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für gerichtlich* Medtem, Psychiatrie und Irrenwesen.
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öilizieiles Organ des Deutschen, Praussischen, Bayerischen, Sächsischen,
WürUembergiachen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen, Thüringischen,
Jahrgang. 1916.
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Berlin W. 62.
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J. C. C. Bruns, Herzogi. Sachs, u. Fiirstl. Sch.-L. Hofbuchdruckerei in Minden.
Inhalt.
I. Original-Mitteilungen.
A. Gerichtliche Medizin, gerichtliche Psychiatrie und
Sachverständigen - Tätigkeit,
Tod durch Ueberf&hren mittels Autos ? Dr. L ö e r.. 65
Eigenartiger Unglöcksfall eines Säuglings in einer Anstalt. Dr.
Langstein .249
Vergiftung mit übermangansaurem Kali. Dr. Racine .253
Kriminelle Frnchtabtreibnng, künstliche Unterbrechung der Schwanger¬
schaft und Fürsorge für tuberkulöse Schwangere. Dr. Roepke 281
Kasuistik des Erbängungstodes. Dr. Langermann . 589
Giftigkeit der Aronsbeeren. Dr. Kanngiesser .595
Frucbtabtreibung durch Gebärmutterauskratzung. Dr. Hofacker . . 597 1
Selbstvergiftung durch Ammoniak. Dr. Olbrycht .704
Seltener Leichenbefund. Dr. Bleich.706
B. Hygiene und öffentliches Sanitätswesen.
Typhusbekämpfung auf dem Lande. Dr. Graßl . 1
Privatcntbindungsanstalten. Dr. Lieske . 6
Zur bakteriologischen Choleradiagnose. Dr. Quadflieg . 33
Hamburger Tropfkörper mit Deckschicht. Dr. Guttmann . 40
Tuberkulose und Schwangerschaft. Dr. Roepke . 85
Verhandlungen des Abgeordnetenhauses über den Medizinaletat. Dr.
Rapmnnd . 118
Eine Paratyphus - A - Epidemie. Dr. Quadflieg .153
Fleckfiebererkennung. Dr. Hansen . 158
Typhusbekämpfung, Beobachtungen bei einer dörflichen Epidemie. Dr.
Steinebach .185
Gesundheitliche Kriegslehren. Dr. Berger .217
Zur Botryomykose beim Menschen. Dr. Mayer .228
Bekämpfung der Diphtheritis. Dr. Lembke . 313
Angestellten-Versicherung der Schreibhilfen der Medizinalbeamten.
Dr. Rapmund . 320
Verhandlungen über den Haushalt des Reichsgesundheitsamtes. Dr.
Rapmund .326
Vermeidbare Typhnsfälle. Dr. Richter .349
Meningitis durch milzbrandähnlichen Bacillus. Dr. Schür mann. . . 385
Aufgaben des Kreisarztes im Kriege. Dr. Sorge .393
Typhusepidemie infolge Milchinfektion. Dr. Graßl .413
Was wird aus dem weiblichen Lazarett-Pflegepersonal i Dr. Vollmer 41H
Ueberwacbung des Nahrungsmittelverkebrs. Dr. Kurpjuweit . . . 441
Schädigung der Atmungsorgane durch gewerblichen Staub. Dr. Opitz 450
Beitrag zum Auftreten der Pocken. Dr. Kindler .469
Geburtenrückgang in Deutschland. Dr. Richter .472
Neue Aufgaben für die Aerzte. Dr. Döllner.501
IV Inhalt.
Seite*
Unzureichende Gesetzgebung. Dr. Räuber .. •. 533
Hygienische Streiflichter aus der Rheinpfalz. Dr. Demutb .... 625
Diejbakteriologische Untersuchnngsstation Landau und die Bekämpfung
der Infektionskrankheiten. Dr. Mayer .657
Zentralisation der Fürsorgebestrebungen. Dr. ltißmann . . . . 678
Temperaturen von Schnlzimmern im Winter. Dr. Schwink .... 693
Verlängerung der Mädchenschulpflicht zur Vorbereitung für den Mutter-
nnd Haushaltsberuf. Dr. Denekc .725
Kampf gegen die Geschlechtskrankheiten. Dr. Bornträger . . . . 737
» ______
C. Aus Versammlungen und Vereinen.
28. ordentliche Versammlung des Mecklenburgischen Medizinalbcnmten-
Vereins (Dugge).230
Außerordentliche Tagung fdes Deutschen Vereins für Krttppelfürsorge
(Rpd.). 299, 333
Generalversammlung des Deutschen Zentral-Komitees zur Bekämpfung
der Tuberkulose, Sitzung des Ausschusses und Versammlung der
Tuberkulose - Aerzte (Roepke).396
Konferenz, für Trinkerfürsorge.421
Deutscher Kongreß für innere Medizin (Rehberg). 506, 542
Außerordentliche Tagung für Durchführung von Massenspeisungen (Rpd.) 511,549
Geschäfts- und Kassenbericht des Deutschen Mcdizinalbeamtenvereins
für 1913, 1914 und 1915.527
Geschäfts- und Kassenbericht des Preußischen Medizinalbeamtenvereins
für 1915.530
Geschäftsbericht über die Jubiläumsstiftung des Preußischen Medizinal¬
beamtenvereins für 1915.. . 531
Kongreß der Kriegsbeschädigtenfürsorge (Ritter).599
Versammlung der Vereinigung zur Förderung des llebammenwesens (Ri߬
mann) . 681
III. Preußische Landeskonferenz für Säuglingsschutz (Rott).681
XL Landesversammlung des bayer. Mcdizinalbeamtenvereins (Schuster) . 706
EL Kleinere Mitteilungen und Referate aus
Zeitschriften u. 8. w. 1 )
A. Gerichtliche Medizin.
Rotsehen hach Genuß von Solanum dulcamara L. Dr. Hil bert (Gradl) 13
Vergiftung mit Azetylengns. Dr. Nicol (Graßl). 91
Schädigung des Auges bei Vergiftung durch Methylalkohol. Dr. Ri roh-
Hirschfeld (Quadflieg) .233
Optochin-Amaurose Dr. Fei 1 chenfe 1 d (Roepke) .234
Ablehnung des Arztes als Sachverständigen. Freymutb (Roepke) 234
Haftung des Arztes wegen Pflichtverletzung. Dr. Stein (Hoffmannt 235
Diagnostisches Experiment am Menschen. Dr. Bernstein (Rpd.) . . 258
Bestimmung des Lebensalters an Kindesleichen nach der Histologie der
Nebennieren. Dr. Photakis (Rpd.) .259
Kennzeichen des Todes durch Kältewirkung. Dr. Dy ren fur th (Rpd.) 269
Bestimmung der Todeszeit durch muskelmechanische Erscheinungen.
Dr. Zsak6 (Rpd) .259
Fluoreszenz der Hämoglobinderivate, ihre Bedeutung für den Blntnachweis.
Heller (Rpd.) ..303
Erfahrungen über Kindesmord.f JDr. Strassroann (Rpd.).361
Kriminelle Fruchtabtreibung in, Ostpreußen. Dr. Benthin (Roepke) 362
Sektionsbefunde bei Pilzvergiftungen. Dr. Lyon (Quadflieg) .... 362
Errichtung kriminalistischer Institute. (Rpd.).363
Schußverletzungen von Eingeweiden. Dr. Ipsen (Mayer).424
Giftwirkung des Zyanamids. Dr. Koelsch (Wolf) .476
*) De Namen der Referenten sind in Klammern beigefügt.
Inhalt.
V
8«iif
Promoterin Vergiftung. Dr. Rattner <Eoepkc) 477
Tod durch Elektrizität. Lesser (Wolf).565
Zulässigkeit der Unterbrechung der Schwangerschaft.683
Plötzlicher Tod durch MagenüberfUUung.. Dr. Kürbitz (Solbrig) . . 742
B. Gerichtliche Psychiatrie.
Ein schwachsinniges Wunderkind. Hampel (Solbrig). 13
Einfluß des Krieges auf psychopathische Jngcndlicho. lir. Oi rs te n be r g
(Solbrig). 13
Militär-psychiatrische Beobachtungen. Dr. Weycrt (Bpd.).197
Erinnern und Vergessen. Dr. Marx (Kpd.).260
Familienmord in gerichtlich-psychiatrischer Beziehung. Dr. S t r a s s m a n n
(Bpd.). ..364
Prophylaxe der ltoheitsverbrcchen und militärischen Vergehen in der
Kriegszeit. Dr. Bonne (Bpd.). 365
Anrechnung des Aufenthaltes in einer Irrenanstalt nuf die Strafzeit.
Bosenberg (Bpd.) .366
Der Krieg und die Beservekräfte des Nervensystems. Dr. Pick (Rpd.) 424
Vom Inzest. Dr. Marcusc (Bpd.).477
Forensisch-psychiatrische Beurteilung von ELeangclcgcnheiten. Dr. Weber
(Solbrig).646
Beurteilung psychopathischer Zustande. Pr. Ra ecke (Solbrig) . . . 743
C. Sachverständigentätigkeit auf militärärztlicheni Gebiete.
Epidemische Hemerolopic im Felde. Dr. Braunschweig (Bpd.) . . 14
Augencrkranknngen im Felde. Dr. Zade (Bpd.).. 14
Nachtblindheit im Felde. Dr. Brest (Bpd.). 14
Nachtblindheit im Folde. Dr. Pau 1 (Bpd.). 14
Militärdienst und Thyreotoxie. Dr. Dannehl (Bernstein). 15
Röntgenuntersuchung des Herzens bei fraglicher Militärtauglichkeit.
Dr. Grödel (Graßl). 15
Albuminurie. Dr. Beckers (Bernstein) . 16
Fliegertod.‘ Dr. Schüppler (Bernstein).. 16
Gasphlegmone bei Kriegaverwundetcn. Dr. Sackur (Quad flieg) ... 46
Behandlung der lpngcn Röhrenknochenbruche. Dr. An sinn (v. Mach) 48
Fraktionelle Nervenstörungen bei Kriegsteilnehmern. Prof. Meyer
(Roepke>. 71
Vorbereitende Behandlung der Beinamputierten. Dr. Lewy (Roepkc) . 71
Winterkuren und Verwundetenfürsorge. Dr. Lilicnthal (Hoffmann) . 72
Vergiftung durch im Körper lagernde Geschosse. Lew in (<)uadflieg) . 158
Längenmessung der Amputationsstümpfe. Bahr (lloepket.159
Spätfolgen nach Scbädelschiissen. Dr. T i 1 m a n n (Roepkc).235
Uebungsschule für Gehirnkriippcl. Dr. Hart mann (Graßl) .... 235
Akzidentelle Herzgeräusche. Dr. Ehret (Graßl).235
Simulation von Ohrenkrankheiten. Dr. Alexander (Mayer) .... 453
Beurteilung leichter Herzstörungen. Dr. Determann (Roepke) . . 454
Riesenmagnete behufs Extraktion von Geschoßsplittern. Prof. Sultan
(Roepke).454
Behclfsprothesen. Dr. Spitzv (Roepkc).455
Objektivierung nervöser Beschwerden im Kriege. Dr. Singer (Bpd.) . 515
Nierenerkrankungen bei Kriegsteilnehmern. Dr. Jungmann (Roepke) 516
Kriegsnephritis. Dr. Herxheitner (Roepke).517
Wundbehandlung, Ueberhäutung großer Wundflächen. Dr. Spiegel
(Bpd.).566
Kricgsneurosen. Dr. Beyer (Solbrig) . ..647
Charakteristisches, künstlich erzeugtes Geschwür. Dr. Licbl (Mayer) 743
VI
Inhalt.
Seite
D. SachverstlndlgentStlffkelt ln Onfall-, InvaHtHtäts- and Kranken-
versfcherungssaclien.
1. Gatachten and Referate.
Unfallverletzungen des Magens. Dr. Kiltin ge r (Wolf). 16
Akute gelbe Leberatrophie. Dr. Kur sch mann (Graßl) . 16
Unfallerkrankungen des inneren Ohres. Dr. Alt (Rpd.). 16
Traumatische Neurosen. Dr. Zangger (Wolf).199
Ist Flecktyphus ein Unfall? Dr. Buge (Roepke).286
DiejUnfallbegutachtuog durch den erstbehandelnden Arzt. C urschmann
(Wolf) .286
Brgebnisse der reichsgesetzlichen Unfallversicherung ....... 305
Unfall- und Invalidenversicherung im Jahre 1915. (Rpd.).368
Bericht der Angestelltenversicherung 1913—1915 .458
Vergiftung mit Dinitrobenzol. Dr. Reuter (Rpd.) .554
Bedeutung des Blutdrucks bei Unfallneurosen. Dr. Horn (Roepke) . 554
Tabes und Unfall. Dr. L epp mann (Rpd.).. 555
Unfall und Selbstmord. Dr. Weygandt (Rpd.).556
Somatische Behandlung bei Unfallneurosen. Dr. Engelen (Solbrjg) 686
Psychologische Laboratorien zur Erforschung der Unfallneurosen. Dr.
E n g e 1 e n (Solbrig) .687
Arteriosklerose und Unfall. Dr. Horn (Solbrig) .687
Sachverständigentätigkeit in Krankenkassen-Angelegenheiten. Dr. Becker
(Solbrig).688
Winkelmaßapparat. Dr. von Poschinger (Solbrig).744
Arbeitsbehandlung im Heilverfahren für Versicherte. Dr. Bartels
(Solbrig). 744
2. Gerichtliche Entscheidungen. M
1914. 17. April: Delirium tremens als Unfallfolge.456
„ 7. Sept.: Kosten ärztlicher Gutachten.200
„ 17. Dez.: Befolgung von Unfallverhütungsvorschriften (Pr. O.V.G.) 457
1915. 11. Jan. : Krankenkassenzuschuß für größere Heilmittel . . . 304
„ 13. Febr.: „Familie“ im Sinne des § 1260 R.V.O.. . 206
„ 27. „ : Schätzung der Erwerbsunfähigkeit des Verletzten nach
einem ärztlichen Gutachten.200
„ 20. März: Unterbringung in Familienpflege und Unterbringung in
einer AustAlt.206
. 17.April: Begrenzung von Mehrleistungen der Kassen .... 205
„ 30. „ : Bezahlung von Zahnplomben .206
„ 6. Mai : Angestelltenversicherungspflicht der Bademeister. (Ren¬
tenausschuß Berlin der Reichsversicberungsanstalt für
Angestellte). 96
„ 15. „ : Die Vertrauensärzte der Landesversicherungsanstalten
als Partei Vertreter.199
„ 31. „ : Eine mediko-mechanische Behandlung stellt eine ärzt¬
liche Behandlung, nicht ein Heilmittel dar .... 202
„ 31. „ : Pauschbetrag für Krankenpflege auch für Sonn- und
Feiertage.207
„ 5. Juni: Bezahlung der zwecks Einleitung eines Heilverfahrens
ausgestellten ärztlichen Zeugnisse .203
„ 19. „ : Uebertragung des Heilverfahrens an die Krankenkasse 201
„ 19. „ : Entschädigung bei Linsenlosigkeit eines Auges ... 17
„ 16. Aug.: Sterbegeld ist auch bei Totgeburten zu zahlen . . . 207
„ 20. Sept.: Wochengeld ist für 57 Tage zu gewähren .... 207
„ 29. „ : Blutvergiftung infolge vorhandener Hand wunde ... 18
„ 13. Okt. : Schlaganfall. Kein Zusammenhang mit der Arbeit 94
„ 14. „ : Uebertragung des Krebserregers .... ... 95
„ 19. „ : Selbstmord im Anschluß an einen Streit mit der Ehefrau 96
*) Wo kein besonderer Vermerk gemacht ist, sind die nachstehenden
Entscheidungen solche des Reichs Versicherungsamts.
Inhalt.
VII
8elte
1916. 30; Okt. : Gewährung von Zahnplomben.710
„ 6. Not.: Verpflichtung der Berufsgenossenschaft zur Heilanstalts-
pflege.160
„ 6. „ : Erstattung def Arztkosten an freiwillige Mitglieder
(O.V.A. Groß-Berlin) .457
„ 19. „ : Zusammenhang zwischen Blutvergiftung und dem einige
Wochen zurückliegenden Unfall .........161
, 20. „ : Von Nackenfurunkel ausgehende Blutvergiftung . . 162
„ 3. Dez. : Tödliche Lungenentzündung und Unfall .161
„ 6. „ : Gewährung ärztlicher Behandlung an Trunksüchtige . 709
„ 9. „ : Rentenminderung bei Besserung der Unfallfolgen trotz
Aufhebung dieser Besserung durch ein Sehnervenleiden 160
„ 11. „ : Durch Selbstmordversuch verursachte Invalidität . . 744
„ 21. „ : Tragung der Kosten des nach § 1596 R.V.O. eingeholten
Gutachtens und der Reisekosten usw. . . 162
„ 11. „ : Badeunfall nicht ohne weiteres Betriebsunfall ... 366
1916. 5. Jan.: 20°/o Erwerbseinbuße bei Verlust des Sehvermögens auf
einem Auge .199
„ 15. „ : Verlust eines Auges mit 25 Proz. Entschädigung . , 455
„ 31. „ : Kostentragung der Krankenkasse bei Zahnkrankheiten 710
„ 8 März: Offenbaren der Krankheit eines Versicherten .... 367
„ 11. „ : Kosten der Geburtshilfe bei versicherungsfreien Ehefrauen 745
„ 29. April: Verschlimmerung eines Krebsleidens durch Unfall . . 557
„ 3. Mai : Duldung von Operationen. .612
„ 6. „ : Für die Schätzung der Einbuße an Erwerbsfähigkeit ist
der allgemeine Arbeitsmarkt maßgebend.708
„ 18. „ : Angestelltenversicherungspflicht von Pflegerinnen (Ober¬
schiedsgericht) . . . 709
„ 19. „ : Angestelltenversicherung von Heilgehilfen (Oberschieds¬
gericht) .708
„ 6. Okt.: Verschweigen früherer Erkrankungen bei Lebensversiche¬
rung (Reichsger., VII. Z.-S.).688
E. Bakteriologie und Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten. 1 )
1. Bakteriologie und Bekämpfung Übertragbarer Krankheiten
Im allgemeinen.
25 Jahre antitoxischer Serumtherapie. Prof. Kos sei (Roepke) ... 19
Schutzimpfungen der Impfstelle des Roten Kreuzes. Dr. Salomon und
Dr. Weber (Roepke). 20
Büchsenagar von Uhlenhuth und Messerscbmidt. Dr. Dold (Roepke) . 72
Wiederholte Bcnutzungvon Bakteriennährböden, Ersatz von Fleischextrakt,
konservierte Nährböden für Feldgebrauch. Guth (Roepke) . . 73
Bakteriologisches über Kriegsseuchen. Dr. Aronson (Quadflieg) . . 74
Wirksamkeit der Typhus- und Choleraschutzimpfung, v. Wassermann
und Sommerfeld (Quadflieg) . 76
Erzeugung der Impfstoffe und Massenimpfungen gegen Cholera und
Typhus Dr. B n j w i d (Quadflieg) . 97
Künstliche petechiale Umwandlung der Roseolen. Dr. Mayerhofer
(Graßl). 98
Eiweißnachweis im Urin. Dr. Siebert (Roepke).236
Dos Anaphylaxieproblem in der Dermatologie. Dr. Klausner (Quadflieg) 261
Tätigkeit der bakteriologisch - diagnostischen Untersuchungsanstalt in
Prag. Dr. Ghon und Dr. Roman (Wolf).566
2. Cholera.
Blutalkalitrockenpulver zu Choleranährböden in Feldlaboratorien. Dr.
Fürst (Roepke).163
Stuhluntersuchung auf Cholera- und Typhusbazillcn. Dr. Verzär und
cand. med. Weszeezky (Roepke).370
') Die Namen der Referenten sind in Klammern beigefügt.
VIII Inhalt.
Seite
Blutuntersucbungcn bei Cholera. Dr. Ben zier (Rpd.) -.371
Schutzimpfung gegen Cholera and Typhus. Dr. Oac tilge ns und Dr.
Becker (Rpd.) ..371
Schutzimpfungen gegen Cholera. Dr. PI an ge (Rpd) .371
Pemphigoides Exanthem nach Choleraschutzimpfung. l>r. Simecek
(Mayer). 372
Wert und Wirkungsdauer der Cbolera6chutzimpfung. Dr. Knup und
Kretschmer (Rpd.)..ISO
Cholera und Paratyphus B. Dr. Jastro wi tz (Roepke).057
Behandlung der Cholera. Dr. Arneth (Roepke).008
3. Pest, Gelbfieber, Fleckfieber.
Flcckiieberepidemie im Oörlitzer Kriegsgefangenenlazarett. I >r. li o n d k c
(Quadflieg). 22
Beobachtungen bei einer Flecktieberepidemie. Dr. 011 o (Roepke) ... 22
Serumreaktionen bei Flecklieber. Dr. Go t sch lieh, Dr. Schürmann
und Dr. Block (Quadflieg). 38
Hautveränderungen bei Meerschwcinchen-FlecktyphuB. Löwy (Mayer) . 401
Untersuchungen über Flecklieber. Dr. Lipschütz (Mayer) .... 401
Therapie des Fleckfiebers. Hirsch (Roepke) .458
Beteiligung der Kopflaus an der Flcckiieberverbreitung. Dr. Hey mann
(Quadfiieg).481
Züchtung des Bacterium typhiexanthematici. Dr. Paare th (Qaadflieg) 559
Untersuchungen bei Fleckfieber. Dr. Csernel (Mayer).559
Aetiölogie des Fleckfiebers. Dr. Töpfer und Schüssler f (Roepke) (514
Flecktyphus als Kriegsseuche. Dr..Wolter (Solbrig).710
Aetiologie des Fleckfiebers Dr. Fuld (Solbrig).711
Fleckfieber und Entlausung. Dr. Arneth (Solbrig) 711
4. Aussatz.
Aussatz im Deutschen Reiche 1915.370
5. Rückfallfieber.
Eine dem RiickfalKiobcr ähnliche Kriegskrankheit. Dr. K o r b s c h (Roepke i 237
6. Schwarzwasserfieber.
Theorie des Schwarzwasserfiebers. Dr. Hintzc (Roepke). .015
7. Pocken, Varizellen und Schutzpockenimpfung.
Die Pockenorkrankungen in Detmold. Dr. Hesse (Roepke) .... 20
Differentialdiagnose zwischen Variola und ähnlichen Bläschcnerkraukungen.
Dr. Hammer Schmidt (Rpd.) .207
Bedeutung des Impfgesetzes für den gegenwärtigen Krieg. Dr. Brey er
(Rpd.).203
Echte Blattern und Varizellen. Dr. Friedberg (Risel) .369
Blatternepidemie in Neu-Sandec. Dr. Pilzer (Mayer) .370
Experimentelle Pockendiagnose. Dr. Gins (Roepke).013
Dauer des Pockenimpfschutzes. Dr. Gins (Roepke).614
8. Unterleibstyphus.
Brauchbarkeit des Kongorot- und Drigalskiserumagars zur Typhus-
diagnosc. Dr. Schür mann (()uadflieg). 98
Typhus-Schutzimpfung nnd -Infektion im Tierversuch. Dr. Emmerich
und Dr. Wagner (()uaddicg).163
Zur Vakzinctherapic des Typhus abdominalis. Dr. Mayer (Duadflicg) 164
MundtypbusbazilleDträger. Dr. Eggebrecbt (Graßl) ..208
Tetragenussepsis nach Typhus abdominalis. Dr. Welz und Dr. Kalle
(Roepke). 237
' Einfluß der Typhus-Schutzimpfung auf das weiße Blutbild. Dr. Sikert
(Rpd.).372
Urobiliourie bei Typhus. Dr. Hildebrandt (Graßl).372
Inhalt. IX
Soli«
Behandlung von Typhusbazillcnträgern. Dr. Kuhn (Rpd.).372
Meningitis typhosa. Dr. Um eck (Quadflieg).425
Pathologische Reaktionen bei Typhusgeimpften. Koch (Quadflieg) . . 425
Bedeutung der Wildaschen Reaktion und des Nachweises der Bazillen
im Blute nnd Kote.567
Abdominalistyphu8 bei Geimpften. Dr. Löwy (Mayer).567
Ranchtyphus mit Fleckfieber. Dr. Feig (Qnadtlieg).56S
Leistungsfähigkeit der bakteriologischen Typbasdiagnose. Dr. Schmitz
. ’ (Solbrig).. . 712
Gruber-WidalscheReaktion beiTyphusscbutzgeimpften. Dr.Herxheimer
(Solbrig).712
Hauterscheinungen nach Typhusschutzimpfangen. Dr. Ma tko (Mayer) 713
Der Typhus abdominalis vom epidemiologischen und klinischen Gesichts¬
punkte. Dr. Gal am bos (Mayer) .713
Unterleibstyphus im Felde während des Winters 1915/16. Dr. Herzbach
(Solbrig).714
Typhus und Pneumonie. Dr. Döblin (Solbrig).714
Typhus und Kahrmischinfektion. Dr. Fejes (Quadtiicg).715
9. Paratyphus.
Paratyphöse Erkrankungen. Dr. Korczynski (Quadflieg).164
Verhreitungsweise und Diagnostik des Paratyphus B - Bacillus. Dr. Kie¬
ling (Roepkc).372
Zur Kenntnis des Paratyphus A. Dr. Loewenthal (Quadflieg) . . . 568
Atypischer Paratyphus A. Dr. Fren zel (Roepke) ..568
Verschiedene Formen des Paratyphus B. Dr. Sluka (Mayer) .... 715
10. Fleisch-, Fisch- usw. Vergiftung.
Botulismuserkrankungen. Dr. Novotny und Ringel (Mayer) . . . 569
11. Ruhr, Dysenterie.
Ruhrbehandlung. Dr. Klesk (Quadflieg). 23
Serumbehandlung der Ruhr. Dr. Klesk (Quadflieg). 23
Ruhrbehandlung. Dr. Scharf. Die Ruhrepidemie 1914/15. Dr. Marian
Gieszezykiewiez (Quadflieg). 49
Aetiologie der Ruhr. Dr. Friedmann und Dr. Steinbock (Roepke) 165
Epidemiologie und Bekämpfung der Ruhr im Felde. Dr. Koch (Roepke) 167
Sernmbehandlung der Ruhr. Dr. Scharf, Dr. Sokolowska und Dr.
Gieszezykiewiez (Quadflieg). . 208
Fall von Dick- und Dtiundarmdysenterie. Dr. Chowaniec (Mayer) . 373
Ruhr der Kinder in Russisch - Polen. Dr. F1 u 8 s e r < Quadflieg) . . . 426
Bazilläre Dysenterie beim Hunde, Bazillenträgertum. Dold (Roepke) . 481
'Serologische Diagnose der Shiga-Kruse-liuhr. Dr. Schiemann (Solbrig) 745
Bakteriologie und Aetiologie der Ruhr. Dr. Sternberg (Mayer) . . 746
Ruhr und Ruhrbehandlung. Trof. Mayer (Solbrig).746
12. Diphtherie.
Diphtheriebekämpfung und Schulärzte. Dr. Strelitz (llofl'mann) . . 51
Primäre Nasendiphtherie. Bergh (Roepke). 168
Serumtherapie der Diphtherie. Dr. Reiche (Quadflieg).209
Sparsamer Blutscrumuährboden für Diphtheriediagnose. Dr. Langer
(Roepke).374
Abtötung von Diphtheriebazillen mit Jod-Spray. Dr Rüben (Quadflieg) 374
Diphtherieverbreilung durch das Kriegsgeld .- Wollen berg (Wolf) . 374
Gramfestigkeit der Diphtherie- und der Pscudodiphtheriebazillcn als
diagnostisebes Merkmal. Langer und Krüger (Roepke) . . 426
Behandlung der Diphtherie. Dr. Borg (Quadflieg).427
Verbreitung und Bekämpfung der Diphtherie. Kruse (Graßli . . . 560,
13. Scharlach.
Blutungen bei Scharlach. Klimenko (Rpd.).432
X
Inhalt.
Seite
14. Keuchhusten.
Neue Behandlung des Keuchhustens. Prof. Kraus (Roepke) .... 238
15. Epidemische Kopfgenickstarre.
Pie übertragbare Genickstarre. Dr. Spaet (Boepke) . •. 99
Pneumokokken- und Mcningokokkcn-Meningitis nach Schädelbasisfraktnr.
Dr. Sch mid t (Roepke).262
Atypische und abortive Formen der Meningitis. Dr. Schlesinger
(Roepke).402
Aligemcininfektion mit gramnegativen Diplokokken. Stephan (Graßl) 402
Bekämpfung der Meningokokken-Meningitis. Dr. Gr über (Quadflieg) 458
Befunde beim petechialen Exanthem der Genickstarre. Dr. P i c k (Roepke) 615
16. Oedeme.
Malignes Oedem. Dr. Frankel (Rpd.).569
Das Gasödem. Dr. Frankel, Dr. Frankenthal und Dr. Koenigs-
feld (Quadflieg).670
Aetiologie und Prophylaxe der Gasödeme. Asch off (Roepke) ... 571
Studien aus der Gruppe der Gasbranderreger, v. Wassermann
(Quadflieg).572
lieber Gasphlegmone. Dr. Pay r (Quadflieg).573
Die Gaspbiegmone, eine Muskelerkrankung. Dr. Bier (Quadflieg) . . 573
Verhütung der Gasphlegmone und anderer Folgezustände schwerer Ver¬
wundungen. Dr. Lonhard (Roepke).574
17. Spinale KinderlShmung.
Poliomyelitis. Parsons (Mayer). 57
Poliomyelitis. B u r n e t (Mayer). 58
18. Weilsche Krankheit (ansteckende Gelbsucht).
Untersuchungen Uber die Weilsche Krankheit. Dr. Uhlenhuth und Dr.
From me (Quadflieg). 49
Aetiologie der Weilschen Krankheit. Dr. Hü bene r und Dr. Beiter
(Roepke). 50
Spezifische Behandlung der Weilschen Krankheit. Dr. Uhlenhuth und
Dr. Fromme (Quadflieg). 99
Aetiologie der Weilschen Krankheit. Weil, Dr. Ilübcner und Dr.
Reiter (Roepke).262
Beiträge zur Weilschen Krankheit. Dr. Goebel (Qaadflieg) .... 561
Zur Weilschen Krankheit. Dr. Krumb ein und Dr. Frieling (Roepkei 501
19. Wochenbettfieber, Wochenbetthygiene und Krankheiten der
Neugeborenen.
Behandlung der Placenta praevia durch den Arzt. Dr. Rissmann . . 402
Kklampsiebehaudlung. Dr. Rissmann .402
20. Tuberkulose.
Tuberkelbazillen im Blute. Dr. Moewes (Roepke). 24
Tuberkulosefürsorge der Geucralkrankenkasse. Dr. ( zech (Wolf) . . 24
Soziale Erhebungen bei tuberkulösen llandelsargestellten. Dr. (’zech
und Dr. Götzl (Wolf) . 24
lleilstättcnbehandlung der Generalkrnnkenkasse 1911 — 1913. l)r. Ncn-
mann (Wolf) . 24
Ambulatorische Tuberkulinthernpic. Dr. GÖtzi (Wolf). 24
Ambulatorische Tubcrkulinbehandlung. Dr. Laub (Wolf) . 24
.Sonnenklinik für Kranke mit chirurgischer Tuberkulose. (Roepke) . . 25
Tubcrkclbazillen in den Fäces. Eugleson (Roepke) . 7«
Abderhalden-Verfahren bei Lnngentuberkulose. Oeri (Roepke) ... 77
Krankenhausbehandlung der Lungentuberkulose. Moewes (Roepke) 77
Tuberkulosebekämpfung der Heeresverwaltung. Dr. Helm (Roepke) 101
Inhalt.
XI
Seite
Arbeitsbeschaffung für Tuberkulöse. Dr. Kayserling (Roepke) . . 101
Intrakutan-Tuberkulinreaktion bei Meerschweinchen. Dr. Selter (Roepke) 102
Wiederholung lokaler TuberkuHnreaktionen. Bes sau und Schwenke
(Roepke).239
Taberkulinuntcrsuchungen an Kindern ans tuberkulösen und nichttuber¬
kulösen Familien. Dethloff (Roepke).239
Tuberkulose in einem Tale, in welchem bisher Todesfall an Tuberkulose
nicht bekannt war. Overland (Roepke) .239
Behandlung der Lungentuberkulose mit RBntgenstrahlen. Dr. Küpferle
und Dr. Bacmeister (Roepke).240
Kombinierte Quarzlicht-Röntgentiefentherapie bei Lungentuberkulose.
Dr. Bacmeister (Roepke).240
Alkoholismus und "Tuberkulose. Prof. Orth (Roepke) .241
Taberkuiosespntnmuntersachungen durch Ziehl-Neelsensche und Kron-
bergersche Tuberkelbazillenfärbung. Dr. Liehtweiss (Roepke) . 403
Reinfektion und Immunität bei Tuberkulose. Dr. Selter (Roepke) . . 403
Mobilisierung der Bazillen durch Tuberkulin. Dr. Möllers und Dr.
Oe hl er (Roepke).404
Mobilisation der Langen für Tuberkulose-Behandlung. Dr. K u h n (Roepke) 404
Sanatorientuberkulosefrage. Dr. H o 1 m b o e (Roepke).405
Tuberkulose und Heilmittelschwindel. Dr. Klare (Roepke) .... 405
Infektionsversuche mit kleinen Taberkelbazillenmengen. Dr. Selter
(Roepke).482
Einteilung der Lungentuberkuloseformen. Kuthy (Roepke) ..... 482
Alkohol und Tuberkulose. Dr. Lilienthal (Hoffmann) .482
Tuberkulose und Prostitution. Dr. Köhler (Roepke) .483
Lungentuberkulose vom militärärztlichen Standpunkt. Dr. Frankel
(Graßl).483
Bedeutung psychischer Momente für den Verlauf der Tuberkulose. Dr.
Strandgaard (Roepke) .484
Behandlung der Lungentuberkulose mit ultraviolettem licht. Dr. Gut¬
stein (Roepke).484
Bedeutung des Klimas für die Behandlung der Tuberkulose. Dr. Schröder
(Roepke).484
Fürsorge für unbemittelte Luogenkranke. Dr. Hartmann (Roepke) 485
Einteilung der chronischen Lungentuberkulose. Dr. Büttner-Wobst
(Graßl) .574
Temperaturmessung und Lungentuberkulose. Dr. T ach au (Graßl) . . 575
Lungenschüsse und Lungentuberkulose. Dr. Frischbier (Roepke) . 575
Heilung vorgeschrittener Lungentuberkulose und posttuberkulösc Bron-
chiektasie. Turban (Roepke) .575
Tuberkulose-Sprechstunden in Reservelazaretten; Lungentuberkulose nach
Kriegsdienst. Dr. »Sil b erglei t (Roepke) . ..577
Ambulatorische Tuberkuliotherapic. Götzl (Roepke).578
Ambulatorische Tnberkulinbebandlung. Laub (Roepke).578
Geschlecht und Tuberkulosesterblichkeit. Orth (Roepke).579
'Typus der Bazillen bei menschlicher Tuberkulose. Dr. MöllerstRoepke) 580
Alkoholismus und Tuberkulose. Dr. Kathreiner (Graßl) .... 581
21. Lupus.
Tätigkeit der Lupuskotnniission des Deutschen Zentralkomitees zur Be¬
kämpfung der Tuberkulose in 1914. (Roepke).242
22. Geschlechtskrankheiten, Prostitution.
'Todesfälle nach Salvarsan. Dr. Lube (Roepke) . 26
Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der
Geschlechtskrankheiten. (Hofimann). 5 t
Bestrafung des Geschlechtsverkehrs Venerischer. Blaschko (Roepkei 78
Diagnostischer Wert der Gonokokkenvakzine. Prof. Asch und stad. med.
Adler (Graßl). 79
Ausfall der Wa. R. bei größeren 8erummengen. Dr. Fischer (Roepke) 170
XII Inhalt.
S«*ilc
Geschlechtskrankheiten in Breslau während dos ersten Kriegsjahrcs.
Dr. Chotzen (Graßl).170
Vorübergehende positive Wassermannreaktion. Dr. S t ü m p k c (Quadflieg) 2<»9
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, Beratungsstelle für Geschlechts¬
kranke. Dr. Lilienthal (llofftnann).263
Syphilis, Krieg und Geschlechtskrankheit. I)r. Jtichtcr (Hollmnnn) 263
Zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten.263
Prostituiertenüberwachung. Dr. ßlaschko (Rpd.l .459
Prostitutionspolitik nach dem Kriege. Dr. Güth (Bpd.).460
Wassermannschc Reaktion, Bpinalpunktion und Kutanreaklion bei Spät¬
syphilis. Prof. Bruhns (Rocpke) .485
lfarnröhrensekret- und Flockenuntersuchung zur Feststellung der
Gonorrhoeheilung. Dr. G a n s (Rocpke) .487
Ausscheidung des Salvarsans nach intravenöser Injektion. Dr. ötern
(Boepke).487
Gleichzeitige Anwendung von Salvarsan und Quecksilber. Dr. Treupel
(Roepke).488
Prostitution jugendlicher Mädchen in München 1915. I« upp recht(Graßl) 560
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. Dr. l'rinzing und Dr.
Herzfeld (Wolf) .615
Anzcigepflicht der Geschlechtskrankheiten. Prof. Bla sch ko (Wolf) . 615
Folgen einer intramuskulären S.ilvarsaninjoktion. Dr. Po 11 and (Mayer) 747
Fürsorge für die aus dem Felde heimkehrenden gcschlcchtskrankcn Eisen¬
bahner. Dr. Herrnberg (Wolf) . 747
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. Dr. v. Zumbusch und Dr.
Dyrott (Graßl). 747
23. Wundinfektionskrankheiten.
Spiittetanus nach Antitoxin-Injektion. Dr. Ten tsch 1 aende r (Bocpke) 51
Fibrillcntheorie, Toxin- und Antitoxinwanderung beim Tetanus. A s c h o f f
und Robertson (Bocpke). 168
Zur Tetanusfragc. Dr. Menzer (Bocpke). 170
Tetanus-Schutzimpfung. Dr. Löwenstein (Mayer).460
Blulbefund bei Tetanus. Dr. Grote (Roepke).560
Stand der Tetanustherapie. Dr. Kaiser (Bpd.i.560
24. Kropf.
Pnlcrsuchungen über den endemischen Kropf in Binern. Dr. Wcichardt
und Dr. Wolf f (Graßl).‘.210
25. Krebs und sonstige Geschwülste.
Heilungsvorgänge iul Karzinom, Anregung zur Behandlung. Dr. B i b b e r t
(Roepke).265
Krehsepidcmiologische l'ntersucbungen. Dr. 11 i 1 lenberg (Bpd.) . . 266
26. Milzbrand.
Milzbrandnu ningitis. Dr. v. Czy hla rz (Mayer) .461
27. Sonstige Krankheiten.
Akute Darmerkrankungeu im Felde. Dr. Strasb u rge r (Quadflieg) 52
Thermopräzipitinreaktion bei Pncnmokokkrninfektion. Dr. Schürmann
(Roepke).^ . . . . 171
Durch Bakterium coli verseuchte Trinkwasserbrunnen als Ursache von
Broncho-Pneumonien. Dr. Windrath (Quadflieg) ..... 210
Infektionen mit fusiformen Bakterien. Prof. G hon und Roman (Quadflieg» 211
28. Desinfektion und Bekämpfung von Fliegen und
anderen Insekten.
Versuche mit Ungeziefermitteln. Dr. Rabe (Bernstein). 52
iDesinfektion phthisischen Auswurfs. Dr. Kirstein (Bpd.) .... 4SS
.PniformaP-Desinfektor. Krüger (Wolf) .6P>
Inhalt. ■
xin
Seite
Fahrbare Entseuchungsmaschinen. (Wolf).748
Ansschwefeln von Räumen. Dr. Schmid (Wolf).74S
Bekämpfung der Läuseplngo. Dr. Kauf mann (Solbrig).748
F. Hygiene und Öffentliches Gesundheitswesen.
1. Wohnungshygiene, Heizung, Lüftung.
Innenausbau der Kleinwohnungen. Dr. Rosentbal (Hoffmann) . . . 52
Wohnungsnot. Dr. Feilchenfeld (Hoffmann).242
Wohnungsverhältnisse in Stadt und Land. Dr. Kürten (Hanauer) . . 748
2- Bekämpfung der Staubplage, StraBenhygiene.
Staubfreies Absaugen der Flugasche. (Wolf). 53
Staubbekämpfung mit Lösungen. Dr.-Ing. Scheu er m a n n (Wolf) . . 102
TeeTzementpflaster. Absolon (Wolf).211
3. Wasserversorgung.
Ein neuer Sandfiltertyp. Heller (Wolf). 79
Prüfung tragbarer Wasserfilter. Dr. Spitta (Roepke).103
Desinfektion kleinerer Trinkwassermengen durch chemische Mittel. Dr.
S p i t ta (Quadilieg).172
Katacidtabletten. Dr. Weichardt (Quadfiieg) .172
chemische Verfahren, kleine Mengen Trinkwasscr zu entkeimen. Dr.
Weichardt und Dr. Wolff (Rpd.).375
4. Beseitigung der Abfallstoffe und Abwässer; Reinhaltung
der Flüsse.
Die Abwässerfrage. Dr. Niebling (Wolf). 53
Bedürfnisanstalten. Dr. Roh 1 and (Wolf) . 105
Beseitigung der Gerbereiabwässer. Dr. Abel (Roepke).1<>5
Abwasser-Kläranlage einer Tuch- und Flanellfabrik. Bannert und
Spanner (Wolf).242
Abwässerpflege und Milzbrand. Dr. Rohland (Hoffmann).243
Die Abwasserfrage IV. Dr. Rohland (Wolf).207
Verunreinigung des Weserwassers durch Kali-Abwässer. Dr. A b el (Rpd.) 375
Rhein wassern ntersuchungen. Dr. Oantzlcr und Dr. Splittgerber
(Rpd.). 376
5. Hygiene der Nahrungs* und Genußmittel
und Gebrauchsgegenstände.
Kleine Scblachthausanlagen. Schmidt (Wolf). 79
Schlachthofanlage der Kleinstadt. Morgenstern (Wolf).105
Die Frischerhaltung von Lebensmitteln, stetefeld (Roepke) ... 172
Entspricht die Broterzeugung den modernen Forschungen 't Dr. S t o k 1 a s a
(Roepke).173
Beurteilung der Dänne bei Tuberkulose der Gekröslympbdrtlsen. Prof.
Bongert (Roepke).174
Fleiscbbygiene in Nordamerika. Dr. Poztolka (Wolf).176
Phospborsäuren zur Herstellung von Brauselimonaden. Dr. Heffter,
Dr. Juckenack und Dr. Finger (Rpd.).376
Pilzvergiftungen 1916.377
Verkehr mit Milch in großen Städten. Dr. Niederstadt (Rpd.) . . 406
Lobecksches Milchsterilisierungsverfabren. Schmitz (Quadflieg) . . . 406
Resorbierbarkeit der Nährhefe. Rnbner (Graßl).462
Oemttsenahrung und Gemüseküche. I)r. Sternberg (Rpd.) .... 488
Brühe aus zerschlagenen und gemahlenen Knochen. Dr. Gottheil (Rpd.) 749
6. Gewerbehygiene.
Die gesundheitlichen Verhältnisse in den Vergoldereien (Wolf) ... 106
Lungenerkrankungen der Steinhauer. Dr. Koclsch (Wolf) .... 106
Hirnerweichung bei Lokomotivführern selbst nach voraufgegangener
Syphilis als Unfallfolge. Dr. Sternberg (Wolf).106
XIV Inhalt.
ft.-it«-
Klinische und sozialmedizinische Arbeiten aus Genossenschaftskranken¬
kassen. Dr. Schiff (Wolf).106
Ausscheidung gewerblicher Gifte durch Atmung. Dr. Bambousek (Wolf) 243
Elektrische Zweizellenbäder bei Bleikranken. Dr. Böttrich (Wolf) . 243
Basierstubenhygiene. Dr. Oxenius (Bpd.).267
Toxikologie des Tetrachlormethans und des Tetrachloräthans. Dr.
Koelsch (Wolf).268
Ein neues Aeschereiverfahreu für Gerbereien Dr. Naske (Wolf) . . 268
Hautschädigungen durch Kalkstickstoff. Dr. Koel sch (Wolf) . . . 461
Arbeiterinnen und jugendliche Arbeiter während des Krieges. Körner
(Wolf).462
Eine Zellnloidexplosion, deren Ursachen und Folgen, Aufgaben der Aerzte
bei Katastrophen. Dr. Zangger (Wolf).489
Die Gewerbeinspektion im Felde. Dr. Bender (Wolf).489
Maßnahmen für die Gesundheit der Zinkhüttenarbeiter, Dr. Fischer
(Wolf).617
Explosion einer Azetylenverdichtungsanlage. Bleyl (Wolf) .... 617
Azetylen zur Dichteprüfung von Bohrleitungen. Klebe (Wolf) . . . 647
Genehmigungspflichtige Anlagen. Dr. Mansfeld (Wolf).749
7. Elsenbahnhygiene.
Periodische Untersuchungen des Eisenbahnpersonals. Dr. Gilbert,
T\_ T> L - J _ T* 1 _1_ / ITT. 1 n« -t Ar?
8. Mutterschutz, Säuglings- und Kleinkinderfürsorge, Haltekinderwesen.
Wohlstand und Säuglingssterblichkeit. Dr. Klehmet (Wolf) ... 53
Bedeutung der Mütterberatungsstellen. Dr. Langstein (Wolf) . . 53
Säuglingsschntz und Beickswochenhilfe. Blaustein (Wolf) .... 53
Mutterschafts-Versicherung. Dr. Meyer (Hoflmann). 54
Kriegsfürsorge für Mutter und Säugling (Wolf).176
Die Säulingsfürsorgestelle in Weißenfels 1914. Dr. Oschmann (Wolf) 176
Zehn Jahre Säuglingsfürsorge in Charlottenburg. Dr. Bendix (Wolf) . 176
Säuglingssterblichkeit und Volksernährung.176
Offene Säuglingsfürsorge im Krieg und Frieden. Dr. Kettner (Wolf) . 212
Die „Kriegsneugeborenen®. Dr. Langstein (Wolf).269
Milchbedarf des Kindes, Aetiologie und Behandlung der Bachitis. Dr.
Feer (Quadflieg).269
Larosan und Säuglingsfürsorgestellen. Dr. Oschmann (Wolf) . . . 427
Säuglings- und Kleinkinderpflege im Unterricht der weiblichen Jugend.
Dr. Lief mann (Wolf).427
Förderung der Säuglings- und Mutterfürsorge durch Staat und Beich.
Dr. von Behr (Wolf).428
Säuglings- und Kleinkinderfürsorge in Sachsen.428
Bewertung der Sänglingssterblichkcitsziffern. Dr. Szana (lloepke) . . 433
Die Kinder- u. Säuglingssterblichkeit in Oesterreich. Dr. Bosenfeld (Bpd.) 433
Statistik des Kleinkinderalters. Dr. Guradze (Bpd.).434
Die „Kriegsneugeborenen“. Dr. Kettner, Dr. Langstein, Dr. Ben¬
dix, Dr. Misch und Dietrich (Wolf).490
Das ABC der Mutter. Dr. Brauer (lipd.).517
Gesetzlicher Säuglings- und Mutterschutz in Norwegen. Herzfclder
(Wolf).648
9. Schulhygiene.
Billige Solbadekuren für Schulkinder. Dr. Axmann (Solbrig) ... 26
Fortbildungskurse für Schulärzte. Dr. Matzdorff (Solbrig) .... 26
Tätigkeit des Stadtarztes während des Krieges. Dr. Gastpar (Solbrig) 27
Das erste Kriegsjahr und die großstädtischen Volksschulkinder. Dr.
Kettner (Roepke). 27
Schalarztwesen in Oesterreich. Dr. Burgerstein (Wolf). 80
Einflaß von Krankheiten auf Wachstum und Ernährungszustand. Dr.
Thiele (Roepke). 80
Inhalt.
XV
Seite
Ernährungszustand der Schalanfänger im Kriegsjahr 1915. Dr. Hepner
(Solbrig).148
Das Sehen mit einem Auge. Lobsien (Solbrig).148
Aerztliche Erfahrungen am Schalkindergarten za Dortmand. Dr. Stein¬
haus (Solbrig).243
Verbreitung des Schularztwesens in Oesterreich. Bargerstein (Solbrig) 244
Mitteleuropäische Gemeinschaft für Schalgesundheitspflege. Lorentz
(Solbrig).244
Freilufterziehung. Weinberg (Hoffmann).4<>2
Die Körperkonstitation der ostprenßischen Schalkinder. Dr. Kisskalt
(Roepke).490
Zar Minderang der Kindersterblichkeit an Infektionskrankheiten. Dr.
Pf and ler (Graßl).517
Keimgehalt der Loft in Dorfschulen. Pietsch (Solbrig).618
Ohrenärztliche Beobachtungen in den Volksschalen Augsburgs. Dr.
Bachaaer (Solbrig).618
Sommerzeit and Schalanfang. Dr. Langer ha ns (Solbrig).750
Moderne Sexualpädagogik. Dr. Sonnenberger (Solbrig).750
10. Jugendfürsorge, Jugendspiele und Leibesübungen.
Aerztliche Beobachtangen bei einem Armee-Gepäckmarsch. Dr. Thiele
(Roepke).'. 28
Jagendhygiene nach dem Kriege. Prof. Moldenhaaer (Solbrig) . . 28
Vaterländische and militärische Erziehung der Jagend. Kemsies (Rpd.) 28
Zehn Jahre Fürsorgearbeit (Hoffmann). 54
Jugendfürsorge und Lehrerschaft. Dr. Altschul and Heller (Solbrig) 435
Erziehung zur Wehrtiiehtigkeit. Dr. Wimmenaaer (Solbrig) . . . 463
Jngendpflege. E. B. (Hoffmann).617
11. Krankenanstalten und Krankenfüraorge.
Zentrale Krankenhnnsbelüftnng. Dr. Rasser (Wolf).270
Verringerung der Krankenhaasbaukosten. Spinner (Rpd.).270
Luxus in Krankenhausbauten. Voggenberger (Rpd.).271
Ledigenheim Charlottenbarg (Hoffmann).463
Krankenhauspflege als Leistung der Krankenversicherung. Dr. Wille
(Hoffmann).490
Kriegslazarette ehemals and heate. Doggenberger (Hoffmann) . . 491
Das städtische Tuberkulose-Krankenhaus. Dr. Braeuning (Roepke) . 581
12. Krlegsbeachldlgtenfüraorge.
Merkblatt für Kriegsverstümmelte. 80
Beschäftigungsaussichten der Kriegsbeschädigten. Schlüter (Wolf) . H)
Kriegsbeschädigtenfürsorge und Diensttauglichkeit. Dr. Herzfeld (Wolf) 107
Aerztliche Fürsorgesprecbstnnden. Dr. Curschmann (Wolf) . . . 107
Uebangsschalen für Hirnverletzte. Prof. Goldstein (Wolf) .... 107
Technische und hygienische Berufsberatung für Kriegsverletzte. Fischer
(Wolf) .*.306
Kriegsblindenfürsorge. Dr. Feilchenfeld (Roepke).307
Hentensacht der Kriegsbeschädigten Horion (Wolf).307
Invalidenfürsorge in Ungarn. Dr. Ferenczi (Wolf).308
Kapitalisierung von Kriegsrenten. Dr. Horn (Roepke).308
Kriegsbeschädigtenfürsorge.492
Ansiedlung Kriegsbeschädigter. Hans Würtz (Wolf).49t
Kriegsinvaliden als Siedler. Hans Ostwald (Wolf).494
Problem der „willkürlich beweglichen künstlichen Hand“. Dr. Poch-
bammer (Roepke). 494
Der Arzt als sozialer Helfer; Arbeitsbehandlung, Unterricht und soziale
Förderung in Lazaretten. Dr. Hartwig (Itehberg).618
Kriegsinvalidenfürsorge in Nürnberg. (Rebberg). 619
ChirargUche and allgemeine Kriegsbeschädigtenfürsorge. Dr. König
(Rchberg) ..619
XVl Inhalt.
Seile
Die Hand und ihr Ersatz. Dr. Bonnet (Rehberg).620
Werkstätten für Erwerbsbeschränkte. Lohmar (Rehberg).620
Staatliche Kriegsinvaliden-Fiirsorge. Dr. Köhler (Rehberg) .... 621
Berufsberatung der Kriegsbeschädigten. Derdock (Wolf) .... (521
Berufsausbildung Kriegsbeschädigter. Prof. Böhm (Wolf).622
Ansiedlung der Kriegsbeschädigten. Dr. Keup, Mayer und Wölb-
ling (Rehberg).64S
Kriegsbeschädigte, Unfall verletzte und Arbeit. Dr. Ewald (Solbrig) . 716
Das Mannheimer Schulsystem der Kriegsbeschädigten. Dr. Sicki n ge r)
(Hoffmann).717
13. Blindenfürsorge.
Blindenwesen und Kriegsblindenüirsorge. Dr. Bielschowsky (Rpd.) 407
Blindenanstalten und Blindenfürsorge. Dr. Behla (Rpd.).407
14. KrüppelfUrsorge.
Krüppel. Dr. Jacoby (Hoffmann).716
15. Soziale Hygiene.
Einfluß des Krieges auf Ernährung und Gesundheit. Dr. Z u n tz (<)uadflieg) 45
Siedelungsreform. Dr. v. G ruber (Graßl). 81
Leitsätze fiir Wohnungs- und Siedelungsreform. (Graßl) . 82
Die gesundheitlichen Aufgaben nach dem Kriege. Dr. Fi sc h e r (Wolf) 107
Aufgaben der Hevölkernngspolitik. Winter (Roepke).177
Oeburtenbewegung in Wien. Richter (Roepke).178
Die Bevölkerungsfrage. Dr. Richter (Roepke).244
Der Geschlechtsbruch in der Bevölkerungsstatistik. Dr. v. Eyk (Wolf) 24b
Einflnß der kriegsmäßig veränderten Ernährung. Somrnel (Koepke) . 245
Ernährung der Kopfarbeiter. Dr. Hindhede (Hoffmann).245
Besserung des Zahnelends. Kuhnert (Roepke) .272
Wohnrenten für Kinderreiche durch Sparpflicht. Dr. Schmittmann
(Graßl).278
Geburtenrückgang in Posen. Dr. Larass (Rpd ).273
Literatur des Geburtenrückganges. Dr. Würzburger (Rpd.) . . . 274
Kommende Wohnungsnot. Dr. Buetz (Hanauer).436
Erhaltung der Volkskraft. Dr. Lublinski (Hoffmann).494
Krieg und Geburtenrückgang. Dr. Altschul (Wolf) .495
Gründe und Bedeutung des Geburtenrückganges. Dr. v. Hövel 1 (Rpd.) 518
Staatliche Mütterfürsorge und der Krieg. Dr. Fischer (Rpd.) . . . 518
Massenspeisungen der Hamburgischen Kriegsküchen. Dr.Fürst(Rocpke) 518
Sündliche Aiumen-Miete. Jördensen (Graßl).582
Mangelhafte Ernährung nls Ursache von Sexualstörungcn bei Frauen.
Dr. v. Jaworski (Mayer).583
Bedeutung der Konstitutionsanomalien und -krankheiten für den Gvnae-
kologen. Dr. N ovak (Mayer).583
Einfluß des Krieges auf die erblich-organische Höherentwicklung. Dr.
Vaerting (Wolf).584
Ans der „Deutschen Gesellschaft für Bevölkernngspolitik“. (Graßl) . 584
Periodische Untersuchung Gesunder. Dr. Sonnenberger (Hoffmann) 535
Einwirkung der Kriegsfürsorge auf die Volksgesundheit. Dr. Gottstein
(Roepke).622
Die Umwertung des Bevöikerungsproblems. Dr. Schloßmann (Wolf) 648
Periodische ärztliche Untersuchung und Lebensversicherung. Dr. Lilien-
thal (Hoffmann).649
Bedeutung der wirtschaftlichen Verhältnisse für die Stärkung unserer
Volkskraft. I)r. Nissie (Graßl). 717
Kindcrlosensteuer und staatliche Kinderversicherung. Dr. Walter Zahn
(Graßl). 717
Zweikindersystem in Frankreich. Dr. Mansche (Hanauer).718
Gesetzliche Unterstützung kinderreicher Familien in Frankreich. Dr. Z a li n
(Wolf) .718
Inhalt. iVÜ
Seile
16. Statistik.
Die Bevölkerung in Luxemburg, Niederlande, Norwegen von 1900—1910.
Dr. Roesle (Rpd.). 29
Mord, Totschlag, Hinrichtungen in Preußen 1909 bis 1913. 56
Todesursachenstatistik für 1912. Dr. Prinzing (Wolf).107
Hevülkerungsregister in den Niederlanden. Dr. Reitsma (Wolf) . . 108
Bevölkerung in Oesterreich-Ungarn in 1900—1910. Dr. Roesle (Wolf) 108
Bewegung der Bevölkerung in Preußen 1913/14.178
'iebartenhiiufigkeit und Säuglingssterblichkeit in Großstädten .... 275
Hewegung der Bevölkerung in Preußen 1913 und 1914 (Rpd.) .... 519
Medizinische Statistik des Hamburgischen Staates für 1914 (Rpd.) . . 520
iJeburtenhäutigkeit und Säuglingssterblichkeit in deutschen Großstädten
(Rpd.).520
l>ie Bevölkerung in Portugal 1900—1910. Dr. Roesle (Wolf) . . . 622
Bevölkerungsstatistik vor dem Weltkriege.750
17. Medizinalbeamte und öffentliches Gesundheitswesen.
Das Gesundheitswesen im Gebiete des Generalgouvernements Warschau 179
Zersplitterung der Gesundheitsfürsorge. Der Ascher (Roepke) . . . 522
Zersplitterung der Gesundheitsfürsorge. Dr. Sieveking (Roepke) . . 622
18. Apothehenwesen, Arzneiversorgung, Verkehr mit Giften.
Pharmazeutische Rundschau. Dr. W i n c k c 1 (Roepke).212
Kriegspreise der Arzneimittel. Fühner (Roepke).523
Verfälschung von Medikamenten in Rußland. (Hoffmann).523
l’arglyzerin und Perkaglyzerin. Dr. Wechselmann (Roepke i . . . 623
>eifenersatz. Oppenheimer (Graßl). 524
19. Hebammen.
Wünsche für das Hebammenwesen. Dr. Riß mann (Rpd.).378
Aussichten der Hebammenreform. Dr. Rißmann (Rpd.).585
20. Niederes Heilpersonal.
Ausbildung des Pflegepersonals. Dr. Patschke (Rpd.).272
21. Begräbniswesen.
Prinzipien des Bestattungswesens, Schicksal der Leichen auf den Schlacht¬
feldern. Dr. Müller (Rpd.).649
III. Besprechungen. 1 )
Abel, Prof. Dr.: Bakteriologisches Taschenbuch (Rpd.).309
Bach, H.: Bestrahlungen mit der Quarzlampe (Gumprecht) .... 82
Bachem, Prof. Dr : Deutsche Ersatzpräparate für pharmazeutische
Präparate des feindlichen Auslandes (Rpd.).496
Bierbach, Dr.: Fischers Kalender für Medizin (Rpd.). 57
Brauer, Prof. I>r.: Erkennung und Verhütung des Fleckfiebers und
Rückfallfiebers (Rpd.).3!0
„ „ „ Deutsche Krankenanstalten für körperlich Kranke
(Rpd.).753
v. Buchka, Prof. Dr., Kerp, Dr. und Paul, Dr.: Nahrungsmittel¬
chemie (Rpd.).340
„ „ „ Das Lebensmittelgewerbe (Rpd.) .463
Dethleffsen s. Feldarzt.
Dornblüth, Dr : Gesunde Nerven im Frieden und Krieg (Roepke) 149
Eisenstadt, Dr.: Beiträge za den Krankheiten der Postbeamten (Rpd.) 496
Feldarztes Taschenbuch IV. Teil: Dr. Lipp, Untersuchungsmethoden für
Lazarette usw., V. Teil: Dr. Plath und Dr. Dethleffsen: Die
physikalische Therapie im Feld- und Heimlazarctt (Hpd) . . . 409
') Die Namen der Referenten sind in Klammern beigefügt.
XVIII
Inhalt.
212
Gaertner, Prof. Dr.: Die Hygiene des Wassers (Rpd.).
Geith, Hans: Herstellung pathologisch -histologischer Präparate und
Zusammenstellung der gebräuchlichsten Färbmethoden (Rpd.) . .
Granier, Dr.: Lehrbuch für Heilgehilfen usw., bearbeitet von Dr.
Httttig (Rpd.).
Griesbach, Prof. Dr.: Physiologie und Hygiene der Ernährung (Rpd.)
Ha mack, Prof. Dr.: Die gerichtliche Medizin mit Einschluß der
Psychiatrie und der Beurteilung von Versicherungs- und Unfall¬
sachen (Rpd.)..
Hebammenkalender, Deutscher (Rpd.).
Hü ttig, s. Granier.
Joachim, Dr. und Korn, Dr.: Die preußische Gebührenordnung für
Aerzte und Zahnärzte (Rpd.).
Kaufmann, Dr.: Handbuch der Unfallmcdizin (Rpd.).
Kerp, s. v. Buchka.
Klut, Dr.: Untersuchung des Wassers an Ort und Stelle (Schultz-
Schultzenstein) .
Kommunalwirtschaft und Kommunalpolitik, Schriften des Vereins für
(Rpd-).
Korn, s. Joachim.
Langstein, Prof. Dr.: Gesunde Kinder in den Spiel-, Schul- und Ent¬
wicklungsjahren (Rpd.) .
L i p p, s. Feldarzt.
Lohmar, Paul: Schattenseiten der Reichs-Unfallversicherung (Gasters)
Medizinal- und Veterinär wesen in Sachsen, Jahresbericht (Rpd.) . . .
Meyers großes Konversationslexikon, 2. und 3. Jahressupplement (Roepke >
Orlowski, Dr.: Hausarztkalender (Rpd.).
Paul, s. v. Buchka.
P1 a t h, 8. Feldarzt.
Pranssnitz, Dr.: Grundzüge der Hygiene (Rpd.).
Richter, Prof. Dr.: Gesundheitspflege der Nieren-und Harnorgane (Rpd.)
Salge, Prof. Dr.: Therapeutisches Taschenbuch für die Kinderpraxis
(Rpd.).
Salomon, Dr.: Taschenbuch mit Anleitung für die klinisch-chemischen
und bakteriologischen Untersuchungen (Rpd.).
Sanitäre Kriegsrüstung Deutschlands (Rpd.).
Sauerbruch, Prof.: Die willkürlich bewegliche künstliche Hand (Rpd.)
Schnirer, Dr.: Taschenbuch der Therapie (Rpd.).. .
Schrakamp, Dr.: Fürsorge- und Versorgungsansprüche der Kriegs¬
beschädigten (Roepke).
Ti lim ans, Dr.: Die chemische Untersuchung von Wasser und Abwasser
(Rpd.).
Vaerting, Dr.: Mutterpflichten gegen die Ungeborenen (Rpd.) . . .
Waibel, Dr.: I^eitfaden für die Nachprüfungen der Hebammen (Graßl)
Wasser- und Gaswirtsehaft, Vereinschriften des Vereins für (Rpd.) . .
Wolf, Dr.: Improvisationen von Dampfdesinfektionsapparaten (Roepke)
Würtz, H.: Der Wille siegt (Rpd.i.
561
495
311
339
58
409
340
213
342
342
689
3i »9
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7 ;>2
496
310
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378
108
341
562
689
497
108
30
Tagesnachrichten.
A us dem Reichstage, dem Rundesrate und den Reichsämtern usw.:
Herabsetzung der Altersgrenze bei der Invalidenversicherung 182, 246,
311, 378
Wirtschaftliche Kriegsmaßnahmen 182, Etat.246
Sicherung der Ernährung 410, 651, Rcvölkerungspolitik .... 587, 663
Vaterländischer Hilfsdienst.719, 753
Aus dem preußischen Landtage:
Medizinaletat. 58
Ansiedlung von Kleingütern. 149
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten.214, 378
Ernährungsfrage.. . 719. 753
Wohnungsgesetz. 753
Inhalt.
XIX
Seile
Ans anderen gesetzgebenden nsw. Körperschaften:
Sitzung des Sächsischen Landesgesnndheitsamts. 345, 438
Ehrentafel 31, 63, 83, 111, 151, 181, 215, 248, 279, 312, 347, 383, 411, 440,
467, 499, 525, 563, 587, 623, 654, 691, 721, 755.
Ehrengedächtnistafel 32, 64, 84, 112, 152, 184, 216, 248, 280, 312, 348, 383,
412, 440, 467, 499, 525, 564, 588, 624, 664, 691, 723, 755.
Aussatz. 84
Focken 64, 84, 112, 152, 184, 216, 248, 280, 348, 384, 412, 469, 500, 526, 564,
588, 655, 723, 755.
Cholera 32, 64, 84, 112, 152, 184, 216, 248, 289, 348, 384, 412, 468, 500, 626,
564, 588, 655, 723, 755.
Fleckfieber 64, 84, 112, 152, 184, 216, 248, 280, 348, 384, 412, 468, 500, 526,
564, 588, 655, 723, 755.
Obertragbare Krankheiten, Wochenübersichten: 32, 64, 84, 112, 152, 184, 248,
312, 348, 384, 412, 440, 468, 500, 526, 564, 688, 624, 655, 692, 728, 755.
Kongresse und Versammlungen;
Deutsche Vereinigung für Krüppelfiirsorgc.62, 109
Dcotscher Kongreß für innere Medizin. 111, 150, 183, 846
„ „ „ Krüppelfiirsorgc.498
Deutsche Gesellschaft für soziale Hygiene.279
Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose . . . 279
Konferenz für Trinkerfürsorge. 347
Deutscher Verein für öffentliche Gesundheitspflege.847
Zentralstelle für Volkswohlfahrt.411, 654
Deutscher Verein für Psychiatrie.467
Landeskonferenz und Landeszentrale für Säuglingsschutz .... 623
Personalien: Hirsch 382, Pfeiffer 149, Pollitz 721, Richter 215,
t. Scbj erniüg .411
Todesfälle: Doebert 215, Dütschke 524, Fehrs 247, Fränken 62,
Leabuscher 149, Ntinninghoff 655, Philipp 111,
Richter 524, Wallichs62, Wiedner 439.
Zivilärzte, die nicht gedient haben .. 30
Deutsche Arzneitaxe. . 30, 278, 811
Keuchhustenserum. 80
neilerfolge bei den Verwundeten. 30
Friedrich-Bathildis-Medaille. 31
Qesundheitsbericht für 1914/15. 61
Vertraglich verpflichtete Zivilärzte. 61, 247, 437
König Ludwig-Kreuz. 62
Geheimmittel, Kurpfuscher. 82
Fahrpreisermäßigung der Fürsorgeschwestern für Lungenkranke ... 83
Neuwahl des Reichsgesundheitsrats .108
Verbot der Herstellung von FleisChkonservcn.109
Prüfstelle für Ersatzglieder.109
Verlänmdnngen deutscher Lazarettärzte.110
Ehrenmitglieder der Deutschen Orthopädischen Gesellscbnft.111
Jnbiläumsstiftang des Deutschen Lcbrervereins.Ul
Zuwendung an das Bulgarische Rote Kreuz.111
Medizinisch-biologische Gesellschaft.111
Errichtung eines kriminalistischen Instituts.149
Stillgeld bei Mehrgebnrten.149
Beratnngsstelle für Geschlechtskranke in Bremen.150
Badische Gesellschaft für Soziale Hygiene.150
Preisausschreiben der Gesellschaft für Rassenhygiene.150
Gegen die Zersplitterung der Kriegswohlfahrtspttcge.150
Inv&lidenversichernngspflicht freiwilliger Kriegsschwestern.150
Vertrieb der Broschüre eines Kurpfuschers durch das Rote Kreuz . 150
Sachverständigenkonferenz über Prostitution und Geschlechtskrankheiten 214
Inhalt.
Xx
Aenderung der Kreisarztbezirke Cöln.215
Fleischversorgung. 247, 211, 488
Gesundbeten and christliche Wissenschaft.247
Kaiser Wilhelm - Institut für Biologie.278
Nahrangsmittelfragen Groß-Berlins vom ärztlichen Standpunkt .... 811
Ehrenkreuz für freiwillige Wohlfahrtspflege. 311
Denkmal fiir Robert Koch.312, 346
Kriegsernährungsamt.343
Verkehr mit Seife.344
Pockenimpfung in Luxemburg. 345
Tuberkulosefürsorge im Mittelstände.347
Erhaltung und Mehrung der Volkskraft.347
Geburtenrückgang.382
Deutschlands Spende für Säuglings- und Kleinkinderschutz.383
Preisausschreiben filr künstliche Beine.383
„ über eine medizinische Leistung aus dem Gebiete der
Volksernährung in Kriegs Zeiten.411
Ausstellung für soziale Fürsorge in Brüssel.411
Kapitalabfindung für Militärrenten.437
Aerztliche Sachverständige für den Beirat des Kriegsernährungsamts . 438
Erhöhung der Post- und Telegraphengebühren.438
Geburtenrückgang in Frankreich.. . 439
Preisausschreiben für Heilung von Herzkrankheiten nach (ielenkrheuma-
tismus.439
Aufruf des Kriegsernährungsamts.465
Kriegswucheramt.465
Zentralhilfsstellc für Krankenornährung in Berlin 466
Sicherung der Ernährung. 497
Erreger des Flecktyphus.524
Kreisarztprüfungen 1910—1916.562
Ergänzungsausbildung der notgeprüften Acrztc.562
Herabsetzung der Kriegsbesoldung.586
Des Kaisers Fürsorge für die Zukunft des Volkes.650
Förderung der Volksernährung durch den König von Bayern .... 651
Volksernährung. 652, 720
Wochenhilfe.653
Beratungsstelle für Kleinwohnungsbau.653
Feldhilfsärzte.653
Ober- und Assistenzärzte in Stabsarztstellen.653
Fünfzigjähriges Jubiläum des Vaterländischen Frauenvereins .... 690
Volkszählung .691
Röntgenabteilung der Unterrichtsanstalt für Staatsarzneikunde .... 692
Vereidigung der mit Kriegsstellen beliehenen Aerzte.719
Verdienstkreuz für Kriegshilfe.753
Einkleidungsbeihilfe für Unterärzte.752
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten.754
Y erschiedenes.
Jnbiläumsstiftung des Preußischen Medizinalbeamtenvereins .... 32, 467
Kalender für Medizinalbeamte. 588, 624, 655, 632, 724, 756
Sprechsaal. . 32, 500, 526, 655, 723, 756
Berichtigungen. 184, 216, 280, 500, 724
Mitteilnngen an die Leser. 64, 112, 152, 624, 692, 724, 756
Sach ^Register.
Abtreibung 117 ff., 281, in Ostpreußen
362, durch Gebärmutterauskratzung
597.
Abwässer, Reinigung durch Hamburger
Tropfkörper 40, Abwiisserfrage 53,
267, von Gerbereien 105, Kläranlage
einer Tuchfabrik 242, und Milzbrand
243, Untersuchung 341, Kalinbwässer
375, Rheinwasseruntersuchungen 376.
Albuminurie 16.
Alkoholismus 145, und Tuberkulose
241, 482, 581, Trinkerfürsorge 847,
421, Unfall und Delirium tremens
456, Gewährung ärztlicher Behand¬
lung Trunksüchtiger durch Kranken¬
kassen 709.
Ammen-Miete, sündlicbe 582.
Ammoniak, Vergiftung 704.
Amputation, Messung der Stümpfe 159,
Behelfsprothesen 455.
Angestelltenversielierung, der Bade¬
meister 97, der Schreiber 320, Bericht
über die Jahre 1913/15 458, der Heil¬
gehilfen 708, der Pflegerinnen in
Kinderheilstätten 709.
Arbeiterschutz 123, während des
Krieges 462.
Arbeitsnachweis für Kriegsbeschädigte
608.
Aronsbeeren, Giftigkeit 595.
Arteriosklerose und Unfall 687.
Arznei- und Geheimmittel, Ersatz¬
präparate 212, 496, Tuberkulose-
beilmittclschwindel 405, Kriegspreise
523, Verfälschung in Rußland 523,
Verkauf von Präcipitatsalbe 526, un¬
zureichende Gesetzgebung über den
Verkehr damit 533, Abgabe von
Schnupfpulver mit Cocain 656,
Karbolcreme, Rindermarkpomade,
Jodoformgaze, Warzenstifte, russ.
Knöterichtee 724.
Arzneitaxe 30, 278, 811.
Aerzte, der Ersatzreserve 30, vertrag¬
lich verpflichtete 61, 437, Steuer¬
pflicht 247, Verleumdungen deut¬
scher Lazarettärzte 110, Stellung,
Verdienste, Wünsche 115 ff., Ver¬
tretung durch Kandidaten 282, Ableh¬
nung als Sachverständigen 234, Haf¬
tung wegen Pflichtverletzung 235,
unbefugtes Offenbaren der Krankheit
eines Patienten 867, Gebührenord¬
nung 409, Taschenbuch über Unter-
snehungsmethoden 409, Aufgaben bei
Katastrophen 489, neue Aufgaben
501, Ergänzungsprüfung der not¬
ausgebildeten 562, Beteiligung an
Fürsorgebestrebungen 563, als soziale
Helfer 618, Beförderung zu Feld¬
hilfsärzten, Besoldung der Militär¬
ärzte 653, Vereidigung der mit
Kriegsstellen beliehenen 719, Ein¬
kleidungsbeihilfe für Unterärzte 753.
Arzttitel, Mißbrauch 728.
Auge, Erkrankungen im Felde 14, Ent¬
schädigung bei Linsenlosigkeit 17,
Sehen mit einem Auge 148, Schädi¬
gung bei Vergiftung durch Methyl¬
alkohol 233.
Aussatz, s. Tagesnachrichten S. XIX,
Verbreitung 370.
Auszeichnungen, Friedrich - Bathildis-
Medaille 31, König Ludwig-Kreuz 62,
Ehrenkreuz für freiwillige Wohl¬
fahrtspflege 311, Verdienstkreuz für
Kriegshilfe 753.
Azetylen, Explosion einer Verdichtungs¬
anlage 617, Prüfung von Rohr¬
leitungen 647.
Bademeister, Angestelltenversicherung
97, Lehrbuch 495.
Bakteriologie, Erfahrungen mitBöchsen-
agar 72, Nährböden 73, 163, Infek¬
tionen mit fusiformen Bakterien 211,
Taschenbuch 309, Bazillenträger und
Dauerausscheider 602.
Beamte, Kriegsbeschädigte 607.
Bedürfnisanstalten 105.
Beinamputierte, vorbereitende Behand¬
lung 71.
ßestattungswesen, Prinzipien, im Kriege
649.
Bevölkerung, in Preußen 178,. 519,
Politik 177, 244, 584, 687, Ge-
schlechtsbruch 245, in Portugal 622,
Umwertung des Problems 648,
XXII
Sach-Register.
Statistik Tor dem Weltkriege 750.
Biologie, Kaiser Wilhelm-Institut 278.
Blei, Zweizellenbäder für Bleikranke
243.
Blinde, KricgsblindenfQrsorge 307, 407,
609.
Blut, forens. Blutnachweis 303.
Botryomykose 228.
Bromoformvergiftung 477.
Broncho-Pneumonic durch verseuchtes
Wasser 210.
Brot, Art der Herstellung 173.
Brauselimonade, Phosphorsäuren 376.
Cholera, s.a Tagesnachrichten S.XIX,
bakteriologische Diagnose 33, Stuhl-
nntersuchung 370, Blutuntersuchung
371, Schutzimpfung 76, 97, 371, 480,
Exanthem 37 2, Schutz des Heeres
506, und Paratyphus 557, Behand¬
lung 558.
Darm, Behandlung von Erkrankungen
52, Krankheiten der Krieger 601.
Dermatologie, Anaphylaxie 261.
Desinfektion, Improvisation von Dampf¬
apparaten 108, des phthisischen Aus¬
wurfs 488, Uniformal-Desinfektor 616,
fahrbare Entseuchungsmaschinen 748,
Ansschwefeln 748, Bekämpfung der
Läuseplage 748.
Dinitrobenzol, Vergiftung 554.
Diphtherie, Bekämpfung 313,560, durch
Schulärzte 51, Nasendiphtherie 168,
8erumtherapie 209, sparsamer Blut¬
serumnährboden 374, Abtötung der
Bazillen mit Jodspray 374, Ver¬
breitung durch Papiergeld 374,
differcntialdiagnostiscbes Merkmal
426, Behandlung 427.
Kbeangelegenhelten, forensisch - psy¬
chiatrische Beurteil ang 646.
Ehren- und Ehrcngedächtnistafel s.
Tagesnachrichten S. XIX.
Eisenbahn, Untersuchungen des Per¬
sonals 81, 107, 270, Fürsorge für
aus dem Felde kommendegeschlechts-
kranke Beamte 747.
Eklampsie, Behandlung 402.
Elektrizität, Tod 565.
Entbindungsanstalten, private 6.
Epilepsie 601.
Erhängungstod 589.
Ernährung, Einfluß des Krieges 54,
245, der Kopfarbeiter 245, Physiologie
und Hygicue 341, Kriegsernäbrungs-
amt 343, Volksernährung 410, 497,
651, 652, 753, Preisausschreiben 411,
ärztliche Beiräte des Kriegsernäh-
rungsamts 488, Aufruf des Kriegs¬
ernährungsamts 465, von Kranken
466, u. Sexualstörungen der Frauen
583, Richtlinien zur 8ichcrstellung
719, 720.
Experiment am Menschen 258.
Fftrbcmellioden 561.
Familien 206, UnterbringunginFamilicn-
pflege 206, Vereinigung für Faroilien-
wohl 382, Fürsorge für die Familien
Kriegsbeschädigter 608.
Fleckfieber s. a .Tagesnachrichten S. X1X,
in Görlitz 22, Epidemie 22, Serum¬
reaktion 98, Erkennung 158, und
Unfall 236, Erkennung und Ver¬
hütung 340, 509, liautveründerungen
bei Meerschweinchen 401, klinische
und mikroskopische Untersuchungen
401, Therapie 458, Verbreitung durch
Kopfläuse 481, Erreger 524, Züch¬
tung des Bakteriums 559, Acliologic
559, 614, 711, Kombination mit
Unterleibstyphus 568, als Kricgs-
seuche 710, Entlausung 711.
Fleisch, Konserven 109, tuberkulöser
Tiere 174, Flcischhygiene in Amerika
176, Fleischkarten 247, 438, für
Kranke 311.
Fleischvergiftung 569.
Flieger, Tod 16.
Frauen in der Kriegsbcschiiditrton-
fttrsorge 608.
Gasbrand 572.
Gasödem 570, 571.
Gasphlegmone 573, 574, bei Verwunde¬
ten 46.
Gaswirtschaft, Vereinsschriften 497.
Gebärmutter, Abtreibung durch Aus¬
kratzung 597.
Gebührenordnung für Aerzte 407.
Geburten, Rückgang 113 ff., 273, 274,
518, in Frankreich 439, in Deutsch¬
land 472, in Wien 178, Statistik 276,
Rückgang und Krieg 495, Häufigkeit
in Großstädten 520, Zweikinder-
System in Frankreich 718.
Geheimmittcl, Bekämpfung 82.
Gehirnerweichung und Unfall 106.
Gehirnkrüppel, Uebungsschulcn 235.
Genickstarre 99, 262, Milzbrand¬
meningitis 385, 461, atypische und
abortive Formen 402, Infektion mit
gramnegativen Diplokokken 402,
Meningitis typhosa 425, Bekämpfung
458, Befunde beim Exanthem 615.
Gerberei, Aeschereiverfaliren 268.
Gerichtliche Medizin, kriminalistische
Institute 149, 363, Handbuch 339,
Kindesmord 36t, Familienmord 364,
Rohheitsverbrechen und militärische
Vergehen 365, Anrechnung des Auf¬
enthalts in der Irrenanstalt auf die
Sach-Register?
XXIII
Strafzeit 36(5, Beurteilung von Ehe-
Angelegenheiten 646.
Geschlecht und Tuberkulosesterblich¬
keit 579.
Geschlechtsbruch 245.
Geschlechtskrankheiten, Bekämpfung
51, 130, 214, 263, 378, 615, 653, 787,
747, 754, Bestrafung Venerischer 78,
Gonokokkenvakzine 79, Beratungs¬
stellen 150,W;tsserma»nscbe Reaktion
170, 208, in Breslau 170, Behandlung
der 8pätsyphilis 485, Feststellung
der Gonorrhoe 487, Ausscheidung
des Salvarsans 487, gleichzeitige
Anwendung von Salvarsan und
Quecksilber 488, Anzeigepflicht 615,
Fürsorge für aus dem Felde kom¬
mende Eisenbahner 747.
Geschosse, Vergiftung 158, Extraktion
durch Magnete 454.
Geschwür, charakteristisches, künstlich
erzeugtes 743.
Gesetzgebung und Kriegsbeschädigten¬
fürsorge 603.
Gesundbeten und christliche Wissen¬
schaft 247.
Gesunde, planmäßige Untersuchung 585.
Gesundheit, Einfluß des Krieges 54.
Gesundheitsbericht 61.
Gesundheitsfürsorge, Zersplitterung
150, 522, 622, Zentralisation (578.
Gesundheitspflege, s. Hygiene.
Gesundheitswesen, Warschau 170,
Kriegslehren 217.
Gewerbehygiene, Vergoldereien 106,
Steinhauer 106, Ausscheidung von
Giften durch Atmung 243, Zelluloid-
explosion 489, Gewerbeinspektion im
Felde 489, Schutzmaßnahmen für
Zinkhüttenarbeitcr 617, Explosion
einer Azetylenvcrdichtuugsanlage
617, genehmigungspflichtige Anlagen
749.
Gifte, s. a. Vergiftungen, Ausscheidung
durch Atmung 243.
Glyzerin, Ersatzmittel 523.
Gynäkologie, Bedeutung von Konstitu¬
tionsanomalien 583.
Hand, künstliche, willkürlich beweg¬
liche 494, 497, 620.
Handel, Unterbringung von Kriegs¬
beschädigten 607.
Handwerk, Kriegsbeschädigte 608, 611.
Harnorgane, Gesundheitspflege 496.
Hausarztkalender 57.
Haut, Schädigung durch Kalkstickstoff
461.
Hebammen, Kalender 58, Unterstützung
116, Wünsche für sie 378, Reform
585, Mitwirkung in der Säuglings¬
fürsorge 681, Leitfaden für Nach¬
prüfung 689.
Heilgehilfen, Lehrbuch 495, Ange¬
stelltenversicherung 708, der Pflege¬
rinnen in Kinderheilstätten 709.
Hcmerolopie im. Felde 14.
Herz, Röntgenuntersuchung 15, akzi-
dentiellc Geräusche 235, Preisaus¬
schreiben gegen Gelenkrheumatismus
439, Beurteilung leichter Störungen
454, Krankheiten bei Kriegern 507.
Hilfsdienst, vaterländischer 719, 753.
ninterbliebcnenfürsorge 605, 611.
Höherentwickelung, erblich-organische
durch den Krieg 584.
Hygiene, gesundheitliche Aufgaben
nach dem Kriege 107, in der Rhein¬
pfalz 625, Grundzüge 752.
Impfung, Ergebnisse 20, Bedeutung
im Kriege 208, in Luxemburg 345,
Dauer des Impfschutzes 614.
Incest 477.
Industrie und Kriegsbeschädigtenfür¬
sorge 605, 606.
Invalidenversicherung, s. a. Unfall,
Herabsetzung der Altersgrenze 182,
246, 311, 378, Stellung der Ver¬
trauensärzte 199, Ergebnisse 368.
Irre, Anrechnung des Aufenthalts in
der Anstalt auf die Strafe 366.
Jubiläuuisstlftung s. Tagesnachrichten
8. XIX.
Jugend, Unterricht in Säuglings- und
Kinderpflege 427, Erziehung zur
Wehrfähigkeit 463.
Jugendpflege 617, nach dem Kriege 28,
vaterländische und militärische Er¬
ziehung 27, Fürsorgearbeit 54, und
Lehrerschaft 435.
Kaiser, Fürsorge für die Zukunft des
Volkes 650.
Kalender für Medizinalbcamte 588,
624, 656, 692, 724, 766.
Kalkstickstoff, Hautschädigungen 461.
Keuchhusten, .Serum 30, Behandlung
238.
Kinder, Milchbedarf 269, in den Spiel-,
Schul- und Entwickelungsjahren 342,
Sterblichkeit in Oesterreich 433,
Statistik des Kleinkinderalters 434,
Vorschlag zur Minderung der Sterb¬
lichkeit 517, staatliche Kinderver¬
sicherung und Kinderlosensteuer 717,
Un te rs tö tzung kind erreicher Familien
in Frankreich 718.
Kindesleichen, Bestimmung des Lebens¬
alters 259.
Kindesmord, neuere Erfahrungen 361.
Knochen, Herstellung von Brühe 749.
Koch, Robert, Denkmal 312, 346.
Kommunalwirtschaft und -politik 342.
XXIV
Bach-Register.
Konversationslexikon 464.
Konstitationsanomalien, Bedeutung für
den Gynäkologen 583.
Kraftwagen, Toa durch Ueberfahren 65.
Krankenanstalten, Verbilligung 115,
270, Lüftung 270, Luxus 271,
Krankenhauspflege der Krankenver¬
sicherung 490, Kriegslazarette ehe¬
mals 491, Taberkulosekrankenhäu8er
681, für körperlich Kranke 753.
Krankenkassen, klinische und sozial¬
medizinische Arbeiten der Aerzte 106,
mediko-mechanische Behandlung 202,
Bezahlung ärztlicher Zeugnisse 203,
Mehrleistungen 205, Zabnplombcn
206, Begriff „Familie“ 206, Pausch¬
betrag für Krankenpflege 207, Sterbe¬
geld bei Totgeburten 207, Gewährung
größerer Heilmittel 304, Offenbaren
der Krankheit an Andere 367, Er¬
stattung von Arztkosten 457,
Krankenhauspflege 490, ärztliche
Sachverständigentätigkeit 688, Be¬
handlung Trunksüchtiger 709, Be¬
handlung von Zahnkrankheiten 710,
Gewährung von Geburtshilfe 745.
Krankenpfleger 119, freiwillige Ver¬
sicherung 150, Ausbildung 272, nach
dem Kriege 418, Lehrbuch 495.
Krankheiten, übertragbare, s. a. Tages¬
nachrichten S. XIX, Kriegsseuchen
74, Bekämpfung 115 ff., Verminde¬
rung der Kindersterblichkeit 517,
Bericht der bakteriologischen Unter¬
suchungsstation Prag 566, Bekämp¬
fung in der Pfalz 657.
Krebs, Uebertragung 95, Behandlung
265, Forschungen 266, u. Unfall 557.
Kreisarzt, Aufgaben während des
Krieges 393, Prüfung 562.
Kreisarztbezirk, Aenderung in Cöln 215.
Krieg, Einfluß auf psychopathische
Jugendliche 13, Tätigkeit der Stadt¬
ärzte 27, Schulkinder 27, Einfluß
auf Ernährung und Gesundheit 54,
sanitäre Kriegsrüstung 56, wirt¬
schaftliche Maßnahmen 182, gesund¬
heitliche Kriegslehren 217, und Er¬
nährung 245, Rohheitsverbrechen und
militärische Vergehen 365, Aufgaben
der Kreisärzte 393, Reservekräfte
der Nerven 424, Kricgslazarette
ehemals und heute 491, Geburten¬
rückgang 495, Arbeiterschutz 462,
staatliche Mtttterfürsorgc518, Einfluß
auf die erblich-organische Höher-
cntwickelung 584, Zuckerkrankheit
601, Ausgestaltung der Rechts¬
pflege 611.
Krieger, Nervenstörungen 71, Herz¬
krankheiten 507, nervöse Beschwerden
515, Nervenerkrankungen516,Magen-
. und Darmkrankheiten 601.
Kriegsbeschädigte, Merkblatt 80, Be¬
schäftigungsaussichten 81, Fürsorge
I und Diensttauglicbkeit, ärztlicho
Sprechstunden 107, Uebungsschulen
für Hirnverletzte 107, Versorgungs-
ansprüche 108, Fttrsorgceinrichtun-
gen usw. 300 ff., Berufsberatung 306,
1 Rentensucht 307, staatliche Fürsorge
in Ungarn 308, Kapitalisierung dor
Renten 308, 437, Preisausschreiben
für künstliche Beine 383, Fürsorge,
Merkblatt 492, Ansiedlung 494, 603,
648, willkürlich bewegliche Hand
494, 497, 620, Organisation dor
Fürsorge 602, Gesetzgebung, Land¬
wirtschaft, ärztliche Fürsorge 604,
| Industrie 605,606, Prothesen, Ersatz¬
glieder 606, 610, Unterbringung im
öffentl. Dienst 607, im Handel 607, im
Handwerk 608, 611, Arbeitsnachweis
608, Frauen in der Fürsorge 608, FüV-
| sorge für die Familien 608, Privatan-
| gestellte 609, Kriegsblindenfürsorge
609, gewerblicher Mittelstand 610,
Kapitalabtindung 611, Lehren für die
Fürsorge für Unfallverletzte 611, Ar¬
beitsbehandlung, Unterricht, soziale
Förderung in den Lazaretten 618,
Fürsorge in Nürnberg 619, chirurgi¬
sche und allgemeine Fürsorge 619,
! Werkstätten für Erwerbsbeschränkte
| 620, staatliche Fürsorge 621, prnk-
1 tische Ergebnisse und Erfahrungen
621, Berufsausbildung 622, Unfall-
! verletzte und Arbeit 716, Mnnn-
| heimer Schulsystem 717.
! Kriegsbesoldung, Herabsetzung 580.
Kriegshilfskassen 611.
I Kriegsneurosen 647.
; Kriegswohlfahrtspflege, Zersplitterung
I 150, 522, 622, Einfluß auf die Volks-
! gesundbeit 622, Zentralisierung 678.
Kriegswucheramt 465.
i Kropf, endemischer 210.
| Krüppel, der Wille siegt 30, Tagung
für Krüppelfürsorge 62, 109, 299,
333, 498, 699, Prüfstelle für Ersatz¬
glieder 109, Uebungsschulen für
Gehirnkrüppel 235, Aenderung der
Bezeichnung 716.
Kurpfuscher, Bekämpfung 82, Rotes
Kreuz 150, 216.
; Landwirtschaft und Kriegsbescbä-
digtenfiirsorge 603.
' Läuse, Bekämpfung 748.
I Lebensversicherung, periodische ärzt¬
liche Untersuchungen 649, Ver¬
schweigen früherer Erkrankung 688.
Leberatrophie 16.
Ledigenheim Charlottenburg 463.
j Leichen, seltener Befund 706,
Lüftung von Krankenhäusern 27t».
Sach-Register.
XXV
Lungenschiisse and Tabcrkalose 575,
Lupuskommission 242.
Mädcheuscliulpfliclit, Verlängerung
zar Vorbereitung auf den Mutter- und
H&usbaltsberuf 725.
Magen, Unfall Verletzungen 16, Magen¬
krankheiten der Krieger 601, Tod
durch Magenüberfüllung 742.
Märsche, mit Gepäck 28.
Massenspeisungen 411, 511, 541), in
llamburg 518, 549.
Masseure, Lehrbuch 495.
Medizin, Kongreß für innere 346, 506,
542.
Mediziner, Kalender 57, Prüfung 116.
Medizinalbeamte 246, Versicherungs-
ptlickt ihrer Schreiber 320, Kalender
588, 624, 656, 692, 724, 766.
Medizinalbeamten vereine, Vermächtnis
für den preußischen 467, Geschäfts¬
bericht des deutschen 527, des preußi¬
schen 530, der Jubiläumsstif tnng 531,
Landesvcrsammlung des bayerischen
706.
Medizinaletat 58, 113, Reichsamt des
Innern 326.
Medizinal- und Veterinär wesen in
Sachsen 309.
Medizinisch-biolog. Gesellschaft 111.
Mehrgeburten, Stillgeld 149.
Methylalkohol, Vergiftung 233.
Milch, Bedarf für Kinder 269, Ueber-
wachung des Verkehrs 406, Lobeck-
sches Sterilisierverfahren 406.
Militärdienst, Hemerolopic, Augen¬
erkrankungen, Nachtblindheit 14,
Tbyreotoxie 15, Röntgenunter¬
suchung des Herzens 15.
Milzbrand und Abwässer 243, Milz¬
brandmeningitis 385, 461.
Mord, neuere Erfahrungen über Kindes¬
mord 361, Familienmord 864.
Nachtblindheit im Felde 14.
Nahrungs- und Genußmitte], Frisch¬
erhaltung 172, Nahrungsmittelfragen
Groß-Berlins 311, Chemie 340, Ueber-
wachung des Verkehrs 441, Resor¬
bierbarkeit der Nährhefe 462, Lebens¬
mittelgewerbe 463, Gemüsenahrung
und Kriegsküche 488, Knochenver¬
wertung 749.
Nerven, gesunde 149, Reservekräfte 424.
Neurosen, fraktionelle Nervenstörungen
71, traumatische 199, Objektivierung
nervöser Beschwerden im Kriege 515,
Blutdruck bei Unfalineurosen 554,
Kriegsneurosen 647, Behandlung von
(Jnfallnearosen 6S6, ihre Erforschung
687.
Nieren, Gesundheitspflege 496, Er¬
krankungen bei Kriegern 516, Ent¬
zündungen im Felde 547.
Oedem, malignes 569, Gasödem 670,
571.
Ohr, Unfallerkrankungen 16, Simulation
von Krankheiten 453, Beobachtungen
in Volksschulen 618.
Operation, Verweigerung der Duldung
612.
Optochin - Amaurose 231.
Paratyplins, Epidemie 153, Erkran¬
kungen 164, Verbreitungsweise 372,
und Cholera 557, zur Kenntnis, atypi-
pcher 568, verschiedene Formen 7i5.
; Pathologisch • histologische Präparate
561.
Personalien, 8. TagesnachricbtenS. XIX.
Pilze, Vergiftungen 362, 377.
Pneumonie, Infektion 171, Optochin-
Amaurose 234, nach Schädelfraktur
262, und Typhus 714.
Pocken, in Detmold 20, Differential¬
diagnose 207, und Varizellen 369,
in Neusandec 370, Beitrag zum Auf¬
treten 469, experimentelle Diagnose
613, Dauer des Impfschutzes 614.
Post, Gebührenerhöhung 438, Krank¬
heiten der Beamten 496.
Privatangestellte und Kriegsbeschädig-
! tenfürsorge 609.
> Prostitution, Reform der Ucberwachung
I 459, Politik nach dem Kriege 460,
! und Tuberkulose 483, in München
j 560.
j Prothesen, Ersatzglieder 606, 610.
| Psychiatrie, militärische Beobachtungen
I 197, Erinnern und Vergessen 260,
deutscher Verein 467.
I Psychopathologie, Einfluß des Krieges
auf Jugendliche 13, gerichtsärztliche
Beurteilung psyenopathiseber Zu¬
stände 743.
. Psychosen, Gefängnis- 231.
Quarzlampe 82.
Rasierstubenbyglene 267.
Rassenbygiene, Preisausschreiben 160.
! Rechtsauskunftsstellen 611.
I Rechtspflege, Ausgestaltung im Kriege
611, Sühneverfahren 612, Bekämp¬
fung des Schwindels 612.
! Reichsgesundheitsamt, Etat 326.
1 Reichsgesund hei tsrat 108.
Reisekosten, Pauschvergütung bei
Dienstreisen nach nahegelegenen
Orten 756.
Röhrenknochenbrüche, Behandlung 48.
Röntgenstrahlen, Behandlung d. Tuber¬
kulose 240, Abteilung der Unter-
XXVI
Sach-Register.
rieb lsansto.lt für Staatsarzneikunde
(»92.
Uobeitsverbrecben 365.
Roseolen, künstliche petechiale Um¬
wandlung 98.
Rotes Kreuz, Zuwendungen 111, Kur¬
pfuscher 150, 216.
Rotsehen nach Genuß von Solanum
dnlcamara 13.
Rückfiilllieber 237, 340.
Ruhr, Behandlung 23, 49, 746, Aetio-
logie 165, 746, Rekäropfung 167,
Serumbehandlung 203, Dick- und
Dünndaruidysenieric 373, der Kinder
in Russ. Polen 426, bazilläre Dysen¬
terie beim Ilunde 481, im Kriege
515, und Typhus 715, Diagnose 745.
Salvarsan, Todesfälle 26, eigentüm¬
liche Folgen einer Injektion 747.
Säuglinge, Sterblichkeit und Wohl¬
stand 53, Mütterberatungsstellen 53,
Reichswochenhilfe 53, Mutterschafts-
Versicherung 54, Fürsorge 121 ff., 176,
Fürsorge Weißenfels 176, t'harlotten-
burg 176, Sterblichkeit u. Ernährung
176, offene Fürsorge 212, Unfall in
einer Anstalt 249, Kriegsneugeborenc
269, 490, Spende für Säuglings- und
Kleinkinderschutz 883, Behandlung
mit Larosan 427, Unterricht in der
Pflege 427, Aufgaben des Staates
428, Fürsorge in Sachsen 428, Säug-
lingssterblichkoitsziffern 433, in
Oesterreich 433, ABC der Mutter
517, staatliche Mutterfürsorge 51S,
Sterblichkeit in Großstädten 520,
Landeskonferenz für Säuglingsschutz
623, Säuglings- und Mutterschutz in
Norwegen 648, Kreisfürsorgegesetz
681, Organisation der Fürsorge 682.
Schädelschüsse, Erkennung von Spät¬
folgen 235.
Schlachthäuser, dörfliche SO, klein¬
städtische 80, 105.
Schulärzte, Fortbildung 26, Diphtherie¬
bekämpfung 51, in Oesterreich 80,
244, ohrenärztliche Beobachtungen
618.
Schulen und J ugendf ürsorge 435, Tem pe-
raturen der Zimmer im Winter 693,
Sommerzeit und Schulanfang 750.
Schulhygiene, mitteleuropäische Ge- 1
meinscliaft 244, Freilufterziehung
462, Kcimgehalt der Scbulluft 618, ,
Sexualpädagogik 750.
Schulkinder, billige Solbäder 26, während
des Krieges 27, Einfluß von Krank¬
heiten 80, Ernährungszustand 148,
Schalkindergärten 243, Körperkonsti¬
tution der ostpreußiseben 490, Min¬
derung der Sterblichkeit 517.
Schüsse, Verletzung von Eingeweiden
424.
Schutzimpfung gegen Cholera und
Typhus 76, 97, 371, Exanthem 372.
Schwachsinn, Wunderkind 13.
I Schwangerschaft und Tuberkulose 85,
j 281, Verhütung 117, künstliche
j Unterbrechung 284, 683, Mutter¬
pflichten gegen Ungeborene 562.
Schwarzwasserfieber, Theorie 615.
; 8eife, Verkehr 344, Ersatz 524.
! Selbstmord, Unfall 96, 556, Invalidität
nach Selbstmordversuch 744.
Serumtherapic 19.
Sexualpädagogik 750.
Sexualstörnngen der Frauen und Er-
| nährang 583.
| Siedlangsrcform 81, 82, 149, Ansied-
: lung Kriegsbeschädigter 494, 603,
| 648.
Solbäder, billige für Schulkinder 26.
Sommerzeit, Schulanfang 750.
Soziales, Bevölkernngspolitik 177,
i deutsche Gesellschaft für soziale
Hygiene 279, Ausstellung für soziale
Fürsorge 411, Erhaltung der Volks¬
kraft 494.
' Staatsarzneikunde, Bönfgcnabteilung
der Unterrichtsanstalt 692.
Städte, Stadtärzte im Kriege 27.
Statistik, Entwicklung der Bevölke¬
rung 29, 108, 622, Tön, Mord, Tot¬
schlag, Hinrichtungen 55, der Todes¬
ursachen 107, Bevölkerungsregister
10S, Geburten und Säuglingssterb¬
lichkeit 275, medizinische in Ham¬
burg 520.
Staub, Absaugen der Flugasche 53,
Bekämpfung 102, Schädigung der
Atmungsorgane 450.
Stcmpelpflicht von Gutachten zur An¬
stellung von Kriegsinvaliden 32,
Krankheitsattesten für Krieger 500.
! Sterblichkeit, Verwundeter 30, <Jc-
schlecht und Tuberkulose 579.
1 Tabes und Unfall 555.
Teerzementpflaster 211.
I Taschenbuch für klinisch-chemische
| und bakteriologische Untersuchungen
495.
Tetanus 170, Antitoxin-Injektion 51,
460, Fibrillentheorie 168, Blutbefund
560, Therapie 560.
Tetrachlormethan und Tetrachloräthan
268.
Tetragenussepsis nach Typhus 237.
Tbyreotoxie und Militärdienst 15.
Therapie, Taschenbuch für die Kinder¬
praxis 310, Taschenbuch 378, physi¬
kalische 409.
Todesfälle, s. Tngesnachricbten S. XIX.
Sach - Register.
XXVII
nach Salvarsan 26, durch Elektrizität
565.
Tod, Kennzeichen bei Tod durch Kälte
259, Bestimmung des Alters an
Kindeslcichcn 259, Bestimmung der
Todeszeit durch muskelmecbanische
Erscheinungen 259, durch Magen¬
überfüllung 742.
Tuberkulose, Bazillen im Blute 24,
Fürsorge für Wiener Kaufleute, >
tuberkulöse Handelsangestelltc, Heil¬
stätten, Tubcrkulinbehandlung 24,
Sonnenklinik 25, Bazillen in Fäzes 76,
Abderhalden-Verfahren 77, Kranken¬
hausbehandlung 77, Fahrpreiser¬
mäßigung! ür Tuberkuloseschwestern 1
83, und Schwangerschaft 85, Be- 1
kämpfung im Heere 101, Arbeits- i
beschaff ang 101, Intrakutan-Tuber- !
kulinreaktion 102, der Steinhauer !
106, Jubiläumsstiftung des Lehrer- >
Vereins 111, Bekämpfung 115, Wieder- I
holung lokaler Reaktionen 239, ver¬
gleichende Untersuchungen an Kin-
dem aus tuberkulösen und nicht- j
tuberkulösen Familien 239, Auftreten
in einem tuberkulosefreien Tale 239, I
Behandlung mit Röntgenstrahlen 240,
Quarzlicht-Röntgen tief theorie 240, ,
und Alkoholismus 241, 4S2, Lupus- ]
kommission 242, Fürsorge im Mittel¬
stand 347, Generalversammlung des
Zentralkomitees 396, vergleichende ■
Sputumuntersuchungen 403, Rcinfek- '
tionundlmmunität403,Mobilisierung :
der Bazillen durch Tuberkulin 404, ;
Mobilisation der Lungen als Grund- '
läge der Behandlung 404, Sanatorien- :
frage 405, lieilmittelschwindel 405,
Infektionsversuche 462, Einteilung i
der Lungentuberkuloseformen 482,
und Prostitution 483, von militär- ■
ärztlichem Standpunkte 483, Bedeu¬
tung psychischer Momente 484, Be- |
bandlung mit ultraviolettem Licht
484, Bedeutung des Klimas für die
Behandlung 484, Fürsorge für unbe¬
mittelte Lungenkranke 485, Desin¬
fektion des Auswurfs 488, Schema
der Einteilung 574, Terapcratnr-
tncssung 575, Lungenschüsse 575,
Heilung vorgeschrittener 575, Tuber¬
kulosesprechstunden in llescrve-
l&zaretten, Erfahrungen über Tuber¬
kulose nach Kriegsdienst 577, ambu¬
latorische Tuberkulinbehandlung 578,
Geschlecht und Sterblichkeit 579,
Typus der Bazillen 580, und
Alkoholismus 581, Tuberkulose-
krankcnbäu8er 581.
Typhus, s. a. Paratyphus; praktische
Bekämpfung 185, auf dem Lande 1,
Serumnährböden VS, Schutzimpfung
76, 97, 163, 371, Vakzinetherapie
164, Mundtyphusbazillenträger 208,
Tetragenussepsis 237, vermeidbare
Fälle 349, Stuhluntersuchung 370,
Einfluß der Impfung auf das weiße
Blutbild 372, Urobilinurie 372,
Behandlung von Bazillenträgern 372,
Epidemie infolge Milchinfektion 413,
pathologische Reaktionen Geimpfter
425, im Kriege 542, Nachweis der
Bazillen 567, Diagnostik bei Ge¬
impften 567, Kombination mit Fleck¬
fieber 568, Diagnose 712, Gruber-
Widalsche Reaktion 712, Hant-
erscheinungen nach Impfungen 713,
epidemiologische und klinische Be¬
merkungen 713, im Felde 1915/16
714, und Pneumonie 714, Ruhrmhch-
infektion 715.
Uebennangausnurcs Kali, Vergiftung
253.
Unfall, Blutvergiftung durch Hand¬
wunde 18, Scblaganfall 94, Ucbcr-
tragung von Krebß 95, Selbstmord
96, 556, Gehirnerweichung 106, Ge¬
währung von Anstaltspflege 160,
Rentenminderung bei Besserung 160,
Lungenentzündung 161, Blutver¬
giftung 161,162, Kostentragung 162,
Neurosen 199, Erwerbscinbuße bei
Verlust eines Auges 199, 455,
Schätzung der Erwerbsunfähigkeit
20o, Kosten ärztlicher Gutachten
200, Heilverfahren 201, Flecktyphus
236, Begutachtung durch den erst-
behandelnden Arzt 236, Ergebnisse
der Unfallversicherung 305, 868,
Handbuch der Unfallmedizin 340,
Badeunfall 366, Delirium tremens
456, Befolgung von Unfallverhütungs-
Vorschriften 457, Blutdruck bei
Unfallneurosen 554, Tabes 555, Krebs
557, Lehren der Kriegsbeschädigten¬
fürsorge 611, Verweigerung der
Duldung einer Operation 612, Be¬
handlung von Unfallneurosen 686,
ihre Erforschung 687, und Arterio¬
sklerose 687, Schattenseiten der
Unfallversicherung 689, Schätzung
der Einbuße an Erwerbsfähigkeit
708, Kriegsbeschädigte, Unfallver¬
letzte und Arbeit 716, Arbeits¬
behandlung im Heilverfahren 744.
Ungeziefer, Mittel 52.
Urin, Eiweißnachweis 236.
Vaterländischer Frauenverein, 50jähr.
Bestehen 690.
Vergiftungen, Azetylen 94, durch Ge¬
schosse 158, Methylalkohol 233,
übermangansaures Kali 253, Tetrn-
chlormethan und Tetrachlorätban
XXVIII
Sach «Register.
268, Pilze 362, 377, Zyanamid 476,
Bromoform 477, Dinitrobenzol 554,
Aronsbeeren 595, Ammoniak 704.
Vermächtnis, Dr. Stell 721.
Versammlungen s. Tagesnachrichten
S. XIX.
Verwundete, Heilerfolge 80, 118, Gas¬
phlegmone 46, 573, 574.
Veterinär wesen in Sachsen 309.
Volkskraft, Stärkung 717.
Volks Wohlfahrt, Verhandlungen der
Zentralstelle 847.
Volkszählung 691.
Wasser, Sandtiltertyp 79, tragbare
Filter 103, Desinfektion 172, 375,
Katacidtabletten 172, Hygiene 212,
Untersuchung 213, 341, Vereins¬
schriften des Vereins für Wasser-
und Gaswirtschaft 497.
Weilsche Krankheit 49, 50, 561,
spezifische Behandlung 99, Actiologie
262.
Winkelmeßapparat 744.
Wochenbett, Behandlung der Plazenta
praevia 402, Gklampsiebehandlung
402.
Wochenhilfe 207, 233, 653.
Wohnrenten für Kinderreiche 273.
Wohnungen, Innenausbau 52, Reform
81, 82, 123, Wohnungsnot 242, 436,
Reichswohnungsversicherung 663,
Wohnungsverhältnisse in Sachsen
748, Wohnungsgesetz 753.
Wundbehandlung 566.
Wunderkind, schwachsinniges 13.
Zahnärzte 119.
Zähne, Besserung des Zahnelends 272,
Behandlung auf Kosten der Kranken¬
kassen 710.
Zahntechniker, Anforderungen 233.
Zinkhüttenarbeiter, Schutzmaßnahmen
617.
Zuckerkrankheit und Krieg 601.
Zyanamid, Giftwirkung 476.
Namen ^Verzeichnis.
Abel 309, 375.
Absolon 211.
Adler 79.
Alexander 453.
Alt 16.
Altschal 485, 495.
Ansinn 48.
Arneth 568, 711.
Aronson 74.
Asch 79.
Ascher 522.
Aschoff 168, 571.
Axm&nn 26.
Bach 82.
Bachem 496.
Bachaner 618.
Bacmeister 240.
Bahr 159.
Bannert 242.
Bartels 744.
Becker 371, 688.
Beckers 16.
Behla 407.
v. Behr 428.
Bender 489.
Bendix 176, 490.
Benthin 362.
Benzler 371.
Berg 427.
Berger 217.
Bergh 168.
Bernstein 258.
Bessan 239.
Beyer 647.
Bieling 373.
Bielschowsky 407.
Bier 573.
Bierbach 57.
Birch-Hirschfeld 233.
Blaustein 63.
Blaschko 78, 469, 615.
Bleich 706.
Bleyl 617.
Block 98.
Bbbm 622.
Böttrich 243.
Bongert 174.
Bonne 365.
Bonnet 620.
Bornträger 737.
Bränning 581.
Brauer 340, 753.
Braanschweig 14.
Brest 14.
Breyer 208.
Brnhns 485.
y. Bachka 340, 463.
Büttner-Wobst 574.
Bütz 436.
Bnjwid 97.
Bargerstein 80, 244.
Cantzier 376.
Chotzen 170.
Chowaniec 378.
Csernel 559.
Cnrschmann 107, 236.
Czech 24.
v. Ozyhlarz 461.
Dannekl 15.
Demath 625.
Deneke 725.
Derdock 621.
Determann 454.
Dethleffsen 409.
Dethloff 239.
Dietrich 490.
Döblin 714.
Döllner 501.
Doggenberger 491.
Dold 72, 481.
Dornblfith 149.
Dyrenfurth 259.
Dyrott 747.
Eggebrecht 208.
Ehret 235.
Eisenstadt 496.
Emmerich 163.
Engelen 686, 687.
Engleson 76.
Ewald 716.
y. Eyk 245.
! Feer 269.
1 Feig 568.
Fejes 715.
Feilchenfeld 234,242,307.
Ferenczi 308.
Finger 376.-
Fischer 107, 170, 300,
518, 617.
Flasser 426.
} Frankel 483, 569, 570.
Frankenthal 570.
Frenzei 568.
I Freymuth 234.
! Friedberg 369.
! Friedemann 165.
! Frieling 561.
Frischbier 575.
Fromme 49, 99.
I Fühner 523.
Fürst 163, 518.
j Faid 711.
