Skip to main content

Full text of "Zeitschrift für gynäkologische Urologie 1.1909"

See other formats


omg Ambrosto us 








u SELLBEI 


> 
A 


Barth | SAS e S 





(MEN d 
x P es 
a €, A z é e 
- . Ss a 
>“ A 2 ge dp 7, R b- > WW SA d S 
a Jo eh e E e b y 
ahia € 2 uf tr ` 
> a Por e ` k 
e La A. 2 u ` a . A y 
TA Pr 
p Ze . e d 
L D ` a ` 
. in, > 
a? C'ON y a $ > ` e 
E ke V Ltr P a ` e ` 
E: ` E > 
PPS AA AN ` J’ 
` - ve a 


p 












w E E? R E 








Druck vun Grimme & Trömel in Leipzig. 


E EE 


2 


Inhaltsverzeichnis von Band I. 


Seite 
Baisch, K. Blasenblutungen bei Retroflexio uteri gravidi incarcerati `, . . . 12 
Björkenheim, B. A. Vesikolabialfistel nach Hebosteotomie . . . 277 
Cassanello, R. Harnblasenovarialfistel durch die Zystoskopie diagnostiziert . . 196 
Devaux. Ein Beitrag zur Lehre der essentiellen Hämaturie . . 101 
Everke, 0. Die Operation de fixierter Blasenscheidenfisteln® nach Tren- 
delenburg. . . Me ee ee ge e SE 
Engelhorn, E. Über Incontinentia urinae . . 321 
Palgowski, Wi. Über zystoskopische Befunde nach gynäkologischen Operationen 283 
Fisch. Zur Behandlung der Zystitis mit organischen Siberverbindungen . . . 177 
Franz, K. Die Schädigung des Harnapparates nach abdominalen Uteruskarzinom- 
operationen . . e g 3 
Pritsch, H. Nierenexstirpation bei Ureterfistel . Ni re a AT 
Hammerschlag. Septischer Abort nach spontaner Kolpokleisis | 
Henkel, M. Zur Behandlung der chronischen Zysto-Pyelitis . . 37 
Holzbach, E. Über die Funktion des re nach h Operationen in ` Iv- 
halationsnarkose und Lumbalanästhesie. . . e a ap 66 
— DBlasenblutung bei Retroflexio uteri gravidi . . 175 
Kannegießer, N. v. Zur Frage der Heilung von Uretero-Vaginalfisteln, experi- 
mentelle Untersuchung . . 329 
Kawasoye, M. Über den Zusammenhang "zwischen Funktionsstörung der Niere 
und Kochsalzinfusion . . 309 


Kehrer, E. Experimentelle Untersuchungen über Reflexe auf die Blase und über 
die gegenseitigen reflektorischen Beziehungen zwischen Harnapparat und 


Uterus. . Ké e E e Aen SE 
— Die Nierendekapsulation bei Eklampsie T p e, aiei e Ae e A 
Knorr, R. Der gegenwärtige Stand der Nierendiagnostik de Ber dr ee ër DB 
— Funktionelle Diagnostik der Blase mittels des Zystoskops . . 314 
Kroemer, P. Eine einfache Vorrichtung zur Entwicklung der kalten. Schlinge 

als Ergänzung zu dem Ureterenzystoskop. . . 171 
— Die Behandlung unfreiwilliger Ureterläsionen und „Unterbindungen . . . . 262 
Leitch, A. Über eine neue Methode der Uretero-Zystotomie VAE . 339 
Löwit, A. Dystopie der Niere und Mißbildung der inneren Geschlechtsorgane . 166 
Mayer, K. Einseitige zyklisch-orthotische Albuminurie . . . 229 
Mirabeau, 8. Über den Zusammenhang der intermittierenden Hydronephrose 

mit Genitalleiden bei Frauen . . . ge el in ar E 
— Ein zystoskopisches Instrumentarium für den Frauenarzt e ër ée. E 
Montuoro, F. Die Ureterozystoneostomie nach Boari . . . nn. 265 
— Ein weiterer Fall von Ureterozystoneostomie nach Boari usw. . . . . . 334 
Neu, M. Vesikolabialfistel nach Hebosteotomie. . . nn. 203 
Peiser, BR Nierenveränderungen bei Uretervaginalfisteln EE sr ër, E e, 136 
Reifferscheid, K. Die Dekapsulation der Nieren bei der Eklampsie 20.20.1856 

— Über essentielle Nierenblutung . . 344 


Rißmann, P. Über Blasenbeschwerden des Weibes ohne "zystoskopischen Befund 210 


304551 


IV Inhaltsverzeichnis von Band I. 


Sellheim, H. Wiederherstellung des abgequetschten Übergangsteiles der Blase 
in die Harmröhre . . 

Sieber, H. Über die Behandlung der Enuresis nocturna mittels epiduraler In- 
jektionen nebst experimentellen Versuchen über die Ätiologie dieser Er- 
krankung . TE 

— Über den Blasensitus nach "Zystozelenoperationen 

Stoeokel, W. Vorwort . . 

— Zur Diagnose und Therapie der Schwangerschaftspyelitis er 

— Modifiziertes Valentinesches en für die weibliche Urethra 

— Gynäkologie und Urologie . > Ri E e 8 

Wertheim. Gynäkologie und Urologie . : 

Zangemeister. Weibliche Inkontinenz durch Narbenzug 

— Verschluß der weiblichen Blase . 

Zorn. Inkrustierte Haarnadel bei einem 14 jährigen Mädchen . 

Zurhelle, E. Zur Behandlung schwerer Entzündungen der weiblichen Blase 


Seite 


179 


213 
87 
1 
43 
234 
237 
253 
14 
79 
326 
82 


Sachregister von Band I. 





(Die Zahlen geben die Seitenzahl an.) 


A. 


Albarransche Methode der funktionellen 
Nierenprüfung 59, 62. 

Albuminurie, einseitige zyklisch-orthotische 
229. 

Argentum nitric. 55, 85. 


Blase, Beschwerden ohne zystoskopischen 
Befund 210. 

—, Blutung bei Retroflexio uteri gravidi 
incarcerata 12, 175. 

—, Karzinom der 250. 

—, Fisteln 6, 179, 193, 196, 203, 247, 
249, 277. 

—, Fremdkörper in der 245, 326. 

—, Gangrän der 242. 

—, Innervation der 218. 

—, intraligamentäre 246. 

—, Reflex der 66. 

—, reizbare 210. 

—, Schwangerschafts- 35. 

—, Situs der 87. 

—, Steine in der 244. 

—, Verschluß der 79. 

Bullöses Ödem 13, 292. 


Carcinoma urethrae 249. 

— vesicae 250. 
Caruncula urethrae 249. 
Chininalkohol bei Zystitis 42. 
Chromozystoskopie 63, 252. 
Collargol 55, 84, 177. 
Colpokleisis 280. 
Colporraphie 89. 


E. 
Eklampsie, Nierendekapsulation bei 111. 
Enuresis 213. 
—, epidurale Injektionen bei 213, 223. 
Epispadie 247. 


F. 
Fibrolysin 77. 
Fisteln 6. 127, 136, 179, 193, 196, 203, 
247, 249, 265, 277, 329. 


Fa ee | m ege A d'Ziel 


m nn mn. 


Fremdkörper 245, 326. 

Funktionelle Diagnostik der Niere 56, 63, 
103. 

— der Blase 314. 


Gonorrhöe 241. 


Haarnadel in der Blase 326. 

Hämaturie, essentielle 203. 

Harnapparat, Schädigungen des, nach ab- 
dominalen Uteruskarzinomoperationen 3. 

—, Funktion des, nach Operationen in In- 
halationsnarkose und Lumbalanästhesie 
65. 

—, Reflektorische Beziehungen des, zum 
Uterus 299. 

—, Verhalten des, bei Exsudaten 295. 

Harnausscheidung während der Operation 
65. 

Harnorgane, Lageanomalien der 245, 246. 

Harnröhre 80, 81. 

—, Bildungsanomalien der 246. 

—, Geschwülste der 249. 

—, Prolaps der 245. 

Harnröhrenblasenscheidenfistel 179. 

Hebosteotomie, Verletzungen bei 203, 277. 

Helmitol 40, 51. 

Hydronephrose, Zusammenhang der, mit 
Genitalleiden 15. 

—, Diagnose der 24. 

Hypospadie 246. 


I. 


Indigkarminprobe 63. 
Inkontinenz 74, 213, 321. 


K. 
Kryoskopie 60, 61. 
Katheter zur Dauerspülung der Blase 83. 


M. 


Menstruation und Hydronephrose 22, 28, 30. 
Massage bei Inkontinenz 76. 
Methylenblau, Injektion von 199. 


VI 


N. 


Natrium benz. Al. 

Nekrose der Blasenwand 7. 

Nephrektomie 18, 103. 127. 

Nephrotomie 52. 

Niere, Dekapsulation der, bei Eklampsie 
111, 156. 

—, Dystopie der 166. 

—, Funktionsstörung der, nach Kochsalz- 
infusion 309. 

—, Tuberkulose der 242. 

Nicrenbeckenspülungen 39, 40, 54. 

Nierenblutung 344. 

Nierendiagnostik 56, 103. 

Nierenkapselgeschwülste 246. 


0. 


Ödem 292. 
Okklusivkatheter 57. 
Operationszystoskop 106, 171. 


P. 
Parazystitis 243. 
Perforationen in die Blase von Exsudaten 
248. 
— von Pyosalpingen 249. 
— von Dermoidzysten 249. 
— von tubaren Fruchtsäcken 249. 
Perizystitis 242, 293. 
Phloridzinprobe 58. 
Prolapsoperationen 90. 
Protargol 177. 
Protein 40. 
Pyelitis gravidarım 43, 243. 
— und Perityphlitis 50. 
— pustoperative 255, 292. 
Pyocyaneus 46. 
Pyonephrose 19, 20. 


Q. 


Quecksilberoxycyanid 40. 


Saugzystoskop von Kutner 57. 
Schwangerschaftsblase 35. 

Separator von Luys 58, 252. 
Sphincter vesicae 80. 

Steinbildung um Seidenfäden 195, 244. 


T. 


Thiosinamin 77. 
Totalexstirpation, vaginale 91. 


Sachregister von Band 1. 


' Trypsin bei Zystitis 42. 





Tuberkulose der Harnorgane 241. 


U. 


Ureterfisteln 8, 10, 127, 136, 146. 149, 
247, 254, 329. 

—, doppelseitige 9. 

—, Nephrektomie bei 127. 

—, Nierenveränderungen bei 136. 

—, Pyelonephritis bei 10. 

— , Spontanheilung von 9, 146, 149, 254. 


_Ureterimplantation in die Blase 9, 128, 


129, 265, 334. 
— in den Darm 130. 
Ureterknickung 19, 296. 
Ureterkompression bei Hydronephrose 20. 
— bei Pyelitis gravidarum 47. 
Uretermündung, Schleimhautschwellung 
an der 19. 
Ureterozele 247. 


' Ureterozystostomie 339. 


Ureterresektion 10. 


: Uretersteine 244. 


Ureterunterbindung 130. 
Ureterverletzung 254, 262. 


: Urethritis 240. 


Urethroskop 234. 


 Urethrozele 243. 
Urologie und Gynäkologie 1, 237, 253. 
= Urotropin 40, 51. 


v. 
Vaginofixation 89. 


Verhandlungen der deutschen Gesellschaft 


für Urologie 237—261. 
Vesikolabialfistel 203, 277. 


W. 


Wanderniere nach Hydronephrose 22. 
— post puerperium 246. 


Zystitis 3, 37, 82, 177, 242, 291. 
Zystitis colli 291. 

Zystopyelitis 38. 

Zystoskopie 196, 239, 251. 

— bei Retroflexio uteri gravidi 13. 
— nach Operationen 283. 

— hei Zystopyelitis 37. 
Zystoskopisches Instrumentarium 106. 
Zystozele 87, 245. 


Zeitschrift für gynäkologische Urologie 


1908 Band 1 Nr. 1 














Vorwort. 


Man spricht und schreibt, hört und liest immer wieder von dem 
sroßen Interesse, das die Gynäkologen an dem Grenzgebiet der Uro- 
logie haben. 

Diese Behauptung ist gewiß richtig, aber sie trifft nicht den Kern 
der Sache. 

Interesse allein ist zu wenig. 

Wer weiter nichts tuen will, als „interessiert“ zuzusehen, wie 
andere arbeiten, der darf natürlich auch den Arbeitsplatz selbst nicht 
betreten resp. muß es sich gefallen lassen, als störender „Unbefugter“, 
dem der Zutritt mit Recht verwehrt wird, über die Absperrungslinie 
gewiesen zu werden. 

Wer aber zeigt, daß er mitarbeiten will, mitarbeiten kann und 
— im Interesse des Werkes — sogar mitarbeiten muß, der wird nicht 
nur geduldet, sondern ist „befugt“, ja willkommen. 

Von diesem Standpunkt aus ist auch die Arbeitstätigkeit des 
Gynäkologen auf urologischem Gebiet zu beurteilen. 

Ich meine, wir können getrost und ohne nach unserem Berech- 
tigungsausweis gefragt zu werden, das urologische Arbeitsfeld betreten. 

Wir haben nicht mehr nötig zu beweisen, daß man kein guter 
Gynäkologe sein kann, wenn man nicht zugleich auch Urologe ist. 

Wir haben aber auch nicht mehr nötig zu beweisen, daß die Urologie 
in ihrer Weiterentwicklung empfindlich aufgehalten werden würde, 
wenn die Mitarbeit der Gynäkologen wegfiele. Wir sind jetzt schon 
nicht mehr allein die Empfangenden und Lernenden, sondern wir sind 
für manche urologische Fragen auch schon die Gebenden und die 
Lehrenden geworden. Es gibt bereits eine gynäkologische Urologie, 
die nur die Gynäkologen studieren, praktisch ausüben und weiter- 
entwickeln können. Wir brauchen die Urologie — nicht weniger aber 
braucht die Urologie uns. 

Wir müssen dieses berechtigte Selbstbewußtsein zum Ausdruck 
bringen, weil es im Interesse der Sache durchaus notwendig ist. Wir 
müssen dahin wirken, daß nicht nur die Minderzahl der Fachgenossen, 
die sich bereits jetzt mit Energie und Erfolg auf urologischem Gebiet 
betätigt, sondern daß auch die Gesamtheit der Gynäkologen und der 
Frauenärzte einen wirklichen Überblick über die schon geleistete und 
einen Ausblick auf die von uns allen noch zu leistende Arbeit erhält. 
Das war bisher tatsächlich schwer, weil die diesbezüglichen Publi- 


kationen und Berichte in sämtlichen spezialgvnäkologischen Fachschriften 
Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 1 


2 Vorwort. ` 


und in zahlreichen allgemein-medizinischen Zeitschriften so sehr ver- 
streut wurden, daß kein rechter Gesamteindruck der geleisteten Arbeit 
zutage trat. 

Deshalb möchte ich versuchen, die urologische Tätigkeit der Gynä- 
kologen gewissermaßen zu zentralisieren und erhoffe von diesem Unter- 
nehmen außerordentlich viel. Ich bin überzeugt, daß es dazu beitragen 
wird, die bereits errungene Position schnell zu festigen und weiter 
auszubauen, daß es die Arbeitslust für urologische Fragen nicht nur 
der Kliniker, sondern auch der in der Praxis stehenden Kollegen 
anregen und fördern wird. 

Die Zeitschrift soll sozusagen die Probe aufs Exempel sein. 

Sind unsere Behauptungen richtig, so ist ein derartiges Zentral- 
organ auch notwendig. Und deshalb bitte ich alle diejenigen, die meine 
Ansichten teilen, meine Mitarbeiter und mich zu unterstützen. Wir 
müssen vorwärts kommen, und wir werden vorwärts kommen, wenn wir 
uns zusammenschließen. 


Marburg a. L., September 1908. 


Stoeckel. 


Die Zeitschrift wird in Einzelheften ausgegeben, deren Erscheinen 
von dem zu Gebote stehenden Material abhängen wird. 6 Hefte werden 
einen Band bilden. Preis des Bandes M. 10.—. 

Die Arbeiten werden mit M. 30.— pro Bogen honoriert. Den 
Autoren steht es frei, ihre Arbeiten durch Abbildungen zu illustrieren. 
Nur bei farbigen Bildern, deren Reproduktionskosten bekanntlich recht 
hoch sind, muß mit dem Verlage eine{Vereinbarung von Fall zu Fall 
getroffen werden. 

Außer den Öriginalartikeln werden Sammelreferate veröffentlicht 
werden, die besonders wichtige und aktuelle Fragen zusammenfassend 
behandeln sollen. 

Alle Manuskriptzusendungen sind an Herrn Prof. Dr. Stoeckel 
in Marburg a. L. zu richten. 


Leipzig, Dörrienstraße 16. 


Johann Ambrosius Barth 
Verlagsbuchhandlung. 


(Aus der Frauenklinik der Universität Jena.) 


Die Schädigungen des Harnapparates nach abdominalen 
Uteruscarcinomoperationen. 
Von 
K. Franz. 


Die abdominalen Operationen wegen Gebärmutterkrebs gefährden 
den Harnapparat sehr. Sie tun es um so stärker, je ausgedehnter sie 
sind. Man kann sagen, daß, unbeabsichtigte Verletzungen des Harn- 
apparates ausgenommen, die Zahl und Größe der Schädigungen ein Be- 
weis für die Ausdehnung der Operationen sind. Je mehr vom Becken- 
bindegewebe weggenommen wird, desto mehr werden Blase und Ureteren 
aus ihren Gefäß- und Nervenverbindungen gelöst und die Folge müssen 
Schädigungen ihrer Funktion und eine Erkrankung ihrer Wände sein. 

Cystitis. 

Fast regelmäßig tritt nach abdominaler Carcinomoperation eine 
Cystitis auf. Zur Erörterung des vorliegenden Themas dienen mir 
123 Fälle. Von diesen sind nur 35 ohne Cystitis geblieben, das sind 20 %,. 

Sehr selten wird die Cystitis mit zur Operation gebracht. Seit 
LI Jahren wird regelmäßig jede Carcinomkranke cystoskopiert. Von 
45 Fällen hat nur einer einen Blasenkatarrh gehabt. 

Die postoperative Cystitis tritt verschieden stark auf. Gewöhnlich 
beginnt sie am 4. Tag mit trübem, leukocytenhaltigem Urin. In den 
leichten Fällen bleibt es dabei, in schwereren wird der Harn dickeitrig 
oder auch blutig. Die Beschwerden der Patientinnen sind meist sehr 
gering, auch bei sehr heftigen Blasenkatarrhen. Sie bestehen meist nur 
in häufigem Druck auf die Blase. Aber auch dies Symptom kann ganz 
fehlen. Die Empfindungslosigkeit der Blasen in den ersten Wochen 
nach den Krebsoperationen ist überhaupt sehr charakteristisch. Daher 
kommt es, daß eine große Zahl der Patientinnen die Blase voll haben, 
ohne es zu merken, daß sie Wasser lassen und die Hälfte des Harns 
zurückbehalten. Wenn dies Symptom übersehen wird, wenn nicht der 
Residualharn regelmäßig durch den Katheter entfernt wird, heilen die 
Blasenkatarrhe nie aus. Ein weiteres Symptom ist die Inkontinenz. 
Wir haben in 10 Fällen beobachtet, daß die Patientinnen 3—14 Tage 


naß lagen, ohne daß eine Fistel bestanden hätte. 
15 


4 K. Franz. 


Die Dauer der UCystitiden ist sehr verschieden. Sie können in 
wenigen Tagen verschwunden sein, oder auch 5—6 Wochen dauern. 
Aber auch wenn der Urin klar geworden ist und die cystoskopische 
Untersuchung nur eine stärkere Injektion der Gefäße zeigt, oder völlig 
normale Schleimhaut, so können Blasenfunktionsstörungen noch monate- 
lang bestehen. Druck auf die Blase, unwillkürlicher Harnabgang beim 
Husten und Lachen, Brennen plagen die Patientinnen. Von den an 
Carcinom operierten und später nachuntersuchten Frauen haben ungefähr 
25°), über diese Blasenbeschwerden geklagt. 

6mal beobachteten wir, daß ein scheinbar ausgeheilter Blasenkatarrh 
in der 4. Woche post operationem wieder auftrat und erst nach längerer 
Behandlung wieder verschwand. 

Der postoperative Blasenkatarrh verzögert die Heilung und hält 
die Frauen länger im Krankenhaus, als sie nach den übrigen Heilungs- 
vorgängen bleiben müßten. Die Frauen, die keine Cystitis bekamen, 
konnten nach abdominaler Careinomoperation durchschnittlich am 23. Tag 
entlassen werden, die mit Cystitis mußten durchschnittlich 32 Tage 
bleiben. 

Die Gefahr, daß Blasenkatarrhe zu Entzündungen des Nieren- 
beckens, zu Pyelitis und Pyelonephritis führen, ist nach unseren Er- 
fahrungen nicht sehr groß. Wir haben 5 Fälle erlebt. 3 davon traten 
mit Schüttelfrost Anfang der 4. Woche auf, mit starker Schmerzhaftig- 
keit in der Nierengegend und eitrigem Urin. Bei 2 Fällen waren die 
Erscheinungen in 11, bei einem in 3 Tagen verschwunden. 2 Fälle 
betrafen Frauen, von denen die eine 26 Monate p. o. an Inanition, die 
andere 14 Tage nach der Operation an Lungenembolie zugrunde ging. Im 
ersten Falle mußte im 8. Monate p. o. ein Nierenabsceß gespalten werden. 

Die Ursachen der Cystitis sind Ernährungsstörungen der Blasen- 
wand und die Harnverhaltung, die zum Katheterisieren zwingt. Nur in 
3 Fällen unvollständiger Operation, wo der Uterus zurückgelassen werden 
mußte, weil das Carcinom nicht zu entfernen war, urinierten die Patien- 
tinnen am ersten Abend, in allen anderen Fällen mußte katheterisiert 
werden 2—7 Tage lang in 26, 8—14 Tage in 21, zwei 15 Tage lang 
und ein Fall 24 Tage lang (in den übrigen Fällen ist in den Journalen 
über die Dauer des Katheterisierens nichts bemerkt). 

Größte Sauberkeit beim Katheterisieren vermag hie und da den 
Blasenkatarrh zu verhüten. Auch die cystitisfreien Fälle sind katheteri- 
siert worden und 6 davon sogar 8—10 Tage lang. Da aber 7 von den 
32 cystitisfreien Fällen eine besondere prophylaktische Behandlung er- 
fuhren und 2 von ihnen Fälle betreffen, wo wegen fortgeschrittener 
Carcinome die Blase nur wenig freigelegt wurde, so bleiben nur 23 Fälle 
übrig, die trotz Katheterisierens von Cystitis frei blieben. 

In den meisten Fällen aber nützt alle Sauberkeit nichts und der 
Blasenkatarrh kommt doch. Deshalb ist anzunehmen, daß die Haupt- 
ursache der Cystitis nicht der Katheter ist, sondern Veränderungen in 
der Ernährung der Blasenwand, die durch die Operation hervorgerufen 


Die Schädigungen des Harnapparates usw. 5 


werden. Und das ist ja klar. Bei der abdominalen Carcinomoperation 
wird die Blase von ihrer ganzen Unterlage freigemacht, von Cervix, 
Scheide und den Parametrien, ihre Nerven und Gefäße werden durch- 
schnitten, Harnverhaltung, Schwellung der Schleimhaut, Sugillationen, 
Infektion durch den Katheter und von der Beckenbindegewebswunde 
her werden die Folge sein (vgl. Baisch, Beitr. f. G.-G., Bd. VII, 
Roith, ebenda, Bd. XI). In den schwersten Fällen kommt es zur 
Nekrose der Blasenwand und Fistelbildung. Ein Fall, der zur Sektion 
kam, zeigte die halbe Blase gangränös. 

Diese Cystitisursachen liegen in dem Wesen der Operation 
und nur eine Einschränkung ihrer Grenzen würde eine wirk- 
same Prophylaxe der Cystitis bedingen. 

Die Erhaltung der Blasenäste der Uterina ist ohne Bedeutung für 
das Auftreten einer Cystitis. In 32 Operationsberichten finden sich 
Notizen darüber; 8 mal sind die Blasenäste beiderseits unterbunden 
worden, 9 mal auf einer Seite und 15 mal beide erhalten worden. Ein 
Unterschied der Cystitiden hat sich nicht gezeigt. Auch andere pro- 
phylaktische Maßnahmen haben keinen Erfolg gehabt, wie die Deckung 
der Blase durch das an dem vorderen Scheidenwundrande angenähte 
Blasenperitoneum, ein Verfahren, das von Amann und Krönig 
empfohlen worden ist. 

Um die Harnverhaltung zu verhindern, hat Werth vorgeschlagen, 
die Blase gleich nach der Operation mit 200—300 g 3 %/,igen Borwassers 
zu füllen. Diese Methode hat Krönig und Döderlein (Baisch) und 
wohl noch manchen andern gerade bei Carcinomoperationen im Stiche 
gelassen, und wir haben es deshalb gar nicht angewandt. | 

Von Baisch wurde empfohlen, gleich nach jedem Katheterismus 
eine ausgiebige Blasenspülung zu machen, und er wie Krönig haben 
gute Resultate davon gesehen. Wir haben nichts damit erreicht. 

Als bestes Prophylaktikum hat sich uns in jüngster Zeit der 
Dauerkatheter erwiesen. In den letzten 15 Fällen ist ein Dauerkatheter, 
und zwar ein Skenscher Pferdefuß, am 4. Tage, eingelegt worden und bis 
zum 9. oder auch 14. Tage liegen geblieben, länger als 9 Tage, wenn 
der Urin nicht ganz hell war. Wir legen den Dauerkatheter am vierten 
Tage ein, wenn am dritten Stuhl erfolgt ist und alle Manipulationen 
zur Erzielung von Blähungen und Stuhl aufgehört haben. Es hat sich 
das für die Pflege praktisch erwiesen. 

Von den 15 Fällen, die mit dem Katheter behandelt wurden, sind 
7 obne Cystitis geblieben und D hatten eine ganz geringe. Auch die 
drei übrigen Fälle zeigten nur mittelschwere Blasenkatarıhe, die nach 
Blasenspülungen in kurzer Zeit heilten. 

Die Wirkung des Dauerkatheters ist wohl die, daß er jede Harn- 
verhaltung verhindert und das Katheterisieren überflüssig macht. 

Ich wundere mich, daß Hannes vom Verweilkatheter gerade das 
Gegenteil gesehen hat. Die Cystitiden nahmen ab, nachdem der Dauer- 
katheter weggelassen worden war (Zeitschr., Bd. 72). 


6 K. Franz. 


Als ein weiteres Prophylaktikum der Cystitis mag Urotropin und 
Folia uvae ursi gelten. Urotropin wird regelmäßig vom 4. Tage an 
gegeben, 4—6 Tabletten a 0,5 täglich und mehrere Tassen Bärentrauben- 
blättertee. Ich stelle mir ihre Wirkung hauptsächlich als diuretische 
vor. Sie vermehren die Harnabsonderung und bedingen eine Blasen- 
spülung von innen heraus. Wenn sie so eine Cystitis verhüten, so kann 
man sich auch vorstellen, daß sie einen leichten Katarıh auch zur 
Heilung bringen können. In einem Drittel unserer Fälle genügten sie, 
um die Blasenkatarrhe zu heilen. Ist aber der Urin stark eitrig oder 
gar blutig, dann genügen sie nicht mehr. Dann machen wir Blasen- 
spülungen mit 2—3°),iger Borlösung. Führen 3, 4 Blasenspülungen 
nicht eine entschiedene Besserung herbei, so werden Xeroformsesamöl- 
eingießungen in die Blase gemacht. Kolischer (Die Erkrankungen 
der weibl. Harnröhre und Blase, Leipzig-Wien, Deuticke, 1898) hat Jodo- 
formsesamöleingießungen empfohlen. Wir nehmen 20 ccm einer 10°,- 
igen Xeroformsesamölemulsion, die nach Reinigung der Blase mit Bor- 
wasser eingespritzt werden. Das wird zunächst jeden Tag einmal ge- 
macht; gehen die Erscheinungen des Blasenkatarrhs zurück, ein über 
den andern Tag, dann immer seltener, bis der Urin vollständig klar 
geworden ist. Wenn das Xeroformsesamöl nicht genügt, so wenden 
wir Argentum nitricum an, und wiederum nach Kolischer beginnend 
mit 1°/,igen Lösungen und steigend bis 5 und 10°/,igen, von denen in 
die leere Blase 2—3 ccm eingespritzt werden. Unter dieser Behand- 
lung haben wir alle Cystitiden heilen sehen, wenn uns von den Patienten 
Zeit genug gelassen wurde. Ein Fall mußte ungeheilt und 9 gebessert 
entlassen werden, weil die Frauen nicht länger in der Klinik bleiben 
wollten. 

Ich habe schon oben kurz erwähnt, daß Frauen mit Blasenkatarrhen 
kontrolliert werden müßen, ob sie beim Wasserlassen ihre Blase voll- 
ständig entleeren. Das ist sehr wichtig, wenn man nicht Rezidive er- 
leben und Erfolg mit seiner Behandlung haben will. Keine Frau 
sollte eher entlassen werden, als sie imstande ist, ihre Blase vollständig 
zu entleeren. 


Blasenscheidenfisteln. 


Die Blasenscheidenfisteln, die nach abdominalen Carcinomoperationen 
auftreten, können zwei Ursachen haben, entweder Nekrose der Blasen- 
wand oder Insuffizienz der Naht von Blasenverletzungen. 

18 Blasenscheidenfisteln sind von uns beobachtet worden, 13 in- 
folge Insuffizienz der Naht und 5 durch Nekrose der Blasenwand 
bedingt. 

Die Nahtfälle betreffen 2 Resektionen der Blasenwand, eine frei- 
willige und 10 unbeabsichtigte Verletzungen. Die nicht beabsichtigten 
Verletzungen geschahen beim Ablösen der fest auf der Cervix sitzenden 
Blase. Es waren das immer Fälle, wo die carcinomatöse Infiltration 
oder entzündliche Verdiekung eine besonders feste Verbindung zwischen 


Die Schädigungen des Harnapparates usw. 7 


Blase und Cervixwand geschaffen hatte, oder wo die Blasenwand durch 
entzündliches Ödem sehr brüchig war. Die Löcher in der Blase waren 
immer klein. Sie wurden mit Catgutknopfnähten, die durch die ganze 
Wand gingen, geschlossen und noch eine die Wand oberflächlich 
fassende Schicht darüber gelegt. Jedesmal wurde die Blase nach der 
Naht mit Flüssigkeit gefüllt, um die Festigkeit und den Schluß der 
Naht zu prüfen. Nur in einem Falle wurden die Beckenbindegewebs- 
wunden mit Gaze drainiert, immer wurde die Blase durch einen Dauer- 
katheter still gelegt und trotz aller dieser Vorsicht sind von 15 ge- 
nähten Verletzungen, die bei den Carcinomoperationen vorkamen, nur 
einer geheilt, bei dem das Loch zur Implantation eines durchschnittenen 
Ureters benutzt worden war. Bei einem Falle trat der Tod sehr bald 
nach der Operation ein. Es ist also so gut wie keine genähte Ver- 
letzung primär geheilt. Das kann nur in denselben Ursachen liegen, 
die die Verletzungen bedingen, in Erkrankungen der Blasenwand durch 
entzündliche Infiltration. 

Die Insuffizienz der Naht trat ein in zwei Fällen am 2. Tag, 
in einem am 5., in einem am 7., in einem am 8., in dreien am 10., in 
einem am 14. und einem am 15. Tage, in drei Fällen nicht angegeben 
wann. Drei Fälle sind spontan geheilt, einer am 30. Tag, einer am 43., 
der andere zu Hause. Eine Patientin ließ sich die Fistel nicht operieren, 
zwei konnten wegen rasch fortschreitenden, die ganze Blase ergreifenden 
Carcinoms nicht mehr operiert werden; 7 wurden operiert, eine am 
31. Tage, zwei am 34., eine im 4. Monat, alle mit Erfolg, eine am 
49. Tage ebenfalls mit Erfolg operierte Kranke starb am 13. Tage nach 
der Fisteloperation an Embolie; 2 Patientinnen, von denen der einen anı 
45. Tage, der andern 4 Monate nach der Carcinomoperation die Fistel 
geschlossen wurde, heilten nicht, da die Blase von Carcinom ergriffen 
war und die Nähte im kranken Gewebe durchschnitten. 

Die Operation der Fistel war immer die gleiche: Umschneidung 
des Fistelrandes, Abpräparieren der Blasenwand von Scheidenwand rings- 
herum auf mindestens */, cm, durchgreifende Catgutknopfnähte der Blase 
und darüber eine Knopfnahtschicht, die ich bis vor 2 Jahren mit Silk- 
worm gemacht habe und jetzt auch mit Catgut ausführe. Catgutfäden 
brauchen nicht herausgenommen zu werden und inkrustieren sich nicht. 
Für die Heilung ist es gleichgültig, ob man Silk oder Catgut nimmt. 
Seide möchte ich wegen der starken Inkrustation nicht empfehlen. 

Blasenscheidenfisteln, durch Nekrose der Blasenwand bedingt, 
sind 5mal aufgetreten, 1mal am 3., imal am 4., 2mal Ende der ersten 
Woche, imal am 8. Tage. Sie sind also nicht häufig und entstehen 
meistens nur dann, wenn die Blasenwand bei der Operation schon krank 
ist oder bei sehr schwierigen Operationen die Wand stark gezerrt und 
gequetscht wird. Von den 5 Blasennekrosen traten 3 nach schwierigen 
Operationen weit fortgeschrittener Carcinome auf, bei einem Fall war 
die Blasenwand sehr ödematös, und nur in einem Falle war eine glatte 
und leichte Operation vorausgegangen. In keinem Falle waren die . 


8 K. Franz. 


Wundhöhlen tamponiert oder drainiert worden, sondern nur in die 
Scheide hatte man für 20 Stunden einen Gazestreifen gelegt. Ich glaube 
wohl, daß ausgiebige Drainagen der Wundhöhle mit Gaze, die an die 
Blasenwand zu liegen kommt und mehrere Tage liegen bleibt, bewirkt, 
daß die Blasenwand brandig wird. 

In dem Falle der ödematösen Blasenwand hatte die Raffung der 
Blasenwand an den vorderen Scheidenwundrand die Nekrose nicht zu 
verhindern vermocht. 

Eine Fistel schloß sich innerhalb 3 Monaten von selbst; eine wurde 
am 44. Tage operativ geschlossen, heilte zunächst nicht ganz, schloß 
sich aber dann spontan; bei einer Fistel wurde trotz carcinomatöser 
Verdickung der Fistelwände der Schluß versucht, aber vergebens; eine 
Frau starb !/, Jahr nach der ersten Operation mit Fistel an Rezidiv 
und eine Patientin entzog sich der weiteren Behandlung. 

Von allen Blasenfisteln sind nur 4 ohne Cystitis geblieben. 


Ureterscheidenfisteln 


sind wohl von allen. die Carcinome des Uterus abdominal operieren, 
beobachtet worden, ich nenne nur Rosthorn, Döderlein, Wertheim, 
der unter seinen letzten 158 Operationen 10 Ureternekrosen gesehen hat. 

Wir haben bei 145 Operationen 7 Ureternekrosen mit Fistelbildung 
erlebt. 

Die Fisteln traten auf einmal am 2. Tage, einmal am 4., zweimal 
am 7., einmal am 17., einmal am 21. und einmal am 23. Tage. Die 
Fisteln saßen viermal links, einmal rechts und zweimal waren sie doppel- 
seitig. Diese doppelseitigen ereigneten sich sehr spät, am 17. und 21. Tage, 
d. h. von diesen Tagen an lagen die Patientinnen naß. 

2 Operationen, die von Fisteln gefolgt waren, verliefen glatt und 
ohne Komplikation; zweimal konnten die Ureteren nur mit Schwierig- 
keit aus dem infiltrierten Gewebe des Parametriums freigemacht werden; 
ein solcher Fall betraf die doppelseitige Fistel; in einem Falle wurden 
am Ende der Operation von beiden Ureteren sitzengebliebene Carcinon- 
restehen entfernt; beide Ureteren wurden fistulös; bei 2 Fällen mußten 
wegen Nachblutungen Scheide und Wundbett fest austamponiert werden. 

Wir haben hier die Hauptursachen der Ureternekrosen, die meiner 
Meinung nach allein für Ureterfisteln in Betracht kommen, die Tam- 
ponade des Wundbettes und oberflächliche Verletzungen der Ureter- 
wand. Daß bei unseren Fällen, wo der Ureter schwierig aus seiner 
Lage zu lösen war, und wo Fisteln des Ureters eingetreten sind, seine 
Wand verletzt worden ist, ist für mich zweifellos. Und wenn sie in den 
Operationsjournalen nicht bemerkt sind, so haben wir sie bei den 
Operationen eben nicht gesehen. Sampson hat gewiß recht, wenn er 
die Schonung der Ureterscheide für besonders wichtig erklärt, sollen 
Ureternekrosen vermieden werden. 

Die Schonung der Uretergefäße, die auf Wertheims Veranlassung 
‚von Feitel genau beschrieben worden sind, ist gleichgültig. Stoeckel 


Die Schädigungen des Harnapparates usw. 9 


und Bumm haben darauf hingewiesen, daß die Drainage der Wund- 
höhlen mit Gaze für die Ureteren besonders gefährlich seien; das ist 
ganz gewiß richtig. Ich drainiere die Wundhöhlen nie mehr. Döder- 
lein scheint es für sehr bedenklich zu halten, den Ureter aus seiner 
Unterlage herauszuzerren und ihn abzuheben, so daß er frei wie ein 
Strang durch das Becken hindurch zur Blase zieht (Döderlein-Krönig, 
Operative Gynäkologie). Auf den Abbildungen liegt er auch schön in 
seinem Gewebe drin. Nur weiß ich nicht, wie man das machen soll, 
radikal zu operieren und den Ureter doch auf seiner Unterlage zu 
lassen. Oberhalb des Ureters ist ein bischen Parametrium, aber unter 
ihm ist doch viel mehr, und das muß heraus. Ich mache keine Car- 
cinomoperation, ohne daß der Ureter vom Beckeneingang bis zur Blase 
frei wie eine Guirlande durchs Becken zieht, und habe doch nur 7 mal 
eine Ureternekrose gesehen und mit Ausnahme von zwei Fällen wegen 
ganz bestimmter Schädigungen, die hätten vermieden werden können. 
Also das Freilegen des Ureters ist ganz gleichgültig, das verträgt er 
ausgezeichnet. Es ist auch nicht nötig, ihn so liebevoll.zu decken, wie 
Amann es tut. Bei uns wird nur das vordere und hintere Peritoneal- 
blatt über die Wundflächen mit Catgut vernäht, so daß die Bauchhöhle 
vollständig abgeschlossen liegt. Der Ureter bekommt also ein peritoneales 
Dach. 

Man braucht auch nicht allzu ängstlich mit dem Herauspräparieren des 
Ureters zu sein, wenn er fest im Gewebe sitzt, und es ist durchaus 
nicht nötig, ihn gleich durchzuschneiden. In 5 Fällen mußte der Ureter 
mit großer Mühe isoliert werden und ist nicht fistulös geworden. In 
3 anderen Fällen wurde er dabei oberflächlich verletzt. Die sofortige 
Catgutknopfnaht dieser Verletzung hat eine Fistel verhindert. 

Zwei der Ureterfisteln heilten, nachdem die Frauen mit Fisteln 
entlassen waren, spontan zu Hause aus. Sehr wichtig sind die neuesten 
Mitteilungen von Wertheim (Zentralblatt 1908, Nr. 8) und seinem 
Schüler Weibel (Zeitschr., 72. Bd.), daß von 24 Fällen von Ureter- 
fisteln -13 spontan heilten, von den letzten 10 sieben, und zwar mit 
Funktion der Ureteren. Wertheim und Weibel sprechen bei diesen 
Spontanheilungen der Ätzung mit Jodtinktur und Lapis eine große 
Rolle zu. Ich bin bisher anderer Meinung gewesen, nämlich die Fisteln 
ganz in Ruhe zu lassen. Ich werde von nun an auch ätzen. 

2 Fälle sind durch abdominale Implantation des Ureters in 
die Blase geheilt worden, der eine 4!), Wochen nach der Carcinom- 
operation, der andere 2!/, Monate darnach. Bei diesem Falle handelte 
es sich um eine doppelseitige Ureterfistel, die durch die Ein- 
pflanzung beider Ureteren in einer Sitzung geheilt worden ist. 
Die Technik der Einpflanzung ist von mir im 59. Band der Zeitschrift 
beschrieben worden. 

Der andere Fall der doppelseitigen Fistel ist zunächst links im- 
plantiert worden. Die Frau starb bald an Carcinom, bevor man dazu 
kam, auch den anderen einzunähen. 


10 K. Franz. 


2 Frauen mit Ureterfisteln wollten sich nicht operieren lassen. 
Eine davon bekam nach 9 Monaten ein Rezidiv. Die andere starb 
2 Jahre nach der Carcinomoperation nach Bericht des behandelnden 
Arztes an einer Pyelonephritis der fistulösen Seite. Das ist ein sehr 
wichtiger Fall. Er zeigt die Gefahren einer Ureterfistel, wenn sie 
lange unbehandelt besteht. Jede Fistel des Ureters verursacht eine 
Dilatation des Ureters. Ich habe wenigstens keinen Fall gesehen, wo 
die Dilatation fehlte. Der Urin mug sich dann auch im Nierenbecken 
stauen, und damit ist die Disposition für eine Entzündung gegeben. An 
Bakterien, die von der Fistelöffnung und der Scheide durch den Ureter 
nach aufwärts wandern, nicht gehindert durch den schwach fließenden 
Urin,. fehlt es gewiß nicht. 

Ureterdurchschneidungen und Ureterimplantationen sind 
16 gemacht worden, 13mal einseitig und 2mal doppelseitig. Ein Ureter 
ist aus Unvorsichtigkeit durchschnitten worden. In allen anderen Fällen 
handelte es sich um weit fortgeschrittene Carcinome. Die Infiltration 
der Parametrien hatte die Ureteren in 8 Fällen so umwachsen, daß die 
Auslösung nicht möglich erschien, in 7 Fällen die Ureteren so kom- 
primiert, daß sie oberhalb der Parametrien dilatiert waren. Es fragt sich, 
ob man in solchen Fällen doch noch versuchen soll, den Ureter heraus- 
zupräparieren, oder ob man ihn durchschneiden und in die Blase im- 
plantieren soll. Mackenrodt (Zeitschr., Bd. 54) hält es für selten nötig, 
und in den meisten Fällen, wo es geschieht, für überflüssig. Man solle 
nur bei krebsigem Ureter resezieren und der Ureter werde selten von 
Krebs ergriffen. Auch ich bin der Meinung, daß man immer versuchen 
soll, den Ureter aus infiltriertem Bindegewebe herauszupräparieren, auch 
wenn es viel Mühe macht. Daß ich trotzdem so viele Ureteren habe 
resezieren müssen, kommt daher, weil ich die allerschlechtesten Fälle 
noch operiert habe. Und da war es eben nicht möglich, Ben Ureter 
frei zu bekommen. Ultra posse nemo tenetur. 

Daß es die schlechtesten Fälle waren, bei denen die Ureteren 
durchschnitten und in die Blase eingenäht werden mußten, beweist die 
hohe Mortalitätsziffer gerade bei diesen Operierten. 7 Frauen sind ge- 
storben, 4 kurz nach der Operation im Collaps, eine nach 2, eine nach 
4 Tagen an Sepsis und eine nach 54 Tagen an chronischer Eiterung 
und Metastasen. 

Bei diesem letzten Falle, den ich nicht selbst operiert habe, hatte 
der Ureter nicht gehalten, er war aus der Blase herausgeschlüpft und 
mündete bei der Sektion in eine große Eiterhöhle. Der eine Fall 
doppelseitiger Implantation starb nach 4 Tagen an Sepsis, der eine 
Ureter steckte in der Blase, der andere nicht. Ob hier die doppel- 
seitige Ureterimplantation den Tod verschuldet hat, ist nicht zu sagen. 
Wahrscheinlich ist es nicht. Die Patientin secernierte genügend Urin 
und starb unter den Zeichen einer ausgesprochenen Sepsis. Bei den 
anderen Fällen ist die Uretereinpflanzung sicher nicht schuld am Tode 
gewesen. Die übrigen 9 Fälle von Treterdurcehschneidung sind 


Die Schädigungen des Harnapparates usw. 11 


alle gesund geworden und alle Ureteren, auch die beiden Ureteren 
bei einer Patientin, sind mit guter Funktion eingeheilt. 

Wir haben also keinen Fall, wo die Düarchschneidung des Ureters 
und seine Einnähung in die Blase den Tod der Patientin bedingt hätte, 
und wir haben 9 Fälle, wo die durchschnittenen Ureteren gut einge- 
heilt sind. 

Wir brauchen also bei einer Carcinomoperation es nicht zu fürchten, 
wenn wir einen oder auch einmal zwei Ureteren durchschneiden und 
in die Blase nähen müssen. Vorbedingung ist allerdings, daß man vor 
der Operation durch Cystoskopie, Harnleiterkatheterismus, Chromocysto- 
skopie die Funktion der Nieren prüft. Erst allmählich haben wir uns 
von der Notwendigkeit dieser Diagnostik überzeugt. Seit 11, Jahren 
wird sie vor jeder Carcinomoperation geübt und in zweien der letzten 
Fälle konnten wir vor der Operation mit großer Wahrscheinlichkeit 
annehmen, daß ein Ureter wegen Kompression seiner Wand reseziert 
werden müsse. Bei dem einen war die Uretermündung stark ödematös, 
die Harnsekretion träge, beim andern knickte der Katheter nach 2 cm 
ab. Die Operation bestätigte den Befund. 

Gar oft habe ich mich schon gefragt, ob man denn überhaupt 
noch solche Carcinomkranke, bei denen Ureterenresektionen wahr- 
scheinlich sind, operieren soll. Allzuviel Freude hat man nicht an 
diesen Fällen. Kommen sie durch, packt sie bald das Rezidiv. Und 
doch habe ich mich immer wieder zur Operation auch ganz schlechter 
Fälle entschlossen. Die Operation ist doch die einzige Türe ins Leben. 


(Aus der Universitäts-Frauenklinik in München. Direktor Prof. Dr. Doederlein.) 


Blasenblutungen bei Retroflexio uteri gravidi incarcerata. 
Von 
Privatdozent Dr. Karl Baisch, Oberarzt der Klinik. 


Stärkere Blasenblutungen gehören bei der inkarzerierten Retroflexion 
des schwangeren Uterus zu den großen Seltenheiten. Wohl ist es nicht 
ungewöhnlich, daß sich bei Verschleppung der Erkrankung dem eitrigen, 
ammoniakalisch zersetzten Urin Blut beimischt, aber dann pflegen die Blut- 
mengen nicht sehr erheblich zu sein. Diese blutigen Beimengungen 
gelten mit Recht als ein schweres, auf tiefgehende Erkrankung der 
Blasenmucosa deutendes Symptom und werden allgemein als der 
alarmierende Vorläufer der beginnenden Gangrän der Blasenschleimhaut 
angesehen, da sie eben die natürliche Folge der Ulceration und Nekrose 
der Blutgefäßwände sind. 

Wesentlich verschieden von dieser Ätiologie sind nun andere Fälle, 
wo nahezu reines oder mit relativ wenig Urin vermischtes Blut die 
Blase erfüllt. In den ganz wenigen Fällen von starken Blasenblutungen, 
die sich in der Literatur finden, haben die Autoren nur Vermutungen 
über die Ursache dieser äußerst bedrohlichen Komplikation. Kroner!) 
hat einen solch merkwürdigen Fall eingehend beschrieben. Hier er- 
folgte nach der Entleerung von 5 1 völlig klaren Urins eine so vehemente 
Blutung in die Blase, daß die Patientin kollabierte. Der Katheter ent- 
leerte 21/, 1 blutige Flüssigkeit und außerdem blieben noch Blutgerinnsel 
zurück, die die Blase zu einem kindskopfgroßen Tumor machten. Die 
Blase war, wie die Sektion der 10 Tage später an Pyämie gestorbenen 
Patientin zeigte, mit ihrem Scheitel 10 cm über der Symphyse mit dem 
Netz verwachsen. An der Verwachsungsstelle fand sich auf der Blasen- 
mucosa ein Geschwür. Kroner beschuldigt diese Verwachsung, die 
eine Retraktion der entleerten Blase verhinderte, als Ursache der 
Blutung, die er als eine Blutung ex vacuo oder in vacuum auffaßt. 

Beachtenswerter für die Ätiologie als diese Fixierung des Blasen- 
scheitels, die ja doch niemals zu einem wirklich leeren Raum in der 
Blase hätte führen können, ist jedoch die Tatsache, daß nach der 
Katheterisierung und Entleerung der Blase der Uterus nicht aufgerichtet 
wurde, sondern noch mehrere Tage bis zum Tode der Patientin in Retro- 
flexionsstellung verblieb. 





!) Zentralbl. f. Gynäk. 1882, Nr. 49, 


Blasenblutungen bei Retroflexio uteri gravidi incarcerata. 13 


Auch in dem Fall von Reeb!) war katheterisiert, aber der im 
5. Monat gravide Uterus nicht aufgerichtet worden. Es folgte nach 
der Entleerung von 600 ccm Urin in kurzer Zeit eine Blutung in die 
Blase von 400 ccm, die so gefährlich erschien, daß die Sectio alta ge- 
macht und die Blase tamponiert wurde. 

Dührssen?) erwähnt noch 2 weitere Fälle ähnlicher Blasen- 
blutungen bei Retroflexio uteri gravidi von Rasch und Chambers, 
in denen gleichfalls die Reposition des Uterus nach der Katheterisierung 
unterblieb. Auch Dührssen nimmt die Entstehung eines Vakuums 
infolge der unterlassenen Aufrichtung an und meint, der aufgerichtete 
Uterus würde die vordere gegen die hintere Blasenwand gepreßt und so 
die Entstehung eines luftleeren Raumes verhindert haben. 

Man wird diese Vorstellung unbedingt ablehnen müssen und wir 
selbst haben einen Fall schwerer Blasenblutung beobachtet, in dem eine 
andere Erklärung für den Eintritt dieser Komplikation sich ergab. 

Unsere Patientin war, wie dies ja leider noch immer vorkommt, 
trotz heftigster Blasenbeschwerden und obwohl die Symptome in un- 
zweideutigster Weise die Diagnose herausforderten, niemals katheterisiert, 
sondern vom Arzt auf das Ende der Schwangerschaft vertröstet worden. 
Sie hatte im Beginn des 4. Monats ihrer 5. Schwangerschaft ziemlich 
plötzlich Beschwerden beim Wasserlassen bekommen und den Urin nur 
unter starkem Pressen entleeren können. Sie half sich bald dadurch, 
daß sie mit beiden Händen auf die Unterbauchgegend drückte und so 
den Urin auspreßte. Anfangs war er ganz klar, in den nächsten Tagen 
wurde er blutig und bald kam scheinbar nur noch reines dunkles Blut, 
dem größere Gerinnsel beigemengt waren. 

Bei der Aufnahıne in die Klinik fand sich eine typische Retro- 
flexion und Inkarzeration, die Portio stand kaum erreichbar am oberen 
Rand der Symphyse. Der Katheter entleerte eine große Quantität 
flüssigen Blutes. In Narkose gelang die Reposition leicht, und durch 
kräftiges Ausdrücken der Blase wurde noch eine beträchtliche Menge 
von Gerinnseln entleert. 

Die Besserung war eine unmittelbare, der Urin verlor schon am 
nächsten Tage seine Blutfarbe und wurde bald völlig klar. 

Von besonderem Interesse war nun der cystoskopische Befund. 
Schon am 3. Tag nach der Reposition war der Urin so klar, daß die 
Erhebung eines ganz reinen Bildes möglich wurde. Es fand sich keine 
Spur einer Cystitis. Die Schleimhaut war überall vollkommen rein, ohne 
Belag, ohne Trübung, ohne entzündliche Gefäßinjektion. Nirgends fand 
sich ein Ulcus oder ein Defekt. Dagegen fielen 2 Dinge in die Augen. 
Einmal waren die Gefäße, speziell die Venen, überall stark erweitert 
und zum andern fand sich im untersten Abschnitt der Blase ein er- 
hebliches bullöses Ödem. 





1) Monatsschr. f. Gebh. u. Gyn., Bd. 24, S. 126. 
3) Archiv f. Gyn., Bd. 57. H. 1. 


14 Dr. Karl Baisch. Blasenblutungen bei Retroflexiv uteri gravidi incarcerata. 


Vergleichen wir unsern Fall mit den wenigen Berichten aus der 
Literatur über Blutungen bei Retroflexio uteri gravidi, so ergibt sich 
das Gemeinsame, daß eine Entleerung der Blase stattgefunden hatte 
ohne folgende Reposition des Uterus. In den Fällen Kroner, Cham- 
bers, Rasch, Reeb mit dem Katheter, in unserem Fall durch äußeren 
Druck. Diese Übereinstimmung ist wohl kein Zufall. Wir werden 
vielmehr darin die eigentliche Ursache der Blasenblutung zu suchen 
haben. Der nähere Zusammenbang geht aus dem cystoskopischen Be- 
fund unseres Falles klar hervor. Durch die Verzerrung der Blase, wie 
sie als Folge des Zuges der hoch über die Symphyse verlagerten Portio 
zustande kommen muß, werden die Gefäße, die gerade hier an die Blase 
herantreten, stark in Mitleidenschaft gezogen. Es kommt zu einer Unter- 
brechung des venösen Abflusses, und die starke Erweiterung der Venen, 
die wir noch am 3. Tag nach der Reposition sehen konnten, spricht 
dafür, daß diese Stauung des venösen Blutes eine sehr hochgradige 
gewesen sein muß. 

Wird nun die Blase entleert, ohne daß gleichzeitig durch Korrektur 
der Uteruslage die Störung in der Zirkulation aufgehoben wird, so kommt 
es beim Wegfall des Innendruckes, den der Urin besorgt hatte, zu Ödem 
und zur Blutung. Eine Blutung ex vacuo oder in vacuum kann man 
das füglicherweise nicht nennen. Auch findet in unserem Befund die 
Annahme mancher Autoren eine Stütze, wonach die oft auffallend große 
und rasch sich erneuernde Urinmenge in der Blase nicht lediglich 
Nierensekretion darstellt, sondern durch Transsudat aus den Blasen- 
wänden vermehrt wird. 

Die Stauungsblutung ist somit ätiologisch und prognostisch wesent- 
lich verschieden von denjenigen Blutbeimengungen zum Urin, die 
wir bei drohender oder beginnender Blasengangrän auftreten sehen, 
und unser Fall ist ein einwandfreier Beweis dafür, daß Wertheim?) 
mit seiner Anschauung zu weit geht, wonach in allen Fällen von Blasen- 
blutungen als Ursache einfach die Eröffnung und Arrosion der strotzend 
gefüllten Gefäße infolge Nekrose und Gangrän aufzufassen ist. 

Fälle wie der unsrige lassen auch erkennen, daß die früher wohl 
von einzelnen Autoren vorgeschlagene Therapie der Retroflexio uteri 
gravidi incarcerata, lediglich durch Katheterisierung ohne gleichzeitige 
Reposition den spontanen Eintritt der Normallage bewirken zu wollen, 
verfehlt ist. 

In unserem Fall trat nach der Reposition sofortige Heilung ein. 
Die Frau befindet sich jetzt, wie die vor wenigen Tagen vorgenommene 
Nachuntersuchung ergeben hat, im 9. Monat der Schwangerschaft. Die 
Gravidität verlief seither ohne jede weitere Störung völlig normal. 


1) v. Winckel, Handbuch der Geburtshilfe, II, 1, S. 430. 


Über den Zusammenhang der intermittierenden Hydronephrose 
mit Genitalleiden bei Frauen. 
Von 
Dr. Sigmund Mirabeau, München. 


Das Krankheitsbild der Hydronephrose ist schon ziemlich lange 
den Ärzten bekannt und hat sowohl von pathologisch-anatomischer, als 
auch von klinisch-chirurgischer Seite bis in die jüngste Zeit herein 
eingehende Bearbeitung erfahren. Zwei Momente sind dabei den meisten 
Beobachtern aufgefallen, und zwar erstens, daß die Krankheit sehr er- 
heblich häufiger beim weiblichen Geschlecht als beim männlichen be- 
obachtet wird und zweitens, daß in der Mehrzahl der Fälle die Er- 
krankung einseitig und darunter wieder überwiegend rechtsseitig 
auftritt. 

Nach einer Zusammenstellung von Küster!) betrafen von 538 Fällen 
213 Männer, 325 Frauen, und von 492 Fällen 236 die rechte, 217 die 
linke Seite, während nur 32 doppelseitig waren. Schon frühzeitig hat 
man diese auffallenden Erscheinungen damit zu erklären versucht, daß 
ein großer Teil der Fälle von Hydronephrose mit Wanderniere kom- 
biniert ist, die ihrerseits unverhältnismäßig häufiger bei Frauen als bei 
Männern vorkommt und in der überwiegenden Mehrzahl die rechte 
Seite betrifft. 

Was das Alter der von dieser Krankheit Betroffenen anlangt, so zeigt 
die Zusammenstellung Küsters®), daß alle Lebensalter daran beteiligt 
sind, daß aber das Hauptkontingent in die Zeit vom 20. bis zum 
50. Lebensjahre fällt. 

Man darf wohl annehmen, daß die immerhin erhebliche Zahl von 
Fällen, die bei Personen unter 20 Jahren beobachtet werden, im wesent- 
lichen auf angeborenen Defekten beruhen, während für die späteren 
Lebensjahre die angeborenen und die erworbenen Formen sich ungefähr 
das Gleichgewicht halten dürften. 

Als eine besondere Form der Hydronephrosen wurde schon in 
den 70er Jahren, anscheinend zuerst von Cole?), die intermittierende 


') Küster, Die chirurgischen Erkrankungen der Nieren. Deutsche Chirurgie, 
Bd. 52b. 

"Le 

°») Cole: On a case of intermitting hydronephrosis. Brit. med. Journ. 1874, Bd. II. 


16 Dr. Siegmund Mirabeau. 


Sackniere beschrieben, d. h. diejenige Form, bei der die im Nieren- 
becken sich ansammelnde Flüssigkeitsmenge in gewissen Intervallen auf 
natürlichem Wege entleert wird. Von ihr soll im Verlaufe dieser Be- 
trachtungen in erster Linie die Rede sein. 

Wenn man die Literatur auf die Fälle von intermittierender Hydro- 
nephrose durchsieht, so ergibt sich auch hier zunächst wieder die Tat- 
sache, daß die überwiegende Mehrzahl der publizierten Fälle Frauen 
betrifft, und es ist vielleicht kein Zufall, daß mit die ersten ausführlichen 
Publikationen von gynäkologischer Seite herrühren. Landau!) war es, 
der in den 80er Jahren mehrere Beobachtungen publizierte und an- 
scheinend zuerst auf den Zusammenhang der intermittierenden Hydro- 
nephrose mit der Wanderniere bei Frauen aufmerksam machte. Seither 
wurde diesen Dingen von gynäkologischer Seite erhöhte Aufmerksamkeit 
geschenkt, zumal es mit dem Aufblühen der operativen Gynäkologie 
gar nicht allzu selten vorkam, daß große Hydronephrosen unter der 
Diagnose von Ovarialtumoren in die Hände der Gynäkologen gelangten 
und von diesen erkannt oder unerkannt operiert wurden. In allen 
Fällen, soweit sie in der Literatur niedergelegt sind, handelt es sich 
um weit vorgeschrittene Stadien mit deutlich nachweisbarer Tumor- 
bildung, die auf Grund unserer heutigen diagnostischen Hilfsmittel der 
Erkennung keine allzugroßen Schwierigkeiten bieten. Daß es aber noch 
nicht allzulange her ist, seit man gelernt hat, diese Erkrankungen 
richtig zu deuten, möge ein Ausspruch von Spencer Wells?) beweisen, 
der noch im Jahre 1872 schrieb: „Selbst Männer von größter Erfahrung 
müssen eingestehen, daß eine exakte Diagnose der Nierentumoren un- 
möglich ist, so daß oft nicht einmal ein explorativer Schnitt, sondern 
erst die Sektion den begangenen Irrtum aufklärt.“ Und Gustav Simon). 
der Vater der modernen Nierenchirurgie, sagt: „Die Geschichte der 
Operationen von Hydronephrosen besteht aus einer langen Reihe dia- 
enostischer Irrtümer.“ Daß diese Reihe sich noch zum Teil bis in die 
neueste Zeit fortsetzen ließe, habe ich oben schon angedeutet. 

Erst die neuen, mit den endoskopischen Methoden Nitzes in- 
augurierten Hilfsmittel haben uns in den Stand gesetzt, den oben 
zitierten Satz Spencer Wells ungültig zu machen, und zwar nicht 
nur für so vorgeschrittene Fälle, wie sie dieser im Auge hatte, sondern 
bis zu einem gewissen Grad sogar für jene Anfangsstadien der Er- 
krankung, die bis in die allerneueste Zeit herein, z. B. noch von 
Küster*) u. a., als einer Diagnose nicht zugänglich bezeichnet wurden. 
Und nicht nur nach der diagnostischen Seite haben die endoskopischen 
Untersuchungsmethoden einen entscheidenden Fortschritt gebracht. auch 


1) Über intermittierende Hydronephrose. Berl. klin. Wochenschr. 1888. Nr. 47, 
48, und Archiv für klin. Chirurgie, Bd. XXVI, 1881. 

TI Spencer Wells, On the diagnosis of renal from ovarian cysts and tumours. 
Dublin quarterly Journ. of med. Soc., Bd. 43. Febr. 1867. 

°) Gust. Simon. Chirurgie der Nieren. Erlangen 1871. 

FEG 


Über den Zusammenhang der intermiftierenden Hydronephrose usw. 17 


zur Aufklärung der Ätiologie, über welche noch die größten Meinungs- 
verschiedenheiten herrschen, haben dieselben so Wesentliches beigetragen, 
daß die Zahl der früher so häufigen unaufgeklärten Fälle wohl bald 
auf ein Minimum zusammenschrumpfen wird. 

Die Tatsache, daß selbst bei weit vorgeschrittenen Erkrankungen 
die klinischen Symptome sehr häufig durchaus nicht so charakteristisch 
sind, daß sie ohne weiteres auf eine Nierenaffektion hinweisen, trägt 
dazu bei, daß sehr viele Fälle oft lange Zeit unter anderer Diagnose 
laufen und namentlich bei Frauen, die gewöhnt sind, alle Beschwerden 
in erster Linie auf die Genitalorgane zurückzuführen, kann uns das 
nicht wundernehmen. | 

Die Gynäkologen, an welche sich diese Patientinnen infolgedessen 
in erster Linie wenden, haben ja bis in die neueste Zeit herein zum 
Teil sogar prinzipiell die Erkrankungen des Harnsystems, als nicht in 
ihr Gebiet gehörig, auffallend vernachlässigt; erst in jüngster Zeit haben 
sie, dank der Verbreitung der cystoskopischen Methoden, diesen Er- 
krankungen wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt, und als natürliche 
Folge hat sich ergeben, daß man viele Beschwerden, die von den Ärzten 
ebenso wie von den Frauen selbst auf die Genitalorgane bezogen wurden, 
als Erkrankungen der Harnorgane erkannte. 

Die meisten Fälle von Hydronephrose, die ich im Laufe der Jahre 
zu beobachten und zu behandeln Gelegenheit hatte, kamen wegen gynä- 
kologischer Beschwerden in ärztliche Beobachtung und wurden wegen 
solcher von anderer Seite und auch von mir selbst gynäkologisch be- 
handelt, ehe die wahre Ursache der Beschwerden erkannt wurde. Erst 
eine Reihe ausgesprochener, weit vorgeschrittener Fälle lehrte mich 
das wechselvolle Bild dieser Erkrankung so weit kennen, daß es auch 
gelang, die Erkrankung in ihren Anfangsstadien richtig zu deuten, 
und alsbald mehrten sich, wie das immer so zu gehen pflegt, die 
Beobachtungen. 

Schon bei dem ersten Fall, den ich kennen lernte, waren es rein 
gynäkologische Beschwerden, welche die Patientin in ärztliche Behandlung 
geführt hat. 

Die 42jährige O-para gibt an, daß sie mit 16 Jahren die erste Periode bekam und 
von da an regelmäßig und ohne Beschwerden menstruierte. Mitte der 20iger Jahre 
traten zum erstenmal im Anschluß an die Menses angeblich infolge von Erkältung am 
3. Tage krampfartige Schmerzen auf, die vom Becken nach der rechten Seite hin aus- 
strahlten. Dieselben verschwanden nach wenigen Tagen ohne besondere Maßnahmen 
wieder, um sich erst nach ca. ?/, Jahren zu wiederholen. Damals wurde zum ersten- 
mal ärztliche Hilfe in Anspruch genommen, und es trat wieder eine längere Pause ein. 
Von der Mitte der 30er Jahre an hatte Patientin fast bei jeder Menstruation 
mehr oder weniger heftige Beschwerden, und sie wurde damals längere Zeit ohne Er- 
folg gynäkologisch behandelt. Mit 40 Jahren bemerkte Patientin zum erstenmal selbst 
an sich gelegentlich eines besonders heftigen Schmerzanfalles eine Anschwellung unter 
dem rechten Rippenbogen, gleichzeitig bestand Stuhlverstopfung; der behandelnde Arzt 
nahm Kotstauung im Colon ascendens an, und auf Abführmittel verschwanden die Be- 
schwerden und die Anschwellung. Solche Zustände traten von nun an in immer 


kürzeren Intervallen, auch außerhalb der Menses, auf, und zwar mit zunehmender 


Heftigkeit. ‘Das Allgemeinbefinden wurde erheblich gestört und auch außerhalb der 
Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 2 


18 Dr. Sigmund Mirabeau. 


Anfälle hatte Patientin häufig Schmerzen im Unterleib, die ihr allmählich längeres 
Gehen und Stehen unmöglich machten. 

Als ich die Patientin zum erstenmal sah, hatte sie eben wieder einen sehr 
heftigen Anfall überstanden, der sie für mehrere Tage ans Bett gefesselt hatte und 
angeblich zum erstenmal mit Fieber und Frost verbunden war. Der Anfall war der 
Menstruation vorausgegangen, die sich erst am 3. Tag dann eingestellt hatte, während 
es früher in der Regel umgekehrt war. Patientin klagte jetzt lediglich über vermehrten 
Harndrang und allgemeine Schwäche. Das Aussehen war blaß; die kräftig gebaute 
übermittelgroße Frau war in reduziertem Ernährungszustand; die Zunge belegt; Brust- 
organe ohne Besonderheit. Das Abdomen war weich, und nirgends bestand besondere 
Druckempfindlichkeit. Die rechte Niere war erheblich tiefer gesunken, in ihrem 
ganzen Umfang zu tasten, ohne daß eine auffallende Vergrößerung zu konstatieren 
war. Von der linken Niere war nur der untere Pol an normaler Stelle zu tasten. 
Das Genitale virginell, ohne Besonderheit. Die Ureteren vom Rektum aus nicht zu 
palpieren. 

Der mit dem Katheter entnommene Urin war leicht getrübt, von saurer Reaktion, 
ohne nachweisbares Albumen; im Sediment vereinzelte Leukocyten und Epithelien. 
Die Blase war für 250 ccm tolerant; die Schleimhaut ohne Besonderheit, im Trigonum 
etwas mehr als gewöhnlich aufgelockert, jedoch ohne entzündliche Erscheinung. 
Das Ont mt urethr. glattrandig und zart; die beiden Ureterenmündungen papillen- 
artig prominent und schlitzförmig. Aus dem linken Ureter entleert sich in regel- 
mäßigen Intervallen und auffallend kräftigem Strahl klarer Urin; aus dem rechten 
fließt in unregelmäßigen Pausen leicht getrübtes Sekret. Der Katheter läßt sich im 
rechten Ureter ohne Schwierigkeit bis ins Nierenbecken vorschieben, worauf sich 
tropfenweise ca. 50 ccm eines ganz leicht getrübten Urins entleeren. Der linke Ureter 
wird nicht sondiert. Schon aus diesem Befund ergab sich mit Sicherheit. daß eine 
Erkrankung des rechten Nierenbeckens vorliegen mußte und die Patientin wurde an- 
gehalten, beim Auftreten eines neuerlichen Kolikanfalles sofort wieder zu kommen. 
Dies geschah nach ca. 3 Wochen. Die Patientin war 8 Tage früher als gewöhnlich 
menstruiert worden und am 3. Tage der Periode setzten die Schmerzen mit besonderer 
Heftigkeit ein. Die Untersuchung ergab nun folgendes: Der Leib im ganzen ziemlich 
gespannt und schwer zu palpieren. die ganze rechte Seite ziemlich druckempfindlich, 
nur perkutorisch läßt sich eine Dämpfung feststellen, die von der Leber bis über den 
Beckenrand und in Nabelhöhe bis beinahe zur Mittellinie des Leibes reicht. Der mit 
dem Katheter entleerte Urin war klar, die Blase für 200 ccm tolerant, die Schleim- 
haut am Blasenboden stark geschwollen, die Venen prall gefüllt. Die 
Ureterenmündungen nur undeutlich zu erkennen; aus der linken entleert sich in 
kräftigem Strahl klarer Urin; rechts keine Entleerung zu erkennen. Die Einführung 
des Katheters ist ziemlich schwierig; in 20 cm Höhe stößt die Katheterspitze auf 
Widerstand, der aber nach einigen Hin- und Herbewegungen überwunden wird, wor- 
auf es dann gelingt, bis ins Nierenbecken vorzudringen. Nun entleert sich in konti- 
nuierlichem Strahl eine große Menge leicht getrübten Urins und es läßt sich leicht 
zeigen, wie bei Druck auf die rechte Bauchseite der Strahl kräftiger wird und beim 
Nachlassen des Druckes sich vermindert. Es wurden im ganzen fast 1/, Liter ent- 
leert, es war aber auch mittlerweile eine größere Menge neben dem Katheter in die 
Blase eingeflossen, so daß sich die Gesamtmenge nicht genau bestimmen ließ. 

Die Diagnose: Intermittierende Hydronephrose stand nun fest und es 
wurde beschlossen, dieselbe auf operativem Wege zu heilen. Nach Freilegung der 
Niere vermittels Bergmannschen Lendenschnittes zeigte sich. daß die ganze Niere 
schon in dem Sack aufgegangen war, so daß von einer konservativen Operation 
nichts mehr erwartet werden konnte. Es wurde deshalb die Nephrektomie vorge- 
nommen, da ja die Existenz und Funktionstüchtigkeit der anderen Niere konstatiert 
war. Glatte Heilung innerhalb 3 Wochen. Schon am 3. Tage p. op. war die Urin- 
menge 1500 ccm und die Patientin blieb dauernd geheilt. 

Am Präparat zeigte sich, daß die Nierensubstanz bis auf eine Schicht von ca. 
3 mm geschwunden war, an einzelnen Stellen war die Cystenwand überhaupt nur 


Über den Zusammenhang der intermittierenden Hydronephrose usw. 19 


noch duroh die Nierenkapsel gebildet. Die Einmündung des Ureters zeigte keinerlei 
Abweichung von der Norm, auch konnte an dem mitexstirpierten 10 cm langen 
Ureterstück keinerlei Klappenbildung nachgewiesen werden; nur eine ganz ge- 
ringgradige Dilatation des Ureters bestand. 

Wenn wir uns über die Pathogenese und Ätiologie dieses Falles 
Rechenschaft zu geben versuchen, so ist zunächst folgendes zu be- 
achten: Der Krankheitsverlauf erstreckte sich über mindestens 
17 Jahre und begann mit kolikartigen Schmerzen, die in den ersten 
Jahren stets an die Zeit der Periode gebunden waren. Der Ab- 
gang eines Konkrementes wurde niemals konstatiert; eine nachweisbare 
Tumorbildung wurde erst ca. 10 Jahre nach Beginn der Erkrankung 
bemerkt. Trübung des Urins und Fieber traten erst in der allerletzten 
Zeit auf. Die Anfälle wurden im Laufe der Jahre häufiger und waren 
in den letzten Jahren nicht mehr ausschließlich an die Zeit der Periode 
gebunden. Außerhalb der Zeit der Anfälle bestand bis zuletzt kein 
Hindernis in der Urinentleerung, dagegen zur Zeit des Anfalles Kom- 
pression der Uretermündung durch Schleimhautschwellung 
und ein deutliches Hindernis ca. 20 cm oberhalb der Blase, das zweifel- 
los einer Ureterabknickung entsprach. 

Aus dieser Sachlage möchte ich folgende Schlüsse ziehen: Das 
primäre Krankheitsmoment war eine Behinderung des Urinabflusses 
zur Zeit der Periode, durch Druck der geschwellten Schleimhaut 
auf die Uretermündung, mit Rückstauung nach dem Nierenbecken. 
Infolge davon allmähliche Erweiterung des Nierenbeckens, die ihrer- 
seits ein Schwererwerden und Tiefersinken des ganzen Organes zur 
Folge hatte. Im Laufe der Zeit trat dann in dem Maße, wie die Niere 
tiefer sank, gelegentlich eine Abknickung des Ureters ein, die dann 
ihrerseits erst recht wieder die Stauung nach dem Nierenbecken und 
die Hydronephrosenbildung beförderte. In diesem Stadium bedurfte es 
zur Auslösung eines Anfalles nicht mehr der menstruellen Schleimhaut- 
schwellung in der Blase, sondern irgendein anderes Moment konnte 
gelegentlich die Ureterknickung bzw. Stieldrehung an dem vergrößerten 
und dislozierten Organ herbeiführen. Hier ist vor allem die allmählich 
sich entwickelnde Obstipation zu beachten, welche gelegentlich durch 
Überfüllung des Colon ascendens die Anfälle auslösen konnte. Was 
die in letzter Zeit aufgetretene Trübung des Urins anlangt, so ist leicht 
zu verstehen, daß in dem stagnierenden Urin einwandernde Bakterien 
günstige Wachstumsbedingungen finden und so allmählich eine von Haus 
aus sterile Hydronephrose in eine Pyonephrose verwandeln können. 

Daß in der Tat solche Umwandlungen von jahrelang bestehenden 
Hydronephrosen in Pyonephrosen erfolgen können, wenn durch eine 
intervenierende Erkrankung pyogene Bakterien im Körper sich finden, 
möge nachfolgender Fall erweisen, der im übrigen sehr viel Ähnlich- 
keit mit dem vorhergehenden hat. 

29jährige O-para, seit 5 Jahren steril verheiratet, erkrankte in ihrem 17. Lebens- 


jahre auf einer Reise im Anschluß an die Periode unter heftigen, kolikartigen 


Schmerzen, welche unter Bettruhe in wenigen Tagen spontan wieder zurückgingen. 
ok 


20 Dr. Sigmund Mirabeau. 


Von diesem Zeitpunkte an war die Periode, die früher immer völlig schmerzlos ver- 
lief, häufig jedoch nicht regelmäßig, von solchen Schmerzanfällen begleitet, die all- 
mählich derartig intensiv wurden, daß sie nur mit Morphium unterdrückt werden 
konnten. Jahrelang wurden diese Anfälle als dysmenorrhoische betrachtet und 
dementsprechend gynäkologisch behandelt. Als dann später auch außerhalb der Periode 
die Anfälle auftraten und die Schmerzen sich mehr und mehr nach der linken Nieren- 
gegend konzentrierten, hielt man dieselben für Nierensteinkoliken, ohne daß jedoch je 
der Abgang eines Konkrementes beobachtet werden konnte. 

In den orsten Jahren nach der Verheiratung der Patientin kamen dann, wahr- 
scheinlich im Anschluß an einen nicht erkannten Abort, anderweitige Erkrankungs- 
erscheinungen der Beckenorgane hinzu, die das Krankheitsbild komplizierten. Die 
Anfälle wurden häufiger, die Patientin bemerkte dabei selbst eine auffallende Spannung 
in der linken Nierengegend und erhebliche Verringerung der Urinmenge zur Zeit 
der Anfälle. 

Gelegentlich eines besonders heftigen Anfalles, der mit Fieber und großer 
Prostration verbunden war, sah ich die Patientin zuerst. Es bestanden heftige Schmer- 
zen in der linken Bauchseite, die bis in das Schulterblatt ausstrahlten; eine genauere 
Palpation war wegen großer Empfindlichkeit nicht möglich, doch bestand Dämpfung 
vom Rippenbogen bis zu Nabelhöhe. Der Urin war klar, stark konzentriert, enthielt 
eben nachweisbare Spuren von Albumen. Die Temperatur schwankte zwischen 38,5° 
und 39,5°, der Puls war gespannt zwischen 80 und 90 Schlägen. Patientin klagte 
über Kopfschmerz, Übelkeit und Brechreiz, der Stuhl war angehalten. Mit dem Haus- 
arzt nahm ich eine Steinkolik an und wir verordneten entsprechende Maßnahmen. 
Nach einigen Tagen gingen die Erscheinungen allmählich zurück, ohne daß ein Kon- 
krement beobachtet werden konnte. die Urinmenge vermehrte sich, der Urin wurde 
trüb und zeigte deutliche Eiterbeimengung. 

Nach Ablauf der akuten Erscheinungen wurde eine gynäkologische und cysto- 
skopische Untersuchung vorgenommen, die folgendes ergab: Der Uterus in Anteflexions- 
stellung etwas nach rechts verlagert; die rechten Adnexe frei; das linke Parametrium 
im ganzen verdickt, druckempfindlich, die Adnexe nicht zu isolieren; Ureteren nicht 
zu tasten. Die Blase für 300 ccm tolerant, leicht zu reinigen. Die Schleimhaut im 
Trigonum und nach links hin stark geschwellt, die Gefäßzeichnung in diesem Gebiet 
verwaschen, das Öberflächenepithel in Desquamation. Aus dem rechten Ureter ent- 
leert sich klarer Urin in regelmäßigen Intervallen; aus der linken Uretermündung 
entleert sich tropfenweise leicht getrübter Urin, dazwischen geht der Ureter häufig 
deutlich leer. Beim Versuch der Sondierung stößt der Katheter in der Höhe von 
8 cm auf deutlichen Widerstand, der zunächst uicht zu überwinden ist; erst ein ganz 
feiner Katheter kann nach einigen Versuchen vorgeschoben werden und gelangt dann 
ohne weiteren Widerstand bis zum Nierenbecken, aus dem sich dann ca. 100 ccm eines 
leicht eitrig getrübten Urins entleerten. In einer Reihe von Sitzungen wurde ver- 
sucht, die Verengerung am Ureter allmählich zu erweitern, und es gelang schließlich. 
die dicksten Ureterenkatheter einzuführen und das Nierenbecken ausgiebig zu spülen. 
Trotzdem traten in der Folgezeit, wenn auch in größeren Intervallen, noch eine Reihe 
von Anfällen auf, und der Urin blieb dauernd eitrig getrübt, so daß der Verdacht auf 
Konkrementbildung im Nierenbecken von neuem auftauchte. Wiederholte Röntgen- 
aufnahmen ließen jedoch keinerlei Konkremente nachweisen und die Indigokarmin- 
probe ließ erkennen, daß von der linken Seite anscheinend sehr wenig Urin mehr 
produziert wird. Trotzdem hat sich die Pat. zu einem operativen Eingriff nicht ent- 
schließen können. 

Auch in diesem Falle waren also die ersten Krankheitserscheinungen 
derart, daß sie als rein dysmenorrhoische lange Jahre hindurch be- 
trachtet und behandelt wurden. Es bestand überdies eine Parametritis 
sinistra mit Exsudation und Kompression des Ureters, und es ist 
zweifellos, daß die Hydronephrose durch diese Verengerung am Ureter 


entstanden ist. Eine wesentliche Verlagerung der Niere besteht nicht 


Über den Zusammenhang der intermittierenden Hydronephrose usw. 21 


und, wie der Katheterismus des Ureters beweist, auch kein weiteres 
Hindernis für den Urinabfluß. Bemerkenswert ist auch hier, daß jahre- 
lang die Anfälle mit der Menstruation zusammenfielen und 
erst in den letzten Jahren auch außerhalb dieser Zeit erfolgten. Die 
Infektion der Hydronephrose ist in diesem Falle wohl zweifellos von 
dem parametranen Exsudat aus erfolgt. Ob auf dem Weg der Blut- 
bahn oder durch direkten Einbruch in den Ureter, läßt sich nicht ent- 
. scheiden, doch scheint mir letztere Möglichkeit auf Grund anderweitiger 
Erfahrungen als die wahrscheinlichere. Es handelt sich jetzt offen- 
bar um das Endstadium einer intermittierenden, nachträglich infizierten 
und jetzt offenen Sackniere, bei welcher das Parenchym schon zum 
größten Teil zerstört ist. 

In der Literatur?) sind eine Reihe von Fällen beschrieben, deren 
klinischer Verlauf den hier dargestellten Krankheitsbildern ganz ähnlich 
war, ohne daß von den betreffenden Autoren ein Zusammenhang mit 
gynäkologischen Erkrankungen konstatiert werden konnte. Doch ist 
einer Reihe von Autoren die Koinzidenz der Anfälle mit der Menstrua- 
tion aufgefallen. Michalski fand in 6 Fällen den Einfluß der Menses 
auf die Attacken notiert, während 2 mal ausdrücklich hervorgehoben 
wurde, daß die Anfälle nicht mit dem Eintritt der Menstruation zu- 
sammenfallen. 

Nun muß man bedenken, daß es sich bei den publizierten Fällen 
ausschließlich um weit vorgeschrittene Stadien handelt, in denen 
vielfach die ursprünglichen ätiologischen Momente durch sekundäre 
Veränderungen vollständig verwischt sind. Man kann deshalb wohl an- 
nehmen, daß in einer viel größeren Anzahl von Fällen ursprünglich 
ein ätiologischer Zusammenhang zwischen der Hydronephrose und gy- 
näkologischen Erkrankungen bestand. Wenn man die ätiologischen 
Momente überblickt, die von den einzelnen Autoren?) für ihre Fälle 
konstatiert wurden, so sind es vor allen Dingen zwei Befunde, die bei 
weiblichen Patienten beobachtet wurden, erstens: die Dislokation der 
Niere und zweitens: Abweichungen in der Einmündung des 
Ureters in das Nierenbecken. 


1) Michalski hat in seiner Arbeit über Hydronephrosis intermittens (Beiträge 
z. klin. Chirurgie, Bd. 35) 142 Fälle gesammelt und die Krankengeschichten ausführ- 
lich wiedergegeben. Diese Kasuistik zusammen mit einigen neueren Beobachtungen 
habe auch ich meinen kritischen Betrachtungen zugrunde gelegt, und es erübrigt ledig- 
lich auf diese mit so viel Fleiß zusammengetragene Materialsammlung hinzuweisen. 
Auch bezüglich der von Michalski gezogenen Schlußfolgerungen verweise ich ange- 
legentlichst auf dessen interessante Ausführungen, ohne mich bezüglich meiner ab- 
weichenden Anschauungen auf eine Kritik im einzelnen einzulassen. 

2) Vgl. Hansemann, Beitrag zur Mechanik der Hydronephrosen nebst einigen 
kasuistischen Mitteilungen. Virchows Arch. für path. Anat.. Bd. 112, 1888. 3. Heft. 

Küster, l. c. 

Virchow, Onkologie, Bd. I. 

Gustav Simon, l. e. 

Englisch, Über primäre Hydronephrose. Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 11. 
1879, u. a. 


22 Dr. Sigmund Mirabeau. 


Seit Landau?!) die Wanderniere für eine Anzahl von Fällen als 
Ursache der intermittierenden Hydronephrose angegeben, ist dieser 
Kausalnexus von den meisten Autoren akzeptiert worden. Man hat 
fast allgemein die Wanderniere als das Primäre, die Hydronephrose als 
Folgeerscheinung aufgefaßt. Eine Reihe von Autoren hat sich speziell 
mit der Frage befaßt, wie aus der Wanderniere eine Hydronephrose 
entstehen kann, und man ist im wesentlichen zu der Anschauung ge- 
langt, daß durch das Herabsinken der Niere Knickungen und Achsen- 
drehungen des Ureters entstehen, welche das Hindernis für den Urin- 
abfluß abgeben. 

Daß die Beweglichkeit der Niere allein nicht zur Hydronephrosen- 
bildung genügt, beweisen die zahlreichen Fälle von oft hochgradiger 
Dislokation der Niere ohne Urinstauung; und auch auf experimentellem 
Wege gelang es Hildebrand und Haga?) nicht, durch Beweglich- 
machen der Niere oder Achsendrehung des Ureters allein eine Hydro- 
nephrose zu erzeugen. Erst wenn gleichzeitig eine Fixation des 
Ureters vorgenommen wurde, trat Sacknierenbildung ein. Es muß 
also zu der Nierenverlagerung noch ein Hindernis in den abführenden 
Harnwegen hinzukommen, und es ist ziemlich gleichgültig, ob dasselbe 
in der Nähe des Nierenbeckens selbst oder im Verlauf des Ureters oder 
schließlich noch weiter peripheriewärts sitzt. Schon Cohnheim?) hat 
gezeigt, daß gerade die zeitweilig auftretenden Hindernisse im Urin- 
abfluß am leichtesten zu Hydronephrosenbildung führen, während bei 
absolutem Verschluß der Harnwege die Nierensekretion meist rasch 
aufhört, so daß entweder gar keine oder nur geringfügige Erweiterung 
des Nierenbeckens eintritt. Dies ist zweifellos für viele Fälle zutreffend; 
ich selbst habe eine Patientin beobachtet, bei der nachweislich über 
2 Jahre ein absoluter Ureterverschluß bestand, ohne daß es zu einer 
Hydronephrosenbildung gekommen wäre. Andererseits konnte ich aber 
durch das Tierexperiment zeigen, daß sowohl bei Kaninchen als auch bei 
Katzen die Unterbindung des Ureters, die ich gelegentlich meiner Unter- 
suchungen über Schwangerschaftspyelitis*) vornahm, in verhältnismäßig 
kurzer Zeit zur Bildung ganz erheblich großer Sacknieren führen kann. 

Es würde hier zu weit führen, auf die Kritik aller in der Literatur 
niedergelegten Beobachtungen näher einzugehen; auf Grund meiner Be- 
obachtungen ganz früher Stadien bin ich aber im Laufe der Jahre zu 
der Überzeugung gelangt, daß in einer Reihe von Füllen, vielleicht so- 
gar in der überwiegenden Mehrzahl derselben, das Hindernis im 
Urinabfluß das Primäre ist, die Dislokation der Niere erst als 
Folgeerscheinung der Urinstauung und Hydronephrosen- 
DULCUDE auftritt. 


IC, 

2) Experimentelle Untersuchung der Hydronephrose und des Zusammenhangs 
zwischen IIydronephrose und Wanderniere. Deutsche Zeitschr. f. Chirurg.. Bd. 49, 18%. 

3) Cohnheim. Allg. Patlı., Bd. 2, Berlin 1882. 

1) Mirabeau, Schwangerschaftspyelitiden. Arch. f. Gynäk., Bd. 82. 


Uber den Zusammenhang der intermittierenden Hydronephrose usw. 23 


Bezüglich der Hindernisse des Urinabflusses, die sich am Nieren- 
beckenende des Ureters vorfinden, ist es nicht leicht, bei weit vor- 
geschrittenen Fällen zu entscheiden, ob sie primär vorhanden waren 
oder erst ihrerseits durch die Hydronephrosenbildung entstanden sind. 
Virchow!), Cohnheim?) und Englisch?) haben für die von ihnen 
beobachteten Fälle kongenitale Klappenbildung angenommen, während 
Simon“) die Hydronephrosenbildung als ursächliches Moment für die 
anatomische Veränderung an der Ureterenmündung ansieht, und es läßt 
sich sehr leicht denken, daß durch ungleichmäßige Ausdehnung des 
Nierenbeckens Faltenbildungen an der Uretermündung erzeugt werden, 
die dann als Klappen- oder Spornbildungen imponieren können. Auch 
können zweifellos entzündliche Prozesse vom Nierenbecken auf den 
oberen Teil des Ureters übergreifen und dann zu Verwachsungen, Ab- 
knickungen und Strikturen des Ureters führen, die dann ihrerseits 
wieder den Urinabfluß hemmen und die Sacknierenbildung fördern. 

Anders steht es mit den Hindernissen, die weitab vom Nieren- 
becken im Verlauf des Ureters beobachtet werden und die von allen 
Beobachtern als die Ursache der Hydronephrosenbildung angesprochen 
werden. Von diesen interessieren uns hier diejenigen, welche von Er- 
krankungen oder Funktionsanomalien der weiblichen Genitalien ihren 
Ausgang nehmen. 

Unter den von Michalski’) gesammelten Fällen befindet sich einer, 
bei dem Prolapsus uteri bei doppelseitiger intermittierender Hydro- 
nephrose vorhanden war, in zwei weiteren Fällen bestand Retroflexio 
uteri, einmal Uterus gravidus im fünften Monat, einmal Cervixcarcinom 
des Uterus. In allen diesen Fällen bestand auch gleichzeitig Wanderniere, 
und Michalski vertritt die Ansicht, daß diese als die Ursache der Hydro- 
nephrose anzusehen, obgleich er die Möglichkeit eines Zusammenhanges mit 
den gynäkologischen Erkrankungen nicht bestreitet. Ich bin nun geneigt, 
in allen diesen Fällen, ebenso wie in den von mir beobachteten, die 
durch die gynäkologischen Affektionen erzeugten Behinderungen des 
Urinabflusses als Ursache sowohl der Hydronephrose als auch der 
Wanderniere anzusehen, und möchte glauben, daß bei einer großen 
Zahl von Wandernieren bei der Frau die zeitweise Behinderung des 
Urinabflusses und die dadurch bedingte, wenn auch häufig klinisch 
nicht in Erscheinung tretende Hydronephrose die Ursachen der bei 
den Frauen so auffallend häufig beobachteten Nierensenkungen bilden. 
Ich bin also damit zu einem vollständig entgegengesetzten Standpunkt 
gelangt als dem seit den Arbeiten Landaus®) von den Gynäkologen 
ziemlich allgemein akzeptierten, und dies erscheint mir vor allem nach der 
praktischen Seite hin von großer Wichtigkeit. 
lo 
Le 
"Le 


c 
c 

Hie 
c 
c 





KE 
6) l. e. 


24 Dr. Sigmund Mirabeau. 


Die ausgebildete Hydronephrose ist zweifellos eine sehr ernste Er- 
krankung. Ganz abgesehen von dem schweren Krankheitsbild der ein- 
zelnen Attacken führt die Sackniere, sich selbst überlassen, zur völligen 
Zerstörung des lebenswichtigen Organes, oder es tritt früher oder später 
eine Infektion des Nierensackes und damit die Verwandlung der Hydro- 
in eine Pyonephrose mit den bekannten schweren Folgeerscheinungen 
ein. Für die Behandlung weit vorgeschrittener Sacknieren kann aber 
fast nur ein chirurgischer Eingriff in Frage kommen, der in der über- 
wiegenden Mehrzahl der Fälle in einer radikalen Entfernung des er- 
krankten Organes besteht. Man hat zwar in neuerer Zeit am Nieren- 
becken und am Ureter zum Teil mit bestem Erfolg plastische Operationen 
der verschiedensten Art vorgenommen (Beckenfaltung nach Israel), 
Lappenplastik nach Küster?), Uretero-Ureterostomie nach 
Kelly 3), Uretero-Pyelostomie, Cysto-Pyelostomie, Nephro- 
Cystanastomose usw.), aber alle diese Operationen setzen zu ihrem 
Gelingen völlige Sterilität des Sackinhaltes und Erhaltung einer funktions- 
fähigen Niere voraus, was nur für eine verhältnismäßig kleine Zahl zu- 
trifft. Eine Besserung der Heilerfolge ist auch hier nur von einer 
möglichst frühzeitigen Erkennung der Erkrankung zu erwarten, und 
dazu bietet uns die Cystoskopie eine sehr leistungsfähige Handhabe. 

Ich habe mich seit Jahren daran gewöhnt, in allen Fällen, in 
denen die Frauen über Schmerzen im Bereich der Genitalorgane klagten 
und die durch den Genitalbefund nicht genügend zu erklären waren, 
neben dem Darm besonders die Harnorgane zu beachten, und habe 
dadurch Gelegenheit gehabt, eine Reihe von Hydronephrosen ganz in 
Beginn zu erkennen, in einem Stadium, wo keinerlei klinische Symptome 
für die Existenz einer derartigen Erkrankung sprachen. 

Die subjektiven Beschwerden waren meist ganz unbestimmter Art, 
doch konnten in einer Reihe von Fällen die Patientinnen eine bestimmte 
Seite als Hauptsitz ihrer Schmerzen bezeichnen. Allen Fällen gemein- 
sam war das anfallsweise Auftreten heftigerer Schmerzanfälle in mehr 
oder weniger regelmäßigen Intervallen, dazwischen zum Teil ganz be- 
schwerdefreie Zeiten, zum Teil leichte, ziehende Schmerzen, die jedoch 
das Allgemeinbefinden nur wenig stören. Ein großer Teil der Patientinnen 
verlegt die Beschwerden auf die „Mutterbänder“; läßt man sich aber 
den Sitz der Beschwerden genau zeigen, so kann man deutlich er- 
kennen, daß sie dem Verlauf des Ureters entsprechen und nach der 
Nierengegend hin ausstrahlen. Die Palpation der Ureteren *) und der 
Nieren ergibt meist ein absolut negatives Resultat, nur in verhältnis- 


!) Israel: Chirurg. Klinik der Nierenkrankheiten. Berlin 1901. 

2) ]. ec. und: Über die Sackniere. Deutsche med. Wochenschr. 1888. 

>» H. A. Kelly, Bull. John Hopkins Hosp. Okt. 1892. 

1) Der normale Ureter läßt sich bimanuell nicht mit Sicherheit tasten, führt 
man aber einen Katheter ein. so gelingt die Palpation des ganzen Beckenteiles sehr 
leicht, und man kann sich über Veränderungen der Gestalt und des Verlaufes und 
über die Beziehungen des Ureters zu den übrigen Beckenorganen sehr leicht orientieren. 


Über den Zusammenhang der intermittierenden Hydronephrose usw. 25 


mäßig wenigen Fällen konnte ich eine deutliche Differenz in der Druck- 
empfindlichkeit beider Nierengegenden konstatieren. 

Das cystoskopische Bild der Blase bietet meist keinerlei charakte- 
ristische Befunde, dagegen fällt eine erhebliche Differenz in der 
Art und der Frequenz der Urinentleerung aus beiden Ureteren- 
mündungen auf. Die Unterschiede müssen schon recht erhebliche sein, 
um daraus irgendwelche Schlüsse auf die Erkrankung einer Seite ziehen 
zu können, denn auch innerhalb der physiologischen Grenzen funktio- 
nieren die Nieren durchaus nicht gleichmäßig. Weiterhin muß man 
diese Beobachtungen öfters und unter verschiedenen Umständen wieder- 
holen, um dann aus der Konstanz gewisser Differenzen um so sicherere 
Schlüsse ziehen zu können !?). | 

Dabei hat sich folgendes ergeben: Unter normalen Verhältnissen 
entleert sich der Urin aus der Uretermündung in ziemlich gleichmäßigen 
Intervallen und gleichen Mengen, bei Erweiterung des Nierenbeckens 
dagegen sind die Intervalle von größter Unregelmäßigkeit und die 
Mengen ganz verschiedenartig. Noch charakteristischer wird die Diffe- 
renz, wenn man die Ureteren katheterisiert und den Katheder bis ins 
Nierenbecken hinaufführ. Man muß dabei zwei Katheter von völlig 
gleichem Lumen verwenden, deren gleichmäßiges Funktionieren man 
vorher genau ausprobiert hat. Dabei beachtet man nun folgendes: So- 
bald das Katheterauge in das Nierenbecken eingetreten ist, fließt der 
Urin zunächst ganz gleichmäßig auf beiden Seiten tropfenweise ab; 
nach einer gewissen Zeit, wenn ca. 10—20 ccm abgeflossen sind, treten 
auf der gesunden Seite Pausen ein und an Stelle des kontinuierlichen 
Abflusses tritt die Entleerung in Intervallen. Auf der kranken Seite 
dagegen geht der kontinuierliche Abfluß weiter,. bis der ganze Inhalt 
des erweiterten Nierenbeckens entleert ist, und in dem abgeflossenen 
Urin hat man ein ungefähres Maß der Kapazität des Nierenbeckens. 
Hört der kontinuierliche Abfluß auf, so tritt an dessen Stelle nicht 
etwa, wie auf der gesunden Seite, eine Absonderung in Intervallen, 
sondern es tritt zunächst ein vollständiger Stillstand ein, bis das Nieren- 
becken wieder so weit gefüllt ist, daß die Uretermündung in das Flüssig- 
' keitsniveau gelangt; dann erfolgt wieder kontinuierlicher Abfluß. 

Es ist klar, daß dieses Spiel sich von Fall zu Fall sehr ver- 
schiedenartig gestaltet und auch im einzelnen Fall zu verschiedenen 
Zeiten sehr verschiedenartig sein kann. Das Wesen der intermittierenden 
Hydronephrose beruht ja gerade darin, daß der Füllungszustand des 
Nierenbeckens außerordentlich wechselt, und man wird kurz vor einem 
Anfall ein ganz anderes Resultat erhalten, als nach Ablauf desselben. 
Es bedarf deshalb in jedem Falle einer länger dauernden Beobachtungs- 
zeit, um zu einem Resultate zu gelangen. Weiterhin ist es gar nicht 


ı) Die Indigkarminreaktion, die ich in letzter Zeit seit der Empfehlung durch 
Völcker wiederholt angewandt habe, hat für diese Fälle keinerlei diagnostisch ver- 
wertbaren Differenzen ergeben, nur bei weit fortgeschrittenen Fällen mit Zerstörung 
des Nierengewebes gibt sie positive Resultate. 


26 Dr. Sigmund Mirabeau. 


leicht, einen zahlenmäßigen Ausdruck für die Größe der Erweiterung 
des Nierenbeckens zu finden, da uns erstens für die physiologische 
Kapazität, die individuell eine sehr verschiedene ist, kein einwandfreies 
Material zur Verfügung steht, und zweitens die Menge des mit dem 
Katheter entleerten Urins nicht ohne weiteres als Maß für die Nieren- 
beckenkapazität angesehen werden darf, denn es fließen oft große 
Mengen neben dem Katheter in die Blase ab und andererseits gelingt 
es durchaus nicht immer, mit dem Katheter den ganzen Hydronephrosen- 
sack zu entleeren. Sehr häufig ist gerade der unterhalb der Ureter- 
einmündung liegende Teil des Nierenbeckens stark ausgebuchtet und 
läßt sich auch mit dem Katheter nicht entleeren. 

Alle diese Momente müssen bei der Beurteilung eines konkreten 
Falles in Betracht gezogen werden und erschweren die Bildung eines 
sicheren Urteiles. Immerhin bin ich im Laufe meiner Beobachtungen 
zu dem Resultat gelangt, daß, wenn sich beim Katheterismus über 
20 ccm kontinuierlich entleeren, was ja nach dem oben Gesagten 
einem Mindestmaß entspricht, man von einer außerhalb der physio- 
logischen Breite liegenden Erweiterung des Nierenbeckens sprechen 
kann. Als viel unsicherer hat sich mir die Bestimmung der Nieren- 
beckenkapazität in der allerdings nur geringen Zahl von Fällen er- 
wiesen, bei denen ich im Anschluß an Nierenbeckenspülungen versucht 
habe, das Füllungsmaß zu bestimmen. Es hat sich dabei gezeigt, daß 
der individuelle Reiz, den die Füllflüssigkeit (2°, Borlösung, physio- 
logische Kochsalzlösung, ev. mit Zusatz von Guayasanol) auf das Nieren- 
becken ausübt, trotz peinlichster Beobachtung der Temperatur äußerst 
verschiedenartig ist, so daß oft schon bei ganz geringen Mengen eine 
solche Schmerzhaftigkeit ausgelöst wird, daß man mit weiteren Füllungs- 
versuchen sofort aussetzen muß). 

Auf diese Weise ist es mir gelungen, in einer größeren Anzahl 
von Fällen ganz frühe Anfangsstadien intermittierender Hydronephrosen 
zu erkennen, und damit sehr häufig die Ursache sonst nicht erklär- 
barer „gynäkologischer“ Beschwerden. Ich habe mich nun bemüht, in 
allen diesen Fällen auch die Ursachen für die Urinstauung festzustellen, und 
da ist mir vor allen aufgefallen, daß in den allerwenigsten Fällen 
Dislokationen der Niere nachweisbar waren. X\ur in fünf Fällen 
bestanden gleichzeitig erhebliche Nierensenkungen, und das waren Patien- 
tinnen, bei denen der Krankheitsprozeß schon jahrelang bestanden hatte 
und in denen die Hydronephrosen schon eine beträchtliche Größe er- 


') Völcker und Lichtenberg (Pyelugraphie. Münch. med. Wochenschr., 
Bd. LIII. 1906. S. 105ff.) haben versucht, durch Collargolfüllung und darauffolgende 
Köntgenographie Größe und Gestalt des Nierenbeckens zu bestimmen, und es ist ihnen 
auch ın einzelnen Fällen gelungen. auf diese Weise sehr instruktive Nierenbecken- 
bilder herzustellen. Doch fiel auch ihnen die außerordentlich verschiedene Reizbar- 
keit des Nierenbeckens auf. und schon nach Mengen von 5 ccm traten manchmal sehr 
lebhafte, kolikartige Schmerzen auf. In einigen anderen Fällen wurden Mengen bis 
zu 60 ccm ertragen. 


Über den Zusammenhang der intermittierenden Hydronephrose usw. 27 


reicht hatten. Dagegen konnte ich in fast allen Fällen mehr oder 
minder erhebliche Behinderungen des Urinabflusses an irgendeiner 
Stelle der abführenden Harnwege nachweisen. 

Die Mehrzahl der Hindernisse bei diesen frühen Fällen saß im 
Ureter selbst, und zwar fast ausschließlich im Beckenteil des Ureters, 
und bestand in Verengerungen oder Verlagerungen des Ureterlumens 
oft bis zur völligen Unwegbarkeit auch für den feinsten Katheter. Ich 
lasse hier natürlich alle Fälle von grobmechanischem Ureterverschluß 
durch Steine oder Geschwülste, die ja auch selten zu intermittierender 
Hydronephrose führen, außer Betracht und will mich nur mit denjenigen 
Störungen des Urinabflusses beschäftigen, die von den Genitalorganen 
ihren Ausgang nahmen. 

Unter 60 Fällen, bei welchen mehr oder minder hochgradige Er- 
weiterungen des Nierenbeckens konstatiert werden konnten, betrafen 
34 die rechte Niere, 21 die linke Niere und 5mal beide Seiten. Die 
Veränderungen in den Genitalien waren dabei folgende: 

Verlagerungen der Gebärmutter 32 Fälle, 

Senkungen 10 Fälle, 

entzündliche Erkrankungen der Parametrien und Adnexe 14, 

Cervixcarcinome 2, | 

kein objektiver Befund 2. 

Was die Verlagerungen der Gebärmutter anlangt, so bestanden 
12 mal fixierte Retroflexionen mit alten peritonitischen Prozessen, 15mal 
bewegliche Retroflexionen bei gleichzeitiger seitlicher Verlagerung, 
5mal seitliche Verlagerungen mit Anteflexion. Unter den Senkungen 
war 2mal Totalprolaps, 5mal Scheidenprolaps,, 3mal ausschließlich 
Prolaps der vorderen Scheidenwand mit Cystocelenbildung. Unter den 
entzündlichen Erkrankungen waren 4 Fälle von .doppelseitigen Adnex- 
tumoren, 10mal parametrane Exsudate, darunter 6 einseitig, 4 doppel- 
seitig. 

In allen diesen Fällen bestanden mehr oder weniger erhebliche 
gynäkologische Beschwerden, und es ist natürlich im einzelnen Falle 
schwer zu entscheiden, wie viele von den Beschwerden auf die Ver- 
änderungen von den Genitalien und wie viele auf die beginnende 
Hydronephrosenbildung zurückzuführen sind. Immerhin waren die 
meisten dieser Fälle vor anderen dieser Art dadurch ausgezeichnet, daß 
neben den beständigen Beschwerden anfallsweise heftigere Schmerz- 
anfälle auftraten, und daß die meisten Patientinnen selbst über nach 
den Nieren ausstrahlende Schmerzen klagten, was dann die Veranlassung 
wurde, die Untersuchung nach dieser Richtung hin auszudehnen. 

Es würde zu weit führen, die Krankheitsbilder aller dieser Fälle 
im einzelnen zu analysieren ’), zumal die Beobachtung eine sehr ungleich- 
wertige war, so daß zahlenmäßige Schlüsse kaum gezogen werden könnten. 
Eine Reihe dieser Patientinnen habe ich nur einige Male in der Sprech- 


1) Eine ausführliche Kasuistik soll später in anderem Zusammenhange folgen. 


28 Dr. Sigmund Mirabeau. 


stunde gesehen, andere konnte ich durch Wochen, Monate und Jahre, 
zum Teil bis zu 8 Jahren, beobachten, ein dritter Teil (die operativen 
Fälle) konnte längere Zeit klinisch genauer kontrolliert werden. 

- Es ist ferner klar, daß nur in den Fällen eine genauere Unter- 
suchung des Nierenbeckens vorgenommen wurde, bei denen sich An- 
haltspunkte für diesbezügliche Erkrankungen gaben, und daß in einer 
ganzen Reihe von Fällen das Untersuchungsresultat ein negatives war. 
Um statistisch verwertbare Zahlen über die Häufigkeit von Nieren- 
beckenerweiterungen bei gynäkologischen Erkrankungen zu gewinnen, 
wäre es notwendig, einmal durch längere Zeit hindurch sämtliche Fälle 
nach dieser Richtung hin zu untersuchen, was sich natürlich nur an 
klinischem Material durchführen ließe. In der Privatpraxis stößt man 
bei einer nicht geringen Zahl von Patientinnen auf nicht zu über- 
windenden Widerstand, den man respektieren muß. Immerhin haben 
sich mir in meinen Fällen eine Reihe von Beobachtungen ergeben, die, 
wenn auch mit einiger Vorsicht, zu allgemeinen Schlüssen berechtigen. 

Das hervorstechendste Moment ist die Tatsache, daß in 
sämtlichen Fällen der Einfluß der Menstruation ein unver- 
kennbarer ist. Welcher Art auch die Behinderungen im Urinabfluß 
waren, unter dem Einfluß der menstruellen Blutstauung zu den Genital- 
organen wurden sie vergrößert, sehr häufig bis zum völligen Verschluß. 
Dies ist ja an sich sehr leicht zu verstehen und durch die cysto- 
skopische Untersuchung läßt sich die oft hochgradige menstruelle 
Schwellung der Blasenschleimhaut ad oculos demonstrieren. 

Weniger leicht ist in vielen Fällen die Einseitigkeit des Pro- 
zesses aufzuklären, und auch die cystoskopische Untersuchung hat in 
dieser Richtung wiederholt im Stiche gelassen. Wohl war in der über- 
wiegenden Mehrzahl der Fälle die Nierenbeckenaffektion auf derselben 
Seite, auf der auch der gynäkologische Erkrankungsprozeß ausschließlich 
oder vorwiegend seinen Sitz hatte. In einer Reihe von Fällen aber 
bestand einseitiger Nierenprozeß bei anscheinend ganz gleichmäßiger 
doppelseitiger gynäkologischer Erkrankung, und namentlich die men- 
struelle Hyperämie der Blase erstreckte sich vielfach ohne erkennbaren 
Unterschied auf beide Uretermündungen. Es bleibt für diese Fälle 
nur die Erklärungsmöglichkeit, daß die Ureteren auch bei doppelseitigen 
Genitalprozessen nicht in gleichem Maße in Mitleidenschaft gezogen 
werden, und daß die menstruelle Hyperämie als letztes auslösendes 
Moment auf der Seite sich hauptsächlich geltend macht, auf der von 
vornherein schon Abflußbehinderung besteht. 

Am schwierigsten ist das, auch in meinen Beobachtungen hervor- 
getretene Überwiegen der rechten Seite befriedigend zu erklären, 
wenn man nicht bei der verhältnismäßig kleinen Anzahl von Be- 
obachtungen an einen Zufall denken will. Da aber von allen Beobachtern 
ein solches Überwiegen der rechten Seite konstatiert wurde, und auch 
für anderweitige Nierenaffektionen, z. B. für die Schwangerschafts- 
pyelitis, vor allem aber für die Wanderniere dasselbe Verhalten kon- 


Über den Zusammenhang der intermittierenden Hydronephrose usw. 29 


statiert wurde, so hat man nach anatomischen Gründen dafür gesucht. 
Landau!) hat eine Reihe von anatomischen Tatsachen ins Feld geführt, 
welche die größere Beweglichkeit der rechten Niere bedingen sollen: 
erstens das verschiedenartige Verhältnis des Colon zur Niere, zweitens 
das verschiedene Verhalten der Nierengefäße auf beiden Seiten, endlich 
die Beziehungen des Pankreas zur linken Niere. Aber selbst die 
Richtigkeit dieser Landauschen Theorien vorausgesetzt, können die- 
selben zur Erklärung der Hydronephrosenbildung ohne Nierensenkung 
nicht herangezogen werden. Für diese Fälle bleibt nur die Differenz 
in der Topographie der Ureteren übrig, und da ist vor allem 
hervorzuheben, daß tatsächlich der rechte Ureter während seines 
Verlaufes im kleinen Becken durch seine mehr laterale Lage gegen 
Druck von außen weniger geschützt ist wie der linke. 

Besondere Beachtung verdienen noch die Fälle von doppelseitiger 
Nierenbeckenerweiterung. In 2 von diesen Fällen waren die Ureteren 
in Carcinommassen eingebettet?) und durch diese stark verengt; lmal 
waren ausgedehnte Beckenexsudate als ätiologisches Moment ohne weiteres 
zu erkennen, 1mal bestand Prolaps zweiten Grades mit Cystocelenbildung 
und imal endlich eine bewegliche Retroflexion, von der nach der 
gynäkologischen Untersuchung kaum anzunehmen war, daß sie einen 
wesentlichen Druck auf die Ureteren bzw. den Blasenboden ausüben 
konnte. 

Endlich wären noch die beiden Fälle besonders zu erwähnen, in 
denen keinerlei gvnäkologische Affektionen gefunden werden konnten, 
bei denen aber trotzdem typische Anfälle von Urinretention im Anschluß 
an die Menstruation beobachtet wurden. 

Wenn man nicht annehmen will, daß in diesen Fällen angeborene 
Veränderungen am Ureter, etwa Klappenbildung vorhanden waren, wo- 
für jedoch der Katheterismus keinerlei Anhaltspunkte ergab, so bleibt 
hier die menstruelle Anschwellung der Blasen- und Ureterenschleimhaut 
als einziges ursächliches Moment bestehen?). 

Wenn man sich nun frägt, ob denn tatsächlich alle diese Fälle 
von zum Teil nicht sehr erheblicher Nierenbeckenerweiterung wirklich 
als die Anfangsstadien der eigentlichen Hydronephrosenbildung zu be- 
trachten sind, so möchte ich dies entschieden bejahen, obgleich ich 
selbst nur 4mal die ganze Entwicklung habe verfolgen können. Die 
Krankengeschichten dieser 4 Patientinnen, die meiner Meinung nach 
ganz charakteristisch für diese Fälle sind, sollen hier in ihren wesent- 
lichen Momenten wiedergegeben werden. 


Le 

D Auch Meome konnen die Ureteren vollständig umwachsen und komprimieren, 
vgl. u. a. Amann: Demonstration in der Münchn. gyn. Gesellschaft, 23. Jan. 1908. 
Zentr. f. Gyn. 1908, Nr. 24. 

3) Der Blasenteil des Ureters und die Uretermündung zeigen ganz auffallende 
Verschiedenheiten ihres Lumens und ich habe Fälle beobachtet, in denen Störungen 
des Urinabflusses lediglich durch anscheinend angeborene exceptionelle Enge dieses 
Ureterteiles bedingt waren. 


30 Dr. Sigmund Mirabeau. 


1. 38jährige O-para wurde vor 6 Jahren zum erstenmal wegen gynäkologischer 
Beschwerden zu mir geschickt. Sie klagte über ziehende Schmerzen rechts zur Zeit 
der Periode, und es fand sich eine Verlagerung der Gebärmutter nach hinten und 
rechts. Obgleich die Patientin damals schon über ausstrahlende Schmerzen nach der 
Nierengegend klagte, wurde nach dieser Richtung gar nicht untersucht und lediglich 
die übliche gynäkologische Behandlung eingeleitet. Ungefähr ein Vierteljahr später 
wurde ich zu der Patientin während eines Anfalles gerufen, und dabei bot sich das 
typische Bıld einer Nierenkolik. Erst daraufhin untersuchte ich die Patientin cysto- 
skopisch und konnte mich durch eine Reihe von Untersuchungen überzeugen, daß 
das rechte Nierenbecken erheblich erweitert war. Es fanden sich immer zwischen 
30 und 80 ccm, und zwar am meisten zur Zeit der Periode. Ein eigentliches Hinder- 
nis im Ureter konnte nicht gefunden werden, nur bestand zur Zeit der Periode eine 
hochgradige Schwellung der Schleimhaut, die tumorartig aus der Ureterenmündung 
hervorragte, und eine auffallend verminderte Toleranz der Blase. Die Patientin hatte 
dann eine längere Pause in ihren Anfällen, erst nach einem Vierteljahr setzten sie 
von neuem ein, und zwar mit solcher Heftigkeit, daß der Arzt, an den sich Patientin 
inzwischen gewendet hatte, wiederholt Morphiuminjektionen geben mußte. Erst nach 
anderthalb Jahren sah ich die Patientin wieder. Die Anfälle waren häufiger und 
heftiger geworden und der behandelnde Arzt nahm Nierensteinbildung an, obgleich 
niemals ein Stein während der Koliken abgegangen war. Die rechte Niere war jetzt 
deutlich palpabel, das Nierenbecken entleerte einmal über 100 ccm, und bei wieder- 
holten Untersuchungen zeigte sich, daß die Niere im ganzen erheblich herabgesunken 
und beweglich war. Irgendein Hindernis im Verlauf des Ureters konnte auch jetzt 
nicht nachgewiesen werden. Ein vorgeschlagener operativer Eingriff wurde von der 
Patientin abgewiesen. Sie absolvierte eine Trinkkur in Brückenau, die aber keinerlei 
deutlichen Einfluß auf die Anfälle hatte. Dieselben wurden vielmehr im Laufe des 
nächsten Jahres immer häufiger und traten wiederholt auch außerhalb der Periode 
auf. Als ich nach weiteren 2 Jahren Gelegenheit hatte, die Patientin wieder zu unter- 
suchen, war der Prozeß erheblich weiter vorgeschritten und der Ureterenkatheteris- 
mus ergab jetzt in der Nähe des Nierenbeckens ein deutliches Hindernis, das nur in 
steiler Beckenhochlagerung zu überwinden war. Nunmehr entschloß sich die Patientin 
zur Operation. Die Niere wurde freigelegt, das Nierenbecken erwies sich ca. gänse- 
eigroß und der Ureter mündete nahezu am obersten Ende des Nierenbeckens extrem 
spitzwinklig in dasselbe ein. Bei der Abtastung des Organs fühlte man einige derbe 
Stellen, so daß ich an die Möglichkeit einer Steinbildung dachte und das Nierenbecken 
durch Sektionsschnitt der Niere öffnete. Es fand sich dabei keinerlei Konkrement. 
die derben Resistenzen entsprachen vielmehr den auffallend verdickten und zapfen- 
förmig ins Nierenbecken hineinragenden Papillen; auch bei der Sondierung des Ureters 
vom Nierenbecken aus stieß man bis zum Blasenteil auf keinerlei Hindernis, dagegen 
war der Ureter auf eine Strecke von ca. 8cm mit dem Nierenbecken 
verwachsen. Die Verwachsungen wurden gelöst, was verhältnismäßig leicht gelang. 
Das Nierenbecken wurde durch einen Gazestreifen von der Nierenwunde aus drainiert, 
das ganze Organ möglichst boch am Rippenbogen fixiert. In den ersten 24 Stunden 
trat eine äußerst bedrohliche Blutung nach der Blase zu ein, die jedoch durch Kom- 
pressionsverband und starke Füllung der Blase beherrscht werden konnte. Der Heilungs- 
verlauf war im übrigen ein vollkommen glatter; der Streifen wurde am 8. Tage ent- 
fernt und nach 3 Wochen konnte Patientin vollkommen geheilt entlassen werden. 
Zunächst hatte Patientin keinerlei Beschwerden mehr, und wiederholte «ystoskopische 
Untersuchungen ergaben ziemlich gleichmäßiges Funktionieren beider Nieren. Nach 
ca. ®/, Jahr traten zum erstenmal wieder kolikartige Schmerzen auf, und es ging ein 
zirka doppelstecknadelkopfgroßes kristallinisches Uratkonkrement ab. Im Laufe der 
nächsten 2 Jahre wiederholten sich diese Abgänge solcher Konkremente in ganz un- 
regelmäßigen Intervallen noch häufig, doch waren die Beschwerden dabei nie erheb- 
lich und das Allgemeinbefinden wurde dabei nicht wesentlich gestört. Die „dysme- 
norrhoischen" Beschwerden waren seit der Operation völlig verschwunden und die 
Patientin ist zurzeit im 6. Monat gravid. 


Über den Zusammenhang der intermittierenden Hydronephrose usw. 31 


Die Konkrementbildung halte ich für eine Folge des operativen Eingriffes, jeden- 
falls steht sie in keinem Zusanımenhang mit der vorher vorhandenen Hydronephrose. 

Innerhalb von 6 Jahren entwickelte sich also in diesem Falle auf 
der Grundlage eines nur zur Zeit der Menses bestehenden Hindernisses 
im Urinabfluß eine Hydronephrose, die ihrerseits eine Senkung des 
Organes und als Folge davon zeitweise Abknickung bzw. Achsendrehung 
des Ureters mit periureteritischen Verwachsungen am Nierenbecken 
zur Folge hatte. 

2. 36jährige Frau hatte mit 22 Jahren Lues akquiriert und in der Folgezeit 
9 Aborte bzw. Fehlgeburten gehabt. Nach wiederholten antiluetischen Kuren gebar 
sie ein lebendes Kind, das an Blennorrhoe erkrankte und total erblindete. Seit dieser 
Entbindung hatte Patientin erhebliche Beschwerden bei der Menstruation, die alsbald 
einen kolikartigen Charakter annahmen und nach der rechten Nierengegend hin aus- 
strahlten. Es fand sich auf der rechten Seite ein parametranes Exsudat, und bei der 
Sondierung des Ureters zeigte sich, daß derselbe ca. 5 cm oberhalb der Blasenmündung 
stark nach außen verzogen und verengt war. Das Nierenbecken war nicht nachweis- 
bar erweitert, die Urinsekretion durch die Katheter war auf beiden Seiten annähernd 
gleich. Patientin wurde lange Zeit hindurch gynäkologisch behandelt, das Exsudat 
schrumpfte, doch wurden die kolikartigen Anfälle nicht wesentlich gebessert. Nach 
2 Jahren sah ich die Patientin wieder, die inzwischen neuerlich einen Abort gehabt 
hatte. Die Kolikanfälle waren erheblich heftiger geworden und traten auch außerhalb 
der Menstruation auf; dabei bemerkte die Patientin selbst gelegentliche Anschwellungen 
in der rechten Nierengegend. Die Untersuchung ergab eine ganz erhebliche Erweite- 
rung des rechten Nierenbeckens. die Niere im ganzen war vergrößert, doch nicht nach- 
weisbar disloziert. An Stelle des parametranen Exsudates bestand eine narbige Ver- 
dickung des Parametriums und der Uterus war nach rechts verlagert. Bei der 
cystoskopischen Untersuchung während der Menses zeigtesich, daß aus 
dem rechten Ureter kein Tropfen Urin sich entleerte, auch nicht bei 
starkem Druck auf die deutlich palpable Niere. Der Katheter ließ sich nach 
Überwindung eines erheblichen Widerstandes im Blasenteil ohne Schwierigkeit bis 
zum Nierenbecken hinaufführen, worauf sich eine größere Menge leicht getrübten 
Urins entleerte, der leider aus äußeren Gründen nicht gemessen werden konnte. Es 
wurde versucht, in einer Reihe von Sitzungen den Blasenteil des Ureters zu dilatieren, 
doch entzog sich Patientin nach wenigen Sitzungen der Behandlung und ich sah sie 
abermals erst nach Verlauf von anderthalb Jahren wieder. Sie hatte in der Zwischen- 
zeit eine Reihe schwerer Anfälle gehabt. bei denen auch urämische Symptome (Übel- 
keit, unstillbares Erbrechen, heftige Kopfschmerzen) aufgetreten waren, und es war 
infolgedessen von anderer Seite eine Nephropexie vorgenommen worden, worauf einige 
Zeit Besserung eintrat. Doch schon nach einem Vierteljahr traten die Anfälle mit 
erneuter Heftigkeit auf und es zeigte sich, daß die Niere an der Fixationsstelle zwar 
verblieben. das Nierenbecken aber außerordentlich erweitert war. Ich 
: legte deshalb die Niere von neuem frei, dabei zeigte sich, daß der Ureter um die 
Nierengefäße abgeknickt und auf eine größere Strecke hin in Verwachsungen einge- 
bettet war. Die Auslösung des Nierenbeckens war äußerst schwierig und blutreich, 
doch gelang es, den Ureter frei zu machen, und da mit Rücksicht auf die vorausge- 
gangenen urämischen Symptome die Entfernung des Organes, die an sich geboten er- 
schien, nicht gewagt werden konnte, so machte ich eine Pyeloureterostomie mit gleich- 
zeitiger Nephropexie. Die Heilung verlief glatt und die sehr heruntergekommene 
Patientin erholte sich rasch. Wiederholte cystoskopische Nachuntersuchungen ergaben 
eine annähernd normale Funktion der rechten Niere. Doch blieb eine Erweiterung 
des Nierenbeckens bestehen und der Urin war immer leicht getrübt. Kolikanfälle 
traten nicht mehr auf, doch zeigte die Patientin in späterer Zeit Anfälle von melan- 
cholischer Verstimmung und endete ein Jahr später durch Selbstmord. 

Wenn auch in diesem Falle der ätiologische Zusammenhang der einzelnen 
Faktoren, die schließlich im Laufe der Jahre zur Bildung einer Hydronephrose führten, 
nicht ganz so durchsichtig ist, wie im vorhergehenden, so scheint doch so viel sicher 


32 Dr. Sigmund Mirabeau. 


gestellt, daß das primäre Moment die Behinderung des Urinabflusses im 
Beckenteil des Ureters war, daß durch Rückstauung eine Nierenbeckenerweite- 
rung, als deren Folge eine Nierensenkung mit gelegentlicher Abknickung bzw. Achsen- 
drehung des Ureters auftrat, die dann wieder ihrerseits eine Weiterentwicklung der 
Hydronephrose begünstigte. | 

3. 24jährige 0-para, die von ihrem 14. Lebensjahre an regelmäßig und ohne Be- 
schwerden menstruiert war. Mit 19 Jahren machte sie eine Unterleibsentzündung 
durch und seither war die Periode mit Schmerzen von zunehmender Heftigkeit ver- 
bunden. Trotz verschiedenartiger gynäkologischer Behandlung wurden die Beschwerden 
nicht beseitigt, nahmen vielmehr allmählich den Charakter schwerer kolikartiger An- 
fälle an. Gelegentlich eines solchen Anfalles sah ich Patientin zum erstenmal. Die- 
selbe war benommen, hatte mäßige Temperatursteigerung, dabei einen langsamen, 
vollen Puls. Der Leib war eingezogen, zu beiden Seiten bestand Druckempfindlichkeit. 
Die gynäkologische Untersuchung ergab das Bestehen einer fixierten Retroflexion 
3. Grades, an den Adnexen und Parametrien kein pathologischer Befund. Am auf- 
fallendsten war das Bestehen einer vollkommenen Anurie bei leerer Blase. Eine 
cystoskopische Untersuchung war zunächst nicht durchführbar, innerhalb 3 Tagen 
gingen die Erscheinungen zurück, schon am 2. Tage entleerte sich etwas Urin, der 
vom 3. Tage an reichlich wurde. Ein Konkremeut wurde nicht gefunden. Die nach 
Ablauf des Anfalles vorgenommene Cystoskopie ergab folgendes: Die Blase für 200 ccm 
tolerant, der Blasenboden durch die Portio auffallend stark vorgedrängt und dabei das 
Trigonum sehr stark nach rechts verschoben, so daß die rechte Uretermündung ganz 
seitlich in einer Nische versteckt lag, während die linke ziemlich genau median auf 
der Höhe der Vorwölbung sich befand. Aus beiden Uretermündungen entleerte sich 
klarer Urin; der Katheterismus gelang links leicht, während die rechte Uretermündung 
erst zu entrieren war, nachdem von der Scheide aus die Nische mit dem Finger vor- 
gestülpt wurde. Im übrigen gelangten beide Katheter ohne erheblichen Widerstand 
bis zum Nierenbecken, und es entleerten sich keine auffallend großen Mengen Urins. 
Eine Messung wurde nicht vorgenommen. Bei der bimanuellen Betastung der kathete- 
risierten Ureteren zeigte sich, daß der rechte Ureter auffallend weit lateralwärts aus- 
bog und von dem in der Exkavation liegenden Uterus fundus an die Beckenwand an- 
gepreßt wurde, während der linke in ziemlich gerader Linie (normalerweise biegt der 
Ureter nach der Kreuzung mit der Art. uterin. bogenförmig nach außen ab, so daß 
in der Beckenmitte die Distanz beider Ureteren größer ist, als bei der Einmündung 
ins Nierenbecken) aus dem Becken aufstieg. Die Nieren selbst waren nicht deutlich 
palpabel, die rechte Nierengegend etwas druckempfindlich. Die getrennt aufgefangenen 
Urine zeigten beiderseits Spuren von Albumen, aber keinerlei Formelemente. Durch 
diesen Befund war nur eine rechtsseitige Harnverhaltung zu erklären, und für die voll- 
kommene Anurie mußte man die Annahme einer Reflexanurie linkerseits supponieren. 
Mehrere Untersuchungen in der nächsten Zeit ergaben im wesentlichen dasselbe Re- 
sultat, und mit dem Eintreten der nächsten Menses stellte sich ein neuerlicher Anfall, 
allerdings leichterer Art, ein. Da der Uterus sich nicht aufrichten ließ, wurde der 
Patientin ein operativer Eingriff vorgeschlagen, den sie aber zurückwies. Sie absol- 
vierte eine Badekur und hatte dann längere Zeit hindurch angeblich weniger häufige 
Anfälle. Nach anderthalb Jahren sah ich Patientin wieder. Die Anfälle waren in 
letzter Zeit wieder häufiger geworden und zum Teil auch außerhalb der Periode auf- 
getreten, doch war nie mehr vollkommene Harnverhaltung beobachtet worden. Die 
rechte Niere war jetzt deutlich vergrößert und ganz erheblich herab- 
gesunken zu tasten, auch die linke war anscheinend etwas tiefer getreten. Der 
Genitalbefund war ziemlich unverändert und die Patientin zu einem operativen Ein- 
griff bereit. Es wurde zunächst die vaginale Koeliotomie gemacht, der breit mit der 
Beckenwand verwachsene Uterus abgelöst und nach vorn fixiert. Dabei zeigte sich, 
daß die Blase auch mit dem Uterus stark verwachsen war; eine Dilatation des Ureters 
bestand nicht. In derselben Sitzung wurde die rechte Niere freigelegt, wobei sich 
zeigte, daß dieselbe durch das stark erweiterte Nierenbecken um das Doppelte ver- 
größert war. Der Ureter mündete an normaler Stelle ein, jedoch unter auffallend 


Über den Zusammenhang der intermittierenden Hydronephrose usw. 33 


spitzem Winkel. Um diese Spitzwinkelstellung zu korrigieren und gleichzeitig das 
Nierenbecken zu verkleinern, machte ich eine Querraffung des Nierenbeckens 
in dreifacher Catgutnaht und fixierte das Organ hoch oben am Rippenbogen. 
Die Operation verlief glatt, am 20. Tage konnte die Patientin das Bett verlassen. Die 
cystoskopische Nachuntersuchung ergab volle Funktion beider Nieren, aber der Blasen- 
boden blieb trotz der Korrektur der Uteruslage nach rechts verzogen. Über ein Jahr 
blieb Patientin völlig beschwerdefrei, dann traten zunehmende Schmerzanfälle, die 
nach der linken Seite ausstrahlten, auf. Die Untersuchung ergab, daß nunmehr die 
linke Niere erheblich herabgesunken und deutlich vergrößert war. Bei der Sondierung 
stieß der Katheter kurz vor Eintritt ins Nierenbecken auf Widerstand, der zunächst 
nicht zu überwinden war. Es wurde nunmehr auch die linke Niere freigelegt, wobei 
sich auch hier eine allerdings geringgradige Erweiterung des Nierenbeckens ergab. 
Der Ureter war bis ins kleine Becken hinab etwas dilatiert, es konnte aber von der 
Operationswunde aus kein Hindernis im Urinabfluß entdeckt werden, und deshalb 
wurde lediglich die une vorgenommen. Seither blieb die Patientin dauernd 
beschwerdefrei. 

In diesem Falle ist "also der nach hinten fixierte Uterus als primäre 
Ursache der Harnstauung und Nierenbeckenerweiterung auf der rechten 
Seite anzusprechen, während die Nierensenkung erst als Folge der Vergrößerung 
des Organes auftrat. Die Verhältnisse links sind schwerer zu deuten; man muß wohl 
annehmen, daß die Verlagerung des Blasenbodens eine Zugwirkung auf den Ureter 
ausübte, wozu wahrscheinlich dann noch nach der ersten Operation ein Druck seitens 
des nach vorn fixierten Uterus sich gesellte. 

4. Bei der 2öjährigen Patientin waren die Menses vom 13. Lebensjahre an un- 
regelmäßig und schmerzhaft und von vornherein mit Störungen in der Urinentleerung 
verbunden. Sie konnte zur Zeit der Periode angeblich oft 24 Stunden keinen Urin 
lassen, und öfters sei danach Blut mit dem ersten Urin gekommen. Dieser Zustand 
bestand mit wechselnder Heftigkeit viele Jahre hindurch, ohne daß Patientin ärztliche 
Hilfe in Anspruch nahm. Die gynäkologische Untersuchung ergab ein virginelles Genitale 
ohne Besonderheit. Der Harnröhrenwulst war auffallend verdickt und derb, 
im übrigen die Harnröhre leicht durchgängig, die Blase ungewöhnlich ausdehnungsfähig. 
Erst bei 600 ccm verspürt Patientin leichten Drang. Die Blasenschleimhaut blaß und 
dünn. an vielen Stellen die Muskulatur trabekelförmig durchscheinen lassend. Die 
Ureterenmündungen beiderseits klaffend, jedoch zartrandig ohne Narbenbildung. Der 
Katheterismus gelingt beiderseits leicht und aus beiden Nierenbecken entleeren sich er- 
hebliche Urinmengen. Bei einem Füllversuch gelingt es rechts 40, links 30 ccm ein- 
zuführen, worauf ziemlich erhebliche kolikartige Schmerzen auftraten. Da die Patientin 
keinen Urin spontan lassen konnte und im ganzen Verlauf des Harnsystems kein 
Hindernis zu entdecken war, nahm ich eine nervöse (hysterische) Miktionsbehinderung 
an und legte einen Dauerkatheter ein, der bei täglichen Spülungen mit Borlösung 
8 Tage obne Reizerscheinungen ertragen wurde. Nach Entfernung des Katheters 
konnte Patientin spontan urinieren, bis mit Eintritt der nächsten Menses wieder voll- 
ständige Harnverhaltung eintrat. Die Urethra war auffallend hyperämisch und ge- 
schwollen und die Einführung eines feinen Glaskatheters äußerst schmerzhaft. Die 
Schleimhaut am Blasenboden stark hyperämisch, im übrigen derselbe Befund wie 
früher. Ein neuerlicher Versuch mit dem Dauerkatheter wurde von der Patientin 
abgelehnt und sie entzog sich der Behandlung. Erst nach dreiviertel Jahren stellte 
sie sich wieder vor. Sie hatte inzwischen auswärts verschiedene Ärzte konsultiert, 
doch waren die Beschwerden immer heftiger geworden, fast nach jeder Menstrua- 
tion mußte sie mehrere Tage katheterisiert werden. Der Befund an Harn- 
röhre und Blase war wie früher, dagegen waren beide Nieren deutlich palpabel, be- 
sonders die linke bis zu Nabelhöhe herabgesunken. Die Patientin wünschte jetzt selbst. 
Befreiung von ihren Beschwerden. Die linke Niere wurde freigelegt und möglichst 
hoch fixiert; die Urethra vermittels Simonscher Specula stark dilatiert und ein großer 
Pferdefußkatheter in dieselbe eingelegt. Die Heilung erfolgte reaktionslos, nach Ent- 
fernung des Dauerkatheters war Patientin einige Tage inkontinent, doch stellte sich 

Zeitschrift ft. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 3 


34 Dr. Sigmund Mirabeau. 


die Kontinenz innerbalb von 8 Tagen wieder her und die Patientin blieb dauernd be- 
schwerdefrei. Die Nachuntersuchung nach einem Jahre ergab normale Funktion 
beider Nieren, Harnverhaltung ist nie mehr aufgetreten. 

In diesem Falle bestand also offenbar primär ein zeitweises Hindernis des Urin- 
abflusses in der Harnröhre, das jedesmal unter denı Einfluß der Menstruationshyper- 
ämie einsetzte. Durch die oft langdauernden Harnverhaltungen war sekundär Dila- 
tation und Atonie der Blase eingetreten und anscheinend infolge davon Stauung nach 
dem Nierenbecken, Hydronephrose und zuletzt Nierensenkung. 


Es mag auffallend erscheinen, daß in den bisherigen Publikationen 
über intermittierende Hydronephrose, obgleich ein erheblicher Teil der- 
selben, wie schon eingangs erwähnt, von gynäkologischer Seite herrührt, 
verhältnismäßig wenig von den auf die Genitalorgane zurückzuführenden 
Entstehungsursachen die Rede ist, die doch zweifellos gar nicht so selten 
sind. Es kommt dies offenbar, wie schon oben angedeutet, daher, daß 
bei weit vorgeschrittenen Fällen der ursächliche Zusammenhang über- 
haupt nicht mehr zu erkennen ist und das klinische Bild ebenso wie 
der anatomische Befund bei Operationen oder Sektionen Folgezustände 
als ursächliche Momente erscheinen läßt. Natürlich ist nicht in Ab- 
rede zu stellen, daß viele Fälle verschiedene Deutungsmöglichkeiten zu- 
lassen, und es geht auch nicht an, die Angaben der Autoren nach dieser 
Richtung hin einer Kritik zu unterziehen, aber ich zweifle nicht, daB 
namentlich bezüglich des Zusammenhanges von Wanderniere und Hy- 
dronephrose in vielen der publizierten Fälle das ursächliche Verhältnis 
dem von mir beobachteten analog zu stellen ist, d. h. daß die Hydro- 
nephrose das Primäre, die Nierensenkung den Folgezustand darstellt. 
Sehen wir doch so häufig Wandernieren ohne Hydronephrosenbildung 
und andrerseits Hydronephrosen ohne Dislokation der Niere, dagegen 
selbstverständlich niemals Hydronephrosenbildung ohne ein 
Hindernis in den abführenden Harnwegen. Daß die Vergröße- 
rung und das Schwererwerden der Niere die Veranlassung zur Senkung 
des Organes werden kann, ist ja völlig einleuchtend und wird auch 
durch die Erfahrungen bei Tumorbildung bestätigt. Ich selbst habe 
2 Fälle von Grawitztumor der Niere beobachtet, die das ausgesprochene 
Bild einer Wanderniere boten, und ähnliche Erfahrungen wurden von 
vielen Autoren gemacht. Andrerseits sprechen namentlich experimen- 
telle Untersuchungen dagegen, daß die einfache Mobilisierung der Niere 
zu Hydronephrosenbildung führen kann!). Auch beim Tierexperiment 
bedarf es stets eines Ahflußhindernisses zur Erzeugung einer Nieren- 
beckenerweiterung. 

Es wurde oben schon erwähnt, daß gerade zeitweise Behinderungen 
des Urinabflusses am leichtesten zu Hydronephrosenbildung führen, 
während absoluter Verschluß in den meisten Fällen zu einer völligen 
Funktionseinstellung der Niere führt. Nun erscheinen gerade bei gynä- 
kologischen Erkrankungen, die mit Verlagerungen bzw. Kompressionen 
dex Ureters verbunden sind. infolge der durch die Menstruation be- 
dingten periodischen Zirkulationsschwankungen ganz besonders geeignet, 


No. 


Über den Zusammenhang der intermittierenden Hydronephrose usw. 35 


zeitweise Behinderungen des Harnabflusses hervorzurufen, und es ist 
eine bekannte Tatsache, daß bei sonst ganz gesunden Frauen zur Zeit 
der Menstruation mehr oder minder erhebliche Miktionsstörungen ein- 
treten. Gewiß sind diese Störungen meist geringfügiger Natur, aber es 
ist leicht zu verstehen, daß sie sich doch nach dem Gesetze der 
Kumulierung oft wiederholter Reize im Laufe der Jahre in Form 
schwererer Schädigungen des Harnapparates geltend machen. Dazu 
kommt dann noch vielfach der Einfluß der Schwangerschaften, in deren 
Verlauf die verschiedenartigsten Störungen der Funktionen des Harn- 
systems zu den häufigsten Komplikationen gehören. In den ersten 
Monaten ist es vor allem die allgemeine Hyperämie der Beckenorgane, 
an der die Blase erheblichen Anteil nimmt und unter dem Bilde der 
„Schwangerschaftsblase“ zu Miktionsstörungen aller Art führt. Dann 
macht sich mit dem Aufsteigen des Uterus aus dem kleinen Becken 
die Verzerrung des Blasenbodens mit den Uretereneinmündungen in 
Form erheblicher Rückstauung des Urins nach dem Nierenbecken geltend 
und führt gar nicht so selten beim Hinzutreten von Infektionskeimen 
zu dem gerade in den letzten Jahren näher studierten Bilde der 
Schwangerschaftspyelitis. Endlich kann p. part. die Erschlaffung der 
Bauchdecken zu Enteroptose der verschiedensten Grade führen, als 
deren Teilerscheinung vielleicht in der Mehrzahl der Fälle die gerade 
bei Frauen so häufige Wanderniere anzusprechen ist. 

Wie häufig der Ureter an den Krankheitsprozessen, die sich im 
kleinen Becken abspielen, beteiligt ist, hat man erst kennen gelernt, 
seitdem die operative Therapie in der Gynäkologie zu ihrer heutigen 
Bedeutung gelangt ist. Anfangs waren es wohl meist unfreiwillige und 
unbeabsichtigte Begegnungen, die den Operateur out den Ureteren in 
Berührung brachten, allmählich hat man dann die Bedeutung des Becken- 
teiles der Ureteren für die gesamte operative Gynäkologie kennen und 
schätzen gelernt, und besonders bei der modernen abdominalen Carcinom- 
operation nach Wertheim hat die Rücksicht auf den Ureter bei der 
Ausbildung der Operationsmethode mit einen Hauptfaktor gebildet, und 
es ist bezeichnend, daß das klassische moderne Werk über „die Topo- 
graphie des Ureters“ von Tandler und Halban') dem Bedürfnisse der 
operativen Gynäkologie seine Entstehung verdankt. 

Es ist auch zweifellos, daß diese Beziehungen der operativen Gy- 
näkologie zum Ureter einen Hauptfaktor für die Beachtung bildete, 
welche die Gynäkologen in neuerer Zeit den Harnorganen im all- 
gemeinen wieder geschenkt haben und durch die cystoskopischen 
Methoden sind wir in die Lage versetzt worden, auch außerhalb der 
operativen Tätigkeit die Beziehungen des Ureters wie der gesamten 
Harnorgane mit in den Bereich unseres diagnostischen und therapeu- 
tischen Handelns zu verlegen. Es ist hier nicht der Ort, dieses näher 


1) Tandler und Halban, Topographie des weiblichen Ureters, mit besonderer 
Berücksichtigung der pathologischen Zustände und der gynäkologischen Operationen. 
Wien u. Leipzig 1901. 

3% 


36 Dr. S. Mirabeau. Über d. Zusammenhang d. intermittierenden Hydronephrose usw. 


zu beleuchten, es soll vielmehr nur angedeutet werden, daß die Be- 
achtung, die ich von Anfang an diesen Verhältnissen geschenkt habe, 
für mich den Ausgangspunkt der hier niedergelegten Beobachtungen 
über den Zusammenhang der intermittierenden Hydronephrose bei 
Frauen mit gynäkologischen Erkrankungen und Störungen gebildet haben. 
Ich zweifle nicht, daß diese Beobachtungen sich noch erheblich er- 
weitern, ergänzen, vielleicht auch teilweise korrigieren lassen, wenn erst 
allgemeiner und besonders an klinischen Material auf diese Zusammen- 
hänge geachtet wird. 

Zusammenfassend möchte ich aus meinen Beobachtungen folgende 
Schlüsse ziehen: Ä 

1. Ein großer Teil der bei Frauen beobachteten Fälle von inter- 
mittierender Hydronephrose steht in direktem ursächlichem Zusammen- 
hang mit gynäkologischen Affektionen, die behindernd auf den regel- 
mäßigen Urinabfluß wirken. 

2. Die größte Bedeutung kommt dabei denjenigen Erkrankungen 
der Beckenorgane zu, welche den Beckenteil des Ureters und besonders 
die Einmündungsstelle in die Blase in Mitleidenschaft ziehen. 

3. Das auslösende Moment der Schmerzanfälle ist dabei häufig die 
durch die Menstruation bedingte Hyperämie der Beckenorgane, die auch 
für sich allein schon hemmend auf den Urinabfluß wirken kann. 

4. Diese an der Peripherie wirkenden Hindernisse im Urinabfluß 
erzeugen ganz allmählich Nierenbeckenerweiterungen, aus denen sich 
dann oft im Laufe vieler Jahre erst eigentliche Hydronephrosen ent- 
wickeln. 

5. Die Nierensenkungen sind häufig die Folge und nicht die Ur- 
sache der Hydronephrosenbildung, ebenso wie die vielfach beobachteten 
Veränderungen in der Form des Nierenbeckens, in der Einmündung des 
Ureters in dasselbe und am zentralen Teil des Ureters selbst. 

6. Allerdings können dann die unter 5. genannten Veränderungen 
ihrerseits wieder wesentlich zur Weiterbildung der Hydronephrosen 
beitragen. 

7. Erst die cystoskopischen Methoden setzen uns in die Lage, die 
Anfangsstadien der Erkrankung zu erkennen und die ursächlichen 
Momente richtig zu deuten, was bei dem vorgeschrittenen Krankheits- 
bilde meist ganz unmöglich ist. 

8. Durch sekundäre Infektion können aus intermittierenden Hy- 
dronephrosen offene Pyonephrosen, durch dauernde Verlegung des Harn- 
flusses geschlossene Sacknieren werden. Die intermittierende Hydro- 
nephrose ist wohl das Anfangsstadium der meisten Formen von Sackniere. 


