Karzinom in keiner Weise zur Fixation des Ureters geführt hatte,
und umgekehrt könne in Fällen, in denen der Ureter gleichsam Schritt
für Schritt aus dem Karzinom ausgegraben werden mußte, die Fistel-
bildung ausbleiben.
Es mag dahingestellt bleiben, ob es sich hierbei um die Arteria
ureterica Feitels handle oder um das die Ureterenscheide umspinnende
Gefäßnetz (Sampson), so viel sei sicher, daß bei zartem und vorsichtigem
Vorgehen, wenn man den Ureter womöglich in Verbindung mit seiner
Unterlage lasse, diese Fisteln sich seltener einstellen. Freilich, wenn
der Ureter auf Strecken von 5—6 cm isoliert werden müsse (und dies
sei in sehr vorgeschrittenen Fällen, wo das ganze Parametrium entfernt
werden müsse, nicht zu vermeiden), da sei immer die Möglichkeit einer
solchen Ureternekrose vorhanden, und Wertheim spricht seine Über-
zeugung aus, daß sich derartige Ureterfisteln niemals gänzlich vermeiden
lassen werden, namentlich wenn man weit vorgeschrittene Kollumkar-
zinome operativ angehe.
Auch ohne Ureterfistelbildung sei übrigens, betont Wertheim, die
Gefahr aufsteigender Infektion (Pyelitis und Pyelonephritis) vorhanden,
und zwar, wie er meint, infolge einer Lähmung der Ureteren, die sich
in analoger Weise geltend mache wie die Lähmung der Blase. Auch sei
kein Zweifel, daß die Peristaltik des Ureters in dem post operationem
um den Ureter herum sich bildenden Narbengewebe nicht so regelmäßig
und leicht ablaufe, als wie in dem feinen normalen Zellgewebslager.
Bezüglich des Verhaltens bei Ureterkomplikationen, wie sie bei der
erweiterten abdominalen Uteruskrebsoperation auftreten, stellt Wertheim
fest, daß er bei den während der Operation zustande gekommenen Ver-
letzungen (acht unabsichtliche und fünf beabsichtigte: in Summa 13)
zehnmal die sofortige Implantation in die Blase ausgeführt habe. Sechs-
mal trat Heilung ein, zweimal hielt wohl die Naht, aber die Patientinnen
erlagen sechs resp. sieben Tage post operationem einer Herzschwäche,
in einem Falle (doppelseitige Ureterenverletzung: auf der einen Seite
intendierte Resektion, auf der andern Seite unglücklicher Zufall) war die
Spannung zu groß und rissen die in die Blase implantierten Ureteren
aus. Im elften Falle implantierte Wertheim den durchschnittenen Ureter
in den zweiten Ureter derselben Seite (es war dies der Fall von an-
geborner Ureterenduplizität), die Naht hielt, es trat aber Tod an Bronchitis
purulenta ein. Im zwölften Falle war die Verletzung des Ureters hoch
oben am Ligamentum infundibulo-pelvicum erfolgt, und zwar bei der
Exstirpation einer schwer angewachsenen Pyosalpynx: die vesikale Im-
plantation war wegen des hohen Sitzes der Läsion ausgeschlossen und
eine Vernähung der beiden Ureterenden wegen zu engen Lumens nicht
möglich, die Nephrektomie aber wegen hochgradigen Kollapses kontra-
18*
256 Wertheim. Gynäkologie und Urologie.
indiziert: also lugierung des Ureters und Einnähung desselben in die
Bauchwunde (Exitus infolge Infektion vom geplatzten Pyosalpynx). Im
13. Falle war der Ureter bei der Naht einer Blasenverletzung mitgefaßt
worden: es war dies die einzige Ureterenverletzung, die erst auf dem
Sektionstische konstatiert wurde.
Ganz anders sei das Verhalten bei den durch nachträgliche \ekrose
entstandenen Kontinuitätsunterbrechungen des Ureters. Wertheim ist
im großen und ganzen in jenen Fällen, in denen nicht schließlich spon-
tane Heilung auftritt, für die Nephrektomie. Man könne ja den Versuch
machen, auf vaginalem Wege die Fistelnach Mackenrodtoder Dührssen
zum Verschluß zu bringen, aber weder hier noch bei der abdominalen
Implantation in die Blase seien die Chancen für die Heilung günstige,
und zwar wegen des starren Narbengewebes, welches nach den erweiterten
Operationen wegen Uteruskrebs das untere Ureterende umgebe. Nament-
lich wo bereits Zeichen von Pyelitis vorhanden seien, sei lieber gleich
die Nephrektomie vorzunehmen, welche gerade hier durchaus gute Er-
folge ergeben habe.
Auch auf vaginalem Wege habe man versucht, die erweiterte Uterus-
karzinomoperation durchzuführen, und in der Tat könne man auch hier
die Ureteren freilegen, freilich nur das unterste Stück (zirka 4—5 cm).
In sehr weit vorgeschrittenen Fällen, wo es sich um starre Fixation
des Uterus handle, mißlinge übrigens die Freilegung des Ureters nicht
selten. Ein Vergleich mit der abdominalen Methode falle entschieden
zuungunsten der vaginalen aus. Ureterennekrosen gebe es allerdings so
gut wie keine (da eben die Freilegung des Ureters nur eine sehr be
schränkte sei), aber dafür gebe es ungefähr dreimal so viel zufällige
Ureterverletzungen während der Operation. Dazu komme, daß, während
man beim abdominalen Operieren fast jede zufällige Ureterverletzung
sofort bemerke (unter acht Fällen siebenmal), beim vaginalen Operieren
dies nur ausnahmsweise der Fall sci (Schauta habe unter elf Fällen
nur einmal das Zustandekommen der Ureterverletzung konstatiert und
das Nötige veranlaßt [vesikale Implantation] und auch in diesem einen
Falle sei die Implantation nicht gelungen). Von intendierten, d. h. mit
Vorbedacht ausgeführten Resektionen des Ureters werde bei der vagi-
nalen Operation überhaupt nichts berichtet.
Zum Schlusse weist Wertheim darauf hin, eine wie große Ver-
trautheit mit Ureteren und Blase die modernen Karzinomoperationen
dem Gynäkologen verliehen haben und wie das natürlich nicht ohne
Rückwirkung auf andre gynäkologische Operationen (abdominale und
vaginale) bleiben könne, und es sei selbstverständlich, daß diese Ver-
trautheit mit den Harnwegen in den Gynäkologen immer mehr das Be-
wußtsein stärke von der Notwendigkeit, in urologischen Dingen Bescheid
zu wissen, Diagnosen stellen und Eingriffe ausführen zu können. Das
wenigstens müsse man vom Gynäkologen verlangen, daß er imstande
sei, Schäden, die im (refolge gynäkologischer Operationen entstanden seien,
selbst wieder gut zu machen.
Diskussionsbericht. 257
An die beiden Referate schloß sich eine ausgedehnte und lebhafte
Diskussion.
Frank (Berlin) macht geltend, daß an der Behandlung der Gonorrhöe
bei der Frau sowohl die Urologen wie die Gynäkologen interessiert sind,
daß aber die Betätigung der Gynäkologen erst dann einsetzen soll, wenn
der Prozeß den inneren Muttermund überschritten hat. Er tritt weiterhin
nachdrücklich für die Verwendung der Harnseparatoren ein, die gerade
in die weibliche Blase leicht einzuführen sind und seiner Erfahrung
nach gute Resultate ergeben. Er plädiert für die Methode um so mehr,
als der Ureterkatheterismus, wie er meint, bei der Frau häufig durch
Verlagerungen und Knickungen der Ureteren mit einigen Schwierigkeiten
verbunden ist. Ebenso hält er die direkte Zystoskopie von Luys für
eine sehr leistungsfähige Methode.
Strauß (Frankfurt a. M.) betont den Zusammenhang der inter-
mittierenden Hydronephrose mit Genitalleiden und mit der Menstruation,
erörtert die Bedeutung der Beckenniere und verweilt etwas ausführlicher
bei der Pyelitis gravidarum. Er ist bei 24 Fällen stets mit einer rein
exspektativen Behandlung ausgekommen und erklärt den artifiziellen
Abort für einen Kunstfehler. Weiterhin verwirft er die funktionelle
Nierenprüfung bei Eklampsie, weil die Frauen tot seien, wenn die
Prüfung vollendet sei und empfiehlt die frühzeitige Dekapsulation. Er
kommt dann auf das Ulcus vesicae, die Tumoren der Urethra und die
Blasenkarzinome zu sprechen und gibt zum Schlusse den Gynäkologen
den wohlwollenden Rat, den Ureterkatheterismus recht gut zu erlernen.
Löwenhardt (Breslau) behauptet, daß die Tuberkulose des Harn-
traktus stets markante und klare Symptome aufweist und macht geltend,
daß die urologische Betätigung der Gynäkologen eine begrenzte bleiben
müsse. Die jetzige Richtung der gynäkologischen Urologie geht ihm
zu weit; eine genaue Abgrenzung der Gebiete sei unerläßlich. Er er-
örtert dann die im Anschluß an gynäkologische Erkrankungen auf-
tretenden Pyelitiden.
Thumin (Berlin) erklärt die Zystitis nach Urethralgonorrliöe für
nicht selten. Er macht ebenso wie Wertheim auf die, übrigens seit
vielen Jahren bekannte Tatsache aufmerksam, daß Ureterfisteln sich oft
spontan schließen. Bei ausbleibender Spontanheilung erklärt er die
Nephrektomie für besser als die Implantation des Ureters in die Blase.
Rothschild (Berlin) geht auf die Reizblase ein und empfiehlt
methodische Blasendehnungen zur Bekämpfung der Pollakiurie.
Wossidlo (Berlin) empfiehlt sein Urethruskop zur Untersuchung
der weiblichen Harnröhre.
Kroemer (Berlin) hebt hervor, daß die engen Beziehungen zwischen
den Genitalien und den Harnorganen, sowie die große Zahl der mit
Harnbeschwerden behafteten Frauen den Gynäkologen nötigen, die uro-
logischen Untersuchungsmethoden zu pflegen. Das wachsende Interesse
an der Materie erhellt aus den zahlreichen Publikationen urologischen
Inhaltes. welche aus gynäkologischen Kliniken hervorgehen. Es ist
258 Diskussionsbericht.
daher nur natürlich, daß Gynäkologen, welche sich speziell mit der
Urologie befassen, auch allgemeine urologische Therapie betreiben. Oft
genug wird es sich dabei um einen Nebenbefund bei einem gynäko-
logischen Grundleiden handeln. Speziell hinsichtlich der Tuberkulose
glaubt er, daß bei Entdeckung der Blasentuberkulose auch das Genital-
system beteiligt ist. Zwei von K. beobachtete Fälle waren längere Zeit
wegen Tuberkulose der Genitalorgane in Beobachtung, bevor der tuber-
kulöse Blasenprozeß entdeckt wurde. Ebenso entdeckte er gelegentlich
größerer gynäkologischer Eingriffe Papillome der Blase, welche daher
in derselben Narkose entfernt wurden usw.
Die Indikationsstellung für unsere operative Therapie ist ohne An-
wendung urologischer Methoden nicht mehr exakt genug. Die Differential-
diagnose, die Vorbereitung der Patientinnen für größere Operationen,
die Kontrolle nach der Operation, endlich die mannigfachen Störungen
der Harnorgane in der Schwangerschaft und im Wochenbett erfordern
von dem Operateur das Vertrautsein mit der urologischen Technik.
In diesem Sinne scheint es K. auch geboten, daß der Gynäkologe
nicht einseitig bei Operationen an oder in der Blase einen einzigen Weg
bevorzugt, sondern individuell von Fall zu Fall die endovesikale Methode
neben der Sectio alta und der Kolpozystotomie pflegt. Die letzterwähnte
Operationsart hat ihre spezielle gynäkologische Indikationsbreite. Sie
empfiehlt sich zur Entfernung größerer Steine und Fremdkörper, welche
sich eingespießt haben und daher endovesikal ohne Verletzung der Un-
gebung sich nicht flottmachen lassen. Namentlich bei dem Vorhanden-
sein schwerer Fremdkörperzystitis mit Gefahr der aufsteigenden Pyelitis
wegen Verstopfung des Dauerkatheters ist die Kolpozystotomie der ge
gehbene Weg, weil er zugleich die Dauerdränage der Blase ermöglicht.
Nach dem Abheilen der Zystitis schließt sich der Schnitt gelegentlich
von selbst.
Endlich ist der subpubische, von Fritsch inaugurierte Weg, welcher
die Blase von einem Eröffnungsschnitt am unteren Rande der Schof-
fuge aus aufsucht, speziell für gynäkologische Zwecke geeignet, wenn
es sich darum handelt, die Blase für den Schluß großer Fisteln zu
mobilisieren oder komplizierte Rißverletzungen nach geburtshilflichen
Operationen zu reparieren.
Die Technik der Ureter- und Blasenplastik zur Beseitigung von
Harnfisteln bei Frauen ist zu einem speziellen gynäkologischen Arbeits-
gebiet geworden entsprechend der Ätiologie dieser Affektionen.
Die Heranziehung der Gynäkologen zu dem jüngsten Urologen-
kongreß ist das erfreuliche Zeichen der gedeihlichen Zusammenarbeit
beider Disziplinen. | Autoreferat,
Kneise (Halle a. S.) wendet sich gegen die von Strauß über die
Pyelitis geäußerten Ansichten und meint, St. hätte offenbar das Glück
gehabt, recht leichte Fälle von Pyelitis zu sehen. Sodann tritt K. sehr
warm dafür ein, daß die Gynäkologen sich mit der Technik der intra-
vesikalen Operationen vertraut machen und berichtet über seine günstigen
Diskussionsbericht. 259
eigenen Erfahrungen über das intravesikale Morcellement von Blasen-
papillomen.
Luys (Paris) empfiehlt seine Methode der direkten Blasenbesich-
tigung.
Prigl (Wien) spricht über seine Erfahrungen bezüglich des gleich-
zeitigen Vorkommens von Blasen- und Genitaltuberkulose, das er für
nicht selten erklärt.
Füth (Köln) empfiehlt das Anhaken und Anziehen der Portio als
Hilfsmittel der Zystoskopie, weil auf diese Weise oft eine klarere Über-
sicht des Blasenbodens zu erzielen ist.
Bär (Wiesbaden) hat einen Fadenstein nach Vaginofixation intra-
vesikal entfernt. .
Gauß (Freiburg) weist auf die vielfachen physiologischen und
pathologischen Beziehungen zwischen weiblichen Harn- und Sexual-
organen hin. Seine darauf bezüglichen Studien sind in einer demnächst
erscheinenden Monographie niedergelegt.
Mirabeau (München) betont die guten Erfolge der intravesikalen
Operationen und die Vorteile des völlig vom Zystoskop getrennten
Instrumentariums, wie es für die weibliche Blase von ihm angegeben ist.
Knorr (Berlin) drückt seine Genugtuung darüber aus, daß die
breite Basis, auf der die urologischen Interessen der Gynäkologen stehen,
durch das Referat von Stoeckel anschaulich gemacht ist und tritt in
seinen Ausführungen lebhaft dafür ein, daß die urologische Betätigung
der Frauenärzte sich immer mehr steigern möge.
Latzko (Wien) hält es nicht für opportun, die Abgrenzung der
gynäkologischen und urologischen Interessensphäre vom Gesichtspunkt
der Gewerbeordnung aus im Sinne Löwenhardts zu regeln. Daß die
gynäkologische Urologie ein zu pflegendes Gebiet sei, steht außer Frage,
und es sei gleichgültig, ob die Gynäkologen so viel Urologie lernten
oder ob die Urologen sich in der Gynäkologie so weit vervollkommneten,
daß den berechtigten Ansprüchen der Patientinnen Genüge geschehe.
Die Spontanheilung der Ureterfisteln sei schon seit neun Jahren von
Fritsch und seinen Schülern betont. Die postoperative Zystitis nach
der abdominalen Radikaloperation des Uteruskarzinoms sei eine nicht
völlige auszuschaltende Folge des radikalen Eingriffes.
Berg (Frankfurt a. M.) spricht sich gegen die übertriebenen Schilde-
rungen aus, die von einzelnen Gynäkologen bezüglich der Gonorrhöe-
gefahren dem Laien gegenüber gemacht werden und eine schwer zu
bekämpfende Gonorrhöephobie erzeugen. Bei Inkontinenz kleiner Mäd-
chen empfiehlt er den häufigen Katheterismus.
Freudenberg (Berlin) tritt für die Methode der Harnröhrendila-
tation bei der Entfernung von Blasenfremdkörpern ein.
Stoeckel (Marburg) rechtfertigt in seinem Schlußwort die Ausführ-
lichkeit seines Referates mit der Notwendigkeit, die Breite der gynäko-
logischen Interessensphäre in der Urologie darzulegen. Er bekämpft den
ultraexspektativen Standpunkt Wertheims in der Behandlung der post-
260 Diskussionsbericht.
operativen Ureterscheidenfisteln und hält es für falsch und rückschrittlich,
die in den Verhandlungen ganz beiseite geschobene Ureterimplantation
völlig auszuschalten. Der Vorschlag Franks, als Grenzlinie zwischen
Gynäkologen und Urologen in der Gonorrhöebehandlung den inneren
Muttermund festzulegen, sei praktisch undurchführbar; ebenso kann
nicht zugegeben werden, daß gerade bei Frauen die Harnseparatoren
mehr verwendet werden sollen. Der Ureterkatheterismus wird ihnen
stets überlegen bleiben. Die Mahnung von Strauß, daß die Gynäko-
logen den Ureterkatheterismus gründlich erlernen müßten, erscheint an-
gesichts der modernen urologisch-gynäkologischen Bewegung fast über-
flüssig.‘ Die Anforderungen bezüglich der Technik können gar nicht
hoch genug geschraubt werden. St. ist manchen Kollegen sowohl unter
den Chirurgen wie unter den Gynäkologen und auch unter den Urologen
begegnet, die die Urologie sehr wohlwollend patronisierten, aber eigent-
lich viel besser getan hätten, sie erst zu erlernen. Spezialistische Titel
verbürgen durchaus noch nicht spezialistische Fertigkeit. Die von Roth-
schild erwähnte Reizblase hat St. absichtlich weggelassen, weil sie,
ähnlich wie das untere Uterussegment, den Anreiz zu den fruchtlosesten
Diskussionen zu geben pflegt. Die Kolpozystotomie verwirft St. für die
Exstirpation von Tumoren, hält sie aber für sehr geeignet zur Extraktion
solcher Fremdkörper, die durch die nicht gedehnte Urethra nicht entfernt
werdeu können. Die von Freudenberg verteidigte Harnröhrendilatation
nach Simon hat heute keine Berechtigung mehr. Die postoperative
Zystitis nach der Radikaloperation des Uteruskarzinoms ist eine Konse-
quenz des Radikalismus. Entweder wir operieren wirklich radikal —
dann schaffen wir durch massenhafte Ausschaltung von Blutgefäßen,
Lymphgefäßen und Nervenbahnen eine schwere trophische Blasenstörung
und eine Wundhöhle, von der aus eine Blaseninfektion leicht erfolgen
kann, oder wir operieren nicht radikal, dann bekommen wir auch keine
Zystitiden. |
Zum Schlusse dankt St. für die ihm gestellte ehrenvolle Aufgabe
der Referaterstattung und gibt der Hoffnung Ausdruck, daß das uro-
logische Interesse der Gynäkologen, das bei den Verhandlungen in er-
höhtem Maße zum Ausdruck gekommen sei, auch in Zukunft intensiv
in Erscheinung treten möge.
Werthheim (Wien) schließt sich der Auffassung an, daß die Be-
strebungen, die gegen die Zystitis nach der abdominalen Radikaloperation
des Uteruskarzinoms gerichtet sind, keinen vollen Erfolg verbürgen, weil
die trophische Störung der Blase bei dem Eingriff eine zu große ist.
Mit besonderem Nachdruck macht er geltend, daß erst durch ihn die
häufige spontane Ausheilung von Ureterfisteln nach Karzinomoperationen
festgestellt sei.
Das Fazit der Verhandlungen muß als durchaus befriedigend be-
zeichnet werden. Es war das erstemal, daß die Wechselbeziehungen
zwischen Gynäkologie und Urologie zur Diskussion gestellt wurden, und
Diskussionsbericht. 261
es erwies sich, daß beide Spezialgebiete eine weitere Förderung dieser
gegenseitigen Beziehungen durchaus benötigen. Der Tenor der Debatte
war durchaus nicht auf Rivalität, sondern auf gemeinsame wissenschaft-
liche Weiterarbeit gestimmt. Es wäre sehr zu wünschen, daß die Gynä-
kologen sich noch zahlreicher, als es dieses Mal der Fall war, an den
Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für Urologie beteiligen.
Stoeckel.
Die Behandlung unfreiwilliger Ureterläsionen und -Unterbindungen.
Autoreferat eines Vortrags, gehalten auf dem II. Kongreß der Deutschen Gesellschaft
für Urologie in Berlin (19.—22. April 1909).
Von
P. Kroemer, Berlin.
(Mit 1 Skizze.)
Der Betrachtung liegen 13 Beobachtungen zugrunde Davon er-
eigneten sich fünf nach vaginalen, acht nach abdominalen Eingriffen.
Mit Ausnahme einer Zystozelenoperation schlossen sich die Ureterläsionen
stets an die Totalexstirpation des Genitalapparates an.
Die Operationen waren indiziert
durch Tuberkulose in 1 Falle
„ Metritis und Adnextumoren „1 „
„ Uterusperforation bei Metritis „1 „
„ Myoma intraligamentaria „ 2 Fällen
„ Karzinom des Uterus EE E
Elfmal war ein Ureter beteiligt, während in zwei Fällen beide Ureteren
primär oder sekundär geschädigt wurden. Im Falle 5 der vaginalen
Operationen war der linke Ureter unterbunden, der rechte infolge Ver-
zerrung durch eine benachbarte Ligatur (siehe die beigegebene Skizze)
so abgeknickt, daß der Ureterenkatheter die Stelle nicht passieren konnte.
Im Falle 3 der abdominalen Operationen blieb die Ureterverletzung
bis zum fünften Tage unentdeckt. Erst die nach dieser Zeit auftretende
Spontannekrose des anderseitigen (rechten) Harnleiters veranlaßte die
Entdeckung der linksseitigen Stichverletzung des Ureters, welche zur
Bildung einer in die Blase sich verwölbenden Ureterozele geführt hatte.
In einem anderen Falle von einseitiger Stichverletzung wurde die
Ureterozele bereits 24 Stunden post op. entdeckt, da die bestehende
reflektorische Urinverhaltung zur Zystoskopie nötigte. Spontane Nekrosen
der Ureterenwand waren bei den 13 Fällen sechsmal zu verzeichnen,
in vier von diesen sechs Fällen war eine 'Tamponade der subserösen
Wundräume der Fistelbildung vorangegangen. Achtmal wurde der
Ureter durch Anstich verletzt oder durch Ligatur umschnürt und ver-
schlossen.
Die Komplikation verlief nur sechsmal ohne besondere Symptome.
Auch in diesen sechs Fällen bestanden diffuse Kreuz- und Leibschmerzen.
Fünfmal wiesen Spannung und Schmerzen in der Nierengegend mit
Ausstrahlung in der Ureterrichtung direkt auf die unterbundene Stelle
SE m BENE i SS { die Ce Ze akee ee =
2 ` "ba det. e underan Filen von einaäitipum Ureterrafschluß muß: die
Anurie als reflektorisele Harnve erkaltung dureh. andarseitigen Vreterkrampf `
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Fieber ank Sehneszen iy aler N ierongegend ASE 7
d ` ach Ahyeelumne der tet primär: gestorbaum. Falle verbe Esche =
di, mut. Avide mg ‚Nreterscheidenfistel ‚Zur Entlassung kanen & e
‚ Die auch. unt “deren heubsehtetis Syontanheilumg der. Ksetarfisteln, Ier.
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X ach Abluft eines Y jortetjahres E allerdings et Spott ae. nieht:
mehr zu recima ebenso uch, ‚weng mehr alt ein Drittel ler Ureten-
Ke SE Sëch ee P a e d P e dere? ist
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264 P.Kroemer. Behandlung unfreiwilliger Ureterläsionen und -Unterbindungen.
katheter, der Fistelurin durch ein dickes, in den Vaginaltrichter ge-
schobenes Dränrohr aufgefangen. Die exakt qualitativ-quantitative Be-
stimmung der Urin- und Farbstoffmengen gibt alsdann ein klares Bild
von der Funktion beider Nieren und von der Größe der Fistelöffnung.
Zur Heilung der Ureterfisteln wurden bei dem Ausbleiben der Spontan-
heilung die Neueinpflanzung des Harnleiters in die Blase und die Ne-
phrektomie herangezogen.
Von den zehn Fisteln heilten nur zwei spontan innerhalb von vier
bis elf Wochen. Dreimal gelang die Ureter-Blasenimplantation mit gutem
Funktionsresultat, in zwei Fällen heilte die Fistel anstandslos nach Ent-
fernung der schwererkrankten Niere. Drei Fisteln stehen erst kurze Zeit
in Beobachtung. Doch scheint nur ein Ureter zur Spontanheilung zu neigen.
Bei retrospektiver Betrachtung sämtlicher Komplikationen muß zu-
gegeben werden, daß einige prophylaktisch sich hätten vermeiden lassen.
So sind z. B. vier von den sechs Spontannekrosen der Tamponade des
Subserosiums zur Last zu legen. Die letztere ist also zugunsten
einer sorgfältigen Peritonealisierung der freigelegten Ureter-
strecken zu unterlassen. Ebenso muß es gelingen, den unfreiwilligen
Stichverletzungen des Harnleiters vorzubeugen. Die letztere ereignet
sich einmal beim Umstechen der großen Gefäßbündel, namentlich bei
atypischem Verlauf des Ureters, nicht selten ferner bei der Durchtrennung
der Douglas-Bänder, endlich und mit Vorliebe beim Schluß des kompli-
zierten peritonealen Wundspaltes, sowie beim Umstechen von Nach-
blutungen. Die günstigen Resultate, welche die sofortige Relaparotomie
mit Lösung der Schnürligatur gibt, berechtigen mich zu folgendem
Entschluß:
Bei jeder Beckenoperation, welche das Ureterbett berührt,
ist im Anschluß an die Peritonealnaht der beiderseitige Üre-
terenkatheterismus auszuführen, während der Operateur vom
Abdomen aus den Ureterkatheter verfolgt. Findet der letztere
ein Hindernis, so ist die Peritonealnaht sofort zu lösen und der Ureter
aus seiner Umschnürung zu befreien.
Die einfache Unterbindung des zerschnittenen Ureters ist nach
unseren Erfahrungen stets von einer Ureterfistel gefolgt und ist durch
sofortige Einpflanzung des Ureters in die Blase zu ersetzen.
In jedem Falle ist beim Auftreten einer postoperativen Anurie oder
zunehmenden Oligurie schon frühzeitig der vergleichende Ureteren-
katheterismus auszuführen, um die Situation zu klären. Erweist sich
der Ureter als unterbunden, so ist die Relaparotomie und Lösung der
Nähte das Idealverfahren. Bei schweren allgemeinen Symptomen bleibt
als Notbehelf die Dauerkatheterisation des nicht unterbundenen Ureters,
eventuell die Anlegung einer Nierenfistel auf der unterbundenen Seite
bei Fortbestehen der Anurie.
Die Ureterneoimplantation ist nur bei gesunder zugehöriger Niere
erlaubt, die Nephrektomie bei kranker Fistelniere geboten, falls die ge-
sunde Niere sich funktionell leistungsfähig erwiesen hat.
(Aus der Privatklinik des Privatdozenten Dr. F. Montuoro, Palermo.)
Die Ureterozystoneostomie nach Boari.
Von
Dr. Fortunato Montuoro,
Dozent der Geburtshilfe und Frauenkrankheiten.
(Mit 5 Textabbildungen.)
Die Einpflanzung des Harnleiters in die Blase, welche bei Harn-
leiterscheiden- und Harnleiter-Gebärmutterfisteln oder bei Mündungs-
anomalien des Ureters es sich zur Aufgabe macht, dem Urin seinen
normalen Lauf zurückzugeben, hat hauptsächlich dank der italienischen
Schule ihren triumphierenden Einzug in die chirurgische Praxis gehalten.
Nach den experimentellen Arbeiten von Poggi (1887) und von
De Paoli und Busacchi (1888), welche bei mehreren Hunden mit
Erfolg die Überpflanzung des mehr oder weniger weit von seiner nor-
malen Insertion durchschnittenen Ureters in die Blase ausführten, war
es Novaro,‘welcher zuerst diese Operation mit vollem Erfolg an der
Frau ausführte (Februar 1893) und im darauffolgenden Monat seine
Methode der Accademia delle Scienze Mediche zu Bologna mitteilte.
Wenige Monate später berichtete Bazy, welcher der Operation den
Namen einer Ureterozystoneostomie gegeben hat, in der Académie
de Mcdecine zu Paris über seinen Fall und legte seine Methode dar.
Die beiden Methoden, die transperitoneale von Novaro und die intra-
peritoneale von Bazy, wurden, fast stets mit Erfolg, von einer Schar
von Operateuren ausgeführt: Poirrière, Krug, Routier, Pozzi, Baldy,
Schwartz, Delagenière, Tuffier, Prime, Olshausen, Westermark,
Thiry, Sänger, Kelly, Penrose usw.
Nach den Veröffentlichungen Novaros und Bazys kamen eine
Reihe von Methoden und Varianten für diese unangenehme Krankheit
in Vorschlag und zur Ausführung, zu deren Bekämpfung die schwersten
Hilfsmittel, wie die Nephrektomie (Simon, Zweifel, Böckel,
Czerny, Stark, Towfer, Gallet), die aseptische Ligatur des
Ureters (vorgeschlagen von Guyon und ausgeführt von Ortmann),
die Kolpokleisis (vorgeschlagen von Vidal de Cassis und Simon
und ausgeführt von Hahn, Kehrer und Gusserow) und schließlich
die Einpflanzung des Ureters in den Darm angewendet worden waren.
Es genügt, auf die extraperitoneale, die suprapubische transvesikale, die
subpubische, die vaginale, die urethrale und die sakrale Methode hin-
zuweisen.
266 Dr. Fortuano Montuoro.
Es liegt nicht in meiner Absicht, eine Prüfung all dieser Methoden
anzustellen; in der Monographie von Boari sind dieselben erschöpfend
gewürdigt und erläutert. Meine viel bescheidenere Aufgabe sehe ich
vielmehr darin, die Aufmerksamkeit der ausländischen Gynäkologen auf
eine neue geniale Methode der Einpflanzung des Ureters in die Harn-
blase zu lenken — die Methode Boaris —, welche die Einpflanzung
Fig. 1.
Boariknopf (einmalige Vergrößerung).
zu einer äußerst leichten und sicheren gemacht hat, und welche zu Un-
recht bisher in den neuesten Lehrbüchern der operativen Gynäkologie
und der Chirurgie der Harnwege kaum angedeutet worden ist.
Verfahren Boaris. — Die Technik zur Überpflanzung des Harn-
leiters in die Blase mit Hilfe des Anastomosenknopfes ist folgende:
Nach Feststellung, welchem der beiden Ureteren die Läsion angehört,
wird die Laparotomie gemacht und der verletzte Ureter aufgesucht,
wobei auf dem Verlauf derselben auch das hintere parietale Peritoneum
auf einer Strecke von 2—3 cm inzidiert wird (transperitonealer Weg).
Boariknopf (einmalige Vergrößerung). Feder durch das Stilett komprimiert.
Nachdem der Harnleiter eine gewisse Strecke weit isoliert worden ist,
wird gegen das in die Fistel mündende Ende eine Schnur angelegt
und oberhalb derselben reseziert. Darauf werden einige Gazetupfer in
den Douglas gelegt, um den Urin, der während der Einpflanzungszeit
abfließen könnte, aufzufangen, und es wird gemessen, ob der Ureter in
die Blase eingepflanzt werden kann, ohne einen allzu starken Zug erleiden
zu müssen.
Es wird dann ein zu dem Kaliber des Ureters passender Knopf
gewählt, das Ende des Hamleiters über die Röhre gestülpt und dort
tar,
Hi
ki
(A
968 Dr. Fortunato Montuoro.
ahmend, was die Natur normalerweise geschaffen hat. Dieser Umstand
wurde vom Verf. bei seinen Tierversuchen stets beobachtet und ihm
schreibt er den konstant erreichten guten Erfolg zu.
Ist die Einpflanzung vollzogen, so kann man sie nach der Methode
von Novaro zu einer extraperitonealen machen. Dieser hat folgenden
sinnreichen Kunstgriff angewendet: Mit dem Finger löst er das vesi-
kale Peritoneum vom Schambein bis entsprechend der Nahtstelle ab und
durch die so gebildete Passage leitet er einen Drain aus sterilisierter
Gaze. Darauf vernäht er das Beckenperitoneum wieder derartig, daß
die Einpflanzung zu einer
ER extraperitonealen wird und
J man, falls der Urin den
l Nähten entsprechend durch-
N sickern sollte, vor einer Bauch-
fellinfektion gesichert ist. Als
Vorsichtsmaßregel Drainage
nach Mikulicz in den cul
de sac des Douglas. Eine Er-
gießung des Urins in das
Peritoneum ist nicht zu be-
fürchten, da man sicher ist.
daß bis zum 10.—12. Tag der
Knopf nicht abfällt und nach
zwei oder drei Tagen der
Gazestreifen und die Ein-
pflanzungsstelle infolge der
reaktiven Verwachsungen, die
sich sofort ringsum bilden.
bereits extraperitoneal liegen.
Der Knopf läßt sich leicht
durch die Harnröhre nach
vorausgehender Dilatation der-
selben herausziehen, entweder
mittels Pinzette oder mittels
eines vor der Einpflanzung
Modifikation von Garovi. an die Basis des Knopfes ge-
bundenen und durch die
Blaseninzision zur Harnröhre herausgeleiteten Fadens.