Gähtgens 371.
' Qärtner 212.
Galambos 713.
! Gans 487.
i Gastpar 27.
i Geith 561.
Ghon 211, 566.
GieBzezykiewicz 49, 208.
Gilbert 81, 107.
Girstenberg 13.
Gins 613, 614.
Göbel 561.
Götzel 24, 578.
Goldstein 107.
Gotschlich 98.
Gottheil 749.
Gottstein 622.
Granier 495.
Namen - Verzeichnis.
XXX
Graßl 1, 413.
Griesbach 341.
Grödel 15.
Grote 560.
v. Grnber 81, 458.
Guradze 434.
Oüth 460.
Outh 73.
Gatstein 484.
Gattmann 40.
Hammersclimidt 207.
Hampel 13.
Hansen 158.
Harnack 339.
Hartmann 235, 485.
Hartwig 618.
Heffter 376.
Heller 79, 435.
Helm 101.
Hepner 148.
Herrnberg 747.
Herxheimer 517, 712.
Herzbach 714.
Herzfeld 107, 615.
Herzfelder 648.
Hesse 20.
Hejmann 481.
nilbert 13.
Hildebrandt 372.
Hillenberg 266.
Hindhede 245.
Hintze 615,
Hirsch 458.
t. Hövell 518.
Hofacker 597,
Holmboe 405.
norion 807.
Horn 308, 554, 687.
nobener 50, Ö62.
UQttig 495.
Ipsen 424.
Jacoby 716.
Jastrowitz 557.
t. Jaworski 58)5.
Joachim 409.
Jördensen 582.
Jackenack 376.
Jangmann 516.
Kaiser 560.
Kalle 237.
Kanngießer 599.
Kaufmann 840, 748.
Kaup 480.
Kayserling 101.
Kemsies 28.
Kerp 340.
Kettner 27, 212, 490.
Keap 648.
Kiltinger 16.
Kind ler 469.
Kirstein 488.
Kißkalt 490.
Klare 405.
Klaasner 261.
Klebe 647.
Klehmet 53.
Klesk 23.
Klat 213.
Köhler 483, 621.
Körner 462.
Koch 167, 425.
Königsfeld 570.
Korbsch 237.
v. Korczynski 164.
Kölsch 106, 268, 461,
476.
König 619.
Kossel 19.
Kraus 238.
Kretschmer 480.
Kröger 427, 616.
Krambein 561.
Kruse 560.
Kühn 372.
Kahn 404.
Köpferle 24<».
Kürbitz 742.
Kürten 748.
Kanert 272.
Karpjaweit 441.
Karschmann 16.
Kathy 482.
Langer 374, 427.
Langerhans 750.
Langermann 589.
Langstein 53, 249, 269,
342, 490.
l.&rass 273.
Laub 24, 578.
Lembke 313.
Leppmann 555.
Lesser 565.
Lewin 158.
Lewy 71.
Lichtweiss 403.
Liebl 743.
Liefmann 427.
Lieske 6.
Lilienthal 72, 263, 482,
649.
Lipp 409.
Lippschötz 401.
Lobsien 148.
Lohmar 620, 689.
Lonhard 574.
Loer 65.
Löwenstein 466.
Löwen thal 568.
Löwy 401, 567.
Lorentz 244.
Labe 26.
Lublinski 494.
Lyon 362.
Mansche 718.
Mansfeld 749.
Marcnse 477.
Marx 260.
Matko 713.
Matzdorf 26.
Mayer 164, 228, 648, 658,
746.
Mayerhofer 98.
Meene 497.
Menzer 170.
Meyer 54, 71.
Misch 490.
Möllers 404, 580.
Möwes 24, 77.
Moldenhaner 28.
Morgenstern 105.
Möller 649.
Xaske 268.
Neamann 24.
Nicol 94.
Niebling 53.
Niederstadt 406.
Nissle 717.
Novak 583.
Novotny 569.
Hehler 404.
üeri 77.
Olbrycht 704.
Opitz 450.
Orlowski 67.
Orth 241, 579.
Oschmann 176, 427.
Ostwald 494.
Otto 22.
Overland 239.
Oxenius 267.
Paareth 559.
Patsch ke 272.
Paul 14, 340.
Payr 573.
Pfand ler '517.
Pfeiffer 497.
Photakis 259.
Pick 424, 615.
Pietsch 618.
Pilzer 370.
Placzek 270.
Plange 371.
Plath 409.
Pochbammer 494.
Pollak 716.
Polland 747.
v. Poscbinger 744.
Poztolka 176.
Pranssnitz 751.
Prinzing 107, 615,
Namen - Verzeichnis.
XXXI
((uadflieg 33, 153.
Rabe 52.
Racine 258.
Kicke 743.
Rambonsck 243.
Kapmund 113, 320, 326.
Rasser 270.
Kattner 477.
Räuber 533.
Reiche 209.
Reiter 50, 262.
Reitsma 108.
Reuter 554.
Rheins 107.
Ribbert 265.
Richter 178, 244, 263,
350. 472, 496.
Ringel 569.
Rißmann 378, 402, 585,
678.
Robertson 168.
Roepke 85, 281.
Roesle 29, 108, 622.
Rohland 53,105, 243,267.
Roman 211, 566.
Rondke 22.
Rosenberg 366.
Kosenfeld 433.
ltoscnthal 52.
Raben 374.
Rabner 462.
Rage 236.
Rapprecht 560.
Sacknr 46.
Salge 310.
Salomon 20, 495.
Sauerbruch 497.
Scharf 208.
.Scheuermann 102.
Schiemann 745.
Schiff 106.
Schlesinger 402.
8chlossmann 648.
Schlüter 81.
Scbmid 748.
Schmidt 80, 262.
Scbmittmann 273.
Schmitz 406, 712.
Schnirer 378.
Schöppler 16.
Schrakamp 108.
Schröder 484.
Schttrmann 98, 171, 385.
Schüssler 614.
Schwenke 239.
Schwink 693.
Selter 102, 403, 482.
Sickinger 717.
Sieben 236.
Sieveking 622.
Sikert 372.
Silbergleit 575.
Simecek 372.
Singer 515.
Sluka 715.
Sokolowska 208.
Sommel 245.
Sommerfeld 76.
Sonnenberger 585, 750.
Sorge 393.
Spaet 99.
Spanner 242. .
Spiegel 566.
Spinner 270.
Spitta 103, 172.
Spitzy 455.
Splittgerber 376.
Stein 235.
Steinbock 165.
Steinebach 185.
Steinhaus 243.
Stephan 402.
Sternberg 106, 488, 746.
Stetefeld 172.
Stoklasa 173.
Strandgaard 484.
Strasburger 52.
Straßmann 361, 364.
Strelitz 61.
Stümpke 209.
Snltan 454.
Szana 433.
Tachau 575.
Tcntschländer 51.
Thiele 28, 80.
Tillmans 841.
Tilmann 235.
Töpfer 614.
Trenpel 488.
Turban 575.
Uhlenhuth 49.
Umeck 425.
Vaerting 562, 584.
Verzer 370.
Voggenberger 271.
Vollmer 418.
Wagner 163.
Waibel 689.
y. Wassermann 76, 572.
Weber 20, 646.
Wechselmann 523.
Weichardt 172, 210, 375.
Weinberg 462.
Welz 237.
Weszeczky 370.
Weyert 197.
Weygandt 556.
Wille 490.
Wimmenauer 463.
Winckel 212.
Windrath 210.
Winter 177.
Wölbling 648.
Wolf 108.
Wolff 210, 375.
Wollenberg 374.
Wolter 710.
Wttrtz 30, 494.
Würzburger 274.
Zade 14.
Zahn 717, 718.
Zangger 199, 303. 489.
Zsako 259.
y. Zumbusch 747.
Zuntz 54.
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29. Jahrg,
1916.
Zeitschrift
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zentralblatt
für das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie,
des staatlichen und privaten Versicherungswesens, sowie für das
Medizinal- und öffentliche Gesundheitswesen, einschließlich der
Hygiene und Bakteriologie.
Herausgegeben
von
Prof. Dr. OTTO RAPMOND,
Geh Med.-Rat In Minden I. W.
Offizielles Organ des Deutschen, Preussischen, Bayerischen, Sächsischen,
Wörttembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen, Thüringischen,
Braunschweigischen und Eisass - Lothringischen Medizinalbeamtenvereins.
Verlag von Fiseher’s med. Buehhandlg H. Kornfeld,
Htnogl. Bayer. Hof- u. K. a. K. Kammer - BnchMLndler.
Berlin W. 62, Keithstr. 5.
Anzeigen nehmen die Verlagshandlung sowie eile Anzeigenannahmcatellen des ln-
und Auslandes entgegen.
Nr. 1.
Erscheint am 5« und ÄO. Jeden Monats«
5. Jan.
Zur Typhusbekämpfung auf dem Lande.
Winke aus der Praxis und für die Praxis.
Von Med.-B&t Dr. Graß], Bezirksarzt in Kempten (Allgäu).
Nicht eine gelehrte Abhandlung, sondern schlichte Beob¬
achtungen aus der Praxis sollen hier wiedergegeben werden.
Die Berechtigung, von der Eigenerfahrung in der Typhus¬
bekämpfung auf dem Lande zu sprechen, glaube ich zu haben:
Wie ich in Friedreichs Blätter für gerichtliche Medizin und
Sanitätspolizei 1892, Seite 219 u. ff. gezeigt habe, war ich zwei
Jahrzehnte in einer Typhusgegend als Arzt tätig. Ich beob¬
achtete in Vilshofen zwei Epidemien, eine sehr ausgebreitete
Epidemie in dem Hügelland südlich der Donau, Teile der
Bezirksämter Vilshofen und Griesbach umfassend, eine Epidemie
in Burgstall und eine kleine in Sandbach, außerdem als Amts¬
arzt eine ländliche Epidemie in Arnbruck und Solla, Bezirks¬
amt Viechtach; im Bezirksamt Lindau sah ich keine Typhus¬
epidemie, im Bezirksamt Kempten drei kleine Lokalepidemien
und nebenbei eine beträchtliche Anzahl von Hausepidemien
und Einzelfälle. Die Gesamtzahl der von mir behandelten
Dr. Graßl.
2
Typhusfälle mag 300—400 betragen. Trotz dieser Kleinheit
ist die Zahl doch durch die besonderen Außenumstände geeignet,
Fingerzeige für manche Frage zu geben. Die Fälle waren fast
durchweg auf dem Lande oder doch in so engumschlossenen
Wohngemeinschaften auf getreten, daß man sie in ihrer Ent¬
stehung und in ihrem Verlauf länge verfolgen konnte.
Wie fast alle älteren gegenwärtigen Amtsärzte Bayerns,
war auch ich als Schüler v. Pettenkofers ein überzeugter
Lokalist. Der Umstand, daß die Typhusfälle in gewissen
Häusern sich stark häuften, daß ferner keine meiner Epidemien
eine Winterepidemie war und namentlich der Umstand, daß sie
alle sich von selbst verloren, sprachen für örtliche und zeitliche
Einflüsse, die man im Boden suchte. Unterstützend kam noch
dazu, daß in einem großen Bauernhöfe in Aisterham Jahrzehnte
hindurch fast alle Dienstboten an Typhus erkrankten, so daß
die wirtschaftliche Existenz des anfänglich sehr wohlhabenden
Bauers in Frage gestellt wurde. — Wie sich später heraus¬
stellte, war offenbar die Bäuerin eine Bazillenträgerin; denn
mit ihrem (gewaltsamen) Tod hörten die Typhusfälle ohne
weiteres auf.
Damals aber stand die Medizin unter der Einwirkung
v. Pettenkofers; man zwang daher den Hofbesitzer die kost¬
spieligsten „Verbesserungen“ ohne jeden Erfolg auf.
Neben dieser schon damals erkennbaren Nutzlosigkeit der
amtlichen Vorkehrungen erregte die weitere Beobachtung
meinen Zweifel an der lokalistischen Theorie, daß nämlich in einer
großen Anzahl von Familien nur ein oder höchstens zwei Mit¬
glieder erkrankten, in anderen Familien wieder nahezu alle;
daß in mehreren Familien trotz aller Vorsicht die Krankheit
um sich griff und dann plötzlich ohne jede erkennbare Ursache
zum Stehen kam. Geradezu verblüffend war mir in der großen
Teutelsbacher (Tillbacher) Epidemie die Beobachtung, daß m dem
Großbauernhof des M. St. nahezu sämtliche Familienmitglieder
und Dienstboten erkrankten, trotz der anscheinend guten hygieni¬
schen Verhältnisse, während bei dem dicht daneben wohnenden
Stöhrschuster, der bei dem Großbauern M. St. sich den Typhus
offenbar geholt hatte, njpmand aus der zahlreichen Familie
erkrankte, obwohl die WohnungsVerhältnisse sehr eng und die
übrigen Verhältnisse ungünstig waren.
Ich begann dann, da der Vergleich der hygienischen Ver¬
hältnisse der Familien diese Verschiedenheit des Verhaltens
des Typhus nicht zu erklären vermochten, die wirtschaftlichen
und die Gewohnheitsbedingungen zur Erklärung heranzuziehen.
Auf eine gangbare Spur leitete mich das Verhalten der Haus¬
epidemie in dem bereits erwähnten Großbauernhof in Aisterham.
Ich begann die Verschiedenheit der Tätigkeit der Hausfrau zu
beobachten. Im Großbauernhof M. St. pflegte die sehr tüchtige
Bäuerin ihre Kinder und führte zugleich die Küche, lediglich
von einem Mädchen unterstützt. Bei dem Stöhrschuster war eine
alte Großmutter vorhanden, die kochte, während die Schuster-
Zur Typhusbekämpfung auf dem Lande.
8
frau die zahlreichen Kinder und den kranken Mann besorgte.
Der nachträgliche Vergleich der Familienepidemien in meiner
Praxis wiederholte diese Erscheinung öfters, so daß ich zu der
Ueberzeugung gekommen bin, daß die Doppelstellung der
Hausfrau alsPflegerin undKöchin zurZeit der Ein¬
schleppung eines Typhuskeimes in die Familie auf
die Verbreitung der Keime in der Familie wesent¬
lich Einfluß hat. Auch beobachtete ich wiederholt das
Stehenbleiben der Hausepidemie, wenn die Hausfrau selbst
an Typhus erkrankte, also in ihrer Doppeleigenschaft als
Pflegerin und Köchin ausgeschieden wurde. — Dies wird den
jetzigen Amtsärzten als selbstverständlich gelten; es war aber
vor 20 Jahren noch keineswegs selbstverständlich.
Die Experimente, die in den süddeutschen Kliniken und
Krankenhäusern unter dem Einfluß der lokalistischen Lehre
v. Pettenkofers mit Typhus seiner Zeit gemacht wurden,
sind äußerst lehrreich. Man legte die Typhuskranken ohne
Scheu und ohne Schaden mitten in die Abteilung. Der Typhus-
keira ist also, abgesehen von seinem Verhalten im Reagenz¬
glas, viel bodenständiger als z. B. die Keime von Masern oder
Influenza. Die Keime bedürfen anscheinend eines festen Ver¬
mittlers zur Uebertragung. Nun sind die legitimen Ausscheidungs¬
orte der Keime die natürlichen Oeffnungen ihrer Standorte, die
After- und Harnröhrenöffnung; die übrigen Ausscheidungs¬
orte kommen ihnen gegenüber praktisch kaum, in Betracht.
Gerade diese Ausscheidungsöffnungen sind bei dem Gesunden
beständig, bei dem Kranken nahezu beständig durch Wäsche
und Kleidung gedeckt. Es bleiben also für die Uebertragung
zwei Wege: Das direkte Hineingeraten der Bazillen in Keime
erhaltende Träger, also z. B. in das Trinkwasser, oder die Ver¬
mittlung der Uebertragung der Keime von den Ausscheidungs¬
öffnungen und der sie deckenden Kleidungsstücke durch einen
Vermittler. Dieser Vermittler ist offenbar die Hand, entweder
die Hand des Bazillenträgers, des Kranken oder des Pflegers
oder der Wäscherin.
Trotz aller Rücksichtsnahme auf die Anhänger der Wasser-
infektionisten, also auf die Anhänger des unmittelbaren Ueber-
ganges, muß auf die Seltenheit der nachgewiesenen Wasser¬
epidemien hingewiesen worden. Mit Ausnahme der örtlich stark
umschriebenen kleinen Typhusepidemie in Solla, war das Wasser
als Träger der Typhuskeime in den beobachteten Epidemien
sicher auszuscheiden. Auch die Solla-Wasserepideraie war nur
als möglich, nicht als sicher nachgewiesen.
Diese schulmäßig gewonnene Erkenntnis zusammengehalten
mit der aus der Praxis gewonnenen Einsicht ergänzen und er¬
klären sich gegenseitig.
Die Hand der Pflegerin dürfte in der Mehrzahl
der Hausepidemien die Verbreiterin der Typhus-
keime sein. Ich glaube, daß wir in der Bekämpfung des
Typhus auf diese Quelle der Uebertragung zu wenig Rücksicht
4
Dr. GraßL
nehmen, und stimme dem erfahrenen Leiter der Seuchen¬
lazarette der FestUng Straßburg, Prof. Dr. v. Tabora, voll¬
ständig bei. Dieser schreibt: 1 )
„Von großer Wichtigkeit ist die Sorge für die persönliche Reinlichkeit
des Wartepersonales; man gewöhne sich daran, beim täglichen Randgang durch
die Krankenräume sich die Hände der Krankenwärter vorzeigen zu lassen und
etwa konstatierte „Mißstände“ streng zu ahnden. Die Zahl der Hausinfektionen
wird auf ein Minimum sinken. Vor allem dieser Maßnahme glauben wir es
danken zu sollen, wenn wir unter einem fast 200kÖpfigen Personal auch vor
der Durchführung der Schutzimpfung nicht einen einzigen Typhusfall zu ver¬
zeichnen gehabt haben.“
. Die Schwierigkeiten der Ueberwachung der Hände des
Wartepersonales in der Privatpraxis und namentlich auf dem
Lande sind aber um ein Vielfaches größer als die selbst in
einem Kriegsseuchenlazarette.
Schon bevor ich die Aeußerung v. Taboras kannte, habe
ich als Amtsarzt mich zu folgenden Vorsichtsmaßregeln
durchgerungen:
Notwendig ist, daß der Amtsarzt in jedem Binzelfall von
Typhus sich in das Typhushaus begibt und sich die Verhält¬
nisse ansieht, wie es die bayerischen Vorschriften nunmehr
verlangen.
Wenn irgendwie möglich, ist der Typhuskranke in
ein Krankenhaus zu bringen. Bei Kassenangehörigen
und bei Armen ist dieses unerläßlich. Diese, namentlich Dienst¬
boten, werden in der Regel schlecht abgesondert und nehmen
nach der Genesung fast stets viel zu früh die Arbeit wieder auf.
Die Zwischen- und Schlußdesinfektion ist mangelhaft; dadurch,
daß sich die dienenden Angehörigen meist in ihre Familie be¬
geben, verseuchen sie auch diese. Die Durchführung dieser
Maßregel stößt übrigens oft weniger bei den Kranken als bei
den behandelnden Aerzten auf Widerstand.
Gelingt diese Ueberführung nicht, so dringe ich auf Pflege
des Kranken durch eine Berufspflegerin. Namentlich in den
ländlichen Kreisen ist mir diese stets gelungen. Allerdings benutze
ich hierbei einen Kunstgriff: Manche Verwaltungsärzte hatten in
Bayern bei Typhus aus Besorgnis die völlige Milchsperre verhängt;
diese Sperre ist als eine notwendige Vorsichtsmaßregel auch viel¬
fach bei den Bauern bekannt. Vor einigen Jahren hat jedoch die
Aufsichtsbehörde die Milchsperre verboten und angeordnet, daß
die Milch nur in abgekochtem Zustand abgegeben werden darf.
Ich fürchte nun, wenn die Möglichkeit der Milchinfektion vor¬
handen ist, daß auch die abgekochte Milch infiziert werden
kann. Außerdem versichern alle Sachverständige einstimmig,
daß abgekochte Milch in der Rundkäserei, wie sie hier im großen
Maßstab geübt wird, nicht verwendet werden kann. Habe ich
nun einen Typhusfall bei einem Bauern, so erlaube ich den freien
Verkehr der Milch, wenn der Kranke aus dem Hofe entfernt
oder eine mir als zuverlässig bekannte Berufspflegerin zur Pflege
>) Münch. Med. Wochenschrift; 1915, Nr. 13.
Zur Typhusbek&mpfung an! dem Lande.
6
verwendet wird und die Absonderung des Kranken gesichert
ist. Ich kann dieses Risiko um so leichter tragen, als hierorts nicht
die Bäuerin, sondern der Bauer melkt; dieser gibt sich aber mit
der Pflege des Kranken nicht ab; außerdem wird die Milch
unmittelbar vom Stall in gut geschlossenen Gefäßen zur Molkerei
gebracht, ohne daß sie auch nur auf kürzere Zeit in die Woh¬
nung kommt. Diese Vorsichtsmaßregeln haben bisher immer
genügt, die Verbreitung des Typhus mittels Milch durch mir be¬
kannt gewordene Typhuskranke zu verhindern.
Gelingt auch die Heranziehung einer Berufspflegerin nicht,
was bei ärmerer, nicht-bäuerlicher Bevölkerung manchmal
vorkommt, so suche ich die Krankenpflege und die
Küchenbestellung zu sondern. Beiden Teilen erkläre
ich nicht bloß die Gefahren der Weiterversohleppung, nament¬
lich durch die Hand, sondern mache ihnen die Händedes¬
infektion praktisch vor und lasse sie mir nachmachen. Als
Händedesinflzienz verwende ich möglichst heißes Wasser und
nachfolgende Brennspiritus-Waschung; bei zuverlässigen Per¬
sonen Sublimatlösung. Die Zahl der geleerten Spiritusflaschen
ist mir ein Kennzeichen der geübten Desinfektion.
Hier könnte man nun die Frage auf werfen, ob man nicht
grundsätzlich die Trennung der Krankenpflege von der Küche
einzuführen bemüht sein sollte. Diese grundsätzliche Trennung
habe ich nicht nur nicht angestrebt, sondern sogar bekämpft.
Die Frau, die Mutter hat die Aufgabe der Krankenpflege der
Familienangehörigen und auch die Aufgabe der Besorgung der
Küche. Der familiäre Interessenkreis der Frau der Oberstände
— und nur bei diesen ist die grundsätzliche Trennung erreich¬
bar — ist ohnehin klein, d. h. er wäre groß genug, aber die
moderne Frau hat sich den häuslichen Pflichten mehr oder
minder entzogen und begnügt sich mit einer 10 Minuten in
Anspruch nehmenden allgemeinen Anordnung. Die Küche ist
einem Teil der modernen Frauen ein Fremdwort geworden.
Wenn man nun auch noch aus gesundheitspfleglichen Gründen
diese Abtrennung vertieft und verbreitet, so verteuert man das
Familienleben mit allen Nachteilen des teueren Haushaltes in
biologischer Beziehung, und wenn man den Frauen alle Mög¬
lichkeiten, zu erkranken, sorgfältig aus dem Wege räumt, so
zwingt man sie zu einem Glaskastenleben. Es wird dann das
eintreten, was wir bei den Ameisen beobachten: Aus einer
kriegerischen Waldameise wird die kieferlose Rasenameise, die
sich zur Erhaltung ihres Lebens füttern lassen muß. Wir dürfen
die allgemeine Biologie von der Bakteriologie nicht erdrücken
lassen und müssen uns hüten, in den Fehler anderer führenden
Berufssparten zu verfallen, ihre Sparte als die allein maßgebende
im Volkskörper zu betrachten. Gerade wir Verwaltungsärzte,
denen es Gemeingut ist, daß die Gesamtheit und nicht bloß
ein Teil der Pflege bedarf, müssen uns vor einer Ueberspannung
unserer Forderungen hüten. Obwohl wir also die Gefahr der
Verbindung von Küche und Bett voll erkennen, dürfen wir
6
Dr. Hans Lieske
beide nicht grundsätzlich trennen, sonderh im gegebenen
Falle blofi ein vorübergehend getrenntes Marschieren an¬
streben.
Dagegen möchte ich auf eine andere grundsätzliche Forde¬
rung hier aufmerksam machen: Die Benutzung des Klosett¬
papiers ist noch nicht Allgemeingut der niederen Bevölkerung
geworden. Wer die Ersatzmittel dieses notwendigsten aller
Gebrauchsgegenstände und die dadurch bedingten Gefahren gerade
in der Frage der Weiterverbreitung des Typhus durch Bazillen¬
träger ebenso kennt, wie der Amtsarzt, der die oft recht mangel¬
hafte Fürsorge der Schulbehörden namentlich in dieser Richtung
zu beobachten Gelegenheit hat, und der Amtsarzt, der weiß, daß
jung gewohnt noch immer alt getan ist, der wird mir beistimmen,
wenn ich beonders in dieser Frage aus praktischen Gründen eine
wesentliche Besserung wünsche. Gerade deshalb muß in der
Gegenwart die unbedingte Forderung gestellt werden, Bazillen¬
träger rücksichtslos aus dem Nahrungsmittelgewerbe auszu-
soheiden. Ich glaube zwar, daß vorübergehend ein Mensch
unter dem Drucke der Verhältnisse seine Gewohnheiten ein¬
schränkt, aber ich glaube nicht daran, daß er dauernd sie ablegt.
Das Erlöschen der von mir beobachteten Allgemein- und
ebenso der Hausepidemien ohne wirksame Gegen maßregeln der
öffentlichen Gesundheitspflege, erkläre ich mir dadurch, daß die
Bevölkerung aus sich heraus Häuser zu meiden beginnt, in
denen die „Sucht“ herrscht, wodurch die Weiterverschleppung
verhindert wird. Diese Erklärung würde die Wirksamkeit der
Absperrungsmaßregeln veranschaulichen.
Wenn ich mit dieser Mitteilung den Kollegen auch nichts
Neues geboten habe, so glaubte ich doch, Veranlassung zu haben,
einzelne Punkte zu unterstreichen. Es sollte mich freuen,
wenn die Herren Amtsärzte gegebenenfalls mir ihre Beobach¬
tungen über diese Punkte mitteilen würden.
Privatentbindungsanstalten.
Ein Beitrag zum Kampf gegen das Kurpfuschertum.
Von Dr. Hans Lleske-Leipzig.
Der unheilvolle Einfluß, den die Ausbeutung von Krank¬
heit, Not und Gewissensqual Kreißender durch nicht zweifels¬
freie Personen auf die Volksgesundheit in ethischer und psychi¬
scher Richtung ausübt, liegt zu klar vor Augen denkender
Menschen, um der Worte eines Nachweises zu bedürfen. Aber
nicht allein gegen böse Absicht, sondern auch gegen Gleich¬
giltigkeit und Unverstand müssen der Entbindung entgegen¬
gehende Frauen gefeit sein.
Das Gesetz hilft nun in gewissem Umfang an seinem
Teile hierin fürsorgend und vorbeugend mit, sofern es die Privat¬
entbindungsanstalten für konzessionspflichtig erklärt. Nach An¬
sicht der Aerzte ist der Gesetzgeber bei Aufstellung der Be¬
dingungen für die Betriebsgenehmigung aber leider auf halbem
Privaten tb Indungsanstalten.
7
Wege stehen geblieben; ärztlicherseits wurde seinerzeit ge¬
wünscht, von den Unternehmern von Privatkranken- und Ent¬
bindungsanstalten einen Betriebsplan einzufordern, der sie in
der Behandlung der der Anstalt anvertrauten Leidenden be¬
schränkt oder sie mehr oder weniger an bestimmte Verfahrens¬
weisen binden sollte. Die Gewerbeordnung hat sich jedoch
solchem Verlangen gegenüber taub gezeigt; sie gestattet keinerlei
Anforderungen, die über das Gebiet der einfachen Gesundheits¬
polizei hinaus in das Gebiet der ärztlichen Kunst reichen. 1 )
Infolgedessen muß der Arzt als Geburtshelfer unaufhörlich
Bilder schauen, die die Gebote sozialer Hygiene verhöhnen,
und die sich vor seinem Auge oft nicht zu entrollen brauchten,
hätte der Gesetzgeber, ärztlichen Wünschen willfahrend, mit
festerer Hand zugegriffen.
Gröbsten Mißständen im Geburtshilfewesen vermag aber
auch unter dem herrschenden Rechte naturnotwendig niemand
besser zu steuern, als der Arzt, weil ihm allein genügende Ge¬
legenheit und genügender Sachverstand zur Erkenntnis der be¬
stehenden Schäden gegeben sind. Durch Aufklärung der zu¬
ständigen Behörden kann er deshalb die Gegenwart von gesetz¬
widrigen gemeingefährlichen Entbindungsanstalten säubern und
der Zukunft möglicherweise ein darin strafferes Recht bescheren
helfen.
Da aber hierzu eine genaue Kunde dessen, was das Gesetz
von Privatentbindungsanstalten verlangt, zu unerläßlichem
Rüstzeug gehört, so sei hierüber in folgendem das Bemerkens¬
werte aus Gesetzgebung und gerichtlicher Gesetzesdeutung
dargestellt.
Der Satz, der Privatentbindungsanstalten konzessions¬
pflichtig nennt, erheischt vor allem eine rechte Antwort auf
die hochwichtige Frage: „Was versteht man unter einer
Privatentbindungsanstalt?“ Das Ergebnis solcher Unter¬
suchung wird der Aerzteschaft die erfreuliche Tatsache zeigen,
daß weit häufiger unzulängliche, zu Entbindungszwecken aus¬
geschriebene Quartiere als nichtkonzessionierte Entbindungs¬
anstalten auf entsprechende Anzeige hin geschlossen werden
können, als man bislang vermutete. Damit würden aber gerade
die gefährlichsten, weil unkontrollierten, Unterschlupfwinkel für
Schwangere getroffen.
Nach der Rechtsprechung des preußischen Oberverwaltungs¬
gerichts betreibt eine — konzessionspflichtige .— Privatentbin¬
dungsanstalt jeder, der gewerbsmäßig für eine gewisse Dauer
Räume bereit hält, um sie Schwangeren zur Abwartung der
Entbindung und demnächst zur Entbindung selbst zur Ver¬
fügung zu stellen. 2 )
*) Vergl. die Ausführungen von Land mann: Kommentar zur Gewerbe¬
ordnung; 5. Auflage, I. Bd., S. 240 fg.
2 ) Urteil des preußischen Oberverwaltungsgericht vom 29. Mai 1914,
HL A. 45/13; abgedruckt im Gewerbearchiv f. d. Deutsche Reich; 1915, Heft 2,
8. 219 fg.
8
Dr. Hans Lieske.
Pflegen darunter nun regelmäßig die Entbindungsgelegen¬
heiten zu fallen, auf die in allen größereft Zeitungen fortgesetzt
in der Weise hingewiesen wird, daß man „Damen freund¬
liche diskrete Aufnahme“ zusichert? Es liegt auf der
Hand, wie wichtig ein bejahender Bescheid hierauf sein muß,
da vermutlich gerade hier, wo die Heimlichkeit Trumpf ist, so
oft staatliche und ärztliche Kontrolle zugunsten der Gebärenden
und ihrer Kinder gänzlich fehlt. Hören wir deshalb einen
Gerichtsentscheid aus der Praxis:
Eine Frau X., die bereits in ihrem früheren Wohnorte W. in einer er¬
heblichen Anzahl von Fällen Schwangere zum Zwecke der Entbindung in ihrer
Wohnung anfgenommen hatte, betrieb seit Mitte 1912 in einer von ihrer
Tochter im Hanse D.-weg 12 gemieteten Wohnung unter der Bezeichnung
„Fremdenpensionat“ die Aufnahme und Verpflegung von Pensionsgästen gegen
Entgelt. Unter diesen, hatten sich nach ihrem Eingeständnis 3 weibliche Personen
befunden, die in der Pension der N. entbunden waren. Weiter waren Zeitungs¬
anzeigen ermittelt, worin mitgeteilt war, daß sie „Damen freundliche und dis¬
krete Aufnahme im stillen Waldhänschen gewähre“. Die Polizeiverwaltung
sah die Pension infolgedessen als eine Privatentbindungsanstalt an, für die die
X. die Genehmigung nicht besaß; sie verbot ihr deshalb bis zur Beibringung
der Genehmigung diesen Gewerbebetrieb mit dem Hinzufügen, im Nichtbeach-
tungsfalle hätte sie zu gewärtigen, daß die sich in ihrer Wohnung zum
Zwecke der Niederkunft aufhaltenden Personen aus dieser entfernt und er¬
forderlichenfalls einer Provinzialentbindungsanstalt überwiesen würden. Frau
X. bestritt das Betreiben einer Privatentbindungsanstalt und machte insbesondere
geltend, nicht sie besorge die Entbindungen, sondern von den Schwangeren
selbst bestellte und bezahlte Hebammen. Sie selbst habe keine Vorteile da¬
von; auch liege die Pflege der Wöchnerinnen nur in den Händen der bestellten
Hebammen; ebensowenig besorge sie etwa Wäsche, Verbandszeug oder der¬
gleichen. Ihr einziger Verdienst bestehe vielmehr in dem Preis für Miete und
volle Pension.
Das preußische Oberverwaltungsgericht stellte sich aber
auf dem Rechtsst&ndpunkt der Polizeiverwaltung und erkannte ebenfalls den
Betrieb der X. als eine Privatentbindungsanstalt an. Nach seinen Ausführungen
kann es allerdings im einzelnen Falle mit Rücksicht auf die besonderen Um¬
stände zweifelhaft sein, ob eine solche Anstalt vorliege. Bedeutungsvoll sei
aber hierfür, ob nach dem geplanten oder tatsächlichen Betrieb die Gefahren
wirklich gegeben sind, denen der Konzessionszwang steuern möchte. Jeden¬
falls stehe der Annahme einer Privatentbindungsanstalt nicht entgegen, daß in ihr
nicht bloß Schwangere, sondern auch männliche und weibliche nicht schwangere
Personen aufgenommen würden. Ebensowenig brauche es sich um einen Groß-
betrieo oder einen Betrieb mit besonderen technischen Einrichtungen zu bandeln.
Unerheblich sei es auch weiter, ob der Unternehmer sich selbst an der Wartung
und Pflege der Schwangeren beteilige. Das Fehlen dieser Tatumstände schließe
die Gefahren nicht aus, denen durch die Einführung der Genehmigungspflicht
für Entbindungsanstalten vorgebeugt werden solle.
Von einer solchen wird man zwar unter Umständen nicht reden können,
wenn nur eine vereinzelte gelegentliche Aufnahme von Schwangeren stattfinde.
Die Inserate: „Damen finden freundliche Aufnahme im stillen Waldhäuschen“
ließen aber klar erkennen, daß dauernd auf den Zuspruch von Schwangeren
gerechnet werde und daß die Zimmer des Hauses wenn auch nicht ausschließlich,
so doch jedenfalls’ zum Teil für eine gewisse Dauer bestimmungsgemäß be¬
liebigen Schwangeren und zu Entbindungszwecken zur Verfügung gestellt
würden. Darin aber beruhe der Betrieb einer Privatentbindungsanstalt.
Die an diesem Beispielslalle zu Wort gekommene ober-
gerichtliohe Rechtsprechung zeichnet den Begriff der Privat¬
entbindungsanstalt in solch klarer, die notwendigen Merkmale
mit so scharfen Umrissen beleuchtender Sprache, daß danach
Priratentbindongganstalten.
9
die Frage nach dem Wesen der Privatentbindungsanstalt als
deutlich beantwortet gelten darf. Damit aber steht die Aerzte-
schaft einer Antwort gegenüber, die als wackerer Streitgenosse
im Kampfe gegen Hintertreppen-Entbindungsgelegenheiten die
besten Dienste verheißt. Mit Hilfe der uns hier von der Recht¬
sprechung des Oberverwaltungsgerichts bescherten Gesetzes¬
auslegung ist es dem Arzte vergönnt, in ungezählten Fällen
darauf hin zu wirken, daß polizeilicher Zwang alle gewerbs¬
mäßigen Entbindungsanstalten, die ob der mangelnden not¬
wendigen sanitären und ethischen Voraussetzungen nicht ge¬
nehmigt sind, verschwinden, ein für die Förderung der Gesund¬
heit von Leib und Geist des Volkes sicherlich herzlich zu
ersehnendes Ziel.
Nach der Kenntnis vom Wesen der Privatentbindungs¬
anstalt sei jetzt kurz dargetan, auf welche Umstände sich eine
Zuverlässigkeitserklärung für den Betrieb stützen muß;
denn wenn die gesetzlich aufgeführten Versagungsgründe nicht
vorliegen, besteht Konzessionszwang, d. h. die Konzession darf
nur unter den ins einzelne bezeichneten Gründen abgelehnt
werden.
Erste Hauptbedingung ist — natürlich — die Züver-
ässigkeit des Unternehmers bezüglich der Leitung und
Verwaltung der Anstalt — ein Erfordernis, das uns umso selbst¬
verständlicher erscheint, als der Unternehmer nicht gleichzeitig
der ärztliche Leiter zu sein braucht. Vielmehr gilt als Unter¬
nehmer der, in dessen Namen und für dessen Rechnung der
Betrieb der Anstalt erfolgt und der in technischer und admini¬
strativer Hinsicht die erforderlichen Bestimmungen trifft. 1 ) Von
den nach dem Sinn des Gesetzes an ihn zu stellenden Anforde¬
rungen wird noch ausführlich zu sprechen sein.
Weitere Voraussetzung für die Erteilung der Genehmigung
ist, daß die Anstalt in den baulichen und sonstigen techni¬
schen Einrichtungen den gesundheitspolizeilichen
Anforderungen entspricht. Deshalb sind Beschreibungen
und Pläne mit dem Gesuche einzureichen.
Untersagt werden muß die Genehmigung ferner bedingungs¬
los dann, wenn die Anstalt nur in einem Teile eines auch
von anderen Personen bewohnten Gebäudes untergebracht
werden soll und für die .Mitbewohner erhebliche Nachteile
hervorrufen kann. Ob dies der Fall ist, darüber haben sich
zunächst die Ortspolizei und die Gemeindebehörden zu äußern.
Bei Privatentbindungsanstalten werden indessen Bedenken dieser
Art kaum sonderlich häufig rege werden. Vielmehr bezieht sich
die Furcht, die diese Vorschrift schuf, wohl mehr auf den
Betrieb von Privat-Kranken- und Privat-Irrenanstalten.
Für die Privatentbindungsanstalten ist der Kreis der Kon¬
zessionsbedingungen damit erschöpft.
Der heilsame Einfluß des Arztes in der Ueberwachung
*) Vergl. Land mann; 1. c., S. 236.
10
Dr. Hans Lieake.
eines für die Geburtshilfe wünschenswerten Anstaltsbetriebs
aber kann sich um so reger entfalten, als irgendwelche be¬
deutsamen Aenderungen der Anstalt ebenfalls polizei¬
liche Genehmigung erheischen. Bemerkt also der Arzt in
einer Anstalt, deren Errichtung wegen ursprünglicher Untadlioh-
keit polizeiliche Bedenken nicht versperrten, eine erhebliche
Wandlung zum Schlechten, so wird eine entsprechende An¬
zeige nach fruchtloser Warnung die Polizei von neuem in
Tätigkeit setzen und unter Umständen eine Schließung der
Apstalt zur Folge haben.
Konzessionserneuerung ist ferner nötig auch beim Wechsel
in der Person des Unternehmers; es unterliegen dann
auch die baulichen und die sonstigen technischen Einrichtungen,
sowie die Interessen der Mitbewohner des Hauses einer neuen
Prüfung, bei der die Behörde an die frühere Würdigung dieser
Einrichtungen nicht gebunden ist. 1 )
Besonders notwendig aber erscheint das Studium der
Gesetzesgeschichte danach, welche Umstände bei der Zu¬
verlässigkeitsprüfung des Unternehmers den Aus¬
schlag geben. Da der Unternehmer, wie bereits hervorgehoben,
nicht Arzt zu sein braucht, so sind strenge Anforderungen
sicherlich erst recht angebracht, weil bei einem Arzte in seiner
Berufsbetätigung das als selbstverständlich vorausgesetzt werden
darf, was bei einem Laien nachdrücklicher Sicherheiten be¬
darf. Die Begründung der Gewerbe-Ordnung ergibt aber nach
dieser Hinsicht ein befriedigendes Bild, indem sie uns erklärt,
daß durchaus nicht etwa nur die gewerbliche Seite zu betonen
ist. Im Sinne der durch das Gesetz zu schützenden Interessen
soll nämlich der Unternehmer durch seine Vergangenheit nicht
nur die Annahme ausschließen, als könne sein Geschäftsbetrieb
auf eine strafbare oder auch nur unredliche Ausbeutung des
seiner Anstalt sich anvertrauenden Publikums gerichtet sein;
es darf vielmehr auch kein Raum für die Besorgnis bleiben,
daß in der Leitung und der Verwaltung der Anstalt derjenige
besondere Grad von Umsicht, Erfahrung und Kenntnis nach
der technischen wie nach der administrativen Seite fehlen werde,
der erforderlich ist, wenn solche Anstalten ihren Charakter als
gemeinnützige Unternehmungen behaupten sollen. Der Staat
darf verlangen, daß der Unternehmer, sei es in eigener Person
oder durch vertragswürdigen Stellvertreter, nach den bezeich-
neten Richtungen hin, insbesondere auch betreffs der Sorge
für die etwa nötig werdende ärztliche Hilfe, die dem
Interesse des Kranken entsprechende Sicherheit biete. 2 )
Danach verschließt allerdings der Geist des Gesetzes
Schwachköpfen und Dunkelmännern aller Art einen Posten,
') Landmann; 1. c., S. 242.
*) Motive zur Novelle vom Jahre 1879, durch die der $ 30 der Gewerbe¬
ordnung, der die Anforderungen an den l’ntrrnehmer betrifft, seine jetzige
Fassung erhielt.
Privatentbindungsanst alten.
11
der ob der mit seiner Bekleidung verknüpften hohen Verant¬
wortlichkeit für das Volkswohl umsichtige und makellose
Menschen aufs dringendste fordert. Die sich verstohlen an¬
preisenden verschieden „diskreten Waldhäuscheninhaberinnen“
dürften aber wunderselten die Prüfung auf Herz und Nieren
nach solchem Maßstabe bestehen.
Welch wichtige Rolle im übrigen trotz grundsätzlicher
Erläßlichkeit eigner Sachkunde die Kenntnis der Unternehmer
in der Geburtshilfe bei der Zuverlässigkeitsprüfung
spielt, wird ein Fall aus jüngster Praxis die Aerzteschaft am
besten unterrichten: *)
„Der Provinzialausschnß der Provinz Starkenburg hat bei der Prüfung
eines Gesuchs' um Konzession zum Betriebe einer Privatentbindungsanstalt fest¬
gestellt, daß die Gesuchsstellerin eine unbescholtene, zuverlässige und in ihrer
Haushaltung sehr tüchtige Frau ist und daß ihr Mangel an Pflichtbewußtsein
oder Verantwortlichkeitsgefiihl nicht vorgeworfen werden kann. Er gründete
diese Ansicht u. a. auf die Bekundung zweier L.er Aerzte, die meinen, daß ihr
die Leitung einer Entbindungsanstalt anvertraut werden könne. Der Provinzial¬
ausschuß hat ferner durch die vorgelegten Zeugnisse für erwiesen erachtet,
daß die Gesuchsstellerin vom 6. September 1886 bis 15. Juni 1887 im all¬
gemeinen Krankenhaus in M. als Wärterin tätig war, am 8. Februar 1887 das
theoretische Examen bestand und von da ab in der weiblichen chirurgischen
Abteilung gearbeitet hat, daß sie bis Herbst 1889 über zwei Jahre im
S. v. It.schen Hospital in F. als Kranken Wärterin tätig war und ihre Obliegen¬
heiten in jeder Beziehung zur vollkommensten Zufriedenheit erfüllt bat, und
er hat ihrer Versicherung geglaubt, daß sie auch längere Zeit in der Wochen¬
bettpflege tätig gewesen sei. Der Provinzialausschuß hat ferner dargelegt,
daß für die Gesuchsstellerin in L. Hebammen und Aerzte jederzeit leicht er¬
reichbar und von ihr für die drei Schwangeren, die bereits bei ihr nieder¬
kamen, rechtzeitig zugezogen worden seien und daß anzunehmen sei, sie werde
auch in späteren Fällen fachmännische Geburtshilfe gewissenhaft zuziehen.
Wenn aber die Vorinstanz unter diesen Umständen die Tatsache, daß
die praktische Ausbildung der Gesuchsstellerin in der Geburtshilfe mangelhaft
ist, nicht für wesentlich erachtet hat, verkennt sie den Begriff der Zuverlässigkeit.
Denn gerade diese Tatsache läßt die Gesuchsstellerin, nach der Auffassung
des Großherzoglichen Oberverwaltungsgerichtshofs, unbeschadet ihrer allgemein
moralischen Eigenschaften, zur Leitung und Verwaltung der Anstalt insolange
nicht genügend zuverlässig erscheinen, als sie sich für diese nicht die ständige
Hilfe und Ueberwachung einer zuverlässigen geprüf ten Medi¬
zinalperson sichert, die auch für den Betrieb der Anstalt verantwortlich
ist. Die von der Vorinstanz betonte Möglichkeit, jederzeit einen Arzt oder eine
Hebamme von Fall zu Fall zuznziehen, genügt nicht. Daß jetzt schon die
Unzuverlässigkeit feststünde, läßt sich nicht sagen, da die Zuverlässigkeit
durch geeignete Bedingungen, die der Gesuchsstellerin aufzuerlegen sind, ge¬
währleistet werden kann.“
Wie schwer solche Bedingungen aber wiegen, wenn sie
eine aus Mangel an persönlicher Sachkunde zunächst verneinte
Zuverlässigkeit stützen wollen, das wird die Kundgabe der
Auflagen am deutlichsten dartun, von denen der Provinzial¬
ausschuß die Genehmigung schließlich abhängig gemacht hat.
Sie seien deshalb in folgendem wiedergegeben:
„1. Die Anstalt muß einem Arzt unterstellt sein, der für ihre sanitären
Einrichtungen, für die Pflege, Wartung, Beköstigung der Schwangeren, Wöchne¬
rinnen und Kinder verantwortlich ist.
•) Urteil des Großherzoglich hessischen Verwaltungsgerichtshofs, ab-
gedruckt im Gewerbearchiv f. d. Deutsche Reich; 1915, S. 568.
12
Dr. Hans lieske: Privatentbindungsanstalten.
2. Der Inhaber der Konzession ist verpflichtet:
a) mit einem Arzt oder einer Hebamme einen Vertrag abzuscbließen, durch
den jederzeit die erforderliche Hilfeleistung gesichert'wird;
b) darauf hinzuwirken, jede in die Anstalt eintretende Frau alsbald durch
einen Arzt oder eine am Ort ansässige Hebamme untersuchen zu lassen,
ob Abweichungen von dem normalen Verlauf der Schwangerschaft oder
Geburt vorliegen;
c) einen Arzt oder eine Hebamme sofort zuzuziehen, sobald sich bei einer,
in die Anstalt aufgenommenen Frau regelwidrige oder krankhafte Er¬
scheinungen einstellen;
d) jede Geburt von Beginn bis zur Beendigung der Nachgeburtszeit und .bis
zur Beendigung etwaiger gefahrdrohender Zustände durch einen Arzt oder
eine Hebamme überwachen zu lassen;
c) solange es ihr Zustand erfordert, mindens aber 10 Tage lang, durch eine
Hebamme oder eine staatlich geprüfte Wochenbettptlegerin pflegen und
die Neugeborenen besorgen zu lassen, wozu mindestens zwei Besuche der
Hebamme täglich erforderlich sind;
f) jede ansteckende oder fieberhafte Erkrankung einer Schwangeren, Ge¬
bärenden oder einer Wöchnerin oder eines Säuglinges alsbald dem zu¬
ständigen Kreisgesundheitsamt anzuzeigen;
g) über die in die Anstalt aufgenommenen Frauen ein fortlaufendes Ver¬
zeichnis zu führen, aus welchem die Personalien (Alter, Geburtsort,
Wohnort, Stand und Beruf, Befund bei der Aufnahme, Tag und Verlauf
der Geburt, Befund bei dem neugeborenen Kind, Verlauf des Wochen¬
betts, Ernährung des Kindes, Tag der Entlassung von Mutter und Kind,
sowie der Ort, nach dem das Kind verbracht wird) ersehen werden könne.
3. Vor Eröffnung der Anstalt sind dem zuständigen Kreisgesundheits¬
amt der Arzt und die Hebamme zu benennen, die nach Ziff. 1 und 2 in der
Anstalt vertragsmäßig tätig sein sollen.
4. Vor Eröffnung der Anstalt sind dem zuständigen Kreisamt die Be¬
dingungen und Preise mitzuteilen, unter denen Schwangere, Kreißende oder
Wöchnerinnen aufgenommen werden.
Die Verträge, welche mit Arzt und Hebamme geschlossen sind, sind
dem Kreisamt vorzulegen.
5. Wechsel in der Person des für die Anstalt angenommenen Arztes
oder der Hebamme, Aenderungen in der Anordnung oder Benutzung der An¬
staltsräume, Aenderungen des Vertrages mit Arzt oder Hebamme, oder der
Aufnahme- und Verpflegungsbedingungen sind alsbald dem zuständigen Kreis¬
amt mitzuteilen.
6. Der Inhaber der Konzession ist verpflichtet, dafür zu sorgen, daß
neugeborene Kinder ohne ausdrückliche Erlaubnis des Arztes von der Mutter
des Kindes nicht getrennt werden, und daß die Kinder während des Aufenthaltes
in der Anstalt von den Müttern gestillt werden, wenn nicht der Arzt aus¬
drücklich das Stillen durch die Mutter untersagt hat.
7. Dem Inhaber der Konzession ist es verboten, Pflegestellen für die in
der Anstalt geborenen Kinder zu vermitteln oder durch ihm unterstellte Per¬
sonen oder Familienangehörige vermitteln zu lassen.
8. Dem Großh. Kreisarzt ist jederzeit Zutritt in die Anstalt zum Zwecke
der Ueberwachung des Betriebs zu gestatten und Einsicht in das nach Ziff. 2g
zu führende Verzeichnis zu gewähren.
Bis zum 15. Januar ist dem Großh. Kreisgesundheitsamt eine Abschrift
des nach Ziff. 2 g zu führenden Verzeichnisses aus dem Vorjahre mitzuteilen.
9. In öffentlichen Ankündigungen darf die Anstalt nicht als „staatlich
konzessionierte - oder mit einem ähnlichen Ausdruck bezeichnet werden; auch
darf nicht das Unterbleiben von Heimberichten in Aussicht gestellt werden.
Ferner ist der Ausdruck „diskrete* Niederkunft zu unterlassen.
10. .Soweit Hilfskräfte für die Wartung der Wöchnerinnen tätig sind,
haben diese das Zeugnis als staatlich anerkannte Wochenpflegerinnen binnen
einer von dem Kreisamt zu bestimmenden Frist beizubringen.“
Hiermit dürften die Grundzüge für die Beurteilung der
Kleinere Mitteilungen and Referate atu Zeitschriften.
18
Bewerbungen und die Genehmigung von Privatentbindungs¬
anstalten zweifelsfrei festgestellt sein.
Die sich hieraus für die Aerzte und Medizinalbeamten
ergebenden Handhaben aber erscheinen danach als geschliffene
Waffe iro Kampfe gegen eine wichtige und gefährliche Sorte
geldgieriger Kurpfuscher.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
A. Oeriohtliohe Medizin.
Ein Fall von Rotsehen nach Genuß der Samen von Solanum dulca-
marm L. Von San.-Rat Dr. Hilbert-Sensburg, z. Z. Stabs- and Bat.-Arzt im
Felde. Münch, med. Wochenschrift; 1915, Heft 52.
Ein 8 1 /» Jahre gesundes Kind hatte 10—12 reife Beeren von Solanum
dulcamara zu sich genommen. Es erfolgte Erbrechen; in dem Erbrochenen
waren deutlich Trümmer der giftigen Beere bemerkbar. Das Kind war sehr
unruhig, warf sich im Bett nmher, klagte über Kopf- und Magenschmerzen,
Schwindel, Herzklopfen, Angstgefühl und Rotsehen: n Alles sei rot, wie die
genossenen Beeren gefärbt“. Das Gesicht war gerötet; außerdem bestand
rnpillenerweiterang ad maximnm und Akkomodationslähmnng (das Kind konnte
kleine Buchstaben nicht entziffern). Die Haat des Kindes war trocken; Druck
in der Magengegend schmerzhaft In Ermangelung einer Magenpnmpe wurde
durch Trinken großer Mengen warmen Wassers Erbrechen hervorgemfen und
diese Behandlung fortgesetzt, bis das Erbrochene keine Teile der Beeren mehr
enthielt. Hierauf wurde der Genuß kalter Milch verordnet. Die Beschwerden
ließen nach; es trat Schlaf ein. Am nächsten Tage waren nur noch Blässe
des Gesichts nnd allgemeine Mattigkeit vorhanden; die Papillen waren
noch erweitert, während über Rotsehen nicht mehr geklagt wnrde. Nach
5 Tagen waren alle* bisherigen Erscheinungen der Solannmvergiftnng ver¬
schwunden. _ Dr. Graß 1-Kempten.
B. Oeriohtliohe Psyohlatrie.
Ein schwachsinniges Wunderkind. Von V. Hampel. Zeitschrift für
Schnigesandheitspflege; 1915, Nr. 11.
Verfasser, der Leiter eines Fürsorgeheims, berichtet über einen 11jährigen
schwachsinnigen, sprachlosen Knaben mit charakteristischen Zuckungen; bei
dem sich eine auffällige, weit über die normale Begabung hinaus reichende
Fähigkeit im raschen Erfassen einer ungeordneten Menge von Gegenständen sowie
im raschen Zählen and im Taxieren von Längenmaßen zeigte. Die Längen
and Breite eines Tisches, die Größe von Personen wnrde schuell bis aaf wenige
Zentimeter genau angegeben, Entfernungen ausgezeichnet geschätzt. Die
Zahlenvorstellnngen nnd die Kunst des richtigen Abschätzens verdankt der
Knabe seinen von früh ans betriebenen Lieblingsspiel mit den Blättern eines
Abreißkalenders and einem ächneidermaß.
Die Sprache, anfänglich aaf ganz tiefer Stofe stehend, fing unter fort¬
gesetzten Artikulationsübnngen an, sich za vervollkommnen.
_ Dr. Solbrig-Königsberg.
Einfluß des Krieges auf psychopathische Jugendliche. Von Dr.
J. Girstenberg. Zeitschrift für Schnigesandheitspflege; 1915, Nr. 10.
Verfasser, Pädagoge, berichtet über einen Fall von nenropathiseber
Reaktion eines 16jährigen Imbezillen ans vornehmer Familie anf die durch
den Krieg geschaffenen Verhältnisse: Unter den Erregungen des Krieges, der
fehlenden psychischen Einwirkung seitens der Matter, wohl auch unter dem
Einfluß der Pnbertät beging der jonge Mensch einen Diebstahl in der elter¬
lichen Wohnung.
Im allgemeinen begegnet man nach Girstenberg zwei Groppen von
psychisch minderwertigen jugendlichen Individuen, soweit von einer Stellang-
asJune zum Kriege die Rede ist:
1. solche Individuen, die vom Kriege absolnt nichts wissen wollen,
2. solche Individuen, die durch gesteigerte Erregung, erhöhtes Tatendrang,
Abenteuerlust, also in gefährlicher Weise reagieren.
Es können aber noch gesnnde Kinder in der Entwicklungszeit durch die
Aofregnngen des Krieges schwer geschädigt werden, was auch die seit Kriegs¬
ausbruch zunehmende Kriminalität der Jagendlichen beweist.
Dr. ft o 1 br i g-Königsberg.
O. laehTirstindlgSBtitifktlt auf milit&r ärztlichem Gebiete.')
1. Karze Xitteilang über epidemische Hemeralopie im Felde. Von
Oberstabsarzt der Res. Prof. Dr. Braun schweig. Münchener med. Wochen¬
schrift, 1916; Feldärztliche Beilage za Nr. 9.
2. Ueber Aagenerkrankangen im Felde. Von Stabsarzt der Res.
Dr. Z a d e, Privatdozent in Heidelberg.
3. Ueber Nachtblindheit Im Felde. Von Prof. Dr. A. Brest-Dresden.
Münchener med. Wochenschrift, 1915; Feldärztliche Beilage za Nr. 33.
4. Beobachtungen über Nachtblindheit im Felde. Von Stabsarzt d. R.
Dr. Paal, Angenarzt in Halle a. 8. Münchener med. Wochenschrift, 1915;
Feldärztliche Beilage za Nr. 45.
Die sog. Nachtblindheit, eine Herabsetzung der Licbtempfindlichkeit der
Netzhaut, die sich nicht bloß im Dunkeln der Nacht, sondern auch bei Abend-
und Mondlicbt bemerkbar macht, wird auch im Frieden zuweilen beobachtet und
ist hier dann entweder Folge von ererbten und erworbenen Brechungsfehlera oder
häufiger Folge von Kräfteverfall nach schweren Erkrankungen oder nach schlechter
einseitiger Ernährung. In Rußland soll sie bei den großen Hungersnöten in
epidemischer Form auf treten und auch nach der langen Fastenzeit um Ostern
sowie in rassischen Gefängnissen nicht selten beobachtet werden. Leichte
Formen dieser Sehstörung kommen übrigens den davon Betroffenen wohl öfters
nicht zum Bewußtsein, weil ja die meisten Leute im Frieden bei Tage ihrer
Beschäftigung naebgehen und in ihrem Berufsleben daher durch etwa vor¬
handene Nachtblindheit wenig beeinträchtigt werden.
Braunschweig(l) sah nun nach Errichtung einer Augenabteilang
bei der vierten Armee eine gehäufte Zahl von Nachtblindheit (29) bei ver¬
schiedenen Truppenteilen. Die betreffenden Kranken waren nicht imstande,
sich nach Eintritt der Dunkelheit zurechtzufinden; alle Altersklassen von 17
bis 46 Jahren waren unter ihnen vertreten, ihr Ernährungs- und Kräftezustand war
meist gut und scheinbar ohne besonderen Einfluß; ebenso wurde eine Erkrankung
innerer Organe niemals vorgefunden. Dagegen fanden sich in */» der Fälle
Brecbungsfehler jeder Art und öfters auch ein leichter Bindehautkatarrh des
Auges; die sog. Bilotschcn Flecken wurden aber an der Angapfelbindehaut
in keinem Falle festgestellt. Als Ursache der Erkrankung beschuldigt Braun-
sekweig das unausgesetzte scharfe Spähen im Schützengraben; als be¬
günstigender Umstand komme auch die starke körperliche und seelische Be¬
anspruchung in Betracht. Die Nachtblindheit im Felde stelle somit ebenso
wie im Frieden einen Erschöpfungszustand dar, der bei hohen Anforderungen
besonders an solchen Augen auftrete, deren Leistungsfähigkeit durch un¬
regelmäßigen Bau oder äußere Erkrankung beschränkt sei. Die Behandlung
habe deshalb in Beseitigung vorhandener Brechnngsfehler durch entsprechende
Oläscr, Verabfolgung von Stärkungsmittel, Ausspannung und kräftige Ernährung
zu bestehen. Zur Feststellung der Nachtblindheit hat Br. die im Felde viel
gebrauchte Leuchtuhr benutzt, deren Ziffern ein Normalsichtiger im Dunkel¬
raum nach einigen Sekunden Anpassungszeit auf 80—160 cm Entfernung er¬
kennt, ein Nachtblinder dagegen nur in unmittelbarer Nähe oder höchstens bis
80 ein. Vortäuschung komme nur sehr selten vor.
Za de (2) hnt au 12 Fällen ähnliche Beobachtungen gemacht; anatomische
Störungen der peripheren Netzhautelemente konnte er jedoch nicht nachweisen;
als Ursache wird von ihm deshalb allgemeine Erschöpfung und psychische
Alteration infolge des monatelangen Stellungskampfes angesehen.
Brest (3) tritt der Anschauung entgegen, daß die Nachtblindheit als
') Mit Rücksicht auf die durch den Krieg veranlaßte militärärztliche
Tätigkeit eines großen Teiles der Leser dieser Zeitschrift, namentlich der
beamteten Aerzte, ist diese Unterabteilung neu eingefUhrt.
Kleben Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
lö
eine besonders durch den Krieg veranlaßte Sehstörung aufzufassen sei; es
handele sich vielmehr fast durchweg um Leute, deren schon früher vorhanden
gewesene Nachtblindheit erst im Schützengraben entdeckt sei. Der Stellungs¬
krieg bringe eine Reihe von Vorbedingungen wie: nächtliche Tätigkeit, un¬
vermeidliche Entbehrungen, unregelmäßige Ernährung, körperliche und seelische
Anstrengungen, die verbunden sind mit der unbedingt notwendigen Anpassung
der Aufmerksamkeit, die das Auftreten der Nachtblindheit zwar begünstige,
aber keineswegs in einem Umfange, daß man von einer besonderen Kriegs¬
nachtblindheit sprechen könnte. Der Mehrzahl der Kranken komme die Nacht¬
blindheit als Begleiterscheinung eines alten Brechungsfehlers oder als ererbte
Eigentümlichkeit erst unter den Verhältnissen des nächtlichen Schützengraben¬
krieges im Verkehr mit ihren scharfsichtigen Kameraden zum Bewußtsein.
Einen anderen Standpunkt vertritt Dr. Paul (4) auf Grund der von
ihm gemachten Beobachtungen. Es sind ihm 16 Soldaten zugeführt worden
mit einer erst während des Krieges erworbenen Nachtblindheit; die Befallenen
waren ausnahmslos kräftige felddienstfähige Leute, die alle gut genährt waren,
so daß bei keinem der Eindruck der Unterernährung oder körperlichen Er¬
schöpfung aufkommen konnte. Die Leute, 14 Infanteristen, ein Pionier und
ein Faßartillerist, stammten sämtlich aus der vorderen Linie. Irgend eine
krankhafte Veränderung zeigten die Augen nicht. Auch ein anderer im Felde
stehender Augenarzt machte ähnliche Beobachtungen, so daß er zuweilen sogar
auf den Verdacht der Verstellung kam. Es handelt sich nach der Meinung von
Dr. Paul nicht um die durch körperliche Erschöpfung und schlechte Ernährung
hervorgerufene Friedensform der Nachtblindheit, überhaupt nicht um eine
Augenerkrankung, sondern um eine zerebrale Angelegenheit, also um ein rein
nervöses Leiden, das als Folge nervöser Erschöpfung und psychischer Depression
auf tritt, als deren Ursache der in früheren Kriegen nicht bekannte langwährende
moderne Stellungskampf anzusehen ist, der lange Schützengrabenkrieg mit
seiner zerreibenden Gleichmäßigkeit, unter der namentlich bei schlechtem
Winterwetter die Gemütsstimmung leidet. Seit Anfang Mai hat Dr. Paul
keinen einzigen Kranken dieser Art mehr zu sehen bekommen. Wie bei allen
nervösen Leiden, gewährt das Fernhalten nervöser und psychischer Schädi¬
gungen die beste Aussicht auf Heilung.' Rpd.
Militärdienst und Thyreotoxie. Von Oberstabsarzt Dr. Dannehl.
Deutsche militärärztliche Zeitschrift; 1915, H. 3 und 4.
Für die militärärztliche Sachverständigentätigkeit erscheint folgendes
wichtig:
Die thyreotoxischen Beschwerden werden hervorgerufen: 1. durch lang¬
andauernde Anstrengungen mit mechanischen und thermischen Schädigungen,
2. durch Infektionskrankheiten, 3. durch psychische Einwirkungen. Außer auf
die drei bekannten B a s e d o w Symptome ist auf nervöse und vasomotorische
Reizerscheinungen, Psychopathie (mit Selbstmordneigung) und Stoffwechsel¬
störung (Gewichtsabnahme, Glykosurie) zu achten. Postinfektiöse Formen
gehen rascher und vollständiger zurück als die psychogenen und die Ueber-
anstrengungsformen. Vor allzu gründlichen, regelmäßigen Pulsuntersuchungen
wird wegen der psychischen Empfindlichkeit der Thyreotoxiker gewarnt.
Dr. R. B e r n s t e i n - Mühlhausen i. Thür.
Zur Röntgenuntersuchung des Herzens bei fraglicher Militärtang-
Mchkelt. Von Dr. Franz Grödel. Münch, med. Wochenschrift; 1915; Nr. 52.
Bei der Einschätzung der subjektiven Klagen und des objektiven Be¬
fundes im Bereiche der Zirkulationsorgane, insbesondere des Herzens, stehen
wir oft vor einer fast unlösbaren Frage. Bald lassen sich subjektive Klagen
durch keinen objektiven Befund erklären, bald machen schwere objektive An¬
zeichen geringe Beschwerden. Die große Anpassungsmöglichkeit einerseits und
der Einfluß des Nervensystems anderseits ist schuld daran. Die Herzgröße ist
von verschiedenen Momenten abhängig: Geschlecht, Alter, Körpergewicht,
Beruf, Lebensweise. Die Form der Brusthöhle stimmt mit dem übrigen Körper¬
bau überein. Es gibt keinen hohen Brustkorb in einem untersetzten Körper,
während in einem schlanken Körper auch stets ein schlanker Brustkorb zu
16
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
finden ist. Herz* and Gefäßschatten entsprechen der Brastkorbform. Die
Röntgenuntersuchung gibt in vielen Fallen Aufschluß über sonst unklärbare
Angaben und Befunde. Dr. G r a ß 1 - Kempten.
Beobachtungen Uber Albuminurie. Von Marine-Stabsarzt Dr. Beckers.
Deutsche militärärztliche Zeitschrift; 1915, Heft 9 und 10.
Beckers untersuchte bei 1038 Mann, vorwiegend Rekruten, den Harn
mittels der gewöhnlichen Essigsäure - Kochprobe morgens nach 1—2stündigem
Dienst. Er fand zunächst bei 36 = 3,5 °/o Eiweiß, von denen bei 7 trotz längerer
Beobachtung bei Bestehenbleiben der Eiweißausscheidung keine Anhaltspunkte
für eine Nephritis gewonnen werden konnten. Sechs von diesen 7 hatten eine
ausgesprochene Lordose, nach deren Ausgleichung (durch entsprechende Körper¬
haltung) sie eiweißfreien Harn ausschieden. Die Frage, ob diese Erscheinung
von einer konstitutionellen Minderwertigkeit zeugt, kann nicht ohne weiteres
beantwortet werden; es bedarf in manchen Fällen einer langdauernden Be¬
obachtung. Dr. R. Bernstein -Mühlhausen i. Thür.
Ueber den Fliegertod. Von Stabsarzt Dr. Schöppler. Deutsche
militärärztliche Zeitschrift; 1915, H. 15 und 16.
Die meisten Todesfälle durch Abstürzen sind, wenn nicht durch den
schweren Motor ganz besondere Zerstörungen verursacht werden, einander
ähnlich, gleichviel ob der Sturz aus großer oder geringer Höhe erfolgt Meist
findet man Schlüsselbeinbruch am sternaleu Ende, Vorderarmbrucb, Unter¬
schenkelbrach oberhalb der Knöchel und in der Mitte, Obcrschenkelbruch
im unteren Drittel, Zertrümmerung der Fußwnrzelknochen, Verletzung der
Wirbelsäule ist sehr selten; Zerreißungen der inneren Organe sind häufig.
Dr. R. Bernstein -Mühlhausen i. Thür.
D. laohverst&ndlge&tltlgkeit in Unfall- und InvalldltAts- and
KrankenverslolioranffH&olion.
Ueber Unfallverletzungen des Magens. Von Dr. A. Kiltinger-
Wien. Wiener Arbeiten aus dem Gebiete der sozialen Medizin; H. 7 (Beiheft
zum „Oesterreichischen Sanitätswesen*; 1915, Nr. 43/46).
Verfasser berichtet über 3 Fälle. Die Höhe der Einbuße an Erwerbs¬
fähigkeit durch Magenerkrankungen nach Unfällen ist nach dem Einzelfalle zu
beurteilen. Im allgemeinen wird bei Magenneurosen nicht über ein Viertel
binauszugehen sein; bei Geschwürsbildung im Magen beträgt die Einbuße etwa
>/3 bis l jt ; in einem Falle von Netztumor wurde die Einbuße anfangs auf
i/s, später auf l /i geschätzt. Dr. Wolf-Hanau.
Akute gelbe Leberatrophie (nach Unfall). Von Dr. H. Kurschmann.
Münch, med Wochenschrift; 1916, Heft 62.
Als dritten Fall einer akuten gelben Leberatrophie nach Unfall be¬
schreibt K. den vorliegenden. Ein zwei Jahre altes Kind kletterte auf einen
großen Stuhl, fiel damit um, so daß die Lehne gegen den Bauch gedrückt
wurde und zwar so heftig, daß es auf beiden Bauchseiten zwei blutunterlaufene
Flecken bekam. Am gleichen Tage wiederholte sich derselbe Vorgang. 10 Tage
danach Exitus. Diagnose: akute gelbe Leberatrophie.
Dr. G r a ß 1 - Kempten.
Die Begutachtung der Unfallerkrankungen des inneren Ohres. Von
Prof. Dr. Alt-Wien. Wiener Arbeiten aus dem Gebiete der sozialen Medizin;
H. 7 (Beiheft, zum „Oesterreichischen Sanitätswesen“; 1915, Nr. 43/46).
Bei der Begutachtung der Unfallerkrankungen des Gehörorgans stößt
selbst der erfahrenste Arzt mitunter auf große Schwierigkeiten, wenn er
entscheiden soll, ob eine alte Erkrankung oder eine frische Unfallsfolge oder
eine Verschlimmerung eines schon vorhandenen Ohrenleidens, namentlich einer
sog. Bernfsschwerhörigkeit vorliegt, die ebenso wie die Altersschwerhörigkeit
und die meisten der Gehörorgane betreffenden Unfallfolgen durch eine Er¬
krankung bezw. Schädigung des Labyrinths bedingt wird. Verfasser bat nun
durch Untersuchung zahlreicher Arbeiter aus lärmenden Betrieben festgestellt,
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
17
daß die bei ihnen festgestellte Berufsschwerhörigkeit ausschließlich auf eine
Erkrankung des Schneckennerven zurückzuführen and verhältnismäßig selten
mit persönlichen Beschwerden wie Ohrensausen,, namentlich nicht mit dauernd
vorhandenem Ohrensausen verbunden ist. Außerdem werden Störungen des
Vorhofsnervens, also des ganzen Astes des Qehörnervens, der dem Qieich¬
gewichtssinn dient, sehr selten bei Berafsschwerhörigkeit beobachtet; vor¬
handene Gleichgewichtsstörungen deuten deshalb auf Mittelohr- oder Labyrinth¬
erkrankungen hin, die durch andere Ursachen hervorgerufen sind. Klagen
über Schwindel und Brechreiz sowie vor allem Gleichgewichtsstörungen
sprechen somit gegen die Annahme von Berufsschwerhörigkeit, ganz abge¬
sehen davon, daß Schwerhörigkeit durch Beruf stets doppelseitig ist und sich
meist allmählich entwickelt, während diejenigen durch Unfall in der Kegel
einseitig ist und plötzlich oder verhältnismäßig schnell entsteht. Bei den
Unfall Verletzungen des inneren Ohres handelt es sich meist um Erschütterun¬
gen des Labyrinths, Knochenbrüche oder Bisse des knöchernen Schädelgrundes,
sowie Blutungen in alle Teile des häutigen Labyrinths; außer der mit hoch¬
gradiger einseitiger Schwerhörigkeit verbundenen Gleichgewichtsstörung ist in
der Kegel auch unwillkürliches Augenzittern (Nystagmus) vorhanden. Zur
Beurteilung und Entscheidung ist eine sorgfältige Feststellung der Vorgeschichte
des Unfalls erforderlich; außerdem sind genaue Ermittelungen über das Ver¬
halten des Verletzten vor und nach dem Unfall anzustellen; sehr häufig wird
sich die Notwendigkeit einer längeren Beobachtung erweisen. Bpd.
Entschädigung bei Linsenlosigkeit eines Auges. Rekurs-Entschei¬
dung des Eeichs-Versicherungsamts vom 19. Juni 1916.
Die unkomplizierte Linsenlosigkeit eines Auges wird nach sachverstän¬
diger ärztlicher Ansicht mit einer Rente von 16°/o, ausnahmsweise 20% hin¬
länglich entschädigt. Bei Berufsaiten, die nur grobe Arbeiten erfordern,
genügt eine Rente von 16°/o. Tritt nach einiger Zeit Gewöhnung an das ein¬
äugige Sehen und wieder brauchbares Tiefenschätzungsvermögen ein, etwa
nach Verlauf eines Jahres, so ist die Minderung auf 15°/o, bezw. 10°/o berechtigt.
Voraussetzung für die Minderung der Rente ist aber, daß das unverletzte
Auge voll sehtüchtig und das Starauge mit gutem Erfolge operiert ist, sowie
ferner, daß keine stärkere Entstellung oder Schiefstellung des letzteren vor¬
handen ist und endlich, daß das Bild des Starauges nicht störend empfunden
wird. Im anderen Falle wird der höhere Satz dauernd gewährt werden müssen.
Auch Berufe mit außergewöhnlich hohen Ansprüchen an das stereoskopische
Sehen, zum Beispiel Feinmechaniker, Uhrmacher, Bildhauer und dergleichen
haben unter Umständen Anspruch auf dauernde Gewährung der 20prozentigen
Rente. Betraf der Verlust der Linse das bessere Auge, oder ist die Sehschärfe
des operierten Auges so gering, daß es einem erblindeten gleich zu setzen ist,
dann wird je nach dem Falle eine höhere Bewertung Platz zu greifen haben.
Einem Hauer hat z. B. das Reichsversicherungsamt in einer Rekursentscbeidung
vom 6. Juni 1912 für die unkomplizierte einseitige Linsenlosigkeit mit normalem
Sehvermögen des anderen Auges eine lOprozentige Rente zugesprochen, weil
der Verletzte beim Gebrauch der erforderlichen Brille mindestens halbe Seh¬
kraft auf dem verletzten Auge besaß, die Herabsetznng der Sehschärfe also
aur für geringfügig erachtet wurde. Der Verletzte war wieder als vollwertiger
Hauer wie vor dem Unfälle beschäftigt, ln einem weiteren Falle hat dagegen
das R.V.A. die Linsenlosigkeit eines Auges bei einem Hauer mit 20°/o ent¬
schädigt, obwohl der Verletzte, der vor dem Unfälle Lehrhauer war, jetzt ohne
Beeinträchtigung als Hauer arbeitete und im Akkord 7,23 M. arbeitstäglich
verdiente. Die betreffende Rekurs-Entscheidung (vom 19. Juni 1915) wird wie
folgt begründet:
»Für die Bemessung der Entschädigung kommt in Betracht, daß der
Kläger den Unfall bei Ausübung seines Berufes als Koblenhauer erlitten hat
und der völlige Verlast eines Aages bei einem solchen Arbeiter nach der
Sprachübung des R.V.A. in der Regel mit einer Teilrente von 33'/8°/o zu ent¬
schädigen ist. Hierbei ist die Einbuße, welche der Kläger infolge des Unfalles
vom 11. Juli 1907 nach der eingetretenen weiteren Gewöhnung noch an seiner
Erwerbsfähigkeit seit dem 1. Dezember 1912 erleidet, auf 20°/» zu schätzen
gewesen.“ _ Kompaß; 1916, Nr. 23.
18
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Tod durch Blutvergiftung Infolge einer schon vorher vorhandenen
Handwnnde durch die Arbeit. Entschädigungspflichtiger Betriebsunfall
anerkannt. Rekurs-Entscheidung des Reichs-Versicherungs¬
amts vom 29.September 1915.
Der Schachtreparaturhauer Hermann G. aus Stoppenberg mußte am 7. April
1914 wegen einer Entzündung seiner rechten Hand ärztliche Hilfe in An¬
spruch nehmen. Die auf dem rechten Handrücken befindliche Borke und eine
darunter befindliche' Eiterbildung rührte nach seiner eigenen Angabe von einer
Verletzung her, die er sich etwa 4 Wochen vorher zu Hause durch einen
Schusterpinn zugezogen hatte. Aus der angeblich zuerst ohne Entzündung
verheilt gewesenen kleinen Verletzung hatte sich eine Blutvergiftung entwickelt,
die immer weiter um sich griff und am 16. Mai 1914 den Tod herbeifübrte.
Erst kurz vor dem Tode des G., am 10. Mai 1914, führten die Angehörigen
die Erkrankung auf einen Unfall zurück, den G. in der Nacht vom 4. zum
5. April 1914 im Betriebe der Zeche Helene und Amalie dadurch erlitten habe,
daß er sich beim Hochziehen eines Wagens durch das dabei benutzte stark be¬
schmutzte Seil an der früher verletzt gewesenen Stelle eine frische Verletzung
zugezogen habe. Den nach dem Tode erhobenen Hinterbliebenenrentenanspruch
wiesen die Knappschafts-Berufsgenossenschaft und auch das Oberversicherungs¬
amt zurück, weil die erst später behauptete frische Verletzung im Betriebe
nicht erwiesen sei. G. selbst habe zu seinen Lebzeiten auf die Frage der Aerzte,
wodurch die Entzündung entstanden sei, angegeben, daß sie von selbst ent¬
standen sei; er wisse wenigstens keine andere Ursache anzugeben. Auch eine
Verschlimmerung der ersten durch den Schusterpinn hervorgerufenen Wunde
durch die Arbeit mit dem Seil sei unwahrscheinlich, denn ärztlicherseits seien
keine Zeichen einer frischen Verletzung festzustellen gewesen. Die Infektion
dieser alten Wunde außerhalb des Betriebes sei ebensogut möglich als die be¬
hauptete Infektion durch das Seil. Das von den Hinterbliebenen angerufene
S.V. A. verkannte die Zweifelhaftigkeit der Sache nicht, hielt es aber doch für
wahrscheinlicher, daß durch die Arbeit im Betriebe die Eitererreger in die
Wnnde gelangt sind und verurteilte daher die Berufsgenossenschaft aus
folgenden Gründen zur Entschädigungsleistung:
„Das R.V. A. hat den aus Anlaß des Todes des Bergmanns Hermann
G. erhobenen Anspruch der Hinterbliebenen für begründet erachtet. G. ist
infolge einer phlegmonösen Entzündung, die die ganze rechte Hand und
den Arm bis zur Achselhöhle ergriffen hatte, an Blutvergiftung gestorben.
Erkrankungen dieser Art pflegen dadurch zu entstehen, daß auf dem Wege
einer oft geringfügigen Hautbeschädigung Eitererreger in das Zellgewebe ein-
dringen und die Entzündung herbeiführen. Sie sind nach der ständigen Recht¬
sprechung des R.V.A. sowohl dann als Folgen eines Betriebsunfalls anzusehen,
wenn die den Eingang der Krankheitserreger in das Zellgewebe ermöglichende
Hautverletzung im Betriebe verursacht worden ist, als auch dann, wenn ein
Betriebsunfall den Eintritt der Krankheitskeime in eine schon vorhandene
Hautwunde bewirkt hat. Bei dem Bergmann G. fand sich zur Zeit der Auf¬
nahme in das Krankenhaus in Stoppenberg am 9. April 1914 auf dem rechten
Handrücken eine kleine Borke und darunter eine Eiteransammlung. Die Borke
rührte von einer Verletzung her, die sich G. nach seiner eigenen Angabe etwa
4 Wochen früher zu Hause durch einen Schusterpinn zugefügt hatte und die
angeblich ohne Entzündung verheilt war. Durch die Aussage der Zeugen ist
erwiesen, daß G., der bis dabin regelmäßig gearbeitet hatte, am 4. April 1914,
als er auf der 5. Sohle bei dem Herausholen von 3 Förderwagen aus dem
Schachtsumpf mitbeschäftigt war, und ferner am 6. April darüber geklagt hat,
daß er sich bei der Arbeit am 4. April an der früher verletzten Hand webgetan
habe. Es unterliegt auch keinem begründeten Zweifel, daß seine Tätigkeit bei
dem Heranziehen der aus dem Sumpf gehobenen Wagen auf den Füllort mittels
8eils leicht zu einer Beschädigung der Hand oder, wenn die Haut bereits ver¬
letzt war, zu einer Verschlimmerung der alten Wunde führen konnte. Durch
die Berührung der mit Sumpfschlamm überzogenen Wagen oder des schmutzigen
Hanfseils war aber die Gefahr der Infektion einer Wunde an der Hand be¬
sonders gegeben. Unter diesen Umständen hat der Senat, ohne eine gewisse
Zweifelhaftigkeit des Falles zu verkennen, es für überwiegend wahrscheinlich
erachtet, daß die zum Tode des Bergmanns G. führende Krankheit auf ein am
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
1 *
•
4. April 1914 im Betriebe eingetretenes DnfaUereignis znrückznfiihron ist. Die
Beklagte ist daher verurteilt worden, die Kläger nach Maßgabe der §§ 586 ff.
der R. V.O. zu entschädigen. Kompaß; 1915, Nr. 23.
E. Bakteriologin und Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten.
1. Bakteriologie und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten im
allgemeinen.
25 Jahre antitoxischer Serumtherapie. Von Prof. H. Kos sei-Heidel¬
berg. Deutsche med. Wochenschrift; 1915, Nr. 49.
In der Deutschen med. Wochenschrift vom 4. Dezember 1890 berichteten
v. Behring und Kitasato, daß es ihnen bei Diphtherie und Tetanus
gelungen sei, „sowohl infizierte Tiere zu heilen, wie die gesunden derartig vor¬
zubehandeln, daß sie später nicht mehr an Diphtherie bezw. Tetanus erkranken.“
1892 konnte v. Behring mit Wernicke Ergebnisse veröffentlichen über die
Immunisierung von Schafen mit Diphtheriegift. Gleichzeitig wurden von
Schütz Pferde und Schafe immunisiert. Weiter förderten Ehrlichs Arbeiten
über giftige Pflanzeneiweißkörper das Studium der Immunität, die Kenntnis
der antitoxischen Werte im Blutserum und ermöglichten nicht nur die
Steigerung der Immunität der blutliefernden Tiere, sondern auch das genaue
Bestimmen ihres Antitoxingehaltes.
Der ersten Veröffentlichung über die Behandlung diphtherie-
kranker Kinder durch Behring, Boer und Kossel im April 1893
folgten weitere Mitteilungen von Behring, Wernicke, Ehrlich,
Wassermann, Kossel (1894) und von Roux und Martin auf dem
internationalen Kongreß in Budapest (1894). Von nun an wurde auch das
Mittel der Allgemeinheit zugänglich gemacht und die Herstellung des
Diphtherieserums in den Höchster Farbwerken im großen Maßstabe be¬
trieben. Und der Erfolg? Während in Deutschland im Jahre 1893 in
10 deutschen Staaten 65384 Todesfälle an Diphtherie und Krupp bei Kindern
im Alter von 1 bis 15 Jahren gezählt wurden, betrug die Ziffer 10 Jahre
später in 24 deutschen Staaten in der gleichen Altersklasse 15712 und 1918
trotz erheblicher Bevölkerungszunahme nur noch 12129 in 26 deutschen Staaten.
Die Sterblichkeit an Diphtherie war also in 20 Jahren auf
den 5. bis 6. Teil abgesunken. Noch beweiskräftiger Bind die Ver¬
hältnisse in den deutschen Städten über 15000 Einwohner, in denen die früh¬
zeitige Anwendung des Serums bei den erkrankten Kindern besser gewähr¬
leistet ist als auf dem flachen Lande: Hier ist die Kurve der Diphtheriesterb¬
lichkeit in den auf die Einführung des Serams folgenden Jahren steil abgefallen
(von 130 bezw. 100 auf 50 und 20 auf 100000 Lebende berechnet), ohne sich
nicht wieder zu erheben. Wie in Deutschland, so ist auch in anderen Ländern
nach Einführung der Serumbehandlung die Diphtheriesterblichkeit gesunken.
Immerhin ist sie noch beträchtlich, so daß den neuesten Behringschen Be¬
mühungen, die Schutzimpfung mit einem Toxin-Antitoxingemisch zu erreichen,
Erfolg zu wünschen wäre.
Bei dem Tetanus erfüllte das antitoxische Serum als Heilmittel nicht
die Hoffnungen. Der Grund hierfür liegt in der Pathogenese der Krankheit,
bei der das Wandstarrkrampfgift durch frühzeitige Bindung an die Zellen des
Zentralnervensystems und an die peripherischen Nerven der Einwirkung des
nur im Blute kreisenden Antitoxin» entzogen wird. Trotzdem entlastet die
intramuskuläre und intraspinale Injektion des Tetanusserums den Körper vor
der Giftwirkung und ist bei der sonst so furchtbaren Krankheit durchaus
berechtigt. Die prophylaktische Wirksamkeit des Tetanus-
antitoxins ist durch den Krieg erwiesen. Die Einspritzungen, möglichst
bald nach Granatsplitter- und anderen auf Tetanuskeime verdächtigen Ver¬
letzungen vorgenommen, haben die Erkrankungen an Wundstarrkrampf immer
seltener gemacht. Die hierzu erforderlichen großen Sernmmengen hat man
gewinnen können.
Die Anwendung antitoxischer Sera wurde außerdem verwertet für die
Behandlung der Schlangenbisse durch Ca 1 me11e, des Botulismus
durch Kempner, des Heufiebers durch Dnnbar. Die neuen Waffen
entstammen dem Arsenal deutscher Wissenschaft. Dr. R o e p k e - Melsungen.
20
Kleinere Mitteilungen und Beterate ans Zeitschriften.
Ergebnisse der Schatzimpfangen an der Impfstelle des Zentral»
komltees der Preußischen Landesvereine vom Boten Krenz in Berlin.
Von Dr. 0. Salomon und Dr. R. Weber. Deutsche med. Wochenschrift;
1915, Nr. 49.
Als Impfstoffe gelangten ausschließlich zur Verwendung die Pocken*
ly mp he von der Kgl. Impfanstalt Berlin, der Typhusimpfstoff aus dem
Institut für Infektionskrankheiten „Robert Koch“, der Choleraimpfstoff
von der Kaiser Wilhelm-Akademie-Berlin. Die Pockenimpfung erfolgte mit
Platin-Iridium-Lanzetten, die gegen Typhus und Cholera mit Rekordspritzen
und Nickelkanttlen. Impfstelle: Mitte zwischen Sternum und Mamilla, ihre
Desinfektion mit Aether oder 10 proz. Jodtinktur. Reihenfolge: am ersten Tage
Pocken- und erste Typhusimpfung (0,5 ccm), nach 7 Tagen Nachschau und
zweite Typhusimpfung (1 ccm), wiederum nach 7 Tagen dritte Typhusimpfung
(1,0 ccm); nach einer Woche erste Choleraimpfung (0,5 ccm), nach 7 Tagen zweite
Choleraimpfung (1,0 ccm); in der folgenden Woche Nachschau der Impfstelle
und Ausstellung des Impfscheins. Nur in ganz dringenden Fällen wurde der
Zwischenraum auf 8—5 Tage herabgesetzt, nach sehr starker Pockenreaktion
um 8—14 Tage verlängert. Ueber Verhaltungsmaßregeln wurden die Geimpften
mündlich, später durch ein gedrucktes Formular unterrichtet
Der Pockenimpfung wurden 2873 Personen während des ersten
Kriegsjahres unterzogen; nicht zur Nachschau waren erschienen 417, ohne
Erfolg geimpft 101. Starke Reaktionen, noch stärker als beim Erstimpfling,
wurden bei Personen beobachtet, die 30 Jahre und älter waren; häufig hatten
sich bei ihnen in der Umgebung der Impf blättern kleine sekundäre Pustelchen
gebildet. Auf Grund dieser Beobachtung und der Gefahren der Pockenseuche
durch den Krieg wird zur Erwägung gestellt, ob nicht eine Wiederimpfung
im Alter von 25 — 30 Jahren bei den Personen gerechtfertigt oder
geradezu erforderlich erscheint, die nicht im 21. Jahr gelegentlich einer
Militärzeit wiedergeimpft sind.
Bei der Typhusimpfung von 2869 Personen wurde von der drei¬
maligen Injektion nicht abgewichen. Bei starken Reaktionen, die regelmäßig
bei Potatoren auftraten, wurde die Dosis verkleinert oder der Zwischenraum
von 8 auf 14 Tage ausgedehnt oder ein älterer Impfstoff genommen. Hoch¬
gradige Reaktionen (mit tagelangem hohen Fieber, Bettlägerigkeit, ödematöser
Schwellung der Impfstelle), wie sie in Schützengräben, Garnisonen usw. vor¬
gekommen sind, wurden niemals beobachtet.
Die Choleraimpfungen wurden von allen 1606 Personen sehr gut
vertragen.
Durch die serologische Untersuchung des Blutes der
Geimpften wurde folgendes festgestellt: Die Agglutination ergab bei
T y p h u s geimpften in 16,6 °/o der untersuchten Fälle einen Titer von 200, bei
83,8 # /o 160, bei 16,6 °/o 100, bei 22,5 °/o 50 und bei 11,5®/# keine Agglutination.
Bei den C h o 1 e r a geimpften ergab die Agglutination bei 6,6 °/o einen Titer
von 800, bei 13,3°/« 400, bei 6,6 ®/o 200, bei 13,3 ®/o 100, bei 20®/o 50 und bei
33,8°/o keine Agglutination. Der Pfeiffersche Versuch bei den Cholera¬
geimpften (eine Oese hochvirulenter Cholerakultur mit 0,01 Serum verrieben
und intraperitonal injiziert) zeigte in 42,8 Fällen nachweisbaren 8chutz,
während der übrige Teil der Tiere der Infektion erlag.
Dr. Roepke-Melsungen.
- 1 -
2. Pocken.
Die Pockenerkrankungen in Detmold Im Frühjahr 1914. (Aus dem
Kaiserlichen Gesundheitsamte in Berlin). Von Stabsarzt Dr. E. Hesse.
Deutsche med. Wochenschrift; 1915, Nr. 46.
Der Verfasser hat sich im Juni v. J. auftragsgemäß an der Behandlung
der in der Isolierstation des Detmolder Landkrankenhauses untergebrachten
Pockenkranken und den weiteren Bekämpfungsmaßnabmen beteiligt und gibt
die in epidemischer Hinsicht bemerkenswerten Tatsachen bekannt. Von 38 für
landwirtschaftliche Arbeiten am 16. März 1914 eingetroffenen russisch-polnischen
Arbeitern der fürstlichen Domäne Schieder waren nur 37 zu der vorgeschriebenen
ärztlichen Untersuchung erschienen. Den fehlenden Arbeiter, der krank im
Bette lag, suchte man zu verschweigen, um Unbequemlichkeiten vorzubeugen.
Kleinere Mitteilungen and Referate atu Zeitschriften.
21
Der Stellvertreter des Kreisarztes stellte bei dem im Sterben liegenden Kranken
schwere Pocken fest. Kurze Zeit danach erkrankten drei der übrigen Polen,
zwei Mädchen nnd ein Junge, unter verdächtigen Erscheinungen. 8ie wurden
am 23. März in einer vom übrigen Hause nicht weiter abgesperrten Isolier¬
baracke des Landkrankenhauscs untergebracht, das gesamte Pflegepersonal
einer Schutzimpfung, allerdings mit nicht frischer Lymphe, unterzogen.
Bei einem der eingelieferten kam eine sehr schwere Pockenerkrankung zum
Ausbruch, während die beiden anderen, die vor der Einlieferung mit
Erfolg geimpft waren, gesund blieben; letztere wurden am 19. April,
ersteres am 27. Mai nach seiner Genesung entlassen. Am 30. Mai erkrankte
im Hauptgebäude eine operativ behandelte (Oberschenkelamputation) Frau mit
pockenähnlichem Ausschlag ohne Fieber; man nahm Varizellen an, immerhid
konnte eine leichte echte Pockenerkrankung (Narben) Vorgelegen haben. Im
Laufe der ersten Hälfte des Juni erkrankten dann im H&upthause des Land-
krankenhauses fünf und im abgesperrten Diakonissenhause eine Person ein¬
wandfrei an Pocken (2 Diakonissen, 3 alte Männer, ein halbjähriges, noch
nicht geimpftes Kind). Trotzdem waren am 15. und 16. Juni 13 Kranke und
bis zum 20. Juni im ganzen 39 Kranke aus dem Landkrankenhause entlassen
worden, nachdem sie am 15. und 16. Juni mit frischer Lymphe geimpft waren.
Unter den am 16. Juni Entlassenen befand sich eine ältere wegen Unterleibs¬
leiden Operierte, die am 22. Juni erkrankte mit typischem Pockenausscfalag
und am 30. Juni den Pocken erlag; bei einer mit ihr in Berührung gekommenen
Frau* wurden atypische Varizellen festgestellt. Im ganzen sind also 12 Er-
krankungsfälie vorgekommen, davon waren neun mit Sicherheit
echte Pocken; die Zahl der Pockentodesfälle betrug 6. Die
Seuche ist durch das pockenkranke Polenmädchen, das vom
23. März bis 27. Mai im Landkrankenhause war, eingeschleppt worden.
Es liegt weiterhin die Annahme nahe, daß die Infektion der später erkrankten
Personen durch infektiöses Material erfolgt ist, daß in Form von angetrocknetem
Eiter, beschmutzter Wäsche, in ungenügend vernichtetem Kehricht oder auf
andere Weise lebenskräftig geblieben ist und später seine Wirkung entfaltet
Lat. Der im Krankenhause vorhandene Desinfektionsapparat entsprach den zu
stellenden Anforderungen nicht. Für die Uebertragung der Pocken im Kranken¬
hause waren verschiedene Möglichkeiten gegeben: Die völlig fehlende Ab¬
sperrung der pockenkranken Polin in der Döck er sehen Baracke vom übrigen
Krankeohause, die Heranziehung der sie behandelnden Aerzte zu ihrem sonstigen
Dienst, der Verkehr einer Hauskatze zwischen dem pockenkranken Polen¬
mädchen und den anderen Kranken (die Katze erkrankte mit Erbrechen und
Durchfall und wurde getötet, die im Krankenhause gehaltenen Schweine
erkrankten an einem pockenähnlichen Ausschlag — auf Schweine wie auf
Katzen ist eine Uebertragung der Pockenvakzine möglich!).
Zur Verhütung der Weiterverbreiiung der Pocken wurden folgende
Maßnahmen getroffen: Räumung und Desinfektion der mit Erkrankten belegten
Räume, Unterbringung der Kranken und Ansteckungsverdächtigen in der
Döckerschen Baracke mit eigenem Pflegepersonal, Impfung mit frischer
Lymphe sämtlicher Insassen des Hauses einschließlich der Aerzte, der Pfleger
und Pflegerinnen, Absperrung der Isolierbaracke und der Döckerschen
Baracke durch Umzäunen mit Maschendraht, strenge Vorschriften betr. Ver¬
teilung des Essens, Reinigung des Geschirrs, Beseitigung der Abfälle und
menschlichen Ausscheidungen, Sperrung des Hauses für Besucher, Impfung
neu aufgenommener Kranker, Ueberwachung der Entlassenen, öffentliche frei¬
willige Durchimpfung der Bevölkerung der Stadt, welche Gelegenheit trotz
starker impfgegnerischer Gegenströmungen in ausgiebigstem Maße benutzt
wurde. Besondere Sorgfalt wurde auf die Entlassung der Genesenen und der
zur Beobachtung im Isolierbezirk untergebrachten Personen verwandt, ferner
auf die Desinfektion der Räume der Station und der Docker sehen Baracke;
diese Räume wurden außerdem für mindestens 3 Wochen gesperrt.
Für die Beurteilung des Impfschutzes ist aus der Detmelder Epidemie
zunächst zu folgern, daß eine einjährige Glyzerinlymphe, wenn sie
nicht gerade bei einer Temp M’atur unter 0° auf bewahrt wird, wohl unter allen
Umständen wirkungslos ist. Anderseits erhärten den Nutzen der
Pockenschutzimpfung die zahlreichen mit frischer Lymphe geimpften
22
Kleinere Mitteilungen and Beferate ans Zeitschriften.
Personen, die einer Ansteckung in hohem Mähe aasgesetzt waren (4 Aerzte,
4 Schwestern) and demnach nicht erkrankt sind. Bei den alten Leuten,
die höchstwahrscheinlich nie geimpft waren, verlief die Krankheit ausnahms¬
los tödlich, bei einer Schwester, bei der die Impfung 12 Jahre zurücklag,
bestand keine Immunität mehr, und bei einer anderen Schwester, die 36 Jahre
vorher mit Erfolg geimpft war, verlief die Krankheit unter ganz leichten
Erscheinungen. Endlich erscheint sicher, daß die Verhütung des Umsichgreifens
der Seuche auf Stadt und Land zu einem großen Teil der Massenimpfung
in der Bevölkerung zu verdanken ist. Dr. R o e p k e - Melsungen.
3. Fleckfieber.
Die Fleckfleberepldemie im Görlitzer Kriegsgefangenenlazarett.
Von Dr. Rondke, ord. Arzt der Seuchenabteilung des Kriegsgefangenen¬
lazaretts. Medizinische Klinik; 1916, Nr. 42.
Der noch unbekannte Erreger des Fleckfiebers scheint zu den filtrierbaren
Krankheitserregern zu gehören; er befindet sich im Blut und zwar in den weißen
Blutkörperchen. Die Ueberträger sind die Kleiderläuse (vielleicht auch Kopfläuse),
in denen die Erreger einen Reifungsprozeß durchmachen; erst nach 6—7 Tagen
werden die Parasiten fähig, die Krankheit durch ihren Biß zu übertragen.
Wahrscheinlich geht das Virus auch in die Nisse und damit auf die folgende
Generation über. Gegen die Spirochaetennatur spricht der negative W a s s e r -
mann und das Versagen der Salvarsan-Therapie. Eine erneute Verlausung
der Patienten von außen oder von den Nissen an Körperhaaren ist zu verhüten,
da eine Summation des Giftes eintritt. Vielleicht vermittelt auch in seltenen
Fällen die Tröpfcheninfektion die Uebertragung. Aus den zur Beobachtung
gelangten 270 sicheren Fällen gestaltet sich das Krankbeitsbild folgender¬
maßen : Die Inkubationszeit ist meist ohne Beschwerden, das Prodromalstadium
gelegentlich mit Unbehagen, Kopfschmerzen, Durst, Hitzegefühl, Schwindel
und Bronchitis verbanden. In der Hälfte der Fälle tritt als Beginn Schüttel¬
frost auf, immer Fieberanstieg; gleichzeitig besteht ein influenzaartiges
Initialstadium. Die Milz ist oft, aber nicht regelmäßig, vergrößert. Die
Magen-Darmsymptome sind so selten, daß ihr Auftreten direkt gegen Fleck¬
fieber spricht. Am 3.—6. Tage erscheint das Exanthem (mikroskopisch finden
sich in den kleinen Hautarterien charakteristische Proliferationen, die zu knoten¬
artigen Verdickungen und Verschluß der kleinen Gefäße führen; differential¬
diagnostisch gegen Roseola typhosa, die in Anschwellung des Papillarkörpers
besteht). Das Exanthem kann auch fehlen. Am 12.—16. Tag tritt kleien¬
förmige Abschuppung auf. Febris continua mit meist lytischem Abfall. Die
Allgemeinerscheinungen sind schwer: Status typhosus mit Delirien und
Erregungszuständen. Im Urin findet sich fast stets leichte Albuminurie und'
Zylindrurie; sehr oft ist Ohrensausen und Schwerhörigkeit, zentral bedingt,
vorhanden, ferner Lungenerscheinungen. Die Mortalität steigt mit dem Alter.
Differentialdiagnostisch kommen in Betracht: Typhus abdominalis (Bazillen¬
nachweis, Widal), Rückfallfieber (Spirillen im Blut), Masern, haemorrbngische
Pocken, Roseola syphilica, gewisse Formen von Genickstarre und Malaria,
Lungen- und septikaemische Pest, Influenza, septische und Arzneiexantheme.
Die Behandlung deckt sich mit der allgemeinen Therapie der Infektions¬
krankheiten. Dr. L. Quadf lieg-Gelsenkirchen.
Beobachtungen bei einer Fleckfleberepldemie. Von Oberstabsarzt d. R.
Prof. Dr. Otto, Berlin. Deutsche med. Wochenschrift; 1916, Nr. 45 und 46.
Die Beobachtungen sind in dem Kriegsgefangenenlager W. bei
Z. gemacht. Von vornherein wurde eine möglichst schnelle and sichere Ent¬
lausung aller Gefangenen, in erster Linie der in den abgesperrten Lagerteilen,
anbefoblen; gleichzeitig wurden die Gefangenen, ihre Kleider, Wohnungen
und Lagerstätten entlaust Die unter verdächtigen Erscheinungen erkrankten
Gefangenen kamen zunächst in eine besondere Baracke des abgesperrten
Lagers, wurden gebadet, mit reiner Wäsche versehen und, falls der Verdacht
auf Fleckfieber fortbestand, am nächsten Tage ins Seuchcnlazarett übergeführt,
wo sie vor ihrer Aufnahme nochmals gebadet und auf das Vorhandensein von
Läusen untersucht werden mußten. Dank dieses Vorgehens blieb das Lazarett
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
28
l&asefrei, auch sind trotz engster Berührung des Pflegepersonals mit den
Kranken keine Infektionen yorgekommen. Auch Sanitats- und Wachpersonal in
dem Lager blieben vor Ansteckung bewahrt; eine solche ereignete sich nur
auf der Revierbaracke, in der die Entlausung vieler verdächtiger Fälle erst
vorgenommen werden maßte.
Die ärztliche Behandlung der Verdächtigen und Kranken erfolgte in der
von einem Drahtzaan abgetrennten Seachenabteilnng des Kriegsgefangenen-
lazaretts; alle Sanitätspersonen tragen Gummimäntel. Die Behandlung bestand
in kalten Bädern. Urotropin warde bald anfgegeben, da sich nach den vor¬
geschlagenen Dosen schwerste Delirien, vorübergehende Psychose, Blasenkatarrh
mit Tenesmas and blatigem Harn einstellten und in den übrigen Fällen das
Mittel ohne jede Wirkung blieb. Von 66 klinisch sicheren Fleckfieberfällen
mit Exanthem and 9 Fleckfieberverdächtigen Fällen ohne Exanthem starb je
einer an Herzschwäche und Septikämie. Als Nachkrankheit wurde mehrfach
Schwerhörigkeit beobachtet, die sich in einzelnen Fällen bis zu gänzlicher
Taubheit steigerte.
Das Virus des Fleckfiebers hat seinen Sitz in den Leukozyten; denn
es gelingt leicht, mit geringen Leakozytenmengen Affen za infizieren. Ander¬
seits findet sich bei Fleckfieberkranken eine oft mit der Schwere der Infektion
einhergehende Nekrose der Kerne der polynukleären neutrophilen Leukozyten,
die stark segmentiert and eingebuchtet erscheinen. Ob die ebenfalls im Zell¬
leib beobachteten basophilen Körnelangen and intensiv gefärbten Körperchen
und Doppelkörperchen eine differentialdiagnostische Bedeatang haben, steht noch
aus. Sonstige protozoenähnlicbe Gebilde sind im Blale der Erkrankten nicht
beobachtet; auch bakteriologische Untersuchungen ergaben regelmäßig ein
negatives Ergebnis.
Die Komplementbindungsreaktion, mit alkoholischen Extrakten
aus Organen als Antigen aasgeführt, tritt in der Regel erst am dritten Krank¬
heitstage oder noch später, meist nach dem Aasbrach des Exanthems, ein.
Ihre diagnostische Bedeatang beschränkt sich daher auf die „ersten“ Fälle
ohne Exanthem, deren ßlatseram zuerst negativ reagiert, dann positiv wird
und dauernd negative W i d a 1 sehe Reaktion ergibt.
Besonders bemerkenswert erscheint der Vergleich des klinischen Verlaufs
des Fleckfiebers mit dem der Weil sehen Krankheit. Analogien zwischen
beiden sprechen zweifellos für eine Verwandtschaft oder ein Nahestchen der
ätiologischen Ursachen beider Infektionskrankheiten. Aach die Weil sehe
Krankheit gehört zu der Grappe, die dadurch besonders gekennzeichnet ist,
daß ihre Erreger durch Zwischenwirte übertragbare, mit unseren jetzigen
Hilfsmitteln nicht sicher erkennbare Mikroorganismen sind, höchstwahrscheinlich
Protozoen.
Gelegentlich der Fleckfieberepidemie sind auch einige Fälle von Rück¬
fallfieber beobachtet; sie hörten ebenfalls nach Entlausung der Mann¬
schaften und Baracken auf. Dr. R o e p k e - Melsungen.
4. Ruhr.
BeitrSge zur JRuhrbehandlnng. II. Aas der k. and k. Eisenbahn-
sicheraogsabteilung Podleze (Chefarzt: Oberarzt Dr. Klesk).
lieber die Scrumbehnndlnng der Rohr. Von Dr. Adolf Klesk,
k. und k. Oberarzt i. d. Res, Direktor des Spitals „Panien Ekonomek“ in
Krakau. Medizinische Klinik; 1915, Nr. 42.
Die so wichtige Prophylaxe der Ruhr erfordert zunächst die schnelle
Isolierung der Kranken, Desinfektion des Stuhles sowie geordnete Abführung
der Abfallstoffe. Ein weiteres Mittel zur Bekämpfung ist in der Sernmbeband-
lang gegeben. Das polyvalente Serum (Kraus und Doerr, Bijounal) wird
durch Immunisierung mit dem Toxin der Bazillen gewonnen. Die Einspritzung
geschieht unter die Bauchbaut in der Dosis von 2—5 Portionen. Nach der
Einspritzung steigt gewöhnlich die Temperatur auf 38—39°, um aber nach
einigen Stunden wieder zur Norm zurückzukehren. Die Wirkung ist um so
besser, je früher die Injektionen gemacht werden, am besten in den ersten
Tagen. Injektionen im Inkubationsstadimn können den Ausbruch der Krankheit
nicht mehr verhüten, verkürzen aber sehr oft die Dauer. Prophylaktische
Impfungen scheinen Immunität hervorzurufen, über deren Dauer keine
24
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
genügende Beobachtungen gemacht werden konnten. Die Schmerzen an der
Injektionsstelle sind gering; sie nehmen zu parallel der Schwere der Erkrankung.
Neben Serum und Diät bekamen die Patienten Opium, Rotwein, Salizyl- oder
Eichenrindeeinläufe. Von den Nichtinjizierten starben dreimal so viel als von
den Geimpften. Die Einspritzungen sind bei Brustkindern und dekrepiden
Greisen nicht zu empfehlen. Dr. L. Quadflieg-Gelsenkirchen.
5. Tuberkulose.
Tuberkelbazillen im Blute. Von Dr. C. M o e w e s - Lichterfelde. Deutsche
medizinische Wochenschrift; 1915, Nr. 46.
Die Nachprüfung der Behauptung, daß diagnostische oder therapeutische
Tuberkulininjektionen eine Bazillämie hervorrufen können, ist praktisch und
theoretisch von größter Bedeutung. Moewes hat die eigentlichen Tuberkulin-
versuche an 30 tuberkulösen Patienten ausgeführt und zwar im Tier¬
versuch beim Meerschweinchen: 10 Patienten, die Wochen bis Monate mit Alt-
Tuberkulin in der üblichen Weise behandelt worden waren, boten in keinem
Fall ein positives Ergebnis. Von 10 Patienten, die unmittelbar nach einer
probatorischen Tuberkulininjektion (1—5 mg) auf der Höhe der Allgemein- und
Lokalreaktion untersucht wurden, gab 1 Fall ein positives Resultat bei der
Verimpfung von 10 ccm Blut auf einen Affen, während der entsprechende
Meerschweinchenversuch negativ war. 10 Patienten, deren Blut vor und nach
einer probatorischen Tuberkulininjektion untersucht wurden, ergaben nur in
einem Fall ein positives, aber nicht bei der Untersuchung am Lebenden, sondern
einige Tage später 2— 3 Stunden post mortem bei der Untersuchung des Blutes
aus der Vena cava. Bei der Gegenüberstellung der tuberkulinisierten und
nicht gespritzten Fälle kommt M. zu dem Ergebnis, daß 40 nicht tuberkulini-
sierte reine Lungentuberkulosen 5 °/o positiven Bazillenbefund im Blute (2 Fälle)
aufweisen gegenüber 30 tuberkulinisierten Fällen mit 6,6°/« positivem Blut¬
befund (2 Fälle). Danach kommt ein e M o b ilisierung von Tube rkel-
bazillen beim Menschen durch Tuberkulin nicht in Frage.
M.' bat ferner an 22 tuberkulösen Meerschweinchen Parallel¬
versuche angestellt, indem er ihr Blut vor und nach Tuberkulininjektionen im
Tierversuch untersuchte. Er fand bei den nicht tuberkulinisierten Tieren in
64 # /o (bei 14 Tieren), bei den tuberkulinisierten Tieren in 68 %> (bei 15 Tieren)
virulente Tuberkelbazillen im Blut. Dabei waren die Tuberkulindosen so groß
(0,01 Alttuberkulin, 24 Stunden später 0,3 ccm), daß die meisten Tiere an
Schockwirkung zugrunde gingen. Dieses Ergebnis ist um so bemerkenswerter,
wenn man berücksichtigt, daß im Blute der Meerschweinchen selbst bei noch
geringer Ausbreitung des tuberkulösen Prozesses sich fast regelmäßig (70 bis
l00°/o) Bazillen nachweisen lassen.
Nach allem kann von einer Mobilisierung von Tuberkelbazillen durch
Tuberkulin nicht die Rede sein weder bei Mensch und Tier nach probatorischen
Tuberkulindosen, noch beim Menschen nach längerer Tuberkulinbehandlung.
Dr. Roepke-Melsungen.
1. Tuberkulosefürsorge der Generalkrankenkasse der Wiener Kauf¬
mannschaft. Von Chefarzt Dr. Czech.
2. Soziale Erhebungen bei tuberkulösen Handelsangestellten. Von
Dr. Czech und Dr. Götzl.
8. Die Hellstättenbehandlung ln der Generalkrankenkasse 1911—1913.
Von Dr. Neu mann.
4. Klinische Bemerkungen zur ambulatorischen Tuberknlintheraple.
Von Dr. Götzl.
5. Grundlagen nnd Ergebnisse ambulatorischer Tuberknlinbehand-
Inng. Von Dr. Laub. Wiener Arbeiten aus dem Gebiete der 8oz Medizin,
Heft 7. (Beiheft zum „Oesterreichischen Sanitätswesen“; 1915, Nr. 43/46).