(Aus der Universitäts-Frauenklinik zu Greifswald.) 


Zur Behandlung der chronischen Cysto-Pyelitis. 
Von 
Prof. Max Henkel. 


Die Cystitis mit ihren Begleit- resp. Folgeerscheinungen spielt nicht 
nur bei der Wöchnerin eine große Rolle, sondern bedeutet auch eine 
häufige Komplikation gynäkologischer Leiden, namentlich solcher, die 
auf entzündlicher Basis beruhen. Es ist nicht immer leicht zu ent- 
scheiden, ob eine Cystitis vorliegt oder eine Pyelitis, ja es ist die 
Grenze zwischen Cystitis und Urethritis nicht immer sofort zu ermitteln. 
Entzündungen im hinteren Teil der Harmröhre teilen sich sehr leicht 
dem Blasengrunde mit, besonders dem Teil, der zwischen den beiden 
Ureterenmündungen liegt. Der Harn kann vollkommen klar sein, er 
braucht in seiner chemischen Reaktion von der Norm in keiner Weise 
abzuweichen, und doch liegt eine Cystitis vor resp. kombiniert mit dieser 
eine Pvyelitis. 

Die Diagnostik dieser Fälle, bei denen eine Erkrankung der Harn- 
apparate mit anscheinend normaler Sekretabsonderung (Urin) vorliegt, 
ist oft recht schwierig und ohne Zuhilfenahme des Cystoskops, des 
Urethroskops, des Ureterenkatheterismus und schließlich auch der 
bakteriologischen Untersuchung des abgesonderten Urins nicht möglich. 
Erst auf Grund dieser verfeinerten Untersuchungstechnik sind wir in 
den Stand gesetzt, gewisse Blasen- resp. Nierenbeckenentzündungen zu 
diagnostizieren, die früher unserer Erkenntnis entgingen resp. entgehen 
mußten. Sehr interessant ist nach der Richtung eine jüngst erschienene 
Arbeit aus der Zinnschen Abteilung des Krankenhauses Bethanien von 
Scheidemantel (Über Pyelitis bei Frauen und ihre Beziehungen zur 
Menstruation. Deutsche medizinische Wochenschrift Nr. 31, 1908). Len- 
hartz (Über die akute und chronische Nierenbeckenentzündung. Mün- 
chener medizinische Wochenschrift Nr. 16, 1907) weist darauf hin, daß 
die primäre selbständige Pyelitis nicht zu den Seltenheiten gehört, wohl 
aber stößt die Diagnostik derselben auf große Schwierigkeiten, wie man 
der Tatsache entnehmen kann, daß so außerordentlich häufig die Diagnose 
nicht gestellt wird. Unter 16 Fällen von Pyelitis, über die Scheide- 
mantel berichtet, war in keinem einzigen Fall die richtige Diagnose 
gestellt worden; dieselbe lautete vielmehr in der Mehrzahl auf Unterleibs- 
entzündung, Influenza. Darmkatarıh, Muskelrheumatismus usw. 


38 Prof. Max Henkel. 


Der Gang der Infektion für das Zustandekommen der Pyelitis 
dürfte in der Mehrzahl der Fälle der sein, daß die Bakterien von einer 
vorhandenen Cystitis in die Nierenbecken aufsteigen. 

Aber abgesehen hiervon ist es sehr wahrscheinlich, daß auch in 
solchen Fällen, wo die Bakterien im Blute kreisen, mit dem Urin aus- 
geschieden werden, zunächst doch nicht die Pyelitis hervorgerufen wird, 
sondern erst die Cystitis auftritt und dann rückläufig die Pyelitis. Als 
Erklärung dieser Beobachtung möchte ich annehmen, daß mit in dem 
aus den Nieren entleerten Urin die Bakterien direkt in die Blase fort- 
geschwemmt werden. Nur eine Urinansammlung in der Blase gibt die 
Möglichkeit einer lokalen Vermehrung und Ansiedlung der Bakterien. 
Besteht dagegen eine Erschwerung im Abfluß des Urins im Verlauf der 
Harnleiter, kommt es mit Rücksicht darauf zu einer Stauung im Nieren- 
becken, so werden diese Verhältnisse zunächst zur Pyelitis und dann 
zur Cystitis führen. 

Cystitis und Pyelitis können wie gesagt bestehen bei anscheinend 
klarem, normal reagierendem Urin. Das sind die Fälle, die diagnostisch 
die größten Schwierigkeiten hervorrufen, da ja kein markantes objektiv 
überzeugendes Symptom vorhanden ist, welches die Diagnostik des vor- 
liegenden Krankheitsfalles auf die in Wirklichkeit vorliegende Krankheit 
hinlenkt. Als Beispiel möge die Mitteilung des folgenden Falles dienen: 
Frau S., 21 Jahre alt, wurde am 25. August in die Klinik aufgenommen 
mit der Angabe, daß seit einiger Zeit Schmerzen in der rechten Unter- 
bauchgegend beständen. Die genaue Untersuchung ergab keine Anhalts- 
punkte dafür, daß eine Erkrankung des Darmes, etwa des Appendix, vor- 
läge. Der Urin war sauer, ganz leicht getrübt. Im cystoskopischen 
Bilde ließ sich eine sehr geringe Trübung der Blasenschleimhaut er- 
kennen, so daß die Konturen der Gefäße namentlich im Blasenboden 
nicht klar hervortraten. Da nun die Beschwerden der Patientin in 
keiner Weise durch die so geringfügige Cystitis erklärt wurden, und 
da auch am nächsten Tage eine Temperatursteigerung von 38,2 eintrat 
mit zunehmender Druckempfindlichkeit, die sich aber nicht genau auf 
die Nierengegend lokalisieren ließ, so wurde zur Sicherstellung der 
Diagnose der Katheter in den rechten Harnleiter eingeführt, der Urin 
steril aufgefangen und bakteriologisch untersucht. Zu dieser bakterio- 
logischen Untersuchung gelangte nicht der zunächst entleerte Urin, 
sondern erst derjenige, der, nachdem der Katheter eine Zeitlang gelegen 
hatte, abfloß. In diesem fast klar zu nennenden Urin der rechten Niere 
ließen sich nun Staphylokokken und Bakterium coli mit Sicherheit nach- 
weisen. Daraufhin wurde die lokale Behandlung des rechten Nieren- 
beckens in der Weise in Angriff genommen, daß eine schwache 
Argentum nitricum-Lösung CL el in das Nierenbecken instilliert 
wurde. Der Erfolg war ein ganz eklatanter, und zwar sowohl objektiv 
wie subjektiv, indem die Schmerzen schwanden und die Temperatur 
zur Norm zurückging. Das Verfahren wurde noch einige Male wieder 
holt. um den Erfolg zu sichern. 


Zur Behandlung der chronischen Cysto-Pyelitis. 39 


Derartige Fälle haben wir jetzt schon wiederholt gehabt, und es 
decken sich unsere Beobachtungen insofern durchaus mit denjenigen 
von Scheidemantel und anderen, daß nämlich eine Pyelitis bestehen 
kann, ohne daß die Urinuntersuchung und die cystoskopische Unter- 
suchung allein die Diagnose zu sichern imstande sind. Klarheit schaffen 
in solchen Fällen nur der Ureterenkatheterismus und die bakteriologische 
Untersuchung resp. die mikroskopische Untersuchung des isoliert auf- 
gefangenen Urins der einen resp. beider Nieren. 

In einem anderen Fall lagen die Verhältnisse insofern noch kom- 
plizierter, als bei einem Mädchen, das im Juni 1907 eine gonorrhoische 
Infektion akquiriert hatte, damals wegen ihrer Gonorrhoe behandelt worden 
war, und bei dem sich dann eine chronische Cystitis entwickelte. Da 
durch die ambulante Behandlung (Salol, Urotropin, Blasenspülungen) 
das Übel in keiner Weise zu beseitigen war, die trübe Beschaffenheit 
des Urins sich nicht änderte, das Brennen beim Urinlassen nicht 
schwand, so wurde auch hier der doppelseitige Ureterenkatheterismus 
ausgeführt und der isoliert aufgefangene Urin bakteriologisch untersucht. 
Cystoskopisch ergab sich eine chronische Cystitis mit ausgedehnter ober- 
flächlicher Abschilferung des Epithels. Die Reaktion des Urins war 
sauer, zahlreiche Versuche, Tuberkelbazillen im Sediment nachzuweisen, 
scheiterten trotz aller angewandter Verfahren. Durch den Ureteren- 
katheterismus ließ sich dagegen im Nierenbecken beiderseits Pvocyaneus 
in Reinkultur nachweisen. Die Therapie bestand daraufhin in der 
vorsichtigen Installation einiger Tropfen von 1°, Argentum nitricum- 
Lösung in das Nierenbecken. Diese Manipulation wurde 2 mal wieder- 
holt. Eine dann vorgenommene bakteriologische Untersuchung des isoliert 
aufgefangenen Urins jeder Niere ergab Keimfreiheit derselben. Die 
jetzt angeschlossene Behandlung der Cystitis ergab baldige Besserung. 

In einem dritten Fall handelte es sich um eine 47jährige Frau, 
die mit dem Symptom einer schweren Cystitis in die Klinik kam, der 
Urin war blutig-trübe und im cystoskopischen Bilde fand sich eine 
ausgedehnte chronische Cystitis mit Ulcerationen; außerdem konnte man 
im Blasenboden drei kleine Steinchen entdecken. Durch einfache Spülung 
ließen sich die Steinchen aus der Blase entfernen, die Cystitis besserte 
sich aber trotz täglicher Spülung mit Borsäure und auch Argentum 
nicht. Der Urin war stark alkalisch, und bakteriologisch enthielt er 
Streptokokken und Bakterium coli. Wir haben die Streptokokken auf 
ihre hämolytische Wirkung geprüft; eine solche bestand nicht! Da die 
Gegend um die Ureterenmündung ebenfalls ziemlich stark entzündet 
war, die Lumina derselben klaften weit, so wurde auch in diesem Fall 
der Ureterkatheter in jeden Harnleiter vorgeschoben; mit demselben 
konnte man beiderseits, ohne auf Widerstand zu stoßen, in das Nieren- 
becken hineingelangen. Da nun anzunehmen war aus der ganzen Ananı- 
nese, insofern nämlich nach krampfartigen Schmerzen im Leib der Urin 
bald blutig wurde, daß auch Steine im Nierenbecken sein mußten, so 
bestand ohne Rücksicht auf eine etwaige Vernichtung der im Nieren- 


40 | = Prof. Max Henkel. 


becken nachgewiesenen Streptokokken und Bakterium coli-Infektion unser 
Bestreben darin, das Nierenbecken auszuwaschen, um dadurch jede 
Sekretstauung in diesem Fall zu beseitigen. Systematische Auswaschungen 
der Nierenbecken mit Wildunger Wasser schafften eine bedeutende 
Besserung nicht nur des allgemeinen Befindens, sondern auch hinsicht- 
lich der Beschaffenheit des Urins; derselbe wurde klarer, es gingen in 
ziemlich schneller Reihenfolge eine ganze Anzahl kleinster Steinchen 
nach diesen Spülungen, und zwar ohne voraufgegangene Koliken ab. 

Diese Fälle zeigen zur Genüge, welche Wichtigkeit der Pyelitis 
auch in gynäkologischer Hinsicht zuzusprechen ist, und sie beweisen, 
daß für derartige Krankheitsfälle zur Diagnose sowohl wie zur Therapie 
der Ureterkatheterismus und die nachfolgende bakteriologische Urin- 
untersuchung des isoliert aufgefangenen Urins jeder der beiden Nieren 
unentbehrlich sind. 

Während wir so gesehen haben, daß gewöhnlich die Pryelitis sich erst 
sekundär anschließt an die Cystitis, dürfen wir auf der anderen Seite 
nicht unberücksichtigt lassen, daß, wenn die Cystitis zur Pyelitis geführt 
hat, diese in chronischen Fällen nur dadurch ausgeheilt werden kann, 
daß man sich nicht auf die Behandlung der Blase allein beschränkt, 
sondern auch die Nierenbecken einer lokalen Behandlung unterwirft. 
Die Verordnungen interner Medikationen in diesen ganz chronischen 
Fällen versagt außerordentlich häufig, und deshalb ist es unbedingt not- 
wendig, daß, wenn bei Cystitis die Symptome nicht schwinden, man 
sofort übergeht zur genauen Untersuchung der Nierenbecken und zur 
lokalen Behandlung derselben. 

Während die akute Cystitis durch Bettruhe und hamtreibende 
Mittel, dann durch die innerliche Anwendung von Salol usw. sicher in 
verhältnismäßig kurzer Zeit zur Ausheilung zu bringen ist, bereitet uns 
die chronische Cystitis oft die allergrößten Schwierigkeiten. Ein Teil 
dieser Fälle, die jeder Therapie zu trotzen scheinen, läßt sich durch 
die gleichzeitige Berücksichtigung der bestehenden Pyelitis, wie ich eben 
gezeigt habe, zur Ausheilung bringen, aber es bleiben immer noch eine 
ganze Anzahl besonders hartnäckiger Fälle von chronischer Cystitis 
übrig, bei denen alle unsere Bemühungen nicht zum Ziel führen. Von 
internen Mitteln kann man sich bei derartigen Fällen einen gewissen 
zuverlässigen Erfolg nur von Urotropin versprechen, auch Helmitol 
empfiehlt sich bei stark eitrigem, alkalischen Urin. In solchen Fällen 
bewähren sich auch Spülungen der Blase mit 1:5000 Quecksilber- 
oxycvanid. In besonders hartnäckigen Fällen, zu denen die Fälle, be- 
ruhend auf Proteus- und Pyocyaneusinfektion gehören — es handelt 
sich nach meinen Beobachtungen hierbei regelmäßig um Mischinfektionen 
dieser Bakterien mit noch anderen Mikroorganismen, meist Staphylo- 
kokken und Streptokokken — versagten alle Bemühungen, die angewandt 
wurden, um eine Heilung der Cystitis herbeizuführen. 

Angeregt durch die Publikationen von Geiser und Müller auf 
dem diesjährigen Chirurgenkongreß und die daran sich anschließenden 


Zur Behandlung der chronischen Cysto-Pyelitis. 41 


Publikationen über Antifermentbehandlung eitriger Abseesse habe ich 
versucht, diese Therapie auch zur Behandlung chronischer, eitriger 
Cystitiden in Anwendung zu bringen. Ich habe das Verfahren jetzt an 
5 Fällen in der Weise ausgeführt, daß ich frisches, steril aufgefangenes 
Rinderserum in die Blase nach vorhergegangener Entleerung des Urins 
mit dem Katheter injizierte. Die angewandten Quantitäten Serum waren 
den verschiedensten Modifikationen unterworfen: mit kleinen Dosen 
(5 cem frisches Rinderblutserum) beginnend, sind wir bis zur voll- 
ständigen Auffüllung der Blase und der Einverleibung von 150 ccm 
Serum in dieselbe vorgegangen. Auch zeitlich haben wir Variationen 
in der Weise eintreten lassen, daß wir täglich und in Intervallen bis 
zu 4—5 Tagen das Serum injiziert haben. Es erübrigt sich, die einzelnen 
Krankengeschichten mit diesbezüglichen Protokollen abdrucken zu lassen. 
Das Resümee unserer Untersuchungen geht dahin, daß durch die Ein- 
verleibung sterilen Rinderblutserums ein therapeutischer Effekt bei 
chronischen, eitrigen Cystitiden nicht konstatiert werden konnte, wohl 
aber klagten die Kranken wiederholt darüber, daß die Schmerzen, die 
bei und nach der Urinentleerung auftraten, während der Serunbehandlung 
erheblich zunahmen. In einigen Fällen, wo bei chronischer Cystitis die 
Urinentleerung so gut wie schmerzlos erfolgte, wurde durch die Be- 
handlung erst die Schmerzhaftigkeit bei der Miktion erzeugt. 

. Es ist selbstverständlich, daß wir in jeder Weise den therapeutischen 
Effekt dieser Behandlungsmethode zu kontrollieren suchten, und das 
geschah, abgesehen von der \otierung der subjektiven Schmerzempfindung, 
auch objektiv dadurch, daß wir die Bakterienuntersuchung fortsetzten, 
die Zahl der auf der Agarplatte angegangenen Kolonien verglichen und 
auf der anderen Seite auch Sedimentkontrollröhrchen anlegten. Hierbei 
verfuhr ich so, daß der Morgenurin in Zylindern aufgefangen und gut 
durchgerührt wurde. Von der Mischung wurde dann ein Reagenzglas 
voll zum Sedimentieren hingestellt. Zur Vermeidung weiteren Bakterien- 
wachstums wurde dem Gemisch ein Tropfen reinen Formalins zugesetzt. 
Auf diese Weise konnte festgestellt werden 1. daß ein Verringern des 
Bakteriengehaltes nicht eintrat und daß 2. das eitrige Sediment im 
Verlauf der Behandlung nicht weniger wurde. In dieser letzten Hin- 
sicht traten wohl Schwankungen auf, aber die Differenzen waren nur 
vorübergehend und nie so überzeugend, daß sie nicht auch auf andere 
einfachere Weise hätten erklärt werden können, da ja die Eiterproduktion 
bei chronischen Entzündungsprozessen nicht immer die gleiche ist. 

Wir sind auch noch einen Schritt weiter gegangen, um uns ein 
möglichst klares Bild über den Einfluß des Rinderblutserunis auf Strepto- 
kokken (mit denen wir lediglich experimentiert haben) zu studieren. 
Wir sind dabei zu dem Resultat gekommen, daß, wenn man Strepto- 
kokken auf frisches steriles Rinderblutserum überträgt, eine gewisse 
Hemmung in der weiteren Entwicklung der Streptokokken wohl ein- 
tritt, nicht aber ein Abtöten derselben. Auf Grund aller dieser klinischen 
und experimentellen Untersuchungen hahen wir jetzt davon Abstand ge- 


42 Prof. Max Henkel. Zur Behandlung der chronischen Cysto-Pyelitis. 


nommen, diese Art der Behandlung der chronischen eitrigen Cystitis 
durch Einverleibung von sterilem Rinderblutserum fortzusetzen. 

Auch mit Trypsin haben wir keine erfolgreichen Resultate erzielt. 
Zunächst ergab sich bei unseren Bemühungen, daß das Trypsin (Gehe, 
Dresden) an sich schon nicht steril ist. Legt man von dem Trypsin 
aus den Originalgefäßen Kulturen an, so ergibt sich ein ziemlich üppiges 
Bakterienwachstum. Es handelt sich dabei um dicke, plumpe Stäbchen 
mit deutlicher Polfärbung, die in Traubenzucker-Bouillon (sauer oder 
alkalisch) kein Gas bilden. Nach dieser Erfahrung haben wir erst das 
Trypsin sterilisiert, indem wir es 10 Minuten lang auf 150 Grad er- 
hitzten. Dann haben wir die Versuche wieder in der Weise auf- 
genommen, daß wir zu 5 ccm Streptokokken-Bouillon 0,1 e steriles 
Trypsin hinzusetzten. Ein Einfluß auf das Wachstum der Streptokokken 
ließ sich nicht erzielen, auch dann nicht, wenn die Trypsin-Bouillon mit 
Streptokokken geimpft wurde. 

Im Einklang mit diesen Laboratoriumsversuchen stehen unsere 
klinischen Beobachtungen insofern, als bei eitrigen Cystitiden durch Ein- 
verleibung von 2°), Trypsinaufschwemmungen in die Blase keinerlei 
therapeutischer Einfluß ausgeübt worden ist. 

Jetzt sind wir dazu übergegangen, unsere therapeutischen Versuche 
zur Behandlung dieser besonders hartnäckigen, chronischen Cystitiden 
mit Chininalkohol fortzusetzen. Die Laboratoriumsversuche ergeben hier 
wesentlich günstigere Resultate als die mit Rinderblutserum und Trypsin- 
aufschwemmung. Wir wählten eine Chininalkohol-Lösung, von der wir 
sicher wußten, daß sie das Gewebe nicht schädigt. Durch anderweitige, 
früher und zu anderen Zwecken vorgenommene Untersuchungen sind 
wir in der Lage, eine 5°%,, Chininalkohol-Lösung (50°/, Alkohol) für 
unsere Zwecke als geeignet anzusprechen. Nimmt man 5 cem Bouillon 
und setzt dieser 0,1 Chininalkohol der angegebenen Konzentration und 
Lösung hinzu, so ergibt sich, daß 12 Stunden später Übertragungs- 
versuche aus derartig angesetzten Streptokokken-Bouillon-Kulturen naclı 
12 Stunden steril sind. Daraus folgt, daß eine Beeinträchtigung des 
Wachstums von Streptokokken durch Zusatz minimaler Mengen von 
Chininalkohol, wie sie erfahrungsgemäß für das Gewebe durchaus un- 
schädlich sind, mit Sicherheit erreicht wird. Da es sich nun bei den 
chronischen Cystitiden nicht immer um eine Infektion mit Streptokokken 
handelt, sondern schr häufig auch um solche mit anderen Mikroorganismen, 
z. B. Bakterium coli, Proteus usw., auch Pyocyaneus, so ist es not- 
wendig, daß diese experimentalen Untersuchungen auch die Prüfung 
mit diesen Mikroorganismen zu berücksichtigen hat. Ein abschließendes 
Urteil über diese Behandlung der chronischen Cystitis habe ich noch 
nicht, da die klinischen Beobachtungen noch nicht zahlreich genug 
sind, und ich vor allem auch über Dauerheilungen nicht berichten kann. 


(Aus der Universitäts-Frauenklinik in Marburg a. L.) 
Zur Diagnose und Therapie der Schwangerschaftspyelitis. 


Von 


W. Stoeckel. 
(Mit 1 Figur.) 


Die eingehenden und guten Arbeiten von Opitz!), von Barth ?), von 
Mirabeau’) und von Albeck*) haben die Schwangerschaftspyelitis vor 
einer weiteren Vernachlässigung seitens der deutschen Geburtshelfer glück- 
lich bewahrt. Sie haben uns gezeigt, daß wir eine häufige und wichtige 
Schwangerschaftskomplikation allzu lange unbeachtet gelassen haben. 
Um so eifriger sollten wir uns bemühen, das Versäumte nachzuholen. 
Viele Streitfragen harren noch der richtigen Beantwortung und werden 
nur gelöst werden können, wenn ein möglichst umfangreiches und ein 
möglichst exakt und nach einheitlichen Gesichtspunkten untersuchtes 
Beobachtungsmaterial zusammenkommt. 

Ich lasse zunächst die Kranken- und Geburtsgeschichten von drei 
Fällen folgen, die ich innerhalb einiger Monate an der Marburger 
Klinik beobachtet und behandelt habe. 

Fall I. J. Nr. 33, 1908. Frau F. III para. 

Pat. hatte schon früher in der Klinik wegen Retroflexio Pessare erhalten, war 
wegen Endometritis curettiert und wegen Parametritis posterior mit Ichthyoltampons 
behandelt worden. Sie leidet außerdem an Lungentuberkulose. 

Aufnahme am 6. 1. Graviditas Mens IV. 

Von seiten des Internisten (Prof. Schwenkenbecher) wird in der Lungen- 
tuberkulose kein Grund zur Einleitung des Aborts erblickt, da kein Fieber besteht. 
Allerdings hat das Körpergewicht in letzter Zeit um 3 kg abgenommen. 

Pat. klagt über sehr heftige Schmerzen in der rechten Seite und über Schmerzen 
beim Weasserlassen. 

Die Cystoskopie ergibt akute hämorrhagische Cystitis von fast uni- 
verseller Ausdehnung. Schleimhaut verwaschen, glanzlos, sammetartig. Im 
Blasenfandus und an der linken seitlichen Blasenwand ausgedehnte submucöse 
Hämorrhagien. Blasenspülung. 

Doppelseitiger Ureterkatheterismus. 

Linker Ureter, der genau median liegt, ist leicht bis zum Nierenbecken 
durchgängig. Aus dem Katheter fließt reichlich dunkelgefärbter Urin ab, der einen 
schwachen, nicht sedimentierenden Schleimnebel zeigt. Er erweist sich als frei von 
Keimen, Epithelien, Zylindern und Leukocyten. 





1) Zeitschrift f. Geburtshilfe u. Gyn. 1905, Bd. 55. 
?) Deutsche Zeitschr. f. Chirurgie 1906. 

2) Archiv f. Gynäkol., Bd. 82. 

*) Zeitschrift f. Geburtshilfe u. Gyn. 1907, Bd. 60. 


44 W. Stoeckel. 


Rechter Ureter stark nach rechts hinten verlagert. Der Katheter trifft 
ca. 12 cm oberhalb der Blase auf einen Widerstand, der sich leicht überwinden läßt. 
Es entleert sich sehr viel reichlicherer Urin als links, der zudem sehr viel heller 
und sehr viel stärker getrübt ist. Das Sediment enthält eine mäßige Menge Leuko- 
cyten, sehr viele Colibazillen, einige Epithelien. 

Es wird keine Nierenbeckenspülung gemacht, sondern es werden nur 50 ccm 
einer 1°/,igen Collargollösung in die Blase injiziert, die nicht wieder abgelassen werden. 

Bei anhaltender Bettruhe bessert sich das Befinden rasch. Die Schmerzen ver- 
schwinden schnell. Die Qualität deg Urins ändert sich gleichfalls schon nach wenigen 
Tagen. Er wird klar, die Menge der Colibakterien vermindert sich; die Bakterien zeigen 
Degenerationserscheinungen. 

Entlassung am 14. 3. bei sehr gutem Befinden. 

Wiedervorstellung am 20. 3. Beschwerdefrei, nur noch ganz wenige Coli- 
bazillen im Blasenurin. 

Wiederaufnahme am 14. 6. Die Geburt ist bereits im Gange, der Blasen- 
sprung schon erfolgt. In der Scheide liegt ein großes Konvolut von Nabelschnur- 
schlingen; bei jeder Wehe Blutabgang. Placentargewebe nicht zu fühlen. 

Wendung auf den Fuß bei fünfmarkstückgroßem Muttermund, wobei die Nabel- 
schnüur bis vor die Vulva vorfällt. Vorsichtige und langsame Extraktion. Kind leicht 
asphyktisch, wird wiederbelebt, wiegt 3270 g. 

Im Wochenbett einige Male leichte Erhöhungen der Abendtemperatur bis 
auf 38,4°. Der Urinbefund wird andauernd und genau kontrolliert und ergibt stets 
einen negativen Befund: keine Formelemente, kein Eiweiß. 

Bei der Cystoskopie erweist sich die Blasenwand mit Ausnahme eines mälligen 
Sphinkterödems vollkommen gesund. 


Der Fall ist zunächst dadurch bemerkenswert, daß die Schwangere 
an Lungenphthisis litt. Er beweist, daß Nierenaffektionen bei 
Tuberkulösen, insbesondere bei tuberkulösen Graviden nicht 
immer tuberkulös sein müssen. 

Weiterhin ist die gleichzeitig bestehende akute Cystitis, die offen- 
bar aszendierend entstandene einseitige (rechtsseitige) Pyelitis und der 
therapeutische Erfolg der Ureterkatheterisation zugleich mit der Cystitis- 


behandlung hervorzuheben. 

Fall 2. J. Nr. 145, 1908. Frau Eu., 23 J. I. gravida. 

Pat. wird vom behandelnden Arzt wegen rechtsseitiger Pleuritis und unter 
dem Verdachteiner akuten Genitalinfektion der Klinik überwiesen. Temp. 39,5, 
Puls 120. 

Beginn der Krankheit vor 4 Wochen mit Schüttelfrost und rechtsseitigen Seiten- 
stichen sowie trockenem Husten. Nach 14 Tagen Besserung, dann plötzliches Wieder- 
auftreten von Schüttelfrost, Fieber, Stechen und Husten. Keine Blasenbeschwerden. 

Bei der Aufnahme (29. 10. 07) wird Gravidität im 4. bis 5. Monat konstatiert. 
Reichliches, eitriges Scheidensekret. Rechte Niere druckempfindlich, nicht nachweis- 
bar vergrößert. Palpation infolge stark gespannter Bauchdecken erschwert. 

Lungenbefund: Rechts unten an umschriebenem Bezirk leises pleuritisches 
Reiben. Blasenurin: schwach alkalisch, leicht getrübt mit vielen Phosphaten, zahl- 
reichen Leukocyten und grammnegativen Stäbchen (Coli). Keine Zylinder, kein 
Albumen, kein Zucker. 

Cystoskopie: Blase normal. 

Katheterismus des rechten Ureters. Der Ureterharn ist eiweißfrei, al- 
kalisch. Keine Zylinder, eine mäßige Menge von Colibazillen. 

Behandlung: zunächst Bettruhe, Prießnitzscher Brustumschlag, Fieberdiät, 
Urotropin. 

Die Temperatur schwankt in den nächsten Tagen zwischen 38,8 und 37,1 und 
wird am 13. Tage normal, während die Pulsfrequenz noch hoch (110—115) bleibt. 


Zur Diagnose und Therapie der Schwangerschaftspyelitis. 45 


Nach dreiwöchentlicher Bettruhe wird der Versuch gemacht, die Patientin auf- 
stehen zu lassen. Sofort steigt die Temperatur auf 38,7°, am nächsten Tage auf 39,6°. 

Spülung des rechten Nierenbeckens mittels Ureterkatheters, der 
bis zum Nierenbecken vorgeschoben wird. Es werden 2 mal je 40 ccm 3°j,ige Bor- 
lösung durchgespritzt. Unmittelbar nach dem zweiten Einspritzen wird das Cystoskop 
mit dem Katheter entfernt. Temperaturabfall auf 39,1°, weiterhin auf 38°. 

Am nächsten Tage nochmalige Nierenbeckenspülung, 3 mal je 50 ccm 
3°/ ige Borlösung. Temperaturabfall. bis auf 36,6°. | 

Seitdem nur noch leichte Temperatursteigerungen am Abend bis auf 37,7°; nach 
einigen Tagen normale und normalbleibende Temperatur, Puls zwischen % und 100. 

29. 11. 07. Entlassung bei gutem Befinden auf dringenden Wunsch der Patientin. 

Wiederaufnahme am 8. 2. 08. Pat. sieht sehr elend aus und ist sehr stark 
icterisch. Sie hat keine Schmerzen oder irgendwelche Beschwerden. Lebergegend 
und Nieren nicht empfindlich. Uterus gravidus mens. VIII. Kind lebt. Urin gibt 
Bilirubinreaktion, enthält viel Leukocyten, viel Colibazillen und etwas Albumen. 

Die Temperatur steigt am 3. Tag bis 38,1°, am 4. Tag bis 38,5°. 

Cystoskopie: Blase normal. 

Katheterismus des rechten Ureters. Der Katheter findet nach ca. 13 cm 
einen Widerstand, nach dessen Überwindung sich sofort sehr reichlicher, sehr 
heller, stark getrübter Harn entleert. Es fließen in 3 Minuten 21 ccm ab. Der 
Urin enthält etwas Albumen, viel Leukucyten, viel Colibazillen. 

Katheterismus des linken Ureters. Der Katheter findet keinen Wider- 
stand. Es entleeren sich in 3 Minuten 4,5 com dunkelgefärbten, hochgestellten, 
fast klaren Urins, der leichte Eiweißtrübung aufweist, wenig Leukocyten und 
spärliche Colibazillen enthält. 

Rechtsseitige Nierenbeckenspülung mit 50 ccm einer 1°, Collargol- 
lösung. 

Blutentnahme von 15 ccm aus der Vena basilica. Das Blut erweist sich als 
steril, agglutiniert aber Colibazillen aus einem fremden Stamm. Urotropin 3 mal täglich 
1 g, später je '/ą g. 

Das Befinden bessert sich, Temperatur wird normal, der Puls schwankt zwischen 
100 und 1156. 

Am 20. 2. unter erneutem Temperaturanstieg Wehenbeginn. Die Geburt zog 
sich sehr in die Länge und wurde wegen sekundärer Wehenschwäche durch Becken- 
ausgangszange beendet. Starke Nachblutung infolge von Placenta succenturiata, die 
manuell entfernt wird. Erhebliche Atonie, die durch kombinierte Uterusmassage, 
heiße Uterusspülung, schließlich durch Uterusscheidentamponade mühsam, aber erfolg- 
reich bekämpft wird. — Afebriler Wochenbettsverlauf, ziemlich rasche Abnahme des 
Icterus. Urinieren stets spontan. Urin enthält zahlreiche Colibazillen und Leuko- 
cyten. Nochmalige Entnahme von 30 ccm Blut aus der Vena basilica, das den 
Nährboden steril läßt, dessen Serum aber einen aus dem Kot der Patientin gezüchteten 
Colistamm agglutiniert. 

Das Kind entwickelt sich in der Couveuse gut und ist weiterhin gut gediehen. 

Pat. stellt sich nach einigen Wochen wieder vor, sieht dick und wohl aus. 

Besonders bemerkenswert waren die Erscheinungen schwerer All- 
gemeinintoxikation, der hochgradige Icterus, sowie der günstige Einfluß 
der lokalen Behandlung mit dem Enderfolg einer allerdings etwas früh- 
zeitig erfolgten Geburt eines lebenden und lebendgebliebenen Kindes. 

Fall 3. J. Nr. 324, 1908. Frau Kr. 

I. gravida. Wurde vom Hausarzt persönlich mit der Diagnose „akute Perity- 
phlitis intra graviditatem‘‘ in die Klinik gebracht. Der Arzt drängte zur Operation. 

Graviditas Mens IX. Seit ca. 5 Wochen bestanden leibschmerzen, die 
rechts hinten begonnen hatten, seit ca. 3 Wochen machten sich auch im rechten 
Hypogastrinm Schmerzen geltend, aber nur bei Bewegungen. In der letzten Zeit 
häufiges Erbrechen. Keine Urinbeschwerden. Obstipation. 


46 W. Stoeckel. 


Der Urin enthält Spuren von Albumen, sehr reichlich grammnegative Stäbchen, 
wenige grammpositive Kokken. 

Deutliche Druckempfindlichkeit in der Gegend des McBurneyschen Druckpunktes, 
der rechten Niere, sowie der Gallenblase und Milz. 

Starker vaginaler Fluor, der keine pathogenen Keime enthielt. Pat. bekommt 
bald nach der Aufnahme einen Schüttelfrost. Temperatur 39,8°, Puls 100. 

Cystoskopie: Blase normal. Trigonum sehr stark injiziert. 

Rechtsseitiger Ureterkatheterismus. Der Katheter stieß nach ca. 13 cm 
auf Widerstand, der leicht überwunden wird. Es fließt sehr reichlich trüber Urin ab; 
die Trübung nimmt im Laufe der Entleerung immer mehr zu. Nierenbeckenaus- 
spülung mit 100 ccm 3°/,iger Borlösung. Temperaturabfall bis auf 36,8°. Puls 94. 
Schmerzen völlig verschwunden. — Am Abend des nächsten Tages steigt die Tempera- 
tur wieder auf 38,2°, Puls 104. — Am Abend des folgenden Tages 39°, Puls 100. 

Nochmalige rechtsseitige Nierenbeckenspülung. Der Katheter wird 
28 cm hoch hinaufgeführt. Es fließt eine große Menge Urin von der gleichen 
Qualität wie bei der ersten Spülung ab. Durchspülen mit 100 eem Borlösung in 
2 Portionen. 

Der Urin enthielt reichlich Colibazillen, keine Zylinder, ganz geringe Eiweiß- 
trübung, Spuren von Indikan. 

Katheterismus des linken Ureters. Der Urin zeigt ebenfalls geringe Ei- 
weißtrübung und einige grammpositive kurze Stäbchen. 

Temperaturabfall bis auf 37,8°. Puls 100. Völlige Schmerzfreiheit. Nach 
einigen Tagen völlig normale Temperatur mit andauernd ruhigem Puls (80). Dieses 
gute Befinden bei völliger Schmerzfreiheit hält während der nächsten 24 Tage an und 
wird auch durch Aufstehen und Herumgehen der Patientin nicht beeinflußt. 

Entlassung am 2. Mai. Der Blasenurin enthält noch Colibazillen. 

Am 7.5. Wiederaufnahme. Am 8. 5. Geburt eines ausgetragenen Kindes mittels 
Forceps (mangelnde Bauchpresse). — Die Wöchnerin verläßt nach völlig normalem 
Wochenbett am 6. Tage das Bett und wird am 13. Tage p. partum entlassen. 

Der Urin enthielt noch spärliche Leukocyten und vereinzelte Colibazillen. 

Das Kind war ausgetragen und wog bei der Geburt 2590 g. 


Als feststehend und sichergestellt können wir betrachten: 

1. daß es fraglos eine in der Gravidität entstehende und durch die 
Gravidität bedingte Pyelitis gibt; 

2. daß bei dem Zustandekommen dieser Pyelitis die Harnstauung 
in den Ureteren eine wichtige Rolle spielt; 

3. daß der Pyelitisharn in der Regel Colibazillen in Reinkultur 
oder mit anderen Keimen gemischt enthält; 

4. daß die rechtsseitige Erkrankung wesentlich häufiger und wesent- 
lich intensiver zu sein pflegt, als die linksseitige. 

Völlig unklar aber ist zunächst die Ätiologie in ihren feineren 
Details. An Erklärungsversuchen, Vermutungen und Behauptungen 
fehlt es freilich nicht. Was aber noch fehlt, das sind die bündigen 
Beweise für die vorgebrachten Hypothesen. 

Der Hauptstreit betrifft die Art des Hineingelangens der Coli- 
bakterien in den Harn. 

Die Mehrzahl der Autoren, unter ihnen auch Opitz und Albeck, 
nimmt eine aszendierende Infektion von den äußeren Genitalien durch 
Urethra und Blase in die Ureteren an. — Die Minderzahl, zu der be- 
sonders französische Forscher gehören, hält eine Durchwanderung der 


Zur Diagnose und Therapie der Schwangerschaftspyelitis. 47 


Darmwand seitens der Colibakterien und ihren Transport ins Nieren- 
becken auf dem Blutwege für möglich. 

Ich habe mich bereits früher für die aszendierende Infektion aus- 
gesprochen, und ich möchte an dieser Ansicht auch jetzt noch fest- 
halten — wenigstens für einen Teil der Fälle. 

So habe ich in einem Falle bei einer Graviden im 9. Monat der Schwangerschaft 
durch Cystoskopie und Ureterkatheterismus neben einer leichten Cystitis einen 
trüben, Colibakterien und Leukocyten enthaltenden Harn in derunteren 
Hälfte und zwar bis zu einer offenbar durch Kompression verengten 
Stelle des rechten Ureters nachweisen können. 

Der obere Abschnitt des rechten Ureters und das rechte Nierenbecken enthielt 
klaren Urin, ebenso der linke Ureter und das linke Nierenbecken. 

Es handelte sich also vielleicht um eine im Entstehen begriffene rechtsseitige 
Pyelitis, die sich noch als partielle Ureteritis präsentierte. 

In gleicher Weise zu beurteilen ist auch der oben mitgeteilte Fall 1, wo eine 
akute, hämorrhagische Cystitis mit beginnender rechtsseitiger Pyelitis festzustellen war. 

Es wäre gezwungen, bei derartigen Beobachtungen an etwas 
anderes als an eine aszendierende Infektion, an ein etappenmäßiges 
Emporwandern der Colibazillen zu denken. 

Andere Fälle sind aber nicht so eindeutig. Ich verweise ins- 
besondere auf Fall 2, wo die schweren Allgemeinsymptome und der 
hochgradige Icterus den Eindruck erweckten, als habe sich eine durch 
Colibazillen hervorgerufene Allgemeininfektion im Nierenbecken lokalisiert. 
Beweisen läßt sich diese Annahme selbstverständlich nicht. Der Ein- 
wurf, daß die Pyelitis nicht als die Folge der allgemeinen Infektions- 
resp. Intoxikationserscheinungen, sondern als ihre Ursache anzusehen 
sei, ist jedenfalls berechtigt, und die Vorstellung, daß die Colibazillen 
vom Nierenbecken aus in die Blutbahn gelangen, bereitet nicht mehr 
Schwierigkeiten wie die Annahme, daß sie die Darmwand passieren. 
Eine anatomische Tatsache, die diese hypothetische Darmdurchwanderung 
während der Schwangerschaft verständlich macht, fehlt jedenfalls bisher. 

Ich möchte glauben, daß diese Dinge ein dankbares Objekt für die 
weitere experimentelle Forschung bilden. 

Wie auch die Coliinfektion zustande kommen mag, keineswegs 
bildet sie das eigentlich Typische des Krankheitsfeldes. 

Vielmehr muß als das Wesentliche des gesamten Prozesses die 
Harnstauung im Ureter und zwar vorwiegend im rechten Ureter an- 
gesehen werden. 

Wie und an welcher Stelle diese Stauung eintritt, wird ebenfalls 
noch durch weitere Studien erforscht werden müssen. Daß die Gra- 
vidität resp. der gravide Uterus unter den ursächlichen Momenten die 
Hauptrolle spielt, unterliegt keinem Zweifel. Alles Weitere aber ist 
vorläufig noch Hypothese. Man hat einen direkten Uterusdruck auf 
die Ureteren angenommen, man hat an eine Aufquellung der Ureter- 
schleimhaut gedacht unter der Voraussetzung, daß die Ureterschleimhaut 
an der universellen Gräviditätshyperämie in kleinen Becken teil- 
nimmt — man hat endlich auf den verschiedenen Verlauf des rechten 
und linken Ureters verwiesen und gemeint, daß die schon normaler- 


48 W, Stoeckei. 


weise vorhandene Winkelbildung am rechten Ureter infolge seiner Ver- 
lagerung durch den schwangeren Uterus eine Verstärkung erfahre (Opitz). 
Alles das ist durchaus möglich. 

Ich möchte aber auch zu erwägen geben, ob nicht die schon 
physiologisch engen Stellen des Ureters infolge der eben erwähnten 
Momente sich intra graviditatem zu pathologischen Verengerungen 
ausbilden können. Wir kennen 3 solche, schon normalerweise vor- 
kommenden Verengerungen. Die I. liegt dicht am Nierenbecken, die 
II. ungefähr an der Stelle, wo der Ureter die Linea innominata über- 
schreitet, die III. kurz vor dem Eintritt des Ureters in die Blasenwand. 

Ich vermute, daß bei der Graviditätspvelitis an der mittleren Ver- 
engerung die Harnstauung erfolgt. Man findet in typischen Fällen auch 
eine typische Druckempfindlichkeit am MeBurneyschen Punkt Man 
findet ferner beim Ureterkatheterismus ca. 10—13 cm hinter der Ureter- 
mündung eine Stelle, an der der Ureterkatheter aufgehalten zu werden 
` pflegt. Der äußere Druckpunkt und die Arretierungsstelle des Katheters 
liegen also etwa in gleicher Höhe und fallen mit der physiologischen 
Verengerung in der Uretermitte ziemlich zusammen. 

Ich will nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, daß das Ergebnis 
des Ureterkatheterismus in dieser Beziehung auch leicht täuschen kann. 
Der Katheter kann auf seinem Wege zum Nierenbecken auch an 
anderen Stellen aus verschiedenen Ursachen aufgehalten werden. So kann 
beispielsweise ein Ureterspasmus eintreten, oder die Katheterspitze kann 
sich in der Ureterschleimhaut verfangen. Dem muß natürlich Rechnung 
getragen werden, und es wird in Zukunft darauf geachtet werden müssen, 
ob eine typische Arretierungsstelle in einer bestimmten Entfernung 
oberhalb der Blase in einer großen Anzahl von Fällen bei technisch 
guter Untersuchung sich feststellen lassen wird. Nur wenn das der 
Fall sein sollte, würde meine Annahme, daß diese Stelle tatsächlich die 
Stauungsstelle des Harns ist, berechtigt sein. 

Wie verhalten sich nun Infektion und Stauung zeitlich zuein- 
ander? Ich neige zu der Ansicht, daß die Stauung das Primäre ist. 
Ich schließe das besonders aus den anamnestischen Angaben. Ich habe 
sowohl in den vorstehend mitgeteilten als auch in früher beobachteten 
Fällen gefunden, daß man bei genauem Zufragen ziehende Kreuz- 
schmerzen und leichte Seitenschmerzen als die Anfangsbeschwerden 
feststellen kann. Und diese Beschwerden spreche ich als die ersten 
Stauungssymptome an. Ich bin überzeugt, daß sie sehr viel häufiger 
vorhanden sind, als man annimmt, weil sie sicher bei Bettruhe oft 
wieder zurückgehen, ohne daß es überhaupt zu einer Pyelitis kommt. 

Ich habe in der letzten Zeit auch in mehreren solchen Fällen die 
Ureteren katheterisiert und eine ausgesprochene Urinstauung, ins- 
besondere rechts nachweisen können. Der Urin war aber normal. klar 
und steril und die Patientinnen wurden schmerzfrei. ohne je gefiebert 
zu haben. 

Ich weiß wohl, daß die Ansicht vertreten und von Albeck durch 


Zur Diagnose und Therapie der Schwangerschaftspyelitis. 49 


seine vorzüglichen und exakten Untersuchungen auch gut begründet 
wird, daß in einem Prozentsatz der Fälle bereits vor der Gravidität 
eine Infektion vorhanden gewesen sein könnte, dann also als das Primäre 
anzusprechen wäre. Ich will die Richtigkeit dieser Ansicht keineswegs 
bestreiten und nur bemerken, daß ich sie nach meinen bisherigen Er- 
fahrungen zunächst nicht teilen kann. Jedenfalls ist auch dieser Punkt 
noch weiterer Aufklärung bedürftig. 

Ich möchte hier eine Beobachtung einschalten, die mir zu be- 
weisen scheint, daß sich aus der einfachen Stauung zunächst eine 
eitrige Harntrübung ohne Infektion entwickeln kann. 

Fall 4. J. Nr. 538, 1908. 

III. para im 7. Monat der Gravidität. Seit 14 Tagen starke Kreuz- und auch 
rechtsseitige Leibschmerzen. Der Urin enthält Leukocyten, keine Bakterien. 

Rechtsseitiger Ureterkatheterismus. Beim Einführen des Katheters 
fließt in normaler Menge leicht getrübter Harn ab. Beim Hochschieben des Katheters 
wird die Sekretion plötzlich sehr viel reichlicher. 

Der Urin ist eiweißfrei, enthält reichlich Epithelien, mäßig viel Leukocyten, 
keine Bakterien. 

4 Tage später doppelseitiger Ureterkatheterismus. Urin beiderseits klar 
und völlig normal. Die geimpften Bouillonröhren bleiben völlig steril. 

Die Schmerzen verschwinden. Pat. wird mehrere Tage später geheilt entlassen. 


Ich schließe aus dieser Beobachtung natürlich nicht, daß man sich 
die Entwicklung des Prozesses immer so zu denken hat, daß auf die 
primäre Stauung zunächst die Pyurie folgt, aus der sich schließlich 
durch Bakterieninvasion das eigentliche Krankheitsbild der Pyelitis ent- 
wickeln kann. Dagegen sprechen schon die häufigen Befunde von 
reiner Bakteriurie des Ureterharns ohne jede Eiterbeimischung und die 
Tatsache, daß viele derartige Bakteriurien auch Bakteriurien bleiben 
und niemals Pyurien werden. Aber daß es auch Graviditäts-Pyurien 
ohne Bakterienbeimischung gibt, die unter den klinischen Erscheinungen 
einer leichten Graviditätspyelitis verlaufen, ist jedenfalls beachtenswert. 

Die diagnostischen Schwierigkeiten sind verschieden, je nach- 
dem es sich um Fälle mit oder um Fälle ohne Blasensymptome handelt. 

Die Fälle mit Blasenerscheinungen scheinen seltener zu sein. Bei 
ihnen wird durch die Schmerzen beim Urinieren, den Harndrang, den 
Eitergehalt des Urins auch bei oberflächlicher Untersuchung die Dia- 
gnose auf eine Erkrankung des Harnapparates hingelenkt. 

Der bei dieser Gruppe wohl nicht ganz selten begangene dia- 
gnostische Fehler besteht darin, daß die Diagnose unvollkommen gestellt, 
daß die Cystitis wohl richtig erkannt, die Pvelitis aber übersehen wird. 
Das mikroskopische Harnbild allein gibt auch keine genügenden Auf- 
schlüsse. Woher die Leukocyten, die Epithelien. die Coli- und anderen 
Bazillen stammen, kann man ihnen nicht ansehen. Nur durch die 
Cystoskopie und den doppelseitigen Ureterenkatheterismus kann man 
einwandfrei feststellen, ob die Erkrankung über die Blase hinausreicht 
oder nicht. Und deshalb muß diese Untersuchungsmethode bei jeder 
Schwangerschaftscystitis, die trotz sachgemäßer Behandlung nicht zurück- 


geht, vorgenommen werden. 
Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 4 


50 W. Stoeckel. 


Die zweite Gruppe, die Fälle ohne alle Blasenerscheinungen, werden 
ebenfalls oft verkannt. 

Bei ihnen wird die Diagnose durch die klinischen Erscheinungen 
zuweilen in ganz falsche Bahnen gelenkt. 

Die Klagen über heftige Rücken- und Leibschmerzen, das Vor- 
handensein des McBurneyschen Druckpunktes, die plötzlich, oft unter 
Schüttelfrösten auftretenden Fieberattacken, das unter Umständen schwer 
gestörte Allgemeinbefinden, heftiges Erbrechen, der zuweilen sich ent- 
wickelnde Icterus lassen den unerfahrenen Untersucher an Perityphli- 
tiden, Gallenblasenaffektionen, Gallenkoliken, Adnexerkrankungen, intra- 
peritoneale Infektionsherde eher als eine Pyelitis denken. Da Blasen- 
symptome absolut fehlen, da der bazillenhaltige Urin unter Umständen 
nur schwach getrübt ist, wenig oder gar keine Leukocyten enthält, so 
kann auch die oberflächliche mikroskopische Harnuntersuchung, sofern 
sie wirklich ausgeführt wird, die Situation manchmal nicht klären. 

Die Verwechslung mit Perityphlitis ist besonders naheliegend und 
besonders verhängnisvoll. Ist die Appendicitis an sich schon ein 
drohendes Gespenst geworden, so ist sie es bei einer Graviden in er- 
höhtem Maße. Der begründete Verdacht auf eine Wurmfortsatz- 
erkrankung rechtfertigt in der Gravidität unbedingt die sofortige Lapa- 
rotomie. Und gerade deshalb muß die Differentialdiagnose mit Pyelitis 
sicher gestellt werden. Jedenfalls soll man den McBurneyschen Druck- 
punkt keine entscheidende Rolle zugunsten der Appendicitis spielen 
lassen. Ich denke bei einer Graviden, die diesen Druckpunkt aufweist 
und über rechtsseitige Schmerzen klagt, immer zuerst an Pyelitis und 
lege außerdem großen Wert auf die nachweisbare Druckempfindlichkeit 
der Niere, sowie auf die Qualität des Pulses, der selbst bei starker Be- 
schleunigung und hohen Temperaturen niemals einen peritonealen Cha- 
rakter zeigt, wenn es sich um Pyelitis handelt. 

Entscheidend ist natürlich die genaueste Untersuchung des Urins 
und der Harnorgane. Der Urin muß bei allen Graviden, die fiebern 
oder über Leib- und Rückenschmerzen klagen, auf das allersorgfältigste 
auf seinen Eiter und Bakteriengehalt geprüft werden, wobei besonders 
auf die Anwesenheit von Coli (Grammfärbung und Kultur) zu achten 
ist. Bei abnormem Urinbefund wird selbstverständlich die Cystoskopie 
und der doppelseitige Ureterkatheterismus ausgeführt, der über den 
Grad der Harnstauung sicheren Aufschluß gibt und das Sekret jeder 
Niere derselben genauen und detaillierten Untersuchung zugänglich 
macht, der der Blasenharn unterworfen wird. Geht man prinzipiell so 
vor, aber auch nur dann, so wird man jede Pyelitis erkennen, jeden 
differentialdiagnostischen Zweifel beseitigen und ein für die wissen- 
schaftliche Verarbeitung wirklich wertvolles Untersuchungsmaterial sam- 
meln können. 

Nun zur Therapie! 

Ich möchte leichte, mittelschwere und ganz schwere Fälle 
unterscheiden und nach folgendem Schema gruppieren: 





Zur Diagnose und Therapie der .Schwangerschaftspyelitis. 51 


1. Leichte Fälle = beginnende Stauung im Ureter ohne Harn- 
infektion (Hydrureter); 

2. mittelschwere Fälle = ausgebildete Stauung mit Harninfek- 
tion durch Coli (Bakteriurie, Pyurie, Pyureter, Pyelitis); 

3. ganz schwere Fälle = verschleppte Fälle mit Nierenvereiterung 
durch Mischinfektion (echte Pyonephrosen). 

Jedes Schema ist bedenklich und kann sich bei genauerer Forschung 
leicht als falsch herausstellen. Auch das Vorstehende wird vielleicht 
bald einer Korrektur unterworfen werden müssen; es soll auch nur 
meine jetzige Ansicht wiedergeben und zur Diskussion anregen. Ins- 
besondere wird noch klarzustellen sein, ob in der Tat die Mischinfek- 
tionen, besonders durch Streptokokken + Colibazillen, durchschnittlich 
schwerer verlaufen als die reinen Coliinfektionen, und ob den ganz 
schweren Fällen stets Mischinfektionen zugrunde liegen. 

Für die leichten Fälle, in denen sich also die ersten Stauungs- 
symptome durch leichte Kreuz- und rechtsseitige Leibschmerzen be- 
merkbar zu machen pflegen, ist das beste Heilmittel die Bettruhe. 
Sie bringt tatsächlich‘oft genug völlige Gesundung und beseitigt auch 
Rezidive, wenn sie nur rechtzeitig angewendet und lange genug ein- 
gehalten wird. In diesen Anfangsstadien halte ich die Verordnung der 
Diuretica und die Verabreichung der Harnantiseptica per os für unnötig. 

Bei den schwereren Fällen, bei denen sich die Harnstauung bereits 
mit der Harninfektion kombiniert, bei denen die Schmerzen heftig sind, 
Fieber mit Frösten, eventuell auch schon mit Allgemeinerscheinungen 
aufgetreten ist, kann eine Spontanheilung ohne jeden Eingriff auch 
durchaus erfolgen. 

Wenn aber Schmerzen und Fieber trotz strengster Ruhelage, trotz 
Urotropin, Helmitol und Natrium benzoicum nicht in wenigen Tagen ver- 
schwinden, dann müssen Harnstauung und Infektion direkt bekämpft 
werden. | 

Geschieht das nicht, so ist die Entwicklung der schwereren Fälle 
zu ganz schweren und der Eintritt von Komplikationen, die Ausbildung 
schwerer Intoxikation, das Übergreifen der Infektion auf das Nieren- 
gewebe mit Entwicklung echter Pyonephrosen, die frühzeitige Unter- 
brechung der Gravidität infolge einer schweren Allgemeininfektion zu 
befürchten. | 

Um dem infizierten Stauungsharn Abfluß zu verschaffen, kann man 

1. den künstlichen Abort ausführen, 

2. den Harnleiterkatheterismus mit oder ohne Nierenbeckenspülung 
anwenden, 

3. durch Nephrotomie ein Nierenfistel anlegen. 

Die Schwangerschaftsunterbrechung als Heilmittel der 
Schwangerschaftspyelitis ist unbedingt zu verwerfen. Sie ist 
ja sehr.bequem auszuführen, sie ist vor allem auch von sehr prompter 
Wirkung, da nach Entleerung des Uterus die Pyelitis ohne jede weitere 
Nachhilfe zu verschwinden pflegt. Man behandelt also ganz wissen- 

4* 


52 W. Stoeckel. 


schaftlich, sozusagen ätiologisch, wenn man durch den künstlichen Abort 
resp. die künstliche Frühgeburt die Entstehungsursache der Pyelitis fort- 
schaff. Aber prinzipiell falsch bleibt dieses Vorgehen deshalb doch. 

Wir betonen heutzutage ganz besonders akzentuiert „das Recht des 
Kindes auf das Leben“, und wir müssen deshalb auch die praktischen 
Konsequenzen dieses prinzipiellen Standpunktes ziehen. 

Bei einer Graviden, die vor der Konzeption bereitskrank 
war oder nach der Konzeption krank wird, muß die Er- 
krankung als Komplikation der Gravidität und nicht um- 
gekehrt die Gravidität als Komplikation der Erkrankung an- 
gesehen werden. 

Die Schwangerschaftsunterbrechung kommt nur als ultimum refu- 
gium in Betracht und würde bei der Pyelitis nur dann zu billigen 
sein, wenn andere Maßnahmen von der gleichen günstigen Wirksamkeit 
uns nicht zu Gebote ständen. 

Ein solches Zeugnis therapeutischer Machtlosigkeit brauchen wir 
uns aber heute nicht mehr auszustellen. 

Wir können die Pyelitis bei und trotz weiterbestehender Gravidität 
heilen, und wenn wir das können, so müssen wir es in jedem Fall 
auch versuchen. 

Man kann eigentlich nicht behaupten, daß die beiden dafür in Be- 
tracht kommenden Methoden, der Harnleiterkatheterismus und die Ne- 
phrotomie wirklich miteinander konkurrieren. Dazu sind sie zu un- 
gleichmäßig. Die Nephrotomie ist allerdings weder eine technisch sehr 
schwere, noch auch eine sehr eingreifende Operation, aber es ist doch 
immer eine Operation. 

Der Harnleiterkatheterismus ist nichts anderes, als es der Blasen- 
katheterismus auch ist. Ebenso wie wir dem cystitischen Urin durch 
den Blasenkatheter und nicht gleich durch eine künstlich angelegte 
Blasenfistel Abfluß verschaffen, ebenso werden wir den Pyelitisharn 
naturgemäß durch den Ureterkatheter anstatt durch eine Nierenfistel 
entleeren. 

Irgendwelche technische Schwierigkeiten für die Cystoskopie und 
den Harnleiterkatheterismus sind durch die gleichzeitig bestehende Gra- 
vidität nicht gegeben. Das darf ich auf Grund meiner genügend großen 
Erfahrung mit aller Sicherheit behaupten. 

Es ist sogar meine feste Überzeugung, daß jede vaginale Explora- 
tion für eine Schwangere unangenehmer und gefährlicher ist als das 
Katheterisieren der Ureteren. 

Dazu kommt, daß wir den Ureterenkatheterismus schon bei der 
Diagnosenstellung der Pvelitis garnicht entbehren können. Wir müssen 
ihn also ausführen und haben den großen Vorteil, daß wir bereits 
zweckmäßig behandeln, während wir noch diagnöstizieren. Der Satz 
„wer gut diagnostiziert, wird gut heilen“ läßt sich dahin variieren, daß 
man sagt „wer eine Pyelitis genau, d. h. durch den Ureterkatheterismus 
diagnostiziert, der hat sie unter Umständen schon geheilt“. Daß die 





Zur Diagnose und Therapie der Schwangerschaftspyelitis. 53 





Die Patientin liegt in gewöhnlicher Steißrückenlage. Das Knochengerüst ist markiert. 
Das Zystoskop ist in „kathetergerechter‘ Stellung im Stativ fixiert. In den rechten 
Katheter ist ein „Zebra-Ureterkatheter‘‘ bis ins Nierenbecken hinein vorgeschoben. Der 
Pavillon des Katheters ist mittels eines kurzen Gummischlauches mit einer Spritze ver- 
bunden, deren Inhalt durch den Katheter ins Nierenbecken hinein ausgespritzt wird. 


54 W. Stoeckel. 


einmalige Katheterentleerung des gestauten Ureterharns genügen kann, 
um Schmerzen und Fieber dauernd zu beseitigen, ist jedenfalls zweifel- 
los. Das beweist der oben mitgeteilte Fall 3 ebenso wie die Beob- 
achtungen von Barth. Ebenso sicher ist es andrerseits, daß die günstige 
Wirkung nur vorübergehend sein, daß die Temperatur wieder ansteigen 
kann, daß die Schmerzen rezidivieren können. 

Dann ist eine einmalige und selbst vielfache Wiederholung des 
doppelseitigen resp. des rechtsseitigen Ureterkatheterismus durchaus 
richtig und angebracht. Ich glaube allerdings, daß man bei therapeu- 
tischer Erfolglosigkeit des ersten, also des diagnostischen Ureterkathe- 
terismus den nochmals ausgeführten besser gleich mit einer Nieren- 
beckenspülung verbindet. 

Diese Methode ist bei uns fast unbekannt und gilt wohl auch für 
gefährlich und kompliziert. Wenn meine eigenen Erfahrungen auch 
noch gering sind, so habe ich mich von der außerordentlich leichten 
Ausführbarkeit und von der recht günstigen Wirksamkeit der Nieren- 
beckenspülung doch überzeugen können. 

Ich schiebe den Ureterkatheter vorsichtig und allmählich bis ins 
Nierenbecken, fixiere das Cystoskop in meinem Stativ und fange den 
abfließenden Ureterharn in einem Reagenzglas auf, um ihn auf seine 
Trübung zu prüfen. 

Sodann verbinde ich den Pavillon des Katheters mittels eines 
Gummischlauches mit einer sehr gut und sehr leicht gehenden, 50 ccm 
fassenden Stempelspritze, deren Inhalt ich unter sehr schwachem und 
ganz gleichmäßigem Drucke langsam durch den Katheter ins Nieren- 
becken hinein ausspritze (cf. Figur). 

Die ausgespritzte Flüssigkeit läuft aus dem Nierenbecken neben 
dem Katheter nach der Blase zurück, wenn der Katheter dünn ist und 
das Ureterlumen nicht völlig ausfüllt. Nach Abnahme der Spritze fließt 
auch aus dem Katheter ein Teil der Spülflüssigkeit zurück. Er wird 
in einem Spitzglas aufgefangen und wiederum auf seine Trübung hin 
geprüft. Von dem Grad der noch bestehenden Trübung hängt es ab, ob 
ich die Durchspülung noch 1 oder 2 mal in derselben Sitzung wiederhole. 

Die Benutzung des Stativs ist bei der ganzen Prozedur besonders 
wichtig. Man benötigt es unbedingt, wenn man ohne Assistenz arbeiten 
will. Man kann aber auch jede Assistenz entbehren, wenn man es 
benutzt, 

Das Cystoskop liegt absolut ruhig in gut kontrollierter Stellung, so 
daß es die Blasenwand nicht berührt. Es braucht nicht gehalten zu 
werden. Der Untersucher hat beide Hände frei; er kann die Licht- 
leitung, die während der Spülung abgestellt werden kann, jederzeit 
wieder anstellen, um den Rückfluß der Spülflüssigkeit in die Blase zu 
kontrollieren. Er kann jederzeit den Katheter, der manchmal nicht 
gleich bis zum Nierenbecken gelangt, mehr vorschieben oder mehr 
zurückziehen — kurz alle Manipulationen sehr bequem ausführen, 
ohne die Patientin im geringsten zu belästigen. Wer diese Vorteile 


Zur Diagnose und Therapie der Schwangerschaftspyelitis. 55° 


für nebensächlich hält, der versuche einmal, an Stelle des Stativs die 
Hand eines Assistenten zur Fixierung des Cystoskops während der 
Spülung zu benutzen und er wird sehen, wieviel komplizierter und wie- 
viel lästiger für die Patientin die Sache wird. Bei derartigen Behand- 
lungsmethoden spielen eben technische Kleinigkeiten oft eine ausschlag- 
gebende Rolle. 

Ich habe die Nierenbeckenspülung zunächst als ein Mittel zur 
schnelleren und ausgiebigen Wegschaffung des infizierten Urins ange- 
sehen und dementsprechend eine indifferente Spülflüssigkeit, eine 3 \,ige 
Borsäurelösung benutzt. 

Ich habe in einem Fall eine 1°/,ige Collargollösung, die sich mir 
bei der Cystitisbehandlung ganz außerordentlich bewährt hat, auch zur 
Nierenbeckenspülung benutzt, ohne davon allerdings eine bessere Wirkung 
zu sehen. 

Ich werde aber in Zukunft auch noch andere Mittel, insbesondere 
10°), .ige Argentumlösungen prüfen, um festzustellen, ob es mehr auf 
eine mechanische Säuberung oder auf eine antibakterielle Einwirkung an- 
kommt. Ich werde weiter versuchen, ob man mit Instillationen einiger 
ccm stärkerer Argentumlösungen, vielleicht 1°,., bessere Resultate 
erhält als beim Durchspülen schwacher Lösungen, oder ob es vielleicht 
‘richtig ist, an eine mechanische Säuberung des Nierenbeckens mittels 
Spülung eine energisch antiseptisch wirkende Instillation anzuschließen. 
Das alles sind noch zu prüfende Erwägungen. 

Man darf nicht befürchten, daß die geschilderten Manipulationen 
schmerzhaft sind oder irgendwelche unangenehmen Begleiterscheinungen 
zeitigen. Die Patientinnen empfinden dabei nicht die geringste Belästigung, 
wenn man nur den Druck sorgfältig dosiert und nicht plötzlich verstärkt. 

Man muß sich allerdings darüber klar sein, daß man mit keiner 
einzigen Methode die Pyelitis in dem Sinne heilen kann, daß der Urin so- 
fort bazillenfrei wird und bazillenfrei bleibt. Das gelingt weder durch den 
Ureterkatheterismus noch durch die Nierenbeckenspülung, noch durch 
Nephrotomie, selbst nicht durch den spontanen oder den künstlich herbei- 
geführten Geburtseintritt. Der Urin bleibt stets noch wochenlang, ja 
monatelang colihaltig. Diese Colibakteriurie hat aber nichts zu be- 
deuten, wenn kein Passagehindernis für den Urin eintritt. Die Stauung 
allein macht die wirkliche Erkrankung; die Stauung vor allem muß 
also beseitigt werden. Und das hat mir die einmal oder wiederholt 
angewendete Nierenbeckenspülung geleistet. Die Frauen wurden fieber- 
und schmerzfrei, haben lebende Kinder geboren und sind post partum 
gesund geworden. Und deshalb glaube ich, die Methode ist empfehlens- 
wert. Wieweit ihre Leistungsfähigkeit geht, weiß ich noch nicht. Ich 
glaube aber, daß sie, rechtzeitig angewendet, zu einer Verminderung 
jener schweren Fälle führen wird, bei denen sich aus der Pyelitis eine 
tiefgreifende, nur noch durch Nephrotomie in Angriff zu nehmende 
Pyonephrose entwickelt hat. 


Der gegenwärtige Stand der Nierendiagnostik. 
Von 
Dr. Richard Knorr, Berlin. 


Der moderne Stand der funktionellen Nierendiagnostik ist, soweit 
sie für den Frauenarzt in Betracht kommt, in dem ausgezeichneten 
Werke von Döderlein und Krönig in klarer übersichtlicher Weise 
geschildert worden, so daß auch derjenige, der über dieses dem Gynä- 
kologen abseits liegende Gebiet weniger orientiert ist, sich im Bedarfs- 
falle rasch zurechtfinden kann. Auch ich selbst habe entsprechend der 
Bedeutung der funktionellen Nierendiagnostik für den operativen Gynä- 
kologen dieselbe in meiner „Cystoskopie und Urethroskopie beim Weibe“ 
in kurzer Form geschildert und dabei das für den Praktiker brauchbarste 
Verfahren beschrieben. 

Da es sich hier um ein Gebiet handelt, auf dem noch sehr vieles 
strittig ist und da hier in rascher Aufeinanderfolge neue Arbeiten er- 
scheinen, die geeignet sind, unsere Anschauungen stetig zu modifizieren, 
ist es zweckmäßig, in kürzeren Zwischenräumen kritische Umschau in 
der Literatur zu halten. 

Dies ist hier um so melır am Platze, als dem Gynäkologen manche 
der in chirurgischen oder urologischen Zeitschriften erschienenen Arbeiten 
weniger bekannt werden. 

Außerdem möchte ich hier ganz kurz über Erfahrungen berichten, 
die ich mit einem neuen Instrumente zum Auffangen des Harnes aus 
dem Ureter, das R. Kutner konstruierte, gewonnen habe. 

Als Methode der funktionellen Diagnostik habe ich auch weiterhin 
die Casper-Richtersche Methode angewendet, in der letzten Zeit aber 
auch die Indigokarminprobe herangezogen und, soweit ich aus den noch 
zu geringen Beobachtungen schließen kann, Gutes von ihr gesehen. 

Auf Grund meiner Erfahrungen und mit Berücksichtigung der 
neuesten urologischen Literatur will ich versuchen, den gegenwärtigen 
Stand der funktionellen Nierendiagnostik zu schildern. 

In zweifacher Hinsicht. ist man bestrebt eine Verbesserung dieser 
Methode herbeizuführen: 

1. nach der instrumentellen Seite hin, durch Vervollkommnung 
der Verfahren zum getrennten Auffangen des Harnes beider Seiten, 

2. in physiologischer Beziehung, indem die chemische und 
physikalische Untersuchung verbessert und die Prüfung der Nierenarbeit 
mittels verschiedener Reagenzien noch weiter vervollkommnet wird. 


Der gegenwärtige Stand der Nierendiagnostik. 57 


Was den ersten Punkt anlangt, die Harngewinnung, so nehmen die 
„gynäkologischen Urologen“ aus begreiflichen Gründen eine spezielle 
Stellung ein. Bei der großen Leichtigkeit, mit der beim Weibe der 
Katheterismus der Ureteren und die Separation des Urins ausgeführt 
werden kann, bei der Möglichkeit, dickere Ureterkatheter als beim Manne 
einführen und auch länger liegen lassen zu können, sind wir in der 
Lage, die Trennung beider Harne viel exakter und vollständiger 
durchzuführen, wie dies beim Manne geschieht. 

Diese Tatsache ist für die Auswahl der einzelnen Methoden von 
großer Bedeutung. So ist es z. B. bei Ausführung des Albarranschen 
Verfahrens, bei der die gesamte Menge des Harnes eines jeden Ureters 
ohne Verlust zu messen ist, sehr wichtig, möglichst dicke Katheter zu 
wählen, die den Ureter genügend ausfüllen, damit kein Harn nebenbei- 
fließt, wodurch die quantitative Methode völlig ihren Wert verlieren 
würde. 

Pereschiwkin (Zeitschr. f. Urologie, Bd. I, Heft 10) hat nun nach- 
gewiesen, daß die neben dem Ureterkatheter vorbeifließende Menge Harn 
recht bedeutend sein kann, ja sogar die Hälfte des ganzen Quantums 
betragen kann. 

Wir ersehen daraus, daß wir bei allen quantitativen Proben, wie bei 
Feststellung der beiderseitigen Harnmenge, möglichst dicke Katheter (bis 
zu 8° Charriöre) eventuell eigene Obturationskatheter mit knopfartiger 
Anschwellung verwenden müssen. 

Der Nitzesche Okklusivkatheter hat sich bis jetzt nicht in die 
Praxis eingeführt, und zwar deshalb, weil seine Herstellung viel zu teuer 
kommt. 

Um die Gefahr der Infektion durch den Ureterkatheter sowie eine 
Blutbeimengung zum Ureterharne zu vermeiden und insbesondere den- 
selben ohne Verlust zu erhalten, hat ganz kürzlich R. Kutner ein neues 
Verfahren der Ureterharngewinnung erdacht und daraufhin ein sehr 
praktisches Instrument konstruiert, das, wie ich selbst an mehreren Fällen 
feststellen konnte, recht zweckmäßig ist. 

Die neue Methode, über die eine vorläufige Mitteilung in der 
Zeitschr. f. ärztliche Fortbildung, Nr. 17, 1908, erschienen ist, beruht 
darauf, daß das Cystoskop außer der üblichen Optik und Lampe zwei 
Kanäle enthält, deren einer dazu bestimmt ist, mittels einer Luftpumpe 
das Instrument zum Ansaugen an die Blasenwand zu bringen, 
während der andere Kanal zur Ableitung des Harnes dient. An der 
abgeplatteten Spitze des Instrumentes münden beide Kanäle, und zwar 
trichterförmig innen der Ableitungskanal und zirkulär um ihn als Ring- 
kanal der Kanal, in dem die Luft verdünnt wird. 

Es hat sich nun bei Versuchen, die ich gemeinsam mit dem Erfinder 
des Instrumentes machte, ergeben, daß die Ansaugung leicht und dabei 
vollständig gelingt, wodurch ein sicherer Abschluß des Ureterlumens 
nach der Blase und eine vollständige Ableitung des gesamten Ureter- 
harnes durch den Zentralkanal möglich ist. 


58 Dr. Richard Knorr. 


Die Veränderungen auf der Mucosa nach der Ansaugung scheinen, 
soweit ich bis jetzt urteilen kann, nur geringfügig (Rötung und kleine 
Ekchymosen). zu sein. Die Asepsis läßt sich noch besser wie beim 
Ureterkatheterismus durchführen, da der Saugapparat ausgekocht werden 
kann. 

Wenn sich das Instrument bewähren sollte, ließen sich die Quan- 


titätsbestimmungen des Ureterharnes sehr exakt durchführen, was für 


die funktionelle Nierendiagnostik einen großen Gewinn bedeuten würde. 
Allerdings muß zu diesem Zwecke das Instrument mittels eines Statives 
längere Zeit unverändert in derselben Lage fixiert werden. Besonders 
wertvoll ist aber diese neue Methode dann, wenn wegen Infektion der 
Blase das Katheterisieren des gesunden Ureters gefährlich ist. 

Der Harnseparator, insbesondere der von Luys, scheint sich neuer- 
dings größerer Beliebtheit zu erfreuen, so haben Zuckerkandl und 
Suter gute Resultate von ihm gesehen. 


Wenn wir uns nun den einzelnen Mitteln zuwenden, mit denen die 
Nierenfunktion geprüft wird, so sehen wir, daß unter ihnen an Ver- 
breitung und Beliebtheit das Phloridzin als Reagens die erste Stelle 
einnimmt. 

Fast alle Untersucher stimmen darin überein, daß wir in diesem 
Glykoside ein vorzügliches Mittel besitzen. 

Nur über die Art der Anwendung bestehen noch Differenzen 
zwischen den einzelnen Autoren. 

Die größere Mehrzahl der Unteaucher hält an der ursprünglichen 
Methode, wie sie Casper und Richter zuerst angegeben haben, fest 
und bestimmt den Zuckergehalt des gleichzeitig während desselben 
J,eitraumes aus beiden Ureteren fließenden Harnes. Aus dem Ver- 
gleich der jederseits gefundenen Zuckerprozentzabl werden Schlüsse auf 
die Beschaffenheit des Parenchyms gezogen. 

Die Methode ist technisch nicht schwierig und ist, da kein langes 
Liegenlassen der Ureterkatheter nötig ist, weder sehr zeitraubend noch 
sonst lästig. Allerdings muß sie unter gewissen Kautelen vorgenommen 
werden und es dürfen die gefundenen Zahlen nicht schematisch verwendet 
werden, worauf Casper immer wieder aufmerksam machte. Da durch 
Phloridzin eine Polyurie hervorgerufen wird, die sich sehr störend 
machen kann, ist vor der Untersuchung eine bestimmte Trockendiät 
(nur 150 g Milch, ein Brötchen und zwei Eier) zu genießen und jede 
Flüssigkeitsaufnahme zu vermeiden. 

Den Wert der Phloridzinprobe nach der Casperschen Vorschrift 
erkennt auch Kümmell an, der sonst die Gefrierpunktsbestimmung in 
erster Linie verwendet. 

Bei aller Anerkennung der Methode muß aber gesagt werden, daß 
der fundamentale Satz Caspers: Gesunde Nieren scheiden inner- 
halb gleicher Zeit gleiche Zuckermengen aus, eine gewisse Ein- 
schränkung bedarf. Wie vergleichende Untersuchungen von Döderlein 





Der gegenwärtige Stand der Nierendiagnostik. 59 


und Krönig ergaben, sind zwar die in gleichen Zeiträumen gewonnenen 
Zuckermengen fast stets gleich, es können aber immerhin Differenzen 
bis zu 0,3°), vorkommen. Und zu ähnlichen Ergebnissen kommt auf 
Grund von eingehenden Untersuchungen in der Klinik von Fedoroff 
Pereschiwkin (Zeitschr. f. Urologie, Bd. I, Heft 10). Obwohl er die 
Phloridzinprobe als die genaueste unter den von ihm studierten Proben 
(Harnstoffbestimmung, Gefrierpunktsbestimmung) fand, hat er doch 
Quantitätsschwankungen bis zu 0,25°, in der Zuckerausscheidung 
gesunder Nieren gefunden. 

Pereschiwkin entkräftet übrigens einigermaßen die Bedenken 
Albarrans gegenüber der Casperschen Lehre dadurch, daß er nach- 
weist, daß ersterer zur Nachprüfung der Casperschen Resultate viel- 
fach Fälle von operierten Hydronephrosen, Pyonephrosen und Wander- 
nieren statt normaler Nieren verwendet hat. Besonders bei Wander- 
nieren, bei denen Fedoroff fast stets interstitielle Bindegewebswucherung 
und manchmal eine Erweiterung der Tubuli contorti und der Malpighi- 
schen Knäuel fand, kann es sehr leicht vorkommen, daß die Zucker- 
ausscheidung verringert ist. | 

Es ist meiner Meinung nach jedoch nicht angängig, die kleinen 
Differenzen zwischen den beiderseitigen Zuckerzahlen ohne weiteres als 
Fehlergrenzen der Methode zu bezeichnen. 

Es ist ebensogut möglich, daß die bei den obigen Versuchen als 
„gesund“ bezeichneten Nieren dennoch geringe Veränderungen aufwiesen, 
welche die recht sensible Methode uns anzeigt. 

Wenn nur eine Niere, und zwar erheblich krank ist, dann sind die 
Unterschiede in den Zuckerprozentzahlen recht augenfällige, hier gibt 
die Caspersche Methode ohne weiteres einwandfreie Resultate; nur für 
solche Fälle, in denen beide Nieren ziemlich in gleicher Intensität er- 
krankt sind, soll die Methode nach der Ansicht Döderleins und 
Krönigs versagen, in solchen Fällen soll die genauere, aber auch um- 
ständlichere Albarransche Methode verwendet werden. 

Neuerdings hat auch Tanaka über gute Resultate mit Phloridzin 
berichtet (Zeitschr. f. Urolog. 1908. 10). 

Inwieweit die Kapsammersche Modifikation der Phloridzinprobe 
eine Verbesserung darstellt, läßt sich noch nicht absehen. Wegen der 
nach Phloridzininjektion meist eintretenden Polyurie zieht dieser Forscher 
es vor, statt des Prozentgehaltes an Zucker den Zeitpunkt des Be- 
ginnes und die Dauer der Zuckerausscheidung zu verwenden. 

Ich selbst habe die Kapsammersche Methode bis jetzt nicht aus- 
geführt, kann also kein eigenes Urteil über sie abgeben. Die Ansichten 
der Autoren über dieselbe sind noch sehr geteilte, so hielten Lichten- 
stein und Katz die zeitliche Zuckerbestimmung als Reagens einer 
Niere für zweifelhaft und unzuverlässig, da auch normalerweise Retarda- 
tionen eintreten können. 

Blum und Prigl (Wien. klin. Woch., Nr. 22, 1908), die Versuche 
in der Klinik von Frisch anstellten, bestreiten, daß das als normal be- 


60 Dr. Richard Koorr. 


zeichnete Auftreten von Zucker 15 Minuten nach der Injektion von 
Phloridzin die anatomische oder funktionelle Intaktheit der Niere be- 
weise. Auch der spätere Eintritt der Glykosurie sei nicht als Zeichen 
der Insuffizienz der Niere anzusehen. Nach ihrer Meinung sei die 
Vergleichung des prozentualen Zuckergehaltes jeder Seite der sogenannten 
„Zeitmethode“ an Genauigkeit überlegen. 

Auch Lenk (Wien. klin. Woch. Nr. 21, 1908) hält die Kap- 
sammersche Modifikation nicht für eine sichere Methode auf Grund 
seiner Untersuchungen. 

Dem stehen aber die günstigen Erfahrungen anderer Autoren wie 
v. Eiselbergs (Zeitschr. f. Urol. 1908) gegenüber, der mit der Zeit- 
methode gute Erfahrungen gehabt hat, sowie der Ausfall der Tier- 
experimente Haberers aus der Klinik dieses Chirurgen, aus denen 
gefolgert wird, daß die Kapsammersche Methode einen ausgezeichneten 
Gradmesser für die Funktionstüchtigkeit des vorhandenen Nierenparen- 
chyms abgebe. 

Schr empfehlend sprechen sich neuerdings über die Zeitmethode 
Krotoszyner und Lieck (Arch. f. klin. Chir. Bd. 85) aus. Letzterer 
berichtet über die wertvollen Erfahrungen Barths. 


Während der Wert des Phloridzins von allen, die überhaupt 
funktionelle Nierendiagnostik treiben, anerkannt wird, sind die Meinungen 
bezüglich der Kryoskopie, der Bestimmung der molekularen 
Konzentration, noch geteilt. Besonders gilt dies für die Kryoskopie 
des Blutes, die von einzelnen Autoren für unzuverlässig angesehen wird. 

Die Gefrierpunktsbestimmung des Harnes erfreut sich größerer 
Beliebtheit, sie wird auch von denen, die andere Methoden wie die 
Phloridzinprobe, die Indigokarminprobe bevorzugen, meist als ergänzendes 
Verfahren angewendet. Nur Kümmell hält sie allein für genügend, 
wenn er auch andere Methoden häufig mit heranzieht. 

Die Resultate, die man mit der Kryoskopie des Harnes erhält, sind 
nach Kümmell ausgezeichnete. Nur erfordert sie ein sehr genaues 
Arbeiten, was durch die neuen Apparate Claude und Balthazard. 
sowie Citron dem Praktiker erleichtert wird. 

Nach Kümmell, der über 2000 Fälle untersuchte, ruft selbst eine 
geringe lokale Erkrankung eine deutlich erkennbare einseitige Funk- 
tionsstörung hervor. Auch Casper sah stets große Übereinstimmung 
der Gefrierpunktszahlen mit den durch Phloridzingaben hervorgerufenen 
Zuckermengen im Harne jeder Seite. 

Neuerdings haben Döderlein und Krönig und ebenfalls Pere- 
schiwkin bei den Gefrierpunktsbestimmungen des Harnes Unterschiede 
zwischen rechts und links bis 0,4° beobachtet. 

Während letzterer infolgedessen die Harnkryoskopie für wertlos 
hält, gehen Döderlein und Krönig nicht ganz so weit; nach ihrer 
Ansicht versagt allerdings die Methode bei leichteren Erkrankungen 
einer Niere und bei Erkrankung beider Nieren, von denen die eine 


Der gegenwärtige Stand der Nierendiagnostik. 61 


weitgehender, die andere weniger ergriffen ist, da auch unter normalen 
Verhältnissen Differenzen bis 0,4° vorkommen. 

Albarran hält die Kryoskopie des Harnes nur dann für wertvoll, 
wenn sie im Verein mit den anderen Proben an dem in halbstündigen 
Zeiträumen gewonnenem Harne beider Seiten ausgeführt, während 
Kapsammer und neuerdings Tanaka ihr jegliche Bedeutung ab- 
sprechen. 

Sollen wir nun die Harnkryoskopie bereits definitiv aufgeben? Ich: 
glaube nicht. Die guten Erfahrungen, die Kümmell an einem recht 
großen Material bisher damit gehabt hat, lassen sich nicht ignorieren. 
Wir werden noch weiterhin dieselbe ausführen unter peinlich genauer 
Befolgung der technischen Vorschriften, womöglich genau in derselben 
Art, wie sie Kümmell ausführt. Besonders wenn wir die Methode 
zeitlich von der Phloridzinprobe trennen, jede derselben gesondert aus- 
führen zur Vermeidung der störenden Phloridzinpolyurie, dürften die 
Resultate noch genauer sein. 

Allerdings müssen die Ergebnisse noch mehr wie bei der Phloridzin- 
probe kritisch verwertet werden. 

Noch mehr angefochten wird die Kryoskopie des Blutes, die 
ebenfalls in Kümmell und seinen Schülern ihre Hauptverteidiger hat. 
Albarran, Kapsammer und besonders Rovsing und dessen Schüler 
Kock bekämpfen den Kümmellschen Standpunkt, und zwar dreht sich 
der Streit hauptsächlich um die Frage, ob bei einem Gefrierpunkt unter 
— 0,60° noch operiert werden soll. 

Während die genannten Autoren noch bei tieferem Gefrierpunkt 
erfolgreich operierten, will Kümmell doch an der Grenze — 0,60° 
festhalten, da alle seine Fälle, bei denen er mit einem ò = — 0,60 
operierte (5 Fälle), dem Nierentode erlagen. 

Die Kontroverse zwischen Kümmell und den Gegnern der Blut- 
kryoskopie läßt sich nicht durch Stimmenmehrheit entscheiden. Die 
Majorität ist zwar gegen die Blutkryoskopie, doch steht ihr die Autorität 
des sehr erfahrenen und erfolgreichen Nierenoperateurs entgegen. 

Schließlich wird doch der Wert einer Methode aus ihrem prak- 
tischen Nutzen erkannt. 

Hier mögen Zahlen sprechen. 

So hatte Kümmell unter 95 Nierensteinoperationen eine Gesamt- 
mortalitität von nur 3,1°/,, während andere hervorragende Operateure 
10°, —14°, haben; bei aseptischen Steinnieren hat er gar 0°), (51 Fälle). 
79 Nephrektomien verliefen ohne Todesfall. 

Die günstigen Mortalitätszahlen Kümmells werden auch von anderer 
Seite anerkannt, so betont v. Eiselsberg die Tatsache, daß bei Nephrek- 
tomien wegen maligner Tumoren Kümmell nur 10°), Mortalität habe, 
während er und andere Operateure (Schede, Riedel, Küster) 35—50 /, 
hätten. 

Ich bin nach meinen Erfahrungen mit der Kryoskopie der Ansicht, 
daß die Differenzen in den Anschauungen Kümmells und der übrigen 


62 Dr. Richard Knorr. 


Autoren vielfach durch Beobachtungsfehler bedingt sind. Die Kryoskopie 
erfordert eben große Übung und minutiöses Arbeiten. 

Bekannt ist, daß verschiedene Untersucher an demselben Patienten 
und an derselben Blutmenge zu verschiedenen Resultaten kommen. 

Die Blutkryoskopie ist somit m. M. zwar hart bedrängt und viel- 
leicht erschüttert, aber noch lange: nicht abgetan. 

Sie ist besonders da am Platze, wo beide Nieren erkrankt sind, 
und stellt in den Fällen von sehr schwerer Schrumpfblase, sowie bei 
Nierenerkrankungen kleiner Kinder, überall da, wo die Trennung der 
Harne unausführbar ist, die einzige Methode der funktionellen Dia- 
gnostik dar. 


Das von Albarran vor einigen Jahren angegebene Verfahren, mittels 
vermehrter Wasserzufuhr die sekretorische Fähigkeit der Niere zu 
prüfen, hat noch keine ausgedehnte Verwendung gefunden, wenn man 
aus der Literatur Schlüsse ziehen darf. 

Sie ist, wie neuerdings auch Kusnetzky (Zeitschr. f. Urolog. 1908) 
nachwies, eine wertvolle Probe, aber sie ist auch umständlich und zeit- 
raubend, da man bei ihr den Ureterkatheter längere Zeit (2—3 Stunden 
lang) liegen lassen muß. 

Heresco hält Albarrans Methode für außerordentlich zuverlässig; 
in drei Fällen, bei denen das Fehlen einer Phloridzinglykosurie gegen 
eine Operation gesprochen hatte, nephrektomierte er im Vertrauen auf 
erstere Methode erfolgreich. 

Albarran verwendet die experimentelle Polyurie nicht allein, 
sondern kombiniert sie bekanntlich mit den anderen Proben der Kryo- 
skopie und der Bestimmung des Kochsalz- und Harnstoffgehaltes. Nach- 
dem reichliche Gaben kohlensauren Wassers vorher verabreicht wurden, 
wird beiderseits, wenigstens bei Frauen, der Ureterkatheter eingelegt 
und 2—3 Stunden lang liegen gelassen. Der Harn wird dabei in 
4—6 halbstündigen Portionen jederseits aufgefangen und an diesen 
Teilproben die mannigfachen Untersuchungen vorgenommen. Auch die 
Phloridzinprobe kann damit verbunden werden. 

Die Methode ist nur dann genau, wenn es uns gelingt, die Harn- 
mengen vollständig zu erhalten, was ganz einwandsfrei nur mittels 
zweier dicker Katheter bei Frauen gelingt. Die Separatoren sind hier- 
zu nicht geeignet, da sie nicht so lange liegen bleiben können. Ob 
das neue Kutnersche Instrument so lange Zeit in der Blase liegen 
kann, ist noch nicht erwiesen, doch ist dies mit Stativ wahrscheinlich 
wohl ausführbar. Dadurch ließe sich eine sehr genaue vollständige 
Trennung der Urine durchführen. 


In allerjüngster Zeit hat man in größerem Maße mit der Indigo- 
karminprobe Versuche gemacht, die sehr günstige Resultate ergeben. 
Als Völcker und Joseph an Stelle des vordem üblichen Methylen- 
blaus das Indigokarmin als Färbemittel für den Harn empfahlen, 


Der gegenwärtige Stand der Nierendiagnostik. 63 


wurde allseitig darin eine Verbesserung erblickt. Während man in der 
Chromocystoskopie ein gutes Hilfsmittel zum Aufsuchen der Ureteren, 
besonders für den Unterricht sah, hat die Mehrzahl der Autoren anfänglich 
ihren Wert für die funktionelle Nierendiagnostik verneint. 

Die Mißerfolge, die man mit dem lange Zeit üblichen Methylen- 
blau hatte, waren wohl hauptsächlich daran schuld, daß man auch dem 
Indigokarmin als geeignetem Mittel für die funktionelle Nierendiagnostik 
im allgemeinen mißtraute. 

Vor allem haben zur Rehabilitation dieser schönen und einfachen 
Methode die exakten Untersuchungen Suters beigetragen, über die er 
am I. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Urologie berichtete. Nach 
seinen an 119, darunter 25 gesunden, 94 nierenkranken Fällen angestellten 
Versuchen, von denen 48 durch die Operation kontrolliert wurden, hat sich 
ergeben, daß die Indigoprobe ein brauchbares Mittel zur Funktionsprüfung 
ist. Nach Injektion einer subkutanen 4 /,igen Aufschwemmung von Indigo- 
karmin in physiologischer Kochsalzlösung in der Menge von 4 ccm 
erschien, wie die Cystoskopie oder der Ureterenkatheterismus oder die 
Separation des Harnes nach Luys ergab, bei gesunden Nieren der blaue 
Farbstoff meist gleichzeitig, und zwar in der überwiegenden Anzahl 
der Fälle nach 8—10 Minuten und nur in einem Fünftel der Fälle 10 
bis 15 Minuten nach der Injektion. 

Die Farbe erschien in ca. ®/, der Fälle gleichzeitig, in den übrigen 
Fällen betrug die Differenz des Auftretens der Färbung nur einige 
Minuten. 

Interessant war das Ergebnis bei kranken Nieren. Es zeigte sich 
deutlich ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Ausdehnung der Paren- 
chymerkrankung und der Indigoausscheidung. 

Bei kleinen Herden (tuberkulöser Natur) war der Ausscheidungs- 
beginn auf gesunder und kranker Seite derselbe, die kranke Seite 
dokumentierte sich durch die geringere Intensität der Farbstoffbei- 
mengung. 

Markanter ist aber der Unterschied bei größerer Extensität, wenn 
mehr als !/, der Niere erkrankt ist. In diesem Falle erscheint die Farbe 
5—10 Minuten später als wie auf der gesunden Seite, in schweren Fällen 
noch später. 

Nieren, die keine Farbe mehr ausscheiden, sind schwer krank. 
26 mal war dies bei Suters Fällen der Fall und die Nephrektomie 
ergab 19 eitrig-zerstörte Nieren, 6 Hydronephrosen, 1 cystische De- 
generation. 

Bei der gewöhnlichen chronischen parenchymatösen Nephritis zeigten 
sich andere Verhältnisse wie bei chirurgisch kranken Nieren. Hier 
wurde das Indigo wie in der Norm ausgeschieden. 

Aus dem Rhythmus der Ureterentleerungen, aus den Pausen zwischen 
zwei Expulsionen Schlüsse zu ziehen, hat Suter unterlassen, während 
Sträter dies tut. 

Neuerdings haben noch andere Untersucher den Wert der Indigo- 


64 Dr. Richard Kuorr. Der gegenwärtige Stand der Nierendiagnostik. 


probe für die Nierendiagnostik betont, so u.a. Thelen, der sie gleich- 
falls wie Suter besonders bei Nierentuberkulose für zuverlässig hält. 
Auch König lobt die Methode. Blum und Prigl, die über Versuche 
an der Klinik v. Frisch berichten, haben ebenfalls mit der Indigoprobe 
gute Resultate erhalten. Von Gynäkologen haben besonders Zange- 
meister und neuerdings Döderlein und Krönig die Indigokarmin- 
probe als funktionelle Methode empfohlen, allerdings nur in Ver- 
bindung mit anderen Verfahren. 

Meine eigenen Erfahrungen mit Indigo als funktionelle Methode 
sind noch zu gering, als daß sie mir Schlüsse zu ziehen gestatten. Doch 
rate ich, in Zukunft dasselbe neben den anderen Methoden der Phlo- 
ridzinprobe und Kryoskopie anzuwenden. 

Allerdings darf man nicht Phloridzin und Indigokarmin bei der 
Injektion kombinieren. Es kann sonst, worauf Kapsammer und Seelig 
aufmerksam machen, die Zuckerausscheidung ausbleiben, ein Ereignis, 
dessen Ursache man noch nicht kennt, das aber zu verhängnisvollen 
Irrtümern führen kann. 

Als Resümee meiner Darlegungen möchte ich folgendes geben: 

Die zahlreichen Streitfragen auf dem Gebiete der funktionellen 
Nierendiagnostik harren noch immer ihrer Lösung. 

Ein allgemein gültiges Verfahren für die Praxis läßt sich zurzeit 
noch nicht festlegen. Solange nicht die Zuverlässigkeit einer Methode 
allseitig. anerkannt ist, muß durch Kombination mehrerer Methoden 
eine größtmögliche Sicherheit gewonnen werden. 

Die Indigokarminprobe verdient mehr angewendet zu werden, als 
dies bisher geschah; besonders in Verbindung mit dem Ureterenkathete- 
rismus und nicht blos als einfache Chromocystoskopie. 

Vor allem aber ist die Phloridzinprobe zu vermeiden. Wo diese 
Methoden zur Feststellung der Funktionsfähigkeit nicht ausreichen, ist 
die Kryoskopie und schließlich als feinstes aber auch umständlichstes 
Verfahren die Albarransche Methode heranzuziehen. 


a o M in = EE 
E ` aan 


2 





Zeitschrift für gynäkologische Urologie 


1908 Band 1 Nr. 2 





(Aus der Universitäts-Frauenklinik zu Tübingen. Direktor: Prof. Dr. Sellheim.) 


Über die Funktion des Harnapparates nach Operationen in 
Inhalationsnarkose und Lumbalanästhesie. 
Von 
Dr. Ernst Holzbach, Assistenzarzt. 


Die chirurgische Literatur hat sich bis jetzt wenig ınit den Er- 
scheinungen befaßt, die am Harnapparat im Gefolge von Narkosen und 
Anästhesien aufzutreten pflegen. Der Ablauf einer jeden postoperativen 
Urinausscheidung birgt nicht nur Interessantes für den Theoretiker, 
sondern auch für den Praktiker des Wissenswerten genug, durch dessen 
Beachtung manche Cystitis und manche Nierenbeckenentzündung ver- 
hütet werden könnte. Ich will im folgenden versuchen, die Beein- 
flussung der physiologischen Harnausscheidung durch Operationen in 
Narkose und Lumbalanästhesie an Hand klinischer Daten kurz zu schildern. 

Den Beobachtungen liegen Fälle von gynäkologischen und von 
Darmoperationen zugrunde, durch die der Harnapparat selbst direkt 
nicht tangiert wurde. Die Fälle, bei denen Manipulationen an Ureteren 
und Blase vorgenommen wurden, sind besonders vermerkt. 

Beginnen wir mit der Beobachtung der Nierenarbeit während und 
nach der Operation. Wir sind dabei angewiesen auf die Kontrolle des 
in einer bestimmten Zeit ausgeschiedenen Produkts dieser Arbeit, und 
zwar sowohl bezüglich seiner Menge wie der darin gelösten harnfähigen 
Stoffe. Gleichzeitig läßt der Rhythmus der Ureterenkontraktion, wie sie 
speziell während der Carcinomoperation direkt oder nach kleineren Ein- 
griffen cystoskopisch verfolgbar ist, Schlüsse auf die Nierentätigkeit zu. 
Es war zu erwarten, daß durch die Veränderungen im Blutdruck einer- 
seits, durch das Einbringen toxischer Substanzen mit der Narkose und 
die Anhäufung von Zerfallsprodukten im Körperhaushalt durch den 
operativen Eingriff andererseits, eine wesentliche Alteration der Nieren- 
arbeit eintreten würde. Nicht wahrscheinlich war dagegen, daß durch 
die Injektion von Giften in den Lumbalsack Störungen im Splanchnikus- 
gebiet hervorgerufen würden, die irgendeinen meßbaren Ausschlag er- 
geben konnten. Als erstes überraschendes Resultat ist zu ver- 
zeichnen, daß die Harnausscheidung während der Operation 
vom Blutdruck überhaupt nicht beeinflußt wird. Zu den Blut- 
druckmessungen habe ich das Syhygmomanometer nach Riva-Rocci 
mit der Recklinghausenschen Manschette verwendet. Die Prüfung 
wurde am Tage vor und nach dem Eingriff, sowie direkt vor und 

Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Rd. 1. 5 


66 Dr. Ernst Holzbach. 


während der Narkose resp. Anästhesie vorgenommen. Die Resultate 
ergaben nichts Neues: Eine mäßige Herabsetzung bei Chloroform, eine 
ebensolche Erhöhung bei Äther und ein annäherndes Gleichbleiben bei 
Lumbalanästhesie. Gleichgültig, in welcher Art der Schmerzbefreiung 
die Operation ausgeführt wurde, ganz unabhängig vom Blutdruck sistierte 
die Nierentätigkeit während der ganzen Dauer der Operation fast voll- 
ständig. Auch die unterschiedlichen Flüssigkeitsmengen, die den Patienten 
vor der Operation zugeführt wurden, beeinflußten diesen Funktions- 
stillstand der Niere nicht. Selbst am Ende von mehrere Stunden dauern- 
den Eingriffen habe ich kaum je mehr als 20 ccm Urin in der Blase 
gefunden. Der Durchschnitt bei 50 Fällen betrug 14 ccm. Ganz dem- 
entsprechend ist auch eine spontane Ureterenaktion selten. Bei 4 Car- 
cinomoperationen konnten in der Stunde nur 3—4 selbständige Zu- 
sammenziehungen beobachtet werden, während man eine Kontraktion 
des Harnleiters durch mechanische Reize, z. B. durch Betupfen, immer 
auslösen konnte. Die Schuld an der Trägheit der Ausscheidung liegt 
also nicht etwa in einer Lähmung der Ureteren, sondern im Fehlen 
entsprechender Harnmassen im Nierenbecken. 

Nach Tigerstedt ist die Größe der Nierenleistungen wesentlich 
von 2 Momenten abhängig, nämlich 1. der Menge des durchströmenden 
Blutes und 2. dem Gehalt des Blutes an harntreibenden Substanzen. 
Thompson hat versucht, an Hunden nach Chloroform- und Äthergaben 
einen gewissen Parallelismus zwischen der Menge des ausgeschiedenen 
Urins und Veränderungen im Nierenvolumen festzustellen. Dieser 
Parallelismus besteht bei Äther stärker als bei Chloroform; bei beiden 
Narkotika ist eine Vermehrung des Volumens der Niere bei steigender, 
eine Verminderung bei sinkender Urinsekretion nachweisbar. Ganz im 
Beginn der Narkose beobachtete er außerdem bei Äther ein deutliches, 
bei Chloroform ein geringes Ansteigen der Urinmenge, die bei Voll- 
narkose aber ebenfalls alsbald herabsinkt und sehr häufig ganz erlischt. 
Ein Zusammengehen der Blutdruckkurve mit der Urinkurve besteht 
auch bei seinen Hundeversuchen nicht; auch hier kann ein Stadium 
der vollständigen Unterdrückung der Nierenarbeit koexistieren mit einem 
verhältnismäßig hohen Blutdruck. 

Es bleibt also nichts übrig, als anzunehmen, daß eine Überschwenı- 
mung des Blutes mit toxischen Substanzen diesen Stillstand der Nieren- 
arbeit bedingt. Das erscheint bei Inhalationsnarkosen auch durchaus 
verständlich. Nicht einzusehen ist jedoch, wieso die Lumbalanästhetika, 
die bekanntlich außerordentlich langsanı aus dem Duralsack ins Blut 
resorbiert werden, die gleichen Erscheinungen verursachen können. 
Anzunehmen, daß thermische Reize die alleinige Ursache sind, daß 
2. B. durch die Kältewirkung auf den Splanchnikus bei Bauchoperationen 
eine Herabsetzung des Vasomotorentonus und damit eine Verminderung 
der Urinausscheidung bedingt sei, ist deshalb nicht angängig, weil auch 
bei Operationen an den Extremitäten und am Damm die gleichen Er- 
scheinungen zu beobachten sind. Wir müssen deshalb wohl den opera- 


Über die Funktion des Harnapparates nach Operationen usw. 67 


tiven Eingriff als solchen zur Erklärung heranziehen und vermuten, 
daß durch die Überschwemmung des Körpers mit noch nicht harnfähigen 
Zerfallsprodukten der Gehalt des Blutes an harntreibender Substanz 
derart gering wird, daß die Nierentätigkeit auf eine Zeitlang eingestellt 
werden muß. | 

Wie wir gleich sehen werden, wird dieser Sekretionsstillstand durch 
um so intensivere Nierenarbeit nach der Operation alsbald wieder kom- 
pensiert. Von der Qualität der dabei zutage geförderten Abfallstoffe 
wird weiter unten die Rede sein. 

Setzen wir zunächst die Quantitätsprüfung fort, so finden wir, daß 
nach beendeter Operation die Harnausscheidung rasch wieder in Gang 
kommt, wobei sich wesentliche Unterschiede zwischen den in Lumbal- 
anästhesie Operierten gegenüber Narkotisierten nicht ergeben. Wenige 
Stunden nachdem der Patient ins Bett gebracht ist, finden 
sich in der Blase oft schon so große Urinmengen, daß man 
bei noch völlig eingestellter Flüssigkeitszufuhr direkt von 
einer Harnflut sprechen muß. Das stimmt mit dem Tierexperiment 
durchaus überein. Das Maximum der Harnausscheidung fand Thomp- 
son bei seinen narkotisierten Tieren 3 Stunden nach Beendigung der 
Narkose. Die Urinsekretion war dabei oft bis aufs Vierfache vermehrt. 
Hawk fand gleichfalls an Tieren ein Parallelgehen zwischen der Menge 
des Urins und der Dauer der Narkose. Die Urinmenge war von DI, 
bis 24,8°% vermehrt, je nachdem die Narkose 1,—4!/, Stunden ge- 
dauert hatte. Flüssigkeitsbilanzen an meinen Operierten, die ersten beiden 
Tage post operationem, ergaben ganz ähnliche Erscheinungen: Bei völliger 
Verhinderung der Flüssigkeitszufuhr 12 Stunden vor bis 18 Stunden 
nach der Operation fand ich Harnmengen von 250—900 cem in den 
ersten 10 Stunden nach dem Eingriff. Ganz gleichgültig, welcher Art 
die ausgeführte Anästhesie war, stets war am ersten Tage die Flüssig- 
keitsabgabe größer als die Aufnahme: und zwar war die Differenz um 
so bedeutender, je näher dem operativen Eingriff die Bilanz versucht 
wurde. Eine kurze Reihe solcher Beobachtungen soll das erläutern: 





TE = | | Abgabe überwiegt 
also die Aufnahme 








Zeit nach der Operation | Flüssigkeitsaufnahme Ä trotzdem Abgabe 


1 


| um das 
| ccm | . ccm 
In 10 Stunden keine | 310 | 
1 S 250 670 | 2,68 fache 
4 „ | 920 | 1470 1,59 ,„ 
26 y 660 | 1013 188 „ 
8 „ | 1890 | 2640 | 1389 „ 


Gewöhnlich ist bis 2mal 24 Stunden nach beendeter Operation ein 
Ausgleich erreicht. Bei längerer Beobachtung pflegt die Bilanz um- 
zuschlagen, die Flüssigkeitsaufnahme überwiegt dann beträchtlich die 
Abgabe. Man hat jetzt den Eindruck, als ob nach Ausscheidung der 
harnfähigen Substanzen, für deren große Masse nach der Operation eine 

5* 


68 Dr. Ernst Holzbach. 


gewisse Flüssigkeitsmenge im Organismus mobil gemacht wurde, jetzt 
der Körper ein Flüssigkeitsdefizit zu decken habe. Betont muß dabei 
werden, daß der Körperblutverlust bei den modernen Operationsverfahren 
auf ein Minimum beschränkt ist. Gerade nach großen Eingriffen finden 
wir dann nicht selten eine Herabsetzung der Urinmenge bis auf die 
Hälfte der aufgenommenen Flüssigkeit, und erst allmählich tritt auch 
hier wieder vollständiges Gleichgewicht ein. 

Es wäre wünschenswert, zu erfahren, wie sich die Harnausscheidung 
nach operativen Eingriffen verhielte, die ohne jedes Narkotikum oder 
Anästhetikum ausgeführt sind. Da dies schwer hält, so ziehe ich als 
Vergleich den Geburtsvorgang heran, der in gleicher Weise einen enormen 
Insult für den Organismus darstellt, und bei dem ganz ähnliche Er- 
scheinungen wie nach Operationen nachweisbar sind. Im Gegensatz 
zur gesunden, nicht schwangeren Frau ist der Harn in den ersten 8 Tagen 
des Wochenbettes vermehrt, und zwar ist das Maximum dieser Ver- 
mehrung am 5. Tage erreicht, dann fällt die Harnmenge stetig bis zum 
8. Tage. Ebenso gesteigert ist die Harnstoffausscheidung; von morpho- 
logischen Bestandteilen findet man gleich nach der Geburt fast immer 
Leukocyten im Urin, seltener rote Blutkörperchen und in 30°), der 
Fälle vereinzelte hyaline Zylinder. Auch eine vorübergehende leichte 
Eiweißreaktion im Harn Frischentbundener ist häufig (Sellheim in 
Nagels Handbuch d. Physiologie). Vergleichen wir mit unseren Be- 
obachtungen weiter den Modus der Harnausscheidung nach starken 
Muskelaktionen, z. B. bei Bergsteigern, so stellt sich der ganze Vorgang 
der postoperativen Nierenfunktion als eine Konsequenz einer großen 
Arbeitsleistung mit entsprechender Vermehrung der Zerfallsprodukte dar, 
wie wir sie oben aufgefaßt hatten. 

Bei pathologischen Zuständen im Körperkreislauf, vor allem bei 
Versagen des Herzens, verschieben sich natürlich diese Daten wesentlich. 
Wenn auch hier stets die Flüssigkeitsabgabe zunächst die Aufnahme 
überwiegt, so begegnen wir doch in solchen Fällen Tagesmengen von 
nicht 250 ccm. Dasselbe gilt für schwere Störungen im postoperativen 
Verlauf. Große Flüssigkeitsverluste unter der Operation bei tuberkulösem 
Ascites usw. können ebenfalls rasch gedeckt werden. Die Bilanz nach 
Ablassen eines Ascites aus disseminierter Carcinose des Peritoneums, 
der sich schon innerhalb weniger Tage ersetzt hatte, ergab: 











2 Zeit ` er. en | Aufnahme 
9 "Stunden | SH | 
15 j5 100 f 170 
27 | eg | 1200 


usf. 
Was die Qualität des postoperativ ausgeschiedenen Harns anlangt. 
so fällt in erster Linie das hohe spezifische Gewicht auf. Selten wiegt 


Über die Funktion des Harnapparates nach Operationen usw. 69 


der Urin unter 1020, Werte bis 1025 und mehr werden häufig an- 
getroffen. Entsprechend dem hohen spezifischen Gewicht findet sich 
eine starke Vermehrung der geformten Bestandteile, vor allem der 
Chloride. Die Reaktion ist fast stets sauer. Im Sediment finden sich, 
speziell nach länger dauernden Operationen, viel Leukocyten, bisweilen 
Zylinder, diese häufiger nach Inhalationsnarkose wie nach Lumbal- 
anästhesie. Eiweiß in Spuren, bisweilen in Mengen bis zu 1,%,, ist 
nach Lumbalanästhesie häufig nachweisbar, seltener nach Äther und fast 
nie nach Chloroform. Auf die genaue chemische Untersuchung der 
ausgeschiedenen Harnbestandteile und vor allem auf den Körpereiweiß- 
verlust durch Narkose und Operation einzugehen, liegt nicht im Rahmen 
dieser Arbeit. 

Kurz zusammengefaßt ergibt sichy daß ziemlich unabhängig 
von der Art des gegebenen Anästhetikums die Nierenarbeit 
während operativer Eingriffe fast völlig stillsteht. In den 
ersten Stunden post operationem beginnt eine starke Aus- 
scheidung harnfähiger Substanzen; die dazu nötige Flüssig- 
keitsmenge wird dem Körper entzogen. Das dadurch ent- 
stehende Flüssigkeitsdefizit wird im Verlauf der nächsten 
Tage aus der Nahrung gedeckt. 

Parallel mit dieser Tätigkeit der Niere sollte man jetzt erwarten, 
auch die Blasenarbeit postoperativ in Gang kommen zu sehen. Das ist 
nun durchaus nicht der Fall, sondern jeder (Operateur weiß, daß er 
kaum vor 8—10 Stunden nach Beendigung der Operation auf ein 
Wasserlassen der Patienten zu rechnen braucht. 

Setzt die Harnentleerung spontan ein, so fördert sie bei den 
ersten Mictionen, z. B. nach 8 Stunden, fast immer nur geringe Urin- 
mengen zutage, meist 50—-60 ccm, selten einmal bis 200 ccm. Kathe- 
terisiert man versuchsweise, so findet man zur gleichen Zeit durchweg 
größere Harnmengen in der Blase, fast nie unter 300 ccm, oft bis zu 
800 ccm. 

Um diese Erscheinungen verstehen zu können, müssen wir uns zu- 
erst über den normalen Ablauf der Harnentleerung klar werden: Nach 
den Untersuchungen von Langley, Müller, Roith u. a. existieren 
spinale Zentren für die Regulierung der Blasenfunktion nicht; der zur 
Harnausstoßung führende reflektorische Vorgang spielt sich in einem 
autonomen Nervensystem an, in dem die spinalen Bahnen lediglich die 
den Reiz vermittelnden Fasern enthalten. Nach den genannten Autoren 
läuft der Vorgang ungefähr folgendermaßen ab: Der Drang zur Harn- 
entleerung wird wesentlich durch die Anfüllung der Blase angeregt. 
Dabei wird zuerst stärkere Kontraktion und Spannung der Blase und 
dann erst Füllungsgefühl und Harndrang hervorgerufen (Tigerstedt). 
Das Gefühl des Harndranges wird nach Müller von der Blasenschleim- 
haut durch sympathische Ganglienzellen hindurch in den unteren Teil 
des Rückenmarks geleitet und gelangt in diesem herauf bis ins Gehirn. 
Ebenfalls durch spinale Bahnen wird nun der Reflex willkürlich aus- 


70 Dr. Ernst Holzbach. 


gelöst, indem zuerst der äußere (Rhabdo-) Sphinkter willkürlich er- 
schlafft, worauf die reflektorische Arbeit der glatten Blasenmuskulatur 
beginnt. Damit entleert sich die Blase ohne weiteren Willensimpuls: 
doch kann die Entleerung durch Anwendung der Bauchpresse, also 
durch Erhöhung des intraabdominellen Drucks, beschleunigt werden. 

Daraus ist ohne weiteres ersichtlich, daß, solange durch die Wirkung 
oder unter der Nachwirkung der Narkose der Wille ausgeschaltet ist, 
der die Urinentleerung bedingende Reflex nicht ausgelöst werden kann. 
Die starke Blasenfüllung, die wir bei Leichen sehen, wenn der Exitus 
erst nach langer Agone eintrat, ist eine Folge derselben Erscheinung. 
Mit der Rückkehr des Bewußtseins wird bei in Narkose Operierten die 
Miction wieder in Gang kommen. Anders nach Lumbalanästhesie: Hier 
ist der Wille nicht ausgeschaltet; dagegen besteht eine direkte Leitungs- 
unterbrechung in der Reflexbahn durch Lähmung der zentripetalen 
und -fugalen spinalen Nerven. Gleichzeitig sind die Hilfsmuskeln 
(Beckenboden, Bauchpresse) außer Funktion gesetzt. Normalerweise 
wird nach Abklingen‘ der Stovainwirkung der Reflexbogen wieder ge- 
schlossen sein, der Reiz kann vermittelt werden. Man sollte nun er- 
warten, dal bei der jetzt stark einsetzenden Nierensekretion und ent- 
sprechend schnellen Blasenfüllung die Miction alsbald zustande käme. 
Wenn trotzdem nach Lumbalanästhesie wie Inhalationsnarkose die spon- 
tane Urinentleerung erst viele Stunden nach Beendigung der Operation 
eintritt, so muß der Grund dafür in dem immer noch mangelnden Ge- 
fühl für den Füllungszustand der Blase gesucht werden. Abgesehen 
von der die Sensibilität herabsetzenden Nachwirkung der Narkotika 
wirkt eine gleichzeitige starke Erregung großer Gruppen anderer sen- 
sibler Nerven stets reflexhemmend. Der einsetzende Wundschmerz über- 
täubt das beginnende Gefühl des Harndranges und unterdrückt damit 
den Reflex. Wird endlich der Harndrang perzipiert, so besteht gerade 
nach Unterleibsoperationen eine nicht zu unterschätzende Schwierigkeit, 
nämlich die Angst der Patientin, den Sphinkter oder gar die Bauch- 
muskeln in Tätigkeit treten zu lassen. Wenn auch den Bauchmuskeln 
bei der Miction nur eine untergeordnete Rolle zukommt, so haben sie 
doch zusammen mit den Muskeln des Beckenbodens die Fähigkeit, den 
nach der Detrusorkontraktion noch vorhandenen Harnrest auszustoßen. 
Von der Bauchpresse machen frisch Operierte aber fast nie Gebrauch. 
Man kann nun sehr häufig beobachten, daß der Katheter, direkt nach 
der spontanen Harnentleerung eingeführt, noch ganz beträchtliche 
Mengen von Residualharn entleert, der nicht ausgepreßt wurde. Ja es 
scheint, als ob die Blase bei den ersten spontanen Mictionen nur sehr 
selten einmal völlig entleert würde. Selbst wenn man Frauen bis zu 
24 Stunden nach der Operation unkatheterisiert liegen läßt, um eine 
spontane Harnentleerunz zu erzwingen, so bleiben die Mengen doch 
stets beträchtlich hinter denen zurück, die man in der gleichen Zeit 
mit dem Katheter gewinnen kann. Aus der folgenden Tabelle geht das 
deutlich hervor: 


Über die Funktion des Harnapparates nach Operationen usw. 71 


Spontan entleerter Urin: Katheterurin: 
Myom "hp op 30 cem Myom 8° p. op. 300 cem 
11° » » 100 nm Oystom 11° » »„» 500 , 
9 „ „ 120 „ Carinom 20° „ „ 450 „ 


29 


21 
Maligne 9> „ „ 80 „ Darmsarcom 20° „ „ 500 „ 
Ov. Tumoren J 15" „ „ 100 „ Hemie 24 „ „1470 „ 
Cystom 12° „ „ 200 „ usf. 
Myom 16° „ „ 170 , 


e 20 nn 120 „ 
: WW 21 7) 29 215 9 
Cystom 26° „ „ 215 „ 

Erhält sich diese unvollkommene Urinausscheidung längere Zeit, 
ohne bemerkt zu werden, so können sich beträchtliche Harnmengen in 
der Blase sammeln, die Blasenwand wird überdehnt und es resultiert 
daraus schließlich eine Ischurie von mehr weniger lang stagnierendem 
Residualharn. Besonders deutlich wird dies, wenn gleichzeitige Mani- 
pulationen an der Blase oder in deren Nachbarschaft eine Schädigung des 
Nerven- und Gefäßapparates der Blasenwand bedingen. Stöckel 
(Cystoskopie der Gynäkologen) weist darauf hin, wie sehr die Blase 
auf mechanische Insulte bei Operationen zu reagieren pflegt. Ein paar 
typische Beispiele dieser Art lasse ich hier folgen: 

1. K.W. 43 j. 12 p. In Lumbalanästhesie Prolapsoperation durch Colporrhaphia 
anterior und Colpoperineoplastii. Am Öperationstage und den drei folgenden Tagen 
jeweils spontane Harnentleerungen in Mengen von 120—180 ccm. Am fünften Tage 
ist die Blase bis zwei fingerbreit unterhalb des Nabels in die Höhe gerückt und als 
praller Tumor deutlich palpabel. Der Katheter entleert 1700 ccm Urin. Trotz spon- 
tanen Wasserlassens wird auch an den beiden folgenden Tagen einmal 900, einmal 
1400 ccm Urin durch Katheterismus herausbefördert. 

2. M. St. 49 j. 13 p. In Lumbalanästhesie Radikaloperation einer doppelseitigen 
Leistenhernie und Prolapsoperation durch Colporrhaphia anterior und Colpoperineo- 
plastik. Am Operationstag spontane Urinentleerung. Am folgenden Tag entleert der 
Katheter nach zwei spontanen Mictionen 1470 ccm aus der hoch hinaufgerückten Blase. 

3. M. K. 50 j. 2 p. In Chloroform - Äthernarkose Prolapsoperation durch Col- 
porrhaphia anterior und Colpoperineoplastik. Die ersten vier Tage spontane Harn- 
entleerung. Am fünften Tag entleert der Katheter aus der hoch hinaufgerückten 
Blase 1700 ccm Urin; trotz häufigen spontanen Wasserlassens werden auch weiterhin 
noch bis zum zehnten Tag Residualharnmengen von 900—1300 ccm durch Kathete- 
rismus entleert. 

4. K. M. 56 j. O. p. In Lumbalanästhesie Radikaloperation des carcinomatösen 
Uterus nach Freund-Wertheim. Die ersten vier Tage spontanes Wasserlassen, am 
Abend des vierten Tages Katheterismus wegen tumorartiger Resistenz in der Unter- 
bauchgegend, entleert „massenhaft‘‘ Urin. Menge nicht angegeben. 


Eine ganz ähnliche Erscheinung beschreibt Müller bei Tabes- 
kranken, sieht aber bei diesen den Grund der Störung außer in einer Hyp- 
ästhesie der Blasenschleimhaut in einer Alteration des Reflexzentrums 
im sympathischen Gangliensystem. Unser Fall 3 beweist, daß nervöse 
Störungen durch Lumbalanästhesie, etwa Spätläihmungen des Detrusor, 
nicht schuld sein können; außerdem hat auch Baisch nach Inhalations- 
= narkosen ähnliche Urinretentionen beobachtet und findet infolge der 


72 Dr. Ernst Holzbach. 


über die Grenze der Kapazität gesteigerten Blasenfüllung sogar Ischuria 
paradoxa bei seinen Operierten. 

Diese Erscheinung hat eine praktisch recht wichtige Konsequenz. 
Baisch schreibt darüber, daß in solchen Fällen, selbst wenn die Re- 
tention nicht so hochgradig ist, daß es zur Ischuria paradoxa kommt, 
doch das beständig vorhandene Urinreservoir einen flüssigen Nährboden 
darstelle, in dem sich etwa eingedrungene Keime leicht vermehren und 
unter bestimmten Bedingungen die Blasenwände infizieren können. 
Ähnlich hat man sich auch das Zustandekommen der postoperativen 
Cystitis in den seltenen Fällen zu erklären, in denen es trotz spontaner 
Urinentleerung nach der Operation zu einer Blasenentzündung gekommen 
ist Die Keime sind entweder bei einem früheren Katheterismus (bei 
oder unmittelbar nach der Operation) in die Blase importiert worden 
oder spontan aszendiert, sie vermehren sich in dem stagnierenden Harn 
und bewirken nun die Cystitis. 

Ist die Blase einmal so stark überdehnt, so wiederholt sich trotz 
mehrmaligem Katheterismus der beschriebene Vorgang gern. Solche 
Frauen entgehen denn auch ihrer Cystitis kaum. Auch Pyelitis haben 
wir in solchen Fällen 2mal beobachtet, die als Aszensionspyelitis zu 
deuten ist. Eine direkte Rückstauung in das Nierenbecken ist bei 
überdehnter Blasenwand nach den übereinstimmenden Versuchen von 
Lewin und Goldschmid, Courtade und Gayon u. a. dank dem 
Mechanismus des Harnleiterverschlusses nicht möglich. 

Für die Funktion der Blase ergibt die Zusammenfassung, 
daß die postoperative Harnentleerung nicht parallel der 
Nierenarbeit einsetzt, daß der Blasenreflex vielmehr oft 
nicht perzipiert oder aber willkürlich unterdrückt wird. Die 
Häufigkeit der unvollkommenen Harnentleerung bei spon- 
taner Miction läßt Residualharnischurie und Überdehnung 
der Blasenwand auftreten und ist wegen der Gefahr der 
Stagnationscystitis zu fürchten. 

Aus den beschriebenen Beobachtungen ergeben sich folgende Nutz- 
anwendungen für die Praxis: Das Bestreben des Organismus, nach 
Operationen in Narkose oder Lumbalanästhesie möglichst große Mengen 
harnfähiger Zerfallsprodukte auszuscheiden, ist evident. Die dazu nötige 
Flüssigkeitsmenge wird dem Körper, der ohnehin durch Purgantien, 
Blutung usw. einen beträchtlichen Wasserverlust erlitten hat, entzogen. 
Der Körper muß deswegen durch reichliche Zufuhr von Flüssigkeit, 
am besten in Form von Infusionen und Einläufen im Anschluß an die 
Operation, in seinen Bestreben unterstützt werden. 

Auch bei spontaner Harnentleerung ist die Harnmenge wegen der 
(Gefahr der partiellen Harnverhaltung und daraus resultierender Stagna- 
tionscystitiden sorgfältig zu kontrollieren. Einer Überdehnung der Blase 
ist unter allen Umständen vorzubeugen. 


Über die Funktion des Harnapparates nach Operationen usw. 73 


Literatur. 


Baisch, Bakteriologsche und experimentelle Untersuchungen über Cystitis nach 
gynäkologischen Operationen, Hegars Beiträge 1904. 

Courtade und Gayon, Annales de maladies des Organes genito-urinaires Aoüt 1894. 

Hawk, On the dioresis following ather narkosis, Journ. of Med. researed 1908. 

Holzbach, Der Wert der Rückenmarksanästhesie für die gynäkologischen Bauch- 
operationen. Münch. med. Wochenschrift 1908. 

Lewin und Goldschmidt, Versuche über die Beziehungen zwischen Blase, Harn- 
leiter und Nierenbecken, Arch. f. pathol. Anatomie und Physiologie, Bd. 134. 

Müller, L. R., Klinische und experimentelle Studien über die Innervation der Blase, 
des Mastdarms und des Genitalapparates. Deutsche Zeitschrift für Nerven- 
heilkunde, Bd. 21. 1902. 


Roith, Zur Anatomie und klinischen Bedeutung der Nervengeflechte im weiblichen 
Becken, Archiv f. Gyn. Bd. 81. 

Roith, Welche Schädigungen ihres Gefäß- und Nervenapparates verträgt die Blase 
ohne dauernden Nachteil, Beiträge zur Gebh. und Gyn. Bd. 11. 

Tigerstedt, Lehrbuch der Physiologie des Menschen. 

Thompson, Anästhetics and renal activity etc. Brit. med. Journ. 1906, I. 


(Aus der Kgl. Univ.-Frauenklinik zu Königsberg in Pr. Direktor Prof. Winter.) 


Weibliche Inkontinenz durch Narbenzug. 
Von 
Prof. Zangemeister, Königsberg in Pr. 


Zu den vielen verschiedenartigen Ursachen, welche einer Inkon- 
tinenz beim Weibe zugrunde liegen können, gehört auch der Zug 
durch vaginale oder paravaginale Narben. Wenn auch nicht un- 
bekannt, so ist dieser Form der Inkontinenz bisher doch nicht das ihr 
gebührende Interesse entgegengebracht worden. 

Ich sehe hier ab von solchen Narben, welche mit Defekten der 
Sphinktermuskulatur — mit oder ohne Fistel — verknüpft sind. Bei 
der reinen Inkontinenz durch Narbenzug handelt es sich ausschlieB- 
lich um eine — direkte oder indirekte — Verzerrung der als SchließB- 
apparat fungierenden Muskulatur des Blasenhalses und der Harnröhre. 

Die Einwirkung einer reinen Dislokation der Muskulatur des 
Sphinkters auf seine Funktion ist in diesbezüglichen Lehrbüchern erst 
neuerdings hervorgehoben. Stoeckel!) führt unter den Ursachen der 
Inkontinenz „starke Zerrungen am Blasenhals und wohl auch direkte 
Auseinanderzerrung des Sphinkters“, wie sie vornehmlich im Anschluß 
an vaginale Operationen auftreten können, an. In älteren gynä- 
kologischen Speziallehrbüchern ist darüber kaum etwas erwähnt. 

Von Einzelarbeiten, die sich mit dem vorliegenden Gregenstand be- 
fassen, ist vor allem diejenige von Cumston ?) zu erwähnen. Dieser 
Autor hat als erster die Wirkung eines sich auf die Harnröhre ent- 
faltenden Zuges klar ausgesprochen und die richtigen therapeutischen 
Konsequenzen daraus gezogen. Er führt die sich bei gewissen Lage- 
veränderungen von Uterus und Scheide gelegentlich einstellende In- 
kontinenz auf eine Dislokation der Harnröhrenmuskulatur zurück; nach 
seiner Vorstellung bewirkt der Zug ein Klaffen der Harnröhre in ihrem 
vesikalen Teil. Diese Erklärung trifft für manche Fälle zweifellos zu, 
für andere ebenso sicher nicht. 

Wie Fritsch?) bereits — ohne Cvstoskopie — erkannt hat, kommt 
es bei Senkungen der vorderen Scheidenwand oft zu einer trichterartigen 
Eröffnung des oberen Teiles der Harnröhre, und zwar durch Zug der 





1) Veits Handbuch d. Gebh., II. Aufl.. Bd. Il., S. 296 u. 298. 
2) Monatsschr. f. Gebb. u. Gyn.. Bd. 19, S. 538. 
3) Veits Handbuch. I. Aufl.. Bd. II, S. 153. 





Weibliche Inkontinenz durch Narbenzug. 75 


Scheide an der hinteren Wand der Harnröhre Ich!) konnte diese 
Tatsache später durch das Cystoskop sowie durch einen Gefriermedian- 
schnitt bei Prolaps vollauf bestätigen. Daß diese fast regelmäßig wieder- 
kehrende Erscheinung an der Hamröhre nicht viel häufiger zur In- 
kontinenz führt, als es tatsächlich der Fall ist, liegt daran, daß die Harn- 
röhre in ihrem hinteren Teil dem Zug auch in toto nachgibt und 
es somit zu einer Knickung der Harnröhre kommt, welche kompen- 
satorisch den reduzierten Blasenverschluß wieder herstellt. 

Cumston geht entschieden mit seiner Theorie zu weit, wenn er jeden 
Zug, der auf die Harnröhre ausgeübt wird, gleichgültig in welcher Richtung, 
für eine Inkontinenz verantwortlich macht (l. c. S. 544). Nach meiner Er- 
fahrung ist es lediglich eine Zerrung der Hinterwand in der Längs- 
richtung (oder eine auf andere Weise bewirkte gleichgerichtete Dis- 
lokation der Harnröhrenwand z. B. durch Descensus, Uterusmyome), 
welche den Blasenverschluß beeinträchtigt. Der Zug auf die ganze 
Harnröhre, wie wir ihn bei Elevationen des Uterus, in minderem 
Grade auch bei Retroposition desselben, vorfinden, bewirkt genau das 
Gegenteil, eine Erschwerung der Blasenentleerung, in extremen Fällen 
Ischurie. Diese Erfahrung, die ich früher schon mitteilte ®), die sich 
übrigens auch mit den Erfahrungen anderer deckt, läßt sich sehr wohl 
therapeutisch verwerten. Zahlreiche Fälle von Ischurie bei den ver- 
schiedensten Genitaltumoren, ferner nach gynäkologischen Operationen 
(Ventrofixation, Alexander-Adam, Kolporrhaphia anterior usw.) sind in 
dieser Weise zu erklären und können demgemäß durch geeignete Modi- 
fikation der Technik vermieden werden. 

Die Fälle von Inkontinenz durch Narbenzug rekrutieren sich 
zum größten Teil aus früheren Fisteloperationen. Ist eine Blasen- 
scheidenfistel mühsam — vielleicht nach wiederholten Mißerfolgen — 
zum Verschluß gebracht, so bleibt mitunter eine Inkontinenz zurück, 
die für die Trägerin des Leidens den oft schwer errungenen ÖOperations- 
erfolg illusorisch macht. Daß solche Mißerfolge nicht allzu selten sind, 
ist bekannt. G. Simon è) widmet ihnen bereits ein besonderes Kapitel. 
Ebenso werden sie von Winkel +) erwähnt und neuerdings speziell von 
Cumston®) und Popescu ®). 

Diese Inkontinenz nach Fisteloperationen ohne zurückbleibende 
Fistel erklärte man sich in der verschiedensten Weise: durch Sphinkter- 
lähmung, Sphinkterzerreißung, Harnröhrendefekte usw. Derartige Ur- 
sachen treffen gelegentlich zweifellos zu. Häufig ist es aber eine reine 
Verzerrung und Immobilisierung der Harnröhrenmuskulatur in der oben 
bezeichneten Richtung, welche die Schuld trägt. 





1) Zeitschr. f. Gebh., 55, S. 302. 

2?) Zeitschr. f. Gebh. u. Gyn., Bd. 55, S. 318. 

3) Mitteil. aus d. chir. Klin. d. Rost. Krank., 1861—65, Abt. II, S. 159. 
4) Krankh. der weibl. Harnröhre u. Blase, 1877, S. 149. 

5) l c. 

e) Refer. Münch. med. Wochenschr. 1908, S. 1301. 


76 Prof. Zangemeister. 


Die Erörterung dieser Störung des Verschlußmechanismus der 
weiblichen Blase würde lediglich das Interesse des Theoretikers in An- 
spruch nehmen, wenn sich nicht auf Grund der richtigen Beurteilung 
der Ursache eine wirksame Prophylaxe und eine erfolgreiche Therapie 
dieses Leidens durchführen ließe. G. Simon bezeichnete (l. c. S. 163) 
die Therapie noch als „fast machtlos“ gegen diese zurückbleibende In- 
kontinenz. Auch Winckel (l. c. S. 149) wußte keine wirksamere The- 
rapie anzugeben als Tampons, Vaginalduschen, Pessare. 

Wie schwerwiegend die Störung zu beurteilen ist, geht aus dem 
weiteren Vorschlag Winckels hervor, in schweren Fällen eine Blasen- 
fistel über der Symphyse anzulegen und die Urethra operativ zur Obli- 
teration zu bringen! 

Heutzutage liegt die Sache günstiger. Wir verfügen über neue 
geistreich erdachte Operationsmethoden, um Defekte der Sphinkter- 
muskulatur erfolgreich plastisch zu ersetzen; wir können die Lähmung 
oder Schwäche des Sphinkters operativ kompensieren durch Torsion 
oder Streckung der Harnröhre oder neuerdings (Schröder, Zentr. f. 
Gyn. 1908, 1137) durch Biegung und Kompression der Harnröhre durch 
den Uterusfundus, schließlich durch paraurethrale Paraffininjektionen. 

Handelt es sich nun um eine Inkontinenz, hervorgerufen durch 
Jerrung von Narben, so läßt sich dieselbe in den meisten Fällen eben- 
falls operativ, oft sogar ohne Operation, heilen. 

Beseitigt man nämlich den Zug, welchen die Narben ausüben, so 
tritt — oft sofort — wieder Kontinenz ein, resp. die Insuffizienz des 
Blasenverschlusses nimmt mehr und mehr ab. 

Am einfachsten kann man das oft durch Massage erreichen. Die- 
selbe wird in der Weise ausgeübt, daß man die gewöhnlich stark nach 
vorn verzogene Portio nach hinten schiebt und gleichzeitig die Narbe 
zu dehnen und zu mobilisieren trachtet. 

Ich konnte in mehreren Fällen eine vorher monate- bis jahrelang 
bestehende Inkontinenz auf diese Weise beseitigen. Bereits nach der 
ersten Sitzung gaben die Patientinnen meist an, daß sie den Urin viel 
besser halten könnten. 

Freilich war der Erfolg nicht immer ein so prompter. Eine Pa- 
tientin kam wenige Monate nach der erfolgreichen Massagekur mit den 
alten Beschwerden wieder; bei ihr war auch der Erfolg der zweiten 
gleichen Therapie nur ein temporärer. 

Eine andere Patientin ließ überhaupt keinen Erfolg bemerken; es 
handelte sich jedoch bei ihr um sehr ausgedehnte und äußerst harte, 
derbe, alte Narben, die sich bei der Massage kaum dehnen ließen. 

Daß man in Fällen, in denen ein größerer Teil der hinteren Harn- 
röhrenwand selbst aus Narbengewebe besteht, keinen Erfolg hat, ergibt 
sich von selbst. 

Die Massage läßt sich ganz wesentlich beschleunigen und wirkungs- 
voller gestalten, sofern man sie mittels Vibriation durchführen kann. 

In der ersten Zeit meiner diesbezüglichen Versuche setzte ich 





Weibliche Inkontinenz durch Narbenzug. TI 


große Hoffnungen auf das Thiosinamin resp. Fibrolysin; ich in- 
jizierte dasselbe lokal und verband diese Therapie mit der Massage. 
Leider war der Erfolg stets ein negativer. Wo die Massage allein ver- 
sagte, konnten auch jene Mittel nichts ausrichten. Zudem waren die 
Injektionen in das narbenreiche Gewebe stets mit erheblichen Schmerzen 
verbunden. 

Sind die Narben schon alt und rigid, sind sie zu ausgedehnt oder 
ist die Verkürzung, die siejin der vorderen Scheidenwand bedingen, eine 
zu ausgiebige, so kommt man mit der Massage nicht aus, d. h. sie 
schafft wohl eine Besserung, aber keine dauernde und keine absolute 
Heilung. 

Eine kleine plastische Operation, wie sie auch von Cumston 
(L c. S. 544) bereits vorgeschlagen worden ist, ist dann am Platze: man 
durchtrennt das Narbengewebe, den narbigen Strang quer mit dem 
Messer, mobilisiert die beiden Partien, namentlich die nach vom ge- 
legene Hälfte, so gut es geht, und vereinigt durch einige Silknähte 
derart, daß aus der queren Schnittwunde eine sagittale Nahtlinie entsteht. 

Stoeckel!) führt einen ähnlichen Fall an, in welchem eine ver- 
kürzende Narbe in der vorderen Scheidenwand nach Heilung einer 
durch Vaginofixation entstandenen Fistel lag, und in dem die gleiche 
Plastik zu sofortiger und dauernder Heilung führte. 


Fall: Fr. Sch. hatte an einer Blasenscheidenfistel gelitten; nach mehrmaligen 
Fisteloperationen war es gelungen, einen völligen Verschluß herbeizuführen. Da aber 
eine beim Herumgehen der Frau fast völlige Unfähigkeit, den Urin zurückzuhalten, 
noch ein Jahr p. oper. bestand, wurde eine paraurethrale Paraffininjektion nabe dem 
Sphinkter vesicae gemacht. Dieselbe hatte nur einen geringen Erfolg auf die In- 
kontinenz und führte — wahrscheinlich durch allmähliches Zugrundegehen der das 
Paraffin zunächst von der Blase trennenden Gewebspartie — allmählich zur Ent- 
stehung eines Blasensteines. Nach Entfernung des letzteren bestand die alte In- 
kontinenz wieder wie früher. 

Nach einmaliger Massage (Dehnung des Narbenkomplexes in sagittaler 
Richtung) konnte Patientin den Urin fast komplett halten! Dieser Erfolg wurde noch 
vervollständigt durch die weiter fortgeführte Massage. Er war aber in diesem Fall 
kein dauernder. Die Frau kam nach '!j, Jahr zurück mit Inkontinenzklagen, wenn- 
gleich bei weitem nicht mehr so hochgradig wie früher. 

Ich nahm nun die oben beschriebene Plastik vor, welche zur dauernden (jetzt 
2 Jahre) Heilung führte. 


Weit wichtiger als die Tatsache, daß man relativ häufig eine nach 
Fisteloperationen zurückbleibende Inkontinenz durch Dehnung oder 
Spaltung der ursächlichen Narbe heilen kann, scheint mir eine Kon- 
sequenz zu sein, die sich daraus für Operationen an der vorderen 
Scheidenwand, vornehmlich Fisteloperationen, ergibt. Prinzipiell ist bei 
diesen jede Verkürzung in sagittaler Richtung zu vermeiden. 
Bei Kolporrhaphien, Vaginofixationen u. dergl. ist eine derartige Gefahr 
bei der üblichen Technik kaum vorhanden. Bei Fisteloperationen liegt 
die Ursache aber in der heute zumeist angewandten Operationsmethode. 


1) Veits Handbuch der Gyn., II. Aufl., Bd. II., S. 298. 


78. Prof. Zangemeister. Weibliche Inkontinenz durch Narbenzug. 


Dadurch daß die angefrischte Fistel durch sagittale Nähte, also 
zu einer queren Nahtlinie vereinigt wird, kann die gewöhnlich mehr 
oder weniger weit nach vorn reichende Fistelnarbe künstlich gar leicht 
eine Fixation und Zerrung der hinteren Harnröhrenwand im Gefolge 
haben. 

Es muß vielmehr als das Erstrebenswerte gelten, nach der An- 
frischung die Fistel durch quer gelegte Nähte zu vereinigen, also so, 
daß die Nahtlinie danach sagittal verläuft. Wo das nicht geht, sind 
Entspannungsschnitte zu Hilfe zu nehmen, entweder seitlich von 
der Fistel, oder es ist die Zugwirkung der Naht sofort durch eine 
Plastik, wie oben beschrieben, zu kompensieren. 

In ähnlicher Weise ist bei andersartigen Defekten der vorderen 
Scheidenwand diesem Umstand Rechnung zu tragen. 


Verschluß der weiblichen Blase. 
Von 


Prof. Zangemeister, Königsberg i. Pr. 
Mit 2 farbigen Abbildungen auf Tafel und 1 Textfigur. 


Die Tatsache, daß eine Verzerrung der Harnröhrenwand, wie wir 
eben sahen, bei der Frau zu Störungen des Blasenverschlusses führt, 
beweist von neuem, daß wir uns unter dem Sphinkter der Blase nicht 
nur eine an der Ausmündung der Blase gelegene ringförmige Partie 
glatter Muskulatur vorzustellen haben. Mit einer solchen Annahme wäre 
die beschriebene Störung schlechterdings nicht vereinbar. Auch mit 
der Annahme einer obligatorischen oder fakultativen Mitwirkung eines 
Teils der Harnröhrenmuskulatur kommen wir ohne weiteres nicht aus. 

Da über den Verschlußapparat der weiblichen Blase sich in neueren 
Lehrbüchern im allgemeinen nur etwas dürftige Angaben finden, ver- 
lohnt es sich, an dieser Stelle etwas näher auf ihn einzugehen. Wir 
verdanken unsere heutigen Kenntnisse über die genauere Anatomie der 
in Betracht kommenden Muskulatur vornehmlich einer vor einer Reihe 
von Jahren erschienenen Arbeit von Kalischer!). 

Die am Verschluß naturgemäß nur akzessorisch beteiligte quer- 
gestreifte Muskulatur entstammt der Beckenmuskulatur und zwar 
einem als Sphinkter urogenitalis bezeichneten Muskelkomplex, wel- 
cher in seinem vorderen Teil Harnröhre und Scheide gemeinsam um- 
zieht, indes die nach der Blase zu gelegenen Bündel schließlich die 
Harnröhre allein umgreifen. 

Von größerer Bedeutung und für die Erhaltung der Kontinenz 
allein ausschlaggebend ist die glatte Muskulatur. | 

Auch sie greift in ihrem vorderen Teil auf die Scheide über. Etwa 
von der Hälfte der Länge der Urethra an senken sich die Muskelzüge 
in das Septum urethrovaginale ein, so daß die Harnröhre in ihrem 
hinteren Teil vollkommen umfaßt wird. Am Orificium internum urethrae 
verdickt sich die Muskelmasse; ihre Bündel laufen von hier schräg in 
das Trigonum der Blase hinein („Sphinkter trigonalis“). Der hintere, 
an Masse hier viel bedeutendere Teil dieses schräg gelagerten Ringes 
umfaßt das ganze Trigonum. Der vordere Teil der am Blasen- 
ostium gelegenen Muskulatur gehört dagegen zur Blasen- 


1) O. Kalischer. Die Urogenitalmuskulatur des Dammes mit bes. Berücksich- 
tigung des Blasenverschlusses. — Berlin 1900, Karger. 


80 Prof. Zangemeister. 


muskulatur. Die letztere steht nicht in direkter Verbindung mit der 
glatten Muskulatur der Harnröhre; die Muskelzüge der einen gehen 
nicht in die der anderen über. Ein Querschnitt am Ostium vesicae 
trifft also vorn Blasen-, hinten Harnröhrenmuskulatur. (Siehe Fig. 1 
und 2.) 

Diese Tatsache muß präzis hervorgehoben werden, weil sie die 
alte Anschauung eines am „Blasenhals‘‘ gelegenen Muskelringes ohne 
weiteres widerlegt. 

Der Verschluß kann also nicht etwa wie am Anus einfach durch 
konzentrische Verkleinerung des Querschnittes erfolgen. Infolge Ver- 
teilung der Muskulatur, hauptsächlich auf den hinteren Teil 
der Zirkumferenz, wird es bei der Kontraktion hier zu einer Ver- 
engerung des Lumens kommen, wie sie etwa durch einen Quetschhahn 
bedingt wird (A, BJ). Ferner muß durch den schrägen Verlauf 
der Muskelbündel bei deren Kontraktion eine Verschiebung der 
vorderen Wand der Harnröhre gegen die hintere eintreten. 
Durch diese (zur Harnröhrenachse) schräge Anordnung der die Urethra 
umgreifenden Fasern wird die auf das Lumen bei der Kontraktion ent- 


GA e 


Fig. 3. 


faltete Kraft wesentlich erhöht, indem der Weg verlängert ist, auf 
welchem die gleiche Kraft gegenüber dem gleichen Widerstand aus- 
geübt wird. 

Dadurch daß ein Teil der als Sphinkter fungierenden (Harnröhren-) 
Muskulatur in die Blase selbst (Trigonum) eingelagert ist, und die voll- 
ständige Trennung der übrigen Blasen- von der Harnröhrenmuskulatur 
erwiesen ist, ist es verständlich, daß bei der Kontraktion der Blase 
deren Ausgang nicht mit verengt wird. 