Einige wichtige Varianten in der Technik der Methode sind von
Bertazzoli angebracht worden. Dieser Autor und im Anschluß an ihn
Garovi hat, anstatt die von Boari vorgeschlagene ovale fortlaufende
Naht zu machen (s. Fig. 4), das in der Blase gemachte Knopfloch mit
Knopfnähten geschlossen. Die von Garovi empfohlene und von mir
befulgte Technik ist folgende: „Vor Einführung des Knopfes durch das
Knopfloch in die Blase werden längs dieser Inzision vier Schlingen aus
Seidenfäden Nr. O bereitet, von denen zwei ihre beiden Ränder gegen
Über Ureterzystoneostomie nach Boari. 269
die Kommissuren umfassen und zwei, untereinander und von den ersten
gleich weit entfernt, nur den oberen Rand resp. nur den unteren Rand
fassen (s. Fig. 5). Diese Schlingen, deren Enden von Assistenten mit
Klemmen festgehalten werden, dienen zum Spannen der Blase, zur Er-
leichterung der Applikation des Knopfes und nach der Einführung
eignen sie sich zum rascheren Verschluß der Inzision.“ Diese Variante
ist von Boari akzeptiert worden, welcher, nachdem er durch die zysto-
skopische Untersuchung bei zwei vor fünf und sechs Jahren operierten
Frauen eine gewisse Faltenschrumpfung der Blasenschleimhaut beobachtet
hat, vermutet, daß dies auf der ovalen fortlaufenden Naht beruhen möchte
(briefliche Mitteilung).
Dieselben Autoren nahmen, anstatt auf der Blase ein longitudinales
Knopfloch zu machen, eine Querinzision vor, welche die Naht der
Blasenwände und der perivesikalen und periureteralen Gewebe zu einer
leichteren und schnelleren macht. Schließlich hat Bertazzoli die Bauch-
wunde mit einer dreifachen Nahtschicht vollständig geschlossen, ohne
irgendeine Drainage zu belassen.
Die Ureterozystoneostomie nach Boari ist bisher zirka dreizehnmal
ausgeführt worden, darunter achtmal in Italien, und zwar stets mit vollem
Erfolg. Die in Italien ausgeführten Fälle gehören Calderini, Pestalozza,
Bertazzoli (zwei Fälle), Chiaventone, Carle, Garovi, Boari.
Es sei mir an dieser Stelle gestattet, die betreffenden Krankengeschichten kurz
zusammenzufassen.
Calderini (Klinik von Bologna). — Infolge schwerer Zangenentbindung bildete
sich bei der Pat. Calderinis eine rechtsseitige Ureter-Gebärmutterfistel. Operation
ungefähr vier Monate darauf. Bogenförmiger transversaler Einschnitt der Bauchwände
mit Konkavität nach oben. Der rechte Ureter erschien erweitert und durch das
Peritoneum gut sichtbar, vor der Symphysis sacro-iliaca rechts liegend. An dieser
Stelle wurde das Beckenbauchfell inzidiert und der Harnleiter etwas isoliert. Ein
Bändchen wurde unter ihm durchgeführt und er so emporgehoben. Mit dem Zeigefinger
wurde dann unter dem Peritoneum bis an die Seite der Gebärmutter vorgegangen!
Durch einen weiteren Einschnitt in geringer Entfernung von dem Lig. rotundum wurde
dann der Ureter bei dem Gebärmutterhals gefunden und wenig hinter demselben an
zwei Stellen unterbunden und in der Mitte zwischen den Ligaturen abgeschnitten. Mit
dem Zeigefinger verlängerte Verf. darauf von der zweiten Peritonealöffnung aus den
bereits von der Symphysis sacro-iliaca nach dem Ureterushals gemachten Tunnel bis
an das Schambein, um auf diese Weise das zentrale Ende des Ureters an die Blase
heranzubringen. Die Einpflanzung erfolgte mit dem Boari-Knopf in die hintere Wand
gegen den Fundus durch einen vertikalen Einschnitt, die durch Knopfnähte verschlossen
wurde. Vernähung des perivesikalen und periureteralen Gewebes rings um die Ein-
pflanzungsstelle. Gazedrainage gegen die Implantationsstelle.
Der postoperative Verlauf war etwas langwierig, namentlich durch die lange Zeit,
die der Knopf gebrauchte, um in die Blase zu fallen, von wo er dann durch Erweite-
rung der Urethra entfernt wurde. Nach Entfernung des Drains war auch aus dem
Fistelgang bald reichlicher, bald geringerer Harnabfluß aufgetreten, der aber nach
Extraktion des Knopfes vollkommen aufhörte, so daß rasch der Verschluß des Fistel-
ganges erfolgte. Der Erfolg war ein vollkommener: Die Frau verliert keinen Urin
mehr durch die Scheide und fühlt sich durch das Resultat sehr glücklich.
Pestalozza (Frauenklinik von Florenz). — Bei der 46jährigen Pat. bildete sich
infolge vaginaler Hysterektomie wegen Krebses eine Ureter-Scheidenfistel. Die Wahr-
scheinlichkeitsdiagnose war auf Fistel des linken Harnleiters gestellt worden. Laparo-
Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 19
270 Dr. Fortunato Montuoro.
tomie nach zwei Monaten. Nach Inzision des hinteren Peritoneums auf dem Verlauf
des Ureters und Freilegung desselben auf einer kurzen Strecke wurde eine Schnur
gegen das Ende in der Nähe der Fistel angelegt und der Harnleiter oberhalb derselben
abgeschnitten. Sein Volumen war im Vergleich zu dem der anderen Seite nicht ver-
größert, weshalb auch aus diesem Umstand nicht mit Sicherheit entschieden werden
konnte, welches der verletzte Harnleiter war. Die Einpflanzung erfolgte mit dem
Boari-Knopf nach der oben beschriebenen Technik. Die Implantationsstelle wurde durch
einen Gazetampon zu einer extraperitonealen gemacht. Nach einigen Tagen trat aus
dem von der Dränage eingenommenen Kanal Harnsickern auf.
Der Knopf wurde nach 18 Tagen durch die Harnröhre entfernt. In der supra-
pubischen Region, entsprechend der Einpflanzungsstelle, dauerte noch einige Zeit ein
Fistelgang an, an dem Urin austrat. 13 Tage nach der Extraktion des Knopfes hatte sich der
Fistelgang geschlossen und die Frau wurde vollkommen geheilt aus der Klinik entlassen.
Bertazzoli (Ospedale Maggiore zu Mailand). — Infolge schwerster Zangen-
entbindung rechtsseitige Harnleiter-Gebärmutterfistel bei 27jähriger Frau. Laparotomie.
Der Ureter wurde entdeckt, als man ihn zuerst an der Symphysis sacro-iliaca suchte
und dann auf seinem Verlauf das Beckenperitoneum bis in die Nähe des breiten
Mutterbandes inzidierte.e Er zeigte sich enorm verdickt, aber gleichmäßig erweitert,
Wände hypertrophisch. Mittels Boari-Knopf wurde er in den hinteren unteren Teil
der Harnblase implantiert. Das Beckenperitoneum wurde über dem Ureter vernäht
und die Bauchwunde durch dreifache Nahtschicht vollkommen geschlossen. Keinerlei
Dränage. Es war nicht das geringste Symptom von Harnsickern in das Peritoneum
zu beklagen. Keine suprapubische Fistel. Der Verlauf war vorzüglich und nach drei
Wochen wurde Pat. vollkommen geheilt entlassen.
Bertazzoli (Ospedale Maggiore zu Mailand). — Linksseitige Ureter-Zervixfistel
infolge schwieriger Zangenentbindung. Nach drei Monaten Laparotomie zwecks Ein-
pflanzung des verletzten Harnleiters in die Blase. Inzision des hinteren Peritoneal-
blattes zuerst vor und dann hinter dem Lig. latum auf dem Verlauf des Ureters.
Isolierung des Harnleiters nach hinten und vorn von dem breiten Mutterband. Mög-
lichst tiefes Abschneiden. Auf einem in die Blase eingeführten Katheter wird diese
so tief wie möglich durch transversalen Einschnitt geöffnet, durch dessen Enden je
zwei Fäden zum rascheren Verschluß nach Anlegung des Knopfes, welche ziemlich
leicht gelingt, gelegt werden. Vereinigung des äußeren Zellgewebes des Ureters mit
dem perivesikulären rings um die Einpflanzungsstelle. Überwendliche Naht des hinteren
Peritoneums vor sowie hinter dem Lig. latum, ebenso des vorderen parietalen Pento-
neums und dann Knopfnaht der Muskel- und Faszienmasse. Verband.
Dicker Dauerkatheter in die Blase. Verlauf regelmäßig, nur in der zweiten Woche
Zystitiserscheinungen, deren man durch antiseptische Ausspülungen bald Herr wird.
Keine Spur von Harnsickern aus der Einpflanzungsstelle.e Nach 15 Tagen wird der
Knopf mit großer Leichtigkeit extrahiert. Die Frau fühlt sich sehr wohl und verliert
keinen Tropfen Urin mehr.
Chiaventone (Mailand). — 32jährige Frau. Infolge vaginaler Hysterektomie
wegen Epithelioma cervicis Harnleiter-Scheidenfistel. Nach einiger Zeit Fieberanfälle,
bedeutende Vergrößerung der dem verletzten Ureter (dem rechten) entsprechenden Niere.
Laparotomie nach drei Monaten behufs Einpflanzung des Harnleiters in die Blase.
Die Aufsuchung des Ureters war mühsam, da sein Verlauf erheblich verändert war.
Er war vollständig vom Peritoneum getrennt, Tunica muscularis hypertrophisch und
höchst gefäßreich. Lumen wenig erweitert. Bei möglichst tiefer Inzision desselben
spritzte dem Operateur der Urin als ein unter hohem Druck stehender Strahl ins Ge-
sicht. Die Technik war die von Boari angegebene. An dem Knopf jedoch hatte Ch.
eine Modifikation angebracht, indem er über dem zweiten Plättchen ein 1?/, cm langes
Metallröhrchen ansetzte. Die Harnblase nähte Verf. derart, daß eine Portion derselben
sich um das 1!/, cm lange Stück Ureter, in dessen Lumen das vorerwähnte Ansatz-
röhrchen verlief, kanalartig anlegte. Der Ureter ist so 1'/, cm weit über der Hp
pflanzungsstelle katheterisiert, und überdies ragen die Einpflanzungsstelle und der gan2®
Knopf in das Blaseninnere.
Über Ureterzystoneostomie nach Boari. 271
Postoperativer Verlauf vorzüglich. Kein Urinsickern aus der Wunde. Am
15. Tag wurde der Knopf ohne Schwierigkeit durch die Harnröhre extrahiert. Die
Kranke ist vollkommen geheilt.
Garovi (Ospedale civile Piacenia). — Harnleiter-Scheidenfistel. Die Aufsuchung
des Ureters ist schwierig. Er zeigt sich doppelt so weit als normal. Isolierung des-
selben bis gegen die Scheide. Möglichst tiefe Resektion. Implantation mittels des
Boari-Knopfes durch eine 1?/, cm lange transversale Inzision, deren Verschluß dann in
der oben angegebenen Weise geschah. Durch überwendliche Naht mit Seide Nr. 1
werden die verschiedenen Inzisionen des Beckenperitoneums vollkommen geschlossen, .
sodaß die Einpflanzung des Ureters zu einer extraperitonealen gemacht wird. Vorsichts-
halber noch von der Schambeinfuge aus unter dem parietalen Peritoneum bis an die Im-
plantationsstelle Dränage nach Mikulicz. Verlauf fieberfrei. Eine Nichtbeobachtung
der vorgeschriebenen Diät am zweiten Tag bewirkte heftigstes Erbrechen, das Pat.
derartig mitnahm, daß man 36 Stunden lang für ihr Leben fürchtete. Doch konnte
Pat. schon am 13. Tag aufstehen, am 19. Tag wurde der Knopf aus der Blase extrahiert
und am 23. Tag wurde Pat. mit vollkammener Nieren- und Blasenfunktion entlassen.
Die im Ausland operierten Fälle gehören Chalot, Kelly (zwei Fälle), Pamann
(Philadelphia), Brasdow, Edgard und Vincol. Etwas Näheres konnte ich leider
nur über den Fall von Chalot in Erfahrung bringen, von den übrigen, die nicht ver-
öffentlicht sind, wurde dem Autor des Verfahrens nur die Tatsache der Operation und
der stets vorzügliche Erfolg derselben mitgeteilt.
Chalot (Toulouse). — Bei einer 38jährigen Frau schritt Verf. wegen Krebs zur
totalen abdominalen Exstirpation. Da sich die Neubildung auch auf das linksseitige
Parametrium ausgebreitet hatte, mußte er sich nach Unterbindung des linken Ureters
gegen die Blase zu einer Resektion eines 2 cm langen Stückes desselben entschließen.
Auf diese Weise konnte er das Neoplasma vollständig exstirpieren. In derselben
Sitzung machte er mit Hilfe des Boari-Knopfes die Einpflanzung des Ureters in den
obersten Punkt der Harnblase, nachdem er zuvor die Blase nach dem Verfahren von
Kelly von ihren Verbindungen mit dem Schambein gelöst hatte, um sie möglichst
nach oben verschieben zu können. Naht der Bauchwand. Die Einpflanzung dauerte
nicht länger als 12—15 Minuten. Pat. starb einige Tage darauf an verallgemeinerter
eitriger Bauchfellentzündung, die sehr wahrscheinlich auf den Kontakt mit dem Eiter
zurückzuführen war, der sich aus einem während der Operation geplatzten Abszeß
entleert hatte. Die Harnleiter-Blasenanastomose war perfekt. Keine Spur von Harn-
erguß in das Becken. i
Im verflossenen Dezember habe ich Gelegenheit gehabt, das Ver-
fahren Boaris zur Ausführung zu bringen, und zwar mit einem voll-
ständigen Erfolg.
T. B., 46 Jahre alt, verheiratet, V-para.
Wegen Metrorrhagien und Menorrhagien infolge Sklerose der Uterinarterien
wurde Pat. mit vaginaler Hysterektomie operiert. (Die mikroskopische Untersuchung
der Gebärmutter wies die bekannten Alterationen der Gefäßsklerose nach.) Nach
sieben Tagen wird Harnträufeln aus der Vagina bemerkt. Die Einspritzung von Milch
in die Blase modifizierte nicht im geringsten Jen Charakter des abtropfenden Urins.
Bei der zwei Wochen nach der Operation vorgenommenen sorgfältigen Untersuchung
des vaginalen cul de sac sieht man, daß das Harnträufeln aus dem linken Infundibulum
koınmt. Die Zystoskopie zeigte, daß aus dem rechten Ureter der Urin regelmäßig in
die Blase trat und willkürlich von der Pat. gelassen wurde. Der von Prof. Pavone
ausgeführte Katheterismus der Ureteren war positiv für den rechten Ureter, negativ
für den linken. Die in den linken Ureter eingeführte Sonde drang nur ungefähr 2 cm
weit vor und wurde dann durch ein unüberwindliches Hindernis angehalten. Die nach
mehreren Monaten ausgeführte kombinierte Exploration gestattete, den linken Ureter
als dicken, harten Strang deutlich zu tasten. Diagnose: linksseitige Ureter-Scheidenfistel.
Es wird die Ureterzystoneostomie nach Boari beschlossen. Die Operation wurde
am 13. Dezember, d. h. 14 Monate nach Bildung der Fistel, ausgeführt.
19*
272 Dr. Fortunato Montuoro.
Operation. — Trendelenburgsche Lagerung. Longitudinale Inzision der Bauch-
wände. Nachdem die Darmschlingen in geeigneter Weise nach unten und die Blase
nach oben beiseite geschoben sind, sieht man links einen weißen bandförmigen. finger-
dicken Strang. Das Aussehen und Volumen sind so anormal, daß man nicht auf den
Gedanken kommt, es könne sich um den enorm hypertrophischen Ureter handeln.
Die Suche nach dem Ureter wird deshalb langwierig und fruchtlos, bis eine aufmerk-
samere Untersuchung mir zeigt, daß jener Strang der Ureter ist. Es wird nun das
Peritoneum inzidiert, der Ureter losgelöst und mit einer Deschampsschen Nadel ein
Gazestreifehen darunter durchgeführt, um den Ureter emporzuheben und bequemer
die anderen Manöver ausführen zu können. Nach Verlängerung der Inzision des Peri-
toneums bis fast dicht an die Vagina wird der Ureter vollständig von den um-
gebenden Geweben isoliert. Fast auf dem vaginalen cul de sac, den ein Assistent
mit einem in die Scheide eingeführten Finger nach oben drängte, angekommen, unter-
band ich den Ureter mit einem kräftigen Seidenfaden fast dicht über der Scheide,
durchschnitt ihn quer und führte in den zentralen Stumpf einen Boari-Knopf Nr. 4 ein,
welchen ich mit einem dünnen Seidenfaden festband; diesen Stumpf umhüllte ich mit
Gaze. Nach Entleerung der Blase wird dann auf dem Schnabel eines Blasenexplo-
rateurs die hintere Wand möglichst weit unten longitudinal (ein großer Fehler) inzidiert.
Vor Einführung des zentralen Endes des Ureters in die Blase werden vier Schlingen
mit Seide Nr. 1 durchgestochen, von denen zwei die beiden Ränder des Blasenknopf-
loches gegen die Kommissuren und zwei nur den rechten Seitenrand resp. nur den
linken Seitenrand fassen (Fig. 5). Nach Einführung des Anastomoseknopfes in das
Blasenknopfloch werden die vier Schlingen mit drei Knoten verknotet. Es werden
noch vier perivesikale und periureterale sero-seröse Knopfnähte angelegt und schließ-
lich das Stahlstilett aus dem Knopf zurückgezogen.
Überwendliche Naht der zur Isolierung des Ureters gemachten Peritonealbresche
mit Seide Nr. 1. Nach Verlängerung der bereits zur Isolierung des Ureters gemachten
Peritonealbresche bis an die Implantationsstelle überwendliche Naht, um dem Ureter
seinen extraperitonealen Verlauf wiederzugeben und die Einpflanzung zu einer extra-
peritonealen zu machen. Darauf schließe ich die Bauchwände vollständig mit dreifacher
Nahtschicht ohne Dränage. Der postoperative Verlauf ist ein vorzüglicher gewesen.
Temperatur fast stets uormal bis auf eine flüchtige und leichte Temperaturerhöhung
am zweiten Tag (37,5). Infolge Niesens und eines Hustenstoßes am dritten und achten
Tag wurde der Urin leicht blutig.
Dauerkatheter für acht Tage.
Glatte Heilung der Bauchwunde.
Die Frau verläßt das Bett am 20. Tag. Der Knopf ist erst am 56. Tag nach
der Operation abgefallen und wurde nach allmählicher Dilatation der Urethra mit
Hegarschen Sonden leicht mit dem Zeigefinger herausgezogen. In der festen Platte
des Knopfes sind dünne Kalkinkrustationen zu bemerken. Keine Erscheinung von
Zystitis weder vor noch nach der Operation. Die Frau wird zehn Tage nach Ent-
fernung des Knopfes vollkommen geheilt aus der Anstalt entlassen.
Vorausgesetzt, daß das Verfahren Boaris unter den nämlichen Be-
dingungen auszuführen ist wie alle übrigen Methoden der Ureterzysto-
neostomie, halte ich es für wichtig, auf Grund des Studiums der in
Italien veröffentlichten Fälle und meiner Erfahrung auf folgende Details
der Technik aufmerksam zu machen.
1. Der Ureter kann vollständig von den benachbarten Geweben von
der Linea innominata nach unten bis an die Stelle seiner Mündung ab-
gelöst werden. Dies schädigt nicht im geringsten seine Ernährung —
denn durch die Untersuchungen Margaruccis ist nachgewiesen, daß
der Ureter eine eigene Zirkulation besitzt — und erleichtert in hohem
Maße die Einpflanzung.
Über Ureterzystoneostomie nach Boari. 273
2. Um die Endportion des Ureters den Händen des Operateurs zu-
gänglicher zu machen, ist es vorteilhaft, daß ein Assistent die Scheiden-
kuppel mit einem in die Vagina eingeführten Finger nach oben drängt,
wenn es.sich um eine Ureter-Scheidenfistel bei einer bereits hysterek-
tomierten Frau handelt. Sind die Genitalorgane in situ und ist die
Fistel eine Ureter-Gebärmutterfistel, dann ist es am besten, den Fundus
mit einer Zahnzange anzuhaken und gegen die lLaparotomieöffnung zu
ziehen, um die hintere Wand der Blase zugänglicher zu machen.
3. Der Ureter muß auf der Röhre von Boari mit einem dünnen,
kräftig zusammengeschnürten Seidenfaden befestigt werden, um die
Nekrose der invaginierten Ureterportion zu beschleunigen und demnach
ein rascheres Abfallen des Knopfes herbeizuführen.
4. Sofern es die Verhältnisse gestatten, soll die Einpflanzung mög-
lichst tief unten, und zwar in die extraperitoneale Portion der Blase
gemacht werden.
Die Ansichten der Autoren gehen über letzteren Punkt auseinander.
Einige geben der Einpflanzung in die intraperitoneale Portion der Blase
den Vorzug, da die fibrinöse Transsudation des Peritoneums sehr früh-
zeitig die Einpflanzungsstelle kräftigt, so daß ein Nachgeben der Naht
fast nicht zu fürchten ist (Krönig). Andere ziehen die Einpflanzung
auf dem Gipfel der Blase vor, weil so „der Urin nicht zurückfließen
kann, außer wenn die Blase vollkommen angefüllt ist, was sich nach
Wunsch regulieren läßt“ (Boari).
Ich für meine Person glaube, daß das richtigste Verfahren das mit
bestem Erfolg von Pestalozza und Bertazzoli befolgte, nämlich die
Einpflanzung in die extraperitoneale Portion ist wegen der geringeren
Gefahren bei Mißerfolg der Einpflanzung und weil durch die Wieder-
herstellung des normalen Verlaufs des Harnleiters Zerrungen und Knik-
kungen verhütet werden, welche einen unheilvollen Einfluß zunächst auf
den Vernarbungsprozeß und in der Folge auf die Nierenfunktion ausüben
würden.
5. Die Naht der Blaseninzision soll aus den oben dargelegten Gründen
durch Knopfnähte erfolgen
6. Es ist nicht notwendig, eine Dränage liegen zu lassen, welche
den Heilungsprozeß zu behindern scheint. In fast sämtlichen Fällen, in
denen ein Drän nach der Methode Novaro eingelegt worden ist, hat
man zeitweilig eine Harnfistel sich etablieren sehen; während der Ver-
lauf in den zwei Fällen von Bertazzoli und dem meinigen, bei denen kein
Drän eingelegt wurde, in jeder Hinsicht ein befriedigender gewesen ist.
Das Verfahren Boaris ist unter drei Gesichtspunkten zu betrachten:
Ausführung, Naherfolge, Fernerfolge.
Die Ausführung der Methode Boari ist viel leichter als die übrigen
Methoden, weil das Stahlstilett, welches die beiden Plättchen angenähert
erhält, alle zur Einpflanzung nötigen Manöver erleichtert und der
Anastomoseknopf die Nähte auf ein Minimum reduziert: drei für die
Blase und zwei bis drei für Blase und Ureter.
274 Dr. Fortunato Montuoro.
Zur besseren Bewertung des großen Fortschrittes, den der Boari-
Knopf in der Technik bezeichnet, genügt es hinzuweisen auf die zwei
Nahtschichten, die bei der Methode Novaro und dem Verfahren von
Monari erforderlich sind, auf die drei Nahtschichten, die von Baldy
vorgeschlagen wurden, auf das Verfahren von Büdinger, der dem Ureter
einen intraparietalen Verlauf sichern möchte. Auch bei der Methode
von Krug und der noch einfacheren von Sampson in der Modifikation
von Krönig sind die Nähte nicht nur komplizierter — was bedeutend
mehr Zeit in Anspruch nimmt —, sondern auch zahlreicher, da zunächst
das Ureterende an der Blase befestigt und dann die Blaseninzision ge-
schlossen werden muß.
Die primären Erfolge der Methode Boari sind auch besser als
bei den übrigen Methoden. Der Mortalitätsprozentsatz der mit den übrigen
Methoden ausgeführten Ureterzystoneostomie erreicht in der Tat hohe
Zahlen.
Fergusson gibt eine Mortalität von 15%, an. Lutant stellt hundert
Fälle mit einer Sterblichkeit von 10%, zusammen. Krönig beklagt
unter seinen 25 Fällen eine Mortalität von 12°),. Ganz anders sind die
mit der Methode Boari erzielten Resultate Die in Italien operierten
Fälle (von den im Ausland operierten, die sich in einer kürzlichen Ver-
öffentlichung Boaris angedeutet finden und über die ich nichts Näheres
habe in Erfahrung bringen können, spreche ich nicht) haben stets den
besten Erfolg gehabt. Die Gründe zu diesem konstanten Erfolg beruhen
nicht bloß auf den — sicher nicht zu unterschätzenden — Vorzügen
einer leichten und raschen Ausführung, sondern auch auf den wert-
vollen Eigenschaften des Anastomoseknopfes.
Der Boari-Knopf sichert in der Tat die solide und exakte Anein-
anderlegung der Implantationsflächen, begünstigt ihr Verwachsen, ge-
währleistet mehrere Tage lang den normalen Abfluß des Urins, schützt
die Naht vor Kontakt mit dem Urin und läßt bei seinem Abfallen keine
in die Blase vorspringende Portion des Ureters zurück, wie es bei den
gewöhnlichen Methoden der Invagination der Fall ist.
Alle diese Vorzüge entschädigen reichlich für den einzigen Übel-
stand der Methode: die Extraktion des Knopfes durch die Urethra und
zuweilen — wie in meinem Fall — das verspätete Abfallen desselben.
Die sekundäre Extraktion des Knopfes ist ein reeller Übelstand,
der den Mann von der Wohltat der Methode ausschließt.
Bedenkt man aber, daß die Ureterzystoneostomie eine fast aus-
schließlich gynäkologische Operation ist, daß die Urethra der Frau sich
leicht und ohne Schaden erweitern läßt — ich habe sogar Nr. 22 der
Hegarschen Dilatatoren eingeführt, ohne irgendeine Erscheinung von
Inkontinenz zu beobachten —, daß die Extraktion des Knopfes durch
einen vorher an die Basis des Knopfes gebundenen und durch die
Blasenbresche zur Harnröhre herausgeleiteten Faden äußerst erleichtert
werden kann, daß schließlich kein Operateur über erhebliche Schwierig-
keiten bei der Extraktion des Knopfes geklagt hat, so muß man zugeben,
Über Ureterzystoneostomie nach Boari. 275
daß dieser leichte Nachteil nicht im geringsten den hohen Wert der
Methode beeinträchtigt.
Schwerer war der andere Einwurf, der erhoben wurde, nämlich die
Möglichkeit eines Verschlusses des Rohres während der Zeit seines
Verweilens in der Blase (Albarran). Die Erfahrung hat jedoch gezeigt,
daß diese Furcht unbegründet ist, denn unter sämtlichen veröffentlichten
Fällen ist niemals beobachtet worden, daß Kalkkonkremente das Rohr
verschlossen und demnach den Abfluß des Urins verhinderten.
Mein Fall beweist vielmehr das Gegenteil Der nach 56 Tagen ab-
gefallene und nach 60 Tagen extrahierte Knopf zeigt nur feine Kalk-
inkrustationen an der Basis des beweglichen Plättchens: das Rohr ist
vollkommen durchgängig. Also nicht einmal nach einem ausnahmsweise
langen Verweilen des Knopfes in der Blase, welches in meinem Fall
auf die enorme Dicke der Harnleiterwände und vielleicht auch darauf
zurückzuführen war, daß ich den Ureter mit dem Seidenfaden nicht
fest auf dem Röhrchen des Knopfes angeschnürt hatte, kann die Bildung
von Kalkkonkrementen um den Knopf und infolgedessen der Verschluß
der Röhre und die Aufhebung der Nierenfunktion eintreten.
Die Dauerresultate der Ureterozystoneostomie nach Boari zeigen
in noch höherem Grade die Grundlosigkeit der theoretischen Einwürfe
und den großen Wert der Methode.
Die heute bekannten Dauerresultate der Ureterozystoneostomie,
schreibt Albarran in seinem neuesten Lehrbuch, erlauben nicht mehr
an die fast konstanten Erfolge zu glauben, die angekündigt wurden.
Die Versuche von Morestin, Van Hook, Franz zeigen, daß, wenn
die Implantation gelingt, häufig bei den Hunden nachfolgende Hydro-
nephrose infolge Stenose oder Obliteration der neuen Ureteröffnung
beobachtet wird.
Wenn nun auch diese Schlußfolgerungen nicht ohne weiteres auf
den Menschen übertragen werden können, da die Blasenmuskulatur bein
Hund ungemein kräftiger entwickelt ist als beim Menschen, so darf man
andererseits auch nicht die Beobachtungen von Routier, Rißman und
Ricard vergessen, bei denen vollständige Obliteration des Ureters ein-
getreten ist; ebensowenig die Beobachtung von Franz, welcher die
Nephrektomie später ausführen mußte, und alle anderen Fälle von Uretero-
zystoanastomosen, bei denen nach kurzer Zeit Stenose der Öffnung mit
Herabsetzung der Nierenfunktion bis zur Atrophie (subkapsuläre Nephro-
lyse) folgte. Diese Fälle fanden eingehende Besprechung in der franzö-
sischen Chirurgengesellschaft (1907).
Auf die Ursachen dieses ausgebliebenen Erfolges will ich nicht ein-
gehen. Es liegt mir nur daran, hervorzuheben, daß bei der Implantation
mit dem Knopf bisher noch keinerlei Erscheinung beobachtet worden
ist, welche in bezug auf das Funktionsvermögen der Niere auch für die
ferne Zukunft zu einer reservierten Prognose berechtigte.
Boari hat eine Umfrage über den Gesundheitszustand der in Italien
operierten Frauen und das Funktionsvermögen der Niere angestellt und
276 Dr. Fortunato Montuoro. Über Ureterzystoneostomie nach Boari.
konstatiert, daß von sieben Frauen sechs noch am Leben sind, bei denen
die Operation längere Jahre zurückliegt: fünf Jahre (Garadi), sechs
Jahre (Boari), acht Jahre (Chiaventone), neun Jahre (bei den beiden
Operierten Bertazzolis), zehn Jahre (Calderini).
Die Patientin von Pestalozza ist ein Jahr danach an Geschwulst-
rezidiv gestorben: die Untersuchung zeigte den linken Ureter direkt auf
die Blase implantiert, die Öffnung mündet durchgängig und mit normaler
Weite. Die bei einigen Öperierten ausgeführte zystoskopische Unter-
suchung hat eine fast normale Weite der neuen Öffnung und die vor-
zügliche Nierenfunktion konstatieren lassen. Auch bei meiner Operierten
hat die ungefähr vier Monate darauf ausgeführte zystoskopische Unter-
suchung die neue Öffnung breit durchgängig und perfektes Funktions-
vermögen der Niere gezeigt.
Nach all diesen Erfolgen, welche die Leichtigkeit und Schnelligkeit
der Ausführung, die Güte der primären Resultate und die Sicherheit
der Dauerresultate dartun, ist unser Enthusiasmus und der Wunsch,
daß das Verfahren im Ausland in weitem Maßstabe versucht werden
möchte, vollauf gerechtfertigt.
Literatur.
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Bertazzoli, Chirurgia dell’ uretere, Rom 1900, S. 227—233 (zit. bei Boari).
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uretero-uterina etc. Atti della Soc. ital. di ost. e gin., Bd. V, 1898; Ann. d'ost.
e gin. 1899, Nr. 4; Monatsschr. f. Gebh. u. Gyn., Bd. IX, 1899.
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Ann. des malad. des org. gen.-ur. 1888.
Döderlein und Krönig, Operative Gynäkologie.
Garovi, Contributo alla chirurgia dell’ uretere nella cura della fistola uretero-vaginale.
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uretero-vaginale. Accad. delle Scienze Med. di Bologna, Sett. 1893.
Derselbe, Transperitoneale Implantation des Ureters in die Harnblase usw. Wiener
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Pestalozza, Fistola uretero-vaginale. Impianto dell’ uretere in vescica, per via
transperitoneale, col bottone Boari (bei Boari, Chirurgia dell’ uretere, S. 227).
Poggi, Sulla cicatrizzazione delle ferite della vescica. Accad. delle Scienze mediche
di Bologna 1887.
Derselbe, Alcune ricerche di patologia sperimentale cbirurgica sulla vescica. Riforma
medica 1887.
(Aus der geburtshilflich-gynäkologischen Universitätsklinik in Helsingfors.
Direktor: Prof. C. Heinricius.)
Vesikolabialfistel nach Hebosteotomie.
Von
E. A. Björkenheim, Assistent der Klinik.
Im Anschluß an den Aufsatz von Maximilian Neu über „Vesiko-
labialfistel nach Hebosteotomie“ in der „Zeitschrift für gynäkologische
Urologie“, Bd. I, Heft 4, will ich einen Fall beschreiben, der in vielem
dem von Neu mitgeteilten ähnlich ist.
Es handelt sich um eine 21jährige Erstgebärende, die in die geburtshilfliche
Anstalt in Helsingfors am 25. III. 09 um 12 Uhr 30 Min. nachmittags eintrat.
Letzte Menses Anfang Juni 1908. Beckenmaße: D. sp. 25cm, D. cr. 28 cnı,
D. tr. 31 cm, Conj. ext. 17,5 cm, Conj. diag. 10 cm. Weheneintritt 25. II. am Morgen.
Schädellage.
Außere Untersuchung: Corpus Uteri vier Finger breit unterhalb des Proc. xiphoid.
Uteruswand von normaler Dicke, nachgebend. Kopf beweglich über dem Beckenein-
gang. Wehen gewöhnlicher Beschaffenheit, Dauer ?/,—°/, Minute, nach 4—5 Minuten
wieder eintretend. Urin enthält etwas Albumen. Temperatur 36,8°C. Puls regel-
mäßig. Frequenz ca. 82 in der Minute.
Innere Untersuchung: Äußere Genitalien gesund. Scheide weich, nachgebend.
Zervikalkanal verstrichen. Muttermund bequem für einen Finger durchgängig. Blase
gesprungen (sprang um 9 Uhr morgens an demselben Tage). Kopf beweglich über
dem Beckeneingang. Pos. 0. J. G.T. Pfeilnaht im Querdurchmesser verlaufend, der
Symphyse näher.
26. III. 2 Uhr 5 Min. vormittags. Muttermund bequem für einen Finger durch-
gängig. Kopf beweglich im Beckeneingang. Stellung wie früher. Eine zur Behandlung
des „Kardiaspasmus‘ konstruierte Dilatationssonde wird eingeführt und der Muttermund
damit erweitert bis auf eine Durchgängigkeit für zwei Finger. Der Versuch, den Ballon
von Champetiers de Ribes einzuführen, mißlingt.
12 Uhr 15 Min. nachmittags. Die Lippen des Muttermundes sind angeschwollen.
Befinden wie früher.