Nach Czech (1) ist für Tuberkulosebekämpfung durch Krankenkassen
der beste Mittelpunkt eine Fürsorgestelle mit vielen ärztlichen Hilfskräften
und bei besonders großen Kassen je eine solche Fürsorgestelle für mehrere
Wohnbezirke vorzusehen. Diese muß ambulatorische Behandlung mit Tuber¬
kulin in der Station selbst ermöglichen. Genaue klinische und soziale Buch-
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
26
föhrung ist die Grundlage der Fttrsorget&tigkeit; • daher anch Anzeigepflicht
fttr die Ton den Kassenärzten selbst behandelten Fälle. Weiterhin» ist Tuber¬
kulosebekämpfung ohne viele Heilstättenplätze undenkbar. Beschränkung auf die
Tuberkulinbehandlung allein bedeutet nur Stückwerk; Fürsorgetätigkeit und
ambulatorische Tuberkulinbehandlung an getrennten Stellen bringen große
kassentechnische Schwierigkeiten. Wo Heilstättenbetten nicht erreichbar, be¬
währen sich kleine Hilfsstationen, selbst Einzelpflege mit fachkundigem Arzt.
Für Schwerkranke haben sich Invalidenheime nicht bewährt; daher gemeinsame
Anstalten oder Krankenhaus. Unerläßlich ist die Heranziehung aller Kassen¬
ärzte zur Mitarbeit für jede Fürsorgetätigkeit. Die Fürsorge muß nach
Dr. C z e c h und Dr. G ö tz 1 (2) in der Lehrlingszeit einsetzen. Die unhygienische
Beschaffenheit der Wohn- und Arbeitsräume, die lange Arbeitszeit und die den
f eringen Löhnen entsprechenden schlechten Ernäbrnngsverhältnisse bedingen
ie enorme Ausbreitung der Tuberkulose im Handelsgewerbe, dessen eigentliche
Berufskrankheit sie darstellt.
Dr. N e u m a n n (3) weist auf den überaus günstigen, durch eine längere
Beobachtungsdauer erwiesenen therapeutischen Erfolg in den Heilstätten hin,
der durch den nichts erreichbaren Wert der Erziehung der Infektionsträger
erreicht wird.
Betreffs der ambulatorischen Tuberkulintherapie fordert Götzl (4):
1. Die ambulatorische Behandlung Tuberkulöser mit spezifisch wirkenden
Mitteln ist nicht nur berechtigt, sondern bildet ein wichtiges und unentbehr¬
liches Glied in der Reihe jener Maßnahmen, die in den Rahmen einer kassen-
ärztlichen Fürsorge fallen.
2. Die Durchführung dieser Art Therapie bietet unter der Voraussetzung
einer genügenden Intelligenz der Kranken sowie aller gebotenen Vorsichts¬
maßregeln (Beobachtung der Temperatur der eventuellen Reaktion usw.) keine
wesentlichen Schwierigkeiten.
3. Diese sind vielmehr hier wie auch sonst vornehmlich in der Indi¬
kationsstellung zur Einleitung der Behandlung und in der Beurteilung des
Endeffektes dieser gelegen.
4. Die Frage, die unser medizinisches Interesse im höchsten Grade er¬
regt, ob durch die spezifische Behandlung Dauerheilungen zu erzielen waren,
muß für die Mehrzahl unserer Kranken mit Rücksicht auf die noch zu kurze
Beobachtnngszeit in Schwebe gelassen werden. Bei einer kleinen Gruppe
scheint dieses Ziel allerdings erreicht.
5. Viel deutlicher erhellt der Wert der spezifischen Behandlung, sobald
die Erwerbung und Erhaltung der Arbeitsfähigkeit der Kranken als Maßstab
fttr die Beurteilung herangezogen wird.
6. Die ambulatorische spezifische Behandlung bietet die Möglichkeit,
ökonomische und soziale Werte zu erhalten, die sonst mehr minder rasch dem
Untergange preisgegeben wären.
7. Sie muß schon aus diesem Grunde als ein wichtiger Faktor in der
Bekämpfung der sozialen Krankheit Tuberkulose angesehen werden.
Dr. Laub (ö) faßt die Ergebnisse der ambulatorischen Tuberkulin-
therapie dahin zusammen, daß nicht bloß die Erwerbstätigkeit seiner unter
nicht besonders günstigen sozialen Verhältnissen lebenden Patienten unter dem
Einfluß des Tuberkulins erhalten, sondern auch der Gesundheitszustand wesentlich
gebessert und bekräftigt wurde sowie ferner neben dem Schwinden subjektiver
Beschwerden auch in objektiver Weise Zeichen der Besserung nachgewiesen
werden konnten. Dr. Wolf-Hanau.
Sounenkliulk für Kranke mit chirurgischer Tuberkulose. Tuberku¬
lose-Fürsorgeblatt; 2. Jahrgang, Nr. 13.
Auf Anregung der Großherzogin Luise von Baden und im Aufträge
des Sanitätsamts des 14. Armeekorps ist im 8olbad Dürrheim im badischen Schwarz¬
wald (720 m üb. M.) eine Sonnenklinik zur Behandlung von geeigneten
Fällen von Kriegsverwundungen und von im Felde aufgetretener chirur-
gischer Tuberkulose errichtet worden. Die Anstalt wurde von Dr. Bern-
hard-St. Moritz, der bekanntlich die Sonnenlichtbebandlung in die Therapie
eingeführt hat, eingerichtet.
Als Indikationen für die Aufnahme in die Anstalt gelten: 1. große
26
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
schlechtgranulierende und-stark separierende Wunden; 2. Brand* und .Frost-
wunden oder solche von Verätzungen; 3. Wunden, deren Heilung erschwert
ist durch Zirkulationsstörungen (Krampfadern) oder durch trophische Nerven¬
störungen (Bückenmark-Erkrankungen oder Verletzungen); 4. Wunden, die
schlecht heilen infolge allgemeiner Schwäche oder konstitutioneller Krankheiten
wie Tuberkulose und Lues; 5. hartnäckige Fisteln; 6. verzögerte Kallusbildung
bei schweren KnochenbrUchen; 7. chirurgische Tuberkulose.
l>r. R o e p k e - Melsungen.
6. Geschlechtskrankheiten und deren Bekämpfung.
lieber Todesfälle nach Salvarsan. Von Dr. F. L u b e - Braunschweig.
Deutsche med. Wochenschrift; 1916, Nr. 49.
Es gibt zwei Formen der akuten Arsenvergiftung: 1. die stürmisch
verlaufende paralytische Form, Aspbyxia arsenicalia, deren Wesen in einer
akuten Gefäßlähmung des Zentralnervensystems besteht; 2. die gewöhnliche,
gastrointestinale Form, bei der die Gefäßlähmung den Magendarmkanal betrifft
und Gehirn- und Nerven Veränderungen in der Regel fehlen.
Mit der ersteren, akutesten Form der Arsenvergiftung ist der klinische
Verlauf der sog. Encephalitis haemorrhagica nach Salvarsan, die Salvarsan-
epilepsie, identisch. Die zweite, beim Menschen ungleich häufiger beobachtete
Form, die gastrointestinale Arsenvergiftung, ist nuch Salvarsan so selten, daß
die von L. bekannt gegebene Beobachtung der erste Fall dieser Art zu sein
scheint. Vielleicht liegt der Grund hierfür darin, daß in dem beobachteten
Fall keine Lues, die das Zentralnervensystem häufig und frühzeitig ergreift,
Vortag, dagegen ein Herzfehler mit vorübergehender, zur Zeit der Salvarsan-
behandlung klinisch nicht mehr erkennbarer Stauung in der Leber und im
Splanchnikusgebiet, die den Angriff des Arsens auf die Leber und die Darm¬
gefäße erleichtert haben kann. Jedenfalls wirkt das Arsen in erster Linie
als ein Gefäßgift und nicht, wie Fischer meint, als ein Nervengift; der
beobachtete Fall ist ein Beispiel für die gastrointestinale Form der Arsen-
Vergiftung nach Salvarsan. Die chronische Arsenvergiftung (multiple Neu¬
ritis, Hautveränderungen, Pigmentablagerungen) ist auch gelegentlich nach
Salvarsan und Neosalvarsan beobachtet. Dr. R o e p k e - Melsungen.
F. Hygiene and dffenttiohee Geeandhelteweeen.
1. Schulgesundheitppflege.
Billige Solbadekuren für Schulkinder. Von Dr. Axmann-Erfurt.
Zeitschrift für Schulgesundheitspfiege; 1915, Nr. 10.
Verfasser will das bekannte Keklamewort: Bade zu Hausei auf die
Solbadekuren für Schulkinder angewandt wissen. Die Kuren in den Solbädern
sind viel zu teuer, als daß sie vielen Kindern zugute kommen könnten.
Bedürftig solcher Kuren sind aber Tausende. Deshalb sollten die Schulbade-
einrichtungen zur Verabreichung von Solbädern während der Schulferien heran¬
gezogen werden. Nach dem Bade soll eine kurze Ruhe im Schulhofe oder in
einer offenen Turnhalle stattfinden, möglichst ein Frühstück mit Milch gewährt
werden und am Nachmittag ein Ferienspaziergang sich anschließen.
Dr. S o 1 b r i g - Königsberg i. Pr.
Nachklänge znm Fortbildungskursus für Schulärzte in Köln vom
20. bis 26. Jnll 1914. Von Med.-Rat Dr. Matzdorff, Kreisarzt in Schmal¬
kalden. Der Schularzt; 1915, Nr. 10.
Der infolge der Einberufung des Verfassers zum Heeresdienst verspätet
erstattete Bericht ist deshalb doch noch von großem Interesse. Zunächst sind
solche Kurse für Schulärzte an sich höchst erwünscht, da sie nicht nur ein
Zeichen dafür sind, daß die schulärztliche Einrichtung in ihrer Wichtigkeit
immer mehr erkannt wird, sondern auch angehenden oder bereits tätigen Schul¬
ärzten Belehrungen und Anregungen bieten; vom Standpunkt der Medizinal¬
behörden ist es außerdem besonders mit Freuden zu begrüßen, daß auch den
beamteten Aerzten, die ja die geborenen Schulärzte sind, Gelegenheit gegeben
Klebers Mitteilungen und Belerate atu Zeitschriften.
27
wird, neues auf dem Gebiete'der schulärztlichen Tätigkeit kennen za lerneti,
altes und bewährtes yon beratener Seite zar Auffrischung vortragen za hören.
Daß der Korans vieles, ja vielleicht za vielerlei bot, hören wir vom
Verfasser. Wie er mit seinem Lobe nicht kargt, wo, wie bei den meisten
Vorträgen (so Siege rt über Er näh rangsfragen and Infektionskrankheiten,
Gramer über Skoliose, Aschaffenbarg über Hygiene des Unterrichts a. a.)
volle Befriedigung über das Dargebotene herrschte, so unterläßt er auch
nicht, aaf hier and da hervortretende Mängel aufmerksam zu machen.
Dem WanBche, daß solche Fortbildungskurse weiter abgehalten werden
und häufigere Entsendungen von Kreisärzten dazu stattfinden, schließen wir
uns durchaus an. Dr. S o 1 b r i g - Königsberg i. Pr.
Die Tätigkeit des Stadtarztes während des Krieges. Von Prof. Dr-
Gastpar-Stuttgart. Der Schularzt; 1915, Nr. 11.
Es ist ein erfreuliches Bild, das hier über die stadt- und schulärztliche
Tätigkeit in Stuttgart während der Kriegszeit entrollt wird. Trotz Personal¬
mangels und Schwierigkeiten infolge der veränderten Lage verstand es Ver¬
fasser, die stadtärztliche Tätigkeit nicht nur weiter auszuüben, Bondern ange¬
paßt den neuen Aufgaben zu Kriegszeiten zu erweitern und fruchtbringend
umzugestalten. Besonders erfuhren die Fürsorgeeinrichtungen erhebliche Aus¬
dehnung (Säuglingsheime, Kinderheim, Entbindungsheim, Unterkunftsbeime für
ansteckende Kranke u. a. m. wurden eingerichtet); auch die schulärztliche
Tätigkeit wurde mit Eifer wieder aufgenommen. Schulschwestern und Tuber-
kuloseschwestern waren als Helferinnen mit Erfolg tätig.
Dr. Solbrig-Königsberg i. Pr.
Das erste Kriegsjahr and die großstädtischen Volksschulkinder. Von
Dr. med. et phil. A. H. Kettner, Schularzt in Charlottenburg. Deutsche
med. Wochenschrift; 1915, Nr. 48.
Die in der Fürsorgestelle vorgestellten Säuglinge nnd Kleinkinder im
sogen. Spielalter haben unter der Ungunst der Kriegsverhältnisse bedeutend
weniger gelitten, als zu Beginn des Krieges befürchtet wurde. In dem der
ärztlichen Aufsicht des Verfassers anvertrauten Bezirk (Norden Charlottenburgs)
mit etwa 5000 Kindern sind im Sommer Erkrankungen an Magendarmkatarrhen
nur selten, Todesfälle daran überhaupt nicht zur Beobachtung gekommen. Nur
Rachitis und Tetanie oder spasmophile Diathese, die in unmittelbarem Zu¬
sammenhang mit dem Krieg zu bringen sind, wurden in vermehrter Anzahl
beobachtet.
Anders verhält es sich im Schulalter. In diesem hat schon das erste
Kriegsjahr einen deutlichen Einfluß auf die körperliche Entwicklung ausgeübt
und zwar für Knaben und Mädchen hinsichtlich der Gewichts- und Längen-
zunabmen in deutlich nachteiliger Weise. Durch Kurven weist K. nach, daß
die in den Friedensjahren beobachteten großen Zunahmen im Kriegsjahre ganz
fehlen oder auf ein Minimum zurückgegangen sind. Die geringeren, den Null¬
punkt näher gelegenen Zunahmewerte zeigen ein dementsprechendes Anwachsen.
Stillstand und bei den Gewichten auch Abnahmen treten entweder überhaupt
erst im Kriegsjahre auf oder ergeben auch dort höhere Werte als in den
Friedensjahren. Diese Tatsachen zusammen ergeben eine deutlich nachweisbare
ungünstige Beeinflussung durch den Krieg für alle Altersklassen vom 8. bis
14. Lebensjahre, bei den Mädchen noch stärker als bei den Knaben.
Darch diese Einflüsse ist eine direkte Schädigung der Schulkinder wohl
noch nicht eingetreten; ob sie bei längerer Dauer des Krieges ausbleibt, ist
zum mindesten zweifelhaft. Erneute vierteljährliche Wägungen und Messungen
werden darüber Klarheit schaffen. Doch erscheinen vorbeugende Maßnahmen
etwa durch Ausgabe von Brotzusatzkarten an die besonders gefährdeten Alters¬
klassen empfehlenswert. Sofort und nachdrücklicbst muß aber davor gewarnt
werden, daß aus zwar wohlgemeintem, aber vollkommen mißverstandenem
patriotischen Gefühl heraus seitens der Tagespresse und leider auch seitens
mancher Lehrer und Lehrerinnen unsere Schuljugend ungehalten wird, sich in
ihren Mahlzeiten nnd besonders in dem mit Unrecht angefeindeten Schul-
frflhstück Einschränkungen aufzuerlegen oder dieses sogar ganz fortznlassen.
28
Kle_ nuueil ungen and Referate ans Zeitschriften.
„Hierdurch kann unsere heranwachsende Schuljugend an sich auch als Trägerin
kommender Generationen schwer geschädigt werden, was auf alle Fälle ver-
mieden werden mußl“'"' Dr. Roepke-Melsungen.
2. Jugendfürsorge und Sport.
Aerztliche Beobachtungen an Teilnehmern eines Armee • Gepäck*
inarsches. Von Stadtschularzt Dr. T h i e 1 e - Chemnitz. Deutsche medizinische
Wochenschrift; 1916, Nr. 48.
Die Abteilung Chemnitz der Deutschen Turnerschaft veranstaltete
am 6. Juni 1915 einen sog. Armee-Gepäckmarsch, der sich auf 19 km erstreckte,
die mitzunehmende Last (Rucksack oder Ranzen mit Sandsack oder losem Sand
gefüllt) dem Alter der Teilnehmer entsprechend abstufte und im übrigen
bestimmte Bedingungen vorschrieb. Bei allen Untersuchten wurden außer Alter,
Körpergröße und Belastung vor und nach dem Marsche das Körpergewicht,
die Körperwärme, die Pulszahl und der Blutdruck festgestellt, bei einer engeren
Auswahl auch noch der chemische und mikroskopische Harnbefund. Die Zu*
sammenstelluug der ärztlichen Beobachtungen führt Tb. zu dem allgemeinen
Urteil, daß der Körper junger Männer im Alter von 18—25 Jahren die größte
Widerstandskraft hat, die geringste der Körper älterer Männer; zwischen
beiden steht die heranwachsende Jugend vom 14. Lebensjahr ab.
Die neuzeitliche Kriegführung erfordert, daß der Körper nicht nur in
jeder Beziehung dauernden Anstrengungen, sondern auch gelegentlichen Ueber-
anstrengungen ohne Schaden gewachsen ist. Die körperliche Vorbereitung
hierzu muß allmählich in denselben Formen erfolgen, die die betreffende
Körperanstrengung verlangt. Insbesondere müssen sich die der Vorbereitung
für den Kriegsdienst gewidmeten Leibesübungen der Jugenderziehung an die
im Heere geforderten und erprobten Uebungen anschließen; Turnen im engeren
Sinne ist ein Teil dieser körperlichen Vorbereitung; Märsche mit Belastung
sind zu begrüßen. Es ist aber hierbei die Mirwirkung eines sachkundigen
Arztes unerläßlich, um für die heranwachsende Jugend das Maß der An¬
strengung zu beurteilen, Körperschädigungen zu verhüten und ungeeignete
Kräfte auszuschalten. Dr. Roepke-Melsungen.
Jngendhyglene nach dem Kriege. Von Prof. Moldenhau er-Köln.
Zeitschrift für Schalgesundheitspflege; 1915, Nr. 10.
Verfasser weist darauf hin, daß in den einzelnen Bundesstaaten noch
immer große Verschiedenheiten auf dem Gebiete der Schulhygiene herrschen,
so in der Form des Turnunterrichts, den Grundsätzen der Körperpflege, der
Art der Schulbauten, der Schaffung von Spielplätzen, vor allem aber in der
Zahl der Unterrichtsstunden. Es sollte aber in allen Fragen der Schulhygiene
das Reich als solches das bestimmende und entscheidende Wort haben. Das
Reichsschulamt, das nach einer Entschließung des Reichstages aus der Reichs¬
schulkommission gebildet ist, sollte deshalb zu einer wirklichen Zentralstelle
für alle schulhygienischen Fragen umgestaltet werden. Die Uebungen für die
militärische Vorbereitung der Jugend müßten zur Pflicht gemacht .werden,
sowohl für höhere, als für Fortbildungsschulen.
Dr. 8 o 1 b r i g - Königsberg i. Pr.
Die vaterländische und militärische Erziehung der Jugend. Von
Fcrd. Kernsies. Leipzig und Hamburg 1916. Verlag von Leopold Voß.
8°; 86 Beiten. Preis: 1 M.
„Die Jünglinge vom 16. Lebensjahre an militärisch vorzubereiten, ge¬
bietet die eiserne Zeit. Aber auch nach dem Kriege dürfte militärische
Leistungsfähigkeit von der gesamten deutschen Jugend gefordert werden, will
sie das mit den Waffen Errungene in starken Händen festhalten. Immer mehr
müssen daher selbst diese Uebungen, die Jünglinge, Jugendwehr und Jung-
deutschland in vaterländischem Geiste betrieben haben, zum Gemeingut der
beranwachsenden Generationen werdeo. u Drei Gesichtspunkte müßten nach
Ansicht des Verfassers künftig für die vaterländische Erziehung der Jugend
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
29
maßgebend sein: 1. Die Pflege körperlich-geistiger Gesundheit und Willens¬
kraft, 2. der Unterricht in der Muttersprache, die Einführung in die Schätze
des deutschen Geistes und der Unterricht in vaterländischer Geschichte und
Bürgerkunde sowie 3. die naturwissenschaftlich-technische Erziehung. Von
dem ersten Gesichtspunkt aus ist die vorliegende Schrift geschrieben und dem¬
zufolge ihr Schwerpunkt auf die körperliche Ertüchtigung der Jugend gelegt,
für die ein militärischer Einschlag als angemessen erachtet wird, wie er in
anderen Staaten bereits besteht. Militärische Jugend Vertretung und Jugend¬
pflege (I), Turnen, Spiel und Sport im Dienste der Erziehung und Wehr¬
kraft (II), hygienisches Gleichgewicht in der Erziehung (III) sowie vater¬
ländische Erziehung und Wehrübungen (IV) lauten die vier Abschnitte der
Schrifc, in denen Verfasser seine Hauptforderung: eine höhere Bewertung der
Leibesübungen an den Schulen und eine dementsprechende Einwirkung des
Torn-Wehrnnterrichts, um das hygienische Gleichgewicht zwischen körperlicher
und geistiger Erziehung herzustellen, in fesselnder und überzeugender Weise
begründet. Er ist sich der Schwierigkeiten für ihre Durchführung bewußt,
hofft aber, daß die Aussicht, eine wahrhaft vaterländische Schule zu begründen,
die Jugend an des Reiches Ehr und Wehr heranzuführen, so verheißungsvoll
sei, daß alle Schwierigkeiten dagegen zurücktreten werden. Rpd.
3. Statistik.
Die Entwicklung der Bevölkerung in den Kulturstaaten in dem ersten
Jahrzehnt dieses Jahrhunderts — Luxemburg, Niederlande, Norwegen —.
Von Dr. E. Boeßle, Regierungsrat und Mitglied des Kaiserlichen Gesund¬
heitsamtes in Berlin. Archiv für soziale Hygiene und Demographie; 1915,
II. Band, 1. Heft.
Verfasser schildert in der Fortsetzung seines Rückblickes über die
bisherige Entwicklung der Bevölkerung in den Kulturstaaten zunächst diejenige
im Großherzogtum Luxemburg. Hier macht sich in dem Jahrzehnt von
1901—1910 eine erhebliche Wanderungsverlust bemerkbar, dem aber anderseits
im Gegensatz zu allen anderen europäischen Staaten eine Zunahme der Geburten¬
ziffer (30,0 °/oo gegen 28,7 in den Jahren 1891—1900) gegenüber steht. Di«
Niederlande haben in der Zählungsperiode von 1899—1909 die größte
Bevölkerungszunahme im Vergleich zu den vorhergehenden Jahrzehnten erfahren.
Die Geburtenziffer ist hier allerdings in dem Jahrzehnt 1900—1909 ebenso wie
in fast allen anderen europäischen Staaten schon seit Jahren ständig gesunken,
die Sterbeziffer aber noch in höherem Maße; sie war im Jahre 1912 mit
12,3° oo am niedrigsten in ganz Europa. Demzufolge hat die tatsächliche
Bevölkerungsznnahme in dem Jahrzehnt 1900—1909 die Ziffer von 13,8°/o
erreicht (gegen nur 6,6°/oo in dem Jahrzehnt 1840—1849 und ll,5°/oo in dem
Jahrzehnt 1870—1879) trotz eines nicht unerheblichen Verlustes durch Aus¬
wanderung (l,6°o); die Zunahme infolge Geburtenüberschusses würde sonst
15,3 °.oo betragen haben. Bemerkenswert ist, daß die eheliche Fruchtbarkeit in
den Niederlanden am höchsten von allen europäischen Staaten ist; die an und
für sich ziemlich hohe allgemeine Geburtenziffer bleibt jedoch hinter diejenigen
in den slavischen Ländern zurück.
In Norwegen hat die Bevölkerungszunahme ihren höchsten Stand
(17,8 */o) schon verhältnismäßig frühzeitig (1825) erreicht und ist von auf¬
fallend langer Dauer (1825—1869) gewesen. Darauf hat infolge dieser starken
Bevölkerungszunahme die Auswanderung in sehr erheblichem Grade eingesetzt
und bis heute angehalten, obgleich Norwegen, wenn man von Island absieht,
die geringste Bevölkerungsdichtigkeit in Europa hat. Der sich danach ein¬
stellende Rückgang der Bevölkerung ist lediglich auf diesen Wanderungs¬
verlust (1901—1910: 15,2%«) zurückzuführen, denn die natürliche Bevölke¬
rungszunahme 15,2 °/oo) ist infolge eines sehr starken Sinkens der Sterbeziffer
die gleiche wie früher geblieben und würde ohne den Wanderungsverlust 30,4 °/oo
betragen haben. Die wirtschaftlichen Verhältnisse waren eben in Norwegen
während der letzten Jahrzehnte für eine weitere Volksernährung sehr
ungünstig; daraus erklärt sich die starke Auswanderung. Rpd.
80
Besprechungen.
Besprechungen.
Hans Wftrtz ebungsdirektor im Oskar*Helenenstift Zehlendorf-Berlin.
Der Wille * Ein pädagogisch-kultureller Beitrag zur Kriegskrüppel-
fürsorge. 915. Verlag von Otto Elsner, Verlagsgesell6chaftm.b. H.
8°; 186 S. ' ahlreichen Abbildungen.
Verfa&: t in seinem Büchlein die Schicksale und die Tatsachen
selbst das v Ihren. Wir erfahren in einer bunten Reihe von Selbst¬
bekenntnissen. es in den Seelen der Kriegs- und Friedenskrüppel aussiebt
und wonach sie *. Wirklichkeit verlangen. Was sie aus ihrem Leben ver¬
künden, wird durch die Zeugnisse anderer verkrüppelter Lebenskämpfer er¬
gänzt und bestätigt. Auf diese Weise ist ein ganz einzigartiges Gesamtbild
entstanden, das uns nicht bloß den besten Beweis für die auf diesem Gebiete
erzielten großen Erfolge gibt, sondern uns auch Uber das große Gebiet der
Kriegskrüppelfürsorge umfassend unterrichtet. Verfasser zeigt, daß Wissen¬
schaft und Erziehung inzwischen neue Waffen geschmiedet und Hemmnisse
niedergerungen haben, die bisher unbezwingbar schienen. In gut ausgeführten
und ausgewählten zahlreichen Abbildungen wird der Inhalt mit packender An¬
schaulichkeit erläutert. Das Buch ist demzufolge besonders allen Aerzten und
Berufsberatern und sonstigen auf dem Gebiete der Kriegsbescbädigtenfürsorge
zu empfehlen; es sollte aber auch in Lazaretten und unter den Kriegs¬
beschädigten selbst,-sowie unter deren Angehörigen die weiteste Verbreitung finden,
da es das beste Mittel ist, um auch den Bedrücktesten .wieder Lebensmut
zu bringen. _ Bpd.
Tagesnachrichten.
Eine Anfrage des LeipzigerVerbandes, ob auch zur Ersatzreserve
gehörige Aerzte, die bei der Musterung als dauernd feld- und garnison¬
dienstunfähig zum Dienst mit der Waffe, dagegen in ihrer Eigenschaft als Arzt
für arbeitsverwendungsfähig befunden worden sind, den landsturmpflichtigen
Aerzten gleichstehen und Stellen als assistierende oder ordinierende Aerzte
erhalten können, hat die Medizinalabteilung des preußischen Kriegsministeriums
unter dem 24. Dezember 1915 wie folgt beantwortet:
„Zivilärzte, die nicht gedient haben und bei der Musterung auf Grund
der Aenderung des § 15 des Reichsmilitärgesetzes vom 2. Mai 1874 als arbeits¬
verwendungsfähig befunden worden sind, werden wie landsturmpflicbtige Aerzte
behandelt und demgemäß mit einer Arztstelle auf Widerruf beliehen “
Die mit dem 1. Januar d. J. in Kraft getretene neue deutsche Arznei*
taxe bringt entsprechend der bei den meisten Arzneimitteln eingetretenen
Erhöhung der Einkaufspreise sehr zahlreiche Preiserhöhungen; außerdem
sind die Gefäß preise um je 5 Pf. erhöht, für alle Gläser, für graue oder
gelbe Kruken von 100—200 g Inhalt, sowie für alle Pappschachteln und Pulver-
kästchen. Neu aufgenommen ist Serum antimeningiticum; dagegen sind für
Adrenalin, hjdrochloric. solut., Atrop. sulf. anglic., Benzin. Petrolei, Chlorof.
anglic., Ol. Menth, peper. angl. und Ova gallinacea keine Preise mehr vorgesehen.
Nach einer Mitteilung der „Neuen Freien Presse“ in Wien soll der
Bakteriologe Prof. Dr. Rudolf Kraus in Buenos-Aires ein Keuchhustenserum
entdeckt haben, durch das seine früheren Wiener Studien mit Erfolg gekrönt
worden sind. _
Steigende Znnahme der Heilerfolge bei den Verwundeten und
stfindige Abnahme ihrer Sterblichkeit. Nach der Korrespondenz „Heer und
Politik“ haben sich die Erfolge unserer hervorragenden Verwundetenpflege
während der Kriegsmonate ständig immer günstiger gestaltet. Nicht nur die
Diensttauglichkeit der Verwundeten ist von Monat zu Monat gewachsen, son¬
dern auch ihre Sterblichkeit hat gleichfalls von Monat zu Monat regelmäßig
abgenommen.
Während bereits im ersten Kriegsmonat August 1914 von hundert Ver¬
wundeten die hohe Ziffer von 84,8 Dienstfähigen und 3,0 Gestorbenen, gegen
Tageenach richten.
81
nur 12,2 Dienstuntauglichen und Beurlaubten erzielt war, hat sich dies schon an
sich recht günstige Ergebnis im September 1914 auf 88,1 # /o, 2,7 und 9,2 °/o
gestellt. Wieder einen Monat später, im Oktober 1914, ist die Zahl der
Dienstfähigen auf 88,9 gestiegen und die Anzahl der Todesfälle auf 2,4, die
der Dienstuntauglichen und Beurlaubten auf 8,7 °/o gesunken, ln den Monaten
November bis März schwankte die Zahl der Dienstfähigen zwischen 87,3 und
83,9, so daß im März die gleiche Zahl von Verwundeten wieder dienstfähig
geworden war, wie im Oktober. Erfreulich ist aber, daß auch in diesen Mo*
naten die Anzahl der Todesfälle weiter ständig sank und im November
nur noch 2,1 °/o, im Dezember 1,7 # /o, im Januar 1,4 % und im Februar 1,8 °jo
betrug. Die denkbar niedrigste Sterblichkeitsziffer ist im Juni und Juli mit
1,2 */o erreicht. Hand in Hand damit hat in den Monaten März—Juli auch
die Verhältnisziffer der Diensttauglichen wieder zugenommen und ist von 88,9
im März auf 91,8! im Monat Juli gestiegen; nur 7 "/o der Verwundeten mußten
als dienstuntauglich entlassen oder beurlaubt werden; von den Beurlaubten
konnten aber eine erhebliche Anzahl wieder als dienstfähig eingestellt werden.
Die Durchschnittszahlen für das ganze Kriegsjahr vom August 1914
bis Ende Juli 1915 stellen sich anf 89,5 % Dienstfähige, 8,8 Dienstunbrauch-
bare und Beurlaubte und nur 1,7 Todesfälle. Jedenfalls hat keine Armee der
Welt bisher ähnlich günstige Ergebnisse aufzuweisen.
In Waldeck-Pyrmont ist jetzt ebenfalls vom regierenden Fürsten eine
Krlegsmedallle, die „Friedrlch-Bathildis-Medallle“, als Anerkennung für be¬
sonders verdienstliche Leistungen auf dem Gebiete der Nächstenliebe während
des Krieges gestiftet. Sie besteht aus Bronze und trägt die Bildnisse des
Fürstenpaares mit der Umschrift „Friedrich Bathildis F. u. F. z. W. u. P.“, auf
der Rückseite die Aufschrift „Für treues Wirken in eisener Zeit“ sowie die
Jahreszahl 1915. Die Medaille soll ohne Ansehen des Ranges und Standes
verliehen werden an Männer, Frauen und Jungfrauen, die sich auf dem Ge¬
biete der Kriegsfürsorge besonders ausgezeichnet haben; sie verbleibt nach
dem Tode der Beliehenen den Hinterbliebenen.
Ehrentafel. Nach erst neuerdings eingegangenen Mitteilungen haben
außerdem schon früher das Eiserne Kreuz II. Klasse folgende Medizinal¬
beamten und Mitglieder des Medizinalbeamtenvereins erhalten:
Med.-Rat Dr. Behrendt, Kreisarzt in Tilsit.
Kreisarzt Dr. Bo ege in Ueckermünde (Pommern).
Kreisarzt Dr. Fehrs in Czarnickau (Posen).
Kreisarzt Dr. Franz in Loetzen (Ostpreußen).
Dr. Hoppe, Oberarzt an der Heil- und Pflegeanstalt in Uchtspringe.
Kreisarzt Dr. Kramer in Wilhelmshaven:
Kreisarzt Dr. v. Leliva in Guhrau (Schlesien).
Nervenarzt Dr. Lüdicke in Stettin.
Med.-Rat Dr. v. Petrikowsky, Kreisarzt in Orteisburg.
Kreisarzt Dr. Poddey in Lauenburg (Pommern).
Kreisarzt Dr. v. Reklinghausen in Tecklenburg.
Kreisassistenzarzt Dr. Richter in Waldenburg (Schlesien).
Dr. Schelowsky, prakt. Arzt in Sterkrade (Rheinland).
Physikus Dr. Schulze in Holzminden (Braunschweig).
Kreisarzt Dr. Vial in Gardelegen.
Kreisarzt Dr Wollermannin Lyck (Ostpreußen).
Med.-Rat Dr. Wolters, Kreisarzt in Koesfeld (Westfalen).
Weiterhin hat erhalten: Den Königlich Bayerischen Militär-
Verdienstorden II. Klasse mit Schwertern: der Generalarzt ä la
suite des Sanitätskorps Ministerialrat Prof. Dr. Dieudonn6-München.
Es haben ferner erhalten das Eiserne Krenz I. Klasse:
Hauptmann Ernst Pfeiffer, Adjutant des Generalkommandos des
18. Reserve-Armeekorps, zweiter Sohn des Geh. Med.-Rats Dr.
Pfeiffer in Wiesbaden.
32
Sprechsaal.
Das Eiserne Kren
Kriegsfreiwillige:
Med.-Rats D'
lasse:
Solbrig, Referendar, ältester Sohn des Geh.
r i g, Reg.- u. Med.-Rat in Königsberg i. Pr.
Ehren-Oed&ol »fei. Für das Vaterland gefallen sind ferner:
Assistenzarzt d. 1 r. Siegmnnd Bärensprung-Torgau (gestorben
infolge von Kr jit).
Oberstabsarzt I)r. Froenhoefer (gestorben infolge yon Krankheit).
Stabsarzt d. L. Dr. V T. heim G o s m a n n - Delligsen (Braunschweig).
Assistenzarzt d. Res. L r. Addy Hein-Darmstadt.
Assistenzarzt d. Res. Dr. W. Herzfeld-Jeßnitz (Anhalt).
Feldunterarzt A. Katthagen.
Marinestabsarzt Dr. 0. Wienhaus.
Cholera. Im Deutschen Reich sind Choleraerkrankungen nicht
mehr vorgekommen; in Oesterreich ist ihre Zahl auch sehr gesunken und
hat vom 21.—27. November nur noch 6 (mit 1 Todesfall) betragen. In Ungarn
sind vom 22.—28. November 4 (4), in Kroatien und Slavonien vom 22.
bis 29. November 17 (14) festgestellt
Fleckfieber-Erkrankungen sind im Deutschen Reich in der Woche vom
12.—18. Dezember 2 (1) gemeldet, ein tödlich verlaufender Fall in Dortmund und
* 1 unter den Kriegsgefangenen eines Gefangenenlagers in Sachsen-Coburg-Gotha.
Die Zahl der Erkrankungen an Pocken hat im Deutschen Reich in den
Wochen vom 12.—25. Dezember 6 und 8 betragen (davon 8 in der Provinzial¬
irrenanstalt in Lublinitz i. Schl.).
Erkrankungen und Todesfälle an ansteckenden Krankheiten in
Preußen. Nach dem Ministerialblatt für Medizinal-Angelegenheiten sind in der
Zeit vom 28. November bis 11. Dezember 1916 erkrankt (gestorben) an Pest,
Gelbfieber, Fleckfieber, Cholera: — (—), — (—); Tollwut: — (—),
1 (1); Bißverletzungen durch tollwutverdächtige Tiere:
7 (— ), 5 (—); Milzbrand: — (—), 3 (1); Rotz: — (1), 1 (1); Aussatz:
— (1), — (—); Pocken: — (—), 24 (—); Unterleibstyphus: 385 (29),
221 (23); Ruhr: 71 (6), 30 (4); Diphtherie: 3722 (310), 8696 (309);
Scharlach: 2761 (162), 2881 (147); Kindbettfieber: 78 (26), 67 (17);
Genickstarre: 5 (1), — (—); spinaler Kinderlähmung: 8 (1),
— (—); Fleisch-, Fisch- und Wurstvergiftung: 1 (1), 9 (—);
Körnerkrankheit (erkrankt): 31, 38; Tuberkulose (gestorben):
675, 644.
gpreohaaal.
Anfrage des Kreisarztes Dr. W. ln Sch. : Sind die amtsärztlichen
Gutachten für die neuen Kriegsinvaliden behufs Anstellung im
Post- usw. Dienst stempelpflichtig oder nicht?
Antwort: Die Gutachten sind stempelpflichtig, die Stempelfreiheit nach
§ 4 Abs. 1 c des Stempelgesetzes vom 31. Juli 1915 besteht nur für die auf die
Heeresergänzung und Befreiung vom Heeresdienst sowie auf Befreiung von
Reserve- und Landwehrübungen bezüglichen amtlichen Urkunden (Gutachten).
Sammlung zur Jubiläumsstiftung.
An außerordentlichen Beiträgen zur Jubilftumsstiftung sind seit dem
20. Dezember 1915 noch eingegangen:
Kreisarzt Dr. Doepner in Bitterfeld und Kreisarzt Dr. Klesow in Kalau
je 20 Mark; zusammen 40 Mark, wodurch sich die Gesamtsninme auf
3686 Mark erhöht.
Herzlichen Dank den Gebern!
Der Vorstand.
L A.: Prof. Dr.Rapmund, Geh. Med.-Rat, Vorsitzender.
Redaktion: Prof. Dr. Rapmund, Geh. Med.-Rat in Minden i. W.
J. 0. G. Braut, Hersofl. ftftdu. a. F. 8ch.-L. Hofbnchdraekerai ln Minden.
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f- - >•?• .»T-o»: ^ *.
29. Jahrg
1916
Zeitschrift
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zentralblatt
für das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie,
des staatlichen und privaten Versicherungswesens, sowie für das
Medizinal- und öffentliche Gesundheitswesen, einschließlich der
Hygiene und Bakteriologie.
Heraasgegeben
von
Prof. Dr. OTTO RAPMÜND,
Geh. Med.-Rat In Minden l. W
Offizielles Organ des Deutschen, Preussischen, Bayerischen, Sächsischen,
Württembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen, Thüringischen,
Braunschweigischen und Eisass - Lothringischen Medizinalbeamtenvereins.
Verlag von Fiseher’s med. Buehhandlg H. Kornfeld,
Herzog]. Bayer. Hof- u. K. u. K. Kammer-Büchh&ndler.
Berlin W. 62, Keithstr. 5.
Anzeigen nehmen die Veiiagshandlung sowie alle Anselfenannahmestellen des Isl¬
and Auslandes entgegen.
Nr. 2.
Erscheint am 5. und ÄO. jeden Monats.
20. Jan.
Aus dem Institut für Hygiene und Bakteriologie in Gelsenkirchen
(Direktor: Prof. Dr. Hayo Bruns).
Ein Beitrag zur bakteriologischen Choleradiagnose.
Von Dr. L. Quadflleg, Abteilungsvorsteher.
Die gegenseitige Mit- und Paragglutination in der Typhus-
Coli-Gruppe ist eine bekannte und allseitig anerkannte Tatsache,
die ihre Erklärung in der weitgehenden Uebereinstirnmung des
Rezeptorenapparates der Bakterien dieser Gruppe findet. Anders
verhält es sich innerhalb der Gruppe der Vibrionen, deren
agglutinatorisches Verhalten als in so hohem Grade spezifisch
gilt, daß z. B. eine in höheren Verdünnungen eines Cholera¬
serums eintretende Agglutination zur Diagnose „Cholerabazillen“
berechtigt. Daß jedoch auch andere Bakterien durch Cholera¬
serum sehr hoch agglutiniert werden können, mag folgender
Fall, der gelegentlich einer Stuhluntersuchung auf Cholera¬
bazillen zur Beobachtung gelangte, dartun,
Wenn ich mir auch bewußt bin, daß die wissenschaftliche
Durcharbeitung des gezüchteten Stammes auf Vollständigkeit
84
Dr. L. Quadflieg.
keinen Anspruch erheben kann, so möchte ich das bisherige
Ergebnis doch nicht vorenthalten, um so weniger, als es
vielleicht gerade in den jetzigen Zeiten einen Fingerzeig für
die bakteriologische Gholeradiagnose zu geben und vor etwaigen
Irrtümern zu schützen vermag.
Da für die Bewertung eines Untersuchungsergebnisses
auch der klinische Verlauf der Krankheit nicht ohne Be¬
deutung ist, sei er hier vorausgeschickt:
Es handelt sich um einen 29 Jahre alten Unteroffizier,
C. H., der einem Gefangenen-Bewachungskommando auf einer
Zeche des Ruhrkohlenbezirks angehörte und nicht an der Front
war. Er ist nie ernstlich krank gewesen; einige Wochen vor
der hier zu schildernden Erkrankung litt er an Angina. Am
Tage vor Beginn der Erkrankung hatte er ziemlich viel Obst
gegessen und darauf kaltes Bier getrunken, wodurch er sich
seiner Meinung nach den Magen verdorben hatte. Tags
nachher, am 11. September 1915, begann er morgens um
4,30 Uhr noch in völligem Wohlbefinden seinen Dienst. Gegen
8 Uhr stellten sich plötzlich heftige Leibschmerzen, Erbrechen,
Durchfälle und starkes Durstgefühl ein. Auf Oel und Opium
erfolgte keine Besserung. Die Stühle wurden immer dünner,
schließlich wässerig und Schleimfetzen enthaltend; auch das
Erbrechen nahm zu. Die Stimme wurde heiser; Wadenkrämpfe
stellten sich ein.
Bei der Krankenhausaufnahme wurde folgender Befund
aufgenoramen: Ziemlich großer Mann mit blaßgrauer Gesichts¬
farbe, tiefliegenden Augen und trockener Haut; abgehobene
Hautfalten bleiben stehen. Der Leib ist kahnförmig eingezogen,
die Stimme heiser. Druck auf den Leib in der Gegend des
Magens und Colon transversums in geringem Grade schmerz¬
haft; die Beine sind stark druckempfindlich, besonders die
Waden. Die mittelweiten Pupillen reagieren etwas träge. Die
Zunge ist trocken und wenig belegt; Lungen ohne Befund;
die Herztöne sind leise, rein; die Aktion ist regelmäßig, der
Puls klein und weich, setzt zeitweise aus. Milz und Leber sind
nicht vergrößert.
Behandlung: Subk. Kampfereinspritzung, Kochsalzinfusion
mit Adrenalinzusatz, Rotwein, Limonade, Kognak, Wärme¬
flaschen und Thermophor.
Am 12. September findet sich verzeichnet: Patient hat
leidlich gut geschlafen, Aussehen besser, keine Leibschmerzen,
kein Erbrechen, kein Stuhlgang.
Um Material für die bakteriologische Untersuchung zu
gewinnen, wurde eine Glyzerin-Spritze gegeben. Der hierauf
reichlich entleerte Stuhl war von grünlicher Farbe, sehr
schleimig, zähe und mit Epithel- und Schleimfetzen durchsetzt.
Am 13. September war erhebliche Besserung eingetreten,
der Pulsschlag war gut, die Stimme wieder normal, Hunger
gering, Schleimdiät. Am 14. September fühlt sich der Patient
Ein Beitrag zur bakteriologischen Choleradiagnose.
85
wohl, Stuhlgang erfolgte nicht. Die Krankheit ging in
Genesung aus.
Die Krankheitssymptorae ließen jedenfalls den Verdacht
auf Cholera gerechtfertigt erscheinen. Anderseits war auch die
Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, daß der am Ta^e
vor dem Krankheitsbeginn erfolgte Obst- und Biergenuß in
ursächlichem Zusammenhang zu der Erkrankung stehen konnte.
Die bakteriologische Untersuchung konnte in diesem Falle die
entscheidende Diagnose bringen. Rechtzeitig waren natürlich
von den Sanitätsbehörden alle Vorsichtsmaßregeln getroffen,
um weiteren Infektionen vorzubeugen.
Der auf Glyzerinverabreichung gewonnene Stuhl ging uns
zur Untersuchung zu. Die Verarbeitung erfolgte nach den in
der Anweisung des Bundesrats zur Bekämpfung der Cholera
erlassenen Bestimmungen: Aussaat auf Agar- und Gelatine-
platten, Verimpfung in Peptonlösung, sowohl 1 Oese in Reagens¬
röhrchen, mit weiteren Verdünnungen, als einer größeren Menge
(1 ccm) Stuhl in Kölbchen mit 50 ccm Peptonlösung. Gleich¬
zeitig erfolgte, einer Gepflogenheit im hiesigen Institut ent¬
sprechend, Aussaat auf eine Typhus-Serie, bestehend aus
3 Drigalski-, 3 Endo- sowie 2 Malachitgrünplatten zur
Anreicherung nach Lentz-Tietz. Wir verfolgen dabei den
Zweck, etwa vorhandene Bakterien der Paratyphus-Enteritidis-
gruppe bald und bequem nachzuweisen. Es sei gleich hier
bemerkt, daß sowohl die Originalplatten, als auch die Malachit¬
grünabschwemmungen nur Kolonien von dem typischen Aus¬
sehen und Wachstum des Bacterium coli lieferten.
Die Original-Agarplatten waren ziemlich dicht bewachsen
und zeigten keine choleraverdächtigen Kolonien. Pepton¬
röhrchen und -Kölbchen waren getrübt, ein eigentliches Häutchen
hatte sich nicht gebildet, nur an den Glaswänden hatten sich
einige schleierartigen Trübungen angesetzt. Die von der Ober¬
fläche der Peptonanreicherung angelegten Agarplatten boten
Kolonien von verschiedenem Aussehen: dickere, schleimigere
und in der Minderzahl zartere, durchscheinende und irisierende.
Die mit den letzteren in Choleraserum angestellte Probe¬
agglutination ergab in der Verdünnung 1/10 sofortige starke,
in der Verdünnung 1/100 zwar langsamere und feinere, aber
ohne Lupe deutlich sichtbare Häufchenbildung, ebenso wie der
zur Kontrolle benutzte echte Cholerastamm. Die gleichzeitig
in physiologischer Kochsalzlösung vorgenommene Verreibung
der fraglichen Kolonien zeigte keinerlei Klumpung. Damit war
eine Täuschung durch Spontanagglutination ausgeschlossen und
die Annahme, daß es sich um Cholerabazillen handeln könne,
zunächst sehr wahrscheinlich. Von den agglutinierenden
Kolonien wurden demnach Reinkulturen auf Schrägagar angelegt.
Es sei hier angeführt, daß wiederholte Abimpfungen aus den
Peptonkulturen auch immer wieder die gleichen, oben erwähnten
Kolonien lieferten.
Im gefärbten Präparat stellten sich die verdächtigen
36 Dr; L. Qaadflieg.
Bakterien aber nicht als Vibrionen, sondern als Kurzstäbchen
dar, die-sich der Gramfärbung gegenüber negativ verhielten.
Die Beweglichkeit im hängenden Tropfen (Peptonlösung) war
nur gering und bot keineswegs das Bild des „Mückepschwarmes“,
wie es in deutlichster Form bei dem einige Wochen vorher
aus den Fäces eines erkrankten Soldaten gezüchteten Cholera¬
stamm zur Beobachtung gelangte. Auffallend war ferner, daß
auf den Gelatineplatten bislang (am 3. Tage) noch keine ver¬
flüssigenden Kolonien zu sehen waren. Die aufgezählten Be¬
funde berechtigten somit zu Zweifeln an der Choleranatur der
isolierten Bakterien, trotz der positiven Probeagglutination, ln
diesem Sinne wurde denn auch dem zuständigen Reservelazarett
die vorläufige Mitteilung durch Fernsprecher erstattet. Zur
weiteren Klärung wurde von den Kolonien inRothbergersehen
Neutralrotagar (Schüttelkultur), Traubenzuckerbouillon (in
V förmigen Röhrchen), Lakrausmolke, Gelatine (Stichkultur) und
Peptonröhrchen abgeimpft. Das Ergebnis war, daß am nächsten
Tage der Neutralrotagar starke Gasbildung (Sprengung) und
Fluoreszenz zeigte; in den Vförmigen Traubenzuckerbouillon¬
röhrchen fand sich in dem geschlossenen Schenkel eine große
Gaskuppe. Die Lakmusmolke war stark gerötet und getrübt,
die Gelatine-Stichkultur zeigte auch nach 8 Tagen noch keine
Spur von Verflüssigung im Gegensatz zu den Kontrollen, die
mit den echten Cholerastämmen Ba und Kier beimpft waren,
und die schon am 2. Tag beginnende und dann von Tag zu
Tag weiter fortschreitende Verflüssigung erkennen ließen. Die
nach 24 Stunden vorgenommene Prüfung auf Indol ergab nur
schwache Rosafärbung; auch in 8 Tage alten Peptonkulturen
war sie nicht wesentlich stärker geworden. Jedenfalls kam es
nicht zur ausgesprochenen „Cholerarotreaktion“.
Diese Ergebnisse werden noch kurz zur Begründung der
Diagnose zu würdigen sein: Betrachten wir nun zunächst die
mit der Schrägagarreinkultur des fraglichen Stammes (955)
und mit den beiden Cholerakulturen (Ba und Kier) erzielten
Agglutinationsergebnisse, die in den folgenden Tabellen nieder¬
gelegt sind. Die Agglutinationsprüfung wurde so vorgenommen,
daß in 1 ccm der angegebenen Serumverdünnung eine Oese
18stündiger Agarkultur verrieben wurde. Die Ablesung erfolgte
nach 1 bezw. (zur Kontrolle) nach 4 Stunden Brutschrank¬
aufenthalt bei 37° mit unbewaffnetem Auge und Lupe.
Die Agglutination des Stammes 955 (s. Tafel 1) für sich allein
betrachtet, würde zur Diagnose Cholerabazillen vielleicht verleitet
haben, obgleich sie allerdings nach der 1. Stunde noch nicht
so ausgesprochen war, wie bei den beiden Cholerastämmen.
Aber schon der Befund nach 4 Stunden zeigte einen kaum
nennenswerten Unterschied gegenüber dem Stamme Kier, nur
war die Agglutination in den Verdünnungen 1 : 1000 und
1 : 2000 nicht ganz so deutlich; immerhin dürften so geringe
Unterschiede auch echte Cholerastämme untereinander aufweisen.
Noch geringer war der nach 24 Stunden festgestellte Unter-
Ein Beitrag zur bakteriologischen Choleradiagnose.
Tafel I.
87
Cholera-Serum:
fragt. Stamm
Cholerastamm
Cholerastamm
Verdünnung
955
Ba.
Kier.
1 : 100
++ (H
-++)
+ + + (H
—
1 : 200
■+• (H
- + +)
+++ (-
~ -|~
1 : 600
+ (H
b + +)
+ + H
1: 1000
± H
b)
+ (H
—
1: 2000
- (d
k)
+ H
1 : 5000
- (-
-)
- (H
- _L
1 : 10000
- (-
-)
— (-
-)
Na CI.
- (-
-)
- (-
-)
+
(H
h4“
+
H
b+
<H
b+
+
(H
b+
+
(H
b +
—
(-
-)
(-
(-
-)
-)
Zeichenerklärung für die Tabellen:
+ -J- = totale Ansflockong, überstehende Flüssigkeit klar;
-j- -j- = teilweise Ausflockung, daneben ohne Lnpe deutlich erkennbare
Häufchenbildung;
-+• — mit schwacher Lnpe deutlich sichtbare Häufebenbildung;
db = mit schwacher Lupe noch eben erkennbare Häufchenbildung;
— = keine Agglutination;
( ) = Ergebnisse nach 4 Stunden abgelesen.
schied in der Stärke der Agglutination; doch ist dieser Befund,
da für die Diagnose belanglos, nicht angeführt. Bei Bewertung
des Agglutinationsergebnisses darf nicht vergessen werden, daß
dieses bestimmungsgemäß nach 1 Stunde festzustellen ist, und
daß in allen ersten und zweifelhaften Fällen der Pf ei ff ersehe
Versuch berufen ist, die definitive Entscheidung zu bringen.
Hiervon wurde unter Berücksichtigung der oben genannten
Ergebnisse: Gramnegative Kurzstäbchen, geringe Beweglichkeit,
Verhalten in Neutralrotagar, Traubenzuckerbouillon, Lakmus-
molke und Gelatine abgesehen. Eine noch auf seine Zugehörig¬
keit zu der Gruppe der Paratyphus-Enteritidis Gärtner-
Bazillen wiederholt durchgeführte Agglutinationsprüfung des
Stammes führte ebenfalls zu einem negativen Ergebnis. Das
war ja auch von vornherein wohl zu erwarten, nach dem sich
eine verdächtig gewachsene Kolonie weder auf den Original-
Drigalski- und Endoplatten, noch auch auf der Serie fand,
die mit den in Choleraserum agglutinierenden Bakterien beimpft
worden war.
Vergegenwärtigen wir uns die gesamten Befunde, so kann
es sich trotz der Beeinflussung durch Choleraserum nur um ein
Bacterium coli handeln. Diese Diagnose wurde auch den
zuständigen Behörden mit der ausführlichen Begründung
zugestellt.
Eines war bisher noch außer acht gelassen: das Verhalten
des Stammes in dem normalen Serum der Tierart, von der das
Testserum stammte. Gelegentlich dieser Prüfung mit normalem
Pferdeserum gelangte auch noch einmal die Titration mit
2 Choleraseren verschiedener Herkunft zur Ausführung. Diese
Ergebnisse sind in den folgenden Tafeln II, III, IV nieder¬
gelegt. Die Verarbeitung war die gleiche wie oben. Die
Ablesung der Ergebnisse erfolgte nach 1 (bezw. 3) Stunden
Brutschrankaufenthalt:
38
Dr. L,Qa&dfifeg,
Tafel JJ.
Oh&lera-Scfuifi
rfltchis. »S«tr.--Werk : |
Verdünnung •
frag]- Stamm
955
CJirtiejrK;»iainm
tM,
CbuletMUaim
Kier..
1:10o
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J. : 600
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-
... i-l : - |*4}
Tafel III.
fragl. Stamm
Cäolerastamm
Citolerastamm
95S
Ba.
Kier.
Cholera-Bernm
Berlin
Verdünn ang
1:100
1 : 200
1: 600
1 : 1000
1:2000
1: 5000
1 : 10000
Na CI,
-j-+ f
m
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■)
44
■ (+!+•+
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• (4
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1
•(+)
<++.
li
-h
4-v
+'
1
Tafel IV,
Normale* Pferde-
fien/to
. Verdünnoiig
fragl. Stamm
'UU.' 96B
■
| Übolerastamm | Cboleraßiamm
! Ba. Kiei.
-v.U:> \ . 0.//
t :100 !
1: 500 j
1 : tooo j
Mk
..... < |
|
V: V y- ,
4+4
'H
h + + ’ : . i—t
L -B':.+ 4-': -•f44+''.Y4
h>- ~
Die vorstehenden Prüfungen ergaben aunttch® eine be¬
deutend schwächere Beeinflussung des iragi. St»mn*;esflaS durch
das'wenigstefia wenn mau die Ergebnisse
nach- i Stunde betraohbet.. Die Stämme Ba. und Kier. sind in dieser
kurton.' Sfoft his aüm Endtiter aggluUniert; der Stamm 955
zeigte mir Häufchenbildung hi der Verdünnung .1 : 500, während
er in der gloiohen Zeit durch das Serum S. S. W. in der Ver¬
dünnung 1 : 2Öt)Ö noch deutlich agglütmibirt witrdht allerdings
war der Unterschied nach' ■> Stunden bet dem Berliner Serum
auch schon erheblich geringer geworden. Immerhin scheint,
es, als ob dem Serum Berlin eine gröbere Spezitizität zukomine.
Weiter zeigt Tafel IV auch eine hohe Beeinflussung
unseres Stammes und des Ohoierastammes Ba, durch normales
Pferdeserum. Bel döiu
geschlossen, daß das
letzteren erscheint, es Dient aus-
des Stammes eine Rolle spielt,
Ein Beitrag zur bakteriologischen Choleradiagnose.
89
während dies für den Stamm 956 nicht in Frage kommen kann.
Es handelt sich wohl vielmehr um einen jener durch heterologe
(Immun)-Sera leicht beeinflußten Colistämme, wie sie schon
öfter beobachtet worden sind. Daß es sich nicht um Spontan¬
agglutination handelt, beweist die Kochsalzkontrolle, die nicht
eine Spur von Häufchenbildung erkennen ließ.
Des Interesses halber wurde noch ein Absättigungsversuch
nach Castellani angesetzt mit folgendem Ergebnis:
Tafel V.
Cholera-Serum Tit. 1 :10000, mit Stamm 95& abgesättigt:
Agglutination mit Stamm Kier angestellt; Ablesung nach 1 Stunde.
Verdünnung
Cholerastamm Eier
fragl. Stamm 955
1:100
1:200
1 :500
1:1000
1 :2000
1 :5000
1:10000
Cholera-Serum Tit. :
Agglutination mit St
£
Tafel
l: 10000, mit
;amm 956 ang
V
, c
;est
I.
holerastami
teilt; Ables
n Kier abgesättigt,
tung nach 1 Stunde.
Verdünnung
fragl. Stamm 965
Cholerastamm Eier.
1:100
1:200
1 :600
1:1000
—
++
±
Die vorstehenden Ergebnisse rechtfertigen den Schluß,
daß trotz ihrer Höhe die Agglutination des Stammes 965 in
Choleraserum als Mit- bezw. Paragglutination zu bezeichnen
ist. Wohl vermochten die Cholerabazillen sämtliche homologen
und heterologen (Coli) Agglutinine zu absorbieren; dagegen
konnte der Stamm 955 die Choleraagglutinine kaum nennens¬
wert erschöpfen.
Es kann nicht Absicht sein, auf die hier sich ergebenden
interessanten wissenschaftlichen Fragen der Coliagglutination
weiter einzugehen, dazu könnten die ausgeführten Unter¬
suchungen nicht genügen. Auch mag dahingestellt bleiben,
ob der isolierte Colistamm in ursächlichem Zusammenhang zur
Erkrankung steht, wenn man schon zugeben muß, daß Coli-
Enteritiden Vorkommen. Wie bereits eingangs erwähnt, soll
diese kurze Darlegung nur der praktischen Diagnostik dienen.
Und wenn diese Zeilen dazu beitragen können, zur Vorsicht
in der Bewertung der „Cholera-Agglutination“ zu mahnen und
etwaige Irrtümer in der Diagnose, wie sie ohne Würdigung des
gesamten bakteriologischen Befundes fraglicher Stämme Vor¬
kommen könnten, zu vermeiden, dann ist ihr Zweck erfüllt.
40
Dr. Guttmann.
Der Hamburger Tropfkörper mit Deckschicht.
Von Kreisarzt Dr. Gnttmann-Stade.
Die einwandfreie Beseitigung kleinerer Abwasserraengen
z. B. aus Einzelhäusern oder kleineren Anstalten wie Gefäng¬
nissen, Krankenhäusern, Molkereien auf dem Lande oder in
kleinen Städten ohne Kanalisation bereitet trotz der hohen Ent¬
wicklung der Abwasserreinigungsverfahren noch heute gewisse
Schwierigkeiten.
Von einer Reinigungsanlage kleinerer Abwassermengen
ist zunächst in hygienischer Beziehung zu fordern, daß die Ab¬
flüsse der stinkenden Fäulnis nicht mehr zugänglich sind und
daß sie zu einer grobsinnlich wahrnehmbaren Verschlechterung
des Wassers im Vorfluter nicht Anlaß geben. Aus praktischen
Gründen ist erforderlich, daß eine solche Anlage mit möglichst
geringen Kosten herzustellen ist, daß ihre Wartung möglichst
einfach sich gestaltet, so daß man sie tagelang sich überlassen
kann, und daß sie keiner großen Höhenentwicklung bedarf, um
sie in flachen Gegenden, womöglich auch in solchen mit hohem
Grundwasserstand, wie z. B. in den Marsch- und Moorgegenden
des Reg.-Bez. Stade, in Anwendung bringen zu können. Aesthe-
tische Gründe machen es wünschenswert, daß man von solcher
Anlage wenig sieht und riecht.
Das Füllverfahren kummt für diese Anlagen nicht in Be¬
tracht, weil es nur bei sorgfältiger Behandlung im Gange bleibt
und bei Vernachlässigung sofort zur Fäulnis des biologischen
Körpers und infolgedessen auch der Abflüsse führt. In ein¬
wandfreier Weise löst diese Aufgaben der Hamburger Tropf¬
körper mit Deckschicht nach Prof. Dr. Dun bar.
Das Abwasser wird auf diesen künstlichen biologischen
Tropfkörper ohne irgendwelche kostspielige Beschickungs- und
VerteilungsVorrichtungen, die stets eine sachverständige Ueber-
wachung und Pflege notwendig machen, geleitet. Die gleich¬
mäßige Verteilung und tropfenförmige Auflösung des Abwassers
wird in einfacher und wirksamer Weise durch die sogenannte
Deckschicht herbeigeführt. In der richtigen Wahl und Anord¬
nung der Deckschicht liegt der Erfolg des Verfahrens.
Der Hamburger Tropfkörper wird ganz aus Koks oder
Schlacken aufgebaut. Aus der den eigentlichen biologischen
Körper überlagernden Deckschicht tritt das Abwasser beständig
tropfenförmig aus. Es füllt also niemals die Zwischenräume
zwischen dem Trofkörpermaterial, sondern überzieht die ganze
Oberfläche der Koks- oder Schlackenstücke in dünnster Schicht
und tropft weiter auf die darunterliegenden groben Stücke. Die
Schmutzstoffe des Abwassers werden bei seinem Versickern
durch den Tropfkörper durch dessen Material bald mehr, bald
weniger abgefiltert und die Oberfläche des Materials umkleidet
sich mit einer aus Organismen bestehenden Schicht, dem
sogenannten biologischen Rasen. Diese zurückgebliebenen un¬
gelösten wie gelösten Schmutzstoffe erfahren nach dem Kontakt
Der Hamburger Tropfkörper mit Deckschicht.
41
mit dem Tropfkörpermaterial eine Oxydation, wenn genügende
Luftzufuhr vorhanden ist. Um eine solche zu sichern, dürfen
zum Aufbau der eigentlichen biologischen Tropfkörper nicht
zu kleine Koks- oder Schlackenstücke verwendet werden; zweck¬
mäßig wählt man solche von Faust- bis Kindskopfgröße. Je
höher der biologische Körper ist, um so wirksamer und leistungs¬
fähiger wird er sein. Für mittlere Anlagen genügt schon eine
Höhe von 70 cm. Dun bar hat solche Körper mit weniger
als 20 cm hohen groben Unterbau lange Zeit hindurch mit
bestem Erfolg in Betrieb gehalten, woraus hervorgeht, daß
dieses Verfahren auch anwendbar ist unter Verhältnissen, wo
kaum 1 m Gefälle zur Verfügung steht.
Die Deckschicht muß aus feinstem Schlackenmaterial be¬
stehen, aus dem alles Korn, was kleiner als 1 mm und größer
als 3 mm ist, auf das sorgfältigste ausgesiebt ist. Zur Tropfen¬
bildung und zur Verteilung auf einem mittelgroßen Tropfkörper
genügt eine Höhe von 30 cm.
Damit die Deckschicht nicht in die Fugen des biologischen
Körpers hineinfällt, bedarf es noch einer Stützschicht zwischen
beiden, die unten so eingebaut ist, daß ihre Korngröße größer
ist als die Fugen des biologischen Körpers und oben so, daß
ihre Körner zwischen sich keine größeren Fugen lassen, als
wie die darüberliegende Deckschicht Korngröße hat. Bei den
angegebenen Körnergrößen der Deckschicht und des biologischen
Körpers kann die Stützschicht aus einer oberen etwa 10 cm
starken Schicht von 3—10 mm Korngröße und aus einer
unteren ebenfalls 10 cm starken Schicht von 10—30 mm Korn¬
größe bestehen. Bei genauer Befolgung dieser Vorschriften
weist die Deckschicht selbst nach jahrelanger und starker
Benutzung kaum Zeichen von Verschlammung auf.
Von großer Bedeutung ist die dauernde Zuführung von
frischer Luft zur Ergänzung des entzogenen Sauerstoffes und
die dauernde Entlüftung des biologischen Körpers zur Abführung
der sich bildenden Abgase. Der Tropfkörper umfaßt daher
zweckmäßig oben seitlich die ganze Deckschicht bis über die
Zuleitungsrinne hinauf (s. Abbildungen lau. lb). Die Außen¬
böschungen der pyramidischen Tropfkörper können bei kleineren
Anlagen durch stark durchlöcherte Mauerwände ersetzt werden,
selbst bei der geringen Höhe des biologischen Tropfkörpers
von etwa 20 cm. Kleine Anlagen können daher schon hei
einem sehr kleinen zur Verfügung stehenden Gefälle ausgeführt
werden. Sie müssen aber stets vor Frost geschützt werden;
müssen sie über Terrain angelegt werden, so sind sie gut zu
überdachen.
Ein Absitzbecken mit feinem Sieb vor dem Tropfkörper
ist nicht immer erforderlich, jedoch zweckmäßig, wenn die
Abwässer Sand führen, da Sand die Deckschicht leicht verstopft.
Durch dieses Absitzbecken sind die Abwässer möglichst frisch
hindurchzuleiten, bevor sie in Fäulnis übergehen. Die Ab¬
lagerungen in dem Vorbecken sind von Zeit zu Zeit zu entfernen.
Abbildung 1 a.
mSM
Abbildung 1 b
Bieter,
44
Or. Gattmann.
Im Betrieb muß zur Verhütung einer Verschlammung in
der Deckschicht diese ab und zu 10—15 cm hoch durch¬
geschaufelt werden. Vorher läßt man die Oberfläche gut
abtrocknen und das darauf liegende Häutchen, das meist
aus Papierstoff besteht, mit einer Planierschaufel nicht tiefer
als 0,5 cm abheben. Wo nicht mehrere Tropfkörper neben¬
einander angelegt sind, kann ein Reservekörper von ge¬
ringen Abmessungen nachgeordnet werden (Abbildung 2). Palls
eine genügende Unterbrechung ohne Betriebsstörung möglich
ist, wie vielfach bei kleineren Anlagen in Einzelhäusern, kann
auch der Reservekörper noch entbehrt werden. Auch genügt
dann meistens ein einfaches Aufharken der Deckschicht. Weitere
IPuftunjsfCappen
Abbildung: 2. Hamburger Tropfkörper (Längsschnitt). 1 )
Wartung bedarf die Anlage nicht. Niemals darf die Deckschicht
bei einer Verstopfung durchstoßen werden; ist dies doch
geschehen, so ist der ganze Körper neu aufzubauen. Dabei
muß das Material sorgfältig ausgewaschen und gesiebt werden,
oder es muß neue Schlacke verwendet werden.
Eine solche Abwasserreinigungsanlage für ein Erholungs¬
heim mit 30 Insassen und 3 cbm Abwassermenge pro Tag in
Poppenbüttel bei Hamburg ist von dem Verfasser wiederholt im
Betrieb besichtigt (s. Abbildung 3). Dieselbe ist unterirdisch ange¬
legt, so daß nur drei Deckel zu sehen sind. Insektenplage und
übler Geruch wurde selbst im heißen Sommer nicht bemerkt. Der
Tropfkörper ist aus Schlacke hergestellt. Die Luft wird durch
die durchbrochene Wand der einen Seite zugeführt. Die Ab¬
flüsse werden auf einen zweiten nachgeordneten kleinen Tropf¬
körper geleitet, ehe sie in einen Straßenkanal abfließen. Ein
Absitzbecken von 1,2 m 3 Größe mit Gitter ist vorgeschaltet,
um den Sand abzufangen. Sobald die Deckschicht anfängt,
undurchlässig zu werden, was in der Regel nach 8 Tagen ein-
tritt, werden die Abwässer einen Tag lang direkt auf den
kleinen nachgeschalteten Körper geleitet. Nach Abtrocknen
') Aas dem „Leitfaden für die Abwasserreinigungsfrage". Zweite Auflage.
Von Prof. Dr. H. Dun bar. Verlag von B. Oldenbourg, München u. Berlin.
Abbildung 3.
46 Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
wird die Oberfläche geharkt. Den oft erheblichen Tages¬
schwankungen hat sich der Körper ausgezeichnet angepaßt; in
12jährigem Betriebe ist eine Störung nie aufgetreten. Die
Sedimente des Vorbeckens werden ab und zu mit einer
Schaufel aus dem Sandfang gehoben und im Garten vergraben.
Die Innenmaße der gesamten Anlage betragen 3,90 m Länge,
2 m Breite, 2,30 m Tiefe. Die Kosten der im Jahre 1903
erbauten Anlage betrugen laut vorliegender Rechnung 2000 Mark,
wovon 320 Mark für wissenschaftliche und technische Ueber-
wachung von dem Erbauer in Rechnung gesetzt sind. Es
unterliegt aber keinem Zweifel, daß sich die Kosten bei Verein¬
fachung der Anlage erheblich verringern lassen. Das von Prof. Dr. "
Dun bar angegebene Hamburger Tropfkörperabwasserreinigungs¬
verfahren ist patentamtlich nicht geschützt; die Abgaben von
Patentgebühren kommen somit nicht in Frage. Das Material
für die Deckschicht in Korngröße von 1—3 mm kann von der
Müllverbrennungsanstalt Bullerdeich in Hamburg für den Preis
von ungefähr 5,50 Mark pro cbm*ab Platz bezogen werden.
Im Medizinaluntersuchungsamt in Stade habe ich zu¬
sammen mit der Assistentin des Instituts, Fräulein Dr. Sachse,
längere Zeit hindurch Laboratoriumsversuche mit einem Ham¬
burger Tropfkörper von 30 cm Höhe angestellt. Nachdem der
Tropfkörper 1—2 Wochen mit stark riechenden Molkerei¬
abwässern bis zur völligen Einarbeitung beschickt war, war er
imstande in der verblüffend kurzen Zeit von 1—3 Minuten die
faulen Abwässer so erheblich zu reinigen, daß 100 g der ge¬
reinigten Abwässer mit 0,6 g einer 0,05 proz. Methylenblaulösung
versetzt nach 6—36 Stunden bei 46° C. noch nicht entfärbt
waren. Bei dem ungereinigten Abwasser trat die völlige Ent¬
färbung schon nach wenigen Stunden ein.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
A. Baohverstfcndlgent&tlgkeit auf militlrärztliohem Gebiete.
Die Qasphlegmone bei Kriegsverwundeten. Klinische Studie von
Dr. 8 a c k u r - Breslau, zurzeit Oberstabsarzt bei einer Kriegsl&zarettabteUang
im Westen. Medizinische Klinik; 1915, Nr. 37 und 88.
Za den häufigeren Infektionskrankheiten des Krieges gehört auch die in
Friedenszeiten wenig beobachtete Qasphlegmone. Die Aetiologie ist bakterio¬
logisch sichergestellt. Es handelt sich um einen anaeroben, den FraenkeIschen
Bacillus phlegmones emphysemotosae, gelegentlich wurden auch andere Erreger
angeschuldigt. Der Fraenke Ische Bacillus wurde von Simmonds in
18 Fällen von Qasphlegmone post mortem im Herzblut gefunden. Die Ent¬
stehung der Krankheit setzt eine Beschmutzung der Wnnde mit Erde, worin
die Bazillen leben, voraus. Die Zunahme der Gasphlegmonen zur Regenzeit
ist wohl nur mit der dann größeren Beschmutzung und dem Festhaften der
feuchten Erde an den Kleidern zu erklären. Das seltene Vorkommen von Qas¬
phlegmone an Gesicht und Kopf hängt ebenfalls wohl mit der größeren Sauber¬
keit dieser Teile zusammen. Hauptsächlich schließt sie sich an größere, zer¬
fetzte und gequetschte Wunden mit Taschen nnd Buchten an, wie sie durch
Artilleriegeschosse verursacht werden. Das Zustandekommen wird weiter be¬
günstigt durch schlechte arterielle Durchblutung infolge Thrombosierung von
Gefäßen oder Kompression durch Haematome; ebenfalls schließt sich das
KrankheitsbUd an unzweckmäßig feste Tamponade, Esmarchsche Blutleere
Kleinere Mitteilungen and Befernte ans Zeitschriften.
47
und Unterbindungen an. Das Vorkommen sekundärer Infektionen (endemische
Spitalinfektionen) ist noch nicht genügend sichergestellt. Die Symptome sind sehr
charakteristisch: Oertlich: starker Wandschmerz, Oedem, Hautverfärbungen,
Knistern der geschwollenen Umgebung der Wunde, die stets dunkel miß-
farbig aussieht und oft neben ttblem Geruch eine Vermischung des geringen,
dünnen fleischwasserfarbenen oder trübgelben Sekrets mit Gasblasen zeigt;
erheblichere Eiterbildung fehlt stets. Die Wunde ist mißfarben, oft graugrün,
die Muskelteile sind schwarzrot bis dunkelbraungrün und brüchig wie Zunder.
Je nach der Lokalisierung unterscheidet man eine „epi“- und „subfasziale“
Form; bei der letzteren sind die obengenannten Krankheitszeichen nicht alle
leicht nachzaweisen.
Die Allgemeinerscheinungen gleichen denen aller anderen schweren
bakteriellen lufoktidnen.
Die Gasblasen, namentlich auch in der Tiefe der Gewebe lassen sich
bequem im Böntgenbild nachweisen.
Differentialdiagnostisch kommen neben Luft-Aspiration und
Fäulnisgasentwicklung das maligne Oedem und das Hautemphysem in Frage.
Bei der Gasphlegmone kommt es nie zu einer bedeutenden eitrigen Einschmelzung
des Gewebes, ferner ist stets eine haemorrhagische Infarzierung der befallenen
Gewebe vorhanden. Bei therapeutisch unbeeinflußten Wunden tritt innerhalb
24 Stunden Gangrän ein, der am längsten die Haut widersteht. Die lokale
Infektion geht sehr bald in eine allgemeine über; der Erreger muß sehr rasch
in die Blutbahn eindringen, nicht aber in die Lymphwege; denn nie wird eine
Erkrankung der regionären Lymphdrüsen festgestellt. Klinisch treten die
ersten Anzeichen der Infektion meist in 12—24 Stunden nach der Verletzung
auf,' seltener nach längeren Zwischenräumen; einzelne Fälle sind allerdings
noch nach 6 bis 8 Tagen beobachtet. An den Extremitäten bevorzugt die
Infektion ganz besonders das Fortschreiten nach der peripheren Bichtung; häufig
ist der Verlauf durch Thrombosierung größerer Gefäßstämme kompliziert.
Die Prognose ist schlecht; wenn bis zur Behandlung mehrere Tage
verstreichen, endet die Infektion mit ziemlicher Sicherheit tödlich. Bei früh¬
zeitigem Eingriff geht die epifasziale Form in den meisten Fällen in Heilung
aus; weniger gut ist die Prognose bei der tiefen Form, weil sie schwerer recht¬
zeitig erkannt wird, zumal dabei auch die Verletzungen weit ausgedehnter sind.
Die Therapie ist bedingt: 1. durch die Neigung der befallenen Gewebe zu
raschem brandigen Zerfall, 2. durch die „anaeroben“ Bakterien. Angezeigt ist
eine sofort einsetzende aktive chirurgische Behandlung; konservative Therapie ist
aussichtslos und gefährlich. Die Behandlung besteht in der Anlegung großer Ent- .
spannungsschnitte vom Gesunden ins Gesunde; die gangränösen Haut- und Ge-
websteile werden abgetragen, Taschen und Buchten freigelegt. Dann folge das
Abtasten der Wunde nach Fremdkörpern mit dem Finger (Gummihandschuhe I),
erforderlichenfalls Aufsuchen durch Böntgenphotographie, Aufbringen von Wasser¬
stoffsuperoxyd, lockere Mulltamponade. Die Hauptsache ist Luft- und Sauerstoff-
Zuführung, mehrmaliger Verbandwechsel am Tage; auch Einlegen von Ortizon-
stiften ist empfohlen, ebenso 10°/oiges Ichthyol-Glyzerin, Perubalsam, Jodtinktur,
Bepudem mit Kalziumchlorat 10 */o vermischt mit Bolus alba. Bier sehe Stauung
ist gefährlich. Die primäre Amputation ist angezeigt je nach dem Zustande der
Verletzung oder wenn die Extremität peripher von der Wunde schon unbeweglich
nad kalt ist Hohe Amputation oder Exartikulation ist noch zu versuchen,
wenn das Oedem schon auf den Stamm übergegangen; in diesen Fällen sind
die oedematösen Teile auch zu inzidieren, mit H 2 O* zu bespritzen und locker
zu tamponieren. Der Verschluß durch Naht ist kontraindiziert. Geht der
Prozeß auf Inzision nicht zurück, so ist die sekundäre Amputation angezeigt.
Ein französischer Autor, Weinberg, der den Bacillus perfringens V e i 11 0 1
für den Erreger hält, hat aus seinen Kulturen ein Antiserum hergestellt, mit
dem er Heilerfolge erzielt haben will.
Cm dieser Infektionskrankheit vorzubeugen, sind die Soldaten zu
belehren und zur Sauberhaltung ihrer Kleider anzuhalten; immerhin können mit
Erde beschmutzte Geschoßsplitter auch dann noch Infektionen vermitteln.
Dr. L. Quadflieg -Gelsenkirchen.
48 Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
„Zar Behandlung der langen Böhrenknochenbrüche insbesondere
mit dem Frakturhebel“ and „Streckverbandapparate mit passiven and
automatischen Gelenkbewegungen“. Von Dr. Otto Ansinn, Chirurg am
Reservelazarett Kriegsschale zu Bromberg. Bruns’ Beiträge zur klinischen
Chirurgie; Bd. 97, 6. und 9. Kriegschirurgisches Heft.
Dr. A n s i n n, der an dem mit 600 Betten ausgerüsteten Reservelazarett
Kriegsschale zu Bromberg seit 1. Oktober 1914 seine chirurgische Tätigkeit
ansübt, weist ans in diesen Arbeiten einen neuen Weg, auf dem schwere
Brüche der Oberschenkelknochen zur Heilung gebracht werden können ohne
nennenswerte Verkürzung des Beines, und auf dem in erheblich kürzerer Zeit
volle Bewegnngsfähigkeit der Gelenke eintritt, ohne die schwere, doch oft
recht schmerzhafte Behandlung im Zanderinstitut.
Das außerordentlich reiche Material des Bromberger Lazarettes bewog ihn
bald dazu, bei schweren Verletzungen mit schwerster jauchiger Infektion die
Höhlen möglichst frühzeitig auszuräumen, die Sequester subperiostal zu entfernen
and die, wenn auch bereits nekrotisierenden Frakturenenden durch eine Situations¬
naht miteinander zu fixieren. Die dadurch erreichten Erfolge ermutigten ihn
bei größeren Knochenbrüchen Aluminiumstreifen, die er sich entsprechend dem
Spezialfall zurechtschnitt und bohrte, zur Knochenfixation zu verwenden. Die
außerordentliche Schwierigkeit, die Bruchenden in die richtige Lage zu bringen,
um die üblen oft 15 cm betragenden Verkürzungen zu vermeiden, überwand
er, da Menschenkraft hierzu nicht ausreichte, durch einen „Frakturhebel“
eigener Konstruktion. Wenn auch die ersten Exemplare sich als zu schwach
erwiesen gegenüber den Verwachsungen und dem kolossalen Muskelzuge, so
reichte doch das 3. Exemplar, das auf eine Belastung von 110 kg eingerichtet
war, auB, alle Widerstände zu überwinden und die Knochen in die richtige
Lage zu bringen, in der sie dann durch die Aluminiumstreifen fixiert wurden.
Fälle, die mit 15 cm Verkürzung eingeliefert wurden, heilten mit einer Ver¬
kürzung von 0—8 cm. Hierdurch war zwar die Verkürzung auf ein Minimum
beschränkt, doch blieben noch die schweren Gelenkversteifungen und Muskel¬
atrophien, die der Bar den heuer sehe oder Zu p p in ge r sehe Streckverband
hinterließen, zu beseitigen, wozu monatelange Uebungen im Z a n d e r institat
notwendig waren. Der Gedanke, diese Uebungen in die Heilungsdauer selbst
za verlegen, führte Dr. An sinn zur Konstruktion eines Apparates, der Ober¬
und Unterschenkel einzeln extendiert und zugleich eine Bewegung der sämt¬
lichen Gelenke des Beines ermöglicht, ohne dem Patienten größere Schmerzen
zu verursachen. Die Hand der Pflegerin oder auch die des Patienten kann
jederzeit, ohne die Extension zu beeinträchtigen, diese Bewegungen vornehmen.
Diese ingeniöse Erfindung fand ihre Krönung in der Herstellung desselben
Apparates mit automatischen Bewegungen, die durch einen kleinen Elektromotor
(2—8 Pfg. pro Stande), oder noch einfacher durch einen Wasserdruckmotor,
der sich an jede Wasserleitung anschließen läßt, hervorgerufen werden. Die
auf diese Weise behandelten Patienten sind, sobald sie aus dem Apparat mit
konsolidierten Knochen herausgenommen werden, sofort imstande, ihren Fuß
selbsttätig auf einen Stuhl zu setzen, d. h. sehr umfangreiche Bewegungen im
Hüft-, Knie- und Fußgelenk auszuführen und ohne Krücken oder Stock za
gehen, ein Resultat, das mit dem gewöhnlichen Streckverband ganz unerreich¬
bar ist.
Den Abhandlungen sind die entsprechenden kurzgehaltenen Kranken¬
geschichten und recht instruktive Abbildungen und Röntgenphotographien bei¬
gefügt.
Da Referent selbst Stationsarzt in dem Reserve-Lazarett KriegBschnle seit
Beginn des Krieges ist, hat er oft Gelegenheit gehabt, die Apparate and
ihre großartige Wirkung zu sehen. Es ist durch diese geniale Erfindung der
Weg gewiesen — nach Dr. Ansinns Meinung dürfte es auch möglich sein,
für den Arm einen ähnlichen Apparat zu erfinden — das Krüppeltum, das der
Krieg nach sich zieht, ganz erheblich zu vermindern und recht vielen unserer
tapferen Feldgrauen die frühere Arbeitsfähigkeit wieder zu geben. Es kann
nar jedem Chirurgen und Orthopäden geraten werden, sich — wie schon recht
viele es auch getan haben — von den Vorzügen der Apparate an Ort und Stelle
zu überzeugen. Dr. v. M a c h - Bromberg.
Kleinere Mittellangen and Referate aas Zeitschriften.
49
B. Bakteriologie and Bok&mpfang der Abertr&gberen Krenkhelten.
1. Bahr.
Beiträge zur Bahrbehandlung. III Ans dem k. and k. Epidemie¬
spital Nr. 2, Krakaa-Lobzöw (Kommand. Regimentsarzt Dr. S. Scharf).
(Jeher die Rahrepldemle 1914/15 aaf Grand des Spitalmaterials. Von
Dr. Marian Gieszezykiewiez, k. k. Assistenzarzt i. d. Res., Vorstand des
bakteriol. Laboratoriums. Medizinische Klinik; 1915, Nr. 43.
Verfasser bespricht seine an 1400 rnhrkranken Soldaten bei einer
Epidemie in Galizien gemachten Erfahrungen. Das Verhältnis der giftigen
(Shiga-Kruse) zur giftarmen Groppe (Flexner, Y) war 38:62. Neben
sehr schweren kamen sehr leichte, abortive Formen vor. Das ist bedingt in
erster Linie von der Art und Giftigkeit der Erreger. Die Mehrzahl der letalen
Fälle (5,4°/o) war schon draußen 2—3 Wochen krank gewesen. Aus der
Symptomatologie ist hervorzuheben, daß Singaltas ein signum mali ominis ist.
Die meisten der sehr leicht verlaufenden Formen entfielen auf die Winter¬
monate and waren durch den Bacillus Y bedingt. Es ist von großer Bedeu¬
tung, diese Erkrankungen rechtzeitig zu erkennen wegen der notwendigen
Isolierung. An Komplikationen wurden beobachtet: Bei 2 Kranken Lähmungen,
3mal Neuralgien, 8 mal Psychosen (akate Verwirrtheit), 8 mal Conjunktivitis,
1 Iridocyclitis, 5 Urethritis (ohne Gonokokken), 9 Oedeme, 3 Ascites, 8 Deku¬
bitus, 3 Parotitis, 6 Pneumonien (4 t), 1 Prolapsus recti. 1 Rekonvaleszent
infizierte sich mit Cholera und starb in 24 Stunden, dagegen verliefen Typhus-
infektionen bei Ruhr-Rekonvaleszenten ziemlich leicht. Häufige Nachkrank¬
heiten sind Tbc. palm. et intest. Die Therapie bestand in Diät and bei
265 Patienten in Seruminjektionen. Das Serum warde subkutan in Dosen von
20 ccm bei leichteren and von 30—60 ccm bei schwereren Fällen verabreicht; es
war polyvalentes Seram von Prof. Dr. 0. Buj wid. Die Injektionen hatten guten
Erfolg, namentlich bei leichteren and mittelschweren Fällen. Es wurde ömal
Urticaria, 6 mal Erythem an der Injektionsstelle, nie Anaphylaxie beobachtet.
In der dritten Woche waren noch ca. 16°/o Dauerausscheider vorhanden; Ruhr-
rekonvaleszenten können noch monatelang periodisch Bazillen ausscheiden. Die
Unterscheidung der giftigen (Shiga-Kruse) von den giftarmen Rohrbazillen
wurde in */& der Fälle durchgeführt. Die Differentialdiagnose der giftarmen
ist von geringer Bedeutung und sehr schwierig; es sind das die Bazillen des
Typus Flexner, Y and Strong. -Ihre Unterscheidung gelingt auf Lakmus-
nährböden, denen Mannit, Maltose und Saccharose zugesetzt sind. Den
Shiga-Kruse-Bacillus kann man von der giftarmen Gruppe durch die
Agglatination unterscheiden; dies empfiehlt sich auch wegen der schnelleren
Entscheidung; dagegen gibt die Agglatination in der giftarmen Gruppe keine
deutlichen Unterschiede. Dr. L. Qu ad flieg-Gelsenkirchen.
2. Weilsche Eirankheit.
Experimentelle Untersuchungen Uber die sogenannte Weilsche
Krankheit (ansteckende Gelbsucht). Aus dem Laboratorium des Beratenden
Hygienikers der ... Armee und dem Laboratorium des Hygienikers beim
Korpsarzt .... R.-K. Von Oberstabsarzt Prof. Dr. Uhlenhuth, beratendem
Hygieniker und Stabsarzt Dr. Fromme, Korpshygieniker. Medizinische
Klinik; 1916, Nr. 44 und 46.
Die Weilsche Krankheit, ansteckende Gelbsucht, konnte durch Blut
und Urin von Kranken auf Meerschweinchen übertragen und in (bisher)
9 Passagen weitergeführt werden; es genügten 0,001 ccm Blut und 0,6—1,0 ccm
Urin. Das Virus fand sich im Blut, in Urin, Galle (0,1) und Organauf-
schwemmungen der infizierten Tiere. Von Tier zu Tier übertrag sich die
Krankheit nicht, entsprechend den Erfahrungen beim Menschen. Blut bei 66°
eine Stunde oder Urin bei 70° */* Stunde lang erhitzt, waren nicht mehr
virulent; ebenso versagte die Impfung schon mit kürzere Zeit lang ange¬
trocknetem Blut. Das Virus ist auch nicht filtrierbar. Chemische Mittel:
Kresolseifenlösung, Karbolsäurelösung (1—4°/o), Aether töteten das Virus ab.
Dagegen vermochten Antiformin (— 10°/oig) und Sublimat (1 °/oig) defibriniertem
virushaltigem Blut zugesetzt keine Abtötung bewirken. Kulturversuche auf
künstlichen Nährböden hatten ein negatives Ergebnis. Dagegen beobachteten
•BO
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
die Verfasser im Blut, in den Organen geimpfter Meerschweinchen sehr zarte,
schlanke Spirochaeten mit dachen Windungen, welche wahrscheinlich die
Erreger sind. Sie färben sich nach Giemsa und im Schnitt nach Lev ad iti.
Das Blut ist hauptsächlich in der ersten Woche infektiös; es empfiehlt sich
daher, im Beginn der Erkrankung den Tierversuch zur Diagnose zu verwerten.
Außer Meerschweinchen sind auch Kaninchen empfänglich, scheinbar nicht
Affen, Hühner, Katzen, Hunde, Ferkel, Hammel und Mäuse, über Batten sind
die Versuche noch nicht abgeschlossen. Die sicherste lufektionsart ist die
intrakardiale, weniger die intraperitoneale und muskuläre, auch gehen sie
durch die skarifizierte Haut. Die Menge soll 1 — 2 ccm betragen. Die
Spirochaeten finden sich in Leber, Galle, Nieren, seltener im Blut und anderen
Organen. Arsenikalien brachten keinen therapeutischen Erfolg. Da Rekon-
valeszentenserum das Virus schon in kurzer Zeit abtötet, ist es zur Behandlung
zu verwerten. Es handelt sich nun darum, von geeigneten größeren Tieren
Immunsera für die Behandlung zu gewinnen.
Dr. L. Q u a d f 1 i e g - Gelsenkirchen.
Beiträge zur Aetiologle der Weilscheu Krankheit. Von Prof. Dr.
Hüb euer und Priv.-Doz. Dr. Reiter, Berlin. Deutsche med. Wochen¬
schrift; 1916, Nr. 1.
Die hauptsächlichsten Untersuchungsergebnisse der Autoren sind inzwischen
durch Uhlenhuth und Fromme (s. vorstehendes Referat) bestätigt: Er¬
zeugung eines typischen Krankheitsbildes beim Meerschweinchen, Möglichkeit
der Uebertragung auf Kaninchen, Unempfänglichkeit der Mäuse und Ratten,
Vermehrungsfähigkeit des Virus, Virusgehalt des Urins, keine spontane direkte
Uebertragung von Tier zu Tier, Nichtinfektiositfit der Rezidive, fast keine
Beeinufissung des Krankheitsverlaufes durch Salvarsan und Atoxyl, Vorhanden¬
sein von Immunkörpern in der Rekonvaleszenz und Möglichkeit einer passiven
Immunisierung.
Die nach Giemsa gefärbten Präparate zeigten „Gebilde, die man am
besten mit den feinsten Geißeln der Typanosomen vergleicht". Außerdem
wurden noch massenhafte kleinste, schwach gefärbte Protoplasmakugelchen
beobachtet, deren spezifische Bedeutung aber noch offen bleibt. Untersuchungen
im hängenden Tropfen und im Dunkelfelde waren nicht befriedigend. Der
augenfälligste Befund konnte bei Leberausstrichen von Meerschweinchen erhoben
werden, die nach der Infektion möglichst lango gelebt hatten. Die Tiere
zeigten den hochgradigsten Ikterus und bei der mikroskopischen Untersuchung
in den Leberausstrichen die feinen Geißelformen, die man vielleicht als
Spirochäten ansprechen kann, teils einzeln liegend, teils zu wirren Bündeln
zusammengeballt. Jede Regelmäßigkeit in Größe und Windung wird vermißt,
oft sind die „Spirochäten“ langgestreckt wie gedehnt, oft nur an den Enden
ein wenig umgeschlagen oder vollständig zu Oesen- und Schleifenformen, oder
sie haben große, peitschenschlagähnliche Windungen; sie sind oft Blut¬
körperchen oder anderen Zellen angelagert, äußerst fein und bei Giemsa¬
färbung rötlich. Häufig sieht man an der „Spirochäte" eine sich ebenfalls mit
Giemsa rotfärbende Knötchenbildung und zwar häufiger bei weniger ikterischen
Tieren. Im allgemeinen geht die Zahl der in der Leber gefundenen „Spirochäten“
dem Grade des Ikterus parallel; sie sind bei mit hochvirulentem Virus geimpften
Tieren, die rasch ad exitum gekommen waren, viel weniger zahlreich.
Auch in nach Levaditi gefärbten Leberschnittpräparaten läßt sich
die „Spirochäte" deutlich erkennen, häufig in wirren Knäueln zusammenliegend.
Sie erscheint natürlich wesentlich dicker als in Giemsa präparaten; die
Knötchenbildung ist besonders schön zu sehen.
Ferner können die „Spirochäten" in anderen Organen, wie Lunge,
Knochenmark und Milz nachgewiesen werden, allerdings nur ganz ver¬
einzelt. Häufiger sind sie im Blute der infizierten Tiere anzutreffen und
zwar einzeln oder in Bündeln und Knäueln zusammenliegend, mit oder ohne
Knötchenbildung. Immer aber gilt, daß, je stärker der Ikterus ausgesprochen
bezw. je langsamer die Infektion vorgeschritten ist, desto leichter die be¬
schriebenen Mikroorganismen nachweisbar sind. Sie besitzen eine ganz besondere
Vorliebe für das Lebergewebe, das vielleicht filterähnlich auf die Parasiten
wirkt and den übrigen Organismus vor einer Ueberschwemmong mit dem
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften. 61
lebenden Virus schützt. Es ist nicht anznnehmen, daß die „Spirochäten“
Gefäße verstopfen and hierdurch den Ikteras erzeugen; wahrscheinlich wird
letzterer durch eine längere toxische Schädigung der Leberzellen hervorgerufen.
Darüber besteht aber für die Autoren kein Zweifel, daß es sich bei dem
von ihnen am 1. 8eptember 1916 entdeckten Mikroorganismus
um den Erreger der Weil sehen Krankheit handelt. 8eine Klassifi¬
zierung muß noch geklärt und* festgestellt werden, ob der äußerlich als
Spirochäte erscheinende Mikroorganismus auch tatsächlich dieser Gruppe zuzu¬
sprechen ist. Vorläufig wird als Bezeichnung: Spirochaete nodosa
(Hübener-Reiter) vorgeschlagen. Prof. Dr. R o e p k e - Melsungen.
3. Diphtherie. 1
Die Diphtheriebekämpfung und die Schulärzte. Von Sanitätsrat
Dr. Strelitz, Schularzt in Charlottenburg. Medizinische Reform; 1915, Nr. 24.
Verfasser macht Bemerkungen zu dem Aufsatz von Wallenstein,
der das gleiche Thema behandelt; er führt aus, daß in Charlottenburg schon
längst entsprechende Einrichtungen getroffen seien, daß dprt schon seit längerer
Zeit Schulärzte, allerdings im Nebenamte, tätig seien und überhaupt in aus¬
gedehnter Weise für die Hygiene des Kindes gesorgt würde.
Dr. ,E offmann- Berlin.
4. Geschlechtskrankheiten und deren Bekämpfung.
Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der
Geschlechtskrankheiten. Medizinische Reform; 1916, Nr. 25.
Professor Blaschko weist darauf hin, daß die durch den Krieg ver¬
ursachte Massentrennung von Männern und Frauen notwendigerweise eine Zu¬
nahme des außerehelichen Geschlechtsverkehrs und damit ein Ansteigen der
Geschlechtskrankheiten gezeitigt hat. Ein solches ist nach den früheren Er¬
fahrungen auch wieder mit dem Friedensschluß zu erwarten, deshalb muß be¬
sonders jetzt mit aller Energie der Verbreitung der Geschlechtskrankheiten zu
Leibe gegangen werden. Dahin zielen Schließung der Animierkneipen und
Bordelle, Abkürzung der Polizeistunde, Schaffung von alkoholfreien Soldaten¬
heimen, Deberwachung der Straßenprostitution, der Winkelhotels usw. Un¬
zählige Menschen lassen sich nicht ausheilen und verschleppen zum Teil un¬
bewußt die Krankheit weiter. Es müssen Beratungsstellen da sein für der¬
artige Kranke. Der Ueberwachung der Prostitution muß die jetzt damit verbundene
Entehrung genommen werden. Alle Prostituierten müßten einer regelmäßigen
Salvarsanbehandlung unterworfen werden. Die einzuführenden Schutzmittel
würden sicherlich den Geburtenrückgang nicht befördern. Genaue Kenntnis
der Geschlechtskrankheiten muß Allgemeingut der Aerzte werden, deshalb
müssen diese Krankheiten im Staatsexamen obligatorisch geprüft werden.
Dr. Hoffmann -Berlin.
5. Tetanus.
Spättetanus nach frühzeitiger prophylaktischer Tetanus-Antitoxin*
Injektion. VonDr. 0. Teutschlaender -Heidelberg. Deutsche medizinische
Wochenschrift; 1915, Nr. 49.
Tetanusbazillen, die durch Wunden in die Gewebe gelangt sind, können
selbst bei lebhafter Granulationsbildung in der Tiefe eingeschlossen werden,
besonders wenn Knochen- oder Granatsplitter oder andere Fremdkörper die
Bildung einer Höhle begünstigen. Man kann daher zu den tetanusgünstigen
Wunden als weiteren Typus geheilte Wunden mit Einschluß von Fremdkörpern
oder Gewebstrümmern (N a r b e n t e t a nu s) rechnen. Tetanusbazillen können
symptomlos einheilen. Abgekapselt bleiben sie viele Monate lebens- und ent¬
wicklungsfähig oder ihre Toxine doch wirksam; sie können dann bei günstiger
Gelegenheit zum Ausbruch des Wundstarrkrampfes (Spättetanus) führen.
Selbst wenn seit der Verwundung Monate verflossen sind, kann der Starrkrampf
sehr schnell einen ungünstigen Verlauf nehmen.
Da nur die vollständige Ausschaltung der Tetanuskeime und ihrer Toxine
mit einiger Sicherheit den Wundstarrkrampf endgültig verhütet oder heilt,
52
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
sollte die Behandlung stets eine möglichst frühzeitige kombinierte, chirurgisch-
antiseptisch - antitoxische, sein. Granatsplitter sind möglichst stets zu entfernen,
die Narbe bei Abkapselung auszuschneiden. Die Antitoxinbehandlung allein
ist selbst bei sofortiger prophylaktischer Anwendung nicht imstande, Spättetanus
oder Rezidiv sicher zu verhüten; sie wirkt nur vorübergehend gif (.neutralisierend.
Solange Tetanusbazillen im Körper vermutet werden können, empfiehlt sich bei
verdächtiger Temperatursteigerung u. a. die Einspritzung der Heildosis des
Tetanusserums. Dr. R o e p k e - Melsungen.
6. Sonstige Krankheiten.
Akute Darmerkrankungen 1m Felde und Ihre Behandlung, insbe¬
sondere mit Suprarenin. Von Prof. Dr. J. Strasburger, Frankfurt a. M ,
Stabsarzt der Landwehr bei einem Feldlazarett. Mediz. Klinik; 1915, Nr. 42.
Verfasser berichtet zunächst über die akuten Darmstörungen, die ihm
im Felde begegnet sind: Durchfälle, 1. infolge von Diätfehlern, 2. bei Typhus
abdominalis, 3. bei Grippe, 4. bei Ruhr, 5. bei fieberhaften Störungen mit dem
Bilde der Enteritis paratyphosa (Bazillen nicht gefunden), 6. bei Brechdurch¬
fall (Cholera nostras>, 7. Beschwerden in der rechten Unterbauchgegend, wobei
es sich differentialdiagnostisch um Blinddarmkatarrh oder Appendicitis handeln
konnte. Die Diagnose läßt sich durch Untersuchung des Stuhles erbringen,
insofern als beim Blinddarmkatarrh Schleim darin enthalten ist, während bei
destruktiver Appendicitis Schleimbeimengungen fehlen. Therapeutisch bewährte
sich Bolus alba in großen Dosen (200 g in 2 Portionen hintereinander) sowohl
bei einfach dünnen, als auch schleimigen und ruhrartigen Stühlen; zuweilen
blieb auch der Erfolg aus. Uzara brachte die besten Resultate bei ruhrartigen
Erkrankungen. In vielen Fällen hatte die besten Erfolge Suprarenin-Verordnung
(3 mal 15—20 Tropfen [1 : 1000] in etwas Wasser per os in Abständen von je
einer Stunde, manchmal am nächsten Tage wiederholt). Schädliche Wirkungen
wurden nie beobachtet. Dagegen verlor sich sehr bald der Schleimgehalt. Auf¬
fallender war noch das Aufhören von Schleim- und Blutabsonderung nach Ein¬
läufen (1 ccm Adrenalinlösung auf '/* 1 lauwarmen Wassers). Wahrscheinlich
beeinflußt das Adrenalin bezw. Suprarenin den Sympathicus und verringert so
die Schleimsekretion. Vielleicht bewährt sich diese Verordnung auch bei chroni¬
schen Darmkatarrhen und bei der Colica mucosa oder auch bei Asthma bronchiale.
Zu prüfen wäre noch, ob die in kleinen Gaben schon kontraktionerregende
Wirkung auf den Uterus bei innerlicher Verabreichung erhalten bleibt und
dadurch bei Graviden zu Abort führen könnte.
Dr. L. Quadflieg -Gelsenkirchen.
7. Desinfektion und Bekämpfung von Ungeziefer.
Ueber vergleichende Versuche mit Ungeziefermitteln. Von Marine¬
stabsapotheker Dr. F. Rabe. Deutsche militärärztliche Zeitschrift; 1916,
Heft 15/16 und 19/20.
Die Versuche wurden an Blattläusen angestellt und zum Teil an Kleider¬
läusen fortgesetzt. Lausofan-, Globol- und Pedicusol - Dämpfe haben eine
schnellere Fernwirkung als Terpentindämpfe, jedoch ist ihr Geruch störend.
Lysol und Kresol haben eine sehr geringe Fernwirkung. Pulver müssen locker
und nicht zu feucht sein; geeignet ist Infusorienerde, während Bolus mit etwa
10°/ 0 Magnesia carbonica oder usta aufgelockert werden muß. Eins dieser
Pulver, mit 40—50°/o Kienöl versetzt, macht die Läuse binnen kurzer Zeit
bewegungslos und tot. Dr. Bernstein -Mühlhausen L Thür.
O. Hygiene und öffentliches Gesundheitswesen.
L Wohnungshygiene.
Der Innenausban der Kleinwohnungen. Von San.-Rat Dr. M. Rosen¬
thal-Berlin. Medizinische Reform; 1916, Nr. 1.
Im jetzigen Kriege sind allein in Ostpreußen 83563 Gebäude zerstört
worden; auf sämtlichen Kriegsschauplätzen werden demnach sicherlich Hunderb¬
tausende von Wohngebäuden ruiniert worden sein, bei deren Wiederaufbau der
Städtebauer nach Plänen arbeiten kann, die den Fragen der Verschönerung, des
Kleinere Mitteilungen und Beferate aus Zeitschriften.
63
Verkehrs und der Hygiene Rechnung tragen. Es müssen in den einzelnen
Kreisen Bauämter eingerichtet werden zur Beratung der einschlägigen Fragen.
Gerade die kleinen Wohnungen bedürfen dringend der Verbesserung, denn die
Wohnung dient ihren Inhabern doch für eine lange Zeit des Tages zum stän¬
digen Aufenthalte; es müsse berücksichtigt werden die Lage, der Bauplan,
vor allen Dingen muß auf Licht und Loft geachtet werden. Sehr wichtig sind
für die Innenräume festgefügte oder fugenlose Fußböden, abwaschbare Wände usw.,
denn gerade die Tapete, die nicht häufig erneuert wird, ist für Krankheits¬
keime und Ungeziefer ein Zufluchtsort.
Verfasser betont weiter die Lüftung, die auf Wohnungsfluren fast nie
berücksichtigt ist, ferner die Helligkeit, die Einrichtung der Fenster usw.
Dr. Hoffmann-Berlin.
2. Bekämpfung der Staubplage.
Neue Vorrichtungen znm staubfreien Absaugen der Flugasche. Rauch
und Staub; 1915, Nr. 2.
Der von E. von Ritter Zuhony in Skrivan bei Neubiolschow (Böhmen)
angegebene Apparat verhindert den direkten Zutritt der Flugasche aus dem
Sammelbehälter in die in diesen mündende Saugleitnng. Eine weitere Neuerung
auf diesem Gebiete ist W. Har t m a n n - Offenbach a. M. patentiert worden,
welche den Betrieb sehr erleichtert, da die früheren notwendigen Klappen und
Deckel beim Sammelbehälter fortgefallen sind. Dr. Wolf-Hanau.
3. Beseitigung der Abwässer.
Die Abwässerfrage. Von Reg.- und Geheimrat Dr. Niebling-Wies¬
baden. Erwiderung. Von Prof.Dr.Rohland -Stuttgart. Schlußerwiderung. Von
Reg.- und Geheimrat Dr. N i e b 1 i n g - Wiesbaden. Zentralblatt für Gewerbe¬
hygiene; 1916, Nr. 11.
N. bespricht eine Abhandlung von R. 1 ) und stellt eine Reihe von Unrichtig¬
keiten fest, die in der Erwiderung von R. zurüokgewiesen werden. In dem
Schlußwort betont N., daß das Wesen des von R. angegebenen Kolloidtonreinigungs¬
verfahrens noch immer nicht geklärt ist. Dr. Wolf- Hanau.
4. Säuglings- und Kleinkinderfttrsorge.
Wohlstand und Säuglingssterblichkeit. Von Dr. Klehmet-Kaputh.
Zeitschrift für Sänglingsfürsorge; 1916, Nr. 10/11.
Für das Leban des Flaschenkindes sind die Verhältnisse, unter denen
es geboren und auferzogen wird, von großer Bedeutung, im besonderen die
Sorgfalt und Pflege, die ihm gewidmet werden kann, die Ehelichkeit der
Geburt, die wirtschaftliche Lage, die Bildung und Beschäftigung der Eltern,
die Wohnuugs- und Reinlichkeitsverbältnisse usw. Es ist aber verständlich,
daß aUe diese Dinge schwer statistisch zu erkennen und zu verarbeiten sind.
Dr. Wolf- Hanau.
Die Bedeutung der Mütterberatungsstellen für Kleinkinder. Von
Prof. Dr. Langstein. Zeitschrift für Säuglingsschutz; 1916, Nr. 11.
Ans der Praxis aller jener heraus, die Kleinkinderfürsorge treiben, kann
der Verfasser erklären, daß der Erfolg, wie erwartet, ein ausgezeichneter ist.
Daher sollte man unter den jetzigen Verhältnissen dafür sorgen, daß in der
offenen Fürsorge der Weg von der Säuglingsfürsorge zur Kleinkinderfürsorge
so schnell als möglich beschritten wird und daß die Säuglingsfürsorgestellen
daß Programm der Kleinkinderfürsorge sich zu eigen machen.
Dr. W o 1 f - Hanau.
Säugllngsschutz und Reichswochenhilfe. Von E. Blaust ein-Mann
heim. Zeitschrift für Säuglingsschutz; 1916, H. 12.
*) Siehe das Referat über diese Abhandlung in Nr. 19 dieser Zeitschrift
Jahrgang 1916, S. 693.
54
Kleinere Mitteilnngen nnd Referate ans Zeitschriften.
Der Verfasser berichtet über die seit dem 1. März geschaffene Organi¬
sation für die Reichswochenhilfe innerhalb der Abteilang für Wöchnerinnen
und Säuglingsfürsorge. _ Dr. Wolf- Hanau.
Allgemeine Mutterschaft»-Versicherung. Von Geheimr&t Professor
Dr. Meyer. Medizinische Reform; 1916, Nr. 25.
Die Wochenhilfe fttr Kriegerfrauen gewährt einen Beitrag zur Entbin¬
dung, ein Wochengeld, eine Beihilfe für Hebammendienste pp. und endlich ein
Stillgeld für die Wöchnerinnen, die selbst stillen. Nebenbei aber müßte auch
eine Krankenkassen - Wochenhilfe weiter bestehen, die zur besseren Vorernährung
Beihilfen gewährte, die das Stillgeld länger zahlte, und die auch den Schwan¬
geren, die nicht arbeitsfähig sind, eine Unterstützung gewährte. Oeffentliche
Aufwendungen für die Wochenhilfe, die dem Staate die Geborenen erhalten,
sind gewissermaßen Friedensversicherungs- Prämien.
Dr. Hoffmann -Berlin.
5. Jugendfürsorge.
Zehn Jahre FQrsorgearbeit. Medizinische Reform; 1916, Nr. 24.
Die deutsche Zentrale für Jugendfürsorge bat ihren Jahresbericht für
1913/1914 herausgegeben. Im Jahre 1913 wurden 4994 Fälle beraten, im
Jahre 1914 7101. Die Kriegsarbeit ist eine erheblich größere. Die Jugend¬
gerichtshöfe stellen fest, daß zu Anfang des Krieges ein auffallendes Sinken
der Straffälligkeit eintrat, dem aber im weiteren Verlauf ein ebenso starkes
Anschwellen der Kriminalität folgte. 1040 Jugendliche standen vor dem Ge¬
richt, von dennn nur 96 freigesprochen wurden. Die Einberufung der Väter
und Vormünder zu den Fahnen hat doch eine größere Aufsichtslslosigkeit der
jüngeren Kinder gezeitigt. Unter den verurteilten Jugendlichen waren 132 Halb¬
waisen, 23 Ganzweisen und 53 Kinder, deren Eltern getrennt leben. Der Krieg
verlangt besondere Maßnahmen, es wurden Kriegs-Kindergärten, Kriegs-
Mädchenheime eingerichtet, das Heilerziehungsheim für psychopatische Knaben
mußte seinen Betrieb erweitern. Die deutsche Zentrale für Jugendfürsorge
will allen an sie herantretenden Fragen praktisch begegnen.
Dr. Hoffmann -Berlin.
6. Soziale Hygiene.
Einfluß des Krieges auf Ernährung und Gesundheit des deutschen
Volkes. Von Prof. Dr. N. Z u n t z - Berlin. Tierpbysiol. Institut der Land¬
wirtschaftlichen Hochschule. Medizinische Klinik; 1915, Nr. 43 und 44.
Die Absperrung Deutschlands machte Maßnahmen erforderlich, um den
Ausfall der im Frieden eingeführten Nahrungs- und Futtermittel auszugleicben.
Dazu standen zwei Wege zur Verfügung, die auch beschriften wurden: 1. Die
direkte Einsparung, 2. die Einschränkung der Umwandlung von Nahrungsmitteln
in tierische Produkte. Es fragt sich nun, ob die vorhandenen Zustände
genügen, unser Volk kräftig und gesund zu erhalten. In den letzten
50 Jahren hat sich der Fleiscbgenuß auf den Kopf verdoppelt, ohne daß man be¬
haupten kann, die Menschen seien gesunder und leistungsfähiger geworden.
Man braucht allerdings auch nicht so weit zu gehen, daß man sagt, der
Fleiscbgenuß, wie er sich im Durchschnitt stellte, führe zu Schädigungen.