Von mechanischer Bedeutung für den Blasenverschluß ist zweifellos 
auch die — nicht radiäre, sondern in mäßigem Grade — schräge 
Einmündung der Harnröhre in die Blase (vgl. z. B. Tandler- 
Halban, Tafel 11, 20, 30, 32). Denn bei gleichbleibender Anordnung 
und Leistungsfähigkeit der kontraktilen Elemente um den Ausführgang 
herum wird sich ein um so größerer Inhaltsdruck überwinden lassen, 
je mehr sich die Ein- resp. Ausmündung in ihrer Achse der Tangente 
nähert. Zweckentsprechenderweise verläuft der hintere Harnröhrenteil 
bei steigender Füllung der Blase schräger und schräger, allmählich 
nahezu tangenital gegen die Blase; damit wird die zum Verschluß not- 
wendige Muskelkraft mit zunehmender Füllung relativ verringert. 

Die Ausdehnung der als Sphinkter wirkenden glatten Mus- 
kulatur auf die ganze hintere Hälfte der Harnröhre erklärt die klinisch 


ve „6 _— or -e m L= CC 

















e e à 
» 
$ 
; j 
$ 
V a 
! 
Ka 
$ r å 6 
> X a a 
vi ` 
“ k ) 
$ Å a X D L 
t f 
d ! H 
Ze A EL: 
wi 8 ` P 
ii TA AN 
o Lu WA 
à r A a 
i . ~ 
+ » 
$ a a 
`. Seegen 3 
$ „fi u 6 
Scheide, ` SS 1 
"HR e 
A $ Ce 
s aa e fa sir: a Nr i "E d À d A d f: é ; ý ta‘ E , Zu ; Kc) d $ f 8 
= 


A ép AA 


A3 ur e 


2 


Verschluß der weiblichen Blase. 81 


bekannte Tatsache, daß die Suffizienz des Verschlusses möglich ist, auch 
wenn die dem Blasenostium zunächst gelegene Muskulatur zerstört oder 
funktionsunfähig ist, ferner, daß bei Defekten im hinteren Teil der 
Harnröhre Inkontinenz eintreten kann, obwohl die unmittelbar am 
Ostium der Blase gelegene Muskelmasse intakt und funktionstüchtig ist. 

Was speziell die oben erwähnte Inkontinenz durch Narbenzug an- 
langt, so erscheint es an der Hand der erwähnten anatomischen Grund- 
lagen und der sich daraus ergebenden Folgerungen für die Mechanik 
des Verschlusses durchaus verständlich, daß alle solchen Momente, welche 
die schräge Einmündung der Harnröhre in die Blase reduzieren, und 
diejenigen Faktoren, welche die Verschieblichkeit der Harnröhren- 
wände in der Längsrichtung beeinflussen, insbesondere wenn 
sie eine dauernde Dislokation der hinteren Harnröhrenwand 
bedingen, die Verschlußfähigkeit der Blase gefährden müssen. Hierzu 
sind die in der vorderen Vaginalwand, namentlich nach Fisteloperationen, 
gelegenen Narben zu rechnen. Daß es sich hierbei nicht ausschließlich 
um eine narbige Immobilisierung der Harnröhrenmuskulatur als Ursache 
der Inkontinenz handelt, dafür spricht der Erfolg der Therapie, durch 
die nur der dislozierende Einfluß der Narbe behoben wird. 


Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 


(Aus der Universitäts-Frauenklinik in Bonn. Direktor: Geh. Öbermedizinalrat 
Prof. Dr. Fritsch.) 


Zur Behandlung schwerer Entzündungen der weiblichen Blase. 
Von | 


Privatdozent Dr. Erich Zurhelle. 
(Mit 1 Figur.) 

Es ist heutzutage wohl allgemein anerkannt, daß in schweren Fällen 
von chronischer Cystitis die lokale Behandlung im Vordergrund steht, 
und daß ihr gegenüber die medikamentöse nur eine untergeordnete Rolle 
spielt, wenn auch mit Recht gewarnt werden muß vor kritikloser Aus- 
spülung bei jeder chronischen Cystitis. 

Die Blasenspülungen bezwecken vollständige Entfernung des zer- 
setzten Urins und des ihm beigemengten Eiters, gründliche Reinigung 
der Blase und eventuell auch medikamentöse Beeinflussung der er- 
krankten Blasenwand. 

Dieser Zweck kann nur erreicht werden, wenn die Spülungen sach- 
kundig (vom Arzt!), schonend und so häufig gemacht werden, daß in 
der Zwischenzeit nicht Gelegenheit gegeben ist, daß durch Zersetzung 
des sich wieder ansammelnden Urins eine neue Schädigung der Blasen- 
schleimhaut hervorgerufen wird. In erster Linie kommt es an auf aus- 
giebige Reinigung und Fortschaffung der infektiösen Sekrete. In zweiter 
Linie erst kommt die Abtötung der Bakterien in Betracht, soweit sich 
dieselbe ohne schwere Gefährdung der Blasenwand selbst erreichen läßt. 
In keinem Falle darf der Nachteil stark desinfizierender Gifte größer 
sein als der Vorteil der Keimtötung. Die beste Säuberung einer chro- 
nisch schwer entzündeten Blase läßt sich unzweifelhaft erreichen durch 
rationelle Dauerspülungen, und doch werden dieselben bisher kaum 
angewandt. Fritsch und Stöckel empfehlen im Veitschen Handbuch, 
wenn die andere Therapie versagte, für verzweifelte Fälle zu diesem 
Zweck in Verbindung mit einem Schückingschen Tropfrohr zwei an- 
einandergenähte Gummischläuche in die Blase zu bringen, von denen 
der eine als Einfluß-, der andere als Abflußrohr dienen sollte, das Ganze 
in Verbindung mit einem großen, 12 Liter fassenden Irrigator. Als 
Nachteil dieser Methode der permanenten Irrigation bzw. permanenten 
Instillation erkannten wir, daß, abgesehen davon, daß die Harnröhre 
durch die eingelegten Gummischläuche zu stark gedehnt wird, die Blasen- 
wand sich dabei oft so zusanımenlegt, daß die Spilflüssigkeit zum größten 





Zur Behandlung schwerer Entzündungen der weiblichen Blase. 83 


Teil abfließt, ohne mit der ganzen Blaseninnenfläche in Berührung zu 
kommen. Sie kommt oft nur in eine Tasche, einen Divertikel und fließt 
dann sofort wieder ab. Eine Kontrolle, wie weit die Blase durch die 
Spülflüssigkeit entfaltet wird, fehlt, ebenso eine Maßnahme, den jeweiligen 
Dehnungsgrad nach Bedarf zu regulieren. Langdauernde, sehr reich- 
liche Spülungen mit einem Zweiwegehahn auszuführen, hat, wie jeder 
weiß, auch seine Nachteile, zumal die Füllung der Blase bis zum Ein- 
treten des Druckgefühls und die damit abwechselnde Blasenentleerung, 
womöglich mit Anschlagen der entzündeten Blasenwand an den Katheter, 
den Kranken sehr unangenehm ist. Um diesen Nachteilen abzuhelfen, 
habe ich vor etwa drei Jahren einen Rücklaufkatheter für Dauerspülungen 
bei schweren Entzündungen der weiblichen Blase (s. Abb.) anfertigen 
lassen, der sich uns öfter bei hartnäckigen Fällen sehr bewährt hat. 





(Etwa '/ der natürlichen Größe.) 

Die Einrichtung des Katheters !) geht aus der obigen Abbildung hervor. 
Etwa 5 bis 6 cm vor der im Sinne der weiblichen Harnröhre leicht 
gebogenen Spitze befindet sich eine runde Scheibe, die ein zu weites Ein- 
führen des Katheters in die Blase verhindern soll. Durch je einen Hahn 
am Zufluß- und Abflußrohr hat man den großen Vorteil, daß man jederzeit 
imstande ist, den Füllungsgrad der Blase während der Dauerspülung zu 
regulieren, so daß die Spülflüssigkeit tatsächlich die Blasenwand in 
ganzer Ausdehnung reinigen kann. Die Klagen der Kranken über ab- 
wechselndes Leer- und Vollaufen der Blase fallen fort und für den, der 
die Spülung macht, bietet die Methode große Bequemlichkeit. Gegen- 
über der Permanentinstillation mit dem Schückingschen Tropfrohr hat 
dieser Katheter, den ich aus Metall habe herstellen lassen, der sich aber 
auch aus Glas oder Hartgummi anfertigen läßt, den Vorteil, daß ein 
kräftiger Strahl die Blase ausspült, wodurch eine stärkere Abkühlung 
der Spülflüssigkeit, wie sie bei zu langsamem Durchfließen durch den 
Schlauch unvermeidbar ist, nicht eintritt. Sehr große Mengen Spül- 
flüssigkeit (abgekochtes Wasser, physiologische Kochsalzlösung usw.) 
können so in Anwendung kommen. Das Kaliber der zu- und abführen- 
den Röhren darf nicht zu eng sein, speziell das Abflußrohr und seine 
Fenster nicht, damit nicht Schleim- und Eiterpartikel dasselbe verlegen. 
Auch dürfen die Fenster nicht scharfrandig sein, damit sie keine Fissuren 
in die geschwollene, leicht verletzliche Urethralschleimhaut reißen. Die 


!) Der Katheter ist erhältlich bei F. A. Eschbaum, Bonn. 
6* 


84 Dr. Erich Zurhelle. 


Regulierhähne dürfen nicht zu nahe an der runden Scheibe liegen, da 
man sonst beim Stellen derselben behindert ist, worauf der Instrumenten- 
macher achten muß. 

Frauen, die früher auf andere Weise gespült worden sind, sind für 
diese Methode der Dauerspülungen sehr dankbar und wissen die Vorteile 
am besten zu würdigen. 

Was soll nun geschehen, nachdem auf diese Weise Schleim, eitriger 
Belag, kurz alle Entzündungsprodukte entfernt sind? 

Stöckel empfiehlt im Veitschen Handbuch als „souveränes Oystitis- 
mittel“ das seit Jahrzehnten erprobte Argentum nitricum. In verschieden 
starken Lösungen ist es auch wohl das meist gebräuchliche, obwohl 
jeder weiß, daß Argentumspülungen, auch mit schwachen Lösungen und 
bei geschickter Anwendung, oft schmerzhaft sind. Das Brennen ist bei 
stärker gereizten Blasen bei Argentumspülungen oft so heftig, daß man 
zu Linderungsmitteln greifen muß. Nur in einem Teil der Fälle kann 
man den Rest der Spülflüssigkeit für längere Zeit in der Blase belassen, 
meist muß schon nach wenigen Minuten der Inhalt entleert werden. 
Um alle diese Übelstände zu’ vermeiden, habe ich nun seit 14, Jahren 
den Versuch gemacht, statt der Argentumlösungen 1°/, Collargollösungen 
zu nehmen, veranlaßt durch eine Mitteilung aus der Czernyschen 
Klinik von Voelcker und Lichtenberg!), die zum Zweck der Sicht- 
barmachung der menschlichen Blase im Röntgenbild 2%, Collargollösung 
in die Blase gebracht hatten. Es war ihnen dabei aufgefallen, daß 
einige Fälle von chronischer Cystitis durch die Collargolinjektion auf- 
fallend gebessert wurden. Auf Grund dieser zufällig gemachten thera- 
peutischen Erfahrung habe ich in der Bonner Klinik in einer Reihe 
z. T. verzweifelter Fälle von chronischer Cystitis nach gründlicher 
Auswaschung der Blase etwa 100 ccm lauwarmer 1°, Collargollösung 
mit einer Stempelspritze in die entleerte Blase eingespritzt und darin 
längere Zeit gelassen. Das absolute Fehlen irgendwelcher Reizerschei- 
nung machte ein viele Stunden langes Belassen der Lösung und eine 
entsprechend intensive Wirkung möglich. Ja, ich möchte glauben. dad 
man es direkt mit einer Dauerwirkung zu tun hat. Jedenfalls habe ich 
in mehreren Fällen, nachdem ich einige Tage die Behandlung ausgesetzt 
hatte, cystoskopisch an der ganzen Schleimhaut der Blasenwand verteilt, 
reichliche Collargolniederschläge haften sehen. Ich glaube kaum, daß 
wir auf eine andere Weise imstande sind, ähnliche Dauerwirkung auf 
die Blasenschleimhaut zu erzielen. Dabei ohne jede Reizung! In ganz 
schweren, bisher mit Argentumlösungen erfolglos behandelten Fällen, in 
denen starke Veränderungen der Blasenwand nachweisbar waren, konnte 
ich mit Injektion von Collargollösung in 10—12 Tagen zum Ziele ge 
langen, in leichteren Fällen innerhalb einer Woche. Jedenfalls ist diese 
Methode der vielfach empfohlenen Instillation weniger Tropfen einer hoclı- 


1) Voelcker und Lichtenberg, Die Gestalt der menschlichen Harnblase im 
Röntgenbilde. Münch. med. Wochenschrift 1905, Nr. 33. 





Zur Behandlung schwerer Entzündungen der weiblichen Blase. 85 


konzentrierten, 1°/,igen Argentumlösung in die vorher entleerte Blase, 
von der auch andere!) nur geringen Erfolg, aber sehr heftige Schmerzen 
gesehen haben, bei weitem vorzuziehen. Wie die therapeutische Wirkung 
des Collargols in der Blase sich abspielt, ob die auf seinem Charakter 
als kolloides Metall beruhenden katalytischen Eigenschaften und seine 
Fähigkeit, durch Einleitung von Oxydationsvorgängen giftige Bakterien- 
produkte in ungiftige Körper überzuführen, hier vor allem eine Rolle 
spielen, wage ich nicht zu entscheiden. Die Tatsache der guten Wirkung 
steht fest. 

Die Herstellung der Lösungen dieses ungiftigen, geruchlosen Des- 
infizienz ist die denkbar einfachste durch die im Handel befindlichen 
Tabletten. Man löst dieselben in einer gut gereinigten Flasche aus 
schwarzem Glase mit der nötigen Menge abgekochten und wieder ab- 
gekühlten destillierten Wassers und schüttelt nach einiger Zeit tüchtig 
um. Die Lösung bleibt monatelang, auch nach mehrfachem Öffnen der 
Flasche haltbar. Sie kann ohne Nachteil gekocht werden, wenn auch 
eine Sterilisierung nicht nötig ist, da die Collargollösung sich selbst 
steril hält. Beim Eintropfen in destilliertes Wasser muß sie eine braune 
klare Flüssigkeit geben, tut sie das nicht, sondern wird das Wasser grau, 
trübe oder bilden sich Niederschläge, so muß man die Lösung als un- 
brauchbar fortschütten. Die Nachteile der Argentumlösungen, die leichte 
Ausfällbarkeit und das Hervorrufen stärkerer Schmerzen fehlen der 
Collargollösung, die außerdem noch den Vorteil hat, daß die durch sie 
in der Wäsche hervorgerufenen braunen Flecke durch gewöhnliches 
Waschen verschwinden. 

Die lästigen und schmerzlichen postoperativen Cystitiden sind in 
unserer Klinik in den letzten Jahren nahezu vollständig verschwunden. 
Wir sehen sie fast nur noch nach abdominellen Uteruscarcinomopera- 
tionen, und zwar ohne Unterschied, ob wir einen Dauerkatheter ein- 
legen oder nicht. Auf Grund dessen, was ich bei Küstner und Wert- 
heim gesehen, lassen wir jetzt, wenn die Blase unverletzt ist, den 
Dauerkatheter fort, nachdem wir bis zum Sommer d. J. prinzipiell nach 
abdominellen Carcinomoperationen ihn angewandt hatten. Im übrigen 
ist die Abnahme der postoperativen Cystitiden wohl in erster Linie 
darauf zurückzuführen, daß wir im Prinzip so wenig wie möglich kathe- 
terisieren. Wir sind sehr viel seltener genötigt, zum Katheterismus zu 
schreiten, seitdem wir uns nicht mehr scheuen, die Operierten sehr früh- 
zeitig zum Zweck des Urinierens auf den Nachtstuhl zu lassen. In 
Fällen, in denen auch dann noch spontane Urinentleerung unmöglich ist, 
oder in Fällen, in denen uns ein Aufsitzen der Operierten wegen Fieber 
usw. kontraindiziert erscheint, kommen wir fast stets zum Ziel mit der 
von Baisch empfohlenen Injektion von etwa 20—30 cem Borglyzerin- 
lösung in die gefüllte Blase, nur nach abdominellen Uteruscarcinom- 
operationen bleibt auch hier oft der Erfolg aus. Vielleicht macht hier 


ı) Döderlein u. Krönig, Operative Gynäkologie. 1907. II. Auflage. S. 634. 


86 Dr. Erich Zurhelle. Zur Behandlung schwerer Entzündungen der weibl. Blase. 


prophylaktische Collargolfüllung der Blase nach der Operation die Cystitis 
seltener. 

Ich glaube, daß die oben skizzierte Behandlungsmethode schwerer | 
Entzündungen der weiblichen Blase nicht nur die Behandlung dieser 
Erkrankung sehr oft abkürzt, sondern auch in vereinzelten Fällen in- 
stande ist, einen von der ultima ratio abzuhalten: ich meine die An- 
legung einer Blasenscheidenfistel. Besonders geeignet scheinen mir die 
Fälle, in denen die Kontraktilität der Blase so weit geschwunden ist, 
daß nach spontanem Urinieren stets „Residualharn“ mit Stagnation und 
Zersetzung zurückbleibt, der die Cystitis unterhält, und deren man bis- 
her nur mit einem Dauerkatheter Herr werden konnte. Hier kann das 
Collargol gute Dienste tun. Selbstverständlich ist das Collargol kein 
Allheilmittel der Cystitis, aber der Umstand, daß jeder die Pflicht hat, 
das bekannt zu geben, wovon er, bei Behandlung bisher erfolglos be- 
handelter Fälle, Heilung hat eintreten sehen, mag diese Zeilen recht- 
fertigen. 

Nachwort: Zu meiner Freude ersehe ich aus einer Bemerkung 
Stöckels in dem eben erschienenen ersten Heft dieser Zeitschrift S. 55, 
daß „sich ihm die Collargollösung bei der Cystitisbehandlung ganz außer- 
ordentlich bewährt hat“. Hoffentlich werden die guten Erfahrungen 
bald auch von anderer Seite bestätigt. 








(Aus der kgl. Universitäts-Frauenklinik, Marburg. Direktor: Prof. Dr. Stoeckel.) 


Über den Blasensitus nach Cystocelenoperationen. 
Von 


Dr. H. Sieber, Assistenzarzt. 


Die Beurteilung der Leistungsfähigkeit einer Cystocelenoperation 
wird gewöhnlich nur davon abhängig gemacht, ob nach Verlauf längerer 
Zeit die vordere Vaginalwand und mit ihr der anliegende Teil der Blase 
noch in der durch die Operation korrigierten Lage verblieben ist. Man 
nimmt an, daß in diesem Fall die Blase dann ebenfalls richtig liegen 
müsse und kann sich auch durch Sondierung vermittels eines Katheters 
von der ungefähren Lage derselben überzeugen. Nicht jedoch ist es 
möglich, festzustellen, welche Beziehungen die einzelnen Blasenabschnitte 
sowohl unter sich als auch zu ihrer Umgebung eingegangen haben. 
Dies zu erkennen, lehrt uns nur die Cystoskopie, und durch sie klärt 
sich häufig erst der Grund der mannigfachen Klagen, die wir oft nach 
„glänzend gelungenen“ Vorfalloperationen zu hören bekommen. Sicher- 
lich spielt bei dem Entstehen oder Wiederauftreten eines Vorfalls der 
vorderen Scheidenwand die Blase als solche eine große Rolle, und so 
gewinnt die Cystoskopie für frische Fälle auch noch einen prognostischen 
Wert. 

Wir haben vier Operationsmethoden der Cystocele in Betracht ge- 
zogen, weil diese die Hauptoperationstypen vertreten und weil momentan 
nur diese 4 Arten zwecks cystoskopischer Untersuchung zur Verfügung 
standen. Die einzelnen Fälle sind tabellarisch zusammengestellt. Es 
handelt sich um vordere Kolporrhaphie, vordere Kolporrhaphie 
mit Vaginofixura uteri, die Schautasche Prolapsoperation und 
die Totalexstirpation mit vorderer Kolporrhaphie. Daß an alle 
Operationen, da ja bekanntlich mit einem festen Damm der Effekt jeder 
Prolapsoperation steht und fällt, eine ausgiebige Scheidendammplastik 
angeschlossen wurde, sei hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt. 
Entsprechend der Tatsache, daß bei der zweiten und dritten Methode 
der Uterus künstlich eine veränderte Lage gegenüber der Blase ein- 
nimmt und je nach Art seiner Einwirkung verschiedene Blasensituationen 
schaffen kann, sind von diesen Operationen mehr Fälle zur Unter- 
suchung genommen als von den beiden anderen Arten, wo die Blasen- 
verhältnisse alle mehr oder weniger gleich angetroffen werden. 


88 Dr. H. Sieber. 


So haben wir nur 3 Fälle einfacher Kolporrhaphie als Beispiele 
dieser Art gewählt, von denen der erste vor 4 Jahren, der zweite vor 8 
und der dritte vor 4 Monaten operiert wurde. Beim ersten Fall be- 
steht ein nur leichter Descensus der vorderen Vaginalwand, der Uterus 
liegt vollständig korrekt, der Damm ist genügend hoch und fest und 
doch müssen wir cystoskopisch feststellen, daß eine ganz erhebliche 
Senkung des Blasenbodens eingetreten ist, die eine vollständige Ent- 
leerung der Blase unmöglich macht. Die Patientin leidet auch an 
häufigem Urindrang, Nachträufeln, unfreiwilligem Urinabgang. Pro- 
gnostisch läßt der cystoskopische Befund hier, wo der Blasendescensus, 
wenn man so sagen darf, dem Scheidendescensus vorauseilt, den Schluß 
zu, daß sich mit der Zeit ein noch erheblicheres Rezidiv einstellen 
wird. Nach der vaginalen Untersuchung würde man jene deutlichen 
Entleerungsstörungen nicht für möglich halten, cystoskopisch zeigt sich 
jedoch die Senkung des Blasenbodens noch dadurch verstärkt, daß das 
Ligamentum interuretericum stark vorspringt, als ob es in die Höhe 
gezogen würde, während der vordere Teil des Trigonums, wie auch der 
hinter dem Ligament gelegene Teil des Blasenbodens nach unten sich 
ausbuchtet. | 

Der zweite Fall zeigt keinerlei anormale Verhältnisse mehr. Da- 
gegen findet sich beim dritten Fall, obwohl die Lage der vorderen 
Scheidenwand annähernd normal ist, schon eine Senkung des vorderen 
Teils des Trigonums und ein deutlicher Recessus des Fundus nach 
rechts unten. Dementsprechend klagt auch die Patientin über häufige 
Schmerzen nach dem Urinlassen. Der Hochstand des Ligamentum 
interuretericum, welcher besonders im ersten Fall gegenüber den an- 
grenzenden Funduspartien deutlich ist, läßt sich wohl folgendermaßen 
erklären: Der Ureter durchdringt den an der Basis des Ligamentum 
latum gelegenen Bindegewebsraum und ist dort mehr oder weniger 
fixiert, mehr jedenfalls, wenn parametritische Prozesse, wie in diesem 
ersten Fall, vorhergegangen sind. Handelt es sich nun um reinen 
Scheidendescensus, einen Zustand, bei welchem der Uterus und die 
Ligamenta lata hoch stehen, so ist es begreiflich, daß die Blase an den 
von den Ureteren schräg durchsetzten Stellen von diesen hochgehalten 
wird, während die übrigen Fundusteile nach unten sinken. Es können 
also in diesen Fällen schon leichtere Formen von Blasenscheidende- 
scensus Störungen bei der Miktion hervorrufen, während die Beschwerden 
wohl geringer wären, wenn auch ein leichter Uterusdescensus mit der 
Lageanomalie vergesellschaftet wäre. Bei der Operation der vorderen 
Kolporrhaphie werden die wenn auch schwachen Verbindungen der 
Blase mit der Cervix und den seitlichen Uteruspartien künstlich gelöst 
und so leuchtet es ein, daß die nur verkürzte, aber durch die Mus- 
kulatur des Diaphragma nach wie vor ungenügend gestützte vordere 
Vaginalwand dem vollen Blasendruck über kurz oder lang nachgeben 
wird. Näher auf diese Verhältnisse einzugehen, liegt nicht im Rahmen 
dieser Arbeit. 


Über den Blasensitus nach Cystocelenoperationen. 89 


Anders liegen die Verhältnisse bei den Fällen von vorderer Kol- 
porrhaphie mit Vaginofixur. Durch diesen Operationsmodus wird der 
Fundus uteri in nahen Konnex mit der Blase gebracht, dessen Folgen 
wir cystoskopisch sich verschieden äußern sehen. Die Zeit, welche seit 
der Operation dieser Fälle verstrichen ist, schwankt zwischen 4 Jahren 
und 3 Monaten. Unter den 13 Fällen fand sich 9mal ein stark vor- 
gebuckelter Blasenfundus mit entsprechend größeren und kleineren seit- 
lichen Recessus und steil stehendem Trigonum. 3 mal hiervon war 
dieses vollständig schief gestellt, so daß die eine Uretermündung nach 
vorne, die andere nach hinten lag. In einem Fall, Nr. 13, lag das 
Trigonum ebenfalls schief, war jedoch zu gleicher Zeit nach unten ge- 
sunken; trotz der kurzen Zeit nach der Operation, nach 8 Monaten, war 
hier schon wieder ein Descensus des Blasenbodens eingetreten. Wohl 
hochgezogen, aber nicht vorgebuckelt war in einem Fall (11) der Blasen- 
fundus, wo der Uterus zwar anteflektiert, doch retrovertiert lag, die 
vordere Scheidenwand wurde von dem nach hinten gekippten, aber an 
ihr fest fixierten Uterus energisch in die Höhe gehoben. Es bestand 
also eine sogenannte Retroversio cum Anteflexione. 2 mal war Recidiv 
mit Retroflexio und Retroversio eingetreten, hier hatte sich natürlich 
auch der Blasenboden gesenkt. Besonders interessiert uns in dieser 
Gruppe das Ergebnis, daß 6 mal erhebliche, 5 mal leichtere entzündliche 
Erscheinungen und 2 mal Symptome alter Entzündungen zu finden 
waren. Es zeigte sich also keine einzige Blase ganz frei von Ent- 
zündungserscheinungen, welche auch in den Urinbefunden ihren Aus- 
druck finden. Dem entspricht, daß 11(!) Patientinnen Klagen betreffs 
der Blase vorbrachten und es wird hierdurch die von Fritsch und 
Bumm ant dem Würzburger Gymäkologenkongreß 1903 aufgestellte 
Behauptung, daß fast alle Vaginofixierten über jahrelange Blasenbe- 
schwerden klagten, vollauf bestätigt. Ebenso äußert sich Stoeckel?). 
Die Urinbeschwerden bestanden vom Operationstag ab; 12 Eauenunnen 
mußten 3—14 Tage katheterisiert werden. 

Wie läßt sich nun eine so eklatante Blasenalteration erklären? 
Durch die Blasenverzerrung, welche der sich in den Blasenboden 
bohrende Fundus uteri hervorruft, muß eine erhebliche Störung des 
normalen Entleerungsvorgangs bewirkt werden. Der Urin wird lange 
zurückgehalten, nur mit Mühe und nur unvollkommen entleert und die 
über Gebühr in Anspruch genommene Blasenwand begünstigt nur zu 
sehr eventuell eintretende Zersetzungsvorgänge. Denkbar wäre, daß die 
Funktionsstörung sich selbst auf die Ureteren fortsetzte, besonders bei 
schief verzogenem Trigonum und in einem Fall (Nr. 5) ist auch einige 
Zeit nach der Operation eine Pyelitis aufgetreten, die vielleicht diese 
Erklärung finden kann. Weiteren Abbruch tut dieser Methode der 
Umstand, daß selbst unter den Fällen mit gut anteflektiertem Uterus 
ein Cystocelenrezidiv zu verzeichnen ist. (Fall 13.) 


1) Die Cystoskopie des Gynäkologen, S. 302, und Veits Handbuch, 2. Auflage, 
Bd. 2, S. 438. 


90 Dr. H. Sieber. 


Eine noch erheblichere Verlagerung erfährt die Blase bei der dritten 
Gruppe, der Schautaschen Prolapsoperatiion.e Hier wird bekanntlich 
der Uterus extraperitoneal gelagert und in das Septum vesicovaginale 
eingenäht. Er nimmt gewissermaßen den ganzen Blasenboden auf den 
Rücken und hindert ihn am Vorfall. Dementsprechend finden wir 
cystoskopisch die ganze Blase sehr stark hochgehoben und besonders 
das 'Trigonum springt stark vor. Das ist aber nicht alles. Jedesmal, 
mit Ausnahme des einen vor längerer Zeit operierten Falles (Nr. 17). 
zeigten sich rechts und links vom Trigonum Recessus von verschiedener 
Gestalt. Liegt der Uterus nicht genau median, so erscheint der ent- 
gegengesetzte Recessus geräumiger und flacher, der gleichseitige schmäler 
und tiefer mit spitzer abgeknickten Winkeln. Man könnte nun annehmen. 
daß diese Erscheinung der seitlichen Recessus dadurch bedingt würde, 
daß der Uterus für die Blase als Unterlage zu schmal ist und ihre 
Seitenteile über seine Kanten herunterhängen. Den ist jedoch nicht 
so. Wie sich schon nach der oft sehr scharfwinkligen Blasenabknickung 
vermuten läßt, sind diese Blasenteile nicht heruntergesunken, sondern 
werden heruntergezogen. Es ist aber nicht ohne weiteres klar, wo- 
durch dieser Zug an den seitlichen Funduspartien ausgeübt wird. 
Dührssen!) meint, daß hier Aussackungen der Harnblase infolge der 
Verbindung der Blasenzipfel mit den breiten Mutterbändern bestehen 
blieben, wenn diese Verbindung operativ nicht getrennt würde. An 
verschiedenen, von Herrn Geheimrat Gasser mir mit größter Liebens- 
würdigkeit zur Verfügung gestellten Präparaten konnte ich mich von 
dem Vorhandensein irgendwelcher festerer Verbindungen der sogenannten 
Blasenzipfel mit den Ligamentis latis nicht überzeugen, und auch Herr 
Geheimrat Gasser teilt diese Ansicht. Wohl soll zugegeben werden, 
daß von den Seiten des Blasenbodens zu den Uterusseitenkanten Muskel- 
bündel ziehen, wie sie Ziegenspeck?) beschreibt. Aber einmal werden 
diese durch die veränderte gegenseitige Lage nicht angespannt, da ja 
die Uteruskanten noch näher zum Blasenboden gebracht werden, und 
dann sind sie nicht von einer solchen Stärke, daß sie einem länger- 
dauernden Zuge, den nun die Blase nach oben zu ausüben müßte, 
standhalten würden. Hingegen bilden, wie man sich stets überzeugen 
kann, die bedeutendste Fixation der Blase gegen die Parametrien zu die 
Ureteren mit ihren bindegewebigen Hüllen. Die Harnleiter werden, da 
sie ja die Basis der Ligamenta lata durchsetzen, bei der besprochenen 
operativen Verlagerung des Uterus durch die Verziehung der Ligamente 
stark nach unten gezogen und treten erst wieder von unten her in 
die Blase ein. Sondiert man einen solchen Ureter von der Blase aus, 
so gleitet, wie ich mich selbst durch eine an der Leiche vorgenommene 
Schautasche Operation überzeugen konnte, die Sonde zuerst beinahe 
senkrecht nach unten außen, um dann in scharfem Bogen wieder nach 
!) Gynäk. Rundschau 1907, Nr. 11. 
TI Archiv für Gynäkologie, Rd. 31. 





Über den Blasensitus nach Cystocelenoperationen. 91 


oben umzukehren. Es wird durch diese neuen topographischen Ver- 
hältnisse dem Ureter ein größerer Weg als vorher zur Blase auf- 
gezwungen und so ist es nicht anders möglich, als daß er einen Zug 
auf.seine Anheftungsstelle an der Blase ausübt. Wie an dem Präparat 
zu sehen war, steigt der Ureter in derselben Richtung, welche der 
Recessus einnimmt, in die Tiefe und durchsetzt die Blasenwand in 
den Partien, welche dem Boden des Recessus entsprechen. Cystoskopisch 
ist dieses Verhalten besonders deutlich an den Fällen zu sehen, wo 
schon selbst die Uretermündungen in den Recessus liegen und beinahe 
verschwinden (Fall 21), oder wo sie hinter dem im übrigen stark hoch- 
gehobenen Trigonum liegen und mit ihrem Lumen vollständig nach 
hinten sehen (Fall 19). Es nützt also auch eine weit hinaufreichende 
Ablösung der Blase nichts gegen das Auftreten dieser Recessus. Sie 
schaden aber auch nichts, denn die Patientinnen haben keinerlei Be- 
schwerden davon, und sie verschwinden, wie wir in einem Fall (Nr. 24) 
selbst konstatieren konnten, mit der Zeit (hier schon nach 2!/, Monaten) 
von selbst. Auch Fall 17, der einzige, dessen Operation längere Zeit 
zurückliegt, weist, wie schon oben bemerkt, keine Recessus mehr auf. 
Erwähnt muß werden, daß bei beiden Untersuchungen von Fall 24 die- 
selbe Flüssigkeitsmenge zur Füllung benutzt wurde. Es findet hier 
offenbar eine allmähliche „Eigenretraktion“ der Blase statt, was Dührssen 
(l. c.) nur bei seiner Methode des breiten Ablösens für möglich hält. 
Diese Retraktion überwindet schließlich den Zug der Ureteren, welche 
sich dehnen und ihrer neuen Lage anpassen. Bei keinem einzigen Fall 
haben wir Entzündungserscheinungen der Blase beobachtet, obgleich in 
6 Fällen (= 60°,,) bis zu 7 Tagen nach der Operation katheterisiert 
werden mußte. Allerdings konnten von den Patientinnen mit Vagino- 
fixur 92%, bis zu 14 Tagen nach der Operation nicht spontan Urin 
‚lassen. Bei der Schautaschen Operation kamen später weder Klagen 
über die Blase noch über das Genitale vor. Was die Leistungsfähig- 
keit dieser Methode betrifft, so glauben wir sie sehr hoch anschlagen 
zu dürfen. Allerdings liegen fast alle unsere Fälle noch nicht weit 
zurück, jedoch ist bei keinem einzigen auch nur die Andeutung eines 
Rezidivs zu konstatieren. Der Uterus zieht in seinem Bestreben, sich 
in die Höhe zu richten, die vordere Scheidenwand empor und hebt zu- 
gleich den Blasenfundus. Endlich wirkt die so verlagerte Gebärmutter 
auch noch als Pelotte und verstärkt das offenbar funktionsuntüchtige 
Diaphragma urogenitale. Wir glauben also die Schautasche Operation 
nach jeder Richtung hin aufs wärmste empfehlen und sie in Fällen, wo 
Konzeption nicht in Betracht kommt, an die Spitze der Vorfalloperationen 
stellen zu dürfen. 

Es erübrigt noch wenige Worte über 4 Fälle von Totalexstirpation 
mit vorderer Kolporrhapbie. Leider kann hier wenig Günstiges berichtet 
werden. 3 mal waren Entzündungserscheinungen der Blase vorhanden — 
bei keiner Patientin wurde katheterisiert oder Dauerkatheter gelegt —, 
2 mal war der Blasenboden und mit ihm die vordere Vaginalwand stark 




















92 Dr. H. Sieber. 
— — i 
Name Krankhei i Tag der Juli 1908 
Na; Alter pa Operation Operation Touchierbefund 
1.| Fr. L | Prolapsus vaginalis Kolporrhaphia 18. 8. Uterus anteflek- 
48 J duplex. duplex. 04. tiert, etwas recht: 
Cystocele. eis liegend. Noces Ve- 
perateur: ı ginalwand descen- 
Prof. Opitz. dert, Damm hoch u 
| fest. 
2.| Fr. V. | Prolapsus vaginalis Kolporrhaphia 3. 12. | Uterus anteflektiert. 
7J. ei duplex. 07. EE an 
tocele. Dammplastik. escendiert. amm 
| Operateur: von guter Festigkeit. | 
Prof. Stoeckel. 
3.| Frl. B. | Prolapsus vaginalis Kolporrhaphia 12. 3. Uterus anteflek- 
27 J. duplex. duplex. 08. tiert. Andeutung 
Cystocele. Dammplastik. von vorderem Vagi- 
Operateur naldescensus. Damm | 
Prof. Stoeckel. | sehr fest. 
| | 
4.| Fr. S. | Prolapsus vaginalis | Breite Vaginofixur. | 1.3. | Vagina eng. Damm 
62 J. | duplex. Kolporrhaphia 04. fest u. hoch. Uterus 
Cystocele. 5 E mn uch, nn 
ammplastik. er vorderen Vaginal- | 
Operateur: wand antevertiertauf. ' 
Prof. Opitz. 
5.| Fr. V. | Prolapsus vaginalis | Vaginofixura uteri. | 22. 7. | Uterus entsprechend 
28 J. duplex. Kolporrhaphia 04. dem IV. Graviditäts- 
Cystocele. duplex. monat vergrößert, 
N uteri eege SS rechts ante- 
mobilis. perateur: flektiert, fixiert. Kein 
| Prof. Opitz. | Vaginaldescensus, 
| | 
6.; Fr. H. | Prolapsus vaginalis auei uteri| 12. 7. | Prolaps der vorderen 
44 J. duplex. an den Ansätzen der 04. Vaginalwand. Uterus 
| Cystocele. Ligg. rotunda. liegt links, retro- 
Retroversio uteri Kolporrhaphia flektiert. 
mobilis. duplex. | Damm hoch u. fest. 
Dammplastik. | 
Operateur : i 
Prof. Opitz. | 
7.| Fr. A. | Prolapsus vaginalis | Vaginofixura uteri. 3.1. | Uterus anteflektiert, 
30 J. duplex. Kolporrhaphia 06. vaginofixier. Kein 
Cystocele. duplex. | Descensus der Vagi- 
Retroflexio uteri Dammplastik. | nalwände. 
mobilis. Operateur: 
Prof. Opitz. 
8| Fr. \. | Prolapsus vaginalis | Vaginofixura uteri. | 30. 4. | Uterus anteflektiert, 
28 J duplex. Kolporrhaphia 07. vaginofixiert, links 
Cystocele. duplex. | liegend. Vordere 
Retroflexio uteri Dammplastik. Vaginalwand hoch- 
mobilis. rateur: gezogen. 
Prof. Opitz. | 


zität: 400 ccm. 








Über den Blasensitus nach Cystocelenoperationen. 93 
Juli 1908 Katheterisierter 
Cystoskopischer Befund Urin Beschwerden Bemerkungen 
Trigonum verschwindet zum Teil | Sauer, getrübt, ent- | Häufiger Urin- Hat vor der 
hinter dem Sphincter. Tiefer hält sehr viel Epi- drang, auch Operation Para- 
Recessus des Blasenbodens. In- | thelien u. reichliche nachts. metritis durch- 
jektion der Blase. Kapazität: Leukocyten. Nachträufeln. gemacht. 
450 ccm. | Mehrmaliger Ab- 
gang in einzelnen 
Partien. 
Die Blase zeigt keine Besonder- | Sauer, klar, ohne Keine. — 
heiten, insonderheit keine Aus- | Besonderheiten. 
buchtungen. Kapazität: 250ccm. 
azität: 200 ccm. Der größte | Sauer, trübe, Eiweiß-| Schmerzen im — 
Teil des Trigonums liegt hinter | trübung, sehr viel| Leib beim Urin- 
dem Sphincter verborgen. Der un u. Epi- lassen. 
hintere Teil des Fundus ist in elien. 
der Mitte vorgebuckelt. Rechts 
davon findet sich ein tiefer 
Recessus nach unten. 
Trigonum springt sehr stark vor, | Neutral, getrübt, Brennen nach Pat. mußte 
ist deutlich injiziert. Schleim- |sehrreichlich Leuko- | dem Urinlassen. | mehrere Tage 
belag. Ureteröffnungen sehen | cyten und Schleim. p. op. katheteri- 
ganz nach vorne, so daß sie bei siert werden. 
gewöhnlicher Cystoskophaltung 
nicht gesehen werden können. | 
Hinter dem Trigonum starke 
Fältelung des Fundus. Kapa- 
zität: 200 ccm. 
Sphincterödem. Injizierte Blase. | Leicht sauer, trübe, | Druck auf die Mußte 9 Tage 
Fundus hochgehoben. Trigonum | reichlich Leuko- | Blase und Urin- | lang p. op. kathe- 
sieht mit seiner Fläche nach |cyten und Schleim, drang, auch terisiert werden. 
links, der rechte Ureter steht| viele Epithelien. nachts des 2 Monate p. op. 
viel höher als der linke. Kapa- Öfteren. Am Pyelitis. 
zität: 200 ccm. meisten Schmer- | Zurzeit Graviditas 
zen beim Beginn mens IV. 
des Urinlassens. 
Blasenboden mit Trigonum ge- | Sauer, trübe, ziem- | Häufiger Urin- | Mußte 5 Tage 
sunken. Beiderseits, besonders | lich viele Leuko- drang, auch p. op. katheteri- 
rechts erheblicher Recessus nach | cyten u. Epithelien. | nachts öfteres siert werden. 
unten. Injektion der Blase. Aufstehen. Muß 
Kapazität: 300 ccm. stark pressen. 
Brennen beim 
Urinlassen. 
Blase hochgehoben, Fundus vor- | Neutral, trübe, ziem- | Schmerzen nach | Mußte 14 Tage 
ebuckelt. Sphincterödem. Ziem- | lich reichliche Leu- |dem Urinlassen. | p. op. katheteri- 
ich starke Gefäßinjektion und |kocyten, viele Epi-| Öfters Harn- siert werden. 
graue Verfärbung der Schleim- thelien. drang. 
haut. Kapazität: 450 ccm. 
Fundus stark vorgebuckelt. Tri- | Sauer, getrübt, mäßig Keine. Mußte 7 Tage 
Kun injiziert. Rechts großer, | viel Leukocyten und p. op. katheteri- 
inks kleiner Recessus. Kapa- Epithelien. siert werden. 


94 Dr. H. Sieber. 





m nn E 


Juli 1908 
Touchierbefund 


9.| Fr. V. | Prolapsus vaginalis | Vaginofixura uteri| 22. 9. Uterus anteflek- 


| Krankheit Operation a 








34 J. anterior. am Ansatz der Ligg. 06. tiert, vaginofixier 
Cystocele. rotunda. Descensus der Vor- 
Retroflexio uteri Kolporrhaphia derwand der Vagin 
mobilis. anterior. Damm hoch und vë 
Ruptura perineï Dammplastik. guter Festigkeit. 
inveterata. Operateur: 
Prof. Opitz. 
10.| Fr. St. | Prolapsus vaginalis | Vaginofixura uteri| 24. 10. | Uterus anteflek- 
48 J. | duplex. neben der Ansatz- 06. tiert, inofixier. 
Cystocele. stelle der Ligg. Descensus beider Vs- 
Retroflexio uteri rotunda. ginalwände. Damr 
mobilis. Kolporrhaphia fest. | 
duplex. | 
Dammplastik. | 
Operateur: | 
Prof. Opitz. 
11.| Fr. B. | Prolapsus vaginalis | Vaginofixura uteri. | 27. 10. | Uterus anteflektiert. 
26 J. | duplex. Kolporrhaphia 06. retrovertiert. 
| Cystocele. | duplex. Vordere Vaginalwani 
ı Retroflexio uteri Dammplastik. stark hochgezogen. 
| mobilis. Operateur: Scheidenwände und 
Dr. Rieländer. Damm von guter 
Festigkeit. 
12.| Fr. H. | Prolapsus vaginalis | Vaginofixura uteri. | 24. 2. | Uterus anteflektiert. 
45 J. duplex. Kolporrhaphia 05. vaginofixiert, etwas 
Cystocele. duplex. nach rechts liegend. 
Retroflexio uteri Dammplastik. Vaginalwände und 
Prof. Opitz. der Festigkeit. 


mobilis. Operateur: Damm von genügen- 
| 
| | 


13.| Fr. F. | Prolapsus vaginalis | Vaginofixura uteri. | 11. 3. | Uterus anteflek- 








55 J. duplex. Kolporrhaphia 07. tiert, vaginofixiert. 
Cystocele. | duplex. Vordere Vaginalwand 
Retroflexio outen ` ` Dammplastik. descendiertt. Damm 

mobilis. Operateur: fest und hoch. 


Prof. Opitz. 


| 
| ! 
| | 
14.| Fr. F. | Prolapsus vaginalis | Vaginofixura uteri. | 30. 11. | Uterus liegt ante- 
49 J. | duplex. Kolporrhaphia Ä 07. flektiertu.rechts. 
Cystocele. duplex. | vaginofixiert. Leich- 
| Retrotlexio uteri Dammplastik. | ter Descensus der vor- 
mobilis. Operateur: | deren Vaginalwand. 
Prof. Stoeckel. ı Damm sehr fest und 
| hoch. 
15.| Fr. W. | Prolapsus vaginalis | Vaginofixura uteri. | 6. 4. Uterus dextroante- 
34 J. duplex. Kolporrhaphia | 08. flektiert, vaginofi- 
Cystocele. duplex. xiert. Vordere Vagi- 
Retroflexio uteri Dammplastik. nalwand descendiert. 
mobilis. Operateur: Damm von genügen- 
Prof. Stoeckel. der Höhe und Festig- 


keit. 





Juli 1908 


Über den Blasensitus nach Cystocelenoperationen. 95 
ne Beschwerden | Bemerkungen 


Cystoskopischer Befund | 





Kapazität: 300 ccm. Trigonum 
mäßig gerötet, verschwindet z. T. 
hinter dem Sphincter. Fundus 
in seiner vorderen Hälfte stark 
aochgehoben, in seiner hinteren 
erheblich nach unten ausgebuch- 
tet. Der ganze Blasenboden zeigt 

verwaschene Gefäßzeichnung. 


Das stark injizierte Trigonum 
verbirgt sich teilweise hinter 
dem Sphincter. Die Mitte des 
Fundus ist bedeutend eleviert, 
während beide Seiten erheblich 
gesunken sind. Injektion der 
Blase. Kapazität: 350 ccm. 





DeutlichesSphincterödem. Liga- 
mentum interuretericum auffal- 
lend stark vorspringend. Links 
im Fundus findet sich ein 
Recessus. Stark ausgebildete | 
Venen im Fundus und an der 
Hinterwand. Injektion des Bla- 
senhalses. Kapazität: 250 ccm. 


Kapazität: 200 ccm. Stark vor- 
gebuckeltes Trigonum, rechts 
mehr wie links. Rechter Ureter 
ganz vorne. linker ganz hinten. 
Ligamentum interuretericum 
eine fast ganz von vorne nach 
hinten verlaufende Linie. Aus- 
gesprochene Leukoplakia vesicae 
mit Epithelverdickung. Sehr 
starker Symphysenhöcker. 


Das Trigonum wird bei normaler 
Cystoskophaltung beinahe voll- 
ständig vom Sphincter verdeckt. 
Fundus stark gewulstet und 
hochgehoben. Sphincterödem. 
Kapazität: 250 ccm. 
Blasenboden deutlich gesunken. 
Trigonum liegt schief, sieht mit 
der Fläche nach links. Injektion 
der Blase. Kapazität: 200 cem. 


Trigonum vorgewölbt, steht ganz 
schief, sieht mit der Front nach 
links. Rechter Ureter steht 
hoch, der linke tief. Ersterer 
liegt in einer scharfen Falte 
versteckt, welche auch durch 
den Sphincterrand verläuft. In- 
jektion. Kapazität: 250 ccm. 








Sauer, leichte Trü- 

bung, sehr viel Epi- 

thelien, mäßig viel 
Leukocyten. 


Pat. muß beim | Mußte 3 Tage 
Urinlassen sehr |p. op. katheteri- 
stark pressen, siert werden. 
manchmal auch 
Schmerzen dabei. 


Sauer, deutlich ge- | Sehr oft recht | Mußte 6 Tage 
trübt, enthält mäßig | lästiger Urin- |p. op. katheteri- 
viel Epithelien und drang. siert werden. 
eine Menge Leuko- 

cyten. 


Mußte 1 Woche 


Sauer, leichte Trü- | Fortwährender 
bung, enthält viel} Druck auf der |p. op. katheteri- 
Schleim und Epi- Blase. siert werden. 

thelien. Muß nachts öfters 

aufstehen zum 
Harnlassen. 

Sauer, trübe, viel|Oft sehr lästiger| Mußte 6 Tage 
Epithel und Leuko- Urindrang. p. op. katheteri- 

cyten. siert werden. 

| 

Sauer, mäßig trübe, | Keine. — 


ziemlich viel Leuko- 
cyten u. Epithelien. | 


Neutral, trübe, er- | Muß stark pressen | Mußte mehrere 


hebliche Menge Leu- | beim Urinlassen. age p. op. 
kocyten und Fpi- | ÖftersHarndrang. | katheterisiert 
thelien. werden. 
Sauer, leicht getrübt. | Schmerzhafter | Mußte 2 Tage 
Mäßig viel Leuko- | Druck beim Urin- | p. op. katheteri- 
cyten, sehr viel lassen. siert werden. 


Epithelien. 











96 Dr. H. Sieber. 
Name u . Tag der Juli 1908 
ES Alter Krankheit SES Operation | Touchierbefuni 
16.) Fr. M. | Prolapsus vaginalis | Vaginofixura uteri. | 14. 5. | Uterus retrovertir 
49 J duplex. Kolporrhaphia 08. Portio elongier:. 
| Cystocele. duplex. Descensus der vr 
Retroversio uteri Dammplastik. deren Vaginalwari 
mobilis. Öperateur: 
Prof. Stoeckel. 
17.| Fr. H. | Prolapsus vaginalis Schautasche 28. 2. | Uterus atrophisch. śe 
| 62 J. duplex. Prolapsoperation. 06. vorderen V aginalwir. 
Cystocele. Kolpoperineoplastik. aufliegend. 
| Retroflexio uteri  _Operateur: 
| mobilis. Prof. Opitz. 
18. | Fr. G. | Prolapsus vaginalis Schautasche 17. 2. Uterus liegt der 
50 J. duplex. Prolapsoperation. 08. Vagina antevertier 
Cystocele. Kolpoperineoplastik. auf, Damm von gu: 
Retroflexio uteri Operateur: Festigkeit. 
mobilis. Prof. Stoeckel. 
19.| Fr. H. | Prolapsus vaginalis Schautassch | 6.5. |Uterus in Antever: 
45 J. duplex. Prolapsoperation. 08. der Vagina anliegen: 
Cystocele. Kolpoperineoplastik. Scheidenwände wz: 
Retroflexio uteri Operateur: Damm fest. 
mobilis. Prof. Stoeckel. | 
20. Fr. M. | Prolapsus uteri et | Schautasche 15. 5 Der anteveriiert- 
40 J. | vaginae. ! Prolapsoperation. 08. Uterus ist an die vor 
| Cystocele. | Kolpoperineoplastik. dere Scheidenwani 
| | Operateur: fixiert. Damm sel! 
| Prof. Stoeckel. hoch und fest. 
E Fr. D. | Prolapsus vaginalis Schautasche 19. 5. | Uterus antevertier. 
61 J. duplex. Prolapsoperation. 08. | antefixiert. 
Cystocele. Kolpoperineoplastik. | Hoher, fester Damm | 
Operateur : | 
| Prof. Stoeckel. | 
| | | 
| ! 
| 
| | 
| | 
22.: Fr. W. | Prolapsus vaginalis Schautasche 21. 5. | Uterus antevertiert!. 
36 J. duplex. Prolapsoperation. 08. 'andie Vagina fixier‘ 
| Cystocele. Kolpoperineoplastik. etwas links liegent 
Retroflexio uteri Operateur : Damm fest und hoc! 
mobilis. Prof. Stoeckel. 
| 
23. Fr. G. | Prolapsus vaginalis Schautasche 25. 5. ! Uterus liegt recht 
| 55d duplex. Prolapsoperation. 08. und in Anteversio 3" 
| Cystocele. Kolpoperineoplastik. die vordere Vaginal- 
| Retroversio uteri Operateur: wand fixiert. 
| mobilis. Prof. Stoeckel. | Damm sehr fest un 
| hoch. 
| 














Über den Blasensitus nach Cystocelenuperationen. 97 









Juli 1908 Katheterisierter 


Cystoskopischer Befund Urin Beschwerden 


Bemerkungen 


Sauer, schwache | Muß stets drücken | Mehrere Tage 
Trübung. Reichliche | beim Wasser- |p. op. katheteri- 


rigonum und Blasenboden deut- 
ch gesunken, viel Falten im 


‘andus. Injektion der Blase. Leukocyten. lassen. siert. 
Kapazität: 280 ccm. 

Erigonum und Fundus gehoben. | Sauer, annähernd Keine. Mußte 4 Tage 
3eringe Balkenblase mit leichter | klar, etwas Schleim p. op. katheteri- 
Injektion. Kein Recessus. enthaltend. siert werden. 

Kapazität: 200 ccm. 
Trigonum stark hochgelioben. | Sauer, leicht getrübt, Keine. — 


In beiden &eiten bedeutende 
Recessus, besonders rechts. 
Leichte Injektion des Blasen- 
halses. Kapazität: 500 cem. 


Blase sehr stark hochgehoben; 
Trigonum deutlich vorgewölbt. 
Zu seinen beiden Seiten, bes. 
rechts, starke schmale Recessus. 
Ureteren sehen nach hinten. 
Kapazität: 300 ccm. 


Stark elevierte Blase. Wand- | Sauer, klar, ohne Keine. — 
ödem in den an den Sphincter Beimischung. 
grenzenden Partien. Keine Ent- 
zündungserscheinungen. Erheb- 
lich vorspringendes Trigonum 
mit beiderseitigem Recessus. 
Kapazität: 350 ccm. 


Blase bedeutend nach oben ver- | Sauer, klar, wenig Keine. Mußte 7 Tage 
lagert. Trigonum stark vorge- | Epithelien, spärliche p. op. katheteri- 
wölbt. Rechts besteht kleinerer, Leukocyten. siert werden. 

linksgrößerer Recessus, in denen 

die beiden Seiten des Trigonums 

verschwinden. Rechts ist der 

Blasenboden in scharfer Falte 

umgebogen, in welcher die Ure- 

termündung verborgen lie 

Auch der linke Ureter sieht 

ganz seitlich nach außen. Fäl- 

telung des Fundus. Keine Ent- 

zündung. Kapazität: 300 ccm. 


Blase in toto nach oben und |Sauer, leichte Trü- Keine. Mußte 1 Tag 
rechtsgehoben. Trigonum vor- | bung, mäßig viel p. op. katheteri- 
gewölbt und etwas nach rechts | Schleim enthaltend. siert werden. 
reht. Beiderseits Recessus. 
Leichtes Sphincterödem. 
Kapazität: 280 ccm. 


Blase stark hochgehoben, liegt | Sauer, klar, ohne Keine. Mußte 4 Tage 
in toto mehr links. Rechts klei- Beimengung. p. op. katheteri- 
nerer, links größerer Recessus. siert werden. 
Blasenwand normal. Kapazität: 

300 ccm. 


mäßig viel Leuko- 
cyten u. Epithelien. 


Sauer, unmerklich Keine. Mußte 3 Tage 
getrübt, mäßige p. op. katheteri- 
Mengen Leukocyten siert werden. 
und Epithel. 


Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 


~] 


98 


Dr. H. Sieber. 





Name | Ge | 
Nr. Alter | Krankheit | 





26. | 


27.| 


28. 








Prolapsus vaginalis 
duplex. 
Cystocele. 
Retroversio uteri 
mobilis. 


Fr. G. 
58 J. 


Prolapsus vaginalis 
duplex. 
Cystocele. 
Retroflexio uteri 
mobilis. 


Frl. D. 
46 J. 


Prolapsus vaginalis 
duplex. 
Cystocele. 
Retroflexio uteri 
mobilis. 


Fr. S. 
33 J. 





Prolapsus vaginalis 
duplex. | 
Cystocele. 
Retroflexio uteri 
mobilis. 


Fr. D. 
53 J. 


| 





Prolapsus vaginalis 
duplex. 
Cystocele. 
Retroflexio uteri 
mobilis. 


| 
| 
Prolapsus uterı et 
66 J. vaginae. 
Cystocele. 


Prolapsus uteri et 
vaginae. 
Cystocele. 


Fr. S. 


Schautasche 


Prolapsoperation. 
Kolpoperineoplastik. 


Operateur: 


Prof. Stoeckel. 


Schautasche 


Prolapsoperation. 
Kolpoperineoplastik. 


Operateur: 


Prof. Stoeckel. 


Schautasche 


Prolapsoperation. 
Kolpoperineoplastik. | 


Operateur: 


Prof. Stoeckel. 


Exstirpatio uteri 
totalis. 
Kolporrhaphia 
duplex. 
Dammplastik. 
Operateur: 
Prof. Stoeckel. 


Exstirpatio uteri 
totalis. 
Kolporrhaphia 
duplex. 
Dammplastik. 
Operateur: 
Prof. Stoeckel. 


Exstirpatio uteri 
totalis. 
Kulporrhaphia 
duplex. 
Dammplastik. 
Operateur: 


Prof. Stoeckel. 


Exstirpatio uteri 
totalis. 
Kolporrhaphia 
duplex. 
Dammplastik. 
Operateur: 
Prof. Stoeckel. 











17. 6. 


Juli 1908 


i Tag der | 
Operation peration Touchierbefund 





Uterus lie mehr 
08. 
zieht die fixierte 
vordere Vaginalwanid 
stark nach oben. 


Hoher, fester Damn. 


2. 7. | Uterus liegt mehr 

08. nach links zu, ist 

antevertiert, an die 
Vagina fixiert. 

Damm von guter Fe- 
stigkeit, hoch. 


| 
| 
11. 7. | Uterus etwas links 
08. von der Medianlinie 
der vorderen Vaginal- 
wand aufliegend. 


Damm hoch u. sehr 
fest. 


14. 5. | Vordere Vaginalwand 
08. descendiert. Damm 
genügend hoch und 





08. ; wände von genügen- 
der Festigkeit. 


fest. 
| 
| 
22. 5. | Vordere Vaginalwand 
08. | prolabiert. Damm 
hoch und fest. 
27.5. Vaginalwände und 
08. Damm fest. 
| 
14. 7 | Damm und Vaginal- 


| 


i 
l 


links, ziemlich stell, | 





| 


ne 








Über den Blasensitus nach Cystocelenoperationen. 99 
u Juli 1908 Katheterisierter 
Cys toskopischer Be fund Urin Beschwerden Bemerkungen 












Trigonum stark hochgehoben, 
sieht etwas nach rechts. Ureter- 
wülste springen extrem vor. 
Gleich neben ihnen findet sich 
links ein scharfwinkliger enger, 
rechts ein weitausgebuchteter 
Recessus. Über das Trigonum 
und den Fundus verlaufen viele 
grobwulstige Falten. Kapazität: 
250 ccm. 


Stark hochgehobenes, etwas nach 
rechts sehendes Trigonum. 
Rechte Kante des Trigonums 
mit dem Ureter, der ganz nach 
außen sieht, in einen großen 
Recessus einbezogen. Links 
kleinerer Recessus. Kapazität: 

cem. 


Fundus und Trigonum stark 
eleviert, letzteres etwas nach 
rechts gedreht. Rechts großer, 
links kleinerer Recessus. 
Kapazität: 150 ccm. 


Sauer, klar, ohne 
Besonderheiten. 


Sauer, leicht getrübt, 
mäßig viel Leuko- 
cyten und Schleim. 


Sauer, etwas getrübt, 
Leukocyten u. Epi- 
thelien ziemlich 
zahlreich. 


Ganze Blase injiziert. Trigonum 

und Fundus deutlich gesunken. 

Leichte Balkenblase. Kapazität: 
400 ccm. 


Sauer, getrübt, viel 
Leukocyten u. Epi- 
thelien. 


Blase und besonders Trigonum 
stark injiziert. Ganzer Blasen- 
boden erheblich gesunken. 

Kapazität: 320 ccm. | 


Sauer, deutliche 
Trübung, sehr viel 
Leukocyten, viel 
Epithelien. 


Blasenboden gewulstet, injiziert. | Sauer, leicht getrübt, 
Kein Recessus. mäßig viel Leuko- 
Kapazität: 300 ccm. cyten u. Epithelien. 


Sauer, etwas trübe, 
ziemlich viel Leuko- 
cyten u. Epithelien. 


Trigonum etwas vorspringend. 
Wandödem. Deutliche Balken- 


blase. Kapazität: 200 ccm. 


Keine. 


Keine. 


Keine. 


Öfters heftiger 
Urindrang. 


Häufiger, starker 
Drang zum Urin- 
lassen und erheb- 
liche Leib- 
schmerzen dabei. 


Keine. 


Druck beim Urin- 
lassen. Öfters 
Drang. 








3. 9. 08. 
Cystoskopie: 
Es finden sich 
keine Recessus u. 
keine Falten 
mehr. Die Blase 
ist in toto hoch- 
gehoben. Kapa- 
zität: 250 ccm. 


Mußte 1 Tag 
p. op. katheteri- 
siert werden. 


»eooo* 
(RAA A 


t e 
20o 
` e 


, SZ a 


7* 


100 Dr. H. Sieber. Über den Blasensitus nach Cystocelenoperationen. 


gesunken und 2 mal war Balkenblase zu konstatieren, welche allerdings 
möglicherweise schon vor der Operation bestanden haben kann. 3 Pa- 
tientinnen hatten Urinbeschwerden. Wenn diese Zahlen auch sehr 
klein sind, so ermutigen die Resultate doch nicht zu dieser Methode, 
die trotzdem in manchen Fällen sich nicht wird umgehen lassen. Aller- 
dings glauben auch wir, daß sie hier in einem allzu ungünstigen Lichte 
erscheint. 


(Aus der Universitätsfrauenklinik in Freiburg i. Br. Direktor: Prof. Krönig.) 


Ein Beitrag zur Lehre der „essentiellen“ Hämaturie. 
Von 
Dr. Devaux, Assistent der Klinik. 


Die meisten Autoren sind wohl heute der Ansicht, daß es eine so- 
genannte essentielle Hämaturie nicht gibt. Mit wenigen Ausnahmen 
zeigten die wegen Blutung exstirpierten Nieren bei genauer Unter- 
suchung anatomische Veränderungen, wenn nicht makroskopischer, so 
doch mikroskopischer Art. Allerdings waren diese Veränderungen in 
manchen Fällen sehr geringer Natur, so daß Casper in diesen Fällen 
nicht geneigt ist, einen Zusammenhang zwischen Blutung und anato- 
mischer Veränderung anzunehmen. Es bestehen in diesen Fällen ge- 
ringe Veränderungen nephritischen Charakters. 

Nun wird die Frage diskutiert, ob es sich in den Fällen einseitiger 
Nierenblutung, wo nach Nephrektomie der blutenden Niere diese Ver- 
änderungen gefunden wurden, um eine einseitige Nephritis handelt, oder 
ob nicht die Erkrankung beiderseitig ist und sich nur zufällig an der 
einen Niere durch die Blutung geäußert hat, während die andere Niere 
in derselben Weise, jedoch symptomlos, erkrankt ist. Der Umstand, daß 
der Urin der nicht blutenden Niere vollkommen normalen Harn liefert, 
ist für die anatomische Intaktheit dieser Niere nicht beweisend, denn 
Nephritis braucht nicht Albuminurie und Zylindrurie zu verursachen. 
Die Entscheidung der Frage ist recht schwierig, denn es gibt nur wenig 
derartige Fälle, wo eine anatomische Untersuchung beider Nieren mög- 
lich wird. 

Ee wird daher von großem Wert sein, solche Fälle einer möglichst 
genauen funktionellen Diagnostik zu unterziehen. Obgleich solche blutende 
Nieren in den blutfreien Perioden oft einen anscheinend normalen Urin 
liefern, ergibt sich bei Anwendung genauerer Untersuchungsmethoden 
eine funktionelle Minderwertigkeit der blutenden Niere, die in manchen 
Fällen recht beträchtlich ist. Kapsammer fand bei 3 Fällen eine ge- 
ringere molekulare Konzentration und eine verspätete Phloridzinzucker- 
ausscheidung im Urin der blutenden Seite. Kotzenberg fand bei 
6 Fällen geringeren prozentualen Harnstoffgehalt auf der blutenden Seite, 
in einem Falle war der Harnstoffgehalt im Urin beider Nieren derselbe. 
Casper fand in seinen Fällen eine geringere molekulare Konzentration 
im Urin der blutenden Seite. Allerdings betont er, daß die Unter- 


' mg SE Teile ne | Sc ii SCH "kommt an Set zu. Zeit ohne Bat 
| ‚nöglich,, da sich. der Katheter. vorstopit; ela Versuch, die Blase durch Spühme zu). 


Ss 


s SE aus. der: ‚Blase ab. 


| ‚Versuchen. d entfernt wird, Ee Ge SE unter ‚starken 3 Seteaisen 


SZ e in 





E me den wir. en yo e s 
mer ads eine ER Dpkomg en inder ; 









BR: en See Dienstenädähen. gie Se E Bein. C G 


% age 1906 ‚wagan ‚Chloruse‘ ja ‚klinischer. Behandlung, ‚Kommt‘ um. 10: 11.08 Kor ée e 
“Klinik Beit. ‚gestern. morgen. starke Bhitirag: heim Ürisieren. Beate kann Fat: pir) ER 


mit großen. Schmerzen Se Hä EE Hatsdmng, SS SSES Zi | 





‚manchmal werden Sch  Bluütserinusel ‚entleert: Katheterismus der Blasi Ans GC CN 


entleeren, viet EC ‚demselben! ‚Gründe aufgegeben, Ais ‚der Katheter nach ES N 














u SON. Blütgorinnsele. Bi in 
IL Fast. klarer SE Ke WAN N kein man. ein. Ss Zeche 








IR 


adung ar en Schmerzen in der. rechten Nierangegemi. Bo er 
} rech nach Albartan. ‚Beide Ureteren katheterisiert, 1: 
ia nn Si ‚Albartaa, E Kontratle: ein ‚Vorweilkuthster In. ‚ser "KA 




















2 bh. daa en, rUn jider. Se T "ett eer getsent alfa 
Sehen ‚den in GC NW Weg i Da 22 ‚com. ve in a ‚Blase gefloss, ` 


L Y 






H 


T m. 


i Ad ZE EE Hi JORE N KR CN Sg AES A7. 
Ke Ee vin hrat Géi H (ie: A ek S Mläe Gë 
d AS Y 


i { d 
AT RR H Leif y“ De Kee pen deu A zen e ` 
A ; € A 


Lé 1 je A > 
fi niert 
Ki Sa Eu en ur A | 
vs ek At | 
e + 4 i a 3 $ . 
e SE aa Be | 
è 4 1 4 d 
Wr f 1 ahead 
(äu? GE 
j . "A it 
i rA 
SE E er 
Í d 


a XS e 


1.2 Hey LE 
Salt $l äi Sr Lä K jà 
po Ki E 
í > «ht 
Am 


E 


EA 
"ERT, 


i 
' Ir 


rn 
SES 


9 ven 
A 


zen) 
Gi 
t 


e ER e e 
(ER 
le 
rien 
LE 
“í 





Nee 


ui e 
d È f wis 
e vi, L d 
Co en — 
> HA Ss e 
¥: SIE 
2y” > F 
EK VI 
GE Ei A 
EANN A 
SJ o "6 
Zar € 
e 


ee E ee 





Ein Beitrag zur Lehre der „essentiellen‘‘ Hämaturie. 103 


Gesamtausscheidung während der Untersuchung: 
Rechte Niere Linke Niere 


Menge 102 77 
"AV 6475 14725 
*3 V 4600 10818 
Harnstoff 81,67 cg 170,10 cg 
Chloride 31.85 cg 78,11 og 


Verlauf der Ausscheidungen: 

17. II. Da aus dem obigen Versuch (Kurve 1) die Funktionstüchtigkeit der 
linken Niere nicht einwandsfrei hervorgeht, wird derselbe wiederholt. Anordnung wie 
oben. In die Blase flossen 20 ccm. Beiderseits klarer Urin. Im Sediment beider 
Nieren außer wenigen Blutkörpern nichts Besonderes. 

Gesamtausscheidung während der Untersuchung: 

Rechte Niere Linke Niere 


Menge 315 396 
AV 7219 16664 
SV 5849 11166 
Harnstoff 111,34 cg 205,09 cg 
Chloride 24,07 cg 78,58 cg 


Verlauf der Ausscheidungen: 

21. II. Da aus dem zweiten Verdünnungsversuch (Kurve 2) die Funktions- 
tüchtigkeit der linken Niere unzweifelhaft hervorgeht und da ein Tumor der rechten 
Niere bei der großen funktionellen Minderwertigkeit derselben nicht ausgeschlossen 
werden kann, wird wegen der starken Blutung und wegen der schweren Anämie der 
Pat. die Nephrektomie ausgeführt. 

Pat. übersteht den Eingriff gut. 3 Wochen nach der Operation ist die Nephrek- 
tomiewunde geschlossen. Im Urin gleich am Tage nach der Operation kein Eiweiß, 
kein pathologisches Sediment. Wird am 16. IlI. entlassen. 

20. V.08. Pat. stellt sich wieder vor. Vollkommenes Wohlbefinden. Urin voll- 
kommen frei. 

Pathologisch-anatomischer Befund (Path. Institut): Die übersandte Niere läßt 
schon makroskopisch zahlreiche, scharf umschriebene, rote Pünktchen an der Ober- 
fläche erkennen. Auf dem Durchschnitt bietet die Niere nichts Besonderes dar. An 
der Nierenbeckenschleimhaut mehrere bis halblinsengroße hämorrhagische Flecken. An 
einer Stelle der Oberfläche eine flache, ungefähr halbpfennigstückgroße Vertiefung. 
Auf dem Durchschnitt hierselbst deutliche Verringerung der Rindensubstanz, aber 
keine sonstigen, etwa an alte Infarktnarben erinnernde Veränderungen. 

Mikroskopisch fällt die Erweiterung der meisten Kanälchen und die Erweiterung 
der Glomeruluskapseln, die sich freilich in mäßigen Grenzen hält, ins Auge. In den 
erweiterten Kanälchen liegen ziemlich reichlich aus hämoglobinartigen Massen auf- 
gebaute Zylinder. An einzelnen Stellen läßt sich der Zusammenfluß dieser Massen 
aus roten Blutkörperchen deutlich feststellen. An den Epithelien der gewundenen 
Kanälchen zum Teil, deutliche Pigmentierung. Hier und da sind die Epithelien, von 
der Abplattung abgesehen, eigentümlich verändert, die Kerne sehr ohrumatinreich, die 
Zellen zum Teil mehrkernig, bucklig vorgewölbt; die ganzen Bilder erinnern an die 
Regenerationsprozesse nach frischer tubulärer Nephritis. Die Glomeruli sind alle sehr 
blutreich, aber ohne besondere Veränderungen; nur an einzelnen finden sich deutliche 
leukozytäre Einlagerungen in die Kapsel. Vereinzelt finden sich auch Leukozyten- 
zylinder im Lumen der Harnkanälchen. 

Diagnose: Es handelt sich um eine in Ausheilung begriffene hämorrhagische 
Nephritis, bei welcher die Epithelien der sezernierenden Kanälchen besonders stark 


A = molekulare Konzentration. 
d = molekulare Konzentration nach Abzug der Chloride. 
V= Volumen. 





Ein Beitrag zur Lehre der „essentiellen Hämaturie. 105 


ergriffen gewesen sein müssen, jetzt aber meist regeneriert oder in Regeneration be- 
griffen sind. Die Glomeruli sind weniger verändert. 

Der Fall entspricht also den zahlreichen in der Literatur beschrie- 
benen Fällen, wo trotz abundanter Blutung die Niere makroskopisch un- 
verändert erschien, während sich mikroskopisch Veränderungen nach- 
weisen ließen. Bemerkenswert ist das Ergebnis des zweimal vorgenommenen 
Verdünnungsversuches. Derselbe beweist, daß die blutende rechte Niere 
relativ funktionsfähig ist — sie reagiert prompt auf Wasserzufuhr, daß 
sie aber gegenüber der linken Niere funktionell bedeutend minderwertig 
ist. Die Ausscheidung von gelösten Substanzen, insbesondere des Harn- 
stoffs, der Chloride und der andern Salze verhält sich in der gleichen 
Zeit rechts zu links ungefähr wie 1:2. Wenn man auch hieraus 
die anatomische Intaktheit der linken Niere nicht mit absoluter Sicher- 
heit folgern kann, so läßt sich doch sagen, daß die Erkrankung haupt- 
sächlich einseitig ist. Falls überhaupt eine Erkrankung der linken Niere 
besteht, so ist sie doch so gering, daß sie mit den uns zur Verfügung 
stehenden Methoden nicht erkannt werden kann. Jedenfalls geht aus 
dem Erfolg der Operation — was auch nach dem Ausgang des Ver- 
dünnungsversuches zu erwarten war — hervor, daß die linke Niere 
vollkommen funktionsfähig und geeignet ist, die gesamte Arbeit beider 
Nieren zu übernehmen. 


Ein cystoskopisches Instrumentarium für den Frauenarzt. 
Von 
Dr. Sigmund Mirabeau, München. 


In dem Maße als sich im Laufe des letzten Jahrzehntes die Urologie 
des Gynäkologen aus der Abhängigkeit von der allgemeinen Urologie, 
die ihrer ganzen Entwicklung nach eine Andrologie war, emanzipiert 
und sich zu einem blühenden Zweig der Gynäkologie ausgewachsen 
hat, ist mehr und mehr das Bedürfnis empfunden worden, auch das 
Instrumentarium der besonderen Anwendungsweise bei der Frau an- 
zupassen. 

Sehr bald schon, nachdem das Nitzesche Cystoskop sich Eingang 
bei den Ärzten verschafft hatte, wurde in dem Brenner-Leiterschen 
Ureterencystoskop ein Instrument geschaffen, das sich in erster Linie 
zur Anwendung bei der Frau eignet und namentlich von der Wiener 
Schule (Kolischer, Wertheim u. a.) den Gynäkologen empfohlen 
wurde. Ich selbst habe von Anfang an mit Vorliebe dieses Instrument 
verwendet und stehe noch heute auf dem Standpunkt, daß es und alle 
nach seinem Prinzip gebauten Cystoskope für den Gynäkologen die 
besten und leistungsfähigsten Instrumente darstellen. 

Gewiß soll nicht geleugnet werden, daß zur Besichtigung der Blase 
allein Instrumente mit prismatischer Optik gewisse Vorzüge besitzen, 
vor allem, weil sie gestatten, die Umgebung des Orific. int. urethr. be- 
quemer zu übersehen, eine Gegend, in der sich auch bei der Frau eine 
Reihe wichtiger Krankheitsprozesse abspielen und kein Arzt, der sich 
eingehender mit den endoskopischen Methoden beschäftigt, wird diesen 
Behelf entbehren wollen. Auf der anderen Seite aber gestattet ein 
Instrument mit geradliniger Optik eine beyuemere Übersicht der hinteren 
Blasenwand und des Blasenbodens, Gegenden, die für den Gynäkologen 
wegen der Beziehungen zu den Genitalorganen von größter Wichtigkeit 
sind. Das wichtigste Gebiet endlich für die Besichtigung der Blase, 
die Umgebung der Ureterenmündungen und das Trigonum, sind für beide 
Systeme gleich bequem zugänglich. 

Was nun den Ureterenkatheterismus bei der Frau anlangt, so ist 
derselbe zweifellos mit dem Brenner-Leiterschen Instrumente leichter 
und sicherer auszuführen und infolgedessen auch zu erlernen, als mit 
irgend einem anderen der zahlreichen Ureterencystoskope, die im Laufe 
der Jahre angegeben worden sind. 


Ein cystoskopisches Instrumentarium für den Frauenarzt. 107 


Was endlich die intravesikalen Operationen anbetrifft, so sind auch 
diese unter Leitung von Instrumenten mit geradliniger Optik wegen der 
leichteren Orientierung in dem aufrechten und ganz der natürlichen 
Topographie entsprechenden Bilde erheblich leichter auszuführen als 
mit prismatischen Instrumenten. Es mag daher auffallend erscheinen, 
daß trotzdem, soweit ich das Gebiet übersehe, die Mehrzahl der Gynä- 
kologen Instrumente mit prismatischer Optik gebraucht, und ich kann 
mir eine Erklärung dieser Tatsache nur aus dem Umstande 
verschaffen, daß die meisten Gynäkologen in Ermangelung | 
anderweitiger Lerngelegenheit bei den Andrologen, besonders 
bei Nitze selbst, bei Casper und deren Schülern in die Lehre 
gegangen sind. Auch der Umstand, daß in der ersten Auf- 
lage des Handbuches für Gynäkologie von Veit das Kapitel 
der Harnkrankheiten von einem Andrologen, Viertel, bear- 
beitet wurde, hat sicherlich in dieser Richtung gewirkt, zumal 
unter diesem Einfluß auch Stoeckel, der ja mit das größte 
Verdienst um die Ausbreitung der cystoskopischen Methoden 
in der Gynäkologie sich erworben hat, in seinem Lehrbuch 
in erster Linie die Nitze-Casperschen Instrumente emp- 
fohlen hat. 

Nun hat ja das Brenner-Leitersche Instrument in 
seiner ursprünglichen Form gewisse Nachteile namentlich 
bezügl. der Optik und der Lichtquelle, und es ist den neueren 
technischen Erfahrungen, die man auf dem Gebiete der Cys- 
toskopkonstruktion gemacht hat, nicht in dem Maße gerecht 
geworden, wie andere Systeme; erst in jüngster Zeit hat 
Leiter selbst und andere das Cystoskop in einer Weise. mo- 
dernisiert, daß es allen billigen Ansprüchen zu genügen ver- 
mag. Während nun von andrologischer Seite die Konstruktion 
der verschiedenen Arten von Cystoskopen immer komplizierter 
und damit schwieriger zu handhaben und kostspieliger wurde, 
habe ich von jeher die Tendenz gehabt, das Instrumentarium 
möglichst einfach zu gestalten, und so hat sich mir nach 
einer Reihe weniger gelungener Versuche das im folgenden 
zu beschreibende Cystoskop als gynäkologisches Universal- 
instrument in jeder Beziehung bewährt. | 

Das Prinzip des von der Firma Reiniger, Gebbert 
& Schall hergestellten Instrumentes ist das des Brenner- 
Leiterschen Ureterencystoskops. Der wesentlichste Unter- 
schied besteht darin, daß der Führungskanal für den Ureterenkatheter 
in Form einer abschiebbaren Rinne vom eigentlichen Cystoskop getrennt 
wurde. Diese einfache technische Maßnahme bietet eine Reihe obne 
weiteres einleuchtender Vorteile. Ohne die Rinne (siehe Figur a) 
stellt das Instrument ein einfaches Besichtigungscystoskop dar, das 
wegen seines kleinen Kalibers auch als Kindercystoskop und zu- 
sammen mit dem von mir angegebenen intravesikalen Instrumen- 





108 Dr. Sigmund Mirabeau. 


tarium ?), auf das ich weiter unten noch zurückkommen werde, als 
Operationscystoskop verwenden läßt. Die Rinne ist so gestaltet, daß sie 
auf den Cystoskopschaft aufgeschoben einen Kanal für zwei feinere oder 
einen stärkeren Ureterenkatheter darstellt (siehe Figur b); an dem dem 
Okular zugewendeten Ende läuft sie in zwei kurze, 
etwas nach auswärts gebogene Röhren aus, die durch 
einfache Metallstöpsel verschlossen werden können. ' 
Will man das Instrument zur Spülung benutzen, so 
werden an Stelle der Metallstöpsel kleine Spülhähne 
aufgesetzt. Am Cystoskop selbst habe ich alle Hähne 
vermieden, da ich die Erfahrung gemacht habe, daß 
dieselben sehr rasch schadhaft werden und dann die 
vorbeistreifenden Katheter lädieren. Das Objektiv- 
ende der Rinne ist möglichst stumpf gehalten, um bei 
der Durchführung des Instrumentes durch die Harn- 
röhre die Schleimhaut nicht zu irritieren. Der Okular- 
trichter des Cystoskops ist möglichst klein gehalten 
und gestattet daher ein fast parelleles Einführen von 
Instrumenten neben dem Cystoskopschaft; auch ist er 
mit einem Gewinde versehen zum Aufsetzen eines 
Demonstrationsdoppelokulars. 

Zur Vornahme intravesikaler Eingriffe eignet sich 
das Instrument ohne die Katheterrinne, wie schon er- 
wähnt, wegen seiner geradlinigen Optik und seines 
kleinen Kalibers ganz besonders gut, und ich möchte 
an dieser Stelle auf die Instrumente verweisen, die 
ich seinerzeit für diese Zwecke angegeben und im 
Jahre 1900 im Zentralbl. f. Gynäkol. empfohlen habe?). 
Auch bei der Angabe dieser Operationsinstrumente 
(siehe Figur c und d) bin ich von dem Grundgedanken 
ausgegangen, daß nicht ohne weiteres die für den 
Gebrauch bei Männern angegebenen komplizierten 
und kostspieligen Operationscystoskope bei der Frau 
zur Verwendung kommen dürfen, sondern daß der 
leichtere Zugang zur weiblichen Blase uns gestattet, 
entsprechend gebaute Instrumente neben dem Cysto- 
skop einzuführen, was eine ganze Reihe sehr wesent- 
licher Vorteile bedingt. Ich möchte diesbezüglich 
lediglich auf meine oben zitierten Ausführungen im Zentralblatt ver- 
weisen und nur erwähnen, daß der Instrumentensatz inzwischen einige 
Bereicherungen erfahren hat, indem zu den damals angegebenen 
Instrumenten noch zwei stärkere Faßzangen und namentlich eine 





1) Siehe Zentralblatt f. Gyn. 1900, Nr. 36., 
2) Diese Instrumente werden hergestellt durch die Firma C. Stiefenhofer, Fabrik 


chirurg. Instrumente, München. 


Ein cystoskopisches Instrumentarium für den Frauenarzt. 109 


kalte Schlinge hinzugekommen sind, welch letztere noch mit ein paar 
Worten erläutert werden sol. Während alle anderen Instrumente 
einen gemeinsamen Handgriff und ein Führungsrohr haben, mußte 
für die Schlinge das Führungsrohr verdoppelt und der Handgriff dem- 
entsprechend mit drei Bohrungen versehen werden. Die Schlinge selbst 
besteht aus zwei Metallstäben, die an einem Ende mit Ösen zur Be- 
festigung des Drahtes versehen sind. Die beiden Stäbe laufen in dem 
doppelten Führungsrohr und durch die mit Flügelschrauben versehenen 





7 — y 8 10 
Fig. d. 

Bohrungen am Kopfe des Handgriffes. In dem Maße, als man die 
Stäbe zurückschiebt, verkleinert sich naturgemäß die Drahtschlinge. So- 
bald man auf diese Weise den zu fassenden Gegenstand mit der Schlinge 
umgriffen hat, werden die Stäbe durch die Flügelschrauben fixiert und 
nun tritt der einfache Mechanismus wie bei allen anderen Einsätzen in 
Funktion: durch den am Handgriff angebrachten Hebel wird die Doppel- 
röhre nach vorn geschoben und dadurch die Schlingenwirkung zu Ende 
geführt. Die Handhabung dieser Schlinge ist, wie sich aus dem Ge- 
sagten und aus der beifolgenden Abbildung ergibt, denkbar einfach; 
wichtig ist lediglich, daß der zur Schlinge verwandte Metalldraht — 


| ue / 

Lu: nt Zeie dam al Zei See? ker vw Ge 
R äi. Gratosken zusammen. ‚mit dem Ze = 
be: Her: ot. stellt einen Apparat; der, (der nach | 
hi den Pet Wun und 2 wecken des; ee 2 

SC a 

izierteyen, Ar ‚erster. Linie tür 

GC für, den ‚Frauenarzt, y 


a 


D SE 
$ ee; 


| ZA IM 


“ins re EEEa zi 


Bette WEE EE 











wë a SS (Kee 2 


i A Ee? 
$ ? Co 
Za en ` 
m d ZS Nie Velen 
Be ae AR 5 
Ve 


K 
wi 


di 


= a 


a 


=: p = Fei 


Die Nierendekapsulation bei Eklampsie. 
(Sammelreferat.) 
Von 
Privatdozent Dr. E. Kehrer, Heidelberg. 


Der Amerikaner Edebohls!) empfahl im Jahre 1903 für eine 
Reihe entzündlicher Nierenveränderungen die Enthülsung oder Dekap- 
sulation der Nieren. Nach Freilegung der Organe mit den gewöhn- 
lichen Schnittmethoden wird bei der in situ befindlichen oder besser in 
die Hautwunde luxierten Niere — ganz wie beim Sektionsschnitt — vom 
einen zum andern Pol längs des konvexen Randes die Capsula propria, 
dann die Capsula fibrosa (am besten auf einer Hohlsonde) eingeschnitten 
und die Niere allseitig bis zum Hilus mit der Hand ausgelöst. Der 
Blutverlust soll gering und die beiderseitige Operation in 20—30 Mi- 
nuten beendet sein. Nach Reposition der Niere in ihre Fettkapsel mit 
oder ohne Exstirpation der Capsula fibrosa erfolgt die Vereinigung der 
Muskelhautwunde. 

In ähnlicher Weise operierten — scheinbar unabhängig von Ede- 
bohls — Gelpke?) und Rovsing?). Aber Gelpke bedeckte die von 
der Kapsel befreite Niere teilweise mit Peritoneum, während Bakes 4), 
E. Müller®) und Parlavecchio®) eine Einhüllung in das durch einen 
Peritonealschlitz retroperitoneal gelagerte Netz vornahmen (Epiplo-Ne- 
phroplastik nach E. Müller). Diese an die Talmasche Operation an- 
knüpfenden Verfahren bezweckten eine bessere Gefäßversorgung der 
dekapsulierten Niere von seiten des umgebenden Gewebes, als sie durch 
die Capsula adiposa renis gegeben war. 

Schon bald nach der ersten Mitteilung erfolgte im Jahre 1903 eine 
kleine, von Beutner übersetzte Monographie von Edebohls”?), in 
welcher über 8 Heilungen bei 18 wegen Morbus Brightii ausgeführten 
Dekapsulationen berichtet wird. 

Und nun beginnt über die Erfolge der neuen Operation eine wahre 
Flut kasuistischer Mitteilungen amerikanischer Operateure, welche freilich 
die europäischen Länder kaum berührt. Konnte sich doch niemand die 
Wirkungsweise der Edebohlsschen Operation so recht klar machen. 

Im Jahre 1903 versuchte Edebohls!) seine Methode bei der 
puerperalen Eklampsie, im Jahre darauf®) bei der Schwangerschafts- 
eklampsie; aber trotz aller Empfehlungen erfuhr sie auch bei den Gy- 
näkologen anfangs eine kühle Abweisung. Die ersten, die in Europa bei 
Eklampsie dekapsulierten, waren die Franzosen Cavaillon-Trillat?) 


112 Dr. E. Kehrer. 


(1903) und Pinard-Chambrelent-Pousson!°®) (1906). Sippel?) 
und Witzel!?) empfahlen die Operation — unabhängig von Edebohls 
— in Deutschland und Polano!?) und Gauß!*) waren die ersten, die 
sie hier ausführten. In den letzten Monaten folgten rasch weitere 
Mitteilungen, so daß die Zahl der bisher mit der beiderseitigen 
Edebohlsschen Nierendekapsulation behandelten Eklampsiefälle auf 
231°) gestiegen ist. Ich habe sie zur raschen Orientierung in der 
Tabelle zusammengestellt. Dazu kommen nach Essen-Möllers An- 
gaben Fälle von Lambinon und Treub, die, in ausländischen Zeit- 
schriften erschienen, im Referat noch nicht zugängig sind. Ich weiß 
daher nicht, ob es sich um beiderseitige oder um einseitige Dekapsu- 
lationen handelt. Die Fälle dieser letzteren Art, von Jardine*®), Pieri*?) 
und de Bovis*3) mitgeteilt, habe ich in der Tabelle nicht aufgeführt. 

Will man die Berechtigung und die Wirkungsweise der 
Nierendekapsulation bei Eklampsie verstehen, so muß man aus- 
gehen von den Beziehungen der Nieren zur Eklampsie. Daß Nephritis 
und Eklampsie Begriffe sind, die sehr verschiedenen Krankheitsbildern 
entsprechen, ist allbekannt. Aber an dem Bilde der Eklampsie ist die 
Niere nach pathologisch-anatomischen und klinischen Untersuchungen 
in der Regel beteiligt. Man beobachtet parenchymatöse Entzündung, 
Hyperämie und Vergrößerung des Organs mit Degeneration des secer- 
nierenden Apparats (große weiße Niere), weiterhin die Stauungsniere, 
drittens die akute toxische Nephritis ohne Vergrößerung des oft weichen, 
matschen, ödematösen Organs und endlich in besonders akuten Fällen 
das Fehlen wesentlicher histologischer Veränderungen, das Fehlen von 
Albuminurie usw.; in diesem letzteren Fall pflegen Leber, Herz und 
Gehirn die am schwersten veränderten Organe zu sein. 

Es ist von vornherein klar, daß eine Operation mit dem Angriffs- 
punkt an den Nieren in diesen letzteren Fällen von Eklampsie sinn- 
los ist. 

Jede beträchtliche akute Vergrößerung der Niere („Nierenglaukom“ 
nach Reginald Harrison und Sippel) ist mit einer erhöhten intra- 
renalen und intrakapsulären Spannung verbunden: nach Durchschneidung 
der Kapsel quillt das Nierenparenchym über die Schnittfläche vor. Und 
wenn man auch die Ursache der Eklampsie nicht, wie Mynlieff!®) 
neuerdings will, in einer erhöhten Intrarenalspannung sucht, so wird 
diese doch nicht selten bei der Eklampsieniere beobachtet und spielt 
gleich der Halbertsmaschen Ureterkompression eine nicht zu verken- 
nende Rolle. 

Will man in denjenigen Fällen, in denen die Niere durch den er- 
höhten Druck im Ureter und durch den Druck der gespannten Kapsel 
komprimiert wird, helfen, so bleibt nur die Beseitigung der beiden 
Druckkomponenten: die Aufhebung der Ureterkompression durch die 
Entleerung des Uterus, und die Spaltung und Entfernung der Nieren- 
kapsel nach Edebohls oder die in der Wirkung wohl analoge Nephro- 
tomie. Vorbedingung aber wäre die Erkennung dieser Druckkompo- 


Die Nierendekapsulation bei Eklampsie. 113 


nenten an der Lebenden durch die Funktionsprüfungsmethoden der 
Nieren und Ureteren — ein Wunsch, der hoffentlich noch einmal ganz 
erfüllt wird. Denn die Durchsicht der mitgeteilten 23 Fälle zeigt, daß 
eine erhöhte intrakapsuläre Spannung wohl in der Regel vor der De- 
kapsulation angenommen, aber nur von Falgowski, Asch, Fraenkel- 
Goebel, dem 2. und 3. Wiemerschen Fall und in den Kleinertzschen 
Fällen beobachtet wurde. Die anderen Operateure betonen ausdrücklich, - 
daß die entzündeten Nieren bei der Operation nicht unter einer erhöhten 
Spannung gefunden wurden. 

Wie ist nun die Wirkungsweise der Nierendekapsulation 
zu erklären? Nach Edebohls bildet sich einige Tage nach der Opera- 
tion zwischen Nierenparenchym und Fettkapsel ein neues kollaterales 
Capillarnetz; die darauf bezogene arterielle Hyperämie läßt er die 
Heilung einleiten; sie soll zu einer Absorption der Entzündungsprodukte 
und zu regressiven Vorgängen an den Nierenepithelien dienen. 

Wer die Capsula adiposa vom Sektionstisch kennt, wird in ihr, als 
einem ziemlich gefäßarmen Gewebe, keine besondere Tendenz zur Bildung 
von Gefäßsprossen vermuten. Aber selbst wenn die letztere von den da 
und dort bei der Kapselabstreifung gesetzten Wunden der Nierenober- 
fläche erfolgt, so vergehen mehrere Tage, bis die Kollateralbahnen 
funktionieren können. (Gerade einen akuten Erfolg brauchen wir aber 
bei der Eklampsie; erst die weitere Ausheilung des Nierenparenchyns, 
das Verschwinden der Albuminurie und Zylindrurie könnte durch die 
Funktion der Kollateralen geschehen. 

Schon durch diese einfache Überlegung wäre die von Edebohls 
seiner Operation supponierte Wirkungsweise abgelehnt. Aber auch die 
experimentell-histologischen Untersuchungen der vielen Ungläubigen seiner 
Hypothese haben die Kollateralbahnen als inkonstante Erscheinung nach- 
gewiesen. i 

Zuerst scheint Johnson?°) die Veränderungen im renalen und 
perirenalen Bindegewebe zu verschiedenen Zeiten nach experimenteller 
Dekapsulation gesunder Nieren von 15 Hunden mikroskopisch studiert 
zu haben. Die neue Kapsel, bald dicker, bald dünner als die frühere 
und aus einem feinen Exsudat an der Nierenoberfläche hervorgegangen, 
ließ in keinem Fall bemerkenswerte Anastomosen zwischen den renalen 
und perirenalen Blutgefäßen erkennen. Auch Boncz-Osmolowski?!), 
Ehrhard?), Hall und Herxheimer?®), Gifford?*), Rouville?°), 
Rautenberg?®) konnten bei verschiedenen Versuchstieren, zum Teil 
selbst nach experimentell erzeugter Nephritis, eine Neubildung von 
Kapillaren zwischen der Nierenoberfläche und der Capsula adiposa nicht 
nachweisen, während van Cott?”), Asakura ?®), Emerson ??),Martini?®), 
Rovighi?t), Stern®®), Lanz°®3), Zaaver°t), Stursberg°®), von YII- 
y€s3®) kapilläre Gefäßverbindungen, wenn auch meist in spärlicher 
Zahl, gesehen haben. Zu einer reichlichen Anastomosenbildung führt 
allein die Bedeckung der Niere mit Peritoneum und Netz (Asakura ?®), 
Gelpke?), E. Müller), Parlavecchio®). 


Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 8 


114 Dr. E. Kehrer. 


Nach diesen Untersuchungen ist die Etablierung der Kollateralen 
inkonstant, bei den einzelnen Versuchstieren vielleicht verschieden, und 
jedenfalls viel zu spärlich, als daß sie bei der Ernährung der Nieren 
eine nennenswerte Rolle spielen könnte. 

Mehrere der genannten Autoren betonen trotzdem die schnelle 
Regeneration der Capsula fibrosa, welche so dick und durch narbige 
Schrumpfung so derb werden könne, daß die Niere in ihrer späteren 
Funktion leiden müsse. 

Nun könnte man gegen alle Tierversuche, wenigstens gegen die- 
jenigen, in denen keine künstliche Nephritis erzeugt wurde, einwenden, 
daß sie weder für noch gegen die von Edebohls gewählte Erklärung 
der Etablierung von Kollateralbahnen etwas beweisen — doch leider 
haben sich auch auf dem Sektionstische oder bei der Exstirpation 
früher entkapselter Nieren keine Anastomosenbildungen nachweisen 
lassen (Jewett®”), Ries®®) [nur eine einzige Anastomose], Berg °°), 
Nydegger®°. Die anatomische Grundlage ist der Dekapsu- 
lation damit entzogen. 

Besteht nun die Beobachtung zu Recht, daß der Edebohlsschen 
Operation ein schnelles Ansteigen der Urinmenge und des Harnstoff- 
gehalts folgt, so müssen andere Momente eine Rolle spielen. Auf den 
Blutverlust allein kann die Besserung kaum bezogen werden; sie wird 
im allgemeinen als gering, nur im Fall Falgowski, Asch und Haim 
als „ziemlich stark“ angegeben. Doch können ganz gewiß auch beträcht- 
liche parenchymatöse Blutungen aus der Rindensubstanz (Fall Free- 
mant!): Hämaturie bei chronischer Nephritis) erfolgen, besonders bei 
der großen weißen Niere, bei der es durch Abziehen der Kapsel 
wenigstens auf dem Sektionstisch stets zu Verletzungen der Nierenober- 
fläche kommt. Nach Pinard, Sippel, Hall und Herxheimer??), 
Falgowski und Haim liegt die Ursache des Erfolges in der Beseitigung 
der intrarenalen Spannung resp. des intrakapsulären Überdrucks; damit 
sei die fast lahmgelegte Blutzirkulation wieder geregelt, die Resorption 
der Entzündungsprodukte und die Wiederherstellung der Sekretion ein- 
geleitet. Die Besserung bei den in der Mehrzahl befindlichen Fällen von 
schlaffen, kleinen, in relativ weiter Kapsel liegenden toxischen Nieren 
erklärt diese Theorie nicht. Für diese Fälle suchen Sippel, Claude?) 
und Haim die Deutung in der Möglichkeit des Austritts des entzünd- 
lichen Ödems aus den durch die Aushülsung eröffneten Gewebsspalten 
des Nierenparenchyms. 

Sind vielleicht beide Erklärungsversuche richtig — das Trauma 
des mechanischen Eingriffs muß die Hauptursache für die ver- 
mehrte postoperative Diurese sein, gleichgültig zunächst, ob der 
mechanische Reiz direkt oder auf dem Weg des sympathischen Nerven- 
systems wirkt: durch Zerrung desselben bei der Luxation der Niere 
oder durch Zerstörung seiner Nervenfasern bei der Ablösung der Cap- 
sula fibrosa vom Nierenparenchym. Ich erwähne hier die Versuche mit 
Entmarkung der Niere an welche sich eine enorme Harnflut in den 


Die Nierendekapsulation bei Eklampsie. 115 


von der Rinde eingeschlossenen Hohlraum hinein und von da in die 
Ureteren anschließt; ich erinnere an die Erfahrungen der Physiologen 
und Chirurgen, daß bei partieller Resektion einer Niere die Sekretion 
beider beträchtlich und dauernd ansteigt und zu gleicher Zeit auch die 
Harnstoffabgabe gesteigert wird (Bradford, Tigerstedt*?). Beide Er- 
scheinungen wurden als charakteristische momentane Folgen der Nieren- 
dekapsulation bei Eklampsie in fast allen Fällen und außerdem von fast 
allen denen, die die Operation bei Nierenentzündungen ausführten, an- 
gegeben, selbst im Fall Polanos, in dem 19 Stunden nach der Opera- 
tion der Exitus eintrat. Nur ausnahmsweise (Falgowskis Fall) erfolgte 
die Steigerung der Diurese erst nach vielen Stunden oder unterblieb, wie 
im Fall Gauß II, Ham und Essen-Möller. Der Grund dazu liegt 
in den beiden letzten Fällen in der Schwere der parenchymatösen Nieren- 
degeneration, die beide Male in der fünften Stunde nach der Operation den 
Tod herbeiführte, und im Gaußschen Fall wohl in dem Fortbestehen 
der Schwangerschaft. Wir müssen also in erster Linie in der Ver- 
mehrung der Diurese den Erfolg der Dekapsulation sehen und diese 
gerade in den Fällen von starker Oligurie oder Anurie, deren nach- 
teilige Rückwirkung auf das Herz, das Zentralnervensystem und die 
parenchymatösen Organe erwiesen ist, zur Verwendung bringen. Wir 
erreichen mit anderen Worten durch die Operation das, was wir bei 
jeder Eklampsie durch Phenacetin, Pilocarpin, heiße Einpackungen, 
Magenspülungen, Ableitung auf den Darm usw. einzuleiten suchen: die 
Eliminierung der in der Blutbahn kreisenden Toxine durch Anregung 
der Ausscheidungsorgane des Organismus. Von allen diesen Mitteln ist 
die Nierendekapsulation das heroischste, aber — wie es scheint — auch 
wirksamste. Und es ist auf Grund unseres Erklärungsversuches nur die 
Frage zu beantworten, ob nicht eine einfache mechanische Reizung, 
energisches Massieren und Kneten der Nieren bei mageren Puerperae 
die Operation ersetzen oder, bei der Dekapsulation angewendet, ihren 
Erfolg verstärken kann. 

Gehen wir nun von der Erklärung der Wirkungsweise der Ede- 
bohlsschen Dekapsulation zu einer kurzen kritischen Betrachtung der 
einzelnen Eklampsiefälle über. 

In Parallele stehen die schweren Fälle von Edebohls III, Falgowski, 
KleinertzIund II, Stenglein, Asch, Wiemer, Baumm und Polano. 
In ihnen handelte es sich um puerperale Eklampsie mit Beginn der 
Krämpfe mehrere Stunden nach der Geburt. In der Regel besei- 
tigte die Dekapsulation die Krämpfe, und eine Besserung des Allgemein- 
zustandes und besonders der Urinverhältnisse war nicht zu verkennen. 

Den Fällen Edebohls II und Gauß II ist gemeinsam, daß die 
Eklampsie in der Schwangerschaft einsetzte, und daß als erster 
Eingriff die Nierendekapsulation gewählt wurde. In Edebohls 
Fall verschwanden die Anfälle nach der Nierenoperation, und zwei Tage 
später erfolgte am Endtermin der Schwangerschaft der Geburtseintritt 
spontan. Im zweiten Gaußschen Fall aber blieb der erhoffte Erfolg 

Ch 


116 Dr. E. Kehrer. 


der Nierenenthülsung aus; der Zustand verschlimmerte sich sehr, Unter- 
brechung der Schwangerschaft durch vaginalen Kaiserschnitt wurde not- 
wendig. Erst jetzt erfolgte Heilung. Aus diesem Fall läßt sich — 
wie Döderlein**) betonte — der Schluß ziehen, daß die Nieren- 
dekapsulation vor der Entbindung prinzipiell unrichtig ist. 
Erst ist die Quelle der Vergiftung, die wir wahrscheinlich in der 
Placenta suchen müssen, zu entfernen. Übereinstimmend mit diesem 
Votum hat Sippel!!) gegen die Edebohlssche Meinung, man könne 
durch die Dekapsulation jede Unterbrechung der Schwangerschaft um- 
gehen, Front gemacht. Erfolgt Besserung nach der Nierenenthülsung in 
der Schwangerschaft, wie im zweiten Edebohlsschen Fall, so kann nach 
den Ausführungen Sippels bei Fortbestehen der Gravidität jederzeit 
von neuem eine Stauung und toxische Entzündung der Nieren mit 
Eklampsie eintreten, weil die Ursache der Vergiftung, der Inhalt des 
Uterus, weiter wirken kann. 

Gemeinsame Merkmale zeigen wieder die Fälle von Edebobls I, 
Pinard-Chambrelent-Pousson, Gauß I, Cavaillon - Trillat, 
Franck, Cotret, Wiemer II, Weinhold-Winkler, Fränkel- 
Göbel, Essen-Möller. Die Geburt wurde wegen Eklampsie in 
der Schwangerschaft operativ beendet. Die trotzdem erfolgte Stei- 
gerung der Anfälle veranlaßte die Nierendekapsulation innerhalb der 
ersten 1—3 Tage nach der Geburt. Fälle dieser Art scheinen mir 
mit Döderlein, Sippel, Stenglein, Asch die Paradigmata für 
die zukünftige Verwendung der Dekapsulation zu geben. Nur 
für die Entbundene kann die Dekapsulation in Frage kommen, 
wenn trotz aller unserer therapeutischen Mittel, einschließlich der segens- 
reichen Venaesectio, die Zweifel neuerdings wieder empfohlen hat, 
die Krämpfe nach der Geburt erst eintreten oder trotz der 
Geburt nicht verschwinden oder gar zunehmen und die Urin- 
sekretion weiterhin versagt. Die Entbindung aber ist schnell und 
schonend im Sinne des Halbertsma-Bummschen Standpunkts vor- 
zunehmen. Ich halte es bei kritischer Betrachtung der mitgeteilten 
Eklampsiefälle für wahrscheinlich, daß die Dekapsulation mehr als einmal 
zu umgehen gewesen wäre, wäre zur richtigen Zeit ein Aderlaß vor- 
genommen worden. Doch gibt es freilich Anämien durch starke Blut- 
verluste bei der Geburt, die nicht noch zur Venaesectio ermutigen. 

Ebenso bedenklich wie die Dekapsulation in der Schwangerschaft 
scheint mir der neue Vorschlag von Krönig und Gauß!#), „Dekap- 
sulatio renum und Accouchement force, in der Therapie der Eklampsie“ 
in einer Sitzung kombiniert auszuführen. Dieser Plan kann wohl nur 
in verzweifelt schweren Fällen von Eklampsia gravidarum diskutiert 
werden. Wissen wir doch, daß in etwa 80°/, der Fälle von Eklampsia 
gravidarum durch sofortige Entbindung Heilung erfolgt. In diesen 80°% 
wäre demnach die Dekapsulation überflüssig. 

Was die ganz schweren Eklampsiefälle betrifft, wie sie von 
Cotret. Polano, Kleinertz, Franck, Haim und Essen-Möller 


Die Nierendekapsulation bei Eklampsie. 117 


beschrieben worden, so war selbst durch die Nierenenthülsung der letale 
Ausgang nicht mehr aufzuhalten. Die degenerativen Veränderungen der 
parenchymatösen Organe waren viel zu weit vorgeschritten, als daß noch 
eine Rettung möglich gewesen wäre. In manchen dieser Fälle, gewiß 
in denen von Polano, Essen-Möller und Franck, ist zu spät operiert 
worden. Interessant ist in dieser Rubrik der Francksche Fall von 
schwerster Eklampsie im 4. Schwangerschaftsmonat. 

Im allgemeinen aber sind die Resultate der bisher wegen Eklampsie 
ausgeführten beiderseitigen Nierendekapsulationen keine schlechten — 
wenn man die Schwere der Krankheitsbilder berücksichtigt. Auf 23 Fälle 
kommen 8 Todesfälle = Mortalität von 34,7°/,, und wenn wir den Fall 
Franck, in dem der Tod durch Bronchopneumonie erfolgte, den Fall 
Baumm, in dem eine innere Verblutung aus Magengeschwüren notiert 
wurde, und den Fall Wiemer II, in dem die Kranke durch Infektion 
der rechtseitigen Nierenwunde am 13. Tage starb, nicht berücksichtigen, 
weil eine Heilung der Eklampsie nach der Dekapsulation auftrat und 
der Tod durch andere Erkrankungen erfolgte, so bleibt eine Mortalität 
von 21,7°,. Nur einer dieser Fälle, der von Wiemer, ist auf die 
Nierenoperation selbst zu beziehen. Dieser Mortalitätssatz läßt sich in 
Zukunft bei präziserer Indikationsstellung und etwas frühzeitigerer 
Dekapsulation gewiß herabdrücken. Von dem Zustand der Nieren zur 
Zeit der Operation hängt es ab, ob die plötzlich einsetzende Harnflut 
die vorhandenen Entzündungsprodukte wegschaffen kann oder nicht. 
In der Mehrzahl der Fälle, in 17 von 23, scheint das gelungen zu sein, 
denn die Albuminurie, Hämaturie und Cylindrurie besserte sich bald 
nach der Operation bis zum Verschwinden. Nur im Fall Cotret und 
Haim wurde weder Nierensekretion noch der Allgemeinzustand gebessert. 

Über die Indikationsstellung zur Operation geben, wie Steng- 
lein in seiner fleißigen Dissertation aus der Aschschen Klinik angibt, 
die bisher veröffentlichten Fälle keine genauen Anhaltspunkte. Es ist 
klar, daß in erster Linie die Zahl und Schwere der Anfälle und der 
Allgemeinzustand ausschlaggebend sein werden. Ist erst einmal ster- 
toröses Atmen, Trachealrasseln, Irregularität, starke Spannung oder Klein- 
heit des Pulses, beträchtliche Steigerung seiner Frequenz eingetreten, so 
wird auch die Dekapsulation die schweren Herz- und Lungenerschei- 
nungen nicht bessern können. 

Von großer Bedeutung für eine präzise Indikationsstellung ist der 
Urinbefund. Starke Oligurie oder fast Anurie, ein hoher Eiweißgehalt, 
der unter 12 genau untersuchten Fällen vor der Dekapsulation im Mittel 
10,4°%,, betrug, im Fall Gauß II auf 24°,,, im Fall Wiemer II auf 
38o angestiegen war, der Gehalt an Erythrocyten, Leukocyten, ver- 
schiedenartigen Zylindern, geben Anhaltspunkte für Beurteilung der 
Schwere der Nierenerkrankung. Doch gibt es auch Fälle mit ziemlich 
geringer Albuminurie (6°,, im Fall Haim und Cotret, 4°/,, im Fall 
Franck, 3°,, im Fall Kleinertz I), in denen trotz Dekapsulation der 
Tod erfolgte. Die Eiweißausscheidung durch die Nieren kann also nur 








118 Dr. E. Kehrer. 
zz Alter | o 
der Gravida. Allgemeinbefinden und Zahl Urinbefund 
Schwang.- der Anfälle ] 
Autor 3 ; vor der 
Eklampsie vor der Dekapsulation. Dekansulation 
od. puerperale Geburtsverlauf SE 


Eklampsie ? 





Edebohls I!) | 
1903. 


23j., I-Grav. 
ı Schwang.-Ekl. 


| 
| 
| 
| 
| 
| 


|  Nephritis im 7. Monat. — 

Eklampsie 8. Monat. — 5 An: 
fälle a.p. Dann 46 Std. Ruhe. — | 
Dann 10 Anfälle. — Accouche- | 





ment force im 5. Anfall. 
Cavaillon- Schwang.-Ekl. | Accouchement forcé. — Trotz- — 
Trillat?) | dem Fortdauer der Krämpfe. 
1903. | 
Edebohls II®) | 20j., l-Grav. | Nephritis i im letzten Monat. SCH Fast Anurie. 
NK ACH Schwang.-Ekl. 3 Tage Koma, Erblindung. — - 
l Dann ekl. Anfälle. | 
| 
Edebohls III'*)| 20j., I-Para. SE — 20 Std. p. p. | Oligurie. 
1906. Puerp.-Ekl. :!Kopfweh, Erblindung, Zuckun- Alan Alb. 
gen, Koma. — 23.bis30.Std.p.p. | Cylindrurie. 
7 schwere und mehrere leichte | 
| Konvulsionen. 

Pinard- 21j., I-Grav. |4 Anfälle a. p. — 3 Anfälle Oligurie 
Chambrelent-| Schwang.-Ekl. | '/,Std.p.p. Dann Koma. Manuelle | (in 40Std. 200cen 
Pousson'!®) | Cervixdilatation 16 Std. nach vom Wehen- 
1906. | Webenbeginn. beginn an). 
Polano°°) 38j., IX-Para. . Nephritis ınit Ödemen im letzten | Tgl. 1600 ccm u. 

1907. Puerp.-Ekl. | Monat. — Spontangeburt. — | 1°/., Albumen 
| 13 Std. p. p. 2 Anfälle. Koma| bis 1 Tag a. p. 
9 Taxe. Somnolenz. Dann plötzlich 
Oligurie ohne Zu- 
nahme der Album. 
Gauß 1°") 25j., I-Grav. | Beim Blasensprung 1. Anfall. — Oligurie 
1907. Schwang.-Ekl. | Nach dem 2. Anfall Forceps. — Den lb 
Von der 4. bis 10. Std. p. p. 
3. bis 14. Anfall, an Intensität 
zunehmend. 
Gauß II") 18j.. I-Grav. |Im 9.—10. Schwang. - Monat Oligurie. 
1907. Schwang.-Ekl. | Kopfweh, Erbrechen, Ödeme. 24w Alb. 
| — 5 Anfälle mit nur kurzdau- 
| ernder Bewußtlosigkeit. 
Falgowski!®) | 28j., IV-Para. | Spontangeburt. — Von der 13. Oligurie. 
1908. Puerp.-Ekl. bis 34. Std. p. p. 24 schwere Sehr starke 
Anfälle, Koma, Kollaps, Lungen- Albuminurie. 
ödem. Hämaturie. 
Ham ii 30j., III-Grav. | Am normalen Schwang. -Ende Oligurie. 
1908. Schwang.-Ekl. | plötzlich 4 Anfälle, Koma, | Di ew Albumen. 
Cyanose, Lunsenödem. Nach 


Spontangeburt kurze Besserung. 
Dann fast kontin. Krämpfe. 


Die Nierendekapsulation bei Eklampsie. 119 





Zeit Veränderung des Veränderung des 
der Vornahme Nierenbefund Allgemeinbefindens | Urins 
der bei Operation | 
Dekapsulation nach der Dekapsulation 
72 Std. p. p. = ~ 72 Std. p. p. >, — I Keine Anfälle mehr. ‚Sofortige Steigerung von 
ausscheidung. 
60 Std. p. p. u Heilung. | = 


| 


In der Schwang. | R. Niere ver- | Keine Anfälle mehr. — | Sofortige Steigerung von 


im 2. Anfall. größert. SpontanerGeburtseintritt | Urinmenge u. Harnstoff- 
Parenchymat. |2 Tage p. op. Forceps. ausscheidung. 
Nephritis. Zwillinge. 
30 Std. Parenchymat. |In 48 Std. p. op. noch | Sofortige Steigerung von 
im 8. Anfall. Nephritis mit |2 Anfälle. — Erst dann | Urinmenge u. Harnstoff- 
Stauung. Verschwinden desKomas. | ausscheidung. Sebr lang- 
same Besserung der Al- 
buminurie. 
24 Std. Nieren groß. Keine Anfälle mehr. Urinsekretion schnell 
nach 7. Anfall; Akute parenchy- | Koma verschwindet erst gebessert. 


zugleich matöse Nephritis. am 3. Tag p. op. | 


Nephrotomie. 


10 Tage p. p. | Akute parenchy- 
nach 10 täg. | matöse Nephritis 
Somnolenz. mit Stauung. 


Deutliche Besserung. |Sofortige Steigerung der 
Trotzdem + 19 Std. p. op. Urinmenge. 
Lungenödem. Parench. ı 
Degen. von Leber, Herz, | 


' Urinmenge u. Harnstoff- 
Nieren. 


13 Std. p. p. | Nieren weich, |6 und 13 Std. p. op. noch | Sofortige Steigerung der 


nach 11. Anfall. | rotbraun, nicht je 1 Anfall. ‚ Urinmenge. — 14 Std 
vergrößert. | P- op. sind Alb. u. Cyl. 
verschwunden. 


In der Schwang. | Nieren anschei- | P. op. innerhalb 6 Sea. | Stan. Harnmenge nach 
nach dem 5. An- nend nicht weitere 12 Anfälle, u. 36, ' Dekapsulation 5ccm u. 
fall. vergrößert. |dann 15°/,, Alb. Daher ' 36 dann 15%, Alb. — 
vag. Kaiserschnitt. Nach : Erst nach Sectio caesarea 
diesem noch 6 leichtere | vag. vorübergehende 
Anfälle. Genesung. !Steigerung der Harn- 
imenge und vorüber- 
igehende Besserung 
der Albuniinurie. 


34 Std. p. Vergrößerung, | Keine Anfälle mehr. — | Schnelle Steigerung der 
nach dem 24. Se Cyanose. Koma 7 Std. p. p. ver- !Harnmenge und anhal- 
fall. schwunden. itende Besserung der 


Albuminurie. 
| 
8 Std. p. p. Parenchy mat. t 5 Std. p. op. Gem 


Nephritis. 

























120 Dr. E. Kehrer. 
Alter 
der Gravida. Allgemeinbefinden und Zahl Urinbefund 
Schwang.- der Anfälle | i 
Autor : : vor der 
Eklampsie vor der Dekapsulation. | Dekansulation 
od. puerperale | Geburtsverlauf | ps 
Eklampsie? 
Kleinertz I!) | 27j., II-Para. | Spontangeburt. — 1. bis 15. An- Oligurie. 
1908. Puerp.-Ekl. fall 10!/, bis 18%/, Std. p. p.| 3° Albumen. 
Koma. Cylindrurie. 
Kleinertz Il!”)| 24j., I-Para. |A. p. Kopfweh, Sehstörungen. | Albuminurie. 
1908. Puerp.-Ekl. |Sofort nach Ausstoßung der Cylindrurie. 
Placenta Beginn zahlreicher An- 
| fälle. 
| 
O. Franck*®) | 26j., III-Grav. |Im 4. Schwang.-Monat häufige | Oligurie. 
1907. Schwang.-Ekl. | Anfälle. Cervixdilatation. Aus- 4%, Alb. 
räumung des Uterus. Fötus 
20 cm lang. P.p. Anfälle häu- 
figer und stärker: in 17 Std. 
33 Anfälle. 
Rene de VII-Grav. Ödeme, Albuminurie. Ende des Anurie. 
Cotret°®) Schwang.-Ekl. |8. Monats 1. Anfall. Manuelle 6%, Alb. 
1907. Cervixdilatation. Extraktion in 
Steißlage. 
Baumm’!) 34 j., Ill-Para. | Nach der Spontangeburt 10 An- — 
1907. Puerp.-Ekl. | fälle. Koma. Atemstörungen. | 
| 
| 
| 
Wiemer 1%) | 37j., IX-Para. i Anfall 20 Std. p. p. Oligurie. 
Puerp.-Ekl. | 12°) Alb. 
'Koma. 7 weitere Anfälle und | Rote und weiße 
| zunehmender Verfall. Blutkörperchen. 
| Zylinder. 
| Gallenfarbstoffe. 
| 





Wiemer II’) | 227., I-Grav. 
Schwang.-Ekl. 


| 
| 


In den letzten Monaten der 
Schwang. starke Odeme. Nach 
dem 12. Anfall Spontangeburt 
nach Metreuryse. Bewußtsein 
' kehrt zurück. Besserung. 5Std. 
`P- p. Beginn neuer Anfälle. Ver- 


Nach 
‘dem 3. Anfall, 1':, Std. später, 
schlimmerung. 


In 8Std. 75 ccm. 
38%), Alb. 
Rote und weiße 
Blutkörperchen. 
Zylinder. 





Die Nierendekapsulation bei Eklampsie. 121 
Zeit Veränderung des Veränderung des 
der Vornahme Nieren befund Allgemeinbefindens Urins 
bei Operation 
Se EE GEN oder Sektion 
CARDS nach der Dekapsulation 








18t/, St. p. p. | Parenchymat. | Weitere 26 Anfälle p. op. | Steigerungder Urinsekre- 
Nephritis. + 571, Std. p. op. tion. Aber auch Stei- 
L. Ureterdilata- gerung des Eiweiß- 
tion. gehalts von 3 auf 
"lan 
? Auffallende Ver- | In den ersten 4 Std. p. op. | Steigerung der Urinsekre- 
ößerung der r. |keine Anfälle; danach |tion u. schnelle Bes- 
iere. Nieren- 29 Anfälle. serung der Albumin- 
substanz quillt urie bis zum Ver- 
vor. schwinden. 
16 Std. p. p. | R. Niere nicht | Vorübergehende Besse- Wesentliche Besserung 
vergrößert. L. | rung der Anfälle und des|der Diurese und der 
Niere dunkelrot, | Allgemeinzustandes. Albuminurie. 
starkgeschwollen.| + 48 Std. p. op. an 
Beiderseits ein- Bronchopneumonie. 
zelne Verwach- 
sungen zwischen 
Kapsel u. Paren- 
chym. Akute 
parench. Nephri- 
tis. | | 
23 Std. p. p. |R. Niere groß, 1. , Geringe Besserung p.op.;! Diurese nicht gebessert. 
klein. Beide stark | aber 37 Std. später ekl. 
granuliert. Kap- | Anfall. t. 
seln leicht ent- 
fernbar. | 
2. Tag p. p. l. — i Besserung der Anfälle. | — 
Dekapsulation, : Aufhellung des Bewußt- 
da r. Niere ' seins. Am 4. Tag p. op. 
Psychose. + am 5. Tag 


| p. p. durch innere Ver- 
blutung aus 2 Magen- 


fehlte. | | 
geschwüren. 


Keine Anfälle mehr. 
Bewußtsein kehrt mit 
dem Erwachen aus der 

Narkose zurück. 


Etwa 26Std. p.p.. 


í 


Beide Nieren | 
stark hyper- 
| ämisch. Paren- 
: chym etwas her- 
' vorquellend. Die ' 
r. sebr vergrößert.! 
Mikroskopisch: | 
albuminöse Trü- 
bung; Fett- 
degeneration. 





— Schnelle Besserung. 
|+ am 18. Tag p. op. durch 
i lnfektion der r. Nieren- 


wunde. 


12 Std. p. p. 


Kurz nach der Op. nur 
11/2? Albumen. Wahre 
- Harnflut. 


Schnelle Besserung der 

Diurese und der Albu- 

minurie. Am Tag p. op. 
LL Dan Alb. 


















122 Dr. E. Kehrer. 
E Alter 
der Gravida. Allgemeinbefinden und Zahl Urinbefund 
Schwang.- der Anfälle 
Autor A i vor der 
Eklampsie vor der Dekapsulation. Dekavsulation 
od. puerperale Geburtsverlauf p 
Eklampsie? 
Wiemer III)! IV-Grav. |Nach dem 3. Anfall Entbindung. | Oligurie. 











Schwang.-Ekl. Danach 4 weitere Anfälle. 


Sehr viel Alb. 


R. Asch®) 21 j., I-Para. |3. Tag p.p. Beginn zahlreicher | In 7 Std. 250 ccm 
Puerp.-Ekl. Anfälle, Koma. Ödeme. mit 101/,%., Al- 
bumen. 
Elis Essen- | 36j., V-Grav. | Etwa 8 Tage vor dem Endtermin Oligurie. 
Möller®) ' Schwang.-Ekl. | Kopfweh, Odeme, Albuminurie. | 13°/% Albumen. 
| Nach dem 5. Anfall Koma; vagi- Zylinder. 
| naler Kaiserschnitt. Dann fast 
| 6 Std. keine Anfälle. Von da 
in weiteren 24 Std. 13 schwere 
| Anfälle. Plötzliche Verschlim- 
merung, Cyanose, Tracheal- 
rasseln. 
Fraenkel- 26 j., I-Grav. ;2Std. nach Blasensprung 1. An- | Oligurie. Starke 
Goebel?’®) Schwang.-Ekl. |fall. Schwinden des Bewußt- | Albuminurie. 
seins. Anfälle alle 15—20 Min. 
Nach 6. Anfall (5 Std. nach 
Blasensprung) Forceps aus 
hohem Querstand. Dann keine 
Anfälle mehr, aber Verschlech- ' 
terung des Allgemeinbefindens. 
Weinhold- 31j., I-Grav. | Ende der 31. Schwang.-Woche Oligurie. 
V. Winkler’) | Schwang.-Ekl. | Kopfweh, Mattigkeit. In 16!!,Std. | Enorme Albumin- 
12 Anfälle. Koma. Cyanose. urie. Zylinder. 
Bossi-Dilatation. Forceps. Vor- | Gallenfarbstoffe. 


Stenglein- 
Falgowski’) 


übergehende Besserung (in 2Std. 
kein Anfall), dann zunehmende 
Cyanose mit Trachealrasseln. 


We 
H Std. nach Spontangeburt nn 


27j., 1-Para. 
dromalsymptome der EHI. 


Puerp.-Ekl. 


Spez. Gew. 1032. 


| Oligurie (in 12Std. 


a. op. 80 ccm). 





14 Std. 9schwere Anfälle, Gil Hämaturie. 131. 

| Koma; zunehmende Verschlech- | | wenige Std. später 
| terung. 6°). Alb. Reich- 
Gi Zylinder. 

einer der Gradmesser, aber nicht der alleinige, ja vielleicht nicht ein- 
mal der wesentlichste für die Veränderungen des Nierenparenchyms 
sein. Die übrigen Methoden der funktionellen Nierendiagnostik: in 
erster Linie die Bestimmung des spezifischen Gewichts des Urins beider 
Nieren, die quantitative Harnstoffbestimmung, die Völkersche Indig- 
karminmethode, ferner die Phloridzinbestimnung nach Casper-Richter 
oder Kapsamer, die Kryoskopie, die Bestimmung der elektrischen Leit- 
fähigkeit, des Kochsalz- und Stickstoffgehalts und die Methylenblau- 
methode müssen genauere Anhaltspunkte über die Beschaffenheit der 


i 
t 


Die Nierendekapsulation bei Eklampsie. 123 
















Zeit Veränderung des Veränderung des 
der Vornahme Nierenbefund Allgemeinbefindens Urins 
bei Operation 
a oder Sektion > 
Dekapsulation 


nach der Dekapsulation 





P. op. noch 2 Anfälle. | Besserung der Diurese. 
Abnahme von Alb. und 
Formelementen. 


R. Niere Kein Anfall mehr. Am | Besserung der Diurese. 
geschwollen,cya-|2. Tag p. op. Ödeme, | Am Tag p. op. 71), oo 
notisch; Kapsel- | Kopfweh verschwunden; | Alb., am 2. "Tag An 


Einige Std. p. p. 


3. Tag p. p. 


| _ spannung. Sensorium frei. 14. Tag p. op. Albumin- 
L. Niere stark urie verschwunden. 
gelappt. 


Etwa 40Std. nach| Nur geringe | Zunehmendes Lungen- — 
dem 1. Anfall u. Vergrößerung. | ödem. + 5 Std. p. op. 





33 Std. nach | 
Sectio caesarea 
vag. 
5 Std. p. p. R. Niere ver- Noch 3 Anfälle. Besserung der Diurese 
ı größert, blaurot, Heilung. und Albuminurie. Am 
aus der Kapsel 2. Tag p. op. 850 Urin 
hervorquellend und 1°/% Alb. 
— im Gegensatz 
zur linken; an 
dieser einige 
ı blaue Flecken. 
6 Std. p. p. | Nieren eher |Noch 13 Anfälle p. p.,| Besserung der Diurese 
i klein, schlaff, |an Dauer und Intensität und Albuminurie. 
blaurot. abnehmend. 
Parenchym quoll 


nicht hervor. 


24 Std. p. p. | Beide Nieren Keine Anfälle mehr. |Schnelle Steigerung der 
hyperämisch, | Schnelle Besserung des | Urinmenge (innerhalb 
prall. L. stärker! Allgemeinzustandes. |der ersten 24 Std. p. op. 
geschwollen als r. 405 ccm) und Besserung 
‚ Parenchym nicht der Albuminurie. 
: hervorquellend. 
Nieren geben. Und es ist die Aufgabe, von diesen Methoden die zu- 
verlässigsten und am schnellsten ausführbaren auszuwählen — denn sehr 
kurz ist die Zeit, die bei diesen schweren Eklampsiefällen für die Funk- 
tionsprüfungsmethoden zur Verfügung steht. Dazu kommt das meist 
spärliche Urinmaterial. | 
Endlich ist bei der Untersuchung des Urins zur Beurteilung derSchwere 
des allgemeinen Krankheitsbildes auch auf Gallenfarbstoffe zu achten, die 
im Fall Weinhold-Winkler und Wiemer II nachgewiesen wurden. Sie 
beweisen eine gleichzeitige ernste Schädigung des Leberparenchrnns. 


124 Dr. E. Kehrer. 


Die kritische Durchsicht der bisher mit der Edebohlsschen Nieren- 
dekapsulation behandelten Eklampsiefälle gestattet die Aufstellung folgender 
Sätze: 

1. Die Dekapsulation bei Eklampsie in der Schwanger- 
schaft auszuführen, ist prinzipiell unrichtig. Hier bleibt zu- 
nächst keine andere Wahl, als die entgiftenden therapeutischen Ver- 
fahren und das Accouchement forcé. 

2. Nach dem jetzigen Stand unseres Wissens ist die Dekap- 
sulation in jenen schweren Fällen von puerperaler Eklampsie 
mit vorwiegender Beteiligung der Nieren berechtigt,jaempfeh- 
lenswert, in denen trotz erfolgter Entbindung, trotz Venae- 
seetio und aller übrigen die Ausscheidungsorgane des Organis- 
mus anregender Maßnahmen eine Verstärkung der Anfälle 
und Verschlimmerung des Allgemeinzustandes erfolgt. Doch 
darf in solchen Situationen mit der Dekapsulation nur wenige 
Stunden gewartet werden. 

3. Durch die Edebohlssche Operation wird — meist akut, 
seltener langsam einsetzend — eine Vermehrung der Urin- und 
Harnstoffausscheidung und damit gewiß auch der Eklampsie- 
toxine des kreisenden Blutes angeregt. 

4. In dieser Steigerung der Diurese, deren Erklärung 
physiologisch, nicht anatomisch zu geben ist, wie oben aus- 
einandergesetzt wurde, dürfte der Erfolg der Dekapsulation 
zu suchen sein. Denn die anatomische Grundlage zur Opera- 
tion, auf die sich Edebohls, O. Franck u. a. stützen: die Aus- 
bildung von Gefäßanastomosen zwischen Nierenoberfläche 
und Capsula adiposa, fehlt. | 

5. Eine Besserung der Albuminurie, Hämaturie und 
Zylindrurie pflegt mit der Steigerung der Diurese einher- 
zugehen oder ihr bald zu folgen. Das Verschwinden dieser 
Harnveränderungen hängt in erster Linie ab vom Degenera- 
tionszustand des Nierenparenchyms zur Zeit der Operation. 
Soerklärtsich, warum die Dekapsulation gerade bei der frisch 
entstandenen \ephritis die besten Erfolge hat, während chro- 
nische, in der Schwangerschaft schon bestehende und plötz- 
lich exacerbierende Entzündungsprozesse wenig oder nicht 
beeinflußt werden. 

6. Den genauesten Funktionsprüfungen der Nieren nach den 
bekannten Methoden, wie sie systematisch z. B. in der Kroenigschen 
und Sellheimschen Klinik ausgeführt werden, muß die präzisere 
Indikationsstellung zur Operation und die weitere Unter- 
suchung des Einflusses der Dekapsulation auf die Tätigkeit 
der Nieren und des Gesamtorganismus überlassen bleiben. 
Auch ist zu hoffen, daß durch die mikroskopische Unter- 
suchung von exzidierten Aierenstückchen [Fergusson $5), 
Wiemerž?)] im Vergleich mit den vor und nach der Operation 


Die Nierendekapsulation bei Eklampsie. 125 


ausgeführten Funktionsprüfungen der Zeitpunkt zu Vor- 
nahme der Dekapsulation für künftige Fälle genauer bestimmt 
werden kann. 

Auf diese Weise läßt sich wohl auch entscheiden, ob in 
allen Fällen, in denen die Indikation zur Dekapsulation an- 
erkannt wird, die beiderseitige Operation notwendig ist oder 
ob der einseitige Eingriff genügt. Auch der Effekt roher 
mechanischer Eingriffe an der Niere (Massage) ist experi- 
mentell zu studieren. 

7. Alles zusammengenommen scheintin der Dekapsulation 
der Nieren, die wir Edebohls verdanken, ein weiteres Hilfs- 
mittel für schwere Eklampsiefälle gegeben, und es ist zu hoffen, 
daß ein Teil der 20%, Eklampsien, die sich nach der Entleerung 
des Uterus nicht bessern oder danach erst auftreten, durch die 
im richtigen Augenblick vorgenommene Nierendekapsulation 
geheilt werden kann. Unbeeinflußt aber sind und bleiben 
natürlich die verzweifelten Fälle von degenerativen Verän- 
derungen anderer Organe, insbesondere der Leber und des 
Herzens, die Fälle von Lungenödem und von Blutungen in 
innere Organe. Das letzte Wort über die Berechtigung der 
Nierendekapsulation wird aber erst die Zukunft zu sprechen 
haben: ob nicht durch Einhüllung der Nieren in unnachgiebige 
bindegewebige Schwielen die spätere Nierenfunktion beein- 
trächtigt wird. 


Literatur. 

1. Edebohls, New York medical journal 1903, 6. Juni. 

2. Gelpke, Korrespond.-Blatt für Schweizer Ärzte 1904, Bd. 34, Nr. 15. 

3. Rovsing, Zentralbl. f. Chirurgie 1904, Bd. 31, S. 513. 

4. Bakes, Zentralbl. f. Chirurgie, Bd. 31, S. 410, und Verhandl. d. 33. deutschen 
Chir. -Kongresses, S. 134. 

5. E. Müller, Medizin. Klinik 1906, Bd. 2, S. 1165. 

6. Parlavecchio, Ref. Zentr. f. Chir., Bd. 33, und Jahresber. f. Geb. u. Gyn., 
Bd. 20, S. 392. 

7. Edebohls, Die Heilung der chron. Nierenentzündung durch operative Be- 
handlung. Autorisierte Ubersetzung von O. Beuttner, Genf, 1903. 

8. Edebohls, Boston med. and surg. journ. 1904, 2. Juni. 

9. Cavaillon et Trillat, Gaz. des hôpitaux 1903, Nr. 116. 

10. Chambrelent et Pousson- Pinard, Bull. de Pacad. de med. de Paris 
1906, Bd. 55, S. 489. 

11. Sippel, Über einen neuen Vorschlag schwerster Eklampsieformen. Ver- 


handl. der Naturforscherversammlung, Stuttgart 1906. und „zur Nierenaus- 
hülsung oder Nierenspaltung bei Eklampsie“. Zentr. f. Gyn. 1907, S. 1586. 

12. Witzel, Deutsche med. Wochenschrift 1904, Bd. 30, S. 1116. 

13. Polano, Ein Fall von Nierendekapsulation bei puerperaler Eklampsie. Zentr. 
f. Gyn. 1907, S. 13. 

14. Gauß, Zur Behandlung der Eklampsie mit Decapsulatio renum. Zentr. f. 
Gyn. 1907, S. 521, und Verhandl. der oberrhein. Ges. f. Geb. u. Gyn. 1907 in 
Hegars Beitr. zur Geb. u. Gyn.. Bd. 12. 

15. Falgowski, Nierendekapsulation bei puerperaler Eklampsie. Zentr. f. Gyn. 
1908, S. 37. 

16. Haim, Beitrag zur Nierendekapsulation bei Eklampsie. Zentr. f. Gyn. 1908, 
S. 666. 


126 


Dr. E. Kehrer. Die Nierendekapsulation bei Eklampsie. 


. Kleinertz, Zwei Fälle von Nierendekapsulation bei Eklampsie. Zentr. f. Gyn. 
1908, S. 843. 
Edebohls, Ein neuer durch Nierendekapsulation geheilter Fall von puer- 


peraler Eklampsie. Zentr. f. Gyn. 1906, 8. 719. 


. Mynlieff, Intrarenale Spannung als eine der Ursachen von Eklampsie. 


Zentr. f. Gyn. 1905, S. 392. 


. Johnson, Annals of surgery 1903. Ref. Zentr. f. Gyn. 1904, S. 1628. 
. Boncz-Osmolowski, Russk. Wratsch 1903, Nr. 21. Ref. Münch. med. 


Woch., Bd. 50, S. 2066. 


. Ehrhard, Mitteil. aus den Grenzgeb. der Medizin u. Chir. 1904, Bd. 13. 

. Hall-Herxheimer, British med. Journal. 1904, Bd. 1, S. 819. 

. Gifford, Boston Med. and Surg. Journal 1904, Bd. 161, S. 37. 

. de Rouville, Presse méd. 1904, S. 371. 

. E. Rautenberg, Die Folgen des zeitweiligen Ureterverschlusses. Mitteil. 


aus den Grenzgebieten der Med. u. Chir. 1906, Bd. 16, 5. 431. 


. van Cott, Med. News. New York, Bd. 84, S. 970. 
. Asakura, Exper. Unters. über die Decapsulatio renum. Mitteil. aus den 


Grenzgebieten der Med. u. Chir. 1903, Bd. 12, S. 602. 


. Emerson, American Journal of Med. Sciences 1904, Bd. 128, S. 692. 
. Martini, Über die Möglichkeit, der Niere einen neuen kollateralen Blut- 


zufluß zu schaffen. Archiv f. klin. Chirurgie 1905, Bd. 78, Heft 3. 


. Rovighi, Clinica medica 1905. Ref. Monatsber. f. Urologie, Bd. 10, S. 563. 
. Stern, Exper. u. klin. Unters. zur Frage der Nierenaushülsung nach Ede- 


bohls. Mitteil. aus den Grenzgebieten der Med. u. Chir. 1905, Bd. 14, Heft 5. 


. Lanz, Annales des maladies des org. gen.-ur. 1905, Bd. 23, S. 781. 
. Zaayer, Unters. über den funkt. Wert der sich nach Entkapselung neu- 


bildenden Nierenkapsel. Mitteil. aus den Grenzgebieten der Med. u. Chir. 1905, 
Bd. 14, S. 311, und 1906, Bd. 15, S. 421. 


. Stursberg, Mitteil. a. d. Grenzgebieten d. Med. u. Chir. 1903, Bd. 12, Heft 5. 
. von Yllyes, Über die chirurg. Behandl. der internen Nierenerkrankungen. 


Orvosi Hetilap 1906. Ref. Jahresber. f. Geb. u. Gyn., Bd. 20, S. 395. 


. Jewett, Buffalo Med. Journ. 1903. Ref. Jahresber. f. Geb. u. Gyn., Bd. 17, 


S. 451. 


. Ries, Ref. Jahresber. f. Geb. u. Gyn., Bd. 18, S. 373. 
. Berg, Med. News, Bd. 84. Ref. Jahresber. f. Geb. u. Gyn., Bd. 18, S. 381. 
. Nydegger, Med. Record. New York, Bd. 66. Ref. Jahresber. f. Geb. u. Gyn., 


Bd. 18, S. 367. 


. Freeman, Annals of surgery 1904. Ref. Zentr, f. Gyn. 1904, S. 1626. 

. Claude, Ref. Jahresber. f. Geb. u. Gyn., Bd. 17, S. 443. 

. Tigerstedt, Lehrbuch der Physiologie, Bd. 1, S. 469. 

. Döderlein, Verhbandl. der oberrhein. Ges. f. Geb. u. Gyn. in Hegars Bei- 


trägen zur Geb. u. Gyn. 1908, Bd. 12. 


. Fergusson, Med. News. New York, Bd. 82, S. 905. 
. Jardine. Ref. Zentralbl. f. Gyn. 1906, S. 1362. 
. Pieri, De la decortication du rein et de la nephrotomie dans le traitement 


des formes graves de l'éclampsie. Annales de gyn 1907, 2. Serie, Tome IV. 


. de Bovis, De la décapsulation du rein dans le traitement de l'éclampsie. 


Semaine medicale 1907, Nr. 10. 


. ©. Franek, Uber Nierendekapsulation bei Eklampsie. Münch. med. Woch. 


1907, S. 2471. 


. Renc de Cotret, Ref. Semaine médicale 1907, S. 365. 
. Baumm, Nierendekapsulation bei Eklampsie. Gyn. Gesellschaft. Breslau, 


3. Dez. 1907. Ref. Zentr. f. Gyn. 1908, S. 402. 
Wiemer, Die Decapsulatio renum nach Edebohls in or Behandlung der 
Eklampsie. Monatsschr. f. Geb. u. Gyn. 1908, Bd. 27, S. 321. 


. R. Asch, Nierendekapsulation bei puerperaler Eklampsie, Zentr. f. Gyn. 


1908, Nr. 9. 5. 283. 


. Elis Essen-Möller, Ein Fall von Nierendekapsulation bei Eklampsie. Zentr. 


f. Gyn. 1908, Nr. 14, S. 449. 


. Melchior Stenglein, Ein Beitrag zur Nierendekapsulation bei Eklampsie. 


Diss. inaug. Breslau 1908. 


Zeitschrift für gynäkologische Urologie 


1909 Band 1 Nr. 3 











Nierenexstirpation bei Ureterfistel. 
Von 


Heinrich Fritsch. 


Die Exstirpation einer gesunden Niere, um die Beschwerden einer 
Ureterfistel zu heilen, gilt heute allgemein als ein Kunstfehler, obwohl 
feststeht, daß der Mensch mit einer Niere gut leben kann, ja daß selbst 
Schwangerschaften und Geburten bei einer Niere gut verlaufen. 

Die Technik der Ureterimplantation ist so ausgebildet und so ver- 
einfacht, daß es kaum noch lohnt, viel Worte darüber zu machen. 
Die Gynäkologen haben wohl allgemein den extraperitonealen Weg 
als den schwereren, umständlicheren und komplizierteren aufgegeben. 

Man soll aber zweierlei nicht vergessen. Erstens, daß die Fälle 
verschieden sind und also auch eine verschiedene Technik verlangen, 
und daß zweitens Fälle vorkommen, bei denen man, auf die Ureter- 
implantation zu verzichten gezwungen, die Nierenexstirpation auch 
heute noch machen muß. 

Die Verschiedenheit der Fälle rührt von der Art der Entstehung 
her. Die, wenn ich so sagen darf, geburtshilflichen Ureterfisteln sitzen 
tief unten, dicht über der Einmündung des Ureters in die Blase. 
Dies ist erklärlich, denn sie entstehen dadurch, daß die Cervix zerrissen 
wird und sich der Riß in das Parametrium fortsetzt. 

Die Technik ist schon deshalb eine andere, weil der Uterus noch 
vorhanden ist und innerhalb des Peritonealraumes die anatomischen 
Verhältnisse fast normale geblieben sind. 

Die gynäkologischen Ureterfisteln, bei abdominalen oder vaginalen 
Totalexstirpationen entstanden, liegen oft höher. Sie haben dadurch 
andere Verhältnisse, daß der Uterus fehlt, daß an seiner Stelle Narben 
liegen, die Blase, Ureter, Peritoneum und Beckenboden in ihrer ana- 
tomischen Lage und Beweglichkeit mehr oder weniger beeinträchtigt 
und verändert haben. 

Die gynäkologischen Ureterfisteln entstehen bei abdominalen Total- 
exstirpationen oder tiefer supravaginaler Amputation dadurch, daß die 
Uterina vor der Abbindung nicht genügend isoliert war. Gewiß sollte 
man stets subperitoneal sich die Uterina ganz deutlich machen und sie 
isoliert unterbinden. Allein trotz dieser Absicht gelingt es nicht immer, 
da einerseits die Uterina durch das Wachstum eines unregelmäßig ge- 
formten Myonıs stark nach hinten, öfter nach vorn zu verlagert ist, und 
da andrerseits viele Äste abgehen, und diese Äste mitunter so stark er- 

Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 9 


128 Heinrich Fritsch. 


weitert sind, daß man zwar glaubt, die Uterina unterbunden zu haben. 
daß aber trotz dessen noch ein Ast daneben oder unterhalb spritzt. Wird 
dann, um die Blutung zu stillen, „umstochen“, so wird zwar selten der 
Ureter direkt mitgefaßt, aber doch durch eine naheliegende, festgeknüpfte 
Ligatur verzerrt, abgebogen, stenosiert und atretisch. Eitert ein Stich- 
kanal bei der Abstoßung des abgebundenen Stumpfes von der Scheide 
aus, so kommt es schließlich, wie es Stöckel ausführlich beschrieben 
und erklärt hat, zur Fistel. 

Überlegt und erinnert sich der Operateur genau an die einzelnen 
Momente der Operation, so wird er wohl meist den Zeitpunkt angeben 
können, wo das Unglück zustande kam. Diese Fisteln sitzen natürlich 
höher und die anatomischen Verhältnisse sind wegen des Wegfalls des 
Uterus, der Verzerrung des Peritoneums und der Narbenkontraktion 
auf dem Beckenboden schwerer übersichtlich als bei den geburtshilflichen 
Fällen. 

Ist der Uterus noch vorhanden und der Beckenboden unverändert, 
wie es bei den geburtshilflichen Ureterfisteln der Fall ist, so ist der 
Ureter sehr gut zu finden, gut beweglich zu machen und leicht an 
die Blase heranzubringen. Die künstliche Verlagerung der Blase nach 
einer Seite, wie sie Witzel empfohlen hat, ist dann nicht nötig. 