27. III. 8 Uhr vormittags. Nacht unruhig. Erhält 0,01 g Morphium.
12 Uhr 45 Min. nachmittags. Kindliche Herztöne werden etwas unregelmäßig.
!/, Stunde später zeigt sich das Fruchtwasser verunreinigt. 3 Uhr 20 Min. nachmittags.
Kindliche Herztöne zeitweise wieder etwas unregelmäßig. Innere Untersuchung: Mutter-
mund für vier Finger durchgängig. Kopfgeschwulst groß. Kopf fixiert im Becken-
eingang. Nähte und Fontanellen nicht fühlbar.
Da die Geburt gar nicht vorwärts rückt, der Kopf offenbar nicht durch den
Beckeneingang kommen kann, sondern nur mit einem kleinen Segment eingetreten ist,
die Kopfgeschwulst wächst, die kindlichen Herztöne dauernd unregelmäßig bleiben und
das Fruchtwasser verunreinigt ist, wird die Beendigung der Geburt notwendig befunden.
Zangenversuche werden in diesem Falle als nicht zum Ziele führend angesehen, darum
wird die Hebosteotomie ausgeführt (4 Uhr nachmittags. Prof. Heinricius).
278 E. A. Björkenheim.
Bumms Nadel wird an der linken Seite von unten nach oben eingeführt unter
Leitung eines Fingers in der Vagina, und die Operation wird mit Leichtigkeit und ohne
nennenswerte Blutung zu Ende gebracht. Vorderer Beckenring um reichlich zwei Finger
Breite klaffend. Die Scheide unverletzt. Die kindlichen Herztöne sind jetzt schwach,
zeitweise nicht hörbar. Es wird deshalb die Simpsonsche Zange mit dem Traktions-
apparate angelegt. Der Kopf geht ohne allzugruße Schwierigkeit durch die obere
Beckenöffnung, doch ist die Extraktion durch den Beckenkanal ziemlich mühsam.
Doppelseitige Episiotomie. Die Nabelschnur ist zweimal straff um den Hals des Kindes
geschlungen. Kind tot.
Der nach der Geburt eingeführte Katheter enthält blutfreien, etwas trüben Urin.
An beiden Seiten der Zervix, besonders an der rechten, tiefe Risse, die mit fort-
laufenden Katgutsuturen zusammengenäht werden. Ein leichter Verband wird über die
Einstich- und Ausstichöffnung angelegt, eine Binde um das Becken herum. Katheter
à demeure.
Umfang des Kopfes 36 cm, D. Mentooccipitalis 13,7 cm, D. sub. Occipito breg-
matica 9,2 cm, D. Biparietalis 9 cm, Gewicht 2950 g. An der rechten Seite des Kopfes,
oberhalb des Stirnbeins, eine zirka daumenabdrucksgroße Impression. Auch der hintere
Teil der linken Wölbung des Kopfes zusammengedrückt.
Obduktion: Sinus sagittalis und die Meningen stark blutgefüllt.
28. III. Urin trübe, enthält einige Leukozyten und einige Epithelzellen und
reichlich Bact. coli. Urotropin (0,5). drei Tabletten täglich.
7. IV. Der Katheter wird entfernt. Durch die untere Öffnung des Stichkanals
drängt ca. 30 g Urin. Der Katheter wird wieder eingesetzt. Vesikolalbialfistel.
12. IV. Sobald der Katheter entfernt wird, dringt eine unbedeutende Menge
Urin durch den unteren Stichkanal.
16. IV. Patientin hat einige Stunden gesessen. Schmerzen im linken Bein.
Linker Femur angeschwollen und empfindlich. Elevation, Ruhelage. Keine Temperatur-
steigerung. Thrombosis.
19. IV. Der innere, obere Teil des linken Femur fortwährend leicht angeschwollen
und empfindlich.
24. IV. Der Katheter wird entfernt. Kein Urin durch den Stichkanal. Patientiu
uriniert spontan. Linker Femur weniger angeschwollen und nur leicht empfindlich.
26. IV. Schmerz beim Urinieren. Urin enthält reichlich Bact. coli.
4. V. Patientin sitzt aufrecht. Der Schmerz im Bein ist verschwunden.
7. V. Zustand gut. Im Urin unbedeutende Menge Bact. coli.
8. V. Patientin steht auf. Der Gang beschwert. Das linke Bein fortwährend
etwas angeschwollen.
13. V. Entlassungsbefund: Die durchsägten Flächen liegen gut aneinander mit
einer Diastase von ca. 0,5 cm. Empfindlichkeit am Knochenspalt. Eine deutliche.
vertikale Dislokation beim Gehen. Das linke Bein nicht mehr angeschwollen, aber
etwas steif.
Zystoskopischer Befund: Blasenschleimhaut von normalem Aussehen. Links
oben im Fundus eine trichterförmige Einziehung (Fistelöffnung). Blasenschleimhaut in
der Umgebung dieses Trichters leicht injiziert. Urin klar und bakterienfrei.
Ich will in diesem Zusammenhange auf die Indikationsstellung sowie
auf den (reburtsverlauf des soeben beschriebenen Falles nicht näher
eingehen. Uns interessiert hier die Blasenfistel, die nach der Operation
zurückblieb, obgleich der Urin gleich nach der Operation kein Blut
aufwies. Entweder muß die Bummsche Nadel beim Einführen die Blase
lädiert haben. was am wahrscheinlichsten ist, oder es kann auch die
Blase bei der Zangenextraktion durch die durchsägten Beckenknochen
geschädigt worden sein (Blasenquetschung). Doch hätte in diesem Falle
die Läsion der Blase beträchtlich sein müssen, während der zystoskopische
Vesikolabialfistel nach Hebosteotomie. 279
Befund bei der Entlassung der Patientin nur eine kleine, trichterförmige
Einziehung in der Blasenschleimhaut aufwies.
Im „Zentralblatt für Gynäkologie“ 1906, Heft 3, sagt Stoeckel, daß
eine Stichverletzung der Blasenschleimhaut durch die Nadel keine be-
sonders große Gefahr hervorruft. „Ein Dauerkatheter wird sicherlich
stets genügen, um die Stichstelle schnell zum Verschluß und ohne Fistel-
bildung zur Heilung zu bringen.“ In dem hier von mir beschriebenen.
Falle entstand eine Vesikolabialfistel, die, obgleich der Urin infiziert war,
durch einen Katheter ä demeure zum Verschluß gebracht wurde. Dieses
spricht deutlich dafür, daß die Blasendränage durch Dauerkatheter bei
hochgelegenen Stichverletzungen im allgemeinen genügt (Stoeckel, Die
Erkrankungen der weiblichen Harnorgane Veits Handbuch für Gyn.,
2. Aufl., Bd. II, 1907).
Ebenso, wie in dem von Neu beschriebenen Falle, bekam die Frau
in der dritten Woche eine Thrombose in der Schenkelvene, doch an
derselben, nicht wie bei Neu, an der entgegengesetzten Seite, an welcher
die Hebosteotomie ausgeführt worden war. Ob diese Thrombose im An-
schluß an die Blasenverletzung (Reiffenscheid, Döderlein) entstand,
oder ob ihre Bildung durch ein Vermeiden der über viele Wochen an-
dauernden absoluten Ruhelage mit gestreckten Beinen hätte verhindert
werden können, ist eine Frage, die ich nicht beantworten kann. Doch
scheint mir die letztere Annahme nicht unmöglich.
(Aus der Königlichen Universitäts-Frauenklinik zu Königsberg i. Pr.)
Septischer Abort nach spontaner Kolpokleisis.
Von
Prof. Hammerschlag.
In der Sitzung der Nordostdeutschen Gesellschaft für Gynäkologie
am 27. II. 1909 demonstrierte ich folgenden bemerkenswerten Fall:
Eine 34jährige Patientin hat sieben normale Partus durchgemacht. Beim achten
Partus bestand eine Querlage, die durch Wendung, Extraktion und Zange am nach-
folgenden Kopf beendet wurde. Am elften Tage des Wochenbettes trat unwillkürlicher
Urinabgang auf, der Urin wurde eitrig, stark übelriechend.. Am 23. Tage post partum
erfolgte die Aufnahme in die Klinik. Es fand sich bei der Patientin ein ausgebreitetes
Ekzem an den äußeren Genitalien, im Scheidengewölbe links oben eine für den Finger
durchgängige Fistelöffnung. In der Vagina nekrotische Gewebsfetzen, Portio vaginalis
fehlte, Uterus sonst normal. Urin jauchig. Einlegen eines Dauerkatheters und Blasen-
spülungen. Nachdem Patientin noch eine Pyelitis überstanden hatte, trat nach Ablauf
von fünf Wochen fast völlige Kontinenz ein. Die Ursache war ein spontan zustande
gekommener Verschluß der Vagina zirka 3 cm hinter dem Introitus. Nur im linken
oberen Winkel eine feine für die Sonde durchgängige Öffnung, die in den hinteren
Teil der Scheide führte, aus der ein Abfluß von Urin nicht eintrat. In der Blase
klarer Urin. Die zystoskopische Untersuchung ergab: Im Trigonum bullöses Ödem.
Neben der linken Uretermündung eine Tasche, die in die Tiefe geht und der Fistel
entspricht. Patientin wurde bei fast völliger Kontinenz mit Verhaltungsmaßregeln ent-
lassen und auf später wiederbestellt.
Einige Monate nach der Entlassung trat bei der Patientin die erste Menstruation
auf, die sich durch blutig gefärbten Urin bemerkbar machte. Diese Blutfärbung des
Urins wiederholte sich in regelmäßigen vierwöchentlichen Intervallen, bis sie plötzlich
ausblieb, ohne daß sich Patientin etwa für schwanger hielt. Im fünften Monat der
Amennorrhöe setzten jedoch typische Wehenschmerzen ein. die mit Blutabgang durch
die Vagina und durch die Blase begleitet waren. Aus diesen Gründen suchte Patientin
wiederum die Klinik auf, woselbst ich folgenden Befund erhob: Fundus uteri hand-
breit über der Symphyse. Aus der Öffnung in der Kolpokleisis links entleert sich
stinkendes bräunliches Sekret, dieselbe Beschaffenheit zeigt der in der Blase befind-
liche Urin. Per rectum fühlt man hinter der Kolpokleisis eine Verdickung der Vagina,
die in den dem vierten Monat entsprechend vergrößerten Uterus übergeht.
Die zystoskopische Untersuchung ergab: In der Blase 200 ccm bräunlich-röt-
lichen trüben Urins, die Blase läßt sich mit 300 cem leicht füllen. Die Blasenschleim-
haut ist kaum gerütet, beide Uretermündungen ohne Besonderheiten. Dicht an der
linken Uretermündung findet sich eine halberbsengroße Fistel, durch SE ein leichter
Bluteintritt in die Blase beobachtet werden kann.
Unter Zunahme der Wehen und vermehrtem Blutabgang ergibt eine neue zysto-
skopische Untersuchung eine Verstärkung des Bluteintrittes in die Blase nebst An-
wesenheit von Cruormassen.
Septischer Abort nach spontaner Kolpokleisis. 281
Auf Grund des Befundes stellte ich die Diagnose auf einen Abort im vierten
bis fünften Monat, der durch die Kommunikation des Scheidenrezessus mit der Harn-
blase infiziert worden war, und schritt zur operativen Ausräumung des Abortes.
Im Simonschen Spekulum spaltete ich die Kolpokleisis quer, vertiefte die Inzision
stumpf und durchtrennte den Rest des Gewebes auf einer in die linksseitige Öffnung
eingeführten Sonde. Es zeigte sich nun, daß in dem dadurch eröffneten Rezessus
der Scheide die völlig skelettierten Knochen eines fünfmonatigen Fötus eingehüllt in
stinkende Massen lagen. Nach Entfernen derselben konnte eine für den Finger durch-
gängige, in die Blase führende Fistelöffnung freigelegt sowie der Zugang zum Uterus
dargestellt werden. Die Plazenta befand sich im Uterus, war ganz frisch und völlig
adhärent, sie ließ sich nur unter Schwierigkeiten lösen und entfernen.
Unmittelbar nach der Ausräumung trat ein Schüttelfrost auf, sonst verlief das
Wochenbett fieberfrei. Patientin lag trocken und entleerte regelmäßig ihren Urin.
Nach 18 Tagen hatte sich wiederum eine spontane Kolpokleisis, diesmal 5 cm hinter
dem Introitus, gebildet, an deren beiden Endpunkten rechts und links sich je eine
kleine Öffnung befand. Die zystoskopische Untersuchung ergab hinter der linken
Uretermündung ein scharf umrändertes Loch von Doppelerbsengröße. Patientin war
im Liegen völlig kontinent, beim Gehen und Stehen dagegen nicht. Deshalb wurden
die beiden kleinen Öffnungen in der Kolpokleisis operativ geschlossen, indem sie um-
schnitten und mit Silkwormnähten vereinigt wurden. Bei der so hergestellten völlig
geschlossenen Kolpokleisis war Patientin absolut kontinent.
Es wurde in Erwägung gezogen, Patientin durch eine sterilisierende Operation
vor Eintritt einer erneuten Gravidität zu schützen, allein dieser Plan wurde fallen ge-
lassen, da es in höchstem Maße een eh erschien, daß eine solche Eventualität
eintreten könnte.
Die Schwangerschaft trotz bestehenden Vaginalverschlusses war
natürlich in diesem Falle dadurch möglich gewesen, daß die spontane
Kolpokleisis eine feine Öffnung besessen hatte, durch die die Spermatozoen
eindringen konnten. Dieser Modus pflegt bei den seltenen Ereignissen
dieser Art fast stets vorzukomnen.
- Ich habe in der Literatur noch drei Fälle gefunden, die in ähn-
licher Weise erklärt werden können. Menge teilte im Zentralblatt für
Gynäkologie 1900, 13, einen Fall von Schwangerschaft und Geburt nach
Hysterokolpokleisis mit, bei dem er allerdings keine Öffnung in der
Kolpokleisis wahrnehmen konnte, so daß er auch die Frage der Schwänge-
rung durch die Urethra erwog, allein er gab selbst die Möglichkeit zu,
daß eine für das Auge nicht erkennbare Öffnung in der Kolpokleisis
den Durchtritt des Spermatozoon ermöglicht hätte. An derselben Stelle
findet sich ein Fall von Lane, der nach Hysterokleisis ohne wahrnehm-
bare Öffnung Schwangerschaft eintreten sah. Auch er nimmt trotzdem
an, daß vielleicht ein kapillärer Kanal in der Narbe den Durchtritt des
imprägnierenden Zoosperm vermittelt hätte.
Montini (zitiert nach Zentralblatt 1905, 31) berichtet über eine
Gravidität nach völliger Atresie der Vagina bei bestehender Blasen-
scheidenfistel. Dieser Autor nimmt eine Befruchtung durch die Harn-
blase an, es zweifelt aber schon der Referent an dem sicheren Beweis
für diese Annahme, da aus der Mitteilung nicht ersichtlich ist, ob zur
Zeit der Konzeption die Vagina schon völlig atretisch gewesen.
Jedenfalls scheint mir der gewöhnliche Weg der zu sein, daß das
Spermatozoon durch cine feine Öffnung des Vaginalverschlusses ein-
282 Prof. Hammerschlag. Septischer Abort nach spoutaner Kolpokleisis.
dringt, ein Vorgang, den man bei scheinbar vollständiger Vaginalatresie
und Schwangerschaft ohne Blasenscheidenfistel bisweilen beobachten
kann. Ich selbst habe einen derartigen Fall erlebt, bei dem intra partum
erst durch langsam auströpfelndes Fruchtwasser bei längerer Beobachtung
der Nachweis einer Öffnung in der Atresie gebracht werden konnte,
einen ähnlichen Fall beschreibt Kneise im Zentralblatt 1907, 5.
Der einzige Fall, bei dem die Möglichkeit der Befruchtung durch
die Blase plausibel erscheint, ist der von Petersen mitgeteilte (zitiert
nach Frommels Jahresbericht 1906).
Dieser beobachtete Konzeption und Abort per vesicam infolge
Coitus urethralis nach Kolpokleisis wegen Blasenscheidenfistel. Bei dieser
Form der Kohabitation besteht natürlich die Möglichkeit, daß die Sperma-
tozoen direkt durch die Blasenscheidenfistel in den Vaginalrezessus ge-
bracht werden. Wird aber der Scheidenblindsack zur Kohabitation be-
nutzt, wie besonders bei hoher Kolpokleisis wohl stets der Fall, so
erscheint mir die Wahrscheinlichkeit äußerst gering, daß ein Sperma-
tozoon die Urethra und den Blasenverschluß überwindet, un dann, ohne
durch den Harn geschädigt zu werden, durch die Blasenscheidenfistel
in die Vagina einzudringen. Immerhin sind aber Fälle von Kolpokleisıs
wegen Blasenscheidenfistel nach dieser Richtung hin zu beobachten,
eventuell durch sterilisierende Operationen vor der Möglichkeit einer
Gravidität zu schützen.
Ist bei einer Kolpokleisis und Blasenscheidenfistel eine Schwanger-
schaft eingetreten, so muß die geburtshilfliche Therapie je nach Lage
des Falles ebenso wie bei anderen Vaginalatresien am besten in der
Öffnung des Verschlusses oder sonst in der Vornahme der Sectio caesarea
eventuell nach Porro bestehen. In den drei Fällen der Literatur wurde
einmal die Kolpokleisis durch die Wehen gesprengt, einmal nach an-
geblich unmöglicher Spaltung der Narbe eine Öffnung mit dem Trokar
hergestellt, durch welche die Frucht ausgetrieben wurde, und einmal die
Porrosche Operation ausgeführt.
In meinem Falle gelang es, wie oben angegeben, durch Spaltung
der Kolpokleisis leicht, einen Zugang zum Uterus herzustellen, welcher
Modus procedendi schon wegen der Zersetzung des Eies durch den Urin
vorgezeichnet war.
(Aus der gynäkologisch-geburtshilflichen Abteilung des Allerheiligen-Hospitals zu Breslau.
Direktor: Primärarzt Dr. Asch.)
Über zystoskopische Befunde nach gynäkologischen Operationen.
Von
Dr. Wladislaus Falgowski, Frauenarzt in Posen
(ebemaliger Sekundärarzt der Abteilung).
Es ist gewiß eine interessante Aufgabe, zu erforschen, auf welche
Ursachen die Blasenschädigungen mannigfacher Art, wie wir sie nach
gynäkologischen Operationen nicht gar so selten sehen, zurückzuführen
sind und ob sie etwa aus der Art der Operation erklärt werden können
und ob sie öfter nach vaginalen als nach abdominalen Operationen vor-
kommen. Ich habe zu diesem Zwecke die Art der zystoskopisch erkenn-
baren Noxe, welche nach gynäkologischen Operationen resultierte, genau
zu differenzieren gesucht und auch den anamnestischen Faktor, ob eine
Blasenstörung schon vorher bestand oder vor der Operation objektiv
festgestellt wurde, möglichst berücksichtigt, um an der Hand des mir
zur Verfügung stehenden Materials die für den Kliniker sowohl wie für
den Operateur wichtigen logischen Schlüsse daraus zu ziehen. Nach
diesen Gesichtspunkten habe ich die mir vorliegenden 53 zystoskopischen
Befunde, die ich bei Frauen nach überstandenen gynäkologischen Opera-
tionen erhoben habe, genau gesichtet und habe mich dabei stets gefragt,
ob nicht bestimmte, objektiv erhobene zystoskopische Befunde und be-
stimmte Schädigungen im Bereich der Blase mit bestimmten Operationen
oder mit bestimmten Umständen, die im Falle selbst lagen, in
Zusammenhang gebracht werden könnten.
Ich kann mit gewisser Genugtuung behaupten, daß — nach genauer
Sichtung und Durcharbeitung der Fälle — die zystoskopisch erwiesene
Blasenveränderung fast jedesmal sich ätiologisch genau erklären ließ
und daß fast kein Fall dunkel blieb. Ich habe unter Zuhilfenahme
unserer Journale und oft an der Hand der etwa schon vor den Ope-
rationen vorhandenen zystoskopischen Befunde und sonstigen Resultate
früherer Blasenuntersuchungen stets nachweisen können, worauf die post
operationem bestehenden Schädigungen zurückzuführen seien.
Ich muß im voraus betonen, daß nur Frauen zystoskopiert wurden,
die auf eine Schädigung der Blase überhaupt verdächtig erschienen.
Die gefundenen Zahlen lassen sich also nicht auf das gesamte operierte
Material in Beziehung bringen, geben aber doch zur Begutachtung und
Würdigung der verschiedenen ätiologischen Momente ein beachtens-
284 Dr. Wladislaus Falgowski.
wertes Kriterium. Die zahlreich Operierten, welche keinerlei Blasen-
erscheinungen post operationem boten, wurden also gar nicht erst in
Rechnung genommen. Die Zahl dieser letzteren ist natürlich weit größer
als der in diese Arbeit Aufgenommenen.
Ferner habe ich in diese Arbeit die zystoskopischen Befunde nach
der erweiterten abdominalen Krebsoperation nicht mit aufgenommen,
weil hierbei doch ganz andere Faktoren noch mit in Frage kommen
dürften, die vielleicht nicht in den Rahmen dieser Arbeit gehören. —
Nachteilige Folgen der zystoskopischen, oft mehrfach in Abständen vor-
genommenen Untersuchungen habe ich in keinem Falle gesehen. Immer
wurde unter reinlichsten Kautelen zystoskopiert und oft prophylaktisch
Urotropin gegeben.
Das zystoskopierte Krankenmaterial stammt aus den Jahren 1908
bis Anfang März 1909.
Die Hoffnung, daß sich vielleicht die Noxe in einen gewissen
Einklang bringen lassen würde mit dem gewählten Operationsweg (ob
vaginal oder abdominal), erwies sich als vollkommen eitel. Keiner der
beiden oft beliebig zu Gebote stehenden, oft sich von selbst empfehlen-
den Operationsmethoden ließ sich irgendwelche prädisponierende Schuld
beimessen. Drei Faktoren aber scheinen mir so wichtig zu sein, daß
ich sie als für diese Arbeit in Betracht kommende ätiologische Grund-
stützen gleich zu Anfang besprechen möchte, und zwar:
1. der Katheterismus inkl. Dauerkatheter,
2. die anatomisch falsche Blasenversorgung während der Operation,
3. die Septizität resp. Unreinheit der Fälle selbst.
1. Die Schädlichkeit des Katheterismus ist allbekannt und
braucht nicht betont zu werden. Wenn stets vom Arzt und stets unter
streng aseptischen Kautelen katheterisiert werden könnte, sö bliebe hier-
bei nur die mechanische Schädigung zu fürchten. Aber oft genug ist
gerade nach gynäkologischen Operationen — ich erinnere an manche
ausgedehnte vaginale Plastiken — eine streng aseptische Vorbereitung
zum Katheterismus, wozu die Reinigung mindestens des Scheideneingangs,
wenn nicht der ganzen Scheide gehört, gar nicht durchzuführen. Als
sehr wenig aseptisch ist auch der bequeme Katheterismus durch Ein-
legen eines Dauerkatheters anzusehen, welcher, ganz abgesehen von
der nicht unbeträchtlichen mechanischen Reizung, den infektiösen Ein-
dringlingen Tür und Tor öffnet. Die Gefährlichkeit des Dauerkatheters,
den wir nur bei ganz seltenen Fällen (größeren Urethralplastiken und
nach Herausnahme umfangreicherer Urethralpolypen) anwandten, wird
später aus den beigefügten Tabellen ersehen werden können. Auch der
gewöhnliche Katheterismus läßt sich viel mehr einschränken, als man
glaubt, wenn die zu operierenden Frauen schon lange genug vorher
unterrichtet und gewöhnt werden, im Liegen Wasser zu lassen. Haben
sie sich dazu schon vor der Operation zu bequemen gelernt, so bringen
sie es auch geradesogut nach der Operation zuwege. Dadurch wird
Über zystoskopische Befunde nach gynäkologischen Operationen. 285
den Frauen vielfach der folgenschwere Katheterismus und dem Arzte
das Nachsehen erspart.
2. Durch anatomisch falsche Blasenversorgung kann eben-
sogut bei Laparotomien wie bei vaginalen Operationen gesündigt werden.
Wer darauf achtet, daß die Blase in ihrer vollen Ausdehnung zwischen
Peritoneum und Scheidenwand zu liegen kommt, d. h. gut mit Peri-
toneum bekleidet wird, wird sich viel Sorgen ersparen. Auf unserer
Abteilung wird peinlichst darauf Gewicht gelegt, daß nach vaginaler
Eröffnung des vorderen Scheidengewölbes das vordere parietale Peri-
toneum an die vordere Scheidenwand exakt und sofort nach Eröffnung
des vorderen Douglas angenäht wird, um die Blase vor mechanischen
Insulten möglichst zu schützen und ihrer Ernährung nicht zu berauben.
Bei Laparotomien kann ganz dasselbe, wenn nicht früher, so doch
wenigstens am Schluß der Operation gemacht werden — zum Wohle
und Schutze der Blase. Der Blase wird durch Umsäumung mit mög-
lichst viel Peritoneum ein natürlicher Halt verliehen, was namentlich
nach Herausnahme des Uterus von größter Bedeutung ist. Je genauer
diese Blasenversorgung möglich war, desto geringer und seltener sind
die nachherigen Blasenstörungen gewesen. Wo aber bei breit zerfetzten
oder dränierten Flächen der Blasenschutz nicht so exakt durchgeführt
werden konnte, wo breite Adhäsionsflächen, unreine, infiltrierte Wund-
flächen oder Exsudate die Klarheit der Technik störten, wo Abszeßhöhlen
die aseptische und exakte Naht hinderten, dort traten bei unseren Fällen
am häufigsten objektiv sichtbare Blasenveränderungen nach der Ope-
ration auf.
3. So sind wir schon damit zu dem dritten Punkte, der Unrein-
heit der Fälle gekommen. Frischere oder subchronische Adnexitiden
haben, ganz gleich, ob sie abdominal oder vaginal angegriffen wurden,
ganz gleich, ob sie gonorrhöischer oder puerperaler Natur waren, in sehr
vielen Fällen zu postoperativen Blasenschädigungen Veranlassung ge-
geben. Es sind dies überdies jene meist gonorrhöischen Adnexaffek-
tionen, die von vornherein nur ausnahmsweise einmal ohne Mitbeteiligung
der Blase einhergehen, also Fälle, wo die Blasenschädigung schon vor
der Operation — latent oder noch bemerkbar — vorhanden und in
unseren Fällen oft genug auch zystoskopisch vor der Operation erwiesen
werden konnte Zu den unreinen Fällen gehören alle jene noch zu
frischen Adhäsionsbildungen und Exsudate am Uterus und an den
Adnexen, die nach Lösung oder Herausnahme des Uterus ihre Existenz
von neuem beginnen und erneut Einengung der Blase sowie Verzerrung
ihres Lumens und septische und mechanische Reizung verursachen.
Man muß bedenken, daß solche entzündlichen Fremdlinge, wie es Ad-
häsionen, Narben und Exsudate sind, auf die Blutverteilung im ganzen
Beckenbereich einen großen umwälzenden Einfluß haben — und man
wird auf Grund dieser venösen Beckenstase und Zirkulationsstörung
manche Hyperämie und Entzündung der Blase ätiologisch richtig deuten
können, selbst bei Fehlen jeglicher bakteriellen Befunde innerhalb der Blase.
Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 20
286 Dr. Wladislaus Falgowski.
Es ist bei den Adnexitiden ein großer Unterschied, ob sie chro-
nisch sind oder noch subchronische Erscheinungen bieten. Die
alten chronischen Tubenaffektionen, die etwa nur noch eine fixierte
Hydrosalpinx oder Retroflexis bieten, ferner die gut abgekapselten
Adnextumoren verhalten sich annähernd schon wie die sauberen, asep-
tischen Fälle, was allemal mit Sicherheit erst nach gemachter Operation
an dem Fehlen oder Vorhandensein von Fieber sich erweisen läßt. Die
Operation ist in diesem Falle wie eine experimentelle ungewollte Probe
auf die Reinheit des Falles, vorausgesetzt natürlich, daß sonst unter
aseptischen Kautelen, wie sich von selbst versteht, operiert wird. Da wir
es mit operierten, also in dieser genannten Hinsicht experimentell auf
ihre Reinheit erprobten Fällen zu tun haben, so fällt es uns natürlich
leicht, die 53 Frauen in dieser Beziehung ganz sicher in septische und
aseptische Fälle zu trennen, um zu erweisen, daß Blasenstörungen nach
septischen Operationen eine enorme Häufigkeit bilden. Immer sind auch
die postoperativen genitalen Befunde zur Klärung der Fälle mit heran-
gezogen worden.
Ich stehe nicht an, zu behaupten, daß die Reinheit resp. Un-
reinheit des Falles von einschneidendster ätiologischer Bedeutung ist
für das Zustandekommen von Blasenveränderungen nach gynäkologischen
Operationen. Nicht leicht ist es manchmal zu bestimmen, ob der post-
operative Blasenbefund als Aufflackerung der alten, latenten, leichten
Blasenerkrankung oder als direkt durch die Operation bedingte Noxe
aufzufassen sei. Auf zystoskopischem Wege ist diese Entscheidung
aber in den meisten Fällen mit Sicherheit zu treffen, wenn statt Ver-
änderungen der Blasenschleimhaut perizystitische Stränge oder sich vor-
wölbende Resistenzen festgestellt wurden, die durch den Palpationsbefund
nicht anders als Exsudate im Becken in der Nähe der Blase liegend
gedeutet werden können. Größere Beckenexsudate müssen oft, wenn
nicht immer, die Blase direkt mechanisch und nutritiv beeinträchtigen,
da sie ja meistens mit einer größeren oder kleineren Kalotte an die
Blase anstoßen und wie ein Tumor wirken. Abgesehen von der venösen
Stase und Hyperämie, von der schon oben die Rede war, beeinträchtigen
sie rein mechanisch die Elastizität und Bewegungs- und Dehnungs-
fähigkeit der Blase ebenso wie die perizystitischen Stränge Es ist
hierbei ganz gleich, ob das Exsudat auf dem Boden eines zurück-
gelassenen Zervixstumpfes oder bei Totalexstirpation in der Scheiden-
narbe, um ein dringelassenes Ovar, oder im Adnexstumpf sich gebildet
hat. Der Grad der Schädigung der Blase durch Exsudate drückt sich
dadurch aus, daß Zystitis heftigster Art meist über kurz oder lang die
Folge aller in der Nähe der Blase liegenden Exsudate bildet.
Hierher gehören auch die dränierten Fälle, wo von vornherein
auf primären Verschluß der gemachten Wunden nicht gerechnet werden
konnte, sowohl nach vaginalen wie nach abdominalen Operationen.
Ein weiteres ätiologisch wichtiges Moment zur Beurteilung von
Blasenschädigungen nach gynäkologischen Operationen geben die den
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288 Dr. Wladislaus Falgowski.
Aus dieser Tabelle geht die Bewertung der einzelnen ätiologischen
Momente von selbst hervor. Es zeigt sich darnach, daß diese ätiolo-
gischen Faktoren nicht gleichwertig untereinander sind, daß vielmehr
der dauernde Katheterismus noch öfter und regelmäßiger Blasen-
schädigungen und zystoskopisch sichtbare Veränderungen hervorruft,
als sogar septische Operationen. Die unterste Rubrik zeigt, daß bei
unseren Frauen in selteneren Fällen auch nach einwandfreien asep-
tischen Operationen Blasenschädigungen auftraten, und zwar ebensogut
nach vaginalen wie nach abdominalen Operationen. In der folgen-
den Tabelle sei der Operationsweg besonders bewertet.
Tabelle Il.
Es fanden sich Blasenveränderungen vor:
nn 13 | Blasenveränd. || Wieviel
nach | S | und zwar (speziell) nach | vor- | nicbt |j Proz. der
EE Lg ‚, handen ;vorhand.| Fälle
' 3 | aseptischen Laparotomien 11))ı 2 | 33,3
a) 14 Laparotomien ' 8 | septischen Laparotomien 1 (4) 1 | 87,5
Ge abdom. fixier. Operat. |
Ä S ‚ (auswärts gemacht) S H | 199
| |116) | 3 | 78,57
| 13 reinen Fällen 1m | 12 | 7,69
19: septischen Fällen | 11 (4) | 57.9
b) 39 vagin. Operat. 4 öfter katheteris. Fällen || 4 — 100
| e Gs |
a; vagin. fixier. Fällen | . Ä
l ge (2 auswärts gemacht) | S == | 100
Summa: |53| |196) | 20 | 48,72
| | i |
Die vorstehende Tabelle II soll zeigen, wie sich die gefundenen
Blasenveränderungen unter die vaginalen und abdominalen Opera-
tionsmethoden verteilen. Hierbei ist aber Rubrik a,) nur mit aller-
größter Reserve zu bewerten, weil die Anzahl der nach aseptischen
Laparotomien zystoskopierten Frauen mit Blasensymptomen so gering
war, daß irgendein Zufall leicht eine verhängnisvoll verschiebende Rolle
spielen konnte. Dazu kommt noch, daß die Blasenschädigung unter a,)
als Rezidiv anzusehen ist.
Die nebenstehende ITT. Tabelle endlich gibt die Übersicht über die
Bewertung der einzelnen als Noxe geltenden Geen resp. Momente,
und zwar nach Prozenten geordnet.
Es zeigt sich also, daß die Laparotomie in unseren Fällen sowohl
bei den aseptischen, als auch bei den septischen Fällen als grüßere
Noxe anzuschen ist, als die vaginale Operation. Allerdings muß be-
dacht werden, daß die der Laparotomie unterworfenen Frauen die
*) In Klammern die Rezidive.
Über zystoskopische Befunde nach gynäkologischen Operationen. 289
größeren Tumoren, die erheblicheren Befunde hatten. Jedenfalls darf
aber den vaginalen Methoden, falls sie richtig gewählt und indiziert
sind, nicht der Vorwurf gemacht werden, als ob sie eine besondere Ge-
fahr für die Blase bedeuteten.
Ich glaube durch diese Zusammenstellungen bewiesen zu haben,
daß — vorausgesetzt die bei uns geübte exakte Blasenversorgung —
die postoperativen Blasenschädigungen mit dem gewählten Operations-
wege nichts zu tun haben und daß sie in der Hauptsache von Um-
ständen abhängig sind, die in der Natur des einzelnen Falles selbst,
d. h. in seiner Septizität liegen. Sowohl nach vaginalen wie nach
abdominalen Operationen sollten, falls sie ohne Fieber und Exsudat-
bildungen verlaufen, Störungen von seiten der Blase zu den Seltenheiten
gehören. Dagegen sind nach septischen vaginalen Operationen
57,9%, Blasenveränderungen, nach septischen Laparotomien deren
sogar 87°/, zu befürchten.