Daß er bei sonst gut gewählter Nahrung gering sein kann, beweisen die
Leistungen des Vegetariers. Eine erhebliche Beimengung tierischer Nahrung
zu unserer Kost ist von großem Vorteil, aber keine Notwendigkeit; sie ist
deswegen ein Vorteil, weil der Magendarmkanal dabei keine so großen Mengen
zu verarbeiten braucht, was wieder der geringeren körperlichen Leistung ent¬
spricht. Auch ist eine kohlenhydratreiche Ernährung nicht so leicht schmack¬
haft zu gestalten; ebenso ist es vielen Menschen aus äußeren Gründen nicht
möglich, zu Mittag zum Essen nach Hause zu gehen. Dem ist abzuhelfen
dadurch, daß in den Kantinen schmackhafte Kost zur Verfügung gehalten
wird. Was die Fettknappheit anbetrifft, es stehen höchstens auf den Kopf und
Tag 40 g zu Gebote, so ist auch dies kein großer Schaden, da das Fett sich
leicht durch Kohlenhydrate vertreten läßt; es gibt Völker, die täglich nicht
mehr wie 6 bis 8 g Fett zu sich nehmen. 100 g Fett werden ersetzt durch
240 g Kohlenhydrate; auch hier sind in erster Linie die Kartoffeln zum Ergab;
Kleinere Mitteilungen and Beferate ans Zeitschriften. 55
bestimmt. Nach den Versuchen von Hindkede reichen Fett and Kartoffeln
allein ans, Arbeitsfreudigkeit and Gesundheit fttr lange Zeit za erhalten. Bei
Kartoffelnahrang ist der Eiweißbedarf ganz besonders gering. Kriegsbrot ist
daher unbedenklich. Durch die Einschränkung des Fleischgenusses, der
reichlicheren Benutzung von Kartoffeln and der Verwendung von Kriegsbrot
ikleiereiches) ist eine Schädigung nicht za erwarten. Das kleiereichere Brot
kann bei wenigen daran nicht Gewöhnten geringe Verdauungsstörungen ver¬
ursachen. Dem Körper stehen 3 Mittel fttr die erforderliche Anpassung zur
Verfügung: 1. Eine Anpassung im Drüsenapparat des Verdauungstraktus,
2. Reflexe auf die Darmmuskulatur, 3. die Bakterienflora des Darmes. Wenn
sich Beschwerden infolge Kalkmangels geltend machen, empfiehlt es sich,
Calziumkarbonat oder an Kalk reiche Stoffe (Milch, Käse) zu verabreichen.
Ein gutes Vorbeugemittel gegen /übermäßige Gärungsprozesse ist das gründ¬
liche Kauen der Nahrung. Sollte sich event. bei schwer Arbeitenden Abmagern
cinstellen, so muß der Arzt für geeignete Zuschüsse sorgen. Das auf den Kopf
sur Verfügung stehende Mehlquantum muß nach Ermessen und Geschmack des
einzelnen verabfolgt werden, damit die Angewöhnung an Mehlspeisen nicht
eingeschränkt zu werden braucht.
Im zweiten Teil der Abhandlung stellt Z. sich auf den Standpunkt, daß
die Grundlage unserer Nahrung unbedingt im Inlande erzeugt werden muß.
Das läßt sich erreichen durch intensiveren Betrieb der Landwirtschaft mit
heimischen Kräften. Die Verwirklichung dieses Problems hat der Verfasser in
seinen interessanten Ausführungen näher beschrieben. Er wünscht es so zu
lösen, daß dabei auch ein Gewinn an Gesundheit und Kraft fttr unsere
Industriebevölkeruog erzielt wird. Dr. L. Q u a d f 1 i e g - Gelsenkirchen.
7. Statistik.
Mord und Totschlag sowie Hinrichtungen in Preußen in den Jahren
1909 bis 1918. Im Jahre 1913 kamen in Preußen 871 (586 männliche und
285 weibliche) Personen durch Mord oder Totschlag ums Leben; ferner worden
18 Hinrichtungen an Männern vollstreckt. In der folgenden, der „Stat. Korr.“
entnommenen Uebersicht wird die Zahl der in den Jahren 1909 bis 1913 durch
Mord oder Totschlag in Preußen umgekommenen männlichen (m.) und
weiblichen (w.) Personen auch nach dem Alter der Getöteten und nach der
Art der Tötung nachgewiesen._
Gesamtzahl.
Alter.
Tötungsart.
Durch
1909
m. w.
Mord odei
1910
m. w.
' Totschlag
Personen
1911
m. w.
; umgekom
1912
m. w.
mene
1913
m. w.
Gesamtzahl')
583
274
548
230
491
243
518
269
586
285
Alter:
bis 5 Jahre .
120
110
112
86
116
85
89
103
124
105
über 5 bis 15 „
20
18
19
22
23
17
29
13
22
25
„ 15 Jahre .
443
146
417
122
352
141
400
153,
440
155
Tötungsart:
erhängt .
3
2
3
7
4
5
4
2
: 3
2
erwürgt.
25
36
20
24
26
21
25
28
25
37
erstickt.
38
33
35
26
23
27
22
29
; 40
26
ertränkt.
29
30
34
24
35
24
30
31
30
38
erschossen.
75
67
65
59
61
70
78
78
79
71
erstochen.
202
23
183
18
162
26
169
21
179
23
Schnitt in den Hals . .
9
8
17
14
13
11
11
12
1 23
13
verbrannt .
2
2
1
2
2
—
—
—
4
2
vergiftet.
12
11
10
4
i i4
12
14
13
14
11
Sturz von Treppen usw.
4
—
3
2
! l
—
5
2
, 7
1
erschlagen.
154
36
129
26
114
31
127
37
147
39
sonstige Arten und
ohne nähere Angabe
30
26
! 48
24
l
36
16
33
16 j 35
22
t ) Ausschließlich der Hinrichtungen.
66
Besprechungen.
Von der Gesamtzahl der Getöteten wurde, wie schon in den Vorjahren,
auch in den Berichtsjahren annähernd die Hälfte erstochen oder erschlagen,
nämlich 1913 : 388 von 871, 1912 : 364 von 787, 1911: 833 von 784, 1910 : 856
yon 778, 1909 : 415 von 857. Diese Zahlen am nächsten kommen für 1913
150 Tötungen durch Erschießen, 68 durch gewaltsames Ertränken, 66 durch
Ersticken und 62 durch Erwürgen.
Nach der sozialen Stellung der Getöteten waren, wie in den Vor-
jahren, am stärksten, beteiligt die Gehilfen, Gesellen, Lehrlinge, Fabrikarbeiter
usw. Dann folgen die Tagearbeiter, die Selbständigen im Besitz und Beruf
und die Dienstboten.
Am meisten erlagen dem Mord und Totschlag wiederum erwachsene
männliche Personen. Es starben auf diese gewaltsame Weise im Jahre 1913
von 100000 Lebenden des betr. Geschlechts^
in der Provinz
Westfalen.
Westpreußen.
Rheinprovinz.
Pommern.
Ostpreußen ..
(im Staatsdurchschnitt
Posen .
Brandenburg .
Hohenzollern.
Schlesien.
Hessen-Nassau.
Schleswig-Holstein . . . .
Berlin, Landespolizeibezirk
Sachsen .
Hannover.
männl.
weibl.
überh.
4,40
1,22
2,85
3,40
0,91
2,18
3,38
1,59
2,49
3,28
0,80
2,02
3,25
0,94
2,07
2,94
1,35
2,13)
2,88
1,26
2,04
2,84
2,11
2,47
2,83
—
1,88
2,66
1,51
2,07
2,50
1,02
1,74
2,32
1,22
1,78
2,18
1,24
1,66
2,06
1,82
1,68
1,96
1,88
1,65
Eine Uebersicht der Hinrichtungen für die Jahre 1909 bis 1913,
nach Provinzen geordnet, ergibt, daß in diesem Jahrfünft in Schlesien die
meisten Hinrichtungen vollzogen worden sind, und zwar an 21 Männern und
I Frau. Größere Zahlen zeigen noch Brandenburg mit Hinrichtungen von
II Männern, Ostpreußen mit Hinrichtungen von 9 Männern und 2 Frauen,
Westfalen und die Rheinprovinz mit Hinrichtungen von je 9 Männern und
Sachsen mit solchen von 8 Männern. Es wurden nämlich Personen hin¬
gerichtet
in den Jahren
in der Provinz 1909 1910 1911 1912 1913 zusammen
Ostpreußen.
m.
2
m.
2
m.
3
w.
1
m.
1
w.
1
m.
1
m.
9
w
2
Westpreußen.
Brandenburg mit Berlin .
1
2
1
2
4
_
1
—
3
3
11
—
Pommern.
1
1
1
—
—
—
1
4
—
Posen.
—
2
1
—
1
1
2
6
1
Schlesien.
5
4
3
1
3
—
6
21
1
Sachsen .
2
4
2
—
—
—
—
8
—
Schleswig-Holstein . . .
1
2
—
—
—
—
2
5
—
Hannover.
—
—
—
—
1
—
1
2
—
Westfalen.
3
1
1
—
3
—
1
9
—
Hessen-Nassau . .
1
—
1
—
1
—
1
4
—
Rheinprovinz.
1
3
1
—
4
—
—
9
—
im Staate . . .
19
22
17
2
15
2
18
91
4
(Deutscher Reichs- u. Preuß. Staatsanzeiger, Nr. 308 vom 31. Dez. 1915.)
Besprechungen.
Die sanitäre Kriegsrüstung Deutschlands. Vierzehn Vorträge, gehalten
in der Ausstellung für Verwundeten- und Krankenfürsorge im Kriege
Berlin 1914-15. Berlin 1916. L. Oehmigkes Verlag ,R. Appelius).
8°; 266 S., mit zahlreichen Abbildungen. Preis: geb. 5 M.
Besprechungen.
67
Die in dieser Sammlung vereinigten Vorträge sind während der Monate
Dezember 1914 nnd Januar 1916 im Hauptsitzungssaale des Beichstagsgebäudes
in Berlin gehalten worden, und zwar auf Veranlassung des Arbeitsausschusses
der im Beicbstagsgebäude damals veranstalteten Ausstellung für Verwundeten-
und Krankenfürsorge im Kriege, die es sich zur Aufgabe gestellt hatte, weite
Kreise der Bevölkerung in anschaulicher und eindringlicher Weise darüber zu
belehren, was alles zur Versorgung unserer verwundeten und erkrankten Krieger,
von der fechtenden Truppe bis zum Genesungsheim in der Heimat und
darüber hinaus geschieht. Die Vortragsreihe ist vom Herrn Ministerialdirektor
Prof. Dr. Kirchner zusammengestellt und dabei der Zusammensetzung der
Ausstellung und ihren einzelnen Abteilungen Beehnung getragen. Die Samm¬
lung beginnt mit einem Vortrag über das Heeres - Sanitätswesen im Kriege
von Generalarzt Dr. Paalzow (1); ihm folgen die Vorträge über Verwundeten¬
fürsorge in der Marine von Marine - Generaloberarzt Dr. Weber (2), über
freiwillige Krankenpflege von Prof. Dr. Kimmle (3), über die Genossenschaft
freiwüliger Krankenpfleger im Kriege von Geb. Justizrat Prof. D. Dr. W. K a h 1 (4),
über Mitwirkung der Frau in der Verwundeten- und Krankenfürsorge im Kriege
von Frau Staatsminister von Boetticher (6), über Helferinnen von General¬
arzt Dr. Körting (6), über die geschichtliche Entwicklung der Verwundeten¬
fürsorge in Altertum, Mittelalter und neuerer Zeit von Dr. Eug. Holländer (7),
über Ernährung des deutschen Volkes zur Kriegszeit von Geh. Med.-Bat Prof.
Dr. M. Bubner (8), über Verhütung und Bekämpfung der Kriegsseuchen von
Wirkl. Geh. Ob.-Med.-Bat Ministerialdirektor Prof. Dr. Kirchner (9), über
moderne Krankenpflegetechnik von Dr. P. Jacobsohn (10), über Bevölkerungs¬
bewegung und Krieg von Oberstabsarzt Dr. Schwiening (11), Uber die
ethische und wirtschaftliche Bedeutung der Kriegskrüppelfürsorge und ihre
Organisation im Zusammenhang mit der gesamten Kriegshilfe von Prof. Dr.
ILBiesalski (12), über die zahnärztliche Fürsorge im Kriege von Prof.
Dr. med. W. D i e c k (13) und über unsere Kriegskrankenpflege in Belgien von
Dr. Mamlock (14).
Sämtliche Vorträge gehen weit über ihre ursprünglich gestellte Aufgabe,
eine Erläuterung und Ergänzung der Ausstellungsdarbietungen zu geben, hinaus
und zeichnen sich nicht nur durch eine vollendete Form, sondern auch durch
ihren bedeutungsvollen, den Vortragsgegenstand völlig erschöpfenden Inhalt
aus. Man kann daher den Arbeitsausschuß nur dankbar sein, daß er durch
ihre Drucklegung und Herausgabe diese wertvollen Zeugnisse für die Kriegs¬
fürsorgearbeit während des gewaltigen Bingens um des Deutschen Beicnes
Größe und Zukunft auch weiteren Leserkreisen zugänglich gemacht hat.
Bpd.
Fliohsn Kalender für Mediziner nebst Bezepttascbenbuch. Heraus¬
gegeben von Dr. J. Bierbach-Heidelberg. 27. Jahrgang 1916/16. Berlin
1916. 12°; 425 Seiten. Preis: 2 M.
Der im vorigen Jahre des Krieges wegen nicht herausgegebene Kalender
ist jetzt für beide Jahre 1916/16 erschienen. Die Anordnung des Stoffes hat
gegen füher keine Aendernng erfahren, der Inhalt der einzelnen Abhandlungen,
namentlich des für die Praxis sehr brauchbaren medizinisch-therapeutischen
Taschenbuches, aber einer gründlichen Durchsicht unterzogen und vielfach er¬
gänzt. Dem Notizkalender ist in Form von 4 handlichen Beiheften für jedes
Vierteljahr beigegeben. Bpd.
Dr. Orlowaki : Hausarztkaleuder. Verlag von 0. Kabitzsch -Würzbutg.
Preis: 1 M.
An Stelle des Begründers und bisherigen Herausgebers des Hausarzt¬
kalenders Dr. Dessau er-München, der auf dem Felde der Ehre gefallen ist,
hat Dr. Orlowski die Neubearbeitung des Kalenders übernommen und sich
mit bestem Erfolge bemüht, diesen im Geiste seines Begründers fortzusetzen.
Die dem Kalender beigefügten fünf Merkblätter über Zahnpflege, künstliche
Atmung, chirurgische Nothilfe auf Beisen und Ausflügen, Maßnahmen bei
innerlidien Erkrankungen und Frühsymptome der Lungentuberkulose sind zwar
58
T&gesnachrichteu.
unverändert beibehalten, dagegen haben die übrigen, jedem Wochenblatt bei¬
gefügten kurzen Abhandlungen manche, den Fortschritten der Wissenschaft
Rechnung tragende Verbesserung erhalten. Rpd.
Deutuoher Hebammenkalender 1910; 28. Jahrgang. Berlin 1915. Verlag
von £lwin Staude. Preis: 1 Mark.
Die Verteuerung der gesamten Herstellungsarbeiten infolge des Krieges
haben veranlaßt, den Umfang des Hebammenkalenders gegen früher etwas ein-
zuschränken, um den bisherigen, allerdings sehr mäßigen Preis von 1 Mark
beibehalten zu können. Durch die Beschränkung des Umfangs hat aber an
sich die Brauchbarkeit des Kalenders keinen Schaden erlitten; vielleicht
empfiehlt es sich bei späteren Ausgaben, auch das 60 Seiten umfassende Tage*
buch im Kalender selbst fortzulassen und es als Beiheft beizugeben, wodurch
der Kalender noch handlicher wird. An Abhandlungen bringt der Hebammen*
kalender diesmal nur eine solche von der Herausgeberin Frau Olga Gebauer:
über die Pflichten der Hebamme nach dem Kriege und über die Verwertung
ihrer im Kriege für ihren Beruf gesammelten Erfahrungen. Mit Recht wird
hier hervorgehoben, daß es eine der wichtigsten Aufgaben der Hebammen sei,
dafür zu sorgen, daß jede Mutter ihr Kind selbst stillt, damit dieses am Leben
erhalten bleibt und gesund groß gezogen wird. Den Hebammen erwächst aber
g erade jetzt eine nicht minder wichtige Aufgabe, das ist die Bekämpfung des
Geburtenrückganges, namentlich der gewollten Kinderlosigkeit; hier kann
ihre Mitwirkung recht großen Segen stiften, vorausgesetzt, daß sie in ver¬
ständnisvoller und geschickter Weise geschieht. Deshalb dürfte es sich viel¬
leicht empfehlen, im nächsten Hebammenkalender eine Abhandlung zu bringen,
in der diese für die Allgemeinheit so bedeutungsvolle Frage von berufener
Hand erörtert wird. Rpd.
Tagesnachrlchten.
Das preußische Medizinalwesen im Staatshaushaltsetat 1916/17. Der
neue Etat bringt ebenso wie im Vorjahre mit Rücksicht auf den Krieg fast
gar keine Acndernngen: Eine Vermehrung der vollbesoldeten Kreis¬
arztstellen hat diesmal gar nicht stattgefunden. Von den sonstigen ordent¬
lichen Ausgaben ist der Betrag für Reisekosten wiederum niedriger ein¬
gestellt; eine Kürzung der Reisepauschalvergütungen der Reg.- und Med.-Räte'
und Kreisärzte soll aber nicht stattfinden, da genügend Ersparnisse aus den
Vorjahren vorhanden sind, um den bisherigen Betrag (865000 M.) zu decken.
Die einmaligen und außerordentlichen Ausgaben sind in
dem vorliegenden Etat selbstverständlich auch möglichst niedrig bemessen. Es
fehlt z. B. wiederum ein Betrag für Fortbildungskurse der Medizinal¬
beamten; desgleichen sind für deren Teilnahme an der Ausbildung
der Desinfektoren ebenfalls nur 1000 M. wie im Vorjahre vorgesehen.
Auch die Beträge für die Granulöse- und Typhusbekämpfung sowie für
Anstellung von Untersuchungen über den Schutzpocken-lmpfstoff sind
geringer, da der Mehrbedarf aus Ersparnissen aus dem Vorjahre gedeckt
werden kann.
A. Dauernde Ausgaben.
1. Besoldung von 39 Mitgliedern (mit 600—1200 M.) und 36
Assessoren (mit 600—1060 M.) der Provinzialmedizinal¬
kollegien . 59 850,—M.
Besoldung von 37 Regierungs- und Medizinalräten mit
4200—7200 M. 244 800,— „
Außerdem für 13 Regierungs- und Medizinalräte pensions¬
fähige Zulagen von 600 Mark. 7 800,— „
Vermerk: Die Keglerungu- und Medizinalräte und die Direktoren
der hygieniaebrn Institute in Beutben und Saarbrücken erhalten bis
zu einem Drittel der Gesamtzahl der etatsmäßigen Stellen je 600 M.
pen»ion»fähige Zulage.
Besoldung von 7 vollbesoldeten Kreisärzten als ständige
Hilfsarbeiter .bei den Regierungen in Königsberg, Potsdam,
Tagesnachrichten. •
59
Breslaa, Oppeln, Arnsberg und Düsseldorf, sowie bei dem
Polizeipräsidium in Berlin (mit 3000—7200 M.) .... 81 200,— M.‘)
2. Besoldung von 73 vollbesoldeten Kreisärzten (3000—7200 M.),
447 nicht vollbesoldeten Kreisärzten, darunter 18 nicht voll¬
besoldete Gerichtsärzte, mit mindestens 2100, höchstens
3900 M., im Durchschnitt 8000 M., sowie für sonstige
Besoldungen. 1789871,— ,, *)
3. Wohnungsgeldzuschüsse. 109400,— „
4. Remunerierung von 36 Kreisassistenzärzten und von Hilfs¬
arbeitern im Bureau-, Kanzlei- und UnterJ>eamtendienst bei
den Provinzial-Medizinalkollegien sowie zu Beihilfen für die
Wahrnehmung der Obliegenheiten des Kreisarztes durch
Gemeindeärzte. 77 550,— „
5. Stellenzulagen für nicht vollbesoldete Kreisärzte, einschlie߬
lich der Gerichtsärzte. 208650,— ,
5a. Entschädigungen an die vor dem 1. April 1908 angestellten
vollbesoldeten Kreisärzte für den Fortfall der Fuhrkosten-
entschädigung und der übrigen ihnen bisher zugeflossenen
Gebühren für Dienstgeschäfte., . 5 000,— „
6. Geschäftsbedürfnisse der Provinzial - Medizinalkollegien
(320 M.), Dienstaufwandsentschädigung für 2 Regierungs¬
und Medizinalräte in Berlin (je 1200 M.), für Vertretung
von Reg.- und Medizinalräten und von als ständige Hilfs¬
arbeiter bei den Regierungen beschäftigten vollbesoldeten
Kreisärzten (3000 M.), Remunerationen für die Prüfung der
Rezepte und Rechnungen über die für Staatsanstalten ge¬
lieferten Arzneien (3500 M.), Dienstaufwandsentschädi¬
gungen für die vollbesoldeten Kreisärzte bis zu 1150 M.,
im Durchschnitt 900 M., für die nicht vollbesoldeten Kreis¬
ärzte einschl. der Gerichtsärzte bis zu 900 M., im Durch¬
schnitt 400 M. (245500 M.), nicht abgelöste Postporto-
und Gebührenbeträge, einschtießl. Fernsprech-, Telegramm-
und sonstige Frachtgebühren für dienstliche Sendungen
der Kreisärzte (380 M.) sowie Reisekosten für auswärtige
Mitglieder der Provinzial-Medizinalkollegien, Reisekosten
und Entschädigungen für die Erstattung schriftlicher
Gutachten und Berichte an die psychiatrischen Mit-
f lieder der Besuchskommissionen für die Beaufsichtigung
er Privat-Irren- usw. Anstalten und Reisekosten für die
auswärtigen Mitglieder des Beirats für das Apotheken¬
wesen (14050 M.). 269160,— „
7. Beihilfen zum Studium medizinal - technischer wichtiger
Einrichtungen und Vorgänge. 8000,— „
8. Reisekostenpauschvergütungen der Medizinalbeamten, dar¬
unter 465000 M. für Reisepauschvergütungen und 5000 M.
für Gebühren der Kreismedizinalbeamten für die im dienst¬
lichen Interesse vorzunehmende Untersuchung und Begut¬
achtung des Gesundheitszustandes von Beamten, ausschlie߬
lich derjenigen der Königl. Polizeiverwaltungen, jedoch
einschließlich der Bauverwaltungen, sowie 105000 M. für
Reisekosten der Regierungs- und Medizinalräte .... 475000,— „ 3 )
») Mehr: 1800 M. nach Maßgabe und Dienstalter der vollbesoldeten
Kreisärzte.
s ) Mehr: 7800 M., weil hier jetzt noch die Besoldung für den Leiter
und Lehrer der Hebammenlehranstalt in der Charitö und für 7 Aerzte der
französischen Kolonien an gestellt sind.
3 ) Weniger: 100000 M., da aus den Vorjahren so viel Ersparnisse
vorhanden sind, daß ebenso wie in den Vorjahren 865000 M. zur Bestreitung
der Reisekostenpauschvergütungen der Kreismedizinalbe&mten zur Verfügung
stehen.
•BO
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
die Verfasser im Blut, in den Organen geimpfter Meerschweinchen sehr zarte,
schlanke Spirochaeten mit flachen Windungen, welche wahrscheinlich die
Erreger sind. Sie färben sich nach Giemsa und im Schnitt nach Levaditi.
Das Blut ist hauptsächlich in der ersten Woche infektiös; es empfiehlt sich
daher, im Beginn der Erkrankung den Tierversuch zur Diagnose, zu verwerten.
Außer Meerschweinchen sind auch Kaninchen empfänglich, scheinbar nicht
Affen, Hühner, Katzen, Hunde, Ferkel, Hammel und Mäuse, über Batten sind
die Versuche noch, nicht abgeschlossen. Die sicherste lafektionsart ist die
intrakardiale, weniger die intraperitoneale und muskuläre, auch gehen sie
durch die skarifizierte Haut. Die Menge soll 1—2 ccm betragen. Die
Spirochaeten finden sich in Leber, Galle, Nieren, seltener im Blut und anderen
Organen. Arsenikalien brachten keinen therapeutischen Erfolg. Da Rekon-
valeszentenserum das Virus schon in kurzer Zeit abtötet, ist es zur Behandlung
zu verwerten. Es handelt sich nun darum, von geeigneten größeren Tieren
Immunsera für die Behandlung zu gewinnen.
Dr. L. Q u a d f 1 i e g • Gelsenkirchen.
Beiträge zur Aetlologle der Wellscheu Krankheit. Von Prof. Dr.
Hüb euer und Priv.-Doz. Dr. Reiter, Berlin. Deutsche med. Wochen¬
schrift; 1916, Nr. 1.
Die hauptsächlichsten Untersuchungsergebnisse der Autoren sind inzwischen
durch Uhlenhuth und Fromme (s. vorstehendes Referat) bestätigt: Er¬
zeugung eines typischen KrankheitsbildeB beim Meerschweinchen, Möglichkeit
der Uebertragung auf Kaninchen, Unempfänglichkeit der Mäuse und Batten,
Vermehrungsfähigkeit des Virus, Virusgehalt des Urins, keine spontane direkte
Uebertragung von Tier zu Tier, Nichtinfektiosität der Rezidive, fast keine
Beeinuflssung des Krankheitsverlaufes durch Salvarsan und Atoxyl, Vorhanden¬
sein von Immunkörpern in der Rekonvaleszenz und Möglichkeit einer passiven
Immunisierung.
Die nach Giemsa gefärbten Präparate zeigten „Gebilde, die man am
besten mit den feinsten Geißeln der Typanosomen vergleicht". Außerdem
wurden noch massenhafte kleinste, schwach gefärbte Protoplasmakugelchen
beobachtet, deren spezifische Bedeutung aber noch offen bleibt. Untersuchungen
im hängenden Tropfen und im Dunkelfelde waren nicht befriedigend. Der
augenfälligste Befund konnte bei Leberausstrichen von Meerschweinchen erhoben
werden, die nach der Infektion möglichst lange gelebt hatten. Die Tiere
zeigten den hochgradigsten Ikterus und bei der mikroskopischen Untersuchung
in den Leberausstrichen die feinen Geißelformeü, die man vielleicht als
Spirochäten ansprechen kann, teils einzeln liegend, teils zu wirren Bündeln
zusammengeballt. Jede Regelmäßigkeit in Größe und Windung wird vermißt,
oft sind die „Spirochäten“ langgestreckt wie gedehnt, oft nur an den Enden
ein wenig umgeschlagen oder vollständig zu Oesen- und Schleifenformen, oder
sie haben große, peitschenschlagähnliche Windungen; sie sind oft Blut¬
körperchen oder anderen Zellen angelagert, äußerst fein und bei Giemsa¬
färbung rötlich. Häufig sieht man an der „Spirochäte“ eine sich ebenfalls mit
Giemsa rotfärbende Knötchenbildung und zwar häufiger bei weniger ikterischen
Tieren. Im allgemeinen geht die Zahl der in der Leber gefundenen „Spirochäten“
dem Grade des Ikterus parallel; sie sind bei mit hochvirulentem Virus geimpften
Tieren, die rasch ad exitnm gekommen waren, viel weniger zahlreich.
Auch in nach Levaditi gefärbten Leberschnittpräparaten läßt sich
die „Spirochäte“ deutlich erkennen, häufig in wirren Knäueln zusammenliegend.
Sie erscheint natürlich wesentlich dicker als in Giemsapräparaten; die
Knötchenbildung ist besonders schön zu sehen.
Ferner können die „Spirochäten“ in anderen Organen, wie Lunge,
Knochenmark und Milz nachgewiesen werden, allerdings nur ganz ver¬
einzelt. Häufiger sind sie im Blute der infizierten Tiere anzutreffen nnd
zwar einzeln oder in Bündeln und Knäueln zusammenliegend, mit oder ohne
Knötchenbildung. Immer aber gilt, daß, je stärker der Ikterus ausgesprochen
bezw. je langsamer die Infektion vorgeschritten ist, desto leichter die be¬
schriebenen Mikroorganismen nachweisbar sind. Sie besitzen eine ganz besondere
Vorliebe für das Lebergewebe, das vielleicht filterähnlich auf die Parasiten
wirkt and den übrigen Organismus vor einer Ueberschwemmang mit dem
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften. 51
lebenden Virns schützt. Es ist nicht anzanehmen, daß die „Spirochäten"
Gefäße verstopfen and hierdurch den Ikteras erzeugen; wahrscheinlich wird
letzterer durch eine längere toxische Schädigung der Leberzellen hervorgerufen.
Darüber besteht aber für die Autoren kein Zweifel, daß es sich bei dem
von ihnen am 1. September 1915 entdeckten Mikroorganismus
um den Erreger der Weilschen Krankheit handelt. Seine Klassifi¬
zierung muß noch geklärt und' festgestellt werden, ob der äußerlich als
Spirochäte erscheinende Mikroorganismus auch tatsächlich dieser Gruppe zuzu¬
sprechen ist. Vorläufig wird als Bezeichnung: Spirochaete nodosa
(Hübener-Reiter) vorgeschlagen. Prof. Dr. R o e p k e - Melsungen.
3. Diphtherie. V
Die Diphtheriebekämpfung und die Schulärzte. Von Sanitätsrat
Dr. Strelitz, Schularzt in Charlottenburg. Medizinische Reform; 1915, Nr. 24.
Verfasser macht Bemerkungen zu dem Aufsatz von Wallenstein,
der das gleiche Thema behandelt; er führt aus, daß in Charlottenburg schon
längst entsprechende Einrichtungen getroffen seien, daß d,ort schon seit längerer
Zeit Schulärzte, allerdings im Nebenamte, tätig seien und überhaupt in aus¬
gedehnter Weise für die Hygiene des Kindes gesorgt würde.
Dr. ,Hof f mann-Berlin.
4. Geschlechtskrankheiten und deren Bekämpfung.
Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der
Geschlechtskrankheiten. Medizinische Reform; 1915, Nr. 25.
Professor Blaschko weist darauf hin, daß die durch den Krieg ver¬
ursachte Massentrennung von Männern und Frauen notwendigerweise eine Zu¬
nahme des außerehelichen Geschlechtsverkehrs und damit ein Ansteigen der
Geschlechtskrankheiten gezeitigt hat. Ein solches ist nach den früheren Er¬
fahrungen auch wieder mit dem Friedensschloß zu erwarten, deshalb muß be¬
sonders jetzt mit aller Energie der Verbreitung der Geschlechtskrankheiten zu
Leibe gegangen werden. Dahin zielen Schließung der Animierkneipen und
Bordelle, Abkürzung der Polizeistunde, Schaffung von alkoholfreien Soldaten¬
heimen, Ueberwachung der Straßenprostitution, der Winkelhotels usw. Un¬
zählige Menschen lassen sich nicht ausheilen und verschleppen zum Teil un¬
bewußt die Krankheit weiter. Es müssen Beratungsstellen da sein für der¬
artige Kranke. Der Ueberwachung der Prostitution muß die jetzt damit verbundene
Entehrung genommen werden. Alle Prostituierten müßten einer regelmäßigen
Salvarsanbehandlung unterworfen werden. Die einzuführenden Schutzmittel
würden sicherlich den Geburtenrückgang nicht befördern. Genaue Kenntnis
der Geschlechtskrankheiten muß Allgemeingut der Aerzte werden, deshalb
müssen diese Krankheiten im Staatsexamen obligatorisch geprüft werden.
Dr. Hoffmann -Berlin.
5. Tetanus.
Spättetanus nach frühzeitiger prophylaktischer Tetanus-Antitoxin*
Injektion. VonDr. 0. Teutschlaender -Heidelberg. Deutsche medizinische
Wochenschrift; 1915, Nr. 49.
Tetanusbazillen, die durch Wunden in die Gewebe gelangt sind, können
selbst bei lebhafter Granulationsbildung in der Tiefe eingeschlossen werden,
besonders wenn Knochen- oder Granatsplitter oder andere Fremdkörper die
Bildung einer Höhle begünstigen. Man kann daher zu den tetanusgünstigen
Wunden als weiteren Typus geheilte Wunden mit Einschluß von Fremdkörpern
oder Gewebstrümmern (Narbentetanus) rechnen. Tetanusbazillen können
symptomlos einheilen. Abgekapselt bleiben sie viele Monate lebens- und ent¬
wicklungsfähig oder ihre Toxine doch wirksam; sie können dann bei günstiger
Gelegenheit zum Ausbruch des Wundstarrkrampfes (Spättetanus) führen.
Selbst wenn seit der Verwundung Monate verflossen sind, kann der Starrkrampf
sehr schnell einen ungünstigen Verlauf nehmen.
Da nur die vollständige Ausschaltung der Tetanuskeime und ihrer Toxine
mit einiger Sicherheit den Wundstarrkrampf endgültig verhütet oder heilt,
62
Kleinere Mitteilangen and Referate aas Zeitschriften.
sollte die Behandlung stets eine möglichst frühzeitige kombinierte, chirurgisch-
antiseptisch - antitoxische, sein. Granatsplitter sind möglichst stets za entfernen,
die Narbe bei Abkapselung auszuschneiden. Die Antitoxinbehandlung allein
ist selbst bei sofortiger prophylaktischer Anwendung nicht imstande, Spättetanus
oder Rezidiv sicher zu verhüten; sie wirkt nur vorübergehend gifineutralisierend.
Solange Tetanusbazillen im Körper vermutet werden können, empfiehlt sich bei
verdächtiger Temperatursteigerung u. a. die Einspritzung der Heildosis des
Tetanusserums. Dr. R o e p k e - Melsungen.
6. Sonstige Krankheiten.
Akute Darmerkrankungen im Felde und ihre Behandlung, insbe¬
sondere mit Suprarenin. Von Prof. Dr. J. Strasburger, Frankfurt a. M ,
Stabsarzt der Landwehr bei einem Feldlazarett. Mediz. Klinik; 1915, Nr. 42.
Verfasser berichtet zunächst über die akuten Darmstörungen, die ihm
im Felde begegnet sind: Durchfälle, 1. infolge von Diätfehlern, 2. bei Typhus
abdominalis, 8. bei Grippe, 4. bei Ruhr, 5. bei fieberhaften Störungen mit dem
Bilde der Enteritis paratyphosa (Bazillen nicht gefunden), 6. bei Brechdurch¬
fall (Cholera nostras>, 7. Beschwerden in der rechten Unterbauchgegend, wobei
es sich differentialdiagnostisch um Blinddarmkatarrh oder Appendicitis handeln
konnte. Die Diagnose läßt sich durch Untersuchung des Stuhles erbringen,
insofern als beim Blinddarmkatarrh Schleim darin enthalten ist. während bei
destruktiver Appendicitis Schleimbeimengungen fehlen. Therapeutisch bewährte
sich Bolus alba in großen Dosen (200 g in 2 Portionen hintereinander) sowohl
bei einfach dünnen, als auch schleimigen und ruhrartigen Stühlen; zuweilen
blieb auch der Erfolg aus. Uzara brachte die besten Resultate bei ruhrartigen
Erkrankungen. In vielen Fällen hatte die besten Erfolge Suprarenin-Verordnung
(8 mal 15—20 Tropfen [1 : 1000] in etwas Wasser per os in Abständen von je
einer Stunde, manchmal am nächsten Tage wiederholt). Schädliche Wirkungen
wurden nie beobachtet. Dagegen verlor sich sehr bald der Schleimgehalt. Auf¬
fallender war noch das Aufhören von Schleim- und Blutabsonderung nach Ein¬
läufen (1 ccm Adrenalinlösung auf */* 1 lauwarmen Wassers). Wahrscheinlich
beeinflußt das Adrenalin bezw. Suprarenin den Sympathicus und verringert so
die Schleimsekretion. Vielleicht bewährt sich diese Verordnung auch bei chroni¬
schen Darmkatarrhen und bei der Colica mucosa oder auch bei Asthma bronchiale.
Zu prüfen wäre noch, ob die in kleinen Gaben schon kontraktionerregende
Wirkung auf den Uterus bei innerlicher Verabreichung erhalten bleibt und
dadurch bei Graviden zu Abort führen könnte.
Dr. L. Quadflieg -Gelsenkirchen.
7. Desinfektion und Bekämpfung von Ungesiefer.
Ueber vergleichende Versuche mit Ungeziefermitteln. Von Marine¬
stabsapotheker Dr. F. Rabe. Deutsche militärärztliche Zeitschrift; 1915,
Heft 15/16 und 19/20.
Die Versuche wurden an Blattläusen angestellt und zum Teil an Kleider¬
läusen fortgesetzt. Lausofan-, Globol- und Pedicusol - Dämpfe haben eine
schnellere Fernwirkung als Terpentindämpfe, jedoch ist ihr Geruch störend.
Lysol und Kresol haben eine sehr geringe Fernwirkung. Pulver müssen locker
und nicht zu feucht sein; geeignet ist Infusorienerde, während Bolus mit etwa
10°/ o Magnesia carbonica oder usta aufgelockert werden muß. Eins dieser
Pulver, mit 40—50°/o Kienöl versetzt, macht die Läuse binnen kurzer Zeit
bewegungslos und tot. Dr. Bernstein -Mühlhausen i.Thür.
O. Hygiene and öffentUohea Oeenndkeiteweeen.
L Wohnungshygiene.
Der Innenaasban der Kleinwohnungen. Von San.-Rat Dr. M. Rosen¬
thal-Berlin. Medizinische Reform; 1916, Nr. 1.
Im jetzigen Kriege sind allein in Ostpreußen 88558 Gebäude zerstört
worden; auf sämtlichen Kriegsschauplätzen werden demnach sicherlich Hundert¬
tausende von Wohngebäuden ruiniert worden sein, bei deren Wiederaufbau der
Städtebauer nach Plänen arbeiten kann, die den Fragen der Verschönerung, des
Kleinere Mitteilungen and Beferate aas Zeitschriften.
68
Verkehrs and der Hygiene Rechnung tragen. Es müssen in den einzelnen
Kreisen Bauämter eingerichtet werden znr Beratung der einschlägigen Fragen.
Gerade die kleinen Wohnungen bedürfen dringend der Verbesserung, denn die
Wohnung dient ihren Inhabern doch für eine lange Zeit des Tages zum stän¬
digen Aufenthalte; es müsse berücksichtigt werden die Lage, der Bauplan,
▼or allen Dingen muß auf Licht und Luft geachtet werden. Sehr wichtig sind
für die Innenräume festgefügte oder fugenlose Fußböden, abwaschbare Wände usw.,
denn gerade die Tapete, die nicht häufig erneuert wird, ist für Krankheits¬
keime und Ungeziefer ein Zufluchtsort.
Verfassor betont weiter die Lüftang, die auf Wohnungsfluren fast nie
berücksichtigt ist, ferner die Helligkeit, die Einrichtung der Fenster usw.
Dr. Hoff mann-Berlin.
2. Bekämpftang der Staubplage.
Nene Vorrichtungen znm staubfreien Absaugen der Flugasche. Rauch
und Staub; 1916, Nr. 2.
Der von E. vonRitterZuhony in Skrivan bei Neubiolschow (Böhmen)
angegebene Apparat verhindert den direkten Zutritt der Flugasche aus dem
Sammelbehälter in die in diesen mündende Saugleitung. Eine weitere Neuerung
auf diesem Gebiete ist W. Hartmann-Offenbach a. M. patentiert worden,
welche den Betrieb sehr erleichtert, da die früheren notwendigen Klappen und
Deckel beim Sammelbehälter fortgefallen sind. Dr. Wolf-Hanau.
3. Beseitigung der Abwässer.
Die Abwässerfrage. Von Reg.- und Geheimrat Dr. N i e b 1 i n g - Wies¬
baden. Erwiderung. Von Prof. Dr. Ro hl and-Stuttgart. Schlußerwiderung. Von
Reg.- und Geheimrat Dr. N i e b 1 i n g - Wiesbaden. Zentralblatt für Gewerbe¬
hygiene; 1916, Nr. 11.
N. bespricht eine Abhandlung von R. 1 ) und stellt eine Reihe von Unrichtig¬
keiten fest, die in der Erwiderung von R. zurüokgewiesen werden. In dem
Schlußwort betont N., daß das Wesen des von R. angegebenen Kolloidtonreinigungs-
verfahrens noch immer nicht geklärt ist. Dr. Wolf- Hanau.
4. Säuglings- and Klelnklnderfttrsorge.
Wohlstand and Säuglingssterblichkeit. Von Dr. Klehmet-Kaputh.
Zeitschrift für Säuglingsfürsorge; 1916, Nr. 10/11.
Für das Leban des Flaschenkindes sind die Verhältnisse, unter denen
es geboren und auferzogen wird, von großer Bedeutung, im besonderen die
Sorgfalt und Pflege, die ihm gewidmet werden kann, die Ehelichkeit der
Geburt, die wirtschaftliche Lage, die Bildung und Beschäftigung der Eltern,
die Wohnuugs- und Reinlichkeitsverhältnisse usw. Es ist aber verständlich,
daß alle diese Dinge schwer statistisch zu erkennen und zu verarbeiten sind.
Dr. W o 1 f - Hanau.
Die Bedeutung der Mütterberatungsstellen für Kleinkinder. Von
Prof. Dr. Langstein. Zeitschrift für Säuglingsscbutz; 1916, Nr. 11.
Aus der Praxis aller jener heraus, die Kleinkinderfürsorge treiben, kann
der Verfasser erklären, daß der Erfolg, wie erwartet, ein ausgezeichneter ist.
Daher sollte man unter den jetzigen Verhältnissen dafür sorgen, daß in der
offenen Fürsorge der Weg von der Säuglingsfürsorge zur Kleinkinderfürsorge
so schnell als möglich beschritten wird und daß die Säuglingsfürsorgestellen
daß Programm der Kleinkinderfürsorge sich zu eigen machen.
Dr. Wolf-Hanau.
Säugllngsschutz und Belchgwochenhllfe. Von E. Blaustein-Mann
heim. Zeitschrift für Säuglingsschutz; 1916, H. 12.
‘) Siehe das Beferat über diese Abhandlung in Nr. 19 dieser Zeitschrift
Jahrgang 1916, 8 . 698.
54
Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften.
Der Verfasser berichtet über die seit dem 1. März geschaffene Organi¬
sation für die Reichswochenhille innerhalb der Abteilung für Wöchnerinnen
und Öäuglingsfürsorge. _ Dr. Wolf-Hanau.
Allgemeine Mutterscbafts • Versicherung. Von Qeheimrat Professor
Dr. Meyer. Medizinische Reform; 1915, Nr. 25.
Die Wochenhilfe für Kriegerfrauen gewährt einen Beitrag zur Entbin¬
dung, ein Wochengeld, eine Beihilfe für Hebammendienste pp. und endlich ein
Stillgeld für die Wöchnerinnen, die selbst stillen. Nebenbei aber müßte auch
eine Krankenkassen - Wochenhilfe weiter bestehen, die zur besseren Vorernährung
Beihilfen gewährte, die das Stillgeld länger zahlte, und die auch den Schwan¬
geren, die nicht arbeitsfähig sind, eine Unterstützung gewährte. Oeffentliche
Aufwendungen für die Wochenhilfe, die dem Staate die Geborenen erhalten,
sind gewissermaßen Friedensversicherungs-Prämien.
Dr. Hoffmann -Berlin.
5. Jugendfürsorge.
Zehn Jahre Fürsorgearbeit. Medizinische Reform; 1915, Nr. 24.
Die deutsche Zentrale für Jugendfürsorge bat ihren Jahresbericht für
1913/1914 herausgegeben. Im Jahre 1913 wurden 4994 Fälle beraten, im
Jahre 1914 7104. Die Kriegsarbeit ist eine erheblich größere. Die Jugend¬
gerichtshöfe stellen fest, daß zu Anfang des Krieges ein auffallendes Sinken
der Straffälligkeit eintrat, dem aber im weiteren Verlauf ein ebenso starkes
Anschwellen der Kriminalität folgte. 1040 Jugendliche standen vor dem Ge¬
richt, von dennn nur 96 freigesprochen wurden. Die Einberufung der Väter
und Vormünder zu den Fahnen hat doch eine größere Aufsichtslslosigkeit der
jüngeren Kinder gezeitigt. Unter den verurteilten Jugendlichen waren 182 Halb¬
waisen, 23 Ganzweisen und 53 Kinder, deren Eltern getrennt leben. Der Krieg
verlangt besondere Maßnahmen, es wurden Kriegs-Kindergärten, Kriegs-
Mädchenheime eingerichtet, das Heilerziehungsheim für psychopatische Knaben
mußte seinen Betrieb erweitern. Die deutsche Zentrale für Jugendfürsorge
will allen an sie herantretenden Fragen praktisch begegnen.
Dr. Hoffmann*Berlin.
6. Soziale Hygiene.
Einfluß des Krieges auf Ernährung und Gesundheit des deutschen
Volkes. Von Prof. Dr. N. Z u n t z - Berlin. Tierpbysiol. Institut der Land¬
wirtschaftlichen Hochschule. Medizinische Klinik; 1915, Nr. 43 und 44.
Die Absperrung Deutschlands machte Maßnahmen erforderlich, um den
Ausfall der im Frieden eingeführten Nahrungs- und Futtermittel auszugleicben.
Dazu standen zwei Wege zur Verfügung, die auch beschritten wurden: 1. Die
direkte Einsparung, 2. die Einschränkung der Umwandlung von Nahrungsmitteln
in tierische Produkte. Es fragt sich nun, ob die vorhandenen Zustände
genügen, unser Volk kräftig und gesund zu erhalten. In den letzten
50 Jahren hat sich der Fleischgenuß auf den Kopf verdoppelt, ohne daß man be¬
haupten kann, die Menschen seien gesunder und leistungsfähiger geworden.
Man braucht allerdings auch nicht so weit zu gehen, daß man sagt, der
Fleischgennß, wie er sich im Durchschnitt stellte, führe zu Schädigungen.
Daß er bei sonst gut gewählter Nahrung gering sein kann, beweisen die
Leistungen des Vegetariers. Eine erhebliche Beimengung tierischer Nahrung
zu unserer Kost ist von großem Vorteil, aber keine Notwendigkeit; sie ist
deswegen ein Vorteil, weil der Magendarmkanal dabei keine so großen Mengen
zu verarbeiten braucht, was wieder der geringeren körperlichen Leistung ent¬
spricht. Auch ist eine kohlenhydratreiche Ernährung nicht so leicht schmack¬
haft zu gestalten; ebenso ist es vielen Menschen aus äußeren Gründen nicht
möglich, zu Mittag zum Essen nach Hause zu gehen. Dem ist abznhelfen
dadurch, daß in den Kantinen schmackhafte Kost zur Verfügung gehalten
Wird. Was die Fettknappheit anbetrifft, es stehen höchstens auf den Kopf und
Tag 40 g zu Gebote, so ist auch dies kein großer Schaden, da das Fett sich
leicht durch Kohlenhydrate vertreten läßt; es gibt Völker, die täglich nicht
mehr wie 6 bis 8 g Fett zu sich nehmen. 100 g Fett werden ersetzt durch
240 g Kohlenhydrate; auch liier sind in erster Linie die Kartoffeln zum Ersatz
Kleinere Mitteilungen and Beferate aas Zeitschriften. 55
bestimmt. Nach den Vcrsachen von Hindkede reichen Fett and Kartoffeln
allein ans, Arbeitsfreudigkeit and Gesundheit für lange Zeit zu erhalten. Bei
Kartoffelnahrung ist der Eiweißbedarf ganz besonders gering. Kriegsbrot ist
daher unbedenklich. Durch die Einschränkung des Fleischgenusses, der
reichlicheren Benutzung von Kartoffeln und der Verwendung von Kriegsbrot
(kleiereiches) ist eine Schädigung nicht zu erwarten. Das kleiereichere Brot
kann bei wenigen daran nicht Gewöhnten geringe Verdauungsstörungen ver¬
ursachen. Dem Körper stehen 3 Mittel fttr die erfordesliche Anpassung zur
Verfügung: 1. Eine Anpassung im Drüsenapparat des Verdauungstraktus,
2. Reflexe auf die Darmmuskulatur, 3. die Bakterienfiora des Darmes. Wenn
sich Beschwerden infolge Kalkmangels geltend machen, empfiehlt es sich,
Calziumkarbonat oder an Kalk reiche Stoffe (Milch, Käse) zu verabreichen.
Ein gutes Vorbeugemittel gegen übermäßige Gärungsprozesse ist das gründ¬
liche Kauen der Nahrung. Sollte sich event. bei schwer Arbeitenden Abmagern
cinstellen, so muß der Arzt für geeignete Zuschüsse sorgen. Das auf den Kopf
zur Verfügung stehende Mehlquantum muß nach Ermessen und Geschmack des
einzelnen verabfolgt werden, damit die Angewöhnung an Mehlspeisen nicht
eingeschränkt zu werden braucht.
Im zweiten Teil der Abhandlung stellt Z. sich auf den Standpunkt, daß
die Grundlage unserer Nahrung unbedingt im Inlande erzeugt werden muß.
Das läßt sich erreichen durch intensiveren Betrieb der Landwirtschaft mit
heimischen Kräften. Die Verwirklichung dieses Problems hat der Verfasser in
seinen interessanten Ausführungen näher beschrieben. Er wünscht es so zu
lösen, daß dabei auch ein Gewinn an Gesundheit und Kraft für unsere
Industriebevölkerung erzielt wird. Dr. L. Q u a d f 1 i e g - Gelsenkirchen.
7. Statistik.
Mord and Totschlag sowie Hinrichtungen in Preußen ln den Jahren
1909 bis 1913. Im Jahre 1918 kamen in Preußen 871 (&86 männliche und
285 weibliche) Personen durch Mord oder Totschlag ums Leben; ferner wurden
18 Hinrichtungen an Männern vollstreckt. In der folgenden, der „Stat. Korr.“
entnommenen Uebersicht wird die Zahl der in den Jahren 1909 bis 1913 durch
Mord oder Totschlag in Preußen umgekommenen männlichen (m.) und
weiblichen (w.) Personen auch nach dem Alter der Getöteten und nach der
Art der Tötung nachgewiesen._
Gesamtzahl.
Alter.
Tötungsart.
Durch
1909
m. w.
Mord odei
1910
m. w.
' Totschlag
Personen
1911
m. w.
r umgekom
1912
m. w.
mene
1913
m. w.
Gesamtzahl 1 )
883
274
548
230
491
243
518
269
586
285
Alter:
bis 5 Jahre .
120
110
112
86
116
85
89
103
r24
105
über 5 bis lö „
20
18
19
22
23
17
29
13
22
25
„ 15 Jahre .
443
146
417
122
352
141
400
153
440
155
Tötungsart:
!
1
erhängt ........
3
2
3
7
4
5
4
2
3
2
erwürgt.
25
36
20
24
26
2t
25
28
25
37
erstickt.
38
33
35
26
23
27
22
29
40
26
ertränkt.
29
30
34
24
35
24
30
31
30
38
erschossen.
75
67
65
69
61
70
78
78
79
71
erstochen.
202
23
183
18
162
26
169
21
179
23
Schnitt in -den Hals . .
9
8
17
14
13
11
11
12
1 23
13
verbrannt .
2
2
1
2
1 2
—
—
—
4
2
vergiftet.
12
11
10
4
14
12
14
13
14
11
Sturz von Treppen usw.
4
—
3
2
1
—
5
2
! 7
1
erschlagen.
sonstige Arten und
154
36
129
26
i 1 ' 4
31
127
37
1 147
39
ohne nähere Angabe
30
26
48
24
| 86
16
i 33
16
; 35
22'
l ) Ausschließlich der Hinrichtungen.
56
Besprechungen.
Von der Gesamtzahl der Getöteten wurde, wie schon in den Vorjahren,
auch in den Berichtsjahren annähernd die Hälfte erstochen oder erschlagen,
nämlich 1913: 888 von 871, 1912 : 354 von 787, 1911: 883 Yon 784, 1910 : 856
Yon 778, 1909 : 415 Yon 857. Diese Zahlen am nächsten kommen für 1913
150 Tötungen durch Erschießen, 68 durch gewaltsames Ertränken, 66 durch
Ersticken und 62 durch Erwürgen.
Nach der sozialen Stellung der Getöteten waren, wie in den Vor¬
jahren, am stärksten, beteiligt die Gehilfen, Gesellen, Lehrlinge, Fabrikarbeiter
usw. Dann folgen die Tagearbeiter, die Selbständigen im Besitz und Beruf
und die Dienstboten.
Am meisten erlagen dem Mord und Totschlag wiederum erwachsene
männliche Personen. Es starben auf diese gewaltsame Weise im Jahre 1913
Yon 100000 Lebenden des betr. Geschlechts^
in der Provinz
männl.
weibl.
überb.
Westfalen.
4,40
1,22
2,85
Westpreußen.
3,40
0,91
2,18
Rheinprovinz.
3,38
1,69
2,49
Pommern.
3,28
0,80
2,02
Ostpreußen ..
3,25
0,94
2,07
(im Staatsdurchschnitt
2,94
1,36
2,13)
Posen .
2,88
1,25
2,04
Brandenburg .
2,84
2,11
2,47
Hohenzollern.
2,83
1,88
Schlesien.
2,66
1,51
2,07
Hessen-Nassau.
2,50
1,02
1,74
Schleswig-Holstein . . . .
2,32
1,22
1,78
Berlin, Landespolizeibezirk
2,18
1,24
1,66
Sachsen .
2,06
1,82
1,68
Hannover.
1,96
1,88
1,65
Eine Uebersicht der Hinrichtungen für die Jahre 1909 bis 1918,
nach Provinzen geordnet, ergibt, daß in diesem Jahrfünft in Schlesien die
meisten Hinrichtungen vollzogen worden sind, und zwar an 21 Männern und
I Frau. Größere Zahlen zeigen noch Brandenburg mit Hinrichtungen von
II Männern, Ostpreußen mit Hinrichtungen von 9 Männern und 2 Frauen,
Westfalen und die Bheiaprovinz mit Hinrichtungen von je 9 Männern und
Sachsen mit solchen von 8 Männern. Es wurden nämlich Personen hin¬
gerichtet
in den Jahren
in der Provinz 1909 1910 1911 1912 1913 zusammen
m. m. m. w. m.
Ostpreußen. 2 2 3 1 1
Westpreußen.1 1 — — 1
Brandenburg mit Berlin .2 2 4 — —
Pommern.1 1 1 — —
Posen.— 2 1 — 1
Schlesien. 5 4 3 1 3
Sachsen.2 4 2 — —
Schleswig-Holstein ... 1 2 — — —
Hannover.— — — — 1
Westfalen.3 1 1 — 3
Hessen-Nassau ... 1 — 1 — 1
Rheinprovinz.1 3 1 — 4
im Staate ... 19 22 17 2 15
(Deutscher Reichs- u. Preuß. Staatsanzeiger, Nr. 308
w. m. m. w.
119 2
- - 8 —
- 3 11 -
- 14 —
12 6 1
- 6 21 1
- — 8 —
— 25 —
— 12 —
— 19 —
— 14 -
— — 9 —
2 18 91 4
vom 31. Dez. 1915.)
Besprechungen.
Die sanitäre Kriegsrüntung Deutschlands. Vierzehn Vorträge, gehalten
. in der Ausstellung für Verwundeten- und Krankenfürsorge im Kriege
Berlin 1914-15. Berlin 1915. L. Oehmigkes Verlag (R. Appelius).
8'; 266 S., mit zahlreichen Abbildungen. Preis: geb. 5 M.
Besprechungen.
67
Die in dieser Sammlung vereinigten Vorträge sind während der Monate
Dezember 1914 nnd Januar 1916 im Hanptsitznngssaale des Beichstagsgebäudes
in Berlin gehalten worden, nnd zwar auf Veranlassung des Arbeitsausschusses
der im Beichstagsgebäude damals veranstalteten Ausstellung für Verwundeten-
und Krankentürsorge im Kriege, die es sich zur Aufgabe gestellt hatte, weite
Kreise der Bevölkerung in anschanlicher und eindringlicher Weise darüber zu
belehren, was alles zur Versorgung unserer verwundeten und erkrankten Krieger,
von der fechtenden Truppe bis zum Genesungsheim in der Heimat und
darüber hinaus geschieht. Die Vortragsreihe ist vom Herrn Ministerialdirektor
Prof. Dr. Kirchner zusammengestellt und dabei der Zusammensetzung der
Ausstellung und ihren einzelnen Abteilungen Beehnung getragen. Die Samm¬
lung beginnt mit einem Vortrag über das Heeres - Sanitätswesen im Kriege
von Generalarzt Dr. Paalzow(l); ihm folgen die Vorträge über Verwundeten¬
fürsorge in der Marine von Marine-Generaloberarzt Dr, Weber (2), über
freiwillige Krankenpflege von Prof. Dr. K i m m 1 e (8), über die Genossenschaft
freiwilliger Krankenpfleger im Kriege von Geh. Justizrat Prof. D. Dr. W. Kahl (4),
über Mitwirkung der Frau in der Verwundeten- nnd Krankenfürsorge im Kriege
von Frau Staatsminister von Boetticher (6), über Helferinnen von General¬
arzt Dr. Körting (6), über die geschichtliche Entwicklung der Verwundeten¬
fürsorge in Altertum, Mittelalter und neuerer Zeit von Dr.Eug. Holländer (7),
über Ernährung des deutschen Volkes zur Kriegszeit von Geh. Med.-Bat Prof.
Dr. M.Bubner (8), über Verhütung und Bekämpfung der Kriegsseucben von
Wirkl. Geh. Ob.-Med.-Bat Ministerialdirektor Prof. Dr. Kirchner (9), über
moderne Krankenpflegetechnik von Dr. P. Jacobsohn (10), über Bevölkerungs¬
bewegung und Krieg von Oberstabsarzt Dr. Schwiening (11), über die
ethische und wirtschaftliche Bedeutung der Kriegskrüppelfürsorge und ihre
Organisation im Zusammenhang mit der gesamten Kriegshilfe von Prof. Dr.
KBiesalski (12), über die zahnärztliche Fürsorge im Kriege von Prof.
Dr. med. W. Dieck (13) und über unsere Kriegskrankenpflege in Belgien von
Dr. Mamlock (14).
Sämtliche Vorträge gehen weit über ihre ursprünglich gestellte Aufgabe,
eine Erläuterung und Ergänzung der Ausstellungsdarbietungen zu geben, hinaus
und zeichnen sich nicht nur durch eine vollendete Form, sondern auch durch
ihren bedeutungsvollen, den Vortragsgegenstand völlig erschöpfenden Inhalt
aus. Man kann daher den Arbeitsausschuß nur dankbar sein, daß er durch
ihre Drucklegung und Herausgabe diese wertvollen Zeugnisse für die Kriegs¬
fürsorgearbeit während des gewaltigen Bingens um des Deutschen Beicnes
Größe und Zukunft auch weiteren Leserkreisen zugänglich gemacht hat.
Bpd.
Fis oh am Kalander für Mediziner nebst Bezepttascbenbuch. Heraus-
gegeben von Dr. J. Bierbach-Heidelberg. 27. Jahrgang 1916/16. Berlin
1916. 12°; 425 Seiten. Preis: 2 M.
Der im vorigen Jahre des Krieges wegen nicht herausgegebene Kalender
ist jetzt für beide Jahre 1916/16 erschienen. Die Anordnung des Stoffes hat
gegen füher keine Aenderung erfahren, der Inhalt der einzelnen Abhandlungen,
namentlich des für die Praxis sehr brauchbaren medizinisch - therapeutischen
Taschenbuches, aber einer gründlichen Durchsicht unterzogen und vielfach er¬
gänzt. Dem Notizkalender ist in Form von 4 handlichen Beiheften für jedes
Vierteljahr beigegeben. Bpd.
Dr. Orlowski : Hausarstkalender. Verlag von C. Kabitzsch - Würzbuig.
Preis: 1 M.
An Stelle des Begründers und bisherigen Herausgebers des Hausarzt¬
kalenders Dr. Dessauer-München, der auf dem Felde der Ehre gefallen ist,
hat Dr. Orlowski die Neubearbeitung des Kalenders übernommen und sich
mit bestem Erfolge bemüht, diesen im Geiste seines Begründers fortzusetzen.
Die dem Kalender beigefügten fünf Merkblätter über Zahnpflege, künstliche
Atmung, chirurgische Nothilfe auf Beisen und Ausflügen, Maßnahmen bei
innerlichen Erkrankungen und Frühsjmptome der Lungentuberkulose sind zwar
58
Tagesnachrichten.
unverändert beibehalten, dagegen haben die Übrigen, jedem Wochenblatt bei-
gefflgten kurzen Abhandlungen manche, den Fortschritten der Wissenschaft
Rechnung tragende Verbesserung erhalten. Kpd.
Deutaoher Hebammenkalender 1916; 28. Jahrgang. Berlin 1915. Verlag
von Elwin Staude. Preis: 1 Mark.
Die Verteuerung der gesamten Herstellungsarbeiten infolge des Krieges
haben veranlaßt, den Umfang des Hebammenkalenders gegen früher etwas ein*
zuschränken, um den bisherigen, allerdings sehr mäßigen Preis von 1 Mark
beibehalten zu können. Durch die Beschränkung des Umfangs hat aber an
sich die Brauchbarkeit des Kalenders keinen Schaden erlitten; vielleicht
empfiehlt es sich bei späteren Ausgaben, auch das 60 Seiten umfassende Tage*
buch im Kalender selbst fortzulassen und es als Beiheft beizugeben, wodurch
der Kalender noch handlicher wird. An Abhandlungen bringt der Hebammen¬
kalender diesmal nur eine solche von der Herausgeberin Frau Olga Gebauer:
über die Pflichten der Hebamme nach dem Kriege und über die Verwertung
ihrer im Kriege für ihren Beruf gesammelten Erfahrungen. Mit Hecht wird
hier hervorgehoben, daß es eine der wichtigsten Aufgaben der Hebammen sei,
dafür zu sorgen, daß jede Mutter ihr Kind selbst stillt, damit dieses am Leben
erhalten bleibt und gesund groß gezogen wird. Den Hebammen erwächst aber
g erade jetzt eine nicht minder wichtige Aufgabe, das ist die Bekämpfung des
-eburtenrückganges, namentlich der gewollten Kinderlosigkeit; hier kann
ihre Mitwirkung recht großen Segen stiften, vorausgesetzt, daß sie in ver¬
ständnisvoller und geschickter Weise geschieht. Deshalb dürfte es sich viel¬
leicht empfehlen, im nächsten Hebammenkalender eine Abhandlung zu bringen,
in der diese für die Allgemeinheit so bedeutungsvolle Frage von berufener
Hand erörtert wird. Rpd.
Tagesnachrichten.
Das preußische Medizinalwesen im Staatshaushaltsetat 1916/17. Der
neue Etat bringt ebenso wie im Vorjahre mit Rücksicht auf den Krieg fast
gar keine Acnderungen: Eine Vermehrung der vollbesoldetcn Kreis¬
arztstellen hat diesmal gar nicht stattgefunden. Von den sonstigen ordent¬
lichen Ausgaben ist der Betrag für Reisekosten wiederum niedriger ein¬
gestellt; eine Kürzung der Reisepauschalvergütungen der Reg.- und Med.-Räte'
und Kreisärzte soll aber nicht stattfinden, da genügend Ersparnisse aus den
Vorjahren vorhanden sind, um den bisherigen Betrag (865000 M.) zu decken.
Die einmaligen und außerordentlichen Ausgaben sind in
dem vorliegenden Etat selbstverständlich auch möglichst niedrig bemessen. Es
fehlt z. B. wiederum ein Betrag für Fortbildungskurse der Medizinal¬
beamten; desgleichen sind für deren Teilnahme an der Ausbildung
der Desinfektoren ebenfalls nur 1000 M. wie im Vorjahre vorgesehen.
Auch die Beträge für die Granulöse- und Typhusbekämpfung sowie für
Anstellung von Untersuchungen über den Schutzpocken-Impfstoff sind
geringer, da der Mehrbedarf aus Ersparnissen aus dem Vorjahre gedeckt
werden kann.
A. Dauernde Ausgaben.
1. Besoldung von 39 Mitgliedern (mit 600—1200 M.) und 36
Assessoren (mit 600—1050 M.) der Provinzialmedizinal¬
kollegien . 59 850,— M.
Besoldung von 37 Regierungs- und Medizinalräten mit
4200—7200 M. 244 800,— „
Außerdem für 13 Regierungs- und Medizinalräte pensions¬
fähige Zulagen von 600 Mark. 7 800,— „
Vermerk: Die Regierung*- und Medisinalräte und die Direktoren
der hygienischen Institute in Bcuthen und Saarbrücken erhalten bis
su einem Drittel der Gesamtzahl der etatsmäßigeo Stellen je 600 M.
pen»ionsfähige Zulage.
Besoldung von 7 vollbesoldeten Kreisärzten als ständige
Hilfsarbeiter .bei den Regierungen in Königsberg, Potsdam,
Tagesnachrichteo. -
59
Breslau, Oppeln, Arnsberg und Düsseldorf, sowie bei dem
Polizeipräsidium in Berlin (mit 3000—7200 M.) .... 81 200,— M.‘)
2. Besoldung von 73 vollbesoldeten Kreisärzten (3000—7200 M.),
447 nicht vollbesoldeten Kreisärzten, darunter 18 nicht voll*
besoldete Qerichtsärzte, mit mindestens 2100, höchstens
3900 M., im Durchschnitt 8000 M., sowie für sonstige
Besoldungen. 1789 871,— „ *)
3. Wohnungsgeldzuschö8se. 109400,— „
4. Remunerierung von 36 Kreis&ssistenzärzten und von Hilfs¬
arbeitern im Bureau-, Kanzlei- und ünter^eamtendienst bei
den Provinzial-Medizinalkollegien sowie zu Beihilfen für die
Wahrnehmung der Obliegenheiten des Kreisarztes durch
Gemeindeärzte. 77 550,— „
5. Stellenzulagen für nicht vollbesoldete Kreisärzte, einschlie߬
lich der Gerichtsärzte. 208650,— „
5a. Entschädigungen an die vor dem 1. April 1908 angestellten
vollbesoldeten Kreisärzte für den Fortfall der Fuhrkosten-
entschädigung und der übrigen ihnen bisher zugeflossenen
Gebühren für Dienstgeschäfte., . 5000,— „
6. Geschäftsbedürfnisse der Provinzial - Medizinalkollegien
(820 M.), Dienstaufwandsentschädigung für 2 Regierungs¬
und Medizinalräte in Berlin (je 1200 M.), für Vertretung
von Reg.- und Medizinalräten und von als ständige Hilfs¬
arbeiter bei den Regierungen beschäftigten vollbesoldeten
Kreisärzten (8000 M.), Remunerationen für die Prüfung der
Rezepte und Rechnungen über die für Staatsanstalten ge¬
lieferten Arzneien (3500 M.), Dienstaufwandsentschädi¬
gungen für die vollbesoldeten Kreisärzte bis zu 1160 M n
im Durchschnitt 900 M., für die nicht vollbesoldeten Kreis¬
ärzte einschl. der Gerichtsärzte bis zu 900 M., im Durch¬
schnitt 400 M. (245500 M.), nicht abgelöste Postporto-
und Gebührenbeträge, einschließl. Fernsprech-, Telegramm-
und sonstige Frachtgebühren für dienstliche Sendungen
der Kreisärzte (380 M.) sowie Reisekosten für auswärtige
Mitglieder der Provinzial-Medizinalkollegien, Reisekosten
ubd Entschädigungen für die Erstattung schriftlicher
Gutachten und Berichte an die psychiatrischen Mit¬
glieder der Besuchskommissionen für die Beaufsichtigung
der Privat-Irren- usw. Anstalten und Reisekosten für die
auswärtigen Mitglieder des Beirats für das Apotheken¬
wesen (14050 M.). 269160,— „
7. Beihilfen zum Studium medizinal - technischer wichtiger
Einrichtungen und Vorgänge. 3 000,— „
8. Reisekostenpauschvergütungen der Mcdizinalbeamten, dar¬
unter 465 000 M. für Reisepauschvergütungen und 5000 M.
für Gebühren der Kreismedizinalbeamten für die im dienst¬
lichen Interesse vorzunehmende Untersuchung und Begut¬
achtung des Gesundheitszustandes von Beamten, ausschlie߬
lich derjenigen der Künigl. Polizeiverwaltungen, jedoch
einschließlich der Bau Verwaltungen, sowie 105000 M. für
Reisekosten der Regierungs- und Medizinalräte .... 475000,— „ 3 )
*) Mehr: 1800 M. nach Maßgabe und Dienstalter der vollbesoldeten
Kreisärzte.
®) Mehr: 7800 M., weil hier jetzt noch die Besoldung für den Leiter
und Lehrer der Hebammenlehranstalt in der Charitä und für 7 Aerzte der
französischen Kolonien angestellt sind.
9 ) Weniger: 100000 M., da aus den Vorjahren so viel Ersparnisse
vorhanden sind, daß ebenso wie in den Vorjahren 865000 M. zur Bestreitung
der Reisekostenpauschvergütungen der Kreismedizinalbeamten zur Verfügung
stehen.
ßD Tagesnachrkbtcn
9. ti. iö. lie«n«.a?rioruufC der Mitglieder und • Beamten der - Koui*
iftiesiiiwen iüf die Staatsprüfung der Amlie ( ZttlinSTzt^; '
Aporh^ker, Kreisärzte und JSabrungsuiiM'dekeniüu r . K'GOOtV - M.
11. Institut für Infektionskrankheiten ...... , . 26* 211,— , '■>
12. Versuch«' und Prtifnngsansiült für Wasserversorgung. «ml
Ahwässe-itestfitigung in Berlin . ... . . 20&8ftör-' , *)
J3 Bad ßetti'kb' • *; -.. . 7Ö 870,-- , *i
14. Kjrgienbchea Institut in Bosen ..... . 77 hW,— , 7 )
15, Hygifetyscbes Institut in Bfcutben tObersehi.t •. 9 *.)
Iß.■.■Institut, für Hygiene ußrl Ih^kttoßskrankheitan k
. brückt«! . . \ . ... . . , . . . b7 070:- ,
17. Medizinal-lJntarsacJbuogsjinjter (11 voUbeooldbic- KToisartta:,; ' - y^'O^OV-;-'
ttu Ötgohmneni Danzig* Potsdam, Stettin, B:-v:
bürg, U-iiia.i-.tf. Stade, Münster, Koblenz and IHWeidi»ri>,
11 Kroisfissisteozäizte als Assistenten »Bot r :lvrfAer- und
2 KrüiisKda.istenZHrüte als heiler der UnieranehünglBltalluu:%jV r -
in Üf.i.nberg und Sigroariogen ... . 19347t),— „ *pj
18. Ztuchusse für einig») Krnnkenanstfilten . . . 5 510..— „
19. u, 20. Impfwesen (Iteüitiübriorang der Vorsteher, AstjUtenteü,
Tierärzte, sächlich« Ausgabe«. imrfpr.unb'a' «sw.-> . ; 107 981,-- „
21. Kosten der anitliftlwh Apbthekenbesichtigung>:n durchdie
hierzu BevoUmäcbtigten , . . . . «•. . , ;- v . ; 57 500,—
22 . a-28. Untarstülzangen für aktive Mbd^uinülbeAiDtüdiüOP B 1 !»
für attägeBchiedenb Medizinalbedm^ sowjie für Witwen unii
Waisen vqq MfHlizüsftlbßaiaten tßOOi'iti M.i . .... 87500,— ,
.28 a. Unterstützung* n int auf Gr und da* .$ 15 des Kreis-
arztgesetze'« auf Wurtegcid goMtillt.*» MedizniölbeAtaU-'u
(künftig wfcgfaUend) JpÖCiO,:- , -
24. Almosen »n kÜrflecllßh GrbreeMi ßkc zur Huckkehr in
Heimat, sowie Jur arm»:- Kranke . .900,— ..
25. für nu-dizin.'iljiiilizeüii'he Äweck». ‘*imH-liliefUiob Sf.HJt)
har ,B*tstr»)itnog <ter Küsten: 4^V:':->--
trolle behufs AbwoItF »ittr (’holbrngeführ und. 2«5 9Ö7 M. ,f»r
das .Lepra he in» ita Kfci-« Memel ". . .284 70u. - „
26. Hafen- and Sthihsüberut.«dmog. eift>efe<ietfl.icli der Qoarati*
bi.nf'üMSi ;ilt* n . . .55280,—
27. Aushihrnng de«- Deseuet:, bfttr, die Iiek»»U ! füWff, dh»*rt,r»4g--
barer KrauUiiuten .. , . 11)0000, ™ ,
28. UnterstÜtZiiug des BüÄtrkBhebüfiiineuwoefenii 5 . ,, , . 2 tC^i'OOO,-^.^/ ! \yf.
29. Versehiodone ftüdtirr'Auägoben xZnAällnß für A«2re auf ver»
«chtwlettün UsD und Nordseeinseln» Beihilfe xn Fortbil-‘ v " - .
»lung>ku;rsi' für Aeme, Zahnärzte und Apotheker (28000
Mark) iisw-, . ... 48 887 „ «t
30. Cuaügskosten . . . -V ■ -■ - . . . . ; . . 27ÖÖ0,—„ .
";. < -'V-- •• 7; : {',‘54$/..'AVi- v ^üfjahrü- ci 2A4 428,—
. Danach weui g e r ? ^ 83 71H, — M.
B. uad «naaerorcl^oiltehtf Aü»{?«-be».
»»' H«00 i zur T«»tf *>.»1» m *• 4 •• r :M»'»i: - .i.) i b! tut», c ?in der Au ■
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;1 ) W « • Al.
tJ ) Der wird aus vorhandenen Ersparnissen gedeckt.
Tagesnachrichten
61
b) 17000 M. zur Unterbaitang eines Laboratoriums der Versuchs«
und Prüfungskommission für Wasserversorgung und Abwässerbeseitigung
für die Zwecke der Mainwasseruntersnchung in Wiesbaden (wie im Vorjahre).
c) 1000 Mark Zuschuß zwecks Anstellung von Untersuchungen über den
Sehutzpocken-Impfstoff bei dem Institut für Infektionskrankheiten
„Robert Koch“ in Berlin (im Vorjahre: 20000 M.). > 3 )
d) Bekämpfung der Granulöse 1000 M. (im Vorjahre: 30000 M.)' 3 ).
e) Bekämpfung des Typhus im Regierungsbezirk Trier 51000 M. (im Vor¬
jahre 56 000 M.). 13 )
f) 10000 M. zu Beihilfen zur Krebsforschung.
g) 1000 M. zu Beihilfen zur Anstellung von Weinkontrolleuren im
Hauptberufe behufs Durchführung des Weingesetzes vom 7. April 1909
— R.G.B1. 8. 393 (im Vorjahre: 17700 M.)»)
h) Ankauf eines Grundstückes in Bad Bertrich: 65000 M.
Zusammen: 153 000,— M.
Im Vorjahre: 106 000,— „
Demnach mehr: 47 000,— M.
Durch Min.-Erlaß Vom 31. Dezember v. J. (s. die Beilage zur
heutigen Nummer, 8. 10) ist in Preußen die Erstattung eines Gesundheits¬
berichts für die beiden vorhergehenden Jahre 1914 und 1915 angeordnet. Hierzu
können die bisher gebräuchlichen, von der Hofbuehdruckerei von J. C. C. Bruns
heraus gegebenen Formulare ohne weiteres benutzt werden; es ist dabei nur
folgendes zu beachten:
1. In den Tabellen sind die Zahlen, soweit sie für jedes der beiden Jahre
angegeben werden, für 1914 in schwarzer, für 1915 in farbiger Tinte, unter¬
einander einzutragen.
2. In den Nachweisungen über Wasserleitungen, Abwässerbeseitigung,
Krankenanstalten usw. ist der Stand am Ende des Jahres 1915 anzngeben und,
soweit erforderlich, mit dem von Ende 1913 zu vergleichen.
3. Der Einfluß des Krieges auf die verschiedenen Gebiete der Ge¬
sundheitspflege wird bei den zutreffenden Abschnitten des Berichts darzustellen
sein, z. B. Aenderangen der Erkrankungs- und Sterblichkeitsverhältnisse,
Verschleppung übertragbarer Krankheiten durch aus dem Felde kommende
Soldaten oder Kriegsgefangene, Mangel an Krankenhausbetten wegen Einrichtung
von Barackenanstalten als Lazarette, Ernährungsverhältnisse, Aerzte- und
Apothekenmangel usw.
4 Da die Berichte auf die wichtigsten Mitteilungen beschränkt werden
sollen, so können auch manche auf den Vordrucken angegebenen Tabellen,
z. B. Zusammenstellung der an den einzelnen übertragbaren Krankheiten Er¬
krankten nach Altersklassen usw. unausgefüllt bleiben.
5. Hinzugefügt sind mit Rücksicht auf die sonst während des
Krieges gemachten Beobachtungen drei neue Blätter und zwar:
37 a. Nahrangsmittelfürsorge während des Krieges,
61a. Kriegsbeschädigtenfürsorge und
62 a. Tätigkeit der Vereine vom Roten Kreuz und der Vaterländischen
Frauenvereine.
Denjenigen Medizinalbeamten, die bereits das Formular bezogen haben,
werden diese neuen Blätter auf Verlangen unentgeltlich nachgeliefert.
Nach dem Erlaß des preußischen Kriegsministeriums vom 21. Dezember v. J.
ist den beim Feldheer vertraglich verpflichteten Zivilärzten, die nach ihrem
Vertrag bei längerer Dienstbehinderung durch Krankheit keinen
Anspruch auf die vertragliche Vergütung haben (§ 16 des BGB), in solchen
Fällen vom ersten Tage der Behinderung ab für deren Dauer ein Tagegeld
von 18 M. zu zahlen, solange der Vertrag besteht, Bei Dienstbehinderung
durch Krankheit von verhältnismäßig kurzer Dauer, d. i. bis zu 14 Tagen, wird
die vertragliche Vergütung weitergezahlt.
u) Der Mehrbedarf wird aus vorhandenen Ersparnissen gedeckt.
Tagesnachrichteil.
62
Eine gleiche Bestimmung ist vom bayerischen Kriegsministerinm unter
dem 29. Dezember v. J. getroffen.
Ein neuer bayerischer Kriegsorden. König Ludwig von Bayern
hat zu seinem Geburtstage einen neuen Kriegsorden, das „König-Lud wig-
Kreuz" gestiftet, der ais Zeichen ehrender und dankbarer Anerkennung fflr
solche Personen bestimmt ist, die sich während dieses Krieges durch dienst¬
liche oder freiwillige Tätigkeit in der Heimat besondere Verdienste um das
Heer oder um die allgemeine Wohlfahrt des Landes erworben haben. An Per¬
sonen, die aus Anlaß dieses Krieges bereits eine bayerische Kriegsauszeichnung
erhalten haben, wird das König-Ludwig-Kreuz nicht verliehen; im Falle der
späteren Verleihung einer bayerischen Kriegsauszeichnung ist das König-Ludwig-
Kreuz abzulegen. Das von Prof. B1 e c k e r - München entworfene Ordenszeichen
ist ein schwarzes Kreuz aus Bronze, dessen eirnndes Mittelstftck auf der Vorder¬
seite das Bildnis des Könige und auf der Bückseite in einem Bautenschild die
Angabe des Stiftungstages trägt.
TodesfBlle. Am 12. d. M. ist das älteste Mitglied des Deutschen und
Preußischen Medizinalbeamtenvereins, Geh. San.-Bat Dr. J. P. W. Walltchg
in Altona nach kurzer Krankheit im 87. Lebensjahre sanft entschlafen. Vor
einigen Jahren war es ihm noch vergönnt, sein 60jährigea Doktorjubiläum in
seltener körperlicher wie geistiger Frische zu feiern; unserer damaliger Wunsch,
daß er noch recht viele Jahre seiner Familie und seinen überaus zahlreichen
Freunden erhalten bleiben möge, ist aber leider nicht in Erfüllung gegangen,
nur eine große Gnade ist ihm auch in seinen letzten Lebensjahren zuteil
g eworden: die Erhaltung der geistigen Frische bis zum letzten Lebenshauche.
[it ihm ist nicht nur das älteste Mitglied und ein Mitbegründer des Preußischen
Medizinalbeamtenvereins, sondern auch ein langjähriges Vorstandsmitglied
dieses Vereins aus dem Leben geschieden, das sich um dessen Entwicklung
und Gedeihen ganz außerordentliche Verdienste erworben und auch sonst zu
den tatkräftigsten und erfolgreichsten Vorkämpfern auf dem Gebiete des
öffentlichen Gesundheitswesens in seinem engeren und weiteren Vaterlande
gehört hat. Mit den Medizinalbeamten steht die ganze deutsche Aerzteschaft
schmerzerfüllt an seiner Bahre; denn viele Jahre ist er als Mitglied des
Geschäftsausschusses des Deutschen Aerztevereins (1876—1906) sowie als
Schriftleiter des Aerztlichen Vereinsblattes (1887—1901) den Aerzten ein treuer
Berater gewesen, der sich bei allen seinen Kollegen infolge seiner reichen
Kenntnisse und Erfahrungen, seines vornehmen und liebenswürdigen Wesens
der größten Hochachtung und Beliebtheit erfreute. Sein Andenken wird
daher allzeit in hohen Ehren gehalten werden I
Am 29. v. Mts. ist Geh. Med.-Bat Prof. Dr. Fränken, bis vor kurzem
Direktor des hygienischen Instituts in Halle a. 8., im Alter von 64 Jahren
nach langem Leiden in Hamburg gestorben. Der Verstorbene war einer der
hervorragendsten Schüler von Bobert Koch, der es verstanden hat, die
Forschungsergebnisse und Lehren der Wissenschaften für die praktische
Hygiene nutzbar zu machen. Unterstützt wurde er durch eine glänzende Bedner-
{ jabe, die ihn besonders befähigte, auch Nicbtmedizinern selbst schwierigere oder
angweiligere Fragen leicht verständlich und fesselnd darzustellen. Außerordent¬
lich groß ist deshalb die Zahl derer, die als Schüler, Kursusteilnehmer usw.
zu seinen Füßen gesessen haben, seinem Vortrage mit großer Aufmerksamkeit
gefolgt sind und sich dieser Zeit sicher stets mit großer Dankbarkeit erinnern
werden. Aber auch sonst hat der Verstorbene einen segensreichen Einfluß auf dem
Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege ausgeübt. Sein Andenken wird des¬
halb namentlich bei den Medizinalbeamten unvergessen bleiben I
Am 7. Februar d. J. findet im Plenarsitzungssaal des Beichstags in
Berlin eine außerordentliche Tagung der Deutschen Vereinigung für
Krüppelfürsorge E. V. statt. Beginn: vormittags 10 Uhr. VorläufigeVor-
tragsfolge: 1. Wirkl. Geh. Ober-Med.-Bat Prof. Dr. Dietrich-Berlin:
Tagesnachrichten
68
Eröffnungsansprache. 2. Prof. Dr. E. Biesalski-Berlin: Ein Jahr Kriegs-
kröppelfürsorge mit besonderer Berücksichtigung der ärztlichen Tätigkeit.
8. Generalarzt Dr. Schnitzen-Berlin: Die stationären und ambulanten Für-
sorgeeinrichtnngen für Kriegsbeschädigte in Deutschland. 4. Oberstabsarzt
Prof. Dr. Spitzy-Wien: Die Anordnung und Organisation des Wieteer ortho¬
pädischen Spitals und der Invalidenschule. 5. Pastor Hoppe- Nowawes: Die
Friedenskrüppelheime als Grundlage für die gleichartige Fürsorge der Kriegs¬
verletzten. 6. Prof. Biedinger- Würzburg: Die Werkstätte als Heilmittel,
Vorbereitung und Ausbildung. 7. Uebnngsschulen für Hirnverletzte. Zum
Beferat ist aufgefordert: Prof. Goldstein-Frankfurt a. M. 8. Erziebungs-
direktor W ü r t z - Zehlendorf: Handübungsschulen. 9. Gewerbeschallehrer
Schl osser-Halle und Prof. Dr. Koepert-Dresden: a) Einarmer in der
Schule, insbesondere das Schreiben mit der linken Hand. — b) Bedeutung ein¬
armiger Lehrmeister für Einarmigenschulen. 10. Ministerialdirektor Dr. Dönh of f-
Berlin: Fortbildungsschule und Gewerbeschule im Dienst der Kriegskrüppel¬
fürsorge (Baugewerbeschule). 11. Landesökonomierat Meyer-Bode - Nürnberg:
Die landwirtschaftliche Ausbildung. 12. Kommerzienrat K r a i s s - Stuttgart: Die
geeignetsten Ausbilduugverfahren für die verschiedenen Erwerbsmöglichkeiten
der einzelnen Verletzungen. 18. Zeicheninspektor M öh r in g- Nürnberg: Lazarett,
Erwerbsschule und Berufsberatung als organisches Ganze. 14. Architekt Prof.
Hugo Eber har dt-Offenbuch: Die Bedeutnag der Qualitätsarbeit für die
Beschäftigung und den gewerblichen Unterricht. (Heimatkunst, Volkskunst,
Heimarbeit.)
Ehrentafel. Es haben weiterhin erhalten das Eiserne Kreuz I. Klasse:
Generalarzt Dr. Jo bann es-Saarbrücken.
Stabsarzt d. Bes. Dr. Ed. Beiß, Privatdozent in Tübingen.
Das Eiserne Kreuz II. Klasse:
Stabsarzt d. L. Dr. Ascher, Kreisarzt in Berlin.
Stabsarzt d. Bes. Dr. Buchholtz, Mitglied des KaiserL Gesundheits¬
amtes in Berlin.
Oberstabsarzt d. Bes. Geh. Beg.-Bat Prof. Dr. Händel, Direktor im
Kaiser!. Gesundheitsamt in Berlin.
Keg.-Bat Dr. Hamei, Mitglied im Kaiser!. Gesundheitsamt in Berlin,
Delegierter des Kaiserl. Kommissars für freiwillige Krankenpflege.
Stabsarzt d. Bes. Dr. Klok,. wissenschaftlicher Hilfsarbeiter im Kaiserl.
Gesundheitsamts in Berlin.
Stabsarzt d. Bes. Prof. Dr. Lange, Mitglied des Kaiserl. Gesundheits¬
amtes in Berlin.
Stabsarzt d. L. Dr. Mangelsdorf, Kreisassistenzarzt des Stadt- und
Landkreises Stolp.
Kriegsfreiwilliger Arzt beim Kriegslazärett Abt. 131 in Bußland, San.-Bat
Dr. Podlewski, Kreiswundarzt a. D., Berlin-Schöneberg.
Assistenzarzt d. Bes. Dr. Boos, wissenschaftlicher Hilfsarbeiter im
Kaiserl. Gesundheitsamte in Berlin.
Das Eiserne Krenz am schwarz-weißen Bande:
Geh. Med.-Bat Dr. Behrend, Kreisarzt in Kolberg.
Außerdem haben erhalten: Das Königl. Sächische Kriegsver¬
dienstkreuz: Med.-Bat Dr. Petz hold t, Bezirksarzt in Pirna; — das
') In Bezug auf die Ehrentafel muß sich die Bedaktion darauf be¬
schränken, nur diejenigen Auszeichnungen zu bringen, die Medizinalbeamten
und Mitgl ieder der Medizinalbeamtenvereine betreffen. Nur die
Verleihungen des Eisernen Kreuzes I. Klasse werden auch weiterhin vollständig
gebracht werden, ebenso die Namen der auf dem Felde der Ehre ge¬
fallenen oder gestorbenen Aerzte. Die Mitteilungen werden sich
jedoch auch ferner auf die im Felde stehenden Söhne der Medizinalbeamten usw.
erstrecken, soweit sie der Bedaktion bekannt geworden sind; sie ist deshalb
für die Zusendung solcher Mitteilungen sehr dankbar.
64
Tageanachrichten
Königl. Wflrttembergische Wilhelmskrens mit 8chwertem:
Generaloberarzt <L L. and sachverständiger Beirat Medizinaldirektor Dr.
▼. Rembold in Stuttgart; — das Bitterkreas II. Klasse des
Sachsen-Ernestineschen Hansordens: Polizeiarzt Dr. Steude-
mann in München; — das Ritterkrenz II. Klasse des Königlich
Sächsischen Albrechtsordens mit Schwertern: Assistenzarzt
d. Res. Dr. Petzholdt, Sohn des Med.-Rats Dr. Petzholdt, Bezirksarzt
in Pirna. *
Ehren - OodiohtnlntafoL Für das Vaterland gefallen sind ferner:
Oberarzt d. L. Dr. Frank.
Geb. Med.-Rat Dr Prof. Dr. Fried rieh-Königsberg i. Pr.
Abteilnng8arzt Dr. Adolf Giesebrecht-Schmolsin (Reg.-Bez. Köslin).
Assistenzarzt d. Res. Dr. Hacker, Assistenzarzt der Provinzial-Heil-
nnd Pflegeanstalt in Göttingen.
Unterarzt d. Res. Hahn.
Feldnnterarzt W. Jacoby-Berlin.
Stabsarzt d. L. Dr. Hngo Ladenburger-Mannheim..
Feldnnterarzt Otto L an er- Wiesbaden (gestorben infolge von Krankheit).
Stabsarzt d. L. Dr. Leef he im-Bremen.
Assistenzarzt Dr. Pani Lindner-Danzig.
Stabsarzt d. L. Dr. Otto L o o s e - Berlin.
Stabsarzt d. L. Dr. Arthur Rosenberg-Berlin.
Assistenzarzt d. L. Dr. K. Schloß -Frankfurt a. M.
Cholera. Im Deutschen Reich sind Choleraerkrankungen auch
weiterhin nicht mehr vorgekommen; in Oesterreich betrug ihre Zahl (und
die der Todesfälle) vom 28. Nov. bis 11. Dez. v. J.: 10 (3) und 33 (9), davon
7 (3) und 32 (9) in Galizien, in Ungarn vom 29. Nov. bis 12 Dez. v. J.:
37 (19) und 72 (42), außerdem vom 18. Nov. bis 10. Dez. v. J. 675 (276) in einem
Gefangenenlager im Komitat Temes unter den dort untergebrachten Gefangenen;
»Kroatien und S1 a v o n i e n vom 20. Nov. bis 13. Dez. v. J.: 29 (11) u. 20 (18).
An Fleckfleber ist im Deutschen Reich vom 26. Dez. v. J. bis
1. Jan. d. J. nur eine Erkrankung gemeldet.
Pocken'Erkrankungen sind im Deutschen Reich in der Woche vom
26. Dez. v. J. bis 8. Jan. d. J. nur 1 (—) und 3 (—) beobachtet.
Erkrankungen und Todesfälle an ansteckenden Krankheiten ln
Preußen. Nach dem Ministerialblatt für Medizinal-Angelegenheiten sind in der
Zeit vom 12. bis 2ä. Dezember 1916 erkrankt (gestorben) an Pest, Gelb¬
fieber, Fleckfieber, Cholera, Tollwut, Rotz, Aussatz: — (—),
— (—); Bißverletzungen durch tollwntverdächtige Tiere:
10 (—), 4 (—); Milzbrand: — (1), — (—); Pocken: 8(1), 8 (-); Unter¬
leibstyphus: 328 (27), 155 (24); Ruhr: 76 (6), 38 (4); Diphtherie:
8717 (278), 3421 (285); 8charlach: 2752 (121), 2311 (123); Kindbett¬
fieber: 91 (28), 55 (16); Genickstarre: 9 (6), 5 (1); spinaler
Kinderlähmung: 1 (1), 3 (1); Fleisch-, Fisch- und Wurstver¬
giftung: 9 (—), 8 (—); Körnerkrankheit (erkrankt): 38, 38;
Tuberkulose (gestorben): 654, 660.
Mitteilung. Das Inhaltsverzeichnis für den letzten Jahrgang dieser
Zeitschrift wird infolge des durch den Krieg stark verminderten Setzer¬
personals der Druckerei erst der Nr. 3 beigefügt werden.
tion: Prof. Dr. Rapmund,
Geh. Med.-Rat in Minden i. W.
Ja C. O. Bnu, HertOfl. Bachs, u. FOrstl. Sch.- L. Hofbachdruckercl in Minden.
..
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null .öffgntliejie, GesmuHtflitewssen. - r$inäthtie{)ircfi far
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t >it ufl.i I.ab^riktjSaf^ ■
Ifr J l> vvm VI M hx f 314 .
3* TaeEohjr/ör, '•
■ Wä Ü
p m m mm.:
'M? 8 otiju teffiffwl-
29. Jahrg.
1916
Zeitschrift
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zcrtnlbtott
fflr das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie,
des staatlichen und privaten Versicherungswesens, sowie fOr das
Medizinal- und öffentliche Gesundheitswesen, einschließlich der
Hygiene und Bakteriologie.
Herusgegeben
TOD
Prot Dr. OTTO RAPMUND,
Geh. Med -Rat (n Minden l. W.
Offizielles Organ des Deutschen, ^reussischen, Bayerischen, Sächsischen,
Württembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen, Thüringischen,
Braunschweigischen und Eisass - Lothringischen Medizinalbeamtenvereins.
Verla# von Fiseher’s med. Buehhandlg E Kornfeld,
Henogl. Bayer. Hot- tl U u. JL Kammer - BTTOhMtndlar.
Berlin W. 62, Keithstr. 5t
Anzeigen aehmeo die VerlngflhftndlnBg sowie aHe Anieige nenn ahmest eilen dee In-
nad AueUndes entgegen.
Nr. 3.
Erscheint am I. und JM. Jeden HongtiJ 5. Febr,
Ted durch Ueberfahren mittels Autos?
7on Kreisarzt Dr. L5er, Paderborn.
Am 6. Januar 1914 wurde in einem kleinen Fichten¬
wäldchen, das unmittelbar an die von S. nach L. führende
Landstraße grenzt, von einem Jäger die Leiche eines unbe¬
kannten Mannes gefunden. Die Leiche lag, 35 m abseits der
Landstraße, auf dem Gesichte, den Kopf etwas nach der Seite
gewandt. Das Gesicht war mit Blut besudelt, unter dem linken
Auge nahe der Nase fand sich eine runde, tiefe Wunde mit
einem schmalen Seitenriß, auch am Hinterkopf fanden sich
einige Verletzungen. Bei der Leiche wurde eine leere Liter¬
flasche (Schnaps), ferner ein Kasten mit Kautabak, eine Streich¬
holzschachtel, eine Börse mit zwei 5-Pfennigstücken und die
Fetzen eines Briefes vorgefunden, aus dessen Aufschrift die
Leiche als die des am 1. Juni 1865 geborenen J. M. aus D. fest¬
gestellt wurde. M. war ein wegen Wilddieberei, Sittlichkeits-
Verbrechen und Bedrohung mit 5 / 4 Jahren Zuchthaus vorbe¬
strafter Mensch, der in der letzten Zeit sich in M. mit Korb-
macherei beschäftigt hatte.
66
I>r. Löer
An der Fundstelle waren Blut- oder Fußspuren nicht zu
sehen; auch wurden weder eine Waffe, noch ein sonstiger
Gegenstand gefunden; auoh eine Kopfbedeckung fehlte.
Der zur gerichtlichen Leichenschau zugezogene Arzt
Dr. W. erhob folgenden Befund:
ln der Umgebung des linken Nasenloches war die Haut blntig ver¬
färbt und z. T. fetzig zerrissen. Die Untersuchung des Nasenloches ergab
eine Zertrümmerung des Knorpels. 4 cm hinter dem rechten Ohr, 6—6 cm
oberhalb des Warzenfortsatzes fand sich ebenfalls eine Wunde (rundlich).“
Sein Gutachten lautete:
Meiner Meinung nach handelt es sich um eine Schußverletzung. Der
Schußkanal verläuft von der oben bezeichneten Stelle hinter dem Ohr zum
Gesicht zum linken Nasenloch. Verbrennung der Haut oder Haare wurde
nicht festgestellt Im übrigen wies der Körper keine Verletzungen auf.
Die am 9. Januar 1914 vorgenommene Leichenöffnung
ergab folgende bemerkenswerte Befunde:
A. Aeußere Besichtigung.
1. Die Leiche des etwa 46—50 Jahre' alten Mannes ist 162 cm lang, der
Körperbau ist mittelkräftig, Ernährungszustand mittelmäßig, Muskulatur gut.
3. Das Gesicht ist durch Fichtennadeln, vereinzelte Borken von
Fichtenrinde und etwas schwärzliche Erde ziemlich gleichmäßig beschmutzt,
besonders auf der rechten Gesichtshälfte. An der rechten Stirnhälfte
unterhalb der Haargrenze, 4 cm oberhalb der rechten Augenbraue, befindet
sich eine mehr bräunlich gefärbte Hautstelle von unregelmäßiger Gestalt und
3 zu 3 cm Größe, an der die Oberhaut fehlt. Eingeschnitten zeigt sich ein
freier Bluterguß im Gewebe.
Am Nasenrücken, an der Nasenspitze beginnend und bis ungefähr zur
Mitte des Nasenrückens reichend, fehlt die Haut in einer Länge von 2 cm und
einer Breite von 1V* cm. Die Bänder des Defekts sind unregelmäßig wie
zerfressen; das freiliegende Unterhautgewebe ist ebenfalls mit schwärzlichem
Schmutz und einzelnen Fichtennadeln bedeckt. Die erhaltenen Hautränder
zeigen keine blutige Durchtränkung. Links von diesem Hautdefekt fehlt die
Haut und zum Teil das Unterbautgewebe bis auf den seitlichen Nasenknorpel
in einer Ausdehnung von 8 cm Länge und teils 1, teils 2 cm Breite. Dieser
Defekt ist von dem vorgenannten durch eine Hautbrücke getrennt, die im
unteren Teile der Nase 1—2 mm, in der Mitte der Nase 2 cm breit ist. Der
Defekt greift in einem nach oben gerichteten Bogen, fast parallel dem unteren
Augenlid verlaufend, auf die linke Wange über und endet 2‘/t cm oberhalb
des linken Mundwinkels. Seine Bänder und Bein Grund zeigen dieselbe Be¬
schaffenheit, wie bei dem ersten Hautdefekt am Nasenrücken beschrieben.
An dem äußersten Ende des Defekts befindet sich, Vs cm von ihm entfernt,
auf der linken Wange eine bräunliche Hautverfärbung von rundlicher Gestalt,
mit einem Durchmesser von 0,5 cm. An dieser Stelle ist die Oberhaut entfernt,
die Bänder sind zackig; eingeschnitten zeigt sich kein Bluterguß.
Nach Abwaschen des Gesichts werden weitere Verletzungen nicht ge¬
funden. ln der rechten Ohrmuschel befindet sich eine dünne Schicht hell¬
roten Blutes, die auch in den äußeren Gehörgang reicht, soweit dieser zu
übersehen ist. Am Bande der rechten Ohrmuschel ist die Baut im oberen
Teile blaurot gefärbt, an 3 Stellen von Klein Erbsen- bis Linsen-Größe ist
die Oberhaut abgehoben, haftet aber noch an den Bändern fest. Eingeschnitten
findet sich unter dieser Partie ein kleiner flächenhafter Bluterguß. An der
Bückfläche der Ohrmuschel fehlt die Oberhaut in Form eines Dreiecks, dessen
Längsseite 8 cm lang und dessen nach dem Ohransatz gerichtete Spitze 27* cm
von dem Bande der Ohrmuschel entfernt ist. Die Bänder sind unregelmäßig
zackig, ähnlich den vorhin auf der Nase und der Wange beschriebenen
Defekten. Die gleiche Beschaffenheit zeigt die freiliegende Lederhaut, auch
hier sind die Bänder nicht blutig durchtränkt.
Auf dem mit etwa 3—4 cm langen, ziemlich dichten dunkelblonden
Haaren bedeckten Schädel ist die Haut in .der Gegend des rechten 8cheitel-
Tod durch Ueberfahren mittels Autos?
67
höekers mit einer dttnnen Schicht eingetrockneten Blutes besudelt, die sich
fast über die ganze rechte hintere Kopfhälfte eretreckt. Nach Abwaschen
dieser Schicht und Entfernung der Haare zeigt sich auf dem rechten Scheitelhöcker ,
7 cm oberhalb des Ohransatzes, 8 cm von der Scheitelhöhe entfernt, eine
schmutzig braunrot gefärbte Hautstelle von rundlicher Gestalt und einer Größe
von 2 zu 27* cm Durchmesser. Innerhalb dieser Hautstelle findet sich eine
von vorn oben nach hinten unten verlaufende, 27t cm lange, 1—2 mm breite
Zusammenhangstrennung der Haut, die mit lockerem Blute verklebt ist.
Zwischen den Wundrändern sind einzelne Hautbrttcken erhalten.
Vom oberen Bande dieser Hautdurchtrennung zweigt sich etwas nach
dem Ohre zu, der ersteren fast parallel verlaufend, eine kleine, 1 cm lange,
mehr oberflächliche Durchtrennung der Haut ab. Die Bänder beider Hant-
durchtrennungen sind unregelmäßig und blutig durchtränkt. Sonst sind am
Schädel keine Verletzungen vorhanden.
8. Die Brust ist gut gewölbt, Zwischenrippenräume weder verbreitert,
noch eingesunken. Keine Verletzungen.
9. Am Bücken sind keine Verletzungen.
B. Innere Besichtigung.
I. Kopfhöhle.
14. Die weichen Kopfbedeckungen sind an ihrer Innenfläche im
aUgemeinen blaß-gelblich. Entsprechend der an der rechten Stirnhälfte be¬
schriebenen Braunverfärbung der Haut ist die Kopfschwarte stark blutig
durchtränkt. Zwischen ihr und dem Schädelknochen liegt ein flächenhafter
Bluterguß von 2—4 cm Breite und 1—17« cm Dicke. Die vorhin be¬
schriebene, auf dem rechten Scheitelhöcker befindliche Hautdurchtrennung
durchsetzt nicht die ganze Dicke der Kopfschwarte, sondern etwa derselben;
die weichen Kopfbedeckungen sind jedoch in der ganzen rechten Schläfengegend
mit einem flächenhaften Bluterguß von 12 zu 10 cm Größe und bis 7* cm
Dicke durchsetzt. Auch die Knochenhaut ist an der entsprechenden Stelle
durch einen Bluterguß durchsetzt. Unter dieser Stelle findet sich eine schwere
Zertrümmerung des Schädelknochens und zwar ist die ganze rechte
Schläfenbeinschuppe in drei Stücke zertrümmert, die sich leicht abheben lassen.
Das größte Knochenstück hat eine Länge von 6 und eine Breite von 4 cm;
die beiden kleineren, die gleich groß sind, eine Länge von 8 und eine Breite
von 2'/* cm. Von dem vorderen Winkel des Knochendefekts zieht bis zur
Mitte des Vorderhauptbeines ein linienförmiger Knochensprung von 4 1 /« cm
Länge. Unter dem Knochendefekt liegt auf der harten Hirnhaut ein
Erguß geronnenen Blutes, etwa l 1 /« Eßlöffel voll. Die harte Hirnhaut selbst
zeigt sich an dieser Stelle in einer Länge von 4 cm spaltförmig durchtrennt.
Der Schädel sägt sich ziemlich leicht, er ist an der dicksten Stelle
1V» cm, an der dünnsten 4 mm dick.
16. Zwischen harter und weicherHirnhaut liegt in der Gegend des
rechten Schläfenhirns ein flächenhafter Bluterguß von 10: 12 cm Größe. Die
Maschen der weichen Hirnhaut sind zwischen den Gehirnwindungen überall,
auch an der linken Seite und an der Unterfläche, mit teils leicht geronnenem
Blute vollständig ausgefüllt. Die Gefäße der weichen Hirnhaut sind bis etwa
'/« ihrer Bundung mit dunklem Blute gefüllt. Die weiche Hirnhaut selbst ist
überall durchsichtig, zart und glänzend und läßt sich leicht abziehen.
In sämtlichen Schädelgruben befinden sich Blutgerinnsel, besonders
stark in der rechten mittleren und der linken vorderen Schädelgrube. Die
beiden letzteren sind fast vollständig durch diese Blutgerinnsel ausgefüllt.
17. Die beiden Hirnhalbkugeln sind gleichmäßig gewölbt, ihre
Windnngen deutlich ausgeprägt, im rechten Schläfenhirn findet sieh ein
Substanzverlust von 3:1 cm Größe, der bis in die rechte Seitenkammer
hineinreicht.
18. Beide 8eitenhöhlen sind etwas erweitert, die rechte enthält in ihrem
Vorderhorn einen Eßlöffel voll leicht geronnenen Blutes, die linke etwa
1*/* Teelöffel voll gleichen Gerinnsels.
22. Von dem hinteren und unteren Bande der unter Ziffer 14 beschriebenen
Knocbenzertrümmerung zieht sich ein schmaler Knochenspalt durch die
rechte hintere Schädelgrube bis zum großen Hinterhauptsloch, von da durch
die linke hintere Schädelgrnbe bis in die linke mittlere Schädelgrabe. Von
68
t)r. Löer.
dem vorderen unteren Winkel der Zertrümmerung des rechten Schläfenbeins
zieht sich ein ähnlicher Enochenspalt qner durch die mittlere Schädelgrnbe
und das Keilbein bis in die linke Schläfenbeinschuppe. Infolge dieser Knochen¬
brache sind die vordere und hintere Schädelhälfte an der Basis völlig gelockert
und gegeneinander beweglich.
U. Hals-, Brust- und Bauchhöhle,
a. Brusthöhle.
25. Das Mittelfell ist im oberen Teile blaßrötlich, im unteren Teile
ist es durch einen 6 : 4 : 0,4 cm großen flächenhaften Bluterguß durchsetzt, der
auf die Vorderfläche des Herzbeutels reicht.
27. An der Vorderfläche der Lungenschlagader befindet sich ein
dünner Bluterguß von 2:2'/* cm Größe. Die Innenwand ist unverletzt.
28. In der Gegend der linken Lungenwurzel finden sich mehrere ober¬
flächliche Blutergüsse von Pfennig- bis 6 Markstückgröße, die etwa */* cm weit
in das Lungengewebe reichen. Auch an der rechten Lungenwurzel zeigen sich
mehrere bohnengroße Blutergüsse von ähnlicher Bescbafienheit.
80. Die Hauptschlagader der Brust zeigt an ihrer Vorderfläche
einen dünnen flächenhaften Bluterguß von 12 cm Länge und 8-4 cm Breite.
Ihre Innenwand nnd die Schlagader wand selbst sind unverletzt.
81. An der Vorderfläche der Brustwirbelsäule findet sich haupt¬
sächlich in der rechten Hälfte ein flächenhafter Bluterguß, der auf die Innen¬
seite der rechten Brustwand übergreift. Dieser Bluterguß hat eine Länge von
18, eine Breite von 8—13 cm. Innerhalb dieses Blutergusses zeigen sich die
dritte, vierte nnd fünfte rechte B,ippe an ihrem Ansatz an die Wirbelsäule,
ferner die fünfte, sechste und siebente rechte Bippe in ihrer Mitte gebrochen.
Die Brnchränder sind überall zackig und blutig durchtränkt. Die Wirbel¬
säule selbst ist unverletzt.
In der Bauchhöhle und an ihren Organen wurden keine Abweichungen
oder Verletzungen festgestellt.
Die Gerichtsärzte gaben folgendes vorläufige Gut¬
achten ab:
„1. Der Tod ist hervorgerufen durch die außerordentlich schweren Ver¬
letzungen des Schädels und der Brnst.
2. Diese Verletzungen sind hervorgerufen durch eine erhebliche stumpfe
Gewalt.
3. Ob ffemde Schuld vorliegt, geht aus der Obduktion~nicht hervor.
4. Die Präge des Richters, ob der Tod durch eine Schußverletzung
herbeigeführt ist, verneinen wir.
6. Ein begründetes Gutachten behalten wir uns ausdrücklich vor. 4
Ueberblickt man den vorstehenden Befund, so ist zunächst
eine Schußverletzung auszuschließen. Die von dem zur
Leichenschau zugezogenen Dr. W. offenbar als Ausschußöffnung
angesehenen Haut- und Gewebsdefekte an der Nase sind, da
Zeichen vitaler Reaktion vollkommen fehlten, postmortal ent¬
standen und zwar nach ihrem Aussehen durch Nagen von
Mäusen. Dasselbe gilt bezüglich des Hautdefekts an der Rück-
fläche der rechten Ohrmuschel. Die als Einschußöffnung ange¬
sprochene Wunde am rechten Scheitelhöcker mußte nach ihrer
Beschaffenheit als Quetschwunde, keinesfalls aber als Schu߬
wunde gedeutet werden.
Sieht man von den zweifellos postmortal durch Annagen
von Mäusen entstandenen Verletzungen ab, so wurden nur am
Kopfe bei der äußeren Besichtigung Zeichen von Verletzungen
vorgefunden und auch diese waren ziemlich unbedeutend, nämlich:
1. eine oberflächliche Quetschwunde in der Gegend des
rechten Stirnhöckers,
Tod durch Ueberfahren mittels Autos?
6»
2. eine stärkere Quetsohwunde in der Gegend des rechten
Scheitelhöckers,
3. drei kleine Hautabschürfungen am Rande der rechten
Ohrmuschel und der Befund von Blut im rechten äußeren
Gehörgang.
Der ganze übrige Körper war frei von äußeren
Verletzungen. Um so überraschender war der Be¬
fund an den inneren Organen: Am Schädel: Starke
blutige Durchtränkung der Kopfschwarte am rechten Stirn- und
Scheitelhöcker, starker Bluterguß zwischen ihr und dem
Schädelknochen; völlige Zertrümmerung der rechten Schläfen¬
beinschuppe, spaltförmige Zerreißung der harten Hirnhaut unter¬
halb der Knochenzertrümmerung, großer Bluterguß zwischen
harter und weicher Hirnhaut, Ausfüllung der Maschen der
weichen Hirnhaut mit lockeren Blutgerinnseln auch an den
übrigen Gehirnteilen, Zertrümmerung der Gehirnmasse im
rechten Schläfenlappen, welche bis in die Seitenhöhle hinein¬
reichte, Blutergüsse in beiden Seitenhöhlen, schließlich spalt¬
förmige Schädelbasisbrüche, die von der Knochenzertrümmerung
im rechten Schläfenbein ausgehend, einerseits durch die rechte
hintere Schädelgrube bis zum großen Hinterhauptsloch, von da
durch die linke hintere Schädelgrube bis in die linke mittlere
Schädelgrube reichte, anderseits vom vorderen unteren Winkel
des Schläfenbeindefektes quer durch die mittlere Schädelgrube
und das Keilbein bis in die linke Schläfenbeinschuppe zog,
so daß die vordere und hintere Schädelhälfte an der Basis
völlig gelockert und gegeneinander beweglich waren.