Für diese Fälle empfehle ich eine Methode, die mir ein sehr gutes 
Resultat gegeben hat. Man klappt das Peritoneum nach oben und 
macht das Loch in dem Teile der Blase, der nicht vom Peritoneum be- 
deckt ist. Dann spaltet man frontal den Ureter und zieht zuerst die 
untere Halbrinne in die Blase nach abwärts und dann die obere 
nach oben in das Blasenloch hinein. Die Nadel wird, wie vielfach be- 
schrieben, von der Außenwand der Blase ca. 2 cm nach abwärts vom 
Blasenloch nach innen durchgestochen, geht durch den Ureter wieder 
nach außen und wird außen auf der Blase geknüpft. Zu dieser Naht 
eignet sich, wie zur ganzen Operation, am besten die feinste Nummer 
des Jodkatguts. Dadurch, daß diese Naht ca. 2 cm von dem Blasen- 
loch entfernt durchgeführt wird, gelangt in das Loch selbst der ge- 
schlossene Ureter oberhalb der Spaltung. Nunmehr wird mit 4 Suturen 
der Ureter mit der Blasenwand, die etwas nach innen gestülpt ist, 
vereinigt. Und zum Schluß wird das Blasenperitoneum mit dem Becken- 
peritoneum so genau vereinigt, daß die ganze Implantationsstelle unter- 
halb des Peritoneums, aus dem Peritonealraum völlig ausgeschaltet ist. 
Auf diese Weise schafft man jedenfalls am besten ganz normale Ver- 
hältnisse. Die Implantationsstelle liegt völlig extraperitoneal, und der 
intraperitoneale Druck drückt die Operationsstelle gut zusammen. Die 
sroße Beweglichkeit des Blasenperitoneunis gestattet seine Nahtbefestigung 
ziemlich weit nach oben. Der Abschluß macht keine Schwierigkeiten. 

Eine so operierte Frau kam ein Jahr nach der Operation, spontan 
ohne Störung in der Klinik nieder. 

Ich gebe aber zu und habe es selbst öfter konstatiert, daß bei 


` trvnäkolorischen Ureterfisteln der narbig mit der Umgebung verwachsen® 





Nierenexstirpation bei Ureterfistel. 129 


Ureter oft nicht so tief herabzuziehen ist, und daß man deshalb ge- 
zwungen sein kann, den Ureter und den Scheitel der nach seitwärts 
oben gezogenen und nach Witzel durch Nähte fixierten Blase zu im- 
plantieren. Daß auch diese Methode gute Resultate gibt, haben wir ja 
genugsam erfahren. 

Jedenfalls ist die Ureterimplantation, mag sie nun subperitoneal 
oder intraperitoneal gemacht sein, eine leichte und prognostisch sehr 
günstige Operation. 

In meiner Klinik sind im ganzen 16 einseitige Ureterimplantationen 
gemacht. 12 habe ich, 2 Stöckel und 2 hat Reifferscheid operiert. 
In allen Fällen trat prima intentio ohne jede Wundstörung ein. Niemals 
schloß sich eine Peritonitis an. Ein Todesfall ist nicht vorgekommen. 
Viele Fälle wurden später cvstoskopisch kontrolliert und zeigten normale 
Funktion des Ureters. 

Dennoch, trotz der guten Resultate, ist die Nierenexstirpation, wie 
auch Wertheim betonte, nicht völlig überflüssig. So ist gewiß selbst- 
verständlich, daß man mit allen Mitteln der Nierendiagnostik vor der 
Implantation feststellen muß, daß die Niere und der Ureter normal 
sind, resp. daß der Urin nichts Pathologisches enthält. Ein solcher 
Fall ist der folgende: 


Frau K. K., 45 Jahre alt, 1896, J.-Nr. 203. Seit 24 Jakren verheiratet. Mit 
27 Jahren erste Geburt, danach noch 10 Geburten, 3 Aborte. Enorme Blutungen, 
Uterus vergrößert, interstitielles Myom. Am 17. August 1896 vaginale Totalexstirpation. 
Katheterisation notwendig. Am 7. Tage p. o. Cystitis, ohne Fieber, am 14. Tage 
p. o. Urinabfluß aus der Scheide. Da gleichzeitig aus Blase und Vagina Urin ab- 
geht: Ureterfistel. Urin eiter- und eiweißhaltig, rote Blutkörperchen. Keine Zylinder. 
Allmählich nehmen in den nächsten Wochen die Schmerzen in der linken Nieren- 
gegend unter leichten Fieberbewegungen zu. Cystoskopie ergibt: Gefäße der Blasen- 
schleinhaut injiziert. Rechter Ureter arbeitet normal, der linke liegt völlig tot. 
Hinten links in der Blase scharfrandiges Geschwür. Zunahme der linksseitigen 
Nierenschmerzen. Der linke Ureter läßt sich von der Scheide aus katheterisieren. 
Der aufgefangene Urin der linken Niere ergibt reichlich Leukocyten, fettig zerfallene 
Zellen, kleine Plattenepithelien. Auch der Urin der rechten Niere wird nach Aus- 
waschung der Blase durch Ureterkatherisation genommen. Er ist völlig normal. Am 
9. Oktober linksseitige Nephrektomie. Die exstirpierte Niere ist vergrößert, die 
Kapsel verwachsen. Beim Durchschneiden zeigt sich das typische Bild der eitrigen 
interstitiellen Nephritis. Nierenbecken gerötet mit feinen Hämorrhagien durchsetzt. 

Glatte Heilung. Pat. stellte sich wiederholt in der Klinik vor und war ein 
volles Jahr nach der Operation noch gesund. 


Ich würde auch dann die Niere lieber exstirpieren als die Im- 
plantation machen, wenn auch nur der entfernteste Verdacht auf Nieren- 
tuberkulose besteht, z. B. wenn die Umgebung der Ureteröffnung ge- 
rötet und geschwürig ist. Wir hatten einige Fälle, wo ganz allein diese 
Rötung der Ureteröffnung den Verdacht auf Nierentuberkulose hervor- 
rief, und es nicht gelang, bei vielen sorgfältigen Urinuntersuchungen 
TB. nachzuweisen und dann doch die positiven Impfungsresultate an 
Meerschweinchen die Diagnose auf Tuberkulose stellen ließ. 

Bei jedem Verdacht auf Nephritis oder Tuberkulose würde ich 
um so mehr die XNierenexstirpation empfehlen. als ja ohne Zweifel 

g* 


130 Heinrich Fritsch. 


diese Operation ganz ausgezeichnete primäre und definitive Resultate 
ergibt. 

Außerdem gibt es drei Gründe, die uns anregen, auf die Ureter- 
implantation zu verzichten. 

Erstens, wenn das Ureterende zu weit von der Blase entfernt 
ist, zweitens, wenn der Ureter entzündet und erweicht ist, und drittens. 
wenn das Peritoneum nicht intakt, entzündet ist. 

Für diese Behauptung möchte ich durch Schilderung einiger Fälle 
den Beweis liefern. 

Der erste Fall ist schon von meinem Sohne Dr. med. Karl Fritsch 
in einer Dissertation: Vierzehn Nierenexstirpationen infolge gynä- 
kologischer Leiden, Bonn 1906, veröffentlicht. 

Fr. K., 1%1, J.-Nr. 495, 35 J., seit 10 J. steril verh. Jetzt schwanger, aufge- 
genommen am 9. November, letzte Menstruation im November vor einem Jahre. Die 
Ende Juni erwartete Geburt trat nicht ein. Der dicke Leib wurde dünner. Leichtes 
Fieber soll öfter dagewesen sein. Große Mattigkeit. Der Uterus von der Größe wie 
im 5. Monat der Gravidität, liegt auffallend links. Vom Kinde läßt sich nichts Deut- 
liches durchfühlen. Diagnose: Ausgetragene Extrauteringravidität, abgestorbener Fötus. 

Laparotomie am 11. XII. Linksseitige pseudointraligamentäre Tubo-(Uvarial- 
gravidität. Kind im 6. Monat abgestorben. Es gelingt den Fruchtsack zu exstirpieren. 
Der linke Ureter war so stark nach vorn und oben verlagert und so fest in der Wand 
des Fruchtsackes eingewachsen, daß er, obwohl erkannt, mit dem Fruchtsack reseziert 
werden mußte. Da das obere Ende ungefähr in der Höhe des Nabels durchschnitten 
war, so mußte wegen der großen Entfernung der Blase von einer Implantation Ab- 
stand genommen werden. Es kam in Frage, ob man den Ureter einfach unterbunden 
versenken sollte. Dies riskierte ich nicht. Vielmehr nähte ich den möglichst ge- 
lockerten Ureter in das obere Ende der Bauchwunde dicht am Nabel ein, um später. 
wenn die sehr heruntergekommene Patientin sich erholt hatte, die Nephrektomie zu 
machen. Vorläufig völliger Schluß der Laparotomiewunde bis auf den eingenähten 
Ureter. Urin per vesicam 1000—1500 ccm ohne Albumen, doch mit Eiterzellen und 
Blasepithelien. Der Fistelurin beträgt, so gut man die Menge bestimmen kann, etwa 
400—500 ccm. ist sehr trübe, enthält 21/,—3°/,. Albumen, 

Am 20. I. hat sich das Allgemeinbefinden so weit gebessert, daß die linksseitige 
Nephrektomie ausgeführt werden kann. 

Die Niere ist etwas vergrößert. Die Kapsel ist an einigen narbigen Einziehungen 
adhärent. 

Heilung und Rekonvaleszenz ohne Störungen. 

Von dem Einnähen des Ureters in den Darm bin ich ein ent- 
schiedener Gegner, weil ich jedesmal die so Operierten nach längerer 
oder kürzerer Zeit an Nephritis mit Abscessen in der Niere verloren 
habe. Auch wenn ich das ganze Trigonum Lieutaudii in den Darm 
nähte, z. B. nach Exstirpation der ektopischen Blase, trat dennoch später 
Nephritis ein, der die Patientin nach Monaten oder Jahren erlag. 

Ich konnte ja auch, vertrauend auf die gewiß richtige Beobachtung 
von Füth (Metz) einfach den unterbundenen Ureter versenken. Ich 
habe dazu noch nie den Mut gehabt, obwohl ich zugeben muß, daß 
Fälle mit allmählicher Nierenverödung gewiß öfter unabsichtlich vor- 
gekommen sind. In älteren Arbeiten ist wiederholt beobachtet, dal 
bei Ureterunterbindungen recht unangenehme Erscheinungen eintraten. 
So schildern Simon und Band] Fälle, wo unmittelbar nach der zu- 


Nierenexstirpation bei Ureterfistel. 131 


fälligen Ureterabbindung bei Fisteloperationen heftige Schmerzen und 
hohes Fieber eintraten. Dies habe ich auch öfter beobachtet. Bei der 
Exstirpation der Basis einer großen Zottengeschwulst, die am Trigonum 
Lieutaudii saß, habe ich einmal, nachdem die heftige Blutung aus der 
Blasenwunde durch Naht gestillt war, die Blase wieder aufmachen und 
die Ligatur lösen müssen. Der Ureter war durch die Naht nicht ge- 
faßt und umbunden, sondern so verzerrt, daß er undurchgängig geworden 
war. Noch an demselben Tage trat eine Temperatur von 40° ein. Die 
Schmerzen in der Nierengegend waren so stark, daß der Grund der 
Komplikation klar wurde. Nach der Öffnung der Sutur hörten sofort 
Fieber und Schmerzen auf. Da aber mittlerweile die Gefäße throm- 
bosiert waren, stand definitiv die Blutung und die Kranke genaß, wenn 
auch langsam, weil die suprasymphysäre Wunde nun nicht per pri- 
mam heilte. 

Auch bei vaginalen Fisteloperationen sah ich öfter die von Bandl 
beschriebenen schweren Symptome eintreten. 

Und in der allerersten Arbeit von W. A. Freund über eine Ureter- 
fistel, in Betschlers Beiträgen, schildert Freund, wie jedesmal, wenn 
er die Fistel von der Vagina aus zuklemmte, sofort die heftigsten 
Schmerzen eintraten. Warum das eine Mal der Ureterverschluß schwere 
Symptome macht, das andere Mal nicht, ist mir nicht klar. Der nahe- 
liegende Gedanke wäre ja der, daß bei infektiösem Inhalte des Nieren- 
beckens Fieber entstände, bei normalem Urin nicht. Doch dies stimmt 
durchaus nicht. Auch bei völlig aseptischem Urin können schwere 
Symptome sich einstellen. Ich halte es deshalb für richtiger, wenn man 
die Ureterimplantation nicht machen kann, auf die Verödung der Niere 
nicht zu vertrauen, sondern die Niere zu exstirpieren. Wäre die Ver- 
ödung der Niere die Regel, wie könnten dann die riesengroßen Hydro- 
nephrosen entstehen, die ein Jahrzehnt oder länger brauchen, um bis 
zur Größe des hochschwangeren Uterus heranzuwachsen. 

Daß. eine Abbindung des Ureters nicht stets zur symptomlosen 
Schrumpfung der Niere führt, bewies mir auch der folgende Fall: 

Frau H., 1904, J.-Nr. 258, 26 Jahre alt. Diagnose: großes Ovarialcystom bis über 
den Nabel reichend, den Douglas tief in die Scheide hervorwölbend. Laparotomie 
am 27. VII. 1904. Sehr viele Adhäsionen der Därme an dem Parietalperitoneum und 
dem Uterus. Der Tumor umgreift völlig den Uterus und liegt hinten entweder retro- 
peritoneal oder ist so intensiv mit dem Peritoneum parietale verwachsen, daß vom 
Promontorium aus ein Eindringen nach unten unmöglich erscheint. Der Tumor wird 
mit großer Kraft manuell losgedrückt und herausgehoben. Stränge, die zu fest sind, 
werden unterbunden und dann durchschnitten. Da die Höhle stark blutet: Tamponade 
der großen Höhle und Gegentamponade von der Vagina aus. Der Tampon wird wieder- 
holt entfernt und erneuert. Die Höhle verkleinert sich langsam. 38 Tage nach der 
Operation ist der Verband plötzlich sehr naß, beim Herausziehen der Gaze fließt 
reichlich urinös riechende Flüssigkeit aus der Bauchfistel. 

Die Cystoskopie ergibt, daß der rechte Ureter normal fungierte, der linke aber 
tot liegt. Bei der Katheterisation des linken Ureters von der Blase aus stößt der 
Katheter 15 cm oberhalb des Blasenostiums auf Widerstand. Auch bei Aspiration 
fließt Urin nicht aus. Deshalb am 7. XI. Nephrektomie. Niere von normaler Größe, 
aber ziemlich bedeutende Hydronephrose. Ob der Ureter erweitert war, konnte nicht 


132 Heinrich Fritsch. 


entschieden werden, weil die Niere dicht unter dem Eintritt der Gefäße abge- 
bunden war. 
Entlassung nach glatter Heilung am 9. X. 


Es war also am 38. Tage nach der Ureterabbindung, die wohl bei 
der Unterbindung der festen, die Cyste fixierenden Stränge geschehen 
war, der Ureter irgendwo geplatzt, so daß der Urin dann noch durch 
die Bauchfistel sich ergossen hatte. 

Allerdings ist ja einzuwenden, daß vielleicht der Ureterstumpf, in 
der Nähe der eiternden Bauchfistel liegend, erweicht sein konnte, aber 
anderseits beweist doch der Fall, daß jedenfalls die Niere durchaus 
nicht schnell ihre Funktion einbüßt. 

Der zweite Grund ist eine abnorme Weichheit. und Zerreißlichkeit 
des Ureters, wie sie auch allein durch eine starke Dehnung eintreten 
kann. Bei Frauen, die an Uteruscarcinom starben, findet man ja in 
der Regel Hydronephrose und Uretererweiterung. Ich habe dabei 
Ureteren gesehen, die papierdünn bis zum Umfange eines Dünndarms 
dilatiert waren. Aber auch ohne diese Erweiterung kann die Ureter- 
wand auffallend weich und zerreißlich sein, wie der folgende Fall beweist. 


Frau E. K. 1906/7 J.-N. 371. 46 Jahre, verheiratet seit 22 Jahren, 2 Geburten, 
letzte vor 18 Jahren. Carcinon der hinteren Lippe, etwas auf die hintere Scheiden- 
wand übergegangen. Rechts großer Emmetscher Riß. Vordere Lippe ganz normal. 
Vaginale Totalexstirpation 26. September 1906. Umschneiden der Portio. Hinten wird 
der Schnitt ca. 3cm entfernt vom Carcinom durch die Vaginalwand geführt, so daß 
ein großes Stück der hinteren Vaginalwand mitgenommen wird. Losschieben der 
Blase. Zuerst Abbinden links mit Seide. Dann auf der rechten Seite, wo das Para- 
metrium am Ende des Risses narbig verkürzt und unnachgiebig ist. Die Adnexe 
werden beiderseits zurückgelassen. Die Stümpfe werden in die Scheide herabgezogen 
und unterhalb der Vaginalperitonealnaht fixiert. Dies gelingt nur links vollkommen. 
Rechts wird etwas Jodoformgaze in den Trichter geschoben. Blasenurin fließt am 
Ende der Operation klar ab. Patientin kann spontan urinieren. 

In den ersten Tagen ist Pat. bei stets normaler Temperatur merkwürdig 
benommen, viel schläfrig. Als Symptom der Undurchgängigkeit des, Ureters auf- 
gefaßt. Keine Schmerzen in der Nierengegend.. Am 10. Oktober Entfernung der 
Seidenfäden. Damals wandte ich noch bei den vaginalen Totalexstirpationen Seide 
an. Seit der Jodkatgut existiert, nehme ich auch bei dieser Operation allein Katgut. Nach 
Entfernung der Fäden Urinabfluß per vaginam, bei gleichzeitigem normalem Urin- 
lassen per urethram. Zunächst Vaginalspülungen mit 50 g Alkohol zu 1 Liter Wasser. 

Da die Pat. weit hergereist war und nun gesund nach Hause zurückkehren 
wollte, mußte die Ureterimplantation sobald als möglich gemacht werden. Daß: die 
Fistel rechts saß, war nach der Beobachtung bei der Operation zweifellos. 

Am 29. Oktober, also 4!/, Woche nach der ersten Operation, Laparotomie, 
Längsschnitt. Sehr dicke, fettreiche Bauchdecken. Die Därme trotz Vorbereitung 
sehr ausgedehnt und lufthaltig. Blase ganz in Fett eingehüll. Nach Auffinden 
des rechten Ureters wird er an seinem distalen Ende losgetrennt resp. gelockert und 
isoliert. Die Blase wird nach Einführung eines Katheters durch die Harnröhre rechts 
im Fundus eröffnet. Beim Versuch, durch den Ureter eine Sutur zu legen, um ihn 
in die Blase zu ziehen, reißt die Sutur jedesmal aus. So wird der schr zerreißliche. 
dilatierte Ureter immer kürzer, und es gelingt nicht. den Ureter in das Blasenloch zu 
bringen, zumal auch die Blase sich nicht hochziehen läßt, weil sie an der Narbe 
im Beckenboden fixiert ist. Deshalb wird sofort die Implantation aufgegeben und 
das Blasenloch mit Katgutfäden verschlossen. Naht der Bauchdecken in üblicher Weise. 
Heftpflasterverband. 


Nierenexstirpation bei Ureterfistel. 133 


Die Pat. wird auf die linke Seite gelegt. Parallel dem Rippenbogen rechts Schnitt. 
Die Niere, deren Kapsel etwas mit dem Fett verwachsen ist, wird in den Schnitt 
luxiert und mit 3 Seidenfäden abgebunden, dann abgetrennt. Jodoformgaze um den 
Stumpf, der an die Narbe fixiert wird. Naht der Haut mit Seide bis auf das kleine 
Loch für die Seidenfäden und den Jodoformgazestreifen. 

Heilung der Laparotomiewunde per primam. Völlig glatter, fieberfreier Verlauf. 
Am 24. November wird Patientin gesund entlassen. Die Seidenligaturen an dem Nieren- 
stumpf hängen zu einem kleinen Loch in der Narbe heraus. 

Nach Mitteilung des behandelnden Arztes lösten sich erst nach 4 Wochen die 
Fäden, worauf die Fistel sich sofort schloß. Pat. war im Juli 1908, also nach 
2 Jahren, völlig gesund. 


Gewiß war es ein Fehler, schon 4 Wochen nach der Vaginal- 
operation die Implantation zu versuchen. Ich hätte gern 3 Monate 
gewartet, dies war aber bei der auswärtigen Kranken nicht gut möglich. 
Der Fall lehrt also einerseits, daß man je länger je besser warten soll. 
zumal ja mir und andern Fälle vorgekommen sind, wo solche Fisteln 
sich spontan schließen. Hier aber war bei der Zerreißlichkeit des in- 
filtrierten Ureters ein anderes Verfahren unmöglich. Findet man also 
einen so weichen Ureter, so kann die Implantation daran scheitern, daß 
ein festes Anziehen und Hineinziehen in die Blase unmöglich ist. Dann 
soll man so schnell wie möglich, ehe durch langes Operieren, Mani- 
pulieren und Offensein der Bauchhöhle das Peritoneum geschädigt ev. 
infiziert ist, die Ureterimplantation aufgeben und sofort die Nieren- 
exstirpation anschließen. 

Der dritte Grund, von der Implantation abzustehen, liegt in einer 
Peritonitis resp. in einem pathologischen Zustande des Peritoneuns, 
der eine primäre Heilung unwahrscheinlich macht. 


Fräulein M. H., 36 Jahre, 1908/9. J.-Nr. 72. Pat. hat ein Uterusmyom von der 
Größe des im vierten Monat schwangeren Uterus. Das Myom ist frei beweglich, sehr 
weich, so daß die Differentialdiagnose mit Gravidität in Betracht kam. Sehr starke 
unregelmäßige Blutungen hatten die Patientin zum Arzt geführt. 

Myomotomie am 25. April 1908. Chloroformäthernarkose. Medianer Längsschnitt. 
Der Uterus ist durch eine fundal sitzende, auffallend weiche etwa kindskopfgroße 
Geschwulst vergrößert, die Adnexe sind frei von Veränderungen. Abbindung des 
Lig. infundibulopeloicum beiderseitig. Spaltung des vorderen Blattes des Lig. lat. bis 
zum Blası:nansatz beiderseitig zur Aufsuchung der Uterinae. Da wegen der großen 
Weichheit der Geschwulst an Malignität gedacht wird, Totalexstirpation beschlossen. 
Stumpfes Freilegen der Uterinae, isolierte Unterbindung derselben. Sagittale Spaltung 
der hinteren Scheidenwand dicht an der Portio, die darauf sofort in der Wunde sicht- 
bar mit einer Hakenzange emporgehoben wird. Zirkuläre Absetzung der Scheide mit 
Unterbindung der spritzenden kleinen Rami vaginales. Schluß des Scheidenlumens 
mit Katgutnähten und des Peritoneums darüber ebenfalls mit Katgut. Also völliger 
Abschluß der Peritonealhöhle. Bauchnaht in üblicher Weise. 

Am 3. Tag nach der Operation abends 38,0, am 4. 37,9, am 5. früh 38,0, 
abends 39,2, am 6. abends 38,1. Danach normaler Verlauf ohne Fieber. Am 7. Tage 
tritt, unter Nachlaß des Fiebers, unwillkürlicher Urinabgang ein. Bis dahin Urin 
klar, spontan, ohne Blut oder Eiter. Da der unwillkürliche Urinabgang trotz Dauer- 
katheters anhält, so ist die Ureterfistel klar. Nunmehr glatter Verlauf. Heilung 
der Laparotomiewunde per primam. Entfernung des Verbandes und der Fäden am 
12. Tage post operationem. 

Am 14. Mai Cystoskopie (Prof. Reifferscheid). Rechter Ureter liegt tut. 


134 Heinrich Fritsch. 


linker arbeitet regelmäßig. Katheter läßt sich in den linken Ureter 10 cm vorschieben. 
Spätere Ureterimplantation beschlossen. 

22. Mai. Pat. liegt trocken, der Urinabtluß sistiert. Es wird zunächst spontane 
Heilung der Ureterfistel angenommen. 

23. Mai. Sehr heftige Leibschmerzen und Schmerzen in der Gegend der 
rechten Niere. 

24. Mai. Die Schmerzen halten an. Leib weich, aber unten rechts sehr druck- 
empfindlich. Stuhl nach Einlauf. Urinmenge in 24 Stunden 600 g. Es wird an- 
genommen, daß die Narbenkontraktion die Ureteröffnung komprimiert hat, und daß 
ein Platzen des Ureters ev. eingetreten ist. Allgemeinbefinden schlecht. Urinmenge 
ca. 700 g. Temperatur 37—39. Puls sehr beschleunigt. 

25. Mai. Operation. Chloroformäthernarkose. Längsschnitt rechts neben der 
alten Narbe. Sofort nach Eröffnung der Bauchhöhle quillt hellgelbe, urinös riechende 
Flüssigkeit in reichlicher Menge vor. Die Därme sind untereinander und mit dem 
Beckenperitoneum verklebt. Die Serosa hochrot und geschwollen, mit fibrinösen Be- 
schlägen bedeckt. Einige größere Fibrinflocken werden herausgetupft. Bei Berührung 
und bei Versuchen, die Darmschlingen von der Uretergegend loszuziehen, Blutung 
aus den Verklebungsstellen. Wegen dieser Peritonitis wird sofort die Ureterimplantation 
aufgegeben. Die Bauchhöhle wird mit steriler Gaze dräniert, die Bauchwunde bis 
auf einen Spalt zum Hinausleiten des Endes des Gazestreifens geschlossen. Verband. 

Sofort Schrägschnitt am rechten Rippenbogen. Luxation der Niere. Abbinden 
mit Gesamtligatur. Fixierung des Stumpfes an die Fascie. Ganz wenig Jodoform- 
gaze um den Stumpf. Exakter Schluß der Wunde, Muskelschichten mit Katgut, 
Fascie mit Silkworm, Haut ebenfalls mit Silkworm, bis auf das kleine Loch für die 
Suturen. Gazeverband. Bilasendränage. 

Glatter fieberloser Verlauf.. Am ersten Tage 950 g Urin. Am zweiten 850, 
am dritten 2200 g Urin. Am dritten Tage teilweise, am fünften völlige Entfernung 
der Peritonealdränage, wobei sich noch viel Flüssigkeit entleerte. Das Allgemein- 
befinden hebt sich schnell. Heilung ungestört. Am 16. Juni 1908 Entlassung. 


Interessant ist bei diesem Falle, daß der aseptische Urin zwar 
keine septische Peritonitis, aber doch jedenfalls eine Peritonitis erzeugte. 
Ich habe schon einmal vor vielen Jahren einen Fall erlebt, bei dem eine 
große, teilweise abgestorbene Ovarialcyste sehr schwierig vom Becken- 
boden subperitoneal ausgelöst war. Die Patientin lebte nach der Ope- 
ration noch drei Monate und ging dann dekrepide zugrunde Bei der 
Sektion wurde ein abgekapselter, mit klarem Urin gefüllter manns- 
kopfgroßer Peritonealraum rechts gefunden. Seine Begrenzungen be- 
standen in den verklebten Därmen. In diese Cyste öffnete sich der 
zerrissene Ureter. Auch da war der Verlauf, trotz der festen Ver- 
klebungen und Urinretention, stets fieberfrei gewesen. 

Allerdings glaube ich, daß, wenn wir nicht in unserem Falle schnell 
eingegriffen hätten, die Patientin bald gestorben wäre. Ich machte 
die Operation, weil ich mit Sicherheit annahm, daß hier der -gestaute 
Urin, der nicht mehr abfloß, sich in die Bauchhöhle ergossen hätte. 
Die Nierenschmerzen ließen die Undurchgängigkeit des Ureters, die 
Druckempfindlichkeit des Bauches die Peritonitis diagnostizieren. Daß 
das Fieber fehlte, war ja nicht auffallend. Gibt es doch auch Peri- 
tonitiden ohne Fieber. 

Jedenfalls aber war der Entschluß, sofort nach Eröffnung des 
Leibes, der Konstatierung der Peritonitis und des urinösen Inhalts, 
jede weitere Manipulation im Bauche aufzugeben. der richtige Ent- 


Nierenexstirpation bei Ureterfistel. 135 


schluß. Auch die Dränage war gewiß, wie der Erfolg zeigt, am Platze. 
Früher hat man oft die Dränagen länger liegen lassen. Dies ist falsch, 
wenn man auf primäre Heilung hoff. Dann muß man spätestens am 
vierten und fünften Tage die Gaze entfernen. 

Der Fall ist deshalb so interessant, weil sich hier der Urin vier 
bis fünf Tage lang in die Peritonealhöhle ergossen hatte, weil er sicher 
teilweise vom Peritoneum resorbiert war, weil er allerdings einen 
schädlichen Einfluß auf das Peritoneum ausgeübt, aber doch keine 
septischen Symptome gemacht hatte. 

Zum Schluß möchte ich noch bemerken, daß ich die Abbindung 
der Niere stets mit sehr dicken Seidenfäden so mache, daß ich den 
Faden unter der Niere um die Gefäße und den Ureter herumführe und 
alles zusammen in eine Ligatur fasse. Man kann dann die Niere so 
abschneiden, daß das ganze Nierenbecken als Stumpf oberhalb der 
Ligatur liegt. Auf diese Weise wird man außerordentlich schnell 
fertig, und eine Nachblutung resp. ein Abgleiten der Ligatur ist unmög- 
lich. Seit ich weiß, daß einem sehr bedeutenden Chirurgen bei der 
Isolierung der Gefäße und isolierter Ligatur eine Verblutung aus der 
entschlüpften Nierenarterie vorgekommen ist, habe ich prinzipiell die 
Gtesamtligatur angewendet. Das ist zwar nicht recht chirurgisch, aber 
bei diesen Fällen das einfachste. Bei bösartigen Geschwülsten, die ich 
nicht operierte und nicht operieren werde, mag ja die isolierte Unter- 
bindung und ev. Auslösung des Ureters nötig und richtig sein. In 
unsern Fällen ist es nicht notwendig. Die Abkürzung der Operation 
bei Gesamtligatur aber ist jedenfalls für die Patientinnen von großer 
Bedeutung. 


(Aus der Frauenabteilung des Allerheiligen-Hospitals zu Breslau. Primärarzt: Dr. Asch.) 


Nierenveränderungen bei Uretervaginalfisteln. 
Von 
H. Peiser. 
(Mit einer farbigen Tafel und 4 Textfiguren.) 


Wie jede Art von Urinfisteln für die damit Behafteten die Ursache 
eines schweren Leidens, ja häufig eines geradezu bejammernswerten 
Zustandes darstellt, so gilt dies auch in vollem Umfange von den Ureter- 
Vaginalfisteln. Während nun früher solche Fisteln eine Seltenheit 
waren, so haben sich dieselben in neuerer Zeit erschreckend gehäuft. 
Ereigneten sich derartige Erkrankungen früher fast ausschließlich durch 
schädigende Einflüsse bei der Geburt — spontan (Drucknekrose) oder 
durch Kunstfehler (scherenförmiges Perforatorium, schlechtliegender 
Zangenlöffel [Küstner 19]) hervorgerufen —, so spielen heute die Ver- 
letzungen, die durch die mehr und mehr zunehmenden großen gynä- 
kologischen Operationen — gewollt wie ungewollt — entstehen, in der 
Ätiologie dieser Fisteln ebenfalls eine ganz hervorragende Rolle. Unter 
diesen Operationen nehmen wohl die abdominalen und vaginalen Total- 
exstirpationen den ersten Platz ein, insbesondere bei Carcinomen, wenn 
der Ureter selbst schon von Krebsmassen umwuchert ist. Kamen in 
früheren Jahren und leider auch heute noch hin und wieder Uretero- 
Vaginalkommunikationen durch Krebswucherung zustande, so waren 
diese lästigen Begleiter der zerstörenden Krankheit in gewissem Sinne 
der Anfang vom Ende. Jetzt müssen wir oft das Entstehen einer Harn- 
leiterfistel beklagen, weil wir ohne dieses Opfer eine Frau nicht von 
dem sicher tödlichen Leiden des Krebses befreien konnten. Damit wächst 
aber natürlich die Aufgabe, auch dieses konsekutive Leiden zur Heilung 
zu bringen und die Verantwortung, die vom Krebstod gerettete Patientin 
auch einem lebenswerten Leben zurückzugeben. Auch bei anderen 
notwendigen Operationen kommen genug Ureterunterbindungen oder 
Trennungen als Nebenverletzung vor, die ihrerseits wieder häufig zu 
Harnleiterfisteln führen. Beobachtung und Heilbestreben haben über 
dieses Thema eine überaus reichhaltige Literatur hervorgerufen, und eine 
große Reihe von Operationsmethoden zur Heilung dieses traurigen Leidens 
sind in den letzten Jahrzehnten ersonnen und bekannt gegeben worden. 

Zusammenfassend bespricht Stockel (38) in seiner Monographie 
die Implantationsmethoden des Ureters in die Blase, die Ureterimplan- 


Nierenveränderungen bei Uretervaginalfisteln. 137 


tationen in den Darm, in den anderen Ureter usw. usw., und stellt 
schließlich diesen mehr konservativen Methoden die Nephrektomie als 
ultimum refugium gegenüber. | 

Vielleicht könnte man diesen operativen Heilungsversuchen in ge- 
wissen Fällen noch eine andere mel abwartende Therapie gegenüber- 


stellen, die in drei von uns beobachteten Fällen — von denen aller- 
dings nur einer ganz genauer Beobachtung zugänglich war — zur 


Heilung geführt hat. Wie unsere Fälle, so sind ganz gewiß auch 
manche der vielen in der Literatur niedergelegten Fälle bei eingehender 
Kritik in diesem Sinne zu verwerten. Betrachtet man nun die in dieser 
Literatur ausgesprochenen Anschauungen der Autoren, so sieht man, 
daß sie fast ausnahmslos darin einig sind, frische, etwa bei einer Ope- 
ration entstandene Kontinuitätstrennungen des Ureters möglichst sofort 
wieder zum Verschluß zu bringen, um dem Entstehen einer Ureter- 
fistel vorzubeugen. Auch die sofortige Einpflanzung in die Blase wird 
vielfach mit Erfolg ausgeführt, oder das durchschnittene Ureterende in 
die Scheidenwunde oder in die Bauchdecken genäht, um dem Urin- 
abfluß zu gegebener Zeit den richtigen Weg in die Blase wieder zu 
eröffnen. Stark gehen die Meinungen nun aber auseinander über die 
Behandlung länger bestehender Harnleiter-Scheidenfisteln. Hier haben in 
Laufe der Jahre die Anschauungen sehr gewechselt. Während man früher 
leichter geneigt war, zur Nephrektomie zu greifen — die erste wurde 
im Jahre 1869 von Simon ausgeführt —, traten die durch eine fort- 
geschrittene Asepsis in ihrem Erfolg immer mehr versprechenden 
plastischen Methoden später mehr und mehr in den Vordergrund. 

Der Nephrektomie sprach man eine Berechtigung nur noch beim 
Versagen aller anderen Methoden zu und das auch nur in der Voraus- 
setzung, daß die andere Niere tadellos funktionsfähig war. Denn stets 
war man sich der Folgen bewußt, die eine Nephrektomie bei nicht 
völlig einwandsfreier Funktion der anderen Niere nach sich ziehen 
konnte. Der hier präzisierte Standpunkt: Nephrektomie als ultimum 
refugium wurde, z.B. von Mackenrodt, Tuffier und Levi, Th. Landau, 
Mac Monagle und (Geyl vertreten. Letzterer äußerte sich zu diesem 
Thema im Jahre 1892 wörtlich: „Wer bei zweifelloser Gesundheit der 
anderen Niere eine kranke Niere wegnimmt ohne die Gewißheit, daß 
ihre Affektion absolut unheilbar, sogar letal sein wird und entstanden 
ist von einer von der Fistel herstammenden Infektion, der begeht mehr 
als eine Unvorsichtigkeit, wer dagegen eine kranke Niere hinwegnimmt. 
wenn die zurückbleibende nicht gänzlich gesund ist, begeht sicher und 
bestimmt Totschlag“ (Frommels Jahresberichte). 

Andere wieder wollten von der Nephrektomie selbst als ultima 
ratio nichts wissen, so Fergusen, der, geblendet von zwei plastischen 
Erfolgen, die Nephrektomie gänzlich verwirft. 

So schroff wird nun die Nephrektomie bei Harnleiter-Scheidenfisteln 
nicht mehr beurteilt, und wiederholt sind von namhaften Autoren gut 
funktionierende, gesunde Nieren zur Heilung der Fisteln — allerdings 


138 H. Peiser. 


immer als ultimum refugium -— exstirpiert worden, d. h. dann, wenn 
alle Versuche, den Schaden durch Implantation des Ureterendes in die 
Blase (oder den Darm) zu heilen, gescheitert waren, oder aus irgend- 
welchen Gründen von vornherein als aussichtslos erschienen. 

Versucht man das vorhandefe Material zu sammeln und kritisch 
zu sichten, so muß man sich leider bald sagen, daß eine erschöpfende 
Zusammenstellung der mit Nephrektomie behandelten Fälle von Harn- 
leiter-Scheidenfisteln nicht gut ausführbar erscheint. Denn einmal sind 
sicher nicht alle Fälle veröffentlicht, zweitens sind viele in Sitzungs- 
berichten verschiedener Gesellschaften und Kongresse so kursorisch er- 
wähnt, daß eine wissenschaftliche Verwertung unmöglich ist; Gründe 
der verschiedensten Art haben zu verschiedenen Zeiten die Operateure 
zu verschiedenem Vorgehen veranlaßt. Die soziale Stellung der an 
Ureterfisteln Leidenden, die mehr allgemein-chirurgische oder gynä- 
kologische Ausbildung des Operateurs, ja oft die gerade erfolgte Ver- 
öffentlichung einer bestimmten Öperationsmethode scheinen hier nicht 
ganz selten ausschlaggebend gewesen zu sein. 

In mancher Veröffentlichung ist nicht viel mehr als die Tatsache 
des Heilerfolges erwähnt, vielfach auf den ferneren Verlauf und das 
Befinden der „Geheilten“ in keiner Weise hingewiesen. So mag es 
genügen, durch eine Zusammenstellung einer größeren Reihe von be- 
sonders prägnanten Fällen ein einigermaßen präzises, wohl sicher verwert- 
bares Bild der klinischen und pathologisch-anatomischen Befunde zu geben. 

So kann schon dieses gar nicht kleine Material als Unterlage für 
die ferneren Ausführungen als völlig ausreichend angesehen werden. 

Die erste Nierenexstirpation wegen Ureterfistel wurde, wie erwähnt, 
im Jahre 1869 von Simon ausgeführt. 

Außer Simon führten in der nächstfolgenden Zeit diese Operation 
aus wegen Ureter-Bauchdeckenfistel Le Fort und Billroth, wegen 
Ureter-Scheidenfistel und Ureter-Uterusfistel Stark, Bardenheuer, 
Zweifel, Crede, Czerny und Starck. 

Zweifel (46): Nach Zangenentbindung entstandene Ureter-Üterus- 
fistel. Auch nach ausgiebiger Spaltung des Cervixkanals-Fistel unauf- 
findbar. Mißlingen anderer therapeutischer Versuche, daher Nephrek- 
tomie. Ungestörte Heilung. 

Billroth (2): Postoperativ entstandene Ureter-Bauchdeckenfistel. 
Fortwährend wiederkehrende Peritonitis zwingt zur Exstirpation der 
Niere. Nierenbecken mit Eiter gefüllt. Am elften Tage Tod. 

Cred6 (3): Post partum entstandene Ureter-Cervixfistel. Exstirpierte 
Niere zeigt interstitielle Nephritis. 

Czerny (5): Post partum entstandene Harnleiter-Scheidenfistel. 
Nephrektomie, Heilung. 

Fritsch (17): Ureter-Uterusfistel, post partum entstanden. 16mal 
vergebliche Kolpokleisis. Daher Niere exstirpiert. Niere gesund. 

Fritsch (17): Post partum entstandene Ureter-Scheidenfistel. Ne- 
phrektomie. 











Nierenveränderungen bei Uretervaginalfisteln. 139 


Gusserow (15): Postoperativ entstandene Bauchwundenfistel. Ureter 
von der Bauchwunde unerreichbar, daher Nephrektomie, Heilung. 

Schede (34): Ureter-Scheidenfistel und Pyonephrose. Post 
partum entstanden. Vergebliche Versuche die Fistel zu schließen. 
Daher Nephrektomie. Es finden sich Abscesse und kleine Infarkte in 
- der Niere. 

Schede (34): Fall von Ureter-Uterusfistel. Vergebliche Versuche 
des Fistelschlusses. Nephrektomie. Heilung. 

Van der Weed (43): Fall von Ureter-Vaginalfistel. Rechter Ureter 
noch einen Zentimeter durchgängig. Aussichtslosigkeit aller konser- 
vativen Verfahren, daher \ephrektomie. Niere tiefgreifend erkrankt. 

Iversen (18): Nach Zangenentbindung entstandene Ureterfistel. 
Andere Niere funktioniert gut. Fistelniere funktionsuntüchtig, daher 
Nephrektomie. | 

Steinthal (37): Ureter-Cervixfistel mit eitriger Pyelitis auf Seite 
der Fistelniere; Nephrektomie. 

Piqué (28): Operativ entstandene Harnleiterfistel, anderthalb Jahre 
nach Auftreten der Fistel nephritische Erscheinungen. Nephrektomie. 
Heilung. 

Schauta (32): Postoperativ entstandene Harnleiter-Scheidenfistel. 
Nierenexstirpation. Niere degeneriert. 

Condamin: Ureterfistel, Nephrektomie, Heilung. 

Dunning (7): Postoperativ entstandene Ureterfistel, Nephrektomie. 

Asch: Nach Spontangeburt entstandene Ureter-Scheidenfistel. Mehr- 
fache vaginale Einpfanzung gelingt nicht. Laparotomie: extraperitoneale 
Einpflanzung nach Witzel; Steinbildung im Ureter; Ureter-Bauchdecken- 
fistel; Nephrektomie. 

Sutton (39): Nach abdominaler Adnexexstirpation Auftreten von 
Harnbeschwerden. Eine Schwellung im rechten Scheidengewölbe wird 
gefühlt und für einen Abszeß gehalten. Punktion derselben. Es ent- 
leert sich kein Eiter, sondern Harn. Anschließend tritt eine Ureter- 
Scheidenfistel auf, die sich nach einiger Zeit spontan schließt. Wieder- 
auftreten der früheren Beschwerden; daher Nephrektomie. 

Zeiß (45): Postoperativ entstandene doppelte Fistel eines Ureters. 
Exstirpation der Fistelniere; Heilung. 

Treub (41): 3 Fälle. In drei Fällen Niere exstirpiert wegen post- 
operativ entstandener Ureterfistel. T. hält diese Therapie für nicht zu 
radikal, da die Ca.-Patientinnen, um die es sich handelte, sich möglichst 
ihrer Scheingenesung erfreuen sollten, und weil er glaubt, daß meistens 
die entsprechende Niere erkrankt ist. 

Obalinski (26): Nach Totalexstirpation enstandene Ureterfistel. 
Implantation ins Rektum gelingt nicht, daher Nephrektomie. Heilung. 

Naumann (23): Nach Zangenentbindungen entstandene Ureter- 
Uterusfistel (vor 5 Jahren aufgetreten). Vor einem Jahre Abgang eines 
eigroßen Konkrements per vaginam. Jetzt Abgang eines gänseeigroßen 
aus der Cervix. Danach Exstirpation einer Steinniere. Heilung. 


140 lH. Peiser. 


Gnesda (13): Postoperativ entstandene Ureter-Scheidenfistel. Da 
andere Niere gesund, Nephrektomie der Fistelniere; einige Monate später 
Tod infolge neuntägiger Anurie. 

Landau (20): Ureterfistel. Die beiden getrennten Teile desHarnleiters 
sondierbar. Gleichzeitig besteht Pyelitis, daher Nephrektomie. Heilung. 

Lindström (21): Fall von Ureter-Uterusfistel. Fünf Jahre vorher 
durch Zangengeburt entstanden. Nephrektomie einer Steinniere, die zu- 
sleich stark degeneriert ist. Dauernde Heilung. | 

Schauta (32): Operativ entstandene Ureter-Scheidenfistel; wegen 
Neigung zu starkem Blasenkrampf Unmöglichkeit der Implantation des 
Ureters. Daher Nephrektomie; Heilung. 

Seeligmann (36): Postoperativ entstandener Absceß; von der 
Vagina aus eröffnet und drainiert. Nach Ausheilung des Abscesses 
Bildung einer Ureter-Scheidenfistel. Da rechte Niere funktioniert, wird 
die Fistelniere exstirpiert; sie ist schwer erkrankt. 

Israel (17a): Postoperativ entstandene Ureter-Scheidenfistel; 15 Tage 
darauf Temperatursteigerungen und Druckempfindlichkeit der rechten 
Niere. Der aus der Scheide ausfließende Urin, der bisher klar war, 
wird trübe und eitrige. Die Harnsekretion, die früher ebenso stark war. 
wie auf der gesunden Seite, sinkt auf die Hälfte herab. Die Cysto- 
skopie zeigt, daß der rechte Ureter seltener und weniger kräftig arbeitet. 
— Exstirpation der Niere. Heilung. Niere enthält viele Abscesse. 

Feodoroff (9): Bei rechtsseitiger Ureter-Scheidenfistel wird Im- 
plantation des in festes Narbengewebe eingebetteten Ureters in die Blase 
ausgeführt. Später ausgesprochene Pyurie mit Schüttelfrost und Fieber 
infolge aszendierender Ureteritis und Pyelonephritis. Daher Ureter und 
die mit Abscessen durchsetzte Niere exstirpiert. 

Denuc& (6): Postoperativ entstandene Ureter-Scheidenfistel, die 
sich erst drei Monate nach Ausführung der Operation öffnete Hydro- 
nephrotische und zugleich bewegliche Niere exstirpiert. Heilung. 

Schatzkii (30): Ureterfistel, die zur Exstirpation der entsprechen- 
den Niere nötigt. 

Fritsch (12): Postoperativ entstandene Ureter-Scheidenfistel, Nephrek- 
tomie. Heilung. 

Fritsch (12): Postoperativ entstandene Ureter-Scheidenfistel. Chro- 
nisch eitrige Nephritis. Daher Nephrektomie. 

Fritsch (12): Postoperativ entstandene Ureter-Bauchwandfistel. 
Bestehen einer Hvdronephrose. N\ephrektomie. Heilung. 

Fritsch (12): Postoperativ entstandene T'reter-Scheidenfistel. Wegen 
Bestehens einer Nephritis Unterlassung der Implantation in die Blase. 
Nephrektomie. Heilung. 

Nach Jieser Zusammenstellung exstirpierten bei Ureter-Scheidenfistel 

Nieren, die schon vor der Operation als krank erkannt wurden: 
a) wegen Hydronephrose, Nephritis, Pyelitis, Atrophie: Denuct. 
Fritsch (3 Fälle). Feodoroff. Israel, Iversen. Landau. 

© Piqué, Schauta, Schede, Steinthal, Sutton, Treub. 





Nierenveränderungen bei Uretervaginalfisteln. 141 


b) wegen Steinbildung: Asch, Lindström, Naumann. 
Nieren, die erst nach der Operation als krank erkannt wurden: 
Billroth, Credćé, Gnesda, Schauta, Schede, Seelig- 
mann, van der Weed, Zweifel. 
Lediglich der Fistel wegen: Boeckel, Czerny, Fritsch 
(2 Fälle), Gusserow, Obalinski, Schauta, Schatzkii. 
Schede (2 Fälle). 


So sehen wir, daß häufig die Erkrankung der Niere selbst als 
Indikation zum Eingriffe zu betrachten ist. Während das Opfer einer 
gesunden Niere nur dann gerechtfertigt erscheint, wenn man weiß, daß 
die andere funktionstüchtig ist, so wird es einen Operateur immer 
weniger Überwindung kosten, eine Niere, die bereits krank war und 
ihre Funktion in mehr oder weniger hohem Grade eingestellt hatte, heraus- 
zunehmen; hat ja doch dabei die andere schon gleichsam den Befähigungs- 
nachweis für die gesteigerte Inanspruchnahme erbracht. 

Selbstverständlich ist es möglich, daß in späteren Monaten die nun- 
mehr einzige Niere von irgendeiner ganz unabhängigen Krankheit be- 
troffen wird und so das Leben der Patientin aufs höchste gefährdet, wie 
z. B. im Falle von Gnesda, bei dem die Operierte einige Monate nach 
der Nephrektomie infolge neuntägiger Anurie zugrunde ging. 

Nun erhebt sich die Frage: Besteht bei dem häufigen Zusammen- 
treffen von Harnleiter-Scheidenfistel mit Erkrankungen der dazugehörigen 
Niere ein Kausalkonnex’? | 

Will man diese Frage untersuchen, so stehen zwei Wege zur Ver- 
fügung: 

1. die klinische Untersuchung, die sich mit der Vergleichung des 
aus der erkrankten Niere stammenden Fistelharns und des aus der ge- 
sunden Niere stammenden Blasenharns, sowie den sonstigen Krankheits- 
erscheinungen zu beschäftigen hat; 

2. die pathologisch-anatomische Untersuchung der exstirpierten Niere 
bzw. bei letal verlaufenden Fällen von Ureter-Scheidenfisteln der bei 
der Sektion gewonnenen Niere. 


1. Klinische Beobachtungen. 


Zangemeister (44): Zwei Beobachtungen von Ureterfisteln, ein- 
mal kombiniert mit Blasen-Scheidenfisteln. In beiden Fällen konnte 2. 
mit absoluter Sicherheit und Klarheit mittels Chromocvstoskopie nach- 
weisen, wie die gesunde Niere einen Teil der wohl infolge Narben- 
schrumpfung des zugehörigen Ureters zum Teil erloschenen Funktion 
der anderen Niere übernommen hatte. 

Hagen-Torn (16): Zwei Fälle von Ureter-Scheidenfisteln; konse- 
kutiv Pyelonephritis ascendens. 

Grimsdale (14): Postoperative Ureter-Scheidenfistel. Ureter mündet 
in eine Absceßhöhle im linken Ligament. Linke Niere stark vergrößert. 
Pyelitis. Probelaparotomie. Tod an Urämie. 


142 H. Peiser. 


Fränkel (11): Rechtsseitige Ureter-Scheidenfistel nach schwerem 
Partus. Transperitoneale Einpflanzung nach Fritsch. Glatte Heilung 
trotz daumendicker Dilatation des Ureters und Pyonephrose (zeitweise 
Fieber vor der Operation). Chromocystoskopische Untersuchung: Ein- 
heilung und deutliche, aber sehr träge Funktion des Ureters. 

Thumin (40): Fall von Einbeziehung des Ureters in die Narbe 
einer operierten Ureter-Scheidenfistel. Bildung einer intermittierenden 
Hydronephrose. 

Onufrowitsch (27): Einnähung des bei der Operation verletzten 
Ureters in die Bauchwunde. Ansteigen der Harnsekretion in der Folge- 
zeit links, völliges Erlöschen in der rechtsseitigen Fistelniere infolge 
Nierenatrophie. 

Neumann (25): Bei Zunahme des Fistelurins Vermehrung der 
Erscheinungen, welche auf katarrhalischen Zustand der zugehörigen 
Ureteren- und Nierenbeckenschleimhaut hinweisen. Zu diesen Zeiten 
enthält Urin viel Schleim und Eiter. Sekretorische und filtra- 
torische Funktionstüchtigkeit der gesunden Niere größer als die der 
Fistelniere. 

Mackenrodt (22): Ein geheilter Fall von Harnleiter-Gebär- 
mutterfistel. Exstirpation des kranken Uterus und Einnähung der 
Wandung des rechten Ureters in den rechten Wundwinkel der Scheiden- 
Peritonealöffnung. Blase entleert den Urin aus der rechten Niere: 
durch die neuangelegte Ureter-Scheidenmündung ergießt sich der Urin 
der linken Niere. In den ersten Tagen geringere Fistelurinmengen, 
vom sechsten Tage ab Fistelurinmenge stark gesteigert (beträgt zirka 
1000 g pro die). 

Mackenrodt vermutet, daß der Urinabfluß durch die Fistel er- 
heblich leichter vonstatten gehe, als durch die Ureterpapille, und daf 
dementsprechend sozusagen durch den geringeren Diffusionswiderstand 
in der rechten Niere mehr Flüssigkeit abgeht, als links. Auch Posener 
- teilt diese Ansicht. 

Schatz (29): Fall von Harnleiter-Scheidenfistel. Bei gleichen 
Sekretionsmengen besitzt der aus der Scheide abfließende Harn ein 
spezifisches Gewicht von 1003 bis 1006, der in die Blase sezernierte ein 
solches von 1030 bis 1040. Dieses Verhältnis blieb durch fünf Wochen 
konstant, ohne Rücksicht auf die Lage der Kranken und die Getränk- 
zufuhr, sowie auch bei Einlegen eines Verweilkatheders und bei An- 
wendung von Diureticis. Das aus der Scheide fließende Sekret war 
ferner sehr arm an Eiweiß und außerdem konnte kein Harnstoff 
darin nachgewiesen werden. Nach der Operation (Vereinigung von 
Ureter und Blase) wurde aus der Blase ein Harn von 1018 bis 1022 
spez. Gewicht exzerniert. Die Fistel hatte zur Zeit der Untersuchung 
viereinhalb Monate bestanden. 

In einem zweiten Fall von Ureterfistel, die durch totale Uterus- 
exstirpation entstanden war, war nach dreimonatlichen Bestehen der 
Fistel der aus der Scheide abfließende Harn von 1012, der Blasenharn 


Njerenveränderungen bei Uretervaginalfisteln. 143 


von 1024 spez. Gewicht und der Fistelharn doppelt so reichlich als 
der Blasenharn. — Schatz ist der Anschauung, daß diese Veränderung 
des Harns Folge des Bestehens der Fistel ist und vielleicht dadurch 
bewirkt wird, daß Mikroorganismen aus der Scheide durch den Ureter 
emporsteigen. Er glaubt also an entzündende Vorgänge in der be- 
treffenden Niere, und tritt deshalb für eine möglichst baldige operative 
Vernähung des Ureters oder Implantation in die Blase ein. 

Iversen (18): I. sieht in der Nephrektomie die Hauptbehandlung 
des betreffenden Leidens, weil er das Auftreten einer suppurativen 
interstitiellen Nephritis in der dem lädierten Ureter angehörigen Niere 
als fast nie ausbleibende Folge des Leidens ansieht. Als Zeichen einer 
solchen Nierenentzündung führt er (außer Fieber, Druckempfindlichkeit 
usw.) auch die vergrößerte Menge des durch die Fistel entleerten 
Harnes, sowie hauptsächlich die verringerte Menge Harnstoff mit der 
des Blasenharnes verglichen an. In seinem Falle enthielt der Fistel- 
harn nur 0,33, der Blasenharn 1,57 °/), Harnstoff. 

Neumann, Per (24): Zwei Monate nach einer Adnexoperation 
Öffnung einer Ureterfistel durch die Bauchnarbe. Ein Versuch, eine 
Scheiden-Ureterfistel statt der Bauch-Ureterfistel anzulegen (um erstere 
leichter schließen zu können) gelang nur vorübergehend. Neun Monate 
nach Entstehung der Fistel Erweiterung der Bauchwunde; der Ureter 
war dermaßen in Narbengewebe eingehüllt, daß eine Vernähung der 
Fistel oder Implantation in die Blase unmöglich erschien. Nach diesem 
Eingriff schloß sich aber die Fistel allmählich. Patientin ist völlig ge- 
sund und kaum ein Jahr später wieder schwanger. (Siehe weiter unten 
drei von Asch beobachtete Fälle.) 

Aus diesen Beobachtungen geht hervor, daß bei Bestehen einer 
Harnleiter-Scheidenfistel die Funktionstüchtigkeit der Fistelniere häufix 
Ip irgendeiner Weise beeinflußt wird. 

In den Fällen von Zangemeister und Fränkel hatte die gesunde 
Niere die erlöschende Funktion der anderen übernommen, was cysto- 
skopisch nachzuweisen war. 

In den Fällen von Hagen-Torn, Grimsdale und anderen sind 
es entzündliche Prozesse, die die Nierentätigkeit beeinflussen, bei 
Thumin eine intermittierende Hydronephrose. 

S. Neumann weist bei seinem Falle eine sekretorische und fil- 
tratorische Funktionsabnahme nach, bei Onufrowitsch atrophiert die 
Niere völlig; im Falle Schatz zeigte der Fistelharn vermindertes spezi- 
fisches Gewicht, sowie Fehlen des Harnstoffgehaltes. Ähnliches gilt 
für den Fall von Iversen, und wenn sich bei Per Neumann die 
Fistel allmählich schließt, so wird dies auch auf keine andere Ursache, 
als auf Versiegen der Nierentätigkeit zurückzuführen sein. 

Demgegenüber steht die Tatsache, daß bei Mackenrodts Fall der 
Fistelurin vom sechsten Tage ab gegenüber dem Blasenurin reichlich 
vermehrt war und ebenso in Schatz’ zweitem Falle die Fistelniere 
doppelt so viel Urin lieferte, als die andere. Mackenrodt und Posener 

Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 10 


144 H. Peiser. 


suchen sich dies durch die Annahme zu erklären, daß durch die Fistel 
der Urinabfluß erheblich leichter vonstatten gehe, als durch die Ureter- 
papille, und so in der Fistelniere ein geringerer Diffusionswiderstand 
herrscht. Bekanntlich beginnt aber sehr bald eine Schrumpfung der 
. Fistelnarben, so daß die Fisteln häufig in haarfeine Kanäle umgewandelt 
werden. Überträgt man hierauf nun die Mackenrodtsche und Posener- 
sche Annahme, daß bei erweiterter Abflußöffnung der Diffusionswider- 
stand abnehme — umgekehrt bei verengerter Abflußöffnung der Diffu- 
sionswiderstand, wenn auch vielleicht nur zeitweilig steigen muß —. 
so wäre bei Offenbleiben der Fistel wahrscheinlich die Harnmenge 
bald gesunken, vielleicht schließlich gänzlich versiegt. Indessen konnte 
bei Mackenrodt infolge der zeitigen Operation das Stadium der Ver- 
engerung gar nicht erst auftreten. Hätte Mackenrodt wie Schatz 
auch Harnstoffbestimmungen gemacht, so wäre er wahrscheinlich zu 
einer geringeren Funktionstüchtigkeit der Fistelniere gelangt. 

Vielleicht ließe sich auch der Gedanke nicht von der Hand weisen. 
daß die Steigerung am sechsten Tage — wenn man annimmt, daß an 
diesem Tage ein aszendierender entzündlicher Prozeß die Niere erreicht 
hat — das hypersekretorische Stadium dieser Entzündung darstellt. 
wie es sich häufig im Anfange von Nephritiden zeigt. Zur Beobachtung 
des zweiten Stadiums wäre Mackenrodt infolge der Operation jeden- 
falls nicht gekommen. 

Ist man so berechtigt, die von Mackenrodt und Schatz, für 
dessen zweiten Fall dasselbe gilt wie für Mackenrodt, gemachten 
Beobachtungen nicht als Gegenbeweis aufzufassen, so stellt sich die 
oben erwähnte Sekretionsbeeinflussung stets als eine Funktionsverminde- 
rung dar, die in manchen Fällen bis zum völligen Versiegen führen 
kann. 


2. Pathologisch-anatomische Beobachtungen. 


Fritsch (17): Beschreibung der exstirpierten Niere: Niere ver- 
größert, Kapsel verwachsen. Beim Durchschneiden zeigt sich das 
typische Bild der eitrigen interstitiellen N\ephritis. 

Seeligmann (36): Niere hochgradig fettig degeneriert: im Hilus 
Eiter um kalkulöse Konkremente. | 

Feodoroff (9): Niere mit Abscessen durchsetzt. 

Lindström (21): Niere zeigt mit Steinen angefülltes Becken, sie 
ist stark derreneriert. 

Gnesda (13): Niere groß, Nierenoberfläche blaß, im Durchschnitt 
das Nierenbecken weiß, seine Schleimhaut injiziert; in der Rinden- 
substanz gelbliche und verfettete Stellen. Mikroskopischer Befund: 
Diffuse kleinzellige Infiltration mit stellenweiser Verödung der Harı- 
kanälchen: hier und da granulierte Zylinder in vom Epithel entblößten 
Kanälchen. 

Naumann (23): Niere ist eine Steinniere. 

Lindström (21): Niere ist eine Steinniere. 


Nierenveränderungen bei Uretervaginalfisteln. 145 


Crickx (4): Niere atrophisch; renaler Teil des Ureters und Nieren- 
becken dilatiert. In der Blase in der Nähe der Kommunikation zwischen 
Blase und Scheide grangränöse Herde in der Schleimhaut. 

Schauta (31): Stärkere Injektion der Pyramiden; in der Rinden- 
substanz gelbliche verfettete Stellen; diffuse kleinzellige Infiltration, 
stellenweise Verödung der Harnkanälchen; hier und da Zylinder und 
von Epithelien entblößte Kanälchen. 

Piqué (28): Niere vollständig zerstört und in mehrere miteinander 
koınmunizierende Eitersäcke mit sehr dünnen Wandungen verwandelt. 

Van der Weed (43): Exstirpierte Niere bereits tiefgreifend er- 
krankt und mit kleinen Abscessen durchsetzt. 

Zweifel (46): Herausgeschnittene Niere klein, vom Nierenbecken 
aus aufgeschnitten zeigt es sich, daß funktionierende Substanz fast voll- 
kommen atrophisch und alles noch Bestehende nur aus dem Nieren- 
becken mit seinen vielen Buchten besteht. | 

S. Neumann (25): Exstirpierte Niere zeigt partielle, interstitielle, 
chronische Entzündung. 

Iversen (18): Exstirpierte Niere vergrößert und mit zahlreichen 
interstitiellen Abscessen durchsetzt. 

Schede (33): Exstirpierte Niere hydronephrotisch, mit Schrump- 
fungsprozessen der Rinde und Verwachsungen mit der Umgebung. 

Schede (34): Exstirpierte Niere voll kleiner Infarkte. 

Fritsch (12): Exstirpierte Niere graurot, Zeichnung verwischt. 
Nierenbecken erweitert, Innenfläche mit Eiter belegt. Epithel fettig 
degeneriert, Harnkanälchen mit zerfallenen Epithelien erfüllt. Im ver- 
dickten interstitiellen Bindegewebe diffuse, kleinzellige Infiltration. An 
einigen Stellen Parenchym gänzlich zerstört. Reichliches Vorhandensein 

von Mikrokokken. 

Diese Übersicht über die pathologisch-anatomischen Untersuchungen 
lehrt uns, daß sich in der Fistelniere Prozesse abspielen, die zur Schä- 
digung des Nierenparenchynis, mitunter sogar zur Vernichtung desselben 
führen. Bald wird von den Autoren eine einfache Atrophie beobachtet, 
bald handelt es sich um entzündliche Prozesse mit Wucherungen bzw. 
narbiger Schrumpfung des Zwischengewebes. Bald bildet sich eine 
Hydronephrose, bald eine Pyonephrose aus. 

Bevor wir nun zum Entscheid der oben aufgeworfenen Frage nach 
dem Kausalkonnex zwischen Fistel und Nierenerkrankung gehen und 
das pathologisch-anatomische Material kritisch würdigen, seien drei von 
Asch behandelte Fälle aufgeführt, von denen der erste klinische — 
dessen Geschichte wir in extenso bringen — ganz genau beobachtet 
und registriert werden konnte, während die beiden anderen — Privat- 
patientinnen — sich einer > ebenso genauen klinischen Beobachtung ent- 
zogen. 

Fall I. 


A. Sch., Dienstmädchen, 24 Jahre, Aufnahme 26. II. 08. Mutter an Tuberkulose 
gestorben, sonst Familienanamnese belanglos. Mit 16 Jahren Gelenkrheumatismus. 


10* 


146 H. Peiser. 


Erste Periode mit 15 Jahren, alle drei Wochen, vier bis fünf Tage dauernd. 
Blutungen ziemlich stark, ohne Schmerzen. 

Erster Partus spontan, Wochenbett afebril. Zweiter Partus, der auf der Frauen- 
abteilung des Allerheiligen-Hospitals am 30. IX. 06 erfolgte, mit Fieber im Wochen- 
bette infolge gonorrhoischer Aszension. Auch bestand damals Lues im sekundären 
Stadium. Die Aszension führte zur Entstehung von chronisch entzündlichen Adnex- 
tumoren, die auf langdauernde konservative Behandlung sich nicht besserten und der 
Pat. viele Beschwerden verursachten. Infolgedessen am 29. XII. 06 vaginale Hystero- 
salpingo-oophorektomia dextra, durch den Sekundärarzt der Frauenabteilung des Aller- 
heiligen-Hospitals. 

Wenige Tage nach der Operation lag Patientin naß, und zwar ging in der Folge- 
zeit bald mehr, bald weniger Urin per vaginam ab. Es stellten sich bei ihr wieder- 
holt pyelitische Anfälle mit hohen Temperatursteigerungen ein, die sich aber bei der 
üblichen internen Behandlung besserten. Vermittels Chromocystoskopie wurde fest- 
gestellt, daß, während der rechte Ureter tadellos funktionierte, der linke verödet war. 
Im weiteren Verlaufe zeigte sich, daß der Urinabgang durch die Scheide sich stark 
verringerte und bei einer genauen Besichtigung wurde festgestellt, daß während einer 
Beobachtungsdauer von einer Viertelstunde kein Urin hbervortrat, die Scheide vielmehr 
trocken blieb. Daraufhin wird Patientin am 12. IV. 07 entlassen. Nach kurzer Er- 
holung auf dem Lande konnte sie wiederum eine Stellung annehmen, in der sie im 
allgemeinen tüchtig zu arbeiten imstande war. Patientin befand sich dabei dauernd 
in poliklinischer Beobachtung und gab an, seit der Operation sei stets wenig Urin 
durch die Scheide unfreiwillig abgeflossen, so daß ihre Unterkleider immer etwas nab 
gewesen seien. Mitunter — etwa alle fünf Wochen — stellten sich vier bis fünf 
Tage dauernde Schmerzen in der Nierengegend ein, doch konnte sie trotzdem ihre 
Arbeit stets verrichten. Eine ihr wiederholt behufs Fisteloperation angeratene Auf- 
nahme lehnte sie jedoch stets ab. In letzterer Zeit wieder Schmerzen in der Nieren- 
gegend, daher läßt sie sich am 26. II. 08 aufnehmen. 

Status bei der Aufnahme: 

Kräftiges, gut genährtes, gesund aussehendes Mädchen. 

Herz: Zweite Töne akzentuiert, sonst normal. 

Lungen: Normal. 

Puls und Temperatur: Normal. 

Abdomen: Linke Nierengegend auf Druck empfindlich, sonst normal. 

Urin: Blasenurin (rechte Niere) reagiert sauer; enthält kein Eiweiß und keinen 
Zucker. 

Genitalbefund: Scheide mittelweit, am oberen Ende des Scheidenblindsackes 
kleine, kirschkerngroße, platte Vorragung; sonst glatte Scheidenwände. In der Mitte 
der oberen Scheidenverschlußnarbe eine hochrote, leicht blutende, einer massigen 
Granulation ähntInde Substanz, die weich und gestielt ist. Von einer etwa irgendwo 
sezernierenden Fistel ist nichts zu bemerken. Die Scheide bleibt auch nach längeren: 
Zuwarten vollkommen trocken. 

13. III. 08. Abtragung der Granulation mit dem Paquelin. Urinmenge aus der 
Blase allein 1600—1900 g pro die; bei reichlichem Trinken noch mehr; per vaginam 
nur wenig Urinsekretion. 

16. III. 08. Patientin liegt wenig naß. Kein Fieber. Wohlbefinden. 

30. III. 08. Aus der Scheide nur minimale Spuren von Urinsekretion. 

10. IV. 08. Cystoskopie: Rechter Ureter prompt funktionierend, linker scheint 
vollig verödet zu sein. 

25. IV. 08. Cystoskopie: Rechter Ureter stark und regelmäßig sezernierend. 
links statt der Uretermündung ein weißes tiefliegendes Feld auf injiziertem Grunde. 
Ziemlich starke Injektion der ganzen Blasenschleimhaut. 

28. 1V. 08. Ureterenkatheterismus (ausgeführt von Dr. Löwenhardt, welcher 
zu den urologischen Untersuchungen zugezogen wurde): Rechter Ureter sezerniert 
reichlich Urin, linker Ureter ist von der Blase aus höchstens zwei Zentimeter weit 
zu sondieren: alsdann ein auch für die dünnsten Katheter unüberwindliches Hindernis- 


Nierenveränderungen bei Uretervaginalfisteln. 147 


Auf dieser Seite kein Tropfen Urin (hieraus geht hervor, daß sich links aller Harn 
durch die Ureter-Scheidenfistel ergießt, ohne daß sich auf dieser Seite auch nur ein 
Tropfen Harn in die Blase entleert). 

29. IV. 08. Nach reichlichem Trinken wird der aus der Fistel sezernierte Urin 
mit dem Blasenurin verglichen. Blasenurin nach dreiviertel Stunden 350 ccm, frei von 
Eiweiß und Zucker. Fistelurin in derselben Zeit etwa 20 ccm, frei von Eiweiß und 
Zucker, enthält vereinzelte Epithelien. 

4. V. 08. Erneute Probe: Blasenurin in 60 Minuten 150 ccm, kein Eiweiß und 
kein Zucker. Fistelurin in derselben Zeit 1!j, ccm, getrübt. Enthält reichlich Eiweiß 
nnd besitzt größeren Salzgehalt als der Blasenurin. 

6. V. 08. Cystoskopie nach Indigkarmininjektion: linker Ureter funktioniert 
nicht, auch aus der Scheide tritt keine blaugefärbte Flüssigkeit aus. 

7. V. 08. Ein Probetampon nach Indigkarmininjektion in die Scheide eingelegt. 
Bei der Herausnahme zeigt er sich nur ganz schwach bläulich gefärbt. 


Es hat hier also eine postoperativ entstandene linksseitige Ureter- 
fistel allmählich immer weniger Urin abgesondert. Der Vermutung, 
die von mancher Seite ausgesprochen worden ist, daß ein seitlich ver- 
letzter Ureter etwa wieder in normaler Weise wegsam geworden wäre. 
daß die seitliche Kommunikation mit der Scheide allmählich sich ver- 
engend schließlich zur Heilung kommen könne und der Urin wieder 
der Blase zugeführt werde, konnte durch die cystoskopische Untersuchung 
wiederholt entgegengetreten werden; der auf kurze Strecke wegsanıe 
Ureterstumpf funktionierte nie; die vollkommen ausreichende Urinmenge 
des Blasenharns wurde lediglich von der rechten, stets gesund befundenen 
Niere geliefert. 


Von einer Implantation des Ureters in die Blase sah Asch ab, weil der Urin 
der Fistelniere wiederholt abnorm befunden worden war, die Beschwerden auf eine 
Erkrankung dieser Niere hinwiesen. Auch eine Nierenexstirpation riet Asch der 
Pat. zunächst nicht an, weil die Urinmenge in so außerordentlichem Maße abgenommen 
hatte, daß eine völlige Verödung des Nierenparenchyms, ein völliges Versiegen der 
Fistel abzuwarten war; zu dieser Annahme berechtigten ihn zwei frühere, weiter unten 
besprochene Beobachtungen. Nur der ausdrücklich wiederholt geäußerte Wunsch der 
Patientin, sie endgültig von ihrem, wenn auch wenig störenden Leiden zu befreien, 
ließ Asch schließlich zur Entfernung des fast untauglichen Organes schreiten. 

8. V. 08. Nephrektomie: Schnitt parallel dem Rippenbogen an der Flanke. 
Fascie scharf, Muskulatur stumpf durchtrennt. Abschieben des sich vorwölbenden 
Abdominalsackes durch Bauchserviette. 

Einschneiden der Fettkapsel der Niere in situ. Darauf stellt sich die Niere ein. 
Die Kapsel liegt ihr in losen Falten völlig verschieblich auf. Das Organ selbst ist 
ganz auffallend klein, ziemlich derb und solid. Es besteht keine eigentliche Hydro- 
nephrose. Die Niere wird aus der Wunde herausgezogen. Der Nierenbeckengrund 
wird samt der Einmündungsstelle der großen Gefäße mit Nierenquetsche gefaßt und 
mit zwei Fäden abgebunden. Hierauf Abtragung mit dem Paquelin. Der Stumpf 
wird versenkt und danach die Wunde wieder schichtweise verschlossen. Blutung war 
minimal. 

9. V. 08. Temperatur 38,1, Puls 82, Urinmenge 1625 cen. 

12. V. 08. Temperatur 36,7, Puls 80, Urinmenge 1500 cem. 

15. V. 08. Temperatur 37,2, Puls 82, Urinmenge 1875 ccm. 

18. V. 08. Temperatur 36,5, Puls 76, Urinmenge 2620 ccm. Verbandwechsel. 
Primäre Wundheilung. Entfernung der Hautfäden. Urin frei von E. und Z. 

23. V. 08. Normale Urinmenge. Pat. steht auf, gutes Wohlbefinden. 

3. VL 08. Pat. wird geheilt entlassen. 


148 | H. Peiser. 


Nach der Entlassung hat sich Pat. öfters vorgestellt; sie befindet sich in bestem 
Gesundheitszustande. 

Untersuchung der exstirpierten Niere. Die Niere ist klein und macht schon bei 
oberflächlicher Betrachtung einen atrophischen Eindruck. Die Nierenkapsel ist stark 
gefältelt und verschieblich. Das Lumen der Nierengefäße zeigt eine normale Weite. 
Auch das Lumen der zuführenden Arterie ist nur unwesentlich verändert. Die Farbe 
der Niere ist ein blasses Braunrot; ihre Oberfläche zeigt mehrfache der fötalen Lappung 
ähnliche Einziehungen. Das Gewicht beträgt 27 g (120—140 g bei Frauen normal). 
Die Länge 7,6 cm (gegen 12,3 normal). Die Breite 3,8 cm (gegen 5,9 normal). Die 
Dicke 2,6 cm (gegen 4,2 normal). Das Nierenparenchym ist stark verschmälert, nur 
9—14 mm dick (gegen 23—27 mm). Hiervon entfallen aufs Mark 4—7 mm (gegen 
16—19 mm). Auf die Rinde 3—5 mm (gegen 7—8 mm). Im Verhältnis zum Paren- 
chym ist das Nierenbecken vergrößert. Länge 5 cm, Breite 2,5 cm (normale Weite 
ca. 30 mm). Öffnung an der Schnittstelle ca. 1 cm D. Ferner sind die Papillen ab- 
geflacht; statt der Pyramidenspitzen der Papillen ist eine vollkommene Abflachung, 
stellenweise sogar eine leichte Exkavation eingetreten. Am Nierenhilus ist an Stelle 
des geschwundenen Parenchyms reichlich Fettgewebe getreten (s. Abb. S. 155). 

Im mikroskopischen Präparate (s. Tafel Fig. 1) sieht man vielfach narbige Schrump- 
fung des Zwischengewebes namentlich in der Rindensubstanz. Hier sind die Glomeruli 
stellenweise dicht aneinandergerückt; vielfach sind sie vollkommen verkalkt und ihre 
Kapseln stark verdickt. Daneben sieht man fibrös degenerierte Glomeruli, sowie eine 
Reihe von Übergangsstadien, bei denen in erster Linie die Verdickung ihrer Kapsel 
auffällt, die zum größten Teile in einer konzentrischen Verdickung ihrer Bindegewebs- 
lagen besteht. Nicht selten trifft man zugleich mit der Vermehrung des fibrösen Ge- 
webes eine Gestaltsveränderung des Glomerulus an, der seine rundliche Forın vielfach 
eingebüßt hat, und der an manchen Stellen nur noch spärliche Reste der Gefäß- 
schlingen erkennen läßt. An diesen Teilen des Präparates ist die Verdickung der 
Kapsel besonders stark; auch deren Inneres ist mehrfach von Bindegewebe erfüllt. 
In den so veränderten Glomerulis tritt der Kalk zunächst fleckweise auf, um dann 
später mehr und mehr die Kapsel vollständig auszufüllen; ebenso sind die geraden 
Kanälchen stellenweise verkalkt. Die weniger stark veränderten Tubuli zeigen mehr- 
fach Epithelverluste oder — wo solches erhalten ist — geringere Färbbarkeit oder 
Kernschwund der Zellen. Andere hinwiederum lassen unverkennbar eine Erweiterung 
ihres Lumens hervortreten, die stellenweise an cystenähbnliche Dilatation erinnert. In 
diesen Hohlräumen sieht man sehr häufig größere Haufen abgestoßener Epithelzellen, 
die jedoch eine bestimmte Struktur nicht mehr erkennen lassen. Ferner besteht in 
der Rinde eine ausgedehnte fettige Degeneration der Epithelien der Glomeruli sowie 
der gewundenen Kanälchen. Vielfach haben die Epithelien ihre Kerne verloren und 
sind hier die Zellen von großen Vakuolen erfüllt, die offenbar auf die fettige Dege- 
neration zurückzuführen sind; an anderen Stellen vollkommenes Fehlen des Epithels. 

In der Marksubstanz (s. Tafel Fig. 2) findet sich hingegen das Bindegewebe reichlich 
gewuchert, namentlich um die Tubuli recti herum. Infolge der Verminderung des Paren- 
chyms ist die Abgrenzung zwischen Rinde und Markschicht nicht mehr eine so scharfe 
wie in der normalen Niere. Infolgedessen trifft man hier und da im oberen Teile der 
letzteren vereinzelte Glomeruli an, die in ihrem histologischen Verhalten das gleiche 
Bild darbieten. wie die oben geschilderten. Die geraden Kanälchen sind streckenweise 
erfüllt von zylinderförmigen Ausgüssen, die sich größtenteils aus abgestoßenen. stark 
veränderten Epithelien zusammensetzen, vielfach auch hyaline Beimengungen auf- 
weisen. Gegen die Pyramidenspitze hin tritt die Wucherung des Bindegewebes, die 
bisher so häufig angetroffen wurde, besonders stark und deutlich hervor. 

Ebenso tritt an der Peripherie der größeren Gefäße eine reichliche Zunahme 
des fibrösen Gewebes auf. Die Intima und Muscularis der Blutgefäße ist ebenfalls 
stark gewuchert, stellenweise sogar so stark, daß das Lumen der Gefäße völlig oblite- 
riert ist (s. Tafel Fig. 3). 

Das mikroskopische Bild ergibt demnach: Schrumpfung des Bindegewebes in der 
Rindensubstanz und Vermehrung desselben in der Marksubstanz; ferner Verdickung 


Nierenveränderungen bei UTretervaginalfisteln. 149 


der Glomeruluskapseln mit fibröser Degeneration des Gefäßknäuels: stellenweise Ver- 
kalkung der Glomeruli. Auch die Tubuli sind schwer verändert, das Epithel degeneriert, 
teilweise völlig geschwunden. An einigen Stellen Erweiterung ihres I umens. In der 
Marksubstanz besteht durchweg Vermehrung des Bindegewebes, nicht selten Ver- 
dickung der Gefäßwände, verbunden mit Verengerung des Gefäßlumens. Es handelt 
sich also um eine allgemeine Atrophie des Nierenparenchyms infolge fibröser Dege- 
neration und Verkalkung der Glomeruli, sowie Vermehrung des interstitiellen Binde- 
gewebes. Die vorliegenden Präparate entsprechen demnach dem Bilde der Nieren- 
schrumpfung, wie solche sich bei Kombination interstitieller und parenchymatöser Ent- 
zündungsprozesse ausbildet. | 

Im Nierenbecken finden sich nirgends Anzeichen einer bestehenden Pyelitis. 
Trotz sorgfältigster Untersuchung der mikroskopischen Präparate zeigt die Nieren- 
beckenschleimhaut nirgends entzündliche Veränderungen. 


Fall II und II. 


Es sei mir bier gestattet, noch zwei Fälle aus der Privatpraxis des Herrn 
Dr. Asch anzuführen, die beweisen, daß eine spontane Verödung der durch eine 
Ureter-Scheidenfistel mit der Außenwelt kommunizierenden Niere eintreten kann. 

Im ersten handelte es sich um eine von ihrem Gatten gonorrhoisch infizierte 
Frau, die in einem Badeorte vom Arzte lokal behandelt, an schwerer Salpingitis und 
Pelveoperionitis erkrankte; trotz aller Ermahnungen blieben Reinfektionen von seiten 
des wiederholt von seinem Arzt gesund erklärten Gatten nicht aus; immer wieder 
waren Gonokokken nachweisbar und häufig traten Exazerbationen der Metritis und 
Pelveoperionitis auf. Trotz viele Jahre hindurch fortgesetzter konservativer Behand- 
lungsmethoden besserte sich der Zustand der Frau nur wenig oder vorübergebend, 
sie kam immer mehr und mehr herunter und entschloß sich endlich, Aschs Rate zur 
Radikaloperation zu folgen. 

Diese gestaltete sich infolge der vielfachen und festen Verwachsungen ausnahms- 
weise schwierig; die Parametrien waren mehr als bei einfach gonorrhoischer Infektion 
mitergriffen und stellten starre, dicke infiltrierte, kaum von den Adnexen und den 
perimetrischen peritonealen Schwarten und eingedickten Exsudatresten zu trennende 
Massen dar. So kam es wohl, daß bei der gründlichen Ausräumung und den mehr- 
fachen Umstechungen der Ureter nicht vermieden wurde. Wenige Tage nach der 
Operation lief Harn durch die Scheide ab; im übrigen ging die Heilung glatt von- 
statten, und die Pat. verließ nach 26 Tagen die Klinik mit einer rechtsseitigen Ureter- 
fistel. Der Blasenurin war eiweißfrei und klar; der Fistelurin trübe und enthielt 
Flocken; in gut filtriertem Fistelurin kein Eiweiß. Die Pat. wollte sich einige Zeit 
erholen, um später die Fistel operieren zu lassen. 

Bald aber nahm die Sekretion aus der Fistel auffallend ab. Schon drei Monate 
nach der Exstirpation kam nur noch wenig Urin aus der Scheide; dabei war die 
Niere nicht vergrößert, der Urin aus der Blase reichlich. Ganz allmählich hörte die 
Absonderung völlig auf und nach einem weiteren Vierteljahre konnte nie wieder eine 
Funktion der Fistelniere — weder von der Pat., noch von Asch — entdeckt werden. 
Der Blasenurin blieb normal. 

War in diesem Falle der Gedanke an eine Verödung der Niere mehr als nahe- 
liegend und die Annahme, daß der Urin der betreffenden Niere etwa mehr und mehr 
den normalen Weg wiedergefunden habe, durch nichts zu begründen, so konnte 
Asch sich in einem anderen Falle mit Sicherheit von dem Eintritt der Nierenatrophie 
überzeugen. 

Eine 60jährige Frau kam mit einem ziemlich fortgeschrittenen Cervixcarcinom 
hinter enger, seniler Scheide in Behandlung. Bei der Totalexstirpation nach Wert- 
heim zeigte sich der linke Ureter in die Carcinommassen einbezogen. Asch rese- 
zierte das befallene Stäck und pflanzte das zentrale Ende in den Scheidenwinkel ein, 
um später bei rezidivfreiem Verlauf die vaginale Implantation vorzunehmen. Eine 
sofortige transperitioneale Implantation in die Blase schien bei dem Zustande der Pat. 


150 H. Peiser. 


nach der an sich eingreifenden Operation weniger geraten. Öperierte genaß und blieb 
rezidivfrei, ist es auch jetzt nach mehr als vier Jahren noch. 

Hier verzögerte die Ausführung des Planes einer Fısteloperation eine Cystitis, 
die erst drei Monate später völlig geheilt wurde. Asch scheute vor einer Plastik 
an der erkrankten Blase und fürchtete, zumal der Fistelurin eiweißfrei war, die sonst 
gesunde Niere mehr zu gefährden. Auch ließ die Sekretion aus der Scheide nach 
einigen Monaten nach. Statt des üblichen zuerst getragenen Urinals genügte eine 
von Asch angegebene einfache Vorrichtung. In ein gut passendes Mensingasches 
Okklusivpessar wird ein Schlauch schräg eingelötet, der aus der Vulva heraushängend 
mit einem Quetschhahn versehen ist. Die Pat. entleerte die oberhalb angesammelte, 
immer geringer werdende Urinmenge durch Öffnen dieses Hahnes. Sieben Monate 
nach der Laparotomie war nur ein ganz geringes Sickern aus der Ureterfistel zu 
konstatieren, der Urin in der Blase reichlich, eiweißfrei und völlig klar. 

Nach neun Monaten war die Urinsekretion aus der Fistelniere völlig versiegt. 

Während der ganzen Zeit waren nie Erscheinungen von Hydronephrose oder 
irgendeiner Erkrankung der Niere aufgetreten; das Befinden der Pat. wurde immer 
besser und ist auch heute ein völlig gutes. 

Hier ist die Möglichkeit eines Wegsamwerdens des durchschnittenen, 
eingenähten Ureters völlig ausgeschlossen, und der Fall beweist aufs 
deutlichste die Möglichkeit einer spontanen Verödung einer Ureter- 
fistelniere, möglicherweise ohne den Umweg einer Hydronephrose, für 
deren Bestehen nie ein Anhalt zu finden war, und ohne irgendwelche 
auffallende Erkrankung des Organs. Bei gesunder, gut funktionierender 
anderer Niere mag wohl hier eine langsame Schrumpfung zur Atrophie 
geführt haben, die auf das Allgemeinbefinden ohne merkbaren Einfluß 
geblieben ist. In der Zeit von der Entfernung des Carcinoms bis 
zum völligen Versiegen der Fistel hatte die Dame sieben Pfund zu- 
genommen. 

Geht man zur Beantwortung der Frage über, ob ein Kausalkonnex 
zwischen Erkrankung der Fistelniere und Vorhandensein von Ureter- 
Scheidenfistel besteht, so muß diese Frage unbedingt bejaht werden. 
Natürlich; denn es können ja die in der Fistelniere entstehenden Druck- 
differenzen, die durch narbige Schrumpfung der Ureterfistel hervor- 
gerufen werden, nicht ohne Einfluß auf die Niere bleiben, es müssen 
die durch den Ureter aus der Scheide aufsteigenden Bakterien ihren 
schädigenden Einfluß auf das Nierengewebe geltend machen. Selbst- 
verständlich wirken diese beiden ungünstigen Einflüsse zusammen, 
denn wenn bei einer einfachen Ureterabbindung allein die Drucksteige- 
rung zur Hydronephrose führt, so daß, wenn keine hämatogene Infektion 
hinzutritt, es bei einer einfachen Druckatrophie bleibt, so wirken bei 
der Ureterfistel mechanische Momente und bakterielle Einflüsse ge- 
meinsam auf eine Erkrankung der Niere hin. 

Vielleicht könnte man auch daran denken, daß die anormale Ent- 
leerung des Ureters mit ihren veränderten Abflußbedingungen auch ver- 
änderte Sekretionsbedingungen in der Niere selbst hervorruft. 

Man müßte bei einer Fistel a priori annehmen, wie schon bei 
Mackenrodts Fall besprochen, daß durch einen fistelnden Ureter mit 
seiner weiten Öffnung der Urin leichter abfließen könne, als durch die 
Ureterpapille, die gleichsam ein Ventil darstellt. Indessen ist dieses 








Nierenveränderungen bei Uretervaginalfisteln. 151 


Stadium des leichteren Abflusses wohl nur ein ganz vorübergehendes, 
da die bald eintretende narbige Schrumpfung des Fistelganges diesen 
immer feiner und feiner und schließlich oft zu einem haarförmigen 
Kanale werden läßt, so daß die Fistel nunmehr nicht nur kein physio- 
logisches Ventil, sondern nahezu einen Verschluß darstellt. Ist diese 
Schrumpfung eingetreten, so kommt es zu zeitweiliger Urinstauung im 
Ureter, rückwärts im Nierenbecken, und wenn erst einmal solche Druck- 
schwankungen in der Niere zustande gekommen sind, so bewirkt einmal 
der zeitweilig auftretende erhöhte Filtrationswiderstand ein geringeres 
Sezernieren des Nierengewebes, andererseits kann das unter den Druck- 
differenzen leidende Parenchym atrophieren. Immerhin ist eine ein- 
fache Nierenatrophie auch ohne Zustandekommen einer Hydronephrose 
durch irgendwelche Einflüsse möglich, ein Gedanke, den auch schon 
einmal Veit (42) ausgesprochen, als er bei narbiger Ureterenchrumpfung 
das Auftreten einer Nierenatrophie ohne irgendwelche hydronephrotische 
Erscheinungen zustande kommen sah. 

Hierzu kommt noch das zweite ätiologische Moment: das Aszen- 
dieren der Bakterien aus der Scheide durch den Ureter, wie es Feo- 
doroff, Schatz u. a. annehmen; je nach der Art dieser aufsteigenden 
Bakterien werden sich ihre Einflüsse verschieden geltend machen. 
Handelt es sich um harmlose einfache Scheidenbakterien, so dürfte die 
Folge eine einfache chronische interstitielle Nephritis sein, die ihrerseits 
ebenfalls allmählich das sezernierende Gewebe außer Funktion setzt. 
Sind es dagegen Bakterien pyogener Art, so kommt es zu Pyelitis, 
Pyelonephritis, Nierenabscessen resp. Pyonephrose, bei denen sezer- 
nierendes Parenchym eitrig eingeschmolzen, d. h. völlig vernichtet wird. 

Wie soll sich nun die Therapie gestalten? Stellt man die normale 
Kommunikation zwischen Niere und Blase wieder her, so könnte beim 
Vorhandensein einer solchen Pyelitis die Blase und retrograd die andere 
Niere gleichfalls ergriffen werden. In solchen Fällen würde eine selbst 
gelungene Implantation zwar die Fistelbeschwerden beseitigen, dafür 
aber Gesundheit und Leben der Frau aufs höchste gefährden, man wird 
um so sorgfältiger auf eine solche Pyelitis fahnden müssen, als er- 
fahrungsgemäß die Pyelitiden bei den Ureter-Scheidenfisteln wenig Be- 
schwerden machen; auch gestaltet sich die Untersuchung des durch die 
Scheide entleerten Urins schwieriger. In unserem ersten Falle konnte 
die Pat. trotz wiederholter Schmerzanfälle in der Nierengegend ihren 
Dienst verrichten. Denkt man an das schwere Bild, das sonst Pyelitis- 
kranke darbieten, so kann ınan sich diese Beschwerdefreiheit vielleicht 
in der Weise deuten, daß durch die Fistelöffnung wie sonst bei irgend- 
einem Absceß durch Dränage für Abfluß besser gesorgt ist, als bei 
normaler Kommunikation. 

Vergleichen wir nun die aus einigen Fällen gewonnene oben er- 
wähnte Ansicht, daß es bei Ureterfisteln häufig zu einer Degeneration 
der Fistelniere kommt, mit unsereın genau dargestellten Falle, so werden 
wir finden, daß er sowohl in klinischer wie in pathologisch-anatomischer 


152 H. Peiser. 


Beziehung unsere Annahme aufs genaueste bestätigt. Die Sekretion 
aus der Fistelniere gegenüber der anderen Niere war gering, ja minimal, 
und verringerte sich während der ganzen Dauer ihrer Beobachtung 
stetig. Die Niere zeigte schon makroskopisch, was auch sofort bei der 
Operation auffiel, eine weitgehende Atrophie, die besonders durch die 
schlaffe und gefaltete Kapsel gekennzeichnet war, der man sozusagen 
ansah, daß sie früher einmal eine größere Niere beherbergt hatte. 
Mikroskopisch zeigte sich überall das Bild der Atrophie: Kernschwund. 
Verlust des Epithels, sowie der Degeneration: fettige und hyaline Ent- 
artung, Kalkeinlagerungen usw. 

Ziehen wir nun noch einmal das Resümee aus dem Befunde der 
aus der Literatur zitierten und bei uns geschilderten Fälle, so sehen 
wir, daß, so mannigfaltig die Erkrankungen der Niere auch sich ge- 
stalten mögen, sie alle wenigstens in vielen Fällen ein und demselben 
Ziele zustreben: einer Atrophie der Niere mit Nachlassen der Funktion 
und schließlich völliger Funktionseinstellung. Sicher einer Art ven 
Selbstheilung. Einer Art, denn die Fistel, d. h. die Eröffnung des 
Ureters in die Scheide, besteht weiter; ob diese später auch noch 
obliteriert, mag dahingestellt bleiben, und kann späteren Untersuchungen 
überlassen werden. Die Erscheinungen und Beschwerden der Fistel 
haben aufgehört. Die Fistel selbst ist — streng genommen — nicht 
geheilt, die Pat. dagegen ist beschwerdefrei, ist gesund, die Fistel gehört 
zu einem nicht mehr sezernierenden Organ. 

Man wird also in jedem Falle von Ureterfistel, wenn sie nicht 
früh durch Plastik geheilt werden kann, danach zu forschen haben, ob 
nicht die Funktion der Fistelniere im Begriffe ist nachzulassen, d. h. 
ob sich diese Art von Selbstheilung anbahnt. Ist dies aber der Fall, 
so wird man abwarten können, und die Frauen damit vertrösten dürfen, 
daß ihre Beschwerden eines Tages von selbst aufhören werden. Wir 
sind jetzt, zumal nach denı pathologisch-anatomischen Befunde der Niere 
in unserem Falle, fest davon überzeugt, daß diese Art von Spontan- 
heilung wenig später eingetreten wäre und die Pat. auch ohne Operation 
von ihren Beschwerden befreit hätte. 


Literatur. 


1. Asch, Verhandlungen der Deutschen Ges. für Gyn., S. 613. 

1a. Asch, siehe bei Stöckels Arbeit (38). 

1b. Asch, Berliner klinische Wochenschrift, Jahrgang 1908, Nr. 40. 

2. Billroth, Th., Über Nierenexstirp. Wiener med. Wochenschrift, Nr. 23— 25. 
Ref. Zentral-Bl. f. Gyn. 1885, S. 557. 

24.Boeckel, Totalexstirpr. des krebsig entarteten Uterus, Ureterfistel usw. 
Zentral BIL f. Gyn. 1884, S. 823. 

3. Crede, Nierenexstirp. wegen Ureter-Uterusfistel. Zentral DI f. Gyn. 1881, 
S. 301. 

4. Crickx, A., Contribution à l'étude des fistules Urétéro-vaginale consécutives 
a l’hysterectomie. Soc. belge de Chir. Ann. des mal. Des org. gén.-ur.. 
Tome X1V, S. 952. Ref. Frommels Jahresberichte 1896. 


10. 


11. 
12. 
13. 
14. 
15. 


16. 


17. 


17a. 


18. 


19. 


21. 


Nierenveränderungen bei Uretervaginalfisteln. 153 


Czerny, Zur Exstirpation retroperitonealer Geschwülste. Zentral BL f. Gyn. 
1881, S. 80. 

Denucé, Rein enlevé par nófrectomie abdominale à une malade atteinte de 
fistule uretero-vaginale, consccutive ä une hysterectomie totale et de rein 
mobile. Soc. d’Obst. de Gynec. et de Ped. de Bordeaux. Journal de Medec. 
de Bordeaux, Tom XXXVI. Ref. Frommels Jahresberichte 1906. 
Dunning, L. H., Nepbrectomie; report of four cases; remarks on indikations 
for the operation. Ann. Gyn. and Obst. Journ., Bd. V, S. 504. Ref. Frommels 
Jahresberichte 1895. 

Fenger, Ch., Surgerey to the Ureter. Ann. of Surgerey 1894, S. 284. Ref. 
Frommels Jahresberichte 1895. 

Feodoroff, Fall von Ureterocystoneostomia per vaginam. Journ. akuscherstwa 
i shenskich bolesni. Ref. Frommels Jahresberichte 1906. 

Ferguson, A. H., Uretero-Vaginalfistulae and Uretero-Abdominalfistulae. 
Amer. Gyn. and Obst. Journ., Vol. XII, S. 629 und 662. Ref. Frommels 
Jahresberichte 1898. 

Fränkel, L., Demonstrationen zweier geheilter Urinfisteln. Gyn. Ges. zu 
Breslau. Zentral-Bl. für Gyn. 1905, Bd. XXIX, S. 53. 

Fritsch, K., 14 Nierenexstirpationen infolge gynäkolog. Leiden. Inaugural- 
Dissertation, Bonn 1906. 

Gnesda, M., Ein Fall von 9tägiger Anurie. Mitteil. aus den Grenzgeb. d. 
Med. und Chirurg., Bd. 3, S. 466. 

Grimsdale, Fall von Ureter-Vaginalfistel. Geburtshilfl. und Gyn. Ges. von 
Nord-England. Monatsschrift für Geburtsh. u. Gyn., Bd. X, S. 858. 
Gusserow, Ein Fall von Nephrektomie wegen Ureterfisteln. Charité-Annalen 
1887, Bd. XII, 5. 630. Ref. Frommels Jahresberichte 1887. 
Hagen-Torn, Zur Frage über die Behandlung von Harnleiter-Scheiden- 
fisteln. Journ. akuscherstwa i shenskich bolesni, Juli. Ref. Frommels Jahres- 
berichte 1906. 

Heilbrunn, Beiträge zur Nephrektomie. Zentral-Bl. für Gyn. 1886, 8.1. 
Israel, J., Chirurgische Klinik der Nierenkrankh., S. 43 u. ff. 

Iversen, A., Über Ureterfisteln. Nordiskt. Medizinskt. Arkiv 1892, 4. Heft, 
Nr. 22. Ref. Frommels Jahresberichte 1892. 

Küstner, O., Lehrbuch der Gynäkologie, 2. Auflage. 

Landau, Th., The importance of Ureteral catheterisation in Gyn. Med. 
record, New York, Vol. LV, S. 485. Ref. Frommels Jahresberichte 1899. 
Lindström, E., Fistula uretero-uterina. Lithiasis cervicis uteri. Nephro- 
lithiasis Hygiea, 1897, S. 47. Ref. Frommels Jahresberichte 1899. 


. Mackenrodt, Bericht über die Verhandlungen der Gyn. Sektion der 66. Ver- 


sammlung deutsch. Naturf. u. Ärzte in Wien. Zentral-Bl. f. Gyn. 1894, S. 1026. 
Naumann, G., Fistula uretero-uterina nach Zangenentbindung vor 5 Jahren 
aufgetreten. Hygiea 1897, Bd. 1, S. 545. Ref. Zentral-Bl. für Gyn., Bd. XXII, 
S. 1071. 

Neumann, Per, Tre fall of operativa ureterskador. Hygiea, Bd. LIX, Nr. 12, 
S. 598—609. Ref. Frommels Jahresberichte 1897. 


. Neumann. S., Beobachtungen und Studien über die Funktion beider Nieren 


bei Bestehen einer T/reter-Bauchwandfistel. Arch. f. Gyn., Bd. XLVII, Heft 3. 


26. Obalinski, A., Weitere Beiträge zur Nierenchirurgie. Wiener med. Wochen- 


schrift, Bd. XLIll. S. 278. Ref. Frommels Jahresberichte 1897. 
Onufrowitsch. Zur Frage der Behandlung der zufälligen Durchtrennung 
des Harnleiters bei Operationen, Praktitscheski Wıratsch 1903, Nr. 22—20. 
Ref. Zentral-Bl. f. Chirurgie, Bd. XXX, S. 1139. 

Piqué, S., Fistule urêtérale consécutive à une hyst@rectomie vaginale; pyo- 
néphrose conséc Néphrect. lombaire; guérison. Archive de Tocle et de gyn., 
Bd. XXII, S. 603. Gàz. des Hôpiteaux, Bd. LXVI, S. 725. Ref. Frommels 
Jahresberichte 1893. 


154 


29. 


30. 


31. 


33. 


34. 


36 
37. 


38. 


38a. 


39. 
40. 
41. 
42. 


43. 


44. 
45. 


46. 


H. Peiser. 


Schatz, Über die Einwirkung einer Ureter-Scheidenfistel auf die Urin- 
sekretion der betr. Niere. Verhandl. d. deutsch. Ges. f. Gyn., Leipzig 1892. 
Bd. IV, S. 388, u. ref Frommels Jahresberichte 1892. 

Schatzkii. Zur Kasuistik der Ureterfistel und deren Behandlung. Journal 
akuscherstwa i shenskich bolesni, Juli. Ref. Frommels Jahresberichte 1906. 
Schauta, Beitrag zur Nierenchirurgie. Geburtsh. Gyn. Ges. zu Wien. Zentral- 
Blatt f. Gyn., Bd. XXV, S. 1206. 

Schauta, Ein Fall von Nephrektomie. Geburtsh. Gyn. Ges. zu Wien. Zen- 
tral-Bl. für Gen, Bd. XVIII, S. 414. 

Schede, Meine Erfahrungen über Nierenexstirpationen. Festschrift zur Er- 
öffnung des neuen allgemeinen Krankenhauses zu Hamburg-Eppendorf, Ham- 
burg 1889, W. Maucke Söhne. 

Schede, Ureter-Scheidenfisteln post partum s. Schmiedens Arbeit. 
Schmieden, Erfolge der Nierenchirurgie. Deutsche Zeitschrift für Chirurgie 
1902, Bd. 1. 

Seeligmann, Ureter-Scheidenfistel. Geb. Gesellschaft zu Hamburg. Zentral- 
Blatt für Gyn.. Bd. XXVIII, S. 466. 

Steinthal, Zur Kasuistik der Ureter-Cervicalfisteln. Med. Korresp.-Bl. d. 
Württ Ärztl. Stuttgart, Bd. LXIII, 8.97. Ref. Frommels Jahresberichte 1893. 
Stöckel, Ureterfisteln und Ureterverletzungen. Leipzig, Breitkopf und 
Härtel 1900. 

Stöckel, Weitere Erfahrungen über Ureterfisteln und Ureterverletzungen 
aus der Bonner Frauenklinik. Archiv f. Gynäkologie, Bd. 67, Heft 1. 
Sutton, J. B., A contribution to the surgery of the Ureter. Lancet, Vol. I, 
S. 1275. Ref. Frommels Jahresberichte 1896. 

Thumin, L., Was leistet die Cystoskopie bei Verletzungen der Blase und 
der Ureteren. Münch. Med. Wochenschr., Bd. LII, S. 408. 

Treub, H., Statistik über Nierenoperationen. Nederl. tijdschr. v. Valosk. en 
Gyn., Bd. XIII, Heft 3. Ref. Zentral-Bl. f. Gyn., Bd. XXI, S. 1159. 
Veit, Über Heilung von Ureterverletzung. Zeitschr. f. Geb. und Gyn., 
Bd. XXI, S. 454. 

Van der Weed, A. H. Fistulae uretero-uterinae. Nederl. tijdschr. v. Ver- 
losk. en Gyn. 1889, Heft 2, beschrieben von Treub. Ref. Frommels Jahres- 
berichte 1889. 

Zangemeister, W., Weibliche Blase und Genitalerkrankungen. Festschr. 
f. Olshausen, Ref. Zentral-Bl. f. Gyn. 1905, S. 1394. 

Zeiß, Zwei Fälle von gleichzeitigem Portioca- und Ovarialtamor, Erfurt. 
Zentral-Bl. f. Gyn. 1897, S. 215. 

Zweifel, Ein Fall von Ureteren-Uterusfisteln, geheilt durch Exstirpation 
einer Niere. Ref. Frommels Jahresberichte 1879. 


Erklärungen zu der farbigen Tafel. 
Figur 1 (aus der Rinde): 


Das Bindegewebe ist geschrumpft. 
Die Glomeruli sind teilweise degeneriert (kalkig, hyalin) und geschrumpft. 
Die Glomeruluskapsel ist stark verdickt. 


Figur 2 (aus dem Mark): 


Das Bindegewebe ist reichlich gewuchert. 

Cystenäbnliche Dilatation der Tubuli. 

In den Tubuli recti finden sich zylinderähnliche Ausgüsse. 
Das Epithel der Tubuli ist verloren gegangen oder degeneriert. 


Figur 3 (verdickte Nierengefäße): 


Wucheruns der Intima und Muscularis der Blutgefäße. 





(zu Peiser.) 


hrift für qynäkologische Lrologi 


= 
4 





Zeitsı 





g82.nach Peiser. 


tter 


A 


Kaz 
Le 

$ dé 
ie 

(re 

D 


ct 


Am 


t 
(WI 


vi? 





Ah, 


a) Niere uns 


Ni 
HIN 
WI 


uf 





Läif 
Ur 


D 


AA 
OW 


+ 


YX 


Ahmar 





y. 
H 


A 
x’ 


‚ter. Niere van. ER 


3 


Am, 





ufgesuhnitten. 





` d. 


ex 





A 


y 


D 


e, A 


ef 


nyerlefüngen her Üreteryaginalfisreln.. =... 


eat 





* va dé" 
ji ef Ann 
ZE: 
Jk: ` 
- 
$ 


A 


A 


gr. vr 
E 
f 
A 
e 
« 
i 
à 
i 
» 
> 
` 
` 
à 
e 
e 
f » 
) E 
f 
€ 
a 





(Aus der Universitäts-Frauenklinik in Bonn. Direktor: Geh. Obermedizinalrat 
Prof. Fritsch.) 


Die Dekapsulation der Nieren bei der Eklampsie. 
Von 
Prof. Dr. K. Reifferscheid, Oberarzt der Klinik. 


Im Jahre 1896 hat Harrison darauf hingewiesen, daß in Fällen, 
in denen die Krankheitserscheinungen: Albuminurie, Hämaturie, kolik- 
artige Schmerzen und auffallende Verminderung der Nierensekretion 
auf die Diagnose von Nierensteinen oder Nierenabscessen hindeuteten, 
die einfache Inzision der Niere, obgleich sie zeigte, daß weder Steine 
noch Abszesse vorlagen, doch allein zur Heilung der Nierenerkrankung 
führt. In seiner Präsidentenrede in der British Medical Assoziation 
(1901), die den Titel führt: Renal tension and its treatment by surgical 
means, kommt er auf dieses Thema wieder eingehend zurück. Da die 
Inzision stets extrem gespannte und geschwollene, purpurrote oder blau- 
rote Nieren bloßlegte, vergleicht er diese Fälle von Drucksteigerung in 
der Niere mit denen im Auge und spricht von einem renalen Glaukonı. 
Er weist dabei ferner auf die Analogie beim Hoden hin, in dem durch 
Entzündung ähnliche Zustände vorkommen, bei denen es durch Inzision 
gelingt, sowohl die Schmerzen zu beseitigen als weitgehende Schädigungen 
des Gewebes zu verhüten. 

Harrison ist der Ansicht, daß die extreme Spannung der Nieren- 
kapsel und die dadurch herbeigeführte Stauung die Rückbildung eines 
Entzündungsprozesses und die Urinsekretion zu hindern imstande sei. 
Die Aufhebung der Spannung durch Inzision genügt dann, die Urin- 
sekretion wieder in Gang und die Entzündung zur Heilung zu bringen. 
Für die Operation eignen sich seines Erachtens besonders Fälle von 
akuter Scharlachnephritis, die sich nicht bessern, sondern in die chro- 
nische Form überzugehen drohen, ferner besonders auch die, in denen 
es sehr rasch zur Anurie und Urämie kommt. Die Operation besteht 
in der Freilegung der Niere und Spaltung der Kapsel mit oder ohne 
Inzision des Organs. Es ist nur eine einseitige Operation nötig, da die 
Druckentlastung der einen Niere günstig auf die andere einwirkt. 
Harrison sah keine üblen Folgen nach der Operation. 

Der günstige Einfluß der Nierenspaltung bei entzündlichen Er- 
krankungen der Niere ist dann in der Folge öfters bestätigt worden, 
so besonders auch von Israel, der angibt, daß die Inzision der Niere 


Die Dekapsulation der Nieren bei der Eklampsie. 157 


in vielen Fällen den nephritischen Prozeß und seine Symptome günstig 
zu beeinflussen, ja auch Anurie auf Grund akuter aufsteigender CERS 
zu heilen vermag. 

1902 empfahl Lennander bei akuter Nephritis, wo eine starke 
Oligurie oder Anurie bei einem relativ guten Allgemeinzustande auf- 
tritt und wo heftige Schmerzen über der einen oder über beiden Nieren 
vorhanden sind, eine Inzision auf der Seite der größten Schmerzen zu 
machen, die Niere frei zu legen, die fibröse Kapsel zu spalten und die 
Niere völlig aus dieser auszulösen. 

1899 hat dann der New Yorker Gynäkologe Edebohls empfohlen, 
die chronische Nephritis operativ zu behandeln und zwar auf Grund 
der Erfahrung, daß in 4 von 6 mit Nephritis komplizierten Fällen von 
Wanderniere, die zum Zwecke der Nephropexie unternommene Spaltung 
der Nierenkapsel Heilung auch der chronischen Nephritis gebracht hatte. 
Während er anfangs so operierte, daß er nach Spaltung und Abziehen 
etwa der halben Kapsel die Niere annähte, empfahl er später zur Heilung 
der chronischen Nephritis die ganze Capsula propria unter möglichster 
Schonung des Nierengewebes abzuziehen und zu exzidieren. Er konnte 
bald über eine große Anzahl von Heilungen und Besserungen berichten 
und gibt in seiner letzten Mitteilung an, daß sich als ein so gut wie 
konstantes Ergebnis bei über 100 von ihm wegen chronischer Nephritis 
ausgeführten Nierendekapsulationen eine sofortige oft sogar ganz enorme 
Steigerung der Diurese erwiesen habe. Israel, Rovsing u. a. haben 
mit dieser operativen Behandlung der chronischen Nephritis nicht zu 
gleich günstigen Resultaten wie Edebohls gelangen können und das 
Urteil über den Wert des Eingriffes ist noch ein sehr geteiltes, zum 
Teil sogar direkt ungünstiges. 

Edebohls war auch der erste, der die Nierendekapsulation bei der 
Eklampsie empfohlen und mit gutem Erfolg ausgeführt hat. (Renal 
decapsulation for puerperal eclampsia. New York med. journal. Juni 1903.) 
Im Jahre 1906 berichtet er dann über zwei weitere von ihm mit der 
Dekapsulation geheilte Fälle von Eklampsie. In zwei der Fälle war 
die Entkapselung 6 bzw. 72 Stunden nach der Entbindung vorgenommen 
worden, in dem dritten im letzten Monat der Gravidität mit gleich 
gutem Erfolge, so daß Edebohls zu dem Schluß kommt, daß nicht 
mehr die künstliche Entbindung als ultimum refugium in der Behand- 
lung der Eklampsie anzusehen sei, sondern daß man durch die Nieren- 
dekapsulation der Eklampsie Herr werden könne, auch ohne den Uterus 
zu entleeren. Die Indikation zu seinem Vorgehen gab die gehemmte 
Tätigkeit der Nieren und die lebenbedrohende Urämie. Eine nähere 
Begründung seines Vorgehens gibt Edebohls nicht, er verweist nur 
auf seine Erfolge bei der operativen Behandlung der chronischen 
Nephritis und die dabei beobachtete sofortige Steigerung der Urea- 
ausscheidung nach der Operation. 

In Deutschland war unabhängig von Edebohls Sippel bereits 
1904 auf Grund eines Sektionsbefundes bei einer Eklamptischen, bei 


158 Prof. Dr. K. Reifferscheid. 


der sich eine starke Schwellung und Spannung der Niere fand, dafür 
eingetreten, daß eventuell die Spaltung der Nierenkapsel in den Fällen 
zu versuchen sei, wo sich trotz Entleerung des Uterus die Nierenfunktion 
nicht wieder herstellt. Er spricht von einem Glaukom der Niere und 
erklärt sich das Entstehen der hohen intrarenalen Spannung mit Korte- 
weg so, daß infolge Behinderung des Urinabflusses durch Kompression 
eines Ureters es zu einer starken venösen Stauung der Niere und damit 
zu einer Anschwellung und Einklemmung der Niere innerhalb der 
straffen Nierenkapsel kommt. Auch bei nur einseitiger Einklemmung 
kann dann auf sympathischem Wege auch die andere Niere außer 
Funktion gesetzt werden, so daß es dann zu einer völligen Anurie 
kommt. In diesen Fällen vermag nach Sippel die Nierenaushülsung 
oder -spaltung intensiv auf die gehinderte Sekretion zu wirken durch 
die einfache Herabsetzung der intrakapsulären und somit intrarenalen 
Drucksteigerung, indem dadurch die beeinträchtigte Blutzirkulation wieder 
frei und die Nierentätigkeit wieder möglich wird. 

Auch Mynlieff weist auf die Wichtigkeit der mechanischen Mo- 
mente für das Zustandekommen der schweren Nierenstörungen, wie wir 
sie bei der Eklampsie beobachten, hin und stützt sich dabei besonders 
auf die Versuche Lindemanns, die beweisen, daß schon eine geringe 
Druckerhöhung im Ureter zu einer raschen Änderung der Nierenfunktion. 
zu einer Verminderung der Urinsekretion und einer Verringerung der 
Harnstoffausscheidung führt. Diese Veränderung der Nierenfunktion 
ist die Folge einer eintretenden venösen Stauung, die zu einer deutlich 
nachweisbaren Volumzunahme der Niere führt. Er sieht daher in dem 
Zustandekommen einer erhöhten intrarenalen Spannung auf mechanischem 
Wege durch Druck auf den Ureter in der Schwangerschaft eine der 
Ursachen für das Auftreten der Eklampsie, die in weitgehendem Maße 
neben dem toxischen Moment berücksichtigt werden müsse, und rät für 
diese Fälle zu der chirurgischen Behandlung, wie sie Edebohls emp- 
fohlen hat. 

Als dann aber die Entkapselung der Nieren öfter gemacht wurde, 
zeigte sich bald, daß nicht immer eine Erhöhung der intrarenalen 
Spannung sich findet, sondern daß in manchen Fällen die Nieren viel- 
mehr matsch, weich und schwappend sind. Sippel glaubt aber, daß 
auch in diesen Fällen, die also das Bild der toxischen Niere bieten, 
die Entkapselung mit Erfolg angewandt werden könne, da es sich hier 
um eine ödematöse Durchtränkung des Nierengewebes handele, die zu 
einer Kompression der Kapillaren und damit zu einer schweren Schädigung 
der Nierenfunktion führe. Wird die Kapsel abgestreift, so werden die 
(rewebsspalten der ganzen Nierenoberfläche eröffnet und die ödematösen 
Flüssigkeitsansamnılungen können nach außen entleert werden; dadurkcl 
werden die Kapillaren vom Druck entlastet und die Zirkulation kann 
wieder unbehindert erfolgen. 

Der Vorschlag von Edebohls wurde in Deutschland zum ersten 
Male von Polano zur Ausführung gebracht. allerdings mit unglück- 


Die Dekapsulation der Nieren bei der Eklampsie. 159 


lichem Ausgang, den er damit erklärt, daß er die Operation zu spät 
vornahm. Trotzdem war aber auch in seinem Falle eine Besserung der 
Diurese und des Allgemeinbefindens nach der Operation deutlich nach- 
weisbar. Die nächsten Fälle waren die von Gauß aus der Freiburger 
Klinik veröffentlichten. Die beobachteten guten Erfolge brachten Gauß 
zu dem Schluß, daß im Interesse einer möglichst sicheren Einwirkung 
auf die Eklampsie Accouchement force und Dekapsulation der Nieren 
stets in einer Sitzung auszuführen seien. Sehr wichtig ist von seinen 
Beobachtungen die eine, die beweist, daß die Entkapselung der Nieren 
vor der Entbindung ausgeführt, ohne jeden Einfluß auf die Nieren- 
funktion bleibt, besonders wichtig deshalb, weil ja Edebohls auf Grund 
einer Erfahrung das Gegenteil behauptete. 

Bis jetzt sind in der Literatur insgesamt 28 Fälle?!) von Dekap- 
sulation der Nieren bei der Eklampsie mitgeteilt worden, denen ich 
zunächst zwei weitere Fälle aus der Bonner Frauenklinik anreihen 
möchte: 


Fall I., Jahrg. 1907/08. Frau Chr. E., 44 Jahre alt, XXI-pa. Von den voraus- 
gegangenen 20 Schwangerschaften endigten 2 durch Frühgeburten, die übrigen ver- 
liefen gut (1mal Zwillinge, 1mal Drillinge, 1 Gesichtslage). Alle Wochenbetten ohne 
Störung. Pat. will nie ernstlich krank gewesen sein. Letzte Menstruation Anfang 
Mai 1907, Schwangerschaftsverlauf angeblich ungestört. 

Am 29. I. 08 wurde die Pat. völlig benommen in die Klinik aufgenommen mit 
der Angabe, daß außerhalb 5 Krampfanfälle von der Hebamme beobachtet worden 
seien, nachdem vor einigen Stunden die Wehen begonnen hatten. 

Die Untersuchung ergab: Ia Schädellage, Kind lebt, Herztöne 132. Sehr gute 
Wehentätigkeit. Muttermund 5-Markstückgroß, Blase steht, Kopf beweglich über dem 
Becken. Da die Weben sehr gut sind und z. Z. kein Anfall auftritt, wird zunächst 
yon einem sofortigen Eingriff Abstand genommen. Nach einer halben Stunde springt 
die Blase, der Muttermund ist auf Handtellergröße erweitert, der Kopf hat sich in 
extremer Hinterscheitelbeinstellung eingestellt. In Narkose wird die Wendung gemacht 
und unter vorsichtiger Dehnung des Muttermundes die Extraktion angeschlossen, die 
ohne Einriß gelingt. Kind 3250 g, leicht asphyktisch, bald wiederbelebt. Nachgeburts- 
periode ungestört. 

In der Nacht nach der Geburt 6 schwere eklamptische Anfälle. Bewußtlosigkeit. 
Der Gesamturin nach 12 Stunden 200 ccm, dunkelbraunrot, 2°%/,, Eiweiß. 

Angesichts des schlechten Allgemeinzustandes der Frau, der Fortdauer der Anfälle 
und des Daniederliegens der Nierentätigkeit trotz der vorausgegangenen Entbindung, 
wurde beschlossen, die Dekapsulation der Nieren vorzunehmen. 

30. I. 08. Äthernarkose (Operateur: Geh. Rat Fritsch). Schrägschnitt. Frei- 
legen der Niere und Luxieren derselben vor die Wunde. Leichte Entkapselung der 
Niere, Versenkung derselben. Einführen eines Jodoformgazestreifens auf die Niere 


1) Asch (Z. f. G. 08, Nr. 9), Baumm (Z. f. G. 08, Nr. 12), DE Bovis (Se- 
maine méd. 07), Chambrelent und Pousson (Annal. d. Gyn. 06), Edebohls (Zentr. 
f. Gyn. 06, Nr. 25, 3 Fälle), Essen-Möller (Zentr. f. Gyn. 08, Nr. 14), Falgowski 
(Asch) (Zentr. f. Gyn. 08, Nr. 2), Frank (Münch. med. Woch. 07), Gauß (Zentr. 
f. Gyn. 07, Nr. 19, 2 Fälle), Haim (Zentr. f. Gyn., Nr. 20), Jardine (Journ. of 
obstetr. a. gyn. of the brit. emp. 06), Kleinertz (Zentr. f. Gyn. 08, Nr. 26, 2 Fälle), 
Pieri (Annal. de Gyn. 07), Polano (Zentr. f. Gyn. 07, Nr. 1), Rene de Cotret 
(Union med. de Canada. Juni 07), Runge (Bumm) (Berl. klin. Woch. 08, Nr. 46, 
3 Fälle), Stenglein (3 Fälle von Asch, Fränkel und Weinhold, Inaug. Diss. 
Breslau 1908), Wiemer (Monatsschrift f. Geb. u. Gyn., Bd. 27, H. 3, 3 Fälle), 

Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 11 


.160 Prof. Dr. K. Reifferscheid. 


und Sohluß der Wunde mit versenkten Katgutknopfnähten und oberflächlichen Silk- 
wormnähten bis auf die für das Herausleiten des Gazestreifens nötige Öffnung. Die 
Operation wird erst rechts, dann in gleicher Weise links ausgeführt. 

Die rechte Niere ist dunkelblaurot, die Kapsel stark gespannt, so daß bei der 
Spaltung das dunkle Nierengewebe etwas vorquillt und die Kapselränder auseinander- 
weichen. Links ist die Niere weniger gespannt, zeigt fleckweises buntes Aussehen, 
gelbere Partien mit dunkelblauroten abwechselnd. 

31. I. 08. Urinmenge in 24 Stunden seit der Operation 1450 ccm, Urin dunkel, 
stark blutig. Keine Anfälle mehr seit der Operation, Puls 96, Temperatur 37.6; noch 
leichte Benommenbeit. 

1. 11. 08. Urinmenge 1900 ccm, Urin klarer, weniger bluthaltig. Subjektives 
Befinden gut, auf Rizinus reichlich Stuhl. Temp. morgens 38,0, abends 39,3. 

2. II. 08. Bewußtsein klar, aber starke Unruhe. Temp. morgens 39,2, deshalb 
in 8stündigen Zwischenräumen Uterusspülungen mit Kresolseifenlösung. Abends plötz- 
licher Tobsuchtsanfall, so daß Pat. kaum zu bewältigen ist. Erst nach Morphium 
0,03 + Skopolamin 0,0003 + 0,0006 tritt so weit Beruhigung ein, daß ein Verband. 
wechsel vorgenommen werden kann. Die Jodoformgazestreifen werden entfernt und 
ein kleiner steriler Gazestreifen eingeführt. Im Urin ist Jod reichlich nachweisbar. 
Die Urinmenge ist nicht zu bestimmen, da die Pat. häufig unter sich läßt, doch ließen 
sich etwa 1000.ccm auffangen. 

Auch am 3. II. 08 ist im Urin noch Jod nachweisbar. Andauernde motorische 
Unruhe. Pat. läßt den Urin unter sich gehen, liegt häufig naß. Erst auf feuchte 
Packung des ganzen Körpers tritt Beruhigung ein. Gegen Abend verfällt die Pat. 
zusehends und es erfolgt um 7 Uhr der Exitus letalis, nachdem die Temperatur kurz 
vorher auf 42,3 gestiegen war. 

Bei der Sektion fand sich der Uterus gut involviert, keine Anzeichen von Sepsis 
oder Peritonitis. 

Subendokardiale Blutungen im linken Ventrikel, Verkalkung der Bronchialdrüsen 
beiderseits. Subpleurale Blutungen, dekapsulierte Nieren, kleines Blutgerinnsel im 
rechten Nierenbecken. 

Mikroskopischer Befund der Nieren: Etwas Fett auf Glomerulusschlingen und im 
Kapselepithel. Harnkanälchen leicht erweitert mit vereinzelten homogenen Zylindern. 
Etwas Fett in den Epithelien der gewundenen Kanäle. Trübung und Nekrose ein- 
zelner gewundener Harnkanälchen. Geringe Verbreiterung des Interstitiums von Mark 
und Rinde. Leichte Hyperämie der Marksubstanz. 

Fall II. Jahrgang 1908/09, J.-Nr. 525. Frau B., 33 Jahre alt, V-pa. Pat. war 
früher angeblich stets gesund, die vier vorausgegangenen Schwangerschaften verliefen 
normal, die Geburten spontan, die Wochenbetten ungestört. Letzte, Menstruation am 
27. Januar, Schwangerschaftsverlauf angeblich ungestört. | 

Die Pat. wurde am 9. Oktober 1908 bewußtlos mit folgender Anamnese vom 
behandelnden Arzt eingeliefert. In der Nacht vom 8. zum 9. X. erkrankte die Pat. 
plötzlich an Eklampsie, es wurden 3 Anfälle beobachtet, seit 6 Uhr morgens besteht 
Bewußtlosigkeit. Im ganzen wurden 0,06 Morph. subkutan verabreicht. 

Befund bei der Aufnahme: Pat. bewußtlos, stark cyanotisch, enge starre Pupillen. 
Graviditas mens. X. Schädellage, Kind lebt, aber kindliche Herztöne verlangsamt. Aus 
der Blase werden mit dem Katheter einige ccm dunkelbraunen Urins entleert. Urin 
erstarrt beim Kochen. Muttermund geschlossen, Cervikalkanal erhalten, Kopf im 
Beckeneingang beweglich. 

Es wurde die sofortige Entbindung mittels vaginalen Kaiserschnittes beschlossen, 
den ich in Vertretung von Herrn Geh. Rat Fritsch ausführte. Athernarkose. Sagit- 
tale Spaltung der vorderen Muttermundslippe und der vorderen Scheidenwand. Ab- 
schieben der Blase und Spaltung der vorderen Cervixwand, bis eine ausreichende 
Erweiterung vorhanden ist. Eingehen mit der Hand in den Uterus, Sprengen der 
Blase, Wendung und Extraktion des in Schädellage liegenden Kindes, das lebend ent- 
wickelt wird. Sekakornininjektion. Abwarten, bis nach 31. Stunde die Placenta sich 
ohne Schwierigkeit exprimieren läßt. Vorziehen der Wundränder des Cervixschnittes, 


Die Dekapsulation der Nieren bei der Eklampsie. 161 


der nach links seitlich etwas weiter gerissen ist. Sorgfältige Vereinigung mit Katgut- 
knopfnähten, sowohl der Cervixwunde als der Scheidenwunde. Keine Blutung mehr 
nach Beendigung der Naht, Uterus gut kontrahiert. Nach der Entbindung sieht die 
Frau besser aus, besonders hat die starke Cyanose nachgelassen. 

Der vor der Entbindung katheterisierte Urin enthält 7°/,, Albumen, im Sediment 
finden sich reichlich Nierenepithelien, Blutkörperchen und granulierte Zylinder. 

10. XI. 08. Keine Anfälle mehr nach der Entbindung, Allgemeinbefinden besser, 
Atmung freier, Puls voller, Temperatur normal. Aber die Urinmenge ist minimal, der 
Urin von dunkler, stark blutiger Beschaffenheit. 

11. XI. 08. Die in den letzten 25 Stunden entleerte Urinmenge beträgt nur 
150 ccm. Es wird deshalb die Dekapsulation der Nieren beschlossen (Operateur: 
Reifferscheid). Schrägschnitt, Freilegen der rechten Niere, was ziemlich schwierig 
ist, da die Niere ganz unter dem Rippenbogen verborgen liegt. Es gelingt aber, ohne 
die Niere zu luxieren, die Nierenkapsel abzulösen, die an einzelnen Stellen ziemlich 
fest mit der Nierenoberfläche verwachsen ist. Die Niere erscheint vergrößert, dunkel- 
blaurot, an der Oberfläche finden sich einige narbige Einziehungen. Kein Klaffen der 
Kapselränder nach der Inzision, kein Vorquellen von Nierengewebe. Die Operation 
wird ebenso links ausgeführt; hier ist die Niere etwas weniger vergrößert als rechts, 
verhält sich aber im übrigen gleich. Beiderseits ist das Gewebe in der Umgebung der 
Nieren auffallend ödematös. Beiderseits wird ein steriler Gazestreifen in das Wund- 
bett eingeführt, dann die Wunde bis auf die zum Hinausleiten des Gazestreifens nötige 
Öffnung mit versenkten Katgutknopfnähten geschlossen. Die äußere Haut wird mit 
Michelschen Klammern vereinigt, Verband. 

12. XI. 08. Pat. ist bei klarem Bewußtsein, gibt richtige Antworten. Temperatur 
37,2, Puls 100. Urin stark blutig, Menge in den letzten 24 Stunden 120 ccm. 3mal 
täglich 0,3 Theocin. 

13. XI. 08. In der Nacht kein Schlaf. Bewußtsein klar, keine Schmerzen. 
Verbandwechsel, Entfernung der Gazedräns. Urinmenge in den letzten 24 Stunden 
160 ccm, Urin heller und klar. Im Sediment wenige Nierenepithelien, keine Zylinder, 
reichlich Leukocythen und einige rote Blutkörperchen. Abends 2mal reichlich Stuhl. 
Temperatur 36,9, Puls 110. 

14. XI. 08. Wieder fast kein Schlaf, Pat. sehr apathisch, erkennt ihre Um- 
gebung. Puls 120, Temperatur 36,2, Urin wieder stark blutig, Menge nur 50 ccm. 
Im Sediment reichlich rote und weiße Blutkörperchen und vereinzelte Nierenepithelien. 
Gegen Mittag wird die Pat.’ benommen, der Zustand verschlechtert sich zusehends 
und um 6 Uhr mittags erfolgt der Exitus letalis. Die Sektion wurde verweigert, es 
war daher nur möglich von den Operationsschnitten aus die Nieren zur Untersuchung 
zu entnehmen. Beide Nieren waren vergrößert, die Rinde deutlich verbreitert, blaß 
und getrübt. 

Mikroskopisch: Fleckig interstitielle Herde mit teilweiser Glomerulusverödung, 
Atrophie von Harnkanälchen und Zellinfiltration. Etwas Fett auf Glomerulusschlingen. 
Sämtliche Kanäle der Rinde deutlich erweitert mit reichlich Eiweiß im Lumen. Ein 
Teil der gewundenen Kanäle (Schaltstücke) enthält etwas Blut. Fett im Epithel zahl- 
reicher Harnkanälchen der Rinde. Reichlich Fett im Interatitium der Rinde. Keine 
Nekrosen. 


Es wurde also in dem ersten Falle operiert, weil trotz der Ent- 
bindung die Anfälle nicht sistierten und eine sehr erhebliche Oligurie 
bestand, in dem zweiten deshalb, weil trotz der Entbindung und trotz 
des Sistierens der Anfälle eine fast völlige Anurie noch 45 Stunden 
nach der Entbindung fortbestand. 

Beide Fälle kamen zum Exitus. Aber in dem ersten Falle war 
eine erhebliche Zunahme der Diurese nach der Operation zu beobachten, 
die mit einer Aufhellung des Sensoriums und mit einer deutlichen 
Besserung des Allgemeinzustandes während der ersten beiden Tage nach 

11* 


162 Prof. Dr. K. Reifferscheid. 


der Operation einherging. Dann traten die Zeichen einer schweren 
Jodoformintoxikation infolge der Dränage der ÖOperationswunden mit 
Jodoformgaze ein, und es muß dahingestellt bleiben, ob nicht ohne 
diese vermeidbare Komplikation die Besserung eine dauernde und zur 
Heilung führende geblieben wäre. In dem zweiten Falle blieb die 
Operation ohne jeden Erfolg. Bemerkenswert ist, daß in Fall I eine 
erhöhte intrarenale Spannung an dem Klaffen der Kapselränder nach 
der Inzision und dem Vorquellen des Nierengewebes zwischen den 
Kapselrändern deutlich zu erkennen war, während in Fall II diese 
Zeichen völlig fehlten. 

Ich möchte diesen Fällen noch einen dritten anreihen, der streng 
genommen, nicht hierher gehört, weil es sich nicht um eine Eklampsie 
handelt, sondern um eine schwere Nephritis in der Geburt, die zu einer 
völligen auch im Wochenbett anhaltenden Anurie führte, bei der ich 
ebenfalls die Dekapsulation der Nieren als letztes Mittel versucht habe. 


Fall III. Jahrgang 1908/09, J.-Nr. 319. Frau J. K., 28 Jahre alt, I-pa. Früher 
angeblich stets gesund. Verlauf der Schwangerschaft ohne Störung. Die Wehen be- 
gannen in der Nacht vom 8. auf den 9. VIII. 08. Bald nach Beginn der Wehen 
Blasensprung. Am 9. VIII. macht die Geburt trotz guter Wehen keine Fortschritte. 
Der behandelnde Arzt macht deshalb (!) die manuelle Erweiterung des Fünfpfennig- 
stückgroßen Muttermundes, schließt daran vergebliche Extraktionsversuche mit der 
Zange und versucht schließlich die Wendung, die gleichfalls nicht gelingt. Die Ope- 
rationen werden in halber Chloroformnarkose ausgeführt. Da der Kopf noch beweg- 
lich über dem Becken steht nimmt der Arzt eine Exostose des Kreuzbeins oder (‘) 
ein plattes Becken als Geburtshindernis an und da er sich nicht zur Perforation ent- 
schließen kann, überweist er endlich die Patientin der Klinik zur Weiterbehandlung. 

Befund bei der Aufnahme in die Klinik: Rücken rechts, Kopf auf die linke 
Beckenschaufel abgewichen. Herztöne nicht zu hören. Beckenmaße: Dist. spin. 
27 cm, Dist. crist. 28 cm, Conj. ext. 18,5 cm, Conj. diag. 10 cm, Conj. vera 8 cm. 
Innere Untersuchung: Blase gesprungen, Muttermund kleinhandtellergroß, zeigt mehr- 
fache Einrisse, darunter einen großen nach links hin bis über den Scheidenansatz 
hinaus. Kopf beweglich über dem Becken, Kind tot. 

In Chloroformnarkose wird die Perforation und Extraktion des toten Kindes vor- 

genommen. Sehr kräftiges Kind, wiegt enthirnt 3600 g. Placenta wird eine halbe 
Stunde post partum spontan ausgestoßen. Uterusspülung mit 12 Litern Lysollösung. 
Temperatur 36,5, Puls W. 
Da der vor der Entbindung mit dem Katheter entnommene Urin blutig ist, 50 
wird ein Dauerkatheter in die Blase eingelegt. Am 11. VIII. beträgt die in 24 Stunden 
ausgeschiedene Urinmenge 350 ccm, 1°/, Albumen (Esbach). Trotz Digitalis und 
Diuretin bleibt die Urinausscheidung auch in den folgenden Tagen minimal. 

12. VIII. 120 cem Urin, !/,%!/,, Albumen, reichliche Stuhlentleerung. 13. VIl. 
120 cem Urin, 1°/,°/, Albumen. 14. VIII. 130 ccm, 1°, Albumen. Verordnung: 
3mal täglich Theocin 0,3. Schwitzbett. Zur Ableitung auf den Darm Purgen. Auf- 
treten leichter urämischer Symptome in Form von Kardialgien, Unruhe, leichter Be- 
nommenbheit. 

Wegen der beginnenden Urämie und angesichts der Erfolglosigkeit der interne? 
Medikation wird als letztes Mittel, die Nierenfunktion wieder in (rang zu bringen, die 
Dekapsulation der Nieren beschlossen. 

15. VIII. (Operateur: Reifferscheid) Äthernarkose. Schrägschnitt, Freilegen 
der Niere und Entkapselung derselben in situ, was ohne Schwierigkeit gelingt. D? 
die Blutung sehr gering ist, wird von jeder Dränage Abstand genommen. Exakter 
Schluß der Wunden mit versenkten Katgut- und oberflächlichen Silkwormknopfnähte?- 


Die Dekapsulation der Nieren bei der Eklampsie. 163 


Die Operation verläuft auf beiden Seiten gleich. Beide Nieren dunkelblaurot, geschwellt, 
so daß bei der Inzision der Kapsel die Kapselränder auseinanderweichen. 

Einige Stunden nach der Operation entleert Patientin spontan 100 ccm Urin, der 
stark blutig ist und massenhaft Sediment enthält, das sich mikroskopisch als ein Brei 
von Nierenepithelien und roten und weißen Blutkörperchen erweist. Bis zum nächsten 
Morgen beträgt die Urinmengd 340 ccm, die folgenden Portionen sind klarer und 
weniger blutig. 

16. VIII. Während des Tages werden nochmals 200 ccm Urin entleert, gegen 
Mittag wird aber die Patientin sehr unruhig, klagt über heftige Schmerzen in der 
Herzgegend, der Puls ist stark beschleunigt und klein. Mehrfach läßt Pat. unwill- 
kürlich Urin ins Bett, so daß die Gesamtmenge des Urins nicht zu bestimmen ist. 
Immerhin läßt sich so viel sagen, daß die Diurese erheblich reichlicher ist als vor der 
Operation. 

17. VOII Starke Zunahme der Unruhe und der Beklemmungen. Unwillkürlicher 
Abgang von Urin, so daß Patientin häufig naß liegt. Menge nicht zu bestimmen. 
Puls dauernd hoch. Gegen Abend verfällt die Patientin schnell, und um 11,50 Uhr 
erfolgt der Exitus letalis. 

Sektionsbefund: Zellgewebe um die linke Niere blutig imbibiert. Linke Neben- 
niere ohne Besonderheiten. Kapsel der linken Niere ist abgezogen und liegt abseits 
als blutig durchdrängter Wulst am Hilus. Niere vergrößert, Rinde deutlich verbreitert, 
sehr blaß und teilweise getrübt. Markkegel im Nierenbecken hyperämisch. Das Zell- 
gewebe in der Umgebung der rechten Niere zeigt nur auf der hinteren Seite blutige 
Durchtränkung. Die Kapsel ist abgelöst, hat sich aber zum Teil wieder in situ hin- 
gelegt. Im ganzen verhält sich die rechte Niere wie die linke. 

Mikroskopisch: Reichlich Eiweiß im erweiterten Kapselraum der Glomeruli. 
Leichte Schwellung des Kapselepithels der Glomeruli. Deutliche Erweiterung der 
gewundenen und geraden Harnkanälchen. Reichlich Eiweiß und etwas Blut in den 
gewundenen, reichlich Blut und Leukocyten in den geraden Kanälen. Etwas Fett im 
Parenchym. Keine Nekrosen. 


Also auch in diesem Falle war ebenso wie in Fall I eine deutliche 
Besserung der Diurese nach der Operation nicht zu verkennen, doch 
vermochte sie nicht den Exitus letalis zu verhüten. Vielleicht wäre 
der Erfolg ein besserer gewesen, wenn der Eingriff früher ausgeführt 
worden wäre, doch erschien an den ersten Tagen des Wochenbettes 
angesichts des guten Allgemeinzustandes und des Fehlens jeglicher be- 
drohlicher Symptome die Operation nicht indiziert, solange nicht die 
innere Medikation versucht war. 

Mit den vorstehenden Fällen (I und II) steigt die Zahl der bekannt 
gegebenen Fälle von Dekapsulation der Nieren bei Eklampsie auf 30. 
Von diesen starben 15, also eine Mortalität von 50°/,. Darunter sind 
allerdings 3 Fälle, in denen nach Aufhören der Anfälle und Besserung 
der Diurese der Exitus an einer komplizierenden Erkrankung am 4. 
bzw. 5. Tage p. op., und zwar einmal an einer Infektion der Operations- 
wunde (Wiemer), einmal an einer Pneumonie (Frank), einmal an 
Verblutung aus zwei Magengeschwüren (Baumm). Nach Abzug dieser 
Fälle würde die Mortalität noch 40°), betragen. Auch von den tödlich 
verlaufenden Fällen zeigten 7 zunächst noch eine deutliche oft sogar 
erhebliche Besserung der Diurese, so daß unverkennbar die Operation 
einen wohltätigen Einfluß ausübte, wenn sie auch nicht mehr lebens- 
rettend wirken konnte. 

Naheliegend war der Gedanke, daß diejenigen Fälle, in denen sich 


164 Prof. Dr. K. Reifferscheid. 


keine Erhöhung der intrarenalen Spannung bei der Operation nach- 
weisen ließ, sondern die Nieren schlaff und weich waren, schlechtere 
Resultate ergeben würden als die mit erhöhter Spannung einhergehenden. 
Es finden sich 8 derartige Fälle. Von ihnen starben 4, so daß sich 
also kein Unterschied in der Mortalität ergibt. 

Ein abschließendes Urteil über den Wert des Eingriffs zu fällen, 
ist noch nicht möglich; immerhin ist aber nicht zu leugnen, daß in 
einer Reihe von Fällen an die Ausführung desselben sich eine erheb- 
liche Besserung der Diurese anschloß, noch bestehende Anfälle sistierten 
und rasche Heilung eintrat. Ferner ist zu bedenken, daß vielfach, wie 
auch in den von mir mitgeteilten Fällen der Eingriff vielleicht zu spät 
vorgenommen wurde, so daß der Einwurf nicht von der Hand zu weisen 
ist, daß die Operation, früher ausgeführt, möglicherweise einen besseren 
Erfolg ergeben hätte. Jedenfalls muß man angesichts der in einzelnen 
Fällen beobachteten eklatanten Erfolge die Berechtigung des Eingriffs 
durchaus anerkennen. 

Von vornherein ist es abzulehnen, die Operation, wie Edebohls 
auf Grund eines glücklich verlaufenen Falles es will, in der Gravidität 
ohne Entleerung des Uterus auszuführen. Dagegen spricht die von 
Gauß mitgeteilte wichtige Beobachtung, wo der nach der Entkapselung 
ausbleibende Erfolg erst eintrat, nachdem der Uterus entleert worden 
war und die häufig in der Geburtshilfe gemachte Erfahrung, daß die 
Entleerung des schwangeren Uterus allein schon genügt, die Eklampsie 
zum Aufhören und die Nierenfunktion wieder in Gang zu bringen. 
Auf Grund eben dieser Erfahrung ist aber auch der Vorschlag von 
Gauß, in jedem Falle von Eklampsie an die Entbindung sofort die 
Entkapselung anzuschließen, als ein zu weitgehender zu bezeichnen. 
Es würden dadurch eben eine Reihe von Fällen, in denen die sofortige 
Entbindung allein zur Heilung ausgereicht hätte, einem immerhin nicht 
ganz gleichgültigen Eingriff, wie ihn die Nierendekapsulation darstellt, 
überflüssigerweise unterworfen werden. Und das müssen wir unter 
allen Umständen vermeiden. Ich glaube, daß es richtiger ist, nach der 
sofort nach dem Ausbruch der Eklampsie auszuführenden Entleerung 
des Uterus, noch 8—10—12 Stunden das Verhalten der Nierenfunktion 
abzuwarten und erst dann einzugreifen, wenn keine Besserung sich zeigt. 

Der Eingriff selbst ist einfach und schnell auszuführen und be- 
deutet, gute Technik und Asepsis vorausgesetzt, keine wesentliche Ge- 
fährdung des Patienten. Von einem schrägen Flankenschnitt aus durch- 
schneidet man schichtweise die Muskeln und die Fascia transversa bis 
auf das retroperitoneale Gewebe. Dann läßt man sich von der Bauch- 
seite her die Niere entgegendrängen, was namentlich bei einer frisch 
Entbundenen leicht gelingt, spaltet zwischen zwei Pinzetten die Fett- 
kapsel und kann nun, ohne die Niere zu luxieren, in situ die Dekap- 
sulation vornehmen, indem man von einem oberflächlichen Einschnitt 
in die Kapsel aus, diese stumpf von der Nierenoberfläche abschält. 
Edebohls empfiehlt dann auch die abgeschälte Kapsel zu resezieren; 





Die Dekapsulation der Nieren bei der Eklampsie. 165 


jedenfalls kann man durch die Resektion verhüten, daß etwa die Kapsel 
sich teilweise wieder anlegt oder die schrumpfende Kapsel den Hilus 
komprimiert. Wenn die Blutung sehr gering ist, so kann man von 
jeder Dränage absehen, sonst, oder wenn, wie ich das in einem Fall 
beobachtete, das umgebende Gewebe sehr ödematös ist, führt man einen 
Streifen steriler Gaze zur Dränage ein. Niemals darf Jodoformgaze 
dazu benutzt werden. Dann wird in exakter Weise die Fascie und die 
Muskulatur wieder vereinigt und die Wunde bis auf die für die Drä- 
nage notwendige Lücke geschlossen. Die Operation läßt sich auf jeder 
Seite in 10—15 Minuten ausführen. Nicht immer gelingt es aber die 
Niere ganz in situ zu entkapseln, nämlich dann, wenn die Niere ganz 
unter dem Rippenbogen verborgen ist. Hier muß man, wenn man nicht 
die 12. Rippe resezieren will, was wegen der möglichen Pleuraverletzung 
nicht gleichgültig und außerdem zeitraubend ist, die Niere etwas aus 
ihrer Lage in die Wunde hinein luxieren, um die Kapsel ablösen zu 
können. Der Dränagestreifen kann schon nach 24 Stunden wieder 
entfernt werden. 