Tabelle III.
| Darunter wieviel
Art der Operationen Proz. Blasen-
Beeren en | yeränderungen
vaginale aseptische Operationen . . . 7,69
abdominale aseptische Operationen . . 33,3
vaginale septische Operationen . . . 57,9
abdominale septische Operationen . . 87,5
abdominale fixierende Operationen . .
vaginale fixierende Operationen . | | je 100
katheterisierte Fälle . |
Wer sich aber trotzdem noch über die große Anzahl von Blasen-
schädigungen, die nach vaginalen Operationen bei uns gefunden
worden sind, wundern sollte, der sei daran erinnert, daß wir gerade
die schwerseptischen Fälle mit Vorliebe vaginal angreifen und daß
wir noch manchem unreinen Fall vaginal zu Leibe rücken und mit Er-
folg operieren, den wir und andere Operateure abdominal anzugreifen
sich scheuen würden.
Daß die dränierten Fälle, namentlich die vaginal dränierten zu
nachherigen Blasenstörungen prädisponiert sind, erklärt sich sowohl aus
der Septizität dieser zur Ausführung der Dränage zwingenden Fälle,
wie auch aus der dabei ausgeübten mechanischen Druckreizung und
der anatomisch falschen Blasenversorgung, wie sie bei solchen Opera-
tionen meist nicht zu umgehen ist.
Nachdem ich so die ätiologischen Hauptmomente allseitig gewürdigt
habe, bleibt mir nur übrig, auf die Art und Weise der jeweilig ge-
setzten Blasenschädigung näher einzugehen und die speziellere Ent-
stehungsart der einzelnen Schädigungen zu erörtern. Auch hier zeigte
es sich, daß in der Hauptsache die Beschaffenheit des Falles
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Über zystoskopische Befunde nach gymäkologischen Operationen. 391
Es sei mir gestattet, nun jeder Erkrankungsart einige erläuternde
Worte hinzuzufügen.
Cystitis colli.
Die bekannteste und neben der Perizystitis nach gynäkologischen
Operationen am häufigsten vorkommende Blasenstörung war die Cy-
stitis colli, ebenso nach Laparotomien wie auch nach vaginalen Opera-
tionen vorkommend. Oft war sie eine Folge des Katheterismus —
schon durch seine mechanische Reizung — und bildet, wenn unbehandelt,
in vielen Fällen die Vorstufe zur diffusen Zystitis, die nach öfter
geübtem Katheterismus oder nach längerem Verweilen eines Dauer-
katheters fast regelmäßig eintrat.
Wo nicht katheterisiert wurde, kam sie nach aseptischen Öpera-
tionen nur höchst selten vor (und zwar nur einmal unter unseren 16
aseptischen Fällen), und dies bei einer Frau, wo schon vor der Opera-
tion Cystitis colli konstatiert war. Im übrigen bildete die Cystitis colli
öfter eine Folgeerscheinung nach septischen Operationen, und zwar
wurde sie von 27 solchen Operationen in zehn Fällen von uns kon-
statiert, davon aber in sechs Fällen nur als Rezidiv einer früher bereits
— vor der Operation — abgeheilten Erkrankung. Prozentualiter kam
sie nach vaginalen Operationen seltener vor als nach Laparotomien;
‘unter acht septischen Laparotomien sogar in vier Fällen, davon nur ein-
mal als Rezidiv, dreimal als direkte Folge der Operation! Nach 19
septischen vaginalen Operationen nur einmal als direkte Folge der
Operation, fünfmal als Rezidiv.
Nach den sechs, den Uterus direkt fixierenden Operationen war
viermal Cystitis colli zu verzeichnen gewesen, was wohl hierbei ledig-
lich wieder aufs Katheterisieren zu beziehen ist. Ich habe die Erfahrung
gemacht, daß nach solchen Operationen das Wasserlassen meistens er-
schwert oder behindert ist, was mit der allzu unnatürlichen und —
namentlich bei den Vaginifixuren — gewaltsamen Lageveränderung und
damit gestörten Ernährungsbedingungen zusammenhängen mag. In den
meisten Fällen mußte recht oft katheterisiert werden, so daß dreimal (von
sechs Fällen) Cystitis diffusa entstand. Hier verbindet sich also die
schädigende Wirkung der Ernährungsstörung mit der mechanischen
und infizierenden Einwirkung des Katheterismus. Die als Rezidive ein-
tretenden Zystitiden sind auf die mechanische Reizung zurückzuführen,
die jede Operation in der Blasengegend — also am Uterus und den
Genitalien — nach sich ziehen muß, zumal meistens die Blase stumpf
oder scharf angegriffen wird. Oft genug ist aber die postoperative Blasen-
erkrankung weiter nichts als die Aufflackerung des noch nicht oder
noch nicht völlig abgeheilten Prozesses.
Cystitis diffusa.
Cystitis diffusa war unter unseren Fällen im ganzen elfmal zu
verzeichnen gewesen, darunter fünfmal als Rezidiv. Von den vier mit
Dauerkatheter behandelten Frauen trugen drei eine Cystitis diffusa
292 Dr. Wladislaus Falgowski.
davon; nach 27 septischen (die vaginalen und abdominalen zusammen-
genommen) Koeliotomien war in sieben Fällen diese Erkrankung zu
finden, davon viermal als Rezidiv. Nach unseren 16 aseptischen
Leibesöffnungen trat in keinem Falle Cystitis diffusa auf, darunter
nach 13 vaginalen Operationen also keinmal, weil ich dies hinsicht-
lich des Operationsweges betonen möchte Es ist wohl schon da-
durch zur Genüge bewiesen, daß die reine, aseptische, sterile vaginale
Operation, wo also auch nicht durch Katheterismus zu viel gesündigt
worden ist, die ihr zugeschriebene Gefahr der Entstehung einer nach-
träglichen Blasenstörung keineswegs besitzt. Dahingegen war nach
einer vaginal fixierenden Operation Cystitis diffusa zu beklagen ge-
wesen. Diese ist auf die bereits hinlänglich betonte Schädlichkeit der
fixierenden ÖOperationsart zurückzuführen, nicht aber auf die vaginale
Operationsmethode als solche.
Im übrigen gilt für die Cystitis diffusa alles dasjenige, was schon
über die Entstehung der Cystitis colli gesagt worden ist, die oft eine
Vorstufe zur diffusen Blasenentzündung bildete.
Übergroße Empfindlichkeit der Blase bei direkter Berührung
mit dem Zystoskop, die fast immer verbunden war mit Druckempfind-
lichkeit der gesamten Blasengegend — auch beim Drucke vom
Abdomen her — konnte bei unseren Fällen als Maßstab für die Inten-
sität der mitbestehenden Zystitis gelten. Wir fanden solche Empfind-
lichkeit in fünf Fällen und zwar in solchen, wo Cystitis diffusa
schlimmster Art zystoskopisch und durch die Urinuntersuchung nach-
zuweisen war.
Ödem.
Ödem der Blasenschleimhaut kam als akzentuierendes Moment bei
fast allen den Frauen vor, die nach septischen Operationen Cystitis
colli davongetragen hatten. Wir haben diesen Befund dort besonders
verzeichnet, wo er neben einer anderen Veränderung sichtbar war —
und sind uns im übrigen wohl bewußt, daß bei krasser Cystitis diffusa
das Bild des Ödems einfach verdeckt wird, ihr Vorhandensein aber als
selbstverständlich und zur pathologischen Veränderung bei der „Ent-
zündung“ nlitgehörig angesehen werden muß.
In zwei Fällen fand sich ausgesprochenes Ödem der Blasenschleim-
haut nach aseptischen abdominalen Leibesöffnungen wohl als Reak-
tion auf die sehr breite, stumpfe und scharfe Abschiebung der Blase
bei der in diesen Fällen gemachten Exstirpation des Uterus. Von 13
aseptischen vaginalen größeren Operationen fand sich in keinem
Falle Ödem vor, dagegen bei fast allen den Fällen, wo viel kathete-
risiert oder gar ein Dauerkatheter eingelegt worden war.
Pyelitis.
Auffallend gering ist die Zahl der nach gynäkologischen Operationen
entstandenen Pyelitiden bei uns in der letzten Zeit geworden. Diese
Erkrankung ist — post operativ entstanden — doch wohl stets als
Über zystoskopische Befunde nach gynäkologischen Operationen. 293
Aszension eines endovesikalen entzündlichen Prozesses zu verstehen.
Wir sahen in den letzten Jahren fast keine Pyelitiden mehr. Es hat
dies natürlich seinen Grund. Bei uns werden alle Zystitisfälle, auch
die leichtesten, sofort nach der Diagnosenstellung behandelt, und zwar
immer mit ziemlich energischen, nur durch ärztliches Personal aus-
geübten Blasenspülungen, die unter niedrigstem Druck ausgeführt werden.
Dies scheint doch der Aszension direkt hinderlich zu sein. Hierzu
kommt die bei uns seit langer Zeit systematisch geübte Prophy-
laxe, die wir uns im Laufe der Zeit angewöhnt haben. Mußte nämlich
wirklich einmal katheterisiert werden, oder war anamnestisch eine Blasen-
störung zu vermuten gewesen, so gaben wir vorbeugend Urotropin oder
Hippol, die stark desinfizierend zu wirken scheinen. So kommt es,
daß wir nach unseren 53 zystoskopierten Fällen nur zweimal leichte
Pyelitis diagnostizieren konnten, die eine nach einer schwer-septischen
vaginalen Operation, die andere an einer schon vorher blasenleidenden
Frau (Zystitis), an der wegen Prolaps und Urethralpolyp ausgedehnte
Plastik, Exzision des breitsitzenden Polypen und Umsäumung der Urethra
gemacht werden mußten. Bei dieser Frau mußte, da ihr das öftere
Katheterisieren äußerst schmerzhaft und unangenehm war, zudem ein
Dauerkatheter fast eine Woche lang gehalten werden. Beide Fälle heilten
rasch ab und verliefen unter nur mäßigen: Fieber.
Perizystitis.
Ganz besonders große Beschwerden macht die leider recht oft
nach Operationen im Becken vorkommende Perizystitis, eine Erkrankung,
die wohl nur zystoskopisch nachgewiesen werden kann. Bei fast nor-
malem Aussehen der Blasenschleimhaut, Blässe der Farbe und Fehlen
oft jeglicher entzündlichen Reaktion von seiten der Mukosa bestehen
Harndrang, Schmerzen und Ziehen im Leibe und lästiges Gefühl nach
dem Woasserlassen. Erst bei genauer zystoskopischer Untersuchung
gelingt es, die perizystitischen Stränge nachzuweisen und die Diagnose zu
stellen. Ich glaube, daß die Diagnose „Perizystitis“ nach gynäkologischen
Operationen zu selten gestellt wird, weil man darauf nicht achtet, Ich
habe viele zunächst unaufgeklärte heftigste subjektive Beschwerden nach
Operationen im Becken durch zystoskopische Feststellung einer Peri-
zystitis einwandfrei erklären können. Auch diese Blasenerkrankung ist
eine unangenehme Folgeerscheinung nach septischen Operationen.
Die chronisch entzündlichen Krankheitszustände des Uterus und seiner
Anhänge prädisponieren zu postoperativen Perizystitiden, und zwar ist
es gleichgültig, ob vaginal oder abdominal operiert wurde. Das Leiden
ist äußerst hartnäckig und schwer angreifbar, da gewöhnlich entzünd-
liche Narbenstränge und Infiltrate in der Umgebung der Blase hierbei
mit vorhanden sind, die ebenfalls nur langsam zu schwinden pflegen.
Erst nach völligem Schwund aller entzündlichen Verdickungen im um-
liegenden Beckengewebe darf ein Abklingen der Perizystitis erwartet
werden. Man muß also etwa vorhandene Exsudate des Beckenbinde-
294 Dr. Wladislaus Falgowski.
gewebes oder des intraperitonealen Beckenraumes therapeutisch angreifen,
um eine Besserung der Beschwerden erwarten zu dürfen.
Der ätiologische Hauptfaktor ist also hierbei die Septizität des
Falles selbst. Nach 19 septischen vaginalen Operationen fand sich bei
späterer zystoskopischer Untersuchung sechsmal Perizystitis, also etwa
bei jedem dritten Falle, davon war aber in drei Fällen schon vor der
Operation Perizystitis festgestellt worden, eine Erkrankung, die ja mit
entzündlichen Adnexaffektionen an und für sich (auch ohne Operation)
oft genug vergesellschaftet ist.
Nach acht septischen Laparotomien war dreimal Perizystitis zu
verzeichnen gewesen, also auch etwa bei jeder dritten Frau.
Nach den 16 aseptischen Operationen (vaginale und abdominale
zusamnıengenommen) war nur zweimal Perizystitis zu verzeichnen ge-
wesen. Bei allen unseren 53 operierten Frauen kam sie insgesamt
16 mal vor, davon neunmal nach septischen Operationen. Die Entstehung
der Perizystitis ist so zu denken, daß nach septischen Operationen, oder
auch nach aseptischen — aber infizierten Operationen —, eine Entzündung
des der Blase anliegenden Beckenbindegewebes oder Peritonealraumes
entsteht. Diese Entzündung kann dann auf das Gewebe der Blase direkt
per continuitatem, oder auf dem Lymphwege übergreifen — bei zunächst
normaler Blaseninnenfläche.
Daher haben wir auch Perizystitis hauptsächlich beobachtet nach
schwieriger Adnexentfernung und Adnexlösung, nach Operationen
bei noch entzündlich infiltrierten Beckengeweben, bei Parametritis
und Perimetritis, wo sich nach erfolgter Operation neue Verwachsungen
bilden, oft genug weitere Exsudate eintreten. Perizystitis fand sich
namentlich auch bei Vorhandensein eines Stumpf- oder Narben-
exsudates, ganz gleich, ob dieses Exsudat in der Scheidennarbe oder
im Uterusstumpf, oder aber im Adnexstiel seinen Sitz hatte. Sehr oft
trat Perizystitis bei den dränierten Fällen auf, wo wegen Infektion
von vornherein auf primären Wundschluß verzichtet werden mußte.
So bildet also das Vorhandensein einer Perizystitis fast einen Maßstab
für die Infektiosität oder Septizität des betreffenden Falles.
Auch bei parametranen Exsudaten kam Perizystitis bei uns zur
Beobachtung. — Auf völlig anderer ätiologischer Basis dagegen beruht
das Eintreten der Perizvstitis nach den den Uterus direkt fixieren-
den Operationen, sowohl nach den vaginalen als auch den ab-
dominalen. Hier hat sie mit Infektion nichts zu tun. Hier ist sie
neuerworben durch die pathologische Einengung und anatomisch falsclıe
Einlagerung der Blase an einen Ort, wo ihr die physiologische Ex-
pansionsmöglichkeit und Bewegungsfreiheit fehlt. Sobald die Blase aus
ihrem natürlichen Bett verdrängt und verschoben ist, sobald an ihr
allzusehr sei es stumpf oder scharf — herumhantiert worden ist,
scheint sie mit ihrer Umgebung, zumal mit einer ihr fremden und nicht
zusagenden Umgebung — Verwachsungen einzugehen, die zu den un-
erträglichsten Blasenbeschwerden führen können. Die Hauptursache
Über zystoskopische Befunde nach gynäkologischen Operationen. 295
der nach solchen fixierenden Operationen nach unseren Erfahrungen
bestehenden, außerordentlich lästigen Blasenbeschwerden — ist eben in
der sich bildenden Perizystitis zu suchen.
Exsudate.
Auf die blasenschädigende Eigenschaft der im Becken liegenden
Exsudate, ganz gleich, ob diese schon vor der Operation vorhanden
waren oder erst nach derselben hinzukamen, müssen wir ihrer enormen
Wichtigkeit wegen auch hier besonders eingehen. Wir hatten eingangs
angedeutet, daß es keine Beckenexsudate gibt ohne wesentliche, meist
sehr erhebliche, daneben mitbestehende und durch das Exsudat oft
direkt verursachte oder doch wenigstens gesteigerte Funktionsstörungen
von seiten der Blase. Auch die objektiven zystoskopischen Befunde
standen ihrer Intensifät und Häufigkeit nach nicht ohne deutlichen Zu-
sammenhang mit gleichzeitig festgestellten Beckenexsudaten. War die
Blase schon in ihrem Innern nicht ohne krankhafte Veränderungen,
so verschlimmerte die mechanische und nutritive Beeinträchtigung von
seiten des Exsudates jedesmal das Bild ganz erheblich. Jede beliebige
Blasennoxe schien durch ein Exsudat verschlimmert und gesteigert und
ihre Ausheilung insofern in die Länge gezogen, als dieselbe von dem
Verschwinden des Exsudates direkt abhängig war. Neben der mecha-
nischen Noxe, die das Exsudat als unbeweglicher und deshalb um so
mehr reizender und anspruchsvollerer Tumor bildet, stellt dasselbe ge-
wissermaßen einen wohlgefüllten und freigebigen Speicher dar, aus dem
immer wieder neues entzündliches Material in den Kampf gegen die
heilende Tendenz der Naturkräfte und des Blutes ins Feld geführt wird.
Wir rubrizieren wiederum tabellarisch, um darzutun, wie sich in
unseren Fällen die oft zystoskopisch ins Blaseninnere sich vorwölben-
den, oft nur die Schleimhaut fixierenden, manchmal lediglich durch den
vaginalen resp. bimanuellen Tastbefund erweisbaren Beckenexsudate
auf die einzelnen Blasenaffektionen verteilen und zu diesen ver-
schlimmernd hinzukamen.
Es fanden sich Beckenexsudate:
Tabelle VI.
Anzahl der
A der Blasenveränderungen Exsudate
2 Knickungen des Ureters. . . —
2 Pyelitiden. . . . | 2
5 große Empfindlichkeit a Blase
10 verschobene Trigonum . 2
11 Cystitis diffusa 4
14 Ödeme 3
15 Cystitis colli d 3
16 Perizystitis . . . . 6
23 obne zystoskopischen Befund. 3
296 Dr. Wladislaus Falgowski.
Besonders oft war ein Exsudat bei Cystitis diffusa und bei
Perizystitis gefunden worden, ein Beweis für die gleiche septische
Herkunft dieser Blasenerkrankungen. Denn die Exsudatbildung ist ja
eine Art Maßstab für die Septizität des Falles und kommt nach sep-
tischen Operationen des öfteren vor. Meist darf man wohl annehmen,
daß auch in unseren Fällen die Blasenerkrankung und das Exsudat ge-
meinsame postoperativ entstandene Folge ein und derselben Ursache,
nämlich der Septizität des Falles, gewesen sei. Doch ist nicht zu leugnen,
daß z. B. ein Exsudat allein Zystitis, Ödem oder auch Pyelitis ver-
ursachen kann, daß also das Exsudat oft das Primäre, und die Blasen-
veränderung eine direkte Folge des Exsudates ist. Um das mit Sicher-
heit zu erweisen, wird man die Fälle bald nach der Operation noch
viel genauer studieren müssen, um zu eruieren, .inwiefern Exsudate
die Blase direkt und primär in Mitleidenschaft ziehen. Allen den
mit Exsudatbildung im Becken einhergehenden Blasenerkrankungen war
das eine gemeinsam, daß mit der Resorption oder Erweichung resp.
mit operativ erreichter Verkleinerung des Exsudats auch die Störungen
von seiten der Blase und ihre objektiven Veränderungen prompt zurück-
gingen. Es ergibt dies einen wichtigen therapeutischen Fingerzeig,
alles darauf zu verwenden, diese Entzündungsquelle zu verstopfen und
unter Anwendung des gesamten, zur Verfügung stehenden physikalischen,
hydropathischen und medizinalen Arsenals möglichst rasch unschädlich
zu machen.
Knickung des Ureters.
Ureterknickung der einen Seite kamen bei uns zweimal zur Beob-
achtung, und zwar nach vaginalen Exstirpationen bei schwerer Lösung.
Dies könnte den Anschein erwecken, als ob der vaginale Operationsweg
hierbei die Hauptursache abgegeben hätte. In Wirklichkeit jedoch
handelt es sich in diesen beiden Fällen um sehr schwere Organver-
wachsungen im Becken, die gelöst werden mußten, mit nachträglicher
Perizystitis und Exsudatbildung, also um eine schwere Schädigung des
um die Blase und um den Uterus liegenden Gewebes, so daß wohl da-
durch die Knickung hinreichend erklärt werden kann. Den Operations-
weg als solchen möchten wir keineswegs hierfür schuldig machen.
Auch nach Laparotomien sind Knickungen gesehen und zystoskopisch
konstatiert worden.
Verschiebung des Trigonunis.
Die nach gynäkologischen Operationen resultierenden zystoskopisch
sichtbaren Verschiebungen des Trigonums sind von keinerlei klinischem
Interesse, da sie für das Wohlbefinden der Patientin an sich belanglos
sind, wenn nicht sonst noch andere Veränderungen hinzukommen.
Eine Beobachtung aber, die ich machte, ist erwähnenswert und viel-
leicht von einigem psychologischen Interesse. Nach den 53 Operationen
fanden sich zehnmal Verschiebungen des Trigonums vor, und zwar SO
beträchtlicher Art, daß sie wohl bestimmt als nichts Zufälliges, sondern
Über zystoskopische Befunde nach gynäkologischen Operationen. 297
als eine sichere postoperative Erscheinung angesehen werden mußten.
Von diesen zehn Verschiebungen gingen vier nach rechts, die andern
sechs nach links. Die Verschiebungen nach rechts waren alle nach
Laparotomien konstatiert worden, die Verschiebungen nach links bis auf
eine — nach vaginalen Operationen mit Ablösung der Blase. Ich
glaube nun, daß auch dieser Befund nichts Zufälliges darstellt, sondern
durch die Technik der Abhebung bedingt ist. Ich gehe davon aus,
daß der rechte Zeigefinger zum Abschieben benutzt wird. Der mit dem
rechten Zeigefinger die Blase stumpf abschiebende Operateur wird
spontan die von ihm aus links gelegene Blasenhälfte besser und gründ-
licher abstoßen, als die dem rechten Zeigefinger nicht so bequem
liegende, vom (Operateur aus rechts haftende Blasenhälfte.e So kommt
es, daß bei vaginalen Operationen die tatsächliche (von der Frau aus
gerechnet) rechte Blasenhälfte besser und gründlicher, bei Laparotomien
dagegen die linke genauer und tiefer abgehoben wird. Die Blase fällt
also bei solchem Vorgehen nach vaginalem Abschieben mehr nach links,
nach abdominalem Operieren mehr nach rechts. So läßt sich vielleicht
die verschiedenartige Verschiebung der Blase erklären.
Schlußfolgerungen.
1. Wie ein roter Faden zieht sich durch unsere Beobachtungen die
immer wiederkehrende Motivierung der postoperativen Blasenver-
änderungen durch die Septizität des Falles selbst, d. h. durch schon
vor der Operation bestehende chronische, subakute oder gar akute Ent-
zündung der Beckenorgane. Die Beschaffenheit des Falles selbst ist
ätiologisches Hauptmoment. Man wird gut tun, angesichts der viel-
fachen und erheblichen Blasenveränderungen nach Operationen ent-
zündlicher Adnexerkrankungen bei der Indikationsstellung recht vor-
sichtig zu sein und, wie aus anderen bekannten Gründen, so auch
mit Rücksicht auf die Blase solche Frauen erst dann zu operieren,
wenn keine manifeste entzündliche Reaktion mehr vorhanden ist, wenn
die Exsudate gehärtet und geschrumpft, die Adhäsionen abgelagert und
das ganze Krankheitsbild sich der sterilen, aseptischen und abakteriellen
Form genähert hat. Dann wird man die Operation durch keine stören-
den Blasenerkrankungen allzu teuer erkauft haben.
2. Wie bei allen gynäkologischen Erkrankungen, so achte man
namentlich bei den entzündlichen Genitalerkrankungen darauf, daß `
die so häufig an der Entzündung Anteil nehmende Blase vor der
Operation genügend gewürdigt und ihrer Behandlung die nötige Be-
achtung geschenkt wird. Ist sie nicht sicher und dauernd ausgeheilt,
sondern der Prozeß nur beruhigt und latent, so gibt die Operation zur
Aufflackerung der Blasenerkrankung und oft zu schweren Veränderungen
der Blase Veranlassung. Arzt und Patientin haben dann das Nach-
sehen.
3. Neben‘ der Septizität des Falles und der selbstverständlichen
Schädlichkeit des Katheterismus bilden die den Uterus direkt fixieren-
298 Dr. Wladislaus Falgowski. Über zystoskopische Befunde usw.
den — abdominalen sowie vaginalen — Operationen eine Quelle
schwerer Blasenstörungen und objektiver Blasenveränderungen. Hier
ist die anatomisch falsche Blaseneinlagerung der schuldige Faktor. Es
drängt sich uns hierbei unwillkürlich der Vergleich auf mit unseren
Alexander- Adam -Operationen, nach denen wir an unserem zahl-
reichen Material fast niemals Blasenstörungen nachweisen konnten, aus-
genommen natürlich die Fälle, wo vorher besonders schwierige Verlötungen
des Uterus oder der Adnexe gelöst werden mußten. Die Alexander-
Adamsche Operation an sich ist auch bezüglich der Blase der denkbar
schonendste und günstigste Eingriff zur Beseitigung der Retrodeviation
— Grund genug, um auch an dieser Stelle für diese ungefährliche und
zweckdienliche Operation eine Lanze zu brechen.
4. So fern es uns liegt, an dieser Stelle für die vaginale Operations-
methode einzutreten, so wollte ich doch nicht unterlassen, den un-
berechtigten Vorwurf zurückzuweisen und zu widerlegen, den man oft
der vaginalen Öperationsart gemacht hat: daß sie nämlich Blasen-
schädigungen begünstige. Wenn wir unsere zystoskopischen, also doch
wohl genügend objektiven Befunde nach abdominalen und vaginalen
Operationen miteinander vergleichen und unsere Fälle nach dieser
Richtung übersehen, so kommen wir zu dem Resultat, daß die vaginalen
Operationen keine größere Gefahr für die Blase bedeuten, als die
Laparotomien, daß vielmehr unter ätiologisch gleichen Umständen, z. B.
bei gleicher Septizität der Fälle, nach Laparotomien sogar häufiger
Blasenveränderungen nachgewiesen werden konnten, als nach vaginalen
Operationen.
Das Organisationskomitee des V. Internationalen geburtshilflich-
gynäkologischen Kongresses bittet uns, mitzuteilen, daß es dem von der
Mehrzahl der ausländischen und russischen Gynäkologen ausgesprochenen
Wunsche entsprechend, beschlossen hat, seine Tätigkeit wieder aufzu-
nehmen und den Kongreß für den 19.—24. (6.—11.) September 1910
nach Petersburg zu berufen.
Das Komitee hofft, daß die Kollegen aller Länder durch ihre Mit-
wirkung an den Arbeiten des Kongresses zur Erreichung eines möglichst
vollen Erfolges beitragen werden.
Die Programmthemata und alle weiteren Einzelheiten werden in
kurzer Zeit veröffentlicht werden. Der Vorsitzende des Organisations-
komitees ist Prof. D. von Ott, St. Petersburg, Wassiliewski Ostrow,
vis-à-vis de l'Université 3, Generalsekretär Prof. P. v. Sadovsky;
St. Petersburg, Perspective de Newsky 90.
Zeitschrift für gynäkologische Urologie
1909 Band 1 Nr. 6
Experimentelle Untersuchungen über Reflexe auf die Blase und
über die gegenseitigen reflektorischen Beziehungen zwischen
Harnapparat und Uterus.
Von
Privatdozent Dr. E. Kehrer, Heidelberg.
In einem Vortrag auf dem Gynäkologenkongreß in Straßburg be-
richtete ich über die reflektorischen Beziehungen, die ich zwischen Uterus
und einer Reihe anderer Organe und peripheren Nerven experimentell
feststellen konnte. Ich erwähnte u. a., daß die Uterusbewegungen ab-
hängig sein können von denen der Blase, insofern als mechanische
und chemische Reize der Blasenwand reflektorisch Uteruskontraktionen
auslösen. Seitdem habe ich nicht nur den Reflexen von Blase und
Ureteren auf den Uterus, sondern auch denen vom Uterus auf die
Blase weitere Beachtung geschenkt. Die Ergebnisse der in allen denk-
baren Varianten ausgeführten Experimente sollen hier mitgeteilt werden.
Über die Versuchsanordnung fasse ich mich kurz unter Verweisung
auf eine ausführliche, demnächst im Archiv für Gynäkologie erscheinende
Arbeit. Die Tiere wurden in Narkose zum Zweck der künstlichen Re-
spiration tracheotomiert und nach dem Vorgang des englischen Physio-
logen Sherrington dezerebriert, d. h. nach vorausgegangener Trepa-
nation geschah durch einen bis zur Basis cranii gehenden Schnitt eine
Trennung des Gehirns von den tiefer gelegenen Abschnitten des C. N. S.
Dadurch war das Tier lediglich auf Medulla und Rückenmark angewiesen,
und die Reflexe erfuhren eine wesentliche Steigerung. Das so vor-
bereitete Tier wurde in einer Wanne mit physiologischer Kochsalzlösung
oder Ringerscher Flüssigkeit laparotomiert. Der Uterus schrieb seine
Bewegungen auf der rotierenden Trommel des Kymographion auf.
Die Kenntnis der Art der Uterusbewegungen darf ich nach meinen
früheren Arbeiten wohl als bekannt voraussetzen. Gehen wir aus von
den mehr weniger regulär in Form von Pendelbewegungen und konti-
nuierlich auftretenden automatischen Kontraktionen, so erfahren diese,
ganz allgemein gesagt, bei irgendwelchen an der Blase oder den Ure-
teren gesetzten Reizen eine Veränderung. Entweder erfolgt eine Er-
regung: der Tonus der Muskulatur steigt, die Kontraktionen werden
stärker und vielleicht auch schneller, oder es tritt eine Hemmung ein:
der Tonus sinkt, die Bewegungen werden schwächer und seltener oder
hören für längere Zeit vollkommen auf.
Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 21
300 Dr. E. Kehrer.
Werden größere Mengen von indifferenter Flüssigkeit, von Wasser
oder physiologischer Kochsalzlösung, mit einer Spritze in die Harnblase
injiziert, so daß eine Ausdehnung und Wandspannung erfolgt, so stehen
die Uterusbewegungen für lange Zeit still, ja der Uterus kann viele
Stunden lang, solange der Versuch überhaupt dauert, in vollkommener
Ruhe verharren. In einigen Fällen aber erfolgte nach längerer Zeit eine
beträchtliche Verkleinerung der Blase sowie eine erneute Tätigkeit der
Uterusmuskulatur; dann trieb die Blase ihren Inhalt durch die Urethra
aus, und diese Blasenkontraktionen erzeugten reflektorisch solche des
Uterus. Ä
Werden Blasenkontraktionen ausgelöst durch Kneifen der Wand
der leeren oder mäßig gefüllten Harnblase mit der Klemme oder der
Pinzette, so erfolgt gleichzeitig eine Verstärkung der Uterusbewegungen.
Werden chemische Reizmittel in kleinen Mengen in die Blase injiziert:
Eisenchlorid- oder Ferropyrinlösungen oder einprozentige Silbernitrat-
lösungen, so erfolgt gleichzeitig mit der Verdickung und dem Erblassen
der Blasenwand eine langanhaltende intensive Verstärkung der Uterus-
kontraktionen.
Um jeden Zweifel an der wirklichen Kontraktion der Blase in diesen
Fällen auszuschließen, habe ich die Versuchsanordnung noch exakter
und einwandsfreier dadurch gestaltet, daß ich von der Bauchhöhle oder
durch die Urethra in die Blase eine graduierte Pipette von 1 cem In-
halt, in Y,oo geteilt, nach Art eines Manometers einband und sie mit
physiologischer Kochsalzlösung oder Ringerscher Flüssigkeit füllte. Aus
dem Steigen oder Sinken des Flüssigkeitsspiegels war die Kontraktion
oder Erschlaffung der Blase ebensogut wie die graphische Registrierung
der Uterusbewegungen erkennbar.
Daß bei dieser Versuchsanordnung eine Berührung zwischen Blase
und Uterus vermieden werden muß, ist eine selbstverständliche Forde-
rung. Diese läßt sich entweder dadurch erfüllen, daß vor dem Versuch
das Blasenperitoneum mit einem Faden an einer benachbarten Haut-
stelle locker fixiert wird, oder daß man das Tier senkrecht in eine
nach Art eines hohen, viereckigen Kastens gebaute Zinkblechwanne
aufstellt. |
Auch durch mechanische und chemische Reizung eines oder beider
Ureteren ließ sich prompt eine Verstärkung der Uterusbewegungen er-
zielen, am besten bei Injektion eines !/, ccm einer fünfprozentigen Ar-
gentum nitricum-Lösung.
Auf Dilatation eines Ureters durch Wasser oder physiologische
Kochsalzlösung erfolgte fast stets eine Hemmung, ausnahmsweise eine
Erregung der Uterusbewegungen. Diese Versuchsresultate sind also
nicht ganz so konstant, wie bei der Blase. Eine Reflexwirkung aber
blieb auch hier niemals aus.
Es folgt aus den angegebenen Versuchen, daß Dilatation der
Blase und Ureteren reflektorisch eine Hemmung der Be-
wegungen, eine Erschlaffung des Uterus, Kontraktion der
Experimentelle Untersuchungen über Reflexe auf die Blase usw. 301
Blase und Ureteren dagegen eine Erregung der Uterusbewe-
gungen herbeiführt. Das erstgenannte Phänomen ist der experimen-
telle Beleg für die bekannte Tatsache, daß im Wochenbett bei lange ge-
füllter Harnblase eine Erschlaffung, Neigung zu Blutung und ungenügende
Rückbildung des Uterus erfolgt. Ich glaube, daß die puerperale und
manch andere Reklination, Retroversion und Retroflexion des Uterus
. durch die reflektorische Parese der Uterusmuskulatur erklärt werden kann.
Es lassen sich auch Reflexe vom Uterus auf die Blase
nachweisen. Bindet man eine mit physiologischer Kochsalzlösung
gefüllte Glaskanüle, wie oben angegeben, in die Blase ein und reizt
man den Uterus mechanisch oder chemisch durch Injektion einiger
Tropfen Silbernitratlösung, so steigt der Flüssigkeitsspiegel momentan
und intensiv bei jedem Reiz.