Noch auffälliger war der Befund an den Organen der
Brusthöhle, weil am Brustkorb und am Rücken bei der
äußeren Besichtigung keinerlei Zeichen einer stattgehabten
Verletzung festgestellt werden konnten. Es fanden sich: Ein
ziemlich großer flächenhafter Bluterguß im unteren Teile des
Mittelfells, ein kleiner Bluterguß an der Vorderfläche der
Lungenschlagader, kleinere Blutergüsse an der linken und
rechten Lungenwurzel, ein langer, dünner Bluterguß an der
ganzen Vorderfläche der großen Brustschlagader, ein flächen¬
hafter Bluterguß an der Vorderfläche der Brustwirbelsäule, der
in großer Ausdehnung auf die Innenseite der rechten Brust¬
wand Übergriff, innerhalb dieses Blutergusses Brüche der rechten
dritten, vierten und fünften Rippe an ihrem Ansatz an die
Wirbelsäule, ferner der fünften, sechsten und siebenten Rippe
in ihrer Mitte.
Daß die außerordentlich schwere Kopfverletzung den
augenblicklichen Tod zur Folge gehabt hat, ist wohl nicht
zweifelhaft, dagegen dürften die Verletzungen an und in der
Brust nicht ohne weiteres als unbedingt tödlich anzusehen sein.
Es fragt sich nun, wodurch sind die schweren Verletzungen
entstanden, handelt es sich um zwei getrennte Traumen, von
denen das eine den Kopf und das andere die Brust betroffen
70 Dr. Löer: Tod dnroh Ueberfahren mittels Autos/
hat oder können die gesamten Verletzungen durch ein einziges
Trauma hervorgerufen sein?
Die Leiche wurde in einem kleinen Fichtenwftldchen ge¬
funden. Es wäre denkbar, daß der Mann in eine der Fichten
geklettert und dann abgestürzt sei und sich durch Sturz die
Verletzungen zugezogen hätte. Diese Möglichkeit ist jedoch
ausgeschlossen, weil die Fichten nur einige Meter hoch waren
und der Untergrund sehr weich war, so daß unmöglich durch
einen Fall solch schwere Verletzungen entstehen konnten.
Viel wahrscheinlicher ist es, daß der Mann im Dunkeln
auf der von Automobilen und sonstigen Fuhrwerken ziemlich
viel befahrenen Landstraße überfahren und von den Insassen
des Fuhrwerks in die anstoßenden Fichten geschleppt worden
ist, um sich der Verfolgung zu entziehen. Dadurch würde sich
auch das Fehlen der Kopfbedeckung ungezwungen erklären.
Ein sicherer Schluß auf die Art des Gefährtes läßt sich
allerdings aus dem Leichenbefunde nicht ziehen.
Straßmann, der auf der VII. Tagung der Deutschen
Gesellschaft für gerichtliche Medizin in Karlsruhe im Jahre 1911
über seine in dieser Hinsicht gemachten Erfahrungen berichtet,
erklärt: Die geringe Hautverletzung beweist kein Ueberfahren
durch Automobil. 1 )
Hoff mann bemerkt in einer Arbeit, in der er über
14 Fälle von Tod durch stumpfe Gewalt berichtet, in denen
durchweg schweren inneren nur geringe äußere Verletzungen
gegenüberstanden, daß nach seiner Erfahrung die mit Gummi¬
reifen bewehrten schweren Räder sich in ihren Wirkungen
durch nichts unterscheiden von den schweren Rädern eines
beladenen Sandwagens. Auch das Ueberfahren durch diesen
verursachte nur geringe Blutunterlaufungen. *)
Ziemke berichtöt über einen Fall, in welchem ein Mann
von einem Lastwagen überfahren worden war, bei dem an
der Halswirbelsäule sich eine Diastase von 6 cm fand, ohne
daß die äußere Haut Verletzungsspuren zeigte. Man hatte hier
zunächst an ein Auto gedacht. *)
Ziemke hat in seinem Institute die Erfahrung gemacht,
daß beim Ueberfahrenwerden durch Automobile fast immer der
Kopf und die Brusthöhle (vgl. obigen Fall!) getroffen werden.
„Radspuren waren jedenfalls immer deutlich.“ *)
Es läßt sich demnach im vorliegenden, leider unaufgeklärt
gebliebenen Falle aus dem Obduktionsbefunde allein kein siche¬
res Urteil über die Art der Gewalt, die den Tod herbeigeführt
hat, abgeben. Am ungezwungensten finden die Verletzungen
ihre Erklärung durch die Annahme, daß der Mann durch ein
Automobil oder ein anderes schweres Fuhrwerk überfahren, und
daß seine Leiche von dem oder den Tätern zwecks Verheim¬
lichung des Geschehnisses in das benachbarte Fichtenwäldchen
geschleppt worden ist.
l ) Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin; 1912, II. Supplement.
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
71
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
A. Saohverständlgentätlgkeit auf mllitärärztliohem Gebiete.
Fraktionelle Nervenstörungen bei Kriegsteilnehmern nebst Be«
merknngen zur tranmatischen Neurose. Von Prof. E. Meyer-Königsberg.
Deutsche med. Wochenschrift; 1916, Nr. öl.
Unter 1126 Aufnahmen von Offizieren und Soldaten im ersten Kriegs¬
jahr, die Psychosen und Neurosen betreffen, befanden sich 148 Psychogenien,
pathologische psychogene Reaktionen oder hysterische Störungen, 128 Kranke
mit psychopathischer Veranlagung und 76 mit traumatischer Neurose, prozentual
etwa */3 der Gesamtheit des klinischen Materials.
Von den klinischen 76 traumatischen Neurosen waren nicht
weniger als 47 vor dem Kriegsdienst entstanden, bei nur & von ihnen
war eine Steigerung im Kriege anzunehmen. Bei einem sehr großen Teil waren
die Unfälle schwerer Art gewesen und hatten speziell den Kopf betroffen.
29 yon den 76 Kranken hatten sich die traumatische Neurose im Kriege
zugezogen, und zwar lagen 17 mal bei ihnen Kopfverletzungen, 5 mal andere
Verletzungen und 11 mal Unfälle im Kriege vor, also auch hier das Ueber-
wiegen der Kopfverletzungen. Bei fast einem Drittel der im Kriege
entstandenen traumatischen Neurosen waren Nerven- oder Geisteskrankheiten
in Friedenszeiten vorausgegangen, mehrfach fanden sich andere mit¬
wirkende Momente wie chronischer Alkoholismus. Die anamnestischen
Angaben der Kriegsteilnehmer sind auffallend gut im Gegensatz zu den
Kranken mit traumatischer Neurose in Friedenszeiten. Das klinische Bild
weicht nicht ab bis auf die Beobachtung psychogener Dämmer- und Erregungs¬
zustände, Anfälle u. dergl. m.
Danach führen die kriegerischen Ereignisse ganz besonders oft zu
psychisch-nervösen Störungen psychogener Art — vielfach bei
einer gewissen Disposition. Es wäre auch unbegreiflich, wenn derartige
seelische Erschütterungen, wie sie dieser Krieg bringt, bei den dauernden
Anstrengungen, Eatbebrungen, körperlichen Schädigungen usw. spurlos an dem
hoch organisierten Nervensystem zivilisierter Völker vorübergehen würden.
Ebenso natürlich ist es, daß traumatische Neurosen durch Kriegs¬
verletzungen zur Entwicklung kommen. Mit dieser Feststellung und der
Annahme einer verhältnismäßigen Häufigkeit der funktionellen Nervenstörungen
im Kriege ist aber in keiner Weise der Beweis einer allgemeinen
8chwäche des Nervensystems gegeben. ,
Die oft erwogene Frage, ob nicht die fortschreitende Kultur
den Keim zur Entartung der Völker in sich trage, wird durch
die Belastungsprobe, wie dieser Weltkrieg sie bildet, verneint. Da das Nerven¬
system das feinste Reagens für den Stand der Kultur ist, so würde sich in
dessen Schädigung die Entartung offenbaren. Von einer Entartung durch die
fortschreitende Kultur kann aber nach den Erfahrungen dieses Krieges keine
Rede sein. Vielmehr haben die recht behalten, die überzeugt waren, daß das
heranwacbsende Geschlecht, das ja gerade aus dieser Kultur, deren entartende
Wirkung man fürchtet, neue Kenntnisse und Fähigkeiten in ungeahntem Maße
auf allen Gebieten gewann, dadurch auch mit mehr Widerstands¬
kraft ausgestattet erfolgreich den Stürmen der modernen
Zivilisation trotzen würde (L. Meyer).
Dr. R o e p k e - Melsungen.
Vorbereitende Behandlung der Beinamputierten. Von Stabsarzt
Dr. J. L e w y - Freiburg i. B. Deutsche med. Wochenschrift; 1916, Nr. 1.
Nach der Absetzung des Gliedes und der dem Abschluß sich nähernden
Verheilung der Operationswunde kommt es darauf an, 1. möglichst bald end¬
gültige Formverhältnisse der Stumpfweichteile herbeizuführen, 2. die Haut des
Stumpfes abzuhärten, 3. dem verbliebenen Gliedreste die volle Beweglichkeit
zu erhalten, 4. das gesunde Bein zu kräftigen und für seine erhöhte Inan¬
spruchnahme leistungsfähiger zu machen, 5. suggestiv auf den Verstümmelten
einzuwirken. Alle diese Aufgaben können und sollen in Angriff genommen
werden, noch ehe die Amputationswunde zur vollen Heilung gelangt iflt.
Die Versorgungsansprüche der Amputierten werden, abgesehen
72
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
tou den Rechten, die ihnen das Invalidenversicherungsgesetz sichert, durch die
Milit&rpensionsgesetze sowie die Dienstanweisung zur Beurteilung der Militär-
dienstf&higkeit usw. vom 9. Februar 1909 geregelt. Danach gestalten sich
die Bezüge der Amputierten: a) aus feststehenden Bezügen: 1. Kriegs¬
zulage monatlich 15 Mark, 2. Verstümmelungszulage für je einen Fuß monatlich
27 Mark, b) aus veränderlichen Bezügen für die Erwerbsbeeintrfichtjgung:
für je 10°/o Im Monat beim Gemeinen 4,60 Mark, Unteroffizier 6 Mark,
8ergeant 7,50 Mark und Feldwebel 9 Mark.
Die Erwerbsbeeinträchtigung beträgt bei Verlust eines Unter¬
schenkels bei genügender Länge des Stumpfes zur Anbringung eines künst¬
lichen Gliedes und bei guter Beweglichkeit im Kniegelenk 60°/«, bei Verlust
eines Oberschenkels bis zur Mitte 75°/o, bei Verlust eines Oberschenkels über
die Mitte hinaus und bei Exartikulationen 80—85°/». Ein Sergeant, der den
Unterschenkel unterhalb des oberen Drittels eingebüßt hat, würde demnach
zu beanspruchen haben: 15 -f- 27 •+■ 6 X 7,60 = 87 M. im Monat. Nur der
Satz für die Erwerbsbeeinträchtigung kann nach späteren Prüfungen durch die
Inralidenprüfungskommission geändert werden, wenn sich die Erwerbsverhält¬
nisse geändert haben oder eine gewisse Gewöhnung an das Tragen des künst¬
lichen Gliedes anzunehmen ist.
Neben den Geldbezügen hat der Amputierte Anspruch auf ein künstliches
Bein und ein Stelzbein; statt des letzteren kann auch ein einfaches zweites
künstliches Bein bewilligt werden. Außerdem übernimmt die Militärverwaltung
einmalig die Kosten für ein Paar geeigneter Stiefel.
_ Dr. Roepke-Melsungen.
yfinterkuren und Verwundetenfürsorge. Von San.-Rat Dr. Lilien-
thal-Berlin. Medizinische Reform; 1916, Nr. 1.
Die klimatische Behandlung muß auch im Winter für die Kriegs-
Rekonvaleszenten nutzbar gemacht werden; natürlich muß genau individualisiert
werden, denn so vorteilhaft die Winterkuren viele Krankheiten beeinflussen, so
schädlich und verschlimmernd können sie auf andere Krankheiten wirken.
Dr. Hoffmann -Berlin.
B. Bakteriologie «ad Bektmpfang der Abertragbaren Krankheiten.
L Bakteriologie.
Erfahrungen mit dem Büchsenagar von Uhlenhuth und Messerschmidt
In China. Von Priv.-Doz. Dr. H. Dold, Leiter des hygienischen Instituts
der deutschen Medizinschule in Schanghai. Deutsche med. Wochenschrift;
1916, Nr. 1.
Von der Firma Ungemach A. G. in Straßburg-Schiltigheim wurden
am 14. Mai folgende Büchsennährböden: 8°/o Nähragar, Gelatine, Lackmus¬
laktoseagar nach Drigalski-Conradi, Fuchsinsulfitagar nach Endo,
Pepton-Glyzerin-Galle, Aszites in */«• Dosen abgeschickt und am 19. September
in Schanghai untersucht. Die Nährböden hatten einen annähernd dem Umfang
der Erde entsprechenden Weg zurückgelegt und waren auf dieser langen Reise
mancher Unbill und Temperaturen von 80 bis 40° und mehr ausgesetzt.
Mit Ausnahme der Gelatine waren sie in tadellosem Zustande angekommen
und erwiesen sich bei den Untersuchungen in jeder Beziehung als gleichwertig
dem im eigenen Laboratorium hergesteilten Nährbodenmaterial. Die Büchsen-
Nährböden haben daher mit Ausnahme der Büchsen-Gelatine ihre Versendbar-
keit in die entferntesten Gegenden der Erde einschließlich der Tropen und
ihre lange Haltbarkeit bewiesen. Ihre Handhabung ist denkbar einfach, eine
Schwierigkeit in der sterilen Gewinnnng besteht nicht. Die Versendung der
Büchsengelatine nach heißen Ländern oder durch heiße Zonen empfiehlt sich nicht;
die übrigen Büchsennährböden übertreffen wegen ihrer größeren Bequemlichkeit
noch die Trockennährböden von Doerr. Sie gehören in Zukunft zur Aus¬
rüstung der fliegenden Laboratorien, entlasten die bakteriologischen Laboratorien
im Felde und bieten unter normalen Verhältnissen den großen Vorteil der
Zentralisierung der Nährbödenherstellung. Auch arbeitsökonomische
Gründe empfehlen die Einführung der Büchsennährböden von Uhlenhnth
and Messerschmidt. Dr. Roepke-Melsungen.
Kleinere Mitteilungen und Referate aas Zeitschriften.
78
Wiederholte Benutzung tob Bakterlennährbflden and Em&ti ron
Fleischextrakt durch Pflanzenextrakte. Die Terwertbarkeit der konser-
Tlerten Nährböden für den Feldgebranch. Von G. F. Gnth, Abteilungs-
rorsteher am kgl. hygienischen Institut Saarbrücken. Deutsche med. Wochen¬
schrift; 1915, Nr. 62.
Gewöhnlicher Nähr-Agar (1°/* Fleischextrakt, l°/o Pepton, 0,5 °/* Koch¬
salz und 3°/o Agar enthaltend) läßt sich zur wiederholten Verwendung her-
richten, indem man ihn in der für den Endoschen Nährboden angegebenen
Weise klärt, mit Salzsäure neutralisiert und darauf mit Sodalösung wieder
alkalisch macht. Der dem Agar in manchen Fällen, ganz besonders nach dem
Besäen mit Cholerabazillen, anhaftende unangenehm ammoniakalische Geruch
bleibt meistens unvermindert bestehen, auch nach dem Erhitzen und Neutra¬
lisieren. Die ihn bedingenden Eiweißzersetzungsprodukte verursachen jedoch
keine wesentliche Beeinflussung des Bakterienwachstums. Ob sich der so
regenerierte Agar auch zur Bakterienzüchtung zwecks Impfstoffbereitung
eignet, ist noch nicht festgestellt.
Die Verwendung von Pflanzenauszügen bezw. Pflanzenextrakten statt
Fleiscbextrakt bedeutet eine große Verbilligung in der Herstellung der Nähr¬
böden. Es wurden Versuche mit allen im Großhandel vorkommenden Getreide-
und Leguminosearten, ferner mit Nähr-ähnlichen Präparaten, Ochsena aus¬
geführt und die günstigsten Ergebnisse mit Auszügen von
Bohnen und Sojabohnen erzielt. Herstellung: 100 g Bohnen mit
600 ccm Wasser 2 X 2t Stunden bei Zimmertemperatur stehen lassen, dann
1 Stande im Dampftopf erhitzen, überstehende Flüssigkeit abseihen und Rück¬
stand nochmals mit 500 ccm Wasser 1 Stunde erhitzen, abseihen und leicht
auspressen; die vereinigten Auszüge auf 1 Liter auffüllen und zur Herstellung
von Nähr-Agar 1°/# Pepton, 0,5% Kochsalz und 3—4% Agar zusetzen.
8ojabohnen werden ohne vorherige Extraktion mit kaltem Wasser direkt im
Dampftopf erhitzt. Aus 1 kg Bohnen erhält man etwa 200 g eines dunkel¬
braunen, angenehm aromatisch riechenden Extraktes von der Konsistenz des
Liebig sehen. Sojabohnen liefern etwa 10°/o mehr Extrakt, der geruchlos
ist. Augenfällige Unterschiede im Wachstum der einzelnen Bakterienstämme
waren nicht wahrzunehmen, nur die Farbstoffbildnng von Bac. pyocyaneus und
Bac. prodigiosus weniger gut entwickelt als auf dem Fleischextrakt-Agar.
Typhus-, Paratyphus- und Dysenteriebazillen wuchsen in gleicher Anzahl und
Größe. Die Kolonien erschienen manchmal weniger zart als auf den Fleisch¬
extraktnährböden und zeigten am Rande der Platten bisweilen einen rötlichen
Schimmer. Für die Praxis sind alle diese Erscheinungen keine Beeinträchtigung.
Eine ungünstige Beeinflussung der Agglutinierbarkeit war nicht festzustellen.
Somit sind die Bohnen- und Sojabohnenn&hrböden, wie ver¬
gleichende 8tuhlnntersuchangen gezeigt haben, mit gleichem Erfolge
verwendbar wie die mit Fleischextrakt bergestellten. Ihre Herstellung ist aber
zurzeit wegen der schwierigen Beschaffung von Bohnen und besonders Soja¬
bohnen nicht durchführbar. Vielleicht bieten die in den Handel kommenden
geschroteten und entfetteten Sojabohnen ein billiges Ausgangsmaterial. Die
Fabrik E. Merck-Darmstadt bringt als Ersatz von Fleischextrakt zur Her¬
stellung von Nährböden ein Präparat unter dem geschützten Namen „Legumin-
Pflanzenextrakt“ in den Handel.
Die Prüfung der nach Angabe von Uhlenhuth und Messerschmid t
von dem Laboratorium Ungemach -Schiltigheim i. Eis. hergestellten Nähr-
bouillon, Nährgelatine, Nähragar, Endo-Agar und Drigalski-Agar ergab
ihre Gleichwertigkeit mit den im Institut frisch hergestellten Nährböden. Sie
waren nach der Entnahme aus den Blechbüchsen stets steril und von gleicher
äußerer Beschaffenheit. Typhus-, Paratyphus- und Ruhrkolonien zeigten gleiche
Entwicklung und gleich charakteristisches Aussehen; ebenso hatten die mit
der Nährgeiatine ausgeführten vergleichenden Wasseruntersuchungen im
wesentlichen dasselbe Ergebnis. Für den Gebrauch im Laboratorium beein¬
trächtigt eine Verdünnung der Uhlenhuth -Messerschmid t sehen Nähr¬
böden mit 20 */o steriler Kochsalzlösung das Bakterienwachstum nicht merklich.
Sie können für Laboratorien, die auf gebrauchsfertig gelieferte Nähr¬
böden angewiesen werden, sehr empfohlen werden.
_ Dr. Roepke-Melsungen.
74
Kleinere Mitteilungen and Referate aus Zeitschriften.
2. Bekämpfung übertragbarer Krankheiten im allgemeinen.
Bakteriologische Erfahrungen Uber Kriegsseuchen. Von Oberstabsarzt
Dr. Hans Aronson, Hygieniker beim stellvertretenden Sanitätsamt IV. Armee¬
korps. Medizinische Klinik; 1915, Nr. 47 und 48.
Der Verfasser berichtet über seine an mehr als 10000 Einzelunter¬
suchungen infektionsverdächtigen Materials gemachten Erfahrungen über die
sogenannten Kriegsseuchen:
Typhus abdominalis. Die Diagnose des Typhus im Laboratorium zer¬
fällt in die serologische und bakteriologische. Die Widalsche Reaktion ist
fast völlig wertlos geworden, da die geimpften Soldaten ebenfalls positiv
Widal aufweisen. Die Typhusbazillen gelangen zum Nachweis in den
Ezkreten oder im Blut. Die Züchtung der Typhusbazillen aus dem Stuhl ist
erschwert durch ihre Aehnlichkeit mit den Colibazillen. Differentialdiagnostisch
kommt in Betracht: 1. Die Unfähigkeit der Typhusbazillen, Milchzucker zu
zersetzen, 2. die andersartige Einwirkung der beiden Bakterien arten auf den
Traubenzucker. Der Typhusbacillus vergärt niemals Milchzucker, gelegentlich
allerdings auch der Coli nicht; dagegen wird Traubenzucker von den Coli¬
bazillen stark gespalten, wobei organische Säuren und stets auch Kohlensäure
entstehen; der Typhusbacillus bildet in traubenzuckerbaltigen Nährböden nie
Gas. Die Colibazillen wachsen auf dem milchzuckerhaltigen Drigalski-
Conradi-Agar rötlich, die Typhuskolonien sind schwach bläulich. Zusatz
von Kristall violett hemmt das Wachstum der Coli-, aber auch der Typhus-
und Ruhrbazillen, ebenso der von Löffler empfohlene Zusatz von Malachit¬
grün. Andere Farbstoffe als Lakmus, wie Cbinablau und Kongorot, als
Indikatoren bieten keine Vorteile. Besonders hat sich dem Verfasser der
Endo-Nährboden bewährt, auf dem die Colibazillen als rote, metallisch
f länzende Kolonien wachsen, während die Typhusbazillen farblose, zarte
Kolonien bilden. Die Deutung der Rotfärbung des Nährbodens ist von Endo
selbst falsch gegeben worden, sie kommt zustande durch Bildung von Aldehyden.
Die nicht Milchzucker spaltenden Colirassen wachsen auf Endo ebenfalls
weiß, sind jedoch leicht von Typhus zu unterschmden. Die typhusverdäebtigen
Kolonien werden weiter identifiziert durch die Probeagglutination; bei positivem
Ausfall ist die Diagnose schon sehr wahrscheinlich; ihre weitere Identifizierung
erfolgt durch Ueberimpfen auf die Barsiekowsehen Nährlösungen (Lakmus-
Nutrose-Traabenzucker- und -Milchzuckerlösung) sowie auf Rothbergersehen
Neutralrot-Traubenzuckeragar. Die Ansicht, daß Traubenzucker durch Typhus¬
bazillen nicht angegriffen wird, fand A. nicht bestätigt. In der Bar sie ko w-
schen Traubenzuckerlösung sind alle Uebergänge von Rötung bis Opaleszenz
und Gerinnung zu beobachten. Dagegen rötet der Typbusbacillus nie die
Nutrose-Milchzuckerlösung. Der Rothberger sehe Neutralrot-Agar ist ein
sehr wichtiges Differenzierungsmittel, denn alle Coliarten bilden darin Gas und
färben ihn gelblich, während der Typhus ihn unverändert läßt. Endlich kann
man noch die quantitative Auswertung der Agglutination vornehmen. Die
Stahluntersuchungen auf Typhus befriedigen noch nicht, da noch keine genügend
elektiven Nährböden zur Verfügung stehen. Die Versuche, die Colibazillen
durch polyvalentes Serum auszufällen, hatten noch keinen Erfolg. Doch behält
die Stuhluntersuchung ihren Wert zur Feststellung von Bazillenträgern. Für
die Diagnose frischer Fälle ist die Gallenanreicherung das Mittel der Wahl
(in ca. 6 ccm steriler Rindergalle läßt man 2—3 ccm Blut einlanfen). Bei diesen
Mengen genügt meist schon eine 8—lOstündige Bebrütung der Gallenblut¬
kultur, um die Typhusbazillen genügend anzureichern. Dann bringt man
daraus einige Tropfen auf E n d o - Platten und kann so nach weiteren 12—14
Stunden die Keime nachweisen, somit in 24 Standen die Diagnose stellen. Bei
1045 Einzel-Untersuchungen von Rekonvaleszenten, die 8—14 Tage fieberfrei
waren, fanden sich 40 mal im Stuhl Typhnsbazillen, 26 mal im Urin, 9 mal in
beiden. Nur von einigen Leuten wurden dauernd Typhusbazillen ausgeschieden ;
sie sind als felddienstunfähig zu betrachten. Die Dauerausscheider (im Stuhl)
von ihren Typhusbazillen zu befreien, besitzen wir noch keine Mittel, weder
Chemikalien noch Immunisierung hatten Erfolg. Die Wirkung des Urotropins
auf den Bazillengehalt des Urins ist nur scheinbar günstig, da nur Entwicklungs¬
hemmung, aber keine Abtötung der Herde in den Nieren stattfindet.
Kleinere Mitteilungen and Beiernte aas Zeitschriften.
76
Die Schutzimpfung hat auf die Typhusfrequenz guten Einfluß gehabt,
wenn auch ein völliger Schatz bei allen nicht erreicht wird. Der Impfschutz
scheint nicht über 5 Monate zu dauern. Vielleicht wird ein besserer Schutz
erreicht, wenn man in ihrem biologischen Verhalten verschiedene Typhusstämme
als Vakzine benutzt» Der Vorschlag, Typhus-Rekonvaleszenten zum Schutz
gegen Rezidive mit Typhus-Vakzine zu impfen, entbehrt jeder theoretischen
und praktischen Begründung.
Buhr. Die serologische Diagnose (Widal) ist bei der Ruhr von
geringer Bedeutung. Da die Ruhrbazillen nie ins Blut gehen, ist man auf die
Isolierung derselben aus dem Stuhl angewiesen. Auch hierfür eignet sich der
Nährboden von Endo recht gut. Verwendet man den Drigalski-Conradi-
Agar, so darf ihm kein Cristalviolett zugegeben werden. Die große Empfind¬
lichkeit der Ruhrbazillen läßt ihren Nachweis schon oft in einige Tage alten
Stühlen mißlingen. Auf den oben unter Typhus genannten Differentialnähr¬
böden unterscheiden sich die Ruhrerreger nur wenig von Typhusbazillen. Im
Gegensatz zum Typhusbacillus besitzen sie nur geringe (Molekular-) Bewegung.
Das wichtigste Unterscheidungsmittel ist ihr agglutinatorisches Verhalten
gegen spezifische Sera. Wir unterscheiden die giftarme Gruppe (Typus
Flexner, -Y, -Strong, -V) von den stark giftbildenden Shiga-Kruse-
Baziilen leicht durch die Agglutination. Zu dem Zwecke benutzt man ein
Shiga-Kruse und ein mit einem beliebigen giftarmen Stamm hergestelltes
Immunserum. Zur Klassifizierung der einzelnen Angehörigen der giftarmen
Gruppe dienen die Kohlehydrate: Mannit, Maltose und Rohrzucker. Der vom
Verfasser neu isolierte Typus V spaltet alle 8 Kohlehydrate. Einmal wurde
er aus dem Dickdarm eines an Ruhr Verstorbenen gezüchtet, ein Beweis, daß
diese Infektion nicht immer gutartig verläuft. Im Dickdarm fanden sich
intensive Schwellung und Rötung der gesamten Schleimhaut und follikuläre
Geschwüre. Der bisher in Deutschland noch nicht beobachtete Typus8trong
zeigte die Eigentümlichkeit, nach einigen Tagen auf gewöhnlichem Agar einen
gelblichen Farbstoff zu bilden. Die Trennung des Shiga-Kruse von den
giftarmen Ruhrbazillen ist auch für die Praxis wichtig. Einmal ist die
Prognose bei Shiga-Kruse-Ruhr erheblich schlechter, dann ist auch nur
bei Shiga-Kruse-Ruhr die Serumtherapie indiziert. Shiga-Kruse-
Bazillen wurden fast niemals nach der klinischen Genesung mehr ausgeschieden,
dagegen öfter noch längere Zeit Y-Bazillen.
Cholera asiatica. Sie wurde im Herbst vorigen Jahres durch russische
Gefangene in verschiedene Lager eingeschleppt. Dank den energischen Ma߬
nahmen ist weder nnter den Bewachungsmannschaften noch in der Zivil¬
bevölkerung eine Infektion vorgekommen. Auch für die Choleradiagnose ist
der Endo-Nährboden gut brauchbar. Die Cholera Vibrionen wachsen rosa bis
rot, aber ohne den Metallglanz der Colikolonien. Dem Verfasser ist es ge¬
lungen, einen neuen Elektiv-Nährboden für Choleravibrionen zu finden (gewöhn¬
licher Nähragar, dem l°/o Rohrzucker, l°/o Dextrin, 0,56°/« Natr. carb. sicc.
zugesetzt wird; dann wird 10 Minuten in strömendem Dampf gekocht, dann
0,25 ccm einer alkoholgesättigten Fuchsinlösung und 2,5 ccm I0°/oige Natrium¬
sulfitlösung zugefügt, die Reagentien sind auch in Tablettenform bei Merck
zu haben und werden 100 ccm verflüssigtem Agar zugesetzt). Die Cholera¬
vibrionen bilden auf diesem Nährboden intensiv rote, die Colibazillen weiße
Kolonien. Außerdem wirkt der Sodagehalt stark hemmend auf Coli. Infektionen
mit Dysenterie oder Paratyphus können in ihren klinischen Symptomen Cholera
Vortäuschen. Bei 53 Cholerafällen konnten in der Rekonvaleszenz Cholera¬
vibrionen nicht mehr nachgewiesen werden.
-Typhus exanthematicus. Die Erkrankung ist von Typhus abdominalis
oft sehr schwer zu unterscheiden. Der Nachweis von Typhusbazillen sichert
die Differentialdiagnose. Von größter Wichtigkeit zur Verhütung weiterer
Infektionen ist eine gründliche Entlausung.
Epidemische Genickstarre. Diese Krankheit tritt nicht eigentlich als
Kriegsseuche auf. Von Januar bis Juni kamen in dem Arbeitsbereich 44 bakterio¬
logisch sichergestellte Fälle zur Beobachtung. Die bakteriologische Diagnose
wurde durch mikroskopische und kulturelle Untersuchung des Lumbalp unktates
76
Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften.
gestellt. Für die Färbung bewährte sich die von Pappenheim für die Dar¬
stellung der Gonokokken angegebene Farblösung von Pyronin und Methyl-
grün. Die roten Doppelkokken heben sich von den blau-grünen Kernen der
Leukozyten gnt ab. Im Bratschrank vermehren sich die Meningokokken in
der Lumbalflussigkeit gut, auch innerhalb der Leukozyten, ein Zeichen, daß es
sich um echte Phagocytose handelt. Für die Züchtung ist natives Eiweiß im
Nährboden erforderlich, dem man außerdem mit gutem Erfolg 1'/« Maltose
zufügen kann. Mit der Agglutination hat Verfasser keine guten Erfolge ge¬
habt. Klinisch kamen mehrfach multiple Gelenkschmerzen und ausgebreitete
Exantheme vor, so daß zuerst die Diagnose: Typhus exanthematicus gestellt
wurde. Neben dem fleckfieberartigen Exanthem traten starke Diarrhoen und
Benommenheit auf, während Nackensteifigkeit nicht ausgeprägt war. Unter
dem Bilde des Fleckfiebers verliefen mehrere Fälle, einer unter dem Bilde einer
chronischen Sepsis mit Hodenschwellung. Die bakteriologische Untersuchung
des Lumbalpunktate8 ist in allen zweifelhaften Fällen von ausschlaggebender
Bedeutung. Dr. L. Q u a d f 1 i e g - Gelsenkirchen.
Experimentelle Untersuchungen über die Wirksamkeit der Typhus-
nnd Choleraschutzimpfung. Von A. v. Wassermann und P. Sommerfeld.
Aus dem Kaiser Wilhelm-Institut für experimentelle Therapie, Berlin-Dahlem.
Medizinische Klinik; 1915, Nr. 48.
Für das Studium der Frage ist zu berücksichtigen, daß der erste Schritt
zum Infektionsprozeß beim Menschen im Darmepithel, unser Schutzimpfungs¬
prozeß im Kreislauf sich abspielt. Praktisch kommt es also auf den Nach¬
weis an, ob eine Erhöhung der Blutimmunität auch gleichzeitig eine Erhöhung
der Resistenz des Darmgewebes, besonders des Darmepithels, bedingt. Durch
stomacbale Einführung von Typhus- und Cholerabakterien ist bei unsern ge¬
bräuchlichen Laboratoriumstieren keine der menschlichen ähnliche Erkrankung
auszniösen. Nur Gibbons und Schimpansen sollen bei Verfütterung von typhus¬
haltigem Material an einer dem menschlichen Typhus klinisch analogen In¬
fektion erkranken. Jedoch erhielten Metschnikoff und Besredka auch
damit keine einheitlichen Versncbsergebnisse. Wassermann und Sommer¬
feld benutzten bei ihren Versuchen Mäuse, die bekanntlich über hohe bakteri¬
zide Schntzkräfte im Blut gegen Typhus und Cholera verfügen und die spontan
bei stomachaler Einverleibung dieser Bakterien nicht krank zu machen sind.
Daran ist nicht etwa die Magensäure schuld. Das Darmepithel bildet dem¬
nach eine Schranke gegen die Invasion. Die Autoren gingen so vor, daß sie
die natürlichen Schutzkräfte des Blutes durch Einverleiben künstlicher Aggressine
banden, gleichzeitig die Regenerationskraft der Tiere durch Hungernlassen
herabsetzten und dann mit der Schlundsonde die Bakterien in den Magen
brachten. Es gelang ihnen so, sechsmal unter 13 Versuchen die Tiere zu infi¬
zieren und Typhusbazillen im Blut und den Organen nachzuweisen Den Ueber-
tritt von Choleravibrionen durch das Darmepithel erreichten sie dadurch, daß
sie die Schutzwirkuug durch eine vorherige Infektion der Tiere mit Bacillus
Dany bz aufhoben. Kadaveröse Veränderungen des Darmes sind nicht der
Grund des Durchdringens der Bakterien. Aus den Versuchen muß man schließen,
daß ein Zusammenhang zwischen dem Gehalt des Blutes an bakteriziden Sub¬
stanzen und Invadierbarkeit des Darmgewebes seitens Typhus- und Cholera¬
bakterien besteht, daß somit die Schutzimpfung auch beim Menschen Stoffe
erzeugt, welche die natürliche Ansteckung hintanzuhalten vermögen.
Schädigende Einflüsse und andersartige Infektionen setzen aber die Resistenz
herab. Dr. L. Q u a d flieg- Gelsenkirchcn.
3. Tuberkulose.
Ein Beitrag zur Frage vom Vorkommen der Tuberkelbazillen in
den Fäzes. Eine neue Methode zum Nachweis. Von B. Engleson-
Stockholm. Beiträge zur Klinik der Tuberkulose; Bd. XXXV, Heft 1.
Von den Untersuchungsmethoden, die für den Nachweis von Tuberkel-
bazillen in den Fäzes zur Anwendung gekommen sind, scheint die Schöne-
Kleinere Mitteilungen and Beiernte aus Zeitsehrilten. 77
Weißenfelssche Aethermethode die bisher beste za sein: Bin Fäzesklumpen
von Bohnengröße wird mittels eines Glasstabes in einem dickwandigen
Beagenzglas mit so viel frisch destilliertem Wasser yerrtthrt, daß eine fest¬
weiche, fast halbflüssige Konsistenz sich ergibt. Nach Zusatz von Aetber wird
der Inhalt geschüttelt, darauf die Aetberscbicht in eine Zentrifugenröhre über¬
führt und kurze Zeit zentrifugiert. Der erhaltene Bodensatz wird dann in
einer geringen Menge Aether aufgelöst, auf das Objektglas gegossen, leicht
fixiert und nach Z i e h 1 gefärbt. Das Präparat besteht fast zum größten Teil
aus Bakterien.
E. hat sich bei seinen Untersuchungen noch einer neuen Methode, die
er 8chabemethode nennt, bedient. Sie besteht in einer Schabung der Bektal-
schleimhäute mit einer gewöhnlichen Hohlsonde, die an einem Ende mit einer
löffelartigen Aushöhlung versehen ist.
Eine vergleichende Gegenüberstellung der Ergebnisse beider Methoden
zeigt, daß von den untersuchten, zum größten Teile dem III. Stadium der
Lungentuberkulose zugehörenden Fällen mit der Aetherextraktionsmethode
Tuberkelbazillen in 44 Fällen, d. h. in 7S°/o, und mit der Schabemethode in
67 Fällen, d. h. in 95°/o des Materials nacbgewiesen werden konnten.
Dr. B o e p k e - Melsungen.
Abderhalden«Verfahren bei Lungentuberkulose. Von Dr. F. Oeri-
Davos. Beiträge zur Klinik der Tuberkulose; Bd. XXXV, Heft 1.
Von 40 Fällen sicherer Tuberkulose bauten 88 eines oder mehrere der
vorgelegten Lungenpräparate ab. In dem einen der beiden negativen Fälle
erklärt sich das Fehlen der Reaktion aus dem Mangel an Abwehrfermenten;
für den anderen Fall fehlt eine Erklärung.
Von 11 Fällen mit unsicherem oder negativem klinischen Befand bauten
4 eines oder mehrere der Lungenpräparate ab, während die 7 anderen nur das
Bronchialdrüsenpräparat oder gar nichts abbauten.
In der Auswahl der Präparate und in der Stärke der Reaktionen läßt
sich im allgemeinen keine Gesetzmäßigkeit feststellen. Ein Präparat aus
bindegewebigen Schrumpfungsmassen in der Umgebung von Kavernen wurde
von Kranken des II. und III. Stadiums wesentlidi häufiger abgebaut als von
den des I. Stadiums. Ferner entsprach der Abbau des Präparates einer
tuberkulösen Bronchitis und Peribronchitis in 8 von 5 Fällen einer ausge¬
sprochenen Hilustuberkulose.
Es ist wahrscheinlich, daß das Abderhalden-Verfahren Fest¬
stellungen erlaubt, die mit keiner anderen Methode möglich sind,
vorausgesetzt, daß man die Vorsicht gebraucht, dem Serum immer verschiedene
Präparate von Lungentuberkulose oder eine Mischung von solchen vorzulegen.
Es fehlt noch der strikte Beweis dafür, daß bei gesunder Lunge nie
Lunge abgebaut wird, und ob nicht jede — auch nichttuberkulöse — entzünd¬
liche Erkrankung eines Organs zur Bildung von unspezifischen Fermenten im
Serum führt, die auch in tuberkulösem Material ein Abbauobjekt finden.
Oeri hält sich nach seinen Resultaten trotzdem für berechtigt, das Abder¬
halden- Verfahren auch in Zukunft zurDifferenzierung von Lungen¬
tuberkulose und reiner Bronchialdrüsentuberkulose und zur
Feststellung heranzuziehen, ob überhaupt eine Lungentuberkulose
besteht. Dr. R o e p k e - Melsungen.
Ergebnisse der Krankenhausbehandlung der Lungentuberkulose.
Von C. Moewes. Zeitschrift für Tuberkulose; Bd. 24, Heft 8.
Bei einem nach Form und Grad der Erkrankungen vielseitigen Tuber¬
kulosekrankenmaterial des allgemeinen Krankenhauses — es bandelt sich um
1000 überwiegend schwerkranke Patienten, die im Laufe der Jahre 1908—1914
in das Kreiskrankenbaus Berlin-Lichterfelde aufgenommen waren — sind die
verschiedenen Behandlungsmethoden zur Anwendung gekommen mit folgendem
78
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
Ergebnis: Geheilt wurden 8,8°/o, gebessert 49,1 ®/o, angeheilt blieben 10,9°/o,
gestorben sind 81,7 °/o.
Unter der allgemein-symptomatischen Therapie warde etwa
die Hälfte für längere oder kürzere Zeit gebessert, ein gates Drittel stirbt,
der Best wird geheilt oder entzieht sich der Behandlung.
Unter der Taberknlinbehandlang mit Alttuberkulin, Endotin
and perkataner Alttnberkalin - Einverleibung worden geheilt 14,5, gebessert
78,2°/o = 92,7°/o positiver Erfolge, angeheilt blieben nur 1,8°/o, es starben 6,5°/o.
Durch die Behandlung mit dem Friedmann sehen Mittel ließen sich
7°/o Heilungen, 82,9 °/o Besserungen erzielen;; 27,2 °/o ungeheilt, 82,9°/®
gestorben.
Von 18 mit Lezithin-Kupferinjektionen Behandelten sind
je 6 gebessert, ungeheilt und gestorben.
Ebenfalls 18 Patienten bekamen Stickstoff-Luftinsufflationen,
davon wurden 15 gebessert und 8 starben.
Das praktische Ergebnis der Zusammenstellung faßt Moewes dahin
zusammen, daß selbst bei einem verhältnismäßig ungünstigen Material, wie es
die KrankeDhausprazis bedingt, bei der Lungentuberkulose vor allen
anderen Behandlungsmethoden die Tuberkulintherapie bisher
die meiste Berechtigung hat, allerdings auch sie nur in dem bekannten
begrenzten Bahmen. Bei strenger Auswahl geeigneter Fälle, besonders bei
komplizierender Pleuritis exsudativa verdient auch die Insufflations-
behandlung als Methode der Wahl empfohlen zu werden.
Dr. R o e p k e - Melsungen.
4. Geschlechtskrankheiten und deren Bekämpfung.
Wie soll der Geschlechtsverkehr Venerischer bestraft werden! Von
A. Blaschko-Berlin. Deutsche med. Wochenschrift; 1916, Nr. 1.
Blaschko will den geschlechtlichen Verkehr Venerischer nicht mit
den üblichen Geld- und Freiheitsstrafen, sondern mit sichernden Maßnahmen
bestraft wissen, nämlich mit strenger ärztlicher Ueberwachung und, wenn
nötig, Zwangsbehandlung in einem Krankenhaus. Er hat zu diesem Zwecke
bereits vor 2 Jahren auf dem 13. internationalen medizinischen Kongreß in
London vorgeschlagen: Venerische, die wissend Andere der Gefahr einer An¬
steckung aussetzen, durch die Gesundheitsbehörde anzuhalten, daß sie bis zur
erfolgten Heilung amtsärztliche Bescheinigungen über den Gesundheitszustand
beibringen und bei fehlender ärztlicher Behandlung einer zwangsweisen Be¬
handlung in einem öffentlichen Krankenhause unterworfen werden. Ist aber
durch einen Geschlechtskranken wissentlich eine Ansteckung erfolgt, so soll er
verurteilt werden können, dem Geschädigten Schadenersatz zu leisten; die
Festsetzung der Schadenhöhe erfolgt im Verlauf des Strafprozesses.
Eine solche Gesundheitsbehörde ist in Deutschland nicht vorhanden,
bildet aber als Gesundheitsamt, wie es in Norwegen bereits seit Jahren besteht
und zu allgemeiner Zufriedenheit arbeitet, eine ganz unerläßliche Einrichtung
in dem Kampfe gegen die Geschlechtskrankheiten. Es wäre dann zu fordern:
1. Individuen beiderlei Geschlechts, die verdächtig sind, eine venerische
Infektion zu verursachen, werden angehalten, dem kommunalen Gesundheitsamt
ein Gesundheitsattest eines öffentlich hierzu autorisierten Arztes beizubringen.
(Verdächtig im Sinne dieser Bestimmung wären Individuen, über die beim
Gesundheitsamt eine Anzeige einläuft, daß sie eine venerische Infektion ver¬
ursacht haben, oder wenn sic auf der Straße oder an einem öffentlichen Orte
durch schamloses Benehmen, z. B. durch öffentliche Provokation zum
Geschlechtsverkehr u. dergl., öffentlichen Anstoß erregt haben).
2. Können die verdächtigen Personen ein solches Attest nicht beibringen,
so ist zu verlangen, daß sie sich bis zum Nachweis erfolgter Heilung in ärzt¬
liche Behandlung begeben- und dem Gesundheitsamt regelmäßig einen Nachweis
dieser Behandlung bringen.
Kleinere Mit teilen gen und Eeferete «ne Zeitschriften. 79
8. Eine Zwangsbehandlung würde nur eintreten, wo die Anordnungen
des Gesundheitsamtes nicht befolgt werden.
Prostituierte werden häufig kein Gesundheitsattest beibringen können,
weil sie eben krank sind, oder es nicht tan, weil sie moralisch verkommen
sind. Wenn dann das Gesundheitsamt schnell genug arbeitet, kann binnen
2 Tagen eine Feststellung des Gesundheitszustandes und evtl, die obligatorische
Behandlung durchgesetzt werden. Mittels eines solchen Gesundheitsamtes
würde auch die ganze Ueberwachung der Prostitution viel wirksamer zu
bewerkstelligen sein als auf dem heute üblichen Wege der Reglementierung.
Ebermayer, Reichsgerichtsrat in Leipzig, hält in der gleichen Nummer
der Wochenschrift die Vorschläge Blaschkos für überaus beachtenswert,
nur erscheint ihm die Verquickung der sichernden Maßnahmen mit der Strafe
bedenklich. Solche Maßregeln zu treffen, ist auch nicht Sache des Straf¬
richters, sondern der Polizei, die erforderlichenfalls die nötige unmittelbare
Zwangsgewalt besitzt, ihren Maßnahmen Beachtung zu verschaffen. Soweit
sie solche aber nicht besitzen sollte, könnte dadurch geholfen werden, daß
dem, der sich solchen Polizeimaßregeln widersetzt oder ihnen nicht nacbkommt,
gerichtliche 8trafe angedroht wird. Die sichernden Maßnahmen aber in ihrer
Mannigfaltigkeit durch den an die Vorschriften der Strafprozeßordnung ge-
bundenen Richter im ordentlichen gerichtlichen Verfahren als Strafe erkennen
zu lassen, daran wird wohl nicht gedacht werden können.
Schließlich weist E. auf den Widerspruch hin zwischen dem nicht koch
genug zu schätzenden Bestreben Blaschkos, 4er Gefahr geschlechtlicher
Ansteckung mit allen Mitteln zu begegnen, und den Anstrengungen weiter
Kreise, im Wege der Gesetzgebung am liebsten eine völlige Unterbindung des
Verkehrs mit Schutzmitteln herbeizuführen. Dr. R o e p k e - Melsungen.
Der diagnostische Wert der Gonokokkenvakzine. Von Prof. Asch
und stud. med. Adler. Münchener Med. Wochenschrift; 1916, Nr. 8.
Die Feststellung noch bestehender Gonorrhöe ist sehr wichtig für das
kranke Individuum, für die Gesellschaft, den Staat Klinische Beobachtung
und selbst öfters wiederholte mikroskopische Untersuchung des Urethralaus-
flusses oder im Urin enthaltener Flocken sowie des Prostatasekretes führen oft
nicht zu unzweideutigen Resultaten. Die diagnostische Injektion von Gono¬
kokken nach Asch hat sich in Feldlazaretten gut bewährt. Namentlich bei
Massenandrang. Während sich zu therapeutischen Zwecken kleine Mengen
(1—25 Millionen abgetöteter Keime) als zweckmäßig erwiesen, hat sich zu
diagnostischen Zwecken die intramuskuläre Injektion von größeren Mengen
(50—100 Millionen abgetöteter Gonokokken) besser bewährt. Asch verwendet
die Glutualmuskulatur als Beschickungsort. Einige Tage vor deT Entlassung
wird regelmäßig durch eine solche Injektion eine provokatorische Vakzine-
injektion gemacht und dann 2—3 Tage darauf Ausflnß, Flocken, auch Prostata¬
sekret untersucht. Sehr wichtig zur Beurteilung der Frage ist die Kenntnis
der degenerierten Gonokokken, die größtenteils extrazellulär, selten intrazellulär
sich befinden. Manchmal genügt eine Vakzineinjektion nicht, so daß bei nega¬
tivem Befund die Wiederholung mit größeren Dosen (bis' 125 Millionen)
nötig wird. Dr. Graß 1-Kempten.
O. Hygiene und öffentliches Gesundheitswesen,
1. Wasserversorgung.
Ein neuer Sandflltertyp. Von Heller. Gesundheit; 1916, Nr. 1.
Der Verfasser beschreibt ein Filter, bei dem der Uebelstand, den Be¬
trieb wegen der Entfernung der ßchmutzschicht zu unterbrechen, beseitigt ist.
Die bakteriologische Untersuchung des Rohwassers ergab durchschnittlich
1366 Keime in 1 ccm, diejenige des filtrierten Wassers 13 Keime in 1 ccm.
Dr. Wolf-Hanau.
so
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
2. Nahrungsmittelhygiene.
DOrfltche and kleinstädtische Schlachthausanlagen. Von Gemeinde-
banmeister Schmidt-Betzdorf. Gesundheit; 1916, Nr. 1.
Der Verfasser stellt die Mindestforderungen auf, die an ein den kleinen
Verhältnissen angepaßtes Privatschlachthaus zu stellen sind, und erläutert sie
an 2 Grundrissen. Dr. Wolf -Hanau.
3. Schulhygiene.
Heber Verbreitung des Schularztwesens In Oesterreich. Von Begs.-
Bat Dr. Bur gerstein-Wien. Das österreichische Sanitätswesen; 1916,
Nr. 47/60.
Zusammenstellung der Erhebungen der österreichischen Gesellschaft für
Schulhygiene über die Verbreitung des Schularztwesens in den verschiedenen
Schulgattungen an der Hand eines Fragebogens. Dr. Wolf-Hanau.
Der Einfluß von Krankheiten, insbesondere der Tuberkulose, auf das
Wachstum und den Ernährungszustand der Schulkinder. Von Dr.Thiele.
Berliner klinische Wochenschrift; 1916, Nr. 36.
Thiele weist statistisch nach, daß Knaben und Mädchen gleich groß
und gleich schwer zur Schale kommen und bis zur Mitte der Schulzeit es
bleiben, daß aber am Ende der Schulzeit die Knaben den Mädchen an Größe
voraus, aber an Gewicht unterlegen sind.
Anders liegen die Verhältnisse bei tuberkulösen Kindern: sie kommen
mit geringerem Körpergewicht und kleiner zur Schule. Die Knaben bleiben
dann gegenüber den gesunden Schulkindern die ganze Schulzeit hindurch an
Größe und Gewicht zurück. Die Mädchen bleiben nur bis zur Mitte der Schul¬
zeit zurück, dann nimmt ihre Größe schnell zu ohne entsprechende Zunahme
des Gewichtes. Das entspricht der Ausbildung des phthisischen Habitus und
bezeichnet den schädigenden Einfluß der Tuberkulose auf den kindlichen
Organismus. Dr. Boepke-Melsungen.
4. Kriogabeschädigtonfttnorge.
Merkblatt für Kriegsverstümmelte. Herausgegeben vom Königlich
Preußischen Kriegsministerium, Berufsfürsorge für Kriegsbeschädigte.
1. Der durch Kriegsverwundung Verstümmelte oder am freien Gebrauch
seiner Gliedmassen Behinderte kann wieder arbeiten lernen, wenn er selbst den
festen Willen zur Arbeit hat.
2. Es soll daher keiner den Mut sinken lassen und an seiner Zukunft
verzweifeln; er muß sich nur ernstlich bemühen, den ärztlichen Vorschriften
voll nachzukommon und die notwendigen Uebungen mit Eifer und Ausdauer
betreiben.
8. Öelbst derjenige, dem ein oder mehrere Gliedmaßen fehlen, kann mit
geeigneten künstlichen Gliedern, die ihm die Heeresverwaltung liefert, häufig,
ja meistens in seinem alten Beruf wieder tätig sein, wenn er sich genügende
Mühe gibt, das ihm Verbliebene in richtiger Weise auszunutzen und den Ge¬
brauch der künstlichen Glieder zu lernen.
4. Und wer in seinem früheren Beruf nicbt wieder tätig sein kann, kann
sicher in einem anderen Beruf noch etwas leisten, nur muß er es sich nicht
verdrießen lassen, mit Tatkraft und Fleiß sich in die neue Beschäftigung ein¬
zuleben.
5. Jeder, der es bedarf, wird sachverständigen Bat für die Wahl seines
Berufes schon im Lazarett finden und nach seiner Entlassung Gelegenheit haben,
sich in geeigneten Fachschulen usw. für einen neuen Beruf vorzubereiten oder
in seinen alten Beruf wieder einzuarbeiten.
6. Jeder hüte sich darum, sich als ein unnützes Glied der Gesellschaft
zu betrachten; er setze von Anbeginn seinen 8tolz darin, trotz der für das
Kleinere Mitteilungen und fteferate aua Zeitschriften.
81
Vaterland erlittenen Verluste so bald wie möglich wieder ein schaffendes und
erwerbendes Glied seiner Familie zu werden.
7. Es vermeide jeder, sei er verwandt oder befreundet, einen Ver¬
stümmelten in falschbetätigtem Mitleid nur immer zu bedauern und seine Hilf¬
losigkeit zu beklagen. Bei aller herzlichen Teilnahme richte er ihn vielmehr
auf, stärke er ihm das Vertrauen auf eine bessere Zukunft, die Hoffnung auf
ein selbständiges Erwerbsleben, wie es dank der heutigen ärztlichen Kunst,
dank der heutigen Technik und dank dem sozialen vaterländischen Sinn unseres
Volkes, der Arbeitgeber wie der Arbeitnehmer für fast alle, auch die Schwerst-
betroffenen, erreichbar ist.
Die Beschäftigungsaussichten der Kriegsbeschädigten. Von W.
Schlüter. Zeitschrift fttr Krüppelfürsorge; 1915, H. 6.
Der Berufsberater muß sich ein allgemeines Bild von den Beschäftigungs¬
möglichkeiten machen, welche die verschiedenen Berufe gewähren Als Berater
von Arbeitsnachweisen für Kriegsverletzte sind die Gewerbeaufsichtsbeamten
besonders geeignet. Dr. Wolf-Hanau.
5. Eisenbahnhygiene.
Periodische gesundheitliche Untersuchungen des Eisenbahnpersonals.
Von Med.-Bat Dr. Gilbert-Dresden. Zeitschrift für Bahnärzte; 1916, Nr. 1.
Der Verfasser tritt für derartige Untersuchungen im Interesse der Ver¬
waltung wie auch des Personals ein, und zwar alle 3 Jahre, legt ein Unter¬
suchungsschema vor unf bittet um Nachprüfung seiner Vorschläge.
Dr. Wolf-Hanau.
Ueber Siedelungsreform. Von Prof. Dr. Max v. Gr über. Zeitschrift
für Wohnungswesen in Bayern; 1916, Nr. 10/12.
Der Traum des demokratischen Friedens unter den Völkern ist ausge¬
träumt Die Völker müssen entweder auf das Leben verzichten oder um das
Leben miteinander ringen. Wenn Rußland durch seine Agrarpolitik und durch
das Schnapsverbot innerlich gestärkt sein wird, wird es abermals die Mittel¬
mächte bedrängen. Der gegenwärtige Krieg ist lediglich die Einleitung zum
J roßen Ringen zwischen Deutschen und Slaven. Die Zahl und Güte des
eutschen Volkes wird auch in Zukunft den Ausschlag geben. Wir müssen
Rassenhygiene in großem Stile treiben. Die Nationalisierung der Lebens¬
verhältnisse hat auch auf das Geschlechtsleben übergegriffen. Ein völker¬
schwächender Individualismus macht sich geltend. Weniger Individual-, mehr
Völkerbygiene ist notwendig. Die Beseitigung der Wohnart ist Vorbedingung
zu einem guten und starken Volk. Der wirtschaftliche Unterschied zwischen
einer kinderreichen und einer Zwergfamilie ist anszugleichen. Die Auswahl
der ländlichen Siedelungen, die Höhe des Bodenzinses, das Kündigungsrecht,
das Vererbungsrecht und die Verkaufsfreiheit sind nach dem Gesichtspunkte
der zahlreichen Familie zu bemessen. Da Einzelfamilienhäuser nicht durch¬
führbar sind, sind Wohnhäuser mit 3 Stockwerken für höchstens 6 Wohn¬
gemeinschaften zu errichten. 60 qm Wohnfläche und 100 qm Garteofläche sind
für jede Familie notwendig. Die Bauerngüter sind in der Größe zu staffeln.
Mittlere Bauerngüter mit 8—16 ha, Gärtnerstellen mit 0,6—1,0 ha, ländliche
Handwerkerstätten mit 1—2 ha, Wohnstellen mit 600—1260 qm sind je nach
Bedarf zu errichten.
Bei der Auswahl der Vergebung: ist auf geistige und körperliche Tüchtig¬
keit zu sehen; kinderreiche Familien müssen bevorzugt werden; kranke
Familien sind auszumerzen; jeder Bewerber hat 10°/o der Kosten anzuzahlen.
Bleibt die Familie unfruchtbar, so ist sie durch eine fruchtbare zu ersetzen.
Das Vererbungsrecht in der kinderreichen Familie ist zu sichern. Die Anerben
sind zu schützen. _ Dr. G r a ß 1 • Kempten.
Besprechungen.
Leitsätze für Wduug»- und SiedelufwrfwrB. Vom Vorstandsrat
des Bayr. Landesvereins für Förderung des Wohnungswesens (c. V.). Zeitr
schrift für Wohnungswesen in Bayern; 1915, Kr. 10,12.
Die Wehrhaftigkeit ist eine Wohnungsfrage. Die wirtschaftliche Enge
der gemeinnützigen Bauvereipigungen fordert eine staatliche Be ihilf e nach dem
Kriege. Nach zwei .Richtungen wird sich die Wohnungsfürsorge betätigen
müssen: 1. Fürsorge für die städtische industrielle Bevölkerung und den Mittel¬
stand, 2. Heimstätten - Beschaffung für die Kriegsteilnehmer. — Die private
Bautätigkeit muß in erster Linie die kinderreichen Familien berücksichtigen.
Die Baulinien sind festzusetzen; die Bebauungsart durch Cebereinkommen der
Großstädte mit den umliegenden Gemeinden zu regeln. Die oft übermäßigen
Anforderungen an Kanalisation, Wasserleitung und ßtraßenberstellung sind
einzuschränken. Die Gartenstadtbewegung ist zu fördern. Bei ßiedelungen
mit mehr als 600 qm ist auf die Kanalisation überhaupt zu verzichten und der
Aborliubalt zu Dungzwecken zu verwenden. Das Enteinungsrecht der Ge¬
meinde ist zu erhöben. Um der Btadt mäßige Siedelung zu erleichtern, ist
Hingabe von Baugelände nötig. Bauerleichterung ist einzuführen, der Verkehr
zu verbilligen und ungeteilte Arbeitszeit anzustreben. — Bei der Heimstätte
sind die kinderreichen Familien zu bevorzugen. Die Voraussetzungen der Ge¬
währung einer Kriegerheimstätte sind: körperliche und wirtschaftliche Eignung
und Leistungsfähigkeit, reicbsgesetzliche Regelung der Heimstättenfrage,
Tilgungszwang._Dr. Graß 1-Kempten.
Besprechungen.
8, Baoh-Bad Elster: Anleitung und Indikationen für die Bestrahlungen
mit der Quarzlampe (Künstliche Höhensonne). Zweite ergänzte Auf¬
lage. WUrzburg 1916. Verlag von C. Kabitzsch. Brosch. 1,60 M.
Die vom Verfasser angegebene und von der Quarzlampengesellschaft in
Hanau vertriebene „Künstliche Höhensonne“ hat seit dem Jahre 1911 zahlreiche
Freunde in der Aerzleschaft gefunden. Der hohe Gehalt des Quarzlichtes an
chemisch wirksamen ultravioletten Htrablen setzt den Arzt in die Lage, auch
in der Heimat ein Verfahren einzuschlagen, wie es früher nur im strahlenden
Lichte des Hochgebirges möglich war. Die Lampe besitzt eine Kerzenstärke
vuu 12—16000 H K. und ist überall anzubringon, wo elektrische Lichtleitung
zur Verfügung steht. Nach eingehender theoretischer Erklärung der Wirkungs¬
weise seiner Lampe gibt der Verfasser in übersichtlicher Darstellung die große
lteihe der Indikationen, auf deren Gebieten die Bestrahlungen sich mit Erfolg
anwenden lassen. Dr. Gumprecht -Bad Lippspringe.
Tagunachrlchton.
Zu der Bekämpfung des tieheliunilttelunwesens, der Kurpfuscherei usw.
haben bekuuuilich fast alle stellvertretenden Generalkommandos
mehr oder weniger scharfe Verordnungen erlassen; die weitestgehende Verord¬
nung dürfte iu dieser Hinsicht die vom stellvertretenden Generalkommando des
XIII. (Württeiubergischen) Armeekorps unter dem 8. Dezember v. J. erlassene
Hekannttuachuug sein, die folgenden Wortlaut hat:
„1. Auf Grund der §§ 4 und 9 b des Gesetzes über den Belagerungs¬
zustand vom 4. Juni lSöl verbiete ich:
1. Anzeigen in der Fresse, durch die Personen, die sich gewerbs¬
mäßig mit der Behandlung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden an
Menschen befassen, ohne die entsprechende staatliche Aner¬
kennung tApprobation) zu besitzen, ihren Gewerbebetrieb an¬
kündigen.
L>ieses Verbot Hodet auf Zahntechniker keine Anwendung.
2. Die öffentliche Ankündigung oder Anpreisung von
Kaden und Mitteln, die zur Verhütung der Empfängnis oder zur
r ^Igu ng der Schwangerschaft oder von Menstruations-
| e n bestimmt sind.
Die Ankündigung oder Anpreisung von Arzneien.
>ten und anderen Gegenständen, die zur Verhütung,
Tageenachrichten.
83
Linderung oder Heilung'von Krankheiten, Leiden oder Körper¬
schäden bei Menschen dienen sollen, durch die Presse ohne zuvor ein¬
geholte Zustimmung des Medizialkollegiums.
Auf die erteilte Zustimmung darf in der Anzeige nicht hingewiesen
werden.
Die Bestimmungen unter Ziffer 2 und 3 finden keine Anwendung, soweit
die Ankündigung oder Anpreisung in wissenschaftlichen Fachkreisen auf dem
Gebiete der Medizin oder Pharmazie erfolgt.
11. Den unter 1 Ziffer 1 genannten Personen wird auf Grund von Artikel 82
Nr. 5 des Württ. Polizeistrafgesetzes verboten:
1. eine Behandlung, die nicht auf Grund eigener Wahrnehmungen an
dem zu Behandelnden erfolgt (Fernbehandlung),
2. die Behandlung mittelst mystischer Verfahren,
3. die Behandlung von gemeingefährlichen Krankheiten (Aussatz,
Cholera, Flecktyphus, Gelbfieber, Pest und Pocken) sowie von sonstigen über¬
tragbaren Krankheiten,
4. die Behandlung aller Krankheiten oder Leiden der Ge¬
schlechtsorgane, von Syphilis, Schanker und Tripper, auch wenn sie an
anderen Körperstellen auftreten,
6. die Behandlung von Krebskrankheiten,
6. die Behandlung mittelst Hypnose,
7. die Behandlung unter Anwendung von Betäubungsmitteln, mit
Ausnahme solcher, die nicht über den Ort der Anwendung hinauswirken,
8. die Behandlung unter Anwendung von Einspritzungen unter
die Haut oder in die Blutbabn, soweit es sich nicht um eine nach Nr. 7 ge¬
stattete Anwendung von Betäubungsmitteln handelt
Die K. Oberämter werden ersucht, die Veröffentlichung dieser Bekannt¬
machung in den Amtsblättern zu veranlassen.
Daß auch Zivilbehörden derartige weitgehende und demzufolge auch
wirksame Verordnungen treffen können, zeigt eine Verordnung des Königl.
Sächsischen Ministeriums des Innern vom 27. November 1915, nur ist diese
leider nicht gegen die Verhütung und Heilung von Menschenkrankheiten,
sondern von Pflanzenkrankheiten bestimmt. Nach dieser Verordnung dürfen
Mittel gegen derartige Krankheiten nur öffentlich angepriesen werden, wenn
ihre Zusammensetzung bekannt gegeben wird oder wenn sie vorher von der
, Haupts teile für Pflanzenschutzdienst im Königreich Sachsen" in Dresden
untersucht, geprüft und zugelassen sind.
In Bayern wird nach einer Bekanntmachung des dortigen Staats¬
ministers für Verkebrsangelegenheiten vom 14. Dezember jetzt auch den
FBrsorgeschwestern für Lungenkranke die Fahrpreisermäßigung auf den
Eisenbahnen gewährt, die das Pflegepersonal bei Reisen zur Ausübung der
öffentlichen Krankenpflege genießt (in der II. und III. Klasse halber Eilzugs-
preis, in Schnellzügen außerdem tarifmäßiger Zuschlag). Voraussetzung ist,
daß die Fürsorgeschwestern an Fürsorgevereinen für Lungenkranke ange¬
stellt sind.
Ehrentafel. ') Es haben weiterhin erhalten das
Eiserne Kreuz II. Kasse:
Med.-Rat Dr. Becker, Chefarzt des Vereinslazarettes vom Roten Kreuz
und beratender Chiiurg für das Reservelazarett Hildesheim.
*) In Bezug auf die Ehrentafel muß sich die Redaktion darauf be¬
schränken, nur diejenigen Auszeichnungen zu bringen, die Medizinalbeamte
und Mitglieder der Medizinalbeamtenvereine betreffen. Nur die
Verleihungen des Eisernen Kreuzes I. Klasse werden auch weiterhin vollständig
G ebracht werden, ebenso die Namen der auf dem Felde der Ehre ge-
allenen oder gestorbenen Aerzte. Die Mitteilungen werden sich
jedoch auch ferner auf die im Felde stehenden Söhne der Medizinalbeamten usw.
erstrecken, soweit sie der Redaktion bekannt geworden sind; sie ist deshalb
für die Zusendung solcher Mitteilungen sehr dankbar.
Biserae Kress IL Klasse am Mkwars» weißen Bastei
Oberstabsarzt d. L. Med.-Bat Dr. Brandt, Oeriebtsarzt in Hannover.
Ehren-OedAohtnistafeL Für das Vaterland gefallen sind ferner:
Assistenzarzt Dr. Lndolf Diesing.
Stabsarzt Dr. L. Friedemana ans Berlin (gestorben infolge von
Krankheit!.
Cand. mea. Friedrich Harmey er.
Stabsarzt Dr. H. ^adenburger-Mannheim.
Dr. P Lindner-Danzig. '
Stabsarzt d. Bes. Dr. Hugo Hüller, Kreisarzt in Berent (Westpr.).
Stad. med. Werner Schulze.
Unterarzt Dr. Töringer.
Anssatz. Im Deutschen Reich (Preußen) ist in der Woehe
vom 6.—12. Januar in einem Gefangenenlager bei einem Kriegsgefangenen
Aussatz festgestellt worden.
Cholera. Im Deutsehea Beich sind Ckoleraerkrankungen auch
weiterhin nicht vorgekommen; in OeBterreich betrug ihre Zahl (and die
der Todesfälle) vom 12. bis 25. Dezember v. Js. 10 (7) und 86 (15). Außerdem
wurden in Kroatien und Slavonien vom 29. November bis 20. Dezember
29 (27), 20 (18) und 24 (4) Fälle, meistens bei Kriegsgefangenen, festgestellt.
In Ungarn betrugen die Zahlen in den 4 Wochen vom 6. Dezember bis
2. Januar 72 (42), 122 (76), 58 (25) und 21 (16), davon kamen 49 (24), P (0,
22 (11) und 11 (10) Fälle unter Kriegsgefangenen vor.
An Fleckfieber sind .im Deutschen Beiche in der Zeit vom
6. bis 26. Jan. wieder einige Erkrankungen bei Kriegsgefangenen ln Gefangenen¬
lagern sowie bei vom Östlichen Kriegsschauplätze heimkehrenden Soldaten fest¬
gestellt worden.
Poeken-Erkrankungen sind imDeutschen Beiche in jeder der drei
Wochen vom 6. bis 26. Januar je 1 beobachtet und zwar 2 an aus Russisch-Polen
zugewanderten Arbeitern und der dritte an einem vom östlichen Kriegsschau¬
plätze heimkehrenden Soldaten. Im General-Gouvernement Warschau wurden
in der Zeit vom 5. bis 11. Dezember 144 Erkrankungen und 15 Todesfälle
gemeldet.
Erkrankungen und Todesfälle an ansteckenden Krankheiten in
Preußen. Nach dem Ministerialblatt für Medizinal-Angelegenheiten sind in der
Zeit vom 26. Dezember 1915 bis 15. Januar 1916 erkrankt (gestorben) an
Pest, Gelbfieber, Fleckfieber, Cholera, Botz, Aussatz: — (—),
Trichinose: — (—), — (—), — (—), 10 (—); Tollwut: 1 (—), — (—),
— (—), — (—); Bißverletzungen durch tollwutverdächtige
Tiere: 9 (—), 3 (—), 8 (—), 16 (—); Milzbrand: 1 (1), — (—), — (—),
1 (—); Pocken: — (—), — (—), 1 (—), (—) (—); Unterleibstyphus:
164 (20), 9 (—), 184 (18), 197 (14); Buhr: 28 (ß), 1 (2), 26 (4), 83 (7);
Diphtherie: 8858 (270), 25t (i5), 3768 (807), 8560 (263); Scharlach:
2096 (127), 142 (7), 2534 (132), 2389 (130); Kindbettfieber: 68 (25),
2 (2), 57 (15), 70 (23); Genickstarre: 8 (8), — (—), 18 (5), 20 (6);
Fleisch-, Fisch -und Wurstvergiftung: 2(—), — (—), 1 (t), —(1);
Körnerkrankheit (erkrankt): 32, 3, 27, 88; Tuberkulose (gestorben):
676, 40, 676, 808.
Redakteur: Prot Dr. Rapmund, Geh. Med.-Bat in lfmdw i.W.
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Tuberkulose und Schwangerschaft.
Von Prof. Dr. Roepke • Melsungen.
In einem klinischen Vorträge des Direktors der Universitäts-
Frauenklinik Halle a. S., Geh. Med.-Rat Prof. Dr. J. Veit, über
„Appendizitis und Schwangerschaft“ 1 ) heißt es: „Die Kombi¬
nation von Schwangerschaft mit Appendizitis führt in heutiger
Zeit immer noch einzelne Aerzte dazu, daß sie meinen, des¬
wegen müsse eine Schwangerschaft unterbrochen werden. Sie
wissen, daß ich in bezug auf Erhaltung der Schwangerschaft
sehr ernste Grundsätze habe, so ernst, daß das Publikum
schon weiß, daß nicht jeder Fall von Tuberkulose
bei Schwangerschaft von mir mit der künstlichen
Fehlgeburt behandelt wird, und so sehe ich die
Kombination von Tuberkulose und Schwangerschaft
jetzt viel seltener als andere Aerzte. Wenn Aerzte
einmal wegen dieser Komplikation die Schwanger¬
schaft unterbrochen haben, so gibt es oft schon
*) Medizinische Klinik; 1916, Nr. 4.
86
Dr. Boepke.
kein Halten mehr. 8 ) Ich bin überzeugt, daßTdie Bewegung
gegen die weitere Ausdehnung der Indikation der
Unterbrechung der Schwangerschaft wegen Tuber¬
kulose, welche unter dem Einflüsse des Krieges
eingesetzt hat, nirgends nützlicher wirken wird
wie auf diesem Gebiete. 8 )“
Ich gebe diese Sätze hier im Wortlaut wieder, weil man
so zwischeh den Zeilen besser den Vorwurf heraus lesen kann,
den Veit, jedenfalls mit gutem Grunde, gegen „einzelne Aerzte“
erheben zu müssen glaubt. Die Lage, in der sich unser Volk
nach den ungeheuren Verlusten an Menschenleben durch den
Weltkrieg befindet, berechtigt m. E. einen klinischen Universi¬
tätslehrer in allererster Linie, so deutlich und schonungslos vor
seinen klinischen Hörern den Finger in eine Wunde zu legen, die
zu schließen die gegenwärtige Zeit wie keine mahnt und zwingt.
Nach den meisten Rechtslehrern ist die Anwendung der
§§ 219—220 des Strafgesetzbuches auf die nur aus medizi¬
nischen Gründen vorgenommene Fruchtabtreibung zwar
ausgeschlossen, weil, wie Rapmund-Dietrich in der „Aerzt-
lichen Rechts- und Gesetzeskunde“ 8 ) ausführen, diese Gesetzes¬
paragraphen nur die in rechtswidriger Absicht die Tötung
der Frucht bezweckende Abtreibung ahnden, keineswegs
jedoch den zur Rettung der Mutter dienenden operativen Ein¬
griff. „Voraussetzung der Straflosigkeit ist allerdings nicht
bloß die Einwilligung der Mutter oder ihres Vertreters, sondern
vor allem auch die sorgfältige Abwägung aller Um¬
stände, die den beabsichtigten Eingriff nach den
Grundsätzen der medizinischen Wissenschaft recht-
fertigen und notwendig machen. Die Besorgnis einer
drohenden und besonderen Lebensgefahr für die Mutter
muß jedenfalls begründet sein; liegt aber ein solcher Not¬
stand vor, dann ist der Arzt sogar verpflichtet, den er¬
forderlichen Eingriff entweder selbst zu machen oder die
Zuziehung eines zweiten Arztes 8 ) deshalb zu veranlassen.“
Der Entwurf eines deutschen Strafgesetzbuchs wird voraussicht¬
lich pflichtgemäßes ärztliches Handeln in dieser Frage
in gleicher Weise decken.
Was die Schwangerschaftsunterbrechung selbst anbetrifft,
so raten Rapmund-Dietrich in Uebereinstimmung mit Ahl-
feld 4 ) dringend jedem Arzt, der sich zu einem solchen Ein¬
griff genötigt sieht, stets einen erfahrenen Kollegen heran¬
zuziehen, die Indikationen im Verein mit diesem
sorgfältig abzuwägen 8 ) und sich der zuvorigen Genehmi¬
gung der Beteiligten zu versichern, um bei etwa erfolgenden
Angriffen in jeder Weise gedeckt zu sein.
Der gleiche Vorschlag, daß jedesmal zwei Aerzte über
*) Im Original nicht gesperrt.
<M Erster Band; 8.160—158. Verlag von Georg T h i e m e - Leipzig.
*) Lehrbuch der Geburtshilfe; III. Aufl., S 563. Verlag von Wilhelm
Orunow- Leipzig.
Tuberkulose und Schwangerschaft
87
die künstliche Unterbrechung einer Schwangerschaft ent¬
scheiden sollen, ist von v. Franque 8 ) gemacht. Br bildet
auch den Antrag der Aerztekammer der Rheinprovinz, fol¬
genden Zusatz zur ärztlichen Standesordnung zu be¬
schließen: „Es ist standesunwürdig, einen künst¬
lichen Abortus ohne vorhergehende gewissenhafte
Indikationsstellung in Beratung mit einem zweiten
Arzte auszuführen. Die Indikationsgründe sind proto¬
kollarisch kurz festzulegen, mit den Unterschriften zu versehen
und 5 Jahre lang von dem operierenden Arzte aufzubewahren.“
Von den Vertretern der Aerztekammer der Provinz Hessen-
Nassau sind in der Sitzung vom 5. Dezember 1915 gegen den
Antrag „vielfache formale und rechtliche Bedenken“ geäußert;
seine weitere Beratung ist auf die nächste Sitzung verschobep. 6 )
Die gleiche Forderung erhebt neuerdings Cred^-Hoerder 7 )
in einer sehr lesenswerten Schrift, die die Beziehungen der
Tuberkulose zu Schwangerschaft, Ehe, Wochenbett qnd-Stillr
geschäft vom Standpunkte des Geburtshelfers bespricht. Pqi
allen Eingriffen, abgesehen von ganz dringenden Fällen, auf
dem Lande usw., soll über die Indikation zur Unterbrechung
der Schwangerschaft bei einer tuberkulösen Frau „stets von
zwei Aerzten“ entschieden werden. „Dem gewissenhaften
Arzt, speziell dem Gynäkologen, dem Praktiker, der die Unter¬
brechung der Schwangerschaft nachher ausführt, muß es ja
auch nur erwünscht sein, wenn seine Entscheidung, von der
hier nicht nur das Leben seiner ihm anvertrauten Patientin,
sondern auch das entstehende neue Leben abhängt, noch
einmal gewissenhaft von einem tüchtigen Arzt und
Kollegen nachgeprüft wird.“*) Crede-Hoerder be¬
gründet die Forderung mit dem anerkennenswerten Geständnis,
daß der nur gynäkologisch tätige Arzt meist nicht so geschult
in den Feinheiten der Lungenuntersuchung und nicht so er¬
fahren in Tuberkulosefragen ist, wie der Internist und der
Arzt mit reicher Erfahrung auf diesem Gebiete. Ferner
wünscht Cred^-Hoerder ebenfalls, daß derjenige, der die
Unterbrechung der Schwangerschaft übernimmt, unbedingt
ein schriftliches Gutachten über den Lungenbefund
durch den Internisten oder praktischen Arzt fordern soll. „Es
ist für diesen ein großer Unterschied, ob er die mündliche Er¬
klärung' in irgendeiner Form abgibt: Hier muß unterbrochen
werden I oder ob er seine Ansicht und seinen Befund schriftlich
bekräftigt. Das Wort vergeht, die Schrift besteht, das gilt
hier in verstärktem Maße.“ Und »wer aus der Praxis weiß,
welch großes Entgegenkommen auf derartige Wünsche das
Publikum oft fordert, wer weiß, wie außerordentlich stimulie¬
rend auf manche Aerzte die Reflexion wirken kann: Tue ich
es nicht, so tut es ja doch ein anderer —“, der wird den Vor-
6 ) Juristisch-psychiatrische Grenzfragen; 1910, Bd. 7, H. 4.
*) Korrespondenzblatt der Aerztekammer; Bd. VI, H. 22, S. 891.
7 ) Tuberkulose und Mutterschaft; Verlag von J. Karger-Berlin.
88
Dr. Roepke.
Schlägen zustimmen, da sie „letzten Endes doch nur darauf hin
abzielen, daß die Indikationen zur Unterbrechung der Schwanger¬
schaft einer tuberkulösen Frau auf das allergewissenhafteste
nach allen Richtungen hinüberlegt und abgewogen
werden müssen.“ Döderlein möchte hierbei den Gynä¬
kologen gewissermaßen nur als den Ausführenden der Indi¬
kationsstellung des Internisten betrachtet wissen.
Es ist zuzugeben, daß die Zuziehung des zweiten Arztes,
wenn sie allseitig befolgt und bindend werden würde, die
Einleitung künstlicher Aborte bzw. Frühgeburten aus unzu¬
reichenden Gründen erschweren, wenn auch wohl nicht auf die
notwendigen Schwangerschaftsfälle tuberkulöser Frauen be¬
schränken würde. Auch F. Straßmann 8 ) erblickt in dem
Zusammenwirken zweier Aerzte nicht immer die notwendige
Gewähr dafür, daß die Indikation so streng gefaßt wird, wie
man es verlangen muß. Besonders scheinen ihm „leichte
tuberkulöse Affektionen oder auch nur verdächtige Be¬
funde als willkommene Indikation für eine Unterbrechung der
Schwangerschaft angenommen“ zu werden. Die Zuziehung
eines xbeliebigen zweiten Arztes oder das schriftliche Gut¬
achten eines praktischen Arztes über den Lungenbefund bieten
aber auch keine irgendwie ausreichende Gewähr dafür, daß
selbst eine „gewissenhafte Indikationsstellung“ objektiv zu¬
treffend ist und medizinisch berechtigt, die Schwangerschaft im
Interesse der Mutter zu unterbrechen, oder sie ohne deren
Gefährdung und Gesundheitsschädigung bestehen zu lassen. Es
würden Fehlgriffe im Unterbrechen und Erhalten der Schwanger¬
schaft Vorkommen, wenn auch bona oder sogar optima fide.
Auch in diesem Zusammenhänge liegt nämlich die Beurteilung für
die Tuberkulose in ihrer weitaus häufigsten und praktisch
wichtigsten Erscheinungsform, der Lungentuberkulose, ganz
besonders schwierig.
In einem Vortrage 9 ) über die „Fürsorge für die aus Lungen¬
heilstätten Entlassenen“, habe ich vom prophylaktischen Stand¬
punkt ausgeführt, daß das tuberkulosegefährdete und tuberkulöse
weibliche Geschlecht besonderer aufklärender Beratung,
Fürsorge und Schonung bedarf. Der Tuberkulosearzt kann
daher auch der Erhöhung der Geburtenziffer um jeden Preis
nicht zustimmen, so berechtigt und notwendig alje Be¬
strebungen sind, dem Geburtenrückgang in Deutschland ent¬
gegenzutreten. Wir wissen zwar, daß die Vererbung der Tuber¬
kulose von den Eltern auf die Frucht praktisch so gut wie keine
Rolle spielt; aber die Vererblichkeit der Disposition zur Tuber¬
kulose ist wohl nicht zu bestreiten und zwingt aus rasse-
hygienischen Gründen, die Quantität des Nachwuchses
8 ) Die Behandlung der Abtreibung im künftigen Strafgesetzbuch. Viertel-
jahrschrift für gerichtliche Medizin; 49. Bd., 2. H.
9 ) Verhandlungen des Deutscheu Zentralkomitees zur Bekämpfung der
Tuberkulose; 1914.
Tuberkulose und Schwangerschaft.
89
nicht auf Kosten der Qualität zu überschätzen. Dieser Auf¬
fassung hat erst jüngst eine Bestätigung durch den Geh. Ober-
Med.-Rat v. Gr über auf der Tagung für „Erhaltung und
Mehrung der deutschen Volkskraft“ gefunden, v. Gruber
führte in seinem Vortrage über „die Hebung der Rasse“ u. a.
aus: Die Entwicklung des Individuums hänge von den
Entwicklungsbedingungen und den der Geburt voraus¬
gehenden Vorgängen ab; durch gewerbliches Gift, durch
das Gift der Syphilis oder Tuberkulose komme es zuweilen
zu einer Vergiftung des Kindes im Mutterleibe und zu nicht
mehr ausgleichbaren Veränderungen. Ungünstige Uraweltver-
hältnisse spielen bei der Keimbildung eine Rolle; am meisten
wirke jedoch die im Keimplasma liegende sog. Erbmasse
auf die Eigenschaften des Nachwuchses ein. Die Gemeinschaft
itiüsse danach trachten, die Fortpflanzung der Plus-Varianten
zu fördern und die Minus-Varianten von der Fort¬
pflanzung auszuschließen. Die Fortpflanzung minder¬
wertiger Geschöpfe — und ein großer Prozentsatz der Tuber¬
kulosekranken ist zweifellos somatisch minderwertig —
müsse eingeschränkt werden. Umfassende Bekämpfung des
Alkoholismus, der Tuberkulose und der Geschlechtskrank¬
heiten werden zur Hebung der Rasse beitragen.
Diese Lehren und Forderungen gewinnen angesichts der
kontraselektorischen Auslese des Krieges eine erhöhte Be¬
deutung. Auch in der Zukunft kann an Nachkommenschaften
tuberkulöser Mütter, bei denen eine Vererbung der Anlagen
nach der Minusseite stattflndet und an den Kindern in
Schwäche und Prädisposition für die tuberkulöse Erkrankung
zum Ausdruck kommt, der Nation nicht so viel gelegen
sein, daß darüber das Leben der Mutter gegen das der
Frucht zurücktritt. Daher habe ich auch in meinem Vor¬
trage 9 ) des weiteren empfohlen, daß tuberkulöse Mädchen über¬
haupt nicht und klinisch geheilte Mädchen nicht innerhalb der
nächsten zwei Jahre nach einer Heilstättenkur eine Ehe ein-
gehen. Für die gleiche Zeit sei klinisch geheilten Frauen der
Eintritt der Schwangerschaft zu widerraten; letztere bedeute
für nicht geheilte Frauen meist sogar eine Herabsetzung der
Lebensaussichten und Gefahren, die für Mehrgebärende größer
zu sein pflegen, als für Erstgebärende.
Mit solchen prophylaktischen Ratschlägen wird aber er¬
fahrungsgemäß nicht viel erreicht, zumal die Lungentuberkulose
an sich kein Hinderungsgrund für die Konzeption ist, außer in
ihrem vorgeschrittenen Stadium. Tritt Konzeption ein, dann soll
der Arzt raten oder ein selbst unerlaubtes Mittel helfen. Das Ver¬
trauen in die medizinisch begründete und approbierte Hilfs¬
bereitschaft soll bei graviden Tuberkulösen auch nicht erschüttert
werden, selbst wenn der stille Wunsch, die Schwangerschaft
los zu werden, nicht immer berechtigtem Selbsterhaltungstrieb
oder schweren tuberkulösen Organveränderungen entsprungen ist.
Man vergesse als Arzt nicht, daß diese Patienten oft hereditär
90
Dr. Boepke.
belastet und überängstlich, tuberkulosefürchtende oder sonst aus
ihrem seelischen Gleichgewicht herausgefallene Naturen sind, die
beruhigt und beobachtet, jedenfalls fest in ärztlicher Hand be¬
halten werden müssen, bis eine eindeutige Indikationsstellung
nach der einen oder anderen Richtung hin möglich ist. Dadurch
wird man am ehesten der voreiligen heimlichen Frucht¬
abtreiberei den Zufluß abgraben, manche Schwangerschaft er¬
halten und normal ablaufen sehen, manche kunstgerecht unter¬
brechen und dädurch aus dem erhöhten Gefahrenbereich heraus¬
bringen.
Jedenfalls ist aber — und damit wiederhole ich meine
erste und grundsätzliche Forderung — in allen Fällen von
Tuberkulose und Tuberkulose verdacht die Frage mit fach-
ärztlicher Gründlichkeit und Sicherheit zu prüfen, ob eine
eingetretene Schwangerschaft bestehen bleiben darf. Indiziert ist
ihre künstliche Unterbrechung ohne weiteres bei einer offenen,
ulzerösen, kavernösen, diffusen oder über einen ganzen Lungen¬
lappen ausgedehnten, also vorgeschrittenen Tuberkulose.
Ebenso bei sichergestellter Komplikation der Tuberkulose durch
Hyperemesis, Nephritis, schwere Chlorose, pleuritisches Exsudat
und bei tuberkulöser Mitbeteiligung des Kehlkopfes; letztere ist
die wichtigste und schlimmste Komplikation der Schwangerschaft.
Dagegen ist bei den initialen, geschlossenen, torpiden, fibrösen
Formen, namentlich beim Fehlen von Komplikationen, nicht
schon der Nachweis tuberkulöser Veränderungen in der Lunge,
sondern erst der Nachweis ihres Fortschreitens oder
Fortgeschrittenseins im Lungengewebe unter dem
Einflüsse der Schwangerschaft entscheidend. Es soll
damit der Standpunkt des Tuberkulose-Facharztes zum Aus¬
druck kommen, der die von Maragliano, Queirel, Ham¬
burger, Heimann, Pradella, Schauta u. a. erhobene
Forderung, bei jeder Tuberkulose den künstlichen Abort ein¬
zuleiten, unbedingt ablehnt.
In der Notwendigkeit der verschiedenen Behand¬
lung tuberkulöser Schwangerschaftsfälle liegt zugleich die große
Schwierigkeit. Es ist die Schwierigkeit der ganzen Frage,
sie ist diagnostischer und prognostischer Natur und
wird allgemein unterschätzt. Oft steht für die Beobachtung
des Lungenbefundes auch nur kurze Zeit zur Verfügung. Im
Falle der Notwendigkeit der Schwangerschaftsunterbrechung soll
nämlich die für den künstlichen Abort geltende Zeit der ersten
zwei bis drei Schwangersohaftsmonate möglichst innegehalten
werden, während die künstliche Frühgeburt gegenüber der
normalen Entbindung weniger Vorteile bietet, immerhin aber
die Prognose mancher tuberkulösen Frauen noch zu verbessern
vermag. Ich verweise hier hinsichtlich der Einzelheiten auf
Cred^-Hoerder, der 3 Gruppen unterscheidet für die ver¬
schiedenen Indikationsstellungen und Eingriffe, die bei schwan¬
geren Tuberkulösen erforderlich sein können: 1. Fälle, in denen
die Einleitung eines künstlichen Abortes erforderlich ist;
Tuberkulose und Schwangerschaft.
91
2. Fälle, in denen die Einleitung einer künstlichen Frühgeburt
sich notwendig macht; 3. Fälle, in denen die Schwangerschaft
ihr normales Ende erreichen darf. Die Unterscheidung und
Abgrenzung wird, abgesehen von dem leicht feststellbaren
Stadium der Schwangerschaft, von dem Allgemeinzustand, dem
Lungenbefund und den durch die Gravidität gesteigerten
Wechselwirkungen abhängen.
Es besteht Uebereinstimmung darüber, daß die Schwanger¬
schaft 1. das Haften der tuberkulösen Infektion erleichtern
kann (Tuberkuloseentstehung), 2. abgekapselte Tuberkulose¬
herde zum Aufflackern bringen kann (Tuberkuloseaktivierung),
3. bestehende Tuberkulose der Lunge örtlich oder allgemein
verschlimmern kann (Tuberkuloseausbreitung). Und zwar sind
es dann allgemeine und örtliche Einflüsse, die die ungünstigen
Veränderungen in der feinen Struktur der Lungen bedingen,
loh nenne hier nur die Verminderung der thorakalen und
diaphragmatischen Atmung während der Gravidität, die Arbeits¬
überlastung der am meisten gefährdeten Lungenspitzen, die
Aenderung des physiologischen Körperhaushaltes, anatomische
und histologische Gewebsveränderungen und solche in der Blut-
und Lymphbewegung, Auflockerung der Gewebe, mangelhafte
Aatikörperbildung und Phagozytose, Anreicherung des Blutes
mit Cholestearin und Fett. Manches hiervon ist noch hypo¬
thetisch. Sicher ist, daß die Statistik die Häufigkeit der
Entstehung der Lungentuberkulose unter dem Einflüsse der
Schwangerschaft mit 32 °/ 0 überschätzt, daß aber in der Praxis
und auch in Entbindungsanstalten und Frauenkliniken ein
großes Kontingent von tatsächlich tuberkulösen Schwangeren
unerkannt und unbeobachtet entbunden wird. Die
tuberkulöse Frau ist nicht nur in der Geburtshilfe und
Gynäkologie, wie Crede-Hoerder sagt, mehr oder weniger ein
„Stiefkind“ geblieben, sondern in der medizinischen Diagnostik
überhaupt und in der Praxis erst recht. Deshalb ist es auch
nicht auffallend, wenn als Anzeichen für Entstehen, Aufflackern
bzw. Verschlimmern der Lungentuberkulose infolge oder im
Verlaufe der Schwangerschaft angesehen, im Einzelfall fest¬
gestellt und prognostisch gewertet wird, was von den Befunden
und Erfahrungen der Tuberkuloseärzte sehr, oft allzuweit
abweicht.
Nur einige wichtige Punkte. Ich habe wiederholt bei
tuberkuloseverdächtigen oder noch initialen Tuberkulosefällen
beobachtet, daß nach anfänglich gutem Verlauf und bei gleich¬
bleibendem Lungenbefund eine akute Verschlimmerung ein¬
setzt, daß solche Verschlechterungen ganz unerwartet erst
in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft eintreten können,
ohne daß sich Fieber und Gewichtsabnahme als
ungünstige Vorboten warnend bemerkbar machen.
Das ist praktisch sehr wichtig.
Ferner ist nach meinen Erfahrungen der Ausfall der
lokalen Tuberkulinreaktionen für die Indikationsstellung
92
Dr. Boepke.
nicht zu verwerten, auch nicht im Sinne von E. Martin, der
bei positivem Ausfall das Vorhandensein ausreichender Resistenz¬
kräfte des tuberkulösen Organismus annimmt, im negativen
Falle aber den Abort für angezeigt hält. Die Reaktionsfähigkeit
sinkt oder erlischt gegen das Schwangerschaftsende, um im
Wochenbett wieder anzusteigen. Wenn Zweifel bestehen, ob
bei einer Gravida überhaupt Tuberkulose vorliegt, dann ist das
einzige, was eine Tuberkulose mit Sicherheit ausschließen läßt,
der negative Ausfall der subkutanen Tuberkulindiagnostik;
das Verfahren ist bei richtiger Methodik ungefährlich, auch für
die Frucht. Dagegen kann die Konjunktivalreaktion überhaupt
nicht mehr mit gutem Gewissen als unbedenklich empfohlen
werden; und der Wert der kutanen Tuberkulinreaktion nach
v. Pirquet ist bei Erwachsenen zu diagnostischen und
prognostischen Zwecken ganz unsicher und bei Schwangeren
noch zweifelhafter als bei Nichtschwangeren. Ihr negativer
Ausfall trotz vorhandener Tuberkulose ist nicht mit irgend¬
welcher Sicherheit als ein ungünstiges Zeichen zu deuten.
Wollte man also in diagnostisch oder prognostisch
unklaren Tuberkulosefällen die Entscheidung, ob eine Schwanger¬
schaft zu unterbrechen ist oder nicht, von dem Ausfall der
lokalen Tuberkulinreaktionen abhängig machen oder auch nur
mitbestimmend beeinflussen lassen, — es gäbe ein Opfern von
Föten oder Müttern, das der Kurpfuscherei nicht nachstände.
Das behaupte ich auf Grund besonders umfangreicher Einblicke
in das Wesen der Tuberkulinproben!
Auch die Zuhilfenahme der von Credd-Hoerder hoch
eingeschätzten Röntgenuntersuchung läßt regelmäßig
dann im Stich, wenn die Frage zu entscheiden ist, ob
physikalisch nachweisbare Lungenveränderungen tuberku¬
lösen Ursprungs oder aktiven Charakters sind. Ueberhaupt
kommt es hier weniger auf die Frage der klinischen Früh¬
diagnose der Lungentuberkulose an als auf die Differential¬
diagnose und noch mehr auf die Unterscheidung aktiver Lungen-
herae von inaktiven, weiter auf die ärztliche Fähigkeit, durch
die physikalische Untersuchung den Tuberkuloseherd möglichst
zutreffend abzugrenzen und zu beobachten, ob sich die
Grenze des Pathologischen nach dem gesunden Lungengewebe
hin verschiebt, ob Infiltrationen oder katarrhalische Erschei¬
nungen sich ausbreiten oder als Metastasen in bisher
freien Abschnitten feststellbar werden. Das ist aber nur dem
geübten Untersucher möglich, der auch feine Unterschiede und
geringe Abweichungen der Perkussions- bzw. Auskultations¬
ergebnisse richtig erkennt und deutet.
Deshalb halte ich als zweiten Arzt, der über die Unter¬
brechung einer Schwangerschaft bei tuberkuloseverdächtigen
und tuberkulösen Schwangeren mit entscheiden soll, den
Tuberkulose-Facharzt für den berufensten und möchte
ihm für die Indikationsstellung den Vorzug eingeräumt wissen
vor dem praktischen Arzt, vor dem Frauenarzt und selbst vor
Tuberkulose und Schwangerschaft. 93
den Vertretern der inneren Medizin. Diagnostische Fähigkeiten
einzelner Kollegen sollen nicht in Zweifel gezogen werden. Es
gibt unter den Praktikern und in allen Disziplinen gute Unter¬
sucher der Atmungswege, ich kenne aber auch andere, selbst
Internisten von gutem Rufe, und kein Arzt wird bestreiten
können, daß er, wenn er Perkutieren und Auskultieren nicht
sehr sicher beherrschen gelernt hat und dauernd und
kritisch übt, Feinheiten überhört und unsicher wird, zumal
wenn das Gehör durch endo- oder exogene Vorgänge schwächer
oder mit höherem Alter weniger reizempfindlich wird.
Ist der zweite Arzt bei Entscheidung der Schwanger¬
schaftsunterbrechung wegen Tuberkulose tunlichst ein Tuber¬
kulose-Facharzt oder wenigstens ein Internist, dann kann der
andere Arzt, der den Eingriff zur Frage stellt oder ihn aus¬
führt, der behandelnde Arzt oder — für die meisten Fälle
besser — ein Gynäkologe sein. In der Praxis hat sich schon
vielfach der Gebrauch ausgebildet, daß der Gynäkologe für
die Feststellung des Lungenbefundes und der Indikation einen
Tuberkulosearzt oder Internisten heranzieht, während diese mit
der als notwendig erkannten Ausführung des Eingriffes in der
Regel den Frauenarzt zu betrauen pflegen.
Der praktische Arzt tritt dabei allerdings in den Hinter¬
grund, und man könnte im Zweifel sein, ob solche Einengung
der ärztlichen Allgemeinpraxis bei der ohnehin zunehmenden
Spezialisierung der Heilkunde erlaubt und wünschenswert
ist. Aus jahrelanger fachärztlicher Praxis weiß ich, daß
viele praktische Aerzte nicht ungern darauf verzichten, bei
tuberkulösen Schwangeren im Sinne der künstlichen Unter¬
brechung aktiv beteiligt zu werden. Es ist das auch ver¬
ständlich, weil die Vornahme der jeweilig indizierten Ein¬
griffe in der Sprechstunde untunlich, im Hause der Graviden
recht zeitraubend ist und nicht die sichere und kunstgerechte
Ausführung, Nachbehandlung usw. verbürgt wie in einer
allgemeinen oder Spezial-Krankenanstalt. Dazu kommt, daß
der künstliche Abort nicht in allen Fällen die Verschlimmerung
der Tuberkulose aufzuhalten vermag und diese dann dem
Praktiker, wenn auch völlig unberechtigt, zum Vorwurf gemacht
werden kann. Das gilt in noch weit höherem Maße für die
künstliche Frühgeburt, die selbst in Frauenkliniken und bei
Fällen des I. Tuberkulosestadiums 40°/ 0 Mortalität aufweist und
jenseits des fünften Monats so umstritten ist, daß eigentlich
nur der gynäkologisch tätige Arzt die Verantwortung über¬
nehmen kann. Dann kommen auch eingreifendere Operationen
wie Totalexstirpation, gleichzeitige Sterilisierung in Frage, die
unbedingt in der Hand des Gynäkologen verbleiben müssen.
Die Frage der gleichzeitigen Sterilisierung wird nach meinen
Erfahrungen auch schon häufig vor der Einleitung des künst¬
lichen Abortes auftauchen und erheischt immer eine ganz
besonders kritische Prüfung der Notwendigkeit bzw. Zweck¬
mäßigkeit; sie ist so schwerwiegend, daß sie, von einem
94 Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
Arzte beschlossen und ausgeführt, geradezu einen sträflichen
Leichtsinn bedeuten würde.
Für die Indikationsstellungen sind außer dem Stadium der
Schwangerschaft und dem Verlauf der Tuberkulose die sozialen
Verhältnisse zwar nicht entscheidend, aber doch von
Wichtigkeit. Man mag sie in der Theorie außer acht lassen
wollen, in der Praxis wird man sie berücksichtigen müssen,
wenn man die tuberkulöse Frau im Ruhestadium ihrer Er¬
krankung erhalten, die Zahl der künstlichen Fehl- und Früh¬
geburten auf das unbedingt notwendige Maß zurückdrängen
und vor allem das Uebel des kriminellen Abortes wegen vor¬
handener oder vermeintlicher oder fehlender Tuberkulose ein¬
dämmen will. Die verschiedenen Mittel und Wege zu diesem
Ziele, das im Volksinteresse sehr dringlich ist und auch in dem
Arbeitsfelde der Medizinalbeamten liegt, sollen einer späteren
Veröffentlichung Vorbehalten bleiben. Die tuberkulöse Frau
darf jedenfalls in der sozialen Medizin nicht weiter das Stiefkind
bleiben und gerade dann nicht, wenn für sie im Zustande der
Schwangerschaft der Arzt „zum Herrn über Leben und Tod“
wird.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
A. Geriohtliohe Medizin.
Ueber Vergiftung mit Azetylengas. Von Dr. NicoL Münchener
mod. Wochenschrift; 1916, Nr. 6.
Die toxische Wir kan g des Azetylens ist sehr gering; erst in hoher
Konzentration wirkt es betänbend. — ln zwei beobachteten Fällen ergab sich
folgendes Krankheitsbild: Tief komatöser Zustand, tiefe, langsame Atmung,
Brechreiz, Zyanose des Gesichtes. Puls klein, frequent, unregelmäßig. Pupillen
erweitert, starr. Bauchdecken und KremasterreHexe nicht auslösbar; kein
Patellar- und Fußklonus. Auf Anruf o^er sonstige Reize keine Reaktion. —
Unter dem Einflüsse von O-Inhalationen und Exzitantien schnelle Besserang.
Nach 1 Stunde rauschartige Erregungszustände. Der Kranke schlägt um sieb,
wirft sich herum, ist nur mit Mühe zu halten; Gesichts- und Gehörs¬
halluzinationen treten auf; plötzlich lacht er laut; gibt verwirrte Antwort.
Nach 2 Stunden fester Schlaf. (Also ein Krankheitsbild, wie wir es in der
Narkose sehen). Der Nachweis von Kohlenoxyd im Blute ist nicht gelangen.
_ Dr. Gr aß 1-Kempten.
B. SaohverntAndlgent&tlgkelt in Unfall- and Invalidität»- and
KrudtsaverslohsrangMaohsn.
Schlaganfall. Kein ursächlicher Zusammenhang mit einer 3 Standen
vorher verrichteten schweren Arbeit (Wagenschieben). Urteil des
ltoichsversicherungsamts vom 13. Oktober 1915.
Der Hauer Franz B. in Altwasser war am 27. Juli 1913 gegen 9 1 /* Uhr
zur Nachtschicht ungefähren und hatte zunächst zwei volle Förderwagen vom
Fördergestell wegzuschieben und an deren Stelle zwei leere Wagen aufzu¬
rücken. Diese Arbeit mag dem B. schwer gefallen sein, zumal die ersten
beiden Wagen durch Geröll hindurch, das auf den Schienen lag, geschoben
werden mußten. Er hatte zwar über „die Schinderei" geschimpft, dann aber
doch einige Stunden weitergearbeitet. Gegen 1 Uhr nachts in der Eßpause
erwähnte er dem Kameraden gegenüber ein merkwürdiges Müdigkeitsgefühl,
konnte aber auch danach wieder noch zirka 3 Stunden Weiterarbeiten, ohne
daß sein Arbeitskamerad etwas Auffälliges an ihm bemerkte. Gegen vier Uhr
morgens fiel er plötzlich bei der Arbeit um und mußte bewußtlos ins Lazarett
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
95
geschafft werden, wo er bald nach der Ginlieferong starb. Er war, wie die
Leichenöffnung ergab, einem Gehirnschlage erlegen, der durch eine Verkalkung
der kleinen Gehirngefäße verursacht worden war. Wenn solche Gehirnblutungen
auch durch schweres Arbeiten ausgelöst werden können und auch nicht in
jedem Falle sofortige deutliche Erscheinungen zu verursachen brauchen, so
erschien dem befragten Arzte in diesem Fall der Zeitraum von mehreren
Standen zwischen der schweren Arbeit des Wagenschiebens und dem ersten
Auftreten der Krankheitssymptome doch zu lang, als daß mit Wahrscheinlich¬
keit auf einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Tod und Arbeitsleistung
geschlossen werden könnte. Die von den Hinterbliebenen erhobenen Ent¬
schädigungsansprüche wurden daher abgewiesen, weil ein Unfall für das Bersten
des erkrankten Gehirngefäßes nicht verantwortlich gemacht werden könne.
Das R.-V.-A. bestätigte die ablehnenden Vorentscheidungen aus folgenden
Gründen:
Wenn man auch die Abschiebung zweier Bergewagen durch Geröll
hindurch als eine besonders anstrengende Arbeit ansehen kann, die eine Gehirn¬
blutung hätte auslösen können, so kann man doch nach dem Gutachten des
Knappschaftsoberarztes, der auch bei der Leichenöffnung mitgewirkt hat, mehr
als die bloße Möglichkeit eines Zusammenhanges zwischen der zum Tode
führenden Gehirnblutung und dieser Betriebstätigkeit nicht annehmen. Der
Tod ist zweifellos infolge einer Gehirnblutung eingetreten. Aber die Zeit bis
ein Uhr morgens ist nach den Hergangsermittelungen ohne besondere Vorboten
eines ächlaganfalles, wie Schwindelanfälle und dergleichen, vergangen. Erst
um ein Uhr bei der Eßpause hat B. die Bemerkung über Müdigkeit gemacht.
Bei dieser Sachlage ist es nach dem Gutachten des Dr. M. wahrscheinlicher,
daß der Beginn der Blutung erst um diese Zeit eingesetzt hat, als schon im
Anschlüsse an die Arbeit des Wegschiebens der Förderwagen. Zwischen dieser
Tätigkeit und den ersten Anzeichen einer Blutung liegt somit ein Zeitraum
von etwa drei Stunden. Der Gutachter bezeichnet daher den Zusammenhang
zwischen dieser Betriebstätigkeit und der zum Tode führenden Gehirnblutung
als nur möglich, für wahrscheinlicher da6 erst spätere Einsetzen der dann
auch auf die Tätigkeit nicht ursächlich zurückführbaren Blutung. Die Vor¬
instanzen haben daher mangels auch nur einigermaßen sicheren Nachweises des
ursächlichen Zusammenhanges zwischen dem Tode und einer Betriebstätigkeit
den Anspruch der Hinterbliebenen auf Rente mit Recht verneint.
(Kompaß; 1916, Nr. 3.)
Die Uebertragung des Krebserregers scheint nur auf dem Blutwege
denkbar. Das bloße Zusammensein eines Unfallverletzten mit einem
Krebskranken im Krankenzimmer genügt nicht zur Ansteckung. Urteil
des Reichsversicherungsamts vom 14. Oktober 1915.
Der Wagemeister W. U. in R. hatte am 24. März 1906 im Bergwerks¬
betriebe einen Bruch des rechten Unterschenkels erlitten, für dessen Folgen
U. zuletzt eine Teilrente von 50°/o bezog. Nachdem U. am 2. Juli 1912 an
Kehlkopfkrebs verstorben war, behaupteten die Hinterbliebenen, l T . habe sich
infolge der öfters angewandten Narkose ein tuberkulöses Halsleiden zngezogen.
Wenn er an Kehlkopfkrebs gestorben sei, so wäre das auf eine Ansteckung
zurückzuführen, der er während seiner Behandlung an den Unfallfolgen im
Knappschaftslazarett ausgesetzt gewesen sei. Er habe damals mit einem an
Zungenkrebs leidenden »Steiger einige Zeit in demselben Krankenzimmer
zusammen gelegen. Einen solchen indirekten Zusammenhang des Todes mit
dem Unfall hielten die Aerzte jedoch für sehr wenig wahrscheinlich. Nach
dem vom R.-V.-A. eingeholten Obergutachten ist eine Krebsiioertragung nur
auf dem Blutwege denkbar und ein bloßes Zusammensein mit einem Krebs¬
kranken in demselben Raum genügt nicht zur Uebertragung der Krankheit.
Die Hinterbliebenen wurden daher vom R.-V.-A. aus folgenden Gründen mit
ihren Ansprüchen abgewiesen:
Die Leichenöffnung hat einwandfrei ergeben, daß U. an Kehlkopfkrebs
gestorben ist. Daß diese Krankheit mit dem Unfall vom 24. März 1906 und
insbesondere mit seinem bis zum 23. November 1907 währenden Lazarett.-
aufenthalt in ursächlichem Zusammenhang gebracht werden kann, hat die
Universitätsklinik in Breslau für ausgeschlossen, zum mindestens aber für
durchaus unwahrscheinlich gehalten. Das R.-V.-A. hat sich ihrem eingehend
96
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
begründeten und überzeugenden Gutachten unbedenklich angeschloesen und
vor allem auch einen Zusammenhang zwischen dem Krebsleiden des Ver¬
storbenen und seinem Lazarettaufenthalt insofern für unwahrscheinlich erachtet,
als U. sich dort ein tuberkulöses Halsleiden zugezogen haben könnte, auf
dessen Grundlage sich dann später der Kehlkopfkrebs entwickelt hätte; gegen
einen solchen Zusammenhang spricht vor allem die Länge der zwischen dem
Lazarettaufenthalt und dem Tode des U. verflossenen Zeit. Dem Rekurse
mußte daher der Erfolg versagt werden, ohne daß es noch auf die Erhebung
weiterer Beweise ankommea konnte. (Kompaß; 1916, Nr. 8.)
Selbstmord eines Unfallverletzten im Anschluß an einen Streit mit
der Ehefrau. — Entschädigungspflicht der Berufsgenossenschaft, well
ungünstige Einwirkung des Unfalles auf die Gemütsverfassung des Ver¬
letzten anzunehmen. Urteil des Reichsversicherungsamts vom
19. Oktober 1915.
Der Bergmann W. in R. hatte am 2. April 1910 einen ziemlich schweren
Unfall erlitten, welcher jedoch mit Hirnstörungen nicht verbunden gewesen
war. Seit dem 1. Juli 1912 bezog er für die Folgen dieses Unfalles noch eine
Rente von 50°/o der Vollrente. W. scheint ein jähzorniger, leicht erregbarer
Mensch gewesen zu sein, denn er hatte seine Ehefrau öfters mißhandelt. Er
war auch schon früher mehrmals mit dem Strafrichter in Konflikt gekommen
und wegen Körperverletzungen bestraft worden. Im Dezember 1912 entstand
zwischen den Eheleuten wieder Streit, weil W. den Wohnort wechseln
wollte, womit die Frau nicht einverstanden war, und weil er die Arbeit nieder¬
gelegt hatte. Schon am 13. Dezember 1912 teilte er seiner Frau mit, daß er
die Absicht habe, sich das Leben zu nehmen. Nach 2 Tagen griff W. bei
einem neuen Streit zum Revolver, schoß seiner Frau eine Kugel in die linke
Seite und sich selbst in den Kopf, woran er am nächsten Tage verstarb. Die
Witwe erhob Entschädigungsansprüche. Ihr Mann habe in geistiger Um¬
nachtung die Tat begangen und die Geistesstörung sei auf den Unfall zurück¬
zuführen. Sie wurde mit ihren Ansprüchen von der Knappschafts-Berufs¬
genossenschaft und vom Oberversicherungsamt ab^ewiesen. Die gehörten
ärztlichen Sachverständigen waren sich zwar darin einig, daß W. den Selbst¬
mord im Zustande geistiger Umnachtung begangen habe, nicht aber darin, daß
der Unfall auch als wesentlich mitwirkende Ursache für die geistige Um¬
nachtung und damit für den Selbstmord anzusehen sei. Während die Vor¬
instanzen eine Mitwirkung des Unfalles und seiner Folgen für das Zustande¬
kommen der Tat nur als möglich erachteten, hielt das R.-V.-A. trotz der
Zweifelhaftigkeit es doch für wahrscheinlich, daß der Unfall verschlimmernd
auf den Gemütszustand des W. eingewirkt habe und verurteilte daher die
Berufsgenossenschaft aus folgenden Gründen zur Entschädigungsleistung:
Das R.-V.-A. hat auf Grund der Gutachten des Dr. W. in Dortmund
vom 25. März 1915 und des Prof. Dr. H. in Bonn vom 6. Oktober 1914 ange¬
nommen, daß der Vater der Kläger den Selbstmord im Zustande geistiger
Umnachtung verübt hat. Der Senat hält ferner durch die Beweisaufnahme,
insbesondere durch die Erklärung des Dr. J. in Recklinghausen vom 11. Februar
1918, für erwiesen, daß der Verstorbene seit dem Unfall ein scheues und
eigentümliches, gegen die Zeit vor dem Unfall verändertes Wesen gezeigt hat,
und hat deshalb in Uebcreinstimmung mit Dr. W. die Ueberzeugung erlangt,
daß der Unfall auf die Gemütsverfassung des Verstorbenen eine verschlimmernde
Wirkung ausgeübt hat. Hiernach erscheint die Annahme begründet, daß der
Unfall für die Verübung des Selbstmordes eine wesentlich mitwirkende Ursache
gewesen ist. _ (Kompaß; 1916, Nr. 8.)