(Aus der gynäkologischen Abteilung des Rothschildspitales in Wien. 
Vorstand: Primarius Dr. C. Fleischmann.) 


Dystopie der Niere und Mißbildung der inneren Geschlechtsorgane. 
Von 


Dr. Alfred Löwit, Sekundararzt der Abteilung. 


Die Diagnose der kongenital dystopen Niere, sowohl bei patho- 
logischer Veränderung dieses Organes als auch ohne diese, bot seit 
jeher große Schwierigkeiten und wurde in nur verhältnismäßig wenigen 
Fällen vor Eröffnung der Bauchhöhle richtig gestellt. Erst im letzten 
Jahrzehnt sind vielfach Fälle der angeborenen Nierenverlagerung, die 
zu verschiedenen klinischen Symptomen führte, beschrieben, und ist 
auf die außerordentliche klinische Bedeutung der Nierendystopie hin- 
gewiesen worden, hauptsächlich in dem Sinne, daß wir bei den meisten 
unklaren, im kleinen Becken befindlichen Tumoren sie in den Kreis 
unserer Erwägungen ziehen müssen. 

Bei der kongenitalen Nierendystopie handelt es sich um eine Lage- 
anomalie, darin bestehend, daß das Organ nicht an der ihm zukommen- 
den Stelle entsprechend dem 11. Brustwirbel bis zum 2. Lendenwirbel 
seinen Sitz hat, sondern an irgendeiner Stelle der bei seiner Entwicklung 
zu durchlaufenden Bahn liegen geblieben ist. 

Für dieses Verhalten der Niere hat man mechanische Momente als 
ursächlich angenommen, Entzündungen in einem frühen Entwicklungs- 
stadium, selbst das Fehlen der normalen Wachstumsenergie verantwortlich 
gemacht, ohne jedoch einen sicheren Beweis für diese oder jene Hypo- 
these erbringen zu können. Auffällig war der häufige Befund von 
gleichzeitigem Auftreten von Anomalien des inneren Genitale mit der 
Nierendvstopie. Dieser Zusammenhang zwischen beiden Entwicklungs- 
störungen kann kein zufälliger sein, läßt vielmehr auf das Vorhandensein 
einer gemeinsamen Ursache schließen, um so mehr, als die Anomalie des 
uropoetischen Systems und des Genitale sich stets auf der gleichnamigen 
Seite findet. So fand Paltauf unter 79 Fällen von Uterus unicornis 
27 mal eine kongenitale Mißbildung von Niere und Ureter, und hierunter 
mal eine kongenitale Nierendystopie. v. Rosthorn fand unter 79 Fällen 
von Uterus unicornis in der Literatur 76mal eine Komplikation mit 
Anomalien im uropoetischen System (Defekt, Dystopie, rudimentäre Aus- 
bildung einer Niere). 

Im folgenden will ich über einen Fall von Hydronephrose einer 
kongenital dystopen Niere, kombiniert mit einer Mißbildung am inneren 


Dystopie der Niere und Mißbildung der inneren Geschlechtsorgane. 167 


Genitale, berichten, der vor kurzer Zeit auf der gynäkologischen Ab- 
teilung des Herrn Primarius Fleischmann zur Operation kam" 


Pat. Pr. H., 49 Jahre alt, wurde am 20. IX. 08 sub J.-Nr. 1393 von der internen 
Abteilung (Hofr. Oser) transferiert, woselbst sie unter den Erscheinungen einer akuten 
Gastritis aufgenommen wurde. Anamnese: Die Menses traten im 13. Lj. auf; regel- 
mäßig, in 4wöchentlichen Intervallen, von 3tägiger Dauer, mäßig stark, schmerzlos. 
Letzte Menses 27. VIII. Pat. hat 6mal normal geboren, zuletzt vor 10 Jahren, nie- 
mals abortiert. Nach der letzten Geburt angeblich Blinddarmentzündung. Sonst stets 
gesund gewesen, erkrankte sie am 9. IX. 08 plötzlich mit heftigen, nach dem Unter- 
leibe ausstrahlenden Kreuzschmerzen. Tags darauf mehrmaliges Erbrechen, kein Auf- 
stoßen, keine Stuhl- oder Windverhaltung, keine Harnbeschwerden. Während des 
Aufenthaltes auf der int. Abteilung wiederholte sich der Schmerzanfall. Auf Befragen 
gab Pat. noch an, nie blutigen Harn gehabt zu haben. 

Stat. praes.: Mittelgroß, von kräftigem Knochenbau und gut entwickelter Mus- 
kulatur, ziemlich reichem Pannic. adipos. Temperatur normal, Puls regelmäßig. kräftig, 
88. Perkussion der Lungen normal. Das Atmen vesikulär, mit etwas verlängertem 
Exspir über beiden Spitzen. Herzdämpfung nicht verbreitert. Herztöne begrenzt, 
nur der erste an der Spitze dumpf. Harn klar, frei von Zucker und Albumen. 

Das Abdomen leicht vorgewölbt, mit sehr schlaffen, mäßig fettreichen Bauch- 
decken. Links oberhalb der Symphyse und des linken Schambeins bis zum Nabel 
reichend ein rundlicher glatter, wenig empfindlicher, anscheinend fluktuierender, seit- 
lich und von oben nach unten etwas verschiebbarer Tumor. 

Genitalbefund: Introitus gerötet; kleiner faltenförmiger Prolaps der hinteren 
Scheidenwand. Portio vag. in der Excav. sacri, nach hinten gerichtet. Uterus dex- 
trovert., antefl., nicht vergrößert, gut beweglich. Links oberhalb des Beckeneingangs 
der vorerwähnte nahezu kindskopfgroße Tumor. Der untere Pol des Tumors läßt sich 
etwas nach außen und oben verschieben. der obere erscheint fixiert. Die Finger 
können leicht zwischen Uterus und Tumor eindringen, ohne einen Stiel zu tasten. 
Über den Tumor ziehen von rechts oben nach links unten mehrere Stränge (Netz?). 
Adnexe können nicht getastet werden. Es wird angenommen, daß ein oberhalb des 
Beckens fixierter Tumor des linken Ovariums vorliege, und am 24. IX. zur Operation 
geschritten (Roth-Drägersche Narkose, ruhiger Verlauf), Oper. Prim. Fleischmann. 

Mediane Laparotomie ein Querfinger oberhalb der Symphyse bis ein Querfinger 
oberhalb des Nabels. Es präsentiert sich sofort der glatte, glänzende, dicht über dem 
Beckeneingang gelegene kindskopfgroße Tumor, der von fettreichem Peritoneum über- 
zogen, zu beiden Seiten und an seiner oberen Peripherie vom Dünndarm umgeben ist. 

Die Besichtigung der Genitalorgane zeigt, daß ein gut entwickeltes rechtes Uterus- 
horn vorliegt mit großem, ein frisches Corp. lut. enthaltendem Ovarium, normal ge- 
bildeter Tube und einem auffallend kräftigen, breiten Ligt. rot. Dieses inseriert am 
Uterus nicht dicht unterhalb der Tubeninsertion, sondern viel weiter medialwärts etwas 
unterhalb der Ansatzlinie der Tube. Das rechte Uterushorn ist nach rechts geneigt. 
Etwa in der Höhe des inneren Muttermundes geht von demselben nach links bogen- 
förmig ein etwa 1 cm breiter, 3 mm dicker Strang gegen den Beckeneingang ab, von 
dem aus nach vorne gegen den Annulus inguinalis int. ein kurzes Ligament (Ligt. rot. 
sin.) abzweigt, während eine Bauchfellfalte gegen das Darmbein ausstrahlt, an deren 
medialen Fläche das dünne, lang ausgezogene linke Ovarium sichtbar wird. Lateralwärts 
von diesem in einer seichten Bauchfelltasche versteckt eine kleine, dünne Tube mit 
offenem zartem Fimbrieneude. Vom Ovarium zieht nach oben gegen das Mesosigm. 
das auffallend stark vorspringende, sehnig glänzende Ligt. susp. ovarii. 

Nachdem nun der retroperitoneale Sitz des Tumors festgestellt ist, wird das be- 
deckende Peritoneum quer gespalten, worauf sich der Tumor an seiner vorderen und 
seitlichen Peripherie leicht ausschälen läßt. Nur nach hinten zu sind die Verbindungen 

1) Der Fall wurde im Dezember 1908 von mir in der Gesellschaft für Gynäkol. 
u. Geburtshilfe in Wien demonstriert. 


168 Dr. Alfred Löwit. 


mit der hinteren Bauchwand -dicht neben der Wirbelsäule fester. Beim Versuche, 
diese zu lösen, reißt der Tumor ein, und es entleeren sich aus demselben etwa 
300 cm? einer dünnen, dunkelbraunroten Flüssigkeit. Nun läßt sich der entleerte 
Sack bis auf drei rabenfederkieldicke Stränge, die ligiert und dann durchschnitten 
werden, vollständig ausschälen. Nach unten zu findet das Geschwulstbett am Becken- 
eingang seine Grenze. Verschluß des gesetzten Peritonealschlitzes mittels Katgut- 
knopfnähten. Vierreihige Bauchdeckennaht. 

Präparat: Etwa faustgroßer entleerter Cystensack. Außenfläche glatt, stellen- 
weise von fetzigen Membranen und Fettgewebe besetzt. Der größte Teil des Sackes 
von einer zarten, leicht ablösbaren bindegewebigen Membran überzogen. Innenfläche 
größtenteils glatt, hier und da gerunzelt, graurot. An drei Stellen finden sich bis 
!/, cm hohe, dünne, leistenförmig vorspringende Septen, zwischen denen die Cysten- 
wand dellenförmig vertieft erscheint, so daß es den Anschein hat, als wäre die Oyste 
aus mehreren kleineren hervorgegangen. Dicke der Wand 2 mm bis !/, cm; wo sie 
dicker ist, findet man kleine, kompakte, bucklige Vorwölbungen. Auf dem Durch- 
schnitt zeigt die Cystenwand eine äußere, grauweiße weichere und eine dünnere, 
derbere, dunklere Schichte Am unteren Pole findet sich eine feine schlitzförmige 
Öffnung, die in einen etwa 3 mm dicken, kanalisierten Strang führt, der sich auf 
etwa 3 cm weit verfolgen läßt. Die mikroskopische Untersuchung des Pri- 
parates, die wir der Liebenswürdigkeit des Herrn Prof. Dr. Stoerk verdanken, ergab 
eine Hydronephrose mit einer schmalen Randschicht erhaltenen Nierenparenchyms: 
die inneren Schiehten in derbfibröses Gewebe umgewandelt; die Beckenschleimhaut 
von Granulationsgewebe substituiert. 

Verlauf nach der Operation vollkommen glatt. Die Harnmenge schwankte 
zwischen 1000 und 1500 cm?. Pat. konnte am 5. X. das Bett verlassen. 

10. X. Chromocystoskopie: leichte Cystitis in der Gegend des Blasenhalses 
und der unteren Blasenwand. Nach 38 Minuten entleert sich aus dem rechten Ureter 
in kräftigem Strahle deutlich blaugefärbter Urin, auf der linken Seite sieht man wohl 
die Uretermündung, doch fehlt das Ureterphänomen. 


Wir haben also in unserem Falle die richtige Diagnose erst nach 
der Operation gestellt, obzwar wir während derselben hauptsächlich 
mit Rücksicht auf die Mißbildung des Genitales an die Möglichkeit einer 
Nierengeschwulst dachten. Doch das Fehlen eines jeden einer Nieren- 
affektion zukommenden Symptomes, sowie das anatomische Verhalten in 
unserem Falle — auch die bei den meisten kongenitalen Nierendystopien 
vorkommende Lage des Hilus an der vorderen Fläche wurde vermißt — 
haben uns von der richtigen Diagnose abgelenkt. Hätten wir vor der 
Operation an die Möglichkeit eines Nierentumors gedacht, so wäre auf 
cvstoskopischem Wege die Diagnose eine leichte gewesen. 

Ein diagnostisches Hilfsmittel, das uns durch die cystoskopische 
Untersuchung zur Bestimmung einer Nierendystopie geboten wird, ist 
zunächst die von Hochenegg und Müllerheim empfohlene Sondierung 
der Ureteren. Die Kürze des einen zur dystopen Niere führenden 
UTeters gegenüber der normalen Länge des anderen muß, wie Hochen- 
egg sagt, auf die richtige Diagnose führen. 

Die von Casper und Müllerheim, Loewenhardt und Schmidt 
empfohlene Röntgenaufnahme eines mit einem Bleimandrin versehenen. 
his ins Nierenbecken vorgeschobenen Katheters bedeutet einen Fortschritt 
in der Diagnostik. Leider führt der Ureterenkatheterismus nicht immer 
zu einer sicheren Diagnose; insbesondere ist dies der Fall bei erkrankten 
(lvstopen Nieren, doch auch bei normaler Beschaffenheit derselben kann 


Dystopie der Niere und Mißbildung der inneren Geschlechtsorgane. 169 


er im Stiche lassen, wie z. B. in einem Falle Israels, wo der Ureter 
einer dystopen Niere normal lang war, und deshalb größere Schlingen 
bildete. 

In unserem Falle wäre wohl die Sondierung der Ureteren nicht 
nötig gewesen, da wir durch bloße Cystoskopie uns vom Fehlen des 
Ureterphänomens hätten überzeugen können — handelte es sich doch 
sicher um eine abgeschlossene Hydronephrose — und daraus der Schluß 
auf das Vorliegen eines Nierentumors sich von selbst ergeben hätte. 

Müllerheim war der erste, der bei einem Falle die Diagnose auf 
kongenitale Nierendystopie (mittels Ureterensondierung) stellte und durch 
Operation dieselbe bestätigt fand, auch Israel hat in einem Falle die 
Wahrscheinlichkeitsdiagnose gemacht. Albrecht stellte auf dem Kon- 
greß der deutschen Gesellschaft für Urologie einen von ihm diagnosti- 
zierten Fall von Beckenniere vor, Richter beschreibt einen gleichfalls 
erkannten Fall von Hydronephrose einer kongenital dystropen Niere aus 
der Abteilung Zuckerkandls. 

Was nun die Mißbildung am Genitale anbelangt, so handelt es sich 
entsprechend der Terminologie v. Rosthorns um einen Uterus bicornis 
mit rudimentär entwickeltem linken Horn, rudimentär entwickeltem 
Ovarium und Tube, also nach der Einteilung v. Winckels um eine 
Entwicklungshemmung zweiter Stufe, entstanden zwischen vierter und 
achter Woche des embryonalen Lebens. 

Alle Doppelbildungen der Gebärmutter sind auf das Ausbleiben der 
Verschmelzung der unteren Abschnitte der Müllerschen Gänge zurück- 
zuführen. Über die Ursache der ausbleibenden Verschmelzung sind 
verschiedene Hypothesen aufgestellt worden. Paltauf schreibt dem 
unvollständigen Descensus ovariorum eine wichtige Rolle zu. Er sagt, 
daß „der Müllersche Faden beim fortschreitenden Wachstum eine 
Dehnung erfahren muß, die nur zu bald in ein vollständiges Dehiszieren 
desselben ausarten kann“. 

Diese Anschauung scheint in unserem Falle zuzutreffen, da wir 
das langgezogene linke Ovarium sehr hoch über dem Beckeneingang 
fixiert vorfinden. Eine gleiche Erklärung findet Natanson zutreffend 
in einem eigenen Falle, sowie in Fällen von Ballowitz, v. Winckel 
und Hönigsberg. Als Erklärung für den unvollständigen Descensus 
ovariorum werden z. T. fötale Entzündungen, z. T. das Stehenbleiben 
der Nierenanlage angenommen. 

Von den anderen Hypothesen zur Erklärung der Doppelbildungen 
wäre die von Winckel, Frankl, Robert Meyer angenommene Kürze 
und Stärke des Lig. rot, oder die Ungleichheit derselben auf beiden 
Seiten, sowie die breite Ansatzlinie der Ligamente am Uterus zu er- 
wähnen. Die bestehende Veränderung des rechten Lig. rot. in unserem 
Falle läßt eine Deutung der Doppelbildung auch im Sinne dieser Hypo- 
these nicht von der Hand weisen. Doch scheint nach den Erwägungen 
Natansons diese Erklärung nicht erwiesen. Vor allem ist es bis jetzt 
nicht sichergestellt, ob die Veränderung am Lig. rot. das Primäre, die 


170 Dr. Alfred Löwit. Dystopie der Niere usw. 


Mißbildung das Sekundäre ist, finden wir doch, wie Natanson durch 
Vergleich des Falles Blum von Josephson mit dem Fall Winckel 
Nr. III hervorhebt, einmal die Verdickung und breite Ansatzlinie auf 
der Seite des normal entwickelten Hornes, ein anderes Mal aber auf der 
Seite des verkümmerten. 

Was die abnorme Insertion des Lig. rot. dextr. in unserem Falle 
anbelangt, so wäre es möglich, daß dieselbe im embryonalen Leben sich 
entwickelt hat und im Sinne Frankls die Folge einer frühzeitigen In- 
volution des hyperplastischen Wolffschen Körpers auf der Seite des 
entwickelten Hornes wäre. Doch auch ein Zustandekommen im ex- 
trauterinen Leben wäre nicht von der Hand zu weisen. 

Es wäre ganz wohl denkbar, daß der lateralwärts von der Insertion 
des runden Bandes gelegene Abschnitt der Tubenecke im Verlaufe der 
wiederholten Schwangerschaften sich bei seiner Beteiligung an der Be 
herbergung des Eies stärker entwickelt habe und dadurch eine größere 
Distanz zwischen der Abgangstelle der Tube und des Ligt. teres zustande 
gekommen sei. 

Dies ist um so weniger zu entscheiden, als uns eine genaue ana- 
tomische Untersuchung nicht zu Gebote steht. 


Literatur. 


Albrecht, Über kongenitale Nierendystopie. Verhandlungen der Deutschen Gesell- 
schaft für Urologie 1907. 

Chrobak-Rosthorn, Die Erkrankungen der weiblichen Geschlechtsorgane, II. Teil. 

Frankl, O., Über Mißbildungen der Gebärmutter und Tumoren der Uterusligamente 
im. Lichte embryologischer Erkenntnisse. Volkmanns Sammlung klin. Vorträge, 
N. F., Nr. 363. 

Kehrer, Die klinische Bedeutung der kongenitalen einseitigen Nierendystopie. Bei- 
träge zur Geburtshilfe und Gynäkologie, Festschrift für Chrobak, 1903. 

Natanson, Zur Anatomie und Entwicklungsgeschichte des Uterus unicornis. Monate 
schrift f. Geburtshilfe und Gynäkologie, Bd. XX, H. 6. 

Richter, Infizierte Hydronephrose einer angeborenen dystopischen Niere. Wiener 
klinische Wochenschrift 1907, Nr. 40. 

Sträter, Beiträge zur Pathologie und Therapie der kongenitalen Nierendystopie- 
D. Zeitschrift für Chirurgie, Bd. 83. 


(Aus der Universitäts-Frauenklinik der Kgl. Charite zu Berlin. 
Direktor: Geheimrat Prof. E. Bumm.) 


Eine einfache Vorrichtung zur Entwicklung der kalten Schlinge 
als Ergänzung zu dem Ureterencystoskop. 
Von 
Prof. P. Krömer, Berlin. 
(Mit 3 Abbildungen.) 


Der Verbreitung des ziemlich komplizierten Operationscystoskopes 
nach Nitze stehen manche Schwierigkeiten entgegen. Man fürchtet 
gewöhnlich das allzugroße Kaliber, das ungewohnte Arbeiten mit dem 
diffizilen Apparat, mit dessen Handhabung man nicht vertraut ist, end- 
lich wohl auch den hohen Preis des Instrumentes. Der Gynäkologe 
suchte daher gern das Operationscystoskop zu umgehen, indem er neben 
dem gewöhnlichen Cystoskop Instrumente in die Blase einführte, oder durch 
Scheidenblasenschnitt bzw. durch Sectio alta die Blasentumoren beseitigte. 

Trotzdem halte ich das Vertrautsein mit dem endovesikalen Ope- 
rationsverfahren der Urologen für sehr wertvoll aus zweierlei Gründen. 
Einmal gibt es keine bessere Übung für den Schüler als das Arbeiten 
mit der Schlinge und zweitens mahnen uns die Erfahrungen der 
Chirurgen!) über die malignen Rezidive in der Bauchwand nach Ent- 
fernung gutartiger Blasenpapillome durch Sectio alta zur Einschränkung 
dieser immerhin eingreifenden Maßnahmen und zur Wiederaufnahme 
der Schlingenoperation. Die Blasenpapillome stellen offenbar eine ganz 
eigenartige Geschwulstgruppe dar, welche bei dem harmlosen Vorgang 
der Schlingenabschnürung am wenigsten zur Propagation und Implan- 
tation neigen. 

Während ich daher für Entfernung von Fremdkörpern, Ligaturen, 
Steinen gern die neben dem Cystoskop eingeführte Fremdkörperzange 
in der weiblichen Blase benutze, scheint mir für Tumoren die An- 
wendung der Schlingeninstrumente unerläßlich. Schließlich widerstrebte 
es mir auch, in den Lehrkursen ausschließlich einseitige Verfahren zu 
demonstrieren, welche nur für Frauen und nicht für Männer verwendbar 
sind. Das diffizile Nitzesche Operationsinstrument dem Schüler in 
die Hand zu geben, schien mir nicht ratsam, zumal ich gegen die An- 
wendung der heißen Schlinge mancherlei Bedenken hatte. Ich ließ 
daher durch die Firma L. & H. Loewenstein, Berlin, Ziegelstr., 


1) Lichtenstern, Zeitschrift für Urologie II, 2. 1908. 


172 Prof. P. Krömer. 


welcher ich für die rasche Erledigung dieser Angelegenheit sehr zu 
Dank verpflichtet bin, eine einfache Schlingenführung konstruieren, 
welche ich zur Prüfung auf ihre Brauchbarkeit empfehlen möchte. 

Das Instrument, siehe Figur 1, besteht im wesentlichen aus zwei 
dünnen, parallel gerichteten Metallröhren, in welchen die Schenkel der 
Schlinge laufen. Am freien Ende E öffnen sich beide Röhren, um die 
Schlinge austreten zu lassen. Am entgegengesetzten Ende ist an die 
Röhrenleitung ein Verschlußkonus V aufgesetzt, welcher seitlich einen 
kleinen Knopf Kn trägt. An den Konus ist der eigentliche Schlingen- | 
führer angesetzt in Gestalt eines im Konus sich aus- und einwärts 
bewegenden Metallzylinders, welcher dank der Führungssicherung im 
Konus nur in der Richtung des Drahtes sich verschieben läßt. Zur 
leichten Handhabung ist an den Führer F ein Bügel B angesetzt, in 
welchen man bequem den Daumen einlegen kann. Dem Bügel gegen- 
über befindet sich der Klemmstempel S, welcher durch einen leichten 
Fingerdruck in Wirkung gesetzt wird. Sobald der Stempel angedrückt 
wird, fixiert er den Draht, welcher sodann beim Einwärtsbewegen des 
Führungszylinders zur Erweiterung der Schlinge am freien Ende hervor- 
gestoßen wird. 








TOWS u WLLIEWENS TEIL SERII. Yv F 


Fig. 1. 
Einfacher Schlingenschnürer, fertig zum Einführen in den Sondenkanal des Ureterencystoskep 
(Beschreibung im Text.) 


Während der Führungszylinder beständig aus- und einwärts ge- 
schoben wird, soweit es die im Konus angebrachte Hemmung gestattet, 
kann der Operateur beliebig die Schlinge bilden oder schließen. Um 
die Schlinge zu bilden und zu vergrößern, ist die Klemme beim Ein- 
wärtsbewegen des Führungszylinders anzudrücken, beim Auswärtsbewegen 
zu öffnen! — Umgekehrt muß beim Schließen der Schlinge der Führer 
beim Einwärtsbewegen (d. i. in den Konus hinein) mit loser Klemme 
leer gehen, während beim Auswärtsbewegen der Draht durch die Klemme 
fixiert werden muß. 

Infolge der überraschenden Einfachheit des ganzen arbeitet der 
Führer leicht und spielend. Eine besondere Technik ist zur Hand- 
habung nicht zu erlernen. Es ist die Technik des Ureterenkatheterismus. 

Das Auswechseln der Schlinge ist denkbar einfach. Nach Ent- 
fernung der Bruchstücke führt man beide Enden der neu einzuziehenden 
Schlinge in die Röhrenöffnungen am freien Ende des Apparates und 
stößt sie mit Hilfe einer flachen Pinzette durch die Röhren, bis sie am 
anderen Ende zum Vorschein kommen. Der eine Schenkel wird um 
den seitlichen Knopf am Verschlußkonus gelegt und daselbst fixiert, 


Eine einfache Vorrichtung zur Entwicklung der kalten Schlinge usw. 173 


der andere Schenkel läuft durch den Führungszylinder und ist lang 
genug, um zur Erweiterung der Schlinge reichlich Material zu 
liefern. Die Schlinge erweitert sich also einseitig durch die Bewegung. 
des einen. Schenkels, während der andere stillsteht. Ich habe bisher 
einen Nachteil gegenüber den zweischenklig beweglichen Schlingen 
nicht finden können. Man lernt sehr rasch durch Andrücken der 
Schlinge an die Blasenwand bzw. an den Boden des Phantomes die 
Schlinge nach Belieben formen, wie es seinerzeit auch Nitze empfahl. 

Will man den Apparat benutzen, so führe man den Schlingenführer 
an Stelle des Ureterenkatheters in den Katheterkanal des Ureteren- 
cystoskopes (Figur 2). Je nach Wunsch wird von der Firma Loewen- 





Fig. 2. 
Ureterencystoskop nach Nitze, armiert mit dem Schlingenschnürer. 





Veranschaulicht den vom Albarranschen Finger gehobenen Kopf des Schlingen- 
führers, aus welchem die Schlinge soeben entwickelt wird. 


stein der Führer so lang gebaut, daß er mit seiner kugligen Spitze 
gerade auf den Fingerhebel zu liegen kommt, welcher sonst den 
Ureterenkatheter zu krümmen bestimmt ist. Neuerdings baut die 
Firma L. den Apparat mit verschieblichem Verschlußkonus, so daß der 
Operateur das innere Ende mit der Schlinge beliebig weit in die Blase 
vorschieben kann. Wenn der Führer etwas den Hebel überragt, so 
läßt sich auch die Schlinge mittels dieses Hebels aufrichten oder 
flacher legen (Figur 3). Der Verschlußkonus paßt als Verschlußstück 
genau in die Öffnung des Sondenkanals, so daß die Füllungsflüssig- 
keit aus der Blase nicht ablaufen kann. Nach Einführung des ‚mit 
der Schlinge armierten Cystoskopes in die Blase fixiert die linke 
Hand, welche ja den Schaft des Cystoskopes umfaßt hält, durch leichten 
Druck des Daumens gegen den Knopf des Verschlußkonus den letz- 
teren im Sondenkanal. Die rechte Hand hat Freiheit zur Schlingen- 


174 Prof. P. Krömer. Eine eivf. Vorrichtung z. Entwicklung d. kalt. Schlinge usw. 


entwicklung. Die Schlinge erscheint vom Rande des (resichtsfeldes her 
im Bilde und stört nicht die Übersicht des Ganzen. Besonders emp- 
fehlenswert ist die Verwendung des bildaufrichtenden Cystoskopes 
(Frank) oder des Korrektionsapparates nach Jakobi in Verbindung 
mit der Schlinge, weil alsdann die Irritierung durch das Arbeiten ım 
Spiegelbild vermieden wird. 

Doch ist diese Kombination durchaus nicht notwendig. Ich habe 
mich gewöhnt, möglichst wenig an der Schlinge zu ändern. Entwickelt 
sie sich sagittal, d. h. stehend in der Längsrichtung des Cystoskopes, 
so schiebe ich sie von der Seite her über den Tumor, entwickelt sie 
sich horizontal, d. h. liegend, so fange ich das Objekt, indem ich die 
Schlinge von oben her darüber werfe. 

Die Herren, welche das Instrument in meinen Kursen benutzen, 
betonten besonders, daß ihnen vor allem das Beibehalten des ihnen 
bereits vertrauten Ureterencystoskopes angenehm sei. In der Tat arbeitet 
man in dem breiten Gesichtsfelde dieses Instrumentes sicherer als bei 
Anwendung des eingeschränkten Gesichtsfeldes komplizierter Operations- 
cystoskope. 

Zum Schlusse scheint mir der geringe Anschaffungspreis besonders 
bestechend. Wer ein Ureteren-Spülcystoskop kauft, ist auch noch im- 
stande, sich einen Schlingenführer für 12 Mark als Ergänzung zu dem 
Instrument bauen zu lassen. 

Bevor ich das Instrument empfahl, habe ich seine Brauchbarkeit 
klinisch erprobt durch Entfernung eines breitgestielten Papilloms. Um 
die Operation bei der Frau eines Collegen möglichst in einer Sitzung 
zu ermöglichen, führte ich nach dem Umlegen der Schlinge (bei Fixation 
des Kystoskopes im Stativ) neben dem Cystoskop eine kleine Zange in 
die Blase und faßte damit die in der Schlinge sitzende Geschwaulst. 
Während ein Assistent mit der Zange den Tumor leicht anzog, konnte 
ich die Schlinge bequem um die Basis des Papilloms legen und letzteres 
abschnüren. Die Blutung war denkbar gering. Rekonvaleszenz bis auf 
38,2° am 2. Tage ungestört. Bei der Nachuntersuchung (*/, Jahr später) 
konstatierten wir eine glatte Narbe an Stelle des Tumors. 


(Aus der Universitäts-Frauenklinik zu Tübingen. Direktor: Prof. Sellheim.) 


Blasenblutung bei Retroflexio uteri gravidi. 
Von 
Dr. Ernst Holzbach, Assistenzarzt. 


Baisch hat im ersten Hefte dieser Zeitschrift eine interessante 
Beobachtung von Blasenblutung bei Retroflexio uteri gravidi incarcerata 
beschrieben. Die Seltenheit der Erkrankung und die Tatsache, daß 
außer Stöckel und Baisch bisher kaum jemand die Gelegenheit be- 
nutzt ‚hat, die Affektionen der Harnblase im Anschluß an durch die 
Rück wärtslagerung der schwangeren Gebärmutter bedingte Harnverhaltung 
mit dem Cystoskop zu verfolgen, veranlaßt mich, einen ähnlichen Fall 
hier mitzuteilen. | 

Es handelt sich um eine 4ljährige Frau, die 5mal spontan ge- 
boren und die letzten 4mal abortiert hat. Ende Februar 1908 ist die 
Periode wieder ausgeblieben; Anfang Juni traten Blasen- und Stuhl- 
beschwerden bei ihr auf, die sich allmählich steigerten, und sie kommt 
Ende Juli in die Klinik, weil seit 8 Tagen unter enormen Drang der 
Harn tropfenweise von ihr abgeht. Wir konstatierten einen graviden 
Uterus in der Größe entsprechend dem 5. bis 6. Schwangerschafts- 
monat. Ein etwa mannsfaustgroßes Segment der hinteren Corpuswand 
war im kleinen Becken eingekeilt. Die Portio stand dicht hinter der 
Schoßfuge und die Blase war bis fast in Nabelhöhe hinaufgezogen. 
Der Katheter entleerte etwa 2 Liter kaum getrübten, eiweiß- und 
zuckerfreien Urin. Im Verlauf des Tages wurde die Frau noch einmal 
katheterisiert; dabei floß 1300 ccm Harn ab. Wir diagnostizierten eine 
partielle Inkarzeration des graviden Uterus und bestimmten die Frau 
zur klinischen Demonstration am nächsten Tage. Aber schon am 
frühen Morgen wurde ich gerufen: die Patientin hatte spontan dunkel- 
blutigen Harn entleert; von den aufgefangenen 800 cenı bestand etwa 
ein Viertel aus geronnenem Bodensatz. Durch den Katheter lief ein 
weiterer halber Liter selır stark blutigen Urins ab. Das Befinden war 
dabei gut, es traten keinerlei bedrohliche Erscheinungen auf, und nach- 
dem noch 2mal Blutharn ausgeschieden war, wurde der Urin leicht 
wolkig, dann fast klar. Die vorsichtige Untersuchung ergab jetzt, daß 
das bisher im Becken eingekeilte Segment des Uteruskörpers völlig aus 
der Beckenhöhle herausgeglitten war. Die Blase war als doppeldaumen- 
dicker Sack bis fingerbreit über der Schoßfuge fühlbar. Nach Ablauf 
von 24 Stunden konnte die cystoskopische Untersuchung ausgeführt 
werden. Ich fand dabei die Blasenschleimhaut so gut wie frei von 
Entzündung, nur im Trigonum Spuren von Katarrh. Vom Blasenhals 
her schob sich ein starkes Ödem vor, die Ureteren funktionierten gut 
und lieferten klaren Urin. Die Gefäßfüllung war enorm; strotzend ge- 
füllte Venen hoben sich scharf von der Unterlage ab und sprangen 
_ 3) Die Mitteilung war für die Oktobersitzung der oberrheinischen gynäkologischen 


Gesellschaft angemeldet, unterblieb aber aus äußeren Gründen. 
Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 12 


176 Dr. Ernst Holzbach. Blasenblutung bei Retroflexio uteri gravidi. 


stellenweise direkt aus der Schleimhaut vor. Im Blasenvertex saß ein 
über markstückgroßer, apoplektischer Herd, der mit noch flottierenden 
Gerinnselmassen bedeckt war und um den herum in der Blasenwand 
einige kleinere Hämorrhagien sichtbar waren. Auch im Blasenfundus 
saßen einige Ekchymosen, und überall die prall gefüllten Venen. 

Eine neue Blutung trat nicht mehr auf. Die nach 8 Tagen wieder- 
holte Cystoskopie fand den apoplektischen Herd nicht kleiner, aber im 
Abblassen; die hämorrhagischen Infarkte waren noch vorhanden, die 
Gefäßstauungen und das Ödem waren verschwunden. 

Die Versuchung, solche plötzliche Blasenblutungen nach kurz vor- 
ausgegangenem Katheterismus damit zu erklären, daß der rasch heraus- 
schießende Urin ein Vakuum in der Blase schaffe, liegt ungemein 
nahe. Bucura hat sogar neuerdings daraus die Konsequenz abgeleitet, 
man dürfe bei der Behandlung der Retroflexio uteri gravidi nicht zu 
viel Urin auf einmal aus der Blase ausfließen lassen. Fritsch betont 
demgegenüber sehr mit Recht, daß er in seiner 40jährigen Erfahrung 
nur ein einziges Mal eine solche Blutung erlebte, trotzdem er katheteri- 
sierte und stets die Blase ganz entleeren ließ. Dem entspricht durch- 
aus, daß in der Literatur nur ganz wenige Fälle von Blasenblutung 
bei Einkeilung des graviden Uterus bekannt sind. Auch bei uns ist 
es die erste derartige Beobachtung gewesen, und es ist dabei besonders 
zu bemerken, daß die Blutung nicht etwa direkt im Anschluß an den 
Katheterismus erfolgte. Erst etwa 12 Stunden, nachdem zum zweiten 
Male Harn abgenommen war, trat das Ereignis ein. Ich schließe mich 
deswegen Baisch unbedingt an, der sagt, daß man das eine Blutung 
ex vacuo oder in vacuum füglicherweise nicht nennen kann. Wie 
sollte auch in einem Organ, dessen Entleerung durch die Kontraktion 
seiner elastischen Wände erfolgt, ein negativer Druck entstehen? Die 
Deutung, die Baisch dem Vorkommnis gibt, scheint mir vielmehr die 
einzig richtige zu sein. Die Stauung und deren Folgen, die pralle 
Venenfüllung und das Ödem, ja stellenweise Blutaustritte in das Blasen- 
gewebe, bestand in unserem Fall wie in dem von Baisch beschriebenen. 
Und sie bestand auch nach dem Katheterismus noch weiter, da ja der 
Uterus nicht aufgerichtet wurde. Eine so reine Form der Stauungs- 
blutung wie der von Baisch beschriebene Fall stellt freilich der 
unsrige nicht dar. Ich glaube vielmehr, daß hier das rein mechanische 
Moment des plötzlichen Herausgleitens des eingekeilten Uterussegmentes 
aus dem Becken im Augenblicke der Spontanaufrichtung eine wesent- 
liche Rolle zum Zustandekommen der Apoplexie gespielt hat. Der 
brüske Umschwung in den Zirkulationsverhältnissen, vielleicht der 
bloße Ruck des Herausgleitens kann schon genügt haben, um eines 
der varicösen Gefäße zum Bersten zu bringen. Eine einigermaßen be- 
trächtliche Cystitis, die zur Arrosion der Blutgefäße oder gar zu 
Gangrän der Schleimhaut geführt hätte, bestand nicht. Die wiederholte 
Cystoskopie hat hier, wie in Baischs Fall, den wahren Sachverhalt 
ohne weiteres erkennen lassen. 


Zur Behandlung der Zystitis mit organischen Silberverbindungen. 
Von 
Dr. Fisch, Frauenarzt, Barnıen. 


In Nr. 2 dieser Zeitschrift empfiehlt Zurhelle einen von ihm 
konstruierten kleinen Katheter, speziell zu Dauerspülungen der Blasen- 
wand bei Zystitis mit dem augenscheinlichen Vorteil, durch je einen 
Hahn am Ab- respektive Zuflußrohr den Füllungsgrad der Blase regu- 
lieren zu können. Hierin liegt in der Tat ein wesentlicher Vorteil 
gegenüber dem bisher gebrauchten gewöhnlichen doppelläufigen Katheter. 

Des weiteren behandelt er die so gründlich gereinigte Blase mit 
einer 1°/, Kollargollösung, wovon er und neuerdings Stöckel sehr 
befriedigt sind. Diese Kollargolbehandlung respektive Behandlung mit 
organischen Silberverbindungen habe ich schon seit einer Reihe von 
Jahren in genau derselben Weise zur Heilung der Zystitis angewendet, 
wie dies Zurhelle beschreibt. Ich ging dabei von der alten bekannten 
Tatsache der ausgezeichneten Wirkungen der Silberlösungen bei allen 
Katarrhen der weiblichen Geschlechtsorgane aus, von denen das an- 
organische Arg. nitr. in Lösungen von 2!/, bis 5°/, bei Scheidenkatarrhen 
vortrefflich wirkt. 

Seiner Anwendung bei der Zystitis steht in erster Linie neben 
der scharfen Ätzwirkung in die Tiefe, der selbst bei ganz dünnen 
Lösungen stets auftretende mehr oder weniger heftige Schmerz im 
Wege, wie auch die Notwendigkeit, öfters die in die Blase gebrachten 
Lösungen durch Kochsalz neutralisieren respektive wieder ablassen zu 
müssen. | 

Als vor etwa zehn Jahren durch die Elberfelder Farbenfabriken die 
organische Silberverbindung „Protargol“ speziell zur Injektionsbehand- 
lung der männlichen Gonorrhöe ‘mit der vortrefflichen Wirkung Ver- 
wendung fand, daß !/,°/,, dann 1—2°/, Lösungen dreistündlich ange- 
wendet bei fünfminutiger Belassung in der Harnröhre geradezu reizlos 
vertragen wurden, mit dem Erfolg, daß die Gonokokken sofort ver- 
schwanden und bei regelmäßiger konstanter Durchführung der Injek- 
tionen sich mikroskopisch nicht mehr nachweisen liesen, so daß diese 
Fälle in vier Wochen geheilt waren, kam mir der Gedanke, das Pro- 
targol bei der Zystitis statt des Arg. nitr. anzuwenden. Ich war erstaunt, 
wie schnell heftige akute und subakute eitrige Zystitiden nach einer 
gründlichen Auswaschung und dahinter Einspritzen einer 30 Gramm 
Menge mittels Stempelspritze von 1°, Protargol zur Heilung kamen. 

12* 


178 Dr. Fisch. Zur Behandlung der Zystitis mit organischen Silberverbindungen. 


Ich habe es wiederholt beobachtet, daß Patienten, die seit 8—14 Tagen 
unter dem lästigen Urindrang sehr zu leiden hatten, nach einer ein- 
maligen!Applikation von einer, oft auch zwei Spritzen (also etwa 60 cem) 
Protargol geheilt wurden, indem der Urindrang nach einigen Stunden 
ganz aufhörte und der Zustand geheilt war, so daß man bei einer 
zweiten Untersuchung nach einigen Tagen bei subjektirem Wohlbefinden 
mit dem Katheter ganz klaren Urin bekam, ohne eine Spur des vor 
einigen Tagen noch reichlichen Eitersediments mehr zu finden. Bei 
anderen war eine zwei bis dreimalige Wiederholung dieser Behandlung 
nötig, um zum Ziele zu kommen. Ich habe sogar oft bei dieser ambu- 
lanten Zystitisbehandlung die Blase, wo ich keinen Residualharn ver- 
mutete, gar nicht erst lange ausgespült, sondern sah nach Ablassung 
des trüben Urins mit dem Katheter und sofortiger Injektion von 30 
respektive 60 ccm 1°/, auch 2%% Protargollösung in kurzer Zeit Heilung 
eintreten. Mengen von 100 g anzuwenden, habe ich nicht für nötig 
gehalten, sondern im Laufe der Jahre eigentlich empirisch die 30 Gramm- 
spritze als gerade genügend befunden, um nit dieser Menge auf die 
Blasenwände durch die Körperbewegungen bei ambulanter Behandlung 
einzuwirken. Ein Ablassen der Silberlösung erübrigte sich, indem 
durch die Miktion dieselbe nach %/, bis Y/, Stunde wieder abge-geben 
wurde. 

Aber nicht bloß die mehr akuten ambulanten Fälle, sondern auch 
chronische schwere Zystitiden, wo zystoskopisch schwere Gewebsver- 
änderungen der Blasenwand nachgewiesen wurden, habe ich klinisch 
in derselben Weise täglich behandelt mit vollständigen und verhältnis- 
mäßig schnellen Heilerfolgen. Seit etwa vier Jahren habe ich ab- 
wechselnd mit Protargol das neu empfohlene Kollargol ganz in der- 
selben Weise und mit gleich gutem Erfolge angewendet. Das Kollargol 
hat zunächst chemisch den Vorteil, daß es sich sofort mit Wasser zu 
einer Lösung anreiben läßt, was bei dem Protargol nicht der Fall ist. 
indem letzteres sich durch Aufwerfen des Pulvers auf destilliertes 
Wasser erst langsam in einigen Stunden durch Diffusion löst, und zwar 
soll dies nur bei kalten Wasser geschehen, weil es sich bei Anwärmen 
leicht zersetzt. Das Kollargol ist hinsichtlich der Herstellung der Lösung 
in dieser Beziehung indifferenter, weshalb ich es besonders da vorziehe, 
wo eine für länger haltende Dauerlösung beabsichtigt ist, ohne Rück- 
sicht auf den ber doppelt so hohen Preis. 

Ich glaube nun nach meinen jahrelangen Beobachtungen sagen zt 
müssen, daß beide genannten Mittel eigentlich gleich gute Resultate 
hei der Zystitisbehandlung geben, Wirkungen, die zurückzuführen sind 
auf die organische Verbindung des Silbers im Gegensatz zu der viel 
zu scharf ätzend und schwerzend wirkenden norranischen Silber- 
verbindung des Arg. nitr. Andere organische Silberverbindungen zu 
versuchen, lag für mich keine V Ge vor. 


Zeitschrift für gynäkologische Urologie 


1909 Band 1 Nr. 4 














(Aus der Frauenklinik der Universität Tübingen.) 


Wiederherstellung des abgequetschten Übergangsteils 
der Blase in die Harnröhre. 
Von 


Hugo Sellheim. 
(Mit 19 Textfiguren.) 


In der modernen Geburtshilfe sollte mehr und mehr an Stelle der 
Überwindung von Geburtshindernissen mit roher Gewalt der Schnitt 
treten. Rechtzeitiges Schneiden vermeidet Quetschungen und Zer- 
reißungen von Uterus, Scheide, Mastdarm und Harnapparat. Besser 
prophylaktische Geburtshilfe als renovierende Gynäkologie!!) Das be- 
stätigt der unglückliche Ausgang einer gewaltsamen Zangenentbindung, 
der sich durch rechtzeitigen Entbindungsschnitt wohl hätte abwenden 
lassen. Das Heilungsproblem war um so interessanter, als sich zu den 
schweren somatischen Läsionen der Mutter eine psychische Erkrankung 
gesellte, so daß an eine vollständige Wiederherstellung der nach einem 
lebenden Kinde verlangenden Mutter nur unter Erhaltung der Fort- 
pflanzungsfähigkeit zu denken war, ein Umstand, der bei der Wahl der 


Operationsmethode mitsprach. 

Die Patientin war 25 Jahre alt, stammte aus gesunder Familie. Brustkind. 
Rechtzeitiges Laufenlernen. Auf dem Lande unter günstigen Ernährungsbedingungen 
aufgewachsen. Hausarbeit. Mit sieben Jahren Masern. Mit zwölf Jahren Knochen- 
eiterung am rechten Unterarm, welche chirurgische Behandlung nötig machte. Mit 
16 Jahren Rippenfell- und Herzbeutelentzündung. 

Die Periode tritt seit dem zwölften Lebensjahre regelmäßig alle vier Wochen 
ein, dauert mit mäßig starkem Blutabgang und geringen Kreuzschmerzen 4—5 Tage. 

Vor zwei Jahren Heirat. Vor !/, Jahr am normalen Ende der ersten Schwanger- 
schaft nach 36stündigem Kreißen schwere Zangenentbindung. Keine Nar- 
kose Kind tot. Dammriß, genäht, geht aber bald wieder auf. Dünner Stuhl 
und Blähungen können nicht zurückgehalten werden. Unmöglichkeit des Wasserlassens 
seit der Geburt. Die ersten zwölf Tage des Wochenbetts täglich Katheterismus. Seit 
dem zwölften Wochenbettstage geht aller Urin spontan durch die Scheide ab. 
Im Spätwochenbett machten heftige Erregungszustände die Internierung der 
Frau in der psychiatrischen Klinik nötig, von wo sie nach dreiwöchiger Behandlung 
der gynäkologischen Klinik überwiesen wurde. 

Mittelgröße. Graziler Knochenbau. Gute Entwicklung von Fettpolster und 
Muskulatur. 


1) cf. Sellheim, Über Indikation und Technik der Zange. Deutsche med. 


Wochenschrift 1909, Nr. 13. 
Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 13 


> Une ik 


$ d d SA 


Sek er ner rechäaf 


Age 


Ener? 









bd 





As 





+ 





ta 
u 


vn 






(e 





ey 


hA Al 










wg Scheidhurkee, Zetvisniss o Apel 
Ge ‚Blase in. die Harsruhn SH Wak, 


EUR Na, 
Ba 2. Bläsenloch, Hegle Zervixn 















ir. A VW y 
Ah TC. 
i = V 






























i re ein 6 Diet Ee 
n Stelle Se w enguigstuites ; 

x erop... D es: Taur deg Misses 

Tiyan an mm GT E RATTEN 

i REIN A, LC E 


i (iz AU: GU 
} «N. DW 


= 
ve 


AY" 

D. t v } 
2021 "CT V Oe 
ui e 
„ud 
> i 
wd a, 
ine 
Kon 





Wiederherstellung des abgequetschten Übergangsteils der Blase usw. 181 


zirka 1 cm im Durchmesser haltenden Loch in die Scheide. Das Harnröhrenende läßt 
sich nur durch starkes Vorziehen mit Häkchen sichtbar machen (Fig. 1). Der einge- 
führte Katheter hat nirgends einen sphinkterähnlichen Widerstand zu überwinden. Der 
obere Rand dieses Harnröhrenendes grenzt an eine der hinteren unteren Schoßfugen- 
fläche aufsitzende Narbe von 2 cm Quer- und ebensoviel Sagittaldurchmesser. Am 
hintern Rande dieser Narbe präsentiert sich ein 2 cm im QQuerdurchmesser und 1!/, cm 
im Sagittaldurchmesser haltendes Loch der Blase mit einem 3 mm breiten, nach 
außen stark umgeworfenen Blasenschleimhautsaum — der Übergang der Blase in den 
Blasenhals. Links und rechts ziehen von dem Blasenloch harte narbige Stränge nach 
den absteigenden Schambeinästen. 

Die Portio vaginalis steht vor und über der Spinallinie und etwas nach 
rechts von der medianen Sagittallinie. Der Muttermund ist nach unten gerichtet. 
Von der Portio vaginalis sind nur der linke und hintere Teil ihrer Zirkumferenz einiger- 
maßen deutlich zu erkennen. Rechts vorn und rechts hinten, sowie links durchsetzen 
von tiefen Zervixrissen herrührende Narben die Muttermundslippen, laufen durch 
die Scheidengewölbe und setzen sich noch ca. 3—4 cm weit auf die Scheide nach unten 
fort. Der Uterushals ist durch diese Risse so weit aufgeschlitzt, daß man deutlich 
die Falten des Arbor vitae fühlt. 

Der Uterushals ist 3cm lang. An den Hals schließt sich nach oben ein 
gänseeigroßer harter gradestehender Uteruskörper. Ligamenta sacro-uterina 
und Ligamenta lata sind stark verdickt, gespannt, starr, druckempfindlich. Die 
Gebärmutteranhänge sind unter diesen Umständen nicht zu fühlen. Der Uterus- 
hals ist ganz unbeweglich. 

Der Schambogen ist etwa normal, aber sehr niedrig. Die Distantia tuberum 
ossium ischii beträgt 10'/, cm. Die Entfernung vom unteren Schoßfugen- 
rand nach der Außenfläche der Steißkreuzbeinverbindung nur 8 cm. 

Die Schoßfuge ist 4 cm hoch. Wenn auch eine weitere genaue Austastung 
des Beckens wegen der starken Narben in der Scheide und in ihrer Umgebung, sowie 
wegen der infiltrierten Parametrien nicht durchzuführen ist, so kann man doch durch 
die Kombination der verschiedenen Arten äußerer und innerer Untersuchung (durch 
Blase, Scheide, Mastdarm) feststellen, daß der Beckeneingang ziemlich weit ist. 


Diagnose: Im Ausgang verengtes Becken mit verhältnis- 
mäßig weitem und niedrigem Schambogen. Parametritis. 
Kompletter Dammriß. Vollkommene Zerstörung des Über- 
gangsteils der Harnröhre zur Blase. Scheidenrisse. Zervix- 
risse. Puerperale psychische Alteration. 

Zur Wiederherstellung der Defekte an Mastdarm und Harnapparat 
waren drei Operationen in Abständen von je !/, Jahr notwendig. 
In der ersten Sitzung gelang es, die Verletzung des Harnapparates teil- 
weise, den kompletten Dammriß vollständig zu heilen. Die zwei folgen- 
den Operationen vollendeten die Reparatur der Läsion am Harnapparat. 

Die Wiederherstellung des Dammes und Mastdarmver- 
schlusses erfolgt in typischer Weise durch Narbenspaltung, Mastdarm- 
naht, Sphinkternaht, Vereinigung der Levatorschenkel, Dammnaht, 
Scheidennaht und heilte per primam intentionem. 

Die Operation an den Harnorganen bot größere Schwierig- 
keiten und ist wegen der Seltenheit solcher Vorkommnisse ausführ- 
licherer Mitteilung wert. 

Einige Zeichnungen erleichtern das Verständnis und kürzen die 
Beschreibung. 

13* 


dä 
` 


en ZS 


E 
n 


GE e 


éd, traie drte Opn 


zk ae, 


de, er e 


OLCK SH 


ung 


| Vers 
hen monde VE 


7 


vi We AN 
Lu 





See Ze Ee, Dieren ` iter r Baas men EE = 5 


y% ep Dis‘ Teo in SE See CA 6) iti Tinen ER 


mes x vm 


s 


i em. mod einen. Önerdurchmesser var 2 DA em: N 


Be. $ stellt. aut einem medianen Sagittälschuitt: die Autrischong 


ur die erste E ation am ee (ar: 







Sie? 2 RE E Ae Ze dee Ho LEE 
Andentuog dor äuleten Naltreiher 0 ne 
i 2 Faden kee CR e on a der. Säite: und Has. n 


dum. ‚Elasenluch. 
+ Harmröhrenende.. 









5, | a jeurd, Zirkü EE 







E yA 





and Blasenabschnitts. 


Fig. 2-8 stellen die See: E ZS En 






 Sahtveroluigung da 


eben oberen Harnröhren- 


endes Ba: y ‚ud, "EA b mie dem 


.Binsenlooh. ba, b und Ba Ben A 
verahen. in ee ERDE 


orori. 
te See 
—äuberen abzespi ` 












owd ah ‘mit 6p (Fig 3 unid 5). 


“doppelte Naht (utere unt innere. 


e 


S S el Sr In De 5 a ds 


eng: Harniühtendumpf mit S EE 


och. Se er EES Iaiber EA 


S —Blssegioch : Aafnre- Naktreibe zn. Tal Ster iiad E E Ser Se 
. Nahtreihe dureh. den übrigen? Ten der Uaspgchren- gl Blasauwand mit der ‚Schleiinhant,. 
L EE A Se Se N Ar Ze Ee Ze e 


X AA o SEN = y de Faea ig p e EE E 
unteren Schoßfugenrand ı Im. ‚Bereich, dës, venlorsugegubgenen e 






© Harar Ce E Wes e BEE a 
(Fig. $ € on D md Aa rout Daag 0.2... a 
ler innev o Schichten. (Schleimhaut A 
e Blase und Herneühre) 3b mit ar Ee 





© r Fir A od? Siet äm Bereich der Ser A 
, SE —Blaseneetstniupe em 














ee E 
D / Sp E e S E 











u A , 


Ste ur 6. Zënter Jar PAAR. det PR 
weiteren Vereinigung tan Harnröhren- © 


g KEEN init Blasunloeh ‚ach Vernähung. S e 


:der oberen "Zirkümferena. o = oA 
SC Katheter Juroh die Harnröhte in die RE 
ee N und in denr Deet Kee I 
seht Ga Sg PLAN ES 














g See E 
nur ae EE SS le & ge Ni ei À 












28% Din ré ` 


e sch und 









Se Ge den chen CG? Je 
"od mme en Wand, der Hameahre sind Pin 
st Karben ren Fir berg ‚ah 









e an Hal terig 


SH unter diesen unsünstigeu Teen 














ioin. o Ze 


Ze En er 
ei 





zen » 
G x K- 
e E i Geer 
x 5 








| Tiemi much: der non ya fr 
` varënie: 2. Nar 


, E ; oberi S Es 









da SH erun, 
SH Gei "an: na SE erc SE: cl 
‚grüßen Stück Incht, geheilt, _ 

ih Depis iere SR Bimer Hi 























D 1 ed Gees en ser, Die 
ae er ontlang der Heger Tu x Zheng 


Kundsnne | ee dan 











ar ee mr 
i ar ee 















ee ` SE 


ch: , Im vele: ZE S AC 
E he G M KC 











| a vg on i : 
a 


` 
ns d d 
. A i Ar 


ge 10, OS JS SE a Gen 




















Ge An Mir $ Ge 


i A Auprebupaeegng für. ai. use. Se 
o Ee EE N En we ee 








we 









SE dos? Ce E 
| S e tie { tink arein n Ee Sc? | AM: PORENTA 
et die: Ce = Muster paboconcygens Trei und Tote Clanet 
ee e ‚rarkande ne Rente de rs | ice 3 











ans Jarstöllung: die einzeln 
en diese "Muskeln an um me ` SH mn 
ewer Ge Gender GE sit 






186 Hugo Sellheim. 


(Fig. 10 und 11) und durch drei versenkte feine Nähte unter 
Kontrolle des eingeführten Katheters um das hintere Ende 
der Urethra so stark zusammenzuziehen, daß dort ein ela- 
stischer, mit dünnem Katheter leicht zu überwindender 
Widerstand geschaffen wurde (Fig. 11, 12 und 18). Über dieser 
„Sphinkternaht“ wurde die Scheidenschleimhaut quer vereinigt. Das 
Resultat der zweiten Operation war ein dicker Querwulst am 
hinteren Harnröhrenende, der für den eindringenden Katheter 
einenbleibendenelastischen, aberleicht überwindbaren Wider- 
stand darstellte (Fig. 13). 





Fig. 11. Fig. 12. 


Figur 10. Die in Fig. 9 angelegte Wunde ist seitlich bis ins Muskelgewebe vertieft 
und in sagittaler Richtung auseinandergezogen. 





Figur 11. Die in den seitlichen Wundwinkeln freigelegten muskulösen Elemente 
wurden durch 3 Knopfnähte zu einem Sphinkter über dem hinteren Ende der Ham- 
röhre quer zusammengezogen. 


Figur 12. Die in den seitlichen Wundwinkeln freigelegten muskulösen Elemente sind 
durch 3 Knopfnähte zu einem Sphinkter über dem hinteren Ende der Harnröhre zu- 
sammengezogen. Schluß der Wunde in querer Richtung. 


Die durch die zweite Operation erzielte Verbesserung läßt einen 
Vergleich der Fig. 13 mit Fig. 7 und 8 erkennen. Jetzt war für einen 
Verschlußapparat der Harnröhre gesorgt und für die weitere Anfrischung 


Wiederherstellung des abgequetschten Übergangsteils der Blase usw. 187 


an dem heikelsten Punkte, am hinteren Harnröhrenende, reichlich brauch- 
bares Gewebe zusammengedrängt. 

Die dritte Operation erstrebte einen definitiven Verschluß 
der Fistel. Gleichzeitig sollte der Verschlußapparat noch ver- 
stärkt werden. Die Schwierigkeit lag in der Beschaffung geeigneten 
Materials zur Deckung des Defektes. Nach der insbesondere auf 
die Erfahrung bei der ersten Operation gegründeten Berechnung er- 
schien es unmöglich, durch Gewebsspaltung und Verschiebung allein, 
selbst unter Zuhilfenahme größter Entspannungsschnitte, aus der starren, 
vielfach mit Narben durchsetzten, am Knochen fixierten und stark ver- 
kürzten Vagina den Defekt ohne Spannung zu decken. Den Uterus 
durfte man nicht zur Ausfüllung der Lücke benutzen, weil sehr viel 
auf die Erhaltung der Fortpflanzungsfähigkeit ankam. Die Kombination 
von Gewebsspaltung, Verschiebung, Einstülpung von Scheiden- 
schleimhaut in die Blase mit Lappenplastik versprach Erfolg. 





N Fig. 14. 





Figur13. Querwulst am hinteren Harnröhrenende, der für den eindringenden Katheter 
einen elastischen Widerstand bildet, als Resultat der zweiten Operation. 
1. Wiederhergestellter Sphinkter. 


Figur 14. Anfrischung für die dritte Operation, den definitiven Verschluß der Fistel. 

Die ausgezogene Partie der Anfrischungslinie liegt im Bereich des durch die zweite 

Operation gebildeten Querwulstes; die quere Zusammenziehung der hier entstehenden 

Wunde durch zwei versenkte Nähte vernäht den Sphinkter. Umschneidung der Fistel 
in !/; cm nach außen von der Blasen- und Scheidenschleimhautgrenze. 


Der Sphinkter konnte dadurch verstärkt werden, daß der durch 
die zweite Operation gebildete Querwulst am hinteren Harnröhrenende 
durch einen kurzen Querschnitt angefrischt und die so entstandene 
Wunde in querer Richtung zusammengezogen wurde, wobei zwei 
Nähte als „Verstärkungsnaht des Sphinkter“ versenkt wurden. 
Fig. 14 zeigt die Schnittrichtung, Fig. 15 die vollendete Sphinkter- 
verstärkungsnaht. Die Enden dieses Querschnittes am vorderen Rande 
der Fistel liefen links und rechts um die Fistel herum und hinter 
der Fistel zusammen. Um wenigstens das Loch in der Blasenschleim- 


188 Hugo Sellheim. 


haut aus lokal vorhandenem Gewebe ohne Spannung schließen zu 
können, wurde die Umschneidung der Fistel nicht hart an 
der Grenze von Blasen- und Scheidenschleimhaut, sondern 
ringsum ca. !, cm nach außen von dieser Grenze vorge- 
nommen. Der zentrale Wundrand wurde frei präpariert und dann 
weiterhin die mit dem !/, cm breiten Streifen Scheidenwand ringsum 
umsäumte Blasenwand von der übrigen Vaginalwand abgespalten. Durch 


. em a. 
aa 





`” 
~ wë 
~. e 


Fig. 15. Fig. 16. 


Figur 15. Verstärkungsnähte des Sphinkters im vorderen Wundwinkel geknotet, die 
medialen Wundränder sind durch Lappenspaltung frei präpariert, eingestülpt und mit 
Quernähten versehen. 


Figur 16. Durch die Anleihe an die Scheidenschleimhaut ist es gelungen, die Kon- 
tinuität der Blasenwand wiederherzustellen. Entspannungsschnitte. Andeutung des 
Lappens, der in den Scheidendefekt gedreht werden soll. ca. °/, nat. Gr. 


diese Anleihe an die Scheidenschleimhaut gewann man einen 
genügend großen Wundrand, der, mit der mit Epithel bekleideten Fläche 
in das Blasenloch gestülpt, den Defekt vollständig ausfüllte und ohne 


Wiederherstellung des abgequetschten Übergangsteils der Blase usw. 189 


alle Spannung in sagittaler Richtung vereinigt werden konnte. Fig. 15 
zeigt den abgespaltenen Rand nach der Einstülpung in das Blasenloch, 
Fig. 16 die fertige Naht und Fig. 18 den Verbleib der Anleihe an 
Scheidenschleimhaut in der neugebildeten Blasenwand. 

Die Scheidenwand über der wiederhergestellten Blasenwand ohne 
weiteres zu schließen, erschien auch nach zwei starken Entspannungs- 
schnitten (Fig. 16) unmöglich. Es blieb ein talergroßer Defekt in der 
starren Scheidenwand, der durch einen großen gestielten, aus Scheide 
und Vulva entnommenen Lappen gedeckt wurde. Den Lappen 
umschnitt ich gut fünfmarkstückgroß (Fig. 16) und den Schnitt vertiefte 
ich unter Kontrolle vom Rektum aus bis in die Muskulatur des Becken- 
bodens. Der Lappen wurde unter Mitnahme von Teilen des Diaphragma 





Figur 17. Gestielter, aus Scheide und Vulva genommener Lappen in den Scheiden- 
defekt gedreht und dort festgeheftet. Wundbett, aus dem der Lappen entnommen, quer 
zusammengezogen. ca. °/, nat. Gr. 


pelvis bis auf den Mastdarm abgelöst, nach exakter Blutstillung in den 
Defekt gedreht und dort mit feinen Nähten angeheftet (Fig. 17). Die 
durch die Lappenbildung entstandene Wunde zog ich durch einige 
Knopfnähte zusammen. Den angehefteten Tappen drückte ein Gaze- 
tampon von der Scheide aus leicht gegen die Blasenwand an. 

Die Wunden sind unter Anwendung eines Dauerkatheters voll- 
kommen geheilt. Der Defekt ist geschlossen. Der Schließmuskel 
funktioniert ausgezeichnet. Trotz der großen Schwierigkeiten, 
welche die Versorgung der außergewöhnlich starken Geburtsverletzungen 
an Mastdarm und Harnapparat verursachten, ist es gelungen, der Frau 
die Fortpflanzungsmöglichkeit zu erhalten. Fig. 18 gibt einen 
Überblick über das mit den drei Operationen erreichte Resultat. 

1. Bezeichnet den Effekt der ersten Operation, die Ein- 






GE e den. a eration ie 
Sr EEN A SH g 


Sii E ts Defektes: D: der ege e 
PUTES er vg Ri 


GC Ei fang der N 7 $ 


















EN 
Ba: 
ANNE ZC e 
Aai $ £ St eh 





e 





Figur P hitik Ster? er in gei deit Opern Se Seit. de Ser oi Ka SE E 
1. Eftekt der ‚ersten Operation: Vereinigung, von Härmühre und Blase: im ohren Time EE 











































et T Spharkter 2, Effekt ‚det zweiten Operation: Nphitikterbilding. 8. Effekt der... 
„dritten. NEED Behlisflen des Defukter. An der Blasenrwand: Bu tius En 
um Teitu) Saumes vor Brhkadensähleimitisut ünd Schlieitor des Detaktös m der 

ËCH en EE it Se spen; D 

d See o SE s 

sgang viregten mn S 









erer kommen. ha GE En 
Bi A om, der wenden W : en. 










5 e 


weint 





d Se Ss ú 3 Ge ur Si D D n Ge 














kammer. Yan Damm Nissen Se 
| re Neitrd a A0 Pr 






< Eu S = 


2 Y € d = D 
TEE 
d SC 
ei BP A 
AE A 
D EE, i 
% 


un 
u Te 
eg 


E? 





192 Hugo Sellheim. Wiederherstellung des abgequetschten Übergangsteils usw. 


Fall annehmen, daß falsch, erst zu früh nach vorne (Quetschung des 
Harnapparates) und dann zu lang nach unten (kompletter Damnriß) 
gezogen wurde. Es ist aber auch ganz gut denkbar, daß bei der vor- 
liegenden ungünstigen Größe und Gestalt des Beckenausganges jedes 
Erzwingen der Geburt, auch mit Einhalten vorschriftsmäßiger Zug- 
richtungen, das Unheil hätte herbeiführen können. Ob mit einem großen 
Scheidendammschnitt das Unglück abgewendet worden wäre, oder ob 
nur die Umgehung des Beckens durch den Kaiserschnitt Kind und 
Mutter wohlbehalten voneinander zu trennen vermocht hätte, läßt sich 
ohne genauere Geburtsnotizen nachträglich nicht entscheiden. 

Für eine spätere Entbindung bleibt schon wegen der Gefährdung 
der mühselig wiederhergestellten Verschlußapparate an den Harn- 
organen und dem Mastdarm nichts anderes übrig als der Kaiserschnitt. 


Die Operation großer fixierter Blasenscheidenfisteln 
nach Trendelenburg. 
Von 
C. Everke, Bochum. 


Wir alle haben die Erfahrung gemacht, daß die Blasenscheiden- 
fisteln seltener werden, und zwar ist dies zu danken sowohl der ver- 
besserten Ausbildung der praktischen Ärzte in der Geburtshilfe, als auch 
dem Umstande, daß infolge unserer verbesserten Verkehrsverhältnisse 
unsere Frauen zeitig in ein Krankenhaus oder in eine Klinik geschafft 
werden können. Man kann sagen: gottlob sehen wir solche unglückliche 
Frauen seltener, denn in vielen Fällen gelang uns früher eine operative 
Heilung nicht, und wenn eine Fistel nach 8—10 Tagen wieder aufging, 
so war das natürlich für Patientin und Operateur sehr deprimierend. 

Allerdings haben die Fortschritte der Technik im Laufe der Jahre 
es uns möglich gemacht, durch geeignete, energische Anfrischung und 
Naht von der Scheide aus, die Fistel zu schließen, wenn dieselbe nicht 
allzu groß ist, und wenn die Blase noch nicht stark am Beckenknochen 
fixiert ist. 

Ich habe bei einer großen Anzahl von Fisteloperationen während 
der 22 Jahre meiner Praxis (zirka 3—5 im Jahr) durch energische An- 
frischung, d. h. auch der Blasenschleimhaut und durch geeignete Naht 
alle Fisteln bis auf zwei geheilt. Ich vernähe dieselben in der Weise, 
daß ich die Schleimhaut für sich nähe durch Katgutfäden, die nach der 
Blase zu geknotet werden; eine zweite Reihe von Fäden wird nach der 
Scheide zu geknotet. Selbst eine zirka Dreimarkstück große Fistel konnte 
ich nach Entfernung eines taubeneigroßen Blasensteines und gründlicher 
Desinfektion der Blase und energischer Anfrischung nach obiger Methode 
in einer Sitzung heilen. 

Viel ungünstiger und schwieriger liegen die Verhältnisse, wenn bei 
großen Fisteln die Blase fixiert ist. In solchen Fällen kommt man mit 
obiger einfacher Methode nicht aus, und zur Heilung solcher scheinbar 
inoperabeler Fälle sind vielfach verstümmelnde Operationen (Opferung 
des Uterus, Scheidenverschluß usw.) angewandt und empfohlen worden, 
um solche arme Frauen wenigstens arbeitsfähig zu machen und sie von 
dem für sie selbst und für ihre Umgebung unerträglichen Zustande zu 
befreien. 

Nachdem Trendelenburg seine Beckenhochlagerung eingeführt hat, 
konnte er als neues Verfahren zur Heilung dieser Fisteln die endovesikale 


194 C. Everke. 


Methode empfehlen, welchen in solchen schwersten Fällen von ihm selbst, 
Bumm, Madelin, Fritsch, Mechill mit Erfolg angewandt wurde. Das 
Verfahren besteht ja darin, daß in steiler Beckenhochlagerung die Blase 
von oben extraperitoneal durch Querschnitt geöffnet wird. Die gut zu 
übersehende Fistel wird angefrischt, vernäht; die obere Blasenwunde 
wird dann wieder verschlossen. 

Ich habe dreimal auf diese Weise Fisteln operiert und davon zwei 
schön geheilt, bei denen die vaginalen Methoden sich bei andern und 
bei mir als unausführbar erwiesen hatten; im ersten Falle war sogar 
schon von anderer Seite die Kolpokleisis gemacht worden. In Anbetracht 
der Seltenheit der Fälle will ich dieselben hier kurz anführen: 


Frau Sch. (J. Nr. 364, 91; 373, 97.) war in Ostpreußen von der Hebamme ent- 
bunden und bekam im Anschluß daran eine Blasenscheidenfistel. Sie wurde in der 
Königsberger Klinik dreimal erfolglos operiert, deshalb wurde ihr dort die Kolpokleisis 
gemacht. Sie kam zu mir mit kleiner Fistel im Scheidenabschluß; diese schloß ich 
ibr am 20. VI. 1891. Die Frau hatte aber stets noch Blasenbeschwerden (Urindrang, 
Abgang kleiner Steinchen usw.) Da mir mittlerweile die Trendelenburgsche 
Operation bekannt geworden war, beschloß ich zu versuchen, der Frau wieder normale 
Verhältnisse im Unterleib zu schaffen. Am 2. VI. 1897 spaltete ich den Scheiden- 
verschluß und konstatierte neben einem hühnereigroßen Adnextumor eine große Blasen- 
scheidenfistel. 

Am 4. VI. in steiler Beckenhochlagerung Sectio alta nach Trendelenburg, Quer- 
schnitt der Blase. Man kann die Blase gut überblicken und sieht eine zwischen beiden 
Ureteren beginnende Fistel, welche, 5 cm breit, nach hinten oben geht. Schwierige An- 
frischung der Fistel und Naht endovesikal mit Seide. Schluß der oberen Blasenwunde 
nach Lembert, durch die Urethra wird ein Verweilkatheter gelegt. Glatte Heilung. 

Am 21. VII. stellt sich Patientin vor; kann gut Urin halten, ist immer trocken, mit 
dem Katheter fühle ich in der Blase Inkrustationen und entferne mit der Kornzange durch 
die Urethra sechs inkrustierte Fäden. Bei Blasenfüllung floß nichts durch die Scheide ab. 
Nachdem ich am 28. VII., also fast zwei Monate nach der Operation noch zwei Fäden 
ebenso entfernt hatte, hat sich Patientin nicht wieder sehen lassen. Es werden wohl 
alle Fäden abgegangen sein und damit auch die Beschwerden verschwunden sein. 

Frau Üb. (J. Nr. 577,07; 420, 08). Bei dieser Frau war bei der zweiten Geburt 
schwere Wendung und Extraktion gemacht. Im Anschluß hieran entstand eine große 
Blasenscheidenfistel und Puerperalfieber, weshalb die Frau mehrere Monate in der 
Universitätsklinik gelegen hat. Ein großer Nierenabszeß wurde dort durch Inzision 
geheilt. Die Frau kam am 7. X. 1907 zu uns; die Fistel war zirka Fünfmarkstückgrob, 
vordere Muttermundslippe fehlte. Am 10. X. 1907 Versuch, die Fistel von der Vagina 
aus zu schließen, mißlingt wegen Größe der Fistel und Fixation der Blase. Deshalb 
sofort Trendelenburgsche Beckenhochlagerung, Laparotomie durch Querschnitt ober- 
halb der Symphyse, Eröffnung der Blase, die rechts fest fixiert ist, durch Längsschnitt, 
Erweiterung des Blasenschnittes, Anfrischung der Fistel bis unten hin, Naht dieser 
großen Blasenwunde von unten herauf mit zirka 40 endovesikalen Seidenfüden- 
Lembertsche Naht der Blase, Ventrofixatio uteri; der Uterus wird über die peritoneale 
Blasenwunde gelegt, Dränage nach vorn, Naht des Scheidenschnittes durch vaginale 
Fäden von der Vagina aus, Verweilkatheter, glatte Heilung; nur eine zirka stecknadel- 
kopfgroße Fistel bleibt. Patientin wird vorläufig entlassen; es bilden sich aber bald 
Blasenkonkremente, die immer lästiger werden; Urindrang und Schmerzen in der 
Blase. Deshalb kommt Patientin am 25. VII. 1908 wieder, Katheter kann nicht in die 
Blase kommen, da sie ganz mit Konkrementen gefüllt ist. In der vorderen Scheidenwand 
ist eine kleine linsengroße Fistel. Zur Heilung mußten die zahlreichen Blasensteine 
entfernt und die Fistel mußte geschlossen werden; bei der großen Menge der zurück- 
gelassenen Seidenfäden schien uns der Weg durch die Urethra unzulänglich. Darum 











Die Operation großer fixierter Blasenscheidenfisteln nach Trendelenburg. 195 


am 25. VII. 1908 Beckenhochlagerung. Extraperitonealer Längsschnitt. Ein Querschnitt 
eröffnet die Blase. Entleerung etwa einer Tasse voll von Steinen, die teilweise wallnuß- 
groß sind, und einer ganzen Anzahl Seidenfäden mit der Kornzange unter Leitung des 
Fingers. Von oben war die kleine Fistel nicht zugänglich, da sie tief unten an der 
Urethra lag. Schluß der oberen Wunde, Verweilkatheter nach oben. Die Frau wird 
in Steinschnittlage gebracht; Schuchartscher Scheidenschnitt links, Anfrischung der 
linsengroßen Fistel von der Scheide aus und Naht derselben. Verweilkatheter durch die 
Urethra. Glatte Heilung. Oberer Verweilkatheter wird nach einigen Tagen entfernt, der 
urethrale nach zirka 14 Tagen. Patientin wird nach zirka 4 Wochen geheilt entlassen 
mit gut funktionierender Blase. Wie sie mir eben mitteilt, geht es ihr sehr gut; sie 
kann den Urin schon eine Stunde lang halten, der Urin kommt in Strahl ohne Schmerz, 
sie hat absolut keine Beschwerden mehr, auch der Uterus funktioniert normal. Ende 
Dezember schreibt sie ganz glücklich über ihre Heilung. Blase und Genitalien funk- 
tionieren nun gut. 

Die Konkremente hatten sich um die Seidenfäden gebildet; in den Konkrementen 
sieht man noch die Seidenknoten. 

Ich besitze einen großen Blasenstein, der von einer Patientin stammt, bei der 
die Geburt wegen Eklampsie mit Zange nach Dührssenschen Inzisionen gut beendet 
war. Ein tiefer Zervixriß wurde ein Jahr später von meinem Assistenten mit Seide 
vernäht. In der Rekonvaleszenz schwere Zystitis; zwei Jahre später zeigte sich als 
Ursache der andauernden Blasenbeschwerden ein fast apfelgroßer Blasenstein. Diesen 
Stein entfernte ich durch Sectio vesicovaginalis mit gutem Erfolg; auch im Innern 
dieses Steines sieht man einen Seidenfaden. Es ist also wohl sicher anzunehmen, daß 
ein tiefliegender Seidenfaden in die Blase wanderte und den Ansatzpunkt für den großen 
Stein abgab und fördernd für die Zystitis war. 

Die Seidenfäden sind bekanntlich Fremdkörper in der Blase, und deshalb warnt 
schon Trendelenburg vor der Anwendung von Seide bei endovesikaler Naht und emp- 
fiehlt statt dessen Katgut. Obwohl mir das bekannt war, und obwohl wir Katgut mit 
bestem Erfolge zum Versenken in der Bauchhöhle und zur Bauchnaht ausnahmslos seit 
vielen Jahren gebrauchen, so wagte ich doch bei der Schwere der Fälle hier nur Seide 
zu gebrauchen. Ich sagte mir, die Hauptsache ist, wenn ich die große Fistel schließe; 
die Steine kann ich durch Nachoperation beseitigen; für die Naht solcher Fisteln war 
mir doch Katgut nicht zuverlässig genug. 

In einem dritten Falle waren wir nicht so glücklich; diese Patientin ging infolge 
von Kompression beider Ureteren durch die Nähte zugrunde. 

Frau E. (J. Nr. 650, 03.) hatte nach schwerem Forzeps eine Blasenscheidenfistel 
akquiriert. Nachdem bereits von anderer Seite vergeblich von unten her operiert war, 
kam sie zu uns mit fünfmarkstückgroßer Fistel; Blase fest adhärent an der Becken- 
wand. Fistel von unten nicht erreichbar. 

9. X. 03. Laparotomie. Schwera Lösung der Blasenverwachsungen. Inzision 
der Blase; Fistel von Fünfmarkstückgröße sitzt tief im Grunde der Blase. Schwere 
Anfrischung der Fistel in der Tiefe und quere Vereinigung derselben (8 Fäden). Naht 
der Blase. Dränage nach vorn. Verweilkatheter. 

Anurie. Deshalb am 11. X. Lap. sec. — Beide Ureteren daumenballen-, resp. 
fingerdick prall gedehnt, sind in der Fistelwunde abgebunden. Durchschneiden und 
Implantation beider Ureteren in der Blase. — Dränage nach vorn (Mikulicz). — In 
die Bauchhöhle kam viel Urin beim Durchschneiden der prall gefüllten Ureteren. Zu- 
nehmender Kollaps und abends Exitus letalis. 


Ich glaube, daß auch diese Fälle beweisen, daß sich zur Heilung 
auch der größten und schweren Fisteln die verstümmelnden Operationen 
immer mehr werden vermeiden lassen. 


Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 14 


(Aus der chirurgischen Klinik zu Pisa [Italien]. Direktor: Prof. A. Ceci.) 


Harnblasenovarialfistel durch die Zystoskopie diagnostiziert. 
Von 
Prof. Dr. Rinaldo Cassanello, I. Assistenzarzt der Klinik. 


(Mit 1 Tafel und 1 Textfigur.) 


In den letzten Tagen des Juni vergangenen Jahres wurde ich von 
Herrn Prof. Ceci gebeten, an Frau A. A., 44 Jahre alt, verheiratet, ge- 
boren in Gibraltar und wohnhaft in Livorno, die Zystoskopie vorzunehmen 
und nötigenfalls die Ureterenkatheter einzulegen und die Urine ge- 
sondert aufzufangen. Die Krankengeschichte der Patientin war folgende: 


Patientin menstruierte zum ersten Male mit 11 Jahren, die Menstruationen 
waren stets regelmäßig bis zu dem ersten Partus. Sie heiratete mit 21 Jahren und 
machte vier normale Schwangerschaften durch; die Kinder sind lebend und gesund. 
Den letzten Partus machte sie im Jahre 1893 durch. Nach dem dritten Partus hatte 
Patientin eine Puerperalinfektion. Sie dauerte etwa zwei Monate. Patientin genas, 
doch blieben starke Störungen der Menstruation zurück. (Menorrhagie, Dysmenorrhöe. 
Leukorrhöe.) Während der ganzen letzten Schwangerschaft trat die Menstruation 
regelmäßig ein. Im Jahre 1894 wurde eine Curettage gemacht. Es ging ihr zwei 
Jahre hindurch gut, dann begannen aufs neue die Menorrhagien, Schmerzen, Leukor- 
rhöen. Man schickte sie sechs Jahre hintereinander zur Kur nach Salsomaggiore. 
und es schien, daß sie gewissen Vorteil davon hätte, so daß sie in den letzten Jahren 
die Kur als überflüssig aufgab. 

Im Jahre 1900 konstatierte Patientin plötzlich ein starkes Sediment im Urin, 
häufigen Harndrang, Dysurie. Sie machte eine Balsamkur und behauptete zunächst. 
dadurch geheilt worden zu sein. Vor zwei Jahren konstatierte sie dann eine wahre 
Pyurie, die intermittierend auftrat, derart, daß klare Urine mit sehr stark getrübten 
abwechselten. Gleichzeitig spürte sie Schmerzen, die von der rechten Seite nach der 
Schulter ausstrahlten und ihr auch das Gefühl verursachten, als ob der Arm steif 
würde. Die Schmerzen waren so stark, daß Patientin gezwungen war, 3 bis 4 Tage 
das Bett zu hüten. Während dieser Schmerzanfälle, die sich oft in den letzten zwei 
Jahren wiederholten, hatte sie bisweilen eine leichte Temperatursteigerung. Im April 
vergangenen Jahres hatte sie eine starke Hämaturie; das mit dem Urin entleerte 
Blut war rot, fleckig, zum Teil auch flüssig, zum andern Teil wieder koaguliert. Entleert 
wurde mehr als ein halbes Nachtgeschirr voll. Die Hämaturie, wenn auch nicht in 
solcher Stärke, wiederholte sich später 10 bis 12 mal. 


In der synthetischen Krankengeschichte dieser Patientin scheinen 
zwei Krankheitsperioden recht scharf getrennt sich abzuheben: eine 
erste genitale Periode, die mit der Puerperalinfektion nach dem 
dritten Partus begonnen und wie es scheint bis zum Jahre 1900 ge 
dauert hat. Dann eine zweite Periode, die dem Anscheine nach absolut 
nur die Harnorgane betraf und einsetzte, als der genitale Prozeb 


Harnblasenovarialfistel durch die Zystoskopie diagnostiziert. 197 


aufhörte. Dieser erste Prozeß hing sicher von einer Infektion des 
Endometriums und einer Entzündung der Adnexe ab, die sich beide 
erheblich besserten, die erste infolge einer Curettage, die zweite infolge 
der Jodsalzkur in Salsomaggiore. Was den Prozeß im Bereiche des 
Harnapparates betrifft, so schien es sich anfangs um einen einfachen 
Blasenkatarrh zu handeln; so dachten die Ärzte, die eine Balsamkur 
offenbar mit gutem Erfolg verordneten. Im letzten Moment kommt 
plötzlich und in ausgesprochenster Weise ein Symptomenkomplex hinzu, 
der scheinbar vollkommen von der rechten Niere abhängt: Kolikanfälle 
in der Seite, von größter Heftigkeit; Pyurie, die hartnäckig fortdauert 
und sich durch intermittierenden Charakter auszeichnet; ferner Häma- 
turien, die selbst der sorgfältigsten Kur nicht weichen. 

Von der Mehrzahl der zahlreichen Ärzte, welche die Patientin unter- 
suchten und behandelten, wurde die Möglichkeit einer Pyelonephritis 
purulenta angenommen, mit Steinen oder auch ohne solche, und mit 
intermittierenden Retentionserscheinungen. Einige neigten infolge der 
Blutungen, die charakteristische Blasenblutungen schienen, auch zur 
Annahme einer Affektion der Blase. Bei zahlreichen Harnanalysen 
waren stets reichliche Schleim- und Eiterkörperchen gefunden, oft auch 
Blutelemente, Blasenzellen, niemals aber mit Sicherheit Nierenbecken- 
oder Nierenelemente; ebenso niemals neoplastische Elemente oder Tuberkel- 
bazillen. DBlasensteine waren mit Leichtigkeit auszuschließen. Unter 
diesen Umständen schien die Möglichkeit einer präzisen Diagnose aus- 
geschlossen. 

Als Prof. Ceci Patientin untersuchte, fand er, daß die Patientin, 
eine recht kräftige Frau, sich mehr als je über Schmerzen in der rechten 
Seite und Beschwerden beim Urinieren beklagte. 


Bei der Inspektion des Abdomens fand sich keine Anormalität. Bei der Palpation 
in der Regio hypochondriaca iliaca dextra wurde lebhafte Schmerzempfindlichkeit mit 
energischer Muskelabwehrreaktion konstatiert; dieselben Erscheinungen fanden sich 
bei der Palpation der Lumbalregion. So viel man auch versuchte, mit der Hand unter 
dem Rippenbogen in die Tiefe zu dringen, das sichere Gefühl, die Niere zu palpieren, 
hatte man doch nicht. Es ist zu bemerken, daß diese Untersuchung sehr schlecht 
auszuführen war, weil Patientin außer sehr starken dicken Bauchdecken eine besondere 
Konstitution des Skeletts hatte, derart, daß der Rippenbogen so nahe aın Beckenrande 
stand, daß zwischen der letzten Rippe und dem Beckenrande nur ein Zwischenraum 
von wenigen Zentimetern blieb. Diese Sachlage erschwerte nicht nur sehr die Unter- 
suchung der Lumbalregion und der Regio hypochondriaca, sondern bewirkte auch, daß 
man bei der Palpation der letzteren, z. B. auch die Aa. colica und iliaca komprimierte. 
Bei der Perkussion konnte man keine klaren Anzeichen für die Anwesenheit eines 
Tumors im Abdomen finden. 

Bei der kombinierten Vaginaluntersuchung fühlte man die Zervix und das Corpus 
uteri vergrößert, wenig beweglich, schmerzhaft; die Adnexe gleichfalls vergrößert, un- 
beweglich und empfindlich, besonders die rechten. 

Die Untersuchung der Blase mit einer gewöhnlichen, metallischen Guyonschen 
Sonde ließ bis auf geringe Schmerzempfindlichkeit nichts Abnormes in der Wand 
oder dem Blaseninnern erkennen. Die Kapazität der Blase betrug 150—200 cem, 
ferner war häufiges Urinieren, bisweilen mit Schmerz verbunden, vorhanden. 

Die oft wiederholte Urinuntersuchung gab folgendes Resultat: 

14* 


198 Rinaldo Cassanello. 


Urinmenge in 24 Stunden 1800 —2000 cbem. Der Urin ist von gelbweißlicher 
Farbe mit Sediment. Dieses ist bisweilen sehr reichlich, ein andermal wieder gering. 
Gelegentlich fanden sich deutliche Spuren von Blut. Spezifisches Gewicht des Urins 
1021, Reaktion sauer, Harnstoff 14—16°/,„ Eiweiß 1 Blo Zucker nicht vorhanden. 
Bei der mikroskopischen Untersuchung finden sich zahlreiche Schleim- und Eiter- 
körperchen, Blutkörperchen, Blasenepithelzellen, dagegen keine Kristalle von Ammonium 
triplophosphaten; es finden sich ferner Kokken und Bakterien, jedoch sicher keine 
Tuberkelbazillen (auch bei Kontrolle durch Impfung von Meerschweinchen nicht); 
ebensowenig neoplastische Elemente. 

Auf Grund dieser Symptomatologie, dieses objektiven Befundes und 
des Resultates der Urinuntersuchung, waren auch wir in gewissen 
Maße gezwungen, eine reine Affektion der Harnwege anzunehmen. 
Nachdem die Annahme eines Nierentumors ausgeschlossen war, gegen 
den die lange Dauer des Leidens sprach, zugleich mit dem Fehlen einer 
sicheren Vergrößerung der Niere und dem Fehlen jeglicher Kachexie 
der Patientin, beschränkte sich die Differentialdiagnose auf die An- 
nahme einer Pyelonephritis purulenta mit Nierensteinen, oder 
einer Nierentuberkulose. Gegen die letzte Annahme sprach der 
absolut negative Befund der Harmuntersuchung und das vollständige 
Fehlen erblicher Belastung, die Anamnese und der durchaus nicht 
tuberkulöse Habitus der Patientin. Die Hämaturien waren durchaus 
durch eine Pyelonephritis mit Bildung von Steinen zu erklären, und 
das Intermittieren der Pyurie unterstützte sehr diese Annahme, inden 
man den Vorgang sich so erklärte, daß von Zeit zu Zeit aus der rechten 
Niere sich kein Harn entleeren könnte wegen Verschlusses durch einen 
Schleim- und Eiterpfropf oder durch kleine Steine, deren Abgang der 
Beobachtung der Patientin entging. Diese Annahme schien um so be- 
rechtigter, als mit jeder reichlichen Eiterentleerung auch eine Ver- 
mehrung der Urinmenge zusammenfiel. 

Als ich zum ersten Male die Zystoskopie unternahm, suchte ich zunächst 
über die Beschaffenheit der Blasenwand Klarheit zu erhalten. Die Schleimhaut zeigte 
nur leichte Zeichen von Hyperämie, nichts Genaues konnte ich jedoch hinsichtlich des 
Urins feststellen, der aus den Ureterenmündungen ausfloß. Der Blaseninhalt war 
sehr trübe und ließ sich nicht klar spülen. Infolgedessen blieb das Gesichtsfeld un- 
durchsichtig. 

Sofort darauf nahm ich die endovesikale Trennung des Urins vor mit dem 
Separator von Luys; die in einer halben Stunde aufgefangenen Urinmengen er- 
gaben folgendes bemerkenswerte Resultat: der rechtsseitige Harn enthielt Eiterflocken, 
während der Urin der linken Seite vollkommen klar war. Die chemische und mikro- 
skopische Untersuchung ergab die Anwesenheit von Eiterkörperchen, in reichlichster 
Menge und ebenso das Vorhandensein von Eiweiß in dem Harn der rechten Seite. 


Die Diagnose einer rechtsseitigen Pyelonephritis wurde 
nach diesem Ergebnis der endovesikalen Scheidung der Urine 
immer wahrscheinlicher. Jedoch, da ich von dieser ersten zysto- 
skopischen Untersuchung nicht vollkommen befriedigt war, bat ich die 
Patientin zu einer zweiten Untersuchung wiederzukommen und womöglich 
zu einer Zeit, in der der Urin weniger getrübt war. 

In der Tat gelang mir die zweite Untersuchung besser, da der Blaseninhalt 
klarer war. Die Schleimhaut war fast in ihrer ganzen Ausdehnung normal. Die 


Harnblasenovarialfistel durch die Zystoskopie diagnostiziert. 199 


linke Uretermündung war vollkommen normal; die Kontraktion des Ureters regelmäßig, 
der austretende Urin klar. Der rechte Ureter kam mir weniger deutlich zu Gesicht; 
eine ziemlich dichte Wolke, die sich um ihn herum bei jeder Bewegung des Zysto- 
skops erhob, verhinderte eine klare, genaue Besichtigung. Ich sah undeutlich einen 
kleinen Spalt, der seiner Lage nach die rechte Ureterenmündung sein mußte. Bei 
noch genauerer Beobachtung, und besserer Einstellung des Zystoskops, entdeckte ich 
einen kleinen Tumor, von gelbrötlicher Farbe, der durch einen medianen Spalt in 
zwei Teile gespalten schien und wie ein Fleischknopf aussah, der aus einer kreis- 
förmigen Öffnung in der Blasenwand herauszukommen schien. In der nächsten Um- 
gebung war die Mukosa der Blase entzündet, und zeigte sich stark gerötet (s. Fig. la). 


Die Deutung des Falles wurde durch diesen Befund zunächst 
komplizierter. Stellte dieser kleine Tumor ein gestieltes Papillom dar, 
ganz in der Nähe der rechten Ureterenmündung, oder war der Spalt, 
den ich für die Ureterenmündung hielt, es in Wirklichkeit nicht, sondern 
war vielleicht jene kreisförmige Öffnung, aus der der kleine Tumor 
hervorkam, die Ureterenmündung? Hatten wir es also mit einer Kom- 
bination von zwei verschiedenen pathologischen Prozessen zu tun, 
eines Blasentumors und einer pyelorenalen Affektion, weil doch der 
Eitergehalt des Urins aus der rechten Niere stammte, wie es die endo- 
vesikale Urinscheidung ergeben hatte? Oder kam der kleine Tumor 
tatsächlich aus der Uretermündung hervor und war er nur das Produkt 
einer entzündlich ödematösen Schwellung, hervorgerufen durch den 
fortwährenden Reiz, den der Eiter beim Passieren ausübte? Um die 
Frage zu lösen, mußte mit Sicherheit festgestellt werden, welches die 
Ureterenmündung war, und das war nicht leicht. Wer sich mit Zysto- 
skopie und dem Katheterisieren der Ureteren beschäftigt, weiß, wie 
schwer es bisweilen auch unter normalen Verhältnissen ist, die Ureteren- 
mündungen zu erkennen; in diesem Falle waren die Schwierigkeiten 
wegen der Trübung des Blaseninhaltes besonders groß. Ich verzichtete 
deshalb auf den Ureterkatheterismus und machte eine Injektion von 
Methylenblau. 


Dabei überzeugte ich mich, daß der Tumor von der Uretermündung unabhängig 
war. Diese war tatsächlich jener Spalt, der an der typischen Stelle lag, und der 
Tumor lag rechts und etwas oben von ihr. Es handelte sich also anscheinend um 
einen Polypen. Während ich fortfuhr, aufmerksam die rechte Ureterenmündung zu be- 
obachten, wurde ein starker Druck ausgeübt, der eigentlich nur die Regio hypochon- 
driaca betreffen sollte, aber bei dem besonderen Bau der Patientin auch die Regio 
iliaca dextra betraf. In diesem Augenblick sah ich deutlich einen langgezogenen, 
zylindrischen Eiterpfropf heraustreten, von weißgelblicher Farbe und ziemlich harter 
Konsistenz, eine Art von dickem, gedrehten Faden; jedoch sah ich genau, daß er nicht 
aus der Uretermündung heraustrat, sondern zwischen dem Tumor und jener Art von 
kreisförmiger Öffnung, die diesen umgab. Ich erinnerte mich jetzt der langdauernden 
genitalen Erkrankung der Patientin, der Puerperalinfektion, der nachfolgenden Ent- 
zündung des Endometriums und der Adnexe, ferner der Tatsache, daß diese Er- 
scheinungen aufgehört hatten, als die Symptome von seiten des Harnapparates ange- 
fangen hatten, und ich dachte daran, daß es sich um einen Ovarialtumor 
oder um eine Salpingitis handeln könnte, mit Durchbruch nach der Blase, 
infolge von Verwachsungen. Sofort ging ich zur Untersuchung der Genitalorgane 
über, und unsere Annahme wurde zur Tatsache. 

Als ich nämlich mit größter Aufmerksamkeit und Genauigkeit die inneren Genital- 


200 Rinaldo Cassanello. 


organe untersuchte, fühlte ich links die Adnexe, Tube und Ovarium vergrößert, emp- 
findlich, ziemlich unbeweglich und ein wenig nach dem Douglasschen Raum disloziert. 
Rechts waren die Adnexe noch größer, sie bildeten eine eiförmige Masse von der 
Größe eines kleinen Hühnereies, von straff elastischer Konsistenz, empfindlich, auf der 
einen Seite am rechten Rande des vergrößerten anteflektierten Uterus adhärent, auf 
der andern Seite der Harnblase aufliegend.. Wenn man von der Regio iliaca aus 
auf diesen Tumor drückte, sah man mit dem Zystoskop wiederum Eiter 
an der beschriebenen Stelle austreten. Übrigens trübte sich der Urin stets 
mit Eiter, wenn man nach vorhergegangener Blasenausspülung auf jene Region drückte. 


So löste sich die verwickelte Frage auf die einfachste Weise; der 
Ovarial- oder Tubarsack, der mit der Blase durch eine Art Klappe in 
Zusammenhang stand, entleerte seinen Inhalt in dieselbe intermittierend, 
je nach seinem Füllungsgrad.e Damit waren auch die Schmerzanfälle, 
die pseudorenalen Koliken, die hartnäckige und intermittierende Pvurie, 
die Hämaturie, die entweder aus den Granulationen stammte, die den 
durch Entzündung gebildeten Sack bekleideten, oder aus jenen, die in 
die Blase hineinragten, erklärt. 

Das therapeutische Verfahren, das, wie es zuerst schien, sich 
hauptsächlich gegen die rechte Niere zu richten hatte, mußte jetzt 
radikal geändert werden und hatte sich gegen die inneren Genitalorgane 
zu wenden. Die Adnexe, besonders die rechten, waren wahrscheinlich 
nicht nur mit der Blase, sondern auch mit anderen benachbarten Organen 
verwachsen. Daher und um ein weites, offenes Operationsfeld zu haben, 
um ferner die Kommunikation zwischen Blase und Adnexen gut im Auge 
zu haben und sie in geeignetster Weise versorgen zu können, zog mein 
Lehrer, Prof. Ceci, die Laparotomie dem vaginalen Wege vor, 
wobei er die größte Vorsicht ausübte, um eine Infektion der Bauchhöhle 
mit dem Eiter des Entzündungssackes zu verhüten. 


Die Operation wurde am 21. Juli 1908 in Sauerstoff-Chloroformnarkose gemacht, 
und der Öperationsbefund bestätigte vollkommen die vorher gestellte Diagnose. 

Mit einem medianen Schnitt vom Nabel bis zum Schambein wurde das Abdomen 
in Trendelenburgscher Position weit geöffnet. Sofort wurden die Darmschlingen sorg- 
fältigst geschützt, unter reichlicher Anwendung sterilen Flanells gegen das Diaphragma 
zurückgedrängt. Darauf wurde der Doyensche Wundrandspreizer eingeführt, der 
Uterus mit einem Pean gefaßt und so weit als möglich hervorgezogen. Die Ver- 
wachsungen der Adnexe hielten ihn jedoch zum Teil fest, daher begann man damit, die 
linken Adnexe zu isolieren, das linke Ligamentum rotundum und latum zu durch- 
trennen und zu ligieren (Katgut). Rechts waren die Verwachsungen viel stärker und 
fester; der Adnextumor lag viel tiefer im kleinen Becken, mit dessen Wand er fest 
verwachsen war. Unter großer Vorsicht wurde der Tumor zum größten Teile isoliert. 
Im untern Teile seiner vorderen Fläche war er gegen die Gegend des Trigonuns mit 
der Blase verwachsen. Als diese letzte Verwachsung durchtrennt wurde, trat aus dem 
Abszeßsack Eiter und aus der Blase Urin aus. Sofort wurde steriler Flanell ein- 
gestopft. An der vorderen und hinteren Fläche des Uterus wurden nun die Peritoneal- 
lappen abgehoben bis zur Vagina hin, diese wurde nach vollständiger Isolierung des 
Collum Uteri geöffnet und endlich der Uterus mit den Adnexen exstirpiert. Revision 
und Reinigung des Operationsfeldes. Darauf wurde eine Metallsonde in die Blase ein- 
geführt und damit ein kleines kreisfürmiges Loch rechts im Fundus und dicht am 
Trigonum nachgewiesen. Unter größter Vorsicht, um nicht den rechten Ureter mit- 
zufassen, der ganz in nächster Nähe verlaufen mußte, und unter größter Schwierigkeit, 
da das Loch in der Blase sich ganz in der Tiefe des kleinen Beckens befand, wurde 










Sa F a e >= T a für See e 
mm Funden. ‚die Bauchderken. schichten weise: mit Katgut. ge 

gzèrsches Katheter eingelegt: Der ‚gleich. In den 
i ontisorte Urin. ‚war. der Guantitäk ach. normal; mo 
o den gtten zwei. oder drei Tagen. etwas blutig  Gefërh — dann jedoch nahm er “normale == 
z: ‚Farbe, an, Am, 218 Tage wunde. dor Taderkatheter Jermsgenoinmon; und Patientin 
onata 5 ort wi Kat arinieren. | "Die: physikalische, ‚eheruische nd miktnsEopische- Lë 
L'rrerang ioe Aes Urns. ergab: morale Beschaffenheit, "Einen Morat nach der ` 
Operation machte joh oime {erste nystoskapischs: Untersuchnug. und, 
ln eB mith: toststollen,. dat ap. ‚der ‘Stell der Blasentistel nal der holspösen ‚Granylution ES 
ns etme Teng, sin wenig ankgszankte, kaum siohthure Naibe in der Biasenwand sieh vor. 
ae (Fig. 1a). Patientin, Je bine: ee der Laparotomiewyande Hatte, in- ` 
CH Ek des infizierten E C bet mien gelisjit. vg Sieg Aber CES Ze 
EE ee y Ge SH Se 














Ee Zeg = > at 
















e D a y ` e r , 
ef + Lg : ; j ` . Ñy 
P A, SEA b ewar O ha nun, SALER ti 7 V d N h A, 
vie sF Ni k f AE AUNE FETA u Hai P Í EA t 
ANS De 5 x d A € Séi, 2 e (kal \ A 
a y d € E Zi IN U V 





eme, von, RE Spo eis "Mater Fingers, Hk ie N zg. 
Gare Au RR de D | Den D herum, ‚ie, NER ee war ! 













fie Bies E dee GE 

` Dieser Fall bietet. Sat aar ëi grubes klinische Interis : a 
ler Selteriheit des Befinden, weren dir mvakton.: viel, edel eren Ce? 
Diagnose. und wegen des guten. therapeutischen Resultates,; ‚sonder er 
ehe E EE en hei. der Dress? ring y you ju Krankheitun E 














202 Rinaldo Cassanello. Harnblasenovarialfistel durch die Zystoskopie diagnostizier. 


genitalapparates die Zystoskopie diejenige Untersuchungsmethode ist, 
auf die man sich am sichersten verlassen kann, und die man deshalb 
vor allen andern anwenden muß. Sie muß die Indikationen geben für 
etwaige nachfolgende komplementäre Untersuchungen, wie z. B. für den 
Ureterenkatherismus, die endovesikale Scheidung der Urine. In unserem 
so höchst lehrreichen Falle hätte man ohne die Hilfe der Zystoskopie 
nicht nur nicht die Diagnose dieser seltenen genitovesikalen Läsion 
stellen können, sondern, wenn jemand leichtfertig, ohne sich genaue 
Rechenschaft abzulegen über den Zustand des ganzen Innern der Blase, 
nur präokkupiert von den vorwiegenden rechtsseitig renalen Symptomen, 
den rechten Ureter katheterisiert hätte, so würde er wohl sicher eine 
gesunde Niere infiziert haben. Oder, wenn ohne Zystoskopie nur die 
Scheidung der Urine vorgenommen wäre, so hätte sie die falsche An- 
nahme einer rechtsseitigen Nierenaffektion bestärkt. 


Erklärung der Figuren. 

Fig. Ia. Links oben sieht man die rechte Uretermündung in Form eines Spaltes. 
Rechts unten die kreisförmige Fistelöffnung, aus der das gelbrötliche, zweilappige 
Granulationsgebilde hervortritt. Rings um die Fistelöffnung ist die Mukosa entzündet 
und intensiv gerötet. 

Fig. Ila. Rechts unten, dort wo in Fig. la die Öffnung der Vesikoovarialfistel 
und das polypöse Granulationsgebilde war, sieht man die feine, linienförmige, ein 
wenig ausgezackte Narbe. Die Blasenschleimhaut ist in der Umgebung zum vollkommen 
normalen Zustande zurückgekehit. 

Fig. Illa. Links vom Uterus und an der Tube befestigt sieht man den eiförmigen 
Ovarialtumor, der vorn unten einen dunklen Punkt zeigt, unregelmäßig, kreisförmig 
mit ausgezacktem Rande; dieser Punkt stellt die Kummunikationsöffnung der Blase 
mit dem Innern des Övarialsackes dar. 


Zeitschift. für qmäkologische Urologie Bd. 1909. EEE NR 
ENTER zulassanello; SE Rd, 


i 


Á 


¢ 








D 2. 


LINI PARY 


T LP ot aalt Bien, Kafe ses | 
‚Jlohann Ambbosuus Barth aoa 





(Aus der Frauenklinik der Universität Heidelberg. Direktor Prof. Menge.) 


Vesikolabialfistel nach Hebosteotomie. 
Von 
Privatdozent Dr. Maximilian Neu, I. Assistent der Klinik. 


Durch die beckenerweiternden Operationen hat die gynäkologische 
Urologie ungewollt eine Vermehrung der Krankheitsbilder und eine Er- 
weiterung ihres Arbeitsgebietes erfahren. Bei dem vom ursprünglichen 
Enthusiasmus abflauenden Interesse, das sich der Hebosteotomie gegen- 
über, wenigstens in manchen Kreisen, nachgerade feststellen läßt, möchte 
es wenig angebracht erscheinen, mit dieser in Zusammenhang stehende 
Störungen anderer Organgebiete zur Kenntnis zu bringen. Aber abge- 
sehen davon, daß meines Erachtens die Hebosteotomie auch künftig 
die ihr gebührende Stellung als wohl indizierbare Operationsmethode 
in der geburtshilflichen Therapie behalten wird und derartige Kompli- 
kationen deshalb von praktischer Bedeutung sind, glaube ich insofern 
zur Bekanntgabe der seltenen und eigenartigen Blasenfistelform in ihren 
Einzelheiten verpflichtet zu sein, als Mayer!) in seiner umfassenden 
Monographie auf eine genauere Publikation meinerseits vorbereitet hat. 
vom rein theoretischen Interesse ganz zu schweigen. 

Zunächst der Auszug aus unseren klinischen Beobachtungen: 


Pf. K., 38 J., V. p. Rachitische Anamnese. Vier Geburten, am Ende der 
Gravidität, durch Kraniotomie beendet (sehr kräftige Kinder). 

Zwei Monate vor Eintritt in die Klinik Prochowniksche Diät. Rachitisches 
Skelett; plattrachitisches Becken. C. v. 7 cm. Doppeltes Promontorium; Symphysen- 
höhe 5 cm, breite, stark vorspringende Knorpelleiste. Drei Tage vor dem eigentlichen 
Geburtsbeginn schon Wehentätigkeit. Zweite Schieflage, Hydramnios. 

27. I. 08. Ordination (G. R. v. Rosthorn): 

Punktion der Eiblase zur Größenbestimmung des Kindes, alsdann Hebosteotomie., 
bei zu starkem Kinde Sectio caesarea. 

10,05 a.m. Mmd. bequem für zwei Finger durchgängig, unterer Eipol prall gespannt 
in Höhe des innern Muttermundes. Innerhalb 25 Min. werden unter Kontrolle der 
kindlichen Herztöne 2500 ccm Fruchtwasser langsam abgelassen. Der Schädel scheint 
hart und in seinem äußern Umfange einem reifen Kinde entsprechend. Mit Rück- 
sicht auf die vaginalen Manipulationen von der Sectio caesarea Abstand genommen: 
zur Vermeidung des völligen Fruchtwasserabflusses Kolpeuryse; Korrektur der Dextro- 
versio uteri durch Bandage. 

Operatiousbericht: (Operateur: Dr. Neu): 

2 cm lange Inzision rechts entsprechend dem horizontalen Schambeinaste. Nach 
Spaltung der Faszie und stumpfer Abschiebung der Weichteile wird mit dem Döder- 


3) Mayer, A., die beckenerweiternden Operationen. Tübinger Habilitationsschrift. 
Berlin, S, Karger 1908. 


204 Maximilian Neu. 


leinschen Führungsinstrument die hohe Symphyse lateral vom Tuberculum pubicum 
dextrum mit einiger Schwierigkeit (wegen der geringen Bogenweite der Nadel) um- 
gangen. Durchsägung. Trotz sogen. „Mittelstellung“ der Beine fühlt man von der 
Scheide aus den vordern Beckenring um reichlich zwei Fingerbreite klaffen. Scheide 
nicht verletzt. Die Frucht ist vom Uterus fest umklammert (minimaler Fruchtwasser- 
rest). Wendung und Extraktion. Die obere Inzisionsstelle war schon vor der Wendung 
durch zwei versenkte Katgut- und zwei Seidennähte verschlossen worden. Der nach 
der Entbindung gesetzte Katheter enthält reines Blut. Die nochmualige 
Kontrolle der Scheide ergibt keine penetrierende Verletzung. Borspülung der Blase er- 
gibt reichlich Blut. Die Spülflüssigkeit schien vollkommen durch den Katheter ab- 
zufließen. Dauerkatheter. Pat. wird ins Bett zurückverbracht. Aus der untern 
(Ausstich-)Öffnung fließt immer noch Blut ab, daher dauernd manuelle Kompression. 
Anlegen eines Beckengurts in Trochanterhöhe. Sobald man am rechten horizontalen 
Schambeinast einen Gegendruck macht, fließt einerseits zwischen den Nähten dünn- 
flüssiges Blut im Strahl heraus (retinierte Borflüssigkeit mit Blut), andrerseits fließt 
durch den Dauerkatheter mehr dickflüssiges Blut anscheinend mit Urin untermischt 
ab. Es kann demnach keinem Zweifel unterliegen, daß eine ergiebige Blasenverletzung 
und Kommunikation mit der Hebosteotomiewunde vorliegen muß. Senkrecht zur oberen 
Inzision wird nach Eröffnung der Suturen eine etwa 5 cm lange Inzision über das 
rechte große Labium herabgelegt, so daß jetzt ein T-förmiger Schnitt vorhanden ist. 
Nach Austupfen der Blutkoagula läßt sich zwischen dem Sägespalt die Blase vorziehen: 
Es erweist sich eine scharfrandige Öffnung über die ganze rechte seitliche Blasen- 
höhe, die den gleichen Verlauf nimmt wie der Knochenspalt, von außen oben etwas 
nach unten innen. Die Länge des Schnittrandes dürfte schätzungsweise 10 cm le- 
tragen. Schleimhautknopfnähte (Katgut), Muskeldecknähte, Fasziennaht (Seide), desgl. 
Hautriaht. Durch die untere Hebosteotomie- (Ausstich-)Öffnung Einführen eines Dräns; 
Blasenspülung in Portionen von 50 ccm. Zuletzt fließt die Flüssigkeit völlig klar ab. 
Kompressionsverband im Bereich der oberen Wunde (Scultets Binde), 5" pm. Aus 
dem Dränrohr sickert beständig Blut in mäßiger Menge. Trotzdem entwickelt sich 
im rechten Labium ein Hämatom. 


28. I. 08. Der Urin fließt klar durch den Katheter ab. Hellrotes Wundsekret 
aus der Dränageöffnung. 

1. II. Drän spontan ausgestoßen. Auf geringen Druck entleert sich aus dem 
untern Wundwinkel der suprasymphysären Wunde reichlich Hämatomflüssigkeit mit 
Blasen. 

4. II. (9. T). Nach Entfernung des Dauerkatheters Vorlage voll Urin. Aus 
Ein- und Ausstichwunden kein Urin: Inkontinenz, Vaginalfistel? Urin fast klar, sauer, 
geringe Anzahl von Leukozyten. Dauerkatheter wieder eingelegt. Ausstichöffnung 
nicht verklebt; aus ihr kommt dünne (urinüöse?) Flüssigkeit: Blasenfistel? 

5. II. (10. T.).. Dränage des rechten großen Labium. 

7. II. Da immer noch aus der Ausstichöffnung dünne Flüssigkeit ausfließt; 
Füllung der Blase mit Borlösung. Von 100 ccm ab entleert sich die Flüssigkeit aus 
der Ausstichöffnung im rechten großen Labium und auch aus einer stecknadelkopf- 
großen Öffnung im untern Winkel der obern Inzisionswunde: Vesikolabialfistel. 

8. II. Pat. steht Ok auf. 

9. I. L. Bein, besonders Unterschenkel diffus geschwellt, Schmerzen; keine 
Rötung. Hochlagerung, Alkoholverband. Herpes der rechten Unterlippe. 

12. II. T. 39,3, P. 112. Bei tiefer Palpation im linken Hypogastrium Schmerz- 
empfindung ohne deutlich tastbare Resistenz. An der Vorderfläche des rechten Ober- 
schenkels schmerzhafter Strang: Thrombophlebitis. Eisblase, Alkoholumschläge-. 

18. II. Aufsitzen. Schmerzhaftigkeit und Schwellung am linken Bein zurück- 
gegangen. 

19. II. Pat. steht auf; der Gang beschwerlich, wohl infolge der Schwäche der 
Muskulatur; keine eigentlichen Gehstörungen, die auf das Becken bezogen werden 
könnten. Venen frei. Links Knöchelödem. 

25. II. Entlassungsbefund: Die obere Hebosteotomiewunde 2 cm lang, 1 


Vesikolabialfistel nach Hebosteotomie. 205 


der Mitte eingezogen; die dieser Wunde aufgesetzte ist 3 cm, p. p. geheilt. Die untere 
Ausstichöffnaung 1 cm lang, narbig eingezogen, im Niveau der Klitoris adhärent. 

Beckenbefund: Entsprechend dem durchsägten Knochen rechts eine Rinne, in 
die man den Mittelfinger eben einlegen kann. Die laterale Begrenzung dieser Rinne 
ist als eine Leiste vorgebuchtet. Beim Spreizen der Beine deutliches Federn an dieser 
Stelle, ebenso bei der Hängelage. lleosakralgelenke frei. 


Zystoskopischer Befund: Blasenschleimhaut gehörig, deutliche Gefäß- 
zeichnung. Im rechten unteren Blasenabschnitt eine schräg verlaufende Narbe, die 
in dem oberen zwei Drittel lineär verheilt ist, im untern Drittel eine trichterförmige 
Einziehung zeigt. Die Blasenschleimhaut in der Umgebung dieses Trichters injiziert, 
Harn klar. 


12. VII. 08. Wieder vorgestellt: Völliges Wohlbefinden. 


Das Bemerkenswerte meiner Beobachtung liegt in der ausge- 
dehnten Sägeverletzung der Blase bei einer nach Döderlein durchge- 
führten Hebosteotomie, wobei also das Einführen des Fingers zum Ab- 
schieben der Weichteile und der Blase nicht unterlassen war. 

Döderlein!) selbst legt nämlich den allergrößten Wert darauf, 
daß die Operation unter direkter Fingerkontrolle von der Wunde aus 
durchgeführt werde; wenigstens glaubt er, daß er diesem Verfahren 
seine so sehr günstigen Erfolge zu verdanken habe; denn gerade aus 
der Furcht vor Blasenverletzungen hat er von Anfang an diese Weg- 
bahnung in das Cavum Retzii angestrebt. Wir haben uns ebenfalls 
unter der klinischen Leitung von Rosthorns von Anfang an an diese 
Vorschrift gehalten und bis zu dieser meiner Beobachtung keine Neben- 
verletzung der Blase gesehen. Die Ätiologie der Blasenverletzung, die 
bei dem nachgerade berühmt gewordenen Verblutungstodesfall der Heidel- 
berger Frauenklinik konstatiert worden war), ist bei der Kompliziert- 
heit dieses Falles meines Erachtens nicht eindeutig genug, um hier ver- 
wertet zu werden. Aber auch von Herff?) hat zwei Blasenverletzungen 
bei strenger Befolgung der Döderleinschen Vorschrift erlebt, von 
denen der eine Fall eine reine Sägeverletzung darstellt. Nun betont 
Döderlein, daß in den meisten Fällen von Blasenverletzungen die In- 
strumente (Nadel und Säge) oder besser ihre Handhabung an der Ver- 
letzung schuld sei. Demgegenüber hebe ich hervor, daß ich vor der 
Operation des hier diskutierten Falles eine Serie von Hebosteotomien 
nach der gleichen Methodik ohne Nebenverletzungen ausgeführt hatte. 

Döderleins Einwand, es beständen über die Art und Weise, 
wie die Blasenverletzungen zustande gekommen sind, recht weitgehende 
Meinungsverschiedenheiten und es sei der jeweiligen Auffassung des 
Operateurs ein ziemlich weiter Spielraum gelassen, kann ich für mich 


en 


1) Döderlein, Technik, Erfolge und Indikationen der beckenerweiternden 
Operationen. 

Verhandlungen der deutschen Gesellschaft f. Gynäk. Bd. XII, 1908. 

2) Mayer, |. c. S. 138 (Fall 4). 

3) von Herff, Anstaltgeburtshilfe und Hausgeburtshilfe usw., Monatsschrift f. 
Gebh. und Gynäk. Bd. 24, S. 720. 

v. Herff, Sitzungsbericht der Oberrhein. Gesellsch, f. Gebh. und Gynäk., ibidem 
Bd. 25, S. 129. 


206 Maximilian Neu. 


nicht gelten lassen. Ich muß also feststellen, daß eine primäre Blasen- 
verletzung nach der Döderleinschen Methodik nicht auszuschließen 
ist. Dabei will ich auf die noch immer nicht endgültig entschieden: 
Meinungsdifferenz, ob die Möglichkeit einer Blasenverletzung bei den 
Stichmethoden größer als bei der Döderleinschen Öperationsart se. 
nicht eingehen, zumal mir eigene Erfahrungen mit der Stichmethod: 
fehlen. Ich erachte es vielmehr als meine nächste Aufgabe, die Ursache 
aufzufinden, der die Blasenverletzung im vorliegenden Falle zuzu- 
schreiben ist. Diese sehe ich in der Änderung des Blasensitus: dei 
Schädel stand auf dem Beckeneingang in der Weise aufgestemmt. dal 
das untere Uterinsegment und die hochgehobene Blase mit samt dem 
Schädel förmlich als Tumor über der Symphyse hervordrängte. Trotz- 
dem sub operatione eine Korrektur in dem Sinne vorgenommen ward. 
daß der Schädel von außen durch einen Assistenten vom Beckeneingan: 
abgehebelt wurde und der im Hängebauch stark antevertierte gravil- 
Uterus manuell emporgebracht wurde, glückte es offenbar nicht, dit 
dislozierte Blase aus dem Sägebereich zu schaffen. Nur so ist für mich 
die Entstehung der ausgedehnten Sägeverletzung der Blase durch di: 
Giglische Säge, die den gleichen Verlauf wie der Knochensägespal! 
hatte, denkbar. Im Interesse der Güte der Döderleinschen Method: 
scheint es mir nicht unwesentlich, hiermit festzulegen, daß auch hi 
strenger Befolgung der Vorschriften und bei hinreichender Erfahrun: 
in der Technik mit Blasenverletzungen infolge Ansägen gerechnet werde! 
muß. Seitdem habe ich es mir zum Grundsatze gemacht, die Bla 
durch besondere Aufmerksamkeit, ev. nach Lage des Falles, durch Ein 
führen einer entsprechenden Schutzvorrichtung (Metallspatel, Säst- 
rinne usw.) zu sichern. 

Die klinische Bedeutung der Verletzungen des Harnapparate 
bei der Hebosteotomie liegt auf der Hand; sie ist in dem klassischen 
Referat Döderleins!) klar gezeichnet: „Urinaustritt in die Operations- 
stelle und Urininfiltration der umgebenden Gewebe führen zu schweren. 
phlegmonösen, jauchigen Entzündungen. Das Leben und die Gesund- 
heit ist auf das schwerste bedroht.“ Angesichts dieser die Prognose 
trübenden Möglichkeiten muß man sich über das therapeutische Ver- 
halten nach entstandenen Blasenläsionen wundern: Im allgemeinen wird 
ein völlig exspektativ-konservatives Verfahren empfohlen. Stöckel‘) 
besonders schätzt die Bedeutung der nach Hebosteotomie entstehenden 
Blasenverletzungen wenig hoch ein; er stellt ihnen bezüglich der Spontan- 
heilung eine gute Prognose. Stöckel ist der Ansicht, daß das Ein- 
legen eines Dauerkatheters stets allein genügt, um die „Stichstelle“ 
schnell zum Verschluß und ohne Fistelbildung zur Heilung zu bringen. 
Er argumentiert so°): Die Fistel liegt in Fällen von Blasenverletzungel! 





2) 1]. c. S. 178. 

2) Stöckel, Zentralbl. für Gynäk. 1906, S. 81. 

») Stöckel, Die Erkrankungen der weiblichen Harnorgane. 
Veits Handbuch für Gynäk. 2. Aufl., 2. Bd. 1907, S. 461. 


Vesikolabialfistel nach Hebosteotomie. 207 


nach Hebosteotomie hinter dem Os pubis, also recht hoch. Wird ein 
Dauerkatheter in die Harnröhre eingelegt, so wird die Fistel dadurch, 
daß ein Ansteigen des Harnniveaus bis zu dieser Höhe nicht mehr 
eintreten kann, außer Funktion gesetzt und schrumpft so zusammen, 
daß sie zuletzt völlig an den Knochen herangezogen und dadurch ver- 
schlossen wird. Die Knochenfixation ist bei den extragenital gelegenen 
Verletzungen ein direkt heilendes Moment. Ich kann mich nach den 
Erfahrungen meiner Beobachtung diesem exspektativen Verhalten nicht 
durchaus anschließen. Hinsichtlich der Stichverletzungen der Blase 
nach der Bummschen Methode, aus denen Stöckel seine Erfahrungen 
hauptsächlich gesammelt haben dürfte, mag diese Argumentation wohl 
manches für sich haben; der Erfolg hat diese ja auch veranlaßt und 
bestätigt. Das Verfahren schließt meines Erachtens aber eine sehr große 
Gefahr in sich, wenn es sich um ausgedehntere Verletzungen, vor 
allem um Sägeverletzungen der Blase, handelt. A priori aber können 
wir unmittelbar post operationem nicht so leicht die Differentialdiagnose 
stellen. In ‘der Literatur finde ich denn auch bei diesem Vorgehen 
schon ernste Komplikationen niedergelegt. Kroemer!) meldet von 
einem Todesfall infolge Urininfiltration aus der Bummschen Klinik; 
fünf restierende Blasenscheidenfisteln mußten operativ geschlossen 
werden (!) Besonders beachtenswert scheint mir Reebs?) Beobachtung 
zu sein: Beim Durchziehen der Säge (allerdings ohne Fingerleitung) 
war ein Blasenzipfel verletzt worden. Er ward vorsichtig reponiert. 
1°/,* nach der Operation klagte die Pat. über starke Schmerzen in 
Abdomen; dasselbe war aufgetrieben und bei Berührung schmerzhaft. 
Aus dem eingeführten Katheter entleerte sich fast reines Blut. Trotz 
des Dauerkatheters entleerte sich in den ersten Tagen Urin durch die 
obere Pubiotomiewunde; in der Folge bildete sich in der linken großen 
Labie noch ein Abszeß, aus dem nach Inzision und Dränage einige 
Tage lang Urin floß. Die Blasenfistel schloß sich 23 Tage nach der 
Operation; der weitere Verlauf wurde noch durch eine doppelseitige 
Thrombosierung der Vena femoralis und durch einen Infarkt der linken 
Lunge kompliziert. Die Pat. konnte erst 52 Tage p. o. aufstehen. 
Ganz ähnlich alarmierend war der postoperative Verlauf im 19. Falle 
von Leopold (Kannegießer?). Die Verletzung der Blasenwand war 
zystoskopisch konstatiert. Die Behandlung bestand lediglich im Ein- 
legen eines Dauerkatheters und innerer Darreichung von Urotropin. 
Das Allgemeinbefinden war sehr besorgniserregend (Puls von 140—160, 
Kampfer, Tet. Strophanthi, Analeptika usw.; bis zum dritten Tage 
Temperaturanstiege bis 39,8 unter drei deutlichen Schüttelfrösten). Die 


1) Kroemer, Die Erfahrungen der Univ.-Frauenklinik an der K. Charité über 
die Pubotomie. Autorefer. Zentralbl. f. Gynäk. 1908, S. 1012. 

2) Reeb, M. Über Klinik und Technik der Pubiotomie. Münch. Med. W. 
1905, S. 2320. 

3) Kannegießer, Beitrag zur Hebotomie auf Grund von 21 Fällen. Arch. f. 
Gyn. Bd. 78. 1906, S. 79. 


208 Maximilian Neu. 


Ursache war eine Harninfiltration der rechten großen Labie mit be- 
ginnender Rötung der prall gespannten Haut. Außerdem etablierte sich 
eine Blasenbauchdeckenfistel; als besonderer Grund hierfür wurde die 
öfters vorgekommene Verstopfung des Dauerkatheters durch Blutge- 
rinnsel angesehen. Jedenfalls mußte die ganze Länge der infiltrierten 
großen Labie inzidiert werden. Von da ab Besserung von Puls und 
Temperatur. Eine Blasenfistel, deren äußere Öffnung die obere Heb- 
steotomiewunde bildete, sonderte Urin ab bei Störungen in der Ham- 
ableitung durch den Dauerkatheter. Erst am 42. Tage p. o. blieb d 
Hautwunde ohne Katheter trocken. Am 51. Tage erst konnte die Pat 
das Bett verlassen, am 58. Tage ward sie entlassen. 

Stellt man den postoperativen Verlauf meiner Beobachtung dem 
von Reeb und Kannegießer gegenüber, so ist der Unterschied eri- 
dent; er ist wesentlich günstiger: am 10. Tag p. o. eine kleine Vesik«- 
labialfistel, die sich in den nächsten Tagen spontan schloß; am 13. Tas 
konnte Pat. das Bett verlassen. Freilich fesselte eine Thrombose der 
Vena saphena sinistr. (bei rechtsseitiger Hebosteotomie!) die Pat. nocl 
für eine Woche ans Bett; vom 22. Tage ab war und blieb die Pat. 
völlig geheilt. 

Nach dieser Erfahrung möchte ich also nicht ohne weiteres di 
Blasendränage nach Blasenläsionen bei Hebosteotonie für absolut aus 
reichend erachten. Leichtere Blasenläsionen, allenfalls auch Stichrer- 
letzungen nach der Bummschen Hebosteotomiemethode, mögen damit 
zweckmäßig behandelt sein. Es muß aber doch hervorgehoben werden 
daß die von Stöckel u. a. als typische Behandlungsmethode vertreten: 
Blasendränage für derartige Fälle wie den meinen große Gefahren in 
sich schließt. Ich gebe ohne weiteres zu, daß die Diagnose der Art 
und Größe der Blasenverletzung nach Hebosteotomie oft erschwert sei 
kann; mir will es sogar scheinen, daß es sich in einer großen Zahl 
von Fällen, in denen blutiger Urin zu konstatieren war, gar nicht um 
penetrierende Verletzung der Blasenwandung, sondern nur um Läsionen 
der Blasenschleimhaut gehandelt habe. Auch Stöckel') betont dies: 
er sagt: „Übrigens darf man in den Fällen, wo nach der Pubotomie 
etwas blutiger Harn entleert wird, nicht sofort an eine penetrierende 
Blasenverletzung denken. Ich habe mich durch zystoskopische Nach- 
untersuchungen davon überzeugt, daß es sich dabei in der Regel um 
leichte Quetschungen und Rupturen von Schleimhautgefäßen handelt.” 

Es kommt daher sehr auf die Diagnose der Art und Größe 
der Läsion an. Bei den größeren penetrierenden Verletzungen scheint 
es mir gewagt, sich mit der Dränage bescheiden zu wollen. In diesen 
Fällen hat man m. E. die Verpflichtung, tunlichst die Läsionsstelle frei- 
zulegen und durch exakte Naht zu versorgen; die bindegewebige Un- 
sebung muß durch Dränage vor ev. sekundärer Urininfiltration bei g° 
störter Wundheilung geschützt werden. Die Patientinnen sind nämlich 


a) L e S. 461. 








Vesikolabialfistel nach Hebosteotomie. 209 


bei ausgedehnten Urininfiltrationen des Parazystiums sehr gefährdet, 
zum mindesten aber ist die Rekonvaleszenzzeit nicht unbedeutend ver- 
zögert, wie ich das oben an Hand der Literaturaufzeichnungen darlegen 
‚konnte. Gerade dieser Punkt ist aber auch bezüglich der Thrombose- 
frage recht bedeutungsvoll; die Pat. können nach Überwindung der 
primären Sepsisgefahr aufs neue durch die Thrombosen gefährdet 
werden. 

Das führt uns zur kurzen Besprechung des Zusammenhanges von 
Thrombose und Blasenverletzung. Reifferscheid!) hat schon sehr 
bald im Beginn der Hebosteotomieära zwischen beiden einen bedeutungs- 
vollen Zusammenhang annehmen zu müssen geglaubt; er ist der An- 
sicht, daß in dem mit Urin imbibierten Gewebe die Thrombosegefahr 
vermehrt sei. Der Fall, aus dem er seinen Schluß zog, ist an Lungen- 
embolie zugrunde gegangen (Urininfiltration der Sägestelle).. Auch 
Döderlein?) kommt zu dem Schlusse, daß die Thrombosierung größerer 
Gefäße der Öperationsstelle und davon ausgehende Embolie bei Fehlen 
anderer Komplikationen, wie z. B. Blasenverletzungen, nicht zu fürchten 
zu sein scheint. Die oben schon erwähnte Reebsche Beobachtung 
spräche ebenfalls in diesem Sinne. In meiner vorliegenden Wahr- 
nehmung ist die Thrombosebeziehung zur Blasenverletzung insofern nicht 
eindeutig, als die Thrombose kontralateral auftrat; wollte man einen 
direkten Zusammenhang annehmen, so wäre das mehr als hypothetisch; 
daher registriere ich lediglich die Tatsache, zumal die Frage der Throm- 
bosen im Wochenbett sich augenblicklich eines besonderen Interesses 
zu erfreuen hat. 


Zusammenfassung: 

1. In jedem Falle von Blasenläsion nach Hebosteotomie (Blutharn) 
ist die Art, Größe und Lage derselben genauestens festzustellen. 

2. Bei allen größeren Verletzungen der Blasenwand ist eine 
chirurgische Versorgung anzustreben wegen der Gefahr der Urin- 
Infiltration des Bindegewebes, der Thrombose und Embolie. 

3. Bei kleineren Verletzungen, z. B. hochgelegenen Stichverletzungen 
oder isolierten traumatischen Schleimhautläsionen (Quetschungsblutungen). 
wird im allgemeinen die Blasendränage durch Dauerkatheter genügen. 

(Stöckel u. A.). 


9 cit. nach Mayer, 1l. c., S. 98 (Zentralbl. f. Gyn. 1906, Nr. 48, S. 1326). 
2) Verh. d. deutsch. Gesellsch. f. Gyn., S. 177. 


Über Blasenbeschwerden des Weibes ohne zystoskopischen Befund. 
Von 
P. Rißmann in Osnabrück. 


Es hat mich oft in Erstaunen gesetzt, wie gut die alten Ärzte am 
Krankenbette bei ihren oft unvollkommenen Untersuchungsmethoden be- 
obachtet haben. Wenn wir glaubten, in ätiologischer Beziehung Altes 
völlig über Bord werfen zu müssen, so kam nicht selten das schein- 
bare Überwundene in etwas veränderter Form und Einkleidung wieder 
zu uns. Zum Beispiel dachten wir auf urologischem Gebiete ohne 
„essentielle Hämaturie“ auskommen zu können, besonders in der Zeit, 
als wir mit Hilfe von Zystoskop und Ureterkatheter die Häufigkeit der 
Nierentuberkulose kenen lernten. Wir wissen jetzt aber — ich selbst 
habe einen solchen Fall operiert — daß starke Nierenblutungen ohne 
Tumor, ohne Tuberkulose und ohne Steine vorkommen. Ähnlich liegen 
die Dinge bei der reizbaren Blase (irritable bladder), oder wie man 
es früher auch nannte, bei den nervösen Blasenbeschwerden des 
Weibes. Gewiß sind tuberkulöse Erkrankungen des Harnapparate:. 
ja vielleicht gar einfache Zystitiden früher übersehen und wurden da- 
für fälschlich „nervöse‘“ Blasenbeschwerden angenommen. Aber m. E. 
müssen wir Blasenbeschwerden unangenehnster und heftigster Art ohne 
zystoskopischen Befund auch heute noch als vorhanden erklären. Wenn 
ich nun auch zugeben muß, daß die Zystoskopie das dunkle Gebiet 
der irritable bladder nicht völlig aufgeklärt hat, so möchte ich doch 
dafür plaidieren, die Diagnose „nervöse“ Blasenbeschwerden möglichst 
einzuschränken. Das ist mit Vorteil möglich, wenn wir nur immer be- 
müht sind, den pathologischen Prozeß im Becken oder, wo das nicht 
mäglich ist, den krankhaften Zustand des gesamten Körpers, von dem 
die Blasenbeschwerden nur ein Teil sind, herauszufinden und für die 
Bezeichnung unserer Diagnose zu verwenden. Wenn beispielsweise 
Tumoren des Uterus wie Myome oder Analfissuren oder Hämatozelen 
Tenesmus erzeugen, so darf m. A. n. nicht von nervösen Blasenbe- 
schwerden gesprochen werden. Wenn zu Beginn der Periode von jungen 
Mädchen über Harndrang geklagt wird, so ist zweifellos die Hyper- 
ämie der gesamten Beckenorgane Schuld an den Blasenbeschwerden. 
Bestehen doch auch gar nicht selten bei verheirateten Frauen während 
der Periode Veränderungen bei der Stuhlentleerung, die wir auch nicht 
als nervös zu bezeichnen pflegen. Gar nicht selten hatten bei meinen 
Patientinnen, die an seniler Kolpitis litten, die Frauen selbst und teil- 
weise ihre Ärzte ein Blasenleiden angenommen, weil die Urinentleerung 
ein Brennen veranlaßt hatte. Als bewiesen muß ferner gelten, daß die 
Tabes und Myelitiden, seltener auch Tumoren des Rückenmarkes im 
Beginn der Erkrankung Steigerung des Harndranges und andere 


Über Blasenbeschwerden des Weibes ohne zystoskopischen Befund. 211 


Blasenbeschwerden hervorrufen können. Besteht eine ausgesprochene 
Hysterie, so würde ich es für falsch erklären, eine „reizbare Blase“ zu 
diagnostizieren, sondern von „hysterischen Blasenbeschwerden“ zu 
sprechen für das allein Angebrachte halten. Es war eine mit deutlichen 
hysterischen Zeichen behaftete Frau, die mich auf die hier besprochenen 
Zustände zuerst aufmerksam gemacht hat. 


Fall I. Die erste Beobachtung der Frau liegt nun schon über neun Jahre zurück; 
ich habe sie ab und zu wiedergesehen und kann versichern, daß keine objektiv nach- 
weisbare Erkrankung von Nieren oder Blase eingetreten ist. Als die damals 47 jährige 
Frau zuerst in meine Sprechstunde kam, bestand seit zehn Jahren heftigster Harndrang, 
so daß die Patientin tagsüber alle halbe Stunde und nachts etwa viermal Urin ent- 
leerte. In den zehn Krankbeitsjahren war die Frau von einer ganzen Reihe von 
Ärzten mit allen möglichen inneren Mitteln, mit Blasenspülungen und Dehnungen der 
Harnröhre vergeblich behandelt. In der Annahme, daß hier eine Tuberkulose vorlag, 
zystoskopierte ich sofort, ohne den zentrifugierten Urin mikroskopisch untersucht zu 
haben. Die zystoskopische Untersuchung ergab zu meiner Verwunderung normale 
Verhältnisse. Der darauf mehrfach mikroskopierte Urin enthielt keine pathologischen 
Bestandteile, namentlich kein Blut und keinen Eiter. Das Ergebnis meiner Unter- 
suchungen war mir so unerwartet und auffallend, daß ich die Frau veranlaßte, meinen 
Lehrer Nitze aufzusuchen. Nitze bestätigte meinen Befund und riet in Briefen, 
die noch in meinem Besitze sind, Balsamika und ev. alkalische Säuerlinge zu versuchen 
und lokal nichts zu machen. Da die Pat. Brunnen ohne Erfolg häufig getrunken 
hatte, gab ich Kapseln mit Ol. Santali in üblicher Dosis. Daneben legte ich besonderen 
Wert darauf, den Mut und das Zutrauen der Pat. zu heben und ihre Aufmerksamkeit 
von der Blase abzulenken. In den nächsten Wochen wurden zunächst die Pausen in 
der Nacht größer, erst allmählich wurde der Harndrang auch am Tage seltener. Nach 
etwa sechs Wochen erklärte die Pat. sich selbst für gesund, hatte nun aber Globus 
hysteric., welches Symptom auch früher schon ab und zu vorhanden gewesen sein soll. 


Die Beobachtung der nächsten beiden Patientinnen, deren Kranken- 
geschichten ich in Kürze folgen lasse, hat mich auf die Vermutung ge- 
bracht, daß bestimmte gelöste oder ungelöste Bestandteile des 
Urins vielleicht häufiger, als bislang angenommen wird, Harn- 
drang veranlassen kann. Wahrscheinlich werden eine Anzahl der 
als „irritable bladder“ gedeuteten Krankheiten uns auf diese Weise ver- 
ständlicher werden. 


Fall II. 26jährige Restaurationsfrau G. hatte seit zwei Jahren häufigen Harndrang, 
muß auch nachts deshalb aus dem Bette. Urotropin und Brunnen wurden ohne Er- 
folg genommen. Zystoskopisch nichts, mikroskopisch sehr viel harns. Natron, Reaktion 
des Harns stark sauer. Die Frau ist keineswegs als nervös zu bezeichnen. Therapie: 
Ol. Santali; dabei Änderung der Lebensweise empfohlen, da die Frau, die früher in 
gesunden ländlichen Verhältnissen lebte, jetzt dauernd in der Gaststube ist. Verbot 
des Bieres (? Hopfensalze). Nach vier Wochen waren die Blasenbeschwerden ver- 
schwunden und sind jetzt nach zwei Jahren nicht wiedergekehrt. 

Fall III. 1öjähriges Mädchen hatte im neunten Jahre Masern (? Scharlach), 
daran anschließend häufiger das Bedürfnis Wasser zu lassen, und falls diesem Drange 
nicht gleich nachgegeben wird, unwillkürlicher Abgang des Urins. Seit ?/, Jahren 
menstruiert das Mädchen, und seitdem sind die Beschwerden besonders groß, nament- 
lich in den Tagen der Blutung. 

Objektiver Befund: starke Hypertrophie und dunkle Pigmentation der kl. 
Labien und der Klitoris (Onanie eingestanden), der zentrifugierte Harn enthält mehr 
Epithelien der unteren und oberen Harnwege (keine Zylinder, ganz spärliche Leuko- 
zyten) als man gewöhnlich findet; sonst alles normal. 

Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 15 


312 P.Rißmann. Über Blasenbeschwerden des Weibes ohne zystoskopischen Befund. 


14tägige Anstaltsbehandlung, teilweise der genaueren Beobachtung wegen und 
teilweise, um Bettruhe und psychische Behandlung durchführen zu können. Intern 
keine Medikation, die letzten Tage Elektrisieren. Völlige Heilung. Das Mädchen 
kam nach der Entlassung noch wochenlang in die Poliklinik und war ohne Beschwerden. 

Gewiß werden die abnormen geschlechtlichen Reizungen in unserem 
letzten Falle bei der Krankheit nicht ohne Bedeutung gewesen sein. 
Ich glaube, daß geschlechtliche Aufregungen auch bei dem vierten Falle 
mitspielten, muß jedoch zugeben, daß wir es hier tatsächlich mit einer 
ungemein nervösen jungen Dame zu tun hatten. Übrigens handelte es 
sich um die leichteste Erkrankung unter meinen Beobachtungen. 

Fall IV. Verlobte, will in zwei Monaten heiraten. Weint leicht, hat Gesichts- 
ziehen, Stuhlgangsbeschwerden und häufigen Urindrang (nachts 2—3 malige Unter- 
brechung der Nachtruhe). Da ich zystoskopisch und chemisch-mikroskopisch nichts 
Pathologisches gefunden batte, versuchte ich psychisch einzuwirken. Schon bei der 
nächsten Konsultation sagte die Patientin, daß das Drängen auf das Wasser besser 
sei, dafür seien jetzt Kopfschmerzen vorhanden. Die Besserung der Blasenbeschwerden 
hat sicher vier Wochen angehalten (später ist mir die Pat. aus den Augen gekommen). 

Als einen reinen Fall nervöser oder neurasthenischer Blasenbe- 
schwerden möchte ich nur meinen fünften Fall bezeichnen, jedenfalls 
muß ich bekennen, daß ich außer Neurasthenie keine Anhaltspunkte zur 
Erklärung der Blasensymptome anführen kann. o 

Fall V. 28jährige, geistig sehr angeregte Lehrersfrau. Zystoskopiert und Urin- 
untersuchung ohne Ergebnis. Heftiger Harndrang besteht set Lil, Jahren, so daß 
Pat. tags alle halben Stunden wenig Wasser entleeren muß und rachts meist viermal 
das Bett verläßt. Pat. schläft schlecht, zittert nach Vorträgen stundenlang. 3. Febr. 
Ol. Santali, psychische Einwirkung, Ruhe, Pflege und frische Luft empfohlen. Zu- 
nehmende Besserung, am 2. März betrachtet sich die Pat. selbst als geheilt. 

So sehr ich das Zystoskop und den Harnleiterkatheter schätze, bin 
ich, durch die oben berichteten und anderen Erfahrungen belehrt, doch 
von einer allzu schnellen Anwendung dieser Instrumente zurück- 
gekommen. Namentlich schicke ich jetzt dem Gebrauche des Zysto- 
skops eine genaue chemische Untersuchung des Harnes und die mikro- 
skopische Betrachtung des zentrifugierten Urins stets voran. Bei 
Katarrhen der Blase behandle ich zunächst intern oder mit Spülungen, 
eine Lehre, die Nitze seinen Schülern auch zu geben pflegte, die aber 
früher von mir und, wie ich in manchen neueren Veröffentlichungen 
sehe, auch von anderen Ärzten außer acht gelassen wird. 

Was die Therapie solcher Blasenbeschwerden ohne lokalen, objektiven 
Befund anbetrifft, so hilft in manchen Fällen schon allein die psychische 
Behandlung, die Wachsuggestion, ev. mit Zuhilfenahme der Elektrizität. 
Bei hartnäckigen Fällen halte ich die Hypnose wohl für berechtigt. 

Innerlich habe ich mit Vorteil Kapseln mit Ol. Santali gegeben, 
während das neuerdings empfohlene Santyl teilweise nicht gern ge- 
nommen wurde. Dabei darf die Rücksichtnahme auf die gesamte Lebens- 
weise der Kranken, auf die Diät, auf Bewegung in frischer Luft und 
ähnliches nicht außer acht gelassen werden. Direkt zu warnen ist nach 
meinen Erfahrungen vor Trinkkuren, vor den üblichen Harndesinfizien- 
zien und vor Blasenspülungen, wie überhaupt vor jeder lokalen Therapie. 


(Aus der Kgl. Universitätsfrauenklinik Marburg. Direktor Prof. Dr. Stoeckel). 


Über die Behandlung der Enuresis nocturna mittels epiduraler 
Injektionen nebst experimentellen Versuchen über die Ätiologie 
dieser Erkrankung. 

Von 
H. Sieber, Assistenten der Klinik. 

(Mit 3 Textfiguren.) 


In Nr.1 desZentralblattes für Gynäkologie1909 hat Prof.Stöckel über 
die Resultate berichtet, welche er mit den von Cathélin in der Uro- 
logie empfohlenen sogenannten epiduralen Injektionen auf dem bisher 
nicht betretenen Gebiet der Geburtshilfe zwecks Linderung des Wehen- 
schmerzes zu verzeichnen hatte. Zugleich hat er erwähnt, daß auch 
auf urologischem Felde von dieser Methode gute Erfolge gesehen wurden. 
Über letztere soll in folgendem Näheres mitgeteilt werden. 

Die Ansichten über den Nutzen der besagten Behandlungsart sind 
nicht bei allen Autoren dieselben, und ein Teil der Fachleute steht dem 
Verfahren ziemlich skeptisch gegenüber. Andererseits fehlt es nicht an 
zahlreichen Stimmen, die sich sehr befriedigt aussprechen. 