Wird ein Uterushorn durch Injektion mehrerer Kubikzentimeter
körperwarmer indifferenter Flüssigkeit gedehnt, so steigt der Flüssig-
keitsspiegel des Blasenmanometers niemals, er bleibt vielmehr für längere
Zeit auf konstanter Höhe, oder er sinkt: die Blase ist erschlafft.
Plötzliche Uterusausdehnung führt demnach reflektorisch
zur Erschlaffung der Blase. Mechanisch oder chemisch aus-
gelöste Uteruskontraktionen bewirken auch Kontraktionen
der Blasenmuskulatur.
Für die nun erwachsende Aufgabe, die Nervenwege festzustellen,
die bei den gegenseitigen reflektorischen Beziehungen zwischen uro-
poetischen und Generationsorganen in Anspruch genommen werden, ist
die Kenntnis der Anatomie und Physiologie der Nerven beider Gebiete
unerläßliche Voraussetzung.
Die Topographie der Blasen- und Uterusnerven läßt sich zusammen-
fassend behandeln. Es sind zwei Nervenpaare, die gleichzeitig die Inner-
vation beider Organe besorgen. Der dritte zu einem Beckenorgan
ziehende Nerv, der N. spermaticus, innerviert lediglich den oberen Teil
des Uterus, die Tuben und Ovarien.
Der N. hypogastricus entspringt von dem an der Abgangsstelle
der. A. mesenterica inferior von der Aorta gelegenen Ganglion mesen-
tericum inferius, welches vom vierten bis sechsten Lumbalganglion des
Grenzstrangs Zweige erhält. Der Nerv zieht prävertebral vor der Aorta
herunter und teilt sich auf dem Promontorium in zwei Züge, die
längs der hypogastrischen Blutgefäße zwischen A. iliaca communis und
Vorberg, direkt unter dem Bauchfell, ins kleine Becken hinuntersteigen.
Er mischt sich mit Nervenzweigen aus dem fünften Lumbalganglion und
dem ersten bis dritten Sakralganglion des sympathischen Grenzstranges und
zieht zum Frankenhäuserschen Zervikalganglion, zu den Ganglien des Plexus
vesicalis, sowie direkt zum Rektum, zum Uterus, zur Harnblase, zu den
Ureteren und Beckengefäßen. Er teilt sich nach Langley-Andersons
Untersuchungen in zwei Stränge: der größere, mehr ventral gelegene
Ast innerviert Blase und Uterus, der dünnere dorsale, „akzessorische“
Zweig versorgt hauptsächlich Rektum und Sphincter ani internus.
21*
302 Ä Dr. E. Kehrer.
Der -N. pelvicus oder erigens entspringt aus dem Sakralmark und
zwar aus der zweiten bis vierten Sakralwurzel, und zieht unter den Vasa
haemorrhoidalia media im basalsten Abschnitt des sakro-uterinen Liga-
ments in die Tiefe. Er formiert, mit dem Hypogastrikus zusammen, den
Beckenplexus, resp. die Frankenhäuserschen Ganglien und den Plexus
vesicalis.
Während der Hypogastrikus dem sympathischen System im engeren
Sinne (Langley) angehört, ist der Pelvikus dem sakral-autonomen
System (Langley) zuzurechnen. Beide werden als autonome Systeme
im allgemeinen bezeichnet, da ihnen eine gewisse Selbständigkeit in
der Innervation zukommt.
Zu dem Hypogastrikus und Pelvikus gesellen sich weitere nervöse
Elemente in den lokalen Ganglien der Blasengegend hinzu. Wir
teilen dieselben mit Roith in zwei Gruppen: die im paravesikalen Binde-
gewebe gelegenen Ganglien des Plexus vesicalis, die wohl identisch sind
mit den äußeren und inneren Vesikalganglien von de Lee, Franken-
häuser und Ph. Jung, und die Ganglien der Blasenwand selbst.
Unsere physiologischen Kenntnisse über die Blase und Uterus ver-
sorgenden Nerven sollen hier nur insoweit besprochen werden, als sie
sich auf die Blase beziehen. Die wichtigsten Tatsachen aus der Phy-
siologie der Uterusbewegungen dürfen bei den Gynäkologen wohl als
bekannt vorausgesetzt werden.
Blasenkontraktionen (Zusammenziehungen des Detrusor
vesicae) wurden beobachtet:
1. Von Gianuzzi (1863) nach Reizung des Rückenmarks in Höhe des unteren
Teiles des dritten Lumbalwirbels und nach Reizung der Sakralnerven. Die ersteren
blieben aus nach vorheriger Durchschneidung des Hypogastrikus oder der aus den
oberen sympathischen Sakralganglien zum Hypogastrikus ziehenden Nervenfasern, wor-
aus geschlossen wurde, daß motorische Fasern vom Lumbalmark sowohl durch das
Ganglion mesentericum inferius, als auch durch die Sakralganglien zur Blase ziehen.
2. Von Budge (1864) nach Reizung der vorderen Wurzel der dritten und vierten
Sakralnerven und der Nn. hypogastrici, sowie nach elektrischer Reizung des ganzen
Rückenmarks, vorzugsweise des unteren Lumbalmarks.
3. Von Cyon nach Reizung der Sakralnerven.
4. Von Bechterew und Mieslawsky nach Reizung der Hirnrinde und be-
sonders des Gyrus sigmoides.
5. Von Sokownin (1877) nach elektrischer Reizung der Sakralwurzeln, der
Hypogastrizi, der Pedunculi cerebri und der oberen Teile des Rückenmarks von Katzen.
Reizung des Halsrückenmarks war effektlos nach Durchschneidung der hypogastrischen
Nerven, aber noch von motorischer Erregung begleitet nach vorgängiger Durch-
schneidung sämtlicher Kreuzbeinwurzeln, resp. des Rückenmarks am siebenten Lenden-
wirbel. Die motorischen Impulse des Gehirns sollen demnach die Blase sowohl auf
dem Wege der Kreuzbeinnerven, als auch vermittelst der Hypogastrizi erreichen.
6. Von Nußbaum (1879) nach Reizung der ersten bis dritten vorderen Sakral-
wurzeln sowie des Ganglion mesentericum inferius und des Hypogastrikus. Die mo-
torischen Rückenmarksnerven der Blase finden sich nach Nußbaum in der ersten
und ganz besonders in der zweiten und dritten vorderen Sakralwurzel. Die motorischen
sympathischen Nerven verlassen das Rückenmark unterhalb des dritten Lendenwirbels
und laufen teils zum Ganglion mesentericum inferius und le teils zu den
Ganglien des Grenzstrangs.
Experimentelle Untersuchungen über Reflexe auf die Blase usw. 303
7. Von Langley (1895) nach elektrischer Reizung der zweiten bis sechsten
Lumbalganglien. Diese beziehen ihre motorischen Fasern aus dem ersten bis fünften
Lumbalnerven und verlaufen zu den unteren Mesenterialganglien, von denen die Hypo-
gastrizi entspringen. Reizung der übrigen Ganglien der sympathischen Grenzstrang-
kette war ohne Effekt auf die Blase.
8. Von Nawrocki und Skabitschewsky (1891) nach elektrischer Reizung der
peripheren Abschnitte der vierten und fünften vorderen Lendenwurzeln, die im Wirbel-
kanal aufgesucht und durchschnitten wurden. Dieser Effekt blieb aus nach der Durch-
trennung der Hypogastrizi. Auch vom Halsmark, vom Lendenteil des Grenzstrangs,
von den die Lumbalganglien des Grenzstrangs mit dem Ganglion mesentericum infe-
mus verbindenden, als Nn. mesenterici superiores, medii und inferiores bezeichneten
Nervenfasern, sowie von den Hypogastrizi und der zweiten und dritten vorderen Sakral-
wurzel waren Blasenkontraktionen nach Reizung mit Induktionsströmen zu erhalten.
Auf Reizung zwischen sakralen und lumbalen Grenzstrangganglien wurde ein moto-
rischer Effekt auf die Blase vermißt.
Nach diesen Versuchen erreichen die motorischen Nerven die Blase vom Rücken-
mark aus auf zwei Wegen: Oberer Weg: Rückenmark — vierte und fünfte vordere
Lumbalwurzeln — Rami communicantes — Lendenteil des Grenzstrangs — Fasern
zwischen lumbalen Grenzstrangganglien und unterem Mesenterialganglion — Ganglion
mesentericum inferius — N. hypogastrici — Plexus vesicalis — Blase. — Unterer
Weg: Rückenmark — zweite und dritte vordere Sakralwurzeln — N. pelvici —
Plexus vesicalis — Blase.
9. Von Sherrington nach elektrischer Reizung des zweiten bis fünften Lumbal-
nerven.
10. Von Langley-Anderson nach Reizung des oberen Teils der Lumbalnerven.
Die Kontraktionen waren am stärksten an der Basis, nahe dem Uretereneintritt. Bei
Reizung der Lumbalnerven einer Seite erfolgte bilaterale Wirkung, und zwar gleich-
starke Kontraktion auf beiden Seiten infolge Kreuzung der Nervenfasern in den unteren
Mesenterialganglien.
Die motorischen Fasern verlaufen vom Lumbalmark durch den Hypogastrikus
zur Blase; nach Durchschneidung des letzteren bleibt ein erregender Effekt bei Rei-
zung der lumbal-sympathischen oder lumbal-spinalen Nerven in der Regel aus. In
den Ausnahmefällen, in denen Kontraktionen der Blase beobachtet werden, ziehen die
motorischen Fasern aus dem Aortenplexus oder aus dem sechsten Lumbalganglion zur
Blase hin.
Langley-Anderson widerlegen nach mannigfachen Versuchen die Theorie,
daß die Lumbalnerven Kontraktion der zirkulären, nicht der longitudinalen äußeren
Muskelfasern, und die Sakralnerven umgekehrt nur Kontraktionen der Längsmuskulatur
erzeugen sollen. Sie fanden in Übereinstimmung mit Griffith, daß Kontraktion aller
Muskelbündel der Blase, der zirkulären, schiefen und longitudinalen, sowohl bei Rei-
' zung des Hypogastrikus, resp. der Lumbalnerven, wie des Pelvikus, resp der Sakral-
nerven erhalten wird.
Langley fahndete besonders auch nach der Existenz hemmender Fasern für
die Blase in den Lumbalnerven uud im Hypogastrikus. Er führte durch die Urethra
einen Tubus in die Blase ein und verband ihn mit einer mit Salzlösung gefüllten
Burette. Bei Reizung des peripheren Endes des Hypogastrikus oder der Lumbalnerven
erfolgte meist ein Sinken des Flüssigkeitsspiegels, also eine Abnahme des Blaseninhalt-
drucks nach vorübergehendem geringen, durch die Reizung selbst bedingten Anstieg.
Bei direkter elektrischer Blasenreizung konnte er aber die durch diese Versuche nach-
gewiesene Existenz hemmender Blasenfasern im Hypogastrikus nicht bestätigen. Nie-
mals erfolgte eine deutliche Erschlaffung. So erklären Langley-Anderson: „An
der Existenz spärlicher hemmender Fasern für die Blase im Hypogastrikus ist nicht
zu zweifeln; ihre Tätigkeit kann aber nur eine geringe sein.‘
Die Literaturübersicht zeigt uns, daß die Nerven der Harnblase
dem sympathischen Nervensystem im engeren Sinne sowie dem sakralen
304 Dr. E. Kehrer.
autonomen System Langleys angehören. Die obere oder sympathische
Nervenbahn für die Blase verläuft im N. hypogastricus. Die Fasern
ziehen vom Lumbalmark zu den unteren Lumbalnervenwurzeln, durch
die Rami communicantes zum sympathischen Grenzstrang und von hier
zum Ganglion mesentericum inferius, von dem die Hypogastrizi ent-
springen, die zu den Ganglien des Plexus vesicalis und von da zur
Blase gelangen. In dieser Bahn laufen in zentrifugaler Richtung moto-
rische, vasomotorische und einzelne hemmende Fasern und zentripetal
sensible Fasern. Die motorischen Nerven kreuzen sich in den unteren
Mensenterialganglien, denn auf Reizung eines Hypogastrikus erfolgt
gleichstarke Kontraktion der Blasenwand auf beiden Seiten. Der Be-
weis für die Existenz sensibler Fasern ist, wie ich an anderer Stelle
ausführlicher berichten werde, dadurch erbracht, daß selbst das groß-
hirnlose Tier auf Durchschneidung des Hypogastrikus mit intensiven
Schmerzäußerungen antwortet.
Die spinalen efferenten Blasennerven, die Nn. pelvici oder erigentes,
entstammen dem Sakralmark. Sie sind nach den übereinstimmenden
Untersuchungen von Budge, Sokownin, Nawrocki-Skabitschewsky,
Sherrington und Langley-Anderson, die an Hund, Katze, Kanin-
chen und Affe vorgenommen wurden, im zweiten bis vierten Sakral-
nerven enthalten, und endigen in den Ganglien des Plexus vesicalis,
derart, daß, wenigstens nach den Untersuchungen von L. R. Müller,
spinale Fasern zur Blase selbst nicht gelangen. In dieser unteren, von
der Seite an die Blase herantretenden Nervenbahn verlaufen motorische,
vasomotorische und sensible Fasern zur Blase. Reizung der Nn. pelvici
oder der Sakralwurzeln einer Seite führt zu ausgesprochen unilateraler
Kontraktion der Blase, während auf der Gegenseite nur eine sehr
schwache Zusammenziehung erfolg. Eine Kreuzung der Fasern, wie
im unteren Mesenterialganglion bei den Lumbalfasern, erfolgt hier nicht.
Wenn aber nun auch zahlreiche Versuche den unwiderleglichen
Beweis erbracht haben, daß die Blasenfunktionen im Experiment ab-
hängig sind von den Nn. hypogastrici und pelvici und von den ver-
schiedensten Teilen des Rückenmarks, so haben andererseits die Ver-
suche von v. Zeißl, L. R. Müller und Roith unzweideutig gezeigt,
daß die Blase auch nach Durchschneidung der beiderseitigen Hypogastrizi
und Pelvizi (v. Zeißl) oder nach Zerstörung des als übergeordnetes
Reflexzentrum gedeuteten Lumbalmarks (L. R. Müller) ohne nennens-
werte Störungen weiter funktioniert. Damit stimmen die Erfahrungen
nach der erweiterten Karzinomoperation, bei der mit der Ausräumung
des Beckenbindegewebes in der Regel eine Isolierung der Blase von vielen
ihrer Nervenverbindungen erfolgt, überein. Was Rein für den Uterus be-
wiesen hatte, haben die genannten Autoren für die Blase gezeigt: die Blasen-
entleerung erfolgt im wesentlichen automatisch durch die in der Blasen-
wand oder in ihrer nächsten Umgebung gelegenen Gangliengruppen. Den
Reflexbogen konstruiert Müller von den sensiblen Blasennerven über
die Ganglien des Plexus vesicalis zu den motorischen Blasennerven.
Experimentelle Untersuchungen über Reflexe auf die Blase usw. 305
Nach Kenntnis der Anatomie und Physiologie der Blasen- und
Uterusnerven ist die Untersuchung des Reflexbogens zwischen uro-
po6tischen und Genitalorganen nun möglich. Ein Ausbleiben der Re-
flexe ist denkbar nach Durchschneidung der verschiedenen Nervenpaare,
die Blase und Uterus versorgen, sowie nach der Exstirpation des Gan-
glion mesentericum inferius. Auf Einzelheiten bei diesen Versuchsserien
will ich nicht eingehen. Es wurden die verschiedenen Nervenpaare in
den möglichen Variationen durchschnitten, und dann die Prüfung der
Reflexe nach Anbringung der oben besprochenen Reize in Blase oder
Uterus vorgenommen. Zusammenfassend kann ich sagen, daß nach
bilateraler Durchschneidung der Pelvizi oder der Hypoga-
strizi, ja sogar nach Ausschaltung beider Nervenpaare, die
Reflexe zwischen Blase, Ureteren und Uterus keine Einbuße
erfahren. Nur nach Durchschneidung aller Sakralwurzeln — einer
immerhin etwas eingreifenden Operation — sind die Reflexe sehr
schwach, was, wie ich glaube, durch Chokwirkung erklärt werden kann.
Will man die nach Ausschaltung der Pelvizi und Hypogastrizi
noch bestehenbleibende Reflexwirkung erklären, so muß man Reflexe
annehmen, die sich — ganz allgemein gesagt — in der Umgebung von
sympathischen Ganglien oder in diesen selbst abspielen. Man muß
entweder postganglionäre oder präganglionäre Axonreflexe im Sinne von
Langley oder Reflexe supponieren, die durch die Frankenhäuserschen
Zervikalganglien, resp. die Ganglien des Plexus vesicalis ihren Weg
nehmen. Von postganglionären Axonreflexen redet Langley,
wenn sich ein Reflex von einem Zweig eines von einer peripheren
Nervenzelle abgegebenen Axons auf einen andern Zweig desselben ohne
Passage des Ganglions überträgt. In diesem Falle würde der Reflex
z. B. von der Blase zentripetal auf einem Zweig des Hypogastrikus
verlaufen, ohne das Ganglion mesentericum inferius zu erreichen, und
auf einem anderen Ast des Hypogastrikus zum Uterus gelangen. Diese
postganglionären Reflexe dürften aber schon deswegen abzulehnen sein,
weil sie nach Langley selbst „nur einen sehr kleinen Bezirk beein-
flussen“, während hier zwischen Harnblase und Uterus doch recht aus-
gedehnte Beckenbindgewebsräume liegen. Präganglionäre Axon-
reflexe entstehen dann, wenn die präganglionäre Faser sich teilt und
Zweige zu den einzelnen am Reflex beteiligten Ganglien sendet. Dann
würde der Reflex von der Blase aus einer präganglionären Faser des
Hypogastrikus zentripetal folgen, an einer Teilungsstelle der Faser zen-
trifugalwärts auf einen anderen Zweig derselben Hypogastrikusfaser,
die eine Ganglienzelle im Ganglion mesentericum inferius umspinnt,
überspringen und, in dieser Ganglienzelle umgestaltet, auf der von ihr
peripherwärts ziehenden postganglionären Faser zum Uterus gelangen.
Endlich ist eine Übertragung der Erregung von sensiblen auf motorische
Fasern denkbar lediglich durch Vermittlung der sympathischen
Ganglien des Plexus vesicalis. Einen solchen Reflexmechanismus
nehmen auch L. R. Müller, Gaule, Griffiths, v. Zeißl und Roith an.
306 Dr. E. Kehrer.
Es gibt noch andere Reflexe innerhalb des sympathischen Nerven-
systems: die sog. „gekreuzten Reflexe“. Sokownin, Nawrocki-
Skabitschewsky und Nußbaum fanden, daß elektrische Reizung
des zentralen Stumpfs des einen N. hypogastricus Kontraktion der
Blase auf der entgegengesetzten Seite verursacht. In Übereinstimmung
damit sahen Langley-Anderson neben der kontralateralen Blasen-
zusanımenziehung noch Kontraktion des Sphincter ani internus, Erblassen
der Rektalschleimhaut, Erblassen und Kontraktion des Uterushorns, der
Jervix und Vagina der Gegenseite. Die Angaben dieser Forscher über
sekreuzte Reflexe kann ich bestätigen. Auch ich fand nach mecha-
nischer Reizung eines zentralen Hypogastrikusstumpfs Kontraktion des
gegenseitigen Uterushorns und der gegenseitigen Blasenhälfte. Während
die russischen Forscher aber auf Grund der Versuche dem sympathi-
schen Ganglion mesentericum inferius eine reflektorische Funktion, die
Rolle eines Reflexzentrums zuschreiben, deutet Langley die kontra-
laterale Wirkung als einen präganglionären Axonreflex.
Meinen Experimenten über die reflektorischen Beziehungen zwischen
Blase und Ureteren einerseits und dem Uterus andererseits, sowie über
die gekreuzten Reflexe innerhalb des autonomen Systems reihen sich
weitere Versuche über Reflexe von peripheren Nerven auf die
Blase an. Auf mechanische Reizung des Ischiadikus konnte ich stets
reflektorische Blasenkontraktionen erhalten. Zusammenziehungen der
Blase und des Uterus wurden auch veranlaßt durch plötzliche Abkühlung
oder Erwärmung der Tiere, also durch thermische Reizung der Haut-
nerven. Damit stimmt die bekannte Beobachtung, daß bei plötzlichen
Abkühlungen Urindrang zu entstehen pflegt, überein. Ich habe diese
Versuche nur auf wenige Rückenmarksnerven ausgedehnt, da durch die
Untersuchungen älterer Autoren bereits bewiesen ist, daß durch Reizung
aller sensiblen Rückenmarksnerven Reflexbewegungen der
Blase sowie des Uterus erhalten werden können!). Damit ist die
alte Behauptung Budges, man könne nur von den Gefühlsnerven der
Blase selbst, nicht aber vom Splanchnikus und Trigeminus Blasenkon-
traktionen auslösen, definitiv widerlegt. Nur der Vagus veranlaßt nach
den Untersuchungen von F. A. Kehrer, Sokownin, Nußbaum und
Geer Mee _—
1) Die reflektorischen Blasenkontraktionen auf mechanische und besonders elek-
trische Reizung der zentralen Enden durchschnittener sensibler Nerven konstatierte
Bert für den Ischiadikus, Medianus, Infraorbitalis, Sokownin für Ischiadikus, Kruralis
und Splanchnikus, Nawrucki-Skabitschewsky für den Medianus, Kruralis, Ischia-
dikus, Infraorbitalis, Auricularis magnus, Splanchnikus sowie den Grenzstrang des Sym-
pathikus, Nubbaum für Ischiadikus, Kruralis und Medianus und endlich Mosso und
Pellacani für eine Reihe weiterer sensibler Nerven.
Die Reizung des zentralen Endes des Ischiadikus, Ulnaris, Medianus, Radialis,
Phrenikus und Splanchnikus hatte in v. Zeißls Versuchen sowohl Sphinktererschlaffung
als auch Detrusorkontraktion ausgelöst. Nur nach beiderseitiger Splanchnikusreizung
war ein motorischer Effekt auf die Blase zu erhalten; er blieb aus nach Durch-
schneidung der Hypogastrizi und Pelvizi. Vom zentralen Ischiadikusstumpf aus wurde
auch nach Durchschneidung der Hypogastrizi noch Kontraktion des Detrusors der Blase
erhalten.
Experimentelle Untersuchungen über Reflexe auf die Blase usw. 307
Na WrTocki-Skabitschewsky keine reflektorischen Blasenkontraktionen,
wenn auch Öhl bei seinen Versuchen an Hunden sie gesehen haben wollte.
Die Reflexbewegungen der Blase auf Reizung irgend. eines sen-
siblen Nerven erfolgen aber nicht nur — wie Nawrocki-Skabi-
‚schewsky erklären — solange das Gehirn mit dem Rückenmark in
erbindung bleibt, oder solange die Großhirnhemisphären intakt sind,
sondern auch — wie unsere Versuche zeigen — nach erfolgter Dezere-
bration. Mit der alten Annahme, es existiere im Gehirn ein Bewegungs-
zentrum für die Blase, muß somit definitiv gebrochen werden.
Wir fassen die Resultate der mitgeteilten Experimente in folgende
Sätze zusammen:
. 1. Zwischen Blase und Ureteren einerseits und dem Uterus anderer-
seits bestehen wechselseitige reflektorische Beziehungen.
2. Dilatation der Blase und Ureteren bewirkt reflektorisch eine
Hemmung der Uterusbewegungen.
3. Dieses Phänomen ist der experimentelle Beleg für die bekannte
Tatsache, daß bei lange gefüllter Harnblase Parese, Neigung zu Blu-
tungen und ungenügende Rückbildung des puerperalen Uterus erfolgt.
Auch die puerperalen Retrodeviationen des Uterus können zum Teil auf
diese Weise erklärt werden.
4. Kontraktionen der Blase und Ureteren führen zur Verstärkung
der Uterusbewegungen.
5. Umgekehrt tritt auf plötzliche Ausdehnung des Uterus Er-
schlaffung der Blase und
6. auf eine durch mechanische oder chemische Reizmittel hervor-
gerufene Uteruserregung eine Verstärkung der Blasenkontraktionen auf.
7. Alle Reflexe zwischen uropoätischen und Generationsorganen
bleiben auch nach Durchschneidung der Blase und Uterus versorgenden
Nervenpaare: der Pelvizi und Hypogastrizi, bestehen.
8. Der Reflex zwischen Blase, Ureteren und Uterus spielt sich dem-
nach im autonomen Nervensystem des kleinen Beckens ab. Eine Ent-
scheidung darüber, ob präganglionäre oder postganglionäre Axonreflexe
im Sinne Langleys im Spiele sind, oder ob die Reflexe durch die Franken-
häuserschen Ganglien, resp. die Ganglien des Plexus vesicalis verlaufen,
konnte bei der außerordentlichen Kompliziertheit und Feinheit der Nerven-
verhältnisse im Becken bis jetzt nicht erbracht werden.
9. Im autonomen System erfolgen auch gekreuzte oder kontralaterale
Reflexe: nach elektrischer oder mechanischer Reizung des zentralen
Hypogastrikusendes einer Seite erfolgt Kontraktion der Blasenhälfte und
des Uterushorns der Gegenseite.
10. Reizung irgend eines sensiblen Rückenmarksnerven, einschließlich
der Hautnerven, ruft reflektorisch Bewegungen der Blase und des Uterus
hervor.
11. Die Reflexbewegungen von peripheren Nerven aus erfolgen —
entgegen den Angaben früherer Untersucher — auch nach Ausschaltung
des Gehirns.
308 Dr. E. Kehrer. Experimentelle Untersuchungen über Reflexe auf die Blase usw.
1.
2.
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Über den Zusammenhang zwischen Funktionsstörung der Niere
und Kochsalzinfusion.
Von
Dr. med. M. Kawasoye (Paipeh, Formosa).
Die subkutane Infusion der Kochsalzlösung ist eine Therapie, welche
wir öfters anwenden, um die Blutmenge zu ersetzen, die toxischen
Substanzen des Blutes zu verdünnen und auf diese Weise das Blut zu
regenerieren; ferner benutzen wir die diuretische Wirkung, um die
Harnausscheidung zu fördern.
Ich habe einst zufällig zwei Patientinnen, welche Schwangerschafts-
niere, hochgradiges Ödem und dabei sehr wenig Urin hatten, mit der
subkutanen Kochsalzinfusion behandelt. Wider Erwarten wurde dadurch
aber das Ödem stärker, die Harnmenge noch geringer, und schließlich
starben mir beide Frauen. Diese beiden Fälle erregten bei mir Zweifel,
ob die Methode der subkutanen Infusion von Kochsalzlösung wirklich
zweckmäßig sei.
Rose und Vedel (Des Injections intraveneuses et sous-coutan6es
d’eau saló dans le traitement des infections et des intoxications. Revue
de medicine, Vol. XVII et XVII) behaupteten, daß bei schweren Infek-
tionsfällen die subkutane Infusion der Kochsalzlösung die Ausscheidung
des Harns nicht fördert.
In der Abhandlung: „Über den Kochsalz- und Wasserstoffwechsel
der Nieren“ (Mediz. Klinik, 1906, Heft 1 und 2) teilt Jochmann mit,
daß bei Nierenkrankheiten mit Ödem die subkutane Infusion der Koch-
salzlösung die Ausscheidung des Kochsalzes erst recht verringert und
das Ödem verstärkt.
Leopold (Über die Einwirkung von Salzen auf Nieren in Tier-
experimenten. Zeitschrift für klin. Medizin, Bd. 60) meint, daß Koch-
. salz auf die Niere eine Reizwirkung ausübt.
Rössler (Berl. klinische Wochenschrift, Nr. 37, 1907; Gibt es
Schädigungen durch Kochsalzinfusionen?) hat gefunden, daß für Patienten
mit primärer Herzschwäche die subkutane Infusion der Kochsalzlösung
eine Kontraindikation ist. Bei der Sektion hat er festgestellt, daß Auf-
lockerung des Herzmuskels, akute parenchymatöse Nephritis, intraperi-
toneales Exudat und dünnflüssiger Inhalt im Darm vorhanden sind. |
Nach der Lektüre obiger Autoren wurden meine Zweifel noch
größer, und so stellte ich Tierversuche an, um dieses Problem aufzu-
310 Dr. M. Kawasoye.
klären; aber diese Versuche beschränkten sich nicht nur auf Tiere,
sondern erstreckten sich auch auf menschliche Körper. Auch erschien
es mir wünschenswert, die von Cramer angeregte Diskussion über den
Zusammenhang des Ödems und der Kochsalzentziehung bei meinen
Untersuchungen mit zu berücksichtigen. Da die völlige Ausarbeitung
des Themas noch sehr viel Zeit erfordern wird, so will ich heute nur
die Resultate der Versuche mit Kaninchen mitteilen.
Ich wählte fünf gesunde Kaninchen (nur männliche; da bei weib-
lichen Kaninchen, die möglicherweise trächtig sind, die Resultate un-
genau ausfallen könnten). Ich gab ihnen eine bestimmte Diät, ermittelte
die Harnmenge und die Chlormenge im Harn von zehn Tagen. Schließ-
lich bestimmte ich die Chlormenge im Blute, das ich von der Carotis
communis entnommen hatte.
Tabelle I.
e E ` EE EE e
Menge der | Blutentnahme
ere Na. Cl- nach der | Blutmenge | Chlormenge
SEH Lösung | Infusion in
I 1155 g 250 ccm 2 Stunden 33 g 0,22036 °/,
II 1419,, oo. lib 39 „ 0,2307 „
m 1255 „ 00. dio o n 34.6, 0,205 ,,
IV 676 „, 560 „ an 22,2 „ 0,2183 „
y 1062 ,„ oo. lio 17,6, 0,1033 „,
Die Harnmenge betrug innerhalb 24 Stunden durchschnittlich 38,5 g
(Maxim. 42 g, Minim. 35,5 g). Diese Menge umfaßt die nach vorheriger
Entleerung der Harnblase in 24 Stunden im Zylinder aufgefangenen
Harnmenge, mit dem durch Drücken der Blase ausgedrückten Rest.
Darin waren durchschnittlich 0,0426 g Cl, im Blut 0,1835, Cl. ent-
halten (Maxim. 0,2641 °/,, Minim. 0,1411°/,). Nachdem auf diese Weise
der Chlorgehalt bestimmt war, wählte ich fünf männliche Kaninchen,
welche mit den vorigen fast gleiches Körpergewicht hatten und injizierte
ihnen 100 cem einer 0,9 °% igen Kochsalzlösung subkutan. In 24 Stunden
betrug durchschnittlich die Harnmenge 116 ccm, die darin enthaltene
Chlormenge 0,4813 g. Es wurde hierbei festgestellt, daß die
Menge des injizierten Kochsalzes durch die Niere ausgeschie-
den wird. Da ich nunmehr bestimmen wollte, von wann an das Koch-
salz im Blute retiniert wurde, so veränderte ich, wie in der Tabelle I
angegeben, die Infusionsmenge des Kochsalzes und das Zeitintervall nach
der Infusion bis zur Blutentnahme und bestimmte den Chlorgehalt im Blut.
Aber wie aus der Tabelle ersichtlich ist, konnte weder durch Ver-
änderung des Zeitintervalls, noch durch Veränderung der Menge der
Kochsalzlösung eine Differenz der Chlormengen im Blute bei den inji-
zierten und den nicht injizierten Tieren bemerkt werden.
Aus diesen Versuchen ergibt sich also, daß das subkutan
Über den Zusammenhang zwischen Funktionsstörung der Niere usw. 311
eingeführte Chlornatrium hauptsächlich durch die Nieren aus-
geschieden wird, ferner, daß diese Ausscheidung sehr schnell
stattfindet, in ca. 30 Minuten. Nachdem diese Tatsache feststand,
wollte ich ermitteln, ob das Chlorsalz beim Durchgang durch die Niere,
wie Leopold meint, schädigend auf die Niere wirkt.
Ich gab daher vier Kaninchen jedesmal 200 ccm einer 0,9°/,igen
Kochsalzlösung und zwar je zweimal durch subkutane Infusion. Nach
1/,, 1, 11/,, 2 Stunden der Infusion wurden die Tiere geschlachtet und
anatomisch untersucht. Gleichzeitig wurden gesunde Kaninchen, welche
mit Kochsalz subkutan nicht behandelt waren, zum Vergleich seziert.
Diese Kontrolluntersuchungen ergaben makroskopisch, daß die Tiere,
welche sofort nach der Infusion getötet waren, keine bemerkenswerten
Veränderungen aufwiesen. Alsdann wurden Herz, Leber, Niere mit
Formalin fixiert, in Zelloidin eingebettet, geschnitten, mit Hämatoxylin-
eosin gefärbt und mikroskopisch untersucht. Es konnte aber keinerlei
Unterschied mit dem Resultat des Kontrollversuchs gefunden werden.
Dieses Ergebnis scheint darauf hinzuweisen, daß die Theorie, wo-
nach Kochsalz selbst auf die Niere schädigend einwirkt, nicht richtig ist.
Mit anderen Worten: gesunde Nieren besitzen die Funktion, das ins
Blut eingeführte Kochsalz schnell auszuscheiden; man kann sogar sagen,
daß selbst große Mengen an Kochsalz beim schnellen Passieren der
Niere keinerlei schädliche Reizwirkung auf letztere ausüben.
Die obigen Ergebnisse beziehen sich nur auf Versuche mit gesunden
Tieren. Deshalb schien es mir von großer Wichtigkeit, festzustellen, in
welcher Weise dieses Agens auf unvollkommen funktionierende Nieren
einwirkt. Während bisher die Forscher bei solchen Untersuchungen
den Harn untersuchten, habe ich direkt die Chlormenge im Blute
ermittelt.
Tabelle II.
Blutentnahme
nach der
Blutmenge Chlormenge
. Zunächst war es nötig, zu erforschen, in welcher Weise — bei
künstlich geschädigten Nieren — die im Blute befindlichen Chlormengen
verändert werden. Da durch Urannitrat die Tiere in kurzer Zeit dahin-
gerafft werden, so konnte ich dieses Agens für so langdauernde Ver-
suche nicht verwenden.‘ Ich habe daher hauptsächlich Kantharidin-
lösung nach Liebreich benutzt. Ich injizierte damit ein Kaninchen
subkutan und verwendete nur solche Tiere zur weiteren Untersuchung,
312 Dr. M. Kawasoye.
bei denen der Harn Eiweißreaktion und Zylinder zeigte. Es wurden
50 ccm einer 0,9°%,igen Kochsalzlösung subkutan durch Infusion den
auf obige Weise künstlich geschädigten Tiere gegeben (das Minimal-
quantum des ersten Versuchs). Drei Stunden nach der Infusion (also
Maximalzeit des ersten Versuchs) wurde das Blut durch die Carotis com-
munis entnommen und darin die Chlormenge ermittelt. Ich erhielt hier-
bei die in Tabelle II aufgezeichneten Zahlen.