Die Angestelltenversicliernngspflicht der Bademeister in Sanatorien.
Beschluß des Rentenausschusses Berlin der Reichsvcr-
sicbcrungsanstalt für Angestellte vom 6. Mai 1915.
Die Angestellten gehören nicht zu den Selbständigen, sind aber auch
nicht der handarbeitenden Bevölkerungsklassc zuzurechnen. Sie verabfolgen
sämtliche Arten von Bädern. Dabei liegt ihnen die Bedienung des Publikums,
das Reinigen der Zellen und der Badegeräte ob. Außerdem üben die Ange¬
stellten Massage aus und verabfolgen Moor- und Lichtbäder. Die Bäder und
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
97
die schwierige Massage verabreichen sie nur auf ärztliche Anweisung und
unter ärztlicher Aufsicht. Die Verabfolgung von Wasserbädern und die dienst¬
botenähnliche Beschäftigung nehmen den größeren Teil der täglichen Arbeits¬
leit der Angestellten in Anspruch. Irgendwelche Personen unterstehen ihnen
bei ihren Verrichtungen nicht. Die Angestellten haben sich ihre Sachkunde
durch den Besuch eines Lehrkursus angeeignet und eine Fachprüfung be¬
standen. Nach dem vorstehenden Sachverhalt sind die Angestellten nicht mehr
der handarbeitenden Bevölkerungsklasse zuzurechnen. Wenn ihnen auch
keinerlei Leitungs- und Anordnungsbefugnisse zustehen, so ist ihre Arbeit doch
höher zu bewerten als gewöhnliche Handarbeit. Die Ausübung der Massage,
die Verabreichung von Licht-, Moor- und Kohlensäurebädern ist eine Tätigkeit,
durch die ärztlich angeordnete Heilbehandlung ausgeführt wird. Sie setzt
nmfangreiche Kenntnisse, insbesondere über den Bau des menschlichen Körpers
voraus und erfordert weitgehende Sorgfalt und Aufmerksamkeit, insbesondere
kann bei der Verabfolgung der medikamentösen Bäder das kleinste Versehen
schwere Nachteile für die Gesundheit des Patienten im Gefolge haben. Die
Verantwortung, die die Angestellten insoweit tragen, ist daher eine große und
überschreitet das Maß der Verantwortlichkeit, das einen gewöhnlichen Hand¬
arbeiter trifft. Desgleichen sind die Vorkenntnisse, die die Angestellten zur
Ausübung ihrer Tätigkeit befähigen, erheblich größere, als sie von einem
gewöhnlichen Handarbeiter verlangt werden. Die Tatsache, daß zurzeit die
Verabreichung von Wasserbädern und die dienstbotenähnliche Beschäftigung
den größten Teil der täglichen Arbeitszeit der Angestellten in Anspruch
nehmen, kann für die Beurteilung der Stellung der Angestellten nicht ent¬
scheidend ins Gewicht fallen. Die Angestellten sind hiernach in die Gruppe
der gehobenen Angestellten einzureihen und deshalb versicherongspflichtig.
(Sächsische Korrespondenz.)
0. laktorlologlo und BokimpAuf dar übertragbaren Krankheiten.
1. Bekämpfung übertragbarer Krankheiten im allgemeinen.
Die Erzeugung der Impfstoffe und Massenimpfungen in Krakau
gegen Cholera und Typhus in der Zeit des Krieges 1914/15. Von Prof.
Dr. Otto Buj wid, k. und k. Oberstabsarzt 1. Kl. Aus dem Gr. mob. Epidemie¬
laboratorium Nr. 9 der k. und k. Landwehr und dem Serotherapeutischen In¬
stitut Krakau. Medizinische Klinik; 1915, Nr. 62.
Verfasser schildert zunächst die von ihm geübte Methode der Bestimmung
des Bazillengehaltes der Vakzine, die in kürzester Zeit ein ziemlich genaues
Resultat liefert. In 1 ccm Vakzine sind 2 mg Cholera- bezw. Typhusbazillen
enthalten. Das Abtöten der Bakterien erfolgt nicht durch Erwärmen, sondern
durch Zusatz von 0,6 # /o Phenol. Die Typhusvakzine wird außerdem zwecks
Verminderung der Reaktion mit Antityphus-Pferdeserum (1:24000) sensibili¬
siert. In der Zeit vom Kriegsbeginn bis 1. Oktober 1915 wurden dort geimpft
gegen Cholera zweimal 85345, einmal 34741, gegen Typhus zweimal 50027,
einmal 7739 Personen. Die erste Impfdosis betrug 1 ccm, die 2. nach 5 Tagen
2 ccm Choleravakzine. Die Impfung hat die Epidemie überall zum Stillstand
gebracht. Die Cholera-Mortalität betrug bei den Nichtgeimpften 40—50 # /o,
bei den Geimpften im ganzen 6,8 °/o, wobei noch zu erwäünen ist, daß die ein¬
mal Geimpften sehr leicht erkrankten und von den zweimal Geimpften keiner
starb. Der Impfung ist es zu verdanken, daß sich die Cholera im Heere nicht
verbreitet hat und nicht in die Zivilbevölkerung eingedrungen ist, ebenso ver¬
hält es sich mit dem Abdominaltyphus. Nach der Impfung fällt die Erkran-
kungsziffer rasch ab, während sie in der nichtgeimpften Zivilbevölkerung zu¬
nimmt. Die Reaktion ist nach der Choleraimpfang im allgemeinen unbedeutend.
In 3—5°/o trat Erbrechen und Durchfall ein; kurz dauernde Temperatur-
Steigerungen auf 38—39° kamen öfter zur Beobachtung. Die Reaktion nach
der Typhusimpfung ist im allgemeinen stärker; besonders macht sich lokale
Anschwellung und Schmerzhaftigkeit geltend, bei unvorsichtigem Verhalten und
Deberanstrengung fanden sich auch sterile Abszesse. Die 2. Typhusimpfung
erfolgte deshalb erst nach 8 Tagen.
Dr. L. Quadflieg -Gelsenkirchen.
98
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
Die künstliche petechiale Umwandlung der Boseoien als ein
diagnostsiches Hilfsmittel. Von Dr. Ernst Mayerhofer. Münchener med.
Wochenschrift; 1916, Nr. 5.
Jede Roseola kann durch Druck leicht in eine Petechie umgewandelt
werden und dadurch die Diagnose Typhus, Paratyphus und Fleckfieber gefördert
werden. Man nimmt die zu prüfende Hautstelle zwischen vier Finger (Daumen
und Zeigefinger), hebt sie etwas auf, so daß der zu prüfende Fleck an die
Spitze der kegelförmigen Hautfalte zu liegen kommt und übt nun rasch einen
mäßig starken, konzentrischen Druck auf die Roseola aus. Sofort entsteht
an der Stelle der fraglichen Roseola eine subkutane Blutung, die viel besser
zu sehen ist als die zartgefärbte, vorher kaum elevierte Roseola. Reste nach
Akne, verschiedene Pigmentationen und andere Stellen, die mit Roseolen ver¬
wechselt werden könnten, werden nicht petechial umgewandelt.
Dr. G r a ß 1 - Kempten.
2. Fleckfieber.
Ueber Serumreaktioneu bei Fleckfleber. Yon Prof. Dr. E. Got-
schlich, damaligen stellvertretenden Leiter des Hygienischen Instituts Halle,
Priv.-Doz. Dr. W. Schür mann, I. Assistent am Hygienischen Institut Halle,
Unterarzt Dr. Block, kommandiert zum Gefangenenlager Wittenberg. Aus
dem Königl. Hygienischen Institut der Universität Halle und aus dem Lazarett
des Gefangenenlagers Wittenberg Medizinische Klinik; 1915, Nr. 48.
Die Schwierigkeit der Fleckfieberdiagnose hat verschiedene Forscher zu
Versuchen veranlaßt, die Krankheit auf serologischem Wege sicher zu stellen.
Diese Versuche hatten zu keinem sicheren Erfolg und zu widersprechenden
Resultaten geführt. Delta fand, daß der Ausfall der Sero-Reaktion bei
Fleckfieber erst wenige Tage vor der Entfieberung pder kurz vorher positiv
wird. Dadurch erklärt es sich, daß man je nach dem Stadium der Erkrankung
verschiedene Resultate fand. G., Sch. und Bl. stellten non zunächst aaclb
Versuche an, um mit der Komplementbindungsreaktion in der Diagnose des
Fleckfiebers weiter zu kommen. Sie prüften Krankensera mit Extrakten aus
Fleckfieber-, luetischen und normalen Organen und bedienten sich sowohl der
Original - Wassermann - Methode als auch der Stern sehen Modifikation
(aktives Serum). Der Eriolg mit spezifischem (Fleckfieber-) Extrakt war ganz
unbefriedigend, mit Normal-Extrakten fast stets negativ; mit luetischem Leber¬
extrakt erhielten sie positive Resultate und zwar mehr mit der 8ternschen
Modifikation, woran allerdings auch unspezifische Hemmungen beteiligt sein
konnten. Bezüglich der Krankheitsperiode, in der positive Reaktion sich fand,
machten sie dieselben Erfahrungen wie Delta. Ihre weiteren Komplement-
bindungsversuche unter Benutzung von fleckfieberantikörperhaltigem Rekon-
valeszentenserum und Krankenblut aus dem Frühstadium des Fleckfiebers
ergaben, daß bei Anwendung von inaktivem Serum kaum oder nur spurweise
Hemmungen auftraten, daß dagegen bei Verwendung aktiven Serums (Stern)
stets deutliche Hemmungen beobachtet wurden; bei diesen ist jedoch stark
mit unspezifischen Bindungen zu rechnen. Mit, der Praezipitin- und der
Thermopraezipitin-Reaktion wurden keine positiven Resultate erzielt. Ueber
die Technik der einzelnen Versuchsreihen gibt die Originalarbeit Auskunft.
Dr. L. Qn adf Ti eg-Gelsenkirchen.
3. Typhus.
Die Brauchbarkeit des Kongorotsemm- und Drigalskiserumagars zur
bakteriologischen Typhusdiagnose. Von Privatdozent Dr. W. Schürmann.
Aus dem Hygienischen Institut der Universität Halle. Med. Klinik; 1916, Nr. 49.
Die Schwierigkeit des Typhusbazillennachweises, namentlich bei verein¬
zeltem Vorkommen in Fäzes, hat nach Methoden suchen lassen, die eine elek-
tivere Züchtung ermöglichen sollen. Neuerdings hat Schmitz empfohlen, die
Drigalski-Conradi- und Kongorot-Nährböden mit Serumzusatz zu ver¬
wenden. Schürmnnn fand bei seinen Versuchen, daß sich eine Verringerung
des Kongorotzusatzes empfiehlt, um eine Ermüdung der Augen zu verhüten;
(etwa 100 ccm Serumagar, 5 ccm einer 1 proz. Lösung von Kongorot und 1,5 g
Milchzucker). Unter 226 Fäzesproben, die nach den Verfahren: Züchtung auf
Kleiner« Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
99
Malachitgrünnährhoden nach Lentz-Tietz, Drigalski-Conradi and
Bado-Nährboden ein negatives Ergebnis hatten, konnten dnreh Verarbeitung
tof Kongorotserum und Drigalskiserumagar noch in 26 = 12,1 °/ 0 Fällen
Typhus- bezw. Paratyphusbazillen gefunden werden. Dieser Erfolg empfiehlt
aeben der Abschwemmung nach Lentz-Tietz die Anwendung der beiden
8emmnährböden. Es scheint ferner, daß der D rigalski-Serumagar sich zum
Nachweis der Ruhrbazillen besser eignet, als der Kongorotserumagar. Weitere
Versuche sind noch im Gange über die Leistung der beiden Serum - Nährböden
mit Koffe'inzusatz, sowie Uber Endoagar mit Serumzusatz.
Dr. L. Quafiflieg-Gelsenkirchen.
4. Wells che Krankheit.
Experimentelle Grundlagen für eine spezifische Behandlung der
Weilschen Krankheit (ansteckende Gelbsucht). 111. Mitteilung. Von Ober¬
stabsarzt Prof. Dr. Uhlenhuth, Beratendem Hygieniker, und Stabsarzt
Dr. Fromme, Korpshygieniker. Medizinische Klinik 1915; Nr. 50.
Die Anwendung von Chemikalien: Neosalvarsan, Argentum colloidale,
Kollargol, Stibium coli., Hydrargyrum atoxyl., Argentum atoxyl., Atoxyl,
Optochin hatte bei den infizierten Tieren keinen Erfolg. Infolgedessen gingen
die Autoren zur spezifischen Immunisierungstherapie Uber. Nach Ueberstehen
der Krankheit kommt es zu einer aktiven Immunität. Für das Zustandekommen
der aktiven Immunität scheint die Impfung mit lebendem Virus erforderlich
zu sein. Es gelang jedenfalls nicht durch einmalige Behandlung mit abge¬
tötetem oder geschädigtem Virus eine aktive Immunität zu erzielen. 1 ccm
Rekonvaleszentenserum ist im allgemeinen imstande, gegen die sonst tödliche
Dosis von 1 ccm Virusblut einen Schutz zu verleihen; auch noch 3 Tage nach
der Infektion gegeben, konnte das Immunserum vor der Erkrankung schützen.
Die im Serum von Rekonvaleszenten vorhandenen Schutzstoffe lassen sich im
Tierexperiment nachweisen, so daß es möglich ist, Fälle, die ohne Ikterus
verlaufen, im Tierversuch als Weil sehe Krankheit zu diagnostizieren, indem
mau auf Vorhandensein von Schutzstoffen fahndet. Injektionen von Rekon-
valeszentenserum haben mehrfach in der Behandlung von Weil scher Krank¬
heit gute Dienste geleistet. Kaninchen, Hammel und Esel eignen sich zur
Gewinnung von Immunserum, das bei frühzeitiger Anwendung bei Menschen
therapeutische Erfolge verspricht.
Nachtrag aus der Medizinischen Klinik, Nr. 47.
Inzwischen gelang es, durch Levaditifärbung in menschlicher Leber
Spirochaeten nachzuweisen. Danach ist die von den beiden Autoren beschriebene
Spbrofchaete als Erreger der Weilschen Krankheit anzusehen.
Dr. L. Quadflieg-Gelsenkirchen.
5. Genickstarre.
Die Übertragbare Genickstarre. Von Med.-Rat J)r. Spaet, künigl.
Berirksarat in Fürth in Bayern. Deutsche Vierteljahrsschrift für öffentliche
Gesundheitspflege; 1915, 47. Bd., 4. H.
Verfasser bespricht zunächst die Genickstarre, die nach den bisherigen
Erfahrungen noch niemals alsKriegsseuche aufgetreten ist, hinsichtlich
ihrer Aetiologie (Diplococcus intercellularis Weichselbaum). Die Frage,
wie der Diplococcus in den menschlichen Organismus gelangt, ist noch nicht
entschieden, spielt auch in praktischer Beziehung keine besondere Rolle. Die
Zahl der Kokkenträger pflegt 5 bis 10 bis 20 mal größer zu sein als die Zahl
der wirklich an Genickstarre Erkrankten; sie wird unter den Erwachsenen
größer gefunden als unter den Kindern. Dm die Frage bezüglich der Ubiquität
des Diplococcus endgültig zu lösen, wären ausgedehntere Untersuchungen in
abgrenzbaren Gebieten nötig, in denen seit längerer Zeit tatsächlich keine
Genickstarrefälle vorgekommen sind. Für das Auftreten, Zustandekommen und
den Verlauf der Infektion sind zwei Möglichkeiten gegeben, einmal, daß die
Virulenz des Erregers eine wechselnde, und dann daß die Disposition der
einzelnes Personen für die Krankheit eine verschiedene ist. Ersteres wird
vielfach angenommen und auch zutreffen. Ueber die Verschiedenheit der
individuellen Disposition bestehen nur Vermutungen; im Alter unter 10 Jahren
100
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
erfolgen 70°/o der Erkrankungen, jenseits des 80. Lebensjahres nur sehr selten.
FOr den kindlichen Organismus gelten als disponierend: lymphatische Konsti¬
tution, sowie auch Erkältung&n infolge meteorologischer Einflüsse, ferner starke
körperliche Anstrengung, Insolation, Trauma, Alkoholismus und die bekannten
Schädlichkeiten der Armut und des Elends.
Bezüglich der Verbreitung der Genickstarre ist besonders beachtenswert:
1- Daß die wirklich an Genickstarre erkrankten Personen hauptsächlich
im Inkubationsstadinm und während der ersten Krankheitstage die Diplokokken
in ihren Rachenorganen beherbergen und nach außen abgeben, daß dagegen
vom fünften bis sechsten Krankheitstage ab, Ton einzelnen Ausnahmen abgesehen,
diese Krankheitserreger in den Rachenorganen nicht mehr nachgewiesen werden
können. Diese Kranken haben meist auch trockene Rachenorgane, sie husten
wenig oder gar nicht.
2. Daß im Gegensätze hierzu bei den Kokkenträgern, sowohl bei den
an Pharyngitis erkrankten wie auch bei den Yöllig gesunden, noch in der Regel
zwei bis drei Wochen Kokken in den Rachenorganen in vollvirulentem Zustande
sich finden nnd von da nach außen abgegeben werden. In einzelnen Fällen
wurden sogar noch längere Zeit Kokken in den Rachenorganen nachgewiesen,
bisher bis zur längsten Dauer von sieben Monaten und bei periodischem Vor¬
handensein der Kokken sogar über diese Zeit hinaus.
Bei der Verschleppung der Genickstarre spielen also die Kokkenträger
die wichtigste Rolle. Das ersieht man auch aus dem epidemiologischen
Verhalten der Krankheit: Bei Genickstarren bleiben die meisten Erkrankungen
isoliert, und weitere Krankheitsfälle treten häufig entfernt von den vorher¬
gehenden auf, so daß es vielfach den Anschein hat, als handle es sich über¬
haupt um keine übertragbare Krankheit. Auch wechseln die, zeitlichen Intervalle
zwischen den einzelnen Erkrankungen einer Gruppe von Genickstarrefällen
sehr, nach manchen Beobachtungen von 1 Tag bis zu 47 Tagen.
Unter diesen Verhältnissen ist es begreiflich, daß die Bekämpfung der
Krankheit auf große Schwierigkeiten stoßen muß. Jedenfalls haben die Versuche,
den Epidemien in der Weise entgegenzutreten, wie es namentlich in Deutsch¬
land mit so großem Erfolge beim Typhus und bei der Cholera gelang, bei
der Genickstarrebekämpfung versagt. Halten doch namhafte Hygieniker die
Feststellung und Isolierung aller Kokkenträger bei Auftreten von Meningitis
epidemica selbst innerhalb von Kasernen und anderen geschlossenen Anstalten
für praktisch undurchführbar und unnötig.
Sind deshalb auch Bekämpfnngsmaßnahmen von recht zweifelhaftem
Erfolge, so wird doch fast allgemein empfohlen:
1. Absonderung der Kranken während der Dauer des akuten
Stadiums der Krankheit.
2. Desinfektion der Absonderungen der Kranken sowie aller damit
in Berührung gekommenen Gegenstände — also fortlaufende Desinfek¬
tion am Krankenbett.
Weniger Wert wird
8. auf die Desinfektion nach Ablauf der Krankheit, die Hchluß-
desinfektion, gelegt, weil die Meningokokken durch Austrocknung nnd
unter dem Einflüsse des Lichtes, namentlich des Sonnenlichtes, von selbst bald
zugrunde gehen. Immerhin wird sich eine möglichst einfache, nicht kost¬
spielige Desinfektion — gründliche Reinigung mit chemischen Desinfektions¬
mitteln und allenfalls noch Formaldehydgasdesinfektion — empfehlen, ohne
Anwendung der Desinfektion im Dampfdesinfektionsapparate.
4. Belehrung der Bevölkerung über Ursache, Wesen, Verbreitung
und Bekämpfung der Genickstarre durch Merkblätter oder Veröffent¬
lichungen in der Tagespresse.
Recht fraglich erscheint es, ob nach den bisherigen Erfahrungen es sich
empfiehlt: 5. Umgebungsuntersuchungen auf Kokkenträger, namentlich
solche in größerem Umfange, vorzunehmen.
6. Die Frage, ob zur Eindämmung der Genickstarreverbreitung
■Schließung der Schule angezeigt ist, muß natürlich von Fall zu Fall
entschieden werden. Zeigt sich eine Häufung der Genickstarre in den Winter¬
monaten, wo nach den epidemiologischen Erfahrungen ein Ansteigen der Epidemie
zu befürchten ist, so wird man zum Bchulschlusse raten müssen, zumal dann,
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 101
trenn und so lange man nicht durch Aufsuchen und Ausschließung der
Kokkenträger eine sichere Handhabe zur Einschränkung einer Verbreitung
der Genickstarre bekommt.
Da die Einzelmaßnahmen wenig befriedigende Ergebnisse liefern, so
werden von verschiedenen Seiten
7. mehr gesundheitliche Maßnahmen allgemeiner Natur empfohlen
(Hebung der körperlichen Widerstandsfähigkeit gegen Krankheitseinflüsse, gute
Bmährung, gute Wohnungsverhältnisse, Ortswechsel, Klimawechsel. Für das
Militär: weniger dichte Belegung der Schlaf räume, Reinlichkeit, reichlicher
Aufenthalt im Freien, Entlastung der Soldaten hinsichtlich der von ihnen
geforderten Arbeitsleistungen beim Auftreten von Genickstarre).
Als ganz selbstverständliche Maßnahme wäre schließlich noch zu er¬
wähnen : 8. gewissenhafte Erfüllung der Anzeigepflicht, die ja die
Grundlage aller Bekämpfungsmaßn ahmen bei übertragbaren Krankheiten bildet.
Om eine baldige sichere Diagnose zu ermöglichen, ist frühzeitig
Zerebrospinalflüssigkeit zur bakteriologischen Untersuchung unter den nötigen
Vorsichtsmaßnahmen zu übermitteln, da diese den sicheren Nachweis der
Meningokokken eher ermöglicht, als Nasen- und Rachenabstriche. Nach dem
fünften Krankheitstage wird eine Diagnose aus Nasen- und Rachenabstrichen
überhaupt nicht mehr zu stellen sein, da erfahrungsgemäß nach dieser Zeit
Diplokokken in der Regel dort sich nicht mehr befinden.
Für die Therapie der Genickstarre ist von verschiedenen Seiten die An¬
wendung des Meningokokkenserums empfohlen; recht frühzeitige Anwendung
ist erforderlich, auch hängt der Erfolg noch ab von der Menge des verwendeten
Serums. Weniger befriedigend lauten die Berichte über die Behandlung der
Kokkenträger mit Pyocyanase, Wasserstoffsuperoxyd, Formaminttabletten usw.
Dr. R o e p k e - Melsungen.
6. Tuberkulös*.
Tuberkulosebekämpfung der deutschen Heeresverwaltung. Von Ober¬
stabsarzt Dr. Helm. Zeitschrift für Tuberkulose; 1916, Bd. 24, H. 1.
Die deutsche Heeresverwaltung hat sich auf den Standpunkt gestellt,
daß allen Unteroffizieren und Mannschaften, die im Kriege an Tuberkulose
erkranken, ohne Rücksicht auf den Grad ihrer Erkrankung zunächst ein Heil¬
verfahren in einer Lungenheilstätte oder dergleichen zu gewähren und über ihre
Entlassung erst später zu entscheiden ist. Zur besseren Ausnutzung der vor¬
handenen Sonderanstalten und zweckmäßigen Verteilung der Kranken auf die
einzelnen Lazarette und Lazarettabteilungen wurden eigene Anweisungen erteilt.
Am 1. März 1916 betrug die Gesamtzahl der einem Heilverfahren in einer
Heilstätte oder einer Sonderabteilung eines Lazaretts unterzogenen lungen¬
kranken Soldaten bereits mehr als 35ü0.
Für die nach der Behandlung mit verminderter Erwerbsfähigkeit Ent¬
lassenen hört die Fürsorge mit dem Ausscheiden aus dem Militärdienst nicht
auf. Sie treten nach Maßgabe des Versorgungsgesetzes in den Genuß einer
Rente und werden teilhaftig der Fürsorge der bürgerlichen Verwaltungs¬
behörden, Fürsorgeauaschüsse und dergl, welche die weitere Ueberwachung
des Gesundheitszustandes, Beschaffung von Arbeitsgelegenheit, Wiederholungs¬
kuren, gesundheitliche Maßnahmen in den Wohnungen, besonders zum Schutze
der Familienmitglieder usw., übernehmen. Dr. R o e p k e - Melsungen.
Die Arbeitsbeschaffung für erwerbsbeschränkte Tuberkulöse. Von
Prof. Dr. A. Kays erlin g. Taberklose-Fürsorge-Blatt; 3. Jahrg., Nr. 1.
Die Arbeitsbeschaffung für Tuberkulöse hat sich nur auf die durch
Tuberkulose in ihrer Erwerbsfähigkeit wesentlich Beschränkten und
unter diesen in erster Linie auf die mit offener Tuberkulose Behafteten zu er¬
strecken. Eine derartige Beschränkung liegt im Interesse der Tuberkulose¬
bekämpfung und erscheint aus zwei Gründen gerechtfertigt: Erstens trifft sie
im wesentlichen diejenigen Kranken, die einer öffentlichen Fürsorge besonders
bedürftig sind und bei denen es im volkswirtschaftlichen Interesse liegt, daß
eine durch kostspielige Heilverfahren erlangte Arbeitskraft, auch wenn sie
keine vollständige ist, erhalten wird. Zweitens sind wir durch die Unter-
Kleinere Mitteilungen and Beferate .aas Zeitschriften.
102
bripguqgin geeigneten Berufen imstande, die Ansteckungsgefahr, die von offen
Tuberkulösen für ihre Arbeitsgenossen aasgeht, za vermindern. In ähnlicher,
Weise ist man in der Wohnangspflege für Tuberkulöse vorgegangen; d. h.
man hat von vornherein daraaf verzichtet, allen Tuberkuloseinfizierten oder
Taberkulo8eerkrankten eine gesundheitsgemäße Wohnung za schaffen, hat sich
vielmehr auf die vorgeschrittenen Tuberkulösen und unter diesen wieder auf
die offen Tuberkulösen beschränkt.
Trotzdem bleibt die Arbeitsbeschaffung für erwerbsbeschränkte Tuber
kulöse schwierig. In großzügiger Weise arbeitet in dieser Hinsicht der unter
dem Vorsitz von Freund- Berlin stehende Verband Märkischer Arbeitsnachweise.
Nach dem Bericht von Dr. Bernhard wurden in den Geschäftsjahren 1913/14
und 1914/15 488 Fälle an den Verband überwiesen und davon 102 Fälle ver¬
mittelt (96 männliche und 6 weibliche Erwerbsbeschränkte). Von den 96 männ¬
lichen nahmen 41 eine Stelle als Arbeiter, 34 als Hausdiener, 7 als Metall¬
arbeiter, je 2 als Packer, Tischler und Gartenarbeiter, die übrigen als Kutscher,
Handwerker, Schreiber, Zettel Verteiler an, zumeist mit einem Woehenlohn von
20—24 M. Der Mehrzahl war nach beendigter Kur eine Erwerbsfähigkeit von
75 */o ärztlich bescheinigt. Auch die Versicherungsanstalten haben die Arbeits
Vermittlung für aus Heilstätten entlassene Versicherte erfolgreich aufgenommen
wie aus den „Monatsblättern für Arbeiterversicherung“ 1913, Nr. 10 zu ersehen
ist. Ferner ist eine Reihe von Gemeinden damit vorgegangen, z. B. Charlotten-
bürg, wo bestimmte Berufe, wie Parkwächter, für Tnberkulöse Vorbehalten bleiben.
Ganz allgemein gesagt kann die Arbeitsbeschaffung für erwerbsbeschränkte
Tuberkulöse in zweierlei Form erfolgen: entweder durch Unterbringung .in
gesundheitsgemäßen Berufen oder durch Beschaffung besonderer Arbeitsstätten
(hygienischer Arbeitsheime) für Tuberkulöse, insbesondere im Zusammenhang
mit den neueren Ansiedlungsbestrebungen. Außerdem werden dort, wo der
Arbeitsverdienst in der gesundheitsgemäßen Beschäftigung zu gering ist, seitens
der Fttrsorgeorgane — analog den Mietszuschüssen für die Wohnung —
Arbeitszuschüsse zu zahlen sein. Jedenfalls muß „das gegenwärtig
wichtigste Problem der Tuberkulosefürsorge“ einer Lösung entgegengeführt
werden. Dr. R o e p k e - Melsungen.
Der Wert der Intrakutan •Tuberkulinreaktion bei Meerschweinchen-
tuberkulöse. Von Prof. Dr. H. 8 e 11 e r. Deutsche med. Wochenschrift; 1916, Nr.' 8.
Die Beschleunigung des Meerschweinchenversuches zum Nachweis von
Tuberkelbazillen in Eiter, Urin, Punktionsflüssigkeiten usw. hat große prak¬
tische Bedeutung. Roemer hat für diesen Zweck die intrakutane Tuberkulin¬
reaktion empfohlen: es wird dem Meerschweinchen mit einer dünnen Kanüle in
die Bauohhaut, die auf Fünfmarkstüekgröße enthaart ist, 0,1 ccm einer
20°/«igen Tuberkulinverdünnung eingespritzt, so daß die Haut quaddelförmig
aufgetrieben wird. Bei tuberkulösen Tieren bildet eich daun nach 24 8tu«den
eine Verfärbung und Schwellung der Haut, die zwischen zwei Fingern leicht
zu 'fühlen ist.
Das Ergebnis der Seite rachen Untersuchungen im Hygienischen Institut
der Universität Leipzig ist, daß eine positive Intrakutanreaktion entscheidend
ist für das Vorhandensein einer beim Versuchstier angegangenen Tuberkulose-
infektion, während eine negative Reaktion nicht das Gegenteil beweist. Der
negative Ausfall erlaubt selbst nach 3—5 Monaten noä nicht den Schluß
daß das verimpfte Material keine Tnberkelbazillen enthielt und daß keine
Tuberkulose im Tierkörper vorhanden ist. Das Meerschweinchen ist auf jeden
Fall zu töten nnd zu sezieren, und hierbei ist das Gewicht des ganzen Tieres
und der Milz zu bestimmen. Das Verhältnis dieser beiden zueinander ist viel¬
leicht das sicherste Kriterium für eine Tuberkulose.
Dr. R o e p k e - Melsungen.
D. Hygiene und Mtaatliohaa Q aaun flhultuwoaan.
1. Bekämpfung der Staubplage.
Zur Staubbekämpfung mit Lösungen. Von Dr.-Ing. Scbeuermann-
Wiesbaden. Die ßtädtereinigung; 1916, Nr. 1—2.
Nur diejenigen Staubbindemittel können hinsichtlich der Wirtschaftlich¬
keit Aassicht auf dauernde Verwendung haben, die in jeder Stadt leicht and
Kleinere Mitteilungen und Referat* aur Zeitschriften.
108
billig in beliebigen Mengen zu haben sind', die in einfacher und wemöglldi
wteserffeier Bereitung heifl : zur Verwendung kommen; sind sie einmal 1 fest
geworden, so sollfen sie es auch weiter gegenüber Nässe, Wärme und' Wind
Meibee. Derartige Eigenschaften hat nur der Teer. Die seitherigen Mißerfolge
können als abgetan gelten, nachdem erkannt ist, daß doppelt vorgekochter und
alsdann mehrere Monate in Kesseln oder Behältern abgelagerter Ortsteer
(JeberzSge und Durchtränkungen liefert, die mehrere Jahre Vorhalten; Lösungen
werden als Staubbekämpfungsmittel nnr in Betraeht kommen' für* die-ganze
Deekenfläche’ aus Asphalt und Hblz, für’Fugenfüllungen in Groß- und Klein-
pflanter, auf Decken' beliebiger Art, aber allgemein bei Frost.
Dr. Wolf-Hknaut
2. Wasserversorgung.
Prüföng tragbarer Wasserfflter auf Keiindichtlgkeit. Das Militär-
Filter MbdeI11914 und' dhs Reise* und Armee-Filter A. F. I. der Berkeffelfr
Filter - Gesellschaft. Von Reg.-Rat Prof. Dr. Spitt a. Arbeiten aus dem
Kaiserlichen Gesundheitsamte; 1915, Rd. 50, H. 2.
Verfasser gibt eine Uebersicht über die bisherigen Untersuchungen dfer
Berkefeld-Filter und berichtet dann über eigene Versuche mit dem von
der Berkefeld-Filter-Gesellschaft dem Gesundheitsamt zur Prüfung
eingesandten Militärfilter Modell 1914, Armee- oder Taschenfilter A FI und
Armee- oder Taschenfilter A.F II.
Der Ausdruck „Taschenfilter“ bezeichnet nicht etwa nur Filter,
die man in der Rocktasche bei sich tragen kann, sondern auch größere Filter,
die in einer besonderen Umhängetasche getragen werden. Im Gesundheitsamt
untersucht wurden nur die beiden kleinsten der übersandten Apparate (Nr. 1
und 2), weil es gerade darauf ankam, Filter zu prüfen, die für den einzelnen
Mann oder doch wenigstens für kleinere Gruppen von Mannschaften im Felde
in Frage kommen.
Däs Berkefeld-Militärfilter Modell 1914 ist ein kleiner Apparat
ohne Pümpvorrichtung, der entweder als Tropf Alter oder als Saugfilter benutzt
werden kann. Der Apparat' besteht ans einer ovalen Zinkblechhülse, in die ein
Filterzylinder von 13 cm Höhe und 41/z cm Durchmesser wasserdicht eingesetzt
wird. Am Auslaufrohr des Filters außerhalb der Zinkblechhülse kann ent¬
weder der dem Filter beigegebene 1 m lange Gummischlauch mit Mundstück
angeschlossen werden. Das Filter wird dann, mit dem zu filtrierenden Wasser
gefüllt, an einem Baum, an einer Wand oder dergl. in Kopfhöhe aufgehängt
and als 8augfilter benutzt. Oder das Filter wird ohne Schlauch auf ein Glas,
eine Flasche oder dergl. gestellt und arbeitet dann als einfaches Tropffilter.
Beläßt man den Schlauch an dem Filter und hängt das Mundstück in das für
die Aufsammlung des Filtrats bestimmte tief stehende Gefäß, ho kann man
dadurch die Saugkraft naturgemäß steigern.
Das Reise- und Armee-Filter A. F. I. besteht dagegen aus Pumpe
and Filter. Beim Hochziehen des Pampenkolbens tritt das za filtrierende
Wasser durch einen Saugstutzen and ein Kugelventil in den Pumpenzylinder;
durch Hinabdrücken des Kolbens drängt man das Wasser in das Filtergehäuse
und durch die poröse Wandung des Filterzylinders, den es durch ein am oberen
Ende des Filtergeh&uses angebrachtes gebogenes Abflußrohr in filtriertem Zu¬
stand verläßt; Der Filterkörper ist 14‘f* cm lang und hat einen Darohmesser
vw nur 3 cm.
Mit den beiden beschriebenen Filtern können verschiedene Arten der
Filtration vor sich gehen: bei dem Militärfilter Modell 1914 kann das Wasser
entweder ununterbrochen oder intermittierend durch das Filter gesaugt werden;
während das Reise- und Armee-Filter A. F. I. nur den intermittierenden Betrieb
zutkßt.
Da bei der Prüfung der beiden Berkefeld-Filtermodelle zu erwarten
war, daß die Ergebnisse günstiger bei gleichmäßiger ununterbrochener Bean¬
spruchung der Filter ausfallen würden, als bei der intermittierenden, wurde
den 1 Versuchen auf diesen Punkt Rücksicht genommen.
Für die Filterprüfungen wurde das Bacterium prodigiosum als Probe-
Bakterium- angewandt. Die benutzte Kultur bestand aus Stäbchen von durch¬
schnittlich 0,4 fi Breite, eignete sich demnach seiner Größenordnung nach’ gut
104
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
für die Versuche, die nach dem neuen, von Dr. A.'M.üller im Gesundheitsamt
aasgearbeiteten Verfahren der „Gipsplattenkultur“ angestellt worden; and
zwar wurden stets die kleineren Gipsplatten von 8-cm Durchmesser verwendet,
die bequem in Petrischalen eingelegt werden können. Jede Platte saugt mit
Leichtigkeit 25 ccm des zu untersuchenden Wassers auf. Es genügt dann,
nach vollzogener Aufsaugung, noch 8 ccm neutraler 4 fach konzentrierter
Bouillon zuzugeben und die Platte bei 20° C. aufzubewahren. Die aufschießenden
leuchtend roten Prodigiosuskolonien sind dann nach 48 Stunden, mit der Lupe,
später auch mit bloßem Auge gut zu erkennen und zu zählen. Vor Gebrauch
werden die Gipsplatten in den Petrischalen l 1 /* Stunde lang bei 100° C. im
Trockenschrank erhitzt.
Die Untersuchung wurde im übrigen auf die wenigen dem Gesundheits¬
amt übersandten Filterkerzen beschränkt, da es nur darauf ankam, die prak¬
tische Frage zu beantworten, ob und unter welchen Bedingungen die„vor-
S eiegten Filter ein bakterienfreies Filtrat liefern, und wie lange gegebenenfalls
ie Lieferung eines solchen Filtrats vorhält. Aus dem gleichen Grunde wurde
gewöhnlich auch darauf verzichtet, die Anzahl der im Filtrat auftretenden
Prodigiosusbakterien in Beziehung zu setzen zu der Anzahl der jeweils im
Rohwasser vorhandenen. Im vorliegenden Fall kam es mehr auf die Beant¬
wortung der Frage an: „Sind die Berkefeld-Filter überhaupt undurchlässig
oder nicht?* als auf die Beantwortung der Frage: „Wie viel Prozent der
Rohwasserkeime treten in das Filtrat über?“
Die Versuche mit dem Berkefeld-Militär-Filter (Modell
1914) betrafen 1. Durchsaugen des infizier,ten Wassers mittels
der Wasserstrahlluftlumpe durch das Filter; 2.„einen Dauer¬
tropfversuch von 6 Tagen; 8. einen Versuch unter Nach¬
ahmung des Saugeaktes.
Der Versuch mit dem Reise- und Armee-Filter A. F.,
nur stoßweise, d. h. intermittierend betrieben, erstreckte sich mit Unter¬
brechungen auf im ganzen 50 Liter Wasser, die teils langsam ohne besonders
starken Druck, teils rascher unter stärkerer Kraftentfaltung gepumpt wurden.
Als Ergebnis konnte in Uebereinstimmung mit den Erfahrungen der
meisten früheren Untersucher festgestellt werden, daß
1. das untersuchte Berkefeld-Militär-Filter Modell 1914 eine
gewisse Zeit hindurch Keime von der Größe der Prodigiosusbakterien, selbst
wenn sie in sehr großer Anzahl im Rohwasser vorhanden waren, sicher zurück¬
hielt. Die Bakteriendichtigkeit hielt um so länger an, je gleichmäßiger
das Filter beansprucht wurde. Bei ruckweisem Saugen traten bald größere
Mengen von Keimen hindurch. Es empfiehlt sich daher, das Militär-Filter
Modell 1914 nicht durch unmittelbares!Ansaugen mit dem
Munde benutzen zu lassen, sondern entweder als einfaches Tropffilter
oder als kontinuierlich wirkendes Saugfilter mit angesetztem Gummischlauch.
In letzterem Falle entspricht die Ergiebigkeit etwa derjenigen, die man erhält,
wenn man mit der Wasserstrahlluftpampe bei einem negativen Druck von
6—7 cm Quecksilber saugen läßt.
Ob die schließlich im Filtrat auftretenden Keime „ durchgewachsene“ oder
„durchgespülte“ sind, möge dahin gestellt bleiben. Da das Bacterium prodi-
giosum sich im Wasser nicht vermehrt hat, ist das letztere aber wahrscheinlicher.
2. Das Berkefeld-Reise- und Armee-Filter A. F. I. ließ da¬
gegen bei Inbetriebsetzung sofort Keime durchtreten, allerdings in sehr spär¬
licher Zahl, nämlich weniger als 1 Keim im Kubikzentimeter Filtrat. Ob diese
Durchlässigkeit für Bakterien nur eine Eigenschaft der einen zum Versuch
benutzten Filterkerze gewesen ist, oder allen zu diesem Modell gehörenden
Kerzen anhaftet, möge offen bleiben. Bei der sehr großen Ergiebigkeit des
Reise- und Armee - Filters A. F. I. wird man aber wohl bei ihm immer mit einer
gewissen Durchlässigkeit für Bakterien rechnen müssen.
8. Beim Vergleich der Wirkung der Berkefeld-Filter mit einem im
Handel befindlichen „Taschen“-Filter trat ihre vorzügliche Leistungsfähigkeit
deutlich zutage. Trotzdem wird man, vom streng hygienischen Standpunkt aus,
auch das Berkefeld-Filter nur als einen Notbehelf ansehen können, das nicht
in Wettbewerb zu treten vermag mit den Verfahren, bei welchen dem Wasser
durch Erhitzen sicher alle Infektionserreger entzogen werden.
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
106
Die Berkefeld-Filter bedürfen einer sorgfältigen Wartung und müssen
in gewissen Zwischenräumen gereinigt und sterilisiert (ausgekocht) werden.
Diese Unbequemlichkeit ist seit jeher von allen Gutachtern als ein besonderer
Uebelstand des Systems bezeichnet worden. Nur bei besonders vorgebildeten
Hannsohaften (Sanitätspersonal) wird man mit einer Einhaltung dieser Vor¬
schriften rechnen dürfen. Aus diesem Grunde ist' der Zweifel berechtigt, ob
die Schaffung eines Filtertypus für den einzelnen Soldaten überhaupt ein glück¬
licher Gedanke gewesen ist.
Für die Tuberkulose hat die Flüggesche Schule (Köhlisch) fest-
steilen können, daß vereinzelte Krankheitserreger noch nicht zu einer Infektion
führen; für die durch Wasser übertragbaren Infektionskrankheiten steht ein
sicherer experimenteller Beweis noch aus, aber es ist nicht unwahrscheinlich,
daß es sich hier ähnlich wie bei der Tuberkulose verhalten wird. Ehe diese
Frage aber nicht entschieden ist, wird man vorsichtigerweise die For¬
derung vertreten müssen, daß auch einzelne infektionstüch-
tige Keime nicht in das Trinkwasser gelangen.
Dr. R o e p k e - Melsungen.
3. Nahrungsmittelhygiene.
Die Schlackthofanlage der Kleinstadt. Von Stadtbaumeister Morgen-
stern-Kirn. Gesundheit; 1916, Nr. 3.
Der Verfasser geht zunächst auf die Wahl des Bauplatzes, Größe (nicht
unter 0,86 qm pro Einwohner) und Bauplan ein und empfiehlt das Pavillon¬
system. Dann bespricht er die Größenbemessung und Einrichtung der einzelnen
Räume. Die Wände sind bis 2 m mit Plattenbelag zu versehen und die Fu߬
böden aus Zementbeton mit geriffelter Oberfläche herzustellen. Jedes Schlacht¬
haus wird eine Kläranlage erhalten müssen. Zum Schluß geht der Verfasser
auch auf die Heizung und Beleuchtung ein. Dr. Wolf- Hanau.
4. AbfaUstoffe und Abwässer.
Ueber Bedürfnisanstalten. Von Prof. Dr. Rohland-Stuttgart. Gesund¬
heit ; 1916, Nr. 2.
Zur Verwendung für Bedürfnisanstalten empfiehlt der Verfasser Sanitol,
das ein dünnflüssiges Desinfektionsmittel aufzusaugen vermag. Die Reinigung
erfolgt mit warmem Wasser, dann werden die Platten trocken gerieben und
wieder mit 8anitolöl getränkt. Es werden Oelgerucbverschlüsse (Amento) in
die Abflußrinne eingebaut. _ Dr. Wolf-Hanau.
Gutachten betreffend Beseitigung der in der Stadt N. anfaUenden
Gerbereiabwässer. Von Geh. Ober-Med.-Rat Prof. Dr. Abel, Direktor des
Hygienischen Instituts zu Jena. Zentralblatt für Gewerbebygiene; 1916, H. 1.
Der Magistrat zu N. ersuchte über einen Vorentwurf zur Beseitigung
der Gerbereiabwässer um ein Gutachten. Bei der Schwierigkeit, die in die
Gerbereiabwässer übergehenden Milzbrandsporen durch ein Desinfektionsverfahren
abzutöten, bleibt die Abscheidung dieser Keime durch Filtration allein
brauchbar. A. kommt zu folgenden Schlußsätzen:
1. Das von den Herren Projektverfassern geplante Verfahren der Be¬
handlung des Gerbereiabwassers von N. durch intermittierende Bodentiltration
mit nachfolgender seitlicher Filtration im natürlichen Boden ist nach dem
heutigen 8tande von Wissenschaft und Praxis als durchaus zweckentsprechende
und nach Lage der Dinge beste Lösung anzusehen.
Statt der intermittierenden Bodenfiltration Rieselung vorzunehmen, muß
widerraten werden, weil die Rieselung keine Zurückhaltung der Milzbrandkeime
im Boden sichert, teurer wird und bei dem Charakter des Abwassers auch die
sonst vorhandenen Vorteile der Rieselung (landwirtschaftliche Ausnutzbarkeit
des Bodens) nicht oder nur in sehr beschränktem Maße liefert.
Rieselung mit nachfolgender Keimfiltration im natürlichen Boden hat
ebenfalls den Nachteil der höheren Kosten und der mangelhaften landwirtschaft¬
lichen Ausnutzbarkeit gegen sich, ohne irgendwelche Vorteile zu bieten.
106
Kleinere ■ Mitteilungen and) Betonte «u Zaltsohriftong
2. Der Ausführung des Projektes hat eine genaue Untersuchung des
Bodens auf seine filtrierenden Eigenschaften vorauszngehen. QegebenenfaUn
wäre ein anderes geeignetes Gelände auszuwählen. Das Verhältnis zwischen
zu reinigender Abwässermenge und filtrierender Bodenfläche soll mindestens
zunächst nicht über 100 cbm Abwässer täglich zu 1 ha Land hinausgekeni
Für die Beseitigung der Sperrstoffe aus dem Sammolbrunnen und des Schlammes
aus den Absitzbrunnen sowie für die Einteilung in Beete und das Umbrechen
der Filteroberfläche sind die im einzelnen gegebenen Hinweise zu berück*
aiohtigen. Die Leistung der Anlagen ist dauernd unter sachverständiger
Beratung zu überwachen.
Zum Schlüsse bemerkt A., daß es sich empfehlen wird« mit der weiteren
Ausarbeitung und vielleicht zunächst teil weisen Ausführung, des- Projekten
möglichst bald vorzugehen. Bei der augenblicklichen Lage, die emn Einfuhr
ausländischer Häute in größerem Maße jedenfalls nicht gestattet, wird man;
sofern die Gerbereien überhanpt im Betrieb sind, mit der Ver&rbeitUBg
inländischer, d. b. milzbrandkeimfreier Häute überwiegend zu rechnen haben,
daher Abwässer erhalten, die wohl chemisch den sonst anfallenden gleich oder
ähnlich, dagegen bezüglich des Keimgehaltes ungefährlich sind. Man wird
daher Erfahrungen über die Reinigungsweise der Abwässer durch die Land¬
behandlung sammeln können, ohne zugleich schon auf die Milzbrandgefahr
Rücksicht nehmen zu müssen. Dr. Roepke- Mettungen:.
5. Gewerbehygiene.
Die gesundheitlichen Verhältnisse in den Vergoldereien.. Zentralbiatt
für Gewerbehygiene; 1915, Nr. 12.
Die Abhandlung bespricht die einzelnen Teilverrichtungen des Arbeits¬
prozesses vom gewerbehygienischen Standpunkt aus gesondert: Grundieren,
Belegen, Schleifen, Farbigmachen, Lackieren, Polieren, Bimsen, Anlegen, Ver¬
golden. _ Dr. W o 1 f - Hanau.
Ueber die Lunganerkrankungen der Steinhauer. Von Reg.- und
Med.-£at Dr. Ko el sch-München. Zentralblatt für Gewerbehygiene; 1915,
Nr. 11—12.
Der Verfasser bespricht in eingehender Weise die verschiedenen Krank¬
heitsbilder, die Diagnose, Prognose und Prophylaxe. Die Ergebnisse der
Abhandlung zeigen, wie sehr die strikte Durchführung der bestehenden Be*
Stimmungen künftig erforderlich ist. Eine Ergänzung wäre dahin nötig, daß
die Arbeiterauslese durch amtliche Eintritts- und periodische Zwischen Unter¬
suchung vorgeschrieben würde. Besondere Beachtung maß der Arbeitsamts*
Schluß lungenkranker Arbeiter erfahren. Der vorgebundene Schwamm wird
immer noch den Respiratoren vorgezogen. Dr; Wolf-Hanau.
Hirnerweiehung bei Lokomotivführern selbst nach voraufgegangeuor
Syphilis als Unfallfolge. Von Dr. W. Sternberg-Berlin. Zentralbiatt für
Gewerbehygiene; 1915, Nr. 11 und 12.
Der Verfasser teilt 3 Fälle mit, in denen trotz voraufgegangener BypkiliB
das Trauma als auslösender Faktor des Gehirnleidens angesehen wurde;
Dr. Wolf-Hanau.
Klinische und soalalmedizinische Arbeiten der Aente de» Verbanden
der Genossenschaftskrankenkassen Wiens und Niederöeterreichs. Herans-
gegeben von Priv.-Doz. Dr. S c h i f f. Beilage zur Zeitschrift „Das österreichisch©
Sanitätswesen“; 1915, Nr. 47/60.
Da diese 23 Arbeiten infolge des Ausfalles des 111. Internationalen
Kongresses für Gewerbekrankheiten, der September 1914 in Wien tagen sollte,
in der geplanten Festschrift nicht erscheinen konnten, so hat man sie jetnt
als besondere Beilage heraasgegeben, deren Anschaffung nur empfohlen werden
kann. Besondere Hervorhebung verdienen an dieser Stelle folgende Arbeiten:
1. Chronische Wirbelsäulenversteifung. Von Dr. A. Schiff.
2. Trauma und Tuberkulose. Von Dr. Löwenstein:
3. Charakteristische Bentfsverletzungen. Von Dr. Chas-se.
Kleinere Mitteilungen und Heferste aus Zeitschriften. 107
4. Jlie'Mobilisierung in der UnfaUtherapie und GeweJbohygieue. Von
Priv.-Doz. Dr. Bum.
5. Die Begutachtung des varikösen Symptomenkomplexes. Von Dr.
Gvttnf-old.
6. Die beruflichen Hautkrankheiten. Von Prof. Dr. M. Oppenheim.
7. Deber 2 typische Verbrennungsformen. Von Prof. Dr. Weidenfeld.
8. Ermüdungsprobleme bei Neurasthenie. Von Prof. Erben.
9. Hoher 'Bleivergiftung bei Glasbläsern. Von Prof. Dr. 8. Frankel
und Dr. Teleky. _ Dr. Wolf-Hanau.
6. Eisenbahnkygiene.
•Periodischegesundheitliche Untersuchungen des Eisenbahnpersonals l
Von Geh. San.-Rat Dr. Rheins-Neuß und Med.-Bat Dr. Gilber t- Dresden.
Zeitschrift für Bahnärzte; 1916, Nr. 2.
Der erste Verfasser ist der Ansicht, daß die periodischen Untersuchungen
weder wünschenswert noch notwendig sind. — G. widerlegt die in der vorigen
Abhandlung geäußerten Bedenken. Dr. Wolf-Hanau.
7. Kriegsbeschädigtenfürsorge.
Kriegsbeschädigtenfürsorge und DIenstlauglichkeit. Von Geh. San.-
Rat Dr. Herzfeld-Halle. Zeitschrift für Bahnärzte; 1916, Nr. 2.
Der Verfasser bespricht von den Kriegsbeschädigungen die, welche für
die Bahnärzte von besonderer Bedeutung sind, and zwar besonders eingehend
die inneren Kriegsschäden. _ Dr. Wolf- Hanau.
Acnilieke Füiuorgesprechstanden für Kriegsbeschädigte. Von Dr.
F. Cursokmann- Wolfen. Zentralblatt für Gewerbehygiene; 1916, Nr. 1.
Sowohl die ärztliche Berufsberatung vor Aufnahme der Arbeit als auch
die Überwachung 'des Gesundheitszustandes nach auf genommener Arbeit ist
nicht in den Städten allein, sondern möglichst da vorzunehmen, wo der Be¬
schädigte seine Arbeit finden soll und später austtbt, es sind also möglichst
viele Beratungsstellen zu gründen. Die Aerzte der einzelnen Eireise müssen
sich zu einer solchen Fürsorgestelle zusammenschließen, die auch die Behand¬
lung überwachen muß. Dr. Wolf-Hanau.
•Uebangsachulen <fiir Hirnvevletste. Von Prof. Goldotein-Frank¬
furt a.üf. Zeitschrift für Krüppelfürsorge; 1916, Nr. 1.
.An Jedem Orte, an dem sich eine Anzahl von Lazaretten befindet, muß
eine Schule für Hirnverletate eingerichtet werden, an der ein Nervenarzt und
ein Pädagoge Zusammenwirken müssen. Dr. W o 1 f - Hanau.
8. Soziale Hygiene.
Die)gesundheitlichen Aufgaben nach dem Kriege. Von Dr. A. Fiscber-
Kadsmhe. Archiv für soziale Hygiene; Bd. 11, H. 2.
Die wichtigsten Forderangen der Sozialpolitik decken sich mit denen der
sozialen Hygiene. Die Lösung der bedeutungsvollsten Aufgaben auf dem
Gebiete der Sozialpolitik würde im wesentlichen schon durch eine tiefgreifende
Hygienegesetzgebung erfolgen. Ein Hygienegesetz würde aber nicht nur
soziale und hygienische Fortschritte erzielen, sondern cs würde auch von hohem
nationalen Wert sein. Dr. W o 1 f - Hanau.
9. Statistik.
Die Todosnrsaohenstatistlk im Deutschen Reiche für das Jahr. 1912.
Von Sam-Rat .Dr. Prirnzing-Ulm. Archiv für soziale Hygiene; Bd. 11, H. 2.
Die deutsche Todesursachenstatistik krankt an mancherlei Fehlern; der
Hauptfehler ist, .daß jeder gesetzliche Hintergrund fehlt, nämlich die ärztliche
Leichenschau. Die ganze Todesursachenstatistik müßte zentralisiert werden.
Dr. Wolf-Haunu.
108
Besprechungen.
Die Bevölkerungsregister in den Niederlanden. Von Br. J. Beitsma-
Amsterdam. Archiv für soziale Hygiene; Bd. 11, H. 2.
Die Bevölkernngsregister, die gleichsam die Register für die demo¬
graphische Buchführung sind, haben sich in den Niederlanden zn einer Ein¬
richtung entwickelt, die einen unentbehrlichen Faktor im sozialen Leben bildet
Dr. Wolf-Hanau.
Die Entwicklung der Bevölkerung in Oesterreich-Ungarn in dem
1. Jahrzehnt dieses Jahrhunderts. Von Beg.-B.at Br. Boesle- Berlin.
Archiv für soziale Hygiene; Bd. 11, H. 2.
Die Wege, welche die Bevölkerungspolitik in Oesterreich und Ungarn
in Zukunft zu wandeln hat, sind durch das Ergebnis der letzten Volkszählung
deutlicher denn je vorgezeichnet: Nicht eine phantastische Geburtenvermehrungs-
politik, sondern nur die Schaffung hinreichender Erwerbmöglichkeiten dürfte die
Aufgabe sein, um die sich immer noch kräftig entwickelnde natürliche Volks¬
vermehrung in diesen Ländern zn sichern. Dr. Wolf-Hanau.
Besprechungen.
Kreisarzt Dr. Wolf-Witzenhausen (jetzt in Hanau): Die Improvisationen
von Dampf-Desinfektionsapparaten. Deutscher Verlag tür Volkswohl¬
fahrt. Dresden-N. 6. Kl. 8 4 , 31 S. Preis 50 Pfe.
Da im Felde nicht überall stationäre oder fahrbare Dampfdesinfektions¬
apparate zur Seuchenbekämpfung und zur Entlausung von Uniformen zur Ver¬
fügung stehen, muß zu Behelfs Vorrichtungen gegriffen werden. Der Verfasser
hat sich der dankenswerten Aufgabe unterzogen, die in Betracht kommenden
Verfahren und die in der Literatur zerstreut beschriebenen Apparate zusammen¬
zustellen. Da er sich hierbei auf solche Behelfsvorrichtungen beschränkt, die
schon an vielen Orten mit Erfolg angewendet sind, eignet sich die kleine
Schrift als Nachschlagewerk besonders für Militär- und Gefangenenlagerärzte.
_ Dr. Roepke-Melsungen.
Med.-Bat Dr. Sohrakamp- Düsseldorf: Fürsorge- und Versorgungs-
ansprüche der kriegsbescb&digten Heeresangehörigen. Verlag von
L. Schwann-Düsseldorf. Kl. 8°, 47 S.
Aus dem großen Umfang der die Kriegsbeschädigtenfürsorge betreffenden
Maßnahmen werden die neueren und wichtigeren besprochen, die auf Gesetzen
oder gleichwertigen Verordnungen beruhen. Den Lazarettärzten wird die Ver¬
mittelung dieser für die Erledigung ihrer Aufgaben notwendigen Kenntnisse
um so willkommener sein, als sie ihnen das Studium der Gesetze erspart und
die wichtigsten Punkte aller jener Vorschriften genauer darlegt. Im besonders
finden wir die Fragen beantwortet, wer Anspruch auf freie ärztliche Behand¬
lung hat, wie lange und wie behandelt werden soll, ferner betr. Verlegung
von einem Lazarett in das andere, Beschäftigung der Verwundeten und Kranken
in Lazaretten zum Zweck schnellerer Wiederherstellung, Beschaffung künst¬
licher Glieder, Begutachtung militärischer Dienstbeschädigungen und krlegs-
beschädigter Heeresangehöriger, Nachprüfung ihrer Versorgungsansprüche, die
Hinterbliebenenversorgung und Abgrenzung der militärischen und bürgerlichen
Fürsorgemaßnahmen. Am Schlüsse des Schriftchens werden die Verordnungen
nach Datum, Aktenzeichen und Inhalt kurz aufgezählt. Vielleicht wäre es möglich,
sie durch einen Nachtrag zu ergänzen. Dr. Boepke-Melsungen.
Tagesnachrichten.
Der Bundesrat hat laut Bekanntmachung des Reichskanzlers vom
27. Januar 1916 die Mitglieder des Reichsgesnndheltsratsrats für die Jahre
1916—1920 neugewählt. Es sind nur wenige Aenderungen gegenüber der
bisherigen Zusammensetzung eingetreten. Neu gewählt sind: a.-o. Prof, der
Agrikultnrchemie Dr. Ehren be rg-Göttingen, o. Prof, der pharmazeutischen
Chemie Dr. Oadamer-Breslau, Reg.-Rat Dr. Gas teiger-München, a.-o. Prof,
der Botanik Dr. Gilg- Berlin, Direktor im Gesundheitsamt Geh. Reg.-Rat
Prof. Dr. Händel-Berlin, Geh. Ober-Reg.-Rat Dr. Hel lieh-Berlin (Land-
Tagesnachrichten.
109
Wirtschafts-Ministerium), Geh. Ober-Reg.-Rat Dr. Isenbart -Berlin (Reichsamt
des Innern), Reg.-Rat Prof. Dr. Juckenack*Berlin, Reg.* und Geh. Med.-Rat
Prot Dr. Leub us c h e r - Meiningen, Geh. Med.-Rat Dr. M e r c k - Darmstadt,
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Neisser-Breslau, Prot der Veterinärheilkunde
Dr. Olt-Gießen, Generalarzt Dr. Schmidt-Berlin (Direktor der Charitö),
Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Th oms- Berlin, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. v. Wasser¬
mann-Berlin. Vorsitzender des Reichsgesundheitsrats ist wieder der Präsident
des Gesundheitsamtes Dr. Bumm, sein Stellvertreter der Geh. Med.-Rat Prof.
Dr. Rubner-Berlin. Ausgeschieden sind: Ober-Med.-Rat Dr. Philipp-
Gotha und Ober-Reg.-Rat P r ö 1 s - München. Unter den 101 Mitgliedern gehören
47, also nicht ganz die Hälfte, dem ärztlichen Stande an (insbesondere
Hygieniker und höhere Medizinalbeamte), 19 sind Apotheker, Botaniker,
Chemiker, chemische Großindustrielle, 13 Juristen und Verwaltungsbeamte,
11 Vertreter der Tierheilkunde, 4 Vertreter der Landwirtschaft, 8 Vertreter
des Bau- und Ingenieurfaches, 2 Gewerbeaufsichtsbeamte, 1 Geologe und
1 Mitglied der Seeberufsgenossenschaft.
Durch Bekanntmachung des Reichskanzlers ist die gewerbsmäßige Her¬
stellung von Konserven aus Fleisch oder unter Zusatz von Fleisch, die durch
Erhitzen haltbar gemacht sind, verboten. Als Fleisch gelten Rind-, Kalb-,
Schaf-, Schweinefleisch sowie Fleisch von Geflügel und WUd aller Art, Wurst¬
waren und Speck. Zur gewerbsmäßigen Herstellung von Wurstwaren darf
nicht mehr als ein Drittel des Gewichts ausgeschlachteter Rinder, Schweine
und Schafe verarbeitet werden. Die Verarbeitung der inneren Teile und des
Blutes wird durch diese Beschränkung nicht getroffen. Die Vorschriften
S elten nicht für die Herstellung von Fleischkonserven und Wurstwaren zur
rfüllung von Verträgen, die unmittelbar mit den Heeresverwaltungen und
der Marineverwaltung abgeschlossen sind.
Im Sitzungssaal des Reichstags trat am 7. Februar vormittags die
Deutsche Vereinigung für Krüppelfürsorge mit der Deutschen orthopädischen
Gesellschaft zu einer außerordentlichen Tagung zusammen, an der auf
Anordnung des Kriegsministeriums auch sämtliche stellv. Korpsärzte teils ahmen,
um sich über die wichtigsten Fragen in diesem Teile der Kriegsbescschädigten-
fürsorge zu unterrichten. Die Eröffnungsrede, die auf die großen Aufgaben der
Vereingung hinwies, hielt der Vorsitzende Wirkl. Geh. Ober-Med.-Rat Prof.
Dr. Dietrich. Sodann sprach Prof. Dr. Bi es als ki-Berlin über das Thema:
„Ein Jahr Kriegskrüppelfürsorge mit besonderer Berück¬
sichtigung der ärztlichen Tätigkeit“. Nach ihm erörterte der
Generalarzt Dr. Schultzen-Berlin die stationären und ambulanten
Fürsorgeeinrichtungen für Kriegsbeschädigte in Deutsch¬
land. Berichte von Oberstabsarzt Prof. Dr. Spitzy-Wien über Anlage
und Organisation von Invalidenschulen, von Generalarzt Piof.
Dr. Dollinger-Budapest über die Organisation des ungarischen
Kriegsinvalidenamtes, von Pastor Hoppe-Nowawes über Friedens¬
krüppelheime und von Landesrat H o r i o n - Düsseldorf über Lazarett-
schulen schlossen sich an. In der Nachmittagssitzung wurde eine Reihe von
Spezialfxagen erörtert.
Im Anschluß daran fanden auf Anregung der Medizinalabteilung
des Kriegsministeriums am 8. und 9. Februar in der Kaiser Wilhelms-Akademie
unter dem Vorsitz des Feldsanitätschefs Beratungen über verschiedene Fragen
des Sanitätsdienstes im Heimatgebiete statt, an denen sämtliche Kriegssanitäts¬
inspekteure, stellvertr. Korpsärzte, Sanitäts- Transportkommissare und die
Garnisonärzte der größeren Festungen teilnahmen.
Prüfstelle für Ersatzglieder. Um die zahlreichen auf den Markt
kommenden Ersatzglieder für die Angehörigen der verschiedensten Berufe auf
Bauart und Ausführung zu prüfen, um ihre Eignung unter Berücksichtigung
der vorliegenden Verletzungen festzustellen und je nachj[deip Ausfall der
Prüfung eine Auswahl des Guten und Brauchbaren zu treffen, ist eine Prüf¬
stelle für Ersatzglieder ins Leben gerufen worden, deren Träger in
Hinsicht auf die Beschaffung und Verwaltung von Mitteln vorläufig der V e r e i n
deutscher Ingenieure ist Die Prüfstelle ist der Ständigen Aus-
Tajteanftchricfeien
ftelltjng für Arbeiterwohliiihrf in Gh&rlöltenkurg, Fraunhofer-
AAr&Öe 11, &&gegliedert. Dadurch sind «sofern günstige Verhält¬
nisse geschaffen, als dort das Reichsamt d«a Innern eine umfassende Aus-
stelJuog von Etsatzgiiedwrii verführen wird, die also Material für die
Prttfasgö» bereitatfstelle» wanf: Dero Arbeifcsausschoß der Prftf-
stel iö gehören antey dem Vorajitz des ßeuaisjrtisfiäeoten im Ueicbsversiche-
rongsaSH, Oehenmn Itegierongerats Pr.*Iagv'&,•«. Eoarad HartisAis n felgende
Mitglieder ant ran Ae?*t*n: Profess« llr. ioed.. Bor«baydt yw» fiadeU
VIrckQVP-Kraakenhause in Berlin, Dr. sned, E a dige , leitender A«t dos Iteserve*
Lazaretts Cit’Srd^a'Brandeninrg; und UbersinlHiSiat Prof/Dr. mal Bet»wieslng,
Mitglied der Mediefnälabteiluag des KnegsmäasteriiUDS; von Ingenienrea:
Dr. Beckmann, Oberingenieur der Akktmalatorenfabrifc A,*Ö. V 0. Meyer,
Uirejktor des Vereioij deutscher !»gtmienre, I>r.-Iag, 0. Schlesinger, Pro¬
fessor an der l'ecboiscfcfe» Hocfecialc Berlin, and Tßgenieur Volk, Direktor
der Beaib* Schale in Berlin. ...
Die Tätigkeit der; J'rüfateUe soll zunächst nur auf äio ßntersrochuag
der typische» JBfsategliede? gerichtet werden, nicht auf das Anlemen von
Mensch-HI; eeibstverstAndUcb mtwsen zur Erprobung der Ersatzglieder Kriegs-
Ve.rffig#ög sthheG, welche die mehr oder urenigt» «{jäjwwnn
beschädigt« zur
typiscKe« VerluÄte oder Verletzungen an Armen nnd Beinen asfweisea.
l>f« PrSlsteJle wird die Leitungen dsr Lazarette hftfBik, wüiige* ge¬
schickte end i«teliigentG. Kriegsbes«:hä4igte der bezddtoeten Art jsnr V «-.
fttgttmg zu stelle«. Diese sind dünn, ttüfc de» Ersaugifedera. stwger&siei,
innerhalb der Prüfstelle mit Band- and MascbiiwJnvewhShtttrigen -tu beschäf¬
tigen. Angestrebr wird, daß sich »ui diese W eise eine lä«;lüraTei Ster schal«
von Männern bildet, die von der DurehlährbarkeD der ihnen gestellten Auf-'
gaben von vornherein pierÄeügi sind und so auf di« später vo» ilurcn Aoiü-
lernenden anfeuernd wirken kc'nnfjh, Von der durch
geregelten Wechselwirkung zwischen einem willigen Mefisehen, der da» KtmsD
glied gebrauche» Söll, und dem auf die Verbessernug bedachte» Hersteller ii(is
Kiinstgliedes d»rf man sich ferner Fortschritte im Kunstgliederbau Tewpmib**,
die sich auf andere Waise nicht erreichen lassen. Endlich tyird V'eriäfla Ä Aiti.-'
1 1 cbang und Normalisierung von Einzelteilen der Ersatzglieder durch
die Tätigkeit einer solcheu Pfiifsteile gefördert werden, eia Erfolg, dar t*it;
Rücksicht auf vSchoBlligkcit aaif Billigkeit derAnfertigung sowie auf %dueiKi.lj«i&-
Jreit des Ersatzes und der Auswechslung nicht boeh~ genug aöOTscfeiAisräift '•tr&i*..
Di« Prttfatelle wird fortlaufend MerkbiÄtt'ei hemtisgeheo, tr« denen
die Fort schritt* im Kanstgliederha u und 4hifi«;gdbU;lAe« in den
verstehiedenon Rerrnfnn verzeichnet werden,
Verleumdungen denlecher Lazarettiirzlb s« der eugUacheu Presse.
IVje »Daily M.-üP vom 7. nntl 9 September 1Ö15 bringt zwei ÄttfeiitZe. ftbet
angeblich an würdige und grausame Behandlung von {i‘cfangöiat?n in den
retten iu Mülheim s. d. Duhr and in Paderborn. Ein
retten in Mülheim a. d, Duhr and in Paderborn. Em uu*. Wiirnijpeg
stammender Kanadier soll b» dem Lranrett in MAI h eim gelegen and beriditet
haben* Schwerkranke hatten Im strengen Winter kalte Bäder im Frclrm nehme»
müssen, Verbände seien am Körper gplaasou worden, bis sie ffhlc l'haste vesr-
bretteten, und dergl mehr. Die Von der döuischcn liccresrcrwftlDing etn-
geleiteten Erniittcjnngoo balte» nm'-h der .Nordd Allg. Ztg.'" das Ergebntv
gebubt, d.itJ sich in MQlhCin* n- d. Fuhr niemals cip Mann aus Winnipeg und
überhaupt kein Kanadier in EftZATeittlbiphAndlung befanden but.
V» 8«ptembef berichtete die »Daily Mu4 v »och deu angeh-
Ivchea Mit,!.«längen gii^dhten H,. 1,?.* * rioi'* Wrüzfo .jfMAaibsft?. dts^fij^.'
L.i.:ov*rit ha Pädarborn die ,i • •
ohne Be.tätibang unertert hiiben, ■f-Kun t.»..Vvi>»f«g Utr-,;-
dttrgt'na.wtfnen w-otde», fUe .hfebohllbche-’f Sjt rf'*&Wc\ 'Wp. by|
'Einijcfe.nmg ävs rnv r ••
'li^tmdwclchc t'lpuraiioo' ist-an d«nt Msät'rsxi^ii. : '•fte.tv.lwipt.*wlyV^Ü*t^
genot»tf«*u- wmlv-tt. Sämtlich«- iu (b ■
AAi^tA• habt»» ■ 0sprr>:\Uh BchuTiptUng, • • •. .. •■•.,*>. ■ ' • ■: ,. : ,v■,
irgendwclchv' (tjivraifunca■.ohan iM'faubi.v, ■ :
drücklichste Verwahrung «nogelcgt.
Tageenachrfehten
111
Der diesjährige dw te ci w Kongreß (Br hmere I«4Mn wird am 1. nnd
2. Mai in Warschau stattfinden.
Die Deutsche Orthopädische Gesellschaft ernannte den Erzherzog
Karl 8tephan von Oesterreich and den Chef des Feldsanitätswesens, Exzellenz
T- 8chj erning zu Ehrenmitgliedern.
Am 1. Januar d. Js. ist die Jubflfiumsstlftung des Deutschen Lehrer-
rerelns mit einem Kapital von 225680 Mark ins Leben getreten, die den
Zweck hat, Mitgliedern des Vereins, die an Tuberkulose erkrankt sind,
Unterstützungen zu gewähren. Für den Stiftungszweck können vorläufig
jährlich 30000 Mark verwendet werden.
Prof. Frh. v. Eiseisberg-Wien hat das Honorar von 60000 Francs,
das er von König Konstantin von Griechenland für dessen Behandlung erhalten
hat, dem Bulgarischen Boten Kreuz überwiesen.
Sven Hedin hat den Oesamterlös seines Baches „Ein Volk inW&ffen“
in Höhe von 76880,80 M. dem deutschen und dem österreichisch-
ungarischen Boten Kreuz zur Verfügung gestellt.
Medlalnlioh-Blologiaohe Gesellschaft. Die bisherigen zwanglosen
Mitteilungen der Gesellschaft erscheinen vom 1. Januar d. Js. ab unter dem
Namen: „Blätter für Biologische Medizin, Beiträge zumUmbau
der Heilkunde und Gesundheitspflege auf konstitutioneller
Grundlage* als Halbmonatsschrift. Die Schriftleitung führt wie bisher der
Kreisarzt Med.-Rat Dr. Bach mann in Harburg (Elbe).
Todesfall. Wohl der älteste Medizinalbeamte, der am 1. Oktober 1000
m den Buhestand getretene Begiernngs- und Geheime Mediziaalrat Dr. Gustav
Adolf Philipp ist in Liegnitz am 20. Januar d. J. im 90 Lebensjahre gestorben.
In Zeitz 1827 geboren wurde er 1850 als Arzt approbiert und bestand
1855 die Prüfung als „forensischer Arzt*. 1856 zum Kreisphysikus in Lieben¬
werda ernannt, siedelte er bald darauf als solcher nach Mühlberg a. E. über,
wo er gleichzeitig als vielbeschäftigter Arzt tätig war. Am 1. Mai 1873 kam
er als Nachfolger des Geb. Bat Kerandt in das Begiernngs - Kollegium nach
Königsberg i. Pr. und wurde am 1. Dezember 1882 nach Liegnitz versetzt.
Mehr praktisch als wissenschaftlich tätig, war er ein äußerst zuverlässiger,
geschäftsgewandter Staatsbeamter mit unermüdlichem Diensteifer und ein be¬
liebter Arzt. Längere Zeit, bis 1908, Postvertrauensarzt, war er später noch
Anstaltsarzt am Königl. Lehrerseminar, welche Stelle er bis kurz vor seinem
Tode innehatte. Gelegentlich seiner Verabschiedung wurde er mit dem Kronen¬
orden II. Kl. und beim 60jährigen Doktor-Jubiläum im 82. Lebensjahre durch
Verleihung des Boten Adlerordens II. Kl. mit Eichenlaub ausgezeichnet.
BhrontafoL Es haben weiterhin erhalten das
Eiserne Kreuz I. Klasse:
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Goldscheider, Direktor des Poliklinischen
Instituts für innere Medizin der Universität Berlin, Generalarzt und
konsultierender Internist beim Oberkommando einer Armee.
Generalarzt Dr. Johannes -Saarbrücken.
Kreisarzt Dr. Knos pe, Stabsarzt d. B. und Chefarzt einer Sanitäts-Komp.
Stabsarzt d. B. Dr. Beiss, Privatdozent in Tübingen.
Eiserne Kreuz II. Kasse:
Dr. G e r 1 a c h, Kreisarzt in Osnabrück.
Reg.- u. Geh. Med.-Bat Dr. Müller-Herrings -Colmar i. Eis , leitender
Arzt des Seuchenlazaretts Colmar.
Med.-Bat Dr. Müller, Kreisarzt in Geestemünde.
Außerdem: Assistenzarzt Dr. Georg Hafemann, dritter Sohn des
Med.-Bats Dr. Hafemann-Luckau (N.-L.).
118
Tageanaehrtahten.
Ehren - Oodäohtxilstafel. Für das Tater Und gefallen sind ferner:
Feldarzt Dr. G. Bertofsky -Prenzlaa.
Assistenzarzt d. L. Dr. F. Davidsohn-Berlin.
Assistenzarzt d. Bes. Dr. Ernst Dobroschke-Ratibor.
Dr. G. Funke- Spandan.
Stabsarzt Dr. Rudolf Gieseler, Assistenzarzt am Institut für gericht¬
liche Medizin, Leipzig.
Mariiieassistenzarzt Dr. H. Grimm-Schwerin.
Stabsarzt Dr. Theodor Klein (infolge Krankheit gestorben).
Marinestabsarzt Dr. Ary Körte- Kiel.
Dr. K. Neidhöf er-Hahnstätten.
Marinestabsarzt Dr. Victor N o h 1 - Ratibor.
Stabsarzt d. R. Dr. H. Nöthen-Köln.
Stabsarzt Dr. Rabert-Löwenberg.
Dr. Georg Rho d o v i - Hannover.
San.-Rat Dr. Albert Scheele- Schwelm (infolge Krankheit gestorben).
Dr. Max Schmidt-Hochweitzschen.
Dr. Franz Schulze-Weimar (infolge Krankheit gestorben).
Stud. med. Einj.-Gefreiter Gottfr. Schumann-Leipzig.
Marineoberstabsarzt F. Steinbrück-Kolberg.
Marinestabsarzt Dr. W.Strassner -Ruhland.
Dr. F. Stresemann-Berlin-Dahlem.
Generaloberarzt Dr. Adolf Wieber-Berlin.
Cholera. In Oesterreich wurden vom 26. Dez. 1916 bis 8. Jan. 1916
26 (17) und 66 (14) Erkrankungen (Todesfälle), in Kroatien und Slavonien
vom 27. Dez. 1916 bis 8. Jan. 1916:129 (116), in Ungarn vom 3.—16. Jan. 1916:
1 (3), 2 (2) festgestellt
An Fleckfieber sind im Deutschen Reich in der Zeit vom 27 Jan.
bis 9. Febr. 1916 wiederum einige Kriegsgefangene in Gefangenenlagern, sowie
einige vom östlichen Kriegsschauplätze heimgekehrte deutsche 8oldaten erkrankt
Als an Pocken erkrankt gemeldet wurde im Deutschen Reiche ein
vom östlichen Kriegsschauplatz heimgekehrter Soldat in Buch, Kreis Nieder»
Barnim, Reg.-Bez. Potsdam.
Erkrankungen und Todesfälle an ansteckenden Krankheiten ln
Preußen. Nach dem Ministerialblatt für Medizinal-Angelegenheiten sind in der
Zeit vom 16. bis 29. Januar 1916 erkrankt (gestorben) an Pest, Gelb¬
fieber, Fleckfieber, Cholera, Rotz, Aussatz, Trichinose: — (—),
— (—); Tollwut: — (—), 1 (1); Bißverletzungen durch tollwut-
verdächtige Tiere: 8 (—), 11 (—); Milzbrand: 1 (—), — (—),;
Pocken: 1 (—), — (—); Unterleibstyphus: 498 (13), 269(16); Ruhr:
90(8), 16(6); Diphtherie: 3624 (266), 3604 (241); 8charlach: 2188 (106),
2022 (103); Kindbettfieber: 79 (29), 69 (18); Genickstarre: 19 (8),
26 (13); spinaler Kinderlähmung: — (1), 1 (—); Fleisch-, Fisch-
und Wurstvergiftung: — (—), — (1); Körnerkrankheit (erkrankt):
66, 41; Tuberkulose (gestorben): 736, 748.
Die vorliegende Nummer ist von mir im Aufträge meines erkrankten
Schwiegervaters zusammengestellt. Erfreulicherweise befindet er sich bereits
auf dem Wege zur Genesung, so daß das weitere rechtzeitige Erscheinen der
Zeitschrift sichergestellt ist.
Prof. Dr. R o e p k e • Melsungen.
Redakteur: Prof. Dr. Rapmund, Geh. Med.-Rat in Minden i.W.
3,0. C. Braaa, Herxofl. Steh*, a. F. Seh.-L. HtAitUrnkml In MM».
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29. Jahrg.
Zeitschrift
1916.
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zentralblatt
für das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie,
des staatlichen und privaten Versicherungswesens, sowie für das
Medizinal- und öffentliche Gesundheitswesen, einschließlich der
Hygiene und Bakteriologie.
Heraasgegeben
von
Prot Dr. OTTO RAPMÜND,
Geh. Med.-Rat In Minden I. W.
Offizielles Organ des Deutschen, Preussischen, Bayerischen, Sächsischen,
WGrttembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen, Thüringischen,
Braunschweigischen und Eisass - Lothringischen Medizinalbeamtenvereins.
Verlag von Fiseher’s med. Buehhandlg E Kornfeld,
Henogl. Bayer. Hot- n. K. u. K. Kammar-Btictüitodler
Berlin W. 62, Keithstr. 5.
Anzeigen nehmen 41« Yeriagthandlang sowie alle Anzeigen Annahmestellen des In*
und Auslandes entgegen.
Nr. 5.
Erscheint an 5. und HO. Jeden Monats.
5. März.
Die diesjährigen Verhandlungen des preussischen
Abgeordnetenhauses Uber den Medizinaletat.
Vom Herausgeber.
Trotzdem sich das Abgeordnetenhaus infolge des Krieges
bei seinen Verhandlungen möglichster Kürze befleißigte, hat es
dem Medizinaletat nicht nur in der Staatshaushaltskommission,
sondern auch im Plenum fast einen vollen Sitzungstag gewid¬
met. Den Hauptgegenstand der Verhandlungen bildete in beiden
Sitzungen die so überaus wichtige Frage des Geburtenrückganges;
man war allseitig der Ansicht, daß dieser mit allen Mitteln be¬
seitigt werden müsse und die in der Kommission wie im Hause ge¬
stellten und von diesem angenommenen Anträge (s. nachstehend)
beweisen, daß man sich nicht mehr mit theoretischen Er¬
wägungen aufhalten, sondern den für unser ganzes Volk so
äußerst gefährlichen Mißstand in wirksamer Weise bekämpfen
will. Hoffentlich finden die Anträge die Zustimmung der Staats¬
regierung und kommen zur Durchführung; diese wird allerdings
recht erhebliche Kosten verursachen, aber Geld darf, wie der
Abg. Dr. Mugdan sehr richtig sagte, gerade hier keine Rolle
114'
Die diesjährigen Verhandlungen des preußischen
spielen, da es tausendfach Zinsen einbringen wird. Besonders
erfreulich ist bei den diesjährigen Verhandlungen die Ueber-
einstiramung aller Parteien in bezug auf die Notwendigkeit
der zu ergreifenden Maßnahmen; der Medizinalverwaltung und
den Medizinalbeamten wird es dabei zur besonderen Genugtuung
gereichen, daß jetzt von verschiedenen Seiten Maßnahmen ge¬
fordert werden, die von ihnen schon längst als notwendig aner¬
kannt, aber s. Z. vom Abgeordnetenhauses abgelehnt sind, z. B.
die Anzeigepflicht bei offener Tuberkulose, Be¬
strafung grobfahrlässiger Uebertragung einer Ge¬
schlechtskrankheit, Besserstellung der Bezirks¬
hebammen usw.; von einer Seite (Abg. Faßbender) wurde
sogar ein amtsärztliches Zeugnis bei der Eheschließung
verlangt.
Nicht minder erfreulich ist aber die allseitige Anerkennung,
die diesmal nicht bloß die deutsche Aerzteschaft mit Rücksicht
auf jhre vorzügliche Tätigkeit im Kriege und die dadurch er¬
zielten großen Heilerfolge, sondern auch die preußische Medi*
linalverwaltung gefunden hat ob ihrer hervorragenden Lei¬
stungen auf dem ganzen Gebiete des öffentlichen Gesundheits¬
wesens, insbesondere auf dem Gebiete der Seuchenbekämpfung.
Eine derartige uneingeschränkte Anerkennung ist der Medizinal¬
verwaltung bisher im Abgeordnetenhause noch nie zuteil
geworden; sie hat diese aber auch, namentlich der Leiter
der Abteilung, in vollem Umfange verdient. Mit Stolz und
berechtigter Genugtuung wird sie diese Anerkennung erfüllt
haben, ist sie doch auch der beste Beweis, daß sich auch die
früheren Gegner einer ärztlichen Leitung der Abteilung
damit ausgesöhnt haben und diese der Entwicklung unseres
öffentlichen Gesundheitswesens nur zum Segen gereicht hat.
Wir lassen nun nachstehend die Verhandlungen in der
Staatshaushaltskommission (nach einem Bericht in Nr. 8 der
Deutschen medizinischen Wochenschrift) und des Abgeordneten¬
hauses selbst (nach dem stenographischen Bericht) folgen:
1. Verhandlung der verstärkten Staatshaastaaltskommlssion Aber den
Medizinaletat In Ihrer Sitzung vom 17. Februar d. J.
Ministerialdirektor Prof. Dr. Kirchner hob hervor, daß ein guter Volks¬
wirt, am sein Vermögen in Ordnang za bringen, entweder die Einnahmen
steigert oder die Ausgaben vermindert. Wir wollen durch eine energische
BekSmpfnng des Geburtenrückganges sozusagen die Einnahmen unseres Volkes
erhöhen. Unerläßlich aber ist es, und dies ist bisher ja mit Erfolg geschehen,
daß auch die Ausgaben des Volkskörpers, das heißt die Sterblichkeit, ver¬
mindert werden. Unter dem Einfluß der öffentlichen Gesundheitspflege and
der bakteriologischen Forschungen von RobertKoch und seinen Schülern ist
die Sterblichkeit in Preußen und in Deutschland in den letzten dreißig Jahren
fast am die Hälfte zurückgegangen. Dieser Rückgang ist besonders
groß bei den sogenannten übertragbaren Krankheiten, besonders bei Diphtherie,
Typhus, Rohr, aber sie tritt auch bei den nicht übertragbaren Krankheiten
zutage. Infolgedessen werden in Preußen jährlich durchschnittlich über
400000 Menschen mehr am Leben erhalten, als es in früheren Jahren der Fall
war. Das durchschnittliche Lebensalter ist bei den Männern um sechs, bei
den Frauen um mehr als sieben Jahre gestiegen. Es kann aber anch auf diesem
Abgeordnetenhauses über den Medizinaletat.
116
Gebiete noch mehr geschehen, als bisher. Dies geht schon daraus hervor, daß
die Sterblichkeit in gewissen großen Städten, z. B. Wilmersdorf, Neukölln,
ßchöneberg, Charlottenburg, Berlin, geringer ist, als im Durchschnitt des
Staates. Mehr geschehen kann namentlich auf dem Qebiete der Säuglings¬
sterblichkeit und der Tuberkulose. Früher starben von je vier Kindern im
ersten Lebensjahre eins. Eine energische Bekämpfung der Kindersterblichkeit
bat erst vor etwa 13 Jahren begonnen, erfreulicherweise hat sie schon jetzt zu
merklichen Ergebnissen geführt. Man sieht hieran, wie an vielen anderen
Dingen, daß hygienische Aufgaben, die mit Energie in Angriff genommen
werden, verhältnismäßig bald der Lösung entgegengeführt werden können.
Bedenklich ist, daß die Kindersterblichkeit auf dem Lande früher
geringer, jetzt aber größer ist, als in den Städten, und daß die Kindersterblich¬
keit unter den unehelichen Kindern noch immer sehr viel größer ist als unter
den ehelichen. Daraus ergibt sich, daß namentlich auf dem Lande und gegen¬
über den unehelichen Kindern noch mehr geschehen muß als bisher.
Gegenüber dem aus dem Ausschuß geäußerten Wunsche, es möchten
mehr Staatsmittel zur Bekämpfung der Tuberkulose aufgewendet werden,
erklärte der Ministerialdirektor: Der Minister hat in den letzten Jahren
für mehrere Kreise, namentlich für den Kreis Hümling (Reg.-Bez. Osnabrück)
Jahr für Jahr größere Summen aufgewendet, die schon jetzt zu einem
Rückgang der Tuberkulose geführt haben. Allerdings ist der Titel 25 des
Kapitels 97 a zu gering, um in größerer Ausdehnung hier Hilfe schaffen zu
können, aber von privater Seite geschieht sehr viel. Ich erinnere nur an die
Leistungen des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose
und der Landesversicherungsanstalten. Wenn wir jetzt schon einen Rückgang
von 51 v. H. bei den Todesfällen an Tuberkulose zu verzeichnen haben, so ist
das hauptsäthlich diesen Leistungen zu verdanken. Es kann aber keinem
Zweifel unterliegen, daß nach dem Kriege auf diesem Gebiete noch mehr ge¬
schehen muß; denn das Wort Friedrich Wilhelm I., daß der wertvollste Besitz
eines Volkes die Menschen sind, besteht zu Recht und wird sich besonders
nach dem Kriege bewahrheiten.
Nach Beendigung der Erörterung über den Geburtenrückgang dankte
der Minister für die Bereitwilligkeit, die allseitig aus der Kommission her¬
vorgetreten sei, zur Unterstützung der Staatsregierung bei ihrer schwierigen
Aufgabe der Bekämpfung des Geburtenrückgangs.
Auf eine weitere Anfrage aus dem Ausschuß erklärte der Minister
des Innern folgendes: Bei Ausbruch des Krieges stellten sich viele Aerxte,
die bereits aus dem Militärverhältnis heraus waren, zur Ver¬
fügung mit der Maßgabe, daß sie in ihrem Wohnsitz oder in der Nähe blieben.
Von diesen Herren ist aber im weiteren Verlauf ein Teil mit ihrem Einver¬
ständnis reaktiviert. Von da ab standen sie allen übrigen Militärärzten gleich.
Ihr Vorbehalt hinsichtlich des Ortes ihrer Verwendung war hinfällig. Der
Minister erklärte seine Bereitwilligkeit, bei der Militärbehörde vorstellig zu
werden dahin, daß die betreffenden Aerzte, wenn möglich, neben dem Militär¬
dienst ihre Zivilpraxis ausüben können. Hierin würde ein Entgegenkommen
der Militärbehörde liegen. Rechtlich seien die Maßnahmen der Militärbehörde
in dieser Angelegenheit unanfechtbar.
Auf Anfrage aus dem Ausschuß, wie der Minister Über die Ver¬
billigung der Krankenhäuser namentlich in großen Städten denke, erwiderte
der Ministerialdirektor: Im November 1913 ist ein Erlaß herausgegeben,
in dem die nachgeordneten Behörden auf die Möglichkeit hingewiesen werden,
gegenwärtig Krankenhäuser viel billiger zu errichten. Erhebungen, die der
Minister bei aUen Regierungspräsidenten angestellt und die Geheim rat K r ohne
in einer Arbeit veröffentlicht hat, haben ergeben, daß man jetzt schon je nach
Größe der Stadt für 2000 bis 4000 M. für das Bett hygienisch durchaus ein¬
wandfreie Krankenhäuser errichten kann. Angriffe, die von gewisser Seite
gegen den Erlaß des Ministers und die Arbeit des Geheimrats K r o h n e erhoben
worden sind, haben sich als nichtberechtigt herausgestellt, und es ist nach wie
vor der Standpunkt des Ministers des Innern, daß unbeschadet der zweck¬
mäßigen hygienischen Einrichtungen so viel als möglich auf Verbillignng der
Krankenhausbauten hingestrebt werden sollte.
116
Die diesjährigen Verhandlungen des preußischen
Bei der allgemeinen Besprechung des Medizinalwesens wurden
aus dem Ausschuß ferner folgende Anfragen gestellt:
1. Wie gestaltet sich die Zukunft der jungen Mediziner, die sich im
Kriegsdienst befinden, hinsichtlich ihrer weiteren wissenschaftlichen Vorbereitung,
und zwar sowohl derjenigen, die das Physikum, als auch derjenigen, die die
große Staatsprüfung noch nicht gemacht haben?
2. Ist es richtig, daß diejenigen, welche das Physikum, aber noch nicht
die große Staatsprüfung bestanden haben, unter gewissen Voraussetzungen zu
Militärärzten befördert werden?
3. Könnte nicht für die jungen Leute, die sich nun bald zwei Jahre im
Sanitätsdienst des Heeres bewährt, aber das Physikum noch nicht bestanden
haben, Urlaub in Aussicht genommen werden, wie bei den Regierungs-
referendaren, damit sie unter Kürzung der sonst vorgeschriebenen Vorbereitungs¬
zeit sich auf das Physikum vorbereiten?
Hierauf antwortete der Ministerialdirektor Prof. Dr. Kirchner:
Sofort nach Ausbruch des Krieges hat der Reichskanzler im Einvernehmen mit dem
Minister des Innern und dem Kultusminister weitgehende Erleichterungen für die
Prüfungen derMediziner eingeführt. Zunächst wurde schon am 2. August
die sogen, ärztliche Notprüfung eingeführt, die wesentlich vereinfacht und lediglich
mündlich war und nicht länger als zwei Tage dauern sollte. Auch wurde sämt¬
lichen Medizinern, die die ärztliche Prüfung bestanden hatten, das praktische
Jahr erlassen. Auf diese Weise ist es gelungen, der Armee und dem Lande eine
erhebliche Anzahl von frischgeprüften Aerzten zuzuführen. Mitte Februar 1915
wurde die ärztliche Notprüfung abgeschafft und an ihre Stelle eine abgekürzte,
im übrigen den Bestimmungen der ärztlichen Prüfungsordnung entsprechende
sogen. Kriegsprüfung eingeführt, die jedoch nur bis zum 31. März 1915 abgelegt
werden konnte. Seit dieser Zeit müssen die jungen Mediziner wieder die volle
ärztliche Prüfung ablegen. An Erleichterungen sind jetzt nur noch folgende
in Geltung: einmal wird denjenigen Medizinern, die vor Eintritt in das Heer
noch nicht ihrer Heerespflicht genügt haben, ein Semester Kriegsdienst auf das
Studium angerechnet, weiter wird die übrige Kriegsdienstzeit unter bestimmten
Voraussetzungen auf das praktische Jahr angerechnet.
Einer Beförderung von Medizinern, die zwar die Vorprüfung,
nicht aber die ärztliche Prüfung bestanden haben, zu Militärärzten findet aller¬
dings statt, jedoch mit der Einschränkung, daß alle Mediziner vom 7. Semester
ab Feldunterärzte werden und in etatsmäßigen Assistenzarztstellen verwendet
werden können. Ihre Stellung zur Wahl und ihre Beförderung zum Sanitäts¬
offizier findet «dagegen nur nach Ablegung der ärztlichen Prüfung statt.
Eine Beurlaubung von jungen Leuten, die im Sanitätsdienst des
Heeres tätig sind, zwecks Ableistung der Vorprüfung, wird vom Kgl. Kriegs¬
ministerium abgelehnt mit Rücksicht auf die Beschwerden, die von anderen
Berufsständen dagegen erhoben werden könnten. Auch wird es weder vom
Kriegsminister noch von den Zivilstellen als zulässig erachtet, daß junge Leute,
die im Felde stehen, sich auf einige Tage nach einer Universitätsstadt beur¬
lauben lassen, dort ein Kolleg belegen, ohne es zu hören, und dann den An¬
spruch erheben, daß dieses Semester ihnen auf das Studium angerechnet werde.
Aus dem Ausschuß wurde von einem Mitglied geltend gemacht, daß für
die Unterstützung des Hebammenwesens (Titel 28) größere Geld¬
aufwendungen gemacht werden müßten. Der Ministerialdirektor er¬
widerte : Die Mehrzahl der Hebammen hat eine jährliche Einnahme von wenige
als 300 M. Dies ist mit ein Grund dafür, daß Frauen aus höheren Stände 11
für den Beruf sich nicht zur Verfügung stellen, aber auch dafür, daß leider
manche Hebammen der Versuchung, durch Fruchtabtreibung Geld zu verdienen
unterliegen. Deswegen hat der Minister schon seit einer Reihe von Jahren ver-’
sucht, womöglich alle Kreise zu statutarischer Regelung des Hebammenwesens
zu veranlassen. Das ist bis jetzt bei 220 Kreisen geschehen. Außerdem wird
aber anzustreben sein, daß die Niederlassungsfreiheit der Hebammen beschränkt
wird, damit jede einen Bezirk bekommen kann, der sie auch zu ernähren ver¬
mag. Die Verhandlungen hierüber schweben zurzeit zwischen den Ressorts.
Schließlich wurden folgende Anträge angenommen:
1. das Abgeordnetenhaus zu ersuchen, einen Beschluß
dahingehend zu fassen: die Kgl. Staatsregierung zu ersuchen,
Abgeordnetenhauses über den Medizinaletat
117
bei dem Bundesrat dahin zu wirken, daß derselbe dem Bei ehe
tage möglichst bald einen Gesetzentwurf vorlegen mOge,
durch welchen der Bundesrat ermächtigt wird, nicht allein
jedes unaufgefordert an das Publikum sich herandrängende
InMeten nnd Anpreisen durch Kataloge, Drucksachen, Hausieren
usw., sondern auch das Feilhalten und den Vertrieb von Gegen»
ständen, die zur Beseitigung der Schwangerschaft oder zur Verhütung
der Empfängnis geeignet sind, zu beschränken oder zu unter*
sauen, wie auch alle nur für das Laienpublikum bestimmten
Schriften und Bücher, in welchen sich Beschreibungen und
Besprechungen der antikonzeptionellen und zur Unterbrechung
der Schwangerschaft geeigneten Methoden und Mittel finden,
zu verbieten;"
„2. die Kgl. Staatsregierunu zu ersuchen, für das Etats¬
jahr 1917 eine wesentliche Erhöhung des Titels28 in Kap.97a
der dauernden Ausgaben (Unterstützung des Bezirks*Hebanunen*
Wesens) vorzunehmen.“
Beim Extraordinarium erklärte der Ministerialdirektor bei
Titel 28 (Krebsforschung), daß leider die Krebsforschung, wie auch andere große
Aufgaben, durch den Krieg in Stillstand geraten sei, da der größte TeU der
Forscher sich bei der Armee befinde.
Die Forderungen für das Medizinalwesen wurden im Ordinarium und
Extraordinarium genehmigt.
B. Verhandlungen des Abgeordnetenhauses Ober den Medizinaletat in seinen
Sitzungen vom 24, und 25. Februar d. J.
Abg. v. der Osten*Warnitz, Berichterstatter (kons.), betont zunächst,
daß in der Kommission von allen Seiten der Königlichen Staatsregierung bzw.
der Medizinalrerwaltung die wärmste Anerkennung ausgesprochen sei,
namentlich mit Bücksicht darauf, daß sie es verstanden habe, im Verein
mit der Kriegsverwaltung, die unsere Grenzen zum Teil sehr ernstlich be¬
drohenden Seuchen, Cholera, Fleckfieber, Ruhr und andere bis auf einzelne
sporadische Fälle fernzuhalten. Es sei dieses ein Ruhmestitel für unsere
preußische Medizinalverwaltung; die Kommission habe sich veranlaßt gesehen,
ihr hierfür ihren wärmsten Dank und ihre lebhafteste Anerkennung aus-
znsprechen.
Betreffs der mangelhaften ärztlichen Versorgung der Zivilbevölkerung
sei die Kommission zwar einstimmig der Meinung, daß unter allen Umständen
die Militärverwaltung hier ein Vorrecht haben müsse; andernfalls scheine es
aber doch eine Reihe von Aerzten in Militärkreisen zu geben, die nicht voll,
vielfach nur sehr ungenügend beschäftigt seien. Die Kommission habe deshalb
die Königliche Staatsregierung gebeten, durch Verhandlungen mit der Militär¬
verwaltung diesen Notständen in geeigneter Weise entgegenzuwirken. Der
Herr Minister habe zugesagt, diesen Wünschen nachzukommen.
In der Kommission sei auch die Frage des Geburtenrückganges gestreift,
der sich mehr oder weniger in allen Kulturstaaten bemerkbar mache, auf allen
möglichen Ursachen beruhe und geradezu als eine Kulturkrankheit bezeichnet
werden müsse. Es wurde auch auf eine Anzahl von den verschiedensten Mitteln
hillgewiesen, die zur Bekämpfung des Uebels geeignet sein sollen, z. B. eine
8onderbesteuerung Lediger, Beschränkung der Testierfreiheit, geringere Be¬
soldung kinderarmer oder kinderloser Beamter, größere Unterstützung kinder¬
reicher Familien, sittliche und geistliche Einwirkung der Kirche und Belehrung
der Frauen, Ermöglichung eines früheren Eingangs der Ehe durch die Beseiti¬
gung von Ehehindernissen, Unterbringung von kinderreichen Familien in Ein¬
oder Zweifamilienhäusern, Förderung der inneren Kolonisation sowie Verbot
der Anwendung von Präventivmitteln, Unterdrückung von Veröffentlichungen
aus dem Personenstandsregister, Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, bessere
8änglings- und Kinderfürsorge.
Die Kommission sei einhellig der Ansicht, daß allen diesen Mitteln ge¬
wisse Bedenken gegenüberstehen, und daß jedes Mittel einzeln kaum geeignet
sein würde, eine ernste Einwirkung auf diesem schwierigen Gebiet hervorzu-
118 Die diesjährigen Verhandlungen des preußischen
rufen. Anderseits glaubte man aber doch, daß die Summe dieser Mittel bzw.
ein System, das aus ihnen heraus erzeugt und angewendet würde, wenn es auch
vielleicht erst nach Jahren voll zur Wirksamkeit komme, doch geeignet sein
würde, dieser ernstesten Oefahr, die unser Volk zurzeit bedrohe, mit Erfolg
entgegenzuarbeiten. Schließlich sei aus der Kommission der dem Hanse vor*
liegende Antrag (s. vorher S. 116 und 117) gestellt und mit großer Mehrheit
zur Annahme gelangt.
Redner hebt zum Schluß nochmals hervor, daß die Kommission ein*
stimmig den Geburtenrückgang als eine ungemein wichtige innere Frage
ansehe, die ein außerordentlich schwieriges Gebiet berühre, anderseits habe
sie aber auch mit Dank anerkannt, daß man sowohl seitens der Wissen¬
schaft draußen im Lande, wie namentlich auch durch eine intensive Vorarbeit
in unserer preußischen Medizinalabteilung auf dem besten Wege sei, mit aller
Energie diesem gefährlichen Uebel zu Leibe zu gehen. Man sei deshalb auch
einhellig der Hoffnung, daß es der lebendigen Kraft, die in unserm deutschen
Volke liege und die dies auch in dieser schweren Zeit wieder bewiesen habe,
gelingen werde, das Uebel endgültig und siegreich zu bekämpfen und damit
unser deutsches Volk auch wieder innerlich zu erneuern. (Bravo!)
Abg. Dr. Mugdan (fortschr. V.-P.) begrüßt mit Stolz die im jetzigen
Kriege erzielten Heilerfolge bei unseren Verwundeten, die im Gegensatz zu
unseren feindlichen Mächten, insbesondere za Rußland, so groß seien,
daß von 100 Lazarettinsassen höchstens zehn nicht voll wieder dienstfähig
würden, und auch von diesen zehn im Laufe der Zeit ein großer Teil ihre volle
Arbeitsfähigkeit wieder erhalten werde. Dieser Erfolg erklärt sich daraus,
daß es unsere Aerzteschaft verstanden habe, alles, was sie vor dem Kriege
gelernt habe, in dem Kriege zum besten unserer Verwundeten und Kranken
zu verwenden. Weiterhin erstrecke sich die Arbeit unserer Aerzte nicht nur
auf die Heilung der Verwundeten und Kranken, sondern vor allem auch auf
die vorbeugende Behandlung der Krankheiten, die bei der Tätigkeit des
Arztes fast dieselbe große Rolle spiele wie die üeilung. Auch da können wir
mit großem Stolz auf unsere Erfolge zurückblicken. Früher waren bei jedem
Kriege die trübste Begleiterscheinung die Seuchen; im Jahre 1870 sei der
Verlust an Menschen durch ansteckende Krankheiten größer, als durch die
feindlichen Geschosse gewesen. Daß es jetzt geglückt sei, uns dieser Krank¬
heiten vollständig zu erwehren, das verdanken wir der Schalung der Aerzte
und den Anstrengungen, die das Feldsanitätswesen gemeinsam mit unserer
preußischen Medizinalverwaltung ergriffen hat, und zwar nicht nur ihrer Arbeit
während des Krieges, sondern einer Arbeit, die auf eine weit längere Zeit,
über ein Jahrzehnt, zurückgeht, und die ihre Krönung in den Seuchengesetzen,
die wir in Deutschland und Preußen besitzen, findet. Der Krieg hat auf das
glänzendste die Richtigkeit dieser Gesetzgebung bewiesen. Redner bittet den
Vertreter der Medizinalverwaltung um nähere Mitteilung, in welcher Weise
im vorigen Jahre die epidemischen Krankheiten, Flecktyphus, Cholera, Ruhr,
Typhus, Pocken in unser Heimatgebiet gekommen sind, und auf welche Weise
es gelungen ist, sie vollständig zu vereinzeln und zu verhindern, daß aus den
Einzelteilen eine Epidemie in Deutschland entstand. Er frage das nicht aus
einer gewissen Neugierde, sondern habe dabei den Wunsch, unseren Feinden
auch die Hoffnung zu nehmen, daß sie wirklich eine Unterstützung in den
Seuchen, die sonst die Begleiterscheinungen des Krieges Bind, finden könnten.
Vielleicht verstummen dann auch die Stimmen derjenigen, die die wissenschaft¬
liche Medizin als größte Gefahr bezeichnen, die in ihrer durch Sachkenntnis
nicht getrübten Ueberhebung die Zwangsimpfnng einen Kindermord nennen,
und die die großen wissenschaftlichen Forschungen eines Virchow, Koch,
Behring und Ehrlich nicht genug bespötteln könnten und der Welt ein*
reden wollten — nnd dabei unter sonst ganz vernünftigen Leuten sogar auf¬
merksame Zuhörer fanden —, daß die Ergebnisse aller dieser Forschungen zu
einer Entkräftigung und Vergiftung unseres Volkes führen würden. Wenn
auch der einzelne Arzt für das, was er, wie jeder in diesem Kriege draußen
und in der Heimat geleistet hat, nicht irgendwelchen Dank verdient, da er
nur seine Pflicht getan hat, so darf nach den Erfahrungen dieses Krieges der
ärztliche Stand auch etwas mehr wirkliche Anerkennung verlangen, als ihm
zuteil wird. Gewiß, man spricht jetzt vonjden Aerzten ganz gut, aber in allen
Abgeordnetenhauses Uber den Medizinaletpt.
119
demjenigen FUlen, in deoen der ärztliche Stand um Erfüllung der Wünsche,
die er Tür dringend, nicht nur in seinem, sondern auch im allgemeinen Interesse,
hält, kämpfen muß, sieht er leider auf der Seite seiner Gegner die bunt¬
scheckigsten Verbindungen auB sonst einander feindlichen Kreisen; man nimmt
keinen Anstand über die Wünsche des ärztlichen Standes hinwegzu-
f ehen, und das tut man sogar in dieser Zeit, in der Tausende yon Aerzten
maßen im Felde stehen. Das ist schmerzlich, feststellen zu müssen. (Sehr
richtig! bei der fortschrittl. Volksp.)
Das, was die Aerzte im Kriege erreicht haben, würden sie aber ohne
die Unterstützung der ärztlichen Hüfspersonen nicht haben möglich machen
können. In diesem Kriege hat sich auch die Krankenpflege^ die wir in Deutsch¬
land haben, mag sie religiöser Natur sein oder mag sie die Krankenpflege nur
aus wirtschaftlichen Gründen treiben, aufs allergroßartigste bewährt. (Sehr
richtig! bei der fortschrittl. Volksp.) Wer Gelegenheit gehabt hat, die Kranken¬
pflegepersonen hier in der Heimat und auch draußen im Felde bei der Arbeit
zu sehen, wer beobachten konnte, wie sie sich unterstützen, yie sie nichts
anderes kennen, als das Wohl der ihnen anvertrauten Kranken, der kann des
Lobes über unsere Krankenpflege, und besonders über unsere Krankenschwestern,
nicht genug sein. (Sehr richtig!) Ebenso wie so vielen anderen Ständen, die
im Kriege ihre Pflicht getan haben, sollte deshalb in diesem Hause auch den
Personen unserer Krankenpflege warmer Dank und volle Anerkennung aus¬
gesprochen werden. (Bravo!) Leider wird die Versagung des Koalitionsrechts den
Krankenpflegepersonen gegenüber — und das ist tief bedauerlich — selbst
während der Kriegszeit ausgeübt, nicht von Stellen, über die der Herr Minister
des Innern eine Gewalt hat, sondern von den Organen der Selbstverwaltung
der Provinzen, die mehrfach den von ihnen angestellten Krankenpflegern zu
deren großen Betrübnis, obwohl es sich nicht um sogenannte freie Gewerk¬
schaften, sondern um christliche Gewerkschaften handelt, das Koalitionsrecht
rundweg abgeschlagen haben. (Hört, hört! bei der fortschrittl. Volksp.) Man
sollte doch schließlich in diesem Kriege gelernt haben, daß in der freien Be¬
tätigung unserer Vereinigungen zum Teil das Geheimnis unserer Erfolge beruht.
Um was beneiden uns denn alle unsere Feinde? Um die Schulung und Disziplin,
die diese Vereinigungen und Organisationen verbreiten. Wo würde denn dieses
Zusammenwirken aller Kräfte möglich sein, wenn wir nicht diese Organisationen
gehabt hätten, auch die Organisationen der Arbeitgeber. Aber gerade dieser
Krieg hat ja gelehrt, daß solche freie Vereinigung von Menschen zu einem
bestimmten Zweck auch für die Wohlfahrt des Staates sehr wichtig ist. Von
einer Organisation der Krankenpflegepersonen können gewiß auch ihre Vor¬
gesetzten lernen. Es ist eine Ueberhebung zu glauben, daß derjenige, der
dient, der beamtet ist, nur zu gehorchen hat. (Sehr richtig! bei der fortschrittl.
Volksp.) Deswegen sollte man endlich den Krankenpflegepersonen das Hecht
der Koalition in vollem Umfange einräumen; ihre bisherige Verweigerung ist
ein doppeltes Unrecht, weil sie in diesem Kriege gezeigt haben, daß sie das
höchste Vertrauen auch derjenigen verdienen, die Ihre Vorgesetzten sind. (Bravo!
bei der fortschrittl. Volksp.)
Noch ein anderer Stand ist es, der in diesem Kriege Hervorragendes ge¬
leistet hat, das sind die Zahnärzte. Die Zahnheilkunde hat in diesem Kriege
Triumphe gefeiert wie nie zuvor, während sie im Jahre 1870 kaum eine Bolle
gespielt hat. Ein großer Teil der vorübergehenden Dienstunfähigkeit wird
durch Zahnkrankheiten hervorgerufen; man findet deshalb überall hinter der
Front gut eingerichtete Institute zur Behandlung der Zahnkrankheiten, in denen
Sprechstunden mit 100—200 Zahnkranken nicht zu den Seltenheiten gehören.