Cathe&lin (8), der Erfinder der Methode, hoffte eine ungefährlichere 
Anästhesierungsart an die Stelle der Lumbalanästhesie setzen zu können. 
Seine Erwartungen wurden nicht erfüllt. Er hält jedoch das Vorgehen 
für geeignet, um z. B. bei inoperablem Rektumkarzinom die Schmerzen 
zu beseitigen. Zu derselben Zeit empfahl auch Sicard (37) die Ein- 
spritzung in den epiduralen Raum, um besonders bei Operationen an 
den unteren Extremitäten Analgesie zu erzeugen. Nicht befriedigt über 
seine Erfolge spricht sich dagegen Tuffier (41) aus. Viel versprach 
sich Brocard (3) von der neuen Methode bei der Bekämpfung von 
Neuralgien verschiedener Art und glaubt, ihr eine bedeutende Zukunft 
prophezeien zu können. Die erste Veröffentlichung nebst Mitteilung 
verschiedener Erfolge bei Inkontinenz stammt von Albarran und 
Cath6lin (1). Weiterhin teilt Lumeau (28) unter 9 Fällen 4 Heilungen 
und 4 Bessernngen des Leidens mit, und Frank (19) sah in einem 
größeren Teil seiner Fälle gute Resultate. Nur mäßigen Erfolg erzielte 
Reynès (35) mit dieser Therapie. Cathelin (9) berichtet ferner über 
meist günstige Resultate bei 11 Kindern. Le Clerc Dandoy und 
Hermans (14) hatten alle so behandelten Enuresen vollständig geheilt. 
Nachdem Cathclin (10 u. 11) eine sehr große Zahl von Fällen (ca. 2000) 


15* 


214 H. Sieber. 


mit diesen Injektionen behandelt hatte, spricht er von 75°/, Heilung, 
einem Prozentsatz, der etwas hoch gegriffen zu sein scheint, von Kap- 
sammer (26) aber noch übertroffen wird. Dieser hatte außerordentlich 
gute Effekte zu verzeichnen, denn von 31 Fällen wurden 25 vollständig 
hergestellt, 6 entzogen sich, wesentlich gebessert, der Behandlung. 
Strauß (38) hat von 6 Fällen 3 geheilt und 3 gebessert. Bei 6 Kindern 
erzielte Masmonteil (29) Heilung und bei 3 Besserung unter ins- 
gesamt 10 Fällen, während Preindelsberger (33) von 6 Fällen 4 voll- 
kommen heilte. Valentine und Townsend (42) sind mit der Methode 
wohl zufrieden, Vialle (43) dagegen hat bei Erwachsenen keinen Er- 
folg gesehen. Strauß (39) hinwiederum behandelte Erwachsene ohne 
Mißerfolg, während er von 8 Kindern nur zwei geheilt hat. Kapsammer 
(27) hatte unter einem größeren Material, nämlich 45 Fällen, 38 Heilungen 
nebst 5 Besserungen erzielt. Recht günstig spricht sich auch Millon (30) 
aus, und Cantas (6 u. 7) ist ein begeisterter Anhänger dieser Ein- 
spritzung. Er hat von 15 Kindern 13 geheilt und die 2 anderen ge 
bessert; ebenfalls glänzende Resultate hatten D&jardin (15) mit Waroun. 
sowie Scharff (36). Die ersteren hatten von 10 Fällen 9 mal, Scharff 
in 75°% Erfolg zu verzeichnen. Preindelsberger (34), Goldberg 
(22 u. 23), Hirsch (24), Freeman (20) und Pelz (32) erklären sich als 
Anhänger, von Eiselsberg (34) und Goetzel (21) sprechen sich gegen 
das Verfahren aus. Hirsch hatte 81,5°, seiner Kranken zur Heilung 
gebracht und bei 11,1%, wesentliche Besserung herbeigeführt, In einer 
späteren Veröffentlichung (25) gibt er 80°/, Heilungen und 13%, Besse- 
rungen an. Günstiges haben auch Brusi (4), Forbät (18) und Buzi (d) 
über die Anwendung der Injektion mitzuteilen. Cavalieri (12) wie 
auch Terrien (40) und Dcschamps (16 u. 17) treten für die Be 
handlungsweise ein. Barbier (2) veröffentlicht 13 Fälle von Enuresis. 
von denen 9 durch epidurale Injektion vollständig geheilt und 2 ent- 
schieden gebessert wurden, 2 Fälle wurden nach deutlicher Besserung 
aus den Augen verloren. 

Was die Art der Injektionsflüssigkeit betrifft, so herrscht auch 
hier keine Einigkeit. Es sprechen sich Déjardin, Waroux, Freeman 
und Cavalieri nur für physiologische Kochsalzlösung, Cantas, Hirsch 
und besonders Strauß nur für Kokainlösung aus, während ein dritter 
Teil der Autoren, nämlich Cath6lin, Kapsammer, Masmonteil. 
Buzi, Deschamps und Terrien beide Lösungen benutzen, ohne 
große Unterschiede in der Wirkung feststellen zu können. Auch die 
Menge der Injektion ist großen Schwankungen bei den verschiedenen 
Praktikern unterworfen. So injiziert Hirsch 15—20 cem, Brusi und 
Cantas, welcher kleinere Dosen für weniger wirksam hält, 10 ccm. 
Cathélin 10—15. Déschamps und Terrien 10—20, Albarran und 
Cathélin 15—20, Kapsammer, Déjardin und Waroux 10—40 cem. 
Die Konzentration der Kokainlösung wird von Cathélin 0,5—1 °% 
Kapsammer 0,5°%,, Strauß 0,1%% und Buzi 1°% angegeben; auf eine 
Injektion geben Hirsch 0,001 g, Déschamps und Terrien 0,0058: 


Über die Behandlung der Enuresis nocturna usw. 215 


Cantas 0,01—0,02 g Kokain. Albarran und Cathölin empfahlen an- 
fangs bei Kokainanwendung nur 1 ccm einer 2°/, Lösung zu injizieren. 
Zugleich halten sie es für angebracht, eine Zeitlang jeden zweiten 
"Tag eine Injektion zu machen, bis sich der Erfolg einstellt. Forbät 
gibt bis zu 25 und 30 Injektionen, und D&schamps und Terrien wieder- 
holen dieselben alle 3—4—5 Tage. Kapsammer endlich wendet diese 
Behandlung durchschnittlich dreimal in der Woche an und hält es für 
ratsam, es in keinem Falle bei einer Einspritzung bewenden zu lassen, 
auch wenn das Leiden schon nach dieser behoben erscheint, sondern 
stets 2—3 Injektionen in kürzeren Zwischenräumen auszuführen. Diese 
Forderung halten wir für wohlberechtigt und sehen vermutungsweise 
den Grund für den teilweise unzureichenden Erfolg in unseren Fällen darin, 
daß oft äußere Umstände die Erfüllung jener Forderung verhindert haben. 
Wir haben über 10 Fälle zu berichten, welche sich über alle Alters- 
klassen verteilen. 


Fall I. 43jähr. Pat. leidet seit einigen Jahren an öfterem Bettnässen. Urin- 
befund normal. 12. XII. 07. Injektion von 30 ccm physiologischer Kochsalzlösung 
bleibt ohne Erfolg auf die Enuresis nocturna. Nach genauer Untersuchung des 
Nervensystems wird multiple Sklerose mit großer Wahrscheinlichkeit festgestellt, 

Fall II. 25jähr. Pat. mit gesunden Organen und normalem Urinbefund, seit 
früher Kindbeit fast jede Nacht Bettnässen. Mit 12, 13 und 19 Jahren jedesmal 
länger dauernde ärztliche Behandlung mit Hydrotherapie, wie kalte Sitzbäder, Wasser- 
treten, Duschen usw., ohne jeden Erfolg. Die Symptome sollen sich im Gegenteil 
noch verstärkt haben. 

1. XI. 07. Epidurale Injektion von 20 ccm physiolugischer Kochsalzlösung, 
darnach 3 Wochen lang nur einmal wöchentlich Enuresis, dann wie vor der Injektion. 

29. XI. 07. Epidurale Injektion von 25 ccm physiologischer Kochsalzlösung; genau 
derselbe Erfolg. 

6. III. 08. Epidurale Injektion von 20 ccm physiologischer Kochsalzlösung mit 
demselben Erfolg. 

30. III. 08. Epidurale Injektion von 30 ccm physiologischer Kochsalzlösung 
plus 0,15 Novocain-Suprarenin (Höchst), wieder mit dem gleichen Erfolg. Seit der 
Gravidität (Anfang August 08) nur einmal wöchentlich Bettnässen, jedoch in den letzten 
14 Tagen (15.—30. III. 09) wieder jede zweite Nacht. 

Fall III. 19jähr. Pat. Anamnese ohne Besonderheiten. Seit der Jugend 
Enuresis nocturna. In letzter Zeit mehrmals wöchentlich. Oft, aber ohne Erfolg be- 
straft. Bisher nicht behandelt. Seit vielen Jahren Erschwerung der Nasenatmung, 
Urin o. B. 

19. X. 08. 0,2 Novocain-Suprarenin (Höchst) plus 30 ccm physiologischer Koch- 
salzlösung epidural injiziert. In der darauffolgenden Nacht Bettnässen. Bis 27. X. 
trocken, dann am 28. und 31. wieder Enuresis. Pat. wird wegen Schwellung der 
Nasenschleimhaut behandelt, darmach soll die Enuresis nicht wieder aufgetreten sein. 

Fall IV. 17jähr. Pat., gesund. Leidet seit Jahren alle paar Wochen an Enuresis 
nocturna. Urinuntersuchung ergibt nichts Pathologisches. 

13. XII. 07. Injektion von 15 ccm physiologischer Kochsalzlösung. Sofort dauern- 
der und voller Erfolg über 1'/, Jahr. 

Fall V. (Schwester von Fall IV.) 16jähr. Pat. leidet seit vielen Jahren an 
Enuresis nocturna, die alle 3—4 Wochen und zwar meist mehrere Nächte hinter- 
einander auftritt. Sonst keine Erkrankung festzustellen. Urinbefund normal. 

28. IV. 08. Injektion von 15 ccım physiologischer Kochsalzlösung. Einen Monat 
trocken, dann wie zuvor. Nach allgemeiner Faradisation, kalten Spritzduschen auf 
die Blasengegend und Kreuzbeinmassage seit !/, Jahr vom Leiden verschont geblieben. 


216 H. Sieber. 


Fall VI. 14jähr. Pat., seit frühester Jugend Enuresis nocturna. Mehrmals 
jede Nacht; nie bestraft; bisher unbehandelt. Keine Organerkrankung nachweisbar. 
Urin zeigt keine Absonderlichkeiten. 

23. VI. 08. 0,2 Novocain-Suprarenin (Höchst) plus 20 ccm physiologischer Koch- 
salzlösung epidural injiziert. Darauf 4 Wochen absolut trocken. Von da ab ca. alle 
14 Tage einmal, später jede Woohe ca. zweimal Bettnässen, deshalb 

19. X. 08 nochmals Injektion von 0,2 Novocain-Suprarenin (Höchst) plus 20 Go 
physiologischer Kochsalzlösung. 2 Tage später einmal Bettnässen, 10 und 15 Tage 
später wieder einmal. Hat sich nicht wieder vorgestellt. 

Fall VII. 12jähr. Pat. Seit früher Jugend jede Nacht naß; sonst gesund. 
Urin o. B. 

5. IV. 08. 7 ccm physiologischer Kochsalzlösung. Eine Nacht mit Erfolg, dann 
wie vorher. 

15. IV. 08. 23ccm physiologischer Kochsalzlösung mit nur vorübergehendem Erfolg. 

Fall VIII (Schwester vom Fall 6). 7jährige Patientin näßt seit früher Jugend 
jede Nacht das Bett. Einzelne Organe ohne pathologischen Befund, desgleichen Urin. 

24. 4. 08. 12 ocm physiologische Kochsalzlösung epidural injiziert, bringt keine 
Besserung des Leidens mit sich. 

Fall IX. 7jähr. Pat., von Jugend auf an unregelmäßigen Anfällen von Enuresis 
leidend. Dieselben treten bei Erkältung häufiger auf, im übrigen ist Pat. gesund, der 
Urin zeigt nichts Absonderliches. 

11. II. 08. 20 cem physiologischer Kochsalzlösung. Darnach noch zweimaliges 
Auftreten des Bettnässens. Seit einem Jahr dauernd trocken. 

Fall X. 6jähr. Pat. hat keine besonderen Krankheiten überstanden, leidet aber 
von Jugend auf jede Nacht an Bettnässen. 

1. 1V. 08. Epidurale Injektion von 10 ccm einer 1°), Novocainlösung. Enuresis 
verschwindet sofort. Patientin bleibt 5 Tage unter Beobachtung, ohne daß Bettnässen 
eintritt. Wird geheilt entlassen. Eltern lassen nichts von ihrer Tochter hören. 


Leider haben wir weder über ein großes Material von Enuresis 
nocturna zu verfügen, noch können diese Resultate — 3 Heilungen, 
2 dauernde Besserungen, 3 vorübergehende Besserungen und 2 Miß- 
erfolge — den Anspruch erheben, glänzend genannt zu werden. Einen 
Teil der Schuld hieran wird vielleicht der Umstand tragen, daß die 
Injektionen zu selten gemacht wurden. 7 Fälle erhielten nur eine 
einzige Injektion. Der Grund lag in äußeren Verhältnissen; teils waren 
die Patienten von auswärts zugereist und wollten sich nicht zu weiterer 
Behandlung länger aufhalten, teils blieben dieselben fern, weil sie nicht 
an eine vollständige Heilung glaubten. Jedenfalls aber wird auch aus 
den wenigen Fällen jedermann ersehen können, daß bei wirklicher 
Enuresis nocturna idiopathica, die also nicht ein Begleitsymptom einer 
organischen Erkrankung, wie z. B. höchstwahrscheinlich im Fall II, ist, 
ein gewisser Einfluß der epiduralen Injektionen auf die nächtlichen 
Blasenentleerungen statthat. 

Was die Technik betrifft, so ist dieselbe sowohl in der Cathe&lin- 
schen, von Strauß übersetzten Monographie (16) ausführlich, als auch 
kürzer von Stöckel (l.c.) — dort mit sehr schönen Abbildungen — 
beschrieben, so daß hier darauf nicht eingegangen zu werden braucht. 
Frwähnt soll nur werden, daß die Ausführung in den meisten Fällen 
sehr leicht ist, und daß wir unter den nunmehr ca. 200 geburtshilflichen 
Füllen keinem einzigen begegneten, hei welchem die Technik auf 


Über die Behandlung der Enuresis nocturna usw. 217 


Schwierigkeiten gestoßen wäre. Spritzt man mehr als 5 ccm ein, so 
läßt sich, wenn die Nadel sich einmal nicht im Canalis sacralis befinden 
sollte, diese Tatsache bei einiger Achtsamkeit daran erkennen, daß im 
umgebenden Gewebe eine Infiltration entsteht, die sich auch dem Auge 
bemerkbar macht. Außerdem fließt dann stets aus der steckengelassenen 
Kanüle die Flüssigkeit tropfenweise zurück, während bei richtig liegender 
Nadel dies niemals vorkommt, selbst wenn 80 ccm eingespritzt werden 
und zu den letzten Mengen ein großer Stempeldruck erforderlich war. 
Eine Anästhesierung der Einstichstelle ist nicht erforderlich; der Ein- 
stich ist nicht schmerzhafter als bei irgendeiner anderen Injektion. Einen 
merkbaren Unterschied zwischen Novocainlösung und physiologischer 
Kochsalzlösung konnten wir in der Wirkung nicht feststellen. Da die 
Methode sicher unschädlich und bei Einhalten der gewöhnlichen asep- 
tischen Regeln ungefährlich ist, so ist ein Versuch mit derselben bei 
hartnäckigen Enuresen unbedingt zu empfehlen. Manchen Praktikern 
wird vielleicht die Tatsache, daß man mit epiduralen Injektionen manche 
Enuresis bessern und manche heilen kann, genügen, und wir dürfen 
uns auch, obgleich über die Art und Weise der Wirkung noch manches 
Dunkel gebreitet ist, nicht abhalten lassen, trotzdem diese Therapie an- 
zuwenden. Andererseits widerstrebt es dem wissenschaftlich denkenden 
Arzt einigermaßen, Mittel anzuwenden, über deren Effekt auf den 
menschlichen Körper er sich kein rechtes Bild machen kann. So ist 
es begreiflich, daß verschiedene Theorien ausgedacht wurden, wie man 
sich wohl die Einwirkung der Injektionen auf das Leiden vorzustellen hat. 

Cath&lin und mit ihm verschiedene andere Autoren nehmen eine 
direkte mechanische Einwirkung auf die im Sakralkanal gelegenen 
Nervenwurzeln resp. die Cauda equina an und Cath6lin spricht von 
einem „vertebralen Traumatismus“. Dies mag z. B. bei Verwen- 
dung von größeren Mengen über 10 ccm schon zutreffen, erklärt aber 
nicht die sicher festgestellte Wirkung kleinerer Mengen. Für diese 
Fälle ist doch mehr ein chemotaktischer Einfluß auf die Nerven- 
elemente und hierdurch eine Änderung in ihrem physiologischen Ver- 
halten anzunehmen. Wenn auch die Resorption von Stoffen, wie 
Stoeckel (l. c.) gezeigt hat, in diesem epiduralen Raum keine rasche 
ist, und die voh der injizierten Flüssigkeit umspülten Nervenwurzeln 
noch von der Dura umschlossen sind, so muß doch ein Fortschreiten 
des ausgeübten Reizes von der Dura auf die Nervenwurzeln angenommen 
werden. Chat&6lin meint nun, daß der auf die Nerven ausgeübte Reiz 
sich bis zum spinalen Zentrum fortpflanze und bei diesem eine Funk- 
tionsänderung hervorrufe. Jabouley glaubt an eine Übertragung 
der Nervenerregung auf den Plexus hypogastrieus und Kapsammer 
nimmt mit verschiedenen anderen Autoren eine Tonuserhöhung des 
Sphincter internus zugleich mit einer Relaxation des Detrusors urinae 
durch nervösen Chok an. Cantas (6) glaubt an eine Dehnung der 
Nervenwurzeln, weil mit der Erhöhung des Injektionsquantums der 
Effekt steige, eine Erfahrung, die wir auf geburtshilflichem Gebiet, wo 


218 H. Sieber. 


bis 80 cem injiziert wurden, nicht machen konnten. Die Erklärung 
der Wirkungsweise der epiduralen Injektion läßt sich erst dann 
definitiv geben, wenn die Ursache des Bettnässens, die durch die 
Injektion behoben wird, bekannt ist. Diese Ursache hinwiederum ist 
dann zu ergründen, wenn der normale Mechanismus der Urin- 
entleerung, der bei dem Leiden eine Störung erfährt, festgestellt ist. 

Hierzu müssen wir uns kurz die einschlägigen anatomischen und phy- 
siologischen Verhältnisse der Blase vergegenwärtigen. Man unterscheidet 
bei der Blase bekanntlich im wesentlichen zwei Schichten glatter Muskel- 
fasern, eine äußere längsverlaufende, welche den sog. Musculus 
detrusor urinae darstellt, und eine unter dieser gelegene Ring- 
faserschicht, die sich am Blasenhals zum Musculus sphincter 
vesicae internus verdichtet. Dem aus quergestreiften Muskelfasern 
bestehenden, der Willkür unterworfenen Musculus sphincter vesicae 
externus des Mannes entspricht bei der Frau der Musculus sphincter 
urogenitalis (Kalischer). 

Was die motorische Innervation der Blase betrifft, so sind die 
Einzelheiten noch nicht definitiv festgelegt. Sicher ist, daß zwei 
Bahnen existieren: die eine von den letzten vorderen Lumbalwurzeln 
über den Grenzstrang des Sympathikus und das Ganglion mesentericum 
inferius zum Plexus hypogastricus (resp. vesicalis), die andere von der 
zweiten und dritten vorderen Sakralwurzel über den Nervus erigens 
zum Plexus hypogastricus (resp. vesicalis) (Langendorff in Nagels 
Lehrbuch der Physiologie). 

Das Blasenzentrum sitzt nach Langendorff etwa im zweiten bis 
vierten Sakralsegment Es müßten also nach seiner Ansicht alle sen- 
siblen Reize der Peripherie und von der Blasenwand solche, welche 
in die zweite und dritte hintere Sakralwurzel eintreten, dieses Zentrum 
benutzen. Aber weder Durchschneidung des Rückenmarks oberhalb der 
Pars lumbalis noch Entfernung dieser und der Pars sacralis (Goltz und 
Ewald, Müller) haben dauernd eine Beeinträchtigung der Reflextätig- 
keit der Blase zur Folge; also ist weder das Gehirn noch auch das 
Lumbosakralmark zur Ausübung dieser Funktion absolut nötig. Diese 
Tatsache bedingt das Vorhandensein eines weiteren Reflexzentrums, und 
dieses ist auch tatsächlich gefunden und gehört dem sympathischen 
System an. Es wurde festgestellt, daß das Ganglion mesentericum in- 
ferius ein Reflexzentrum der Blase darstell. Wir kommen hiermit 
auf das noch ziemlich dunkle und sehr schwierige Gebiet des Sym- 
pathikus. Eine erhebliche Erschwerung der Forschung auf diesem Felde 
beruht darauf, daß Experimente am Menschen bedeutende Schwierig- 
keiten bieten, und daß die Versuchstiere zum Teil andere anatomische 
Anlagen des Sympathikus als der Mensch zeigen. Langley, der sich 
besonders eingehend mit der Physiologie des Sympathikus beschäftigt 
hat, stellte vor einigen Jahren folgende Einteilung des Systems auf: 
Es ist zu unterscheiden zwischen 1. dem Grenzstrang des Sympathi- 
kus mit seinen Ganglien, 2. den sog. autonomen Systemen, nämlich 


Über die Behandlung der Enuresis nocturna usw. 219 


dem bulbären, dem sakralen und den peripheren sympathischen Ganglien. 
Das sympathische System ist anzusehen als zwei hintereinander ge- 
schaltete Nervenelemente, von welchen jedes in Hinsicht auf die tro- 
phischen und funktionellen Beziehungen als selbständig und unabhängig 
anzusehen ist. Denn einerseits ziehen die weißen Rami communicantes 
aus den vorderen Rückenmarkswurzeln zu den sympathischen Ganglien 
und endigen dort mit einem Endbäumchen (präzelluläre [Kölliker], 
präganglionäre [Langley] Faser), welches dann die eigentliche sym- 
pathische Zelle umspinnt. Von letzterer geht dann andererseits der 
Achsenzylindecr zum (Gewebe (postzelluläre, postganglionäre Faser; 
motorische Eingeweidenerven I. und II. Ordnung [Kölliker]. Nach 
Langley gehen zu jedem Spinalnerven durch einen grauen Ramus 
communicans postganglionäre sympathische Fasern, während nur ein 
Teil der Spinalnerven, nämlich der erste Dorsal- bis fünfte Lumbal- 


nerv — beim Menschen wahrscheinlich nur bis zum dritten Lumbal- 
nerven —, präganglionäre Fasern zu den sympathischen Ganglien ab- 


geben. Der Sakralteil des Grenzstranges erhält also nach Langley 
keine spinalen Fasern. Deshalb tritt hier das autonome sakrale System 
ein. Seine aus dem Sakralmark stammenden präzellulären Fasern ziehen 
im Nervus erigens zu den Ganglien des Plexus hypogastricus, die post- 
zellulären von da zur Blasenwand. Weiter wird, wie wir oben ge- 
sehen haben, die Blase innerviert von einem autonomen peripheren 
Ganglion aus, dem Ganglion mesentericum inferius. Dieses erhält (bei 
der Katze) vom ersten bis vierten Lumbalnerven über den Grenzstrang 
seine präganglionären Fasern und sendet (beim Tier) unter anderem die 
beiden Nervi hypogastrici nach abwärts zur Blase. Soweit Langley. 

Beim Menschen findet sich nun kein Nervus hypogastricus, sondern 
nur der viel umfassende Plexus hypogastricus. Daß das Ggl. mesen- 
tericum inferius Reflexfunktionen für die Blase ausübt, wird durch die 
Tatsache bewiesen, daß nach Durchtrennung der Verbindungen des 
Ganglion mit dem Rückenmark und Durchschneidung eines Nervus 
hypogastricus bei Reizung des zentralen Stumpfes desselben eine Kon- 
traktion auf der anderen Seite der Blase eintritt. Wenn das Ganglion 
funktionsunfähig gemacht ist oder die präzellulären Fasern durchschnitten 
oder degeneriert sind, so tritt der Reflex nicht mehr ein. Er muß also 
im Ganglion vor sich gehen und durch präzelluläre Fasern vermittelt 
werden. Eine präzelluläre Faser, welche nicht in dem besagten Gan- 
glion endigt, sondern es durchläuft bis zu einem noch mehr peripher 
gelegenen Ganglion, gibt in dem ersteren eine Kollaterale ab. In der 
präzellulären Faser läuft nun der Reiz „antidrom“ bis zur Kollateralen 
im Ganglion und wirkt durch diese auf die Zellen des Ganglions und 
ihre (postganglionären) Fortsätze (präganglionärer Axonreflex [Langley)). 
Möglich sind nach Langley auch postganglionäre Axonreflexe. Alle 
Teile des sympathischen Systems enthalten zentripetale Fasern, welche 
dem Rückenmark angehören und durch die weißen Rami communi- 
cantes in dasselbe eintreten. Ob auch die grauen Rami sensible Fasern 


ARNI zi 


nie nicht in U | 


H: 


Am Eé SS 


t’ GI 
D 


sem pati nien r 


i dest Se ai 


dr dé dx "NA? 


GU diè Sun: "bes 


Kai 





Über die Behandlung der Enuresis nocturna usw. 221 


eine starke Kontraktion der Blase zur Folge haben (Schultz, l. c.; 
Wlasow, Referat im Zentralbl. für Physiol. 1904, 24). Die Blasen- 
funktionen würden nach Langley u.a. vom Grenzstrang des Sympathi- 
kus nicht beeinflußt werden. Dieser Ansicht steht die Tatsache ent- 
gegen, daß erstens von den sympathischen Sakralganglien graue Rami 
zum Nervus erigens ziehen und zweitens auch direkt vom Grenzstrang 
durch den Plexus vesicalis zahlreiche Fasern zur Blase gehen!). Man 
möge die beigedruckte Abbildung aus Toldts anatomischem Atlas ver- 
gleichen. Dieselbe ist von Herrn Medizinalpraktikanten Bönning ge- 
zeichnet, dem hiermit auch hier der beste Dank ausgesprochen werden 
sol. Um zu versuchen, in diese Verhältnisse mehr Klarheit zu bringen 
und zugleich eventuell die Wirkungsweise der epiduralen Injektion aus- 
findig zu machen, wurden folgende Versuche an Kaninchen angestellt. 


Tierversuche. 


Versuch]. 4'/, Pfund schweres männliches Kaninchen. Äthernarkose. Es wird 
der Grenzstrang in der Höhe des zweiten bis fünften Lumbalwirbels mittels Elektrode 
gereizt. Dabei deutliche Zusammenziehung der Blase, stärkere Aktion einzelner Darm- 
partien. Nach Durchschneidung des Grenzstranges in der Höhe der Reizungsstelle 
ist wohl proximal zur Blase, aber nicht mehr distal eine Kontraktion zu erzielen. 

Der Grenzstrang verläuft in zwei dünnen Fäden hinter der Aorta zwischen den 
medialen Rändern des M. psoas nach abwärts. 

Versuch II. 5 Pfund schweres weibliches Kanivchen. Äthernarkose. Reizung 
des Grenzstranges im ganzen Lumbalteil gibt, wenn auch nicht so deutlich wie in 
Versuch 1, Kontraktion der Blase. Desgleichen wird bei Reizung des Ggl. mesenteri- 
cum inferius und des Plexus hypogastricus Zusammenziehung der Blase beobachtet. 
Die Elektrodennadel wird zwischen dem zweiten und dritten Sakralwirbel in den Sakral- 
kanal eingestochen, um die dort verlaufenden Nerven zu reizen. Es ist eine Zusammen- 
ziehung des Halsteils der Blase zu konstatieren, so daß die übrige Blase glatter als 
sonst erscheint. Diese Beobachtung, die wir mehrmals gemacht haben, steht im Gegen- 
satz zu den obigen Mitteilungen über die Kontraktionswirkung der sakralen Nerven. 


Zu bemerken ist, daß das Kaninchen sieben Lumbalwirbel besitzt, 
ferner daß beim Weibchen der paarige Plexus hypogastricus 7 mm unter- 
halb der Teilungsstelle der Aorta abdominalis aus dem Plexus aorticus 
abdominalis abgeht. Das Ggl. mesentericum inferius liegt vor der Aorta 
abdominalis etwas oberhalb der Abzweigung der Arteria mesenterica 
inferior. Auch eine Reizung des Nervus hypogastricus, welcher beinı 
Männchen aus dem vor der Arteria iliaca communis dextra liegenden 
unpaaren Ggl. hypogastricum entspringt, erzeugt Blasenkontraktion. Der 
Nerv verläuft medial von der Arteria iliaca interna dextra und vor der 
Vena iliaca interna dextra. Venae iliacae communes gibt es beim 
Kaninchen nicht, vielmehr nimmt die Cava inferior etwas oberhalb des 
Promontoriums die beiden Venae iliacae externae und die Vena iliaca 
interna communis auf, welch letztere sich tief im kleinen Becken aus 
den beiderseitigen Venae iliacae internae gebildet hat. 

D Por die liebenswürdige Beratung in diesen schwierigen Fragen bin ich Herrn 
Geheimrat Gasser zu großem Dank verpflichtet. 


299 H. Sieber. 


Versuch Ill. 6 Pfund schweres männliches Kaninchen. Äthernarkose. Reizung 
des Grenzstranges, des Ggl. mesentericum inferius, des Nervus hypogastricus, sowie 
der Sakralwurzeln im Kreuzbeinkanal ergibt dieselben Reaktionen bei der Blase, wie 
Versuch 2. Dieses Mal wurde, um die Reizung der Sakralwurzeln mit dem Auge zu 
kontrollieren, die knöcherne Hinterwand des Sakralkanals entfernt und die freiliegenden 
Wurzeln gereizt. Auch jetzt zeigt sich nur eine partielle Kontraktion der Blase 
(Collum vesicae). 

Versuch IV. 4 Pfund schweres weibliches Kaninchen. Äthernarkose. Reizung 
wie bei Versuch 2 mit demselben Erfolg. Es wird mit der Pravazschen Spritze 
eine epidurale Injektion gemacht, und zwar wird, um den Duralsack nicht anzustechen, 
die Nadel zwischen zweitem und drittem Schwanzwirbel eingestoßen, da das Filum 
terminale beim Kaninchen erst in der Höhe des zweiten Kreuzbeinwirbels beginnt. 
Als Injektionsflüssigkeit wird 1 ccm physiol. Kochsalzlösung plus 0,005 Novoc. Suprar. 
(Höchst) verwandt. Fünf Minuten nach der Injektion sind die obigen Reizeffekte 
nicht mehr zu konstatieren. Auch von den Sakralwurzeln aus erhält man keine Blasen- 
kontraktion mehr. Zugleich scheint der Herzschlag gegen vorher verlangsamt zu sein. 

Versuch V. 5t/, Pfund schweres männliches Kaninchen. Äthernarkose. Dieselben 
Versuche wie bei 4 resp. 3. Es treten nach der epiduralen Injektion — dieselbe 
Technik wie Menge — die Reizeffekte nur mehr ganz undeutlich zutage. Ebenfalls 
anscheinend Pulsverlangsamung. 

Versuch VI. 4°], Pfund schweres weibliches Kaninchen. Äthernarkose. Versuch? 
wie früher und mitdemselben Erfolge. Außerdem ergibteine Reizung von Dünndarmpartien, 
die möglichst weit von der Blase entfernt sind, deutlich außer Kontraktion dieser Teile 
solche der Harnblase. Desgleichen lassen sich vom Brust- (Rippenresektion) und Hals- 
teil des Sympathikus ebenfalls Bewegungen der Blase und anderer vom Sympathikus 
versorgter Eingeweidemuskeln auslösen. 


Wir sind uns wohl bewußt, daß solche Versuche sehr schwer ein- 
wandsfrei durchzuführen sind, da auch bei größter Sorgfalt Fehler- 
quellen in der Anordnung und Technik mit unterlaufen können. Es 
ist ferner zu beachten, daß Verblutung mit Erstickung automatische 
Blasenkontraktionen zur Folge hat (Landois). Die Narkose führte 
nie zu Asphyxie und Blut ist fast gar keines geflossen. Trotzdem ist 
es uns nach diesen Versuchen sehr wahrscheinlich, daß sich — wenigstens 
beim Kaninchen — funktionell nicht eine so strenge Scheidung in 
Grenzstrang und autonome Systeme, wie Langley annimmt, durch- 
führen läßt. Denn die Versuche zeigten uns kurz folgendes: 

1. Reizung des Hals-, Brust- und Lendenteils des Sympathikus 
haben deutliche, wenn auch manchmal schwache Kontraktion der Blase 
(neben anderen Eingeweiden) zur Folge. 

2. Nach Durchschneidung des Grenzstranges läßt sich peripher von 
der Durchschneidung (in bezug auf die Blase) keine Kontraktion der 
Blase mehr hervorrufen, sondern nur proximal. Es spricht dies dafür, 
daß der Reiz nicht auf Umwegen zur Blase gelangt. 

3. Außerdem läßt sich durch das Ggl. mesenteric. inferius und den 
Plexus (resp. Nervus) hypogastricus ein Reizeffekt auf die Blasenwand- 
muskulatur auslösen. 

4. Auch bei Reizung von Dünndarmschlingen setzte sich der Reiz 
auf die Nerven der Blasenmuskulatur fort. 

ö. Alle diese Effekte werden aufgehoben oder stark vermindert durch 
die epidurale Injektion. 


Über die Behandlung der Enuresis nocturna. 223 


6. Reizung der Sakralwurzeln im Sakralkanal bewirkt Kontraktion 
der Blase in den Halspartien (?). 

Unsere auf diese Versuche begründete Annahme der Möglichkeit 
einer Beeinflussung - des sympathischen Systems von irgendeiner Stelle 
des Sympathikus aus wurde bestärkt durch 


Beobachtungen von Menschen bei der epiduralen Injektion. 


Wir sahen konstant in einwandfreier Weise, daß bei schmerz- 
loser Injektion in den Sakralkanal während derselben eine deutliche 
Pupillenerweiterung und Beschleunigung des Pulses auftrat. 
Auch Hoffmann sah nach Reizung einiger Wurzelfäden des ersten und 
zweiten Dorsalnerven allgemeine Pupillenerweiterung. Zirka 5 Minuten 
nach der Injektion waren die Pupillen entschieden enger als vor der 
ganzen Prozedur und der Puls deutlich verlangsamt. 

Es wurde zuerst genau Puls und Pupillenweite festgestellt. Dann 
wurde die Nadel eingestochen und so lange gewartet, bis jede Reaktion 
(Pupille und Puls) vom Schmerz des Einstichs verschwunden war. 
Dann wurde vorsichtig die Spritze auf die Kanüle gesetzt und langsam 
so injiziert, daß die Pat., wie die Betreffende stets versicherte, absolut 
nichts von der Injektion spürte. Ein zuverlässiger Beobachter stellte 
währenddem die Puls- und Pupillenverhältnisse fest. Wie gesagt, finden 
wir durchweg in allen Fällen während des Einspritzens und kurze Zeit 
danach deutliche Pupillenerweiterung und Pulsbeschleunigung, die dann 
einer Pupillenverengerung und Pulsverlangsamung Platz machten, hoch- 
gradiger, als sie je zuvor bestanden hatten. Zählte der Puls vorher 
75 Schläge, so bekam die Pat. während und kurz nach der Injektion 
95—100 und nach einigen Minuten 50—60 Pulse in der Minute. Dieser 
letzte Zustand hielt ca. eine Stunde an. Wir erkennen hieraus eine 
Reizung mit nachfolgender leichter Lähmung des Sympathikus und 
müssen annehmen, daß eine Beeinflussung des sympathischen Systems 
vom Sakralkanal aus bis zu seinem anderen Ende stattgefunden hat. 
Die Erweiterungsfasern der Pupille gehen vom sympathischen Ggl. cer- 
vicale supremum durch den Plexus caroticus internus in der sog. Radix 
media zum Gel ciliare. Die Frage, ob auch von der Nasenschleimhaut 
aus, welche ja ebenfalls von Ggl. cervicale supremum Fasern erhält 
(Ggl. nasale), eine Beeinflussung des Sympathikus statthaben kann und 
so vielleicht die schmerzstillende Wirkung der Kokainpinselungen der 
Nasenschleimhaut auf den Uterus zu erklären ist — das Aufhören der 
Enuresis nach Entfernung adenoider Vegetationen aus der Nase könnte 
darauf hinweisen — diese Frage wollen wir nur streifen, und müssen 
die Entscheidung vollständig dahingestellt sein lassen. 

Nach allem aber, was wir bisher gesehen haben, müssen wir an- 
nehmen, daß zwar Gehirn und Rückenmark (Ggl. vesicospinale, beim 
Hund vierter Lumbalwirbel [Landois]) zum geregelten Mechanismus der 
Blasenentleerung notwendig sind, während der Sympathikus eine ver- 


294 H. Sieber. 


mittelnde Rolle hierbei spielt, daß aber in Ausnahmefällen sich der Vor- 
gang automatisch ohne Zutun jener Zentralorgane abspielen kann. 

Der normale Vorgang ist folgender: Bei Anfüllung der Blase 
werden durch Dehnung der Blasenwand die sensiblen Fasern derselben 
gereizt. Diese treten durch die erste bis vierte hintere Sakralwurzel, 
sowie vereinzelt durch Vermittlung des Plexus hypogastricus zum 
Kückenmark. Der Reiz pflanzt sich auf das Ggl. vesicospinale fort und von 
da zum Gehirn, wo das Gefühl der gefüllten Blase zum Ausdruck kommt. 

Der Reflex kommt erst zustande, wenn der durch das Gehirn aus- 
geübte oder vom Rückenmark automatisch bewirkte hemmende Einfluß 
aufgehoben wird. Willkürlich wird die Hemmung noch durch den 
Tonus des Musculus sphincter vesicae externus resp. Sphincter urogeni- 
talis unterstützt. Wird der Reiz zu stark oder wird die Hemmung frei- 
willig unterbrochen, so spielt sich der reflektorische Entleerungsvorgang 
ab, indem die motorischen Bahnen den Reiz in voller Stärke übermittelt 
bekommen. Voraussetzung für diese Verhältnisse ist, daß Sphinkter 
und Detrusor sich in einem aufeinander abgestimmten Tonus befinden. 
Ist das nicht der Fall und besteht eine Hypertonie des Sphinkters oder 
Detrusors, so müssen Störungen in der Reflextätigkeit des Entleerungs- 
vorganges die Folge sein. Es entsteht entsprechend Harnverhaltung 
oder Inkontinenz. Tritt nun eine Aktion des Detrusors ein, ehe eine 
Wanddehnung besteht und die sensiblen Nerven einen deutlichen Reiz 
vermitteln können, ehe also zentrale Hemmungseinflüsse wachgerufen 
werden, so resultiert eine unwillkürliche Entleerung der Blase. 

Wie Kapsammer (26) u. a., so möchten auch wir unbedingt die 
Anschauung vertreten, daß für gewöhnlich nicht der Eintritt von Urin 
in den Blasenhals als Hauptmoment das Gefühl des Harndrangs auslöst, 
sondern die Dehnung der Blasenwände bei stärkerer Füllung. Dann 
auch tritt erst der gewöhnliche Entleerungsreflex ein. Bei Enuresis 
kommt es jedoch gar nicht erst zu einer solchen Dehnung, daß ein 
sensibler Reiz durch dieselbe hervorgebracht werden könnte, sondern 
die Kontraktion des Detrusors ist das Erste. Wird, wie in den 
Fällen von einer Enuresis nocturna, bei Tage durch diese Kontraktion 
infolge Eindringens von Urin in den Blasenhals und den Spinkter ein 
gewisser Reiz ausgeübt, der zwar schwach ist, aber doch auftritt, so wird 
der Sphincter externus arretierend in Aktion treten und bei dem dann 
beginnenden Spiel von Expulsion und Arretierung wird das Gefühl des 
Harndrangs ausgelöst. Dann erst, durch den doppelten Druck auf die 
Blasenwand von außen und innen, findet hierzu eine genügende sensible 
Reizung statt. Ist die spontane Detrusorkontraktion eine recht intensive 
und häufige, so tritt das Gefühl des gesteigerten Harndrangs am größten 
Teil des Tages in Erscheinung. Es beginnt, wie gesagt, wenn der 
Gegendruck von seiten des Sphincter externus einsetzt. Der vom Blasen- 
hals-aus sich einstellende Reiz ist jedoch in tiefem Schlaf nicht stark 
genug, um Arretierungsreflexe auszulösen. Die Blasenentleerung erfolgt 
infolgedessen schon bei der ersten Detrusorkontraktion. Bei dem nicht 


Über die Behandlung der Enuresis nocturna usw. 225 


an Enuresis leidenden Menschen tritt auch im Schlafe erst bei stärkerer 
Blasendehnung ein sensibler Reiz und Kontraktion des Detrusors, zu- 
gleich aber eine automatische Hemmungswirkung vom Rückenmark aus 
ein. Wird der Reiz stark, so kommt das Individuum zum Erwachen. 

Diejenigen Fälle, wo auch eine Enuresis diurna, und zwar ohne 
Harndrang besteht, möchten wir hier nicht weiter berücksichtigen, denn 
diese stellen nach unserer Ansicht nicht das reine Krankheitsbild dar, 
' welches die Enuresis nocturna bietet. Dort muß teils eine anatomisch 
begründete Anomalie des Verschlußapparates, teils eine Unterempfindlich- 
keit dieser Partien bestehen, welche bei den Fällen alleiniger Enuresis 
nocturna nicht gefunden werden. Auch nehmen wir bei unserem Leiden 
nicht eine Schwäche des Sphinkters an, sondern glauben, daß derselbe, 
allein betrachtet, normale Verhältnisse, sowohl anatomisch als funktionell, 
zeigt. Durch die bestehende Hypertonie des Detrusors wird jedoch jenen 
eine verhältnismäßige Hypotonie aufgezwungen, welche leicht als Schwäche 
gedeutet werden kann. Kontrahiert sich der Detrusor, so wird, wie 
Wlasow (l. c.) meint, infolge der eigenartigen Bauart des Sphinkters 
dieser auseinandergezogen, d. h. geöffnet. Jene Hypertonie des Detrusors 
beruht auf nervöser Basis, und zwar beschränkt sich die physiologische 
Eigentümlichkeit nicht auf einen einzelnen Teil des Sympathikus, son- 
dern die mit dem Leiden behafteten Individuen zeigen meist einen all- 
gemein nervös alterierten Zustand. Hierfür spricht auch die Heredität 
des Leidens. In unseren Fällen finden sich zweimal Schwestern. Unsere 
Versuche lassen uns annehmen, daß irgendwelche längerdauernden 
Reize, welche das sympathische System irgendwo treffen, das- 
selbe in einen allgemeinen dauernden RBeizzustand (Hyper- 
tonie) versetzen können, der bei manchen Fällen in Enuresis noc- 
turna seinen Ausdruck findet. So erklärt sich das häufige Vorkommen 
dieser Krankheit bei Eingeweidewürmern — es sei an den Versuch der 
Dünndarmreizung erinnert — und bei adenoiden Vegetationen in der Nase. 
Möglich wäre, daß der Druck irgendwelcher innerer Organe, eventuell 
durch Verlagerung derselben, oder beispielsweise in der Nähe des Trun- 
kus gelegener vergrößerter Drüsenpakete auf den Grenzstrang oder 
periphere Ganglien einen Reiz ausübte Je tiefer sich ein solcher 
Reizzustand eingewurzelt hat, um so mehr epidurale Injektionen würden 
bis zu seinem völligen Verschwinden nötig sein. Die Fortleitung des 
irgendwo gesetzten Reizes kann man sich vielleicht nach der Art des 
von Langley angenommenen präganglionären Axonreflexes denken. Im 
Grenzstrang oder peripher verlaufende präzelluläre Fasern werden ge- 
reizt und geben durch Kollateralen den Reiz an die Nervenzellen der 
Ganglien, die sie durchlaufen, weiter (siehe Fig. 2). 

Von da tritt die postzelluläre Aktion auf das Gewebe ein. Even- 
tuell wäre auch nach Langley an die Wirkung eines postganglionären 
Axonreflexes zu denken. 

Schultz (l. c.) gibt die Möglichkeit zu, daß durch lokale Einflüsse 
gereizte Ganglien Impulse zu den Geweben abgeben. 


226 H. Sieber. 


Wenn wir also eine allgemeine Hypertonie des sympathischen Systems 
annehmen und uns dåmit teilweise auf den Standpunkt von Jaboulay u. a. 
stellen, die zwar einen alleinigen Reizzustand des sakralen Systems vor- 
aussetzen, so muß logischerweise durch die epidurale Injektion eine 
Tonusänderung des Sympathikus hervorgebracht werden. Daß die 
epiduralen Injektionen tatsächlich auf den ganzen Sympathikus Einfluß 
haben, konnten wir durch die Beobachtungen am Menschen feststellen. 
Wie jedoch im Genaueren dieser Einfluß statthat, welchen Weg er 
vom Sakralkanal aus nimmt, das zu entscheiden stößt bei dem immer 
noch nicht genügend erforschten Gebiet auf große Schwierigkeiten. Ist 
doch noch nicht einmal von allen anatomischen Autoritäten angenommen, 
daß der Sakralteil des Grenzstranges beim Menschen keine weißen 
Rami vom Rückenmark erhält. Langley läßt die sicher vorhandenen 


Präganglionäre Faser. Sympathisches Ganglion. 


€ 
.r 


D ae e wm mm geg 





Rückenmark 
= 
A 
vi ` 


Fig. 2. 
Nach einer schematischen Skizze von Langley. 
C. = Collaterale, P.G. — Postganglionäre Faser. A. — Reizungsstelle. 


direkten Verbindungen der Grenzstrangganglien mit den Bauch- 
eingeweiden ganz außer Betracht. Solcher Schwierigkeiten finden sich 
noch mehrere. Nehmen wir aber an, daß nur graue Rami vom Grenz- 
strang zu den Beckennerven entsandt werden, so kämen unseres Er- 
achtens vier Möglichkeiten für den Wirkungsweg der epiduralen In- 
jektion auf den Sympathikus in Betracht: 1. eine direkte Einwirkung 
auf den aus den Sakralwurzeln entspringenden Nervus erigens, der zum 
Plexus hypogastricus zieht. Es wäre an eine Art präzellulären Axon- 
reflexes zu denken, aber ohne antidrome Bewegung. Diesem Nerven 
sind außerdem schon graue Fasern durch einen grauen Ramus bei- 
gemengt und nach Langley beeinflussen diese grauen Fasern die 
autonomen (rebilde im Verbreitungsbezirk des spinalen Nervens; 2. könnte 
man eine „antidrome“ Bewegung im grauen Ranmus communicans zum 
Grenzstrang annehmen, wofür die prompte Pupillenerweiterung und Puls- 
beschleunigung bei schmerzloser Injektion sprechen würde; 3. wäre in 
Betracht zu ziehen, daß, wie auch Stoeckel (l.c.) an verschiedenen 
Versuchen gezeigt hat, die Flüssigkeit epidural weit in die Höhe 


Über die Behandlung der Enuresis nocturna usw. ` 227 


wandern kann und also auch die für das Ggl. mesentericum inferius 
in Betracht kommenden weißen Lumbalrami beeinflussen könnte; 4. end- 
lich kann, wie auch Stoeckel (l. c.) gezeigt hat, die Flüssigkeit zu den 
Foramina sacralia hinausdringen und die Nerven dort beeinflussen. Die 
von Langley stammende schematische Skizze, welche für die topo- 
graphischen Nervenverhältnisse bei der epiduralen Injektion in Betracht 
kommt, sei hier wiedergegeben (Fig. 3). 

Jaboulay (Soc. med. des höpiteaux de Lyon 1902) empfiehlt die 
sogenannten retrorektalen Injektionen. Er spritzt in den vor dem Kreuz- 
bein und hinter dem Rektum gelegenen Bindegewebsraum 100—200 cem 
physiologischer Kochsalzlösung und berichtet mit anderen über glänzende, 


Hint. Wurz. 


Grenzstrang 
des Sympathikus. 


Verbreitungsrichtung der 
Symp. Gangl Injektionsflüssigkeit. 

For. intervertebr. sacr. 
grauer Ramus 
communicans. 





Vord. Wurz. zum Nerv. erig. 
Fig. 3. 


Nach einer schematischen Skizze von Langley. 


auf diese Weise erreichte Erfolge. Es wird hier zwar der untere Teil 
des Grenzstrangs unmittelbar getroffen, bei der großen Injektionsmenge 
verbreitet sich jedoch die Wirkung — und das will der Autor auch — 
auch auf die spinalen Sakralplexus, so daß keine reine Sympathikuswirkung 
entsteht. Man müßte geringe Mengen anästhesierender oder reiner Koch- 
salzlösung auf diese Weise injizieren und die Wirkung auf den Sympa- 
thikus prüfen. Leider hatten wir in letzter Zeit keine Gelegenheit, diese 
Methode anzuwenden. Ohne jede Indikation dürfte sich das Verfahren 
doch nicht rechtfertigen, da die Asepsis sich hierbei etwas schwer durch- 
führen läßt. Sobald uns aber der Zufall günstig sein wird, wollen wir 
dabei die Einwirkung auf den Sympathikus studieren. Heute können 
wir unsere Ansicht über das Wesen der Enuresis nocturna dahin zu- 
sammenfassen, daß eine Sphinkterschwäche, die durch die Einspritzung 
behoben würde, wohl auszuschließen ist, daß dagegen es sich um einen 
Reizzustand des Detrusors handelt, der auf einer allgemeinen Hyper- 
tonie des sympathischen Systems beruht. Die Enuresis diurna mit ver- 
Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 16 


228 


H. Sieber. Über die Behandlung der Enuresis nocturna usw. 


mehrtem Harndrang ist der höchste Grad unseres Leidens, wo die 
Detrusorkontraktionen ad maximum gesteigert sind, so daß auch der 
Sphincter externus nicht kurze Zeit standhalten kann, die Enuresis 
diurna ohne Harndrang hat auch noch pathologische Verhältnisse ana- 
tomischer Natur zur Grundlage. 


OD si DEn Gb ra 


u En etc A 


Literatur 
über epidurale Injektionen wegen Enuresis. 


. Albarran und Cathölin, Kongreß für Urologie, Okt. 1901, und Annal. des 


mal. d. v. u. 1901. 


. Barbier, Thèse de Paris 1908. 


Brocard, Presse méd. 49, 1901, Münchn. med. Wochenschr. 41, S. 1618, 1901. 


. Brusi, Riforma med. 21, Nr. 48, 1906. 


Buzi, Policlinico Ser. Chir. Nr. 4, 1906. 


- Cantas, Presse mcd., 1. Okt. 1904. 
. Cantas, „ „ XII, 79, 1906. 
. Cathelin, Société de Biologie, April 1901, Ref., Münchn. med. Wochenschr. 


1901, 23. 


. Cathélin, Revue mensuelle des malad. de l'enfance, April 1902. 
. Cathelin, Annal. des mal. des org. gen.-urin. 21, S. 1171, und Monographie, 


übers. von Strauß, 1903. 


. Cathelin, Presse méd. Nr. 25, 1904. 

. Cavalieri, Riv. di Clin. pediatr., März 1907. 

. Chipault, Congr. franc. de Chir., 377, 1901. 

. Le Clerc-Dandoy und Hermans, Journal med. de Bruxelles 1903. 

. Dejardin (Waroux), Arch. prov. de Chir., Sept. 1904. 

. Deschamps, Prov. mcd. 1908. 

. Deschamps, Rev. d’hyg. et de med. infant. 1908. 

. Forbat, Budap. Orvosi Ujsag, Nr. 1, 1906. 

. Frank, Annal. des mal. des org. gen.-ur. 20, 1427, 1902. 

. Freemann, Brit. Journ. of Childr. Diseases 1905. 

. Götzl, Zentralbl. f. d. gesamte Ther. 23, 1, 1905. 

. Goldberg, Münchn. med. Wochenschr. 52, 1707, 1905. 

. Goldberg, Arztl. Verein Köln, 1905. 

. Hirsch, Zentralbl. für die Krankh. der Harn- und Sexualorg. 16, 658. 1905. 
. Hirsch, Zentralbl. für Chir., 21 und 33, 1906. 

. Kapsammer, Wien. klin. Wochenschr., 29 und 30, 1903. 

. Kapsammer, Arch. f. Kinderheilk. 38, 5—6, 1904. 

. Loumeau, Annal. des mal. des org. gen.-ur. 20, 8. 1425, 1902. 

. Masmonteil, These de Paris 1903. 

. Millon, Revue int. de med., Oct. 25. 1904. 

. Pfarre, New York Med. Journ. 80, 63, 1904. 

. Pelz, Zentralbl. f. d. Grenzgebiete der Med. und Chir., Bd. VII, 24, 1905. 
. Preindlsberger, Wien. med Wochenschr. 46, 1903. 

. Preindlsberger, 77. deutsche Naturforschervers., Abt für Chirurgie, 1905. 


(das. v. Eiselsberg.) 


. Reynes, Annal. d. mal, des org. gen.-ur. 22, 1137, 1902. 
. Scharff, Wiss. Arztever. Stettin, und Berl. klin. Wochenschr. 41, S. 799, 


1904. 


. Sicard, Noc. de Biologie Paris, Ref. Münchn. med. Wochenschr. 23. S. 953, 


1901. 


. Strauß, Münchn. med. Wochenschr. 50, S. 1206, 1903. 

. Strauß. Ther. Monatsh. 2, 1904. 

. Terrien, Annal. de la Policl. centr. de Bruxelles Rev. mens., Nr. 4, 1908. 
. Tuffier, Soc. de Biologie Paris, April. Ref. Münchn. med. Wochenschr. 23, 


1901. 


. Valentine und Townsend., Med. Record, New York, 64, 486, 1903. 
. Vialle, Annal. des mal. des org. gen.-urin. 21, 1835, 1903. 


(Aus der Universitätsfrauenklinik zu Marburg a. L. 
Direktor: Prof. Dr. W. Stoeckel.) 


Einseitige zyklisch-orthotische Albuminurie. 
Von 
Dr. Karl Mayer 


ehem. Assistenten der Klinik. 


Trotz zahlreicher sorgfältiger Untersuchungen speziell von pädia- 
trischer Seite ist es bisher nicht gelungen, Klarheit über die Ätiologie 
der sogenannten zyklisch-orthotischen Albuminurie, die haupt- 
sächlich im zweiten Kindesalter vorkommende, nur bei aufrechter Körper- 
stellung vorhandene Eiweißausscheidung im Urin, zu gewinnen. Der 
„Zyklus“ der Eiweißausscheidung ist allerdings insofern kein wahrer, als 
er jederzeit künstlich hervorgerufen werden kann durch den Wechsel der 
Körperstellung von der horizontalen zur vertikalen Richtung. Neben Lang- 
stein, der im Handbuch von Pfaundler und Schloßmann eingehend 
das Kapitel der zyklisch-orthotischen Albuminurie bearbeitet hat, ver- 
danken wir vor allen Dingen der Heidelberger Universitätskinderklinik 
eine Reihe sehr fleißiger Arbeiten auf diesem Gebiete. 

Während unzweifelhaft festgestellt ist, daß im Anschlusse au 
chronische Nephritiden intermittierende Albuminurie auftreten kann 
(Johnson und Senator), sind doch ebenso einwandsfreie Fälle von 
zyklischer Albuminurie mitgeteilt, für deren Entstehung eine Ursache 
überhaupt nicht gefunden werden konnte. Ein solcher Fall, bei den durch 
die Sektion die absolute Intaktheit der Nieren makroskopisch und mikro- 
skopisch nachgewiesen wurde, ist von Heubner und Langstein be- 
obachtet worden. 

Andere Forscher, so vor allem Edel, suchten die Ursachen der 
zyklischen Albuminurie in zirkulatorischen Störungen, welche entweder 
durch Änderung des Gesamtblutdruckes oder durch mechanische Stö- 
rungen zustande kommen sollen. Edels Untersuchungen haben ergeben, 
daß bei Horizontallage der Gesamtblutdruck erheblich höher ist, als bei 
aufrechter Stellung, wodurch eine vermehrte Diurese und im Gefolge der- 
selben eine Verminderung der Eiweißausscheidung im Liegen statt- 
hat. Loeb ist ebenfalls ein Anhänger dieser sogenannten kardio-vasku- 
lären Theorie, deren Vertreter besonders die klinischen Anomalien der 
Zirkulationsorgane betonen. Er fand bei seinen Untersuchungen, daß 
immer Verminderung der Harnmenge und Eintritt von Albuminurie 
voneinander gefolgt waren. Diese Verminderung der Harnabsonderung 

16* 


230 Dr. Karl Mayer. 


im Stehen wurde neuerdings wieder von Frank, Weintraud und 
Bruck bestätigt. 

Sutherland, Morey und Goublain machen die orthotische 
Albuminurie nicht von Zirkulationsstörungen im Kreislauf, sondern 
von solchen in den Nierengefäßen abhängig und betonen den Zusammen- . 
hang zwischen dieser Anomalie und der Wanderniere. Zuletzt wurde 
von Jehle ein ganz neues Moment in die Ätiologie der orthostatischen 
Albuminurie hineingebracht. Jehle fand nämlich Eiweißausscheidung 
nur bei einer ausgesprochenen Lordosenstellung der Lendenwirbelsäule. 
Sowie die Lordose durch entsprechende Körperhaltung ausgeglichen 
wurde, verschwand das Eiweiß im Urin. Jehle hält diese Lordose für 
eine Schwäche der Lendenmuskulatur, da es sich in der Mehrzahl der Fälle 
um schwächliche Individuen handelte. Durch mechanische Störungen, die 
noch nicht aufgeklärt sind, soll eine Abknickung der Ureteren oder Ge- 
fäße und damit eine Störung des Blutzuflusses zu den Nieren, eine 
Stauung, zustande kommen, welche von Eiweißausscheidung gefolgt ist. 

Bruck hat auf Veranlassung von Feer diese Jehleschen Befunde 
nachgeprüft und konnte die gefundenen Tatsachen bestätigen. Er fand 
aber nie im Liegen, selbst bei stärkster Lordosenstellung, Eiweißaus- 
scheidung. Deshalb hält er neben der lordotischen Krümmung der 
Wirbelsäule noch aufrechte Haltung für notwendig zum Zustandekommen 
der orthotischen Albuminurie. Bruck konnte außerdem die wichtige 
Tatsache feststellen, daß Kinder, die nicht orthostatisch waren, bei künst- 
lich erzeugter Lordose Eiweiß ausschieden. Allerdings zeigten diese 
Kinder häufig die klinischen Symptome der Zirkulationsstörungen, wie 
sie bei orthotischer Albuminurie beschrieben wurden. Bei einem ob- 
jektiven Befunde von Dikrotie, stark hebendem Spitzenstoß und Arythmie 
sind allgemeine Beschwerden, wie Mattigkeit, Schlaffheit, Kopfschmerzen 
und Herzklopfen, vorhandeu. Krehl bezeichnet diese Veränderungen 
der Zirkulationsverhältnisse als „Cor iuvenum“, während die Franzosen 
(Germain Sc() diesen Symptomenkomplex unter der Bezeichnung 
„Hypertrophie et dilatation de la croissance“ zusammenfassen. Bruck 
nennt die Eiweißausscheidung bei Kindern, welche entweder gar keinen 
Krankheitsbefund bieten oder einen sogenannten „orthostatischen Typ“ 
zeigen, „Albuminuria provocativa orthostatica“. 

Ob nun die kardio-vaskuläre Theorie zu Recht besteht, oder ob eine 
mechanische Störung der Zirkulation in den Nierengefäßen die eigent- 
liche Ursache der orthotischen Albuminurie ist, soll an dieser Stelle 
nicht entschieden werden, ebenso wie es nicht unsere Aufgabe sein soll, 
auf die chemische Struktur des bei orthotischer Albuminurie gefundenen 
Eiweißkörpers einzugehen. Darüber steht die Entscheidung den Pädiatern 
und Internisten zu. Als Ausgangspunkt unserer Veröffentlichung möchten 
wir die durch Versuche festgestellte Tatsache anführen, daß Verschluß 
der Nierenarterie Albuminurie zur Folge haben kann (Senator). Über 
gleiche Resultate berichten Pichler und Vogt, welche durch Abklemmen 
der Nieren Nukleoalbuminurie erzeugen konnten. 


Einseitige zyklisch-orthotische Albuminurie. - 231 


Unseres Wissens liegt bisher noch keine klinische Beobachtung 
über einseitige orthotische Albuminurie vor. Ein derartiger Fall, 
der wesentlich zur Deutung der Ätiologie der orthotischen Albuminurie 
auf der Basis mechanischer Zirkulationsstörungen in der Niere beitragen 
könnte, ist vor kurzem an unserer Klinik genau beobachtet worden. 
Interessant ist derselbe vor allen Dingen deshalb, weil diese einseitige 
orthotische Albuminurie im Anschluß an ein Trauma auftrat. 


K. W., 19 Jahre alt, hereditär nicht belastet. Als Kind Masern, sonst nie krank 
gewesen. 

Menses mit 13 Jahren, regelmäßig 3—4 wöchentlich, 4—5 Tage anhaltend, stark, 
ohne Beschwerden. 

Patientin hat nach ihren Angaben am 26. VIII. 08 bei der Ernte schwere Garben 
auf einen Wagen geladen. Dabei traten bei einer starken Beugung des Körpers nach 
links plötzlich heftige Schmerzen in der Seite und im Kreuz auf. Patientin begab 
sich sofort in ärztliche Behandlung. Eine genaue Diagnose konnte nicht gestellt 
werden, und der behandelnde Arzt beschränkte sich darauf, da eine ernste Erkrankung 
oder Schädigung eines Organes anscheinend nicht vorlag, Medikamente zu verordnen. 
Als erste Folge des Unfalls traten die Menses zum ersten Male zwei Wochen zu früh 
ein. Patientin hatte dauernde Schmerzen in der linken Seite und im Kreuz, ferner 
bestanden schlechter Appetit, allgemeine Mattigkeit, Kopfschmerzen und Herzklopfen. 

Da jede Behandlung erfolglos war, wurde Patientin mit dem Verdacht eines be- 
stehenden gynäkologischen Leidens der Frauenklinik in Marburg überwiesen. 

Eintritt in die Klinik am 29. IX. 

Status: Großes, schlankes. kräftig gebautes junges Mädchen mit gesundem Aus- 
sehen und blühender Gesichtsfarbe. Herz und Lungen normal. 

Unterleibsorgane normal, Druckempfindlichkeit der linken Nierengegend. Niere 
nicht palpabel. 

Genitalien bieten ebenfalls normalen Befund. 

Urin: Geringe Trübung bei der Eiweißprobe, keine Formelemente, keine 
Leukozyten. 

1. X. Ureterenkatheterismus (Prof. Stoeckel): Beide Nieren sondern reichlich 
und gleichmäßig klaren Harn ab. Die Untersuchung desselben ergibt: rechter Ureter- 
harn normal, links Albumentrübung, kein Sediment, keine Formelemente, keine Bakterien. 

Ein im Laufe der nächsten 3 Wochen mehrmals wiederhulter Ureterenkatheterismus 
bestätigt den erst erhobenen Befund. 

Um die Möglichkeit einer immerhin denkbaren einseitigen Nierentuberkulose aus- 
zuschließen, wurden häufig Untersuchungen des zentrifugierten linksseitigen Ureter- 
baros auf Tuberkelbazillen vorgenommen, welche aber stets negativ blieben. Zur 
Sicherheit wurde noch ein Tierversuch vorgenommen und einem Meerschweinchen 
1 ccm Harn aus dem linken Ureter in die Bauchhöhle injiziert. Das Resultat war 
ebenfalls negativ. 

Eine bestehende einseitige Nephritis, vielleicht auf dem Boden der früher statt- 
gehabten Maserninfektion konnte wohl ebenfalls ausgeschlossen werden, da einerseits 
keine Formelemente nachweisbar waren, andererseits Patientin bis zum Tage des Un- 
falls trotz ständiger schwerer Landarbeit nie die geringsten Beschwerden gehabt hatte. 
Außerdem ist ja festgestellt, daß der häufig vorhandene Zusammenhang von Infektions- 
krankheiten mit Eıweißausscheidung aus dem Grunde nicht immer haltbar ist, da man 
auch Infektionskrankheiten ohne Einfluß auf schon bestehende Albuminurie hat ver- 
laufen sehen. Es blieb also nur die Diagnose: linksseitige Albuminurie, welche Diagnose 
auch von physiologischer Seite (Prof. Kutscher) nach Untersuchung der Ureter- 
harne bestätigt wurde. 

18. X. Auf dringenden Wunsch wird Patientin mit einer Leibbinde nach Hause 
entlassen. 30. X. Wegen ständig fortdauernder Beschwerden sucht Patientin von 
selbst wieder die Klinik auf. 


232 | Dr. Karl Mayer. 


Aufnahmebefund o. B. Im Blasenurin eine Spur Albumen. 

2. XI. Menses. Patientin hält einige Tage Bettruhe ein. Untersuchung des Urins 
ergibt Fehlen jeglicher Trübung bei der Eiweißprobe. 

Sowie Patientin wieder außer Bett ist, treten im Urin Spuren von Albumen auf. 


Diese Beobachtung, die sofortigen Verdacht auf orthostatische Albu- 
minurie wachrief, gab Veranlassung, bei der Patientin den Ureteren- 
katheterismus nach Bettruhe und nach Bewegung vorzunehmen. Dabei 
zeigte der Ureterharn morgens immer beiderseits normale Beschaffen- 
heit, während im Tagesurin, wenn Patientin außer Bett gewesen war, 
links Spuren von Albumen vorhanden waren. Einmal, nach einem 
größeren Spaziergange, war auch im rechten Ureterharn eine minimale 
Trübung beim Kochen, doch war dies trotz mehrfacher Nachbeobachtung 
in den nächsten Wochen nie mehr zu konstatieren. 

Eventuell denkbare Fehlerquellen wurden nach Möglichkeit aus- 
geschaltet. So wurden die sterilisierten Ureterenkatheter unmittelbar 
vor dem Gebrauch mit sterilem Wasser durchgespritzt und diese Flüssig- 
keit auf Trübung beim Kochen und Zusatz von Essigsäure geprüft, ohne 
daß irgendwelche Trübung konstatiert werden konnte. Der Direktor 
des pharmakologischen Institutes Prof. Dr. Gürber verpflichtete uns zu 
Dank, indem er in zuvorkommender Weise eine chemische Untersuchung 
des Tages- und Nachturins vornahm. Seine Diagnose lautete: Nachturin 
normal. Im Tagesurin (linker Ureter) Nuklein. 

Nach Ausschluß aller andern Möglichkeiten konnten wir also mit 
Sicherheit die Diagnose „Albuminuria orthostatica unilateralis“ stellen. 

Bedingt konnte diese Albuminurie nur sein durch eine lokale, 
mechanische Störung im Kreislauf der linken Niere. Eine grobe Ab- 
knickung des Ureters ist auszuschließen, denn der Ureterkatheter glitt 
jedesmal ohne Widerstand bis zum Nierenbecken vor. Wanderniere 
war trotz genauer Palpation, auch in Chloroformnarkose, nicht festzu- 
stellen. Wohl aber wäre denkbar, daß beim Heben vielleicht eine 
Lockerung der Niere in ihrem Lager stattgefunden hat, und daß die 
Lageänderung derselben beim Stehen vielleicht eine mechanische teil- 
weise Abknickung der zu- oder abführenden Nierengefäße verursacht. 
Es wäre damit auch eine Erklärung für die beim Stehen und Arbeiten 
vorhandenen Schmerzen gegeben. 

Vor allen Dingen geht für die Bewertung des Falles die grobe 
Bedeutung des Ureterenkatheterismus hervor. Wäre die Patientin nicht 
ureterkatheterisiert worden, so hätte man wohl aus dem Urinbefund die 
Diagnose „orthostatische Albuminurie“ gestellt. Bei einem Fehlen von 
weiterem objektivem Befund, speziell auch von seiten der Genitalien, 
wäre aber ein Zusammenhang mit dem Trauma sicherlich niemals au- 
genommen worden. Wir können ja allerdings nicht mit Bestimmtheit 
behaupten, daß der Urin der Patientin vor dem Trauma eiweißfrei war. 
Aus dem Fehlen jeglicher Krankheitssymptome aber vor dem Unfall 
und aus den charakteristischen Beschwerden seit demselben dürfen vi 
mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auf einen Zusammenhang des Traumas 


Einseitige zyklisch-orthotische Albuminurie. 233 


mit der einseitigen Albuminurie schließen, und die gerechtfertigten An- 
sprüche der Patientin in dieser Beziehung werden unsere Unterstützung 
finden müssen. 


el E OH „> WW 


Literatur. 


. Pfaundler u. Schloßmann, Handbuch der Kinderheilkunde. 

. Heubner, Lehrbuch der Kinderheilkunde. 

. Senator, Die Albuminurie. Berlin 1890. 

. Edel, Zykl. Albuminurie und neue Gesichtspunkte für Bekämpfung von Albu- 


minurien. Münch. med. Wochenschrift 1901, Nr. 46 u. 47. 


. British med. Journal 24. Aug. 1889. 
. Gesellschaft der Chariteärzte zu Berlin, 16. Mai 1889. 
. Kannegießer, Über intermittierende und zyklisch-orthotische Albuminurie. Archiv 


für Kinderheilkunde B. XLIII. 


. Kuttner, Albuminuria minima und orthotische Albuminurie. Zeitschrift für klin. 


Medizin, B. 47, Heft 5 u. 6. 


. Langstein, Med. Klinik 1905, Nr. 3. 
10. 
11. 
12. 
13. 
14. 


Pichler u. Vogt, Zentralblatt für innere Medizin 1894. XV, 17. 

Leube, Über physiologische Albuminurie. Therapie der Gegenwart. Oktober 1902. 
Weintraud, Zeitschrift für ärztliche Fortbildung. 1908, Nr. 13. 

Frank, Inaug.-Diss. Straßburg 1908. 

Jehle, Neue Beiträge zur Ätiologie der orthotischen Albuminurie im Kindes- 
alter. Münch. med. Wochenschrift 1908, Nr. 1. 


. Bruck, Über Albuminuria provocativa orthostatica. Münch. med. Wochenschr. ` 


1908, Nr. 44. 


(Aus der Universitätsfrauenklinik Marburg.) 


Modifiziertes Valentinesches Urethroskop für die weibliche 
Urethra’). 
Von 


W. Stoeckel. 
(Mit 3 Abbildungen.) 


Die zur Ableuchtung der Urethra von Leiter, Casper, Görl und 
Valentine konstruierten Panelektroskope resp. Urethroskope habe ich 
sämtlich benutz. Am meisten bewährt hat sich mir das Valentine- 
sche Urethroskop. Seine Überlegenheit besteht darin,. daß das Ge- 
sichtsfeld völlig frei, und daß das Bild außerordentlich hell ist. Diese 
wesentlichen Vorzüge verdankt das Instrument der Anordnung der Licht- 
quelle, die nach Nitzeschem Prinzip an der Spitze des Instrumentes 
in Gestalt eines Mignonlämpchens angebracht ist, infolgedessen in die 
Urethra eingeführt und in größtmögliche Nähe der zu besichtigenden 
Harnröhrenwand gebracht werden kann. Bei den andern Urethroskopen 
ist die Belichtung eine indirekte: die Lichtquelle befindet sich am 
Okularende des Instrumentes, bleibt also außerhalb der Harnröhre, so 
daß die Lichtstrahlen mittels eines Spiegels in den Harnröhrentubus 
hineindirigiertt werden müssen. Das Bild ist deshalb lichtschwächer 
und die Übersicht infolge der Anbringung des aus Lampe, Spiegel und 
Kondensorlinse bestehenden optischen Apparates, der vor dem Tubus 
etwas in das (Gtesichtsfeld hineinragt, behindert. 

Valentines Urethroskop ist sowohl für die männliche wie für 
die weibliche Urethra brauchbar und zeigt infolgedessen einen Durch- 
messer und eine Länge, wie sie dem Harnröhrenlumen und der Harn- 
röhrenlänge des Mannes entsprechen. Es ist also für die weibliche 
Urethra, die weiter resp. leichter dehnbar und sehr viel kürzer als die 
männliche ist, eigentlich zu lang und zu eng. 

Das Gesichtsfeld wird um so größer, das Bild um so heller sein, 
je kürzer und je weiter der Tubus ist. Ich habe infolgedessen kürzere 
und weitere Ansätze konstruieren lassen und diese Modifikation als 
wesentliche Verbesserung empfunden. Man sieht die Einzelheiten des 
Bildes (Sphinkter, Gefäßzeichnungen, Faltung der Schleimhaut) so deut- 
lich, daß der Untersucher sein Auge nicht unmittelbar an den Tubus 





1) Das Urethroskop wird von Louis und H. Löwenstein, Berlin N., Ziegelstraß®, 
angefertigt. 


mm Okulavande dée "Tabu, habe anbringen Tassen hält dër: 


d lei. benutze das Urethroskop nicht nuy zur Keck 


ap $ KE RH sur ‚ie weiche GR om > 2 





ett vn RE ht. indomi. in. einer Ditam von‘ Ann? a ; 
Meter, vm. den Venten Moien kaon D ist, much? aus, en EN. 


| EE ründen, mn: Vorteil 





"Sodann müssen. va 27 Valentineselen Model, wen AS in nie N e 






SEI Dan ihre sany 

o. werden, weil sie sich EE ET 
engel über: as ‘Okular a 

„schen ‚des Tubus Jegen, un 
ES: erden elen beide S 

Hände des U intersuchers ` eeng" 

um Anspruch: genamien: 2 0 
fie eine-zum Halten des: 0 7 


GE retlwosköps, dieanlere u 2, GE 
RER. Auseinandersprei- e 


| Dr ‚zen der“ Schampes. Das ilede. San ie SE 


de Tabien sicher zurück und macht die zuriite Hand des: Unter SES 
ssnehers. für etwaige therapeutische . Manipulationen Drei 





-o sondern. gelegentlich, ‚auch. Fur. ‚Premdkar: nerugt aktion aws =o) 
der Blase; den Tabus allio. pum Aten des ` Wasenlulses . = 2 SIE, 
hei Cystitis. voll ‘nach, der van Knerr angerobenen. Mar 
tiade (S: Fig a. ‚Die, hejmas i henen AR ALIEN. > 
| die eech 3 Madibkadanen. en deutlich a 








re 3. Br F KEY 
KE mmm Sieste! d: 





a ro E K, ; ? ei e | j 


urea 


D 


tiy 





tü 





Zeitschrift für gynäkologische Urologie 
wg Banii Nr 


Gynäkologie und Urologie. 
Referat, erstattet auf dem II. Kongreß der deutschen Gesellschaft für Urologie in Berlin 
(19.—22. April 1909). 
Von 
W. Stoeckel (Marburg). 


Meine Herren! 


Der Titel des mir übertragenen Referates ist so knapp gefaßt, daß 
er sehr verschieden interpretiert werden kann. 

Würde ich vor einem Gynäkologenkongreß stehen, so würde ich 
meinen, hinter die Worte „Gynäkologie und Urologie“ ein Ausrufungs- 
zeichen setzen und meine Ausführungen auf einen werbenden Ton 
stimmen zu sollen. Auf einem Chirurgenkongreß würde ich hinter dem 
Referattitel eher ein Fragezeichen vermuten. Wenigstens bin ich gerade 
von Chirurgen häufig gefragt worden: „Was können die Gynäkologen 
denn eigentlich zu ihrer Entschuldigung anführen, wenn sie sich je länger 
um so urologischer gebärden?“ Hier, auf dem Urologenkongreß, nehme 
ich das Referat sozusagen interpunktionslos und erblicke meine Auf- 
gabe darin, den Werdegang unserer urologischen Mitarbeit und ihre 
Resultate kurz darzulegen. 

Ich füge mich etwas widerstrebend einem Wunsche unseres Vor- 
standes, indem ich mich dabei vorzugsweise auf die Symptomatologie 
und Diagnostik der wichtigsten urologischen Ian ENENSBEUDpEN be- 
schränke, die uns Gynäkologen beschäftigen. 

Wenn ich die Entwicklung unserer Beziehungen zur Uro- 
logie kurz skizzieren darf, so muß ich eine irrtümliche Ansicht, der 
ich häufig begegnet bin, anführen und richtigstellen. 

Man wundert sich vielfach darüber, daß die Gynäkologen ihr uro- 
logisches Herz reichlich spät und auffallend plötzlich entdeckt hätten. 
Erst nachdem ihr eigenstes Gebiet ihnen genügend durchforscht und 
schließlich etwas zu enge erschien, hätten sie ein unbezwingbares 
Expansionsbedürfnis gespürt und seien in das urologische Nachbargebiet 


abgeschwenkt — weniger gezwungen durch die Entwicklung ihres 
Faches, als von der Absicht geleitet, ihren territorialen Besitz zu 
vergrößern. 


Diese Auffassung ist durchaus falsch. Unser urologischer Taten- 
drang ist durchaus nicht plötzlich erwacht — unsere urologischen 
Beziehungen sind absolut nicht erst in den letzten Jahren 

Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 17 


238 W. Stoeckel. 


entstanden und sind auch nicht künstlich konstruiert, sondern 
sie sind uralt und durchaus natürlich. 

Die entzündlichen Erkrankungen der Harnorgane, die Harnfisteln, 
die Blasendurchbrüche von Exsudaten und Extrauteringraviditäten und 
noch manches andere sind keine neuzeitlichen Entdeckungen, sondern 
gaben den Geburtshelfern schon vor 100 Jahren zu denken — zu 
einer Zeit, wo Gynäkologie und Urologie als selbständige Arbeitsgebiete 
noch gar nicht existierten. 

Aber das Interesse für diese Komplikationen konnte damals nur 
ein theoretisches sein und sich manchmal erst am Sektionstisch bekunden. 

Klinisch bedeutungsvoll und dadurch intimer wurden die Be- 
ziehungen erst, als beide Organsysteme einer exakten Diagnose und 
einer rationellen Therapie zugänglich wurden. 

Und deshalb erfuhr das urologische Interesse der Geburtshelfer oft 
gleichsam ruckartige Antriebe, die jedesmal einsetzten, wenn die Ent- 
.deckung neuer Untersuchungs- und Heilmethoden eine Vorwärtsent- 
wicklung brachte. 

Der erste dieser Antriebe fällt in die Zeit, in der sich 
die Geburtshilfe zur Gynäkologie auswuchs — in der die 
Scheidenspekula und Harnröhrendilatatorien erfunden wurden — in der 
die kombinierte gynäkologische Untersuchung entstand —, in der alsu 
Methoden aufkamen, welche nicht nur die Genitalorgane einer genauen 
Inspektion und Palpation zugänglich machten, sondern welche auch die 
exakte Einstellung und Operation der Harnfisteln, die Abtastung und 
Austastung der Blase, die Exstirpation von Blasengeschwülsten per 
urethram, ja sogar schon die Sondierung der Ureteren unter Leitung 
des Fingers ermöglichten. 

Je chirurgischer sich die Gynäkologie weiterentwickelte, um so 
nachdrücklicher spürten es die Gynäkologen, daß sie den weiblichen 
Harnorganen ihre vollste Aufmerksamkeit schenken mußten. Sie emp- 
fanden ihre unmittelbare Nähe zunächst mehr als Last, und mancher 
Operateur, der damals autodidaktisch seine Technik erwerben mußte. 
hat wohl gewünscht, daß Blase und Ureteren weit abseits vom Bereiche 
seines Messers liegen möchten. 

Die Grenzüberschreitungen, die passierten, waren anfangs durchaus 
ungewollte, und unfreiwillig schufen sich die Öperateure selbst ein 
neugeartetes urologisches Material durch Nebenverletzungen der Harn- 
organe. Es gibt in der Tat keinen einzigen gynäkologischen Eingriff. 
bei dem solche Nebenverletzungen nicht passieren können und passiert 
sind, und es gibt auch heute noch keinen Operateur, der sie mit ab- 
soluter Sicherheit stets vermeiden kann. — Die Gefahr derartiger 
Läsionen beeinflußte in besonders hohem Maße die Technik der 
Uterusexstirpation und hat bei allen Modifikationen, denen sie untet- 
worfen wurde, namentlich auch in dem Konkurrenzkampf der abdominalen 
und vaginalen Operationsmethoden, eine entscheidende Rolle gespielt 

Diese über Jahrzehnte, bis in die neueste Zeit hinein sich ¢'- 


Gynäkologie und Urologie. . 239 


streckende Epoche der Weiterentwicklung der gynäkologischen Operations- 
technik ist fraglos reich an technischen Fehlern gerade bezüglich der 
Harnorgane, aber sie trägt doch die Signatur eines außerordentlichen, 
stetig sich steigernden Fortschritts und einer Arbeitszähigkeit, die an 
der Schwierigkeit der zu lösenden Probleme erstarkte! — Und der 
Arbeitsgewinn bestand nicht nur in der Festlegung einer sicheren 
operativen Technik, sondern auch in einer äußerst genauen Erforschung 
der topographisch-anatomischen Beziehungen zwischen den 
weiblichen Harn- und Geschlechtsorganen — sowohl unter nor- 
malen wie unter den verschiedenartigsten pathologischen Verhältnissen. 
Die Blutversorgung der Blase und der Ureteren, ihr Verhalten gegen- 
über traumatischen Schädigungen wurden sehr gründlich studiert, und 
manche Lücke wurde geschlossen, die die Präparierarbeit des Anatomen 
hatte offenlassen müssen. 

Einen zweiten kräftigen Anstoß nach den Harnorganen 
hin erhielt die Gynäkologie durch die Bakteriologie. Früher 
noch als die Bakterienflora der Scheide wurden die Krankheitserreger 
der Zystitis von den Gynäkologen erforscht. Die Hauptarbeit auf 
diesem Gebiet haben ja fraglos die Urologen geleistet. Aber ergebnis- 
reiche Untersuchungen gerade aus den letzten Jahren haben doch ge- 
zeigt, daß unsere Kliniken ein Material enthalten, das für die Ent- 
scheidung der noch schwebenden bakteriologischen Streitfragen, insbe- 
sondere der Zystitis- und Pyelitisgenese, recht wertvoll ist. 

Eine dritte und die bei weitem nachhaltigste Anregung 
zum Studium der Urologie gab uns dann die Zystoskopie. Es 
hat eine Weile gedauert, bis wir sie uns nutzbar machten und bis wir 
das Vorurteil aufgaben, die Methode könne sich ihrer diffizilen Technik 
wegen nicht einbürgern. 

Nachdem diese Skepsis aber überwunden war, hat uns die Zysto- 
skopie tatsächlich die Augen geöffnet und hat uns den Umfang unserer 
urologischen Interessensphäre erst eigentlich erkennen lassen. 

Es war uns fast zur Gewohnheit geworden, unbedeutende Blasen- 
beschwerden zu den banalen gynäkologischen Symptomen zu rechnen. 
Sie kehren ebenso wie die Klagen über Fluor, Kreuzschmerzen und 
Menstruationsanomalien fast in jeder gynäkologischen Anamnese wieder. 
Und ein kausaler Zusammenhang mit genitalen Affektionen läßt sich 
auch fast immer konstruieren. Liegt der Uterus retroflektiert, so drückt 
die Portio auf das Trigonum — liegt er spitzwinklig anteflektiert, so 
belastet das Korpus die Blasenhinterwand — prolabiert die vordere 
Scheidenwand, so wird der Blasenboden zystozelenartig mitdisloziert — 
wächst ein Myom aus der vorderen Uteruswand heraus, so wird die 
Blase hochgezerrt — entwickelt sich ein Exsudat, so wird die Blase 
verdrängt — klemmt sich ein Tumor im kleinen Becken ein, so wird 
die Blase komprimiert — kurz, es gibt fast keinen pathologischen Zu- 
stand der Genitalorgane, der zum Verständnis etwaiger Urinbeschwerden 
nicht genügt und nicht auch als genügend angesehen wäre. 

17* 


240 W. Stoeckel. 


Enthielt der Urin nicht gerade Eiter und Blut, so wurden solche 
Fälle meist lediglich gynäkologisch behandelt. Verschwanden trotzdem 
die Harnbeschwerden nicht, so wurde ein Übriges getan und die Blase 
ausgespült. 

Nicht alle Gynäkologen waren so einseitig, aber die Augen recht 
vieler waren wirklich nur auf Uterus und Adnexe eingestellt. 

Das ist anders geworden, und zwar durch die Zystoskopie. 

Wir betrachten jetzt Harnbeschwerden auch unbedeutender Art 
so lange als Ausdruck einer Erkrankung des Harnapparates selbst, bis 
eine genaue Untersuchung das Gegenteil erwiesen hat. 

Und dabei hat sich- dann gezeigt, daß wir früher gelegentlich so 
wichtige Affektionen, wie z. B. die Nierentuberkulose, übersehen haben. 
weil sie sich symptomatologisch hinter mehr in die Augen fallende 
gynäkologische Erkrankungen gleichsam verstecken kann — daß wir 
andere Krankheiten, wie z. B. die chronische Cystitis colli, gar nicht 
erkannt — daß wir infolgedessen zuweilen eine unvollkommene oder 
falsche Therapie getrieben und Fälle gynäkologisch behandelt haben, die 
entweder gynäkologisch und urologisch oder die nur urologisch be- 
handelt werden mußten. 

Nicht nur waren aber unsere gynäkologischen Diagnosen 
zu wenig urologisch, sondern unsere urologischen Diagnosen 
waren auch zu ungenau, zu wenig spezialisiert gewesen. Wir 
hatten Urethritiden und Zystitiden, Zystitiden und Pyelitiden, infektiöse 
und nicht infektiöse Zustände der Harnorgane nicht präzis genug aus- 
einandergehalten und hatten geglaubt, alle diese Dinge unterschiedslos 
mit dem Irrigator wegspülen zu können. 

Seit sich unser urologisches Gewissen geschärft hat und unser uro- 
logisches Können gewachsen ist, hat sich bei uns auch mehr und mehr 
die Überzeugung gefestigt, daß unsere urologische Mitarbeit nicht 
nur für uns notwendig, sondern auch für die Urologie nütz- 
lich ist. Manche urologische Affektionen sind der Frau überhaupt 
eigentümlich — andere verlaufen bei ihr anders als beim Mann. Wir 
dürfen uns deshalb nicht damit begnügen, die Forschungsergebnisse der 
Andrologen einfach zu übernehmen, sondern wir müssen die Eigen- 
artigkeit mancher Krankheitsbilder selbst erforschen. 

Ich hoffe, diese Behauptung mit einigen Beispielen belegen zu 
können und möchte zunächst die entzündlichen und infektiösen 
Erkrankungen herausgreifen. 

Wir sehen sehr viel Urethritiden, aber wir erblicken nicht mehr 
in jeder Urethritis eine gonorrhöische Infektion. 

Gerade die nichtgonorrhöischen Harnröhrenentzündungen 
müssen bei der Frau mehr Beachtung finden, nachdem die Abhängig- 
keit des Harnröhrenkeinigehaltes von der Bakterienflora der Vulva und 
das häufige Vorkommen pyogener Kokken und Bakterien in der Urethra 
kranker und gesunder, gravider und puerperaler Frauen exakt nach- 
gewiesen Ist. 


Gynäkologie und Urologie. | 241 


Die gonorrhöische Urethritis verläuft anders, und zwar milder 
als beim Mann. Sie etabliert sich vorzugsweise als Urethritis anterior, 
wenn man diese Bezeichnung bei der Frau überhaupt gelten lassen will. 
Sie wird rasch subakut und chronisch und setzt sich gerne in den 
Skeneschen Drüsen fest. — Als Analogon der Prostatitis sehen wir 
häufig den suburethralen Abszeß. Bei seiner Entstehung spielt der 
Gonokokkus scheinbar mehr eine Vermittlerrolle, indem er den eigent- 
lich pyogenen Keimen Eingang in die paraurethralen Drüsen verschafft. 
Seltener finden wir diffuse Verdickungen des ganzen Urethral- 
rohres, welche die in die Tiefe der Harnröhrenwand gehende Infektion 
hinterlassen hat — noch seltener begegnen wir Strikturen. - 

Besonders zu betonen ist, daß die Urethralgonorrhöe bei Frauen 
außerordentlich wenig Neigung zeigt, in die Blase oder noch 
höher hinauf zu aszendieren. Ich halte die gonorrhöische Zystitis, 
Pyelitis und Pyelonephritis für exquisit seltene Erkrankungen. Nach 
meinen Erfahrungen kann man mit großer Sicherheit auf ein Lokalisiert- 
bleiben des Prozesses in der Harnröhre rechnen, wenn man die ebenso 
verbreitete wie schädliche Polypragmasie in der Therapie des Harn- 
röhrentrippers vermeidet und nicht zu früh mit seiner Lokalbehandlung 
beginnt. Auch schafft die Gonorrhöe bei der Frau nicht, wie es beim 
Mann behauptet wird, eine Disposition zur Entstehung der Tuberkulose. 


Bezüglich der Tuberkulose nur wenige Worte. Eine Urogeni- 
taltuberkulose wie beim Mann gibt es bei der Frau nicht. — 
Selbst bei gleichzeitiger Erkrankung beider Organsysteme ist ein Über- 
gang der Tuberkulose per continuitatem von einem System auf das 
andere noch nicht einwandfrei nachgewiesen worden — auch dann 
nicht, wenn z. B. tuberkulöse Adnextumoren mit der Blase adhärent 
sind. Vielmehr ist stets eine gemeinsame Infektionsquelle für beide 
Systeme in einem 'anderweitigen primären Tuberkuloseherd anzunehmen 
und nachzuweisen, daß die Infektion in beiden Systemen selbständig, 
und zwar deszendierend weiterschreitet. Im übrigen sehen wir fast 
regelmäßig entweder nur Peritoneal- resp. Genitaltuberkulose oder nur 
Blasen-Nierentuberkulose. Es ist aber keine allzugroße Seltenheit, daß 
Frauen mit ausgeheilter Peritonealtuberkulose später an Nierentuberkulose 
erkranken. Eine solitäre Tuberkulose der weiblichen Blase ohne Mit- 
beteiligung der Nieren ist entschieden sehr selten. Ich verfüge nur 
über einen einwandfreien Fall, der jetzt 10 Jahre hindurch genau kon- 
trolliert und völlig genesen ist. 

Nach der Statistik ist die Tuberkulose der Harnorgane bei Frauen 
seltener als bei Männern, aber zweifellos werden gerade die Anfangs- 
stadien der Nierentuberkulose bei Frauen gar nicht selten übersehen. 
Und gerade solche Fälle gleichsam latenter Nierentuberkulose 
kommen in unsere Kliniken mit gynäkologischen Klagen und gynäkolo- 
gischen Leiden, aber mit kaum angedeuteten Harnsymptomen. Auffallend 
Ist mir dabei stets das Fehlen von Blutungen oder nur von Blut- 


242 W. Stoeckel. 


beimengungen in dem kaum getrübten Urin gewesen. Sicherlich bleiben 
manche dieser Fälle ungeheilt, wenn bei ihnen nicht direkt auf Tuber- 
kulose gefahndet und sofort das ganze diagnostische Rüstzeug: die Harn- 
untersuchung, die vaginale Palpation mit ihrem oft charakteristischen 
Nachweis der Ureterverdickung, der Ureterkatheterismus und das Tier- 
experiment aufgeboten wird. 

Ich finde, daß eine versäumte Diagnose im Anfangsstadium 
einer einseitigen Nierentuberkulose zu denselben Vorwürfen 
berechtigt, wie das Übersehen eines beginnenden Karzinome. 
In beiden Fällen ist die Frühdiagnose die hauptsächlichste Vorbedingung 
für die. Dauerheilung, und deshalb kann die Suche nach derartigen 
Fällen gerade von den Gynäkologen gar nicht eifrig genug betrieben 
werden. 

Betreffs der akuten und chronischen Zystitis wäre zunächst 
hervorzuheben, daß wir sie früher viel zu häufig diagnostiziert und oft 
mit der Urethritis, aber auch mit der Pyelitis verwechselt haben. 

Von den verschiedenen Zystitisformen sehen wir besonders häufig 
die Cystitis colli, besser Cystitis trigoni genannt. Wir subsummieren 
darunter verschiedene Zustände: sowohl die Residuen chronisch ge 
wordener Zystitiden wie hyperämische Reizzustände im Blasenhals, die 
durch Zirkulationsstörungen in den Genitalorganen, durch Menstruations- 
und Graviditätshyperämien, durch manche vaginale Operationen und 
durch onanistische Manipulationen bedingt sein können. 

Das an sich unscheinbare Leiden beansprucht wegen der Vielge- 
staltigkeit der zystoskopischen Befunde sowie wegen der Hartnäckigkeit 
der subjektiven Beschwerden sowohl wissenschaftliches wie klinisches 
Interesse. 

Nicht weniger wichtig ist die Cystitis vetularum, der Blasen- 
katarrh der Greisirinen. Er entsteht spontan durch aszendierende In- 
fektion, weil die senile Involution die natürlichen Schutzvorrichtungen 
der Harnröhre und der Blase schwächt. Die schrumpfende Vaginalwand 
zerrt die äußere Harnröhrenmündung auseinander, so daß sie nicht mehr 
schließt. Die in ihrer Kontraktilität und Kapazität reduzierte Blase ent- 
leert sich häufig; der träge heraussickernde Urin stagniert in der Urethra 
und leitet die Keime, insbesondere die Kolibazillen, blasenwärts. 

Ferner nenne ich die Blasengangrän, die wir seit langem als 
Komplikation der Retroflexio uteri gravidi incarcerati fürchten. 
Durch die Verlegung der Urethra kommt es zur Urinretention, die eine 
enorme Blasenausdehnung und eine Nekrose der überdehnten, anämi- 
sierten Blasenwand zur Folge haben kann. Durch die schließlich ein- 
setzende Ischuria paradoxa wird der stagnierende Harn infiziert und 
die nekrotische Blasenwand gangränös. Gewöhnlich kommt es zur De- 
markation: die innersten Sċhichten der Blasenwand stoßen sich in Form 
eines Sackes ab, der oft einen völligen Ausguß der Blase darstellt und 
unter wehenartigen Schmerzen per urethram herausgepreßt wird. 


Gynäkologie und Urologie. 243 


Neuerdings sehen wir eine auf den Blasenfundus und die 
Blasenhinterwand beschränkte Gangrän nach der abdominalen 
Radikaloperation des Uteruskarzinoms dann, wenn bei der Becken- 
ausräumung die Unterbindung einer Arteria vesicalis superior versehent- 
lich oder notgedrungen erfolgte. 

Zur Perforation in die Bauchhöhle kommt es bei beiden Gangrän- 
formen selten. Wohl aber besteht, besonders wenn die Ureterlumina 
in den Bereich der gangräneszierenden Zerstörung fallen und als große 
Narbenkrater ihre Schlußfähigkeit eingebüßt haben, die Gefahr der 
aszendierenden Infektion — bei den Karzinomfällen außerdem auch eine 
Neigung zur Blasenscheidenfistelbildung. 

Auch sonst spielen operative Schädigungen der Blasenwand 
bei uns eine große Rolle. Die weibliche Blase muß sich recht viel ge- 
fallen lassen. Sie wird, wenn sie im Wege liegt, verschoben, durch 
Spekula gedrückt und gequetscht, vom kindlichen Kopf komprimiert, 
ihrer natürlichen Verbindungen beraubt, und sie läßt das alles in ziem- 
lich weiten Grenzen über sich ergehen. Aber die Spuren solcher Insulte 
sind zystoskopisch in Form submuköser Blutextravasate und ödematöser 
Aufquellung der Blasenwand und des Sphinkters sehr deutlich erkennbar. 
Sie erklären die vorübergehende Funktionsstörung, wie sie als post- 
operative und puerperale Ischurie oft beobachtet wird. 

Es ist falsch, in solchen Fällen von vornherein von postoperativer 
oder puerperaler Zystitis zu sprechen, aber es ist klar. daß in 
derartig geschädigten Blasen die Infektion, wenn sie durch den Katheteris- 
mus hineingetragen wird, einen besonders günstigen Boden findet. 

Eine weitere Folge von gynäkologischen Operationen, bei denen die 
Blase oft zur Deckung des Operationsfeldes benutzt wird — ebenso wie 
von Pyosalpingen, Adnextumoren und Hämatozelen —, sind perizysti- 
tische Verwachsungen, die zur Verklebung der Blasenserosa mit 
dem Netz, dem Wurmfortsatz, der Flexur und mit Dünndarnschlingen 
führen. Die Blase wird dadurch oft stark disloziert und gelegentlich 
auch in ihrer Funktion beeinträchtigt. 

Parazystitische Infiltrationen und Exsudate kennen wir als 
Teilerscheinungen von Entzündungen des Beckenbindegewebes, die auch 
noch andere urologische Konsequenzen nach sich ziehen. Sie führen 
auch zur Paraureteritis und zu einer Verzerrung und Knickung des 
parametran gelegenen Ureterabschnittes. Dadurch entstehen Passage- 
hindernisse für den Harnabfluß, die neuerdings zusammen mit anderen 
gynäkologischen Affektionen als Entstehungsursache von intermit- 
tierender Hydronephrose angesprochen sind, welche dann ihrerseits 

zu einer, in solchen Fällen also sekundären Wanderniere führen kann. 
— Der gleiche Kausalkonnex zwischen Ureterkompression und Nieren- 
affektion spielt bei der Eklampsie eine gewisse — bei der Pyelitis 
gravidarum die Hauptrolle. 

Über diese letztgenannte Erkrankung sind die Akten noch nicht 
geschlossen. Wir haben die differentialdiagnostischen Schwierigkeiten, 


244 W. Stoeckel. 


insbesondere hinsichtlich der Appendizitis, überwinden gelernt und sind 
therapeutisch so weit gekommen, daß wir den künstlichen Abort zur 
Heilung der Pyelitis ablehnen. Wir sind auch darüber einig, daß der 
gravide Uterus mittelbar oder unmittelbar die Stauung, vorzugsweise 
im rechten Ureter veranlaßt. Wir wissen aber noch nicht sicher, ob 
die im Anschluß an diese Stauung sich entwickelnde Koli- resp. Misch- 
infektion immer aszendierend, oder ob sie nicht gelegentlich auch häma- 
togen entsteht. 

Aus dem Kapitel der Lithiasis erwähne ich die Uretersteine. 
Es scheint, daß die drei physiologischen Engpässe im Ureterlumen bei 
der Frau etwas stärker ausgebildet und der Nierensteinpassage hinder- 
licher sind als beim Mann. 

Es hat sich ferner gezeigt, daß die bereits erwähnte Verzerrung 
und Knickung der Ureteren außer durch die Parametritis und Para- 
ureteritis auch noch durch andere gynäkologische Erkrankungen (puer- 
perale Peritonitis, Extrauteringravidität, Adnextumoren, langdauernden 
Pessardruck) hervorgerufen werden und dann eine Disposition zur Stein- 
einklemmung schaffen kann. 

Die klinischen Symptome sind oft so wenig markant, daß Fehl- 
diagnosen und falsche Operationen, besonders an der Appendix und an 
den Adnexen, wiederholt gemacht wurden. 

Die vaginale Exploration, der Ureterkatheterismus und das Radio- 
gramm schützen uns heute im allgemeinen vor groben Irrtümern. Doch 
bleibt zu beachten, daß verkalkte Thromben der Uterinvenen 
palpatorisch und röntgenographisch sehr leicht mit Uretersteinen ver- 
wechselt werden können. 

Blasensteine sehen wir seltener, weil die kurze und weite Urethra 
der Frau selbst größere Konkremente passieren läßt. 

In Zystozelensäcken finden sich aber gelegentlich besonders große 
und besonders zahlreiche Steine. — Auch haben voluminöse und harte 
Steine schon Geburtshindernisse abgegeben. Es ist vorgekommen, 
daß der herabrückende kindliche Kopf den Stein vor sich herschob und 
ihn durch die Blasenscheidenwand hindurchpreßte, so daß der Stein 
vor dem Kinde geboren wurde; es ist auch vorgekommen, daß ein 
Blasenstein, vom Kopf des Kindes fest an die Symphyse gepreßt, eine 
Beckenexostose vorgetäuscht und den Kaiserschnitt veranlaßt hat. 

Sehr viel häufiger bekommen wir Versteinerungen zu sehen, 
deren Kern von Fremdkörpern gebildet wird. Ich nenne an erster 
Stelle die Ligaturen, welche nach Operationen, die sich an der Blase 
selbst oder auch nur in Blasennähe abgespielt haben, in die Blase ein- 
wandern können. 

Meist ist wohl eine lokale Infektion die Ursache dieser Einwanderung: 
allerdings wirken dabei die dauernden Verschiebungen der ligierten D: 
webe durch die Blasen- und Darmbewegungen befördernd mit. 

Bei ausschließlicher Verwendung von Katgut lassen sich solche 


Gynäkologie und Urologie. 245 


Fadenwanderungen, die nur zystoskopisch frühzeitig erkannt werden 
können, mit Sicherheit vermeiden. 

Eine leider ziemlich reichhaltige Kasuistik existiert über die von 
Chirurgen und Gynäkologen bei Bauchhöhlenoperationen zurück- 
gelassenen Operationsutensilien. Auch sie finden manchmal den 
Weg in die Blase. Ich selbst stellte bei einer Frau den Einbruch eines 
21 cm langen Gazetupfers, bei einer anderen den Einbruch einer Arterien- 
klemme zystoskopisch fest. Der Tupfer wurde per urethram, die Klemme 
durch Kolpokystotomie entfernt und beide Frauen genasen. 

Sodann können Fremdkörper in Form von Schamhaaren, Ka- 
theterspitzen, Schellack- und Gummipartikelchen, Wachs- und 
Paraffintropfen, Wattepfropfen nach instrumenteller und medika- 
mentöser Blasenbehandlung zurückbleiben. Auch können Pessare, die 
Jahrzehntelang vernachlässigt in der Scheide lagen, die Blasenscheiden- 
wand usurieren und völlig in die Blase rutschen. 

Die merkwürdigste Kollektion läßt sich aber aus den Dingen zu- 
sammenstellen, die während masturbatorischer Manipulationen in 
die Blase entglitten, oder die von hysterischen Frauenzimmern 
absichtlich dort hineingeschoben wurden, oder die, zur Konzeptions- 
verhütung bzw. zur Einleitung des kriminellen Aborts bestimmt, 
den rechten Weg verfehlten. 

Sämtliche Sorten von Nadeln, Federkiele, Holz- und Drahtstücke, 
Nägel, Bleistife, Krayons, Getreideähren, Manschettenknöpfe, Kieselsteine, 
Bohnen, Erbsen, Tannenzapfen, Thermometer, Meerschaumspitzen, Ok- 
klusivpessare und noch manches andere hat man da gefunden. 

Die klinische Bedeutung der Lageanomalien der Harnorgane 
habe ich bereits gestreift; deshalb sei nur weniges zur Vervollständigung 
hinzugefügt. 

Die als Urethrozele bezeichnete divertikelartige Aussackung im 
hinteren Harnröhrendrittel beruht gewöhnlich auf geburtshilflichen Ver- 
letzungen der Muscularis urethrae. 

Der partielle und totale Harnröhrenprolaps entsteht bei 
schwächlichen kleinen Mädchen oft akut im Anschluß an eine plötz- - 
liche Steigerung des intraabdominalen Druckes — bei alten Frauen mehr 
als allmähliche Umkrempelung der Schleimhaut infolge der senilen Ge- 
websretraktion in den äußeren Wandschichten der Urethra. 

Die Zystozele ist eine gewöhnliche Folgeerscheinung geburtshilf- 
licher Scheiden- und Dammrisse und die wichtigste Komplikation geni- 
taler Prolapse. Sie ist als Blasenhernie aufzufassen, in die fast die 
Gesamtblase einbezogen werden kann. Die Unfähigkeit der Blase, siclhı 
völlig zu entleeren, die oft beträchtliche Menge des stagnierenden 
Residualharnes, die schließlich gestörte Schlußfähigkeit des Blasen- 
sphinkters führen zur Harnzersetzung, zur Zystitis, zur Balkenbildung, 
zur Steinbildung. Die Therapie soll deshalb frühzeitig einsetzen und 
möglichst stets eine operative sein. 


246 W. Stoeckel. 


Die sonstigen, durch Tumoren, durch den graviden Uterus und durch 
entzündliche Prozesse bedingten Verzerrungen und Verschiebungen 
der Blase sind, wie ich schon betonte, besonders für die Technik unsrer 
gynäkologischen und auch der modernen geburtshilflichen Operationen, 
der Pubotomie und des extraperitonealen Kaiserschnittes, von bestim- 
mendem Einfluß, fallen also nicht in mein Referatprogramm. 

Kurz erwähnen möchte ich die erst in wenigen Fällen beobachtete 
sog. „intraligamentäre Blase“, wobei die Blase zwischen die ent- 
falteten Blätter eines Lig. latum gelangt. Es können dadurch sowohl 
pathologische Kindeslagen wie gynäkologische Fehldiagnosen, insbesondere 
Verwechslungen mit Ovarialzysten, veranlaßt werden. 

Auch die Lageanomalien der Ureteren werden, soweit sie nicht 
bereits gewürdigt sind, mehr vom technisch-operativen Standpunkt aus 
zu behandeln sein. Schon bei normalen Verhältnissen bildet der Kreuzungs- 
punkt des Ureters und der Uterina eine kritische Stelle für die Verletzung 
und Ligierung des Harnleiters. Noch erheblich größer wird die Gefahr, 
wenn der Ureter durch parametrane Stränge an den Uterus herangezerrt, 
— durch Geschwülste in extremer Weise medial verschoben oder lateral 
abgedrängt, — von Karzinomen, ja selbst von Myomen völlig umwachsen, 
— über die Kuppe eines intraligamentären Tumors hinwegziehend oder 
an der Basis eines solchen Tumors breit adhärierend gefunden wird. Von 
der Sicherheit, diese Lageanomalien schnell und richtig zu erkennen, 
hängt oft der Erfolg unsrer Laparotomien ab. 

Lageveränderungen der Nieren sehen wir häufig rechtsseitig 
bei Frauen, die an allgemeiner Enteroptose leiden und deren Bauch- 
decken durch mehrfache Geburten aus den Fugen gegangen sind. Ich 
bin überzeugt, daß für die Prophylaxe der Wanderniere eine rationelle 
Bauchdeckenpflege im Wochenbett von Bedeutung ist. 

Differentialdiagnostische Schwierigkeiten bereiten uns gelegentlich 
die kongenital-dystopischen Nieren. Sie sind auch von sehr ge 
wissenhaften Untersuchern ebenso wie die Nierenkapselgeschwülste 
für Ovarial- oder Parovarialzysten angesprochen worden und kommen, da 
sie ausgesprochene Unterleibssymptome machen, relativ oft in unsre Hände. 

Wenn ich hier die sonstigen kongenitalen Bildungsanomalien 
einschalten darf, so sehen wir zuweilen, besonders an pseudoherma- 
phroditischen Genitalien, Abnormitäten der Harnröhrenanlage. 
Die Urethra kann doppelt angelegt sein; sie kann auch — bei 
Persistenz des Sinus urogenitalis — völlig fehlen. Die Blase 
mündet dann in den Sinus, der sowohl Urethra wie Vagina darstellt. 
Das sind die Fälle, in denen der Koitus angeblich durch die abnorm 
dilatierte Urethra erfolgt. In den Füllen von totaler oder partieller 
Hypospadie ist die hintere Halbrinne des Urethralrohres durch mangel- 
haftes Vorrücken des Septum urethrovaginale mehr oder weniger rudi- 
mentär geblieben. Nur in den schwersten Fällen pflegt Inkontinenz zu 
bestehen. 


Gynäkologie und Urologie. 247 


Die Epispadie, die Fissura vesicae inferior und die totale 
Blasenectopie bieten ebenso wie die zystoskopisch erkennbaren Vor- 
wölbungen des unteren Ureterabschnittes, die nicht Harnleiterzysten, 
sondern Ureterozelen genannt werden sollten, kaum hervorzuhebende 
Besonderheiten. Das gleiche gilt von den überzähligen Ureteren. 
Nur wenn sie — offen oder geschlossen — in der Urethra, in der 
Vagina oder in einem persistierenden Gartnerschen Gange enden, 
machen sie die Symptome von Ureterfisteln oder kommen als Scheiden- 
zysten zur Operation. 

Die Fisteln und Verletzungen der Harnorgane beanspruchen 
in unsrer Literatur und auch noch in unsren Kliniken einen breiten 
Raum. Allerdings haben die „geburtshilflichen“ Fisteln in dem Maße 
abgenommen, in dem eine rationelle Geburtsleitung auch auf dem Lande 
durchführbar geworden ist. — Die meisten dieser Fisteln entstehen 
spontan. Es kommt wohl vor, daß ein schlecht gedecktes Perforatorium 
die Blase verletzt, daß ein fehlerhaft angelegter Kranioklast eine Mutter- 
mundslippe mitsamt dem ihr nachfolgenden Blasenzipfel abquetscht, daß 
ein abgleitender Haken die Blasenscheidenwand aufschlitzt oder die 
Pubotomienadel die Blase ansticht. Die Hauptrolle spielte aber früher 
fraglos die lange Geburtsdauer und die über Stunden und Tage anhal- 
tende Blasenkompression zwischen Becken und Kindskopf, die die Blase 
bis zur irreparablen Wandnekrose anämisiert. Durch die Sequestration 
des nekrotischen Stückes bildet sich dann die Fistel im Wochenbett. Sie 
entsteht also nicht, weil operiert oder weil falsch operiert wurde, son- 
dern weil gar nicht oder zu spät operiert wurde. 

Das Gegenteil trifft für die „gynäkologischen Fisteln“ zu. 
Hier handelt es sich meist um direkte Blasen- und Ureterverletzungen, 
die, übersehen oder ungenügend repariert, sofort zur Fistelbildung führen. 
Die trophischen Schädigungen der Blasen- und Ureterwand rangieren 
erst an zweiter Stelle. 

Eine vervollkommnete Operationstechnik und die guten Resultate 
bezüglich der Blasennaht, der Ureternaht und der Ureterimplantation 
haben auch bei dieser Fistelkategorie einen erheblichen Rückgang der 
Frequenz mit sich gebracht. 

Diagnostisch hat uns die Zystoskopie erheblich gefördert. Mit ihrer 
Hilfe können wir die Blasenfisteln genauer als früher, besonders be- 
züglich ihrer Lage zu den Ureteren, lokalisieren. Eine genügende 
Blasenabdichtung zur zystoskopischen Untersuchung läßt sich durch 
Scheidentamponade oder Kolpeuryse meist durchsetzen. In schwierigen 
Fällen bewährt sich die Zystoskopie in der luftgefüllten Blase in 
Kniebrustlage. 

Bei Ureterfisteln können wir absolut sicher bestimmen, welcher 
Ureter verletzt ist, in welcher Höhe die Fistel sitzt und ob es sich um 
eine totale oder um eine nur partielle Ureterdurchtrennung handelt. 

Der Fistelureter „geht leer“, d. h. er agiert, olıne dabei Urin zu 


248 W. Stoeckel. 


fördern, wenn er nur teilweise durchtrennt ist — er „liegt tot“, d.h. er 
agiert überhaupt nicht mehr, wenn er völlig durchtrennt ist. In zweifel- 
haften Fällen entscheidet der Ureterkatheter, der an der Läsions- resp. 
Unterbindungsstelle stets arretiert wird, weil der Ureter hier regelmäßig 
scharf abgeknickt ist. 

Besonders wichtig ist die Diagnosenstellung bei frischoperierten 
Fällen, in denen innerhalb der ersten 24 Stunden, noch bevor Fistel- 
symptome da sind, die Entscheidung getroffen werden muß, ob eine 
einseitige oder gar doppelseitige Ureterunterbindung passiert ist. 

Die klinische Feststellung der Oligurie oder Anurie genügt nicht, 
weil eine postoperative Niereninsuffizienz auch ohne jede Behinderung 
des Harnabflusses schnell einsetzen kann und somit für den Entschluß 
einer eventuellen Relaparotomie nicht ausreicht. 

Mir sind solche Aufgaben wiederholt gestellt worden, und ich habe 
bei Frischoperierten im Querbett den Harnleiterkatheterismus ebenso 
schnell und leicht ausführbar gefunden als sonst. 

Das prophylaktische Einlegen von Ureterbougies vor der 
Operation hat sich nicht eingebürgert und schützt die Ureteren nicht 
so gut, als die absolute Vertrautheit des Operateurs mit der Becken- 
anatomie. 

Dagegen spielen Zystoskop und Ureterkatheter als postoperative 
Kontrollmethoden der Fistelheilung eine große Rolle. Besonders 
nach der Naht und der Implantation des Ureters in die Blase läßt sich 
auf andre Weise gar nicht entscheiden, ob die Heilung tatsächlich mit 
erhaltener Funktion des Ureters und der zugehörigen Niere erfolgt ist. 

Eine kurze Erwähnung verdienen diejenigen Formen von unwill- 
kürlichem Urinabgang, denen Verletzungen des Harnapparates nicht zu- 
grunde liegen. Dazu gehören die Reflexinkontinenz bei -Onanie 
und bei Hysterie, sowie die Enuresis. Nach experimentellen Unter- 
suchungen aus meiner Klinik möchte ich die letztgenannte Affektion 
einer abnormen Sympathikuserregbarkeit und Detrusorreizung, nicht aber 
einer Sphinkterparese zuschreiben. 








Als wichtige Krankheitsgruppe nenne ich weiter die Perforationen 
benachbarter Krankheitsherde in der Blase. Am bekanntesten 
ist der Durchbruch parametraner Exsudate, der sich zystoskopisch 
durch ein mächtig entwickeltes bullöses Ödem anzuzeigen pflegt und 
klinisch durch plötzliche, massenhafte Eiterentleerung aus der Harnröhre 
in Erscheinung tritt. Die Eiterentleerung bedeutet fast stets den Beginn 
einer schnell fortschreitenden Heilung. Der Gewebsdruck in der sich 
rasch verkleinernden und schrumpfenden Exsudathöhle läßt eine Urin- 
rückstauung nicht zu. — Zystitis entsteht so gut wie niemals, selbst 
wenn virulenter Eiter literweise durch die Blase fließt. Und deshalb 
erübrigt sich auch meist jede weitere Therapie. 

Ungünstiger ist die Perforation von Pyosalpingen, die aller- 
dings auch seltener vorkommt. 


Gynäkologie und Urologie. 249 


Hierbei tritt eben ein mit Schleimhaut ausgekleidetes Organ in 
Kommunikation mit dem Blasenkavum, und die Tubenschleimhaut sezer- 
niert natürlich auch nach der Perforation weiter. Diese markiert hier 
also nicht den Beginn einer Heilung, sondern einer sehr fatalen Kom- 
plikation. Der Verlauf ist chronisch, der wahre Sachverhalt wird ge- 
wöhnlich ohne Zystoskopie nicht erkannt. Es wird viel katheterisiert. 
So entsteht Zystitis und Blasenüberempfindlichkeit, und Heilung tritt 
erst ein, wenn der Eiterherd operativ ausgeschaltet wird. 

Ganz ähnliche Verhältnisse bestehen beim Durchbruch von 
Ovarialabszessen. 

Am unangenehmsten ist die Situation beim Durchbruch tubarer 
Fruchtsäcke und von Dermoidzysten. Im ersteren Fall besteht 
der Tubeninhalt aus dem bereits abgestorbenen, skelettierten Fötus und 
ist vom Darm aus infiziert. Die einzelnen Skelettknochen eitern suk- 
zessive in die Blase hinein. Die Passage ist infolge der vielgestaltigen 
Knochenformation natürlich erschwert. Die Knochen können auf ihrer 
Wanderung stecken bleiben und ragen dann mit einem Ende in die 
Tube, mit dem andern in die Blase hinein, bedecken sich mit Konkre- 
menten, scheuern die Blasenschleimhaut wund und rufen schwere 
ulzeröse Zystitiden hervor. 

Früher gingen solche Frauen nach langem Siechtum elend an 
Sepsis zugrunde, heute werden wir sie, da wir diagnostisch und thera- 
peutisch leistungsfähiger geworden sind, meistens retten können. 

Die Perforation einer Dermoidzyste habe ich einmal durch 
den zystoskopischen Nachweis des in die Blase herabrinnenden Dermoid- 
breies diagnostizieren können. In der Klinik Schauta wurde an der 
Perforationsstelle ein in Inkrustationen eingehülltes Haarbüschel in die 
Blase hineinragend gefunden. 

Blasendarmfisteln nach Perforation von perityphlitischen Ab- 
szesse, Darmkarzinomen, Dickdarmdivertikeln oder bei schwerer Bauch- 
felltuberkulose sehen wir im Ganzen selten. 


Endlich sei derjenigen Geschwulstbildungen in den Harn- 
organen gedacht, die speziell gynäkologisches Interesse haben. 

Von gutartigen Tumoren der Urethra beobachten wir am häufigsten 
die sog. Karunkel, die histologisch den Bau eines Granuloms, eines 
papillären Angioms oder eines teleangiektatischen Schleimhautpolypen 
aufweisen kann. 

Myome und Fibromyome sind sowohl als Polypen wie als para- 
urethrale Bildungen beobachtet. 

Das Schleimhautkarzinom der Urethra zeichnet sich durch 
seine Neigung zur raschen Exulzeration aus, während das periurethrale 
Karzinom derbe Infiltrationen im Septum urethrovaginale macht. 

Als dritte Form ist das Carcinoma vulvourethrale beschrieben, 
das vom Saum der äußeren Urethralmündung sowohl vulvawärts wie 
urethralwärts weiterwächst. 


250 W. Stoeckel. 


Alle drei Karzinomformen geben eine schlechte Prognose, weil sie 
frühzeitig metastasieren und häufig rezidivieren. Ein radikaler Heil- 
versuch erfordert zudem oft die Mitnahme des Sphincter vesicae und 
ist dann von einer kaum zu beseitigenden Inkontinenz gefolgt. 

Von den Blasenkarzinomen will ich nur die sekundären be 
sprechen, die aus einem primären Scheiden- oder Uteruskarzinom ent- 
stehen. Ihre Frequenz ist im Vergleich zu der Häufigkeit des Uterus- 
karzinoms nicht groß. ' 

Wenn das Karzinom schon das ganze Parametrium bis zur Becken- 
wand durchwachsen hat, wenn der Ureter schon in Karzinommassen 
völlig eingemauert ist, so werden Blase und Ureter in ihren inneren 
Wandschichten sehr gewöhnlich noch karzinomfrei gefunden. Diese jetzt 
in großer Zahl vorliegenden Beobachtungen sprechen dafür, daß die 
Lymphsysteme der weiblichen Harn- und Geschlechtsorgane ziemlich 
unabhängig voneinander sind, und daß der Lymphstrom des Uterus an 
der Blase und an den Ureteren vorbeigeht. 

Und auch das sukzessive Hineinwachsen genitaler Karzinome in 
die Harnorgane ist lange nicht so häufig, als man bei der unmittelbaren 
Nachbarschaft beider Systeme erwarten sollte. Wohl finden wir bei 
unsren Karzinomoperationen gar nicht selten die Blase innig mit dem 
Karzinomtrichter verwachsen, aber häufiger infolge entzündlicher Pro- 
zesse, wie sie sich an der Karzinomperipherie regelmäßig abspielen, als 
durch übergewuchertes Karzinom. 

Infolgedessen gibt uns auch das zystoskopische Bild nur selten 
Aufschlüsse, die unsre Indikationsstellung präzisieren. Wir finden bei 
der Ableuchtung oft Zeichen einer ausgesprochenen Zirkulationsstörung. 
insbesondere kissenartiges Wandödem und bullöses Schleimhautöden. 
Das besagt aber nur, daß der karzinomatöse Prozeß oder der ihn um- 
rahmende reaktive Entzündungswall die Außenseite der Blase erreicht 
haben. Wie nahe sie gekommen sind, ob unlösbare Verwachsungen 
bestehen, ob die Blase wird reseziert werden müssen, das können wir 
aus der Stärke des Ödems höchstens vermuten. Eine Kontraindikation 
gegen die Radikaloperation liegt also in solchen Befunden nicht. 

Sind ‘aber Krebsnester auf der Blasenschleimhaut oder ganze Höhen- 
züge durchgewachsener Karzinomknollen zystoskopisch zu sehen, so halte 
ich die Aussicht auf Radikalheilung für minimal. Wie müssen dann 
gewöhnlich mit einer Metastasenbildung rechnen, welche die operativ 
erreichbaren Drüsengruppen überschritten hat und auch mit der Wahr- 
scheinlichkeit eines lokalen Rezidivs. Zu dieser Anschauung werden 
sich mit der Zeit wohl auch diejenigen Operateure bekennen, die dem 
Reiz noch nicht widerstehen können, sich den besonders großen tech- 
nischen Schwierigkeiten solcher Operationen gewachsen zu zeigen. 

Eine ebenso strikte, mehr und mehr anerkannte KontraindikabeN 
bildet der Nachweis einer komplizierenden Niereninsuffizienz oder \ieren- 
erkrankung. Und deshalb machen manche Operateure ihren Entschlub 
zur Operation mit Recht von dem Ausfall des Ureterkatheterismus abhängig: 


Gynäkologie und Urologie. 251 


Bei den primären Blasentumoren, insbesondere. bei den Papil- 
lomen der weiblichen Blase, wird besonders darüber zu diskutieren sein, 
ob eine spezifisch-gynäkologische Operationsmethode, die Kolpozystotomie, 
zu bevorzugen oder, wie ich meine, abzulehnen ist. Vom diagnostischen 
Standpunkt aus wäre höchstens das häufige Fehlen subjektiver Be- 
schwerden und auch stärkerer Blutungen selbst bei faustgroßen Ge- 
schwülsten — ferner ihr oft gut durch die kombinierte Untersuchung 
gelingender Nachweis zu erwähnen. Daß die zystoskopische Untersuchung 
trotzdem unentbehrlich ist, bedarf kaum der Versicherung. Als Geschwulst- 
raritäten nenne ich noch das Chorioepitheliom und das Dermoid. 

Bezüglich unsrer urologisch-diagnostischen Technik kann 
ich mich kurz fassen. Wir brauchen keine gynäkologische Sonder- 
technik, sondern wir stehen in dieser Hinsicht völlig auf Ihren Schultern. 
Die einzige, speziell für die weiblichen Harnorgane in Betracht kom- 
mende Methode der Harnröhrendilatation ist antiquiert und durch die 
Zystoskopie überholt. Da sie gelegentlich zur irreparablen Inkontinenz 
führt, ist sie zu streichen. Wir müssen sämtliche urologische Unter- 
suchungsmethoden: die chemischen, die bakteriologischen, die 
radiologischen, die endoskopischen, sowie die Methoden der 
funktionellen Nierendiagnostik von Grund aus beherrschen. Dazu 
gehört ein fleißiges und besonders ein ausdauerndes Studium. Ober- 
flächlicher Dilettantismus und zystoskopische Spielereien können uns 
nichts nützen. Vierwochen-Spezialisten, die sich nach einem sog. „Kurs“ 
bereits für urologisch zuständig halten, sind vom Übel! 

Unser diagnostisches Instrumentarium zeichnet sich durch große 
Einfachheit aus. Wir gebrauchen keine Sonden, keine filiformen Bougies, 
keine Urethrometer, keine komplizierten Dilatationsinstrumente, keine 
Steinsonden, kein Sortiment verschieden geformter elastischer und me- 
tallener Katheter, keine retrograden Zystoskope. 

Wir kommen mit geraden Glaskathetern, mit unsern Uterusdilata- 
toren, einem Zystoskop und einem Urethroskop aus. 

Unter den Urethroskopen halte ich das Valentinesche in etwas 
modifizierter Form für das zweckmäßigste. Unter den Zystoskopen 
bevorzuge ich die nach Nitzeschem Prinzip gebauten und finde unter 
den neueren Kombinationsinstrumenten, die zur Beleuchtung, zur Irri- 
gation und zum Ureterkatheterismus verwendbar sind, diejenigen mit 
herausziehbarer Optik, z. B. das Israelsche Modell, besonders empfehlens- 
wert. Spezielle Konstruktionen für die weibliche Blase haben sich als 
unnötig, sogar als unvorteillaft erwiesen. 

Das Brennersche Instrument ist gewiß leistungsfähig und wird 
von vielen Gynäkologen besonders geschätzt. Ich kann aber nicht zu- 
geben, daß es den Nitze-Instrumenten in irgendeiner Beziehung über- 
legen ist. Auch habe ich mich an das zystoskopische Spiegelbild so 
gewöhnt, daß mir die Bildaufrichtung nach Frank und Jacobi nur 
bei intravesikalen Operationen eine wesentliche Erleichterung bringt. 





252 W. Stoeckel. Gynäkologie und Urologie. 


Die Methode von Kelly-Pawlik, ebenso wie die neuerdings von 
Luys empfohlene scheinen mir mit der klassischen Methode nach Nitze 
nicht konkurrieren zu können. 

Die Harnsegregatoren und -separatoren kann ich als Kon- 
kurrenzmethoden des Ureterkatheterismus nicht anerkennen. Es liegt 
auf der Hand, daß sie unter Umständen fehlerhafte Resultate ergeben 
können. Sie sind aber in den recht seltenen Fällen, in denen der Ureter- 
katheterismus undurchführbar ist, ganz außerordentlich wertvolle Hilfs- 
mittel, um eine Sonderung der Nierenharne wenigstens in der Blase 
zu versuchen. 

Die Chromozystoskopie benutze ich sehr selten und halte es 
für falsch, sie prinzipiell zur Erleichterung der zystoskopischen Diagnostik 
anzuwenden. Wer sich von vornherein daran gewöhnt, nur den gefärbten 
Ureterharn zu erkennen, wird eine wirklich gute zystoskopische Technik 
schwer erwerben. Ich will jedoch den außerordentlichen Nutzen der 
Methode für diejenigen Fälle, in denen das Ureterostium sich der direkten 
Betrachtung entzieht, ganz besonders und nachdrücklich betonen und 
auch ihren Wert zur funktionellen Nierenprüfung nicht in Abrede stellen. 

Endlich soll nicht unerwähnt bleiben, daß die instrumentelle Unter- 
suchung der weiblichen Harnorgane sehr leicht ist, daß besonders die 
Schwierigkeiten, die die anatomische Struktur der männlichen Harnröhre 
der Einführung von Instrumenten entgegenstellt, bei der Frau gewöhn- 
lich ganz wegfallen, und daß demzufolge sich alle diese Untersuchungen 
schmerzlos, ohne irgendwelche Läsionen, und bei der nötigen aseptischen 
Sorgfalt ohne jede Infektionsgefahr nicht nur klinisch, sondern auch 
ambulant durchführen lassen. 

Liegt darin auf der einen Seite ein gewisser Anreiz zu kritikloser 
und übertriebener Anwendung des Katheters und des Zystoskops, so 
ergibt sich auf der andern Seite doch auch die Möglichkeit, die Ent- 
scheidung prinzipiell und allgemein wichtiger urologischer Fragen, wie 
die Erforschung der Nierenarbeit, der Ureterfunktion, der Infektions- 
genese gerade durch systematisch durchgeführte Untersuchungen an den 
weiblichen Harnorganen zu fördern. 

Und somit glaube ich, meine Herren, zum Schlusse nochmals wieder- 
holen zu dürfen, daß unsre urologische Arbeit nicht nur egoistischen 
Interessen dient, sondern daß wir auch imstande sind, unsern Teil zur 
Förderung der urologischen Wissenschaft beizutragen. 

Wenn auch meine skizzenhaften Ausführungen für die Begründung 
dieser Behauptung wohl weder erschöpfend noch eingehend genug ge- 
wesen sind, so hoffe ich doch, Sie erneut davon überzeugt zu haben, 
daß wir die urologische Diagnostik ebenso wie die gynäkologische be- 
herrschen müssen und daß es nicht genügt, wenn nur einzelne von uns 
den Fortschritten der Urologie folgen, sondern daß wir in corpore dazu 
verpflichtet sind! 


Gynäkologie und Urologie. 
Referat, erstattet auf dem II. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Urologie in Berlin. 
19.—22. April 1909. 
Von 
Prof. Wertheim, Wien‘). 
(Autoreferat.) 


Wertheim beschränkt sich darauf, die Beziehungen zwischen 
Urologie und Gynäkologie vom Standpunkte des gynäkologischen 
Operateurs zu besprechen. Die Fortschritte bei der Operation intra- 
ligamentärer Tumoren, ferner die neueren Methoden bei der Operation 
von Blasenscheidenfisteln und Zystozelen erwähnt er nur kurz und 
wendet sich sofort jener Operation zu, bei welcher der Operateur in 
einer Weise mit den Harnwegen zu tun bekommt, wie bei keiner andern, 
d. i. nämlich die moderne Uteruskarzinomoperation. 

Nirgends sonst sei eine so weitgehende Ablösung der Blase und 
Freilegung der Ureteren notwendig, und es haben sich diesbezüglich 
sowohl in der Operationstechnik als in den postoperativen Folgen einige 
neue Gesichtspunkte ergeben. 

Es sei hier vor allem die Parese der Blase zu nennen, welche fast 
regelmäßig unmittelbar nach der Operation sich einstelle und erst im 
Verlaufe mehrerer Wochen nach und nach verschwinde. Solange die 
Patientinnen zu Bette liegen, können sie infolge dieser Parese nicht 
spontan urinieren, und auch wenn sie das Bett verlassen haben, sei die 
Entleerung der Blase gewöhnlich durch längere Zeit unvollständig. Zu- 
gleich mit dieser Parese resp. als Folge derselben pflege eine mehr 
oder minder hochgradige Zystitis aufzutreten, sogar in solchen Fällen, 
in denen ein Katheterismus nicht stattgefunden habe. Zu verhindern 
sei diese Zystitis in keiner Weise, weder durch Spülungen irgendwelcher 
Art, noch auch durch die sorgfältigste Aseptik beim Setzen des Katheters. 
Es handle sich um Ernährungsstörungen infolge der hochgradigen Ab- 
lösung der Blase, um Lähmung derselben und endlich wohl auch um 
ein Einwandern von Mikroorganismen aus dem großen subperitonealen 
Wundraum, der nach dieser Operation verbleibe. 

Relativ häufig bilden sich nach der erweiterten abdominalen Kar- 
zinomoperation Blasenscheidenfisteln. Es handle sich da meist um Fälle, 
in denen das weit vorgeschrittene Karzinom des Collum uteri bereits 
auf die Blase übergegriffen habe, so daß bei der Ablösung der Blase 


1) Erscheint ausführlich im Kongreßbericht der Zeitschrift für Urologie. 
Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 18 


254 Wertheim. 


dieselbe entweder zur Eröffnung kam oder doch wenigstens sehr ver- 
dünnt wurde. Indem sich an dieser Stelle im postoperativen Verlaufe 
eine Nekrose einstelle, komme es zur Fistelbildung. In einer Reihe von 
Fällen schließen sich diese Fisteln wieder von selbst, in andern Fällen 
müßten dieselben durch. Anfrischung und Naht zum Verschlusse gebracht 
werden. Eine Occlusio vaginae habe Wertheim zu diesem Zwecke 
bisher nicht gebraucht. 

Noch wichtiger als das postoperative Verhalten der Blase sei das 
der Ureteren. Zufällige Ureterverletzungen während der Operation hatte 
Wertheim unter seinen zirka 500 derartigen Karzinomoperationen nur 
acht. In dem einen dieser Fälle handelte es sich um eine Duplizität 
des Ureters, in einem zweiten Falle um schwere entzündliche Infiltration, 
in den andern Fällen sei der Ureter nicht genügend freigelegt worden. 
Neben diesen acht zufälligen Verletzungen verzeichnet Wertheim unter 
seinen 500 Fällen nur fünf beabsichtigte und mit Vorbedacht ausgeführte 
Ureterresektionen. Die nachträgliche mikroskopische Untersuchung habe 
aber gezeigt, daß nur in einem dieser fünf Fälle das Karzinom bereits 
die Ureterwand ergriffen hatte. 

Seien somit Verletzungen der Ureteren während der Operation 
etwas sehr Seltenes, so komme es relativ häufig im postoperativen Ver- 
laufe zu Störungen von seiten der Ureteren. In 29 Fällen seien Ureter- 
fisteln aufgetreten, in 14 links, in zehn rechts und in fünf bilateral. 

Nachdem Wertheim die klinische Erscheinungsweise, die Diagnose 
und die Anatomie dieser Ureterfisteln besprochen, konstatiert er, dab 
in der großen Mehrzahl dieser Ureterfisteln spontane Heilung sich ein- 
stelle, und zwar manchmal erst nach zwei bis drei Monaten. Während 
dieser Zeit sei natürlich die Gefahr einer aufsteigenden Pyelitis durch 
Infektion vorhanden; durch sorgfältige Reinhaltung der Scheide und 
fleißiges 'Tuschieren der Fistel mit Jodtinktur und Lapis gelinge es fast 
immer, dieselbe zu verhinden. Wertheim erwähnt, daß er an seiner 
Klinik im Anfange, bevor er erfahren hatte, daß sich derartige nach 
der erweiterten Karzinomoperation auftretende Ureterfisteln spontan zu 
schließen pflegen, mehrfach, um einer Pyelitis und Pyelonephritis zu- 
vorzukommen, sich zur Nephrektomie habe verleiten lassen. Heute aber 
stehe er auf dem Standpunkte, unter entsprechenden Kautelen gegen 
eintretende Infektion unbedingt drei bis vier Monate, eventuell länger zu 
warten. Bleibe die Heilung aus, dann sei noch immer Zeit zur Nephrek- 
tomie. 

Die Funktion derartiger Ureteren nach der spontanen Ausheilung 
sei, wie Weibel an der Klinik Wertheims konstatiert habe, eine durch- 
aus genügende. Wohl sei der Harnstrahl manchmal etwas schwächer, 
auch die Intervalle zwischen den einzelnen Harnförderungen seien 
manchmal etwas größer, aber von einer wirklichen Stenosierung séi 
nicht die Rede. 

Auch diese Ureterfisteln verdanken ihre Entstehung einer Nekrose. 
Es mag wohl sein, daß in manchen Fällen eine Wandverdünnung des 


Gynäkologie und Urologie. 255 


Ureters intra operationem zustande komme, daß also die Ureternekrose 
in ganz analoger Weise entstehe, wie die Nekrose der Blasenwand. 
Man sehe aber derartige Nekrosefisteln in sehr vielen Fällen auftreten, 
in denen die Auslösung des Ureters keineswegs eine schwierige war und 
das Karzinom in keiner Weise zur Fixation des Ureters geführt hatte, 
und umgekehrt könne in Fällen, in denen der Ureter gleichsam Schritt 
für Schritt aus dem Karzinom ausgegraben werden mußte, die Fistel- 
bildung ausbleiben. 

Es mag dahingestellt bleiben, ob es sich hierbei um die Arteria 
ureterica Feitels handle oder um das die Ureterenscheide umspinnende 
Gefäßnetz (Sampson), so viel sei sicher, daß bei zartem und vorsichtigem 
Vorgehen, wenn man den Ureter womöglich in Verbindung mit seiner 
Unterlage lasse, diese Fisteln sich seltener einstellen. Freilich, wenn 
der Ureter auf Strecken von 5—6 cm isoliert werden müsse (und dies 
sei in sehr vorgeschrittenen Fällen, wo das ganze Parametrium entfernt 
werden müsse, nicht zu vermeiden), da sei immer die Möglichkeit einer 
solchen Ureternekrose vorhanden, und Wertheim spricht seine Über- 
zeugung aus, daß sich derartige Ureterfisteln niemals gänzlich vermeiden 
lassen werden, namentlich wenn man weit vorgeschrittene Kollumkar- 
zinome operativ angehe. 

Auch ohne Ureterfistelbildung sei übrigens, betont Wertheim, die 
Gefahr aufsteigender Infektion (Pyelitis und Pyelonephritis) vorhanden, 
und zwar, wie er meint, infolge einer Lähmung der Ureteren, die sich 
in analoger Weise geltend mache wie die Lähmung der Blase. Auch sei 
kein Zweifel, daß die Peristaltik des Ureters in dem post operationem 
um den Ureter herum sich bildenden Narbengewebe nicht so regelmäßig 
und leicht ablaufe, als wie in dem feinen normalen Zellgewebslager. 

Bezüglich des Verhaltens bei Ureterkomplikationen, wie sie bei der 
erweiterten abdominalen Uteruskrebsoperation auftreten, stellt Wertheim 
fest, daß er bei den während der Operation zustande gekommenen Ver- 
letzungen (acht unabsichtliche und fünf beabsichtigte: in Summa 13) 
zehnmal die sofortige Implantation in die Blase ausgeführt habe. Sechs- 
mal trat Heilung ein, zweimal hielt wohl die Naht, aber die Patientinnen 
erlagen sechs resp. sieben Tage post operationem einer Herzschwäche, 
in einem Falle (doppelseitige Ureterenverletzung: auf der einen Seite 
intendierte Resektion, auf der andern Seite unglücklicher Zufall) war die 
Spannung zu groß und rissen die in die Blase implantierten Ureteren 
aus. Im elften Falle implantierte Wertheim den durchschnittenen Ureter 
in den zweiten Ureter derselben Seite (es war dies der Fall von an- 
geborner Ureterenduplizität), die Naht hielt, es trat aber Tod an Bronchitis 
purulenta ein. Im zwölften Falle war die Verletzung des Ureters hoch 
oben am Ligamentum infundibulo-pelvicum erfolgt, und zwar bei der 
Exstirpation einer schwer angewachsenen Pyosalpynx: die vesikale Im- 
plantation war wegen des hohen Sitzes der Läsion ausgeschlossen und 
eine Vernähung der beiden Ureterenden wegen zu engen Lumens nicht 
möglich, die Nephrektomie aber wegen hochgradigen Kollapses kontra- 

18* 


256 Wertheim. Gynäkologie und Urologie. 


indiziert: also lugierung des Ureters und Einnähung desselben in die 
Bauchwunde (Exitus infolge Infektion vom geplatzten Pyosalpynx). Im 
13. Falle war der Ureter bei der Naht einer Blasenverletzung mitgefaßt 
worden: es war dies die einzige Ureterenverletzung, die erst auf dem 
Sektionstische konstatiert wurde. 

Ganz anders sei das Verhalten bei den durch nachträgliche \ekrose 
entstandenen Kontinuitätsunterbrechungen des Ureters. Wertheim ist 
im großen und ganzen in jenen Fällen, in denen nicht schließlich spon- 
tane Heilung auftritt, für die Nephrektomie. Man könne ja den Versuch 
machen, auf vaginalem Wege die Fistelnach Mackenrodtoder Dührssen 
zum Verschluß zu bringen, aber weder hier noch bei der abdominalen 
Implantation in die Blase seien die Chancen für die Heilung günstige, 
und zwar wegen des starren Narbengewebes, welches nach den erweiterten 
Operationen wegen Uteruskrebs das untere Ureterende umgebe. Nament- 
lich wo bereits Zeichen von Pyelitis vorhanden seien, sei lieber gleich 
die Nephrektomie vorzunehmen, welche gerade hier durchaus gute Er- 
folge ergeben habe. 

Auch auf vaginalem Wege habe man versucht, die erweiterte Uterus- 
karzinomoperation durchzuführen, und in der Tat könne man auch hier 
die Ureteren freilegen, freilich nur das unterste Stück (zirka 4—5 cm). 
In sehr weit vorgeschrittenen Fällen, wo es sich um starre Fixation 
des Uterus handle, mißlinge übrigens die Freilegung des Ureters nicht 
selten. Ein Vergleich mit der abdominalen Methode falle entschieden 
zuungunsten der vaginalen aus. Ureterennekrosen gebe es allerdings so 
gut wie keine (da eben die Freilegung des Ureters nur eine sehr be 
schränkte sei), aber dafür gebe es ungefähr dreimal so viel zufällige 
Ureterverletzungen während der Operation. Dazu komme, daß, während 
man beim abdominalen Operieren fast jede zufällige Ureterverletzung 
sofort bemerke (unter acht Fällen siebenmal), beim vaginalen Operieren 
dies nur ausnahmsweise der Fall sci (Schauta habe unter elf Fällen 
nur einmal das Zustandekommen der Ureterverletzung konstatiert und 
das Nötige veranlaßt [vesikale Implantation] und auch in diesem einen 
Falle sei die Implantation nicht gelungen). Von intendierten, d. h. mit 
Vorbedacht ausgeführten Resektionen des Ureters werde bei der vagi- 
nalen Operation überhaupt nichts berichtet. 

Zum Schlusse weist Wertheim darauf hin, eine wie große Ver- 
trautheit mit Ureteren und Blase die modernen Karzinomoperationen 
dem Gynäkologen verliehen haben und wie das natürlich nicht ohne 
Rückwirkung auf andre gynäkologische Operationen (abdominale und 
vaginale) bleiben könne, und es sei selbstverständlich, daß diese Ver- 
trautheit mit den Harnwegen in den Gynäkologen immer mehr das Be- 
wußtsein stärke von der Notwendigkeit, in urologischen Dingen Bescheid 
zu wissen, Diagnosen stellen und Eingriffe ausführen zu können. Das 
wenigstens müsse man vom Gynäkologen verlangen, daß er imstande 
sei, Schäden, die im (refolge gynäkologischer Operationen entstanden seien, 
selbst wieder gut zu machen. 


Diskussionsbericht. 257 


An die beiden Referate schloß sich eine ausgedehnte und lebhafte 
Diskussion. 

Frank (Berlin) macht geltend, daß an der Behandlung der Gonorrhöe 
bei der Frau sowohl die Urologen wie die Gynäkologen interessiert sind, 
daß aber die Betätigung der Gynäkologen erst dann einsetzen soll, wenn 
der Prozeß den inneren Muttermund überschritten hat. Er tritt weiterhin 
nachdrücklich für die Verwendung der Harnseparatoren ein, die gerade 
in die weibliche Blase leicht einzuführen sind und seiner Erfahrung 
nach gute Resultate ergeben. Er plädiert für die Methode um so mehr, 
als der Ureterkatheterismus, wie er meint, bei der Frau häufig durch 
Verlagerungen und Knickungen der Ureteren mit einigen Schwierigkeiten 
verbunden ist. Ebenso hält er die direkte Zystoskopie von Luys für 
eine sehr leistungsfähige Methode. 

Strauß (Frankfurt a. M.) betont den Zusammenhang der inter- 
mittierenden Hydronephrose mit Genitalleiden und mit der Menstruation, 
erörtert die Bedeutung der Beckenniere und verweilt etwas ausführlicher 
bei der Pyelitis gravidarum. Er ist bei 24 Fällen stets mit einer rein 
exspektativen Behandlung ausgekommen und erklärt den artifiziellen 
Abort für einen Kunstfehler. Weiterhin verwirft er die funktionelle 
Nierenprüfung bei Eklampsie, weil die Frauen tot seien, wenn die 
Prüfung vollendet sei und empfiehlt die frühzeitige Dekapsulation. Er 
kommt dann auf das Ulcus vesicae, die Tumoren der Urethra und die 
Blasenkarzinome zu sprechen und gibt zum Schlusse den Gynäkologen 
den wohlwollenden Rat, den Ureterkatheterismus recht gut zu erlernen. 

Löwenhardt (Breslau) behauptet, daß die Tuberkulose des Harn- 
traktus stets markante und klare Symptome aufweist und macht geltend, 
daß die urologische Betätigung der Gynäkologen eine begrenzte bleiben 
müsse. Die jetzige Richtung der gynäkologischen Urologie geht ihm 
zu weit; eine genaue Abgrenzung der Gebiete sei unerläßlich. Er er- 
örtert dann die im Anschluß an gynäkologische Erkrankungen auf- 
tretenden Pyelitiden. 