Hiernach scheint bei künstlich geschädigten Nieren die Chlormenge
im Blut ersichtlich vermehrt zu werden; mit anderen Worten: der Ver-
such besagt, daß die geschädigte Niere die Ausscheidung des subkutan
eingeführten Kochsalzes nicht bewältigt, so daß Kochsalz im Blute reti-
niert wird. Wenn man also annimmt, daß infolge Ansammelns des
Kochsalzes im Blut das Gewebe ödematös wird, so wird bei gestörter
Nierenfunktion, eine subkutane Infusion des Kochsalzes nicht rätlich sein.
Da ich weiter ermitteln wollte, wie geschädigte Niere nach Infusion
großer Mengen von Kochsalz sich verändern, so injizierte ich einigen
Kaninchen Kantharidinlösung und gab ihnen vier bis fünf Tage lang
durch Infusion jedesmal zweimal am Tage 100 ccm Kochsalzlösung
von 0,9%.
Am dritten Tage wurde das Tier stiller, zeigte keinen Appetit und
bekam Durchfall; am vierten Tage wurde es vier Stunden nach der
letzten Infusion seziert.
Es zeigte sich hierbei, daß der ganze Körper (besonders deutlich
der Rumpf) intensives subkutanes Ödem aufwies; beim Schneiden quollen
große Mengen klarer Flüssigkeit aus. Ferner enthielt die Bauchhöhle
große Mengen klarer Flüssigkeit; in der Brusthöhle fand ich nur geringe
Menge Exsudat vor. Das Flüssigkeitsquantum des Herzbeutels war deut-
lich vermehrt; der Herzmuskel schwach gefärbt und reich an Flüssig-
keit; die Leber dunkelrot gefärbt, die Schnittfläche blutreich; die Milz
unverändert. Was die Nieren anbetrifft, so war die Kapsel sehr leicht
abziehbar; die Schnittfläche blutreich; die Rindensubstanz ein wenig ge-
trübt. Die Grenzschicht der Marksubstanz war stark dunkelrot gefärbt.
Die Schnittfläche zeigte überall starken feuchten Glanz. Der Darm
enthielt große Mengen von Flüssigkeit. In der Blase fand ich ge-
trübten Harn.
Ich fixierte Niere, Leber und Herz mit Formalin, wandte die Zel-
loidineinbettung an, stellte daraus Schnitte her und färbte dieselben mit
Hämatoxylineosin.
Bei der mikroskopischen Untersuchung von Herz und Leber war
keine bemerkenswerte Veränderung zu sehen. In der Niere bestand die
Hauptveränderung in der Vergrößerung, unregelmäßigen Konfiguration
und Trübung der Epithelien in den gewundenen Kanälchen. Das Proto-
plasma zeigte unregelmäßige Struktur und der Kern war nicht gut zu
färben. In dem Lumen vieler Kanälchen fanden sich geronnene Eiweib-
massen, Zylinder, weiße und rote Blutzellen. Die Kapillargefäße waren
ziemlich erweitert und prall gefüllt.
Über den Zusammenhang zwischen Funktionsstörung der Niere usw. 313
Wenn man also die Niere schädigt und große Mengen Kochsalz-
lösung subkutan einführt, so entstehen subkutan starke Ödeme, Exsudate
in der Bauchhöhle und im Darm, Ödem an Herzmuskeln und Niere usw.
Meine Versuche lehren demnach, daß
1. gesunde Nieren das im Blut befindliche Kochsalz rasch aus-
scheiden, |
2. gesunde Nieren durch die Kochsalzlösung selbst nicht gereizt
oder geschädigt werden,
3. geschädigte Nieren nicht imstande sind, das Kochsalz im Blut
vollständig auszuscheiden, so daß eine Retention von Chlor im Blute
entsteht,
4. bei geschädigten Nieren vor der subkutanen Infusion der Koch-
salzlösung gewarnt werden muß.
Funktionelle Diagnostik der Blase mittels des Zystoskops.
Von
Dr. Richard Knorr, Frauenarzt in Berlin.
Der Zweck dieser vorläufigen Mitteilung ist der, auf eine neue
Methode der Zystoskopie hinzuweisen, die, soweit meine bisherigen
Beobachtungen dartun, geeignet zu sein scheint, das Anwendungsbereich
der zystoskopischen Diagnostik zu erweitern, indem sie Licht in ein
noch dunkles Gebiet der Blasenpathologie bringen dürfte, nämlich die
Lehre von den nervösen und muskulären Störungen mit Erkrankungen
dieses Organes.
Das Prinzip dieser neuen Untersuchungsmethode ist ein sehr ein-
faches, und es ist eigentlich auffällig, daß man nicht schon früher darauf
kam. Meines Wissens ist bis jetzt keine gleiche oder ähnliche Vor-
schrift zur Untersuchung der Harnblase gegeben worden, und auch die-
jenigen Forscher, die in letzter Zeit sich mit der Pathologie der Blasen-
muskulatur, insbesondere mit den trabekulären Veränderungen derselben
beschäftigten, wie Böhme!) und Asch?), scheinen, wie aus ihren
Arbeiten hervorgeht, ihre zystoskopischen Untersuchungen lediglich in
der seither üblichen Art und Weise vorgenommen zu haben.
Das wesentliche der neuen Untersuchungsmethode besteht darin,
daß man im Gegensatz zu dem bisher ausschließlich befolgten Verfahren,
die durch Wasser oder Luft entfaltete Blasenwand im Stadium der
Dilatation und Ruhe, der motorischen Erschlaffung zu besichtigen, die
Blase im Zustande ihrer Tätigkeit, nämlich während der Kontraktion
der Muskulatur oder wenigstens unmittelbar nach der Arbeit, nach der
Blasenentleerung, wenn noch ein Teil der Kontraktionsveränderungen der
Wand besteht, zystoskopisch betrachtet.
Bisher wurde von allen Zystoskopikern gemäß der Vorschrift
Nitzes die Blase stets möglichst entfaltet, da nur so die Betrachtung
der Schleimhaut zweckmäßig vorgenommen werden kann. Man vermied
ebenso eine zu geringe Füllung, wie eine stärkere Dehnung der Blase
und verwendete meist eine mittlere Menge zwischen 150 ccm und 300 cem.
Im ersteren Falle empfand man störend das Zusammenfallen der Wände
sowie die geringe Exkursionsmöglichkeit für das Zystoskop und fürchtete
ı) Böhme, Die Balkenblase als Frühsymptom bei Tabes dorsalis. Münch. med.
Wochenschr., 1908, Nr. 50.
3) Asch, Die Erkrankungen der Harnblasenmuskulatur. Münch. med. Wochen-
sohr., 1909, Nr. 7.
Funktionelle Diagnostik der Blase mittels des Zystoskops. 315
Verbrennungen der Blasenwand, im letzteren Falle, bei stärkerer Auf-
füllung der Blase, wurden leicht Schmerzen und heftiges Dranggefühl
bei der Patientin hervorgerufen. Trat gar eine Kontraktion der Mus-
kulatur ein, so wurde dies als unerwünschte Störung angesehen, die
eine sofortige Unterbrechung der Zystoskopie nötig machte, falls man
nicht eine unfreiwillige warme Dusche über sich ergehen lassen wollte.
Die Untersuchung mit mittierer Blasenfüllung ist und bleibt das
Normalverfahren bei der Zystoskopie und genügt, solange man ledig-
lich die Veränderung der Schleimhaut sowie die Verhältnisse anı
Ureterostium studiert. Es hat sich mir aber im Laufe der Jahre immer
mehr das Unzureichende der bisherigen Methode aufgedrängt, je öfter
ich sah, daß es mir mit derselben nicht gelang, in Fällen von ausge-
sprochener Blasenstörung zystoskopisch Veränderungen der Blase nach-
zuweisen. Solche Patientinnen zeigten mitunter auch keinerlei Ver-
änderungen des Harnes, die man hätte verantwortlich für die starken
Beschwerden machen können, und auch nervöse Ursachen waren aus-
zuschließen. Eine lokale Erkrankung der Blase war in hohem Grade
wahrscheinlich, und doch ergab die zystoskopische Untersuchung an-
scheinend normale Verhältnisse. Besonders ist dies der Fall da, wo
nervöse oder muskuläre Erkrankungen dieses Organes vorhanden sind,
die sich in den mannigfachsten Formen äußern können. Bald handelt
es sich um Fälle mit Ischurie, bald um solche mit vehementem Harn-
drang, Tenesmen, dann aber gehören hierher die Inkontinenz der Blase
und die Enuresis. Gerade bei diesen letzteren Formen, die eine Qual
für Patienten und Arzt bilden können, ist das Ergebnis der Zystoskopie
meist ein negatives. In der gewöhnlichen Weise vorgenommen, gibt sie
keinerlei Aufschluß über den Zustand der Blasenmuskulatur und ihre
Kontraktionsverhältnisse, und so komnit es, daß man meist geneigt ist,
in Fällen von Insuffizienz den Sphincter internus als den allein schul-
digen Teil zu bezichtigen. Gar manche vergebliche Operation, mancher
therapeutische Mißerfolg ist auf dieses Konto zu setzen.
Aur Prüfung der Motilität der Blase, zur Feststellung des Zustandes
des muskulären Apparates empfehle ich nun folgendes Verfahren.
Zunächst wird die Blase in der gewöhnlichen Weise bei mittlerer
Füllung — bei Frauen 200—300 cem — zystoskopiert.
Hierauf fülle ich die Blase noch weiterhin so lange, als die Patientin
es verträgt, bis ein deutliches Dranggefühl entsteht, und stelle die ma xi-
male Füllungsmenge fest. Eine zweite Zystoskopie in diesem Augen-
blicke kann gelegentlich zweckmäßig sein, ist aber für gewöhnlich
nicht nötig.
Alsdann fordert man die Patientin auf, den ganzen Blaseninhalt
zu entleeren. Dazu ist meistens nötig, daß man sie aufstehen läßt und
daß sie ungestört und unbeachtet die Miktion verrichten kann. Um
nach der Harnentleerung möglichst wenig Zeit verstreichen zu lassen,
ist das Verlassen des Untersuchungszimmers nicht angängig, hinter
Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 22
316 Dr. Richard Knorr.
einer Schirmwand erledigt sich diese Prozedur neben dem Untersuchungs-
stuhl stets ganz prompt.
Hierauf muß sich die Patientin sofort, ohne daß Zeit verloren
wird, auf den Untersuchungsstuhl legen, es wird der Katheter eingeführt
und die noch in der Blase, trotz angeblich vollständiger Entleerung
zurückgebliebene Flüssigkeitsmenge aufgefangen und später gemessen
(Residualharn).
Alsdann wird in die Blase eine kleine Menge Borsäurelösung.
ca. 50—80 cem, eingespritzt und das Zystoskop eingeführt.
Diese letzteren Manipulationen müssen sehr rasch ausgeführt werden.
damit sich von dem Kontraktionszustand der Blase möglichst wenig
ändert.
Irgendwelche Schwierigkeiten macht diese Art der Untersuchung
nicht, auch ist die Zystoskopie in der nur wenig gefüllten Blase für
die Patientin weder schmerzhaft noch gefährlich, seitdem wir in der
Lage sind, die „kalten“ Metallfadenlampen zu benutzen. Wie man sich
leicht überzeugen kann, ist es möglich, die glühende Zystoskoplampe
ohne jeden Schmerz längere Zeit zwischen den Fingern zu halten. Man
könnte sogar mit dem modernen Zystoskop in der nahezu leeren weib-
lichen Blase untersuchen, ohne nennenswerte Beschwerden hervor-
zurufen, wenn man nur kurz dabei verfährt, wie ich bereits feststellen
konnte.
Selbstverständlich wird man auch bei geringer Füllung die Zysto-
skopie nicht zu lange ausdehnen und vor allem nirgends lange an der
Blasenwand mit dem Schnabel des Instrumentes verweilen.
Wenn man nun in dieser Weise die Blase besichtigt, gewahrt man
gegenüber der zuerst vorgenommenen Zystoskopie große Unterschiede.
Die ganze Blase erscheint mehr rot und weniger glänzend als vorher,
sie ist hyperämischer. Die Schleimhaut ist, da sie weniger gespannt
ist, dicker, blutreicher; es fehlt der Gegendruck der Füllflüssigkeit.
der eine gewisse Anämie und Blässe vorher erzeugt hatte. Die obere
Wand, die bei der ersten Zystoskopie weiter entfernt vom Prisma lag.
erscheint jetzt sehr nahe, konvex nach unten vorgewölbt und in der
Mitte schr hell und vergrößert. Nach rechts und links hinten ziehen
sich die seitlichen Taschen als dunkle, sich verjüngende Räume hin.
Das Trigonum verändert sich weniger, doch erscheint es hyperämischer
und der Urethralwulst springt stärker hervor.
Vor allem aber fällt auf, daß -die Blase etwas weniger glatt er:
scheint. Außer größeren, durch die Nachbarorgane, wie Uterus oder
Darnschlingen, erzeugten Einstülpungen und kleineren schmalen Falten-
bildungen der Wand sind es hauptsächlich Veränderungen der Musku-
latur des Detrusors, die nunmehr sichtbar werden.
Und zwar sind es zweierlei Arten derselben, nämlich,
l. die kontrahierten Muskelbündel des Detrusors,
2. davon gänzlich verschieden im Aussehen, trabekulärt
Funktionelle Diagnostik der Blase mittels des Zystoskops. 317
Veränderungen, Bilder, wie man sie bei Balkenblase zu
sehen bekommt.
Diese Veränderungen sind in verschiedener Stärke und Ausdehnung
bei den meisten von mir untersuchten Fällen konstatiert worden, unter
20 beliebig ausgesuchten Fällen fehlten sie nur zweimal und our drei-
mal waren sie schwächer angedeutet.
Was die Muskelkontraktionen anlangt, so geben diese ein sehr
charakteristisches Bild. Es sind meist auf der oberen Wand der Blase
längliche, mitunter parallel verlaufende Wülste,. die sich aus kleineren
spindelförmigen, stark ins Lumen vorspringenden, vielfach gekrümmten
Vorsprüngen bestehen. Oft sind sie auch ganz unregelmäßig dicht
nebeneinander liegend. Man erkennt leicht, daß es sich um veränder-
liche, sich bewegende muskuläre Gebilde handelt.
In fünf Fällen waren sie außerordentlich stark entwickelt, die Kon-
traktion bildete sich erst langsam zurück, in anderen Fällen waren sie
schwächer. Das Phänomen ist ein flüchtiges, man muß deshalb rasch
nach der Blasenentleerung untersuchen. In den seitlichen Teilen und
im Basfond sind diese Muskelkontraktionen weniger ausgesprochen zu
sehen.
In einem Teil der Fälle waren dieselben überhaupt nicht zu sehen,
sei es, daß die Kontraktionen bereits aufgehört hatten, sei es, daß sie
überhaupt schwächer verlaufen waren und deshalb sich nicht durch die
Schleimhaut hindurch markierten.
Viel häufiger als diese ohne weiteres als normal physiologisch zu
bezeichnenden Detrusorkontraktionen sah ich aber bei meinen Unter-
suchungen mit der neuen Methode Bilder wie bei Balkenblase. Daß
derartige trabekuläre Veränderungen leichteren Grades bei Frauen nicht
selten sind, war mir längst bekannt, auch Stoeckel, Henckel,
Zangemeister, Böhme und Asch berichten darüber. Daß sie aber
so häufig zu sehen sind (unter 20 Fällen 18 mal, darunter 7 mal sehr
ausgesprochen), war mir neu.
In einigen der Fälle sah man die trabekulären Veränderungen bei
mittlerer Füllung als zarte weiche Streifen angedeutet, nach der Harn-
entleerung traten sie dann in der schwach gefüllten Blase in deutlich-
ster Weise hervor.
Auffällig war, daß die Trabekeln vorzugsweise in den seitlichen
Taschen, besonders an den tiefsten nach hinten und außen gelegenen
Teilen derselben zu finden waren. Waren sie an anderen Stellen, wie
am Basfond oder an der oberen Wand, so waren sie doch hier am
stärksten entwickelt. In zwei Fällen waren sie so hochgradig, wie ich
sie kaum vorher gesehen habe, ebenso deutlich wie in dem Falle von
Balkenblase bei Tabes, den Bierhoff in meiner Poliklinik untersuchte
und beschrieb!). In vier Fällen waren tiefe Divertikel, oft multipel, zu
sehen, die ebenfalls mit Balken versehen waren.
u Bierhoff, Dermatolog. Zentralbl., 1900, Nr. 8.
318 : Dr. Richard Knorr.
Ein eigentümliches Bild boten die Fälle, in denen man neben dem
typischen Trabekelnetz noch die gewöhnlichen Detrusorkontraktionen
sah, wobei der große Unterschied in Form und Aussehen zwischen
beiden Erscheinungen recht deutlich zutage trat. Erstere sind konstante,
. stets in derselben Konfiguration auch bei mehrfachen Untersuchungen
immer in der gleichen Form auftretende Bildungen, während letztere
ungemein wechselnd sind in der Art, wie eine Wellenbewegung, die
über eine Wasserfläche läuft. Erstere zeigen ein starres, sehniges Aus-
sehen, letztere sind rundlich und weich in den Formen.
Was nun die Deutung dieser Befunde und ihre Verwertung für
die Diagnose anlangt, so muß ich sagen, daß dieselbe nicht ganz leicht
ist. Zur völligen Erklärung ist eine größere Anzahl von Untersuchungen,
insbesondere auch pathologischer Fälle, und zwar nach der von mir an-
gegebenen Methode, notwendig. |
Meine Erfahrungen sind noch lange nicht abgeschlossen, und ich
erhoffe von der Nachprüfung und Verwendung dieses Verfahrens seitens
anderer Untersucher manche neue Aufschlüsse.
Von den 20 von mir untersuchten Fällen waren nur in vier Fällen
Blasenbeschwerden vorhanden,
einmal bei Prolaps und Diabetes,
einmal bestand Inkontinenz, Retroflexio,
zweimal Cystitis colli, und zwar
einmal mit Strietura urethrae und
einmal mit Ischurie aus unbekannter Ursache, die übrigen Fälle
waren symptomlos
und trotzdem waren fast bei allen Fällen trabekuläre Verände-
rungen zu schen (in 18 von 20 Fällen!).
Merkwürdigerweise waren sie in dem Falle von Strictura urethrae
bei weitem nicht so stark entwickelt, wie in einigen Fällen ohne jeg-
liche Blasenbeschwerden. Am stärksten war die Balkenbildung bei einer
jugendlichen Gravida, die keinerlei Blasensymptome zeigte. Zeichen von
Tabes, die ja gewiß die wichtigste Ursache für Balkenblase abgibt,
waren in keinem Falle vorhanden. Selbst wenn man der Meinung ist,
daß in dem einen oder anderen dieser Fälle erst nach Ablauf längerer
Zeit eine Tabes in Erscheinung treten wird, daß wir es also mit einem
Frühsymptom dieser Erkrankung zu tun hätten, würde damit nur für
einen oder den anderen Fall eine Erklärung gegeben sein, aber nicht
für die größere Mehrzahl.
Da die hauptsächlichsten Ursachen für Balkenblase, nämlich peri-
pheres Hindernis (Striktur, Prostatahvpertrophic) oder Tabes, bei meinen
Fällen nieht in Frage kommen, könnte man eine myogene oder neuro-
gene Entstehung annehmen, wie dies bereits Albarran?!) und neuer-
dings Asch?) für viele Fälle tun.
Letzterer glaubt, daß in manchen Fällen die Atrophie eines Teiles
') Albarran, Annal. genito-urinaires, 1908, Nr. 21.
"Asch, Lu
Funktionelle Diagnostik der Blase mittels des Zystoskops. 319
der Blasenmuskulatur das Primäre ist und die Trabekelblase eine kom-
pensatorische Arbeitshypertrophie darstellt. Albarran und Lydston!')
hatten tatsächlich bei ihren, zur Autopsie gekommenen Fällen neben
sklerotischen Veränderungen fettige Degeneration der Blasenwandung
gefunden.
= Gewiß trifft diese Erklärung für manche Fälle zu, doch für die
Mehrzahl der bei Frauen so häufig gefundenen und durch meine Methode
sicher noch häufiger zu konstatierenden Trabekelblasen möchte ich eine
andere und zwar folgende Erklärung annehmen.
Bekanntlich hat die weibliche Blase bei geringer Füllung auf dem
Durchschnitte eine Sichelform. Zu beiden Seiten bildet sich ein nach
hinten verlaufender, sich verjüngender Rezessus. Am ausgesprochensten
ist dies in dem zweiten bis vierten Graviditätsmonate zu beobachten,
aber auch in der übrigen Zeit ist infolge der Impression von seiten des
‘Uterus diese Formation der Blase vorhanden. Nun konnte ich fast in
allen Fällen von trabekulären Veränderungen, die ich in zehn Jahren
bei mehreren Tausend Zystoskopien sah, fast stets konstatieren, daß
dieselben seitlich, und zwar meist zirkulär um die äußersten Enden der
seitlichen Taschen sich erstreckten. Die wenigen Fälle von universeller
trabekulärer Hypertrophie, von echter Balkenblase bei Tabes nehme ich
hier aus.
Tritt bei Frauen eine Urinentleerung ein, so kommt es nicht wie
beim Manne zu einer konzentrischen Kontraktion eines ziemlich kugel-
förmigen Hohlmuskels, sondern es tritt vor allem die obere Wand nach
unten und die Blase wird mehr in ihrem frontalen und vertikalen Durch-
messer verkleinert, während dies im transversalen weniger der Fall ist.
Zur Verkleinerung der seitlichen Rezessus ist eine erhöhte Arbeits-
leistung nötig, diese führt zu einer kompensatorischen Muskelhyper-
trophie.
Damit erklärt sich wohl am besten die konstante Lokalisation der
Trabekeln an den seitlichen Rezessus, sowie das so häufige Vorkommen
dieser Bildungen gerade bei Frauen. Inwieweit puerperale oder senile
oder entzündliche Prozesse dabei mitwirken und warum in dem einen
Fall die Erscheinungen so intensiv, im anderen nur leicht angedeutet
sind, diese Fragen sollen spätere Untersuchungen aufklären.
Dabei wäre auch auf das Vorkommen von Residualharn zu
achten. In vier von meinen Fällen war diese bislang wenig beachtete,
sicher aber sehr bedeutungsvolle, für die Zystitisätiologie und Prognose
wichtige Anomalie vorhanden.
Auch der Einfluß von Lageveränderungen der Sexualorgane und
der Blase ist ein großer. Mehrere Fälle hatten Prolapsus vaginae und
/,ystozele.
Obwohl ich oft bei Prolapsen Trabekeln fand, so sah ich sie fast
nie im Zystozelentrichter, sondern auch hier immer seitlich innerhalh
') Lydston, Journ. of Ent. and genit.-urinary discas., 1902, S. 456.
320 Dr. Richard Knorr. Funktionelle Diagnostik der Blase mittels des Zystoskops.
des Beckens. Die Zystozele ist eben einer Kontraktion nur in geringem
Grade fähig.
Ich will hier nicht weiter auf dieses gewiß wichtige und inter-
essante Kapitel eingehen und möchte nur noch auf den Wert der neuen
Methode für die Erforschung der Blasenpathologie hinweisen.
Nach meinen Untersuchungen scheint es wahrscheinlich,
daß die trabekulären Veränderungen in der weiblichen Blase
etwas sehr Häufiges sind, viel häufiger als man bisher an-
nahm, und durchaus nicht immer die pathologische Dignität bean-
spruchen können, die man ihnen zumeist zuweist.
Ihre Entstehung verdanken sie vielfach einfachen mechanischen
Momenten, die in der Konfiguration der weiblichen Blase liegen. In
höheren Graden entwickelte Trabekeln sind der Ausdruck stärkerer
funktioneller Störungen.
Manche Fälle von sogar hochgradigen trabekulären Veränderungen
werden bei der sonst üblichen Untersuchung übersehen und werden
erst bei meiner Methode manifest.
So habe ich in einem Falle, der mir wegen Ischurie und lang-
jähriger Blasenbeschwerden zugeschickt wurde und bei dem ich mittels
gewöhnlicher Zystoskopie normale Verhältnisse diagnostizierte, erst bei
Anwendung meines Verfahrens die ausgesprochensten Trabekel und tiefe
Divertikel gefunden.
Auch aus der Form, Größe, Anwendung und Dauer der gewöhn-
lichen Detrusorkontraktionen werden sich voraussichtlich noch mancher-
lei Schlüsse auf die Funktionstüchtigkeit der Blase ziehen lassen.
Das neue Verfahren wäre meiner Ansicht nach zweckmäßig neben
gewöhnlicher Zystoskopie, Urethroskopie und Harnuntersuchung in allen
den Fällen anzuwenden, bei denen es auf die Erforschung der Motilität
und Kontraktilität der Blase ankommt, also
1. bei allen motorischen Störungen, wie Insuffizienz, Enuresis,
Ischurie, auch puerperaler,
. bei Schrumpfblase, Parazystitis, Perizystitis,
. bei Trabekelblase, Divertikelblase,
. bei postoperativen Schädigungen der Blase,
. bei senilen, atheromatösen und atrophischen Prozessen der Mus-
kulatur,
6. bei Neurosen der Blase.
Außer dieser Motilitätsprüfung ist in solchen Fällen noch zu be-
stimmen: die Kapazität der Blase, der Innendruck, die Menge des Resi-
dualharnes und vor allem auch der Zustand des Nervensystems. Erst
mit Zuhilfenahme aller dieser Untersuchungsmethoden ist im einzelnen
Falle eine genaue Diagnostik ermöglicht und mit der Zeit eine genauere
Kenntnis der muskulären und nervösen Blasenerkrankungen zu erwarten.
Oe u bi
(Aus der Universitätsfrauenklinik Erlangen, Professor Dr. Jung.
Über Incontinentia urinae!).
Von
Dr. Ernst Engelhorn, Assistent der Klinik.
Die Frage der Incontinentia urinae ist in allen den Fällen, in
welchen lokale Schädigungen des Verschlußapparates der Blase und
ihrer Umgebung für den unwillkürlichen Harnabgang verantwortlich
gemacht werden können, eine einfache; denn mit der Auffindung der
gesetzten Schädigung haben wir den Grund des Harnträufelns gefunden.
Viel komplizierter in ihrer Erklärung sind die Fälle von sogenannter
essentieller Inkontinenz, bei denen wir einen anatomisch intakten, aber
nicht richtig funktionierenden Verschlußapparat der Blase finden.
Zu dieser Krankheitsgruppe ist in erster Linie die Enuresis
nocturna zu rechnen, für deren Zustandekommen nach den eingehen-
den Untersuchungen von Sieber aus der Marburger Frauenklinik ein
Reizzustand des Detrusors, der auf einer allgemeinen Hypertonie des
Sympathikus beruht, verantwortlich zu machen ist.
Hierher gehören ferner die Fälle von sogenannter Reflexinkonti-
nenz, wo nach Abtragung einer hypertrophischen Klitoris und eines
verdickten oberen Hymenalsaumes das vorher bestehende Harnträufeln
verschwand.
Früher, wo eine eingehende lokale Untersuchung des Harnapparates
aus Mangel an entsprechenden Instrumenten unmöglich war, lief mancher
Fall von Inkontinenz unter dem Namen einer hysterischen. Mit Ein-
führung des Urethro- und Zystoskops wurde die Diagnose der hysterischen
Inkontinenz entschieden eingeschränkt, doch ist unzweifelhaft zuzugeben,
daß es Fälle gibt, für deren Entstehung die Hysterie verantwortlich
gemacht werden muß.
So hat neulich Rißmann fünf Fälle von Blasenbeschwerden der
unangenehmsten und heftigsten Art (in einem Falle bestand Incontinentia
urinae) ohne jeden zystoskopischen Befund beschrieben, in denen er
durch rein psychische Behandlung unter gleichzeitiger Darreichung von
Balsamika Heilung erzielte. Rißmann glaubt deshalb vor der allzu
raschen Anwendung des Zystoskops und Harnleiterkatheters warnen zu
dürfen.
1) Nach einem am 3. Juli in der Fränkischen Gesellschaft für Geburtshilfe und
Gynäkologie gehaltenen Vortrag.
322 Dr. Ernst Engelhorn.
In der Erlanger Frauenklinik sind vor einiger Zeit zwei Fälle von
= Incontinentia urinae zur Aufnahme und Behandlung gekommen. Ich
gebe hier einen kurzen Auszug aus den Krankengeschichten.
Fall I.
Fräulein Barbara R., 43 Jahre alt, Periode alle drei Wochen, regelmäßig,
schwach. Nie ernstlich krank. Seit einem Jahr besteht heftiger Harndrang, so daß
die Patientin alle 10—15 Minuten Wasser lassen muß; beim Husten, Lachen, Niesen
und geringen körperlichen Anstrengungen, wie Heben von Körben usw., geht der Urin
tropfenweise ab. Zeitweise ist das Wasserlassen mit Schmerzen verbunden. Die
gynäkologische Untersuchung ergab: Nullipara deflorata, Scheide ziemlich eng, Portio
an normaler Stelle, Uterus anteflektiert, klein, beweglich. Adnexe ohne Besonderheiten.
Orificium externum der Urethra ohne Besonderheiten. Die Zystoskopie ergab:
Die Scheidenschleimhaut des Trigonum ödematös geschwellt und wenig diffus gerötet ;
die übrige Blasenschleimhaut ohne Besonderheit. Urin frei von Eiweiß und Zucker.
vollkommen klar. Die Prüfung der Reflexe ergab ein Fehlen des Augenbindehaut-
und Gaumensegelreflexes, der Patellarreflex ziemlich lebhaft. Mit Rücksicht auf die
weringe Veränderung der Blasenschleimhaut, die das zystoskopische Bild ergab und `
die gefundenen Veränderungen der Reflexe, wurde die Diagnose auf nervöse Blasen-
beschwerden bei leichter Cystitis colli gestellt. Da der behandelnde Arzt die Patientin
zu Blasenspülungen in die Klinik geschickt hatte, und sich Patientin von diesen viel
versprach, wurde sie acht Tage lang mit Blasenspülungen behandelt, doch ohne jeden
Erfolg. Es wurde hierauf zweimal eine Ätzung des Collum mit 2°/, Argentumlösung
gemacht, der Zustand besserte sich so sehr, daß die- Patientin nur noch alle zwei Stun-
den Wasser lassen mußte. Beim Husten, Lachen, Niesen wurde ein Abgang von Urin
nicht mehr bemerkt. Die Zystoskopie ergab vollkommen normale Verhältnisse.
Fall I.
Frau Anna F., 30 Jahre alt, II. p., letzte Geburt vor fünf Jahren, regelmäßig
menstruiert, nie ernstlich krank. Seit dem vierten Monat der letzten Schwangerschaft
vor fünf Jahren kann die Patientin beim Gehen und Arbeiten den Urin nicht mehr
halten, auch beim Husten, Niesen und geringer Anstrengung der Bauchpresse geht
der Urin tropfenweise ab. Die gynäkologische Untersuchung ergab: Damm 2 cm hoch,
Vulva leicht klaffend, Scheide weit, kein Deszensus der vorderen Vaginalwand, Portio
an normaler Stelle, Corpus uteri beweglich, Adnexe ohne Besonderheiten. Der Urin
enthält zahlreiche weiße krümlige Fibrinflocken und vereinzelte Leukozyten, kein
Eiweiß und Zucker.
Die Zystoskopie ergab: Deutliche Injektion der Schleimhaut des Trigonum, die
Blasenschleimhaut ist mit zahlreichen, feinen, in der Spülflüssigkeit flottierenden
Flocken bedeckt. Auch hier wurde mehrmals eine Ätzung mit 2°, Argentumlösung
gemacht, bei gleichzeitiger Darreichung von Helmitol und Wildunger Wasser. Nach
vierwöchentlichem Aufenthalt in der Anstalt wurde Patientin vollkommen geheilt ent-
lassen. Die Zystoskopie ergab, daß die früheren Auflagerungen im Blasenhals voll-
kommen verschwunden sind, es besteht nur noch eine kaum merkliche Rötung des
Trigonum.
In unseren beiden Fällen handelt es sich also um eine Cystitis
colli, kompliziert durch eine Incontinentia urinae.
ès fragt sich nun, ob diese Inkontinenz durch die Cystitis colli
bedingt sein kann. Die Beschwerden bei Cystitis colli sind sehr ver-
schieden; so finden wir bei Stoeckel, Knorr u. a. Pollakiurie und
Dysurie angegeben. Sehr gewöhnlich verlegen die Patienten den Sitz
des Leidens in die Harnröhre; sie haben das Gefühl, sie wäre wund
und zugeschwollen. Einen Hinweis darauf, dab Cystitis colli eine In-
d
Über Incontinentia urinae. 323
continentia urinae verursachen kann, fand ich nur bei Calmann, der
über zwei Fälle von Harninkontinenz berichtet, die das Bild der Enu-
resis nocturna darboten und lange Zeit mit allen möglichen Mitteln,
mit Drückung der Urethra und des Sphinkters nach Thure Brandt und
mit brüsker Dehnung der Urethra mit dem Silberkatheter nach Sänger
behandelt worden waren. Der Urinbefund hat nur ganz unbedeutende
Veränderungen aufgewiesen. Die zystoskopische Untersuchung stellte
schließlich eine chronische Zystitis fest, besonders in der Gegend des
Trigonum Lieutaudii. Die nunmehr eingeleitete antizystitische Behand-
lung mit Argentum, führte in wenigen Wochen bei beiden Fällen zum
Ziel. Die eine Patientin war vor ihrer Erkrankung stets vollkommen
gesund gewesen; bei der anderen Patientin waren die Beschwerden
vier Wochen nach Exstirpation von zwei tuberkulösen Tubensäcken
durch vordere Kolpotomie aufgetreten. Calmann erklärt die Beobach-
tungen folgendermaßen: Die chronische Zystitis äußerte sich in der
leichten Reizbarkeit der Blasenwände, deren Kontraktion unter günstiger
Bedingung aber den Sphinkter nicht überwinden konnten. In weniger
günstigen Momenten, beim Schlafen, Husten, auch schnellem Gehen
wurde der Sphinkter nicht genügend schnell und energisch in Aktion
gesetzt, um der erhöhten Tätigkeit der Blasenwändemuskulatur gewachsen
zu Sein.