Der gegenwärtige Leiter der Medizinalabteilung hat ja gerade in der Aus¬
bildung der Zahnärzte sich außerordentlich große Verdienste erworben. Er ist
es, der seit Jahren immer darauf hinweist, daß die Zahnpflege bei dem Menschen
schon sehr früh anfangen muß; er ist es, der die Gründung der Schulzahn¬
kliniken angeregt hat, und er ist jederzeit bereit gewesen, alles das zu fördern,
was irgendwie zur Förderung der Zahnheilkundo notwendig ist. Ich glaube
auch, daß der Krieg uns in dieser Beziehung Lehren an die Hand gibt. Er
zeigt, daß für die Wehrhaftigkeit eines Heeres ein gut ausgebildeter Zahn-
arztatand unbedingt notwendig ist, und deswegen bedauere ich es, daß — nicht
von dem Herrn Minister des Innern, aber von seinem Kollegen, dem Herrn
Die diesjährigen Verhandlungen des preußischen
120
Minister für Handel und Gewerbe — die Zahnärzte gewissermaßen gleichgestellt
werden mit den Zahntechnikern. Ich will kein Wort gegen diejenigen Zahn¬
techniker sagen, die mit großer Mühe and mit großem Fleiß sich eine Kenntnis
in der Zahntechnik and vielleicht auch in einigen Zahnkrankheiten angeeignet
haben; ich leugne auch keinen Augenblick, daß zurzeit in Deutschland die
Zahntechniker an einigen Orten gar nicht entbehrt werden können, weil Zahn¬
ärzte nicht da sind. (Sehr richtig!) Aber ebenso wie früher bei den Aerzten,
so muß doch das Streben darauf hingehen, allmählich die zahnärztliche Be¬
handlung der Bevölkerung durch Zahnärzte ausführen zu lassen. Es ist ganz
falsch, wenn Krankenkassen aus finanziellen Gründen die Behandlung durch
Zahntechniker vorziehen und alles mögliche tun, um die Behandlung durch
Zahnärzte zu erschweren, und wenn der Herr Minister für Handel und Ge¬
werbe sie darin sogar noch unterstützt. Die Tätigkeit der Aerzte und aUer
der Personen, die für die Sicherheit der öffentlichen Gesundheitspflege not¬
wendig sind, wird in Zukunft weit größer sein, als sie bisher gewesen ist.
Die Frage des Geburtenrückganges kann nur einigermaßen gelöst
werden, wenn man sie im Rahmen der gesamten öffentlichen Gesundheitspflege
behandelt. (Sehr richtig! links.) Die Verluste des Krieges sind sicher groß;
außerdem werden sicherlich Hunderttausende von unseren Kämpfern mit einer
offenen oder mit einer schleichenden Krankheit zurückkommen. Wir werden
deswegen aUes aufbieten müssen, um unser Volk gesund zu erhalten, werden
aUes aufbieten müssen, um zu verhindern, daß die Volkskraft sinkt und auch
die Zahl unserer Volksgenossen. Deswegen stimmen sämtliche Parteigenossen
des Redners mit dem Herrn Berichterstatter durchaus überein, daß die Frage
des Geburtenrückganges eine der wichtigsten ist, die uns gegenwärtig über¬
haupt beschäftigt, und daß wir alles tun müssen, um nach Möglichkeit den
Schaden, der dadurch unserem Vaterlande entstehen kann, wieder wettzumachen.
(Sehr richtig!)
Der Herr Berichterstatter hat die vielen Ursachen angeführt, die man
im allgemeinen für den Geburtenrückgang anzuführen pflegt. Die Aerzte
pflegen zu sagen, wenn man gegen eine Krankheit sehr viele Mittel zur Ver¬
fügung hat, dies im allgemeinen der Beweis sei, daß keines dieser Mittel sehr
gut wirke. So ist es auch hier: keine der Ursachen ist, für sich allein be¬
trachtet, die Ursache für den Geburtenrückgang; es gibt für ihn Gründe der
materiellen Natur, es gibt Gründe, die mehr auf idealem Gebiete liegen. Nur
eins kann man sagen, daß es nach den Erfahrungen und nach den überein¬
stimmenden Zeugnissen sachverständiger Aerzte nicht richtig ist, den Geburten¬
rückgang etwa auf eine Entkräftigung unseres Volkes zurückzuführen. Es ist
auch nicht etwa eine Herabsetzung der Gebärfähigkeit unserer Frauen, die
zum Geburtenrückgang geführt nat. Daß der von der Kommission an¬
genommene Antrag allzuviel nutzen wird, glaubt Redner nicht. Das Verbot
dieser Dinge hat, das lehrt die Erfahrung, nicht allzuviel Wort; ein solcher
Gesetzentwurf ist anch schon dem Reichstage vorgelegt, hier abef nicht zur
Verabschiedung gelangt. Die Absichten dieses Antrages werden von der Gesamt¬
heit der fortschrittlichen Volkspartei voll anerkannt und voll unterstützt. Es
ist auch ihre Ansicht, daß mit dem Hausieren, mit dem Feilbieten, mit dem
Anbieten dieser Gegenstände ein ungeheurer Unfug heute getrieben wird. (8ehr
richig!) Wir würden uns alle außerordentlich freuen, wenn mit Hilfe der
Gesetzgebung diesem Unfug gesteuert werden könnte. (Sehr richtig!) Wir
wissen auch genau, daß tatsächlich Bücher und Schriften erscheinen, die unter
einer wissenschaftlichen oder volksfreundlichen Maske, nur darauf berechnet
sind, in dieser Beziehung recht schlechte Lehren zu geben. (Sehr wahr!) Aus
diesem Grunde hat die Partei des Redners versucht, die größten Fehler des
Antrages der Kommission etwas zu verbessern und hat einen Antrag vorgelegt,
der im Sinne ziemlich dasselbe will, wie der Antrag der Kommission, der aber
unserer Ueberzeugung nach sicherer und besser ist als dieser.
Zur Bekämpfung des Geburtenrückgangs ist vor allem eine Ver¬
besserung unserer allgemeinen Volksbedingungen notwendig;
aber selbst wenn diese Bedingungen erfüllt sind, erscheint es noch immer
zweifelhaft, ob wir in den nächsten Jahren nach dem Kriege in der Zahl
der Geburten einen so großen Fortschritt erwarten dürfen, wie wir alle wünschen.
Es liegen da auch Verhältnisse vor, über die man vieUeicht am aUerbesten
Abgeordnetenbaases Über den Medizinaletat. 121
nach jetzt nicht spricht, die mit den Verlosten Zusammenhängen, die wir in
diesem Kriege erlitten haben. Redner gehört nicht za denjenigen Leuten,
die in der Frage des Geburtenrückgangs vollständig schwarz sehen; er hat
auch die Hoffnung, daß hier etwas erreicht werde, aber nicht die Sicherheit,
daß dies geschieht. Da es in erster Linie darauf ankommt, unsere Volks*
kraft zu erhalten und zu verhindern, daß unser Volk abnimmt und
schwächer wird, deswegen glauben seine Parteigenossen, daß es an der Zeit ist,
alles das zu tun, was nach Möglichkeit unsere Sterblichkeitsziffer
herabsetzt und vor allem unsere Säuglingssterblichkeit beschränkt, (sehr
richtig!) weil, wenn es uns gelingt, nur die Säuglingssterblichkeit sehr herab-
zudrttcken, ein Geburtenrückgang für unser Vaterland nicht mehr die schweren
Folgen hat, die er gegenwärtig hat, wo wir in der Säuglingssterblichkeit leider
mit an einem der ersten Plätze rangieren.
Aus dieser Ueberlegung sind die Anträge der Partei des Redners entstanden,
die sich auf die Frage des Haltekinderwesens und auf die Sänglingsfürsorge
beziehen. Nach dem Kriege ist der Wert des einzelnen Menschen für unser
Volk ungleich höher als vorher. Wir müssen wegen der Verluste, die der
Krieg uns gebracht hat, jeden, also auch den allerschwächsten Menschen,
pflegen und versuchen, ihn zu einem vollkräftigen Bürger heranzuziehen. Die
Säuglingssterblichkeit ist doch zu einem sehr großen Teil eine Folge schlechter
sozialer Verhältnisse, man muß es eingestehen, daß die Säuglinge dor reichen
und wohlhabenden Familien sicher nicht in großer Zahl daningerafit werden,
wie die Kinder des Proletariers; deswegen ist es unbedingt notwendig, daß
man denjenigen Personen, die eben nicht die Mittel dazu haben, um auch
kranke Säuglinge durch das Leben zu bringen, durch Veranstaltungen die
Möglichkeit dazu bietet. (Sehr richtig!) Dies scheint durch die Errichtung
von Säugllngsfttrsorgestellen zu geschehen, in denen die Mütter nicht nur eine
Behandlung der 8äuglinge erhalten, in denen sie auch Ratschläge für eine
bessere Versorgung der Säuglinge bekommen, in denen — das ist in vielen
Städten der Fall — eine Verbindung mit Milchstellen hergestellt wird, wo
man der Mutter auch gleich Milch und andere für den Säugling, wenn er älter
ist, passende Nahrung verabreichen kann. Redner glaubt, daß die Errichtung von
Säuglingsfürsorgestellen nach dem Kriege bei unseren Gemeinden, sowohl den
städtischen als auch den ländlichen, allgemein werden wird und allgemein
werden muß. Und da — das haben wir ja aach in diesen Debatten kennen
gelernt — die Finanzkraft unserer Gemeinden nach dem Kriege höchst an¬
gespannt sein wird, so ist es Pflicht des Staates, hier einzuspringen. (Sehr
richtig! bei der fortschrittl. Volksp.) Mit Worten werden Sie weder die Säug¬
lingssterblichkeit herunterdrücken, noch werden Sie den Geburtenrückgang be¬
seitigen. Trotz der finanziellen Schwierigkeiten, in die vielleicht unser Staat
durcb diesen Krieg kommen wird, sei seine Partei einstimmig der Ansicht,
daß die Mittel, die der Medizinalverwaltung zum Nutzen
des allgemeinen Volkswohles bereitgestellt werden sollen,
weit größer sein müssen, als es gegenwärtig der Fall ist.
(8ehr richtig! bei der fortschrittl. Volksp.) Hier kommt es in der Tat auf
Millionen nicht an; diese Millionen verzinsen sich wirklich! Und da wir doch
alle wissen, daß uns auch in Zukunft kein ruhiger Frieden beschert sein
wird, sondern daß der Frieden, den wir alle ersehnen, in den nächsten Jahren
leider ein bewaffneter Frieden sein wird, so müssen wir auch schon mit Rück¬
sicht auf unsere Wehrkraft alles tun, was geeignet ist, unsere Jugend zu
ertüchtigen und wehrhaft zu machen. (Sehr richtig! bei der fortschr. Volksp.)
Dazu dient eine bessere Versorgung der Säuglinge, dazu dient auch der
Antrag, den wir in bezug auf das Haltekinderwesen gestellt haben.
Denn wenn schon die Kinder der Armen und Aermsten als Säuglinge großen
Gefahren ausgesetzt sind, so weiß jeder, daß uneheliche Kinder, die
irgendeiner Ziehmutter übergeben sind, sehr häufig damit einfach dem Tode
geweiht werden. (Rufe: Leider!) Das Haltekinderwesen ist in Deutschland
außerordentlich verbesserungsbedürftig. Das Gewerbe der Ziehmütter ist ja
ausdrücklich aus der Gewerbeordnung herausgenommen; das Haltekinder¬
wesen wird durch Polizeiverordnungen geregelt, die mehr oder weniger
gut sind. Das, was wir brauchen, ist eine reichsgesetzliche Re¬
gelung, die es den einzelnen Regierungen erlaubt, die Ziehmütter auf
122
Die diesjährigen Verhandlungen des preußischen
das sorgsamste za Überwachen and za verhindern, daß Personen, die dieses
Gewerbe betreiben, es nar betreiben wollen, am, wie m&n sagt, möglichst viel
Engel za machen. (Sehr richtig! bei der fortschrittlichen Volkspartei and bei
den Freikonservativen). Der Staat maß darauf sehen, daß auch diese unehe¬
lichen Kinder ans erhalten bleiben; denn wir brauchen jetzt alle Menschen,
and jeder Volksgenosse ist für anseren Staat sehr viel wert. (Sehr richtig!
bei der fortschrittlichen Volkspartei.) ln der ausgezeichneten Denkschrift, die
von einem Herrn der Medizinalabteilang über den Geburtenrückgang geschrieben
worden ist, ist ja auch darauf hingewiesen worden, daß nicht allein mit einer
Verbesserung des Haltekinderwesens alles getan ist, sondern daß überhaupt
die Lage der anehelichen Kinder verbessert werden maß.
Das Wichtigste scheint dem Redner and seinen politischen Freunden
ein ständiger Matter* and S&aglingsschatz. Die Säuglingsfürsorgestellen
allein genügen in der Beziehung noch nicht. Die Vorschriften der Reichsver-
sicherungsordnung, die den Matter* and Säuglingsschatz betreffen, sind leider
keine Maßbestimmangen, sondern nar fakultativ gestaltet; deshalb wollten
wir and aach die Sozialdemokraten bei der Beratung der Reichsver-
sicherungsordnnng eine Aenderang in dem Sinne, daß Matter* and Säuglings-
schatz durch die Reichsversicherangsordnang sicher gestellt worden wäre.
Die Mehrheitsparteien des Reichstags haben das abgelehnt, selbstverständ¬
lich nicht etwa, weil sie weniger warm für die Mütter and die Kinder
empfinden als wir, sondern immer aas den alten Gründen finanzieller
Natar. Aach die Herren der Regierang sagten ans: das kostet zaviel
Geld! M. H., im Kriege sollen wir ja alle amlernen. Wir wollen nicht
nar unsere Politik nea orientieren — darüber haben wir ja erst vorhin aus¬
führlich gesprochen —, sondern wir müssen auch in dem Begriff amlernen, was
finanziell notwendig ist and was finanziell verworfen werden maß. Es ist
anmöglich, daß wir jahraas jahrein diese Debatten bei der
Modizinalabteilang führen, wenn wir nicht bereit sind, für
diesen Krieg, wie schon gesagt, das Geld bereitzustellen,
das wir brauchen. (Sehr richtig! bei der fortschrittlichen Volkspartei).
Ich glaube, daß man die Einwände, die man uns bei der Reichsversichernngs*
Ordnung im Jahre 1911 gemacht hat, voraussichtlich jetzt nicht mehr machen
wird. Damals ist es aas finanziellen Gründen durchgesetzt, daß bei den
Landkrankenkassen die Wochenanterstützang nicht einmal auf dieselbe Zeit
gegeben wird, wie bei den übrigen Kassen, and daß anf diese Weise für die
Wöchnerinnen der ländlichen Bevölkerung nun weit schlechter gesorgt ist als
für die Wöchnerinnen uns dem städtischen Arbeiterstande. (Sehr richtig! bei
der fortschrittlichen Volkspartei.) Erfreulicherweise hat jetzt der Krieg mit
einem Schlage unsere Wünsche erfüllt. In drei Verordnungen des Bandesrats
ist alles das in der Belchswochenhllfe geschenkt, wa6 wir so lange Jahre
erstrebt haben. Genau so, wie der Krieg uns, ich möchte sagen, in einer
Nacht von der Nachtarbeit in den Bäckereien befreit hat, genau so, wie er
uns in einem Tage von der Anwendung des Bleiweißes bei den Malern and
der anderen Gewerbe befreit hat, so hat er uns auch den Matter- and
ääaglingsschatz geschenkt, und es ist unmöglich, uns das, was uns der
Krieg in dieser Beziehung gegeben hat, nach dem Kriege wiederzanehmen.
(Sehr richtig! bei der fortschrittlichen Volkspartei.) Wir werden die Reichs¬
wochenhilfe nach dem Kriege unbedingt erhalten müssen; es erscheint dazu
am allerbesten, die Vorschriften der Reichswochenhilfe in die Reichsver-
sicherangsordnung hineinzuarbeiten und alle die Leistungen, — von ihnen
haben wir jetzt schon das Wochengeld — den Entbindungsbeitrag, die Kosten
für die Behandlung der Schwangeren durch Arzt und Hebamme und das StiU-
geld —, als Regelleistungen in die Keichsversicherungs-
Ordnung aufzunehmen. Das kostet natürlich sehr viel Geld, and
wahrscheinlich werden auch viele sagen, daß das die Krankenkassen, die
ja möglicherweise nach dem Kriege auch kein sehr leichtes Leben haben
werden, gar nicht ertragen können. Redner ist auch der Ueberzeugung, daß die
Aasgaben für den Mutter* und 8äuglingsschutz den Krankenkassen allein
nicht aufgebürdet werden können; denn es sind Ausgaben für die Allgemein¬
heit, und dieser liegt die Verpflichtung auf, die Mittel für diese Ausgaben
bereitzustellen. Er hegt auch nicht die geringste Schea davor, hier za ver-
Abgeordnetenhauses über den Medizinaletat. 183
langen, daß nach Beendigung des Krieges das Reich für die Reichswochenhilfe
dea Krankenkassen einen Zuschuß gewährt, genau so wie bei der Invaliden-
Versicherung. Da niemand zweifelt, daß dieser Mutter- und Säuglingsschutz in
der heutigen Zeit eine unbedingte Notwendigkeit ist, so stehe zu hoffen, daß
Reichstag und Bundesrat sich zu diesen Unterstützungen verstehen werden.
Wir dürfen auch nicht länger warten, um im Interesse unserer
Volksgesundheit unser Wohnungswesen zu verbessern, was am besten
durch ein Reichsgesetz geschieht. Wenn wir aber ein solches nicht
bekommen können, müssen wir auch mit einem Landesgesetz zufrieden
sein. Aber auch hier darf man nicht länger warten; denn es ist kein
Zweifel, daß in manchen Städten recht ungesunde Wohnungen Vorkommen, die
jeder Hygiene widersprechen. Man wird sogar weiter gehen müssen und sich
nicht damit begnügen, Gesetze zu machen, in denen der Bevölkerung gesunde
Wohnungen gesichert werden, sondern man muß auch nach Mitteln und Wegen
suchen, daß die unbemittelten Personen in der Lage sind, gesunde Wohnungen
mieten zu können. Gewiß, in diesem Zusammenhänge spielt auch die Frage
der inneren Kolonisation eine gewisse Rolle. Alles das, was unsere
Bevölkerung in die Lage versetzt, gut, d. h. gesundheitlich zu wohnen, ver¬
stärkt unsere Volkskraft, und deshalb müssen wir alles das unterstützen.
Der Krieg hat gezeigt, daß unsere sozialpolitischen Anstalten
es sind, die am allermeisten zur Kräftigung unseres Volkes beigetragen haben,
daß gerade unsere Kranken-, Unfall- und Invalidenversicherung in diesem
Kriege glänzend ihre Feuerproben bestanden haben (Sehr richtig! links) und
uns vor vielen Uebeln bewahrt haben, die wir sonst sicher gehabt hätten.
(Sehr richtig.) Aber neben dieser sozialpolitischen Versicherung brauchen wir
auch einen gründlichen Ausbau unserer Arbeiterschutzgesetzgebnng. Es
ist keine Frage, daß z. B. unter Umständen die große Beschäftigung, die in
diesem Kriege den Frauen obliegt, ungünstig wirken kann; es ist sehr leicht
möglich, daß gerade die Beschäftigung unserer Frauenwelt eine Ursache sein
kann, daß na<m dem Kriege die Geburten nicht zunehmen. Wir müssen in
Zukunft jede Frage unter dem Gesichtspunkt der Gesundheitspflege beurteilen.
Bei der Frage der Frauenarbeit, bei der Frage der Kinderarbeit, bei
der Frage des Wohnungswesens und bei allen Fragen der Arbeiterschutz¬
bestimmungen müssen wir uns fragen: wie wirkt es auf die Gesundheit des
einzelnen und auf die Kraft unseres gesamten Volkes ein? Es gab eine Zeit,
in der die Geschäfte der Völker ausschließlich von gelehrten Theologen geführt
wurden; dann kam die Zeit, wo die Juristen maßgebend waren, und in dieser
Zeit leben wir noch heute. Ich glaube, in der Zukunft werden die Herren
Juristen einen großen Teil ihrer Funktionen an Techniker und Aerzte abgeben
müssen. (Sehr richtig!) Die Zukunft wird uns große Aufgaben bringen; aber
unser deutsches Volk wird diese Aufgabe auch erfüllen. Aus den Millionen
von Opfern, die dieser Krieg uns gebracht hat, aus dem Tode, der uns überall
entgegenstarrt, wird neues Leben erblühen, ein Leben, das die Zukunft
unseres Vaterlandes so glänzend erstrahlen lassen wird, wie wir alle es
wünschen. Seien Sie überzeugt, daß die Aerzte und ihre Helfer alles tun
werden, um die Volkskraft unseres Vaterlandes zu heben und zu stärken.
(Lebhafter Beifall.)
Abg. Frhr. Schenk zu Schweinsberg (kons.) schließt sich den Worten
des Lobes, die der Herr Vorredner für das Sanitätskorps ausgesprochen bat,
im Namen seiner politischen Freunde vollständig an. Auch wir sprechen un¬
seren Aerzten draußen im Felde und denen, die in der Heimat zurückgeblieben
sind, den Dank aus für alles das, was sie im Dienste des Vaterlandes geleistet
haben. Dieser Dank sollte aber seitens der Militärverwaltung anerkannt wer¬
den und insbesondere durch eine entsprechende äußere Anerkennung
der Unterärzte, die sich in den Dienst des Vaterlandes unter Hintan¬
setzen ihrer Studien und ihres persönlichen Interesses gestellt haben, zum Aus¬
druck kommen. Es mag dies gewiß ein recht schwieriges Gebiet sein, aber
hoffentlich findet diese Bitte bei dem Herrn Minister eine wohlwollende Aufnahme.
Ein sehr schweres Kapitel sei auch die richtige Verteilung der Aerzte
im Heimatlande. Jetzt, wo fast der größte Teil unserer Aerzte zur Front
einberufen sei, mache sich der Mangel an Aerzten im Heimatlande mitunter recht
bedenklich geltend, deshalb solle unsere Staatsverwaltung Hand in Hand mit
124
Die diesjährigen Verhandlungen des preußischen
unserer Heeresverwaltung versnohen, diesem Mangel abzuhelfen. Namentlich
sollte man den.Krankenanstalten gegenüber in bezug auf die Einberufung
ihrer leitenden Aerzte etwas mehr entgegenkommen, da sie doch nicht bloß
dazu berufen sind, den Zivilkranken Bettung und Heilung zu bringen, sondern
sich auch voll und ganz in den Dienst des Heeres gestellt haben. Bedner bittet
weiter, den Wünschen der Vorstände unserer Mutterhäuser in
bezug auf ihre Verbindung mit den in der Front und den hinter der Front
stehenden Schwestern mehr entgegenzukommen. Er kommt dann zu den von
der Kommission und von anderer Seite gestellten Anträgen zu sprechen und
erklärt namens seiner Partei deren Zustimmung zu dem Antrag der Kommission
betreffs Bekämpfung des Geburtenrückganges, während sie die
von der fortschrittlichen Volkspartei dafür beantragte Fassung ablehne. Auch
mit einer gesetzlichen Begelung des Haltekinderwesens sei sie einver¬
standen, jedoch bleibe diese besser der Landesgesetzgebung überlassen, während
sie der reichsgesetzlichen Begelung des Wohnungswesens zustimme.
Der Antrag auf Einstellung einer ausreichenden Summe zur Errichtung von
Säuglingsfürsorgestellen,um den Gemeinden daraus nach ihrer Leistungs¬
fähigkeit Beihilfen zu gewähren, bittet er, dem Staatshaushaltsausschuß zu
überweisen, ebenso wie den Antrag auf Abänderung der BeichsversicherungB-
ordnung zur Erzielung eines ständigen Mutter- und Säuglings¬
schutzes.
Die lange Zeit des Friedens und der Wohlstand, dessen sich unser Volk
erfreut hat, haben dazu beigetragen, im Volke eine gewisse Erschlaffung der
sittlichen Grundsätze zu bewirken, die im Interesse des Vaterlandes aufs höchste
bedauert werden muß. Wenn wir hören, daß in einzelnen Städten, z. B. Char¬
lottenburg und in anderen Städten gleicher Größe, die Zustände derartig ge¬
worden sind, daß sie, was den Geburtenrückgang anbetrifft, sich kaum
noch von den Großstädten des französischen Nachbarlandes unterscheiden, so
gibt uns dies zu denken, es muß deshalb die Aufgabe der Staatsregierung wie
aller Vaterlandsfreunde sein, dem sehr bedenklichen Geburtenrückgang nach
Möglichkeit entgegenzutreten; denn unsere Volkswirte haben klar erkennen
lassen, daß in dem Geburtsüberschuß die Wurzeln unserer Kraft liegen. Die
bedauerlichste Ursache des Geburtenrückganges sei jedenfalls die große Zu¬
nahme der Abtreibungen, die nach der Mitteilung des Beferenten in der
Kommission in einem Jahre die Bekordziffer von mehreren hunderttausend
erreicht habe. Die Kommission sei darüber mit Becht entsetzt gewesen und
habe darin deutlich den Stempel des Niederganges gesehen. Hoffentlich werde
sich infolge des Krieges unser Volk auf sich selbst und auf seinen Gott be¬
sinnen, (Bravo!) um diesen Unwesen entgegenzutreten; denn, wenn eine solche
gewaltige Zahl zur Kenntnis der Behörden gekommen ist, wie groß muß dann
die Zahl der nicht erfaßten heimlichen Sünden gewesen sein, die auch auf
diesem Gebiete liegen. M. H., damit opfern wir, opfert unser Volk dem
Moloch viele Blüten seiner Jugendkraft. Wenn ein Volk nicht imstande
ist, das keimende Leben zu schützen, sondern das keimende Leben in solcher
gewaltigen Zahl der Vernichtung preisgibt, dann kann es die Bolle unter den
Staaten der Welt auf die Dauer nicht mehr behaupten, die wir für Deutsch¬
land in Anspruch nehmen und in Anspruch nehmen müssen. (Sehr richtig!)
Wenn der Todesengel durch die Reihen unserer Krieger geht, wenn Gott von
uns das Opfer einer halben Million junger Söhne unseres Vaterlandes fordert,
dann steht dies in gar keinem Verhältnis zu den Opfern, die das deutsche
Vaterland seiner Lust oder vielleicht richtiger der Unlust seiner Frauen bringt,
die nicht den Mut oder die Kraft haben, die Folgen einer Schwangerschaft auf
sich zu nehmen, nicht austragen wollen, was Gott in ihrem Schoße werden
läßt, nicht zu voller Erscheinung ausreifen lassen, was ihren Segen und den
Segen des Vaterlandes darstellt (Bravo! rechts).
Der Geburtenrückgang ist nach Ansicht des liedners nicht als eine
Kulturkrankheit, oder als Begleiterscheinung alternder Nationen aufzufassen,
die nun einmal mit einem ausgebildoten Völkerleben verbunden sei und bei
einer Weltwirtschaft nicht anders erwartet werden könne. Mit solchen An¬
schauungen wird die Heilung der Sünden unseres Volkes nicht gefördert. Dazu
bedarf es vielmehr einer sittlichen Erneuerung unseres Volkes; nicht in
leichtsinnigem Weiterleben, sondern in Erkenntnis des Segens, der schon im alten
Abgeordnetenhauseses Ober den Medizinaletat.
125
Bonde als Gottes Segen erkannt worden ist, können die Verloste wieder ersetzt
werden; denn ein kinderreiches Hans sei ein besonders gesegnetes. In der
onaosgesetzten Arbeit and Tätigkeit liegt das große Heilmittel, an dem onser
Volk gesunden kann and gesunden wird, es mag Lasten aaf sich nehmen, die
so schwer sein mögen, wie sie wollen. Mit der Arbeit allein ist es aber nicht
getan. Will unser Volk gesunden, dann muß es sich klar machen, daß sechs
Tage zur Arbeit da sind, aber der siebente Tag zum Verkehr mit seinem Gott.
(Sehr richtig! rechts.) Mit Geld heilen wir die Sünden des Vaterlandes nicht.
(Sehr wahr! rechts.) Nur in der Hingabe an die Arbeit an seiner Seele und
in der Hingabe der Körperkräfte zu treuer Arbeit, zu treuer Pflichterfüllung
liegt das Bad der Wiedergeburt! In das muß unser Volk hinein, und dann
kann es den großen Aufgaben gerecht werden, die die Zukunft für es auf-
G ehoben haben. (Bravo! rechts). Der deutschgesinnte Engländer Houston
tewartChamberlainsagt in der „TäglichenRundschau* : „Wenn Deutsch¬
land sich nicht bewußt ist, von Gott eine Weltmission überkommen zu haben,
wenn Deutschland so wenig Vertrauen auf die unüberwindliche Macht seiner
Organisations- und Leistungsfähigkeit setzt, wenn es sich nicht getraut, mehr
und anders zu leisten, als das kleine, weltbeherrschende Inselvölkchen geleistet
hat, .... da freilich ist nichts zu wollen, nichts zu hoffen, und es war eine
verbrecherische Torheit, den Krieg aufzunebmen, anstatt sich von vornherein
den ,Weltmächten* England und Rußland gehorsam unterzuordnen.“ In diesen
Worten steckt eine große und tiefe Weisheit. Aber wir haben die Kraft, wir
haben das Gottvertrauen, und wir haben das feste Vertrauen in die Organi¬
sation unseres ganzen Volkes, das Vertrauen, daß es nicht nur die Folgen
dieses Krieges, daß es nicht nur unsere äußere Feinde überwinden, sondern
in Kraft seiner sittlichen Stärke auch den furchtbaren Feind, der in seinem
Innern wütet, niederringen wird, und zwar dann, wenn es scharf und klar
der Sünde ins Gesicht sieht und die Sünde als Sünde bezeichnet und ihr kein
Mäntelchen umhängt. Deswegen sind meine politischen Freunde auch gern
damit einverstanden, daß der Mutter- und Kinderschutz im Rahmen der be¬
stehenden Ordnung noch weiter ausgebaut werden muß. Deswegen möchte ich
damit schließen: solange unser Volk bei seinem Gott bleibt, so lange wird es
auch von ihm nicht verlassen werden; er wird ihm die Kräfte verleihen, die
notwendig sind, um alle äußeren und inneren Feinde niederzuringen! (Leb¬
hafter Beifall rechts).
Minister des Innern v. Loebell: Meine Herren! Der Herr Vorredner hat
im Eingänge seiner Ausführungen einige Wünsche in bezug auf das Sanitäts¬
wesen ausgesprochen. Hieran! im einzelnen zu antworten, wird der Herr
Ministerialdirektor übernehmen. Ich möchte aus diesen Wünschen nur einen
herausgreifen. Er hat sich darüber beklagt, daß hinsichtlich der Aerzte keine
richtige Verteilung im Lande stattfinde. Ich kann ihm vollständig recht darin
geben, daß die ärztliche Versorgung jetzt bei uns im Inlande vielfach recht
zu wünschen übrig läßt. Es liegt das natürlich einmal begründet in unseren
Verhältnissen, dem großen Bedarf' der Heeresverwaltung. Aber, meine Herren,
ich glaube, daß doch in vieler Beziehung noch Abhilfe geschafft werden kann.
Ich bin überzeugt, daß auch die Militärverwaltung die volle Absicht hat, uns
zu helfen. Ich habe mich immer in Fühlung mit der Militärverwaltung ge¬
halten, und wo berechtigte Klagen an mich herangekommen sind, habe ich
versucht, ihnen abzuhelfen. Ich werde darin auch weiter bemüht sein und
hoffe, daß es uns jetzt gelingen wird, wenigstens die größten Notstände auf
diesem Gebiete zu beseitigen.
Der Herr Abg. Dr. Mugdan hat gestern im Eingänge seiner Aus¬
führungen mit Stolz darauf hingewiesen, daß selbst nach ausländischen
Zeitungen der Prozentsatz, in dem unsere verwundeten Soldaten wieder voll¬
kommene Dienstfähigkeit erlangen, sehr hoch ist. Er hat nach einer russischen
Zeitschrift mitgeteilt, daß es uns gelingt, 80% der verwundeten Soldaten
vollständig zu heilen. Mit Recht hat er, glaube ich, hervorgehoben, daß dieser
Prozentsatz keinesfalls zu hoch, wahrscheinlich noch zu niedrig angegeben ist.
Dabei hat Herr Dr. Mugdan ebenso wie der Herr Berichterstatter und der
Herr Vorredner volle Anerkennung den Leistungen der Militärmedizinalver¬
waltung und der Medizinalverwaltung des Innern gezollt; er hat der gesamten
Aerzteschaft volles Lob gespendet. Ich kann mich diesem Lob nur von ganzem
i26 Die diesjährigen Verhandlungen des preußischen
Herzen anschließen: es ist wohl verdient. Ich kann aber anch die Anerkennung,
die der Medizinalverwaltong meines Ministeriums gezollt ist, hier annehmen;
denn sie gilt meinen Mitarbeitern, die sie nach meiner Ueberzeugung auch voll
verdient haben.
Dann ist von Herrn Dr. Mugdan auch auf die großen Erfolge in der
Seuchenbekämpfung während dieses Krieges hingewiesen worden. Hierüber
wird Ihnen auch der Herr Ministerialdirektor noch nähere Angaben machen;
Sie werden Zahlen hören, die uns alle mit Freude erfüllen können. Hier ist
vor dem Kriege schon sehr eifrig und planmäßig vorgearbeitet worden, und
die Ausführung der Bekämpfungsmaßregeln ist sofort nach Ausbruch des
Krieges tatkräftig in die Hand genommen worden, und zwar mit sehr erfreu¬
lichem Erfolge.
Auch den Dank für das Krankenpflegepersonal, dem Herr Dr. M ugdan
Ausdruck gegeben hat, schließe ich mich vollständig an, auch er ist wohl
verdient.
M. H., ich wende mich, ich kann wohl sagen, der Frage des Tages zu»
die von dem Herrn Vorredner mit tiefem sittlichen Ernst behandelt worden
ist, mit einer so warmen Ueberzeugungstreue, daß es jeden, glaube ich, der
es gehört hat, mit Bewunderung, ja mit einer gewissen Begeisterung erfüllt
hat. Sie haben von dem Herrn Berichterstatter gehört, daß die Frage des
Geburtenrückgangs auch in der Kommission eine eingehende Würdigung
gefunden hat, und diese Würdigung verdient sie in vollstem Maße. Es ist
eine der wichtigsten und für unser Vaterland bedeutungsvollsten Fragen, es
ist, wie auch in der Kommission richtig gesagt worden ist, die Frage der
Zukunft. DieZeichen sind ernst, die Zahlen sprechen für sich. Wir können
an diesen Zahlen nicht Vorbeigehen, und jeder, der sein Vaterland liebt, muß
die Frage schwer ernst nehmen. Ich will Ihnen absichtlich auch hier kein
großes Zahlenmaterial mitteilen; auf Einzelheiten wird der Herr Beferent
meiner Medizinalabteilung noch näher eingehen. Hinweisen will ich nur darauf,
daß wir im Jahre 1876 den Höchstand der Geburtenziffer erreicht hatten, und
zwar 40,9 °/o Lebendgeburten auf 1000 Einwohner. Dieser Prozentsatz ist bis
zum Jahre 1912 auf 28,2 herabgegangen, und vom Jahre 1901 an finden wir
tatsächlich ein beinahe rapides Sinken der Geburtenziffer.
Um aber unsern Feinden nicht zu ermöglichen, hieraus etwa Schlüsse
zu ziehen auf ein Sinken unserer Volkskraft im allgemeinen, auf ein Sinken
unserer Schlagfertigkeit, möchte ich gleich darauf hinweisen, daß in Frankreich
schon im Jahre 1910 nur 19,6, in Belgien 23,8, in Großbritannien 25 Geburten
auf 1000 Einwohner entfielen, während Deutschland damals noch 80,7 Geburten
auf 1000 Einwohner aufwies. Es ist weiter ein sehr erfreulicher Umstand,
daß die Sterblichkeitsziffer in Deutschland immer günstiger geworden ist, und
daß wir hinsichtlich des Überschusses der Geburten über die Sterbefälle immer
noch sehr günstig dastehen. Auch in dieser Beziehung nur einige Zahlen!
Im Jahre 1910 betrug der Ueberschuß der Geburten über die Sterbefälle auf
1000 Einwohner in Frankreich 1,6, in Spanien 5,6, in Belgien 9,4, in der
Schweiz 10, in Oesterreich 11,3, in Großbritannien 11,6, in Norwegen 12,6, in
Italien 13,3, in Rußland 13,4, in Rumänien 13,6, in Deutschland 13,6 una in
den Niederlanden 15,1. Unter 12 Staaten steht also Deutschland hier an elfter
Stelle. Gleich günstig ist der Ueberschuß der Geburten über die Sterbefälle
nur in Rumänien, und allein die Niederlande zeigen eine günstigere Ziffer.
M. H., in diesem Kriege wird uns also — auch das möchte ich unseren
Feinden zurufen — der Rückgang der Geburten noch nicht schaden, und bis
zum nächsten Kriege, den Gott hoffentlich uns lange fernhalten wird, werden
wir auch diesen gefahrdrohenden Rückgang der Geburten sicher überwinden,
wenn nur alle Faktoren, die dazu berufen sind, mithelfen, mit der Regierung
Hand in Hand sich an dem Kampfe beteiligen.
Die Staatsregierung hat diesen wichtigen Problemen selbstverständlich
schon seit längerer Zeit volle Beachtung gezollt. Auf Grund eines umfassenden
Gutachtens der wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen sind
1912 die Oberpräsidenten, die Regierungspräsidenten, die Aerztekammern, die
Provinzial-Medizinalkollegicn zu eingehenden Ermittelungen und Berichten über
die Ursachen des Geburtenrückganges aufgefordert worden. Diese Berichte
haben ein reiches Material ergeben, das in meinem Ministerium von Geb. Ober-
Abgeordnetenhauses über den Medizinaletat.
127
medizinalrat Dr. Kr oh ne verarbeitet and mit allen Unterlagen zusammen-
S »teilt worden ist, die wir sonst noch reichhaltig zar Verfügang hatten. In
eser Denkschrift sind alle Mittel erörtert, die in Wissenschaft and Praxis
bisher zar Bekämpfang des Gebartenrückganges vorgeschlagen worden sind.
Auf Grand der Denkschrift finden seit Monaten in meinem Ministeriam ein¬
gehende Beratungen statt, an denen die Vertreter aller preußischen Ressorts
and eine große Anzahl sachverständiger Männer der Wissenschaft, der
Praxis, des öffentlichen Lebens, aach Reichstags- und Landtagsabgeordnete
teilnehmen.
In diesen Verhandlungen ist es klar geworden, daß sehr ernste Schwierig¬
keiten einer vollständigen Lösang des Problems sicherlich entgegenstehen, aber
die Staatsregierang sieht ein, daß es sich hier für anser Volk am eine Lebens¬
frage ersten Ranges handelt, eine Frage, die auch in diesem erschütternden
Weltkriege, in dem wir Tausende blühender, kräftiger Männer verlieren, eine
ganz besondere Bedeutung für die Zakanft unseres Vaterlandes behält. In
den Beratangen in meinem Ministeriam werden alle wirtschaftlichen and sozialen
Maßnahmen erörtert werden, die in Frage kommen, am dem Hebel zu steaern.
Es werden die Maßnahmen besprochen gegen den bedenklichen Vertrieb empfäng¬
nisverhütender Mittel, ge^en die gefährliche Zunahme der Abtreibungen, auf
die der Herr Vorredner mit Recht so eindringlich hingewiesen hat, alle gesund¬
heitshygienischen Maßnahmen, Maßnahmen gegen die Bekämpfung der Ge¬
schlechtskrankheiten, zur Verbesserung des Säuglings- und Mutterschatzes, des
Hebammenwesens, kurz, alle Fragen, d^e hier hinein gehören.
Auf diesem Boden bewegen sich auch die vorliegenden Anträge. Ein¬
mal der Antrag der verstärkten Staatshaushaltskommission auf Drucksache Nr. 89,
der auf Vorschlag des Herrn Abg. Dr. Faßbender in der Kommission be¬
schlossen worden ist. Dieser Antrag entspricht einem Initiativanträge, der
den Reichstag in der Session 1912 beschäftigte und dort schon zu eingehenden
Verhandlungen geführt hat. Der Antrag soll durch den von den Herren Abgg.
Aronsohn und Genossen auf Drucksache Nr. 114 gestellten Antrag abge¬
ändert werden. Ich nehme an, daß nachher eine Beschlußfassung über diese
Anträge herbeigeführt werden wird. Sie können versichert sein, m. H., daß
diese Anträge, ebenso wie die Anträge Nr. 106/09, eingehende Würdigung bei
der Staatsregierang finden werden. Die Anträge auf Drucksache Nr. 106/09
werden ja wohl zum größten Teile der Kommission überwiesen werden und
dort eine eingehende Erörterung erfahren. Ich möchte erklären, daß ich in
erster Linie die Regelung des Haltekinderwesens und ebenso die Regelung des
Wohnungswesens durch Landesgesetzgebung für erforderlich halte.
Einer reichsgesetzlichen Regelung des Wohnungswesens hat mein Ministerium
and aach die Königliche Staatsregierung widersprochen; wir haben Ihnen schon
vor längerer Zeit eine Vorlage für Preußen zugehen lassen. Hoffentlich wird
Ihnen eine entsprechende Vorlage alsbald nach dem Kriege wiederum zu¬
gehen können.
Die Beratungen in meinem Ministerium, von denen ich vorhin sprach,
werden, so hoffe ich, in absehbarer Zeit zu einem gewissen Abschluß kommen,
und wir werden das Ergebnis dann der breiteren Oeffentlichkeit zugängig
machen können. Wir werden dann auch die gesetzgeberischen Maßnahmen, die
sich als möglich und notwendig erwiesen haben, schleunigst in die Wege leiten.
Aber, m. H., mit vollem Recht hat der Herr Vorredner hervorgehoben,
and mit vollem Recht ist aach in der Kommission bereits daranf hingewiesen
worden, daß 8taat, Gesetzgebung and Polizei hier nicht helfen können. Noch
sollen wir die Frage, glaube ich, wenn auch mit vollem Ernste, aber nicht zu
pessimistisch auffassen. Noch handelt es sich — Gott sei Dank! — nicht um
eine Entartung unseres Volkes, und wir wollen uns gerade in diesen großen
Zeiten, in diesen Tagen, wo unser Herz wieder so hoch schlägt in Anbetracht
der herrlichen Erfolge unserer Armee dort im Westen, die Freude und den
8tolz auf unser Volk nicht durch zu pessimistische Auffassungen auch dieser
Frage trüben lassen. Aber dos ist richtig: es handelt sich doch am eine
ernste Verkennung der sittlichen Aufgaben unseres Volkes bei Männern und
Frauen, und zwar in allen Schichten, und nicht zum wenigsten in den ersten
Schichten unseres Volkes. (Sehr richtig!) M. H., das ist das Tiefbedauerliche:
gerade die Schichten, die uns vorangehen sollten auf dem Wege zum sittlichen
128
Die diesjährigen Verhandlungen des preußischen
Aufstieg, die haben es hier Tollstindig an sittlichem Ernst fehlen lassen, haben
versagt und haben ein schlechtes Beispiel gegeben. iSefar richtig!)
Die Frage ist nicht nnr eine soziale, nicht nur eine wirtscha f tli ch e,
sondern sie ist eine Frage tiefsittlicher Natur. Deshalb ist sie auch nur zu
löten, wenn alle sittlichen Faktoren des öffentlichen Lebens hier mitbelfen.
Iteshalb muß der Appell an unser ganzes Volk gehen, das Volk muß auf*
gerüttelt, muß aufgeklärt und muß auf den rechten Weg zuröckgeffthrt werden.
Dazu müssen helfen wie an einem heiligen Werke alle Faktoren, die dazu
berufen sind, in erster Linie Kirche und Schule, Elternhaus, Arbeitgeber, alle
Genossenschaften, alle Berufe, die Frauen vereine, alle sozialen Vereine, kurz,
alle Faktoren des öffentlichen Lebens, denen unser Vaterland am Herzen liegt,
und denen die Liebe zum Vaterlande tief im Herzen wurzelt. Erst dann,
wenn wir diese Hilfe geweckt haben und dieser Hilfe sicher sind, können wir
den Kampf auf breiter Grundlage entnehmen, und, m. H., auch die Verhand¬
lungen in der Kommission, die Verhandlungen des heutigen und des gestrigen
Tages haben mir die volle, felsenfeste Ueberzeugung gebracht: auch in diesem
Kampfe werden wir siegen. (Lebhafter Beifall.)
Geh. ob.-Med.-Rat Dr. Krohne: M. H.! Die Frage des Geburtenrick¬
ganges hat weite Kreise des deutschen Volkes und uns schon einige Jahre
vor dem Kriege eingehend beschäftigt und uns allen ernste Sorge gemacht.
Die ganze Frage aber, deren Lösung vielleicht noch einmal, so oder so, darüber
entscheiden wird, welche Stellung Deutschland im Rate der Völker in Zukunft
einzunehmen haben wird, ist durch den gegenwärtigen Krieg in ganz be¬
sonderem Maße in den Vordergrund des Interesses gerückt worden.
Gestatten Hie mir, daß ich Ihnen, ohne Sie ermüden zu wollen, nur einige
wenige statistische Zahlen und Tatsachen mitteile, deren Wucht kein Eu-
sicbtiger sich wird verschließen können. Im vorigen Jahrhundert schwankte
die Geburtenziffer Deutschlands im allgemeinen zwischen 40 und 35 Lebend-
f eburten auf 1000. Wie bereits erwähnt wurde, erreichten wir den Höchststand
er Geburten kurz nach dem französischen Kriege mit 40,9 auf 1000 Einwohner
im Jahre 1876. Seit jener Zeit setzte — zunächst ganz langsam — ein deut¬
licher Geburtenrückgang ein, so daß wir am Beginn dieses Jahrhunderts, in
den Jahren 1900 und 1901, wieder eine Geburtenziffer von rund 35 hatten.
Heit jener Zeit aber haben wir einen Geburtenabsturz erlebt, der ganz unerhört
ist, der uns in 12 bis 13 Jahren von 35 Lebendgeburten auf 1000 zunächst
auf 28 und nach den neuesten Ziffern sogar auf 27 Geburten in Deutschland
zurückgebracbt hat!
Diese Tatsache ist ganz besonders bedauerlich mit Rücksicht auf gewisse
Begleiterscheinungen, auf die ich später zu sprechen komme. Zunächst ist
bervorzu heben, daß in den Jahren seit Beginn dieses Jahrhunderts der Geburten¬
absturz bei uns dreimal so stark gewesen bezw. dreimal so rasch verlaufen
ist, wie in den vorangegangenen 25 Jahren, also seit dem Jahre 1876, und daß
kein Kulturvolk bis jetzt in einer so kurzen Zeit einen solchen Absturz erlebt
hat. Für diese Ziffer einer Abnahme von 8 Geburten auf 1000, für ein so
rasches Tempo des Absinkens der Geburtenziffer hat Frankreich, das ja an sich
eine viel geringere Gcburtlichkeit hat, über 70 Jahre gebraucht, wir nur 12.
Nun müssen wir uns folgendes klar machen: Wir haben heute schon
jährlich 660000 Geburten weniger, als wir haben müßten, wenn wir noch die
Ziffer von 1900 behalten hätten; das bedeutet, daß wir, wenn wir die Geburten¬
ziffer von 1900 wenigstens behalten hätten, heute — nach Abrechnung der¬
jenigen Kinder, die voraussichtlich durch Tod inzwischen wieder ausgeschieden
wären —, 2'/* Millionen mehr Bevölkerung hätten, als wir tatsächlich jetzt
haben. Wir würden also, hätten wir jene Geburtenziffer von 1900 behalten,
beute anstatt rund 68 Millionen 70 bis 71 Millionen Bevölkerung in Deutsch¬
land haben, — ein Vorteil, der angesichts der ungeheuren Opfer dieses Krieges
gar nicht hoch genug bewertet werden kann. (Sehr richtig 1)
Nun wird immer von vielen Seiten eingewandt, daß wir zurzeit noch
keine Angst zu haben brauchen, weil ja unsere Sterblichkeit so überaus günstig
ist, und daß wir uns deshalb keine Sorge für die Zukunft zu machen brauchen.
M. H., wie liegen die Dinge ? Es ist richtig, daß unsere Sterblichkeit in den
letzten 30 Jahren dank der überaus günstigen wirtschaftlichen Entwicklung
Deutschlands, der Besserung aller Lebens Verhältnisse, dank namentlich der
Abgeordnetenhauses über den Medizinaletat.
129
großartigen gesundheitlichen Fortschritte in hocherfreulichem Maße zurück¬
gegangen ist Während wir vor 30 Jahren noch eine Sterblichkeit von rund
26 auf Tausend hatten, haben wir heute eine solche von etwa 14, d. h., es
sterben heute rund 700 000 Menschen in Deutschland weniger, als noch sterben
würden, wenn wir die Verhältnisziffer der Sterblichkeit noch vom Jahre 1886
hätten.
Aber, m. H., täuschen wir uns nicht: auch das bedeutet keine Beseiti¬
gung, sondern nur ein Hinausschieben der Gefahr, die uns bedroht. Denn wir
müssen die bedauerliche Tatsache feststellen, daß wiederum in den letzten
13, 14 Jahren — ich spreche immer von den Feststellungen, die im Jahre 1914
vor dem Kriege erhoben sind —, daß gerade seit Anfang dieses Jahrhunderts
die Sterblichkeit zwar immerwährend abnimmt, daß aber die Abnahme der
Geburtenziffer in einem viel rascheren Tempo verläuft Seit 1900 hat unsere
Sterblichkeit um 4,4 auf Tausend abgenommen, die Geburtenziffer aber um
7,7, d. h. die Geburtenziffer ist um 75°/o stärker bezw. rascher gesunken als
unsere Sterblichkeit. Angesichts dieser statistisch feststehenden Tatsachen
müssen wir uns doch vor Augen halten, daß die Abnahme der Ster blich-
keit ihre natürliche Grenze hat, die Abnahme der Gcburten-
ziffernicht. Die Gefahr, daß die Geburten immer weiter abf allen und schlie߬
lich unter die Sterblichkeitsziffer herabsinken können, ist also nicht von der Hand zu
weisen. M. H., Frankreich ist bereits an diesem Standpunkt angelangt. Frank¬
reich hat zum ersten Male im Jahre 1911 ein Manko von 35000 Geburten weniger
als Todesfälle gehabt, und es wird Sie interessieren, daß im ersten Halbjahr des
Kriegsjahres 1914 bereits bis zum Juli Frankreich ein Weniger von 25000Geburten
hatte. M. H., wenn ich das bemerken darf: vielleicht schon allein aus diesem
Grunde ist es ja eine so wahnwitzige Politik der Lenker der französischen
St&atsinteressen, daß sie ihr Volk, bei dem gewissermaßen der Absterbungs-
prozeß der Natur bereits begonnen hat, in diesen vermeidbaren Krieg hinein¬
gehetzt haben, bei dem Frankreich nach glaubwürdigen Mitteilungen, bereits
einen Verlust von 700000 Menschen erlitten hat — ein Aderlaß, von dem sich
Frankreich nach menschlichem Ermessen niemals wieder erholen wird!
M. H., die Geschichte zeigt uns ganz ähnliche tieftragische Beobach¬
tungen. Ihnen allen sind die Gründe bekannt, die zu dem Niedergang des
alten Hellas und von Born geführt haben. Ich will nur die eine Tatsache er¬
wähnen, daß Born in der Kaiserzeit, d. h. auf der Höhe seiner Macht, infolge
des Sittenverfalls, der Genußsucht seiner Bewohner und anderer Erscheinungen,
die auch ihre Schatten in unsere Zeit hineinwerfen, damals bereits an Kinder¬
zahl derart abgenommen hatte, daß es zur Zeit der Kaiser nur noch den
vierten Teil an wehrfähigen Mannschaften ins Feld führen konnte, die es zur
Zeit der Punischen Kriege aufgebracht hatte. Damals, znr Zeit der Panischen
Kriege und hundert Jahre später, als die germanischen Völker zum ersten
Male an die Tore Borns pochten, konnte Born vermöge seiner ungebrochenen
Volkskraft noch Herr seiner Feinde werden. Später, zur Kaiserzeit, konnte es
sich, ähnlich wie ein modernes Volk, mit dem wir kämpfen, den Luxus leisten,
fremde Völker für sich kämpfen zu lassen, weil die eigene Volkskraft nicht
mehr ausreichte. Wir alle wissen, daß das nur eine Zeitlang dauerte, daß cs
aber schließlich daran zugrunde ging, daß die lebendige Kraft des Volkes
durch eigene Schuld getötet wurde. Jedenfalls war Born hauptsächlich wegen
Abnahme seiner Bevölkerung nicht imstande, dem Ansturm seiner Feinde in
den späteren Jahrhunderten Widerstand zu leisten.
Das, was ioh hier gesagt habe, soll keine Schwarzmalerei mit Bezug auf
unsere gegenwärtigen Verhältnisse bedeuten. Aber darüber müssen wir uns
doch klar sein, daß wir, wenn wir eine solche Gefahr erkannt haben, wie sie
uns droht, die heilige Pflicht haben, rechtzeitig vorzubeugen, und daß wir nicht
warten dürfen, bis wir solche Zustände haben, wie sie Born den Untergang
gebracht haben, wie sie seit lange in Frankreich herrschen. (Sehr richtig!
rechts.) Gott sei Dank hat unser deutsches Volk noch eine ungebrochene
Lebenskraft, es wird in der Lage sein, sich aus dieser Gefahr, die doch schon
in greifbare Nähe gerückt ist, zu retten.
Gestatten 8ie mir nun einige Worte über die Ursachen der uner¬
freulichen Erscheinung. Die Ansichten darüber, welche Momente wir
als Ursachen des Geburtenrückganges anzusehen haben, sind unendlich ycr-
130
Die diesjährigen Verhandlungen des preußischen
schieden; es ist viel darüber geschrieben worden in den letzten Jahren, was
wir alles haben prüfen müssen; je nach der religiösen, der wirtschaftlichen,
der parteipolitischen oder sonstigen Auffassung des Untersuchenden sind die
Deutungen der Ursachen verschieden.
Die zuerst auftauohende Frage, die schon gestreift worden ist, daß die
Abnahme der Geburtsziffer, woran man ja auch denken könnte, in einer
Rassen verBchlechterang ihre Ursache haben könne, ist ohne weiteres von
der Hand zu weisen. Allein schon der Umstand, daß wir seit Jahren eine
außerordentliche Abnahme unserer Sterblichkeit haben, spricht gegen eine
Rassenverschlechterung; denn es ist bekannt, daß die Rassenverschlechterung
eines Volkes ihren Ausdruck in der Zunahme der Sterblichkeit findet. Aber
selbst wenn bis jetzt hierüber noch ein Zweifel bestanden hätte, so hat unser
deutsches Volk in diesem Kriege doch hinreichend bewiesen durch die un¬
geheuren Leistungen in körperlicher, sittlicher oder sonstiger Hinsicht, daß
von irgendwelcher, die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigenden Entartung
gar keine Rede sein kann. (Sehr richtig 1) M. H., das, was unser Volk jetzt
geleistet hat, ist so groß und erhaben, daß es — ich bitte, mir zu gestatten,
das zu sagen — vielleicht noch hinausgeht über das, was wir vor hundert
Jahren bei der wunderbaren Erhebung Preußens erlebt haben!
Weiter haben manche der Auffassung Ausdruck gegeben, daß eine
Abnahme der Eheschließungen bei uns bestände, und daß infolgedessen als
natürliche Wirkung eine Verringerung der Geburten festzustellen wäre. Auch
das trifft nicht za. Daß unsere Eheschließungen prozentual um einen geringen
Bruchteil abgenommen haben, ist richtig; absolut haben aber die Ehen fort¬
dauernd zugenommen. Wir haben im Jahre 1900 476000 Eheschließungen ge¬
habt, im Jahre 1913 dagegen 510000, also eine beträchtliche Zunahme. Trotz¬
dem war im Jahre 1913 die Zahl der geborenen Kinder um 166000 geringer
als im Jahre 1900! (Hört, hört!)
Auch der Alkoholismus kann — trotzdem wir ja alle zugeben müssen,
daß bei uns noch zu viel getrunken wird — nicht ernstlich in Frage kommen
im Sinne einer angeblichen Herabsetzung der Gebär- und Zeugungsfähigkeit.
Denn darüber müssen wir uns doch klar sein, daß im Laufe der letzten
30 Jahre auch hinsichtlich des Alkoholismus manches besser und keinesfalls
schlechter geworden ist. (Sehr richtig!)
Nun ist vielfach die Frage aufgetaucht, ob die Zunahme der Geschlechts¬
krankheiten an dem Geburtenrückgang schuld sei. Auch diese Frage hält
ernstlicher Prüfung nicht Stand. Richtig ist, daß wir bereits vor 30 Jahren
einen großen Geburtenausfall durch die Geschlechtskrankheiten hatten. Fach¬
ärzte haben schon vor etwa 20 Jahren den jährlichen Ausfall durch Geschlechts¬
krankheiten auf 200000 Geburten geschätzt. Nun wird aber gerade in neuester
Zeit, und zwar gerade von solchen Fachärzten, die früher viel pessimistischer
waren, die Auffassung vertreten, daß wir seit dem Jahre 1900, also gerade
zu der Zeit, wo der außerordentliche Geburtenabsturz bei uns besteht, keine
Zunahme der Geschlechtskrankheiten zu verzeichnen haben. Infolge der gro߬
zügigen Maßnahmen, die von allen Seiten getroffen sind, ist sogar anscheinend
eine gewisse Abnahme der Geschlechtskrankheiten festzustellen. Diese Fest¬
stellung gründet sich ganz besonders auf die Rekrutenuntersuchungen der aus
großen Städten stammenden Militärpflichtigen; es ist ja bekannt, daß es
namentlich die großen Städte sind, die auf dem Gebiete der Geschlechtskrank¬
heiten das Hauptmaterial liefern, während wir auf dem Lande wenig oder gar
keine Geschlechtskrankheiten haben. Bei diesen Rekrutenuntersuchungen nun
ist in den letzten Jahren eine deutliche Abnahme der Geschlechtskrankheiten
festgestellt worden. Also können wir die Schuld an dem Geburtenrückgang
kaum diesen Krankheiten zuschieben.
Nun steht im Vordergrund der Erörterungen immer die Frage, inwieweit
wirtschaftliche Interessen für die offenbar gewollte Einschränkung der
Kinderzeugung maßgebend sind. Nun kann es keinem Zweifel unterliegen, daß
auch die wirtschaftlichen Interessen mitsprechen. Es kann ohne weiteres zugegeben
werden, daß sicherlich eine nicht geringe Anzahl von Ehepaaren die Kinder¬
erzeugung einschränken, weil sie sich in wirtschaftlicher Notlage befinden, daß
namentlich auch die Wohnnngstenerung, die wir in großen Städten haben, hier
eine Rolle spielt. Es ist ja bekannt, daß wir jetzt schon die bedauerliche
Abgeordnetenhauses über den Medizinaletat
181
Erscheinung haben, daß manche Hausbesitzer grundsätzlich keine Leute mit
Kindern anfnehmen, so daß wir beispielsweise vor mehreren Jahren dien
traurigen Fall gehabt haben, daß im rheinisch-westfälischen Gebiet ein Arbeiter
mit 7 Kindern überall vergeblich eine Wohnung gesucht und schließlich aus
Verzweiflung darüber, daß er wegen seiner Kinder überall abgewiesen wurde,
Selbstmord verübt hat. Das sind Sachen, die auch ihr Teil mitsprechen. Aber
wenn wir nun die Frage so stellen wollen, wie sie immer von gewisser Seite
gestellt wird, ob es nur wirtschaftliche Ursachen sind, ob man von Massenelend
spricht, so muß man diese Frage doch entschieden verneinen. Es ist richtig,
die ganzen Lebensverhältnisse haben sich in den letzten 30 Jahren erheblich
verteuert: die Lebensmittel sind zum Teil um 30°/o teurer geworden. Aber
darüber kann doch kein Zweifel bestehen, daß in allen Volksschichten auch
die Einkommen, Gehälter und Löhne erheblich mehr, zum Teil um 50°/o in den
letzten 80 Jahren gestiegen sind. Der wachsende Wohlstand unseres Volkes, der
uns jetzt zu den großartigen wirtschaftlichen Leistungen befähigt hat, hat
jedenfalls in den letzten 30 Jahren in allen Volksschichten sehr zugenommen,
so daß wir doch nicht im Ernst behaupten können, das Volk wäre heute — ich
spreche von der Zeit vor dem Kriege — wirtschaftlich nicht mehr in der
Lage, eine so große Zahl von Bändern aufzuziehen wie vor 80 Jahren.
M. H., wer mit Aufmerksamkeit die Erscheinungen unseres Volkslebens
im Laufe der letzten Jahre und Jahrzehnte beobachtet hat, der kann sich
doch nicht der Ueberzeugung verschließen, daß bei uns eine gewisse Summe
von höchst unerfreulichen Erscheinungen entstanden ist, die wir überall in der
Geschichte fast immer entstehen sehen, wenn Kulturvölker sehr rasch zu
großem Wohlstände gelangt sind. (Sehr richtig!) M. H., daran kann doch
gar kein Zweifel sein, daß bei uns als Folgeerscheinung des Wohlstandes, des
Luxus in gewissen Kreisen, der vielfachen Genüsse, die sich viele Leute leisten
und die doch zum großen Teil entbehrlich sind — wir sehen ja im Kriege,
daß wir auch ohne sie auskommen können — ich sage, es kann gar kein
Zweifel sein, daß eine gewisse Weltanschauung sich leider auch bei uns in
weiten Kreisen geltend gemacht hat, die ihren Ausdruck darin findet, daß einmal
die Begriffe von Ehe und Kindersegen eine bedenkliche Umwertung
erfahren haben, (sehr richtig!) und zweitens, daß vielfach die Anschauung sich
? eltend macht, daß Kindersegen nur eine Last sei, die allerlei unerfreuliche
erantwortung mit sich brachte, und der man sich deshalb nach Möglichkeit
entziehen dürfe. M. H., ich kann es doch nicht unausgesprochen lassen; denn
es spricht zu viel dafür, und nur wenn man das offen ausspricht, kann es
vielleicht Eindruck in weiteren Kreisen machen, das ist nämlich die Tatsache,
daß diese Anschauung namentlich in der Frauenwelt Boden gewonnen hat, und
daß es bedauerlicherweise heute manche Frauen gibt, die am liebsten wenig
oder gar keine Kinder haben wollen. (Sehr richtig!) M. H., solche Frauen
ziehen meines Erachtens das Höchste, was es für ein Weib geben sollte, die
Mutterschaft, in den Staub (sehr gut!); sie verkennen die höchste sittliche
Bestimmung der Ehe: Fortpflanzung unseres Geschlechts, Aufzucht von
tüchtigen, braven Kindern, die wir dem Vaterlande geben sollen und die vor
allen Dingen, wenn wir nicht mehr da sind, die Arbeiten, die wir begonnen
haben, in unserem Sinne weiter führen sollen. (Sehr richtig!) Wenn ich hier
etwas einfügen darf, dann ist es die Hoffnung, m. H., daß der wunder¬
bare, erhebende vaterländische Geist, der Geist der Opferwilligkeit und Ein¬
mütigkeit, den unser Volk seit Ausbruch des Krieges und auch heute noch
fortwährend betätigt, und den wir vielleicht als wertvollsten Gewinn des
Krieges für die Dauer buchen können, die Hoffnung, daß dieser Geist für alle
Zeiten, auch nach dem Kriege, uns erhalten bleiben und alle die unerfreulichen
Erscheinungen in unserem Volke hinwegwehen möge, die an der Kraft unseres
Volkes zehren. (Sehr richtig!)
In diesem Zusammenhang muß ich noch einige andere Ursachen erwähnen,
die hier schon zur Sprache gebracht worden sind. Das ist die Frage der •
empfängnisverhütenden Mittel. Ja, m. H., es muß offen ausgesprochen
werden, daß der Vertrieb dieser häßlichen Sachen bei uns sich bereits zu einem
öffentlichen Skandal ausgewachsen hat. (Sehr richtig I) Die Berichte, die dem
Ministerium hierüber vorliegen, sprechen eine sehr, sehr ernste Sprache. Heute
ist es ja nicht so, wie es leider schon vor längerer Zeit war, daß man alle diese
182
Oie diesjährigen Verhandlungen" des preußischen
Bachen nur in verschiedenen kleinen Geschäften — bekommen kann, und daß
eie dort sehr oft jungen, unreifen Mädchen, Dienstmädchen, jungen Burschen,
die an so etwas vielleicht gar nicht denken, aufgedrängt werden. Nein, m. H.,
wir sind schon so weit, daß in die entferntesten Gegenden unseres Vater¬
landes, in die einsamsten Dörfer Geschäftsreisende solcher Firmen kommen und
den Leuten die Mittel aufdrängen; ja, in einzelnen Fällen haben wir sogar
festgestellt, daß weibliche Geschäftsreisende solcher Firmen den Frauen die
praktische Anwendung der Mittel vordemonstrieren und nach einem Vierteljahr
nachfragen, ob vielleicht wieder Bedarf wäre.
M. H., die hier schon gestreifte Frage der Vernichtung des
keimenden Lehens ist auch eine Frage, die uns ernste Sorge machen muß;
denn diese Fälle haben in so erschreckendem Maße zugenommen, daß es hohe
Zeit ist, daß hier Wandel eintritt. Sichere statistische Schätzungen über die
Zunahme der Abtreibungen — das möchte ich hier bemerken — liegen selbst¬
verständlich nicht vor; das liegt in der Natur der Sache, aber die Ziffern, die
als wahrscheinlich genannt werden, sind doch so erschreckend hoch, daß es,
wie gesagt, höchste Zeit ist, hier einzugreifen.
M. H., über die Mittel znr Bekämpfung des Geburtenrück¬
ganges hier ausführlich zu sprechen, will ich mir versagen. Mein
H. Chef, Seine Exzellenz der H. Minister des Innern, hat schon darauf
hingewiesen, daß eingehende Beratungen über diese Frage innerhalb des
Ministeriums des Innern bezw. innerhalb des Staatsministeriums unter der
Beteiligung sämtlicher Ressorts stattfinden. Es ist ganz selbstverständlich,
daß in diesen Beratungen alle die Vorschläge geprüft werden, die bisher
gemacht worden sind; sie sind alle gesammelt, und sie werden auf das ein¬
gehendste erörtert werden. Nur einige der Maßnahmen, die uns speziell vom
Standpunkte der Medizinalverwaltung aus als besonders notwendig erscheinen,
will ich hier kurz erwähnen.
M. H., es ist natürlich eine Frage, die wir heute nicht beantworten
können, ob es uns überhaupt gelingen wird, die Geburtenziffer zu
steigern, dem Geburtenabsturz Einhalt zu tun. Schon wenn uns das letztere
gelingt, zu verhüten, daß ein weiterer Absturz erfolgt, haben wir gewonnenes
Spiel. Aber selbstverständlich muß es vom Standpunkte positiven Handelns
auch in erster Linie unsere Aufgabe sein, in noch höherem Grade, als e^> bisher
möglich war, die Geborenen am Leben zu erhalten. (Sehr richtig!)
Aus diesem Grunde steht der H. Minister des Innern auf dem Standpunkt, daß
es notwendig sei, in weiterem Umfange, als es bisher gelingen konnte, für
Säuglings- und Mutterschutz zu sorgen. Ich möchte hierbei bemerken: auf
diesem Gebiete ist insbesondere auf Veranlassung vieler edler Frauen und
Männer im öffentlichen Leben, namentlich auch auf Anregung Ihrer Majestät
der Kaiserin seit Jahren bereits viel geschehen. Infolgedessen ist unsere
Säuglingssterblichkeit bereits wesentlich geringer, als sie noch vor
14 bis 15 Jahren war. Aber wir können doch nicht an der Tatsache vorüber¬
gehen, daß sie in einer Reihe von Kulturstaaten noch viel geringer ist als bei
uns. So hat Frankreich zwar eine an sich weit ungünstigere Gesamtsterblich¬
keit als Deutschland, aber eine viel niedrigere Säuglingssterblichkeit als wir.
In Frankreich sterben im Durchschnitt 50°/o Säuglinge weniger als bei uns.
Aehnlich liegen die Verhältnisse in Belgien, England, Italien, namentlich aber
in den nordischen, skandinavischen Ländern.
Nun meine ich, unser Volk hat doch in diesem Kriege durch seine ganze
Organisationsfähigkeit gezeigt, welcher Leistungen wir auf allen Gebieten
f&mg sind, und ich zweifle nicht daran, daß es unseren Maßnahmen gelingen
wird und gelingen muß, das zu erreichen, was Frankreich schon erreicht hat.
Dann wird es uns möglich sein, eine ganz außerordentlich höhere Ziffer von
Kindern in Zukunft am Leben zu erhalten als bisher.
Ebenso müssen wir dafür sorgen, daß ein genügender Mutterschutz
in weiterem Umfange als bisher ermöglicht wird. Noch sterben bei uns in
Deutschland jedes Jahr weit über 6000 Mütter an den Folgen einer Ent¬
bindung. Die Ziffer mag angesichts der Zahl von 1900000 Geburten gering
erscheinen. Wenn ich Ihnen aber sage, daß diese Ziffer bedeutet, daß täglich
in Deutschland 18 Frauen die Mutterschaft mit dem Tode bezahlen müssen,
so werden Sie mir zngeben, daß das eine sehr bedauerliche Ziffer ist
Abgeordnetenhauses über den Medizinaletat
188
Weiter ist ans den gleichen Gründen dringend notwendig, daß wir das
Hebammen wesen reformieren. (Sehr richtig l) Aach in dieser Hinsicht ist der
H. Minister bereits in Verhandlungen mit den anderen Ressorts eingetreten.
Wir stehen aaf dem Standpunkt, daß angesichts der ernsten Gefahren, die uns
beim Geburtenrückgang bedrohen, die Hebammenreform, die aus den ver¬
schiedensten Gründen einwandfrei zu lösen bisher nicht möglich war, jetzt
dnrchgeführt werden muß, daß einmal ganze Arbeit auf diesem Gebiete getan
werden muß, und wir hoffen, einen Weg gefunden zu haben bzw. zu finden,
der uns nach dieser Richtung einwandfreie Zustände bringen und geeignet sein
wird, das soziale Niveau unserer Hebammen, die bedauerlicherweise vielfach
als eine Art komischer Figuren betrachtet werden, alsjminderwertige Personen,
denen aber doch jedes Jahr das Leben von fast 2 Millionen deutscher Mütter
and Kinder anvertraut ist, zu heben. Wir hoffen, daß wir das erreichen
werden. (Bravo!)
M. H., nach dem Gesagten kann wohl kein Zweifel darüber bestehen,
daß wir alles tun müssen — nicht nur die Regierung, auch aUe Kreise des
Volkes —, um der durch die Geburtenabnahme drohenden Gefahr Herr
zu werden. Tacitus hat berichtet, daß bei den alten kinderfrohen Germanen
schon die Beschränkung der Kinderzeugung als ein großer Frevel angesehen
war, der mit der Verachtung des Betreffenden von den übrigen Volksgenossen
bestraft wurde. Ich hoffe, daß diese Zeit, die in jeder Hinsicht dazu angetan
ist, uns das schöne Beispiel unserer Altvorderen vor Augen zu führen, uns in
dieser Beziehung auch eine Wiedergeburt bringen wird.
M. H., nun lassen Sie mich noch auf folgendes hinweisen: Diejgroßen
Verluste dieses Krieges sind zweifellos so außerordentlich, daß die Hoffnung,
die unbegreiilicherweise noch jetzt immer von manchen Leuten ausgesprochen
wird, daß ja die Erfahrung immer gezeigt hätte, daß nach jedem Kriege die
Geburtenziffer in die Höhe gehe, und daß ja damit das Problem des
Geburtenrückganges für uns sehr einfach gelöst wäre, weil auch nach diesem
Kriege diese Erscheinung würde eintreten, nur auf einer ganz kurzsichtigen
Auffassung beruhen kann (Sehr richtig!); denn die Zahl der Verluste, die
dieser Weltkrieg — der ja Verhältnisse bringt, wie sie die Geschichte noch
nicht erlebt hat — auch unserem Volke gebracht hat und wohl noch bringen
bringen wird, ist so außerordentlich, daß von einer Vermehrung der Geburten¬
ziffer infolge der erwähnten Erscheinungen nach dem Kriege gar keine Rede
sein kann. Wir brauchen uns doch nur vor Augen zu halten, daß viele, viele
Tausende von blühenden, im zeugungsfähigen Alter stehenden Männer für die
nächsten Jahre bei der Kinderzeugung ausscheiden. Es kann daher kein
Zweifel sein, daß wir im Laufe der nächsten Jahre ein weiteres Absinken
unserer Geburtenziffer allein aus dieser Erscheinung heraus haben werden.., ,
Aber, m. H., wir werden diese Verluste ausgleichen, wenn wir — und
ich hoffe, wir sind auf dem Wege dazu — mit festem Wollen der Gefahr
begegnen, die uns bedroht. Mehr als je, m. H., braucht unser deutsches Vater¬
land einen Zuwachs an Menschen! Wir brauchen Menschen erstens, um die
schrecklichen Verluste des Krieges auszugleichen, dann aber vor allen Hingen,
am gerüstet zu sein, wenn es wieder einmal in Zuksnft neidischen und rach¬
gierigen Feinden in Ost und West einfallen sollte, das deutsche Volk mitten
in friedlicher Arbeit hinterlistig zu überfallen! Aber, m. H., wir brauchen vor
allen Menschen, um, nach dem schönen Wort Friedrichs desAroßen, der
beluinntlich „Menschen vor den größten Reichtum eines Staates erachtete“, all
den kulturellen Aufgaben gerecht zu werden, deren Erfüllung, davon bin ich
felsenfest überzeugt, die Vorsehung dem deutschen Volke noch Vorbehalten
hat M. H., allein schon unsere wirtschaftliche Entwicklung ist ja in ihrer
ganzen Berechnung eingestellt auf das Moment der fortdauernden Vermehrung
des Volkes. Her ganze Unternehmungsgeist im wirtschaftlichen Leben, die
Gütererzeugung, die Beschaffung von Arbeitskräften, das Baugewerbe und
anendlich viele andere Hinge sind ja überhaupt nur möglich bzw.
existenzfähig, wenn als Grundbedingung eine fortlaufende Vermehrung des
Volkes gegeben ist, während allein schon der Stillstand der Volkszonahme
— von Abnahme gar nicht zu sprechen — gleichbedeutend ist mit Erschlaffung
and Herabsetzung der Leistungsfähigkeit des Volkes. Deshalb, m. H., dürfen
wir jüchts versäumen, um allen Kreisen des Volkes den Ernst der Sache, den
184
Die diesjährigen Verhandlungen des preußischen
Brnst der Stunde klar zu machen, der uns hier eine zielbewußte Stellungnahme
gebietet (Sehr richtig!) Dann, aber auch nur dann wird das deutsche Volk die
glänzende Zukunft nach diesem Kriege erleben, die wir alle als Preis der
unerhörten Opfer dieses Krieges erhoffen! (Lebhafter Beifall!)
Abg. Dr. Faßbender (Zentr.): Die Hebung der Bevülkerungszlffer
muß in einer doppelten Richtung erstrebt werden: einmal durch Herabminderung
der Sterblichkeitszifier und anderseits durch Erhöhung der Geburtenziffer. Für
die Herabminderung der Sterblichkeitsziffer kommen zwei Maßnahmen in erster
Linie in Betracht: das ist der Kampf gegen die Seuchen und der Kampf gegen
die Säuglingssterblichkeit. Die moderne Hygiene und die freiwillige Liebes¬
tätigkeit, das sind die beiden Gebiete, die in diesem Kriege große Triumphe
gefeiert haben. Nächst Gottes gnädigem Schutz ist es unzweifelhaft den
amfassenden und ausgezeichneten Maßnahmen hygienischer Art zu verdanken,
daß unsere Truppen von größeren Seuchen verschont geblieben sind, von den
Seuchen, die in früheren Kriegen, auch noch in dem l«70er Kriege, unzählige
Opfer gefordert haben. (Bravo!) Umfassende Maßnahmen der Hygiene werden
aber auch in der Friedenszeit die unausgesetzte Sorge der Königlichen Staats¬
regierung bilden müssen. Vor allem wird die ländliche Bevölkerung einer
gesteigerten Fürsorge behufs Ausgestaltung der Hygiene auf dem
Lande bedürfen. Das erkennt man schon ans dem Umstande, daß die Herab*
mlnderung der Sterblicbkeltsziffer trotz der an sich viel besseren Lebens¬
bedingungen auf dem Lande doch hier nicht in dem Maße bisher gelungen ist
wie in der Stadt. In 8tadt und Land aber werden wir uns erhöhte Sorge für
die Herabminderung der Sterblichkeit bei den 8äuglingen und in den ersten
kindlichen Lebensjahren angelegen sein lassen müssen, zumal wir in dieser
Beziehung anderen Ländern gegenüber leider noch bedenklich zurückstehen.
(Sehr richtig!) Zu den Maßnahmen gehört auch die gesetzliche Regelung des
Haltekinderwesens mit Beaufsichtigung der Ziehmütter. Wenn auch die
sogenannte Engelmacherei in Deutscmand nicht so verbreitet sei, wie z. B. in
Belgien, so unterliegt es doch keinem Zweifel, daß auch bei uns auf dem
Gebiete des Haltekinderwesens ganz bedeutende Mißstände zu beseitigen sind.
Deshalb wird meine Fraktion für den Antrag behufs gesetzlicher Regelung
des Haltekinderwesens stimmen. (Bravo!)
Bezüglich des Kampfes gegen die Seuchen vftrd nach dem Kriege
zweifellos der Tuberkulosebekämpfung eine erhöhte Aufmerksamkeit zuzu¬
wenden sein. Es unterliegt keinem Zweifel, daß durch die ausgedehnte Ein¬
ziehung der männlichen Bevölkerung zu den Waffen, dadurch, daß viele Leute,
die früher wegen schwächlicher Gesundheit vom Militärdienst befreit wurden,
jetzt aber eingestellt werden, ein Anwachsen der Erkrankungen an offener
Tuberkulose für die Zukunft zu befürchten ist. Wenn man sieht, daß bei
den anzeigepflichtigen ansteckenden Krankheiten eine stete Abnahme eingetreten
ist, dann müßte man zu der Ansicht kommen, daß die Anzeigepflicht auoh
bei Tuberkulose eine gesetzliche Regelung finden sollte, denn die
jetzige Anzeigepflicht, die sich nur auf Todesfälle und Wohnungswechsel be¬
schränkt, genügt zweifellos nicht. Die Tuberkulose ist, besonders auch auf dem
Lande, in den meisten Fällen als „Wohnungskrankheit* zu betrachten (Sehr
richtig! im Zentrum); Bauart, Inneneinrichtung, Beschaffenheit der Schlaf-
kammern, Mißstände auf dem Gebiete der Ventilation, der Heizung und besonders
der Reinlichkeit sind hier vielfach die Quelle der Seuchenverbreitnng. Das Ver¬
ständnis für HautpAege und Zahnpflege bedarf zweifellos auf dem Lande
erhöhter Fürsorge, worauf besonders H. Ministerialdirektor Prof. Dr. Kirchner
schon so oft hingewiesen hat.
Dem, was der Kollege Mugdan über die Koalitionsfreiheit der
krankenpflegenden Orden gesagt hat, kann ich nicht in vollem Umfange,
sondern nur insoweit zustimmen, als, wenn man in der Form der Gewerkschaft
einen Zusammenschluß den krankenpffegenden Personen gestatten will, dann
aber Fürsorge getroffen werden muß, daß die katholischen Orden, die im Falle
eines Streikes die durch den Ordenszweck vorgeschriebene Pflicht tun würden,
nicht gewissermaßen als „Streikbrecher* kompromittiert werden dürften. Was
aber die Niederlassung von krankenpflegenden Orden angeht, so steht diese
Frage in engem Zusammenhang mit der Tuberkulosebekämpfung insofern, als
so unzweifelhaft möglich wäre, auch in kleineren Krankenhäusern auf dem
Abgeordnetenhauses über den Medizinaletat.
186
Lande Abteilungen für Tuberkulosekranke zu schaffen, die eine außerordentliche
Bedeutung für die Bekämpfung der Tuberkulose auf dem Lande gewinnen könnten,
da solche Tuberkulosenheime für eine umfangreiche Bekämpfung der
Tuberkulose in vielen Fällen viel wirkungsvoller sich erweisen dürften, als
die Tuberkuloseheilstätten. (Sehr richtig! im Zentrum.) Die Organisation der
Krankenhäuser, wonach, wie z. B. in den katholischen Teilen von Westfalen
für fast alle Amtsbezirke eigene Krankenhäuser bestehen, ist höchst segens¬
reich. Ihre Einrichtung sollte möglichst auch vom Standpunkt der Hygiene
und der Tuberkulosebekämpfung gefördert werden. Insbesondere ist auch
dafür zu sorgen, daß eine Ueberanstrengung der Schwestern vermieden wird,
und diese, wie es namentlich in kleineren Krankenhäusern sehr leicht vor¬
kommt, nicht mit niederen Dienstleistungen beschäftigt werden, die auch von
ungelernten Dienstboten usw. verrichtet werden können.
Redner wünscht weiter erhöhte Fürsorge für die Erforschung der
Krebskrankheit^ die auch in Deutschland ständig zunefame. Jedenfalls müsse
das Institut bei der Charitö zur Erforschung der Krebskrankheit erhalten
bleiben und weiter ausgebaut werden.
Nicht minder wichtig sei der Kampf gegen die (Geschlechtskrankheiten.
Um eine Verseuchung der Bevölkerung zu verhüten, sollte niemand jetzt
während des Krieges beurlaubt und niemand nach dem Kriege aus dem
Heere entlassen werden, der nicht vorher daraufhin untersucht worden sei, daß
er an keiner Geschlechtskrankheit leidet. (Sehr richtig! im Zentrum.) Jeder
Krieg hat aus ganz einleuchtenden Ursachen eine Steigerung der Geschlechtskrank¬
heiten im Gefolge gehabt, und bei dem gegenwärtigen Kriege kommt besonders
in Betracht, daß er sich in Gegenden und Ländern abspielt, in denen von
altersher die Geschlechtskrankheiten sehr verbreitet waren. Ihre Heilung ist
trotz der Salvarsan-Behandlung unsicher, und deshalb vom Standpunkte der
Bevölkerungspolitik aus die Prophylaxe, d. h. die Verhütung der Ansteckung
um so wichtiger. Man sollte deshalb durch gesetzliche Vorschrift von
jedem Ehekandidaten ein amtsärztliches Gesundheitszeugnis ver¬
langen und die bürgerliche Eheschließung von der Abwesenheit einer
übertragbaren Geschlechtskrankheit abhängig machen. Ebenso empfiehlt
sich die Einführung einer gesetzlichen Bestrafung leichtsinniger oder
grobfahrlässiger Ansteckung mit einer Geschlechtskrankheit; eine solche
ist besonders als Jugendschutzmaßregel zu befürworten.
Sehr zu begrüßen ist die jetzt in Aussicht genommene, unter der Leitung
des Reichsversicherungsamts, in Verbindung mit den Krankenkassen und der
Militärverwaltung in die Wege geleitete Einrichtung von Fürsorgestellen für
Geschlechtskranke, die den FUrsorgestellen für Lungenkranke und für Säug¬
linge nachgebildet werden sollen. Diese Fürsorgestellen müßten aber der
gesamten Bevölkerung dienstbar gemacht werden.
Bei dem Geburtenrückgänge haben wir es in vielen Fällen der End¬
losigkeit mit einer verschuldeten Endlosigkeit und in anderen Fällen mit
einer gewollten Endlosigkeit zu tun. Für die erstere bildet meist Sterilität
infolge von Syphilis und Tripper die Ursache. Dieser verschuldeten Endlosig¬
keit muß mit allen Mitteln entgegen gewirkt werden; man kann deshalb dem
H. Minister den allerwärmsten Dank dafür aussprechen, daß er dieser
Frage die hohe Wichtigkeit beimißt, wie sie aus seinen Worten hervorgeht, und
daß er mit so großem Ernste und so herrlichem Eifer unter Mithilfe der Herren
von der Medizinalverwaltung an die Behandlung dieses Problems
herangeht. (Bravo!) Ein Erfolg ihrer Bestrebungen ist aber nur zu erwarten,
wenn die Staatsregierung auch auf dem Gebiete des Beamtenwesens wichtige
Reformen eintreten und bei Besetzung höherer Stellen das Vermögen nicht
allein ausschlaggebend sein läßt (Sehr richtig! — Bravo! — auf ver¬
schiedenen Seiten des Hauses) und bei gleicher beruflicher Tüchtigkeit nicht
der Beamte mit weniger Kindern vorgezogen wird, weil er einen größeren
Betrag zu Repräsentationszwecken frei behält. (Hört, hört!) Man sollte über¬
haupt nach dem Kriege mit dem unglücklichen Repräsentationszwang
einmal aufräumen (Sehr richtig!) und zur alten preußischen Einfachheit zurück¬
kehren. (Bravo!) Deshalb habe Redner in Verbindung mit seinen Fraktions-
genozsen einen Antrag eingebracht, worin die Königliche Staatsregierung
ersucht wird, dahin zu wirken, daß für eine Anstellung oder Be-
186 Die diesjährigen Verhandlungen des preußischen
för,derung von Beamten bei der Auswahl unter den dafür ge¬
eigneten Personen solche mit einer größeren Einderzahl in
besonderem Maße berücksichtigt werden. (Bravot im Zentrum.)
Bei dem Geburtenrückgänge handelt es sich weder um eine einzige
Ursache noch um ein einziges Mittel der Abhilfe. Als Grund der
Geburtenbeschränkung in allen Ehen sind nicht nur grobsinnige
oder an sich unethische Beweggründe zu suchen, sondern es können
auch sehr sittliche Gründe dafür vorliegen, ln solchen Fällen soll
aber nach der Lehre der katholischen Moral Enthaltsamkeit geübt und
die Anwendung künstlicher Mittel vermieden werden.
Die Regelung des Wohnungswesens wird am besten der Landesgesetz¬
gebung zu überlassen sein; wichtig ist auch die Ausgestaltung des Verkehrs¬
wesens, damit die Leute außerhalb des Weichbildes der Stadt wohnen können,
und die Siedelungsfrage auf dem Lande, um eine Landflucht zu ver¬
hüten. Ebenso wird auch bei der direkten Steuer die K i n d e r z a h 1 mehr als
bisher zu berücksichtigen sein; noch mehr Aussicht auf Erfolg dürfte die Ge¬
währung von Erziehungsbeihilfen aus öffentlichen Mitteln bieten.
Weiterhin ist auf die Erleichterung der Eheschließung Bedacht zu
nehmen. Es ist keinem Zweifel unterworfen, daß mit dem verspäteten Eintritt
in die Ehe die sogenannten „Junggesellenverhältnisse“ Zusammenhängen. Eine
ganze Menge von Leuten aus den akademischen Kreisen, Offlzierkreisen usw.
nehmen die Kenntnis der Präventivmittel aus ihren sogenannten „festen Ver¬
hältnissen“ später mit in die Ehe hinein. Die ganze Psychologie ist eingestellt
auf Beschränkung bezw. Verhütung der Konzeption, derartige Ehen werden
ganz nahe an die Prostitution herangerttckt; es besteht da nur der
Begattungstrieb ohne den in der ehelichen Liebe wurzelnden Fortpflanzungs-
Willen.
Die Errichtung von Säugliugsfürsorgestellen, bei denen es sich handelt
um Beschaffung von gesunder Kindermilch, um Beratung, um Unterstützung
der armen Mütter aus öffentlichen Mitteln, kann Bedner namens seiner Partei
nur befürworten. (Bravo!) Ebenso wichtig sei aber auch die erziehliche
Einwirkung auf die Mütter, um sie zum Selbststillen zu veranlassen; die
Frauen müßten es wieder als Ehre ansehen, ihre Kinder selbst zu stillen. Ob
es möglich sein wird, wie im „Neuen Deutschland“ Medizinalrat Dr. Graßl
vorschlägt, einen Stillzwang einzuführen, will Bedner dahingestellt sein
lassen. Er kommt dann auf die Hebammenfrage zu sprechen und verlangt
eine tüchtige Ausbildung derselben sowie die Anstellung sämtlicher Hebammen
als Bezirkshebammen und Gewährung eines auskömmlichen Gehaltes. Mit der
Bekämpfung des Geburtenrückganges steht auch der Kampf gegen die öffent¬
liche Unsittlichkeit, namentlich in den Großstädten, wo die sexuelle Sinn¬
lichkeit der Jugend erregt wird, in engem Zusammenhänge. Dasselbe gilt
betreffs der mangelhaften Ausbildung zahlreicher Frauen in der Führung
des Haushaltes, namentlich im Kochen, die naturgemäß eine außerordentliche
Verteuerung der Lebenshaltung und den Wunsch nach Beschränkung der Kinder¬
zahl zur Folge hat. Ebenso bedingt der in den sogenannten besseren Ständen
vielfach herrschende Bildungsfanatismus der verheirateten Frauen, daß eine
Abneigung gegen eine größere Kinderzahl entsteht, die außerdem durch unsere
Bepräsentationswut vermehrt wird. Die Erziehung zur Mütterlichkeit ist so¬
mit ein Kernpunkt der ganzen Angelegenheit, eine Aufgabe, die an Bedeutung
für die militärische, wirtschaftliche, kulturelle und sittlich-religiöse Zukunft
unseres Volkes keiner andern nachsteht.
Auch die Alkoholfirage steht mit der ganzen Frage des Geburtenrück¬
ganges in einem gewissen Zusammenhang, weil nämlich nichts so sehr die
Geschlechtskrankheiten fördert, wie die Verbreitung des Alkoholgenusses. Wie
mancher junge Mensch wird unter dem Einfluß des Alkohols verdorben, wie
mancher Student oder sonstige junge Mann verfällt in der Trunkenheit bei
einem einzigen Fehltritt dem Verderben der Geschlechtskrankheit.
Nur mit einer völligen Lebengreform kann die Beseitigung des Ge¬
burtenrückganges einhergehen. Die großen Ansprüche an das Lebon stehen
vielfach im Wege. Deshalb fürchtet man sich vor einer größeren Kinderzahl,
weil man nicht bloß repräsentieren, sondern auch nicht auf alles das, was sonst
zum sogenannten „guten Leben“ gehört, verzichten will. Dazu gehört
Abgeordnetenhauses über den Medizinaletat.
187
anch, daß in dem Jahresetat eine Somme für eine Sommerreise stehen maß,
denn mit einer großen Kinderzahl kann man nicht got reisen.
Endlich wird darüber kein Zweifel sein können, daß ohne eine reli¬
giöse Erneuerung des Tolkes die sämtlichen vorerwähnten Mittel
allein versagen müssen and versagen werden. Aber es würde
ebenso verfehlt sein, wenn man es bei der seelsorgerischen Be¬
einflussung der Bevölkerung allein bewenden lassen wollte.
Meine politischen Freunde stehen zwar auf dem Boden, daß sie von
der freien Entfaltung der religiös-sittlichen Lebenskräfte
des deutschen Volkes auch in der Frage der Bekämpfung des Geburten¬
rückganges das meiste erwarten; sie wollen aber auch die anderen Mittel ge¬
sunder Bevölkerungspolitik ebenfalls in Betracht gezogen wissen, und deshalb
werden sie für die Annahme der Staatshaushaltskommission und nicht für den
Antrag der fortschrittlichen Volkspartei stimmen.
Redner schließt mit den Worten: Nur eine auf dem Grunde auf¬
richtiger und inniger Religion sich aufbauende umfassende
Lebensreform mit einer Rückkehr zu einfacherer Lebenshaltung
kann nach Ansicht meiner politischen Freunde die bedauerliche Erscheinung
gewollter Kinderlosigkeit oder künstlicher Kinderbescbränkung als das Symptom
einer entarteten Kultur beseitigen. (Sehr richtig!) Mit dieser Lebens-
reform muß aber eine umfassende Gesetzgebung auf den verschiedenen
mit einer gesunden Bevölkerungspolitik in Beziehung stehenden Gebieten Hand
in Hand gehen. Das deutsche Volk hat in diesem Kriege gezeigt, daß es
einen Rücklagebestand von nicht entnervter Volkskraft noch besitzt. Es ist
also noch nicht zu spät, aber es ist, wie der H. Regieruugsvertreter mit
Recht sagte, hohe Zeit, Fürsorge zu treffen, daß uns nicht die Verhältnisse
über den Kopf wachsen. Meine Fraktion wird auf allen Gebieten gesetz¬
geberischer Maßnahmen, die das Uebel zu bekämpfen imstande zu sein scheinen,
freudig mitwirken und mitarbeiten. (Lebhafter Beifall.)
Abg. Dr. Lohmann (natl.) schließt sich uneingeschränkt dem Lobe an
das von allen Seiten den Aerzten und den Krankenpflegerinnen für ihre
großen Leistungen in diesem Kriege gezollt ist. Den Antrag auf Gewährung
voller Koalitionsfreiheit des Krankenpflegepersonals wird seine Partei einer
wohlwollenden Nachprüfung unterziehen. In bezug auf den Geburtenrückgang
ist es ein gar nicht hoch genug zu schätzendes Verdienst der maßgebenden
Männer unserer Medizinalabteilang, daß sie das öffentliche allgemeine Interesse
anf diesen Gegenstand gelenkt haben. Alle Parteien sind jetzt sämtlich davon
überzeugt, daß dieser Geburten- und Volksrückgang eine der wichtigsten und
schwersten Fragen ist, die unser deutsches Volk bewegen. Mehr als die ab¬
solute Abnahme ist ja die Tatsache geeignet, uns ernste Gedanken zu machen,
daß dieser Absturz gerade in den wenigen Jahren des neuen Jahrhunderts so
ungemein stark, ja rapide gewesen ist. Diese Tatsache beweist anderseits
schlagend die Behauptung, daß die Frage keine vorwiegend wirtschaftliche ist,
denn in den Jahren des neuen Jahrhunderts haben wir einen
wirtschaftlichen Aufschwung gehabt und nicht einen wirtschaft¬
lichen Abstieg. Wenn wir anch jetzt noch infolge der Abnahme der Sterb¬
lichkeit eine starke Zunahme der Bevölkerung aufzuweisen haben, so nähern
wir uns doch immer mehr den Zuständen, die zum Teil England und in der
Vollendung Frankreich haben. Aul.diese,Kulturhöhe“ dürfen wir
aber nicht herabsinken. Daß die Ursache des Geburtenrückganges
nicht in einer starken Verminderung der Eheschließungsziffer liegt,
hat Geheimrat Dr. Kr oh ne nachgewiesen, denn diese ist von 1871 bis 1911
nur um 0,1 °/## (von 8 auf 7,9 °/oo) gesunken. Ungünstig ist in dieser Hinsicht
nur, daß das Ehescbließungsalter heraufgerückt ist. Als Hauptursachen
siod vielmehr Eingriffe in die Schwangerschaft oder bewußte
Vorbeugung der Empfängnis anzusehen. Leider grassiert nach den
Beobachtungen des Redners in seiner Heimat (Nassau) die Abtreibung auch
auf dem Lande und in kleinen Orten außerhalb viel mehr, als allgemein
angenommen wird; auch darf nicht verschwiegen werden, daß die Wider¬
standsfähigkeit der Aerzte gegen die Zumutungen, die aus Frauen¬
kreisen aller Stände an sie herautreten, die bestehende Schwangerschaft zu
unterbrechen, im Abnehmen begriffen ist. Redner hat aus seiner ärztlichen
138
Die diesjährigen Verhandlungen des preußischen
Verwandtschaft and Bekanntschaft, die sich gerade in Kreise sehr beschäftigter
and hervorragender Aerzte erstreckt, doch mehrfach gehört, daß, wenn Frauen
aas gänzlich nichtigen Qründen der Genaßsacht, der Eitelkeit oder anbeacht¬
licher Schwäche die Zamntong an sie stellen, es mOge eine Schwangerschaft
unterbrochen werden, and diese Zamatang anter ernstem Zasprach abgewiesen
wird, ganz regelmäßig diese Frauen — nach kurzer Zeit mit der Erklärung
wieder erscheinen: wir haben einen anderen gefanden, der unserem
Wunsch entsprochen hat Vielleicht läßt sich darch einen gewissen Uelde¬
zwang auch auf die Aerzte ein Einfluß dahin za üben, daß sie etwas zurück¬
haltender in der Anwendung des Aborts ans allgemein-hygienischen Gründen
sein möchten. — Der Geburtenrückgang stellt sich als ein schwerer nationaler
Notstand aus sittlich bedenklichen Beweggründen dar, denn wenn auch
die bewußte Beschränkung der Kinderzahl keineswegs durchweg
zu verdammen ist und die Sorge für Leben und Gesundheit der
Mütter und damit die Einschränkung der Kinderzahl eine gewisse Berechti¬
gung hat, so bleibt doch nicht zu bestreiten, daß die starke Abnahme
unserer Geburten wesentlich auf Ursachen zurückzuführen ist, die
moralisch zu verurteilen sind, weil sie verwerflich sind. Dafür spricht nament¬
lich die Tatsache, daß wir die niedrigen Geburtsziffern ganz besonders und
zuerst, bei uns in Deutschland wenigstens, in den wohlhabenden, sehr gut
situierten Familien haben, wo mit dem besten Willen für diese Beschrän¬
kung der Kinderzahl keine andere Ursache gefunden werden kann als der
f emeinschaftüche Wunsch von Mann und Frau ungestört von Kindersorgen
as Leben zu genießen. (Sehr richtig!) Dafür ist ferner die Tatsache be¬
weisend, daß wir das sprunghafte Fortschreiten der Abnahme
unserer Geburten in den Großstädten in Jahren gehabt haben, die einen
außerordentlichen Aufschwung mit sich brachten. Das Sinken
der Geburtenziffer, auch wenn es so rapide eintritt wie augenblicklich,
kann zwar nicht gleichzeitig auf eine sittliche Entartung unseres
Volkes schließen lassen, aber wohl auf eine gewisse Schwäche des
Willens. Man darf auch nicht übersehen, daß früher die ungeheure
Versuchung, wie sie jetzt gerade an die Frauenwelt heran¬
tritt, nicht vorhanden war. Man kannte die Technik des antikonzeptionellen
Betriebes gar nicht, und was infolge Unkenntnis solcher Technik unterblieb,
war eben nicht Tugend, sondern Mangel an Gelegenheit zur Sünde. Seit¬
dem die Frau gelernt hat, aktiv in die Geburtenpolitik ein¬
zugreifen, seitdem haben wir diese betrüben Zustände.
Wass nun den Einfluß der Religion, insbesondere der evanglischen
und katholischen, auf den Geburtenrückgang betrifft, so haben wir in den
Jahren ltiOl bis 1911 eine Vermehrung der evangelischen Volksschul¬
kinder von 8,6 Milionen auf 8,86 Millionen, also um 360000 gehabt,
währen sich die katholischen Volksschulkinder von 2,067 auf
2,667, also um 610000 vermehrt haben. (Hört! hört!) Mit anderen
Worten: wenn diese Bewegung und diese Tendenz anhält,
werden wir in höchstens 20 Jahren ein Gleichziehen der katho¬
lischen und der evangelischen Volksschulkinderziffern haben.
(Sehr richtig! bei den Nationalliberalen.) Das sollte doch jeden bewußten An¬
hänger und Freund der evangelischen Kirche mit der größten Sorge erfüllen
und anspornen, alle seine Kräfte in den Dienst einer Bewegung zu stellen, die
dieser verderblichen Erscheinung Einhalt tun kann.
Was nun die Abwehrmittel betrifft, so müssen wir zweifellos alles tun,
um die Kindersterblichkeit einzudämmen. Dazn gehört auch eine
bessere finanzielle und soziale Stellung der Hebammen, eine Begelung des
Ziehkinderwesens, die Beibehaltung der Reichswochenhilfe, sowie
die wirksamen staatlichen Maßnahmen auf dem Gebiete der Steuerpolitik
und der Wohnungspolitik. Die Steuererleichterungen müssen
viel erheblichere sein auch für Steuerzahler mit größerem Einkommen,
um auch die mittleren und höheren Beamten zu schützen, wenn sie gewillt
sind, unter eigenen Entsagungen und Opfern mehr Kinder für dem Staat zu
erziehen. (Sehr richtig!) Der Wohnungsgeldzuschuß muß für Beamte
mit Familie weit höher sein als für unverheiratete Beamte.
Nachdem Redner dann erklärt hat, daß seine Partei mit dem Antrag
Abgeordnetenhauses aber den Mediaineletat.
180
der Haushaltskommission einverstanden sei, desgleichen mit der Ueberweisang
der anderen Anträge an die betreffenden Kommissionen, schließt er mit dem
Wunsche, daß es gelingen möge, und zwar nach der Richtung, daß die Ehe
dazu da sei, unter eigener Entsagung eine künftige Generation heranzuziehen,
und daß die Frau selbst es als ihre vornehmste Aufgabe und
als ihre höchste Ehre betrachtet, wenn sie zahlreiche Kinder
um sich versammeln und erziehen kann. Eine große und wichtige Auf¬
gabe ist dabei die Erhaltung des Kinderschatzes, die sieh nicht nur
auf die Erhaltung der Säuglinge, sondern auch auf die körperliche
Entwicklung der älteren Kinder zu erstrecken hat.
Ministerialdirektor Prof. Dr. Kirchner: M. H., es ist von verschiedenen
Seiten des Hauses ein Wort der Anerkennung für die Medizinalverwaltung ge¬
fallen. Der Herr Minister hat schon die Güte gehabt, dafür zu danken. Ich
halte es aber für meine Pflicht, darauf hinzuweisen, daß nicht nur an der
Spitze der Medizinalverwaltung, sondern von allen ihren Gliedern bis in das
entfernteste Dorf mit Eifer alles getan worden ist, was erforderlich war, um
die Gesundheit zu schützen und Krankheiten vorzubengen. Ich möchte darauf
hin weisen, daß von den Kreisärzten über 200 ins Feld gezogen sind, deren
Dienst die Zurückgebliebenen mit versehen müssen, und daß sich gegenwärtig
von praktischen Aerzten über 14600 bei der Armee befinden. Das ist ein Be¬
weis dafür, wieviele von ihnen, ohne dienstpflichtig zu sein, sich in den Dienst
des Vaterlandes gestellt haben. Die Folge davon ist aber leider die gewesen,
worauf schon hingewiesen worden ist, daß die Versorgung der Bevölkerung
mit Aerzten vielfach auf Schwierigkeiten gestoßen ist. Gleich nach Ausbruch
des Krieges hat der Herr Minister im Verein mit dem Herrn Reichskanzler in
Voraussicht dieser Verhältnisse dafür gesorgt, daß durch Abkürzung und Ver¬
einfachung der ärztlichen Prüfung und Erlaß des praktischen Jahres eine große
Zahl von jungen Medizinern, die dicht vor der Vollendung ihrer Studien standen,
ihre ärztliche Approbation bekommen haben, so daß auf diese Weise die Zahl
der Aerzte im Lande vermehrt worden ist. Diese Erleichterungen haben je¬
doch mit dem 31. März 1914 aufgebört. Jedoch besteht noch eine gewisse
Erleichterung darin, daß der Kriegsdienst auf das praktische Jahr ange¬
rechnet wird.
Eine Reihe von Klagen aus ärztlichen Kreisen, welche hier Widerhall
gefunden haben, veranlassen mich, darauf hinzuweisen, daß es für den Herrn
minister und die Medizinalverwaltung überaus schwierig ist, sich in die Ver¬
hältnisse der Militärärzte einzumischen, da für sie das Kriegsministerium zu¬
ständig ist. Unter den jungen Medizinern, die ins Feld hinausgezogen sind,
war eine ganze Menge von solchen, die dicht vor der Vollendung ihres Stu¬
diums standen und die nun ihrer Dienstpflicht obliegen müssen, ohne in der¬
selben Zeit wie ihre nicht dienstpflichtigen Kameraden die ärztliche Approbation
bekommen zu können. Es geschieht alles, um die darin zweifellos liegende
Härte soweit wie möglich zu mildern; das ist in der Beziehung geschehen,
indem den jungen Leuten, die bei dem Eintritt in das Heer noch nicht gedient
haben, ein Semester ihrer Kriegsdienstzeit auf das Studium angerechnet wird,
und daß ihnen eine weitere Kriegszeit auf das praktische Jahr angerechnet
wird, wenn sie während des Feldzuges erfolgreich an der Krankenpflege teil¬
genommen haben. Der Wunsch, der hier geäußert worden ist, daß im Felde
stehende Unterärzte, ohne die ärztliche Prüfung abgelegt zu haben, zu Sani¬
tätsoffizieren befördert werden sollten, ist nicht erfüllbar; das würde zu be¬
denklichen Berufungen bei den übrigen Berufssiänden Veranlassung geben.
Es ist seitens des H. Abg. Mugdan der Wunsch geäußert worden, es
möchte eine Mitteilung erfolgen über die Gründe, die dahin geführt haben, daß
wir in diesem Kriege in einer Weise wie noch niemals vorher von Seuchen
verschont geblieben sind. Ich will mit einigen Worten darauf eingehen, und
da ist es mir ein Bedürfnis zu betonen, daß wir heute mit einem tiefen Gefühl
des Dankes und des berechtigten Stolzes auf eine fünfzehnjährige Arbeit zurück¬
schauen, welche die Medizinalverwaltung auf diesem Gebiete hat leisten dürfen.
Wir freuen uns über diese Gelegenheit, unseren Dank gegenüber der Finanz¬
verwaltung und gegenüber diesem Hohen Hause Ausdruck verleihen zu können,
welche die vielen Wünsche, die wir in der Zeit haben äußern müssen, in einer
Weise erfüllt haben, die uns und auch die Militärmedizinalverwaltung in den
140
Die diesjährigen Verhandlungen des preußischen
Stand gesetzt hat, das zu erreichen, was geschehen ist Ich erinnere daran,
daß wir in dieser Zeit das Reichsseuchengesetz vom 80. Juni 1900 und das
preußische Seuchengesetz vom 28. August 1906 verabschiedet haben. Ich er*
innere weiter daran, daß die Finanzverwaltung und das Hohe Haus uns die
Mittel gegeben haben, um ein ganzes Netz von großartigen Instituten ins
Leben zu rufen, welche uns kein Volk nachmachen kann, ln diesen Tagen
wird das Institut fttr Infektionskrankheiten, welches die Arbeitsstätte von
Robert Koch gewesen ist, sein 25jähriges Bestehen feiern. Es war lange
Zeit das einzige Institut derart, welches in Preußen bestand; aber seit An¬
fang des Jahrhunderts haben wir eine stattliche Reihe ähnlicher Institute eins
nach dem andern eröffnen können. Ich erinnere an die Hygienischen Institute
der Universitäten, welche durchaus neu gebaut und vorzüglich ausgestaltet
worden sind, an die Hygienischen Institute in Posen, Beuthen (Oberschlesien),
Gelsenkirchen und Saarbrücken. Ich erinnere weiter an die Medizinalunter¬
suchungsämter und Medizinaluntersuchungstellen, von welchen wir im ganzen
13 in verschiedenen Teilen des Landes naben. Mit Hilfe dieser Institute ist
es möglich geworden, alle Fälle von übertragbaren Krankheiten in jedem
Teile des Landes in kürzester Frist festzustellen. Wir sind in der Lage ge¬
wesen, sämtliche Apotheken des Landes mit Entnahmegefäßen auszustatten,
mit deren Hilfe jeder Arzt im Lande in der Lage ist, das Material von über¬
tragbaren Krankheiten einer Untersuchnngsanstalt zu senden und dort sicher
untersuchen zu lassen. Auf diese Weise sind wir dahin gekommen, über jeden
Fall einer übertragbaren Krankheit, vor allen Dingen über Fälle einer gemein-
f efährlichen Krankheit, wie Aussatz, Cholera, Fleckfieber, binnen kürzester
rist zuverlässige Auskunft zu erteilen. Wir werden davon telegraphisch be¬
nachrichtigt und können unverzüglich die notwendigen Maßregeln ergreifen.
Ich möchte weiter daran erinnern, daß es durch diese Institute möglich
geworden ist, einen großen Stab von Aerzten, namentlich von beamteten Aerzten
in der Stellung der bakteriologischen Diagnose zu unterrichten. Die Mehrzahl
dieser Aerzte ist bei Ausbruch des Krieges in den Dienst des Heeres einge¬
treten. Die Armee ist infolgedessen in der Lage gewesen, ihre Korps- und
Armeekommandos mit Personal zur Feststellung der ersten Fälle und erst¬
klassigen Hygienikern auszurüsten. So ist es möglich, daß auch auf den ent¬
ferntesten Kriegsschauplätzen jeder Fall von Cholera, Fleckfieber, Pocken usw.
festgestellt und unschädlich gemacht werden konnte.
Ein weiteres Geheimnis des Erfolges, welcher erreicht worden ist, ist
das innige Zusammenarbeiten zwischen der Militär- und der Zivilmedizinal¬
verwaltung, das schon im Frieden seit einer ganzen Reihe von Jahren bestan¬
den hat, und das während des Krieges in einer ersprießlichen Weise durch¬
gehalten hat. Wir werden fortwährend von der Armee mit Nachrichten über
sämtliche Erkrankungen und Todesfälle von gemeingefährlichen Krankheiten
unterrichtet und sind unsererseits gehalten, die Armee von den Fällen, die in
der Zivilbevölkerung Vorkommen, zu unterrichten. Durch dieses Handinhand¬
arbeiten ist es unmöglich, daß sich an irgend einem Punkte eine schwere
Seuche festsetzt. Ich darf daran erinnern, daß bei Ausbruch des Krieges zwei
schwere Seuchen im Osten vorhanden waren, die Cholera und das Flockfieber.
Die Cholera hat bekanntlich in früheren Kriegen kolossale Verheerungen ange¬
richtet; im Jahre 1866 ist das auch in unserer Armee der Fall gewesen. In
diesem Kriege haben wir in der ganzen Armee nicht mehr als 800 Todesfälle
an Cholera gehabt, und aus der Armee hat ein so verschwindend geringer Ab¬
fluß von Cholera in die Zivilbevölkerung stattgefunden, daß wir im ganzen
S reußischen Staat nicht mehr als 41 Choleraerkrankungen gehabt haben. Jeder
ieser Fälle konnte durch sofortige Anordnung der erforderlichen Maßnahmen
unschädlich gemacht werden.
Was das Fleckfieber betrifft — der Abgeordnete Dr. Mugdan hatte
schon die Güte auszuführen, welch kolossale Verheerungen es in früheren Krie-
f en angerichtet hat; ich erinnere z. B. an den Krimkrieg von 1868/65 —, so
at dieser Krieg in der Bekämpfung dieser Krankheit einen außerordentlichen
Fortschritt gezeitigt. Das Fleckfieber gehört noch zu denjenigen Krankheiten,
deren Erreger wir nicht kennen. Wir wußten zwar, daß es übertragbar ist,
aber nicht, in welcher Weise die l’ebertragung zustande kommt. Jetzt sind
wir dem Erreger der Krankheit auf die Spur gekommen, und vor allem haben
Abgeordnetenhauses über den Medizinaletat.