Thumin (Berlin) erklärt die Zystitis nach Urethralgonorrliöe für 
nicht selten. Er macht ebenso wie Wertheim auf die, übrigens seit 
vielen Jahren bekannte Tatsache aufmerksam, daß Ureterfisteln sich oft 
spontan schließen. Bei ausbleibender Spontanheilung erklärt er die 
Nephrektomie für besser als die Implantation des Ureters in die Blase. 

Rothschild (Berlin) geht auf die Reizblase ein und empfiehlt 
methodische Blasendehnungen zur Bekämpfung der Pollakiurie. 

Wossidlo (Berlin) empfiehlt sein Urethruskop zur Untersuchung 
der weiblichen Harnröhre. 

Kroemer (Berlin) hebt hervor, daß die engen Beziehungen zwischen 
den Genitalien und den Harnorganen, sowie die große Zahl der mit 
Harnbeschwerden behafteten Frauen den Gynäkologen nötigen, die uro- 
logischen Untersuchungsmethoden zu pflegen. Das wachsende Interesse 
an der Materie erhellt aus den zahlreichen Publikationen urologischen 
Inhaltes. welche aus gynäkologischen Kliniken hervorgehen. Es ist 


258 Diskussionsbericht. 


daher nur natürlich, daß Gynäkologen, welche sich speziell mit der 
Urologie befassen, auch allgemeine urologische Therapie betreiben. Oft 
genug wird es sich dabei um einen Nebenbefund bei einem gynäko- 
logischen Grundleiden handeln. Speziell hinsichtlich der Tuberkulose 
glaubt er, daß bei Entdeckung der Blasentuberkulose auch das Genital- 
system beteiligt ist. Zwei von K. beobachtete Fälle waren längere Zeit 
wegen Tuberkulose der Genitalorgane in Beobachtung, bevor der tuber- 
kulöse Blasenprozeß entdeckt wurde. Ebenso entdeckte er gelegentlich 
größerer gynäkologischer Eingriffe Papillome der Blase, welche daher 
in derselben Narkose entfernt wurden usw. 

Die Indikationsstellung für unsere operative Therapie ist ohne An- 
wendung urologischer Methoden nicht mehr exakt genug. Die Differential- 
diagnose, die Vorbereitung der Patientinnen für größere Operationen, 
die Kontrolle nach der Operation, endlich die mannigfachen Störungen 
der Harnorgane in der Schwangerschaft und im Wochenbett erfordern 
von dem Operateur das Vertrautsein mit der urologischen Technik. 

In diesem Sinne scheint es K. auch geboten, daß der Gynäkologe 
nicht einseitig bei Operationen an oder in der Blase einen einzigen Weg 
bevorzugt, sondern individuell von Fall zu Fall die endovesikale Methode 
neben der Sectio alta und der Kolpozystotomie pflegt. Die letzterwähnte 
Operationsart hat ihre spezielle gynäkologische Indikationsbreite. Sie 
empfiehlt sich zur Entfernung größerer Steine und Fremdkörper, welche 
sich eingespießt haben und daher endovesikal ohne Verletzung der Un- 
gebung sich nicht flottmachen lassen. Namentlich bei dem Vorhanden- 
sein schwerer Fremdkörperzystitis mit Gefahr der aufsteigenden Pyelitis 
wegen Verstopfung des Dauerkatheters ist die Kolpozystotomie der ge 
gehbene Weg, weil er zugleich die Dauerdränage der Blase ermöglicht. 
Nach dem Abheilen der Zystitis schließt sich der Schnitt gelegentlich 
von selbst. 

Endlich ist der subpubische, von Fritsch inaugurierte Weg, welcher 
die Blase von einem Eröffnungsschnitt am unteren Rande der Schof- 
fuge aus aufsucht, speziell für gynäkologische Zwecke geeignet, wenn 
es sich darum handelt, die Blase für den Schluß großer Fisteln zu 
mobilisieren oder komplizierte Rißverletzungen nach geburtshilflichen 
Operationen zu reparieren. 

Die Technik der Ureter- und Blasenplastik zur Beseitigung von 
Harnfisteln bei Frauen ist zu einem speziellen gynäkologischen Arbeits- 
gebiet geworden entsprechend der Ätiologie dieser Affektionen. 

Die Heranziehung der Gynäkologen zu dem jüngsten Urologen- 
kongreß ist das erfreuliche Zeichen der gedeihlichen Zusammenarbeit 
beider Disziplinen. | Autoreferat, 

Kneise (Halle a. S.) wendet sich gegen die von Strauß über die 
Pyelitis geäußerten Ansichten und meint, St. hätte offenbar das Glück 
gehabt, recht leichte Fälle von Pyelitis zu sehen. Sodann tritt K. sehr 
warm dafür ein, daß die Gynäkologen sich mit der Technik der intra- 
vesikalen Operationen vertraut machen und berichtet über seine günstigen 


Diskussionsbericht. 259 


eigenen Erfahrungen über das intravesikale Morcellement von Blasen- 
papillomen. 

Luys (Paris) empfiehlt seine Methode der direkten Blasenbesich- 
tigung. 

Prigl (Wien) spricht über seine Erfahrungen bezüglich des gleich- 
zeitigen Vorkommens von Blasen- und Genitaltuberkulose, das er für 
nicht selten erklärt. 

Füth (Köln) empfiehlt das Anhaken und Anziehen der Portio als 
Hilfsmittel der Zystoskopie, weil auf diese Weise oft eine klarere Über- 
sicht des Blasenbodens zu erzielen ist. 

Bär (Wiesbaden) hat einen Fadenstein nach Vaginofixation intra- 
vesikal entfernt. . 

Gauß (Freiburg) weist auf die vielfachen physiologischen und 
pathologischen Beziehungen zwischen weiblichen Harn- und Sexual- 
organen hin. Seine darauf bezüglichen Studien sind in einer demnächst 
erscheinenden Monographie niedergelegt. 

Mirabeau (München) betont die guten Erfolge der intravesikalen 
Operationen und die Vorteile des völlig vom Zystoskop getrennten 
Instrumentariums, wie es für die weibliche Blase von ihm angegeben ist. 

Knorr (Berlin) drückt seine Genugtuung darüber aus, daß die 
breite Basis, auf der die urologischen Interessen der Gynäkologen stehen, 
durch das Referat von Stoeckel anschaulich gemacht ist und tritt in 
seinen Ausführungen lebhaft dafür ein, daß die urologische Betätigung 
der Frauenärzte sich immer mehr steigern möge. 

Latzko (Wien) hält es nicht für opportun, die Abgrenzung der 
gynäkologischen und urologischen Interessensphäre vom Gesichtspunkt 
der Gewerbeordnung aus im Sinne Löwenhardts zu regeln. Daß die 
gynäkologische Urologie ein zu pflegendes Gebiet sei, steht außer Frage, 
und es sei gleichgültig, ob die Gynäkologen so viel Urologie lernten 
oder ob die Urologen sich in der Gynäkologie so weit vervollkommneten, 
daß den berechtigten Ansprüchen der Patientinnen Genüge geschehe. 
Die Spontanheilung der Ureterfisteln sei schon seit neun Jahren von 
Fritsch und seinen Schülern betont. Die postoperative Zystitis nach 
der abdominalen Radikaloperation des Uteruskarzinoms sei eine nicht 
völlige auszuschaltende Folge des radikalen Eingriffes. 

Berg (Frankfurt a. M.) spricht sich gegen die übertriebenen Schilde- 
rungen aus, die von einzelnen Gynäkologen bezüglich der Gonorrhöe- 
gefahren dem Laien gegenüber gemacht werden und eine schwer zu 
bekämpfende Gonorrhöephobie erzeugen. Bei Inkontinenz kleiner Mäd- 
chen empfiehlt er den häufigen Katheterismus. 

Freudenberg (Berlin) tritt für die Methode der Harnröhrendila- 
tation bei der Entfernung von Blasenfremdkörpern ein. 

Stoeckel (Marburg) rechtfertigt in seinem Schlußwort die Ausführ- 
lichkeit seines Referates mit der Notwendigkeit, die Breite der gynäko- 
logischen Interessensphäre in der Urologie darzulegen. Er bekämpft den 
ultraexspektativen Standpunkt Wertheims in der Behandlung der post- 


260 Diskussionsbericht. 


operativen Ureterscheidenfisteln und hält es für falsch und rückschrittlich, 
die in den Verhandlungen ganz beiseite geschobene Ureterimplantation 
völlig auszuschalten. Der Vorschlag Franks, als Grenzlinie zwischen 
Gynäkologen und Urologen in der Gonorrhöebehandlung den inneren 
Muttermund festzulegen, sei praktisch undurchführbar; ebenso kann 
nicht zugegeben werden, daß gerade bei Frauen die Harnseparatoren 
mehr verwendet werden sollen. Der Ureterkatheterismus wird ihnen 
stets überlegen bleiben. Die Mahnung von Strauß, daß die Gynäko- 
logen den Ureterkatheterismus gründlich erlernen müßten, erscheint an- 
gesichts der modernen urologisch-gynäkologischen Bewegung fast über- 
flüssig.‘ Die Anforderungen bezüglich der Technik können gar nicht 
hoch genug geschraubt werden. St. ist manchen Kollegen sowohl unter 
den Chirurgen wie unter den Gynäkologen und auch unter den Urologen 
begegnet, die die Urologie sehr wohlwollend patronisierten, aber eigent- 
lich viel besser getan hätten, sie erst zu erlernen. Spezialistische Titel 
verbürgen durchaus noch nicht spezialistische Fertigkeit. Die von Roth- 
schild erwähnte Reizblase hat St. absichtlich weggelassen, weil sie, 
ähnlich wie das untere Uterussegment, den Anreiz zu den fruchtlosesten 
Diskussionen zu geben pflegt. Die Kolpozystotomie verwirft St. für die 
Exstirpation von Tumoren, hält sie aber für sehr geeignet zur Extraktion 
solcher Fremdkörper, die durch die nicht gedehnte Urethra nicht entfernt 
werdeu können. Die von Freudenberg verteidigte Harnröhrendilatation 
nach Simon hat heute keine Berechtigung mehr. Die postoperative 
Zystitis nach der Radikaloperation des Uteruskarzinoms ist eine Konse- 
quenz des Radikalismus. Entweder wir operieren wirklich radikal — 
dann schaffen wir durch massenhafte Ausschaltung von Blutgefäßen, 
Lymphgefäßen und Nervenbahnen eine schwere trophische Blasenstörung 
und eine Wundhöhle, von der aus eine Blaseninfektion leicht erfolgen 
kann, oder wir operieren nicht radikal, dann bekommen wir auch keine 
Zystitiden. | 

Zum Schlusse dankt St. für die ihm gestellte ehrenvolle Aufgabe 
der Referaterstattung und gibt der Hoffnung Ausdruck, daß das uro- 
logische Interesse der Gynäkologen, das bei den Verhandlungen in er- 
höhtem Maße zum Ausdruck gekommen sei, auch in Zukunft intensiv 
in Erscheinung treten möge. 

Werthheim (Wien) schließt sich der Auffassung an, daß die Be- 
strebungen, die gegen die Zystitis nach der abdominalen Radikaloperation 
des Uteruskarzinoms gerichtet sind, keinen vollen Erfolg verbürgen, weil 
die trophische Störung der Blase bei dem Eingriff eine zu große ist. 
Mit besonderem Nachdruck macht er geltend, daß erst durch ihn die 
häufige spontane Ausheilung von Ureterfisteln nach Karzinomoperationen 
festgestellt sei. 

Das Fazit der Verhandlungen muß als durchaus befriedigend be- 
zeichnet werden. Es war das erstemal, daß die Wechselbeziehungen 
zwischen Gynäkologie und Urologie zur Diskussion gestellt wurden, und 


Diskussionsbericht. 261 


es erwies sich, daß beide Spezialgebiete eine weitere Förderung dieser 
gegenseitigen Beziehungen durchaus benötigen. Der Tenor der Debatte 
war durchaus nicht auf Rivalität, sondern auf gemeinsame wissenschaft- 
liche Weiterarbeit gestimmt. Es wäre sehr zu wünschen, daß die Gynä- 
kologen sich noch zahlreicher, als es dieses Mal der Fall war, an den 
Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für Urologie beteiligen. 
Stoeckel. 


Die Behandlung unfreiwilliger Ureterläsionen und -Unterbindungen. 
Autoreferat eines Vortrags, gehalten auf dem II. Kongreß der Deutschen Gesellschaft 
für Urologie in Berlin (19.—22. April 1909). 

Von 


P. Kroemer, Berlin. 
(Mit 1 Skizze.) 


Der Betrachtung liegen 13 Beobachtungen zugrunde Davon er- 
eigneten sich fünf nach vaginalen, acht nach abdominalen Eingriffen. 
Mit Ausnahme einer Zystozelenoperation schlossen sich die Ureterläsionen 
stets an die Totalexstirpation des Genitalapparates an. 

Die Operationen waren indiziert 

durch Tuberkulose in 1 Falle 
„ Metritis und Adnextumoren „1 „ 
„ Uterusperforation bei Metritis „1 „ 
„ Myoma intraligamentaria „ 2 Fällen 
„ Karzinom des Uterus EE E 

Elfmal war ein Ureter beteiligt, während in zwei Fällen beide Ureteren 
primär oder sekundär geschädigt wurden. Im Falle 5 der vaginalen 
Operationen war der linke Ureter unterbunden, der rechte infolge Ver- 
zerrung durch eine benachbarte Ligatur (siehe die beigegebene Skizze) 
so abgeknickt, daß der Ureterenkatheter die Stelle nicht passieren konnte. 
Im Falle 3 der abdominalen Operationen blieb die Ureterverletzung 
bis zum fünften Tage unentdeckt. Erst die nach dieser Zeit auftretende 
Spontannekrose des anderseitigen (rechten) Harnleiters veranlaßte die 
Entdeckung der linksseitigen Stichverletzung des Ureters, welche zur 
Bildung einer in die Blase sich verwölbenden Ureterozele geführt hatte. 
In einem anderen Falle von einseitiger Stichverletzung wurde die 
Ureterozele bereits 24 Stunden post op. entdeckt, da die bestehende 
reflektorische Urinverhaltung zur Zystoskopie nötigte. Spontane Nekrosen 
der Ureterenwand waren bei den 13 Fällen sechsmal zu verzeichnen, 
in vier von diesen sechs Fällen war eine 'Tamponade der subserösen 
Wundräume der Fistelbildung vorangegangen. Achtmal wurde der 
Ureter durch Anstich verletzt oder durch Ligatur umschnürt und ver- 
schlossen. 

Die Komplikation verlief nur sechsmal ohne besondere Symptome. 
Auch in diesen sechs Fällen bestanden diffuse Kreuz- und Leibschmerzen. 
Fünfmal wiesen Spannung und Schmerzen in der Nierengegend mit 
Ausstrahlung in der Ureterrichtung direkt auf die unterbundene Stelle 













SE m BENE i SS { die Ce Ze akee ee = 
2 ` "ba det. e underan Filen von einaäitipum Ureterrafschluß muß: die 
 Anurie als reflektorisele Harnve erkaltung dureh. andarseitigen Vreterkrampf ` 
a werden in zwei Füllen: konnte dur E Tosun e: de or ` E 

ee die. Dën SE dauernd be o 














die Wieren Ge Se ERC Beete Du nen S 
mm den. ia haider. x Benin See pr nea Palle See m 7 
e Se ter eti 5 nit 


PaT & SE aech FE Tiges : zung 2 Aero A \ 
EZ: TEE: Borges, reese ER, NE RG: 


“Die: Re de Ee Infektion: obt AN: biche Te 
a ‚Prognose einer jeden Ureterläsion. So konnte ieh beobuchten, dalt 
aik Apbetondäume der Fisteln Sehr. kaufe Sehltielfeinte,. puitraldertes E 
Fieber ank Sehneszen iy aler N ierongegend ASE 7 

d ` ach Ahyeelumne der tet primär: gestorbaum. Falle verbe Esche = 
di, mut. Avide mg ‚Nreterscheidenfistel ‚Zur Entlassung kanen & e 
‚ Die auch. unt “deren heubsehtetis Syontanheilumg der. Ksetarfisteln, Ier. 
eine Jüngere Beoha ditang vorita ee als tnerläßlish erscheinen. 
X ach Abluft eines Y jortetjahres E allerdings et Spott ae. nieht: 
mehr zu recima ebenso uch, ‚weng mehr alt ein Drittel ler Ureten- 
Ke SE Sëch ee P a e d P e dere? ist 


Za 9 < 
u a ai A 



















































w ~ e 
a r 
la EN 


264 P.Kroemer. Behandlung unfreiwilliger Ureterläsionen und -Unterbindungen. 


katheter, der Fistelurin durch ein dickes, in den Vaginaltrichter ge- 
schobenes Dränrohr aufgefangen. Die exakt qualitativ-quantitative Be- 
stimmung der Urin- und Farbstoffmengen gibt alsdann ein klares Bild 
von der Funktion beider Nieren und von der Größe der Fistelöffnung. 
Zur Heilung der Ureterfisteln wurden bei dem Ausbleiben der Spontan- 
heilung die Neueinpflanzung des Harnleiters in die Blase und die Ne- 
phrektomie herangezogen. 

Von den zehn Fisteln heilten nur zwei spontan innerhalb von vier 
bis elf Wochen. Dreimal gelang die Ureter-Blasenimplantation mit gutem 
Funktionsresultat, in zwei Fällen heilte die Fistel anstandslos nach Ent- 
fernung der schwererkrankten Niere. Drei Fisteln stehen erst kurze Zeit 
in Beobachtung. Doch scheint nur ein Ureter zur Spontanheilung zu neigen. 

Bei retrospektiver Betrachtung sämtlicher Komplikationen muß zu- 
gegeben werden, daß einige prophylaktisch sich hätten vermeiden lassen. 
So sind z. B. vier von den sechs Spontannekrosen der Tamponade des 
Subserosiums zur Last zu legen. Die letztere ist also zugunsten 
einer sorgfältigen Peritonealisierung der freigelegten Ureter- 
strecken zu unterlassen. Ebenso muß es gelingen, den unfreiwilligen 
Stichverletzungen des Harnleiters vorzubeugen. Die letztere ereignet 
sich einmal beim Umstechen der großen Gefäßbündel, namentlich bei 
atypischem Verlauf des Ureters, nicht selten ferner bei der Durchtrennung 
der Douglas-Bänder, endlich und mit Vorliebe beim Schluß des kompli- 
zierten peritonealen Wundspaltes, sowie beim Umstechen von Nach- 
blutungen. Die günstigen Resultate, welche die sofortige Relaparotomie 
mit Lösung der Schnürligatur gibt, berechtigen mich zu folgendem 
Entschluß: 

Bei jeder Beckenoperation, welche das Ureterbett berührt, 
ist im Anschluß an die Peritonealnaht der beiderseitige Üre- 
terenkatheterismus auszuführen, während der Operateur vom 
Abdomen aus den Ureterkatheter verfolgt. Findet der letztere 
ein Hindernis, so ist die Peritonealnaht sofort zu lösen und der Ureter 
aus seiner Umschnürung zu befreien. 

Die einfache Unterbindung des zerschnittenen Ureters ist nach 
unseren Erfahrungen stets von einer Ureterfistel gefolgt und ist durch 
sofortige Einpflanzung des Ureters in die Blase zu ersetzen. 

In jedem Falle ist beim Auftreten einer postoperativen Anurie oder 
zunehmenden Oligurie schon frühzeitig der vergleichende Ureteren- 
katheterismus auszuführen, um die Situation zu klären. Erweist sich 
der Ureter als unterbunden, so ist die Relaparotomie und Lösung der 
Nähte das Idealverfahren. Bei schweren allgemeinen Symptomen bleibt 
als Notbehelf die Dauerkatheterisation des nicht unterbundenen Ureters, 
eventuell die Anlegung einer Nierenfistel auf der unterbundenen Seite 
bei Fortbestehen der Anurie. 

Die Ureterneoimplantation ist nur bei gesunder zugehöriger Niere 
erlaubt, die Nephrektomie bei kranker Fistelniere geboten, falls die ge- 
sunde Niere sich funktionell leistungsfähig erwiesen hat. 





(Aus der Privatklinik des Privatdozenten Dr. F. Montuoro, Palermo.) 


Die Ureterozystoneostomie nach Boari. 
Von 
Dr. Fortunato Montuoro, 
Dozent der Geburtshilfe und Frauenkrankheiten. 
(Mit 5 Textabbildungen.) 


Die Einpflanzung des Harnleiters in die Blase, welche bei Harn- 
leiterscheiden- und Harnleiter-Gebärmutterfisteln oder bei Mündungs- 
anomalien des Ureters es sich zur Aufgabe macht, dem Urin seinen 
normalen Lauf zurückzugeben, hat hauptsächlich dank der italienischen 
Schule ihren triumphierenden Einzug in die chirurgische Praxis gehalten. 

Nach den experimentellen Arbeiten von Poggi (1887) und von 
De Paoli und Busacchi (1888), welche bei mehreren Hunden mit 
Erfolg die Überpflanzung des mehr oder weniger weit von seiner nor- 
malen Insertion durchschnittenen Ureters in die Blase ausführten, war 
es Novaro,‘welcher zuerst diese Operation mit vollem Erfolg an der 
Frau ausführte (Februar 1893) und im darauffolgenden Monat seine 
Methode der Accademia delle Scienze Mediche zu Bologna mitteilte. 
Wenige Monate später berichtete Bazy, welcher der Operation den 
Namen einer Ureterozystoneostomie gegeben hat, in der Académie 
de Mcdecine zu Paris über seinen Fall und legte seine Methode dar. 
Die beiden Methoden, die transperitoneale von Novaro und die intra- 
peritoneale von Bazy, wurden, fast stets mit Erfolg, von einer Schar 
von Operateuren ausgeführt: Poirrière, Krug, Routier, Pozzi, Baldy, 
Schwartz, Delagenière, Tuffier, Prime, Olshausen, Westermark, 
Thiry, Sänger, Kelly, Penrose usw. 

Nach den Veröffentlichungen Novaros und Bazys kamen eine 
Reihe von Methoden und Varianten für diese unangenehme Krankheit 
in Vorschlag und zur Ausführung, zu deren Bekämpfung die schwersten 
Hilfsmittel, wie die Nephrektomie (Simon, Zweifel, Böckel, 
Czerny, Stark, Towfer, Gallet), die aseptische Ligatur des 
Ureters (vorgeschlagen von Guyon und ausgeführt von Ortmann), 
die Kolpokleisis (vorgeschlagen von Vidal de Cassis und Simon 
und ausgeführt von Hahn, Kehrer und Gusserow) und schließlich 
die Einpflanzung des Ureters in den Darm angewendet worden waren. 
Es genügt, auf die extraperitoneale, die suprapubische transvesikale, die 
subpubische, die vaginale, die urethrale und die sakrale Methode hin- 
zuweisen. 


266 Dr. Fortuano Montuoro. 


Es liegt nicht in meiner Absicht, eine Prüfung all dieser Methoden 
anzustellen; in der Monographie von Boari sind dieselben erschöpfend 
gewürdigt und erläutert. Meine viel bescheidenere Aufgabe sehe ich 
vielmehr darin, die Aufmerksamkeit der ausländischen Gynäkologen auf 
eine neue geniale Methode der Einpflanzung des Ureters in die Harn- 
blase zu lenken — die Methode Boaris —, welche die Einpflanzung 





Fig. 1. 
Boariknopf (einmalige Vergrößerung). 


zu einer äußerst leichten und sicheren gemacht hat, und welche zu Un- 
recht bisher in den neuesten Lehrbüchern der operativen Gynäkologie 
und der Chirurgie der Harnwege kaum angedeutet worden ist. 
Verfahren Boaris. — Die Technik zur Überpflanzung des Harn- 
leiters in die Blase mit Hilfe des Anastomosenknopfes ist folgende: 
Nach Feststellung, welchem der beiden Ureteren die Läsion angehört, 
wird die Laparotomie gemacht und der verletzte Ureter aufgesucht, 
wobei auf dem Verlauf derselben auch das hintere parietale Peritoneum 
auf einer Strecke von 2—3 cm inzidiert wird (transperitonealer Weg). 





Boariknopf (einmalige Vergrößerung). Feder durch das Stilett komprimiert. 


Nachdem der Harnleiter eine gewisse Strecke weit isoliert worden ist, 
wird gegen das in die Fistel mündende Ende eine Schnur angelegt 
und oberhalb derselben reseziert. Darauf werden einige Gazetupfer in 
den Douglas gelegt, um den Urin, der während der Einpflanzungszeit 
abfließen könnte, aufzufangen, und es wird gemessen, ob der Ureter in 
die Blase eingepflanzt werden kann, ohne einen allzu starken Zug erleiden 
zu müssen. 

Es wird dann ein zu dem Kaliber des Ureters passender Knopf 
gewählt, das Ende des Hamleiters über die Röhre gestülpt und dort 


tar, 
Hi 


ki 
(A 





968 Dr. Fortunato Montuoro. 


ahmend, was die Natur normalerweise geschaffen hat. Dieser Umstand 
wurde vom Verf. bei seinen Tierversuchen stets beobachtet und ihm 
schreibt er den konstant erreichten guten Erfolg zu. 

Ist die Einpflanzung vollzogen, so kann man sie nach der Methode 
von Novaro zu einer extraperitonealen machen. Dieser hat folgenden 
sinnreichen Kunstgriff angewendet: Mit dem Finger löst er das vesi- 
kale Peritoneum vom Schambein bis entsprechend der Nahtstelle ab und 
durch die so gebildete Passage leitet er einen Drain aus sterilisierter 
Gaze. Darauf vernäht er das Beckenperitoneum wieder derartig, daß 

die Einpflanzung zu einer 


ER extraperitonealen wird und 

J man, falls der Urin den 
l Nähten entsprechend durch- 
N sickern sollte, vor einer Bauch- 


fellinfektion gesichert ist. Als 
Vorsichtsmaßregel Drainage 
nach Mikulicz in den cul 
de sac des Douglas. Eine Er- 
gießung des Urins in das 
Peritoneum ist nicht zu be- 
fürchten, da man sicher ist. 
daß bis zum 10.—12. Tag der 
Knopf nicht abfällt und nach 
zwei oder drei Tagen der 
Gazestreifen und die Ein- 
pflanzungsstelle infolge der 
reaktiven Verwachsungen, die 
sich sofort ringsum bilden. 
bereits extraperitoneal liegen. 
Der Knopf läßt sich leicht 
durch die Harnröhre nach 
vorausgehender Dilatation der- 
selben herausziehen, entweder 
mittels Pinzette oder mittels 
eines vor der Einpflanzung 
Modifikation von Garovi. an die Basis des Knopfes ge- 
bundenen und durch die 

Blaseninzision zur Harnröhre herausgeleiteten Fadens. 

Einige wichtige Varianten in der Technik der Methode sind von 
Bertazzoli angebracht worden. Dieser Autor und im Anschluß an ihn 
Garovi hat, anstatt die von Boari vorgeschlagene ovale fortlaufende 
Naht zu machen (s. Fig. 4), das in der Blase gemachte Knopfloch mit 
Knopfnähten geschlossen. Die von Garovi empfohlene und von mir 
befulgte Technik ist folgende: „Vor Einführung des Knopfes durch das 
Knopfloch in die Blase werden längs dieser Inzision vier Schlingen aus 
Seidenfäden Nr. O bereitet, von denen zwei ihre beiden Ränder gegen 





Über Ureterzystoneostomie nach Boari. 269 


die Kommissuren umfassen und zwei, untereinander und von den ersten 
gleich weit entfernt, nur den oberen Rand resp. nur den unteren Rand 
fassen (s. Fig. 5). Diese Schlingen, deren Enden von Assistenten mit 
Klemmen festgehalten werden, dienen zum Spannen der Blase, zur Er- 
leichterung der Applikation des Knopfes und nach der Einführung 
eignen sie sich zum rascheren Verschluß der Inzision.“ Diese Variante 
ist von Boari akzeptiert worden, welcher, nachdem er durch die zysto- 
skopische Untersuchung bei zwei vor fünf und sechs Jahren operierten 
Frauen eine gewisse Faltenschrumpfung der Blasenschleimhaut beobachtet 
hat, vermutet, daß dies auf der ovalen fortlaufenden Naht beruhen möchte 
(briefliche Mitteilung). 

Dieselben Autoren nahmen, anstatt auf der Blase ein longitudinales 
Knopfloch zu machen, eine Querinzision vor, welche die Naht der 
Blasenwände und der perivesikalen und periureteralen Gewebe zu einer 
leichteren und schnelleren macht. Schließlich hat Bertazzoli die Bauch- 
wunde mit einer dreifachen Nahtschicht vollständig geschlossen, ohne 
irgendeine Drainage zu belassen. 

Die Ureterozystoneostomie nach Boari ist bisher zirka dreizehnmal 
ausgeführt worden, darunter achtmal in Italien, und zwar stets mit vollem 
Erfolg. Die in Italien ausgeführten Fälle gehören Calderini, Pestalozza, 
Bertazzoli (zwei Fälle), Chiaventone, Carle, Garovi, Boari. 


Es sei mir an dieser Stelle gestattet, die betreffenden Krankengeschichten kurz 
zusammenzufassen. 

Calderini (Klinik von Bologna). — Infolge schwerer Zangenentbindung bildete 
sich bei der Pat. Calderinis eine rechtsseitige Ureter-Gebärmutterfistel. Operation 
ungefähr vier Monate darauf. Bogenförmiger transversaler Einschnitt der Bauchwände 
mit Konkavität nach oben. Der rechte Ureter erschien erweitert und durch das 
Peritoneum gut sichtbar, vor der Symphysis sacro-iliaca rechts liegend. An dieser 
Stelle wurde das Beckenbauchfell inzidiert und der Harnleiter etwas isoliert. Ein 
Bändchen wurde unter ihm durchgeführt und er so emporgehoben. Mit dem Zeigefinger 
wurde dann unter dem Peritoneum bis an die Seite der Gebärmutter vorgegangen! 
Durch einen weiteren Einschnitt in geringer Entfernung von dem Lig. rotundum wurde 
dann der Ureter bei dem Gebärmutterhals gefunden und wenig hinter demselben an 
zwei Stellen unterbunden und in der Mitte zwischen den Ligaturen abgeschnitten. Mit 
dem Zeigefinger verlängerte Verf. darauf von der zweiten Peritonealöffnung aus den 
bereits von der Symphysis sacro-iliaca nach dem Ureterushals gemachten Tunnel bis 
an das Schambein, um auf diese Weise das zentrale Ende des Ureters an die Blase 
heranzubringen. Die Einpflanzung erfolgte mit dem Boari-Knopf in die hintere Wand 
gegen den Fundus durch einen vertikalen Einschnitt, die durch Knopfnähte verschlossen 
wurde. Vernähung des perivesikalen und periureteralen Gewebes rings um die Ein- 
pflanzungsstelle. Gazedrainage gegen die Implantationsstelle. 

Der postoperative Verlauf war etwas langwierig, namentlich durch die lange Zeit, 
die der Knopf gebrauchte, um in die Blase zu fallen, von wo er dann durch Erweite- 
rung der Urethra entfernt wurde. Nach Entfernung des Drains war auch aus dem 
Fistelgang bald reichlicher, bald geringerer Harnabfluß aufgetreten, der aber nach 
Extraktion des Knopfes vollkommen aufhörte, so daß rasch der Verschluß des Fistel- 
ganges erfolgte. Der Erfolg war ein vollkommener: Die Frau verliert keinen Urin 
mehr durch die Scheide und fühlt sich durch das Resultat sehr glücklich. 

Pestalozza (Frauenklinik von Florenz). — Bei der 46jährigen Pat. bildete sich 
infolge vaginaler Hysterektomie wegen Krebses eine Ureter-Scheidenfistel. Die Wahr- 
scheinlichkeitsdiagnose war auf Fistel des linken Harnleiters gestellt worden. Laparo- 

Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 19 


270 Dr. Fortunato Montuoro. 


tomie nach zwei Monaten. Nach Inzision des hinteren Peritoneums auf dem Verlauf 
des Ureters und Freilegung desselben auf einer kurzen Strecke wurde eine Schnur 
gegen das Ende in der Nähe der Fistel angelegt und der Harnleiter oberhalb derselben 
abgeschnitten. Sein Volumen war im Vergleich zu dem der anderen Seite nicht ver- 
größert, weshalb auch aus diesem Umstand nicht mit Sicherheit entschieden werden 
konnte, welches der verletzte Harnleiter war. Die Einpflanzung erfolgte mit dem 
Boari-Knopf nach der oben beschriebenen Technik. Die Implantationsstelle wurde durch 
einen Gazetampon zu einer extraperitonealen gemacht. Nach einigen Tagen trat aus 
dem von der Dränage eingenommenen Kanal Harnsickern auf. 

Der Knopf wurde nach 18 Tagen durch die Harnröhre entfernt. In der supra- 
pubischen Region, entsprechend der Einpflanzungsstelle, dauerte noch einige Zeit ein 
Fistelgang an, an dem Urin austrat. 13 Tage nach der Extraktion des Knopfes hatte sich der 
Fistelgang geschlossen und die Frau wurde vollkommen geheilt aus der Klinik entlassen. 

Bertazzoli (Ospedale Maggiore zu Mailand). — Infolge schwerster Zangen- 
entbindung rechtsseitige Harnleiter-Gebärmutterfistel bei 27jähriger Frau. Laparotomie. 
Der Ureter wurde entdeckt, als man ihn zuerst an der Symphysis sacro-iliaca suchte 
und dann auf seinem Verlauf das Beckenperitoneum bis in die Nähe des breiten 
Mutterbandes inzidierte.e Er zeigte sich enorm verdickt, aber gleichmäßig erweitert, 
Wände hypertrophisch. Mittels Boari-Knopf wurde er in den hinteren unteren Teil 
der Harnblase implantiert. Das Beckenperitoneum wurde über dem Ureter vernäht 
und die Bauchwunde durch dreifache Nahtschicht vollkommen geschlossen. Keinerlei 
Dränage. Es war nicht das geringste Symptom von Harnsickern in das Peritoneum 
zu beklagen. Keine suprapubische Fistel. Der Verlauf war vorzüglich und nach drei 
Wochen wurde Pat. vollkommen geheilt entlassen. 

Bertazzoli (Ospedale Maggiore zu Mailand). — Linksseitige Ureter-Zervixfistel 
infolge schwieriger Zangenentbindung. Nach drei Monaten Laparotomie zwecks Ein- 
pflanzung des verletzten Harnleiters in die Blase. Inzision des hinteren Peritoneal- 
blattes zuerst vor und dann hinter dem Lig. latum auf dem Verlauf des Ureters. 
Isolierung des Harnleiters nach hinten und vorn von dem breiten Mutterband. Mög- 
lichst tiefes Abschneiden. Auf einem in die Blase eingeführten Katheter wird diese 
so tief wie möglich durch transversalen Einschnitt geöffnet, durch dessen Enden je 
zwei Fäden zum rascheren Verschluß nach Anlegung des Knopfes, welche ziemlich 
leicht gelingt, gelegt werden. Vereinigung des äußeren Zellgewebes des Ureters mit 
dem perivesikulären rings um die Einpflanzungsstelle. Überwendliche Naht des hinteren 
Peritoneums vor sowie hinter dem Lig. latum, ebenso des vorderen parietalen Pento- 
neums und dann Knopfnaht der Muskel- und Faszienmasse. Verband. 

Dicker Dauerkatheter in die Blase. Verlauf regelmäßig, nur in der zweiten Woche 
Zystitiserscheinungen, deren man durch antiseptische Ausspülungen bald Herr wird. 
Keine Spur von Harnsickern aus der Einpflanzungsstelle.e Nach 15 Tagen wird der 
Knopf mit großer Leichtigkeit extrahiert. Die Frau fühlt sich sehr wohl und verliert 
keinen Tropfen Urin mehr. 

Chiaventone (Mailand). — 32jährige Frau. Infolge vaginaler Hysterektomie 
wegen Epithelioma cervicis Harnleiter-Scheidenfistel. Nach einiger Zeit Fieberanfälle, 
bedeutende Vergrößerung der dem verletzten Ureter (dem rechten) entsprechenden Niere. 

Laparotomie nach drei Monaten behufs Einpflanzung des Harnleiters in die Blase. 
Die Aufsuchung des Ureters war mühsam, da sein Verlauf erheblich verändert war. 
Er war vollständig vom Peritoneum getrennt, Tunica muscularis hypertrophisch und 
höchst gefäßreich. Lumen wenig erweitert. Bei möglichst tiefer Inzision desselben 
spritzte dem Operateur der Urin als ein unter hohem Druck stehender Strahl ins Ge- 
sicht. Die Technik war die von Boari angegebene. An dem Knopf jedoch hatte Ch. 
eine Modifikation angebracht, indem er über dem zweiten Plättchen ein 1?/, cm langes 
Metallröhrchen ansetzte. Die Harnblase nähte Verf. derart, daß eine Portion derselben 
sich um das 1!/, cm lange Stück Ureter, in dessen Lumen das vorerwähnte Ansatz- 
röhrchen verlief, kanalartig anlegte. Der Ureter ist so 1'/, cm weit über der Hp 
pflanzungsstelle katheterisiert, und überdies ragen die Einpflanzungsstelle und der gan2® 
Knopf in das Blaseninnere. 


Über Ureterzystoneostomie nach Boari. 271 


Postoperativer Verlauf vorzüglich. Kein Urinsickern aus der Wunde. Am 
15. Tag wurde der Knopf ohne Schwierigkeit durch die Harnröhre extrahiert. Die 
Kranke ist vollkommen geheilt. 

Garovi (Ospedale civile Piacenia). — Harnleiter-Scheidenfistel. Die Aufsuchung 
des Ureters ist schwierig. Er zeigt sich doppelt so weit als normal. Isolierung des- 
selben bis gegen die Scheide. Möglichst tiefe Resektion. Implantation mittels des 
Boari-Knopfes durch eine 1?/, cm lange transversale Inzision, deren Verschluß dann in 
der oben angegebenen Weise geschah. Durch überwendliche Naht mit Seide Nr. 1 
werden die verschiedenen Inzisionen des Beckenperitoneums vollkommen geschlossen, . 
sodaß die Einpflanzung des Ureters zu einer extraperitonealen gemacht wird. Vorsichts- 
halber noch von der Schambeinfuge aus unter dem parietalen Peritoneum bis an die Im- 
plantationsstelle Dränage nach Mikulicz. Verlauf fieberfrei. Eine Nichtbeobachtung 
der vorgeschriebenen Diät am zweiten Tag bewirkte heftigstes Erbrechen, das Pat. 
derartig mitnahm, daß man 36 Stunden lang für ihr Leben fürchtete. Doch konnte 
Pat. schon am 13. Tag aufstehen, am 19. Tag wurde der Knopf aus der Blase extrahiert 
und am 23. Tag wurde Pat. mit vollkammener Nieren- und Blasenfunktion entlassen. 

Die im Ausland operierten Fälle gehören Chalot, Kelly (zwei Fälle), Pamann 
(Philadelphia), Brasdow, Edgard und Vincol. Etwas Näheres konnte ich leider 
nur über den Fall von Chalot in Erfahrung bringen, von den übrigen, die nicht ver- 
öffentlicht sind, wurde dem Autor des Verfahrens nur die Tatsache der Operation und 
der stets vorzügliche Erfolg derselben mitgeteilt. 

Chalot (Toulouse). — Bei einer 38jährigen Frau schritt Verf. wegen Krebs zur 
totalen abdominalen Exstirpation. Da sich die Neubildung auch auf das linksseitige 
Parametrium ausgebreitet hatte, mußte er sich nach Unterbindung des linken Ureters 
gegen die Blase zu einer Resektion eines 2 cm langen Stückes desselben entschließen. 
Auf diese Weise konnte er das Neoplasma vollständig exstirpieren. In derselben 
Sitzung machte er mit Hilfe des Boari-Knopfes die Einpflanzung des Ureters in den 
obersten Punkt der Harnblase, nachdem er zuvor die Blase nach dem Verfahren von 
Kelly von ihren Verbindungen mit dem Schambein gelöst hatte, um sie möglichst 
nach oben verschieben zu können. Naht der Bauchwand. Die Einpflanzung dauerte 
nicht länger als 12—15 Minuten. Pat. starb einige Tage darauf an verallgemeinerter 
eitriger Bauchfellentzündung, die sehr wahrscheinlich auf den Kontakt mit dem Eiter 
zurückzuführen war, der sich aus einem während der Operation geplatzten Abszeß 
entleert hatte. Die Harnleiter-Blasenanastomose war perfekt. Keine Spur von Harn- 
erguß in das Becken. i 


Im verflossenen Dezember habe ich Gelegenheit gehabt, das Ver- 
fahren Boaris zur Ausführung zu bringen, und zwar mit einem voll- 
ständigen Erfolg. 


T. B., 46 Jahre alt, verheiratet, V-para. 

Wegen Metrorrhagien und Menorrhagien infolge Sklerose der Uterinarterien 
wurde Pat. mit vaginaler Hysterektomie operiert. (Die mikroskopische Untersuchung 
der Gebärmutter wies die bekannten Alterationen der Gefäßsklerose nach.) Nach 
sieben Tagen wird Harnträufeln aus der Vagina bemerkt. Die Einspritzung von Milch 
in die Blase modifizierte nicht im geringsten Jen Charakter des abtropfenden Urins. 
Bei der zwei Wochen nach der Operation vorgenommenen sorgfältigen Untersuchung 
des vaginalen cul de sac sieht man, daß das Harnträufeln aus dem linken Infundibulum 
koınmt. Die Zystoskopie zeigte, daß aus dem rechten Ureter der Urin regelmäßig in 
die Blase trat und willkürlich von der Pat. gelassen wurde. Der von Prof. Pavone 
ausgeführte Katheterismus der Ureteren war positiv für den rechten Ureter, negativ 
für den linken. Die in den linken Ureter eingeführte Sonde drang nur ungefähr 2 cm 
weit vor und wurde dann durch ein unüberwindliches Hindernis angehalten. Die nach 
mehreren Monaten ausgeführte kombinierte Exploration gestattete, den linken Ureter 
als dicken, harten Strang deutlich zu tasten. Diagnose: linksseitige Ureter-Scheidenfistel. 

Es wird die Ureterzystoneostomie nach Boari beschlossen. Die Operation wurde 
am 13. Dezember, d. h. 14 Monate nach Bildung der Fistel, ausgeführt. 


19* 


272 Dr. Fortunato Montuoro. 


Operation. — Trendelenburgsche Lagerung. Longitudinale Inzision der Bauch- 
wände. Nachdem die Darmschlingen in geeigneter Weise nach unten und die Blase 
nach oben beiseite geschoben sind, sieht man links einen weißen bandförmigen. finger- 
dicken Strang. Das Aussehen und Volumen sind so anormal, daß man nicht auf den 
Gedanken kommt, es könne sich um den enorm hypertrophischen Ureter handeln. 
Die Suche nach dem Ureter wird deshalb langwierig und fruchtlos, bis eine aufmerk- 
samere Untersuchung mir zeigt, daß jener Strang der Ureter ist. Es wird nun das 
Peritoneum inzidiert, der Ureter losgelöst und mit einer Deschampsschen Nadel ein 
Gazestreifehen darunter durchgeführt, um den Ureter emporzuheben und bequemer 
die anderen Manöver ausführen zu können. Nach Verlängerung der Inzision des Peri- 
toneums bis fast dicht an die Vagina wird der Ureter vollständig von den um- 
gebenden Geweben isoliert. Fast auf dem vaginalen cul de sac, den ein Assistent 
mit einem in die Scheide eingeführten Finger nach oben drängte, angekommen, unter- 
band ich den Ureter mit einem kräftigen Seidenfaden fast dicht über der Scheide, 
durchschnitt ihn quer und führte in den zentralen Stumpf einen Boari-Knopf Nr. 4 ein, 
welchen ich mit einem dünnen Seidenfaden festband; diesen Stumpf umhüllte ich mit 
Gaze. Nach Entleerung der Blase wird dann auf dem Schnabel eines Blasenexplo- 
rateurs die hintere Wand möglichst weit unten longitudinal (ein großer Fehler) inzidiert. 
Vor Einführung des zentralen Endes des Ureters in die Blase werden vier Schlingen 
mit Seide Nr. 1 durchgestochen, von denen zwei die beiden Ränder des Blasenknopf- 
loches gegen die Kommissuren und zwei nur den rechten Seitenrand resp. nur den 
linken Seitenrand fassen (Fig. 5). Nach Einführung des Anastomoseknopfes in das 
Blasenknopfloch werden die vier Schlingen mit drei Knoten verknotet. Es werden 
noch vier perivesikale und periureterale sero-seröse Knopfnähte angelegt und schließ- 
lich das Stahlstilett aus dem Knopf zurückgezogen. 

Überwendliche Naht der zur Isolierung des Ureters gemachten Peritonealbresche 
mit Seide Nr. 1. Nach Verlängerung der bereits zur Isolierung des Ureters gemachten 
Peritonealbresche bis an die Implantationsstelle überwendliche Naht, um dem Ureter 
seinen extraperitonealen Verlauf wiederzugeben und die Einpflanzung zu einer extra- 
peritonealen zu machen. Darauf schließe ich die Bauchwände vollständig mit dreifacher 
Nahtschicht ohne Dränage. Der postoperative Verlauf ist ein vorzüglicher gewesen. 
Temperatur fast stets uormal bis auf eine flüchtige und leichte Temperaturerhöhung 
am zweiten Tag (37,5). Infolge Niesens und eines Hustenstoßes am dritten und achten 
Tag wurde der Urin leicht blutig. 

Dauerkatheter für acht Tage. 

Glatte Heilung der Bauchwunde. 

Die Frau verläßt das Bett am 20. Tag. Der Knopf ist erst am 56. Tag nach 
der Operation abgefallen und wurde nach allmählicher Dilatation der Urethra mit 
Hegarschen Sonden leicht mit dem Zeigefinger herausgezogen. In der festen Platte 
des Knopfes sind dünne Kalkinkrustationen zu bemerken. Keine Erscheinung von 
Zystitis weder vor noch nach der Operation. Die Frau wird zehn Tage nach Ent- 
fernung des Knopfes vollkommen geheilt aus der Anstalt entlassen. 


Vorausgesetzt, daß das Verfahren Boaris unter den nämlichen Be- 
dingungen auszuführen ist wie alle übrigen Methoden der Ureterzysto- 
neostomie, halte ich es für wichtig, auf Grund des Studiums der in 
Italien veröffentlichten Fälle und meiner Erfahrung auf folgende Details 
der Technik aufmerksam zu machen. 

1. Der Ureter kann vollständig von den benachbarten Geweben von 
der Linea innominata nach unten bis an die Stelle seiner Mündung ab- 
gelöst werden. Dies schädigt nicht im geringsten seine Ernährung — 
denn durch die Untersuchungen Margaruccis ist nachgewiesen, daß 
der Ureter eine eigene Zirkulation besitzt — und erleichtert in hohem 
Maße die Einpflanzung. 


Über Ureterzystoneostomie nach Boari. 273 


2. Um die Endportion des Ureters den Händen des Operateurs zu- 
gänglicher zu machen, ist es vorteilhaft, daß ein Assistent die Scheiden- 
kuppel mit einem in die Vagina eingeführten Finger nach oben drängt, 
wenn es.sich um eine Ureter-Scheidenfistel bei einer bereits hysterek- 
tomierten Frau handelt. Sind die Genitalorgane in situ und ist die 
Fistel eine Ureter-Gebärmutterfistel, dann ist es am besten, den Fundus 
mit einer Zahnzange anzuhaken und gegen die lLaparotomieöffnung zu 
ziehen, um die hintere Wand der Blase zugänglicher zu machen. 

3. Der Ureter muß auf der Röhre von Boari mit einem dünnen, 
kräftig zusammengeschnürten Seidenfaden befestigt werden, um die 
Nekrose der invaginierten Ureterportion zu beschleunigen und demnach 
ein rascheres Abfallen des Knopfes herbeizuführen. 

4. Sofern es die Verhältnisse gestatten, soll die Einpflanzung mög- 
lichst tief unten, und zwar in die extraperitoneale Portion der Blase 
gemacht werden. 

Die Ansichten der Autoren gehen über letzteren Punkt auseinander. 
Einige geben der Einpflanzung in die intraperitoneale Portion der Blase 
den Vorzug, da die fibrinöse Transsudation des Peritoneums sehr früh- 
zeitig die Einpflanzungsstelle kräftigt, so daß ein Nachgeben der Naht 
fast nicht zu fürchten ist (Krönig). Andere ziehen die Einpflanzung 
auf dem Gipfel der Blase vor, weil so „der Urin nicht zurückfließen 
kann, außer wenn die Blase vollkommen angefüllt ist, was sich nach 
Wunsch regulieren läßt“ (Boari). 

Ich für meine Person glaube, daß das richtigste Verfahren das mit 
bestem Erfolg von Pestalozza und Bertazzoli befolgte, nämlich die 
Einpflanzung in die extraperitoneale Portion ist wegen der geringeren 
Gefahren bei Mißerfolg der Einpflanzung und weil durch die Wieder- 
herstellung des normalen Verlaufs des Harnleiters Zerrungen und Knik- 
kungen verhütet werden, welche einen unheilvollen Einfluß zunächst auf 
den Vernarbungsprozeß und in der Folge auf die Nierenfunktion ausüben 
würden. 

5. Die Naht der Blaseninzision soll aus den oben dargelegten Gründen 
durch Knopfnähte erfolgen 

6. Es ist nicht notwendig, eine Dränage liegen zu lassen, welche 
den Heilungsprozeß zu behindern scheint. In fast sämtlichen Fällen, in 
denen ein Drän nach der Methode Novaro eingelegt worden ist, hat 
man zeitweilig eine Harnfistel sich etablieren sehen; während der Ver- 
lauf in den zwei Fällen von Bertazzoli und dem meinigen, bei denen kein 
Drän eingelegt wurde, in jeder Hinsicht ein befriedigender gewesen ist. 

Das Verfahren Boaris ist unter drei Gesichtspunkten zu betrachten: 
Ausführung, Naherfolge, Fernerfolge. 

Die Ausführung der Methode Boari ist viel leichter als die übrigen 
Methoden, weil das Stahlstilett, welches die beiden Plättchen angenähert 
erhält, alle zur Einpflanzung nötigen Manöver erleichtert und der 
Anastomoseknopf die Nähte auf ein Minimum reduziert: drei für die 
Blase und zwei bis drei für Blase und Ureter. 


274 Dr. Fortunato Montuoro. 


Zur besseren Bewertung des großen Fortschrittes, den der Boari- 
Knopf in der Technik bezeichnet, genügt es hinzuweisen auf die zwei 
Nahtschichten, die bei der Methode Novaro und dem Verfahren von 
Monari erforderlich sind, auf die drei Nahtschichten, die von Baldy 
vorgeschlagen wurden, auf das Verfahren von Büdinger, der dem Ureter 
einen intraparietalen Verlauf sichern möchte. Auch bei der Methode 
von Krug und der noch einfacheren von Sampson in der Modifikation 
von Krönig sind die Nähte nicht nur komplizierter — was bedeutend 
mehr Zeit in Anspruch nimmt —, sondern auch zahlreicher, da zunächst 
das Ureterende an der Blase befestigt und dann die Blaseninzision ge- 
schlossen werden muß. 

Die primären Erfolge der Methode Boari sind auch besser als 
bei den übrigen Methoden. Der Mortalitätsprozentsatz der mit den übrigen 
Methoden ausgeführten Ureterzystoneostomie erreicht in der Tat hohe 
Zahlen. 

Fergusson gibt eine Mortalität von 15%, an. Lutant stellt hundert 
Fälle mit einer Sterblichkeit von 10%, zusammen. Krönig beklagt 
unter seinen 25 Fällen eine Mortalität von 12°),. Ganz anders sind die 
mit der Methode Boari erzielten Resultate Die in Italien operierten 
Fälle (von den im Ausland operierten, die sich in einer kürzlichen Ver- 
öffentlichung Boaris angedeutet finden und über die ich nichts Näheres 
habe in Erfahrung bringen können, spreche ich nicht) haben stets den 
besten Erfolg gehabt. Die Gründe zu diesem konstanten Erfolg beruhen 
nicht bloß auf den — sicher nicht zu unterschätzenden — Vorzügen 
einer leichten und raschen Ausführung, sondern auch auf den wert- 
vollen Eigenschaften des Anastomoseknopfes. 

Der Boari-Knopf sichert in der Tat die solide und exakte Anein- 
anderlegung der Implantationsflächen, begünstigt ihr Verwachsen, ge- 
währleistet mehrere Tage lang den normalen Abfluß des Urins, schützt 
die Naht vor Kontakt mit dem Urin und läßt bei seinem Abfallen keine 
in die Blase vorspringende Portion des Ureters zurück, wie es bei den 
gewöhnlichen Methoden der Invagination der Fall ist. 

Alle diese Vorzüge entschädigen reichlich für den einzigen Übel- 
stand der Methode: die Extraktion des Knopfes durch die Urethra und 
zuweilen — wie in meinem Fall — das verspätete Abfallen desselben. 

Die sekundäre Extraktion des Knopfes ist ein reeller Übelstand, 
der den Mann von der Wohltat der Methode ausschließt. 

Bedenkt man aber, daß die Ureterzystoneostomie eine fast aus- 
schließlich gynäkologische Operation ist, daß die Urethra der Frau sich 
leicht und ohne Schaden erweitern läßt — ich habe sogar Nr. 22 der 
Hegarschen Dilatatoren eingeführt, ohne irgendeine Erscheinung von 
Inkontinenz zu beobachten —, daß die Extraktion des Knopfes durch 
einen vorher an die Basis des Knopfes gebundenen und durch die 
Blasenbresche zur Harnröhre herausgeleiteten Faden äußerst erleichtert 
werden kann, daß schließlich kein Operateur über erhebliche Schwierig- 
keiten bei der Extraktion des Knopfes geklagt hat, so muß man zugeben, 


Über Ureterzystoneostomie nach Boari. 275 


daß dieser leichte Nachteil nicht im geringsten den hohen Wert der 
Methode beeinträchtigt. 

Schwerer war der andere Einwurf, der erhoben wurde, nämlich die 
Möglichkeit eines Verschlusses des Rohres während der Zeit seines 
Verweilens in der Blase (Albarran). Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, 
daß diese Furcht unbegründet ist, denn unter sämtlichen veröffentlichten 
Fällen ist niemals beobachtet worden, daß Kalkkonkremente das Rohr 
verschlossen und demnach den Abfluß des Urins verhinderten. 

Mein Fall beweist vielmehr das Gegenteil Der nach 56 Tagen ab- 
gefallene und nach 60 Tagen extrahierte Knopf zeigt nur feine Kalk- 
inkrustationen an der Basis des beweglichen Plättchens: das Rohr ist 
vollkommen durchgängig. Also nicht einmal nach einem ausnahmsweise 
langen Verweilen des Knopfes in der Blase, welches in meinem Fall 
auf die enorme Dicke der Harnleiterwände und vielleicht auch darauf 
zurückzuführen war, daß ich den Ureter mit dem Seidenfaden nicht 
fest auf dem Röhrchen des Knopfes angeschnürt hatte, kann die Bildung 
von Kalkkonkrementen um den Knopf und infolgedessen der Verschluß 
der Röhre und die Aufhebung der Nierenfunktion eintreten. 

Die Dauerresultate der Ureterozystoneostomie nach Boari zeigen 
in noch höherem Grade die Grundlosigkeit der theoretischen Einwürfe 
und den großen Wert der Methode. 

Die heute bekannten Dauerresultate der Ureterozystoneostomie, 
schreibt Albarran in seinem neuesten Lehrbuch, erlauben nicht mehr 
an die fast konstanten Erfolge zu glauben, die angekündigt wurden. 

Die Versuche von Morestin, Van Hook, Franz zeigen, daß, wenn 
die Implantation gelingt, häufig bei den Hunden nachfolgende Hydro- 
nephrose infolge Stenose oder Obliteration der neuen Ureteröffnung 
beobachtet wird. 

Wenn nun auch diese Schlußfolgerungen nicht ohne weiteres auf 
den Menschen übertragen werden können, da die Blasenmuskulatur bein 
Hund ungemein kräftiger entwickelt ist als beim Menschen, so darf man 
andererseits auch nicht die Beobachtungen von Routier, Rißman und 
Ricard vergessen, bei denen vollständige Obliteration des Ureters ein- 
getreten ist; ebensowenig die Beobachtung von Franz, welcher die 
Nephrektomie später ausführen mußte, und alle anderen Fälle von Uretero- 
zystoanastomosen, bei denen nach kurzer Zeit Stenose der Öffnung mit 
Herabsetzung der Nierenfunktion bis zur Atrophie (subkapsuläre Nephro- 
lyse) folgte. Diese Fälle fanden eingehende Besprechung in der franzö- 
sischen Chirurgengesellschaft (1907). 

Auf die Ursachen dieses ausgebliebenen Erfolges will ich nicht ein- 
gehen. Es liegt mir nur daran, hervorzuheben, daß bei der Implantation 
mit dem Knopf bisher noch keinerlei Erscheinung beobachtet worden 
ist, welche in bezug auf das Funktionsvermögen der Niere auch für die 
ferne Zukunft zu einer reservierten Prognose berechtigte. 

Boari hat eine Umfrage über den Gesundheitszustand der in Italien 
operierten Frauen und das Funktionsvermögen der Niere angestellt und 


276 Dr. Fortunato Montuoro. Über Ureterzystoneostomie nach Boari. 


konstatiert, daß von sieben Frauen sechs noch am Leben sind, bei denen 
die Operation längere Jahre zurückliegt: fünf Jahre (Garadi), sechs 
Jahre (Boari), acht Jahre (Chiaventone), neun Jahre (bei den beiden 
Operierten Bertazzolis), zehn Jahre (Calderini). 

Die Patientin von Pestalozza ist ein Jahr danach an Geschwulst- 
rezidiv gestorben: die Untersuchung zeigte den linken Ureter direkt auf 
die Blase implantiert, die Öffnung mündet durchgängig und mit normaler 
Weite. Die bei einigen Öperierten ausgeführte zystoskopische Unter- 
suchung hat eine fast normale Weite der neuen Öffnung und die vor- 
zügliche Nierenfunktion konstatieren lassen. Auch bei meiner Operierten 
hat die ungefähr vier Monate darauf ausgeführte zystoskopische Unter- 
suchung die neue Öffnung breit durchgängig und perfektes Funktions- 
vermögen der Niere gezeigt. 

Nach all diesen Erfolgen, welche die Leichtigkeit und Schnelligkeit 
der Ausführung, die Güte der primären Resultate und die Sicherheit 
der Dauerresultate dartun, ist unser Enthusiasmus und der Wunsch, 
daß das Verfahren im Ausland in weitem Maßstabe versucht werden 
möchte, vollauf gerechtfertigt. 


Literatur. 


Baldy, Amer. Journ. of obst., März 1896 (zit. nach Boari). 

Bertazzoli, Chirurgia dell’ uretere, Rom 1900, S. 227—233 (zit. bei Boari). 

Boari, L’uretero-cysto-neostomie, etude clinique et experimentale. Annales des org. 
genito-urinaires, Okt.-Nov. 1899. 

Derselbe, L’impianto dell’ uretere sulla vescica, per mezzo del bottone anastomotico. 
XII Congresso Soc. ital. di chir., Okt. 1897. 

Derselbe, Chirurgia dell’ uretere. Studio sperimentale e clinico, Rom 1900. 

Derselbe, Esiti remoti delle uretero-cisto-neostomie eseguite in Italia col metodo dell’ 
autore (bottone di Boari). Atti della Soc. ital. d'urologia. I Congr. di Roma 1908. 

Büdinger, Archiv f. klin. Chir. 1894, Bd. XLVIII. 

Calderini, Innesto dell’ uretere in vescica, per via transperitoneale, a cura di fistola 
uretero-uterina etc. Atti della Soc. ital. di ost. e gin., Bd. V, 1898; Ann. d'ost. 
e gin. 1899, Nr. 4; Monatsschr. f. Gebh. u. Gyn., Bd. IX, 1899. 

De Paoli e Busacchi, La greffe des ureteres dans un point anomal de la vessie. 
Ann. des malad. des org. gen.-ur. 1888. 

Döderlein und Krönig, Operative Gynäkologie. 

Garovi, Contributo alla chirurgia dell’ uretere nella cura della fistola uretero-vaginale. 
Arch. ital. di ginecol. 1904, Nr. 3. 

Krug, New York Journ. of obst. and gyn. 1894. 

Margarucci, Ricerche sulla circolazione propria dell’ uretere. Il Policlinico 1894, 
Nr. 15. 

Novaro, Trapiantamento transperitoneale dell’ uretere nella vescica, a cura della fistola 
uretero-vaginale. Accad. delle Scienze Med. di Bologna, Sett. 1893. 

Derselbe, Transperitoneale Implantation des Ureters in die Harnblase usw. Wiener 
med. Wochenschr. 1894, Nr. 31. 

Pestalozza, Fistola uretero-vaginale. Impianto dell’ uretere in vescica, per via 
transperitoneale, col bottone Boari (bei Boari, Chirurgia dell’ uretere, S. 227). 

Poggi, Sulla cicatrizzazione delle ferite della vescica. Accad. delle Scienze mediche 
di Bologna 1887. 

Derselbe, Alcune ricerche di patologia sperimentale cbirurgica sulla vescica. Riforma 
medica 1887. 


(Aus der geburtshilflich-gynäkologischen Universitätsklinik in Helsingfors. 
Direktor: Prof. C. Heinricius.) 


Vesikolabialfistel nach Hebosteotomie. 
Von 
E. A. Björkenheim, Assistent der Klinik. 


Im Anschluß an den Aufsatz von Maximilian Neu über „Vesiko- 
labialfistel nach Hebosteotomie“ in der „Zeitschrift für gynäkologische 
Urologie“, Bd. I, Heft 4, will ich einen Fall beschreiben, der in vielem 
dem von Neu mitgeteilten ähnlich ist. 


Es handelt sich um eine 21jährige Erstgebärende, die in die geburtshilfliche 
Anstalt in Helsingfors am 25. III. 09 um 12 Uhr 30 Min. nachmittags eintrat. 

Letzte Menses Anfang Juni 1908. Beckenmaße: D. sp. 25cm, D. cr. 28 cnı, 
D. tr. 31 cm, Conj. ext. 17,5 cm, Conj. diag. 10 cm. Weheneintritt 25. II. am Morgen. 
Schädellage. 

Außere Untersuchung: Corpus Uteri vier Finger breit unterhalb des Proc. xiphoid. 
Uteruswand von normaler Dicke, nachgebend. Kopf beweglich über dem Beckenein- 
gang. Wehen gewöhnlicher Beschaffenheit, Dauer ?/,—°/, Minute, nach 4—5 Minuten 
wieder eintretend. Urin enthält etwas Albumen. Temperatur 36,8°C. Puls regel- 
mäßig. Frequenz ca. 82 in der Minute. 

Innere Untersuchung: Äußere Genitalien gesund. Scheide weich, nachgebend. 
Zervikalkanal verstrichen. Muttermund bequem für einen Finger durchgängig. Blase 
gesprungen (sprang um 9 Uhr morgens an demselben Tage). Kopf beweglich über 
dem Beckeneingang. Pos. 0. J. G.T. Pfeilnaht im Querdurchmesser verlaufend, der 
Symphyse näher. 

26. III. 2 Uhr 5 Min. vormittags. Muttermund bequem für einen Finger durch- 
gängig. Kopf beweglich im Beckeneingang. Stellung wie früher. Eine zur Behandlung 
des „Kardiaspasmus‘ konstruierte Dilatationssonde wird eingeführt und der Muttermund 
damit erweitert bis auf eine Durchgängigkeit für zwei Finger. Der Versuch, den Ballon 
von Champetiers de Ribes einzuführen, mißlingt. 

12 Uhr 15 Min. nachmittags. Die Lippen des Muttermundes sind angeschwollen. 
Befinden wie früher. 

27. III. 8 Uhr vormittags. Nacht unruhig. Erhält 0,01 g Morphium. 

12 Uhr 45 Min. nachmittags. Kindliche Herztöne werden etwas unregelmäßig. 
!/, Stunde später zeigt sich das Fruchtwasser verunreinigt. 3 Uhr 20 Min. nachmittags. 
Kindliche Herztöne zeitweise wieder etwas unregelmäßig. Innere Untersuchung: Mutter- 
mund für vier Finger durchgängig. Kopfgeschwulst groß. Kopf fixiert im Becken- 
eingang. Nähte und Fontanellen nicht fühlbar. 

Da die Geburt gar nicht vorwärts rückt, der Kopf offenbar nicht durch den 
Beckeneingang kommen kann, sondern nur mit einem kleinen Segment eingetreten ist, 
die Kopfgeschwulst wächst, die kindlichen Herztöne dauernd unregelmäßig bleiben und 
das Fruchtwasser verunreinigt ist, wird die Beendigung der Geburt notwendig befunden. 
Zangenversuche werden in diesem Falle als nicht zum Ziele führend angesehen, darum 
wird die Hebosteotomie ausgeführt (4 Uhr nachmittags. Prof. Heinricius). 


278 E. A. Björkenheim. 


Bumms Nadel wird an der linken Seite von unten nach oben eingeführt unter 
Leitung eines Fingers in der Vagina, und die Operation wird mit Leichtigkeit und ohne 
nennenswerte Blutung zu Ende gebracht. Vorderer Beckenring um reichlich zwei Finger 
Breite klaffend. Die Scheide unverletzt. Die kindlichen Herztöne sind jetzt schwach, 
zeitweise nicht hörbar. Es wird deshalb die Simpsonsche Zange mit dem Traktions- 
apparate angelegt. Der Kopf geht ohne allzugruße Schwierigkeit durch die obere 
Beckenöffnung, doch ist die Extraktion durch den Beckenkanal ziemlich mühsam. 
Doppelseitige Episiotomie. Die Nabelschnur ist zweimal straff um den Hals des Kindes 
geschlungen. Kind tot. 

Der nach der Geburt eingeführte Katheter enthält blutfreien, etwas trüben Urin. 
An beiden Seiten der Zervix, besonders an der rechten, tiefe Risse, die mit fort- 
laufenden Katgutsuturen zusammengenäht werden. Ein leichter Verband wird über die 
Einstich- und Ausstichöffnung angelegt, eine Binde um das Becken herum. Katheter 
à demeure. 

Umfang des Kopfes 36 cm, D. Mentooccipitalis 13,7 cm, D. sub. Occipito breg- 
matica 9,2 cm, D. Biparietalis 9 cm, Gewicht 2950 g. An der rechten Seite des Kopfes, 
oberhalb des Stirnbeins, eine zirka daumenabdrucksgroße Impression. Auch der hintere 
Teil der linken Wölbung des Kopfes zusammengedrückt. 

Obduktion: Sinus sagittalis und die Meningen stark blutgefüllt. 

28. III. Urin trübe, enthält einige Leukozyten und einige Epithelzellen und 
reichlich Bact. coli. Urotropin (0,5). drei Tabletten täglich. 

7. IV. Der Katheter wird entfernt. Durch die untere Öffnung des Stichkanals 
drängt ca. 30 g Urin. Der Katheter wird wieder eingesetzt. Vesikolalbialfistel. 

12. IV. Sobald der Katheter entfernt wird, dringt eine unbedeutende Menge 
Urin durch den unteren Stichkanal. 

16. IV. Patientin hat einige Stunden gesessen. Schmerzen im linken Bein. 
Linker Femur angeschwollen und empfindlich. Elevation, Ruhelage. Keine Temperatur- 
steigerung. Thrombosis. 

19. IV. Der innere, obere Teil des linken Femur fortwährend leicht angeschwollen 
und empfindlich. 

24. IV. Der Katheter wird entfernt. Kein Urin durch den Stichkanal. Patientiu 
uriniert spontan. Linker Femur weniger angeschwollen und nur leicht empfindlich. 

26. IV. Schmerz beim Urinieren. Urin enthält reichlich Bact. coli. 

4. V. Patientin sitzt aufrecht. Der Schmerz im Bein ist verschwunden. 

7. V. Zustand gut. Im Urin unbedeutende Menge Bact. coli. 

8. V. Patientin steht auf. Der Gang beschwert. Das linke Bein fortwährend 
etwas angeschwollen. 

13. V. Entlassungsbefund: Die durchsägten Flächen liegen gut aneinander mit 
einer Diastase von ca. 0,5 cm. Empfindlichkeit am Knochenspalt. Eine deutliche. 
vertikale Dislokation beim Gehen. Das linke Bein nicht mehr angeschwollen, aber 
etwas steif. 

Zystoskopischer Befund: Blasenschleimhaut von normalem Aussehen. Links 
oben im Fundus eine trichterförmige Einziehung (Fistelöffnung). Blasenschleimhaut in 
der Umgebung dieses Trichters leicht injiziert. Urin klar und bakterienfrei. 


Ich will in diesem Zusammenhange auf die Indikationsstellung sowie 
auf den (reburtsverlauf des soeben beschriebenen Falles nicht näher 
eingehen. Uns interessiert hier die Blasenfistel, die nach der Operation 
zurückblieb, obgleich der Urin gleich nach der Operation kein Blut 
aufwies. Entweder muß die Bummsche Nadel beim Einführen die Blase 
lädiert haben. was am wahrscheinlichsten ist, oder es kann auch die 
Blase bei der Zangenextraktion durch die durchsägten Beckenknochen 
geschädigt worden sein (Blasenquetschung). Doch hätte in diesem Falle 
die Läsion der Blase beträchtlich sein müssen, während der zystoskopische 


Vesikolabialfistel nach Hebosteotomie. 279 


Befund bei der Entlassung der Patientin nur eine kleine, trichterförmige 
Einziehung in der Blasenschleimhaut aufwies. 

Im „Zentralblatt für Gynäkologie“ 1906, Heft 3, sagt Stoeckel, daß 
eine Stichverletzung der Blasenschleimhaut durch die Nadel keine be- 
sonders große Gefahr hervorruft. „Ein Dauerkatheter wird sicherlich 
stets genügen, um die Stichstelle schnell zum Verschluß und ohne Fistel- 
bildung zur Heilung zu bringen.“ In dem hier von mir beschriebenen. 
Falle entstand eine Vesikolabialfistel, die, obgleich der Urin infiziert war, 
durch einen Katheter ä demeure zum Verschluß gebracht wurde. Dieses 
spricht deutlich dafür, daß die Blasendränage durch Dauerkatheter bei 
hochgelegenen Stichverletzungen im allgemeinen genügt (Stoeckel, Die 
Erkrankungen der weiblichen Harnorgane Veits Handbuch für Gyn., 
2. Aufl., Bd. II, 1907). 

Ebenso, wie in dem von Neu beschriebenen Falle, bekam die Frau 
in der dritten Woche eine Thrombose in der Schenkelvene, doch an 
derselben, nicht wie bei Neu, an der entgegengesetzten Seite, an welcher 
die Hebosteotomie ausgeführt worden war. Ob diese Thrombose im An- 
schluß an die Blasenverletzung (Reiffenscheid, Döderlein) entstand, 
oder ob ihre Bildung durch ein Vermeiden der über viele Wochen an- 
dauernden absoluten Ruhelage mit gestreckten Beinen hätte verhindert 
werden können, ist eine Frage, die ich nicht beantworten kann. Doch 
scheint mir die letztere Annahme nicht unmöglich. 


(Aus der Königlichen Universitäts-Frauenklinik zu Königsberg i. Pr.) 


Septischer Abort nach spontaner Kolpokleisis. 
Von 
Prof. Hammerschlag. 


In der Sitzung der Nordostdeutschen Gesellschaft für Gynäkologie 
am 27. II. 1909 demonstrierte ich folgenden bemerkenswerten Fall: 


Eine 34jährige Patientin hat sieben normale Partus durchgemacht. Beim achten 
Partus bestand eine Querlage, die durch Wendung, Extraktion und Zange am nach- 
folgenden Kopf beendet wurde. Am elften Tage des Wochenbettes trat unwillkürlicher 
Urinabgang auf, der Urin wurde eitrig, stark übelriechend.. Am 23. Tage post partum 
erfolgte die Aufnahme in die Klinik. Es fand sich bei der Patientin ein ausgebreitetes 
Ekzem an den äußeren Genitalien, im Scheidengewölbe links oben eine für den Finger 
durchgängige Fistelöffnung. In der Vagina nekrotische Gewebsfetzen, Portio vaginalis 
fehlte, Uterus sonst normal. Urin jauchig. Einlegen eines Dauerkatheters und Blasen- 
spülungen. Nachdem Patientin noch eine Pyelitis überstanden hatte, trat nach Ablauf 
von fünf Wochen fast völlige Kontinenz ein. Die Ursache war ein spontan zustande 
gekommener Verschluß der Vagina zirka 3 cm hinter dem Introitus. Nur im linken 
oberen Winkel eine feine für die Sonde durchgängige Öffnung, die in den hinteren 
Teil der Scheide führte, aus der ein Abfluß von Urin nicht eintrat. In der Blase 
klarer Urin. Die zystoskopische Untersuchung ergab: Im Trigonum bullöses Ödem. 
Neben der linken Uretermündung eine Tasche, die in die Tiefe geht und der Fistel 
entspricht. Patientin wurde bei fast völliger Kontinenz mit Verhaltungsmaßregeln ent- 
lassen und auf später wiederbestellt. 

Einige Monate nach der Entlassung trat bei der Patientin die erste Menstruation 
auf, die sich durch blutig gefärbten Urin bemerkbar machte. Diese Blutfärbung des 
Urins wiederholte sich in regelmäßigen vierwöchentlichen Intervallen, bis sie plötzlich 
ausblieb, ohne daß sich Patientin etwa für schwanger hielt. Im fünften Monat der 
Amennorrhöe setzten jedoch typische Wehenschmerzen ein. die mit Blutabgang durch 
die Vagina und durch die Blase begleitet waren. Aus diesen Gründen suchte Patientin 
wiederum die Klinik auf, woselbst ich folgenden Befund erhob: Fundus uteri hand- 
breit über der Symphyse. Aus der Öffnung in der Kolpokleisis links entleert sich 
stinkendes bräunliches Sekret, dieselbe Beschaffenheit zeigt der in der Blase befind- 
liche Urin. Per rectum fühlt man hinter der Kolpokleisis eine Verdickung der Vagina, 
die in den dem vierten Monat entsprechend vergrößerten Uterus übergeht. 

Die zystoskopische Untersuchung ergab: In der Blase 200 ccm bräunlich-röt- 
lichen trüben Urins, die Blase läßt sich mit 300 cem leicht füllen. Die Blasenschleim- 
haut ist kaum gerütet, beide Uretermündungen ohne Besonderheiten. Dicht an der 
linken Uretermündung findet sich eine halberbsengroße Fistel, durch SE ein leichter 
Bluteintritt in die Blase beobachtet werden kann. 

Unter Zunahme der Wehen und vermehrtem Blutabgang ergibt eine neue zysto- 
skopische Untersuchung eine Verstärkung des Bluteintrittes in die Blase nebst An- 
wesenheit von Cruormassen. 


Septischer Abort nach spontaner Kolpokleisis. 281 


Auf Grund des Befundes stellte ich die Diagnose auf einen Abort im vierten 
bis fünften Monat, der durch die Kommunikation des Scheidenrezessus mit der Harn- 
blase infiziert worden war, und schritt zur operativen Ausräumung des Abortes. 

Im Simonschen Spekulum spaltete ich die Kolpokleisis quer, vertiefte die Inzision 
stumpf und durchtrennte den Rest des Gewebes auf einer in die linksseitige Öffnung 
eingeführten Sonde. Es zeigte sich nun, daß in dem dadurch eröffneten Rezessus 
der Scheide die völlig skelettierten Knochen eines fünfmonatigen Fötus eingehüllt in 
stinkende Massen lagen. Nach Entfernen derselben konnte eine für den Finger durch- 
gängige, in die Blase führende Fistelöffnung freigelegt sowie der Zugang zum Uterus 
dargestellt werden. Die Plazenta befand sich im Uterus, war ganz frisch und völlig 
adhärent, sie ließ sich nur unter Schwierigkeiten lösen und entfernen. 

Unmittelbar nach der Ausräumung trat ein Schüttelfrost auf, sonst verlief das 
Wochenbett fieberfrei. Patientin lag trocken und entleerte regelmäßig ihren Urin. 
Nach 18 Tagen hatte sich wiederum eine spontane Kolpokleisis, diesmal 5 cm hinter 
dem Introitus, gebildet, an deren beiden Endpunkten rechts und links sich je eine 
kleine Öffnung befand. Die zystoskopische Untersuchung ergab hinter der linken 
Uretermündung ein scharf umrändertes Loch von Doppelerbsengröße. Patientin war 
im Liegen völlig kontinent, beim Gehen und Stehen dagegen nicht. Deshalb wurden 
die beiden kleinen Öffnungen in der Kolpokleisis operativ geschlossen, indem sie um- 
schnitten und mit Silkwormnähten vereinigt wurden. Bei der so hergestellten völlig 
geschlossenen Kolpokleisis war Patientin absolut kontinent. 


Es wurde in Erwägung gezogen, Patientin durch eine sterilisierende Operation 
vor Eintritt einer erneuten Gravidität zu schützen, allein dieser Plan wurde fallen ge- 


lassen, da es in höchstem Maße een eh erschien, daß eine solche Eventualität 
eintreten könnte. 


Die Schwangerschaft trotz bestehenden Vaginalverschlusses war 
natürlich in diesem Falle dadurch möglich gewesen, daß die spontane 
Kolpokleisis eine feine Öffnung besessen hatte, durch die die Spermatozoen 
eindringen konnten. Dieser Modus pflegt bei den seltenen Ereignissen 
dieser Art fast stets vorzukomnen. 

- Ich habe in der Literatur noch drei Fälle gefunden, die in ähn- 
licher Weise erklärt werden können. Menge teilte im Zentralblatt für 
Gynäkologie 1900, 13, einen Fall von Schwangerschaft und Geburt nach 
Hysterokolpokleisis mit, bei dem er allerdings keine Öffnung in der 
Kolpokleisis wahrnehmen konnte, so daß er auch die Frage der Schwänge- 
rung durch die Urethra erwog, allein er gab selbst die Möglichkeit zu, 
daß eine für das Auge nicht erkennbare Öffnung in der Kolpokleisis 
den Durchtritt des Spermatozoon ermöglicht hätte. An derselben Stelle 
findet sich ein Fall von Lane, der nach Hysterokleisis ohne wahrnehm- 
bare Öffnung Schwangerschaft eintreten sah. Auch er nimmt trotzdem 
an, daß vielleicht ein kapillärer Kanal in der Narbe den Durchtritt des 
imprägnierenden Zoosperm vermittelt hätte. 

Montini (zitiert nach Zentralblatt 1905, 31) berichtet über eine 
Gravidität nach völliger Atresie der Vagina bei bestehender Blasen- 
scheidenfistel. Dieser Autor nimmt eine Befruchtung durch die Harn- 
blase an, es zweifelt aber schon der Referent an dem sicheren Beweis 
für diese Annahme, da aus der Mitteilung nicht ersichtlich ist, ob zur 
Zeit der Konzeption die Vagina schon völlig atretisch gewesen. 

Jedenfalls scheint mir der gewöhnliche Weg der zu sein, daß das 
Spermatozoon durch cine feine Öffnung des Vaginalverschlusses ein- 


282 Prof. Hammerschlag. Septischer Abort nach spoutaner Kolpokleisis. 


dringt, ein Vorgang, den man bei scheinbar vollständiger Vaginalatresie 
und Schwangerschaft ohne Blasenscheidenfistel bisweilen beobachten 
kann. Ich selbst habe einen derartigen Fall erlebt, bei dem intra partum 
erst durch langsam auströpfelndes Fruchtwasser bei längerer Beobachtung 
der Nachweis einer Öffnung in der Atresie gebracht werden konnte, 
einen ähnlichen Fall beschreibt Kneise im Zentralblatt 1907, 5. 

Der einzige Fall, bei dem die Möglichkeit der Befruchtung durch 
die Blase plausibel erscheint, ist der von Petersen mitgeteilte (zitiert 
nach Frommels Jahresbericht 1906). 

Dieser beobachtete Konzeption und Abort per vesicam infolge 
Coitus urethralis nach Kolpokleisis wegen Blasenscheidenfistel. Bei dieser 
Form der Kohabitation besteht natürlich die Möglichkeit, daß die Sperma- 
tozoen direkt durch die Blasenscheidenfistel in den Vaginalrezessus ge- 
bracht werden. Wird aber der Scheidenblindsack zur Kohabitation be- 
nutzt, wie besonders bei hoher Kolpokleisis wohl stets der Fall, so 
erscheint mir die Wahrscheinlichkeit äußerst gering, daß ein Sperma- 
tozoon die Urethra und den Blasenverschluß überwindet, un dann, ohne 
durch den Harn geschädigt zu werden, durch die Blasenscheidenfistel 
in die Vagina einzudringen. Immerhin sind aber Fälle von Kolpokleisıs 
wegen Blasenscheidenfistel nach dieser Richtung hin zu beobachten, 
eventuell durch sterilisierende Operationen vor der Möglichkeit einer 
Gravidität zu schützen. 

Ist bei einer Kolpokleisis und Blasenscheidenfistel eine Schwanger- 
schaft eingetreten, so muß die geburtshilfliche Therapie je nach Lage 
des Falles ebenso wie bei anderen Vaginalatresien am besten in der 
Öffnung des Verschlusses oder sonst in der Vornahme der Sectio caesarea 
eventuell nach Porro bestehen. In den drei Fällen der Literatur wurde 
einmal die Kolpokleisis durch die Wehen gesprengt, einmal nach an- 
geblich unmöglicher Spaltung der Narbe eine Öffnung mit dem Trokar 
hergestellt, durch welche die Frucht ausgetrieben wurde, und einmal die 
Porrosche Operation ausgeführt. 

In meinem Falle gelang es, wie oben angegeben, durch Spaltung 
der Kolpokleisis leicht, einen Zugang zum Uterus herzustellen, welcher 
Modus procedendi schon wegen der Zersetzung des Eies durch den Urin 
vorgezeichnet war. 


(Aus der gynäkologisch-geburtshilflichen Abteilung des Allerheiligen-Hospitals zu Breslau. 
Direktor: Primärarzt Dr. Asch.) 


Über zystoskopische Befunde nach gynäkologischen Operationen. 
Von 


Dr. Wladislaus Falgowski, Frauenarzt in Posen 


(ebemaliger Sekundärarzt der Abteilung). 


Es ist gewiß eine interessante Aufgabe, zu erforschen, auf welche 
Ursachen die Blasenschädigungen mannigfacher Art, wie wir sie nach 
gynäkologischen Operationen nicht gar so selten sehen, zurückzuführen 
sind und ob sie etwa aus der Art der Operation erklärt werden können 
und ob sie öfter nach vaginalen als nach abdominalen Operationen vor- 
kommen. Ich habe zu diesem Zwecke die Art der zystoskopisch erkenn- 
baren Noxe, welche nach gynäkologischen Operationen resultierte, genau 
zu differenzieren gesucht und auch den anamnestischen Faktor, ob eine 
Blasenstörung schon vorher bestand oder vor der Operation objektiv 
festgestellt wurde, möglichst berücksichtigt, um an der Hand des mir 
zur Verfügung stehenden Materials die für den Kliniker sowohl wie für 
den Operateur wichtigen logischen Schlüsse daraus zu ziehen. Nach 
diesen Gesichtspunkten habe ich die mir vorliegenden 53 zystoskopischen 
Befunde, die ich bei Frauen nach überstandenen gynäkologischen Opera- 
tionen erhoben habe, genau gesichtet und habe mich dabei stets gefragt, 
ob nicht bestimmte, objektiv erhobene zystoskopische Befunde und be- 
stimmte Schädigungen im Bereich der Blase mit bestimmten Operationen 
oder mit bestimmten Umständen, die im Falle selbst lagen, in 
Zusammenhang gebracht werden könnten. 

Ich kann mit gewisser Genugtuung behaupten, daß — nach genauer 
Sichtung und Durcharbeitung der Fälle — die zystoskopisch erwiesene 
Blasenveränderung fast jedesmal sich ätiologisch genau erklären ließ 
und daß fast kein Fall dunkel blieb. Ich habe unter Zuhilfenahme 
unserer Journale und oft an der Hand der etwa schon vor den Ope- 
rationen vorhandenen zystoskopischen Befunde und sonstigen Resultate 
früherer Blasenuntersuchungen stets nachweisen können, worauf die post 
operationem bestehenden Schädigungen zurückzuführen seien. 

Ich muß im voraus betonen, daß nur Frauen zystoskopiert wurden, 
die auf eine Schädigung der Blase überhaupt verdächtig erschienen. 
Die gefundenen Zahlen lassen sich also nicht auf das gesamte operierte 
Material in Beziehung bringen, geben aber doch zur Begutachtung und 
Würdigung der verschiedenen ätiologischen Momente ein beachtens- 


284 Dr. Wladislaus Falgowski. 


wertes Kriterium. Die zahlreich Operierten, welche keinerlei Blasen- 
erscheinungen post operationem boten, wurden also gar nicht erst in 
Rechnung genommen. Die Zahl dieser letzteren ist natürlich weit größer 
als der in diese Arbeit Aufgenommenen. 

Ferner habe ich in diese Arbeit die zystoskopischen Befunde nach 
der erweiterten abdominalen Krebsoperation nicht mit aufgenommen, 
weil hierbei doch ganz andere Faktoren noch mit in Frage kommen 
dürften, die vielleicht nicht in den Rahmen dieser Arbeit gehören. — 
Nachteilige Folgen der zystoskopischen, oft mehrfach in Abständen vor- 
genommenen Untersuchungen habe ich in keinem Falle gesehen. Immer 
wurde unter reinlichsten Kautelen zystoskopiert und oft prophylaktisch 
Urotropin gegeben. 

Das zystoskopierte Krankenmaterial stammt aus den Jahren 1908 
bis Anfang März 1909. 

Die Hoffnung, daß sich vielleicht die Noxe in einen gewissen 
Einklang bringen lassen würde mit dem gewählten Operationsweg (ob 
vaginal oder abdominal), erwies sich als vollkommen eitel. Keiner der 
beiden oft beliebig zu Gebote stehenden, oft sich von selbst empfehlen- 
den Operationsmethoden ließ sich irgendwelche prädisponierende Schuld 
beimessen. Drei Faktoren aber scheinen mir so wichtig zu sein, daß 
ich sie als für diese Arbeit in Betracht kommende ätiologische Grund- 
stützen gleich zu Anfang besprechen möchte, und zwar: 

1. der Katheterismus inkl. Dauerkatheter, 

2. die anatomisch falsche Blasenversorgung während der Operation, 

3. die Septizität resp. Unreinheit der Fälle selbst. 


1. Die Schädlichkeit des Katheterismus ist allbekannt und 
braucht nicht betont zu werden. Wenn stets vom Arzt und stets unter 
streng aseptischen Kautelen katheterisiert werden könnte, sö bliebe hier- 
bei nur die mechanische Schädigung zu fürchten. Aber oft genug ist 
gerade nach gynäkologischen Operationen — ich erinnere an manche 
ausgedehnte vaginale Plastiken — eine streng aseptische Vorbereitung 
zum Katheterismus, wozu die Reinigung mindestens des Scheideneingangs, 
wenn nicht der ganzen Scheide gehört, gar nicht durchzuführen. Als 
sehr wenig aseptisch ist auch der bequeme Katheterismus durch Ein- 
legen eines Dauerkatheters anzusehen, welcher, ganz abgesehen von 
der nicht unbeträchtlichen mechanischen Reizung, den infektiösen Ein- 
dringlingen Tür und Tor öffnet. Die Gefährlichkeit des Dauerkatheters, 
den wir nur bei ganz seltenen Fällen (größeren Urethralplastiken und 
nach Herausnahme umfangreicherer Urethralpolypen) anwandten, wird 
später aus den beigefügten Tabellen ersehen werden können. Auch der 
gewöhnliche Katheterismus läßt sich viel mehr einschränken, als man 
glaubt, wenn die zu operierenden Frauen schon lange genug vorher 
unterrichtet und gewöhnt werden, im Liegen Wasser zu lassen. Haben 
sie sich dazu schon vor der Operation zu bequemen gelernt, so bringen 
sie es auch geradesogut nach der Operation zuwege. Dadurch wird 


Über zystoskopische Befunde nach gynäkologischen Operationen. 285 


den Frauen vielfach der folgenschwere Katheterismus und dem Arzte 
das Nachsehen erspart. 

2. Durch anatomisch falsche Blasenversorgung kann eben- 
sogut bei Laparotomien wie bei vaginalen Operationen gesündigt werden. 
Wer darauf achtet, daß die Blase in ihrer vollen Ausdehnung zwischen 
Peritoneum und Scheidenwand zu liegen kommt, d. h. gut mit Peri- 
toneum bekleidet wird, wird sich viel Sorgen ersparen. Auf unserer 
Abteilung wird peinlichst darauf Gewicht gelegt, daß nach vaginaler 
Eröffnung des vorderen Scheidengewölbes das vordere parietale Peri- 
toneum an die vordere Scheidenwand exakt und sofort nach Eröffnung 
des vorderen Douglas angenäht wird, um die Blase vor mechanischen 
Insulten möglichst zu schützen und ihrer Ernährung nicht zu berauben. 
Bei Laparotomien kann ganz dasselbe, wenn nicht früher, so doch 
wenigstens am Schluß der Operation gemacht werden — zum Wohle 
und Schutze der Blase. Der Blase wird durch Umsäumung mit mög- 
lichst viel Peritoneum ein natürlicher Halt verliehen, was namentlich 
nach Herausnahme des Uterus von größter Bedeutung ist. Je genauer 
diese Blasenversorgung möglich war, desto geringer und seltener sind 
die nachherigen Blasenstörungen gewesen. Wo aber bei breit zerfetzten 
oder dränierten Flächen der Blasenschutz nicht so exakt durchgeführt 
werden konnte, wo breite Adhäsionsflächen, unreine, infiltrierte Wund- 
flächen oder Exsudate die Klarheit der Technik störten, wo Abszeßhöhlen 
die aseptische und exakte Naht hinderten, dort traten bei unseren Fällen 
am häufigsten objektiv sichtbare Blasenveränderungen nach der Ope- 
ration auf. 

3. So sind wir schon damit zu dem dritten Punkte, der Unrein- 
heit der Fälle gekommen. Frischere oder subchronische Adnexitiden 
haben, ganz gleich, ob sie abdominal oder vaginal angegriffen wurden, 
ganz gleich, ob sie gonorrhöischer oder puerperaler Natur waren, in sehr 
vielen Fällen zu postoperativen Blasenschädigungen Veranlassung ge- 
geben. Es sind dies überdies jene meist gonorrhöischen Adnexaffek- 
tionen, die von vornherein nur ausnahmsweise einmal ohne Mitbeteiligung 
der Blase einhergehen, also Fälle, wo die Blasenschädigung schon vor 
der Operation — latent oder noch bemerkbar — vorhanden und in 
unseren Fällen oft genug auch zystoskopisch vor der Operation erwiesen 
werden konnte Zu den unreinen Fällen gehören alle jene noch zu 
frischen Adhäsionsbildungen und Exsudate am Uterus und an den 
Adnexen, die nach Lösung oder Herausnahme des Uterus ihre Existenz 
von neuem beginnen und erneut Einengung der Blase sowie Verzerrung 
ihres Lumens und septische und mechanische Reizung verursachen. 
Man muß bedenken, daß solche entzündlichen Fremdlinge, wie es Ad- 
häsionen, Narben und Exsudate sind, auf die Blutverteilung im ganzen 
Beckenbereich einen großen umwälzenden Einfluß haben — und man 
wird auf Grund dieser venösen Beckenstase und Zirkulationsstörung 
manche Hyperämie und Entzündung der Blase ätiologisch richtig deuten 


können, selbst bei Fehlen jeglicher bakteriellen Befunde innerhalb der Blase. 
Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 20 


286 Dr. Wladislaus Falgowski. 


Es ist bei den Adnexitiden ein großer Unterschied, ob sie chro- 
nisch sind oder noch subchronische Erscheinungen bieten. Die 
alten chronischen Tubenaffektionen, die etwa nur noch eine fixierte 
Hydrosalpinx oder Retroflexis bieten, ferner die gut abgekapselten 
Adnextumoren verhalten sich annähernd schon wie die sauberen, asep- 
tischen Fälle, was allemal mit Sicherheit erst nach gemachter Operation 
an dem Fehlen oder Vorhandensein von Fieber sich erweisen läßt. Die 
Operation ist in diesem Falle wie eine experimentelle ungewollte Probe 
auf die Reinheit des Falles, vorausgesetzt natürlich, daß sonst unter 
aseptischen Kautelen, wie sich von selbst versteht, operiert wird. Da wir 
es mit operierten, also in dieser genannten Hinsicht experimentell auf 
ihre Reinheit erprobten Fällen zu tun haben, so fällt es uns natürlich 
leicht, die 53 Frauen in dieser Beziehung ganz sicher in septische und 
aseptische Fälle zu trennen, um zu erweisen, daß Blasenstörungen nach 
septischen Operationen eine enorme Häufigkeit bilden. Immer sind auch 
die postoperativen genitalen Befunde zur Klärung der Fälle mit heran- 
gezogen worden. 

Ich stehe nicht an, zu behaupten, daß die Reinheit resp. Un- 
reinheit des Falles von einschneidendster ätiologischer Bedeutung ist 
für das Zustandekommen von Blasenveränderungen nach gynäkologischen 
Operationen. Nicht leicht ist es manchmal zu bestimmen, ob der post- 
operative Blasenbefund als Aufflackerung der alten, latenten, leichten 
Blasenerkrankung oder als direkt durch die Operation bedingte Noxe 
aufzufassen sei. Auf zystoskopischem Wege ist diese Entscheidung 
aber in den meisten Fällen mit Sicherheit zu treffen, wenn statt Ver- 
änderungen der Blasenschleimhaut perizystitische Stränge oder sich vor- 
wölbende Resistenzen festgestellt wurden, die durch den Palpationsbefund 
nicht anders als Exsudate im Becken in der Nähe der Blase liegend 
gedeutet werden können. Größere Beckenexsudate müssen oft, wenn 
nicht immer, die Blase direkt mechanisch und nutritiv beeinträchtigen, 
da sie ja meistens mit einer größeren oder kleineren Kalotte an die 
Blase anstoßen und wie ein Tumor wirken. Abgesehen von der venösen 
Stase und Hyperämie, von der schon oben die Rede war, beeinträchtigen 
sie rein mechanisch die Elastizität und Bewegungs- und Dehnungs- 
fähigkeit der Blase ebenso wie die perizystitischen Stränge Es ist 
hierbei ganz gleich, ob das Exsudat auf dem Boden eines zurück- 
gelassenen Zervixstumpfes oder bei Totalexstirpation in der Scheiden- 
narbe, um ein dringelassenes Ovar, oder im Adnexstumpf sich gebildet 
hat. Der Grad der Schädigung der Blase durch Exsudate drückt sich 
dadurch aus, daß Zystitis heftigster Art meist über kurz oder lang die 
Folge aller in der Nähe der Blase liegenden Exsudate bildet. 

Hierher gehören auch die dränierten Fälle, wo von vornherein 
auf primären Verschluß der gemachten Wunden nicht gerechnet werden 
konnte, sowohl nach vaginalen wie nach abdominalen Operationen. 

Ein weiteres ätiologisch wichtiges Moment zur Beurteilung von 
Blasenschädigungen nach gynäkologischen Operationen geben die den 


Sne Drenuatteséies feat ler Ale en 
die! kefation ka Uterus. Bei e Ran wird 
die a le I rel ZS e u, e N und, a SE 


ring 
ER 





| Er Dn Tu ei FRE > S 
Bé mei SEN) 












wurde Seet ` See Ate Zeie etc WE aer 
Ze öder uhi Kixsndatbilding vegehnälig hachroveinsen, xodareli sich, dia dis 
Ti rn e mn SE 








er 











& = manchmal anert 
= Ak GE SE S 
e wm E rn. 
E ee 2 rer $ 
















jet a SR "a eg ys ous GE hen ` 
ezialisieren, will Mehr. naeh den = hen Get | mie 
gece. See deeg ix untersuchten 58 Frans rubrideren, 
ine e Atoleyzisehe Th er ‚zu verschaffen. aus. der wir 
E sch ns wâllen Der 








"Bett den „septisel bie Er 
Sex ‚oben ‚gesagt wurde, 
ar ee diine f 











z Beh = See e See, 0 AG 
"tee: ye Se Ee | 






N et me e en nn SE enr e en 3 


en i Rack. ETC 

à Züsabaman) RR, EE N sak bahen. uch, ER iR Bee A 

' Gu E Een bah ` Ri D Ee 

ass De ee e =R ei n Së 

EEE DÉEN RER E EE, , 

AE E 7 GE sarıkns oe APEM "ec S EE | 

e . el ` Daierksrbater: ) A "Gë e ee SET Ay 

noch, bröannien: Ne 
an at DR 


( Kate GE Së 
dë s Le r Se 
e Ke ` 
e N e 
s DE H 


Ke "a Fr 
BEN 


a, D iR 
Teate - ha e ir 
en ee l K 
Las ES - ‚ 


d | hab Dr. geprtikchen: 1 om #7 
be SOPENA. s 


ien 
K 
mr D 
Dt u af 
a "€ ée hi 
Iai 
wem 
A 
> 
En Ha 
4 $ 
* 
mu dE EA ke a 
. y> TR wir 
i T KAT a t 
Zing or Za: d A 
pe Hp d 
? * ; A à a Ä 
nn. a nn nn nn ar 


ae eer 


RER f EAr ONS S HA isay é oan EE E E EE 
UG o Ve 1 2 K z£) vi k ianei 7 ih P X e: DE ig > cc? ZS. j 2 l Ar: r3 8 
Sa} Zei gi vk ` ER o 


RE deer A Ai 


Sa In Senn Gr rege ä 


k r 
ba A 
dal 3 
ia K 
© yi 
 gavd gi 
A 





RE un 
Za 
— 
S 
Ae 
T a 
per 
<a 
SS 
ës mee 
SS EE 








288 Dr. Wladislaus Falgowski. 


Aus dieser Tabelle geht die Bewertung der einzelnen ätiologischen 
Momente von selbst hervor. Es zeigt sich darnach, daß diese ätiolo- 
gischen Faktoren nicht gleichwertig untereinander sind, daß vielmehr 
der dauernde Katheterismus noch öfter und regelmäßiger Blasen- 
schädigungen und zystoskopisch sichtbare Veränderungen hervorruft, 
als sogar septische Operationen. Die unterste Rubrik zeigt, daß bei 
unseren Frauen in selteneren Fällen auch nach einwandfreien asep- 
tischen Operationen Blasenschädigungen auftraten, und zwar ebensogut 
nach vaginalen wie nach abdominalen Operationen. In der folgen- 
den Tabelle sei der Operationsweg besonders bewertet. 
























Tabelle Il. 
Es fanden sich Blasenveränderungen vor: 
nn 13 | Blasenveränd. || Wieviel 
nach | S | und zwar (speziell) nach | vor- | nicbt |j Proz. der 
EE Lg ‚, handen ;vorhand.| Fälle 
' 3 | aseptischen Laparotomien 11))ı 2 | 33,3 
a) 14 Laparotomien ' 8 | septischen Laparotomien 1 (4) 1 | 87,5 
Ge abdom. fixier. Operat. | 
Ä S ‚ (auswärts gemacht) S H | 199 
| |116) | 3 | 78,57 
| 13 reinen Fällen 1m | 12 | 7,69 
19: septischen Fällen | 11 (4) | 57.9 
b) 39 vagin. Operat. 4 öfter katheteris. Fällen || 4 — 100 
| e Gs | 
a; vagin. fixier. Fällen | . Ä 
l ge (2 auswärts gemacht) | S == | 100 
Summa: |53| |196) | 20 | 48,72 
| | i | 





Die vorstehende Tabelle II soll zeigen, wie sich die gefundenen 
Blasenveränderungen unter die vaginalen und abdominalen Opera- 
tionsmethoden verteilen. Hierbei ist aber Rubrik a,) nur mit aller- 
größter Reserve zu bewerten, weil die Anzahl der nach aseptischen 
Laparotomien zystoskopierten Frauen mit Blasensymptomen so gering 
war, daß irgendein Zufall leicht eine verhängnisvoll verschiebende Rolle 
spielen konnte. Dazu kommt noch, daß die Blasenschädigung unter a,) 
als Rezidiv anzusehen ist. 

Die nebenstehende ITT. Tabelle endlich gibt die Übersicht über die 
Bewertung der einzelnen als Noxe geltenden Geen resp. Momente, 
und zwar nach Prozenten geordnet. 

Es zeigt sich also, daß die Laparotomie in unseren Fällen sowohl 
bei den aseptischen, als auch bei den septischen Fällen als grüßere 
Noxe anzuschen ist, als die vaginale Operation. Allerdings muß be- 
dacht werden, daß die der Laparotomie unterworfenen Frauen die 





*) In Klammern die Rezidive. 


Über zystoskopische Befunde nach gynäkologischen Operationen. 289 


größeren Tumoren, die erheblicheren Befunde hatten. Jedenfalls darf 
aber den vaginalen Methoden, falls sie richtig gewählt und indiziert 
sind, nicht der Vorwurf gemacht werden, als ob sie eine besondere Ge- 
fahr für die Blase bedeuteten. 

Ich glaube durch diese Zusammenstellungen bewiesen zu haben, 
daß — vorausgesetzt die bei uns geübte exakte Blasenversorgung — 
die postoperativen Blasenschädigungen mit dem gewählten Operations- 
wege nichts zu tun haben und daß sie in der Hauptsache von Um- 
ständen abhängig sind, die in der Natur des einzelnen Falles selbst, 
d. h. in seiner Septizität liegen. Sowohl nach vaginalen wie nach 
abdominalen Operationen sollten, falls sie ohne Fieber und Exsudat- 
bildungen verlaufen, Störungen von seiten der Blase zu den Seltenheiten 
gehören. Dagegen sind nach septischen vaginalen Operationen 
57,9%, Blasenveränderungen, nach septischen Laparotomien deren 
sogar 87°/, zu befürchten. 








Tabelle III. 
| Darunter wieviel 
Art der Operationen Proz. Blasen- 

Beeren en | yeränderungen 
vaginale aseptische Operationen . . . 7,69 
abdominale aseptische Operationen . . 33,3 
vaginale septische Operationen . . . 57,9 
abdominale septische Operationen . . 87,5 
abdominale fixierende Operationen . . 
vaginale fixierende Operationen . | | je 100 
katheterisierte Fälle . | 


Wer sich aber trotzdem noch über die große Anzahl von Blasen- 
schädigungen, die nach vaginalen Operationen bei uns gefunden 
worden sind, wundern sollte, der sei daran erinnert, daß wir gerade 
die schwerseptischen Fälle mit Vorliebe vaginal angreifen und daß 
wir noch manchem unreinen Fall vaginal zu Leibe rücken und mit Er- 
folg operieren, den wir und andere Operateure abdominal anzugreifen 
sich scheuen würden. 

Daß die dränierten Fälle, namentlich die vaginal dränierten zu 
nachherigen Blasenstörungen prädisponiert sind, erklärt sich sowohl aus 
der Septizität dieser zur Ausführung der Dränage zwingenden Fälle, 
wie auch aus der dabei ausgeübten mechanischen Druckreizung und 
der anatomisch falschen Blasenversorgung, wie sie bei solchen Opera- 
tionen meist nicht zu umgehen ist. 


Nachdem ich so die ätiologischen Hauptmomente allseitig gewürdigt 
habe, bleibt mir nur übrig, auf die Art und Weise der jeweilig ge- 
setzten Blasenschädigung näher einzugehen und die speziellere Ent- 
stehungsart der einzelnen Schädigungen zu erörtern. Auch hier zeigte 
es sich, daß in der Hauptsache die Beschaffenheit des Falles 


va 


o 
ir 
w ern a Ne 


F 
rt 
. 


` 
$ 


Léa ze 


(Ureami: 
ZO 


VW 
vi 


hl) 


Gë: shi i Sr 


H ER 


A 


Ki SEI 


KW: 
7 


a Aa. Ze 


ee TOTI nA 


Y N: D WAN ` 
oh oe 


CT yy tur 
CIRY NR 


Va age nn er 


| San D ke ji ia 


t # 





Über zystoskopische Befunde nach gymäkologischen Operationen. 391 


Es sei mir gestattet, nun jeder Erkrankungsart einige erläuternde 
Worte hinzuzufügen. 


Cystitis colli. 

Die bekannteste und neben der Perizystitis nach gynäkologischen 
Operationen am häufigsten vorkommende Blasenstörung war die Cy- 
stitis colli, ebenso nach Laparotomien wie auch nach vaginalen Opera- 
tionen vorkommend. Oft war sie eine Folge des Katheterismus — 
schon durch seine mechanische Reizung — und bildet, wenn unbehandelt, 
in vielen Fällen die Vorstufe zur diffusen Zystitis, die nach öfter 
geübtem Katheterismus oder nach längerem Verweilen eines Dauer- 
katheters fast regelmäßig eintrat. 

Wo nicht katheterisiert wurde, kam sie nach aseptischen Öpera- 
tionen nur höchst selten vor (und zwar nur einmal unter unseren 16 
aseptischen Fällen), und dies bei einer Frau, wo schon vor der Opera- 
tion Cystitis colli konstatiert war. Im übrigen bildete die Cystitis colli 
öfter eine Folgeerscheinung nach septischen Operationen, und zwar 
wurde sie von 27 solchen Operationen in zehn Fällen von uns kon- 
statiert, davon aber in sechs Fällen nur als Rezidiv einer früher bereits 
— vor der Operation — abgeheilten Erkrankung. Prozentualiter kam 
sie nach vaginalen Operationen seltener vor als nach Laparotomien; 
‘unter acht septischen Laparotomien sogar in vier Fällen, davon nur ein- 
mal als Rezidiv, dreimal als direkte Folge der Operation! Nach 19 
septischen vaginalen Operationen nur einmal als direkte Folge der 
Operation, fünfmal als Rezidiv. 

Nach den sechs, den Uterus direkt fixierenden Operationen war 
viermal Cystitis colli zu verzeichnen gewesen, was wohl hierbei ledig- 
lich wieder aufs Katheterisieren zu beziehen ist. Ich habe die Erfahrung 
gemacht, daß nach solchen Operationen das Wasserlassen meistens er- 
schwert oder behindert ist, was mit der allzu unnatürlichen und — 
namentlich bei den Vaginifixuren — gewaltsamen Lageveränderung und 
damit gestörten Ernährungsbedingungen zusammenhängen mag. In den 
meisten Fällen mußte recht oft katheterisiert werden, so daß dreimal (von 
sechs Fällen) Cystitis diffusa entstand. Hier verbindet sich also die 
schädigende Wirkung der Ernährungsstörung mit der mechanischen 
und infizierenden Einwirkung des Katheterismus. Die als Rezidive ein- 
tretenden Zystitiden sind auf die mechanische Reizung zurückzuführen, 
die jede Operation in der Blasengegend — also am Uterus und den 
Genitalien — nach sich ziehen muß, zumal meistens die Blase stumpf 
oder scharf angegriffen wird. Oft genug ist aber die postoperative Blasen- 
erkrankung weiter nichts als die Aufflackerung des noch nicht oder 
noch nicht völlig abgeheilten Prozesses. 


Cystitis diffusa. 
Cystitis diffusa war unter unseren Fällen im ganzen elfmal zu 
verzeichnen gewesen, darunter fünfmal als Rezidiv. Von den vier mit 
Dauerkatheter behandelten Frauen trugen drei eine Cystitis diffusa 


292 Dr. Wladislaus Falgowski. 


davon; nach 27 septischen (die vaginalen und abdominalen zusammen- 
genommen) Koeliotomien war in sieben Fällen diese Erkrankung zu 
finden, davon viermal als Rezidiv. Nach unseren 16 aseptischen 
Leibesöffnungen trat in keinem Falle Cystitis diffusa auf, darunter 
nach 13 vaginalen Operationen also keinmal, weil ich dies hinsicht- 
lich des Operationsweges betonen möchte Es ist wohl schon da- 
durch zur Genüge bewiesen, daß die reine, aseptische, sterile vaginale 
Operation, wo also auch nicht durch Katheterismus zu viel gesündigt 
worden ist, die ihr zugeschriebene Gefahr der Entstehung einer nach- 
träglichen Blasenstörung keineswegs besitzt. Dahingegen war nach 
einer vaginal fixierenden Operation Cystitis diffusa zu beklagen ge- 
wesen. Diese ist auf die bereits hinlänglich betonte Schädlichkeit der 
fixierenden ÖOperationsart zurückzuführen, nicht aber auf die vaginale 
Operationsmethode als solche. 

Im übrigen gilt für die Cystitis diffusa alles dasjenige, was schon 
über die Entstehung der Cystitis colli gesagt worden ist, die oft eine 
Vorstufe zur diffusen Blasenentzündung bildete. 

Übergroße Empfindlichkeit der Blase bei direkter Berührung 
mit dem Zystoskop, die fast immer verbunden war mit Druckempfind- 
lichkeit der gesamten Blasengegend — auch beim Drucke vom 
Abdomen her — konnte bei unseren Fällen als Maßstab für die Inten- 
sität der mitbestehenden Zystitis gelten. Wir fanden solche Empfind- 
lichkeit in fünf Fällen und zwar in solchen, wo Cystitis diffusa 
schlimmster Art zystoskopisch und durch die Urinuntersuchung nach- 
zuweisen war. 

Ödem. 

Ödem der Blasenschleimhaut kam als akzentuierendes Moment bei 
fast allen den Frauen vor, die nach septischen Operationen Cystitis 
colli davongetragen hatten. Wir haben diesen Befund dort besonders 
verzeichnet, wo er neben einer anderen Veränderung sichtbar war — 
und sind uns im übrigen wohl bewußt, daß bei krasser Cystitis diffusa 
das Bild des Ödems einfach verdeckt wird, ihr Vorhandensein aber als 
selbstverständlich und zur pathologischen Veränderung bei der „Ent- 
zündung“ nlitgehörig angesehen werden muß. 

In zwei Fällen fand sich ausgesprochenes Ödem der Blasenschleim- 
haut nach aseptischen abdominalen Leibesöffnungen wohl als Reak- 
tion auf die sehr breite, stumpfe und scharfe Abschiebung der Blase 
bei der in diesen Fällen gemachten Exstirpation des Uterus. Von 13 
aseptischen vaginalen größeren Operationen fand sich in keinem 
Falle Ödem vor, dagegen bei fast allen den Fällen, wo viel kathete- 
risiert oder gar ein Dauerkatheter eingelegt worden war. 


Pyelitis. 
Auffallend gering ist die Zahl der nach gynäkologischen Operationen 
entstandenen Pyelitiden bei uns in der letzten Zeit geworden. Diese 
Erkrankung ist — post operativ entstanden — doch wohl stets als 


Über zystoskopische Befunde nach gynäkologischen Operationen. 293 


Aszension eines endovesikalen entzündlichen Prozesses zu verstehen. 
Wir sahen in den letzten Jahren fast keine Pyelitiden mehr. Es hat 
dies natürlich seinen Grund. Bei uns werden alle Zystitisfälle, auch 
die leichtesten, sofort nach der Diagnosenstellung behandelt, und zwar 
immer mit ziemlich energischen, nur durch ärztliches Personal aus- 
geübten Blasenspülungen, die unter niedrigstem Druck ausgeführt werden. 
Dies scheint doch der Aszension direkt hinderlich zu sein. Hierzu 
kommt die bei uns seit langer Zeit systematisch geübte Prophy- 
laxe, die wir uns im Laufe der Zeit angewöhnt haben. Mußte nämlich 
wirklich einmal katheterisiert werden, oder war anamnestisch eine Blasen- 
störung zu vermuten gewesen, so gaben wir vorbeugend Urotropin oder 
Hippol, die stark desinfizierend zu wirken scheinen. So kommt es, 
daß wir nach unseren 53 zystoskopierten Fällen nur zweimal leichte 
Pyelitis diagnostizieren konnten, die eine nach einer schwer-septischen 
vaginalen Operation, die andere an einer schon vorher blasenleidenden 
Frau (Zystitis), an der wegen Prolaps und Urethralpolyp ausgedehnte 
Plastik, Exzision des breitsitzenden Polypen und Umsäumung der Urethra 
gemacht werden mußten. Bei dieser Frau mußte, da ihr das öftere 
Katheterisieren äußerst schmerzhaft und unangenehm war, zudem ein 
Dauerkatheter fast eine Woche lang gehalten werden. Beide Fälle heilten 
rasch ab und verliefen unter nur mäßigen: Fieber. 


Perizystitis. 

Ganz besonders große Beschwerden macht die leider recht oft 
nach Operationen im Becken vorkommende Perizystitis, eine Erkrankung, 
die wohl nur zystoskopisch nachgewiesen werden kann. Bei fast nor- 
malem Aussehen der Blasenschleimhaut, Blässe der Farbe und Fehlen 
oft jeglicher entzündlichen Reaktion von seiten der Mukosa bestehen 
Harndrang, Schmerzen und Ziehen im Leibe und lästiges Gefühl nach 
dem Woasserlassen. Erst bei genauer zystoskopischer Untersuchung 
gelingt es, die perizystitischen Stränge nachzuweisen und die Diagnose zu 
stellen. Ich glaube, daß die Diagnose „Perizystitis“ nach gynäkologischen 
Operationen zu selten gestellt wird, weil man darauf nicht achtet, Ich 
habe viele zunächst unaufgeklärte heftigste subjektive Beschwerden nach 
Operationen im Becken durch zystoskopische Feststellung einer Peri- 
zystitis einwandfrei erklären können. Auch diese Blasenerkrankung ist 
eine unangenehme Folgeerscheinung nach septischen Operationen. 
Die chronisch entzündlichen Krankheitszustände des Uterus und seiner 
Anhänge prädisponieren zu postoperativen Perizystitiden, und zwar ist 
es gleichgültig, ob vaginal oder abdominal operiert wurde. Das Leiden 
ist äußerst hartnäckig und schwer angreifbar, da gewöhnlich entzünd- 
liche Narbenstränge und Infiltrate in der Umgebung der Blase hierbei 
mit vorhanden sind, die ebenfalls nur langsam zu schwinden pflegen. 
Erst nach völligem Schwund aller entzündlichen Verdickungen im um- 
liegenden Beckengewebe darf ein Abklingen der Perizystitis erwartet 
werden. Man muß also etwa vorhandene Exsudate des Beckenbinde- 


294 Dr. Wladislaus Falgowski. 


gewebes oder des intraperitonealen Beckenraumes therapeutisch angreifen, 
um eine Besserung der Beschwerden erwarten zu dürfen. 

Der ätiologische Hauptfaktor ist also hierbei die Septizität des 
Falles selbst. Nach 19 septischen vaginalen Operationen fand sich bei 
späterer zystoskopischer Untersuchung sechsmal Perizystitis, also etwa 
bei jedem dritten Falle, davon war aber in drei Fällen schon vor der 
Operation Perizystitis festgestellt worden, eine Erkrankung, die ja mit 
entzündlichen Adnexaffektionen an und für sich (auch ohne Operation) 
oft genug vergesellschaftet ist. 

Nach acht septischen Laparotomien war dreimal Perizystitis zu 
verzeichnen gewesen, also auch etwa bei jeder dritten Frau. 

Nach den 16 aseptischen Operationen (vaginale und abdominale 
zusamnıengenommen) war nur zweimal Perizystitis zu verzeichnen ge- 
wesen. Bei allen unseren 53 operierten Frauen kam sie insgesamt 
16 mal vor, davon neunmal nach septischen Operationen. Die Entstehung 
der Perizystitis ist so zu denken, daß nach septischen Operationen, oder 
auch nach aseptischen — aber infizierten Operationen —, eine Entzündung 
des der Blase anliegenden Beckenbindegewebes oder Peritonealraumes 
entsteht. Diese Entzündung kann dann auf das Gewebe der Blase direkt 
per continuitatem, oder auf dem Lymphwege übergreifen — bei zunächst 
normaler Blaseninnenfläche. 

Daher haben wir auch Perizystitis hauptsächlich beobachtet nach 
schwieriger Adnexentfernung und Adnexlösung, nach Operationen 
bei noch entzündlich infiltrierten Beckengeweben, bei Parametritis 
und Perimetritis, wo sich nach erfolgter Operation neue Verwachsungen 
bilden, oft genug weitere Exsudate eintreten. Perizystitis fand sich 
namentlich auch bei Vorhandensein eines Stumpf- oder Narben- 
exsudates, ganz gleich, ob dieses Exsudat in der Scheidennarbe oder 
im Uterusstumpf, oder aber im Adnexstiel seinen Sitz hatte. Sehr oft 
trat Perizystitis bei den dränierten Fällen auf, wo wegen Infektion 
von vornherein auf primären Wundschluß verzichtet werden mußte. 
So bildet also das Vorhandensein einer Perizystitis fast einen Maßstab 
für die Infektiosität oder Septizität des betreffenden Falles. 

Auch bei parametranen Exsudaten kam Perizystitis bei uns zur 
Beobachtung. — Auf völlig anderer ätiologischer Basis dagegen beruht 
das Eintreten der Perizvstitis nach den den Uterus direkt fixieren- 
den Operationen, sowohl nach den vaginalen als auch den ab- 
dominalen. Hier hat sie mit Infektion nichts zu tun. Hier ist sie 
neuerworben durch die pathologische Einengung und anatomisch falsclıe 
Einlagerung der Blase an einen Ort, wo ihr die physiologische Ex- 
pansionsmöglichkeit und Bewegungsfreiheit fehlt. Sobald die Blase aus 
ihrem natürlichen Bett verdrängt und verschoben ist, sobald an ihr 
allzusehr sei es stumpf oder scharf — herumhantiert worden ist, 
scheint sie mit ihrer Umgebung, zumal mit einer ihr fremden und nicht 
zusagenden Umgebung — Verwachsungen einzugehen, die zu den un- 
erträglichsten Blasenbeschwerden führen können. Die Hauptursache 





Über zystoskopische Befunde nach gynäkologischen Operationen. 295 


der nach solchen fixierenden Operationen nach unseren Erfahrungen 
bestehenden, außerordentlich lästigen Blasenbeschwerden — ist eben in 
der sich bildenden Perizystitis zu suchen. 


Exsudate. 

Auf die blasenschädigende Eigenschaft der im Becken liegenden 
Exsudate, ganz gleich, ob diese schon vor der Operation vorhanden 
waren oder erst nach derselben hinzukamen, müssen wir ihrer enormen 
Wichtigkeit wegen auch hier besonders eingehen. Wir hatten eingangs 
angedeutet, daß es keine Beckenexsudate gibt ohne wesentliche, meist 
sehr erhebliche, daneben mitbestehende und durch das Exsudat oft 
direkt verursachte oder doch wenigstens gesteigerte Funktionsstörungen 
von seiten der Blase. Auch die objektiven zystoskopischen Befunde 
standen ihrer Intensifät und Häufigkeit nach nicht ohne deutlichen Zu- 
sammenhang mit gleichzeitig festgestellten Beckenexsudaten. War die 
Blase schon in ihrem Innern nicht ohne krankhafte Veränderungen, 
so verschlimmerte die mechanische und nutritive Beeinträchtigung von 
seiten des Exsudates jedesmal das Bild ganz erheblich. Jede beliebige 
Blasennoxe schien durch ein Exsudat verschlimmert und gesteigert und 
ihre Ausheilung insofern in die Länge gezogen, als dieselbe von dem 
Verschwinden des Exsudates direkt abhängig war. Neben der mecha- 
nischen Noxe, die das Exsudat als unbeweglicher und deshalb um so 
mehr reizender und anspruchsvollerer Tumor bildet, stellt dasselbe ge- 
wissermaßen einen wohlgefüllten und freigebigen Speicher dar, aus dem 
immer wieder neues entzündliches Material in den Kampf gegen die 
heilende Tendenz der Naturkräfte und des Blutes ins Feld geführt wird. 

Wir rubrizieren wiederum tabellarisch, um darzutun, wie sich in 
unseren Fällen die oft zystoskopisch ins Blaseninnere sich vorwölben- 
den, oft nur die Schleimhaut fixierenden, manchmal lediglich durch den 
vaginalen resp. bimanuellen Tastbefund erweisbaren Beckenexsudate 
auf die einzelnen Blasenaffektionen verteilen und zu diesen ver- 
schlimmernd hinzukamen. 

Es fanden sich Beckenexsudate: 


Tabelle VI. 


Anzahl der 


A der Blasenveränderungen Exsudate 


2 Knickungen des Ureters. . . — 
2 Pyelitiden. . . . | 2 
5 große Empfindlichkeit a Blase 


10 verschobene Trigonum . 2 
11 Cystitis diffusa 4 
14 Ödeme 3 
15 Cystitis colli d 3 
16 Perizystitis . . . . 6 


23 obne zystoskopischen Befund. 3 


296 Dr. Wladislaus Falgowski. 


Besonders oft war ein Exsudat bei Cystitis diffusa und bei 
Perizystitis gefunden worden, ein Beweis für die gleiche septische 
Herkunft dieser Blasenerkrankungen. Denn die Exsudatbildung ist ja 
eine Art Maßstab für die Septizität des Falles und kommt nach sep- 
tischen Operationen des öfteren vor. Meist darf man wohl annehmen, 
daß auch in unseren Fällen die Blasenerkrankung und das Exsudat ge- 
meinsame postoperativ entstandene Folge ein und derselben Ursache, 
nämlich der Septizität des Falles, gewesen sei. Doch ist nicht zu leugnen, 
daß z. B. ein Exsudat allein Zystitis, Ödem oder auch Pyelitis ver- 
ursachen kann, daß also das Exsudat oft das Primäre, und die Blasen- 
veränderung eine direkte Folge des Exsudates ist. Um das mit Sicher- 
heit zu erweisen, wird man die Fälle bald nach der Operation noch 
viel genauer studieren müssen, um zu eruieren, .inwiefern Exsudate 
die Blase direkt und primär in Mitleidenschaft ziehen. Allen den 
mit Exsudatbildung im Becken einhergehenden Blasenerkrankungen war 
das eine gemeinsam, daß mit der Resorption oder Erweichung resp. 
mit operativ erreichter Verkleinerung des Exsudats auch die Störungen 
von seiten der Blase und ihre objektiven Veränderungen prompt zurück- 
gingen. Es ergibt dies einen wichtigen therapeutischen Fingerzeig, 
alles darauf zu verwenden, diese Entzündungsquelle zu verstopfen und 
unter Anwendung des gesamten, zur Verfügung stehenden physikalischen, 
hydropathischen und medizinalen Arsenals möglichst rasch unschädlich 
zu machen. 

Knickung des Ureters. 

Ureterknickung der einen Seite kamen bei uns zweimal zur Beob- 
achtung, und zwar nach vaginalen Exstirpationen bei schwerer Lösung. 
Dies könnte den Anschein erwecken, als ob der vaginale Operationsweg 
hierbei die Hauptursache abgegeben hätte. In Wirklichkeit jedoch 
handelt es sich in diesen beiden Fällen um sehr schwere Organver- 
wachsungen im Becken, die gelöst werden mußten, mit nachträglicher 
Perizystitis und Exsudatbildung, also um eine schwere Schädigung des 
um die Blase und um den Uterus liegenden Gewebes, so daß wohl da- 
durch die Knickung hinreichend erklärt werden kann. Den Operations- 
weg als solchen möchten wir keineswegs hierfür schuldig machen. 
Auch nach Laparotomien sind Knickungen gesehen und zystoskopisch 
konstatiert worden. 


Verschiebung des Trigonunis. 

Die nach gynäkologischen Operationen resultierenden zystoskopisch 
sichtbaren Verschiebungen des Trigonums sind von keinerlei klinischem 
Interesse, da sie für das Wohlbefinden der Patientin an sich belanglos 
sind, wenn nicht sonst noch andere Veränderungen hinzukommen. 
Eine Beobachtung aber, die ich machte, ist erwähnenswert und viel- 
leicht von einigem psychologischen Interesse. Nach den 53 Operationen 
fanden sich zehnmal Verschiebungen des Trigonums vor, und zwar SO 
beträchtlicher Art, daß sie wohl bestimmt als nichts Zufälliges, sondern 


Über zystoskopische Befunde nach gynäkologischen Operationen. 297 


als eine sichere postoperative Erscheinung angesehen werden mußten. 
Von diesen zehn Verschiebungen gingen vier nach rechts, die andern 
sechs nach links. Die Verschiebungen nach rechts waren alle nach 
Laparotomien konstatiert worden, die Verschiebungen nach links bis auf 
eine — nach vaginalen Operationen mit Ablösung der Blase. Ich 
glaube nun, daß auch dieser Befund nichts Zufälliges darstellt, sondern 
durch die Technik der Abhebung bedingt ist. Ich gehe davon aus, 
daß der rechte Zeigefinger zum Abschieben benutzt wird. Der mit dem 
rechten Zeigefinger die Blase stumpf abschiebende Operateur wird 
spontan die von ihm aus links gelegene Blasenhälfte besser und gründ- 
licher abstoßen, als die dem rechten Zeigefinger nicht so bequem 
liegende, vom (Operateur aus rechts haftende Blasenhälfte.e So kommt 
es, daß bei vaginalen Operationen die tatsächliche (von der Frau aus 
gerechnet) rechte Blasenhälfte besser und gründlicher, bei Laparotomien 
dagegen die linke genauer und tiefer abgehoben wird. Die Blase fällt 
also bei solchem Vorgehen nach vaginalem Abschieben mehr nach links, 
nach abdominalem Operieren mehr nach rechts. So läßt sich vielleicht 
die verschiedenartige Verschiebung der Blase erklären. 


Schlußfolgerungen. 


1. Wie ein roter Faden zieht sich durch unsere Beobachtungen die 
immer wiederkehrende Motivierung der postoperativen Blasenver- 
änderungen durch die Septizität des Falles selbst, d. h. durch schon 
vor der Operation bestehende chronische, subakute oder gar akute Ent- 
zündung der Beckenorgane. Die Beschaffenheit des Falles selbst ist 
ätiologisches Hauptmoment. Man wird gut tun, angesichts der viel- 
fachen und erheblichen Blasenveränderungen nach Operationen ent- 
zündlicher Adnexerkrankungen bei der Indikationsstellung recht vor- 
sichtig zu sein und, wie aus anderen bekannten Gründen, so auch 
mit Rücksicht auf die Blase solche Frauen erst dann zu operieren, 
wenn keine manifeste entzündliche Reaktion mehr vorhanden ist, wenn 
die Exsudate gehärtet und geschrumpft, die Adhäsionen abgelagert und 
das ganze Krankheitsbild sich der sterilen, aseptischen und abakteriellen 
Form genähert hat. Dann wird man die Operation durch keine stören- 
den Blasenerkrankungen allzu teuer erkauft haben. 

2. Wie bei allen gynäkologischen Erkrankungen, so achte man 
namentlich bei den entzündlichen Genitalerkrankungen darauf, daß ` 
die so häufig an der Entzündung Anteil nehmende Blase vor der 
Operation genügend gewürdigt und ihrer Behandlung die nötige Be- 
achtung geschenkt wird. Ist sie nicht sicher und dauernd ausgeheilt, 
sondern der Prozeß nur beruhigt und latent, so gibt die Operation zur 
Aufflackerung der Blasenerkrankung und oft zu schweren Veränderungen 
der Blase Veranlassung. Arzt und Patientin haben dann das Nach- 
sehen. 

3. Neben‘ der Septizität des Falles und der selbstverständlichen 
Schädlichkeit des Katheterismus bilden die den Uterus direkt fixieren- 


298 Dr. Wladislaus Falgowski. Über zystoskopische Befunde usw. 


den — abdominalen sowie vaginalen — Operationen eine Quelle 
schwerer Blasenstörungen und objektiver Blasenveränderungen. Hier 
ist die anatomisch falsche Blaseneinlagerung der schuldige Faktor. Es 
drängt sich uns hierbei unwillkürlich der Vergleich auf mit unseren 
Alexander- Adam -Operationen, nach denen wir an unserem zahl- 
reichen Material fast niemals Blasenstörungen nachweisen konnten, aus- 
genommen natürlich die Fälle, wo vorher besonders schwierige Verlötungen 
des Uterus oder der Adnexe gelöst werden mußten. Die Alexander- 
Adamsche Operation an sich ist auch bezüglich der Blase der denkbar 
schonendste und günstigste Eingriff zur Beseitigung der Retrodeviation 
— Grund genug, um auch an dieser Stelle für diese ungefährliche und 
zweckdienliche Operation eine Lanze zu brechen. 

4. So fern es uns liegt, an dieser Stelle für die vaginale Operations- 
methode einzutreten, so wollte ich doch nicht unterlassen, den un- 
berechtigten Vorwurf zurückzuweisen und zu widerlegen, den man oft 
der vaginalen Öperationsart gemacht hat: daß sie nämlich Blasen- 
schädigungen begünstige. Wenn wir unsere zystoskopischen, also doch 
wohl genügend objektiven Befunde nach abdominalen und vaginalen 
Operationen miteinander vergleichen und unsere Fälle nach dieser 
Richtung übersehen, so kommen wir zu dem Resultat, daß die vaginalen 
Operationen keine größere Gefahr für die Blase bedeuten, als die 
Laparotomien, daß vielmehr unter ätiologisch gleichen Umständen, z. B. 
bei gleicher Septizität der Fälle, nach Laparotomien sogar häufiger 
Blasenveränderungen nachgewiesen werden konnten, als nach vaginalen 
Operationen. 








Das Organisationskomitee des V. Internationalen geburtshilflich- 
gynäkologischen Kongresses bittet uns, mitzuteilen, daß es dem von der 
Mehrzahl der ausländischen und russischen Gynäkologen ausgesprochenen 
Wunsche entsprechend, beschlossen hat, seine Tätigkeit wieder aufzu- 
nehmen und den Kongreß für den 19.—24. (6.—11.) September 1910 
nach Petersburg zu berufen. 

Das Komitee hofft, daß die Kollegen aller Länder durch ihre Mit- 
wirkung an den Arbeiten des Kongresses zur Erreichung eines möglichst 
vollen Erfolges beitragen werden. 

Die Programmthemata und alle weiteren Einzelheiten werden in 
kurzer Zeit veröffentlicht werden. Der Vorsitzende des Organisations- 
komitees ist Prof. D. von Ott, St. Petersburg, Wassiliewski Ostrow, 
vis-à-vis de l'Université 3, Generalsekretär Prof. P. v. Sadovsky; 
St. Petersburg, Perspective de Newsky 90. 


Zeitschrift für gynäkologische Urologie 


1909 Band 1 Nr. 6 














Experimentelle Untersuchungen über Reflexe auf die Blase und 
über die gegenseitigen reflektorischen Beziehungen zwischen 
Harnapparat und Uterus. 

Von 
Privatdozent Dr. E. Kehrer, Heidelberg. 


In einem Vortrag auf dem Gynäkologenkongreß in Straßburg be- 
richtete ich über die reflektorischen Beziehungen, die ich zwischen Uterus 
und einer Reihe anderer Organe und peripheren Nerven experimentell 
feststellen konnte. Ich erwähnte u. a., daß die Uterusbewegungen ab- 
hängig sein können von denen der Blase, insofern als mechanische 
und chemische Reize der Blasenwand reflektorisch Uteruskontraktionen 
auslösen. Seitdem habe ich nicht nur den Reflexen von Blase und 
Ureteren auf den Uterus, sondern auch denen vom Uterus auf die 
Blase weitere Beachtung geschenkt. Die Ergebnisse der in allen denk- 
baren Varianten ausgeführten Experimente sollen hier mitgeteilt werden. 

Über die Versuchsanordnung fasse ich mich kurz unter Verweisung 
auf eine ausführliche, demnächst im Archiv für Gynäkologie erscheinende 
Arbeit. Die Tiere wurden in Narkose zum Zweck der künstlichen Re- 
spiration tracheotomiert und nach dem Vorgang des englischen Physio- 
logen Sherrington dezerebriert, d. h. nach vorausgegangener Trepa- 
nation geschah durch einen bis zur Basis cranii gehenden Schnitt eine 
Trennung des Gehirns von den tiefer gelegenen Abschnitten des C. N. S. 
Dadurch war das Tier lediglich auf Medulla und Rückenmark angewiesen, 
und die Reflexe erfuhren eine wesentliche Steigerung. Das so vor- 
bereitete Tier wurde in einer Wanne mit physiologischer Kochsalzlösung 
oder Ringerscher Flüssigkeit laparotomiert. Der Uterus schrieb seine 
Bewegungen auf der rotierenden Trommel des Kymographion auf. 

Die Kenntnis der Art der Uterusbewegungen darf ich nach meinen 
früheren Arbeiten wohl als bekannt voraussetzen. Gehen wir aus von 
den mehr weniger regulär in Form von Pendelbewegungen und konti- 
nuierlich auftretenden automatischen Kontraktionen, so erfahren diese, 
ganz allgemein gesagt, bei irgendwelchen an der Blase oder den Ure- 
teren gesetzten Reizen eine Veränderung. Entweder erfolgt eine Er- 
regung: der Tonus der Muskulatur steigt, die Kontraktionen werden 
stärker und vielleicht auch schneller, oder es tritt eine Hemmung ein: 
der Tonus sinkt, die Bewegungen werden schwächer und seltener oder 
hören für längere Zeit vollkommen auf. 

Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 21 


300 Dr. E. Kehrer. 


Werden größere Mengen von indifferenter Flüssigkeit, von Wasser 
oder physiologischer Kochsalzlösung, mit einer Spritze in die Harnblase 
injiziert, so daß eine Ausdehnung und Wandspannung erfolgt, so stehen 
die Uterusbewegungen für lange Zeit still, ja der Uterus kann viele 
Stunden lang, solange der Versuch überhaupt dauert, in vollkommener 
Ruhe verharren. In einigen Fällen aber erfolgte nach längerer Zeit eine 
beträchtliche Verkleinerung der Blase sowie eine erneute Tätigkeit der 
Uterusmuskulatur; dann trieb die Blase ihren Inhalt durch die Urethra 
aus, und diese Blasenkontraktionen erzeugten reflektorisch solche des 
Uterus. Ä 

Werden Blasenkontraktionen ausgelöst durch Kneifen der Wand 
der leeren oder mäßig gefüllten Harnblase mit der Klemme oder der 
Pinzette, so erfolgt gleichzeitig eine Verstärkung der Uterusbewegungen. 
Werden chemische Reizmittel in kleinen Mengen in die Blase injiziert: 
Eisenchlorid- oder Ferropyrinlösungen oder einprozentige Silbernitrat- 
lösungen, so erfolgt gleichzeitig mit der Verdickung und dem Erblassen 
der Blasenwand eine langanhaltende intensive Verstärkung der Uterus- 
kontraktionen. 

Um jeden Zweifel an der wirklichen Kontraktion der Blase in diesen 
Fällen auszuschließen, habe ich die Versuchsanordnung noch exakter 
und einwandsfreier dadurch gestaltet, daß ich von der Bauchhöhle oder 
durch die Urethra in die Blase eine graduierte Pipette von 1 cem In- 
halt, in Y,oo geteilt, nach Art eines Manometers einband und sie mit 
physiologischer Kochsalzlösung oder Ringerscher Flüssigkeit füllte. Aus 
dem Steigen oder Sinken des Flüssigkeitsspiegels war die Kontraktion 
oder Erschlaffung der Blase ebensogut wie die graphische Registrierung 
der Uterusbewegungen erkennbar. 

Daß bei dieser Versuchsanordnung eine Berührung zwischen Blase 
und Uterus vermieden werden muß, ist eine selbstverständliche Forde- 
rung. Diese läßt sich entweder dadurch erfüllen, daß vor dem Versuch 
das Blasenperitoneum mit einem Faden an einer benachbarten Haut- 
stelle locker fixiert wird, oder daß man das Tier senkrecht in eine 
nach Art eines hohen, viereckigen Kastens gebaute Zinkblechwanne 
aufstellt. | 

Auch durch mechanische und chemische Reizung eines oder beider 
Ureteren ließ sich prompt eine Verstärkung der Uterusbewegungen er- 
zielen, am besten bei Injektion eines !/, ccm einer fünfprozentigen Ar- 
gentum nitricum-Lösung. 

Auf Dilatation eines Ureters durch Wasser oder physiologische 
Kochsalzlösung erfolgte fast stets eine Hemmung, ausnahmsweise eine 
Erregung der Uterusbewegungen. Diese Versuchsresultate sind also 
nicht ganz so konstant, wie bei der Blase. Eine Reflexwirkung aber 
blieb auch hier niemals aus. 

Es folgt aus den angegebenen Versuchen, daß Dilatation der 
Blase und Ureteren reflektorisch eine Hemmung der Be- 
wegungen, eine Erschlaffung des Uterus, Kontraktion der 


Experimentelle Untersuchungen über Reflexe auf die Blase usw. 301 


Blase und Ureteren dagegen eine Erregung der Uterusbewe- 
gungen herbeiführt. Das erstgenannte Phänomen ist der experimen- 
telle Beleg für die bekannte Tatsache, daß im Wochenbett bei lange ge- 
füllter Harnblase eine Erschlaffung, Neigung zu Blutung und ungenügende 
Rückbildung des Uterus erfolgt. Ich glaube, daß die puerperale und 
manch andere Reklination, Retroversion und Retroflexion des Uterus 
. durch die reflektorische Parese der Uterusmuskulatur erklärt werden kann. 

Es lassen sich auch Reflexe vom Uterus auf die Blase 
nachweisen. Bindet man eine mit physiologischer Kochsalzlösung 
gefüllte Glaskanüle, wie oben angegeben, in die Blase ein und reizt 
man den Uterus mechanisch oder chemisch durch Injektion einiger 
Tropfen Silbernitratlösung, so steigt der Flüssigkeitsspiegel momentan 
und intensiv bei jedem Reiz. 

Wird ein Uterushorn durch Injektion mehrerer Kubikzentimeter 
körperwarmer indifferenter Flüssigkeit gedehnt, so steigt der Flüssig- 
keitsspiegel des Blasenmanometers niemals, er bleibt vielmehr für längere 
Zeit auf konstanter Höhe, oder er sinkt: die Blase ist erschlafft. 

Plötzliche Uterusausdehnung führt demnach reflektorisch 
zur Erschlaffung der Blase. Mechanisch oder chemisch aus- 
gelöste Uteruskontraktionen bewirken auch Kontraktionen 
der Blasenmuskulatur. 

Für die nun erwachsende Aufgabe, die Nervenwege festzustellen, 
die bei den gegenseitigen reflektorischen Beziehungen zwischen uro- 
poetischen und Generationsorganen in Anspruch genommen werden, ist 
die Kenntnis der Anatomie und Physiologie der Nerven beider Gebiete 
unerläßliche Voraussetzung. 

Die Topographie der Blasen- und Uterusnerven läßt sich zusammen- 
fassend behandeln. Es sind zwei Nervenpaare, die gleichzeitig die Inner- 
vation beider Organe besorgen. Der dritte zu einem Beckenorgan 
ziehende Nerv, der N. spermaticus, innerviert lediglich den oberen Teil 
des Uterus, die Tuben und Ovarien. 

Der N. hypogastricus entspringt von dem an der Abgangsstelle 
der. A. mesenterica inferior von der Aorta gelegenen Ganglion mesen- 
tericum inferius, welches vom vierten bis sechsten Lumbalganglion des 
Grenzstrangs Zweige erhält. Der Nerv zieht prävertebral vor der Aorta 
herunter und teilt sich auf dem Promontorium in zwei Züge, die 
längs der hypogastrischen Blutgefäße zwischen A. iliaca communis und 
Vorberg, direkt unter dem Bauchfell, ins kleine Becken hinuntersteigen. 
Er mischt sich mit Nervenzweigen aus dem fünften Lumbalganglion und 
dem ersten bis dritten Sakralganglion des sympathischen Grenzstranges und 
zieht zum Frankenhäuserschen Zervikalganglion, zu den Ganglien des Plexus 
vesicalis, sowie direkt zum Rektum, zum Uterus, zur Harnblase, zu den 
Ureteren und Beckengefäßen. Er teilt sich nach Langley-Andersons 
Untersuchungen in zwei Stränge: der größere, mehr ventral gelegene 
Ast innerviert Blase und Uterus, der dünnere dorsale, „akzessorische“ 
Zweig versorgt hauptsächlich Rektum und Sphincter ani internus. 

21* 


302 Ä Dr. E. Kehrer. 


Der -N. pelvicus oder erigens entspringt aus dem Sakralmark und 
zwar aus der zweiten bis vierten Sakralwurzel, und zieht unter den Vasa 
haemorrhoidalia media im basalsten Abschnitt des sakro-uterinen Liga- 
ments in die Tiefe. Er formiert, mit dem Hypogastrikus zusammen, den 
Beckenplexus, resp. die Frankenhäuserschen Ganglien und den Plexus 
vesicalis. 

Während der Hypogastrikus dem sympathischen System im engeren 
Sinne (Langley) angehört, ist der Pelvikus dem sakral-autonomen 
System (Langley) zuzurechnen. Beide werden als autonome Systeme 
im allgemeinen bezeichnet, da ihnen eine gewisse Selbständigkeit in 
der Innervation zukommt. 

Zu dem Hypogastrikus und Pelvikus gesellen sich weitere nervöse 
Elemente in den lokalen Ganglien der Blasengegend hinzu. Wir 
teilen dieselben mit Roith in zwei Gruppen: die im paravesikalen Binde- 
gewebe gelegenen Ganglien des Plexus vesicalis, die wohl identisch sind 
mit den äußeren und inneren Vesikalganglien von de Lee, Franken- 
häuser und Ph. Jung, und die Ganglien der Blasenwand selbst. 

Unsere physiologischen Kenntnisse über die Blase und Uterus ver- 
sorgenden Nerven sollen hier nur insoweit besprochen werden, als sie 
sich auf die Blase beziehen. Die wichtigsten Tatsachen aus der Phy- 
siologie der Uterusbewegungen dürfen bei den Gynäkologen wohl als 
bekannt vorausgesetzt werden. 

Blasenkontraktionen (Zusammenziehungen des Detrusor 
vesicae) wurden beobachtet: 


1. Von Gianuzzi (1863) nach Reizung des Rückenmarks in Höhe des unteren 
Teiles des dritten Lumbalwirbels und nach Reizung der Sakralnerven. Die ersteren 
blieben aus nach vorheriger Durchschneidung des Hypogastrikus oder der aus den 
oberen sympathischen Sakralganglien zum Hypogastrikus ziehenden Nervenfasern, wor- 
aus geschlossen wurde, daß motorische Fasern vom Lumbalmark sowohl durch das 
Ganglion mesentericum inferius, als auch durch die Sakralganglien zur Blase ziehen. 

2. Von Budge (1864) nach Reizung der vorderen Wurzel der dritten und vierten 
Sakralnerven und der Nn. hypogastrici, sowie nach elektrischer Reizung des ganzen 
Rückenmarks, vorzugsweise des unteren Lumbalmarks. 