Seit den neueren Untersuchungen über die Physiologie der Blasen-
entleerung, die wir L. R. Müller, Grünstein, v. Zeißl, Roith u. a.
verdanken, wissen wir, daß unter normalen Verhältnissen der in der
Blase sich ansammelnde Urin am Abfluß durch den Tonus des Sphinkter
internus vesicae gehindert ist; dieser Tonus wird vom Granglion mesen-
tericum inferius unterhalten. Der Antagonist des Sphinkters ist der
Detrusor, der vom Plexus hypogastricus aus innerviert wird, von dem
postzelluläre Fasern zur Blase ziehen. Grünstein konnte in der Blasen-
wand zahlreiche Ganglienzellen durch vitale Methvlenblaufärbung nach-
weisen. Von Zeißl hat experimentell in einwandsfreier Weise nach-
gewiesen, daß die Reflexzentren für den Detrusor und auch für den
Sphinkter internus vesicae nicht außerhalb des Beckenbindegewebes im
Ganglion mesentericum superius, sondern in den im ganzen Becken-
hindegewebe in reichlichem Maße vorhandenen sympathischen Ganglien
des Plexus hypogastricus und in den Ganglien der Blasenwand zu
suchen sind, ein Befund, den Roith durch Tierversuche bestätigen
konnte.
Das Zustandekommen der Incontinentia urinae bei Cystitis
colli erkläre ich mir folgendermaßen: Durch die Entzündung des Tri-
gonums sind die in der Blasenwand sitzenden Gianglienzellen, die den
Detrusor versorgen, in einem dauernden Reizzustand. Durch diesen
Reizzustand werden schon bei mäßig gefüllter Blase an den Sphinkter-
tonus erhöhte Anforderungen gestellt. Treten nun durch äußere Ur-
sachen (Niesen, Husten usw.) Erhöhungen des Blaseninhaltsdrucks auf,
wird durch diese Drucksteigerung der Detrusor zu weiteren Kontrak-
324 Dr. Ernst Engelborn.
tionen gereizt und der schon vorher stark in Anspruch genommene
Sphinkter ist diesem vermehrten Druck gegenüber nicht mehr gewachsen;
es kommt zum unwillkürlichen Abfließen des Urins.
In unseren beiden Fällen haben wir die von Bierhoff-Knorr
inaugurierte, von Stoeckel mehrfach empfohlene Argentumätzung des
Trigonums vorgenommen.
Der Erfolg dieser Ätzung war in unsern beiden Fällen ein prompter;
wir konnten beidemal im Zystoskop eine Heilung der vorherbestehenden
Cystitis colli feststellen und unsere Patienten vollkommen beschwerde-
frei entlassen.
Die auffallende Tatsache, daß mit dem Abheilen der Cystitis tri-
goni neben den übrigen Beschwerden auch die Incontinentia urinae
beseitigt wurde, berechtigt mich zu dem Schluß, daß eine Inconti-
nentia urinae auf Grund einer Cystitis colli angenommen
werden darf, eine Tatsache auf die, wie oben erwähnt, Calmann 1904
aufmerksam gemacht hat.
Nach den neueren Anschauungen über die Physiologie der Harn-
entleerung durfte die von Calmann gegebene Erklärung des Zustande-
kommens des Harnträufelns bei Cystitis colli eine Änderung erfahren.
Mit der von uns angewandten Therapie sah man auch bei hyste-
rischem Harnträufeln in manchen Fällen eine prompte Wirkung, die
man als eine rein psychische bezeichnen kann. Daß eine solche in
unseren Fällen mit Sicherheit auszuschließen ist, beweist Fall I, in dem
eine Beeinflussung des Leidens durch wiederholt vorgenommene Blasen-
spülungen nicht erzielt werden konnte; erst mit der durch Argentum-
ätzung bewirkten Abheilung der Zystitis verschwand das Harnträufeln.
Wenn die Inkontinenz als ein rein nervöses Symptom aufzufassen ge-
wesen wäre, wäre auch von den vorher vorgenommenen, indifferenten
üingriffen (Zystoskopie, Blasenspülungen) eine Wirkung zu erwarten
gewesen.
Wie haben wir es uns nun zu erklären, daß bei der beim Weibe
so häufig vorkommenden Cystitis colli (Knorr fand bei einem Material
von über 3000 Patientinnen ungefähr bei jeder achten eine Entzündung
des Blasenhalses) die von Calmann und uns beobachtete Inkontinenz
in der Regel nicht beobachtet werden konnte? Liegt hier nicht die
Vermutung nahe, daß die Inkontinenz als ein von der Cystitis colli
unabhängiges, auf nervöser Basis beruhendes Leiden aufzufassen ist”
Hier sei ein Vergleich mit der Retroflexio uteri gestattet, die in
vielen Fällen ihrer Trägerin absolut keine Beschwerden verursacht;
andererseits finden wir häufig eine Unzahl von mehr oder minder hef-
tigen Beschwerden, die auf eine indifferente, die Lageveränderung nicht
beeinflussende Therapie zu verschwinden pflegen, die wir demnach als
rein nervöse bezeichnen können und drittens kennen wir Fälle, in
denen die Beschwerden durch die Lageveränderung allein bedingt sind
und erst mit deren Beseitigung verschwinden.
So können wir es erklären, daß wir bei unsern gynäkologischen
Über Incontinentia urinae. 325
Untersuchungen oft eine Cystitis colli als einen absolut keine Er-
scheinungen machenden Nebenbefund finden können; wir können es
uns erklären, daß der von uns angenommene, durch die entzündlichen
Veränderungen des Blasenhalses bedingte Reiz auf die Ganglienzellen
der Blasenwand in vielen Fällen unter der für jedes Individuum ver-
schieden hohen Reizschwelle bleibt, in andern aber so stark ist, daß
der Detrusor zu Kontraktionen gereizt wird.
Vielleicht liegt aber auch die Erklärung darin, daß wir mit unseren
jetzigen Untersuchungsmitteln nicht in der Lage sind, uns an der
Lebenden über die Ausbreitung der Zystitis nach der Tiefe ein Urteil
zu erlauben. Wir sehen nur die Blasenschleimhaut, von der Blasen-
wand in ihrer Gesamtheit haben wir kein Bild. So sind wir nicht in
der Lage, die Frage zu entscheiden, ob die Entzündung auf die Blasen-
schleimhaut beschränkt ist, oder ob sie auf ihre Unterlage übergreift;
bei dem Fehlen der Submukosa am Blasenhals wäre ein solches Über-
greifen auf die Muskularis denkbar.
Es liegen hier die Verhältnisse ähnlich wie bei der chronischen
Enndometritis, bei der Entzündungsherde nicht allein im Endometrium,
sondern auch im Myometrium nachzuweisen sind.
Nach unsern jetzigen Untersuchungsmethoden, die uns nie ein Ge-
samtbild der Blasenwand geben können, glaube ich berechtigt zu sein,
wenn ich eine durch Cystitis colli bedingte Incontinentia urinae
annehme. Ich lasse hierbei die Frage offen, ob wir unter Cystitis colli
immer nur eine Schleimhauterkrankung oder auch eine Entzündung der
ganzen Blasenwand (Schleimhaut und Muskularis) verstehen dürfen.
Literatur.
Calmann, Zentralbl. 1905, 14.
Grünstein, Arch. f. mikr. Anat. und Entwicklung, Bd. LV.
Jung, Monatsschrift f. Geb. und Gyn. 1905.
Knorr, Zystoskopie und Urethroskopie 1904.
Müller, Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde, Bd. XXI.
Rißmann, Zeitschrift f. gyn. Urologie 1904, H. 4.
Roith, Arch. Gyn., Bd. LXXXI, H. 3.
Derselbe, Hegers Beiträge, Bd. XI, H. 1.
Sieber, Zeitschr. f. gyn. Urologie 1909, H. 4.
Stoeckel, Zystoskopie des Gynäkologen 1904.
Derselbe, Erkrankungen der weiblichen Harnorgane in Veits Handbuch, Bd. 11.
v. Zeißl, cit. Roith, Arch. Gyn., Bd. LXXXI.
(Aus dem städtischen Krankenhause in Memmingen.)
Inkrustierte Haarnadel bei einem 14jährigen Mädchen.
Von
Dr. F. Zorn.
Im Vergleiche mit fremdländischen Beobachtungen begegnet man
reichsdeutschen Mitteilungen über Blasensteine nicht gerade häufig. Von
anglo-indischen Spezialisten (1, 2) liegen Arbeiten vor, deren statistisches
Material sich auf Tausende von Steinoperationen bezieht, desgleichen
soll in Ägypten (3), im Nil-Delta, die Steinkrankheit sehr verbreitet
sein. Eine größere Zahl von Fällen liegt sodann den Veröffentlichungen
zugrunde, welche in der Literatur der letzten zehn Jahre von Assen-
delft (4), Zuckerkandl (5), Frisch (6), Kokoris (7), Dsirne (8),
Noutham (9), Fantino (10), Englisch (11) niedergelegt sind. Aus
Deutschland fand ich in den mir zur Verfügung stehenden Zeitschriften,
bzw. den mir das Original zuweilen ersetzenden Referaten in der
Münchener medizinischen Wochenschrift und den Schmidtschen Jahr-
büchern lediglich die Berichte von Lobstein (12) und Stein (13),
welche sich auf umfangreichere Beobachtungen stützen.
Schrey (14) hat die in zehn Jahren an der Greifswalder chirur-
ischen Klinik vorgenommenen Blasenstein-Operationen zusammengestellt;
unter 13000 Kranken sind dortselbst während des angegebenen Zeit-
raumes nur 28 = 0,22°/, an Steinleiden behandelt worden.
Dem von mir beabsichtigten Beitrag zur Kasuistik der Blasensteine
entspreehend richtete sich mein Interesse nun zunächst auf die bisher
semachten Erfahrungen über Fremdkörper als Steinkerne und auf das
Vorkommen von Blasensteinen beim weiblichen Greschlechte und bei
Kindern. Finsterer (15) gibt an der Hand einer reichhaltigen Samm-
lung aus der Wiener Klinik einen Überblick über Steinbildung un
Fremdkörper; neben der bekannten, zu therapeutischen oder onanisti-
schen Zwecken eingeführten Gegenständen fanden sich als Kern ge-
Ierentlich Kleidungsfetzen (nach vorausgegangener Pfählung), Knochen-
splitter (bei Beekenknochen-Erkrankungen), Gallensteine (persistierender
Urachus) und Eier von Distoma hacmatobium. Von einzelnen Beobach-
tungen, welche zunächst auch wieder Inkrustierungen um abgebrochene
Katheterstücke, Glasstäbehen, Bleistifte, Wachskerzen u. dgl. feststellen,
erwähne ich als seltenen Fall zunächst den von Pendl (16), wonach
sich als Kern eines Blasensteins bei einem zweijährigen Knaben cine
Inkrustierte Haarnadel bei einem 14jährigen Mädchen. 327
Nadel ergab, welche vermutlich früher von dem Kinde verschluckt
worden war und dann aus dem Darm in die Blase einwanderte.
Nossal (17) teilt die Bildung eines Blasensteins um eine Bassini-Naht
mit, welche bei der Annähung der Muskelschichte an das Ligamentum
Poupartii etwas zu tief und durch die Blasenwand gelegt war.
Beim Weibe sind Blasensteine viel seltener als beim Manne. Unter
den erwähnten 28 Steinkranken der Greifswalder Klinik gehören nur
vier dem weiblichen Geschlechte an; von den 630 Fällen Assendelfts
betreffen 20°), Frauen, Kokoris hat unter 130 Operierten 3, Southam
unter 120 Steinleidenden 8 Frauen getroffen und Freyer (2) zählt an
der Hand von 1047 selbst ausgeführten Steinoperationen 25mal deren
Vorkommen beim Weibe. Wohl fügt der letztere hinzu, daß in Indien,
woselbst er die meisten Operationen machte, Frauen nur selten den
Arzt aufsuchen.
Unter den Steinbildungen beim weiblichen Geschlechte scheinen
solche um Fremdkörper nicht gerade häufig vorzukommen, obwohl diese
nach Zangemeister (18) infolge von Verletzung der Blasenwand und
so lange Zeit hindurch sich wiederholender Blutaustritte in die Blase
bis jetzt das einzig nachgewiesene Moment in der Ätiologie der Steine
ergeben. Hierher gehörige Beobachtungen betreffen in der Mehrzahl
der Fälle Haarnadeln und sind von Hayes (19), Routh (20), Sick (21),
Wendel (22), Neugebauer (23), Rosenfeld (24), Schindler (25)
mitgeteilt. Die Patientin Vrabies (26) hatte sich ein 12 cm langes
und kleinfingerdickes Stäbchen in abortiver Absicht eingeführt, welches
später sich stark inkrustierte und durch Sectio alta entfernt werden
mußte. Morgan (27) sah ein Fieberthermometer als Kern eines Blasen-
steines bei einer Hysterischen. Kubinyi (28) berichtet von ciner
Kranken, die sich wegen Urinbeschwerden mit einem Gänsekiel selbst
katheterisieren wollte, wobei der Kiel abbrach. Es entwickelte sich um
denselben ein Blasenstein, den K. nach Dilatation der Urethra mit einer
Kornzange zerkleinerte und extrahierte.
Wenn ich nun glaubte, den nachfolgenden Fall veröffentlichen zu
dürfen, so stützte ich meine Ansicht nicht zum wenigsten auch auf das
jugendliche Alter der Patientin. Mitteilungen über Steine und Fremd-
körper in der kindlichen Blase finden sich bei Lobstein, einen
weiteren Beitrag verdanken wir Wendel. Der interessante Fall Pendls
und die gleichfalls schon erwähnte Beobachtung Rosenfelds dürfte
aber wohl allein zum näheren Vergleiche mit der meinigen heran-
zuziehen sein.
Ursula Sch., 14jährige Metzgerstochter aus Woringen, wurde mir von einem
hiesigen Kollegen wegen völliger Incontinentia urinae und deren lästiger Folgezustände
zur weiteren Behandlung zugewiesen. Bei der ersten Untersuchung fand sich ein gut
haselnußgroßer Stein bereits bis in die vurdersten Partien der Harnröhre vorgedrungen;
angesichts des vorhandenen Harnzwanges konnte er hier nach Auseinanderzieben der
Labien leicht entdeckt und mit Hilfe des in die Scheide eingeführten Zeigefingers
durch einen von unten und hinten her ausgeübten Druck gewissermaßen vollends ge-
boren werden. Nun stieß aber der tastende Finger im vorderen Scheidengewölbe auf
328 Dr. F. Zorn. Inkrustierte Haarnadel bei einem 14jährigen Mädchen.
- eine Blasenscheidenfistel und zugleich noch auf einen anderen Fremdkörper, und zwar
ein von oben her etwa 2 cm weit in die Scheide hineinragendes Stück eines draht-
ähnlichen Körpers, dessen Extraktion per vaginam vermittels einer Kornzange in
schonender Weise versucht, aber nicht bewerkstelligt werden konnte.
Bei der nach künstlicher Füllung der Blase in Chloroform-Narkose unternommenen
Sectio alta ließen sich nun die Verhältnisse genau übersehen. Eine Haarnadel stak
derart zwischen Blase und Scheide fest, daß ihr runder, umgebogener Teil, der beim
Einführen in die Urethra wohl auch vorangegangen sein dürfte, nach hinten gerichtet
war; ihr oberer Schenkel sah frei ins Blaseninnere; er war in seinem vorderen Teile
abgebrochen, um das abgebrochene 2!/, cm lange Stück hatte sich ein Stein gebildet,
der im Grunde der Blase lag. Der untere Schenkel, an welchem noch heute einer
verbogenen und arrodierten Stelle entsprechend jener Teil kenntlich ist, wo die Nadel
in hinterer Blasen- und vorderer Vaginalwand feststeckte, ragte mit seinem peripheren
Ende etwa 2!/, cm weit, eine Blasenscheidenfistel bildend, in die Vagina hinein. Um
den noch in der Blase befindlichen Teil aber war gleichfalls ein Stein inkrustiert.
Beide Steine waren mehr als haselnußgroß, rundlich, grauweiß, an ihrer Oberfläche
rauh und bröselig; der erst entfernte im Innern hart und glatt; sie dürften in der
Hauptsache aus phosphorsauren Salzen bestanden haben.
Die Heilung verlief rasch ohne alle Störung und ist eine vollkommene Der
Entschluß, vorliegenden Falles die nicht ganz ungefährliche Sectio alta vorzunehmen
rechtfertigt sich durch den Befund von selbst. Das jugendliche Alter der Patientin
und die dadurch bedingten engen Verhältnisse ließen mir andere Operationsmethoden
auch weniger geeignet erscheinen.
. Ind. Med. Gazette, Aug. 1900.
. Brit. Gyn. Journ., Mai 1902.
Goebel, Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. LXXXI.
Arch. f. klin. Chir., Bd. LX, 3.
Münch. med. Wochenschr. 1901, S. 1672.
Wien. klin. Wochenschr. 1902, Nr. 15.
. Ibid. Nr. 24.
. Arch. f. klin. Chir., Bd. LXX, 1.
. Brit. med. Journ., Mai 1904.
10. Arch. f. klin. Chir., Bd. LXXV, 2.
11. Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. LXXIX, 1—3.
12. Beitr. z. klin. Chir., Bd. XXVII, 1.
13. Ibid. Bd. XXXIV.
14. Inaug.-Dissert. 1898.
15. Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. LXXX, 5—6.
16. Wien. klin. Wochenschr. 1901, Nr. 6.
17. Wien. med. Wochenschr. 1903, Nr. 31.
18. Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gyn., Bd. XX, 2.
19. Transact. of the obstetr. Society of London, Bd. XXXIV, 1892.
20. Ibid.
21. Münch. med. Wochenschr. 1899, S. 98.
22. Beitr. z. klin. Chir., Bd. XXIII, 2.
23. Münch. med. Wochenschr. 1903, 1895.
24. Ibid. 1904, S. 177.
25. Ibid. 1906, S. 1139.
26. Spitalul 1901.
27. Lancet 1900. Aug.
28. Zentralbl. f. Gyn. 1904, Nr. 47.
Literatur.
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(Aus dem Laboratorium des Kaiserlichen klinischen Gebärinstituts in St. Petersburg.
Direktor: Professor von Ott.)
Zur Frage der Heilung von Uretero-Vaginalfisteln.
Experimentelle Untersuchung.
Von
Privatdozent Dr. N. v. Kannegießer.
(Mit 1 Abbildung.)
In dem dritten Heft des ersten Bandes dieser Zeitschrift er-
schien ein Aufsatz von Dr. Peiser über die Rückwirkung von Uretero-
Vaginalfisteln auf die Nierenfunktion. Die deletäre Wirkung der
Ureterenverletzung auf die Niere ist schon seit langer Zeit bekannt.
Schon im Jahre 1846 hatte Berard darauf hingewiesen, daß der Urin
aus der Ureterenfistel von anderer Beschaffenheit ist, als derjenige aus
der Blase. Weitere Beobachter konnten diese Tatsache bestätigen und
die meisten erklärten diesen Unterschied in der Beschaffenheit des Urins
beider Nieren durch die aufsteigende Pyelonephritis. Wir hatten je-
doch Gelegenheit, in der Klinik von Prof. v. Ott einige Fälle von
Ureterofisteln zu beobachten, wo der Urin aus der Ureterfistel um die
Hälfte weniger feste Bestandteile aufwies, als der aus der Blase, trotz-
dem keine Entzündungserscheinungen vorhanden waren, wo also als
Grund der Verschiedenheit andere Momente in Betracht kommen
mußten.
Zur Aufklärung dieser Frage unternahmen wir eine Reihe von
Experimenten an Hunden, deren Resultate wir dem zweiten Kongreß
der russischen Gynäkologen in Moskau im Jahre 1907 mitteilten.
Unsere Experimente bestanden darin, daß wir den Hunden einen
Ureter durchtrennten und sein zentrales Ende in die Bauchwand im-
plantierten. Dann wurde aus der Fistel, sowie aus der Blase der Urin
gesammelt und untersucht. Zur Sammlung des Urins aus der Fistel
stellten wir die Hunde in ein Gestell, welches von Pawlow für die
Sammlung von Magensaft empfohlen wurde. Aus der Blase wurde der
Urin mit Hilfe des Katheters gewonnen. Die Katheterisation ist bei
den Hündinnen oft sehr schwierig und kann nur nach Spaltung der
Scheide ausgeführt werden. Da die Menge des aus der Fistel ge-
wonnenen Urins gewöhnlich spärlich war, so benutzten wir zum Ver-
gleich das spezifische Gewicht und den Gefrierpunkt. Bei drei Hunden,
SEI Dr. N. v. Kannegießer.
denen wir in der oben erwähnten Weise eine Ureterenfistel anlegten,
konnten wir sehr bald eine Veränderung des Urins konstatieren.
Hund Nr. 1, operiert am 6. Ill. 1906. — Am 17. Ill. war das
spezifische Gewicht des Urins aus der Fistel 1,015, aus der Blase 1,029.
Der Gefrierpunkt erwies sich als — 1,4 und — 2,7.
Hund Nr. 2, operiert am 14. XII. 1906. — Am 26. XII. war das
spezifische Gewicht 1,019 und 1,027, der Gefrierpunkt — 1,8 und
— 2,6; — am 4. II. 1907 war das spezifische Gewicht des Fistelurins
1,011, des Blasenurins 1.022, der Gefrierpunkt — 1,4 und — 2; am
27. III. 1907 war die Quantität des Fistelurins sehr gering geworden,
sein Gefrierpunkt betrug — 0,7, derjenige des Blasenurins — 2,5.
Hund Nr. 3, operiert am 30. III. 1907. — Am 7. IV. 1907 war
das spezifische Gewicht des Fistelurins 1,018, Gefrierpunkt — 1,8, aus
der Blase 1,024 und — 2,5.
Zwei weiteren Hunden wurde nach Koeliotomie ein Teil der Bauch-
wand reseziert und das Trigonum lientadii in die Bauchwand einge-
näht, also eine künstliche Blasenextopie gebildet. Das spezifische Ge-
wicht des Urins blieb normal.
Hund Nr. 4, operiert am 6. X. 1906. — Harn ohne Veränderung.
Die Extopie wurde immer kleiner, neun Monate nach der Operation
urinierte der Hund schon wieder durch die Urethra, bei der Obduktion,
elf Monate nach der Operation, erwies es sich, daß eine kleine dick-
wandige Blase sich gebildet hatte.
Hund Nı. 5, operiert am 10. III. 1907. — Die Extopie hielt an,
der Harn ohne Veränderung, fünf Monate nach der Operation betrug
das spezifische Gewicht 1,026, Gefrierpunkt — 2,5.
Hund Nr. 6, am 5. XII. 1906 wurde der linke Ureter in die
Bauchwand implantiert. Der aus ihm fließende Urin ergab normale
Werte. Sinken des spezifischen Gewichts. Am 10. II. 1907 war das-
selbe 1,017; aus der Blase 1,026, der Gefrierpunkt — 1,7 und — 2.6.
Am 7.11. Koeliotomie, die Blase wird eröffnet und in die Bauchwand
implantiert. Der Blasenurin ist von normalem spezifischen Gewicht.
Am 3. 1V. 1907 war der Gefrierpunkt — 25.
Experimente Nr. 7 und Nr. 8 Zwei Hunden wurde ein Ureter
in die Bauchwand eingenäht und dann bei Nr. 7 nach zwei Monaten
und bei Nr. 8 nach drei Monaten im die Blase reimplantiert. Der
Ureterurin war bei der zweiten Operation bei beiden Fällen stark ver-
ändert; die Ureteren waren verdickt, die Niere war beim Betasten normal.
Die Hunde vertrugen auch die zweite Operation sehr gut.
Die Alteration des Urins entsprach bei all unseren Versuchstieren
genau dem, was wir bei unseren Patientinnen mit Ureterfisteln beob-
achtet haben. Bei Durchtrennung des Ureters wurde das spezifische
Gewicht des Urins immer geringer. Bei Blasenextopie, also dort, wo
die Ureterenmündung zwar an der Oberfläche lag, aber unversehrt
blieb, war der Urin normal.
Die Autopsie unserer Versuchstiere ergab kurz gesagt folgendes:
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332 Dr. N. v. Kannegießer.
Schädigungen der Niere. In allen Fällen, außer Nr. 3 (dieser Hund
ging an Pyelonephritis zugrunde), handelte es sich um Hydronephrose
mit nachfolgender Nierenatrophie. Die Hydronephrose hatte nie größere
Grade erreicht. Der Prozeß besteht augenscheinlich in langsam, aber
konstant wirkender Druckerhöhung im Nierenbecken. Infolgedessen
erweitert sich das Becken und die Nierenkanälchen werden im unteren
Abschnitte komprimiert. In den oberen Abschnitten kommt es zur Urin-
stauung mit konsekutiver Erweiterung der Kanälchen und der Bau-
mannschen Kapseln. An den mikroskopischen Präparaten aus der Niere
von Fall 7 konnte man ganz genau die Veränderungen, die im Ver-
lauf der Kanälchen stattgefunden hatten, konstatieren. Dieselben laufen
nicht senkrecht zum Nierenbecken, sondern unter spitzem Winkel. Die
Nieren derjenigen Ureteren, deren Mündung frei an der Oberfläche lag,
blieben normal. Die Drucksteigerung im Nierenbecken bei Ureterfisteln
läßt sich erklären durch die partielle Stauung des Urins in den Ureteren,
deren Lichtung zwar erhalten bleibt, die aber an der Implantationsstelle
von derbem, wenig elastischem Gewebe umgeben sind, welches denı
Austritt des Urins einen, wenn auch geringen Widerstand leistet.
In der hier bezüglichen Literatur finden wir viele klinische und ex-
perimentelle Angaben, welche die von uns erreichten Resultate bestätigen.
Bei Stoeckel und Alksne ist die ganze einschlägige Literatur
gesammelt; wir werden daher nur einiges erwähnen. Fedorow be-
hauptet, daß Hydronephrose sich in allen Fällen entwickelt, wo dem
Austritte des Urins größerer oder kleinerer Widerstand geleistet wird.
Alksne, der Experimente über die Wirkung von Durchtrennung und
Herstellung der Ureteren anstellte, konnte konstatieren, daß sogar in
den Fällen, wo Heilung per primam ohne Stenose erfolgte, der zentrale
Abschnitt doch erweitert erschien, da infolge der Durchtrennung von
Muskelbündeln und der dazu gehörigen Nervenstämme die Peristaltik
im peripheren Abschnitte des Ureters immer träge war. In den Nieren
fand Alksne keine Schädigung außer einer mäßigen Erweiterung des
Nierenbeckens, da er seine Hunde zu früh tötete. Wenn wir also
sehen, daß ein einfaches Durchtrennen des Ureters, trotz seiner Her-
stellung ohne Stenose, schon eine Erweiterung des zentralen Abschnittes
des Ureters und des Nierenbeckens erzeugte, so ist es leicht verständ-
lich, daß wir nach Ureterenfisteln viel stärkere Schädigungen, bis zur
Hydronephrose und Atrophie der Niere, beobachtet haben. Es ist sehr
interessant, daß bei den Hydronephrosen in unseren Fällen keine Ver-
größerung der Niere vorkam, sondern nur in dem Falle, wo Pvo-
nephrose gefunden wurde, war die Niere fast doppelt so groß als normal.
Dies läßt sich wahrscheinlich dadurch erklären, daß in den Fällen, wo
keine Entzündung eintritt, das Gewebe seine Elastizität nicht verliert.
Einen analogen Befund haben wir zweimal bei Neugeborenen mit
kongenitalem Verschluß der Blasenmündung beobachtet. Die Blase war
sehr stark gedehnt, die Ureteren waren ebenso wie das Nierenbecken
erweitert, die Nieren aber atrophisch. Stoeckel fand bei seinen Nachunter-
Zur Frage der Heilung von Uretero-Vaginalfisteln. Experimentelle Untersuchung. 333
suchungen bei Kranken, denen der Harnleiter in die Blase implantiert
worden war, daß der Harn nicht aus beiden Uretermündungen gleich kräftig
fließt. Aus dem kranken Ureter kam der Harn gewöhnlich in längeren
Zwischenpausen und nicht in so kräftigem Strahl, wie aus dem gesunden.
Routier implantierte einer Frau zur Heilung einer Ureterfistel den Harn-
leiter in die Blase. Nach einem Jahre wurde der Patientin aus anderen
Grunde eine Laparotomie gemacht. Der nach der ersten Operation er-
weiterte Ureter schrumpfte zusammen, die Niere war beim Betasten
normal. Nach einem Jahre starb die Kranke; bei der Autopsie fand
Routier die Niere atrophisch. Viele andere Autoren behaupten, daß die
Ureterfistel häufig von selbst heile, indem der Harn zu fließen aufhöre.
Alle diese Tatsachen erscheinen uns als eine Bestätigung der Re-
sultate, die wir bei unseren Experimenten erreichten, daß also auch bei
Erhaltung des Ureterlumens und bei Fernbleiben von Infektion der
intrarenale Druck so weit steigt, daß es zur Erweiterung des Nieren-
beckens und zur Atrophie des Nierenparenchyms kommt. Weitere Be-
stätigung dieser Tatsache finden wir jetzt in den Angaben von Peiser.
Diese Tatsachen zwingen uns, vorsichtig zu sein bei Vornahme
größerer Eingriffe zur Heilung der Ureterfisteln durch Implantation in
die Blase. Besonders gefährlich ist die doppelte Durchtrennung des
Harnleiters mit Implantation in die Blase nach dem V orschlage von
Franz Krönig und anderen.
Zwar waren die Resultate der Operation an der Frau in manchen
Fällen befriedigend, doch war die Beobachtungszeit in den meisten
Fällen nicht von genügender Dauer. Wir glauben, daß man Stoeckel
vollständig beistimmen muß in seiner Behauptung, daß nur längere,
periodisch ausgeführte Nachuntersuchungen durch Zystoskopie uns ein
richtiges Urteil über den Erfolg der Implantation geben können.
Ausunseren Experimenten erlauben wir unsfolgende Schlüsse zu ziehen.
1. Vor jeder Operation bei Ureterfistel ist es notwendig, den Urin
aus dem entsprechenden Ureter genau zu untersuchen. In den Fällen,
wo im spezifischen Gewicht des Urins aus dem Ureter und demjenigen
aus der Blase ein großer Unterschied besteht, ist die Niere stark affiziert.
Dann ist es-ratsamer, von jeglicher Operation abzusehen.
2. Die Durchgängigkeit des Ureters in der ersten Zeit nach der Implan-
tation ist noch kein Beweis für die definitive Heilung. Die Operation hat
ihr Ziel nur in dem Falle erreicht, wo der aus dem implantierten Ureter
ausströmende Urin von ganz normaler Beschaffenheit ist.
3. Bei Durchtrennung des Ureters während der Operation ist, falls
seine Herstellung unmöglich ist, der Unterbindung des Ureters die Implan-
tation in die Bauchdecken vorzuziehen, da hierbei die Nierenatrophie lang-
samer vor sich geht. Den zeitweiligen, durch das Harnträufeln aus der
Uretermündung bedingten Beschwerden, steht der Vorteil gegenüber, daß
die gesunde Niere Zeit hat, sich an die vikariierende Tätigkeit zu ge-
wöhnen. Die Gefahr der Pyelonephritis ascendens ist dabei nicht vorhanden
23*
(Aus der Privatklinik des Privatdozenten Dr. F. Montuoro, Palermo.)
Ein weiterer Fall von Ureterozystoneostomie nach Boari.
Spontane Ausstoßung des Boariknopfes nach 14 Tagen. Heilung.
Von
Dr. Fortunato Montuoro,
Dozent der Geburtshilfe und Frauenkrankheiten.
Kurz nach Veröffentlichung meiner ersten Arbeit!) habe ich
Gelegenheit gehabt, wegen Ureterzervikalfistel infolge Zangenentbindung
eine weitere Ureterozystoneostomie mit dem vollständigsten Erfolg vor-
zunehmen, die neben der Bereicherung der kleinen aber glücklichen
Statistik der Methode Boari eine neue und interessante Erscheinung für
die Literatur bietet: die spontane Ausstoßung des Knopfes kaum 14 Tage
nach der Operation.
F.M. aus Cinisi (Palermo), 40 Jahre alt, XIII-para. Diese Frau hat eine wahr-
haft tragische geburtshilfliche Geschichte. Drei der Schwangerschaften sind in den
ersten Monaten unterbrochen worden. Acht rechtzeitige Entbindungen haben ver-
schiedenartige geburtshilfliche Eingriffe erfordert: Zange, Wendung, Embryotomie.
Nur zwei Entbindungen sind physiologisch gewesen, da vorzeitig erfolgt.
In der letzten Schwangerschaft ließ sich die Frau in die Kgl. geburtshilfliche
Klinik zu Palermo aufnehmen, wo sie im verflossenen Dezember (1908) mittels müh-
samer Zangenanlage entbunden wurde. Kurz darauf begann Pat. eine große Menge
Urin aus den Genitalien zu verlieren. Wochenbett physiologisch. Die Wöchnerin
wurde nach zirka 20 Tagen auf ihren Wunsch aus der Klinik entlassen und kehrte in
ihr Dorf zurück. Nach ungefähr drei Wochen fand sie sich auf Rat ihres Arztes bei
mir zur Untersuchung ein.
Knochenbau regelmäßig, Brustkasten gut gebildet. Nichts am Herzen und an
den Lungen. Abdomen einer Pluripara, meteorisch, eindrückbar, auf Druck schmerzlos.
Milz, Leber, Nieren in normalen Grenzen.
Äußere Geschlechtsorgane gerötet, erythematös. Uterus anteflektiert, klein, be-
weglich, schmerzlos. Audnexe frei. Die Zervix zeigt links einen tiefen und ausgedehnten
Riß, welcher auch den Fornix in Mitleidenschaft zieht.
Aus der Scheide entleert sich eine Flüssigkeit, welche alle physikalischen und
chemischen Eigenschaften des Urins besitzt. Die chemische Untersuchung der mittels
in die Scheide — nach gründlicher Ausspülung derselben mit destilliertem Wasser —
eingelegter steriler Gaze aufgefangenen Flüssigkeit wies die Anwesenheit von Chloriden,
Sulfaten, Phosphaten, Harnstoff und Harnsäure nach. Die Einspritzung selbst von
beträchtlichen Mengen (!/, 1) Milch in die Blase ändert nicht im geringsten die
Charaktere der Scheidenflüssigkeit. Die Menge der injizierten und der einige Minuten
darauf mit dem Katheter entleerten Milch ist gleich. Die sorgfältige Untersuchung
!) Montuoro, Die Ureterozystoneostomie nach Boari. Diese Zeitschr. 1909,
Bd. I, Heft 5.