3. Von Cyon nach Reizung der Sakralnerven. 

4. Von Bechterew und Mieslawsky nach Reizung der Hirnrinde und be- 
sonders des Gyrus sigmoides. 

5. Von Sokownin (1877) nach elektrischer Reizung der Sakralwurzeln, der 
Hypogastrizi, der Pedunculi cerebri und der oberen Teile des Rückenmarks von Katzen. 
Reizung des Halsrückenmarks war effektlos nach Durchschneidung der hypogastrischen 
Nerven, aber noch von motorischer Erregung begleitet nach vorgängiger Durch- 
schneidung sämtlicher Kreuzbeinwurzeln, resp. des Rückenmarks am siebenten Lenden- 
wirbel. Die motorischen Impulse des Gehirns sollen demnach die Blase sowohl auf 
dem Wege der Kreuzbeinnerven, als auch vermittelst der Hypogastrizi erreichen. 

6. Von Nußbaum (1879) nach Reizung der ersten bis dritten vorderen Sakral- 
wurzeln sowie des Ganglion mesentericum inferius und des Hypogastrikus. Die mo- 
torischen Rückenmarksnerven der Blase finden sich nach Nußbaum in der ersten 
und ganz besonders in der zweiten und dritten vorderen Sakralwurzel. Die motorischen 
sympathischen Nerven verlassen das Rückenmark unterhalb des dritten Lendenwirbels 
und laufen teils zum Ganglion mesentericum inferius und le teils zu den 
Ganglien des Grenzstrangs. 


Experimentelle Untersuchungen über Reflexe auf die Blase usw. 303 


7. Von Langley (1895) nach elektrischer Reizung der zweiten bis sechsten 
Lumbalganglien. Diese beziehen ihre motorischen Fasern aus dem ersten bis fünften 
Lumbalnerven und verlaufen zu den unteren Mesenterialganglien, von denen die Hypo- 
gastrizi entspringen. Reizung der übrigen Ganglien der sympathischen Grenzstrang- 
kette war ohne Effekt auf die Blase. 

8. Von Nawrocki und Skabitschewsky (1891) nach elektrischer Reizung der 
peripheren Abschnitte der vierten und fünften vorderen Lendenwurzeln, die im Wirbel- 
kanal aufgesucht und durchschnitten wurden. Dieser Effekt blieb aus nach der Durch- 
trennung der Hypogastrizi. Auch vom Halsmark, vom Lendenteil des Grenzstrangs, 
von den die Lumbalganglien des Grenzstrangs mit dem Ganglion mesentericum infe- 
mus verbindenden, als Nn. mesenterici superiores, medii und inferiores bezeichneten 
Nervenfasern, sowie von den Hypogastrizi und der zweiten und dritten vorderen Sakral- 
wurzel waren Blasenkontraktionen nach Reizung mit Induktionsströmen zu erhalten. 
Auf Reizung zwischen sakralen und lumbalen Grenzstrangganglien wurde ein moto- 
rischer Effekt auf die Blase vermißt. 

Nach diesen Versuchen erreichen die motorischen Nerven die Blase vom Rücken- 
mark aus auf zwei Wegen: Oberer Weg: Rückenmark — vierte und fünfte vordere 
Lumbalwurzeln — Rami communicantes — Lendenteil des Grenzstrangs — Fasern 
zwischen lumbalen Grenzstrangganglien und unterem Mesenterialganglion — Ganglion 
mesentericum inferius — N. hypogastrici — Plexus vesicalis — Blase. — Unterer 
Weg: Rückenmark — zweite und dritte vordere Sakralwurzeln — N. pelvici — 
Plexus vesicalis — Blase. 

9. Von Sherrington nach elektrischer Reizung des zweiten bis fünften Lumbal- 
nerven. 

10. Von Langley-Anderson nach Reizung des oberen Teils der Lumbalnerven. 
Die Kontraktionen waren am stärksten an der Basis, nahe dem Uretereneintritt. Bei 
Reizung der Lumbalnerven einer Seite erfolgte bilaterale Wirkung, und zwar gleich- 
starke Kontraktion auf beiden Seiten infolge Kreuzung der Nervenfasern in den unteren 
Mesenterialganglien. 

Die motorischen Fasern verlaufen vom Lumbalmark durch den Hypogastrikus 
zur Blase; nach Durchschneidung des letzteren bleibt ein erregender Effekt bei Rei- 
zung der lumbal-sympathischen oder lumbal-spinalen Nerven in der Regel aus. In 
den Ausnahmefällen, in denen Kontraktionen der Blase beobachtet werden, ziehen die 
motorischen Fasern aus dem Aortenplexus oder aus dem sechsten Lumbalganglion zur 
Blase hin. 

Langley-Anderson widerlegen nach mannigfachen Versuchen die Theorie, 
daß die Lumbalnerven Kontraktion der zirkulären, nicht der longitudinalen äußeren 
Muskelfasern, und die Sakralnerven umgekehrt nur Kontraktionen der Längsmuskulatur 
erzeugen sollen. Sie fanden in Übereinstimmung mit Griffith, daß Kontraktion aller 
Muskelbündel der Blase, der zirkulären, schiefen und longitudinalen, sowohl bei Rei- 
' zung des Hypogastrikus, resp. der Lumbalnerven, wie des Pelvikus, resp der Sakral- 
nerven erhalten wird. 

Langley fahndete besonders auch nach der Existenz hemmender Fasern für 
die Blase in den Lumbalnerven uud im Hypogastrikus. Er führte durch die Urethra 
einen Tubus in die Blase ein und verband ihn mit einer mit Salzlösung gefüllten 
Burette. Bei Reizung des peripheren Endes des Hypogastrikus oder der Lumbalnerven 
erfolgte meist ein Sinken des Flüssigkeitsspiegels, also eine Abnahme des Blaseninhalt- 
drucks nach vorübergehendem geringen, durch die Reizung selbst bedingten Anstieg. 
Bei direkter elektrischer Blasenreizung konnte er aber die durch diese Versuche nach- 
gewiesene Existenz hemmender Blasenfasern im Hypogastrikus nicht bestätigen. Nie- 
mals erfolgte eine deutliche Erschlaffung. So erklären Langley-Anderson: „An 
der Existenz spärlicher hemmender Fasern für die Blase im Hypogastrikus ist nicht 
zu zweifeln; ihre Tätigkeit kann aber nur eine geringe sein.‘ 


Die Literaturübersicht zeigt uns, daß die Nerven der Harnblase 
dem sympathischen Nervensystem im engeren Sinne sowie dem sakralen 


304 Dr. E. Kehrer. 


autonomen System Langleys angehören. Die obere oder sympathische 
Nervenbahn für die Blase verläuft im N. hypogastricus. Die Fasern 
ziehen vom Lumbalmark zu den unteren Lumbalnervenwurzeln, durch 
die Rami communicantes zum sympathischen Grenzstrang und von hier 
zum Ganglion mesentericum inferius, von dem die Hypogastrizi ent- 
springen, die zu den Ganglien des Plexus vesicalis und von da zur 
Blase gelangen. In dieser Bahn laufen in zentrifugaler Richtung moto- 
rische, vasomotorische und einzelne hemmende Fasern und zentripetal 
sensible Fasern. Die motorischen Nerven kreuzen sich in den unteren 
Mensenterialganglien, denn auf Reizung eines Hypogastrikus erfolgt 
gleichstarke Kontraktion der Blasenwand auf beiden Seiten. Der Be- 
weis für die Existenz sensibler Fasern ist, wie ich an anderer Stelle 
ausführlicher berichten werde, dadurch erbracht, daß selbst das groß- 
hirnlose Tier auf Durchschneidung des Hypogastrikus mit intensiven 
Schmerzäußerungen antwortet. 

Die spinalen efferenten Blasennerven, die Nn. pelvici oder erigentes, 
entstammen dem Sakralmark. Sie sind nach den übereinstimmenden 
Untersuchungen von Budge, Sokownin, Nawrocki-Skabitschewsky, 
Sherrington und Langley-Anderson, die an Hund, Katze, Kanin- 
chen und Affe vorgenommen wurden, im zweiten bis vierten Sakral- 
nerven enthalten, und endigen in den Ganglien des Plexus vesicalis, 
derart, daß, wenigstens nach den Untersuchungen von L. R. Müller, 
spinale Fasern zur Blase selbst nicht gelangen. In dieser unteren, von 
der Seite an die Blase herantretenden Nervenbahn verlaufen motorische, 
vasomotorische und sensible Fasern zur Blase. Reizung der Nn. pelvici 
oder der Sakralwurzeln einer Seite führt zu ausgesprochen unilateraler 
Kontraktion der Blase, während auf der Gegenseite nur eine sehr 
schwache Zusammenziehung erfolg. Eine Kreuzung der Fasern, wie 
im unteren Mesenterialganglion bei den Lumbalfasern, erfolgt hier nicht. 

Wenn aber nun auch zahlreiche Versuche den unwiderleglichen 
Beweis erbracht haben, daß die Blasenfunktionen im Experiment ab- 
hängig sind von den Nn. hypogastrici und pelvici und von den ver- 
schiedensten Teilen des Rückenmarks, so haben andererseits die Ver- 
suche von v. Zeißl, L. R. Müller und Roith unzweideutig gezeigt, 
daß die Blase auch nach Durchschneidung der beiderseitigen Hypogastrizi 
und Pelvizi (v. Zeißl) oder nach Zerstörung des als übergeordnetes 
Reflexzentrum gedeuteten Lumbalmarks (L. R. Müller) ohne nennens- 
werte Störungen weiter funktioniert. Damit stimmen die Erfahrungen 
nach der erweiterten Karzinomoperation, bei der mit der Ausräumung 
des Beckenbindegewebes in der Regel eine Isolierung der Blase von vielen 
ihrer Nervenverbindungen erfolgt, überein. Was Rein für den Uterus be- 
wiesen hatte, haben die genannten Autoren für die Blase gezeigt: die Blasen- 
entleerung erfolgt im wesentlichen automatisch durch die in der Blasen- 
wand oder in ihrer nächsten Umgebung gelegenen Gangliengruppen. Den 
Reflexbogen konstruiert Müller von den sensiblen Blasennerven über 
die Ganglien des Plexus vesicalis zu den motorischen Blasennerven. 


Experimentelle Untersuchungen über Reflexe auf die Blase usw. 305 


Nach Kenntnis der Anatomie und Physiologie der Blasen- und 
Uterusnerven ist die Untersuchung des Reflexbogens zwischen uro- 
po6tischen und Genitalorganen nun möglich. Ein Ausbleiben der Re- 
flexe ist denkbar nach Durchschneidung der verschiedenen Nervenpaare, 
die Blase und Uterus versorgen, sowie nach der Exstirpation des Gan- 
glion mesentericum inferius. Auf Einzelheiten bei diesen Versuchsserien 
will ich nicht eingehen. Es wurden die verschiedenen Nervenpaare in 
den möglichen Variationen durchschnitten, und dann die Prüfung der 
Reflexe nach Anbringung der oben besprochenen Reize in Blase oder 
Uterus vorgenommen. Zusammenfassend kann ich sagen, daß nach 
bilateraler Durchschneidung der Pelvizi oder der Hypoga- 
strizi, ja sogar nach Ausschaltung beider Nervenpaare, die 
Reflexe zwischen Blase, Ureteren und Uterus keine Einbuße 
erfahren. Nur nach Durchschneidung aller Sakralwurzeln — einer 
immerhin etwas eingreifenden Operation — sind die Reflexe sehr 
schwach, was, wie ich glaube, durch Chokwirkung erklärt werden kann. 

Will man die nach Ausschaltung der Pelvizi und Hypogastrizi 
noch bestehenbleibende Reflexwirkung erklären, so muß man Reflexe 
annehmen, die sich — ganz allgemein gesagt — in der Umgebung von 
sympathischen Ganglien oder in diesen selbst abspielen. Man muß 
entweder postganglionäre oder präganglionäre Axonreflexe im Sinne von 
Langley oder Reflexe supponieren, die durch die Frankenhäuserschen 
Zervikalganglien, resp. die Ganglien des Plexus vesicalis ihren Weg 
nehmen. Von postganglionären Axonreflexen redet Langley, 
wenn sich ein Reflex von einem Zweig eines von einer peripheren 
Nervenzelle abgegebenen Axons auf einen andern Zweig desselben ohne 
Passage des Ganglions überträgt. In diesem Falle würde der Reflex 
z. B. von der Blase zentripetal auf einem Zweig des Hypogastrikus 
verlaufen, ohne das Ganglion mesentericum inferius zu erreichen, und 
auf einem anderen Ast des Hypogastrikus zum Uterus gelangen. Diese 
postganglionären Reflexe dürften aber schon deswegen abzulehnen sein, 
weil sie nach Langley selbst „nur einen sehr kleinen Bezirk beein- 
flussen“, während hier zwischen Harnblase und Uterus doch recht aus- 
gedehnte Beckenbindgewebsräume liegen. Präganglionäre Axon- 
reflexe entstehen dann, wenn die präganglionäre Faser sich teilt und 
Zweige zu den einzelnen am Reflex beteiligten Ganglien sendet. Dann 
würde der Reflex von der Blase aus einer präganglionären Faser des 
Hypogastrikus zentripetal folgen, an einer Teilungsstelle der Faser zen- 
trifugalwärts auf einen anderen Zweig derselben Hypogastrikusfaser, 
die eine Ganglienzelle im Ganglion mesentericum inferius umspinnt, 
überspringen und, in dieser Ganglienzelle umgestaltet, auf der von ihr 
peripherwärts ziehenden postganglionären Faser zum Uterus gelangen. 
Endlich ist eine Übertragung der Erregung von sensiblen auf motorische 
Fasern denkbar lediglich durch Vermittlung der sympathischen 
Ganglien des Plexus vesicalis. Einen solchen Reflexmechanismus 
nehmen auch L. R. Müller, Gaule, Griffiths, v. Zeißl und Roith an. 


306 Dr. E. Kehrer. 


Es gibt noch andere Reflexe innerhalb des sympathischen Nerven- 
systems: die sog. „gekreuzten Reflexe“. Sokownin, Nawrocki- 
Skabitschewsky und Nußbaum fanden, daß elektrische Reizung 
des zentralen Stumpfs des einen N. hypogastricus Kontraktion der 
Blase auf der entgegengesetzten Seite verursacht. In Übereinstimmung 
damit sahen Langley-Anderson neben der kontralateralen Blasen- 
zusanımenziehung noch Kontraktion des Sphincter ani internus, Erblassen 
der Rektalschleimhaut, Erblassen und Kontraktion des Uterushorns, der 
Jervix und Vagina der Gegenseite. Die Angaben dieser Forscher über 
sekreuzte Reflexe kann ich bestätigen. Auch ich fand nach mecha- 
nischer Reizung eines zentralen Hypogastrikusstumpfs Kontraktion des 
gegenseitigen Uterushorns und der gegenseitigen Blasenhälfte. Während 
die russischen Forscher aber auf Grund der Versuche dem sympathi- 
schen Ganglion mesentericum inferius eine reflektorische Funktion, die 
Rolle eines Reflexzentrums zuschreiben, deutet Langley die kontra- 
laterale Wirkung als einen präganglionären Axonreflex. 

Meinen Experimenten über die reflektorischen Beziehungen zwischen 
Blase und Ureteren einerseits und dem Uterus andererseits, sowie über 
die gekreuzten Reflexe innerhalb des autonomen Systems reihen sich 
weitere Versuche über Reflexe von peripheren Nerven auf die 
Blase an. Auf mechanische Reizung des Ischiadikus konnte ich stets 
reflektorische Blasenkontraktionen erhalten. Zusammenziehungen der 
Blase und des Uterus wurden auch veranlaßt durch plötzliche Abkühlung 
oder Erwärmung der Tiere, also durch thermische Reizung der Haut- 
nerven. Damit stimmt die bekannte Beobachtung, daß bei plötzlichen 
Abkühlungen Urindrang zu entstehen pflegt, überein. Ich habe diese 
Versuche nur auf wenige Rückenmarksnerven ausgedehnt, da durch die 
Untersuchungen älterer Autoren bereits bewiesen ist, daß durch Reizung 
aller sensiblen Rückenmarksnerven Reflexbewegungen der 
Blase sowie des Uterus erhalten werden können!). Damit ist die 
alte Behauptung Budges, man könne nur von den Gefühlsnerven der 
Blase selbst, nicht aber vom Splanchnikus und Trigeminus Blasenkon- 
traktionen auslösen, definitiv widerlegt. Nur der Vagus veranlaßt nach 
den Untersuchungen von F. A. Kehrer, Sokownin, Nußbaum und 


Geer Mee _— 


1) Die reflektorischen Blasenkontraktionen auf mechanische und besonders elek- 
trische Reizung der zentralen Enden durchschnittener sensibler Nerven konstatierte 
Bert für den Ischiadikus, Medianus, Infraorbitalis, Sokownin für Ischiadikus, Kruralis 
und Splanchnikus, Nawrucki-Skabitschewsky für den Medianus, Kruralis, Ischia- 
dikus, Infraorbitalis, Auricularis magnus, Splanchnikus sowie den Grenzstrang des Sym- 
pathikus, Nubbaum für Ischiadikus, Kruralis und Medianus und endlich Mosso und 
Pellacani für eine Reihe weiterer sensibler Nerven. 

Die Reizung des zentralen Endes des Ischiadikus, Ulnaris, Medianus, Radialis, 
Phrenikus und Splanchnikus hatte in v. Zeißls Versuchen sowohl Sphinktererschlaffung 
als auch Detrusorkontraktion ausgelöst. Nur nach beiderseitiger Splanchnikusreizung 
war ein motorischer Effekt auf die Blase zu erhalten; er blieb aus nach Durch- 
schneidung der Hypogastrizi und Pelvizi. Vom zentralen Ischiadikusstumpf aus wurde 
auch nach Durchschneidung der Hypogastrizi noch Kontraktion des Detrusors der Blase 
erhalten. 


Experimentelle Untersuchungen über Reflexe auf die Blase usw. 307 


Na WrTocki-Skabitschewsky keine reflektorischen Blasenkontraktionen, 
wenn auch Öhl bei seinen Versuchen an Hunden sie gesehen haben wollte. 
Die Reflexbewegungen der Blase auf Reizung irgend. eines sen- 


siblen Nerven erfolgen aber nicht nur — wie Nawrocki-Skabi- 
‚schewsky erklären — solange das Gehirn mit dem Rückenmark in 


erbindung bleibt, oder solange die Großhirnhemisphären intakt sind, 
sondern auch — wie unsere Versuche zeigen — nach erfolgter Dezere- 
bration. Mit der alten Annahme, es existiere im Gehirn ein Bewegungs- 
zentrum für die Blase, muß somit definitiv gebrochen werden. 
Wir fassen die Resultate der mitgeteilten Experimente in folgende 
Sätze zusammen: 

. 1. Zwischen Blase und Ureteren einerseits und dem Uterus anderer- 
seits bestehen wechselseitige reflektorische Beziehungen. 

2. Dilatation der Blase und Ureteren bewirkt reflektorisch eine 
Hemmung der Uterusbewegungen. 

3. Dieses Phänomen ist der experimentelle Beleg für die bekannte 
Tatsache, daß bei lange gefüllter Harnblase Parese, Neigung zu Blu- 
tungen und ungenügende Rückbildung des puerperalen Uterus erfolgt. 
Auch die puerperalen Retrodeviationen des Uterus können zum Teil auf 
diese Weise erklärt werden. 

4. Kontraktionen der Blase und Ureteren führen zur Verstärkung 
der Uterusbewegungen. 

5. Umgekehrt tritt auf plötzliche Ausdehnung des Uterus Er- 
schlaffung der Blase und 

6. auf eine durch mechanische oder chemische Reizmittel hervor- 
gerufene Uteruserregung eine Verstärkung der Blasenkontraktionen auf. 

7. Alle Reflexe zwischen uropoätischen und Generationsorganen 
bleiben auch nach Durchschneidung der Blase und Uterus versorgenden 
Nervenpaare: der Pelvizi und Hypogastrizi, bestehen. 

8. Der Reflex zwischen Blase, Ureteren und Uterus spielt sich dem- 
nach im autonomen Nervensystem des kleinen Beckens ab. Eine Ent- 
scheidung darüber, ob präganglionäre oder postganglionäre Axonreflexe 
im Sinne Langleys im Spiele sind, oder ob die Reflexe durch die Franken- 
häuserschen Ganglien, resp. die Ganglien des Plexus vesicalis verlaufen, 
konnte bei der außerordentlichen Kompliziertheit und Feinheit der Nerven- 
verhältnisse im Becken bis jetzt nicht erbracht werden. 

9. Im autonomen System erfolgen auch gekreuzte oder kontralaterale 
Reflexe: nach elektrischer oder mechanischer Reizung des zentralen 
Hypogastrikusendes einer Seite erfolgt Kontraktion der Blasenhälfte und 
des Uterushorns der Gegenseite. 

10. Reizung irgend eines sensiblen Rückenmarksnerven, einschließlich 
der Hautnerven, ruft reflektorisch Bewegungen der Blase und des Uterus 
hervor. 

11. Die Reflexbewegungen von peripheren Nerven aus erfolgen — 
entgegen den Angaben früherer Untersucher — auch nach Ausschaltung 
des Gehirns. 


308 Dr. E. Kehrer. Experimentelle Untersuchungen über Reflexe auf die Blase usw. 


1. 


2. 


13. 


1. 
15. 
16. 
17. 


18. 
19. 


Literaturverzeichnis. 


J. Gianuzzi, Note sur les nerfs moteurs de la vessie. Comptes rendus hebdo- 
madaires des séances de l'Academie des sciences. Bd. 56. Paris 1863. 

Budge, a) Über den Einfluß des Nervensystems auf die Bewegung der Blase. 
J. Henles und C. von Pfeufers Zeitschrift für rationelle Medizin 1864. 3. Reihe, 
Bd. 21, 8. 1 und 174. b) Über das Centrum genito-spinale des N. sympathicus. 
Virchows Archiv, Bd. 15. Berlin 1868, S. 115. 


. Bechterew und Mieslawski, Hirnzentren für die Bewegung der Blase. Neuro- 


logisches Zentralblatt, Bd. 7. 


. Sokownin, Materialien zur Physiologie der Entleerung und Zurückhaltung des 


Harnes. Kasan 1877 (russisch). Referiert in Hofmanns und Schwalbes Jahres- 
berichte über die Fortschritte der Anatomie und Physiologie, Bd. 6, Abt. 3. 


. H. Nußbaum, Zur Frage über die Innervation des M. detrusor. Arbeiten der 


Laboratorien der medizinischen Fakultät in Warschau. Herausgegeben von 
F. Nawrocki, Bd. 5, 1879, S. 120 (russisch). Referiert in Hoffmanns u. Schwalbes 
Jahresberichte, Bd. VIII, 2. Abt., 1879, 8. 64. | 


. F. Nawrocki und B. Skabitschewsky, a) Über die motorischen Nerven der 


Blase. Pflügers Archiv, Bd. 48, 8. 335. b) Über die sensiblen Nerven, deren 
Reizung Kontraktion der Blase hervorruft. Pflügers Archiv, Bd. 49, 8. 141. 


. Sherrington, Journal of Physiology, Bd. 13. 
. Langley, Journal of Physiol., Bd. 18. London 1895, S. 79. The innervation of 


the Pelvic and adjoining viscera. Part. 2. The Bladder. 


. L. R. Müller, Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde, Bd. 21. 

. Gaule, Archiv für Anat. u. Physiol. 1892. 

. Griffiths, The Journal of anatomy and physiol., Bd. 29, S. 61 u. 254. 

. O. Roith, Welche Schädigungen ihres Gefäß- und Nervenapparates verträgt die 


Blase ohne dauernden Nachteil? Hegars Beiträge zur Geburtshilfe u. Gynäkologie, 
Bd. 12, S. 126. 

P. Bert, Observations faites sur un ohien ourare. Henles, Meißners u. Grenachers 
Bericht über die Fortschritte der Anatomie u. Physiologie im Jahre 1869, 8. 304. 
A. Mosso et P. Pellacani, Sur les fonctions de la vessie. Archives italiennes 
de Biologie. Sous la direction de C. Emery et A. Mosso. Turin 1882. Bd. 1, 
Seite 291. 

F. A. Kehrer, Über angebliche reflektorische Beziehungen des N. vagus zur 
Harnblase. Henles und von Pfeuffers Zeitschrift für rationelle Medizin, 3. Reihe, 
Bd. 29, 1867, S. 144. 

Oehl, a) De l'influence motrice réflexe du nerf pneumogastrique sur la vessie. 
Comptes rendus hebdomadaires de l'Academie des sciences 1865, Bd. 71, S. 340. 
b) Physiologische Beziehungen des Vagus zur Harnblase. Henles, Meißners und 
Grenachers Bericht über die Fortschritte der Anatomie und Physiologie im Jahre 
1869. Leipzig und Heidelberg 1871, S. 303. 

von Zeißl, Die Innervation der Blase. Pflügers Archiv, Bd. 45, 1894. 

von Zeißl, Die entnervte Blase. Wiener klin. Wochenschrift 1896, Nr. 20. 
von Zeißl, Weitere Untersuchungen über die Innervation der Blase und der 
Harnröhre. Pflügers Archiv, Bd. 89, 8. 606. 


Über den Zusammenhang zwischen Funktionsstörung der Niere 
und Kochsalzinfusion. 
Von 
Dr. med. M. Kawasoye (Paipeh, Formosa). 


Die subkutane Infusion der Kochsalzlösung ist eine Therapie, welche 
wir öfters anwenden, um die Blutmenge zu ersetzen, die toxischen 
Substanzen des Blutes zu verdünnen und auf diese Weise das Blut zu 
regenerieren; ferner benutzen wir die diuretische Wirkung, um die 
Harnausscheidung zu fördern. 

Ich habe einst zufällig zwei Patientinnen, welche Schwangerschafts- 
niere, hochgradiges Ödem und dabei sehr wenig Urin hatten, mit der 
subkutanen Kochsalzinfusion behandelt. Wider Erwarten wurde dadurch 
aber das Ödem stärker, die Harnmenge noch geringer, und schließlich 
starben mir beide Frauen. Diese beiden Fälle erregten bei mir Zweifel, 
ob die Methode der subkutanen Infusion von Kochsalzlösung wirklich 
zweckmäßig sei. 

Rose und Vedel (Des Injections intraveneuses et sous-coutan6es 
d’eau saló dans le traitement des infections et des intoxications. Revue 
de medicine, Vol. XVII et XVII) behaupteten, daß bei schweren Infek- 
tionsfällen die subkutane Infusion der Kochsalzlösung die Ausscheidung 
des Harns nicht fördert. 

In der Abhandlung: „Über den Kochsalz- und Wasserstoffwechsel 
der Nieren“ (Mediz. Klinik, 1906, Heft 1 und 2) teilt Jochmann mit, 
daß bei Nierenkrankheiten mit Ödem die subkutane Infusion der Koch- 
salzlösung die Ausscheidung des Kochsalzes erst recht verringert und 
das Ödem verstärkt. 

Leopold (Über die Einwirkung von Salzen auf Nieren in Tier- 
experimenten. Zeitschrift für klin. Medizin, Bd. 60) meint, daß Koch- 
. salz auf die Niere eine Reizwirkung ausübt. 

Rössler (Berl. klinische Wochenschrift, Nr. 37, 1907; Gibt es 
Schädigungen durch Kochsalzinfusionen?) hat gefunden, daß für Patienten 
mit primärer Herzschwäche die subkutane Infusion der Kochsalzlösung 
eine Kontraindikation ist. Bei der Sektion hat er festgestellt, daß Auf- 
lockerung des Herzmuskels, akute parenchymatöse Nephritis, intraperi- 
toneales Exudat und dünnflüssiger Inhalt im Darm vorhanden sind. | 

Nach der Lektüre obiger Autoren wurden meine Zweifel noch 
größer, und so stellte ich Tierversuche an, um dieses Problem aufzu- 


310 Dr. M. Kawasoye. 


klären; aber diese Versuche beschränkten sich nicht nur auf Tiere, 
sondern erstreckten sich auch auf menschliche Körper. Auch erschien 
es mir wünschenswert, die von Cramer angeregte Diskussion über den 
Zusammenhang des Ödems und der Kochsalzentziehung bei meinen 
Untersuchungen mit zu berücksichtigen. Da die völlige Ausarbeitung 
des Themas noch sehr viel Zeit erfordern wird, so will ich heute nur 
die Resultate der Versuche mit Kaninchen mitteilen. 

Ich wählte fünf gesunde Kaninchen (nur männliche; da bei weib- 
lichen Kaninchen, die möglicherweise trächtig sind, die Resultate un- 
genau ausfallen könnten). Ich gab ihnen eine bestimmte Diät, ermittelte 
die Harnmenge und die Chlormenge im Harn von zehn Tagen. Schließ- 
lich bestimmte ich die Chlormenge im Blute, das ich von der Carotis 
communis entnommen hatte. 


Tabelle I. 


e E ` EE EE e 


Menge der | Blutentnahme 


ere Na. Cl- nach der | Blutmenge | Chlormenge 
SEH Lösung | Infusion in 
I 1155 g 250 ccm 2 Stunden 33 g 0,22036 °/, 
II 1419,, oo. lib 39 „ 0,2307 „ 
m 1255 „ 00. dio o n 34.6, 0,205 ,, 
IV 676 „, 560 „ an 22,2 „ 0,2183 „ 
y 1062 ,„ oo. lio 17,6, 0,1033 „, 


Die Harnmenge betrug innerhalb 24 Stunden durchschnittlich 38,5 g 
(Maxim. 42 g, Minim. 35,5 g). Diese Menge umfaßt die nach vorheriger 
Entleerung der Harnblase in 24 Stunden im Zylinder aufgefangenen 
Harnmenge, mit dem durch Drücken der Blase ausgedrückten Rest. 
Darin waren durchschnittlich 0,0426 g Cl, im Blut 0,1835, Cl. ent- 
halten (Maxim. 0,2641 °/,, Minim. 0,1411°/,). Nachdem auf diese Weise 
der Chlorgehalt bestimmt war, wählte ich fünf männliche Kaninchen, 
welche mit den vorigen fast gleiches Körpergewicht hatten und injizierte 
ihnen 100 cem einer 0,9 °% igen Kochsalzlösung subkutan. In 24 Stunden 
betrug durchschnittlich die Harnmenge 116 ccm, die darin enthaltene 
Chlormenge 0,4813 g. Es wurde hierbei festgestellt, daß die 
Menge des injizierten Kochsalzes durch die Niere ausgeschie- 
den wird. Da ich nunmehr bestimmen wollte, von wann an das Koch- 
salz im Blute retiniert wurde, so veränderte ich, wie in der Tabelle I 
angegeben, die Infusionsmenge des Kochsalzes und das Zeitintervall nach 
der Infusion bis zur Blutentnahme und bestimmte den Chlorgehalt im Blut. 
Aber wie aus der Tabelle ersichtlich ist, konnte weder durch Ver- 
änderung des Zeitintervalls, noch durch Veränderung der Menge der 
Kochsalzlösung eine Differenz der Chlormengen im Blute bei den inji- 
zierten und den nicht injizierten Tieren bemerkt werden. 

Aus diesen Versuchen ergibt sich also, daß das subkutan 


Über den Zusammenhang zwischen Funktionsstörung der Niere usw. 311 


eingeführte Chlornatrium hauptsächlich durch die Nieren aus- 
geschieden wird, ferner, daß diese Ausscheidung sehr schnell 
stattfindet, in ca. 30 Minuten. Nachdem diese Tatsache feststand, 
wollte ich ermitteln, ob das Chlorsalz beim Durchgang durch die Niere, 
wie Leopold meint, schädigend auf die Niere wirkt. 

Ich gab daher vier Kaninchen jedesmal 200 ccm einer 0,9°/,igen 
Kochsalzlösung und zwar je zweimal durch subkutane Infusion. Nach 
1/,, 1, 11/,, 2 Stunden der Infusion wurden die Tiere geschlachtet und 
anatomisch untersucht. Gleichzeitig wurden gesunde Kaninchen, welche 
mit Kochsalz subkutan nicht behandelt waren, zum Vergleich seziert. 
Diese Kontrolluntersuchungen ergaben makroskopisch, daß die Tiere, 
welche sofort nach der Infusion getötet waren, keine bemerkenswerten 
Veränderungen aufwiesen. Alsdann wurden Herz, Leber, Niere mit 
Formalin fixiert, in Zelloidin eingebettet, geschnitten, mit Hämatoxylin- 
eosin gefärbt und mikroskopisch untersucht. Es konnte aber keinerlei 
Unterschied mit dem Resultat des Kontrollversuchs gefunden werden. 

Dieses Ergebnis scheint darauf hinzuweisen, daß die Theorie, wo- 
nach Kochsalz selbst auf die Niere schädigend einwirkt, nicht richtig ist. 
Mit anderen Worten: gesunde Nieren besitzen die Funktion, das ins 
Blut eingeführte Kochsalz schnell auszuscheiden; man kann sogar sagen, 
daß selbst große Mengen an Kochsalz beim schnellen Passieren der 
Niere keinerlei schädliche Reizwirkung auf letztere ausüben. 

Die obigen Ergebnisse beziehen sich nur auf Versuche mit gesunden 
Tieren. Deshalb schien es mir von großer Wichtigkeit, festzustellen, in 
welcher Weise dieses Agens auf unvollkommen funktionierende Nieren 
einwirkt. Während bisher die Forscher bei solchen Untersuchungen 
den Harn untersuchten, habe ich direkt die Chlormenge im Blute 


ermittelt. 
Tabelle II. 






Blutentnahme 
nach der 





Blutmenge Chlormenge 


. Zunächst war es nötig, zu erforschen, in welcher Weise — bei 
künstlich geschädigten Nieren — die im Blute befindlichen Chlormengen 
verändert werden. Da durch Urannitrat die Tiere in kurzer Zeit dahin- 
gerafft werden, so konnte ich dieses Agens für so langdauernde Ver- 
suche nicht verwenden.‘ Ich habe daher hauptsächlich Kantharidin- 
lösung nach Liebreich benutzt. Ich injizierte damit ein Kaninchen 
subkutan und verwendete nur solche Tiere zur weiteren Untersuchung, 


312 Dr. M. Kawasoye. 


bei denen der Harn Eiweißreaktion und Zylinder zeigte. Es wurden 
50 ccm einer 0,9°%,igen Kochsalzlösung subkutan durch Infusion den 
auf obige Weise künstlich geschädigten Tiere gegeben (das Minimal- 
quantum des ersten Versuchs). Drei Stunden nach der Infusion (also 
Maximalzeit des ersten Versuchs) wurde das Blut durch die Carotis com- 
munis entnommen und darin die Chlormenge ermittelt. Ich erhielt hier- 
bei die in Tabelle II aufgezeichneten Zahlen. 

Hiernach scheint bei künstlich geschädigten Nieren die Chlormenge 
im Blut ersichtlich vermehrt zu werden; mit anderen Worten: der Ver- 
such besagt, daß die geschädigte Niere die Ausscheidung des subkutan 
eingeführten Kochsalzes nicht bewältigt, so daß Kochsalz im Blute reti- 
niert wird. Wenn man also annimmt, daß infolge Ansammelns des 
Kochsalzes im Blut das Gewebe ödematös wird, so wird bei gestörter 
Nierenfunktion, eine subkutane Infusion des Kochsalzes nicht rätlich sein. 

Da ich weiter ermitteln wollte, wie geschädigte Niere nach Infusion 
großer Mengen von Kochsalz sich verändern, so injizierte ich einigen 
Kaninchen Kantharidinlösung und gab ihnen vier bis fünf Tage lang 
durch Infusion jedesmal zweimal am Tage 100 ccm Kochsalzlösung 
von 0,9%. 

Am dritten Tage wurde das Tier stiller, zeigte keinen Appetit und 
bekam Durchfall; am vierten Tage wurde es vier Stunden nach der 
letzten Infusion seziert. 

Es zeigte sich hierbei, daß der ganze Körper (besonders deutlich 
der Rumpf) intensives subkutanes Ödem aufwies; beim Schneiden quollen 
große Mengen klarer Flüssigkeit aus. Ferner enthielt die Bauchhöhle 
große Mengen klarer Flüssigkeit; in der Brusthöhle fand ich nur geringe 
Menge Exsudat vor. Das Flüssigkeitsquantum des Herzbeutels war deut- 
lich vermehrt; der Herzmuskel schwach gefärbt und reich an Flüssig- 
keit; die Leber dunkelrot gefärbt, die Schnittfläche blutreich; die Milz 
unverändert. Was die Nieren anbetrifft, so war die Kapsel sehr leicht 
abziehbar; die Schnittfläche blutreich; die Rindensubstanz ein wenig ge- 
trübt. Die Grenzschicht der Marksubstanz war stark dunkelrot gefärbt. 
Die Schnittfläche zeigte überall starken feuchten Glanz. Der Darm 
enthielt große Mengen von Flüssigkeit. In der Blase fand ich ge- 
trübten Harn. 

Ich fixierte Niere, Leber und Herz mit Formalin, wandte die Zel- 
loidineinbettung an, stellte daraus Schnitte her und färbte dieselben mit 
Hämatoxylineosin. 

Bei der mikroskopischen Untersuchung von Herz und Leber war 
keine bemerkenswerte Veränderung zu sehen. In der Niere bestand die 
Hauptveränderung in der Vergrößerung, unregelmäßigen Konfiguration 
und Trübung der Epithelien in den gewundenen Kanälchen. Das Proto- 
plasma zeigte unregelmäßige Struktur und der Kern war nicht gut zu 
färben. In dem Lumen vieler Kanälchen fanden sich geronnene Eiweib- 
massen, Zylinder, weiße und rote Blutzellen. Die Kapillargefäße waren 
ziemlich erweitert und prall gefüllt. 


Über den Zusammenhang zwischen Funktionsstörung der Niere usw. 313 


Wenn man also die Niere schädigt und große Mengen Kochsalz- 
lösung subkutan einführt, so entstehen subkutan starke Ödeme, Exsudate 
in der Bauchhöhle und im Darm, Ödem an Herzmuskeln und Niere usw. 

Meine Versuche lehren demnach, daß 

1. gesunde Nieren das im Blut befindliche Kochsalz rasch aus- 
scheiden, | 

2. gesunde Nieren durch die Kochsalzlösung selbst nicht gereizt 
oder geschädigt werden, 

3. geschädigte Nieren nicht imstande sind, das Kochsalz im Blut 
vollständig auszuscheiden, so daß eine Retention von Chlor im Blute 
entsteht, 

4. bei geschädigten Nieren vor der subkutanen Infusion der Koch- 
salzlösung gewarnt werden muß. 


Funktionelle Diagnostik der Blase mittels des Zystoskops. 
Von 
Dr. Richard Knorr, Frauenarzt in Berlin. 


Der Zweck dieser vorläufigen Mitteilung ist der, auf eine neue 
Methode der Zystoskopie hinzuweisen, die, soweit meine bisherigen 
Beobachtungen dartun, geeignet zu sein scheint, das Anwendungsbereich 
der zystoskopischen Diagnostik zu erweitern, indem sie Licht in ein 
noch dunkles Gebiet der Blasenpathologie bringen dürfte, nämlich die 
Lehre von den nervösen und muskulären Störungen mit Erkrankungen 
dieses Organes. 

Das Prinzip dieser neuen Untersuchungsmethode ist ein sehr ein- 
faches, und es ist eigentlich auffällig, daß man nicht schon früher darauf 
kam. Meines Wissens ist bis jetzt keine gleiche oder ähnliche Vor- 
schrift zur Untersuchung der Harnblase gegeben worden, und auch die- 
jenigen Forscher, die in letzter Zeit sich mit der Pathologie der Blasen- 
muskulatur, insbesondere mit den trabekulären Veränderungen derselben 
beschäftigten, wie Böhme!) und Asch?), scheinen, wie aus ihren 
Arbeiten hervorgeht, ihre zystoskopischen Untersuchungen lediglich in 
der seither üblichen Art und Weise vorgenommen zu haben. 

Das wesentliche der neuen Untersuchungsmethode besteht darin, 
daß man im Gegensatz zu dem bisher ausschließlich befolgten Verfahren, 
die durch Wasser oder Luft entfaltete Blasenwand im Stadium der 
Dilatation und Ruhe, der motorischen Erschlaffung zu besichtigen, die 
Blase im Zustande ihrer Tätigkeit, nämlich während der Kontraktion 
der Muskulatur oder wenigstens unmittelbar nach der Arbeit, nach der 
Blasenentleerung, wenn noch ein Teil der Kontraktionsveränderungen der 
Wand besteht, zystoskopisch betrachtet. 

Bisher wurde von allen Zystoskopikern gemäß der Vorschrift 
Nitzes die Blase stets möglichst entfaltet, da nur so die Betrachtung 
der Schleimhaut zweckmäßig vorgenommen werden kann. Man vermied 
ebenso eine zu geringe Füllung, wie eine stärkere Dehnung der Blase 
und verwendete meist eine mittlere Menge zwischen 150 ccm und 300 cem. 
Im ersteren Falle empfand man störend das Zusammenfallen der Wände 
sowie die geringe Exkursionsmöglichkeit für das Zystoskop und fürchtete 


ı) Böhme, Die Balkenblase als Frühsymptom bei Tabes dorsalis. Münch. med. 
Wochenschr., 1908, Nr. 50. 

3) Asch, Die Erkrankungen der Harnblasenmuskulatur. Münch. med. Wochen- 
sohr., 1909, Nr. 7. 


Funktionelle Diagnostik der Blase mittels des Zystoskops. 315 


Verbrennungen der Blasenwand, im letzteren Falle, bei stärkerer Auf- 
füllung der Blase, wurden leicht Schmerzen und heftiges Dranggefühl 
bei der Patientin hervorgerufen. Trat gar eine Kontraktion der Mus- 
kulatur ein, so wurde dies als unerwünschte Störung angesehen, die 
eine sofortige Unterbrechung der Zystoskopie nötig machte, falls man 
nicht eine unfreiwillige warme Dusche über sich ergehen lassen wollte. 

Die Untersuchung mit mittierer Blasenfüllung ist und bleibt das 
Normalverfahren bei der Zystoskopie und genügt, solange man ledig- 
lich die Veränderung der Schleimhaut sowie die Verhältnisse anı 
Ureterostium studiert. Es hat sich mir aber im Laufe der Jahre immer 
mehr das Unzureichende der bisherigen Methode aufgedrängt, je öfter 
ich sah, daß es mir mit derselben nicht gelang, in Fällen von ausge- 
sprochener Blasenstörung zystoskopisch Veränderungen der Blase nach- 
zuweisen. Solche Patientinnen zeigten mitunter auch keinerlei Ver- 
änderungen des Harnes, die man hätte verantwortlich für die starken 
Beschwerden machen können, und auch nervöse Ursachen waren aus- 
zuschließen. Eine lokale Erkrankung der Blase war in hohem Grade 
wahrscheinlich, und doch ergab die zystoskopische Untersuchung an- 
scheinend normale Verhältnisse. Besonders ist dies der Fall da, wo 
nervöse oder muskuläre Erkrankungen dieses Organes vorhanden sind, 
die sich in den mannigfachsten Formen äußern können. Bald handelt 
es sich um Fälle mit Ischurie, bald um solche mit vehementem Harn- 
drang, Tenesmen, dann aber gehören hierher die Inkontinenz der Blase 
und die Enuresis. Gerade bei diesen letzteren Formen, die eine Qual 
für Patienten und Arzt bilden können, ist das Ergebnis der Zystoskopie 
meist ein negatives. In der gewöhnlichen Weise vorgenommen, gibt sie 
keinerlei Aufschluß über den Zustand der Blasenmuskulatur und ihre 
Kontraktionsverhältnisse, und so komnit es, daß man meist geneigt ist, 
in Fällen von Insuffizienz den Sphincter internus als den allein schul- 
digen Teil zu bezichtigen. Gar manche vergebliche Operation, mancher 
therapeutische Mißerfolg ist auf dieses Konto zu setzen. 


Aur Prüfung der Motilität der Blase, zur Feststellung des Zustandes 
des muskulären Apparates empfehle ich nun folgendes Verfahren. 

Zunächst wird die Blase in der gewöhnlichen Weise bei mittlerer 
Füllung — bei Frauen 200—300 cem — zystoskopiert. 

Hierauf fülle ich die Blase noch weiterhin so lange, als die Patientin 
es verträgt, bis ein deutliches Dranggefühl entsteht, und stelle die ma xi- 
male Füllungsmenge fest. Eine zweite Zystoskopie in diesem Augen- 
blicke kann gelegentlich zweckmäßig sein, ist aber für gewöhnlich 
nicht nötig. 

Alsdann fordert man die Patientin auf, den ganzen Blaseninhalt 
zu entleeren. Dazu ist meistens nötig, daß man sie aufstehen läßt und 
daß sie ungestört und unbeachtet die Miktion verrichten kann. Um 
nach der Harnentleerung möglichst wenig Zeit verstreichen zu lassen, 
ist das Verlassen des Untersuchungszimmers nicht angängig, hinter 

Zeitschrift f. gynäkologische Urologie. Bd. 1. 22 


316 Dr. Richard Knorr. 


einer Schirmwand erledigt sich diese Prozedur neben dem Untersuchungs- 
stuhl stets ganz prompt. 

Hierauf muß sich die Patientin sofort, ohne daß Zeit verloren 
wird, auf den Untersuchungsstuhl legen, es wird der Katheter eingeführt 
und die noch in der Blase, trotz angeblich vollständiger Entleerung 
zurückgebliebene Flüssigkeitsmenge aufgefangen und später gemessen 
(Residualharn). 

Alsdann wird in die Blase eine kleine Menge Borsäurelösung. 
ca. 50—80 cem, eingespritzt und das Zystoskop eingeführt. 

Diese letzteren Manipulationen müssen sehr rasch ausgeführt werden. 
damit sich von dem Kontraktionszustand der Blase möglichst wenig 
ändert. 

Irgendwelche Schwierigkeiten macht diese Art der Untersuchung 
nicht, auch ist die Zystoskopie in der nur wenig gefüllten Blase für 
die Patientin weder schmerzhaft noch gefährlich, seitdem wir in der 
Lage sind, die „kalten“ Metallfadenlampen zu benutzen. Wie man sich 
leicht überzeugen kann, ist es möglich, die glühende Zystoskoplampe 
ohne jeden Schmerz längere Zeit zwischen den Fingern zu halten. Man 
könnte sogar mit dem modernen Zystoskop in der nahezu leeren weib- 
lichen Blase untersuchen, ohne nennenswerte Beschwerden hervor- 
zurufen, wenn man nur kurz dabei verfährt, wie ich bereits feststellen 
konnte. 

Selbstverständlich wird man auch bei geringer Füllung die Zysto- 
skopie nicht zu lange ausdehnen und vor allem nirgends lange an der 
Blasenwand mit dem Schnabel des Instrumentes verweilen. 

Wenn man nun in dieser Weise die Blase besichtigt, gewahrt man 
gegenüber der zuerst vorgenommenen Zystoskopie große Unterschiede. 
Die ganze Blase erscheint mehr rot und weniger glänzend als vorher, 
sie ist hyperämischer. Die Schleimhaut ist, da sie weniger gespannt 
ist, dicker, blutreicher; es fehlt der Gegendruck der Füllflüssigkeit. 
der eine gewisse Anämie und Blässe vorher erzeugt hatte. Die obere 
Wand, die bei der ersten Zystoskopie weiter entfernt vom Prisma lag. 
erscheint jetzt sehr nahe, konvex nach unten vorgewölbt und in der 
Mitte schr hell und vergrößert. Nach rechts und links hinten ziehen 
sich die seitlichen Taschen als dunkle, sich verjüngende Räume hin. 
Das Trigonum verändert sich weniger, doch erscheint es hyperämischer 
und der Urethralwulst springt stärker hervor. 

Vor allem aber fällt auf, daß -die Blase etwas weniger glatt er: 
scheint. Außer größeren, durch die Nachbarorgane, wie Uterus oder 
Darnschlingen, erzeugten Einstülpungen und kleineren schmalen Falten- 
bildungen der Wand sind es hauptsächlich Veränderungen der Musku- 
latur des Detrusors, die nunmehr sichtbar werden. 

Und zwar sind es zweierlei Arten derselben, nämlich, 

l. die kontrahierten Muskelbündel des Detrusors, 

2. davon gänzlich verschieden im Aussehen, trabekulärt 





Funktionelle Diagnostik der Blase mittels des Zystoskops. 317 


Veränderungen, Bilder, wie man sie bei Balkenblase zu 
sehen bekommt. 

Diese Veränderungen sind in verschiedener Stärke und Ausdehnung 
bei den meisten von mir untersuchten Fällen konstatiert worden, unter 
20 beliebig ausgesuchten Fällen fehlten sie nur zweimal und our drei- 
mal waren sie schwächer angedeutet. 


Was die Muskelkontraktionen anlangt, so geben diese ein sehr 
charakteristisches Bild. Es sind meist auf der oberen Wand der Blase 
längliche, mitunter parallel verlaufende Wülste,. die sich aus kleineren 
spindelförmigen, stark ins Lumen vorspringenden, vielfach gekrümmten 
Vorsprüngen bestehen. Oft sind sie auch ganz unregelmäßig dicht 
nebeneinander liegend. Man erkennt leicht, daß es sich um veränder- 
liche, sich bewegende muskuläre Gebilde handelt. 

In fünf Fällen waren sie außerordentlich stark entwickelt, die Kon- 
traktion bildete sich erst langsam zurück, in anderen Fällen waren sie 
schwächer. Das Phänomen ist ein flüchtiges, man muß deshalb rasch 
nach der Blasenentleerung untersuchen. In den seitlichen Teilen und 
im Basfond sind diese Muskelkontraktionen weniger ausgesprochen zu 
sehen. 

In einem Teil der Fälle waren dieselben überhaupt nicht zu sehen, 
sei es, daß die Kontraktionen bereits aufgehört hatten, sei es, daß sie 
überhaupt schwächer verlaufen waren und deshalb sich nicht durch die 
Schleimhaut hindurch markierten. 

Viel häufiger als diese ohne weiteres als normal physiologisch zu 
bezeichnenden Detrusorkontraktionen sah ich aber bei meinen Unter- 
suchungen mit der neuen Methode Bilder wie bei Balkenblase. Daß 
derartige trabekuläre Veränderungen leichteren Grades bei Frauen nicht 
selten sind, war mir längst bekannt, auch Stoeckel, Henckel, 
Zangemeister, Böhme und Asch berichten darüber. Daß sie aber 

so häufig zu sehen sind (unter 20 Fällen 18 mal, darunter 7 mal sehr 
ausgesprochen), war mir neu. 

In einigen der Fälle sah man die trabekulären Veränderungen bei 
mittlerer Füllung als zarte weiche Streifen angedeutet, nach der Harn- 
entleerung traten sie dann in der schwach gefüllten Blase in deutlich- 
ster Weise hervor. 

Auffällig war, daß die Trabekeln vorzugsweise in den seitlichen 
Taschen, besonders an den tiefsten nach hinten und außen gelegenen 
Teilen derselben zu finden waren. Waren sie an anderen Stellen, wie 
am Basfond oder an der oberen Wand, so waren sie doch hier am 
stärksten entwickelt. In zwei Fällen waren sie so hochgradig, wie ich 
sie kaum vorher gesehen habe, ebenso deutlich wie in dem Falle von 
Balkenblase bei Tabes, den Bierhoff in meiner Poliklinik untersuchte 
und beschrieb!). In vier Fällen waren tiefe Divertikel, oft multipel, zu 
sehen, die ebenfalls mit Balken versehen waren. 


u Bierhoff, Dermatolog. Zentralbl., 1900, Nr. 8. 


318 : Dr. Richard Knorr. 


Ein eigentümliches Bild boten die Fälle, in denen man neben dem 
typischen Trabekelnetz noch die gewöhnlichen Detrusorkontraktionen 
sah, wobei der große Unterschied in Form und Aussehen zwischen 
beiden Erscheinungen recht deutlich zutage trat. Erstere sind konstante, 
. stets in derselben Konfiguration auch bei mehrfachen Untersuchungen 
immer in der gleichen Form auftretende Bildungen, während letztere 
ungemein wechselnd sind in der Art, wie eine Wellenbewegung, die 
über eine Wasserfläche läuft. Erstere zeigen ein starres, sehniges Aus- 
sehen, letztere sind rundlich und weich in den Formen. 

Was nun die Deutung dieser Befunde und ihre Verwertung für 
die Diagnose anlangt, so muß ich sagen, daß dieselbe nicht ganz leicht 
ist. Zur völligen Erklärung ist eine größere Anzahl von Untersuchungen, 
insbesondere auch pathologischer Fälle, und zwar nach der von mir an- 
gegebenen Methode, notwendig. | 

Meine Erfahrungen sind noch lange nicht abgeschlossen, und ich 
erhoffe von der Nachprüfung und Verwendung dieses Verfahrens seitens 
anderer Untersucher manche neue Aufschlüsse. 

Von den 20 von mir untersuchten Fällen waren nur in vier Fällen 
Blasenbeschwerden vorhanden, 

einmal bei Prolaps und Diabetes, 

einmal bestand Inkontinenz, Retroflexio, 

zweimal Cystitis colli, und zwar 

einmal mit Strietura urethrae und 

einmal mit Ischurie aus unbekannter Ursache, die übrigen Fälle 

waren symptomlos 
und trotzdem waren fast bei allen Fällen trabekuläre Verände- 
rungen zu schen (in 18 von 20 Fällen!). 

Merkwürdigerweise waren sie in dem Falle von Strictura urethrae 
bei weitem nicht so stark entwickelt, wie in einigen Fällen ohne jeg- 
liche Blasenbeschwerden. Am stärksten war die Balkenbildung bei einer 
jugendlichen Gravida, die keinerlei Blasensymptome zeigte. Zeichen von 
Tabes, die ja gewiß die wichtigste Ursache für Balkenblase abgibt, 
waren in keinem Falle vorhanden. Selbst wenn man der Meinung ist, 
daß in dem einen oder anderen dieser Fälle erst nach Ablauf längerer 
Zeit eine Tabes in Erscheinung treten wird, daß wir es also mit einem 
Frühsymptom dieser Erkrankung zu tun hätten, würde damit nur für 
einen oder den anderen Fall eine Erklärung gegeben sein, aber nicht 
für die größere Mehrzahl. 

Da die hauptsächlichsten Ursachen für Balkenblase, nämlich peri- 
pheres Hindernis (Striktur, Prostatahvpertrophic) oder Tabes, bei meinen 
Fällen nieht in Frage kommen, könnte man eine myogene oder neuro- 
gene Entstehung annehmen, wie dies bereits Albarran?!) und neuer- 
dings Asch?) für viele Fälle tun. 

Letzterer glaubt, daß in manchen Fällen die Atrophie eines Teiles 


') Albarran, Annal. genito-urinaires, 1908, Nr. 21. 
"Asch, Lu 


Funktionelle Diagnostik der Blase mittels des Zystoskops. 319 
der Blasenmuskulatur das Primäre ist und die Trabekelblase eine kom- 
pensatorische Arbeitshypertrophie darstellt. Albarran und Lydston!') 
hatten tatsächlich bei ihren, zur Autopsie gekommenen Fällen neben 
sklerotischen Veränderungen fettige Degeneration der Blasenwandung 
gefunden. 

= Gewiß trifft diese Erklärung für manche Fälle zu, doch für die 
Mehrzahl der bei Frauen so häufig gefundenen und durch meine Methode 
sicher noch häufiger zu konstatierenden Trabekelblasen möchte ich eine 
andere und zwar folgende Erklärung annehmen. 

Bekanntlich hat die weibliche Blase bei geringer Füllung auf dem 
Durchschnitte eine Sichelform. Zu beiden Seiten bildet sich ein nach 
hinten verlaufender, sich verjüngender Rezessus. Am ausgesprochensten 
ist dies in dem zweiten bis vierten Graviditätsmonate zu beobachten, 
aber auch in der übrigen Zeit ist infolge der Impression von seiten des 
‘Uterus diese Formation der Blase vorhanden. Nun konnte ich fast in 
allen Fällen von trabekulären Veränderungen, die ich in zehn Jahren 
bei mehreren Tausend Zystoskopien sah, fast stets konstatieren, daß 
dieselben seitlich, und zwar meist zirkulär um die äußersten Enden der 
seitlichen Taschen sich erstreckten. Die wenigen Fälle von universeller 
trabekulärer Hypertrophie, von echter Balkenblase bei Tabes nehme ich 
hier aus. 

Tritt bei Frauen eine Urinentleerung ein, so kommt es nicht wie 
beim Manne zu einer konzentrischen Kontraktion eines ziemlich kugel- 
förmigen Hohlmuskels, sondern es tritt vor allem die obere Wand nach 
unten und die Blase wird mehr in ihrem frontalen und vertikalen Durch- 
messer verkleinert, während dies im transversalen weniger der Fall ist. 

Zur Verkleinerung der seitlichen Rezessus ist eine erhöhte Arbeits- 
leistung nötig, diese führt zu einer kompensatorischen Muskelhyper- 
trophie. 

Damit erklärt sich wohl am besten die konstante Lokalisation der 
Trabekeln an den seitlichen Rezessus, sowie das so häufige Vorkommen 
dieser Bildungen gerade bei Frauen. Inwieweit puerperale oder senile 
oder entzündliche Prozesse dabei mitwirken und warum in dem einen 
Fall die Erscheinungen so intensiv, im anderen nur leicht angedeutet 
sind, diese Fragen sollen spätere Untersuchungen aufklären. 

Dabei wäre auch auf das Vorkommen von Residualharn zu 
achten. In vier von meinen Fällen war diese bislang wenig beachtete, 
sicher aber sehr bedeutungsvolle, für die Zystitisätiologie und Prognose 
wichtige Anomalie vorhanden. 

Auch der Einfluß von Lageveränderungen der Sexualorgane und 
der Blase ist ein großer. Mehrere Fälle hatten Prolapsus vaginae und 
/,ystozele. 

Obwohl ich oft bei Prolapsen Trabekeln fand, so sah ich sie fast 
nie im Zystozelentrichter, sondern auch hier immer seitlich innerhalh 


') Lydston, Journ. of Ent. and genit.-urinary discas., 1902, S. 456. 


320 Dr. Richard Knorr. Funktionelle Diagnostik der Blase mittels des Zystoskops. 
des Beckens. Die Zystozele ist eben einer Kontraktion nur in geringem 
Grade fähig. 

Ich will hier nicht weiter auf dieses gewiß wichtige und inter- 
essante Kapitel eingehen und möchte nur noch auf den Wert der neuen 
Methode für die Erforschung der Blasenpathologie hinweisen. 

Nach meinen Untersuchungen scheint es wahrscheinlich, 
daß die trabekulären Veränderungen in der weiblichen Blase 
etwas sehr Häufiges sind, viel häufiger als man bisher an- 
nahm, und durchaus nicht immer die pathologische Dignität bean- 
spruchen können, die man ihnen zumeist zuweist. 

Ihre Entstehung verdanken sie vielfach einfachen mechanischen 
Momenten, die in der Konfiguration der weiblichen Blase liegen. In 
höheren Graden entwickelte Trabekeln sind der Ausdruck stärkerer 
funktioneller Störungen. 

Manche Fälle von sogar hochgradigen trabekulären Veränderungen 
werden bei der sonst üblichen Untersuchung übersehen und werden 
erst bei meiner Methode manifest. 

So habe ich in einem Falle, der mir wegen Ischurie und lang- 
jähriger Blasenbeschwerden zugeschickt wurde und bei dem ich mittels 
gewöhnlicher Zystoskopie normale Verhältnisse diagnostizierte, erst bei 
Anwendung meines Verfahrens die ausgesprochensten Trabekel und tiefe 
Divertikel gefunden. 

Auch aus der Form, Größe, Anwendung und Dauer der gewöhn- 
lichen Detrusorkontraktionen werden sich voraussichtlich noch mancher- 
lei Schlüsse auf die Funktionstüchtigkeit der Blase ziehen lassen. 

Das neue Verfahren wäre meiner Ansicht nach zweckmäßig neben 
gewöhnlicher Zystoskopie, Urethroskopie und Harnuntersuchung in allen 
den Fällen anzuwenden, bei denen es auf die Erforschung der Motilität 
und Kontraktilität der Blase ankommt, also 

1. bei allen motorischen Störungen, wie Insuffizienz, Enuresis, 

Ischurie, auch puerperaler, 

. bei Schrumpfblase, Parazystitis, Perizystitis, 

. bei Trabekelblase, Divertikelblase, 

. bei postoperativen Schädigungen der Blase, 

. bei senilen, atheromatösen und atrophischen Prozessen der Mus- 
kulatur, 

6. bei Neurosen der Blase. 

Außer dieser Motilitätsprüfung ist in solchen Fällen noch zu be- 
stimmen: die Kapazität der Blase, der Innendruck, die Menge des Resi- 
dualharnes und vor allem auch der Zustand des Nervensystems. Erst 
mit Zuhilfenahme aller dieser Untersuchungsmethoden ist im einzelnen 
Falle eine genaue Diagnostik ermöglicht und mit der Zeit eine genauere 
Kenntnis der muskulären und nervösen Blasenerkrankungen zu erwarten. 


Oe u bi 


(Aus der Universitätsfrauenklinik Erlangen, Professor Dr. Jung. 


Über Incontinentia urinae!). 
Von 
Dr. Ernst Engelhorn, Assistent der Klinik. 


Die Frage der Incontinentia urinae ist in allen den Fällen, in 
welchen lokale Schädigungen des Verschlußapparates der Blase und 
ihrer Umgebung für den unwillkürlichen Harnabgang verantwortlich 
gemacht werden können, eine einfache; denn mit der Auffindung der 
gesetzten Schädigung haben wir den Grund des Harnträufelns gefunden. 
Viel komplizierter in ihrer Erklärung sind die Fälle von sogenannter 
essentieller Inkontinenz, bei denen wir einen anatomisch intakten, aber 
nicht richtig funktionierenden Verschlußapparat der Blase finden. 

Zu dieser Krankheitsgruppe ist in erster Linie die Enuresis 
nocturna zu rechnen, für deren Zustandekommen nach den eingehen- 
den Untersuchungen von Sieber aus der Marburger Frauenklinik ein 
Reizzustand des Detrusors, der auf einer allgemeinen Hypertonie des 
Sympathikus beruht, verantwortlich zu machen ist. 

Hierher gehören ferner die Fälle von sogenannter Reflexinkonti- 
nenz, wo nach Abtragung einer hypertrophischen Klitoris und eines 
verdickten oberen Hymenalsaumes das vorher bestehende Harnträufeln 
verschwand. 

Früher, wo eine eingehende lokale Untersuchung des Harnapparates 
aus Mangel an entsprechenden Instrumenten unmöglich war, lief mancher 
Fall von Inkontinenz unter dem Namen einer hysterischen. Mit Ein- 
führung des Urethro- und Zystoskops wurde die Diagnose der hysterischen 
Inkontinenz entschieden eingeschränkt, doch ist unzweifelhaft zuzugeben, 
daß es Fälle gibt, für deren Entstehung die Hysterie verantwortlich 
gemacht werden muß. 

So hat neulich Rißmann fünf Fälle von Blasenbeschwerden der 
unangenehmsten und heftigsten Art (in einem Falle bestand Incontinentia 
urinae) ohne jeden zystoskopischen Befund beschrieben, in denen er 
durch rein psychische Behandlung unter gleichzeitiger Darreichung von 
Balsamika Heilung erzielte. Rißmann glaubt deshalb vor der allzu 
raschen Anwendung des Zystoskops und Harnleiterkatheters warnen zu 
dürfen. 


1) Nach einem am 3. Juli in der Fränkischen Gesellschaft für Geburtshilfe und 
Gynäkologie gehaltenen Vortrag. 


322 Dr. Ernst Engelhorn. 


In der Erlanger Frauenklinik sind vor einiger Zeit zwei Fälle von 
= Incontinentia urinae zur Aufnahme und Behandlung gekommen. Ich 
gebe hier einen kurzen Auszug aus den Krankengeschichten. 


Fall I. 

Fräulein Barbara R., 43 Jahre alt, Periode alle drei Wochen, regelmäßig, 
schwach. Nie ernstlich krank. Seit einem Jahr besteht heftiger Harndrang, so daß 
die Patientin alle 10—15 Minuten Wasser lassen muß; beim Husten, Lachen, Niesen 
und geringen körperlichen Anstrengungen, wie Heben von Körben usw., geht der Urin 
tropfenweise ab. Zeitweise ist das Wasserlassen mit Schmerzen verbunden. Die 
gynäkologische Untersuchung ergab: Nullipara deflorata, Scheide ziemlich eng, Portio 
an normaler Stelle, Uterus anteflektiert, klein, beweglich. Adnexe ohne Besonderheiten. 

Orificium externum der Urethra ohne Besonderheiten. Die Zystoskopie ergab: 
Die Scheidenschleimhaut des Trigonum ödematös geschwellt und wenig diffus gerötet ; 
die übrige Blasenschleimhaut ohne Besonderheit. Urin frei von Eiweiß und Zucker. 
vollkommen klar. Die Prüfung der Reflexe ergab ein Fehlen des Augenbindehaut- 
und Gaumensegelreflexes, der Patellarreflex ziemlich lebhaft. Mit Rücksicht auf die 
weringe Veränderung der Blasenschleimhaut, die das zystoskopische Bild ergab und ` 
die gefundenen Veränderungen der Reflexe, wurde die Diagnose auf nervöse Blasen- 
beschwerden bei leichter Cystitis colli gestellt. Da der behandelnde Arzt die Patientin 
zu Blasenspülungen in die Klinik geschickt hatte, und sich Patientin von diesen viel 
versprach, wurde sie acht Tage lang mit Blasenspülungen behandelt, doch ohne jeden 
Erfolg. Es wurde hierauf zweimal eine Ätzung des Collum mit 2°/, Argentumlösung 
gemacht, der Zustand besserte sich so sehr, daß die- Patientin nur noch alle zwei Stun- 
den Wasser lassen mußte. Beim Husten, Lachen, Niesen wurde ein Abgang von Urin 
nicht mehr bemerkt. Die Zystoskopie ergab vollkommen normale Verhältnisse. 


Fall I. 

Frau Anna F., 30 Jahre alt, II. p., letzte Geburt vor fünf Jahren, regelmäßig 
menstruiert, nie ernstlich krank. Seit dem vierten Monat der letzten Schwangerschaft 
vor fünf Jahren kann die Patientin beim Gehen und Arbeiten den Urin nicht mehr 
halten, auch beim Husten, Niesen und geringer Anstrengung der Bauchpresse geht 
der Urin tropfenweise ab. Die gynäkologische Untersuchung ergab: Damm 2 cm hoch, 
Vulva leicht klaffend, Scheide weit, kein Deszensus der vorderen Vaginalwand, Portio 
an normaler Stelle, Corpus uteri beweglich, Adnexe ohne Besonderheiten. Der Urin 
enthält zahlreiche weiße krümlige Fibrinflocken und vereinzelte Leukozyten, kein 
Eiweiß und Zucker. 

Die Zystoskopie ergab: Deutliche Injektion der Schleimhaut des Trigonum, die 
Blasenschleimhaut ist mit zahlreichen, feinen, in der Spülflüssigkeit flottierenden 
Flocken bedeckt. Auch hier wurde mehrmals eine Ätzung mit 2°, Argentumlösung 
gemacht, bei gleichzeitiger Darreichung von Helmitol und Wildunger Wasser. Nach 
vierwöchentlichem Aufenthalt in der Anstalt wurde Patientin vollkommen geheilt ent- 
lassen. Die Zystoskopie ergab, daß die früheren Auflagerungen im Blasenhals voll- 
kommen verschwunden sind, es besteht nur noch eine kaum merkliche Rötung des 
Trigonum. 


In unseren beiden Fällen handelt es sich also um eine Cystitis 
colli, kompliziert durch eine Incontinentia urinae. 

ès fragt sich nun, ob diese Inkontinenz durch die Cystitis colli 
bedingt sein kann. Die Beschwerden bei Cystitis colli sind sehr ver- 
schieden; so finden wir bei Stoeckel, Knorr u. a. Pollakiurie und 
Dysurie angegeben. Sehr gewöhnlich verlegen die Patienten den Sitz 
des Leidens in die Harnröhre; sie haben das Gefühl, sie wäre wund 
und zugeschwollen. Einen Hinweis darauf, dab Cystitis colli eine In- 


d 


Über Incontinentia urinae. 323 


continentia urinae verursachen kann, fand ich nur bei Calmann, der 
über zwei Fälle von Harninkontinenz berichtet, die das Bild der Enu- 
resis nocturna darboten und lange Zeit mit allen möglichen Mitteln, 
mit Drückung der Urethra und des Sphinkters nach Thure Brandt und 
mit brüsker Dehnung der Urethra mit dem Silberkatheter nach Sänger 
behandelt worden waren. Der Urinbefund hat nur ganz unbedeutende 
Veränderungen aufgewiesen. Die zystoskopische Untersuchung stellte 
schließlich eine chronische Zystitis fest, besonders in der Gegend des 
Trigonum Lieutaudii. Die nunmehr eingeleitete antizystitische Behand- 
lung mit Argentum, führte in wenigen Wochen bei beiden Fällen zum 
Ziel. Die eine Patientin war vor ihrer Erkrankung stets vollkommen 
gesund gewesen; bei der anderen Patientin waren die Beschwerden 
vier Wochen nach Exstirpation von zwei tuberkulösen Tubensäcken 
durch vordere Kolpotomie aufgetreten. Calmann erklärt die Beobach- 
tungen folgendermaßen: Die chronische Zystitis äußerte sich in der 
leichten Reizbarkeit der Blasenwände, deren Kontraktion unter günstiger 
Bedingung aber den Sphinkter nicht überwinden konnten. In weniger 
günstigen Momenten, beim Schlafen, Husten, auch schnellem Gehen 
wurde der Sphinkter nicht genügend schnell und energisch in Aktion 
gesetzt, um der erhöhten Tätigkeit der Blasenwändemuskulatur gewachsen 
zu Sein. 

Seit den neueren Untersuchungen über die Physiologie der Blasen- 
entleerung, die wir L. R. Müller, Grünstein, v. Zeißl, Roith u. a. 
verdanken, wissen wir, daß unter normalen Verhältnissen der in der 
Blase sich ansammelnde Urin am Abfluß durch den Tonus des Sphinkter 
internus vesicae gehindert ist; dieser Tonus wird vom Granglion mesen- 
tericum inferius unterhalten. Der Antagonist des Sphinkters ist der 
Detrusor, der vom Plexus hypogastricus aus innerviert wird, von dem 
postzelluläre Fasern zur Blase ziehen. Grünstein konnte in der Blasen- 
wand zahlreiche Ganglienzellen durch vitale Methvlenblaufärbung nach- 
weisen. Von Zeißl hat experimentell in einwandsfreier Weise nach- 
gewiesen, daß die Reflexzentren für den Detrusor und auch für den 
Sphinkter internus vesicae nicht außerhalb des Beckenbindegewebes im 
Ganglion mesentericum superius, sondern in den im ganzen Becken- 
hindegewebe in reichlichem Maße vorhandenen sympathischen Ganglien 
des Plexus hypogastricus und in den Ganglien der Blasenwand zu 
suchen sind, ein Befund, den Roith durch Tierversuche bestätigen 
konnte. 

Das Zustandekommen der Incontinentia urinae bei Cystitis 
colli erkläre ich mir folgendermaßen: Durch die Entzündung des Tri- 
gonums sind die in der Blasenwand sitzenden Gianglienzellen, die den 
Detrusor versorgen, in einem dauernden Reizzustand. Durch diesen 
Reizzustand werden schon bei mäßig gefüllter Blase an den Sphinkter- 
tonus erhöhte Anforderungen gestellt. Treten nun durch äußere Ur- 
sachen (Niesen, Husten usw.) Erhöhungen des Blaseninhaltsdrucks auf, 
wird durch diese Drucksteigerung der Detrusor zu weiteren Kontrak- 


324 Dr. Ernst Engelborn. 


tionen gereizt und der schon vorher stark in Anspruch genommene 
Sphinkter ist diesem vermehrten Druck gegenüber nicht mehr gewachsen; 
es kommt zum unwillkürlichen Abfließen des Urins. 

In unseren beiden Fällen haben wir die von Bierhoff-Knorr 
inaugurierte, von Stoeckel mehrfach empfohlene Argentumätzung des 
Trigonums vorgenommen. 

Der Erfolg dieser Ätzung war in unsern beiden Fällen ein prompter; 
wir konnten beidemal im Zystoskop eine Heilung der vorherbestehenden 
Cystitis colli feststellen und unsere Patienten vollkommen beschwerde- 
frei entlassen. 

Die auffallende Tatsache, daß mit dem Abheilen der Cystitis tri- 
goni neben den übrigen Beschwerden auch die Incontinentia urinae 
beseitigt wurde, berechtigt mich zu dem Schluß, daß eine Inconti- 
nentia urinae auf Grund einer Cystitis colli angenommen 
werden darf, eine Tatsache auf die, wie oben erwähnt, Calmann 1904 
aufmerksam gemacht hat. 

Nach den neueren Anschauungen über die Physiologie der Harn- 
entleerung durfte die von Calmann gegebene Erklärung des Zustande- 
kommens des Harnträufelns bei Cystitis colli eine Änderung erfahren. 

Mit der von uns angewandten Therapie sah man auch bei hyste- 
rischem Harnträufeln in manchen Fällen eine prompte Wirkung, die 
man als eine rein psychische bezeichnen kann. Daß eine solche in 
unseren Fällen mit Sicherheit auszuschließen ist, beweist Fall I, in dem 
eine Beeinflussung des Leidens durch wiederholt vorgenommene Blasen- 
spülungen nicht erzielt werden konnte; erst mit der durch Argentum- 
ätzung bewirkten Abheilung der Zystitis verschwand das Harnträufeln. 
Wenn die Inkontinenz als ein rein nervöses Symptom aufzufassen ge- 
wesen wäre, wäre auch von den vorher vorgenommenen, indifferenten 
üingriffen (Zystoskopie, Blasenspülungen) eine Wirkung zu erwarten 
gewesen. 

Wie haben wir es uns nun zu erklären, daß bei der beim Weibe 
so häufig vorkommenden Cystitis colli (Knorr fand bei einem Material 
von über 3000 Patientinnen ungefähr bei jeder achten eine Entzündung 
des Blasenhalses) die von Calmann und uns beobachtete Inkontinenz 
in der Regel nicht beobachtet werden konnte? Liegt hier nicht die 
Vermutung nahe, daß die Inkontinenz als ein von der Cystitis colli 
unabhängiges, auf nervöser Basis beruhendes Leiden aufzufassen ist” 

Hier sei ein Vergleich mit der Retroflexio uteri gestattet, die in 
vielen Fällen ihrer Trägerin absolut keine Beschwerden verursacht; 
andererseits finden wir häufig eine Unzahl von mehr oder minder hef- 
tigen Beschwerden, die auf eine indifferente, die Lageveränderung nicht 
beeinflussende Therapie zu verschwinden pflegen, die wir demnach als 
rein nervöse bezeichnen können und drittens kennen wir Fälle, in 
denen die Beschwerden durch die Lageveränderung allein bedingt sind 
und erst mit deren Beseitigung verschwinden. 

So können wir es erklären, daß wir bei unsern gynäkologischen 


Über Incontinentia urinae. 325 


Untersuchungen oft eine Cystitis colli als einen absolut keine Er- 
scheinungen machenden Nebenbefund finden können; wir können es 
uns erklären, daß der von uns angenommene, durch die entzündlichen 
Veränderungen des Blasenhalses bedingte Reiz auf die Ganglienzellen 
der Blasenwand in vielen Fällen unter der für jedes Individuum ver- 
schieden hohen Reizschwelle bleibt, in andern aber so stark ist, daß 
der Detrusor zu Kontraktionen gereizt wird. 

Vielleicht liegt aber auch die Erklärung darin, daß wir mit unseren 
jetzigen Untersuchungsmitteln nicht in der Lage sind, uns an der 
Lebenden über die Ausbreitung der Zystitis nach der Tiefe ein Urteil 
zu erlauben. Wir sehen nur die Blasenschleimhaut, von der Blasen- 
wand in ihrer Gesamtheit haben wir kein Bild. So sind wir nicht in 
der Lage, die Frage zu entscheiden, ob die Entzündung auf die Blasen- 
schleimhaut beschränkt ist, oder ob sie auf ihre Unterlage übergreift; 
bei dem Fehlen der Submukosa am Blasenhals wäre ein solches Über- 
greifen auf die Muskularis denkbar. 

Es liegen hier die Verhältnisse ähnlich wie bei der chronischen 
Enndometritis, bei der Entzündungsherde nicht allein im Endometrium, 
sondern auch im Myometrium nachzuweisen sind. 

Nach unsern jetzigen Untersuchungsmethoden, die uns nie ein Ge- 
samtbild der Blasenwand geben können, glaube ich berechtigt zu sein, 
wenn ich eine durch Cystitis colli bedingte Incontinentia urinae 
annehme. Ich lasse hierbei die Frage offen, ob wir unter Cystitis colli 
immer nur eine Schleimhauterkrankung oder auch eine Entzündung der 
ganzen Blasenwand (Schleimhaut und Muskularis) verstehen dürfen. 


Literatur. 
Calmann, Zentralbl. 1905, 14. 
Grünstein, Arch. f. mikr. Anat. und Entwicklung, Bd. LV. 
Jung, Monatsschrift f. Geb. und Gyn. 1905. 
Knorr, Zystoskopie und Urethroskopie 1904. 
Müller, Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde, Bd. XXI. 
Rißmann, Zeitschrift f. gyn. Urologie 1904, H. 4. 
Roith, Arch. Gyn., Bd. LXXXI, H. 3. 
Derselbe, Hegers Beiträge, Bd. XI, H. 1. 
Sieber, Zeitschr. f. gyn. Urologie 1909, H. 4. 
Stoeckel, Zystoskopie des Gynäkologen 1904. 
Derselbe, Erkrankungen der weiblichen Harnorgane in Veits Handbuch, Bd. 11. 
v. Zeißl, cit. Roith, Arch. Gyn., Bd. LXXXI. 


(Aus dem städtischen Krankenhause in Memmingen.) 


Inkrustierte Haarnadel bei einem 14jährigen Mädchen. 
Von 
Dr. F. Zorn. 


Im Vergleiche mit fremdländischen Beobachtungen begegnet man 
reichsdeutschen Mitteilungen über Blasensteine nicht gerade häufig. Von 
anglo-indischen Spezialisten (1, 2) liegen Arbeiten vor, deren statistisches 
Material sich auf Tausende von Steinoperationen bezieht, desgleichen 
soll in Ägypten (3), im Nil-Delta, die Steinkrankheit sehr verbreitet 
sein. Eine größere Zahl von Fällen liegt sodann den Veröffentlichungen 
zugrunde, welche in der Literatur der letzten zehn Jahre von Assen- 
delft (4), Zuckerkandl (5), Frisch (6), Kokoris (7), Dsirne (8), 
Noutham (9), Fantino (10), Englisch (11) niedergelegt sind. Aus 
Deutschland fand ich in den mir zur Verfügung stehenden Zeitschriften, 
bzw. den mir das Original zuweilen ersetzenden Referaten in der 
Münchener medizinischen Wochenschrift und den Schmidtschen Jahr- 
büchern lediglich die Berichte von Lobstein (12) und Stein (13), 
welche sich auf umfangreichere Beobachtungen stützen. 

Schrey (14) hat die in zehn Jahren an der Greifswalder chirur- 
ischen Klinik vorgenommenen Blasenstein-Operationen zusammengestellt; 
unter 13000 Kranken sind dortselbst während des angegebenen Zeit- 
raumes nur 28 = 0,22°/, an Steinleiden behandelt worden. 

Dem von mir beabsichtigten Beitrag zur Kasuistik der Blasensteine 
entspreehend richtete sich mein Interesse nun zunächst auf die bisher 
semachten Erfahrungen über Fremdkörper als Steinkerne und auf das 
Vorkommen von Blasensteinen beim weiblichen Greschlechte und bei 
Kindern. Finsterer (15) gibt an der Hand einer reichhaltigen Samm- 
lung aus der Wiener Klinik einen Überblick über Steinbildung un 
Fremdkörper; neben der bekannten, zu therapeutischen oder onanisti- 
schen Zwecken eingeführten Gegenständen fanden sich als Kern ge- 
Ierentlich Kleidungsfetzen (nach vorausgegangener Pfählung), Knochen- 
splitter (bei Beekenknochen-Erkrankungen), Gallensteine (persistierender 
Urachus) und Eier von Distoma hacmatobium. Von einzelnen Beobach- 
tungen, welche zunächst auch wieder Inkrustierungen um abgebrochene 
Katheterstücke, Glasstäbehen, Bleistifte, Wachskerzen u. dgl. feststellen, 
erwähne ich als seltenen Fall zunächst den von Pendl (16), wonach 
sich als Kern eines Blasensteins bei einem zweijährigen Knaben cine 


Inkrustierte Haarnadel bei einem 14jährigen Mädchen. 327 


Nadel ergab, welche vermutlich früher von dem Kinde verschluckt 
worden war und dann aus dem Darm in die Blase einwanderte. 
Nossal (17) teilt die Bildung eines Blasensteins um eine Bassini-Naht 
mit, welche bei der Annähung der Muskelschichte an das Ligamentum 
Poupartii etwas zu tief und durch die Blasenwand gelegt war. 

Beim Weibe sind Blasensteine viel seltener als beim Manne. Unter 
den erwähnten 28 Steinkranken der Greifswalder Klinik gehören nur 
vier dem weiblichen Geschlechte an; von den 630 Fällen Assendelfts 
betreffen 20°), Frauen, Kokoris hat unter 130 Operierten 3, Southam 
unter 120 Steinleidenden 8 Frauen getroffen und Freyer (2) zählt an 
der Hand von 1047 selbst ausgeführten Steinoperationen 25mal deren 
Vorkommen beim Weibe. Wohl fügt der letztere hinzu, daß in Indien, 
woselbst er die meisten Operationen machte, Frauen nur selten den 
Arzt aufsuchen. 

Unter den Steinbildungen beim weiblichen Geschlechte scheinen 
solche um Fremdkörper nicht gerade häufig vorzukommen, obwohl diese 
nach Zangemeister (18) infolge von Verletzung der Blasenwand und 
so lange Zeit hindurch sich wiederholender Blutaustritte in die Blase 
bis jetzt das einzig nachgewiesene Moment in der Ätiologie der Steine 
ergeben. Hierher gehörige Beobachtungen betreffen in der Mehrzahl 
der Fälle Haarnadeln und sind von Hayes (19), Routh (20), Sick (21), 
Wendel (22), Neugebauer (23), Rosenfeld (24), Schindler (25) 
mitgeteilt. Die Patientin Vrabies (26) hatte sich ein 12 cm langes 
und kleinfingerdickes Stäbchen in abortiver Absicht eingeführt, welches 
später sich stark inkrustierte und durch Sectio alta entfernt werden 
mußte. Morgan (27) sah ein Fieberthermometer als Kern eines Blasen- 
steines bei einer Hysterischen. Kubinyi (28) berichtet von ciner 
Kranken, die sich wegen Urinbeschwerden mit einem Gänsekiel selbst 
katheterisieren wollte, wobei der Kiel abbrach. Es entwickelte sich um 
denselben ein Blasenstein, den K. nach Dilatation der Urethra mit einer 
Kornzange zerkleinerte und extrahierte. 

Wenn ich nun glaubte, den nachfolgenden Fall veröffentlichen zu 
dürfen, so stützte ich meine Ansicht nicht zum wenigsten auch auf das 
jugendliche Alter der Patientin. Mitteilungen über Steine und Fremd- 
körper in der kindlichen Blase finden sich bei Lobstein, einen 
weiteren Beitrag verdanken wir Wendel. Der interessante Fall Pendls 
und die gleichfalls schon erwähnte Beobachtung Rosenfelds dürfte 
aber wohl allein zum näheren Vergleiche mit der meinigen heran- 
zuziehen sein. 


Ursula Sch., 14jährige Metzgerstochter aus Woringen, wurde mir von einem 
hiesigen Kollegen wegen völliger Incontinentia urinae und deren lästiger Folgezustände 
zur weiteren Behandlung zugewiesen. Bei der ersten Untersuchung fand sich ein gut 
haselnußgroßer Stein bereits bis in die vurdersten Partien der Harnröhre vorgedrungen; 
angesichts des vorhandenen Harnzwanges konnte er hier nach Auseinanderzieben der 
Labien leicht entdeckt und mit Hilfe des in die Scheide eingeführten Zeigefingers 
durch einen von unten und hinten her ausgeübten Druck gewissermaßen vollends ge- 
boren werden. Nun stieß aber der tastende Finger im vorderen Scheidengewölbe auf 


328 Dr. F. Zorn. Inkrustierte Haarnadel bei einem 14jährigen Mädchen. 


- eine Blasenscheidenfistel und zugleich noch auf einen anderen Fremdkörper, und zwar 
ein von oben her etwa 2 cm weit in die Scheide hineinragendes Stück eines draht- 
ähnlichen Körpers, dessen Extraktion per vaginam vermittels einer Kornzange in 
schonender Weise versucht, aber nicht bewerkstelligt werden konnte. 

Bei der nach künstlicher Füllung der Blase in Chloroform-Narkose unternommenen 
Sectio alta ließen sich nun die Verhältnisse genau übersehen. Eine Haarnadel stak 
derart zwischen Blase und Scheide fest, daß ihr runder, umgebogener Teil, der beim 
Einführen in die Urethra wohl auch vorangegangen sein dürfte, nach hinten gerichtet 
war; ihr oberer Schenkel sah frei ins Blaseninnere; er war in seinem vorderen Teile 
abgebrochen, um das abgebrochene 2!/, cm lange Stück hatte sich ein Stein gebildet, 
der im Grunde der Blase lag. Der untere Schenkel, an welchem noch heute einer 
verbogenen und arrodierten Stelle entsprechend jener Teil kenntlich ist, wo die Nadel 
in hinterer Blasen- und vorderer Vaginalwand feststeckte, ragte mit seinem peripheren 
Ende etwa 2!/, cm weit, eine Blasenscheidenfistel bildend, in die Vagina hinein. Um 
den noch in der Blase befindlichen Teil aber war gleichfalls ein Stein inkrustiert. 
Beide Steine waren mehr als haselnußgroß, rundlich, grauweiß, an ihrer Oberfläche 
rauh und bröselig; der erst entfernte im Innern hart und glatt; sie dürften in der 
Hauptsache aus phosphorsauren Salzen bestanden haben. 

Die Heilung verlief rasch ohne alle Störung und ist eine vollkommene Der 
Entschluß, vorliegenden Falles die nicht ganz ungefährliche Sectio alta vorzunehmen 
rechtfertigt sich durch den Befund von selbst. Das jugendliche Alter der Patientin 
und die dadurch bedingten engen Verhältnisse ließen mir andere Operationsmethoden 
auch weniger geeignet erscheinen. 


. Ind. Med. Gazette, Aug. 1900. 

. Brit. Gyn. Journ., Mai 1902. 

Goebel, Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. LXXXI. 
Arch. f. klin. Chir., Bd. LX, 3. 

Münch. med. Wochenschr. 1901, S. 1672. 
Wien. klin. Wochenschr. 1902, Nr. 15. 

. Ibid. Nr. 24. 

. Arch. f. klin. Chir., Bd. LXX, 1. 

. Brit. med. Journ., Mai 1904. 

10. Arch. f. klin. Chir., Bd. LXXV, 2. 

11. Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. LXXIX, 1—3. 
12. Beitr. z. klin. Chir., Bd. XXVII, 1. 

13. Ibid. Bd. XXXIV. 

14. Inaug.-Dissert. 1898. 

15. Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. LXXX, 5—6. 
16. Wien. klin. Wochenschr. 1901, Nr. 6. 

17. Wien. med. Wochenschr. 1903, Nr. 31. 

18. Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gyn., Bd. XX, 2. 
19. Transact. of the obstetr. Society of London, Bd. XXXIV, 1892. 
20. Ibid. 

21. Münch. med. Wochenschr. 1899, S. 98. 

22. Beitr. z. klin. Chir., Bd. XXIII, 2. 

23. Münch. med. Wochenschr. 1903, 1895. 

24. Ibid. 1904, S. 177. 

25. Ibid. 1906, S. 1139. 

26. Spitalul 1901. 

27. Lancet 1900. Aug. 

28. Zentralbl. f. Gyn. 1904, Nr. 47. 


Literatur. 


e DA En EG Pë ra 


(Aus dem Laboratorium des Kaiserlichen klinischen Gebärinstituts in St. Petersburg. 
Direktor: Professor von Ott.) 


Zur Frage der Heilung von Uretero-Vaginalfisteln. 
Experimentelle Untersuchung. 
Von 
Privatdozent Dr. N. v. Kannegießer. 
(Mit 1 Abbildung.) 


In dem dritten Heft des ersten Bandes dieser Zeitschrift er- 
schien ein Aufsatz von Dr. Peiser über die Rückwirkung von Uretero- 
Vaginalfisteln auf die Nierenfunktion. Die deletäre Wirkung der 
Ureterenverletzung auf die Niere ist schon seit langer Zeit bekannt. 
Schon im Jahre 1846 hatte Berard darauf hingewiesen, daß der Urin 
aus der Ureterenfistel von anderer Beschaffenheit ist, als derjenige aus 
der Blase. Weitere Beobachter konnten diese Tatsache bestätigen und 
die meisten erklärten diesen Unterschied in der Beschaffenheit des Urins 
beider Nieren durch die aufsteigende Pyelonephritis. Wir hatten je- 
doch Gelegenheit, in der Klinik von Prof. v. Ott einige Fälle von 
Ureterofisteln zu beobachten, wo der Urin aus der Ureterfistel um die 
Hälfte weniger feste Bestandteile aufwies, als der aus der Blase, trotz- 
dem keine Entzündungserscheinungen vorhanden waren, wo also als 
Grund der Verschiedenheit andere Momente in Betracht kommen 
mußten. 

Zur Aufklärung dieser Frage unternahmen wir eine Reihe von 
Experimenten an Hunden, deren Resultate wir dem zweiten Kongreß 
der russischen Gynäkologen in Moskau im Jahre 1907 mitteilten. 

Unsere Experimente bestanden darin, daß wir den Hunden einen 
Ureter durchtrennten und sein zentrales Ende in die Bauchwand im- 
plantierten. Dann wurde aus der Fistel, sowie aus der Blase der Urin 
gesammelt und untersucht. Zur Sammlung des Urins aus der Fistel 
stellten wir die Hunde in ein Gestell, welches von Pawlow für die 
Sammlung von Magensaft empfohlen wurde. Aus der Blase wurde der 
Urin mit Hilfe des Katheters gewonnen. Die Katheterisation ist bei 
den Hündinnen oft sehr schwierig und kann nur nach Spaltung der 
Scheide ausgeführt werden. Da die Menge des aus der Fistel ge- 
wonnenen Urins gewöhnlich spärlich war, so benutzten wir zum Ver- 
gleich das spezifische Gewicht und den Gefrierpunkt. Bei drei Hunden, 


SEI Dr. N. v. Kannegießer. 


denen wir in der oben erwähnten Weise eine Ureterenfistel anlegten, 
konnten wir sehr bald eine Veränderung des Urins konstatieren. 

Hund Nr. 1, operiert am 6. Ill. 1906. — Am 17. Ill. war das 
spezifische Gewicht des Urins aus der Fistel 1,015, aus der Blase 1,029. 
Der Gefrierpunkt erwies sich als — 1,4 und — 2,7. 

Hund Nr. 2, operiert am 14. XII. 1906. — Am 26. XII. war das 
spezifische Gewicht 1,019 und 1,027, der Gefrierpunkt — 1,8 und 
— 2,6; — am 4. II. 1907 war das spezifische Gewicht des Fistelurins 
1,011, des Blasenurins 1.022, der Gefrierpunkt — 1,4 und — 2; am 
27. III. 1907 war die Quantität des Fistelurins sehr gering geworden, 
sein Gefrierpunkt betrug — 0,7, derjenige des Blasenurins — 2,5. 

Hund Nr. 3, operiert am 30. III. 1907. — Am 7. IV. 1907 war 
das spezifische Gewicht des Fistelurins 1,018, Gefrierpunkt — 1,8, aus 
der Blase 1,024 und — 2,5. 

Zwei weiteren Hunden wurde nach Koeliotomie ein Teil der Bauch- 
wand reseziert und das Trigonum lientadii in die Bauchwand einge- 
näht, also eine künstliche Blasenextopie gebildet. Das spezifische Ge- 
wicht des Urins blieb normal. 

Hund Nr. 4, operiert am 6. X. 1906. — Harn ohne Veränderung. 
Die Extopie wurde immer kleiner, neun Monate nach der Operation 
urinierte der Hund schon wieder durch die Urethra, bei der Obduktion, 
elf Monate nach der Operation, erwies es sich, daß eine kleine dick- 
wandige Blase sich gebildet hatte. 

Hund Nı. 5, operiert am 10. III. 1907. — Die Extopie hielt an, 
der Harn ohne Veränderung, fünf Monate nach der Operation betrug 
das spezifische Gewicht 1,026, Gefrierpunkt — 2,5. 

Hund Nr. 6, am 5. XII. 1906 wurde der linke Ureter in die 
Bauchwand implantiert. Der aus ihm fließende Urin ergab normale 
Werte. Sinken des spezifischen Gewichts. Am 10. II. 1907 war das- 
selbe 1,017; aus der Blase 1,026, der Gefrierpunkt — 1,7 und — 2.6. 
Am 7.11. Koeliotomie, die Blase wird eröffnet und in die Bauchwand 
implantiert. Der Blasenurin ist von normalem spezifischen Gewicht. 
Am 3. 1V. 1907 war der Gefrierpunkt — 25. 

Experimente Nr. 7 und Nr. 8 Zwei Hunden wurde ein Ureter 
in die Bauchwand eingenäht und dann bei Nr. 7 nach zwei Monaten 
und bei Nr. 8 nach drei Monaten im die Blase reimplantiert. Der 
Ureterurin war bei der zweiten Operation bei beiden Fällen stark ver- 
ändert; die Ureteren waren verdickt, die Niere war beim Betasten normal. 
Die Hunde vertrugen auch die zweite Operation sehr gut. 

Die Alteration des Urins entsprach bei all unseren Versuchstieren 
genau dem, was wir bei unseren Patientinnen mit Ureterfisteln beob- 
achtet haben. Bei Durchtrennung des Ureters wurde das spezifische 
Gewicht des Urins immer geringer. Bei Blasenextopie, also dort, wo 
die Ureterenmündung zwar an der Oberfläche lag, aber unversehrt 
blieb, war der Urin normal. 

Die Autopsie unserer Versuchstiere ergab kurz gesagt folgendes: 





Zar, Soe der Taitung won Biere Seege E Tase, 291 


ER SOEN $ ein "Monar hah der. Pistelhildung entsprechende 
Aie, atwa größer als. die andere, das Nieranberken. etwas erweitert, 
MER runde. sechs. Morate. wid der, E Operatie in! tit "An: lan 
uge KE kam, ‚aus der Fiste. Bine. sehr geringe Mu mp on. Arin, 
Bei ‚der: Autopsie eats ‚sieh, datt die arfspreelinde. Nime vin). Mir 
al, dir narmale. mur: "ds N etenbeeben erweitert aú dus ‘Nieren piren- 
Se atröphiert, Bei det: mükrsekegschun Uoteroncdhamz mnte man 
o konstatieven, daß dig Banmannschn ‚Kapseln erweitert, ie Walpi ng 
‚ seheg. Körperchei., ‚komprimiert, dr ‚Ferronkanilehon, tuba mn, ` kamt 
` we ‚ailere Stellen. diesen ` SC 
astach et weitert, wen. Bas ah, 
Zeie? romcpitba) wiit ahead EN 
die: Lichtung. dureh Debits N ae 
ansgefülit; dus Stona ebben, Zo 
iert - 3 vichen von Putzündun 
micht landen. SC e E 

CH Dir “Hond kre- E 
CG Mate nach der BET 









































pierte drei | 
Operation. Die der Biet ent... 2009 
 ztpscherde Enn befand sich KEE 
‚a "Zeg pu Dn smeplimist. RER HR 
Ne und. Ne. Do golow EE 
ne oll Monae niel RESES E 
o Dpomhoi.. Wieren mom e 
AE gotita Rr a SS 
` en nieh den erten Opa. 2 
tion, ‚die der Fistel ehian 08 
chende Niere in Hy dtor- ` Sg 
BC dis andere normal 0% 
INET, ‚getätetzehn! M mate . Be 
OS iler pisten Bporatiou. Dir eg 
` Mie Jet ateophistdt Is AbbJ EE 
"dag Nierunbackah. wrweitänt, Go "P KC 
das Parenehrui verdunt RBB E Kl OK 
mancher Untersuchung Aidon wir t desole wh Arie: ih a o 
"Der ‚Ureter, welcher bei der Bsimplintatiar An: in Bien. bit. "ear, 
ish: ‚jetzt sehr. düm Durch Señrnselnitte ‚wird Ke eilt, KE eine 
Don biş i in. dir. Biaeunbitle erhalten E a N 
B Hier ergibt ah > Autopsie Bowi ie mikroskopisaj Tinten 
e Sonn. esetben, Voränderongen ` a fe bet 2, Ti mär An ge: 
ii feule. u ta Me, Monah, 29. Jet Ee 














GH VUN 












die: Kot ken a e ie Aa ll 
Niere‘ Störkngen: ® intrate. ` Dären Skörangen. Drog grassierten mie der Zeit 
de länger. der Hued macht der i Jpprapun lehte. desto SE warn dir 

N E Lee Ee a dx, VE EE E E AË 


zer? 





Ge 





332 Dr. N. v. Kannegießer. 


Schädigungen der Niere. In allen Fällen, außer Nr. 3 (dieser Hund 
ging an Pyelonephritis zugrunde), handelte es sich um Hydronephrose 
mit nachfolgender Nierenatrophie. Die Hydronephrose hatte nie größere 
Grade erreicht. Der Prozeß besteht augenscheinlich in langsam, aber 
konstant wirkender Druckerhöhung im Nierenbecken. Infolgedessen 
erweitert sich das Becken und die Nierenkanälchen werden im unteren 
Abschnitte komprimiert. In den oberen Abschnitten kommt es zur Urin- 
stauung mit konsekutiver Erweiterung der Kanälchen und der Bau- 
mannschen Kapseln. An den mikroskopischen Präparaten aus der Niere 
von Fall 7 konnte man ganz genau die Veränderungen, die im Ver- 
lauf der Kanälchen stattgefunden hatten, konstatieren. Dieselben laufen 
nicht senkrecht zum Nierenbecken, sondern unter spitzem Winkel. Die 
Nieren derjenigen Ureteren, deren Mündung frei an der Oberfläche lag, 
blieben normal. Die Drucksteigerung im Nierenbecken bei Ureterfisteln 
läßt sich erklären durch die partielle Stauung des Urins in den Ureteren, 
deren Lichtung zwar erhalten bleibt, die aber an der Implantationsstelle 
von derbem, wenig elastischem Gewebe umgeben sind, welches denı 
Austritt des Urins einen, wenn auch geringen Widerstand leistet. 

In der hier bezüglichen Literatur finden wir viele klinische und ex- 
perimentelle Angaben, welche die von uns erreichten Resultate bestätigen. 

Bei Stoeckel und Alksne ist die ganze einschlägige Literatur 
gesammelt; wir werden daher nur einiges erwähnen. Fedorow be- 
hauptet, daß Hydronephrose sich in allen Fällen entwickelt, wo dem 
Austritte des Urins größerer oder kleinerer Widerstand geleistet wird. 
Alksne, der Experimente über die Wirkung von Durchtrennung und 
Herstellung der Ureteren anstellte, konnte konstatieren, daß sogar in 
den Fällen, wo Heilung per primam ohne Stenose erfolgte, der zentrale 
Abschnitt doch erweitert erschien, da infolge der Durchtrennung von 
Muskelbündeln und der dazu gehörigen Nervenstämme die Peristaltik 
im peripheren Abschnitte des Ureters immer träge war. In den Nieren 
fand Alksne keine Schädigung außer einer mäßigen Erweiterung des 
Nierenbeckens, da er seine Hunde zu früh tötete. Wenn wir also 
sehen, daß ein einfaches Durchtrennen des Ureters, trotz seiner Her- 
stellung ohne Stenose, schon eine Erweiterung des zentralen Abschnittes 
des Ureters und des Nierenbeckens erzeugte, so ist es leicht verständ- 
lich, daß wir nach Ureterenfisteln viel stärkere Schädigungen, bis zur 
Hydronephrose und Atrophie der Niere, beobachtet haben. Es ist sehr 
interessant, daß bei den Hydronephrosen in unseren Fällen keine Ver- 
größerung der Niere vorkam, sondern nur in dem Falle, wo Pvo- 
nephrose gefunden wurde, war die Niere fast doppelt so groß als normal. 
Dies läßt sich wahrscheinlich dadurch erklären, daß in den Fällen, wo 
keine Entzündung eintritt, das Gewebe seine Elastizität nicht verliert. 

Einen analogen Befund haben wir zweimal bei Neugeborenen mit 
kongenitalem Verschluß der Blasenmündung beobachtet. Die Blase war 
sehr stark gedehnt, die Ureteren waren ebenso wie das Nierenbecken 
erweitert, die Nieren aber atrophisch. Stoeckel fand bei seinen Nachunter- 


Zur Frage der Heilung von Uretero-Vaginalfisteln. Experimentelle Untersuchung. 333 


suchungen bei Kranken, denen der Harnleiter in die Blase implantiert 
worden war, daß der Harn nicht aus beiden Uretermündungen gleich kräftig 
fließt. Aus dem kranken Ureter kam der Harn gewöhnlich in längeren 
Zwischenpausen und nicht in so kräftigem Strahl, wie aus dem gesunden. 
Routier implantierte einer Frau zur Heilung einer Ureterfistel den Harn- 
leiter in die Blase. Nach einem Jahre wurde der Patientin aus anderen 
Grunde eine Laparotomie gemacht. Der nach der ersten Operation er- 
weiterte Ureter schrumpfte zusammen, die Niere war beim Betasten 
normal. Nach einem Jahre starb die Kranke; bei der Autopsie fand 
Routier die Niere atrophisch. Viele andere Autoren behaupten, daß die 
Ureterfistel häufig von selbst heile, indem der Harn zu fließen aufhöre. 

Alle diese Tatsachen erscheinen uns als eine Bestätigung der Re- 
sultate, die wir bei unseren Experimenten erreichten, daß also auch bei 
Erhaltung des Ureterlumens und bei Fernbleiben von Infektion der 
intrarenale Druck so weit steigt, daß es zur Erweiterung des Nieren- 
beckens und zur Atrophie des Nierenparenchyms kommt. Weitere Be- 
stätigung dieser Tatsache finden wir jetzt in den Angaben von Peiser. 

Diese Tatsachen zwingen uns, vorsichtig zu sein bei Vornahme 
größerer Eingriffe zur Heilung der Ureterfisteln durch Implantation in 
die Blase. Besonders gefährlich ist die doppelte Durchtrennung des 
Harnleiters mit Implantation in die Blase nach dem V orschlage von 
Franz Krönig und anderen. 

Zwar waren die Resultate der Operation an der Frau in manchen 
Fällen befriedigend, doch war die Beobachtungszeit in den meisten 
Fällen nicht von genügender Dauer. Wir glauben, daß man Stoeckel 
vollständig beistimmen muß in seiner Behauptung, daß nur längere, 
periodisch ausgeführte Nachuntersuchungen durch Zystoskopie uns ein 
richtiges Urteil über den Erfolg der Implantation geben können. 

Ausunseren Experimenten erlauben wir unsfolgende Schlüsse zu ziehen. 

1. Vor jeder Operation bei Ureterfistel ist es notwendig, den Urin 
aus dem entsprechenden Ureter genau zu untersuchen. In den Fällen, 
wo im spezifischen Gewicht des Urins aus dem Ureter und demjenigen 
aus der Blase ein großer Unterschied besteht, ist die Niere stark affiziert. 
Dann ist es-ratsamer, von jeglicher Operation abzusehen. 

2. Die Durchgängigkeit des Ureters in der ersten Zeit nach der Implan- 
tation ist noch kein Beweis für die definitive Heilung. Die Operation hat 
ihr Ziel nur in dem Falle erreicht, wo der aus dem implantierten Ureter 
ausströmende Urin von ganz normaler Beschaffenheit ist. 

3. Bei Durchtrennung des Ureters während der Operation ist, falls 
seine Herstellung unmöglich ist, der Unterbindung des Ureters die Implan- 
tation in die Bauchdecken vorzuziehen, da hierbei die Nierenatrophie lang- 
samer vor sich geht. Den zeitweiligen, durch das Harnträufeln aus der 
Uretermündung bedingten Beschwerden, steht der Vorteil gegenüber, daß 
die gesunde Niere Zeit hat, sich an die vikariierende Tätigkeit zu ge- 
wöhnen. Die Gefahr der Pyelonephritis ascendens ist dabei nicht vorhanden 


23* 


(Aus der Privatklinik des Privatdozenten Dr. F. Montuoro, Palermo.) 


Ein weiterer Fall von Ureterozystoneostomie nach Boari. 
Spontane Ausstoßung des Boariknopfes nach 14 Tagen. Heilung. 
Von 


Dr. Fortunato Montuoro, 
Dozent der Geburtshilfe und Frauenkrankheiten. 


Kurz nach Veröffentlichung meiner ersten Arbeit!) habe ich 
Gelegenheit gehabt, wegen Ureterzervikalfistel infolge Zangenentbindung 
eine weitere Ureterozystoneostomie mit dem vollständigsten Erfolg vor- 
zunehmen, die neben der Bereicherung der kleinen aber glücklichen 
Statistik der Methode Boari eine neue und interessante Erscheinung für 
die Literatur bietet: die spontane Ausstoßung des Knopfes kaum 14 Tage 
nach der Operation. 


F.M. aus Cinisi (Palermo), 40 Jahre alt, XIII-para. Diese Frau hat eine wahr- 
haft tragische geburtshilfliche Geschichte. Drei der Schwangerschaften sind in den 
ersten Monaten unterbrochen worden. Acht rechtzeitige Entbindungen haben ver- 
schiedenartige geburtshilfliche Eingriffe erfordert: Zange, Wendung, Embryotomie. 
Nur zwei Entbindungen sind physiologisch gewesen, da vorzeitig erfolgt. 

In der letzten Schwangerschaft ließ sich die Frau in die Kgl. geburtshilfliche 
Klinik zu Palermo aufnehmen, wo sie im verflossenen Dezember (1908) mittels müh- 
samer Zangenanlage entbunden wurde. Kurz darauf begann Pat. eine große Menge 
Urin aus den Genitalien zu verlieren. Wochenbett physiologisch. Die Wöchnerin 
wurde nach zirka 20 Tagen auf ihren Wunsch aus der Klinik entlassen und kehrte in 
ihr Dorf zurück. Nach ungefähr drei Wochen fand sie sich auf Rat ihres Arztes bei 
mir zur Untersuchung ein. 

Knochenbau regelmäßig, Brustkasten gut gebildet. Nichts am Herzen und an 
den Lungen. Abdomen einer Pluripara, meteorisch, eindrückbar, auf Druck schmerzlos. 
Milz, Leber, Nieren in normalen Grenzen. 

Äußere Geschlechtsorgane gerötet, erythematös. Uterus anteflektiert, klein, be- 
weglich, schmerzlos. Audnexe frei. Die Zervix zeigt links einen tiefen und ausgedehnten 
Riß, welcher auch den Fornix in Mitleidenschaft zieht. 

Aus der Scheide entleert sich eine Flüssigkeit, welche alle physikalischen und 
chemischen Eigenschaften des Urins besitzt. Die chemische Untersuchung der mittels 
in die Scheide — nach gründlicher Ausspülung derselben mit destilliertem Wasser — 
eingelegter steriler Gaze aufgefangenen Flüssigkeit wies die Anwesenheit von Chloriden, 
Sulfaten, Phosphaten, Harnstoff und Harnsäure nach. Die Einspritzung selbst von 
beträchtlichen Mengen (!/, 1) Milch in die Blase ändert nicht im geringsten die 
Charaktere der Scheidenflüssigkeit. Die Menge der injizierten und der einige Minuten 
darauf mit dem Katheter entleerten Milch ist gleich. Die sorgfältige Untersuchung 

!) Montuoro, Die Ureterozystoneostomie nach Boari. Diese Zeitschr. 1909, 
Bd. I, Heft 5. 


Ein weiterer Fall von Ureterozystoneostomie nach Boari. Spontane Ausstoßung usw. 335 


der Scheidenwände läßt keinerlei Läsion erkennen. Die klaffende Zervix läßt die 
gerötete Zervikalschleimhaut sehen, welche nach links hin einen Zentimeter von dem 
äußeren Muttermund einen fleischigen Auswuchs besitzt. Bemerkenswert sind die 
mit Injektion von Methylenblau "1 ccm einer 5°/,igen Lösung) erzielten Resultate. 
Eine Stunde ungefähr nach der Injektion wird in die Zervix ein kleiner Wattebausch 
eingelegt, der, nach einigen Minuten herausgenommen, sich nur in jener Zone blau 
gefärbt zeigt, welche der linken Seitenwand der Zervix entspricht. 

Auf Grund all dieser Resultate wurde die Diagnose auf linksseitige Ureter- 
zervikalfistel gestellt. 

Die durch Privatdozent Dr. Cimino ausgeführte zystoskopische Untersuchung 
bestätigt die Richtigkeit der Diagnose, denn sie gestattet, das vollkommene Funktions- 
vermögen des rechten Harnleiters festzustellen. 

Operation. — Trendelenburgsche Lagerung. Medianer Schnitt. Nach Er- 
öffnung des Abdomens, Anlegung des Dilatators von Delagäniere schiebe ich die 
Darmschlingen mittels Flanellappen nach unten, hake den Fundus uteri mit einer 
zweizahnigen Zange an und ziehe nach oben rechts an. Durch das Peritoneum hin- 
durch gewahrt man sogleich den linken Harnleiter, der verdickt, bandförmig, weißlich 
ist. Das Peritoneum wird von der Linea innominata nach unten bis an die Basis 
des Lig. latum inzidiert. Darauf isoliere ich den Ureter und führe mit einer 
Deschampsschen Nadel ein Gazebändchen unter ihm durch, um die Isolierung auf 
seinem ganzen Verlauf von der Linea innominata bis an die Zervix zu erleichtern. 
Hierauf bohre ich mit dem Zeigefinger einen Tunnel in der Dicke des breiten Mutter- 
bandes, inzidiere, mit dem Finger an der hinteren Fläche des vorderen Blattes des 
Lig. latum angelangt, das Peritoneum und verlängere die Inzision auf die hintere Fläche 
der Blase. Der Ureter wird danach vollständig von den benachbarten Geweben von 
der Linea innominata nach unten, unter und vor dem breiten Mutterband, freigemacht, 
wobei ich so weit als möglich nach unten dringe. Schließlich unterbinde ich, fast 
dicht auf der Zervix angelangt, den Harnleiter und schneide ihn quer ab. Auf das 
rezidierte Ende pfropfe ich die Röhre des Boariknopfes, ligiere kräftig und umhülle 
es mit steriler Gaze, um das ÖOperationsfeld nicht mit Urin zu verunreinigen. Nach- 
dem darauf die Blase entleert worden, lege ich unter Leitung eines männlichen Katheters 
ein transversales Knopfloch auf der hinteren seitlichen Wand so weit unten als möglich 
an. Nach Herrichtung der Fäden in der bereits in meiner vorhergehenden Mitteilung 
beschriebenen Weise, führe ich den Knopf in die Blase ein und schließe das Knopf- 
loch in derselben. Anlegung einiger Nähte zwischen den perivesikalen und periurete- 
ralen Geweben, Verschluß der vorderen Bauchfellbresche über der Einpflanzungsstelle 
und der hinteren über dem Ureter durch kontinuierliche Naht. Auf diese Weise er- 
hält der Harnleiter seinen normalen Verlauf. Verschluß des Abdomens durch drei- 
fache Nahtschicht. Katheter Pezzer auf sieben Tage, worauf er, da Zystitiserscheinungen 
auftreten, entfernt wird. Vom 7. Tag ab uriniert die Frau spontan. Am 10. Tag 
steht sie auf. Postoperativer Verlauf fast vollkommen fieberfrei. Ein Temperatur- 
anstieg am 3. und 4. Tag verschwindet auf Verabfolgung ven öligen Abführmitteln. 
Heilung der Bauchwunde per primam. Gleich von dem 1. Tag an ist die Harnınenge 
eine abundante: 1050 g am 1. Tag, 1270 g am 2., 1385 g am 3., 1700 g am 4., ca. 2] 
am D Tag. An den folgenden Tagen schwankt die Urinmenge zwischen 1800 und 
2200 g. Am 14. Tag emittierte die Frau beim Urinieren durch starkes 
Drücken den Knopf, der keinerlei Kalkinkrustation zeigte. Nach wenigen 
weiteren Tagen verläßt die Operierte vollkommen geheilt das Institut und hat seitdem 
sich stets bester Gesundheit erfreut. 


Dieser eigenartige und glückliche Fall, der bisher einzig in der 
Literatur dasteht, zeigt wieder einmal die Grundlosigkeit aller theore- 
tischen Anschuldigungen, die gegen diese Methode erhoben werden. 
Die von den Gegnern beklagten Unannehmlichkeiten: sekundäre Extrak- 
tion des Knopfes, Schädigungen durch das mehr oder weniger lange 


336 Dr. Fortunato Montuoro. 


Verweilen des Knopfes in der Blase sind in Wahrheit nichtssagend 
jetzt, wo dieser Fall die Möglichkeit einer spontanen Ausstoßung 
des Knopfes nach seinem Abfall beweist. 

Noch zu einer anderen Betrachtung, die ich von der höchsten 
Wichtigkeit halte, eignet sich der von mir mitgeteilte Fall. 

Einige Autoren, mit an der Spitze Albarran, halten die Entfernung 
des Eierstockes und andere auch die Entfernung der Tube auf der 
Seite der Fistel für notwendig, da ihre Anwesenheit die Manöver er- 
schwere und zuweilen unmöglich mache. «L’ovaire, schreibt Albarran, 
empêche de suivre l'uretére pelvien dans toute son 6tendue, lorsqu’on 
intervient par la voie transpéritonéale, et, pour bien opérer, il est néces- 
saire de l'extirper, avant de dégager luretére . . .»1). Und weiterhin 
fügt er hinzu: « Lorsque les organes génitaux internes existent, il vaut 
mieux commencer par pratiquer la castration et agrandir ensuite la 
plaie péritonćale, qui en resulte, du côté du detroit supérieur; on va 
ensuite à la récherche de l'uretére, au niveau où il croise les vaisseaux 
iliaques. On peut ainsi suivre le conduit de haut en bas, jusqu’au 
point ou l'artère utérine le croise .. .» (ibidem S. 394). Auf diese 
Weise haben Hein?) und Küstner?) operiert, um nur einige neuere 
Fälle anzuführen. 

Allerdings macht die Resektion der Adnexe die Aufsuchung, Iso-- 
lierung und Einpflanzung des Ureters in die Blase zu einer bedeutend 
leichteren, doch glaube ich, daß die Aufopferung dieser für die Funk- 
tion und die Statik des Uterus so wichtigen Organe eine übertriebene 
Maßnahme bei den sich bietenden technischen Schwierigkeiten ist. 

Die von mir befolgte Methode zeigt mir im Gegenteil, daß diese 
Schwierigkeiten leicht überwunden werden können, sei es durch Indie- 
höheziehen des Fundus uteri oder durch Aufsuchen des Harnleiters an 
der Stelle, wo er in das Becken eintritt, oder durch Anlegen von zwei 
breiten Peritonealbreschen hinter und vor dem Lig. latum. Diese sind 
mehr als ausreichend, um den Ureter in seiner ganzen Ausdehnung 
hinter, unter und vor dem Lig. lat. zu isolieren und ihn dann in die 
extraperitoneale Portion der Blase einzupflanzen. 

Wird die Einpflanzung zu einer extraperitonealen gemacht, so wird 
es fast unmöglich, daß eine Lostrennung des Ureters von der Blase — 
die, wie hervorgehoben werden muß, bis jetzt bei dieser Methode 
der Ureterozystoneostomie nicht zu beklagen gewesen ist — 
den Tod der Operierten herbeiführen könne, wie es zuweilen bei anderen 
Verfahren der Fall ist, da der Urin sich unter dem Peritoneum an- 
sammeln würde und man leicht durch eine Inzision durch den seitlichen 


1) Albarran, Medicine opératoire des voies urinaires.: Paris, Masson et Cie. 
1909, S. 392. 

®) Hein, Ein Fall von Ureterozystoneostomie. Zentralbl. f. Gyn. 1906, Nr. 13, 
S. 369. 

”, Küstner, Demonstration einer geheilten Ureterfistel. Gynäk. Ges. zu Breslau. 
Sitzung vom 26. Juni 1906. Zentralbl. f. Gyn. 1906, Nr. 48. 


Ein weiterer Fall von Ureterozystoneostomie nach Boari. Spontane Ausstoßung usw. 337 


oder hinteren Fornix seinen Abfluß würde begünstigen können. Ich 
erinnere in dieser Hinsicht an den im verflossenen April von Bloch!) 
aus der Klinik von Israel in den Folia Urologica veröffentlichten 
Todesfall, bei dem der Mißerfolg auf Harnerguß in die Peritonealhöhle 
zurückzuführen war. 

Bei dem Verfahren Boaris ist bisher kein Todesfall zu verzeichnen 
gewesen und das ist dem Knopf zu verdanken, dessen Vorzüge ich in 
meiner vorausgehenden Mitteilung dargelegt habe. 

Daher kann ich nicht begreifen, wie man aus vorgefaßter Meinung 
heraus den großen Wert der Methode in Abrede stellen kann, welche 
die Resultate dieser Operation, auf der doch eine hohe Sterblichkeit 
lastete und noch immer lastet, zu so glänzenden macht. 

Für das Wohl der italienischen Wissenschaft will ich hoffen, daß 
die abweichende Stimme, die vor kurzem in den Spalten der Gazzetta 
degli ospedali e delle cliniche laut wurde, isoliert bleiben möge?) und 
wir nicht warten werden, bis die Ausländer kommen und uns sagen, 
daß die Methode Boari eine große, wertvolle Errungenschaft der Harn- 
leiterchirurgie darstellt. 


In der vorausgehenden Arbeit des Verf. (Heft 5) wurden durch 
ein Versehen zwei Fälle nicht zu Druck gebracht: Wir lassen deshalb 
dieselben hier folgen. 


Fall von Boari (Accad. medica di Ferrara). — Frau G. B. war 1901 von einem 
der hervorragendsten italienischen Gynäkologen mit vaginaler Hysterektomie wegen 
Fibromyoms operiert worden. Sechs Tage nach der Operation, die regelmäßig verlief, 
bemerkte sie Harnträufeln aus der Scheide. Obwohl der Pat. geraten worden war, 
sich durch eine weitere Operation sofort von dieser Unannehmlichkeit befreien zu 
lassen, bestand sie darauf, nach Hause zurückzukehren. Erst nach vier Monaten 
(anfangs Januar 1902) wandte sie sich dann an Verf., um von dem Übel befreit zu 
werden. 

Die Diagnose einer rechtsseitigen Ureter-Scheidenfistel war ohne 
weiteres klar, da sie genau an dem rechten Ende der Scheidennarbe saß. Pat. hatte 
rechtsseitige intermittierende Nierenkrisen, wahrscheinlich infolge Harnretention. 

Der rechte Harnleiter wurde von der Scheide aus mit einem gewöhnlichen 
Zylinderspekulum sondiert. Mediane Laparatomie in Trendelenburgscher Lage. 
Äußerst leicht gelang es, den rechten Harnleiter aufzufinden, das hintere parietale 
Peritoneum auf dessen Verlauf zu inzidieren unter Überwindung des narbigen Wider- 
standes des Lig. lat. dextr., und bis zur Scheide vorzudringen. Der Katheter wurde 
durch einen Assistenten entfernt. 

Der Ureter wurde dann möglichst weit unten oberhalb einer an dem peripheren 
Ende angelegten Ligatur abgeschnitten, und das zentrale Ende in die hintere Blasen- 
wand höher als normal mit Hilfe eines der Knöpfe des Verf. und der bei anderer 
Gelegenheit beschriebenen Technik eingepflanzt. Die Einpflanzungsstelle und das letzte 
Stück des Ureters wurden mit dem parietalen Peritoneum überdeckt. Kein Gaze- 
tampon. Dreifacher Verschluß der Bauchwand. Heilung per primam. Der Knopf, 
dessen Anwesenheit in der Blase keinerlei Beschwerde hervorrief, wurde am 20. Tag 
nach vorausgehender Erweiterung der Urethra extrahiert. 


1) Bloch, Über die Ureteroperationen. 
29) Solieri, Sulla ureterocistoneostomia. Gazzetta degli ospedali e delle cliniche 
1909, Nr. 73. 


338 Dr. Fortunato Montuoro. Ein weiterer Fall von Ureterozystoneostomie usw. 


Die Dame befindet sich auch heute wohl und hat nie mehr über Beschwerden 
in der rechten Seite geklagt, die in Zwischenräumen vor der Operation aufgetreten 
waren. Blasenurin normal. Ein Jahr nach der Operation hat Pat. eine akute Pneu- 
monie durchgemacht, welche sie in Lebensgefahr brachte, dagegen hatte sie keine 
Erscheinung zu Lasten der Niere, deren Ureter überpflanzt worden war, zu beklagen. 

Im Januar 1908 hat Verf. Gelegenheit gehabt, seine Operierte, die sich sehr 
wohl befindet, nachzuuntersuchen. Nicht ohne Interesse ist die zystoskopische Unter- 
suchung mit dem Luysschen Zystoskop. Bei der gewöhnlich für die zystoskopische 
Untersuchung indizierten Lagerung der Frau gelingt es nicht, die neugebildete 
Mündungsöffnung zu entdecken. Dagegen gelingt es bei Verbringung der Frau in 
Knieellenbogenlage mit stark erhöhtem Becken auf dem Grunde eines Umschlages 
der Blasenschleimhaut die neue Öffnung zu gewahren, aus der der Urin in inter- 
mittierenden Ejakulationen austritt. Die erwähnte Öffnung ist etwas bekrempt und 
von Schleimhautvorsprüngen umsäumt. Bei ganz ruhigem Halten des endoskopischen 
Rohres gelingt es, die neue Mündung innerhalb der Röhre einzuschließen und sie hier 
vorspringen zu lassen, wie es auch gelingt, sie mit Nr. 6 der Luysschen Ureter- 
sonden zu sondieren und normalen Haın zu erhalten. 


Fall von Carle (s. Galeazzi: Sul cancro dell’ utero. Clinica chirurgica, 1899, 
S. 973). — 54 Jahre alte Frau mit Gebärmutterkrebs, der die Vagina und das rechte 
Parametrium invadiert hat. Exstirpation des Uterus, Resektion der Blase und des 
rechten Harnleiters. Einpflanzung des Ureters in die hintere Blasenwand 
mittels des Boariknopfes. Resektion der Scheide. Melfrere Tage lang hohes Fieber, 
rechtsseitige Pyelitis. Heilung. Tod nach acht Monaten an Rezidiv. 


Über eine neue Methode der Ureterozystostomie. 


Von Dr. Archibald Leitch, 
Spezialarzt für Krebsleiden am K. Krankenhaus zu Dundee (Schottland). 
(Mit 6 Figuren.) 


Um die Nachteile der bisher üblichen Operationsmethoden zu ver- 
meiden, schlage ich folgendes Verfahren vor: Vor Beginn einer Ope- 
ration, bei der möglicherweise eine Einpflanzung des Harnleiters vor- 
genommen werden muß, wird in die Blase ein gewöhnlicher biegsamer 
Ureterkatheter eingeführt, der durch einen zylinderartigen Korkbohrer 
von etwas größerem Durchmesser hindurchgeht (1). Es ist empfehlens- 
wert, dies im voraus zu tun, weil kostbare Zeit verloren gehen kann, 
wenn es während des weiteren Verlaufs der Operation geschehen muß; 
außerdem ist das Einführen eines Katheters schwer und mit Hinder- 
nissen verbunden, wenn die Patientin die Trendelenburgsche Lage 
einnimmt. Erweist sich die Operation der Ureterozystostomie als un- 
nötig, so schadet die Anwesenheit des Katheters in der Blase nichts 
oder kann sonstwie von Nutzen sein. 





— 
amm 
wm 
E 
KE 
E 
E 


Fig. 1. 


Wenn der Harnleiter absichtlich reseziert wird, weil er von einer 
ins Parametrium vorgedrungenen Neubildung umwachsen oder tatsäch- 
lich durchwachsen ist, oder wenn das Blasenende des Harnleiters vorüber- 
gehend durch eine Klemme oder bleibend durch eine Ligatur oder Naht 
verschlossen ist, so verfahren wir folgendermaßen: der mit dem Kork- 
bohrer versehene Ureterkatheter wird an der für die Implantation (2) 
gewählten Stelle so gegen die Blasenwand gedrückt, daß er sie nach 
außen vorbuckelt. Mit der anderen Hand legt der (Operateur auf die 
Außenseite der Vorbucklung einen sterilisierten Kork, gegen den der 
Korkbohrer derart geschraubt wird, daß ein kreisrundes Stück der 
Blasenwand herausgedrückt wird. Durch diese Öffnung wird der 
Ureterkatheter aus der Blase in den zu implantierenden Harnleiter ein- 
geführt, und die beiden kreisförmigen Öffnungen werden einander ge- 
nähert (3). Eine fortlaufende Katgutnaht wird dann durch alle Schichten 
gelegt. Der in seiner Lage verbleibende Katheter vereinfacht das Ver- 


340 Dr. Archibald Leitch. 


fahren, da er die Gewebe in einer strafferen Lage fixiert als es sonst 
der Fall sein würde; außerdem gibt er die Tiefe an, bis zu welcher die 
Nadel vordringen muß (4). Diese eine fortlaufende Naht würde wahr- 
scheinlich genügen; um aber ganz sicher zu gehen, können wir uns 








NZ 


Wi A. 


y Y | a | 


>g 3 
= Gi 
E en 
noch zweier Hilfsmethoden bedienen. Wir können nämlich entweder 
die Implantationsstelle des Harnleiters ungefähr 1 cm weit in die Blase 
invaginieren und rundherum eine fortlaufende Naht durch die Serosa 
des Harnleiters und der Blase anlegen (56). Oder, und dies ist viel 











L 





Über eine neue Methode der Ureterozystostomie. 341 


leicht noch besser, wir können das von Witzel für die Gastrostomie 
vorgeschlagene Verfahren befolgen, d. h. für den Harnleiter und den 
Katheter einen Schrägkanal in der Blasenwand bilden, indem wir mit 
einer oder mit zwei Nähten die 
Blasenwand von rechts und links 
über den Harnleiter herüberziehen 
und vernähen (6). Auf diese Weise 
verschaffen wir uns einen wirk- 
samen Schutz gegen etwaiges Un- 
dichtwerden und ermöglichen eine 
schnelle Heilung. Um jede Span- 
nung des Harnleiters und der Im- 
'plantationsstelle zu vermeiden, sollte 
die Blase an die seitliche Becken- 
wand fixiert werden; zu diesem Zwecke können ihre vorderen Ver- 
bindungen, wenn es nötig ist, gelockert werden. Nach Beendigung der 
Operation werden Katheter und Korkbohrer entfernt. 





Die kreisförmige Öffnung in der Blase ; 


Die älteren Methoden der Ureterozystostomie mit Metallknöpfen 
führten in roher Weise zu demselben Resultat; es wurden aber viele 
Bedenken dagegen geäußert. Gewöhnlich wird jetzt wohl von der Serosa 
aus die Blasenwand aufgeschlitzt; die Mukosa sucht mam durch dies 
Verfahren einigermaßen zu entlasten. Ein gerader Schnitt‘ ist abor vois 
Nachteil, wenn wir wünschen, daß an der Schnittstelle eine Öffnung- ` 
dauernd "erhalten bleibt. S 

Der Zug der Muskelschichten hat notwendigerweise die Tendenz, 
den geraden Schnitt zum Verschwinden zu bringen, wobei es ganz 
gleich ist, in welcher Richtung er gemacht wurde. Daß dies keine 
bloß theoretische Gefahr ist, beweist die Strikturierung an den Implan- 
tationsstellen, wie sie sich zuweilen später bei der zystoskopischen 
Untersuchung herausstellt. Ferner ist eine genaue Anpassung der kreis- 
runden Öffnung des resezierten Harnleiters an einen geraden Schnitt 
in der Blasenwand praktisch unmöglich und ein Undichtwerden der 
Nahtstelle infolgedessen zu befürchten. Viele vermeiden bei ihren 
Operationen die Längsöffnung, wie z. B. Sampson, der einen H-förmi- 
gen Einschnitt macht. Ohne Zweifel geschieht dies, um die strikturierende 
Wirkung der Muskelschichten auszuschalten (obgleich nach den Samp- 
sonschen Operationen Stenose eingetreten ist). Indessen steht die Größe 
dieser Wunde in keinem Verhältnis zu dem gewünschten Resultat. 


Die Vereinigung der Mukosa von Ureter und Blase. 

Die Heilung erfolgt stets am besten und schnellsten, wenn gleiche 
Gewebsschichten exakt vernäht werden. Keine der jetzt gebräuchlichen 
Methoden ist imstande, eine genaue Vereinigung der Mukosa des Harn- 


342 Dr. Archibald Leitch. 


leiters und der Blase herzustellen; es bleiben stets mehr oder minder 
beträchtliche Lücken zwischen beiden offen. Bei der Sampsonschen 
Operation wird vielleicht ein Versuch gemacht, diese Vereinigung zu 
bewerkstelligen, indem der Harnleiter gespalten wird und die Lappen 
an die Blasenwand genäht werden. Das ist aber technisch sehr schwer; 
das Aufschlitzen und Anfassen des Harnleiterendes mit Instrumenten 
bedeuten Schädigungen, die die Heilung erschweren. Bei der Pinard- 
schen Operation wird der Harnleiter, dessen Ende wie eine Manschette 
zurückgeschlagen ist, in die Blasenhöhle gestoßen; es erscheint fraglich, 
ob sich der implantierte Stumpf epithelialisiert. 

Bei allen Operationen, bei welchen der Ureter eine beträchtliche 
Strecke weit frei in die Blase hineinragt, ist mit großer Wahrscheinlich- 
keit darauf zu rechnen, daß das vorspringende Stück zuletzt der Nekrose 
verfällt. Wenn diese Nekrose sich auf das prominierende Stück be- 
schränkte, würde kein großer Schaden entstehen; aber man muß immer 
darauf gefaßt sein, daß die Degeneration weiter vordringt. M. Lutard 
hat mehrere Fälle von Ureterozystostomie beschrieben, bei denen Sklerose 
mit nachfolgender Obliteration des Lumens eingetreten ist. Ich selbst 
hatte Gelegenheit, post mortem die Blase und die Harnleiter in einem 
Falle zu untersuchen, in welchem drei Wochen vorher eine beiderseitige 
Ureterozystostomie ausgeführt worden war. Um beide Implantations- 
öffnungen herum fehlte ungefähr 2 cm weit die Schleimhaut der Blase 
infolge einer ulzerativen Entzündung. Die prominierenden Teile des Harn- 
leiters waren nekrotisch geworden; sie waren weiß und breiig, und die 
Nekrose hatte sich aus Harnleiter entlang bis über die Blasenwand 
hinaus verbreitet. Diese aufsteigende Nekrose des Harnleiters habe ich 
auch in einem Falle gesehen, bei dem ein Harnleiter in den anderen 
eingepflanzt war. Es läßt sich annehmen, daß die Nekrose infolge der 
Trennung des Hamleiters von seiner Gefäßscheide entstanden war, 
ebenso wie bei den keineswegs seltenen Fällen von lokaler Nekrose des 
Ureters nach Wertheimschen Operationen. Daß aber der Harnleiter 
neugebildete Gefäßverbindungen gewinnen kann und sie wirklich 
gewinnt, wenn er in die Lage versetzt wird, dies zu tun, ist un- 
zweifelhaft. Ich habe gesehen, daß ein Harnleiter, der auf einer 
Strecke von 14 cm freigelegt und unter dem Peritoneum nach der ent- 
gegengesetzten Seite hinübergezogen war, überall gesund blieb mit 
Ausnahme eines kleinen Endstückes, das vom Peritoneum unbedeckt 
geblieben war. 

Die gewöhnlichen Operationen der Uretereinpflanzung geben dem 
Harnleiter nicht die Möglichkeit, neue Gefäßverbindungen einzugehen, 
weder dem in die Blase prominierenden Abschnitt, noch dem extra- 
vesikal befindlichen Teil, wenn er vom Peritoneum unbedeckt geblieben 
ist. ‘Kein Teil des Harnleiters sollte also ohne Verbindung gelassen 
werden. Bei der von mir vorgeschlagenen Operation wird das End- 
stück des Harnleiters so versorgt, daß es von der Blasenwand aus 
vaskularisiert werden kann und vom Peritoneum bedeckt ist. 


Über eine neue Methode der Ureterozystostomie. 343 


Fortlaufende zirkuläre Naht. 


Die fortlaufende Naht ist einer unterbrochenen Naht vorzuziehen, 
da sie schneller ausführbar ist; bei einer langdauernden Operation 
wegen Uteruskrebs bessern aber auch nur ein paar ersparte Sekunden 
die Prognose. Die fortlaufende Naht gibt zudem auch größere Garantie 
für die Dichtigkeit und das Festbleiben der Nahtstelle; auch bewirkt 
sie eine mehr gleichmäßigere Vereinigung der Wundflächen. 


Nutzen des Ureterkatheters. 


Bei der Benutzung des Harnleiterkatheters wird die Beschädigung 
der zarten Ureterwand durch Instrumente vermieden und die Naht 
erleichtert. 

Wird der Harnleiter nach der bisher üblichen Technik in die 
Blase eingefügt, so: haben wir folgende Verhältnisse: Serosa, Muskel- 
schichten und Mukosa der Blase stoßen rechtwinklig an die fibromusku- 
läre Wand des ins Blasenkavum prominierenden Ureters, welche nicht 
besonders gut ernährt ist. Bei dem reparativen Prozeß müssen neue 
Blutgefäße von der Blase in dieses fipromuskuläre Gewebe eindringen. 

Bei der von mir vorgeschlagenen Operation dagegen können die 
Blutgefäße der einzelnen anatomisch gleichartigen Gewebsschichten mit- 
einander in Kommunikation treten. 


(Aus der Universitätsfrauenklinik in Bonn. Direktor: Geh. Obermedizinalrat Prof. 
Dr. Fritsch.) 


Über essentielle Nierenblutung. 
Von 
Prof. Dr. K. Reifferscheid, Oberarzt der Klinik. 


Die Frage, ob es eine essentielle Nierenblutung, d. h. eine Blutung 
aus der Niere ohne anatomisch nachweisbare Veränderung der Niere 
gibt, ist noch eine strittige. G. Klemperer hält an der Auffassung 
fest, daß diese Blutungen infolge eines auf Nervenlähmung be- 
ruhenden Erschlaffungszustandes der Gefäße, welcher dieselben für die 
Blutkörperchen durchlässig macht, vorkommen können, und bezeichnet 
sie als angioneurotische Hämaturie. Schede und 'Senator suchten 
mit der Annahme einer rein örtlich auf die Nieren beschränkten hä- 
morrhagischen Diathese einer „renalen Hämophilie“ eine Erklärung zu 
geben. Daß in einzelnen Fällen die allgemeine Hämophilie eine ur- 
sächliche Rolle spielt, beweist der Fall von Grosglick. Guyon, 
Albarran, Pousson u.a. sehen die Ursache in einer Nierenkongestion, 
wie sie zustande kommt durch Druck auf den Ureter oder Abknickung 
desselben oder durch Abknickung der Nierengefäße. Damit erklären 
sich die Blutungen, wie sie beobachtet wurden, bei Wandernieren, ferner 
in der Schwangerschaft; bei letzteren spielen vielleicht auch noch 
toxische Prozesse eine Rolle. 

In einer ganzen Reihe von Fällen von renalen Massenblutungen, 
deren Ätiologie dunkel erschien und bei denen Nierensteine, Neu- 
bildungen und Tuberkulose auszuschließen waren, ließen sich entzünd- 
liche Prozesse der Niere nachweisen und wir wissen jetzt, daß die 
Nephritis eine der häufigsten Ursachen für Nierenblutungen ist und 
daß sie zweifellos auch rein einseitig vorkommen kann. Auf dieser 
Tatsache fußend ging man dann so weit, auch alle die Fälle von Nieren- 
blutung als durch nephritische Prozesse bedingt zu erklären, bei denen 
die genaue mikroskopische Durchforschung des Organs nur winzige 
Entzündungsherde, geringfügige Narben, geringe Epitheldegenerationen 
feststellte, oder wo kleine Verwachsungen zwischen Kapsel und Rinde 
sich fanden. G. Klemperer und Senator halten es für sehr unwahr- 
scheinlich, daß so unbedeutende entzündliche Veränderungen, die zudem 
längst abgelaufen sind, das Zustandekommen der beobachteten Massen- 
blutungen erklären könnten. Selbst wenn man aber diese gewiß sehr 
zweifelhafte Erklärung annehmen wollte, so bleiben doch noch eine An- 


Über essentielle Nierenblutung. 345 


zahl Fälle übrig, bei denen sich in der Niere keinerlei krankhafte Ver- 
änderungen haben nachweisen lassen. Bleek hat in seiner Arbeit über 
renale Massenblutungen bei genauer kritischer Sichtung der gesamten 
Literatur 6 Fälle (Casper 2, Klemperer, Schede, Steinthal, Wulff) 
gefunden, bei denen die genaue anatomische Untersuchung — sämt- 
liche Nieren wurden exstirpiert und mikroskopisch untersucht — keine 
Veränderungen nachweisen ließ. 

Ich habe nun vor kurzem einen weiteren Fall von unaufgeklärter 
Massenblutung aus einer Niere zu beobachten und behandeln gehabt, 
über den ich kurz berichten möchte. 


Jahrg. 1909/10. J.-Nr. 153. Frau E. R., 24 Jahre alt. Aus gesunder Familie, 
hatte als Kind Masern und Keuchkusten, später eine Lungenentzündung überstanden. 
Seit 2 Jahren verheiratet, vor einem Jahr eine Geburt spontan, Wochenbett ohne 
Störung. Menses regelmäßig ohne Beschwerden, letzte vor 12 Tagen beendet. Am 
30. V. stellte sich die Pat. in der Sprechstunde vor mit der Angabe, daß sie seit 
einigen Tagen ziehende Schmerzen in der rechten Seite habe, die nach dem Unterleib 
zu ausstrahlen und anfallsweise stärker würden. Gleichzeitig habe sie alle zwei Stunden 
Drang zum Urinlassen verspürt und dabei jedesmal viel flüssiges Blut entleeren müssen. 
Besonders viel Blut sei morgens beim Aufstehen und tagsüber nach längerem Liegen 
gekommen. Nur selten habe sie einmal ganz blutfreien Urin entleert. | 

Die zystoskopische Untersuchung ergab, daß die Blase vollkommen gesund war. 
Aus dem rechten Ureterostium rieselte in gleichmäßigem Strome Blut hervor. Der 
Urin der linken Niere wurde mit dem Ureterkatheter entnommen, um feststellen zu 
können, ob die linke Niere gesund sei. Der von der linken Niere abgesonderte Urin 
war vollkommen klar, frei von Eiweiß und enthielt keine Formbestandteile.. Der vor 
der zystoskopischen Untersuchung aus der Blase mit dem Katheter entleerte Urin war 
sehr stark bluthaltig; im Sediment fanden sich massenhaft rote Blutkörperchen, aber 
keine Zylinder. Die Eiweißmenge entspricht dem Blutgehalt. 

Es ist keine Vergrößerung der Nieren nachweisbar, nur ist die rechte Nieren- 
gegend auf Druck etwas schmerzhaft. Die Pat. sieht sehr anämisch aus und gibt an, 
daß sie sich seit Eintritt der Blutung sehr elend fühle. Neigung zu stärkeren Blutungen 
ist weder bei der Pat. noch bei einem Mitglied ihrer Familie vorhanden. Da bei 
strenger Bettruhe, Milchdiät und Darreichung von Secale cornutum die Blutungen 
nicht nachlassen, die Anämie zunimmt, so entschließt sich die Pat. zu der ihr vor- 
geschlagenen Operation. 

3. VI. 09. Äthernarkose, linke Seitenlage (Operateur: Reifferscheid), Freilegen 
der rechten Niere vom schrägen Flankenschnitt aus. Die Niere ist nicht vergrößert, 
ist nirgends verwachsen, im Nierenbecken lassen sich keine Konkremente abtasten. 
Die Niere läßt sich unschwer vor die Wunde ziehen, worauf die Hilusgefäße und der 
Ureter isoliert mit Katgut abgebunden werden und die Niere exstirpiert wird. Sorg- 
fältige Etagennaht der Wunde mit Katgutknopfnähten, Vereinigung der Haut mit 
Michelschen Klammern. Glatte Konvaleszenz. Heilung per primam. 17. Tag post 
operationem entlassen. Während der Konvaleszenz niemals Blut oder Eiweiß im Urin, 
im Sediment niemals Zylinder oder Nierenepithelien nachweisbar. Bei einer Vor- 
stellung Ende Juli befindet sich Pat. sehr wohl und hat sich sehr gut erholt; auch 
diesmal ist der Urinbefund normal. 

Die Niere erscheint bei makroskopischer Besichtigung (bei Anlegung zahlreicher 
Schnitte) völlig normal, nur finden sich am Ansatz der Kalizes kleine flächenhafte 
Blutungen, ebenso im Nierenbecken selbst kleine Ekchymosen. Die mikroskopische 
Untersuchung, der zahlreiche Stücke aus den verschiedensten Teilen der Niere unter- 
worfen wurden, ergab keinerlei Veränderungen an dem Nierengewebe. 


Es handelte sich also in dem vorliegenden Falle um heftige renale 
Massenblutungen aus einer Niere, die zu bedrohlicher Anämie führten 


346 “ Dr. K. Reifferscheid. Über essentielle Nierenblutung. 


und deshalb einen operativen Eingriff notwendig machten, ohne daß 
die genaue makro- und mikroskopische Untersuchung der betreffenden 
Niere anatomische Veränderungen derselben hätte nachweisen lassen. 
Es handelt sich also offenbar um eine essentielle Hämaturie, zu deren 
Erklärung wir mit Klemperer auf angioneurotische Einflüsse zurück- 
greifen müssen. Der Erklärungsversuch Küsters, der annimmt, daß 
bei Erkrankung einer Niere die andere gesunde Niere bluten könne, 
indem bei Unterdrückung oder Einschränkung der Zirkulation in der 
einen Niere in der anderen auf dem Wege von durch den Plexus sym- 
pathicus vermittelten Beziehungen eine entsprechend größere Blutfülle 
auftrete, die bei plötzlichem Zustandekommen bis zum Bersten einzelner 
Gefäße sich steigern könne, kommt für den mitgeteilten Fall nicht in 
Betracht, weil die Untersuchung das Gesundsein der anderen Niere 
feststellte. 

Vielleicht wäre man in dem vorliegenden Falle auch allein mit 
der Nephrotomie, wie sie ja als Normalverfahren zur operativen Be- 
handlung derartiger Fälle angesehen wird, ausgekommen, ich habe mich 
trotzdem zur Exstirpation der Niere entschlossen, weil die Anänie be- 
reits eine recht erhebliche war und ich die Pat. deshalb nicht der 
Gefahr einer erneuten Blutung aussetzen wollte, wie sie in einzelnen 
Fällen nach der Nephrotomie allein beobachtet worden ist und danu 
nachträglich doch noch zur Exstirpation der Niere geführt hat. 


NOV 171921