Ein weiterer Fall von Ureterozystoneostomie nach Boari. Spontane Ausstoßung usw. 335
der Scheidenwände läßt keinerlei Läsion erkennen. Die klaffende Zervix läßt die
gerötete Zervikalschleimhaut sehen, welche nach links hin einen Zentimeter von dem
äußeren Muttermund einen fleischigen Auswuchs besitzt. Bemerkenswert sind die
mit Injektion von Methylenblau "1 ccm einer 5°/,igen Lösung) erzielten Resultate.
Eine Stunde ungefähr nach der Injektion wird in die Zervix ein kleiner Wattebausch
eingelegt, der, nach einigen Minuten herausgenommen, sich nur in jener Zone blau
gefärbt zeigt, welche der linken Seitenwand der Zervix entspricht.
Auf Grund all dieser Resultate wurde die Diagnose auf linksseitige Ureter-
zervikalfistel gestellt.
Die durch Privatdozent Dr. Cimino ausgeführte zystoskopische Untersuchung
bestätigt die Richtigkeit der Diagnose, denn sie gestattet, das vollkommene Funktions-
vermögen des rechten Harnleiters festzustellen.
Operation. — Trendelenburgsche Lagerung. Medianer Schnitt. Nach Er-
öffnung des Abdomens, Anlegung des Dilatators von Delagäniere schiebe ich die
Darmschlingen mittels Flanellappen nach unten, hake den Fundus uteri mit einer
zweizahnigen Zange an und ziehe nach oben rechts an. Durch das Peritoneum hin-
durch gewahrt man sogleich den linken Harnleiter, der verdickt, bandförmig, weißlich
ist. Das Peritoneum wird von der Linea innominata nach unten bis an die Basis
des Lig. latum inzidiert. Darauf isoliere ich den Ureter und führe mit einer
Deschampsschen Nadel ein Gazebändchen unter ihm durch, um die Isolierung auf
seinem ganzen Verlauf von der Linea innominata bis an die Zervix zu erleichtern.
Hierauf bohre ich mit dem Zeigefinger einen Tunnel in der Dicke des breiten Mutter-
bandes, inzidiere, mit dem Finger an der hinteren Fläche des vorderen Blattes des
Lig. latum angelangt, das Peritoneum und verlängere die Inzision auf die hintere Fläche
der Blase. Der Ureter wird danach vollständig von den benachbarten Geweben von
der Linea innominata nach unten, unter und vor dem breiten Mutterband, freigemacht,
wobei ich so weit als möglich nach unten dringe. Schließlich unterbinde ich, fast
dicht auf der Zervix angelangt, den Harnleiter und schneide ihn quer ab. Auf das
rezidierte Ende pfropfe ich die Röhre des Boariknopfes, ligiere kräftig und umhülle
es mit steriler Gaze, um das ÖOperationsfeld nicht mit Urin zu verunreinigen. Nach-
dem darauf die Blase entleert worden, lege ich unter Leitung eines männlichen Katheters
ein transversales Knopfloch auf der hinteren seitlichen Wand so weit unten als möglich
an. Nach Herrichtung der Fäden in der bereits in meiner vorhergehenden Mitteilung
beschriebenen Weise, führe ich den Knopf in die Blase ein und schließe das Knopf-
loch in derselben. Anlegung einiger Nähte zwischen den perivesikalen und periurete-
ralen Geweben, Verschluß der vorderen Bauchfellbresche über der Einpflanzungsstelle
und der hinteren über dem Ureter durch kontinuierliche Naht. Auf diese Weise er-
hält der Harnleiter seinen normalen Verlauf. Verschluß des Abdomens durch drei-
fache Nahtschicht. Katheter Pezzer auf sieben Tage, worauf er, da Zystitiserscheinungen
auftreten, entfernt wird. Vom 7. Tag ab uriniert die Frau spontan. Am 10. Tag
steht sie auf. Postoperativer Verlauf fast vollkommen fieberfrei. Ein Temperatur-
anstieg am 3. und 4. Tag verschwindet auf Verabfolgung ven öligen Abführmitteln.
Heilung der Bauchwunde per primam. Gleich von dem 1. Tag an ist die Harnınenge
eine abundante: 1050 g am 1. Tag, 1270 g am 2., 1385 g am 3., 1700 g am 4., ca. 2]
am D Tag. An den folgenden Tagen schwankt die Urinmenge zwischen 1800 und
2200 g. Am 14. Tag emittierte die Frau beim Urinieren durch starkes
Drücken den Knopf, der keinerlei Kalkinkrustation zeigte. Nach wenigen
weiteren Tagen verläßt die Operierte vollkommen geheilt das Institut und hat seitdem
sich stets bester Gesundheit erfreut.
Dieser eigenartige und glückliche Fall, der bisher einzig in der
Literatur dasteht, zeigt wieder einmal die Grundlosigkeit aller theore-
tischen Anschuldigungen, die gegen diese Methode erhoben werden.
Die von den Gegnern beklagten Unannehmlichkeiten: sekundäre Extrak-
tion des Knopfes, Schädigungen durch das mehr oder weniger lange
336 Dr. Fortunato Montuoro.
Verweilen des Knopfes in der Blase sind in Wahrheit nichtssagend
jetzt, wo dieser Fall die Möglichkeit einer spontanen Ausstoßung
des Knopfes nach seinem Abfall beweist.
Noch zu einer anderen Betrachtung, die ich von der höchsten
Wichtigkeit halte, eignet sich der von mir mitgeteilte Fall.
Einige Autoren, mit an der Spitze Albarran, halten die Entfernung
des Eierstockes und andere auch die Entfernung der Tube auf der
Seite der Fistel für notwendig, da ihre Anwesenheit die Manöver er-
schwere und zuweilen unmöglich mache. «L’ovaire, schreibt Albarran,
empêche de suivre l'uretére pelvien dans toute son 6tendue, lorsqu’on
intervient par la voie transpéritonéale, et, pour bien opérer, il est néces-
saire de l'extirper, avant de dégager luretére . . .»1). Und weiterhin
fügt er hinzu: « Lorsque les organes génitaux internes existent, il vaut
mieux commencer par pratiquer la castration et agrandir ensuite la
plaie péritonćale, qui en resulte, du côté du detroit supérieur; on va
ensuite à la récherche de l'uretére, au niveau où il croise les vaisseaux
iliaques. On peut ainsi suivre le conduit de haut en bas, jusqu’au
point ou l'artère utérine le croise .. .» (ibidem S. 394). Auf diese
Weise haben Hein?) und Küstner?) operiert, um nur einige neuere
Fälle anzuführen.
Allerdings macht die Resektion der Adnexe die Aufsuchung, Iso--
lierung und Einpflanzung des Ureters in die Blase zu einer bedeutend
leichteren, doch glaube ich, daß die Aufopferung dieser für die Funk-
tion und die Statik des Uterus so wichtigen Organe eine übertriebene
Maßnahme bei den sich bietenden technischen Schwierigkeiten ist.
Die von mir befolgte Methode zeigt mir im Gegenteil, daß diese
Schwierigkeiten leicht überwunden werden können, sei es durch Indie-
höheziehen des Fundus uteri oder durch Aufsuchen des Harnleiters an
der Stelle, wo er in das Becken eintritt, oder durch Anlegen von zwei
breiten Peritonealbreschen hinter und vor dem Lig. latum. Diese sind
mehr als ausreichend, um den Ureter in seiner ganzen Ausdehnung
hinter, unter und vor dem Lig. lat. zu isolieren und ihn dann in die
extraperitoneale Portion der Blase einzupflanzen.
Wird die Einpflanzung zu einer extraperitonealen gemacht, so wird
es fast unmöglich, daß eine Lostrennung des Ureters von der Blase —
die, wie hervorgehoben werden muß, bis jetzt bei dieser Methode
der Ureterozystoneostomie nicht zu beklagen gewesen ist —
den Tod der Operierten herbeiführen könne, wie es zuweilen bei anderen
Verfahren der Fall ist, da der Urin sich unter dem Peritoneum an-
sammeln würde und man leicht durch eine Inzision durch den seitlichen
1) Albarran, Medicine opératoire des voies urinaires.: Paris, Masson et Cie.
1909, S. 392.
®) Hein, Ein Fall von Ureterozystoneostomie. Zentralbl. f. Gyn. 1906, Nr. 13,
S. 369.
”, Küstner, Demonstration einer geheilten Ureterfistel. Gynäk. Ges. zu Breslau.
Sitzung vom 26. Juni 1906. Zentralbl. f. Gyn. 1906, Nr. 48.
Ein weiterer Fall von Ureterozystoneostomie nach Boari. Spontane Ausstoßung usw. 337
oder hinteren Fornix seinen Abfluß würde begünstigen können. Ich
erinnere in dieser Hinsicht an den im verflossenen April von Bloch!)
aus der Klinik von Israel in den Folia Urologica veröffentlichten
Todesfall, bei dem der Mißerfolg auf Harnerguß in die Peritonealhöhle
zurückzuführen war.
Bei dem Verfahren Boaris ist bisher kein Todesfall zu verzeichnen
gewesen und das ist dem Knopf zu verdanken, dessen Vorzüge ich in
meiner vorausgehenden Mitteilung dargelegt habe.
Daher kann ich nicht begreifen, wie man aus vorgefaßter Meinung
heraus den großen Wert der Methode in Abrede stellen kann, welche
die Resultate dieser Operation, auf der doch eine hohe Sterblichkeit
lastete und noch immer lastet, zu so glänzenden macht.
Für das Wohl der italienischen Wissenschaft will ich hoffen, daß
die abweichende Stimme, die vor kurzem in den Spalten der Gazzetta
degli ospedali e delle cliniche laut wurde, isoliert bleiben möge?) und
wir nicht warten werden, bis die Ausländer kommen und uns sagen,
daß die Methode Boari eine große, wertvolle Errungenschaft der Harn-
leiterchirurgie darstellt.
In der vorausgehenden Arbeit des Verf. (Heft 5) wurden durch
ein Versehen zwei Fälle nicht zu Druck gebracht: Wir lassen deshalb
dieselben hier folgen.
Fall von Boari (Accad. medica di Ferrara). — Frau G. B. war 1901 von einem
der hervorragendsten italienischen Gynäkologen mit vaginaler Hysterektomie wegen
Fibromyoms operiert worden. Sechs Tage nach der Operation, die regelmäßig verlief,
bemerkte sie Harnträufeln aus der Scheide. Obwohl der Pat. geraten worden war,
sich durch eine weitere Operation sofort von dieser Unannehmlichkeit befreien zu
lassen, bestand sie darauf, nach Hause zurückzukehren. Erst nach vier Monaten
(anfangs Januar 1902) wandte sie sich dann an Verf., um von dem Übel befreit zu
werden.
Die Diagnose einer rechtsseitigen Ureter-Scheidenfistel war ohne
weiteres klar, da sie genau an dem rechten Ende der Scheidennarbe saß. Pat. hatte
rechtsseitige intermittierende Nierenkrisen, wahrscheinlich infolge Harnretention.
Der rechte Harnleiter wurde von der Scheide aus mit einem gewöhnlichen
Zylinderspekulum sondiert. Mediane Laparatomie in Trendelenburgscher Lage.
Äußerst leicht gelang es, den rechten Harnleiter aufzufinden, das hintere parietale
Peritoneum auf dessen Verlauf zu inzidieren unter Überwindung des narbigen Wider-
standes des Lig. lat. dextr., und bis zur Scheide vorzudringen. Der Katheter wurde
durch einen Assistenten entfernt.
Der Ureter wurde dann möglichst weit unten oberhalb einer an dem peripheren
Ende angelegten Ligatur abgeschnitten, und das zentrale Ende in die hintere Blasen-
wand höher als normal mit Hilfe eines der Knöpfe des Verf. und der bei anderer
Gelegenheit beschriebenen Technik eingepflanzt. Die Einpflanzungsstelle und das letzte
Stück des Ureters wurden mit dem parietalen Peritoneum überdeckt. Kein Gaze-
tampon. Dreifacher Verschluß der Bauchwand. Heilung per primam. Der Knopf,
dessen Anwesenheit in der Blase keinerlei Beschwerde hervorrief, wurde am 20. Tag
nach vorausgehender Erweiterung der Urethra extrahiert.
1) Bloch, Über die Ureteroperationen.
29) Solieri, Sulla ureterocistoneostomia. Gazzetta degli ospedali e delle cliniche
1909, Nr. 73.
338 Dr. Fortunato Montuoro. Ein weiterer Fall von Ureterozystoneostomie usw.
Die Dame befindet sich auch heute wohl und hat nie mehr über Beschwerden
in der rechten Seite geklagt, die in Zwischenräumen vor der Operation aufgetreten
waren. Blasenurin normal. Ein Jahr nach der Operation hat Pat. eine akute Pneu-
monie durchgemacht, welche sie in Lebensgefahr brachte, dagegen hatte sie keine
Erscheinung zu Lasten der Niere, deren Ureter überpflanzt worden war, zu beklagen.
Im Januar 1908 hat Verf. Gelegenheit gehabt, seine Operierte, die sich sehr
wohl befindet, nachzuuntersuchen. Nicht ohne Interesse ist die zystoskopische Unter-
suchung mit dem Luysschen Zystoskop. Bei der gewöhnlich für die zystoskopische
Untersuchung indizierten Lagerung der Frau gelingt es nicht, die neugebildete
Mündungsöffnung zu entdecken. Dagegen gelingt es bei Verbringung der Frau in
Knieellenbogenlage mit stark erhöhtem Becken auf dem Grunde eines Umschlages
der Blasenschleimhaut die neue Öffnung zu gewahren, aus der der Urin in inter-
mittierenden Ejakulationen austritt. Die erwähnte Öffnung ist etwas bekrempt und
von Schleimhautvorsprüngen umsäumt. Bei ganz ruhigem Halten des endoskopischen
Rohres gelingt es, die neue Mündung innerhalb der Röhre einzuschließen und sie hier
vorspringen zu lassen, wie es auch gelingt, sie mit Nr. 6 der Luysschen Ureter-
sonden zu sondieren und normalen Haın zu erhalten.
Fall von Carle (s. Galeazzi: Sul cancro dell’ utero. Clinica chirurgica, 1899,
S. 973). — 54 Jahre alte Frau mit Gebärmutterkrebs, der die Vagina und das rechte
Parametrium invadiert hat. Exstirpation des Uterus, Resektion der Blase und des
rechten Harnleiters. Einpflanzung des Ureters in die hintere Blasenwand
mittels des Boariknopfes. Resektion der Scheide. Melfrere Tage lang hohes Fieber,
rechtsseitige Pyelitis. Heilung. Tod nach acht Monaten an Rezidiv.
Über eine neue Methode der Ureterozystostomie.
Von Dr. Archibald Leitch,
Spezialarzt für Krebsleiden am K. Krankenhaus zu Dundee (Schottland).
(Mit 6 Figuren.)
Um die Nachteile der bisher üblichen Operationsmethoden zu ver-
meiden, schlage ich folgendes Verfahren vor: Vor Beginn einer Ope-
ration, bei der möglicherweise eine Einpflanzung des Harnleiters vor-
genommen werden muß, wird in die Blase ein gewöhnlicher biegsamer
Ureterkatheter eingeführt, der durch einen zylinderartigen Korkbohrer
von etwas größerem Durchmesser hindurchgeht (1). Es ist empfehlens-
wert, dies im voraus zu tun, weil kostbare Zeit verloren gehen kann,
wenn es während des weiteren Verlaufs der Operation geschehen muß;
außerdem ist das Einführen eines Katheters schwer und mit Hinder-
nissen verbunden, wenn die Patientin die Trendelenburgsche Lage
einnimmt. Erweist sich die Operation der Ureterozystostomie als un-
nötig, so schadet die Anwesenheit des Katheters in der Blase nichts
oder kann sonstwie von Nutzen sein.
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Fig. 1.
Wenn der Harnleiter absichtlich reseziert wird, weil er von einer
ins Parametrium vorgedrungenen Neubildung umwachsen oder tatsäch-
lich durchwachsen ist, oder wenn das Blasenende des Harnleiters vorüber-
gehend durch eine Klemme oder bleibend durch eine Ligatur oder Naht
verschlossen ist, so verfahren wir folgendermaßen: der mit dem Kork-
bohrer versehene Ureterkatheter wird an der für die Implantation (2)
gewählten Stelle so gegen die Blasenwand gedrückt, daß er sie nach
außen vorbuckelt. Mit der anderen Hand legt der (Operateur auf die
Außenseite der Vorbucklung einen sterilisierten Kork, gegen den der
Korkbohrer derart geschraubt wird, daß ein kreisrundes Stück der
Blasenwand herausgedrückt wird. Durch diese Öffnung wird der
Ureterkatheter aus der Blase in den zu implantierenden Harnleiter ein-
geführt, und die beiden kreisförmigen Öffnungen werden einander ge-
nähert (3). Eine fortlaufende Katgutnaht wird dann durch alle Schichten
gelegt. Der in seiner Lage verbleibende Katheter vereinfacht das Ver-
340 Dr. Archibald Leitch.
fahren, da er die Gewebe in einer strafferen Lage fixiert als es sonst
der Fall sein würde; außerdem gibt er die Tiefe an, bis zu welcher die
Nadel vordringen muß (4). Diese eine fortlaufende Naht würde wahr-
scheinlich genügen; um aber ganz sicher zu gehen, können wir uns
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noch zweier Hilfsmethoden bedienen. Wir können nämlich entweder
die Implantationsstelle des Harnleiters ungefähr 1 cm weit in die Blase
invaginieren und rundherum eine fortlaufende Naht durch die Serosa
des Harnleiters und der Blase anlegen (56). Oder, und dies ist viel
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Über eine neue Methode der Ureterozystostomie. 341
leicht noch besser, wir können das von Witzel für die Gastrostomie
vorgeschlagene Verfahren befolgen, d. h. für den Harnleiter und den
Katheter einen Schrägkanal in der Blasenwand bilden, indem wir mit
einer oder mit zwei Nähten die
Blasenwand von rechts und links
über den Harnleiter herüberziehen
und vernähen (6). Auf diese Weise
verschaffen wir uns einen wirk-
samen Schutz gegen etwaiges Un-
dichtwerden und ermöglichen eine
schnelle Heilung. Um jede Span-
nung des Harnleiters und der Im-
'plantationsstelle zu vermeiden, sollte
die Blase an die seitliche Becken-
wand fixiert werden; zu diesem Zwecke können ihre vorderen Ver-
bindungen, wenn es nötig ist, gelockert werden. Nach Beendigung der
Operation werden Katheter und Korkbohrer entfernt.
Die kreisförmige Öffnung in der Blase ;
Die älteren Methoden der Ureterozystostomie mit Metallknöpfen
führten in roher Weise zu demselben Resultat; es wurden aber viele
Bedenken dagegen geäußert. Gewöhnlich wird jetzt wohl von der Serosa
aus die Blasenwand aufgeschlitzt; die Mukosa sucht mam durch dies
Verfahren einigermaßen zu entlasten. Ein gerader Schnitt‘ ist abor vois
Nachteil, wenn wir wünschen, daß an der Schnittstelle eine Öffnung- `
dauernd "erhalten bleibt. S
Der Zug der Muskelschichten hat notwendigerweise die Tendenz,
den geraden Schnitt zum Verschwinden zu bringen, wobei es ganz
gleich ist, in welcher Richtung er gemacht wurde. Daß dies keine
bloß theoretische Gefahr ist, beweist die Strikturierung an den Implan-
tationsstellen, wie sie sich zuweilen später bei der zystoskopischen
Untersuchung herausstellt. Ferner ist eine genaue Anpassung der kreis-
runden Öffnung des resezierten Harnleiters an einen geraden Schnitt
in der Blasenwand praktisch unmöglich und ein Undichtwerden der
Nahtstelle infolgedessen zu befürchten. Viele vermeiden bei ihren
Operationen die Längsöffnung, wie z. B. Sampson, der einen H-förmi-
gen Einschnitt macht. Ohne Zweifel geschieht dies, um die strikturierende
Wirkung der Muskelschichten auszuschalten (obgleich nach den Samp-
sonschen Operationen Stenose eingetreten ist). Indessen steht die Größe
dieser Wunde in keinem Verhältnis zu dem gewünschten Resultat.
Die Vereinigung der Mukosa von Ureter und Blase.
Die Heilung erfolgt stets am besten und schnellsten, wenn gleiche
Gewebsschichten exakt vernäht werden. Keine der jetzt gebräuchlichen
Methoden ist imstande, eine genaue Vereinigung der Mukosa des Harn-
342 Dr. Archibald Leitch.
leiters und der Blase herzustellen; es bleiben stets mehr oder minder
beträchtliche Lücken zwischen beiden offen. Bei der Sampsonschen
Operation wird vielleicht ein Versuch gemacht, diese Vereinigung zu
bewerkstelligen, indem der Harnleiter gespalten wird und die Lappen
an die Blasenwand genäht werden. Das ist aber technisch sehr schwer;
das Aufschlitzen und Anfassen des Harnleiterendes mit Instrumenten
bedeuten Schädigungen, die die Heilung erschweren. Bei der Pinard-
schen Operation wird der Harnleiter, dessen Ende wie eine Manschette
zurückgeschlagen ist, in die Blasenhöhle gestoßen; es erscheint fraglich,
ob sich der implantierte Stumpf epithelialisiert.
Bei allen Operationen, bei welchen der Ureter eine beträchtliche
Strecke weit frei in die Blase hineinragt, ist mit großer Wahrscheinlich-
keit darauf zu rechnen, daß das vorspringende Stück zuletzt der Nekrose
verfällt. Wenn diese Nekrose sich auf das prominierende Stück be-
schränkte, würde kein großer Schaden entstehen; aber man muß immer
darauf gefaßt sein, daß die Degeneration weiter vordringt. M. Lutard
hat mehrere Fälle von Ureterozystostomie beschrieben, bei denen Sklerose
mit nachfolgender Obliteration des Lumens eingetreten ist. Ich selbst
hatte Gelegenheit, post mortem die Blase und die Harnleiter in einem
Falle zu untersuchen, in welchem drei Wochen vorher eine beiderseitige
Ureterozystostomie ausgeführt worden war. Um beide Implantations-
öffnungen herum fehlte ungefähr 2 cm weit die Schleimhaut der Blase
infolge einer ulzerativen Entzündung. Die prominierenden Teile des Harn-
leiters waren nekrotisch geworden; sie waren weiß und breiig, und die
Nekrose hatte sich aus Harnleiter entlang bis über die Blasenwand
hinaus verbreitet. Diese aufsteigende Nekrose des Harnleiters habe ich
auch in einem Falle gesehen, bei dem ein Harnleiter in den anderen
eingepflanzt war. Es läßt sich annehmen, daß die Nekrose infolge der
Trennung des Hamleiters von seiner Gefäßscheide entstanden war,
ebenso wie bei den keineswegs seltenen Fällen von lokaler Nekrose des
Ureters nach Wertheimschen Operationen. Daß aber der Harnleiter
neugebildete Gefäßverbindungen gewinnen kann und sie wirklich
gewinnt, wenn er in die Lage versetzt wird, dies zu tun, ist un-
zweifelhaft. Ich habe gesehen, daß ein Harnleiter, der auf einer
Strecke von 14 cm freigelegt und unter dem Peritoneum nach der ent-
gegengesetzten Seite hinübergezogen war, überall gesund blieb mit
Ausnahme eines kleinen Endstückes, das vom Peritoneum unbedeckt
geblieben war.
Die gewöhnlichen Operationen der Uretereinpflanzung geben dem
Harnleiter nicht die Möglichkeit, neue Gefäßverbindungen einzugehen,
weder dem in die Blase prominierenden Abschnitt, noch dem extra-
vesikal befindlichen Teil, wenn er vom Peritoneum unbedeckt geblieben
ist. ‘Kein Teil des Harnleiters sollte also ohne Verbindung gelassen
werden. Bei der von mir vorgeschlagenen Operation wird das End-
stück des Harnleiters so versorgt, daß es von der Blasenwand aus
vaskularisiert werden kann und vom Peritoneum bedeckt ist.
Über eine neue Methode der Ureterozystostomie. 343
Fortlaufende zirkuläre Naht.
Die fortlaufende Naht ist einer unterbrochenen Naht vorzuziehen,
da sie schneller ausführbar ist; bei einer langdauernden Operation
wegen Uteruskrebs bessern aber auch nur ein paar ersparte Sekunden
die Prognose. Die fortlaufende Naht gibt zudem auch größere Garantie
für die Dichtigkeit und das Festbleiben der Nahtstelle; auch bewirkt
sie eine mehr gleichmäßigere Vereinigung der Wundflächen.
Nutzen des Ureterkatheters.
Bei der Benutzung des Harnleiterkatheters wird die Beschädigung
der zarten Ureterwand durch Instrumente vermieden und die Naht
erleichtert.
Wird der Harnleiter nach der bisher üblichen Technik in die
Blase eingefügt, so: haben wir folgende Verhältnisse: Serosa, Muskel-
schichten und Mukosa der Blase stoßen rechtwinklig an die fibromusku-
läre Wand des ins Blasenkavum prominierenden Ureters, welche nicht
besonders gut ernährt ist. Bei dem reparativen Prozeß müssen neue
Blutgefäße von der Blase in dieses fipromuskuläre Gewebe eindringen.
Bei der von mir vorgeschlagenen Operation dagegen können die
Blutgefäße der einzelnen anatomisch gleichartigen Gewebsschichten mit-
einander in Kommunikation treten.
(Aus der Universitätsfrauenklinik in Bonn. Direktor: Geh. Obermedizinalrat Prof.
Dr. Fritsch.)
Über essentielle Nierenblutung.
Von
Prof. Dr. K. Reifferscheid, Oberarzt der Klinik.
Die Frage, ob es eine essentielle Nierenblutung, d. h. eine Blutung
aus der Niere ohne anatomisch nachweisbare Veränderung der Niere
gibt, ist noch eine strittige. G. Klemperer hält an der Auffassung
fest, daß diese Blutungen infolge eines auf Nervenlähmung be-
ruhenden Erschlaffungszustandes der Gefäße, welcher dieselben für die
Blutkörperchen durchlässig macht, vorkommen können, und bezeichnet
sie als angioneurotische Hämaturie. Schede und 'Senator suchten
mit der Annahme einer rein örtlich auf die Nieren beschränkten hä-
morrhagischen Diathese einer „renalen Hämophilie“ eine Erklärung zu
geben. Daß in einzelnen Fällen die allgemeine Hämophilie eine ur-
sächliche Rolle spielt, beweist der Fall von Grosglick. Guyon,
Albarran, Pousson u.a. sehen die Ursache in einer Nierenkongestion,
wie sie zustande kommt durch Druck auf den Ureter oder Abknickung
desselben oder durch Abknickung der Nierengefäße. Damit erklären
sich die Blutungen, wie sie beobachtet wurden, bei Wandernieren, ferner
in der Schwangerschaft; bei letzteren spielen vielleicht auch noch
toxische Prozesse eine Rolle.
In einer ganzen Reihe von Fällen von renalen Massenblutungen,
deren Ätiologie dunkel erschien und bei denen Nierensteine, Neu-
bildungen und Tuberkulose auszuschließen waren, ließen sich entzünd-
liche Prozesse der Niere nachweisen und wir wissen jetzt, daß die
Nephritis eine der häufigsten Ursachen für Nierenblutungen ist und
daß sie zweifellos auch rein einseitig vorkommen kann. Auf dieser
Tatsache fußend ging man dann so weit, auch alle die Fälle von Nieren-
blutung als durch nephritische Prozesse bedingt zu erklären, bei denen
die genaue mikroskopische Durchforschung des Organs nur winzige
Entzündungsherde, geringfügige Narben, geringe Epitheldegenerationen
feststellte, oder wo kleine Verwachsungen zwischen Kapsel und Rinde
sich fanden. G. Klemperer und Senator halten es für sehr unwahr-
scheinlich, daß so unbedeutende entzündliche Veränderungen, die zudem
längst abgelaufen sind, das Zustandekommen der beobachteten Massen-
blutungen erklären könnten. Selbst wenn man aber diese gewiß sehr
zweifelhafte Erklärung annehmen wollte, so bleiben doch noch eine An-
Über essentielle Nierenblutung. 345
zahl Fälle übrig, bei denen sich in der Niere keinerlei krankhafte Ver-
änderungen haben nachweisen lassen. Bleek hat in seiner Arbeit über
renale Massenblutungen bei genauer kritischer Sichtung der gesamten
Literatur 6 Fälle (Casper 2, Klemperer, Schede, Steinthal, Wulff)
gefunden, bei denen die genaue anatomische Untersuchung — sämt-
liche Nieren wurden exstirpiert und mikroskopisch untersucht — keine
Veränderungen nachweisen ließ.
Ich habe nun vor kurzem einen weiteren Fall von unaufgeklärter
Massenblutung aus einer Niere zu beobachten und behandeln gehabt,
über den ich kurz berichten möchte.
Jahrg. 1909/10. J.-Nr. 153. Frau E. R., 24 Jahre alt. Aus gesunder Familie,
hatte als Kind Masern und Keuchkusten, später eine Lungenentzündung überstanden.
Seit 2 Jahren verheiratet, vor einem Jahr eine Geburt spontan, Wochenbett ohne
Störung. Menses regelmäßig ohne Beschwerden, letzte vor 12 Tagen beendet. Am
30. V. stellte sich die Pat. in der Sprechstunde vor mit der Angabe, daß sie seit
einigen Tagen ziehende Schmerzen in der rechten Seite habe, die nach dem Unterleib
zu ausstrahlen und anfallsweise stärker würden. Gleichzeitig habe sie alle zwei Stunden
Drang zum Urinlassen verspürt und dabei jedesmal viel flüssiges Blut entleeren müssen.
Besonders viel Blut sei morgens beim Aufstehen und tagsüber nach längerem Liegen
gekommen. Nur selten habe sie einmal ganz blutfreien Urin entleert. |
Die zystoskopische Untersuchung ergab, daß die Blase vollkommen gesund war.
Aus dem rechten Ureterostium rieselte in gleichmäßigem Strome Blut hervor. Der
Urin der linken Niere wurde mit dem Ureterkatheter entnommen, um feststellen zu
können, ob die linke Niere gesund sei. Der von der linken Niere abgesonderte Urin
war vollkommen klar, frei von Eiweiß und enthielt keine Formbestandteile.. Der vor
der zystoskopischen Untersuchung aus der Blase mit dem Katheter entleerte Urin war
sehr stark bluthaltig; im Sediment fanden sich massenhaft rote Blutkörperchen, aber
keine Zylinder. Die Eiweißmenge entspricht dem Blutgehalt.
Es ist keine Vergrößerung der Nieren nachweisbar, nur ist die rechte Nieren-
gegend auf Druck etwas schmerzhaft. Die Pat. sieht sehr anämisch aus und gibt an,
daß sie sich seit Eintritt der Blutung sehr elend fühle. Neigung zu stärkeren Blutungen
ist weder bei der Pat. noch bei einem Mitglied ihrer Familie vorhanden. Da bei
strenger Bettruhe, Milchdiät und Darreichung von Secale cornutum die Blutungen
nicht nachlassen, die Anämie zunimmt, so entschließt sich die Pat. zu der ihr vor-
geschlagenen Operation.
3. VI. 09. Äthernarkose, linke Seitenlage (Operateur: Reifferscheid), Freilegen
der rechten Niere vom schrägen Flankenschnitt aus. Die Niere ist nicht vergrößert,
ist nirgends verwachsen, im Nierenbecken lassen sich keine Konkremente abtasten.
Die Niere läßt sich unschwer vor die Wunde ziehen, worauf die Hilusgefäße und der
Ureter isoliert mit Katgut abgebunden werden und die Niere exstirpiert wird. Sorg-
fältige Etagennaht der Wunde mit Katgutknopfnähten, Vereinigung der Haut mit
Michelschen Klammern. Glatte Konvaleszenz. Heilung per primam. 17. Tag post
operationem entlassen. Während der Konvaleszenz niemals Blut oder Eiweiß im Urin,
im Sediment niemals Zylinder oder Nierenepithelien nachweisbar. Bei einer Vor-
stellung Ende Juli befindet sich Pat. sehr wohl und hat sich sehr gut erholt; auch
diesmal ist der Urinbefund normal.
Die Niere erscheint bei makroskopischer Besichtigung (bei Anlegung zahlreicher
Schnitte) völlig normal, nur finden sich am Ansatz der Kalizes kleine flächenhafte
Blutungen, ebenso im Nierenbecken selbst kleine Ekchymosen. Die mikroskopische
Untersuchung, der zahlreiche Stücke aus den verschiedensten Teilen der Niere unter-
worfen wurden, ergab keinerlei Veränderungen an dem Nierengewebe.
Es handelte sich also in dem vorliegenden Falle um heftige renale
Massenblutungen aus einer Niere, die zu bedrohlicher Anämie führten
346 “ Dr. K. Reifferscheid. Über essentielle Nierenblutung.
und deshalb einen operativen Eingriff notwendig machten, ohne daß
die genaue makro- und mikroskopische Untersuchung der betreffenden
Niere anatomische Veränderungen derselben hätte nachweisen lassen.
Es handelt sich also offenbar um eine essentielle Hämaturie, zu deren
Erklärung wir mit Klemperer auf angioneurotische Einflüsse zurück-
greifen müssen. Der Erklärungsversuch Küsters, der annimmt, daß
bei Erkrankung einer Niere die andere gesunde Niere bluten könne,
indem bei Unterdrückung oder Einschränkung der Zirkulation in der
einen Niere in der anderen auf dem Wege von durch den Plexus sym-
pathicus vermittelten Beziehungen eine entsprechend größere Blutfülle
auftrete, die bei plötzlichem Zustandekommen bis zum Bersten einzelner
Gefäße sich steigern könne, kommt für den mitgeteilten Fall nicht in
Betracht, weil die Untersuchung das Gesundsein der anderen Niere
feststellte.
Vielleicht wäre man in dem vorliegenden Falle auch allein mit
der Nephrotomie, wie sie ja als Normalverfahren zur operativen Be-
handlung derartiger Fälle angesehen wird, ausgekommen, ich habe mich
trotzdem zur Exstirpation der Niere entschlossen, weil die Anänie be-
reits eine recht erhebliche war und ich die Pat. deshalb nicht der
Gefahr einer erneuten Blutung aussetzen wollte, wie sie in einzelnen
Fällen nach der Nephrotomie allein beobachtet worden ist und danu
nachträglich doch noch zur Exstirpation der Niere geführt hat.
NOV 171921