141
wir mit Sicherheit feststellen können, daß die Uebertragnng nur von Person
zu Person durch Ungeziefer, und zwar durch Kleiderläuse stattfindet. Schon
früher war es aufgefallen, daß in Gegenden, wo eine große Reinlichkeit
herrschte, eingeschleppte Fälle von Fleckfieber überhaupt nicht Fuß fassen
konnten. Die neuere Erkenntnis hat dazu geführt, daß überall dort, wo das
Fleckfieber in größerer Ausdehnung eingeschleppt worden war, namentlich in
den Gefangenenlagern, Einrichtungen getroffen worden sind, um die ganze Be¬
legung eines solchen Lagers in wenigen Tagen von den Läusen befreien zu
können. Seitdem das energisch durebgeführt worden ist, ist das Fleckfieber
vollkommen erloschen. Unsere Ostgrenze ist seitens der Armee mit einer Kette
großartiger Sanierungsanstalten besetzt worden, in denen die Entlausung ganzer
Armeekorps in kürzester Frist durchgeführt werden kann.
Ich möchte noch auf einen weiteren großen Fortschritt hinweisen, welcher
in der letzten Zeit gemacht worden ist. Sie haben wohl gehört, daß schon
vor einer Reihe von Jahren der Versuch gemacht worden ist, Schutzimpfungen
einzuführen, gegenüber den für die Heere besonders gefährlichen Krankheiten
Cholera und Typhus. Daß es gelungen ist, der Pocken Herr zu werden durch
die Durchführung der Schutzpockenimpfung, ist ja seit langem bekannt. Es
ist aber zuerst im Feldzuge in Deutsch-Süd west-Afrika der Versuch gemacht
worden, unsere Truppen durch systematische Durchführung von Schutzimpfungen
vor Typhus zu bewahren. Damals war der Erfolg noch nicht so glänzend. In
diesem Kriege aber haben wir sofort nach Ausbruch des Krieges sämtliche
bakteriologische Institute zur Verfügung gestellt, um in ihnen die enormen
Mengen von Schutzstoffen herzustellen, die erforderlich waren, um unsere
Millionenheere gegen Typhus und Cholera zu impfen. Was das bedeutet,
mögen Sie daraus entnehmen, daß die Armee zu diesem Zwecke während des
letzten Feldzuges mehr als 26 Kubikmeter Typhusimpfstoff und 29 Kubikmeter
Choleraimpfstoff zur Verwendung gebracht hat. Sämtliche Mannschaften sind
dreimal gegen Typhus und zweimal gegen Cholera geimpft worden. Die Folge
davon ist gewesen, daß die Cholera, wie ich schon sagte, im Heere so gut wie
§ ar nicht hat haften können, und daß die Typhuserkrankungen, welche im
[erbst 1914 namentlich im Westen in unserer Armee in ziemlicher Ausdehnung
aufgetreten waren, sehr bald wie abgeschnitten waren. Gegenwärtig spielt der
Typhus im Heere gar keine Rolle mehr. Das wird uns dahin führen müssen,
zur Verhütung von Epidemien'im Lande künftig, soweit erforderlich, auch die
Zivilbevölkerung derartigen Impfungen zuzuführen; namentlich kommt in Be¬
tracht — worauf von uns schon amtlich hingewiesen worden ist —, das Aerzte-
und Pflegepersonal in Krankenhäusern gegen diese Krankheiten zu immunisieren.
Sehon bei Ausbruch des Krieges hat der Herr Chef des Feldsanitätswesens
angeordnet, daß sämtliche Aerzte und Krankenpflegerinnen, welche auf den
Kriegsschauplatz gehen, gegen Cholera, Pocken und Typhus geimpft worden
sind, und das ist mit ausgezeichnetem Erfolge geschehen.
Uebrigens haben unsere Institute der Armee auch den erforderlichen
Impfstoff zur Durchführung der Schutzpockenimpfung liefern können, nachdem
sie in den letzten 10 Jahren vor Ausbruch des Krieges dazu eingerichtet
worden waren.
Wenn wir auf diese schönen Erfolge zurückblicken, dürfen wir überzeugt
sein, daß wir, wie lange der Krieg auch dauern möge, auch in Zukunft vor
Seuchen bewahrt bleiben werden, wenn in derselben Weise wie bisher Zivil-
und Militärverwaltung Hand in Hand weiter arbeiten und die notwendigen
Maßregeln durchführen.
* Es ist eine weitere Reihe von Fragen an uns gerichtet worden, auf die
ich mit wenigen Worten eingehen möchte. Es ist seitens der Herrn Abgeord¬
neten Faßbender hervorgehoben worden, daß die Tuberkulose noch immer
eine große Ausdehnung im Lande hat. Das ist leider der Eall. Obwohl die
Tuberkulose in den letzten 30 Jahren wesentlich zurückgegangen ist, sterben
in Preußen noch immer jährlich etwa 51000 Menschen an Tuberkulose. Wenn
wir uns vorstellen, daß wir gegenwärtig in der Zeit eines so schweren Ge¬
burtenrückganges sind, wenn wir uns weiter vorstellen, welche Schädigungen
an Gesundheit, Arbeitskraft und Lebensglück die so eminent chronisch ver¬
laufende Tuberkulose nicht nur für die Kranken, sondern für ihre ganze Familie
mit sich führt, so liegt es auf der Hand, daß es die Pflicht der Medizinal-
142 Die diesjährigen Verhandlungen des preußischen
Verwaltung and aller derjenigen ist, die für die Oesandheit des Volkes
verantwortlich sind, schon jetzt, besonders aber nach dem Kriege mit noch
größerer Energie als bisher gegen die Tnberknlose vorzngehen. Es ist darauf
hingewiesen worden, daß die Taberknlose eine Wohnangskrankheit ist. Sie ist
vor allem eine Familienkrankheit. Es kommt darauf an, so bald wie möglich
diejenigen, die man als tuberkulös erkannt hat, aus dem Schoße der Familie
herauszuschaffen und in Verhältnisse zn bringen, in denen sie ihre Gesundheit
wiedererlangen können. Es kommt aber fast mehr noch darauf an, ihre Um¬
gebung vor Erkrankung zu bewahren. Ich darf darauf hinweisen, daß sofort
nach Ausbruch des Krieges Ihre Majestät die Kaiserin und Königin
auf unsere Bitte die Gnade gehabt hat, das Deutsche Komitee zur Bekämpfung
der Tnberknlose aufzurufen, den Kampf gegen die Tuberkulose während des
Krieges nicht zu unterbrechen. Alle Beteiligten haben sich angelegen sein
lassen, dieser Allerhöchsten Willensmeinung nachdrücklich Folge zu geben.
Ich darf hinzufügen, daß mit auf unsere Veranlassung hin die im Lande vor¬
handenen Lungenheilstätten, Auskunfts- und Fürsorgestellen ihre Einrichtungen
in vollem Betriebe aufrechterhalten nnd ihre segensreiche Tätigkeit fortgesetzt
haben trotz aller Unruhe des Krieges. (Bravo!) Ich darf besonders hervor¬
heben, daß das Rote Kreuz, das ja so vieles Gute gestiftet hat, auch hierfür
namhafte. Mittel zur Verfügung gestellt hat.
Denselben Aufruf hat Ihre Majestät die Kaiserin und Königin
auch ergehen lassen bezüglich der Säuglingssterblichkeit. Die Bekämpfung der
Säuglingssterblichkeit wird für uns künftig noch eine viel grössere Bedeutung
bekommen, als sie bisher schon gehabt hat. Wenn früher von je vier Kindern,
die geboren wurden, eins im ersten Lebensjahre starb, so ist das erfreulicher¬
weise nicht mehr der Fall. Die Säuglingssterblichkeit ist in Preußen jetzt
weit geringer, als sie noch vor 14 Jahren gewesen ist. Immerhin ist sie auch
jetzt noch viel zu hoch, namentlich auf dem Lande und unter den unehelichen
Kindern. Auf diesem Gebiete muß noch viel mehr geschehen. Aber die Er¬
folge, die schon erzielt worden sind, geben eine gute Verheißung für die Zu¬
kunft, wenn wir nur mit Umsicht und Energie zugreifen. Ich möchte hier
noch auf eins hinweisen, was die Bedeutung gerade dieser Frage besonders zu
unterstreichen geeignet ist:
M. H., unter den Kindern, die im ersten Lebensjahre, meist schon
wenige Wochen nach ihrer Geburt, sterben, befinden sich in Preußen nicht
weniger als 40000, die an sogenannter angeborener Lebensschwäche zu-
S runde gehen. (Abg. Adolph Hoffmann: Hört, hört!) M. H., für jeden
enner der Verhältnisse ist es zweifellos, daß die Mehrzahl dieser Kinder an
angeborener Syphilis zugrunde geht. Deshalb ist es die Pflicht der Medizinal¬
verwaltung — und wir sind uns dieser Pflicht vollanf bewußt — gegenwärtig
in einen verzweifelten Kampf gegen die übertragbaren Geschlechtskrank¬
heiten einzutreten. (Bravo !) Die übertragbaren Geschlechtskrankheiten sind
einer der drei apokalyptischen Reiter, die Tod und Verzweiflung um sich
verbreitend durch die Welt ziehen. Vielfach werden die übertragbaren Ge¬
schlechtskrankheiten in gewissen Kreisen spöttisch behandelt, als wäre das
nichts. Allein nichts ist verderblicher für das Volksleben und Volksglück, als
die übertragbaren Geschlechtskrankheiten. Das gilt namentlich von der Syphilis,
weil die meisten Menschen, die von dieser Krankheit befallen werden, sich
ihrer Schwere gar nicht bewußt werden, und weil die davon Betroffenen sie
häufig als eine quantitö negligeable betrachten, nicht rechtzeitig das Erforder¬
liche dagegen tun. Sie ist aber das Furchtbarste, was man sich für einen
Menschen vorstellen kann, weil sie nicht nnr ihn selbst, sondern seine ganze
Familie gefährdet, und es ist im Interesse des ganzen Volkes notwendig, alles
zu ton, was möglich ist, um diese furchtbare Krankheit zu bekämpfen. Es
ist mit Dank anzuerkennen, daß nach der Okkupation von Belgien der Herr
Generalgouverneur diejenigen Herren, die sich mit diesen Dingen amtlich zu
beschäftigen haben, die Herren Präsidenten des Kaiserlichen Gesundheitsamts,
des Reichsversicherungsamts, der Versicherungsanstalt für Angestellte und auch
mich nach Belgien gebeten hat, um diese Frage eingehend zu erörtern. Wir
haben schon seit Jahren in Preußen die Hände nicht in den Schoß gelegt.
Schon durch Erlaß vom 11. Dezember 1907 ist die Bekämpfung der Prostitution
neu geregelt worden. Aber der Herr Minister bat uns beauftragt, die Sache
Abgeordnetenhauses über den Medlzinaletat. 143
jetzt mit erneuter Energie in Angriff zu nehmen, den Quellen der über¬
tragbaren Geschlechtskrankheiten nachzugehen und sie womöglich zu ver-
stopfen. Die Hauptquelle der übertragbaren Geschlechtskrankheiten ist die
Prostitution, namentlich diejenige, die im geheimen schleicht, ln allen größeren
Städten gibt es leider viele, viele Tansende von Mädchen, die sich der Prosti¬
tution ergeben. Sie in Verhältnisse zu bringen, daß sie gesund werden und
weder moralisch noch wirtschaftlich zugrunde gehen, vor allem aber sie in
Verhältnisse bringen, die sie davor bewahren, andere Leute anzustecken, ist
unsere Aufgabe. Wie das zu geschehen hat, darüber finden gegenwärtig ein¬
gehende Verhandlungen statt.
H. Abg. Faßbender hat hervorgehoben, daß von den Landesversiche¬
rungsanstalten Beratungsstellen eingerichtet werden, um die aus dem Felde
Heimkehrenden über übertragbare Geschlechtskrankheiten zu belehren. Dieser
Weg ist außerordentlich glücklich. Auch die Medizinalverwaltung wird sich
mit den großen Kommunen in Verbindung setzen und sehen, daß sie womöglich
an allen Orten, wo eine Prostitution besteht, derartige Einrichtungen schaffen.
Auch werden wir versuchen, die ganze Ueberwachung der Prostitution vom
polizeilichen auf den ärztlichen Boden hinüberzuleiten.
Es gibt viele sozialmedizinische Aufgaben, deren Lösung vielleicht neue
Wege erfordert. Wir werden vielleicht den Weg gehen können, für den bereits
Anfänge vorliegen. Wir haben in diesem gewaltigen Kriege nicht nur so viele
Männer freudig hinausgehen und für das Vaterland kämpfen sehen, wir haben auch
gesehen, daß unsere weibliche Jugend mit Hingebung und Freude hinaus¬
gegangen ist, um sich in den Dienst der Verwundeten und Kranken zu stellen.
Wenn der Friede kommt, sind viele von ihnen nicht mehr in der Lage, in dieser
schönen Weise helfen zu können. Es wird möglich sein, dafür zu sorgen, daß
dann für diese jungen Damen andere schöne und große Aufgaben erwachsen. Sie
können in den Dienst der sozialen Medizin eintreten. Es ist ihnen vielleicht
bekannt, daß die Stadt Cöln eine Schule errichtet hat, in der junge Mädchen
einen längeren Kursus durchmachen in der Säuglingspflege, der Tuberkulose¬
behandlung und der gesamten sozialen Fürsorge. Wir werden sehen müssen,
daß auch in anderen Orten ähnliche Einrichtungen getroffen werden, um so
die Kraft und Hingebung unserer Jugend für Aufgaben der Allgemeinheit
nntzbar zu machen. Denn es ist zweifellos, daß auf diesem Gebiete noch viel
mehr geschehen kann als bisher. Jede Stadt, jede Landgemeinde muß auf
diesem Gebiete tatkräftig Vorgehen, wenn unsere Volkskraft erhalten werden soll.
Ob wir nicht bald dahin kommen müssen, das Seuchengesetz einer Ee-
Vision zu unterziehen, will ich nur kurz streifen. H. Abg. Faßbender hat
angeregt, die Anzeigepflicht für die Tuberkulose einzuführen. Diejenigen
von Ihnen, die die Beratung des preußischen Seuchengesetzes mitgemacht haben,
werden sich entsinnen, daß damals in dem Gesetzentwurf die Anzeigepflicht
für Tuberkulose gestanden hat; damals hat sich der Landtag nicht auf diesen
Boden stellen können. Vielleicht geschieht es in der Folgezeit, es wäre in der
Tat dringend zu wünschen. Die Gefahr der Tuberkulose ist ja zu groß, als
daß wir ihr weiter mit verschränkten Armen gegenüberstehen dürfen. Dagegen
glaube ich mit H. Abg. Faßbender es ablehnen zu müssen, eine Anzeige¬
pflicht für übertragbare Geschlechtskrankheiten einzuführen; denn das würde
zur Verheimlichung und damit zur Vermehrung dieser Krankheiten führen;
auch würde dann Denunziationen und Erpressungen aller Art Tür und Tor
geöffnet werden. Das müssen wir meines Erachtens verhindern.
Was den Antrag 89 anbetrifft, der sich auf das Verbot der Empfängnis
rer hütenden Mittel bezieht, so glaube ich, daß man diesen Weg wird be-
schreiten müssen, vorausgesetzt — und darauf muß Wert gelegt werden —,
daß dabei nicht diejenigen Mittel getoffen werden, die die Verbreitung der
übertragbaren Geschlechtskrankheiten verhindern sollen. In dieser Beziehung
wird der Antrag in der Kommission, der er ja überwiesen werden muß, ein¬
gehend beraten werden müssen.
Damit möchte ich schließen. Wie H. Abg. Dr. Mugdan ausgeführt
hat: Es unterliegt gar keinem Zweifel, daß schon jetzt, jedenfalls aber nach
dem Frieden, für die Medizinalverwaltung eine große Anzahl von großen Auf¬
gaben erwachsen wird, die dazu beitragen sollen, die Gesundheit unseres
Volkes zu erhalten und zu fördern. In dieser Beziehung wird vieles zn tun
144
Die diesjährigen Verhandlungen des preußischen
sein. Sie dürfen überzeugt sein, daß wir es nicht an uns fehlen lassen werden.
Nur an eins will ich noch erinnern: Wir werden in allernächster Zeit eine
Frage prüfen, deren Lösung unsere Jugend besonders stärken und fördern soll,
nämlich die Frage, ob und inwieweit es möglich sein wird, in allen Schulen
' eine schulärztliche Ueberwachung durchzuführen. Hierüber sind schon Ver¬
handlungen mit den beteiligten Ressorts eingeleitet. Aber auch darüber hinaus
muß alles geschehen, um für unsere Jugend, unser kostbarstes Besitztum, zu
sorgen. (Lebhafter Beifall.)
Abg. Hirsch-Berlin (Soz.): Bei der Förderung aller Maßnahmen zur
Hebung der Volksgesnndheit handelt es sich nach der Ueberzeugung meiner
politischen Freunde um eine Angelegenheit, an der alle Kreise des Volkes in
gleicher Weise interessiert sind, nm eine Frage, an deren Lösung mitzuwirken
eine wirklich vaterländische Pflicht im ureigensten Sinne des Wortes ist. Wir
sind mit dem H. Minister der Ansicht, daß diese Frage gerade jetzt besonders
dringlich ist, gerade jetzt, wo tausende und abertausende der kräftigsten
Elemente in der Blüte der Jahre dahingerafft werden, wo andere tausende
zurückkehren■'>on schwerem Siechtum befallen. Gerade jetzt müssen wir uns
mit doppeltem Ernst und mit doppeltem Eifer der Lösung einer so ernsten
Aufgabe widmen. (Sehr wahrl)
Wenn wir Erfolge erringen wollen, dann ist es notwendig, den Kampf
gegen die Volksseuchen planmäßig zu führen, sowohl den Kampf gegen die
Säuglingssterblichkeit, als auch den gegen die Tuberkulose, gegen die
Geschlechtskrankheiten und gegen den Alkoholismus.
Ganz besonders ernst ist die Frage des Geburtenrückganges, bei dessen
Ursachen man die sozialen Momente nicht unterschätzen darf. Die Ursachen
des Geburtenrückganges wurzeln tief in unseren wirtschaftlichen und sozialen
Verhältnissen. Zweifellos ist das Einkommen der Masse der Bevölkerung seit
30 Jahren gestiegen, anderseits sind aber auch die Kosten der Lebenshaltung
gewachsen. Dazu kommt nicht nur bei den Arbeitern, sondern auch bei den
gering besoldeten Beamten noch ein anderes Moment. Die Leute sagen sich
nicht mit Unrecht: wir sind wohl in der Lage, zwei oder drei Kinder anständig
zu ernähren und sie so aufzuziehen, daß es ihnen einmal leichter möglich ist,
durchs Leben zu kommen, als uns, aber wir sind nicht in der Lage, sechs oder
noch mehr Kinder aufzuziehen, da sie dann sicher ins Proletariat hinabsinken.
(Sehr wahrt bei den Sozialdemokraten.) Um den Kindern also den Kampf ums
Dasein zu erleichtern, wird die Kindererzeugung künstlich eingeschränkt Für
die Einschränkung der Kindererzeugung in gewissen besitzenden Kreisen bilden
dagegen Bequemlichkeit, Eitelkeit der Frau tatsächlich die Hanptursache
dieser betrüblichen Erscheinung. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Da¬
gegen werden wir schwerlich etwas ausrichten können. Bei den Arbeiterfrauen
spielt auch die Notwendigkeit, zu arbeiten und mitzuverdienen eine Haupt¬
rolle. Hiergegen gibt es ein sehr einfaches Mittel zur Abhilfe: man sorge
dafür, daß der Verdienst der Männer sich hebt. (Sehr wahr! bei den Sozial¬
demokraten.) Durch den Antrag der Haushaltskommission wird eine
Besserung auf diesem Gebiete nicht erzielt werden; deshalb werde die Partei
des Redners ebenso dagegen stimmen, wie gegen den Antrag der fortschritt¬
lichen Volkspartei. Nach dem Kriege wird man voraussichtlich sowohl mit
einer Zunahme der Frauenarbeit als mit einer Steigerung der
Lebensmittelpreise und der Wohnungsnot, namentlich in den Gro߬
städten, zu rechnen haben; deshalb muß mehr Sozialpolitik getrieben
werden, und zwar nicht erst nach dem Kriege, sondern schon jetzt während
des Krieges. Hierher gehört auch die Frage der Gewährung des Koalitions¬
rechts an das Krankenpflegepersonal, die auch die Partei des Redners
fordere. Desgleichen sei sie mit dem Antrag der Kommission betreffs Unter¬
stützung des Bezlrkshebammenwesens ebenso einverstanden, wie mit der
Forderung einer reichsgesetzlichen Regelung des Haltekinderwesens, dessen
Ueberwachung aber nicht Polizeibeamten, sondern erfahrenen Frauen übertragen
werden müsse.
Auch betreffs der Wohnungsfrage sei eine reichsgesetzliche Regelung
vorznziehen, bei der namentlich die Wohnungsinspektion anders und
besser geregelt werde, als in dem preußischen Entwurf. Gegen den Antrag,
daß Gemeinden, die Säuglings ffirsoiige« teilen errichtet haben, nach Maßgabe
Abgeordnetenhauses über den Medizinaletat.
145
ihrer Leiasangen hierzu eine Beihilfe zu gewähren, wird wohl von keiner Seite
Bedenken erhoben werden. Die Kostenfrage kann hier auch nicht ins Gewicht
fallen, zumal sich die Säuglingsfürsorgestellen, die bereits in einer großen
Beihe von Gemeinden seit Jahren bestehen, durchweg bewährt haben. Auch
gegen die Forderung, daß die jetzt durch die Reichswochenhilfe gewährten
Leistungen Regelleistungen der Krankenversicherung werden, kann jemand, der
ernsthalt Sozialpolitik treiben will, um so weniger Einwendungen erheben, als
sich tatsächlich die Reichswochenhilfe gut bewährt hat und sehr wesentlich
dazu beigetragen hat, die Stillfähigkeit der Frauen zu fördern. Man sollte
aber nicht die ganze Last der dadurch entstehenden Kosten den Krankenkassen
auflegen, sonden von seiten des Reiches eine Beihilfe gewähren.
Durch den Krieg scheint leider eine Zunahme der Säuglingssterblich*
heit eingetreten zu sein (nach Ansicht des H. Dr. Bott in Preußen im dritten
Quartal 1914, also im ersten Kriegsvierteljahr, gegenüber dem Vorjahre von
170,58 auf 242,52 °/oo, also um 71,96, und zwar in den Städten um 78,31 °/oo,
auf dem platten Lande um 67,32°/oo) (Hört, hört! bei den Sozialdemokraten);
es ist deshalb dringend nötig, die wirtschaftliche Lage der Frauen zu bessern,
um sie in den Stand zu setzen, selbst ihre Kinder zu stillen. Dazu bedarf es
aber eines größeren Schutzes sowohl der Schwangeren als der
Wöchnerinnen und Stillenden. Auch hierzu muß der Staat den
Gemeinden Beihilfen gewähren. Man darf sich ferner nicht mit der Fürsorge
für die Säuglinge begnügen, sondern muß auch für die Kinder, die im vorschul*
pflichtigen Alter stehen, sorgen. Für die Kinder im schulpflichtigen Alter
haben wir in einem großen Teile Preußens erfreulicherweise Schulärzte. Es
würde einen sehr erheblichen Fortschritt bedeuten, wenn das überall geschehe
und den Schulärzten auch die Befugnisse eingeräumt würden, da, wo die Eltern
keinen Arzt nehmen können, die Kinder zu behandeln. (Sehr richtig! bei den
Sozialdemokraten.) Leider hat der Krieg vielfach eine Schwächung des
Gesundheitszustandes der Schulkinder herbeigeführt; sie sind sowohl im
Wachstum, als auch in der Gewichtszunahme zurückgeblieben. Wir werden
abzuwarten haben, ob weitere Schädigungen zu verzeichnen sind; jedenfalls
sollte man den Kindern nicht eines falschen Patriotismus, der Brotersparnis
wegen das zweite Frühstück enthalten.
In Uebereinstimmung mit der Regierung und allen anderen Parteien
fordert Redner weiter, daß der Kampf gegen die Tuberkulose nach dem
Kriege mit frischen Kräften aufgenommen werden muß und selbstverständlich
auch während des Krieges nicht eingestellt werden darf.
Das Gleiche gilt für den Kampf gegen die Geschlechtskrankheiten,
bei denen die Gefahr einer erheblichen Zunahme zu erwarten steht. Die von
den Landesversicherungsanstalten beabsichtigte Errichtung von Beratnngs-
stellen für Geschlechtskranke wird sicherlich viel Gutes schaffen
können; es bedarf jedoch, damit diese Beratungsstellen von den Kranken auf*
gesucht werden, noch einer großen Aufklärung über die Bedeutung der
Geschlechtskrankheiten und eines zielbewußten Handinhandarbeitens mit allen
den Organisationen, die den Kampf gegen die Geschlechtskrankheiten auf ihre
Fahne geschrieben haben.
Eine wirksame Bekämpfung des Alkoholismus ist nur von einer Hebung
der sozialen Lage des Volkes zu erwarten. Die Erfahrung lehrt, daß da, wo
die Arbeitszeit verkürzt ist, und da, wo für gute Wohnungen gesorgt ist, der
Konsum alkoholischer Getränke ganz gewaltig abgenommen hat. Auch sollten
die höheren Schichten den unteren mit einem guten Beispiel vorangehen. (Sehr
wahr! bei den Sozialdemokraten.) Die erzieherische Arbeit der Arbeiter¬
organisationen hat hier schon große Erfolge erzielt und wird auch in Zukunft
ihre Tätigkeit auf diesem Gebiete weiter entfalten. Genau so, wie die
Arbeiterorganisationen während des Krieges tätig gewesen sind, um das wirt¬
schaftliche Leben aufrecht zu erhalten, genau so, wie sie nach dem Kriege
bereit sein werden, an der Beseitigung der wirtschaftlichen Schäden mitzu¬
arbeiten, genau so werden sie bereit sein, an der Gesundung des Volkes mit¬
zuarbeiten. Sie werden das ihrige dazu beitragen, daß die kommende
Generation, hoffentlich ungestört von äußeren elementaren Ereignissen, sich
friedlicher Kulturarbeit widmen kann, zum Segen des eigenen Volkes und der
gesamten Menschheit. (Beifall bei den Sozialdemokraten.)
146
Die diesjährigen Verhandlungen des preußischen
Abg. Dr. Wagner-Breslau (freikons.) erklärt zunächst, daß seine Partei
mit den Anträgen betreffs reichsgesetzlicher Regelung des Haltekinderwesens
und des Wohnungswesens einverstanden sei.
Auch der Forderung betreffs Unterstützung leistungsschwacher Ge¬
meinden, um die Säuglingsfürsorge zweckmäßig auf der Hohe ihrer Leistungen
zu erhalten, stimme seine Partei bei, sie sei jedoch der Ansicht, daß dazu aus
dem sogenannten Zweihundert-Millionen-Fonds wohl auch ohne einen Nachtrags¬
etat Mittel flüssig gemacht werden könnten.
Eine besondere Berücksichtigung verdient der Antrag, die Reichs-
woehenhilfe zu einer dauernden Institution zu machen. Durch den Antrag
soll jetzt das erreicht werden, was bei der Verabschiedung der Reichs-Ver-
sicherungsordnung zu erreichen nicht möglich war, nämlich eine bessere Aus¬
gestaltung der Säuglingsfürsorge und ein ausgedehnter Mutterschutz. Zweifellos
soll man alle Bestrebungen, durch Verbesserung der Lage der Mütter dis
Bevölkerungszunahme wieder zu fördern, wirksam unterstützen; es ist des¬
halb nur zu wünschen, daß sich der Reichstag und die Reichsregierung ent¬
schließen, dieser während des Krieges getroffenen Ausdehnung dauernd zuzu¬
stimmen; damit würde ein großer Teil der Bestrebungen zur Herbeiführung
einer reichsgesetzlichen Schaffung der Mutterschaftsversicherung im großen
Umfange gedeckt sein.
Der Geburtenrückgang ist eine höchst bedauerliche Erscheinung. Nach
einer Mitteilung im Reichstage beträgt die durchschnittliche Kinderzahl in den
Familien der Postnnterbeamten nur 1,82, noch viel ungünstiger stellte sich dies
Verhältnis für die Beamten eines großen industriellen Unternehmens, zu denen
nicht nur kaufmännische und technische Beamten, sondern auch Werkmeister,
also sogenannte gehobene Arbeiter gehören. Hier beträgt die Kinderzahl nach
den angestellten Erhebungen nur 1,12, also nicht vielmehr als ein Kind! Und
das sind alles Leute, von denen nicht gesagt werden kann, daß sie mit der
Not des Lebens im vollen Umfange kämpfen. Das sind Zahlen, die beweis¬
kräftig genug sind, um jede Bestrebung zu unterstützen und zu fördern, die
dem drohenden Geburtenrückgang entgegenzuwirken strebt. In dieser Beziehung
verdient der Hirtenb rief der deutschen Bischöfe von 1913, der
sich dieser Frage mit großem Ernst angenommen hat, eine besondere An¬
erkennung, seinem Inhalt können auch Angehörige anderer Konfessionen zu¬
stimmen. (Sehr richtig! rechts.) Ob nach dem Kriege eine erhebliche Zunahme
der Kinderzahl stattflnden wird, wie nach dem Kriege von 1870/71 erscheint sehr
zweifelhaft, jedenfalls wird es nicht ausreichen, um die großen Verluste von
Menschen im Kriege zu decken. Vielleicht werden wir uns auch entschließen
müssen, das Recht der unehelichen Kinder einer Revision zu unterziehen, um
dadurch ihre wesentlich höhere Sterblichkeit zu beseitigen. Jedenfalls könnten
wir nach dem Vorgang Friedrichs des Großen auch für die unehelichen
Kinder etwas mehr tun als bisher geschehen ist.
Nachdem Redner sodann noch die Ausführungen in der Politisch-Anthro¬
pologischen Monatsschrift (Februarheft d. J.) von Frau v. Rosen-Fabri eins
Uber die Ursachen des Geburtenrückganges als zutreffend erwähnt und
einige markante Sätze daraus mitgeteilt hat, erklärte er, daß seine Partei für
den Antrag der fortschrittlichen Volkspartei stimmen werde, da dieser bestimmter
J efaßt sei, als der der Kommission; sie wünsche hier nur einen Zusatz, wonach
as Anbieten usw. der zur Verhütung der Empfängnis bestimmten Gegenstände
nicht bloß zu beschränken, sondern auch zu untersagen ist.
Den Bestrebungen, im Rahmen der Reichsversicherungsordnung die
Verhütung der Geschlechtskrankheiten durch die Schaffung von Be¬
ratungsstellen und vor allem durch die Uebernahme des Heilverfahrens zu
fördern, kann man nur zustimmen. In dieser Hinsicht verdient ein Aufsatz des
Präsidenten des Reichsversicherungsamtes: „Neue Wege zur Bekämpfung der
Geschlechtskrankheiten“ die weiteste Verbreitung, denn er eröffnet uns die
Möglichkeit, sehr wirksam in den weitesten Volkskreisen diesen traurigen Er¬
scheinungen entgegenzuarbeiten, um auch auf diese Weise der Bekämpfung
des Geburtenrückganges zu dienen.
Betreffs der Frage, ob mit dem Geburtenrückgang eine Verschlechte¬
rung der Rasse verbunden sein könnte, dürfte auch jetzt noch die Ansicht
des Anatomen nnd Zoologen Karl Vogt, der in seinen Reisebriefen „Ozean
und Mittelmeer“ 1848 Bd.II 8. 203 geäußert hat, zutreffend sein: „Es aind die
Abgeordnetenhauses über den Medizinaletat.
147
Weiber, welche die Basso erhalten, die in Körper und Geist den Typus des
Volksstammes am längsten bewahren und darum gleichsam den Spiegel der
Zukunft und der Vergangenheit bilden, die einem Volke beschieden sind.
Findest Du einen Volksstamm, der schöne Weiber, aber im Durchschnitt hä߬
liche, schlechtgebildete Männer hat, so kannst Du mit Sicherheit behaupten,
daß derselbe schon längst seinen Kulminationspunkt überschritten hat und
dem Untergange entgegengeht.“ Wir sind ja alle gleichmäßig sachver¬
ständig, diesen Merkmalen des bekannten Anatomen und Zoologen nach¬
zugehen (Heiterkeit) und werden auf Grund ihrer Forschungen sicher zu dem
Schluß kommen, daß wir diesen Kulminationspunkt längst nicht erreicht haben,
und daß die gesetzlichen Maßnahmen, zu denen wir uns in Behandlung dieser
Fragen entschließen wollen, auch von der allerwohltätigsten Wirkung begleitet
sein werden fiir die Vermehrung und Ertüchtigung unseres gesamten deutschen
Volkes! (Lebhafter Beifall.)
Es folgte hierauf die Abstimmung über die vorliegenden Anträge.
Dabei wurde zunächst der Antrag der fortschrittlichen Volkspartei 1 ) und
hierauf die Anträge Nr. 1 und 2 der verstärkten Staatshaushalts-Kommission
(8. S. 116 und 117) angenommen.
Ohne Widerspruch wurde dann der Antrag der Abgg. Aronsohn und
Genossen betreffend das Haltekinderwesen:
„die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, auf eine
reichsgesetzliche Regelung des Haltekinderwesens ein¬
zuwirken, durch welche eine einwandsfreie Pflege der
Haltekinder und eine Beaufsichtigung der Ziehmutter ge¬
währleistet wird,“
sodann der Antrag betreffend die Vorlegung eines Wohnungsgesetzes:
„die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, sofern
nicht alsbald eine reichsgesetzliche Regelung des Woh¬
nungswesens erfolgt, dem Landtage einen Entwurf des
Wohnungsgesetzes zur Beschlußfassung vorzulegen,“
einstimmig angenommen und der Antrag Aronsohn und Genossen betr. die
Sängllngsfürsorge:
„die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, noch in
dieser Session einen Nachtragsetat vorzulegen, in dem eine
ausreichende Summe bereitgestellt wird, aus der Ge¬
meinden, die Säuglingsfürsorgestellen errichtet haben,
nach Maßgabe ihrer Leistungen hierfür und ihrer Lei¬
stungsfähigkeit, eine Beihilfe erhalten,“
ebenso wie der weitere Antrag betr. die Reichswochenhilfe der verstärkten
Staatshaushalts-Kommission überwiesen:
„die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, zur Er¬
zielung eines ständigen Mutter- und Säuglingschutzes
beim Bundesrate zu beantragen, eine Abänderung der
Reichsversicherungsordnung dem Reichstage zur Be¬
schlußfassung vorzulegen, wodurch alle Leistungen der
für die Kriegszeit eingerichteten Reichswochenhilfe
Regelleistungen der Krankenversicherung werden.“
Dagegen wurde der Antrag der Abgg. Faßbender und Gen. der Staats¬
haushalts-Kommission überwiesen.
Schließlich wurde eine Petition der Deutschen Gesellschaft
fürBevölkerungspolitik durch Beschluß des Hauses über die Resolution
der Staatshaushalts-Kommission für erledigt erklärt.
>) Er lautet: „Die Königliche Staatsregierung ist zu ersuchen, beim
Bundesrat dahin zu wirken, daß er dem Reichstage möglichst bald einen Gesetz¬
entwurf vorlegen möge, durch den der Bundesrat ermächtigt wird, das An¬
bieten, Feilhalten und Verkaufen von Gegenständen, die zur Beseitigung der
Schwangerschaft oder zur Verhütung der Empfängnis bestimmt sind, zu be¬
schränken sowie Schriften und Bücher, in denen sich ohne Verfolgung eines
wissenschaftlichen Zweckes Beschreibungen und Besprechungen der antikonzep¬
tionellen und zur Unterbrechung der Schwangerschaft geeigneten Methoden und
Kittel finden, zu verbieten.“
148
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Z eitsch ri ften.
Kleinere Mitteihingen und Referate tue Zeitschriften.
Kyfin« ul flffratllek« Ck«i nihettew—a
Schulhygiene.
Heber den Ernihrnngsznstnnd der Schnlanflnger im Kriegtjjihr 1915.
Von Dr. Gertrud HepDer-Mannheim. Zeitschrift für Schulgesundheitspflege,
der Schularzt; 1915, Nr. 12.
Das Ergebnis der Untersuchungen Ton 500 Kindern, die Ostern 1915
eingeschult wurden, verglichen mit den Untersuchungen Ton 600 Kindern, die
Ostern 1914 eingeschult waren und deren Untersuchungsbefund in den Personal*
bogen festlagen, war ein ziemlich günstiges: Das Durchschnittsgewicht bei
den Mädchen war in beiden Jahren das gleiche, nämlich 19,7 kg, und höher
als im Jahre 1911 (19,3 kg); die durchschnittliche Größe der Mädchen hat
sogar im Kriegsjabr etwas zugenommen, nämlich von 111,6 cm auf 112,12 cm.
Nicht ganz so günstig liegen die Verhältnisse bei den Knaben; das durch¬
schnittliche Gewicht ging von 20,68 kg auf 19,93 herunter, die durchschnittliche
Größe ist fast gleich geblieben (112,6 cm), der Prozentsatz der Knaben mit
schlechtem Ernährungsznstand ging von 12 auf 16 Proz. herauf. Die Gründe
für den etwas schlechteren Ernährungszustand der Knaben sind wohl in der
größeren Bewegungsfreiheit infolge Abwesenheit der Väter zu finden.
Dr. Solbrig -Königsberg L Pr.
Ueber das Sehen mit einem Auge. Von Max Lobsien-Kiel. Zeit¬
schrift für 8chulgesundheitspflege; 1915, Nr. 10—12.
Die Untersuchungen beziehen sich darauf, festzustellen, inwiefern das
einäugige Sehen sich von dem gewöhnlichen unterscheidet, und zwar gegenüber
den einfachsten Vorgängen beim Zeichnen und Schreiben. Diese Frage ist
Tielleicht für die Schüler in unseren Lehranstalten von nicht allzugroßer
Wichtigkeit, da die Anzahl derer, die nur auf die Benutzung eines Auges
angewiesen sind, in den Schulen sehr gering ist. Von um so größere Bedeutung
ist jedenfalls die Angelegenheit in der jetzigen Zeit mit Bezug auf die nicht
geringe Zahl derjenigen Krieger, die das Augenlicht auf einer Seite ein*
gebüßt haben.
Die Ergebnisse der sorgfältigen Untersuchungen lassen sich folgender¬
maßen zusammenziehen.
Hinsichtlich des Zeichnens ist festzustellen, daß
1. das Augenmaß unter Beobachtung mit beiden Augen dem einseitigen
Sehen gegenüber weit überlegen ist,
2. das Winkelschätzen bei einäugigem Sehen kn allgemeinen unter einem
größeren Fehlerwert geschieht, obwohl die Winkel von 30, 40 und 60°
bei einäugigem Schätzen jeweils besser gelingen,
3. das perspektivische Sehen als solches durch das einäugige Sehen
in keiner Weise gefährdet wird,
4. die Tiefenschätzung unter Benutzung beider Augen mit tadelloser
Sicherheit und Genauigkeit gelingt, mit dem linken, besonders aber mit
dem rechten Auge allein mit einem ziemlich großen Fehlerwert be¬
haftet ist.
Was das Schreiben anlangt, so ist zu beobachten, daß
1. die Zeit, die zur Ausführung der Schreibarbeit benötigt wird, bei ein¬
äugigem Sehen zumeist länger ist, als bei der gewöhnlichen Art zu
schreiben,
2. die Zeilenlage bei einäugigem Sehen unverändert ist,
3. die Buchstaben bei nicht beidäugigem Sehen meist steiler stehen und
4. bei gewöhnlicher Schreibweise kleiner sind,
5. der Bachstabenabstand bei einäugigem Sehen kleiner ist,
6. der Schreibdruck bei einäugigem Schreiben stärker ist,
7. die Schrift daher zumeist besser ausfällt, als wenn mit beiden Augen
gesehen wird,
8. Bechtschrcibefehler häutiger Vorkommen bei einäugigem Sehen und erheblich
steigern bei beiderseits geschlossenen Augen.
Dr. Solbrig-Königsberg i. Pr.
Tagesnachrichten
149
ttetprecfiongm.
luititir&t Dr. Otto Dornblüth-W iesbaden: Gesunde Nerven in Frieden
und Krieg. 5. Auflage. Würzburg 1916. Verlag von Curt Kabitzsch.
KI 8”, 144 S. Preis 3 M.
Als Erscheinungen der Nervenschwäche werden die einfache Nervo
sität (Neurasthenie), die Hysterie und die Zwangszustände be¬
sprochen, dann in besonderen Abschnitten das Wesen, die wirklichen und ver¬
meintlichen Ursachen, die Verhütung, die Behandlung der Nervenschwäche.
Die Verhütung der Nervosität bei Erwachsenen soll sich zum Grundsatz
machen: 1. vernünftig leben und richtig arbeiten; 2. das Gemüt richtig leiten.
Der letzte Abschnitt »Krieg und Nerven" umfaßt nur 7 Seiten und. erfüllt
jedenfalls nicht die Erwartungen, die der Titel des Buches erweckt.
Prof. Dr. R o e p k e - Melsungen.
Tagesnachrichten.
Ana dom protass. Landtage. Dem Abgeordnetenhause ist ein
Gesetzentwurf vorgelegt, durch den 100 Millionen Mark zur Erleich¬
terung der Ansiedlung von Steingütern, zumal von heimkebrenden
Kriegern (Kriegeransiedelung) gefordert werden. In der Begründung heißt es,
daß vor allem die Ansiedlung von Kriegsinvaliden erleichtert werden
müsse; denn deren Ansiedlung, sei es in rein landwirtschaftlichen Verhältnissen,
sei es in gartenmäßigen Betrieben in der nächsten Umgebung der Städte, sei
eine der geeignetsten Maßnahmen, um ihre verminderte Arbeitsfähigkeit
für sie selbst und die Allgemeinheit nutzbringend zu ver¬
werten. Der Gesetzentwurf hat inzwischen die Genehmigung des Abgeord¬
netenhauses gefunden. ■
In einer von den Professoren Dr. v. Lißt und Geh. Med.-B.at Dr. Stra߬
mann in Gemeinschaft mit Reg.-Bat Dr. Lindenau abgefaßten Und den zu¬
ständigen Ministerien überreichten Denkschrift wird die Errichtung eines
kriminalistischen Instituts in Berlin befürwortet. Die Verfasser schlagen
vor, das kriminalistische Universitäts-Seminar, den Erkennungsdienst des
Polizeipräsidiums und die mit dem Leichenschauhause räumlich verbundene
Unterrichtsanstalt für Staatsarzneikunde zusammenzufassen und so mit ver¬
hältnismäßig geringen Geldaufwendungen eine Arbeitsstätte für wissenschaft¬
liche Kriminalistik und zugleich eine moderne Bildungsstätte für strafrecht¬
liche Praktiker zu schaffen, wie sie der jüngst verstorbene Prof. Groß in
Gratz begründet hatte und leitete. Hoffentlich findet dieser ebenso beachtungs-
wie empfehlenswerte Vorschlag die Zustimmung der zuständigen Behörden, da¬
mit in Friedenszeiten alsbald an seine Verwirklichung herangetreten werden kann.
Stillgeld hei Mehrgeburten. Das Beichsversicherungsamt hat sich
nunmehr grundsätzlich dahin ausgesprochen, daß bei Zwillings- und anderen
Vehrgeburten das Stillgeld mehrfach — entsprechend der Zahl der lebenden
8äugunge zu gewähren ist. _
Am 1. März d. J. hat das langjährige Mitglied des Preußischen Medizinal¬
beamtenvereins, Geh. Med.-Rat Dr. E. Pfeiffer in Wiesbaden, seinen 70. Geburts¬
tag gefeiert. Wir beglückwünschen ihn, daß seine Gesundheit, die ihm vor
mir Reihe von Jahren zur Niederlegung seines Amtes als Reg.- u. Med.-Rat
bei der Königlichen Regierung in Wiesbaden zwang, sich wieder recht gut
gebessert und ihm infolgedessen gestattet hat, auch weiterhin eine reiche lite¬
rarische Tätigkeit, namentlich als Herausgeber des vorzüglichen Jahresberichts
über die Fortschritte und Leistungen auf dem Gebiete der Hygiene, zu entfalten.
Möge er sich dieser geistigen und körperlichen Frische noch recht lange erfreuen!
Todesfall. Am 27. Februar d. J. ist der Referent des Medizinalwesens des
Herzogt. Meiningen, Geh. Reg.- u. Med.-Rat Prof. Dr. Leubuscher in Meiningen,
MHglM des Reichsgesundheitsrats, gestorben. Er hat sich große Verdienste um
das Geraadheitawesen seiner engeren Heimat erworben und namentlich die
160
Tageanachrichten.
Schalarztfrage geradezu in vorbildlicher Weise itn Herzogtum, auch für andere
Bundesstaaten, geregelt. Der Verstorbene war auch Mitbegründer und eifriges
Mitglied des Deutschen Medizinalbeamtenvereins und erfreute sich in weiten Kreisen
infolge seiner fachmännischen Tüchtigkeit und persönlichen Liebenswürdigkeit
einer außerordentlich großer Achtung und Beliebtheit. Ehre seinem Andenken!
Eine ärztlich geleitete Beratungsstelle für Geschlechtskranke ist jetzt
auch von der Landesversicherungsanstalt der Hansestädte in
Bremen im Einvernehmen mit der Aerzteschaft und den Krankenkassen eröffnet
worden. _
Badische Gesellschaft für soziale Hygiene, ln Karlsruhe ist eine
Badische Gesellschaft für soziale Hygiene unter dem Vorsitze des Geh. Ober-Med.-
Bat Dr. Hauser gegründet worden.
Am 1. und 2. Mai 1916 findet in Warschau eine außerordentliche
Tagung des Deutschen Kongresses für innere Medizin statt. Zur Verhand¬
lung kommen die Krankheiten, die im Kriege besondere Wichtigkeit erlangt
haben; in Aussicht genommen ist die Besprechung von Abdominaltyphus,
Buhr, Fleckfieber, Cholera, Herzkrankheiten und Nephritis.
Es werden nur Beferate mit anschließender Besprechung gehalten; freie Vorträge
sind ausgeschlossen. Zur Tagung werden zugelassen die Militär- und Zivil-
ärzte, die dem Deutschen Beiche und den verbündeten Staaten angeboren;
Angehörigen neutraler und feindlicher Staaten kann der Zutritt nicht gestattet
werden. Da die Tagung im besetzten Gebiete stattfindet, muß jeder Teil¬
nehmer mit einem vorschriftsmäßigen Passe versehen sein; die dabei zu er¬
füllenden Bedingungen, sowie die Bestimmungen für die Anmeldung zur Teil¬
nahme werden in der Fachpresse noch bekannt gegeben werden.
Preisausschreiben der Berliner Gesellschaft für Bassenhygiene.
Der Einlieferungstermin für das Preisausschreiben: „Bringt materielles
und soziales Aufsteigen den Familien Gefahren in rassen¬
hygienischer Beziehung:’“ ist nunmehr auf den 31. Juni 1916 fest¬
gelegt. Es sind zwei Preise von 800 Mark und 400 Mark ausgesetzt. Die
Bedingungen sind von der Geschäftsstelle der Gesellschaft (Ulrich-Platz in
Schlachtensee-Berlin, Albrechtstraße 19/26) zu beziehen, an die auch die Ein¬
sendung der Arbeiten zu erfolgen hat.
Gegen die Zersplitterung der Kriegswohlfahrtspflege. Die Zentral¬
stelle für Volkswohlfahrt und die Zentrale für private Fürsorge in Berlin weisen
mit Becht im Verein mit den von alters her bestehenden großen Wohlfahrts¬
organisationen darauf hin, daß sich allmählich auf vielen Gebieten der Wohl¬
fahrtspflege ein Uebereifer, ein Dilettantismus breit gemacht habe, der zu
den ernstesten Besorgnissen Anlaß gebe. Während der Kriegszeit sind in Groß-
Berlin allein 276 neue Kriegsorganisationen ins Leben gerufen. Auf dem
Gebiete der Fürsorge für in Not geratene Künstler entstanden z. B. allein 22,
für gebildete Frauen fünf neue Vereine. Geradezu bedenklich erscheint die große
Zahl der zugunsten der Kriegsinvalideu sowie der Kriegsblinden
gegründeten Einrichtungen, deren Gesamtzahl 28 beträgt. Es ist zu befürchten,
daß auf diese Weise eine planmäßige und vor allem ökonomische Arbeit nicht
mehr geleistet werden kann, und daß die Kriegswohlfahrtspflege selbst dadurch
empfindlichen Schaden leidet.
Invalidenversicherungspflicht freiwilliger Kriegsschwestern. Das
Beichsversicherungsamt hat nach eingehenden Verhandlungen mit dem Kriegs¬
ministerium und Vertretern von Versorgungsanstalten bestimmt, daß die im
Dienste der freiwilligen Krankenpflege während des Krieges tätigen Schwestern
der Invalidenversicherungspflicht unterliegen.
Vertrieb der Broschüre eines Kurpfuschers durch das Zentralkomitee
vom Boten Kreuz in Preußen, Der Bericht über die Sitzung der Berlin-
Tagesnachrichten.
151
Brandenburger Aerztekammer vom 22. Januar d. J. (s. „Halbmonatsschrift für
Soziale Hygiene und praktische Medizin“ Nr. 8/1916) enthält folgenden Wort¬
laut: „Aus dem Berichte des Ausschusses zur Bekämpfung des Kurpfuscher¬
tums geht hervor, daß das Zentralkomitee vom Boten Kreuz die Broschüre
eines Kurpfuschers vertreibt, ,die versteckte und giftige Angriffe auf einige
Aerzte in den angeführten Krankengeschichten bringt 1 . Hierauf aufmerksam
gemacht, habe das Zentralkomitee es nicht einmal der Mühe für wert gehalten,
zu antworten.“ Das Sächsische Korrespondenz-Blatt vom 15. Februar 1916 sagt
hierzu mit Recht: „Diese kurze Mitteilung spricht Bände. Das Bote Kreuz, das
nur durch die hingebende, aufopferungsvolle und selbstlose Mitarbeit der deutschen
Aerzte in den Stand gesetzt ist, seine Aufgabe zu erfüllen, vertreibt die Bro¬
schüre eines Kurpfuschers, die „versteckte und giftige Angriffe“ gegen Aerzte
enthält, und antwortet nicht einmal auf dieBbetreffende Vorstellungen von ärzt¬
licher Seite! Das muß man schwarz auf weiß vor sich haben — das muß man
mehrere Male lesen, um es überhaupt fassen zu können.“
Ehrentafel. Es haben weiterhin erhalten das
Eiserne Kreuz I. Klasse:
Stabsarzt d. Bes. und Bat.-Arzt Dr. Aub-München.
Marineoberstabsarzt d. B. Dr. Bilfinger-Stuttgart.
Stabsarzt d. B. Dr. B r ü h a n n - Osterburg.
Oberstabsarzt d. B. Dr. v. C r i e g e r n - Hildesheim.
Generaloberarzt d. L. Prof. Dr. H a b s - Magdeburg.
Generaloberarzt Geh. Med.-Bat Prof. Dr. His-Berlin.
Oberstabsarzt Josef Langheld.
Generaloberarzt W i e m u t h.
Eiserne Kreuz II. Kasse:
Oberstabsarzt d. L. Dr. Conrad Alt-Uchtspringe.
Oberstabsarzt d. B. Ober-Med.-Rat Dr. Hertzsch-Leipzig.
Oberstabsarzt d. L. Geh. Med.-Bat Dr. Horn, Kreisarzt in Tondern.
Anstaltsarzt a. D. Geh. Med.-Bat Dr. Knopf, Landgerichts- und Bezirks¬
arzt in Weimar.
Geh. Rat Prof. Dr. v. Leube-Stuttgart.
Oberstabsarzt d. R. Geh.' Med.-Bat Dr. L u f f t - Dresden.
Geh. Med.-Bat Prof. Dr. Moritz-Cöln.
Stabsarzt d. B. Med.-Bat Dr. Ocker, Kreisarzt in Verden.
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Part sch-Breslau.
Geh. Med.-Bat Dr. Schulze, Direktor der Landesanstalt in Arnsdorf.
Oberstabsarrt Med.-Bat Dr. Steen ken-Elsfleth.
Oberstabsarzt d. B. Ober-Med.-Rat Dr. Streit-Dresden.
Eiserne Kreuz II. Klasse am weiß-schwarzen Bande:
Prof. Dr. Aschaffenburg, berat. Nervenarzt für den Bereich der
Festung Cöln.
Med.-Rat Dr. Seyffert, Kreisarzt in Stettin.
Ferner haben Angehörige von Medizlnalbeamten erhalten das Eiserne
Kreuz II. Klasse: Die Assistenzärzte d. B. Dr. Adolf Mayer und
Dr. Wilhelm Mayer, Söhne des Geh. Med.-Bats Dr. Meyer, Kreisarzt in
St. Evarshausenj Feldunterarzt Dr. Seyffert, Sohn des Med.-Bats Dr.
Seyffert, Kreisarzt in Stettin.
Außerdem haben erhalten: Der Bayerische Militär-Verdienst-
orden IV. Klasse mit Schwertern: Reg.- und Geh. Med.-Rat Dr.
Müller-Herrings in Kolmar i. Eis.; — das Königlich Sächsische
Kriegsverdienstkreuz: Oberstabsarzt <L B. a. D. Ober-Med.-Bat Dr.
Hertsch, Med.-Bef. bei der Kreishauptmannschaft in Leipzig; Oberstabsarzt
d. B. Geh. Med.-Bat Dr. Lufft, Medizinischer Referent im Ministerium des
Innern in Dresden; Geh. Med.-Bat Dr. Menschei, med. Beirat bei der Kreis¬
hauptmannschaft in Bautzen; Oberstabsarzt d. L. a. D. Med.-li&t Dr. Thiersch,
Bezirksarzt in Leipzig; Oberstabsarzt d. R. Med.-Rat Dr. Thümmler,
Gerichtsarzt in Leipzig; Geh. Med.-Bat Dr. Schulze, Direktor der Landes¬
anstalt in Arnsdorf; — das Bremer Hanseaten-Kreuz: Stabsarzt d. R.
Dr. E w a 1 d - Stadtarzt in Bremerhaven.
162
Tagosnachrichten.
Dum - CkUohtnlitafel. Für das Vaterland gefallen sind ferner:
Stabsarzt d. L. Dr. Franz Arendt- Poelitz [Reg-Bez. Stettin] (infolge
Krankheit gestorben).
Feldarzt Dr. Paul Bendig, Polizeiarzt in Stuttgart.
Marineassistenz&rzt d. R. Dr. W. Bergbahn-Kiel-Gaarden.
Feldunterarzt Dr. Alban Carle-Frankfurt a. M.
Assistenzarzt d. E. Dr. Walter Frankfurter-Berlin (infolge Krank¬
heit gestorben).
Stabsarzt d. E. Dr. E. Grunow-Berlin (infolge Krankheit gestorben).
Assistenzarzt d. R. Dr. Herzfeld.
Dr. F. Hotzen-Barmstedt (Holstein), Chefarzt eines Feldlazaretts.
Dr. Max Leyy-Berlin.
Stabsarzt d. E. Dr. Hans Liebold-Leipzig (infolge Krankheit gest.).
Marineoberarzt Dr. J. Mar henke-Würzburg.
Dr, K. M e d e m e i e r - Regensburg.
Assistenzarzt d. E. Dr. Wolfgang M e i n c k - Liegnitz (inf. Krankh. gest.).
Kreisarzt a. D. Geh. Med.-Rat Dr. E. Müller-Könitz (inf. Krankh. gest).
Dr. Heinrich Müller- Wiesbaden.
Stabsarzt d. E. Dr. Heinrich Prothen -Köln a. Eh.
Stabsarzt d. R. Dr. Raulint-Eberswalde (Mitglied des Preuß. M.-B.-V.).
Stabsarzt Dr. Albert Scholz- Seifhennersdorf b. Zittau.
Dr. F. S t r e s e m a n n - Berlin-Dahlem.
Oberarzt Dr. Aug. T i 1 p - Straßburg (infolge Krankheit gestorben).
Stud. med. Gerhard W o 11 m a n n - Magdeburg.
Außerdem: Egon Gaste rs, Diplom - Kaufmann H. H. B., Fähnrich im
Inf.-Regt 159, Sohn des Medizinalrats Dr. Gasters, Oberstabs- und Chefarzt
des Vereinslazarettzuges M. 2, Kreisarzt in Mülheim a. d. Ruhr, der bereits
einen Sohn und einen Schwiegersohn im Kriege verloren hat
Cholera. In Oesterreich worden vom 9. bis 22. Januar 1916
61 (25) und 20 (6) Erkrankungen (Todesfälle), inKroatien undSlavonien
vom 8. bis 17. Januar 78 (79) und 80 (84) Erkrankungen festgestellt
An Fleckfleber sind im Deutschen Reich in der Zeit vom 10. bis
28. Februar einige Kriegsgefangene in Gefangenenlagern erkrankt und gestorben.
Pocken. Vom 10.—16. Februar kam in einem Kriegsgefangenenlager
1 Pockenfall bei einem Kriegsgefangenen vor.
Erkrankungen und Todesfllle an ansteckenden Krankkelten ln
Preuflen. Nach dem Ministerialblatt für Medizinal-Angelegenheiten sind in der
Zeit vom 80. Januar bis 19. Februar 1916 erkrankt (gestorben) an Pest,
Gelbfieber, Fleckfieber, Cholera, Anssatz: — (—); Rotz: — (—),
— (—), 1 (—); Trichinose: — (—), — (—), 8 (1); Tollwut: — (—),
3 (—), — (—); Bißverletznngen durch tollwutverdächtige
Tiere: 18 (—), 14 (—), 11 (—); Milzbrand: — (—), — (—), — (1);
Focken: — (—), 1 (—), —(—1; Unterleibstyphus: 166 (17), 145 (17),
151 (24); Ruhr: 32(2), 19(1), 20 (2); Diphtherie: 3685 (236), 8477 (282),
3299(268); Scharlach: 2055 (95), 2031 (70), 1907 (91); Kindbett lieber:
65 (24), 82(22), 84(19); Genickstarre: 23 (10), 31 (6), 20(8); spinaler
Kinderlähmung: l (—), — (—), 1 (—); Körnerkrankheit (erkrankt):
65, 30, 40; Tuberkulose (gestorben): 860, 878, 881.
Vermerk für die Leser. Die heutige Nummer der Zeitschrift ist
einige Tage später zur Ausgabe gelangt, um den vollständigen Bericht über
die Verhandlungen des preußischen Abgeordnetenhauses über den Kedizinaletat
bringen zu können.
Der Herausgeber.
Redakteur: Prof. Dr. Bapmund, Geh. Med.-Rat in Minden i.W.
J, o. O. Brona, Hersofl. Siek«, n. F. Sftk.-L. Hofbichdnckere! Io Winden.
if'f di* '«in«l PayäAjfttj?«
fl*i st.IrtJllolien un.l {HlWätön Vp.rSiai>er^ ^bvip ffti* cfar
\1; rU:rn«l - ««ul öffeniii'Qke dei
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■
*>M rtt Vke^farsi»^:
KllieiMfQmuk V-Vv?
29. Jahrg.
1916
Zeitschrift
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zentnlblatt
für das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie,
des staatlichen und privaten Versicherungswesens, sowie für das
Medizinal- und öffentliche Gesundheitswesen, einschließlich der
Hygiene und Bakteriologie.
Hcrausgegeben
von
Prot Dr. OTTO RAPMOND,
Geh Med.-Rat In Minden l. W.
Offizielles Organ des Deutschen, Preussischen, Bayerischen, Sächsischen,
Württembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen, Thüringischen,
Braunschweigischen und Eisass-Lothringischen Medizinalbeamtenvereins.
Verlag von Fiseher’s med. Buehhandlg H. Kornfeld,
HtrsogL Bayer. Hof- u. BL u. K. Kamniftr-BnoliliftiuUer.
Berlin W. 62, Keithstr. 5.
Ani eigen nehmen die Verlagshandlang sowie alle Anseigenannahmestellcn des In-
nnd Auslandes entgegen.
Nr. 6.
Bneheint am 5. und SO. Jedem Moaata.
20. März.
Aus dem Institut für Hygiene und Bakteriologie in Gelsenkirohen
(Direktor: Prof. Dr. Hayo Bruns).
Ueber eine Paratyphus-A-Epidemie.
Von Dr. L. Qnadflteg, Abteilnngsvorateher.
In dem Erlaß des Chefs des Feldsanitätswesens vom
10. November 1915 werden die bakteriologischen Untersuchungs¬
anstalten darauf verwiesen, bei allen typhusähnlichen Er¬
krankungen die bakteriologischen und serologischen Unter¬
suchungen auch auf das Vorkommen von Paratyphus¬
bazillen des Typus A und ihrer Agglutinine auszudehnen. Es
müßte damit gerechnet werden, daß auch in der Heimat Para-
typhus-A-Erkrankungen zur Beobachtung gelangen könnten,
nachdem bei einer Armee an der Westfront eine kleine Anzahl
von Paratyphus-A-Fällen bakteriologisch sicher gestellt war.
Es ist aus der Literatur bekannt, daß in Frankreich, den
französischen Kolonien Nordafrikas und ferner in den englischen
Kolonien Indiens Paratvphus-A-Infektionen häufiger auftreten,
daß dagegen in Deutschland Paratyphus-A-Erkrankungen bisher
Dr. Quadfiieg.
154
eine Seltenheit gewesen sind. Man kann sich demnach des
Eindruckes nicht erwehren, daß die unter den deutschen
Mannschaften an der Westfront aufgetretenen Paratyphus-A-
Erkrankungen auf Infektion an Ort und Stelle zurückzuführen
sind, um so mehr, als dort ja unsere Soldaten mit Franzosen,
Engländern und deren Kolonialtruppen häufig in Berührung
gekommen sind.
Daß in Frankreich bezw. unter französischen Soldaten
schon vor dem Erlaß Paratyphus-A- Infektionen auf getreten sind,
das beweist auch eine Epidemie, die wir bei einem französischen
Arbeitskommando einer hiesigen Zeche schon im Juni 1915
beobachten konnten. Die Erreger, Paratyphusbazillen des
Typhus A, konnten bei einer Anzahl der Erkrankungen durch
die bakteriologische Untersuchung aufgefunden werden.
In der Zeit vom 9. Juni bis 11. August erkrankten in
dem hiesigen Lager im ganzen 29 französische Soldaten und
zwar fast ausschließlich des 70. und 80. Infanterie-Regiments,
deren Garnisonen Ille et Villaine bezw. Toulouse sind. Während
das 70. Regiment seine Mannschaften aus den östlichen Pro¬
vinzen Frankreichs nimmt, rekrutiert sich das 80. in Toulouse
aus den Pyrenäen. Die Mannschaften des hiesigen Arbeits¬
kommandos wurden am 9. Mai bei Arras gefangen genommen;
ihre Ankunft im Gefangenenlager in Münster erfolgte am 18. Mai
1915. Sämtliche nachher Erkrankten waren bereits am 2. Juni
auf der Arbeitsstelle eingetroffen. Angeblich war den Leuten
von typhösen Erkrankungen in ihren Heimatsgebieten und
Garnisonen oder im Gefangenenlager in Münster nichts bekannt.
Ueber den Gesundheitszustand unter den französischen Truppen
vor Arras lauteten die Aussagen verschieden. Während einige
Soldaten angaben, es habe in den beiden Regimentern vor
Arras Typhus geherrscht, wurde die Richtigkeit dieser Be¬
hauptung von einem Unteroffizier ganz energisch bestritten.
Ob er aber tatsächlich nichts von Typhus-Erkrankungen in
seinem Regiment wußte, oder ob er aus Patriotismus leugnete,
mag dahingestellt bleiben. Da nach Ermittlungen von deutscher
Seite zu der Zeit unter den französischen Truppen vor Arras
Typhu3 in größerem Umfange herrschte, verdienen die Angaben
der Soldaten mehr Glauben, als die des Unteroffiziers. Es sei
nooh erwähnt, daß sämtliche Kriegsgefangenen angaben, vor
dem Ausrücken viermal gegen Typhus geimpft worden zu sein.
Fragt man nach der Infektionsquelle, so könnte man
unter Berücksichtigung des Umstandes, daß die ersten Fälle
etwa 8—14 Tage nach der Ankunft auf der hiesigen Arbeitsstelle
auftraten, versucht sein anzunehmen, daß die Ansteckung hier
erfolgte. Gegen diese Annahme spricht aber, daß in unserem
Bezirk vorher bei Zehntausenden von Fäzes- und Urinunter¬
suchungen vop Kranken oder deren gesunder Umgebung niemals
Paratyphus-A-Bazillen gefunden wurden, trotzdem stets auch auf
deren Vorkommen geachtet wurde. Eine Infektion durch die
Ueber eine Par&typhos - A- Epidemie.
165
Küche erscheint ebenfalls ausgeschlossen; man hätte in diesem
Falle wohl einen mehr explosionsartigen Ausbruch erwarten
dürfen, während die Erkrankungen tatsächlich nacheinander
folgten. Die ersten 3 Fälle wurden am 9. Juni gemeldet; bis
zum 30, Juni folgten noch 11 weitere, im Juli 14 und die letzte
Erkrankung am 11. August. Die Fleisch- und Wurstproben,
die uns während der Epidemie aus der betreffenden Kantine
zur Untersuchung zugingen, enthielten keine pathogenen
Bakterien. Allerdings ist damit die Möglichkeit, daß die früher
zur Verwendung gelangten Nahrungsmittel infiziert gewesen
sein könnten, nicht ausgeschlossen. Doch wird auoh dieses
unwahrscheinlich, wenn man berücksichtigt, daß von den
deutschen Bewachungsmannschaften niemand erkrankte, obwohl
sie aus derselben Küche verpflegt wurden. Auch sind stets
Kostproben vorgenommen und weder eine schlechte Be¬
schaffenheit der Speisen, noch darauf zurückzuführende Er¬
krankungen beobachtet worden. Eine andere Infektionsquelle, die
nicht ganz von der Hand zu weisen ist, dürfte in Bazillen¬
trägern unter den Gefangenen selbst zu suchen sein, vielleicht
auch in Nahrungsmitteln, die den französischen Soldaten aus
der Heimat gesandt worden waren. Sie hatten nachweislich
kurz vor Ausbruch der Epidemie aus Frankreich Weißbrot in
verschimmeltem Zustande und Fleischkonserven erhalten und
gegessen. Die Möglichkeit, daß darin die Krankheitserreger
enthalten waren, ist zuzugeben, wenn auch die Annahme nicht
bewiesen werden kann, da Beste der fraglichen Speisen für die
bakteriologische Untersuchung nicht mehr vorhanden waren.
Wenn die Epidemie bei den sonst günstigen Verbreitungs¬
möglichkeiten nur eine genüge Ausdehnung annehmen konnte,
so ist dies den von der zuständigen Militärbehörde getroffenen
Maßnahmen zu danken, die hauptsächlich darin bestanden,
daß zunächst alle verdächtig Erkrankten sofort abgesondert
wurden, daß die Latrinenverhältnisse gut überwacht und hin¬
reichend Desinfektionsmittel, vor allem auch zur Desinfektiop
der Hände nach der Benutzung des Abortes, bereit gestellt
wurden. Weiter wurde eine zweimalige bakteriologische Unter¬
suchung aller Gefangenen und der deutschen Wachmannschaft
auf etwaige Bazillenträger verfügt. Es sei gleich hier gesagt,
daß die Wachmannschaft frei von Bakterien der Typhus-Para¬
typhus-Gruppe befunden wurde, daß dagegen unter den
Franzosen 7 Mann festgestellt wurden, deren Fäzes Paratyphus¬
bazillen des Typus A enthielten. Diese Zahl erscheint zu hoch,
als daß man an eigentliche Bazillenträger denken möchte, wenn
die Leute auch zur Zeit der Untersuchung keine Krankheits¬
symptome zeigten. Es ist wohl richtiger, anzunehmen, daß
ein Teil dieser Leute, ohne es zu wissen oder zu sagen, eine
ganz leichte Infektion durchmachte. Daß auch diese abgesondert
wurden, braucht nicht erst besonders betont zu werden.
Da die klinischen Beobachtungen über Para-
typhus-A in Deutschland nicht sehr häufig waren, dürfte es
156
Dr. Qaadfiieg.
nicht ohne Interesse sein, über den Verlauf der hiesigen Er¬
krankungen kurz zu berichten: 1 )
Ueber die Dauer der Inkubation konnten keine sicheren
Angaben festgestellt werden; wohl gaben die Kranken an, daß
sie schon mehrere Tage vorher sich matt und krank gefühlt
und an Kopfschmerzen und Reißen in den Gliedern gelitten
hätten. Bei der Aufnahme hatten die meisten erhöhte Tem¬
peratur, 38—39°, andere Fälle, obwohl sicher Paratyphus-A,
verliefen wieder vollkommen fieberfrei. Die Patienten machten
einen kranken und schlaffen Eindruck, der Appetit war schlecht,
die Zunge geschwollen und stark weiß belegt, der Leib weich
und aufgetrieben; Roseolen und Milztumor waren in keinem
Falle festzustellen. Puls und Herz zeigten keine Besonder¬
heiten. Nach einigen Tagen war die rechte Lendengegend auf
Druck schmerzempfindlich; bei allen fand sich Ileocoecalgurren;
der Stuhl war unregelmäßig, in den meisten Fällen angehalten.
Daneben blieben die Kopfschmerzen als schwerstes Symptom
während der Krankheitsdauer bestehen. Nach 6—8 Krankheits¬
tagen stellten sich erbsenbreiartige Durchfälle ein; nie fand sich
im Urin Eiweiß. Appetit und Allgemeinbefinden verschlechterten
sich; in 2 schweren Fällen kamen bronchitische Erscheinungen,
in keinem Falle Delirien und Somnolenz zur Beobachtung.
Im allgemeinen ging das Fieber Ende der zweiten bis Anfang
der dritten Woche zurück; gleichzeitig reinigte sioh die Zunge
und hob sich der Appetit wieder. Nur einige schwerere Fälle
dauerten etwas länger, alle gingen in Genesung aus. Kompli¬
kationen und Rezidive traten nicht auf.
Der Verlauf der Temperaturkurve erinnerte an einen
leichten Paratyphus.
Die Therapie war symptomatisch und diätetisch.
Die Krankheit wurde als Paratyphus-A-Infektion durch
die bakteriologische Diagnose sicher gestellt. Das ein¬
gesandte Material — Blut, Fäzes und Urin — gelangte nach
den im hiesigen Institut gebräuchlichen Methoden zur Ver¬
arbeitung. Da klinisch Typhusverdacht ausgesprochen war,
wurde zunächst auf Typhus bezw. Paratyphus-B gefahndet.
Deshalb wurde auch die Grub er-Widalsche Reaktion vorerst
nicht mit Paratyphus-A-Bazillen angestellt, sondern nur mit
Typhus- und Paratyphus-B-Bazillen. Der Rest-Blutkuchen der
eingesandten Blutproben wurde in sterilisierte Rindergalle ge¬
bracht und nach 1—3—6 Tagen Bebrütung bei 37° C. hieraus
jedesmal 1 Oese auf Drigalski- oder Endoplatten ausge¬
strichen. Die Fäzesproben wurden auf je 2 Malachitgrün-
E latten, weiter auf je 3 Drigalski- und Endoplatten ausgesät.
>ie Malachitgrünplatten wurden nach ca. 18 stündiger Bebrütung
(37°) nach dem Verfahren von Lentz-Tietz abgeschwemmt
*) Wir verdanken die klinischen Angaben der Liebenswürdigkeit des
Herrn Kollegen von der Hagen in Wattenscheid, wofür ihm hiermit bestens
gedankt sei.
Ueber eine Paratyphus-A-Epidemie.
157
uud wieder auf je 3Drigalski- oder Endoplatten weiter ver¬
arbeitet. Diese Abschwemmungsmethode hat uns bei der Para¬
typhus-Diagnose stets gute Dienste geleistet. Die Urinproben
bringen wir nur auf eine Serie von 3 Drigalski- und 3 Endo¬
platten; eine Anreicherung auf Malachitgrün erscheint uns bei
diesem Material nicht erforderlich, da die Typhus- und Para¬
typhusbazillen im Urin entweder gar nicht oder ziemlich reichlich
vorhanden sind, so daß sie sich dem Nachweis auf der Drigalski-
Endo-Serie kaum entziehen dürften.
Die ersten Paratyphus A-Bazillen züchteten wir aus einer
Gallen - Blutkultur. Es fanden sich auf den mit Gallenkultur
beimpften Drigalski- bezw. Endoplatten Kolonien von dem
Aussehen der Typhusbazillen, die aber nicht mit Typhus- bezw.
Paratyphus - B - Serum agglutinierten. Dagegen zeigten die mit
den fraglichen Kolonien beimpften Traubenzuckerbouillonkul¬
turen Gasbildung, der Rothbergersche Neutralrotagar wurde
gesprengt, ließ aber keine deutliche Fluoreszenz erkennen; in
der Lakmusmolke war das für Paratyphus - A - Bazillen typische
Verhalten festzustellen, ein ganz leichter Umschlag der Farbe
nach Rot, aber keine Trübung. Dieses Aussehen veränderte sich
auch nicht während der 14tägigen Beobachtungszeit; vor allem
trat keine Bläuung ein, wie sie bei den Bakterien der Para¬
typhus - B - Gruppe die Regel ist. Das Verhalten der fraglichen
Kolonien auf den Differentialnährböden, besonders in Lakmus¬
molke, legte den Verdacht auf Paratyphus A nahe, der sich
dann bei der serologischen Prüfung des verdächtigen Stammes
vollends bestätigte. Im Paratyphus-A-Serum erfolgte inner¬
halb von 4 Stunden (bei 37°) mit unbewaffnetem Auge deutlich
sichtbare Agglutination bis zur Verdünnung von 1 : 10000
(Titergrenze).
So gelang es, aus den eingesandten Proben 11 Para¬
typ hus-A-Stämme herauszuzüchten; alle Urinkulturen hatten
ein negatives Ergebnis. Wie schon erwähnt, war zunächst die
Gr über- Wi dal sehe Reaktion nur gegen Typhus- und Para¬
typhusbazillen des Typus B geprüft worden. Später wiederholte
Prüfungen, auch gegen Paratyphus-A-Bazillen ergaben nur
in einem Falle Agglutination mit Paratyphus- A in der Ver¬
dünnung 1 : 100. Wahrscheinlich ist dieser geringe Erfolg
damit zu erklären, daß diese Blutproben erst in der Rekon¬
valeszenz untersucht wurden. Dieser Befund scheint anderseits
die in der Literatur niedergelegten Beobachtungen zu bestätigen,
wonach der Agglutinationstiter bei Paratyphus-A nach sehr
schnellem Anstieg (hierüber besitzen wir nach dem oben Ge¬
sagten keine Beobachtung) rasch wieder abfällt. Häufig fanden
wir einen für Typhus positiven Widal, bis zur Verdünnung
1:200, dagegen in keinem Falle Agglutination mit Paratyphus-B.
Da die Kranken sämtlich viermal gegen Typhus geimpft waren,
mag die Entscheidung dahingestellt bleiben, ob die Aggluti¬
nation mit Typhusbazillen auf die voraufgegangenen Impfungen
168
Dr. Hansen: Fleckfiebererkennung.
oder auf eine Verwandtschaft des Rezeptorenapparates der
Typhus- und der Paratyphus-A-Bazillen zurückzuführen ist.
Obwohl wir seit der Feststellung der Paratyphus-A-
Bazillen bei der Epidemie unter dem französischen Arbeits¬
kommando bei unsern folgenden zahlreichen Untersuchungen
verdächtigen Materials von Kriegsgefangenen sowie deutschem
Militär und Zivil natürlich stets ganz besonders unser Augen¬
merk auf das Vorkommen von Paratyphus A gerichtet haben,
ist uns der Nachweis bisher nicht mehr gelungen. Es ist daher
wohl der Schluß berechtigt, daß einmal diese Epidemie auf
Bazillenträger unter der französischen Mannschaft oder durch
die von Frankreich gesandten Nahrungsmittel hervorgerufen
worden ist, daß anderseits die bei einer Armee der Westfront
beobachteten Paratyphus- A-Infektionen mit ziemlicher Sicher¬
heit dort erworben sind.
Fleckliebererkennung.
Von Geh. Med.-Rat Dr. Hansen, Kreisarzt in Hadersleben (Schleswig).
Als Polizeiarzt lasse ich eine erkrankte 55jährige Schlaf¬
stellen - Inhaberin ins städtische Krankenhaus bringen. Der
leitende Arzt, Sanitätsrat Dr. Magaard, telephoniert mir:
Fleckfieber-Verdacht. Wir stellen fest: roten, kleinfleckigen
Ausschlag, dicht gestellt auf Brust und Oberbauch und ver¬
einzelt auf dem Rücken, 2 Tage alt; Fieber 39 0 ; Kopfschmerz,
Benommenheit, kleinen Puls, Bronchitis, Milzvergrößerung
(14:10 cm). Als einziges Zeichen, das nicht zum Fleckfieber
paßt, bestanden seit 4 Tagen starke Durchfälle nach vorheriger
Verstopfung. Die Kranke starb an demselben Abend.
Ich traf sofort alle Maßregeln für Desinfektion und Ab¬
sonderung. Die Wirtin der Kranken, die auch Durchfall hatte,
kam ebenfalls ins Krankenhaus. Anzeige erstattete ich zunächst
nicht, weil ich an eine verschleppte Colitis dachte.
Im Hygienischen Institut in Kiel ergab die Blutunter¬
suchung Colibazillen in Reinkultur. Also hatte ein ver¬
schleppter Dickdarmkatarrh durch Ueberschweramung und
Zersetzung des Blutes mittelst Colibazillen ziemlich dieselben
Hautveränderungen verursacht, wie man sie bei Sepsis, Krank-
heits- und Arzneiexanthemen und beim Fleckfieber beobachtet.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
A. Saohveretindlgentätigkelt auf milltir&rxtliohem Gebiet«.
Die Gefahr der Vergiftung durch ganze oder zersplitterte, im Körper
lagernde Geschosse. Von L. Lewin. Medizinische Klinik; 1916, Nr. 2.
Die landläufige chirurgische Ansicht, daß einmal im Qewebe eingeheilte
Bleistöcke harmlos sind, und daß von ihnen eine Bleigcfabr für den Körper
nicht mehr zu befärchten ist, kann nicht als zutreffend anerkannt werden.
Gegen die Richtigkeit dieser Ansicht sprechen chemische und biologische Ge¬
setzmäßigkeiten.
1. Chemische, für eine Lösung des Bleies im Körper in Frage kommende
Bedingungen: Es ist eine chemische Notwendigkeit, daß im lebenden Gewebe
Kleber« Mitteilungen and Bef ernte nas Zeitschriften.
169
liegendes Blei soviel in Lösung oder znr Salzbildung abgibt, als nach chemi¬
schen Gesetzen gefordert wird. Es ist bekannt, daß der Magensaft metallisches
Blei löst; bo sind durch Verschlacken von Bleikugeln oder -schroten tödliche
Vergiftungen zustande gekommen. Das gilt auch für Bleisilikat-Flintglas,
ln den Geweben liegendes metallisches Blei kann in Lösung gebracht werden:
1. durch die Einwirkung von Feuchtigkeit und Gewebssauerstoff; es entsteht
Bleihydrooxyd, das durch Hydrokarbonat genügend gelöst wird. 2. Gewebs¬
flüssigkeit greift durch ihren Salzgehalt Blei an. So fanden sich in der Lqnge
um ein Projektil weiße Inkrustationen von Bleichlorid, das schon in 106 Teilen
Wasser von 16,6° löslich ist. 3.- Fette und fettartige Stoffe, Lipoide, Eiter
lösen bei längerer Berührung metallisches Blei erheblich (Oel in Sardinen¬
büchsen). 4. Die lebende Zelle verfügt über chemische Energie zur Lösung
scheinbar unlöslicher Stoffe, z. B. von Bleisalfat. Die Löslichkeit wächst mit
der Oberfläche der Blcistücke.
2. Biologische Verhältnisse,die den Uebertritt von Blei aus Geschossen
in die Säftebahnen bedingen: Die Lösung von Blei vollzieht sich am stärksten
an Körperstellen, die Fette oder fettartige Stoffe, Eiter etc. enthalten, z. B.
Knochenmark, Gehirn, Rückenmark, Unterhautgewebe; aber auch in Narben¬
gewebe eingekapselte Bleistücke lösen sich, wenn auch langsamer. Das Schicksal
des gelösten Bleies unterliegt den Gesetzen der Ausscheidung oder Bindung.
Erscheint Blei im Hirn eines Menschen, der ein Stück Blei in sich trägt, so ist
das einmal ein Zeichen der Regulation, dann aber auch der Löslichkeit Damit
muß auch mit der Möglichkeit einer Bleivergiftung gerechnet werden. Die
Symptome der Bleivergiftung sind nicht immer klar als solche zu erkennen;
es gibt eine ganze Menge, hinter denen man eine Bleivergiftung nicht ohne
weiteres verdratet. Das Fehlen der basophilen Kömelung der Erythrozyten
spricht nicht» gegen Bleiintoxikation. Neuerdings ist in vielen Fällen Bleilös¬
lichkeit bezw. Salzbildung in den Geweben beobachtet worden, was die Auf¬
fassung, daß Blei in Lösung geht und schwere Krankheitssymptome verursachen
kann, bis ätigt
Von wissenschaftlichen und praktischen Ueberlegungen aus müssen
daher Bleiprojektile entfernt werden. Die Richtigkeit der Ansicht, daß
viele Menschen jahrelang ohne Bleivergiftung in ikrem Körpergewebe Blei be¬
herbergt haben, ist nicht erwiesen und beruht wahrscheinlich auf ungenügende
Beobachtung. Da das Auf finden von Bleistücken durch die Röntgen - Photo¬
graphie erleichtert ist, wäre es ganz unberechtigt, wenn man chirurgisch zu¬
gängliche Bleistücke nicht operativ entfernen wollte. Innerliche Darreichung
von Jodkalium kann solcher Bleivergiftung nicht begegnen. Eine einfache
Methode des Bleinachweises besteht darin, daß Harn, Speichel, Fäzes mit Eier¬
eiweißlösung und Natronlauge versetzt und gekocht werden; es entsteht Dunkel-
färbung mit Abscheidung von Schwefelblei. Auf diese Weise sind noch sehr
klei&e Teile von Milligrammen Blei nachweisbar.
Dr. L. Q u a d f 1 i e g • Gelsenkirchen.
Einheitliche Längenmessnng der Amputationsstümpfe. Von F. B ä h r -
Hannover. Deutsche med. Wochenschrift; 1916, Nr. 8.
Für die Messung der Amputationsstümpfe, die nie von Weichteilen aus
erfolgen und immer in Zentimetern angegeben werden soll, sind einheitliche
Grundsätze durchzuführen. En den Tabellen von Vierordt ist bei einer
Durcbschnittslänge des ganzen Skelettes von 162 bis 172, also 167 cm im
Dnrchschnitt, die Länge des Oberarmbeines mit 82, des Speichenbeines mit 24,
des Oberschenkelknochens mit 47, des Schienbeines mit 39 cm angegeben.
Für die Messung selbst empfiehlt sich folgendes: Der Oberarm ist
von der oboren Kante des Schultcrgrätenfortsatzes (Akromion) zu messen; das
ergibt eine kleine Differenz von 1 — 1'/* cm zugunsten der Länge. Für die
Länge des Vorderarmes ist im wesentlichen das Speichenbein ausschlag¬
gebend ; man mißt von dem leicht fühlbaren Gelenkspalt zwischen Oberarmbein
und Speichenbein (Radiohumeralgelenk). Der Oberschenkel wird von dem
vorderen oboren Darmbeinstachel gemessen, der normal etwa 3—4 cm oberhalb
des oberen Kopfpoles steht. Vom großen Rollhügel aus zu messen, empfiehlt
sich nicht, obwohl dessen Spitze annähernd mit der Höhe des Kopfpoles über¬
einstimmt, weil sich die Spitze nicht so genau dnrchfühlen läßt. Der Unter-
160
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
Schenkel ist immer Tom inneren Kniegelenksspalt za messen. Die Ver-
wechslang des Kniespaltes mit der Vertiefung über dem Rollenrande iBt aus*
zuschließen, wenn man den 8chienbeinrand von vorn her nach dem Gelenkspalt
zu verfolgt oder sich durch einige Beagebewegungen über die Lage des Knie¬
spaltes unterrichtet. Ist der Kniespalt infolge Veränderungen am Kniegelenk
selbst nicht genau durchzufühlen, so ergibt sich die Stumpflänge aus der Ent¬
fernung Spina anterior superior bis Stumpfhöhe abzüglich der Entfernung Spina
ant. sup. bis Kniespalt am gesunden Bein. Den Unterschenkel von der Knie¬
scheibe ab zu messen, ist unpraktisch, da sie bald etwas höher, bald etwas
tiefer steht. Dr. R o e p k e - Melsungen.
B. BaohvoratAndlgentütigkelt ln Unfall- and Invalidität»- und
Krankenversioherungtsaohen.
Eine erzwingbare Verpflichtung [der Berufhgenossenschaft zur Ge¬
währung von Heilanstaltspflege liegt anch nach § 697 R.V.O. nicht vor.
Rekurs-Entscheid'ung des Reichd-Versicherungsamts vom
O. November 1916.
Nach § 697 Abs. 1 der R.V.O. ist die Gewährung von Heilanstaltspflege
in das freie Ermessen der Berufsgenossenschaft gestellt. Nach Abs. 6 daselbst
soll allerdings die Berufsgenossenschaft in gewissen Fällen möglichst Heil¬
anstaltspflege gewähren. Hieraus ist aber nicht zu folgern, daß in diesen
Fällen dem Verletzten ein durch Anrufung der höheren Spruchbehörde erzwing¬
barer Rechtsanspruch gegeben sein soll. Auch nach früherem Rechte ist über¬
wiegend angenommen, daß dem Versicherten ein Rechtsanspruch auf Kranken¬
hauspflege nicht zusteht. An dieser Rechtslage hat, wie dft Entstehungs¬
geschichte des § 697 und der verwandten Vorschrift des § ifi der R.V.O.
(Krankenversicherung) ergibt, nichts geändert werden sollen. Der Kommissions¬
bericht zu dem jetzigen § 184 der R.V.O. läßt besonders erkennen, daß ledig¬
lich an ein Eingreifen der Aufsichtsbehörde gedacht wurde. Und was von der
Krankenversicherung gilt, in der die Heilbehandlung eine wesentlich größere
Rolle spielt, als in der Unfallversicherung, mnß hier um so mehr von der
letzten gelten, also eine Anrufung der Spruchbehörden um so eher ausgeschlossen
sein. Ob und inwieweit der Verletzte wirklich in solchen Fällen eine Ent¬
scheidung im Aufsichtswege herbeiführen kann, ist im Spruchverfahren nicht
zu erörtern. _ (Kompaß; 1916, Nr. 4.)
Rentenminderung bei Besserung der Unfallfolgen (Hornhaut¬
trübungen)) trotz Aufhebung dieser Besserung durch ein unabhingig vom
Unfall anfgetretenes Sehnervenleiden. Rekurs-Entsc[heidung des
Reichs-Versicherungsamts vom 9.Dezember 1915. (
Das R. V. A. hat durch die in ihren wesentlichen Feststellungen überein¬
stimmenden Gutachten des Dr. L. und der Universität« - Augenklinik in Breslau
das abweichende Gutachten des Sanitätsrats Dr. W. für widerlegt angesehen.
Dieser hat sein Gutachten auf eine lediglich einmalige Untersuchung des Klägers
gestützt, während das der Universitätsklinik auf einer wiederholten Beobachtung
in der Klinik beruht. Das R. V. A. hat danach für erwiesen angesehen, daß
das beiderseitige Sehnervenleiden durch die Unfälle nicht verursacht, auch nicht
wesentlich verschlimmert worden ist, und daß eine wesentliche Besserung der
Unfallfolgen insofern eingetreten ist, als die Hornhauttrübungen sich verringert
haben. Wenn sich trotzdem die Sehschärfe und dementsprechend die Erwerbs-
fäbigkeit des Klägers nicht wesentlich gehoben hat, so ist dies nicht auf die
Unfallfolgen zurückzuführen, sondern auf das Sehnervenleiden. Wäre dieses
Leiden 'nicht hinzugekommen, so hätte sich beim Zurückgehen der Hornhaub-
trübungen die Sehschärfe zweifellos wesentlich gebessert, wodurch auch die
Erwerbsfähigkeit des Klägers eine größere geworden wäre. Die Unfallfolgen
stehen deutlich abgegrenzt selbständig neben den Krankheitserscheinungen und
die Beklagte hat nur für den schädigenden Einfluß der Unfallfolgen auf die
Erwerbsfähigkeit aufzukommen. Die Herabsetzung der bisherigen Teilrenten
ist daher berechtigt, weshalb der Rekurs zurückgewiesen worden ist.
(Kompaß; 1916, Nr.6.)
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
161
Kein Zusammenhang zwischen tödlicher Lungenentzündung und
Unfall. Rekurs-Entscheidung des Reichs-Versicherungsamts
rom 3. Dezember 1915.
Die ärztliche Wissenschaft steht im allgemeinen auf den Standpunkt,
daß die Entstehung einer Lungenentzündung durch Unfall verhältnismäßig
selten ist. Deshalb muß, wo ihre Entstehung durch Unfall behauptet wird,
vor allem der Unfall unbedingt sicher bewiesen sein. Im vorliegenden Falle
ist nnn zwar erwiesen, daß bei der Betriebsarbeit des Verstorbenen vom 3. Mai
1918 ein außergewöhnliches Ereignis insofern eingetreten ist, als eine Anzahl
von Wagen plötzlich auf dem Geleise ins Rollen kam und die in der Nähe
befindlichen Arbeiter, darunter auch den Verstorbenen, nötigte, sich durch
schleuniges seitliches Ausweichen in Sicherheit zu bringen. Dagegen fehlt es
an hinreichendem Beweise dafür, daß der Verstorbene sich hierbei, sei es durch
Stoß, Erschütterung oder Quetschung eine Verletzung des Brustkorbes zuge¬
zogen hat. Das rein äußerliche zeitliche Zusammentreffen dieses Betriebs¬
ereignisses mit der Entstehung der Erkrankung bringt es naturgemäß mit sieb,
daß der Verstorbene in Erinnerung an die ausgestandene Gefahr und den
Schreck des guten Glaubens war, daß seine Krankheit eine Folge jenes Ereig¬
nisses gewesen sei. Daraus erklären sich zwanglos seine in diesem Sinne ge¬
tanen Aeußerungen za . den Zeugen, ohne daß diesen Aeußerungen der Nachweis
eines tatsächlich bestehenden ursächlichen Zusammenhanges entnommen werden
kann. Auf der anderen Seite spricht aber die Tatsache, daß der Verstorbene
seinen Mitarbeitern gegenüber mit keinem Wort einer Verletzung Erwähnung
getan und keiner dieser Mitarbeiter von einer Verletzung etwas bemerkt bat,
in hohem Grade gegen die Annahme, daß der Verstorbene damals eine Ver¬
letzung irgendwelcher Art erlitten hat. Mit dieser Beurteilung stehen auch
die Gutachten der Aerzte der Universitätsklinik in Halle vom 17. Juli 1913,
des Kreisarztes Dr. B. ebenda vom 29. April 1914 und des Geh. San.-Rats
Prof. A. F. in Berlin rom 29. Oktober 1915 im Einklang. Bei dieser Sachlage
war dem Ansprache der Kläger auf Hinterbliebenenrente der Erfolg zu versagen.
_ (Kompaß; 1916, Nr. 6.)
Zusammenhang zwischen Tod an Blutvergiftung und dem einige
Wochen zurückliegenden Unfall nur möglich, jedoch nicht wahrscheinlich.
Rekurs - Entscheidung des Reichs-Versicherungsamts vom
19.November 1915.
Der Anspruch der Kläger auf Bewilligung einer Hinterbliebenenrente
hängt von der Feststellung ab, ob die Blutvergiftung, an welcher F. -am
27. September 1913 verstorben ist, mit dem Unfälle vom 11. August 1913 in
ursächlichen Zusammenhang gebracht werden kann. Diese Frage hat das Ober¬
versicherungsamt auf Grund der übereinstimmenden Gutachten der Sachver¬
ständigen Dr. A. und Dr. K. mit Recht verneint. Es würde an sich nabeliegen,
zu vermuten, daß der Verstorbene, der bei dem Unfall auf dem Rücken durch
Erdmassen getroffen sein kann, auf diesem Körperteil Hauttrennungen erlitten
hat, welche die Eingangspforte für die zur Blutvergiftung führenden Giftkeime
gebildet haben. Einer solchen Annahme steht aber das Ergebnis der Leichen¬
öffnung entgegen, bei der am Rnmpfe des Verstorbenen keinerlei Verletzungs¬
spuren festgestellt worden sind. Die damals auf dem Rücken Vorgefundenen
Sparen von Furunkeln weisen auf Entzündungen anderer Art hin, zu denen
dos gewöhnliche Leben mannigfache Gelegenheit bietet; sie sind daher vou den
Sachverständigen mit Recht nicht als mögliche Unfallfolgen in den Kreis der
Erörterungen gezogen worden. Den Sachverständigen ist ferner darin zu folgen,
daß auch nicht angenommen werden kann, der Verstorbene, habe bei dem Unfall
eine Hauttrennung am rechten Unterschenkel davongetragen, in welche die
Giftkeime eingedrungen sein könnten. Denn bei der Aufnahme des F. in das
Krankenhaus sind Verletzungen am rechten Unterschenkel überhaupt nicht
festgestellt worden; solche hätten dem mit der Untersuchung beauftragten
Arzte nicht entgehen können. Die später aufgetretene und aufgebrochene
eiternde Wunde am rechten Unterschenkel muß nach Lage der Sache als eine
Folgeerscheinung einer allgemeinen Blutvergiftung, nicht als ihre Ursache an¬
gesehen werden. Tatsächlich ist F. nach der Auskunft der Aufsichtsbehörde
vom 28. Januar 1914 zwar am 14., 18., 19. und 20. August 1913 von der Arbeit
162
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
fortgeblieben, hat aber demnächst bis za seiner Einlieferung in das Kranken-
haas noch einen vollen Monat Weiterarbeiten and sich innerhalb dieses Zeit¬
raums die Blutvergiftung in einem, dem Ausbruch der Krankheit näher liegenden
Zeitpunkt außerhalb jeder Betriebsarbeit zuziehen können. Auf die bloße
Möglichkeit hin, daß sich der Verstorbene bei dem Unfall vom 11. August 1913
eine von den Acrzten nicht bemerkte Hauttrennung zugezogen hat, in welche
die Qiftkeime bei dem Unfall oder später eingedrungen sind, kann eine Fest¬
stellung zugunsten der Kläger nicht getroffen werden. Ist hiernach mit dem
Vorderrichter der ursächliche Zusammenhang der tödlichen Blutvergiftung mit
dem Unfall vom 11. August 1918 zu verneinen, so mnß auch dem Rekurse der
Erfolg versagt werden. (Kompaß; 1916, Nr. 4.)
Tödliche von einem Nackenfarankel ausgehende Blntrerglftung.
Betriebsunfall nicht erwiesen. Rekurs-Entscheidung des Reichs -
Versicherungsamts vom 20. November 1916.
Das Rekursgericht hat auf Grund der ärztlichen Gutachten und des
Ergebnisses der sonstigen Beweisaufnahme nicht die Ueberzeugung gewonnen,
daß die Blutvergiftung, die den am 10. Januar 1914 eingetretenen Tod des
Assistenten Qu. zur Folge hatte, durch einen Stoß auf den Furunkel im Nacken
verursacht worden ist. Zunächst liegt ein ausreichender Beweis dafür, daß
der Verstorbene sich tatsächlich im Betrieb an dem Furunkel gestoßen hat,
nicht vor. Augenzeugen des von Qu. gegenüber dem Heildiener behaupteten
Vorfalles sind nicht vorhanden. Gegen die Richtigkeit der Angaben Qu.s
spricht die Tatsache, daß er nicht nur seiner Frau, sondern auch dem Koks¬
meister G., mit dem er sich in der Nacht vom 27. zum 28. Dezember nach
dem Verbinden des Furunkels durch H. ungefähr eine Stunde über den Betrieb
unterhielt, und dem Oberassistenten P., bei dem er am 4. Januar 1914 wegen
seiner Erkrankung um Urlaub nachsuchte, von einem Betriebsunfall keine Mit¬
teilung machte. Ganz besonders aber muß es auffallen, daß Qu. gegenüber
den beiden Aerzten, die ihn im Januar 1914 behandelten, von einem Stoß gegen
das Geschwür nichts erwähnte. Ausschlaggebend für die Entscheidung des
Senats waren die Gutachten der Prof. Dr. D. und Dr. F , sowie des Gerichtsarztes
Dr. G. Diese Sachverständigen haben eingehend und überzeugend dargelegt,
daß nach den Bekundungen des Heildiencrs H. über den Zustand des Geschwürs,
nach dem Befund bei der Leichenöffnung und insbesondere bei dem Fehlen stärkerer
Reaktionserscheinungen in der Umgebung des Furunkels eine äußere Gewalt¬
einwirkung überhaupt nicht angenommen werden kann. Nach den Gutachten
dieser Aerzte besteht vielmehr die überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, daß
die Einschwemmung der Eitererreger durch die Wege des Blut- und Lymph-
kreislaufes aus dem Furunkelherde allmählich und unabhängig von einer äußeren
Verletzung des Furunkels erfolgt ist. Aber selbst wenn als richtig unterstellt
wird, daß der Furunkel gestoßen worden ist, kann nach der ganzen Sachlage
doch nur die Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen Stoß
und Blutvergiftung angenommen werden. Die Möglichkeit allein reicht aber
nicht aus, um die Beklagte verurteilen zu können. (Kompaß; 1916, Nr. 4.)
Die Genossenschaften haben beim Obsiegen des Klägers nur die
Kosten des nach | 1596 der R.V.O. eingeholten Gutachtens, aber nicht
etwaige Reisekosten usw. zur ärztlichen Untersuchung zu erstatten. Ent¬
scheidung des Oberversicherungsamts Dortmund vom 21. De¬
zember 1916.
Die Kosten für ein auf Antrag und Kosten des Verletzten eingeboltes
Gutachten sind nach § 1696 Absatz 2 zu erstatten, „soweit es angemessen ist",
wenn auf Grund des Gutachtens eine Rente, die im Bescheide abgewiesen, ge¬
währt oder die im Bescheide festgesetzte Teilrente erhöbt worden ist. Der
Zusatz „soweit es angemessen ist", würde überflüssig sein, wenn schon bei
einem Teilerfolge des Einspruchs die Kosten in voller Höhe zu erstatten wären.
Im Gegenteil muß nach dieser Vorschrift auch geprüft werden, in welcher Höhe
die Kosten bei einem Teilerfolg des Einspruchs zu erstatten sind.
Unter den Kosten für ein ärztliches Gutachten kann aber nach dem
Sprachgebrauch nur diejenige Summe verstanden werden, die der Arzt für
seine Mühewaltung gefordert bat, nicht aber etwa die Kosten, die
Kleinere Mitteilungen und Referate -ans Zeitschriften.
163
durch die Reise zum Arzte, Verdienstausfall and dergleichen entstanden sind.
Hätte der Gesetzgeber auch die letzterwähnten Kosten als erstattungspflichtig
angesehen, dann hätte er dies zum Ausdruck gebracht. Für die engere Aus*
legung des Begriffs der Kosten des ärztlichen Gutachtens spricht auch, daß
andernfalls die Gefahr bestände, daß die Verletzten die Kosten 67. zu Lasten
des Sektionsvorstandes ins Ungemessene steigern könnten, wenn sie nicht selbst
dabei interessiert wären, die Kosten durch Inanspruchnahme eines Arztes nach
Möglichkeit zu verringern. FQr die Erstattungspiiicht des SektionsvQrstandes
kam daher zunächst nur die Summe in Frage, die der Arzt für das Gutachten
gefordert hat.
Da Verletzter nur einen teil weisen Erfolg gehabt hat, den der Sektions*
, Vorstand mit Recht auf */s veranschlagte, so entspricht es der Sachlage, daß
der Sektionsvorstand nicht den vollen Kostenbetrag von 15 M. für das ärzt¬
liche Gutachten, sondern nur den Betrag von 10 M. erstattete. Der erhobene
weitere Anspruch kann aus den angeführten Gründen als berechtigt nicht an¬
erkannt werden. _ (Kompaß; 1916, Nr. 5.)
C. Bakteriologie and Bekämpfung der Abertragbaron Krankboiton.
1. Cholera.
Lentzsches Blutalkalitrockenpulver zur Bereitung von Choleranähr-
boden ln Feldlaboratorien. Von Stabsarzt Dr. Th. Fürst, zurzeit Leiter
des bakteriologischen Feldlaboratoriums der 8. Armee. Deutsche medizinische
Wochenschrift; 1916, Nr. 8.
Der für die Choleradiagnose bedeutungsvoll gewordene Dieudonnasche
Blutalkalinährboden darf nicht unmittelbar nach der Bereitung verwendet
werden; die Platten sollen vor 24 ständigem Stehen und 8 Tage nach der Her¬
stellung nicht gebraucht werden. Demgegenüber bietet das von Lentz
empfohlene Blutalkalitrockenpulver für die Verhältnisse im Feldlaboratorium
den Vorteil der kompendiösen Form und der sofort gebrauchsfähigen Nähr¬
bodenherstellung für plötzliche Cholerafälle.
Bei der Prüfung des aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte übersandten Blut-
alkalipulvers und der von der Firma Lautenschläger fabrikmäßig her¬
gestellten Trockenpulverproben stellte Fürst fest, daß das Wachstum von
Coli nicht vollständig unterdrückt wurde. Das gelang erst, wenn man ent¬
gegen der von Lentz gegebenen Vorschrift eine schwache Sodalösung anstatt
destillierten Wassers zum Auflösen des Pulvers benutzt. Der zur Unter¬
drückung des Coliwachstums austitrierte Sodazusatz beträgt 0,2—0,3%.
Weiter zeigte sich, daß man die Wirksamkeit des aus Lentzschem
Trockenpulver hergestellten Nährbodens durch Zusatz von Rohrzucker (2%)
erheblich steigern kann, und zwar wird dadurch das Aufgehen vereinzelter
Kolonien bei der Beimpfung mit Cholera - Coligcmischen begünstigt. Ferner
wachsen die auf dem Zuckernährboden aufgegangenen einzelnen Cholerakolonien
durchweg üppiger und erhabener und auch zahlreicher. Endlich fällt die
Probeagglutination, die von den Blutalkalinährbödcn ohne Zuckerzusatz oft nur
sehr langsam eintritt, sofort und außerordentlich deutlich aus. Danach empfiehlt
sich also für die Bereitung der Choleranährböden aus Lentz schem Blutalkali¬
trockenpulver einmal ein Zusatz von 0,3 °/ 0 kristallisierter Soda, sodann von
2 °/o igein Rohrzuckeragar. Dr. R o e p k e - Melsungen.
2. Typhus.
Typhus - Schutzimpftang und -Infektion im Tierversuch. Von Prosektor
Dr. Emmerich und Dr. Gerhard Wagner, Assistent am hygienischen Institut.
Aus dem Pathologischen Institut der städt. Krankenanstalt und dem Hygieni¬
schen Institut der Universität Kiel. Mediz. Klinik; 1915, Nr. 3.
Zum Stadium der Frage der Typhusschutzimpfung wurden 10 Kaninchen
mit 3 verschiedenen (poly- und monovalenten) Impfstoffen immunisiert, dann
durch Injektion von Typhusbazillen in die Gallenblase infiziert. 9 Tiere wurden
zu Bazillenträgern. In den ersten Tagen nach der Infektion schieden fast alle
Tiere Typhusbazillen im Kot aus, dann folgte eine 3 Wochen lange Pause,
während der keine Typhusbazillen im Kot nachweisbar waren. Nach dieser
Pause fanden sich die Typhusbazillen wieder im Kot. Von 3 nicht schütz-
164
Kleinore Mitteilungen and Beferate ans Zeitschriften.
geimpften, aber infizierten Tieren schieden 2 ununterbrochen Typhuskeime aus.
Vielleicht läßt sich die 3 Wochen lange „Ausscheidungapause“ dadurch erklären,
daß die ßchutzstoffe zunächst die in den Darm übertretenden Typhusbazillen
töten; wenn dann die Schutzkraft erlahmt (nach etwa 3 Wochen), kommen die
Typhusbazillen wieder zum Nachweis. 1 Kaninchen ging 10 Wochen nach der
Iniektion an einer Typbussepsis ein. Von 6 infizierten und am Leben gelassenen
Tieren schieden nach längerem freien Intervall nunmehr nach 9 Monaten wieder
2 erneut Typhuskeime aus. Bei der Beurteilung der event. Heilung muß man
berücksichtigen, daß Typhusinfektionen beim Kaninchen auch spontan ausheilen.
Die Schutzimpfung konnte die Entwicklung zu Bazillenträgern bei Kaninchen
nicht verhindern. Aehnlich wie bei menschlichen Bazillenträgern kommt es
beim Kaninchen zur Ausbildung einer chronischen Cholecystitis.
Dr. L. Q u a d f 1 i e g - Gelsenkirchen.
Zur Vakzinetherapie des Typhus abdominalis bei den prophylaktisch
Geimpften. Von Dr. Karl Mayer, Assistent der med. Universitätsklinik in
Krakau, derzeit k. und k. Ldst. - Oberarzt. Aus der Infektionsabteilung eines
Festungsspitals. Med. Klinik; 1916, Nr. 1.
Durch die Schutzimpfung wird die Bildung von Heilstoffen gegen die
Krankheitserreger und ihre Stoffwechselprodukte angeregt. Infolgedessen ver¬
laufen die Typhuserkrankungen bei prophylaktisch Geimpften im allgemeinen
loicbter: von 98 beobachteten Fällen verliefen 51 leicht, 26 mittelschwer, 14
schwer; 7 starben. Für die Beurteilung des Wertes der therapeutischen
Vakzination ist es nötig zu unterscheiden, ob sie zur Anwendung gelangt bei
prophylaktisch geimpften oder nicht geimpften Kranken. 16 Typhusfälle, die
1—4 Monate vor der Erkrankung prophylaktisch geimpft worden waren, wurden
gleich in den ersten Krankheitstagen mit Vakzinetherapie behandelt. Sie er¬
hielten in Zwischenräumen von 2 Tagen drei bis fünf Injektionen von 0,5 bis
1,5 ccm Bujovidscher Vakzine. Alle diese Fälle verliefen günstig; es kamen
keine Rezidive, keine schweren Komplikationen und Nachkrankheiten zur Be¬
obachtung. Die Fieber- und Krankheitsdauer wurde auf 2*/*—8 Wochen redu¬
ziert Auf anderen Abteilungen sollen die Typhusfälle, die gleichzeitig mit
dieser prophylaktisch geimpft worden waren, aber ohne Vakzinetherapie be¬
handelt wurden, schwerer verlaufen sein; hierbei dauerte die Fieberperiode
3—5 Wochen. Ein Urteil über den Wert der Vakzine kann nur gewonnen
werden, wenn große Zahlenreihen zur Verfügung stehen mit genauen Angaben
über den Verlauf der einzelnen Epidemien, über vorhergegangene Schutz¬
impfungen bezw. deren Fehlen. Dr. L. Q u a d f 1 i e g - Gelsenkirchen.
3. Paratyphus.
Paratypböse Erkrankungen. Von Prof. Dr. L. B. v. Korczynski.
Aus der internen Abteilung des Landesspitals Sarajevo. Medizinische Klinik;
1916, Nr. 2 und 3.
Dio Paratyphusbazillen' verursachen Erkrankungen mit verschiedenem
Symptomenkomplex; einmal verläuft die Infektion unter dem Bilde eines
Abdominaltyphus, dann der Gastroenteritis, schließlich der Cholera; außerdem
können die Bakterien sich in fast allen anderen Organen lokalisieren. Unter
den Paratyphusbazillen gibt es verschiedene Abarten, auch bilden einige hitze¬
beständige Toxine; daher spricht man am besten von paratyphösen Erkrankungen
mit näherer Bezeichnung der Lokalisation. Im Vordergründe steht die Infektion
des Verdauungstraktus. Die Krankheitserreger gelangen im allgemeinen
am häufigsten mit Fleischspeisen in den Organismus, besonders mit Hackfleisch
und Wurst, dann auch mit anderen Fleisch- und Fischsorten, weiter durch
Milch und Kontakt. Gefährlich sind natürlich Bazillenträgen im Nahrungs-
mittelgewerbe. In Sarajevo wurden in der Zeit von Januar 1914 bis Ende
Juni 1915 50 paratyphöse Erkrankungen beobachtet und sichergestellt. Für
die Verbreitung erschienen ganz besonders Wurste und Selcbfleisch verdächtig.
Inwieweit das Trinkwasser mitbeteiligt ist, läßt sich nicht genau feststellen;
nach den Mitteilungen des bakteriologischen Laboratoriums des k. und k.
Featungsspitals sind jedoch im Leitungswasser vielmals Paratyphusbazillen
gefunden worden. Im Verhältnis sehr stark beteiligt waren die in einer Straße
Kleinere Mitteünngen and Referate non Zeitschriften.
165
wohnenden Prostituierten, die ihre Eßwaren wahrscheinlich ans einem nicht
einwandfreien Geschäft bezogen. 18 Fälle boten das Bild des Bauchtyphus mit
z. T. sehr kurzem Inknbationsstadinm und ohne deutliche Prodrome. Von den
ausführlich geschilderten Symptomen dieser Fälle sind besonders zu erwähnen:
Roseola in 88,3 °/o, Magenstörungen waren sehr selten, Darmstörungen
i Diarrhöen und Obstipation) häufiger. Fast konstant fand sich Milzschwellung,
teukopenie kann fehlen, dagegen wurde fast stets Zunahme der Lymphozyten
f efunden. Die Diagnose wurde bakteriologisch sichergestellt durch die
ickersche Modifikation der Widalschen Reaktion. Unter den 18 Proben
fand sich positive Agglutination: 10mal mit Paratyphus A, 3mal mit Para¬
typhus B, lmal mit beiden, 4mal war sie negativ; 2mal fanden sich Para-
typhusbazillen (Typhus?) im Stuhl. Die übrigen 32 Fälle boten das Bild der
Gastroenteritis: Das erste akute Stadium mit Diarrhöen war meist in 1—3
Tagen vorüber; im weiteren Verlauf stellte sich dann öfter Obstipation ein; verein¬
zelte Roseolen wurden in 12,5 °/o gesehen. Der Bauch war druckempfindlich, be¬
sonders die Gegend des absteigenden Colons; Hyperaesthesie der flaut fand sich
über dem Kreuzbein und seitlich davon = He ad sehe Strahlungszone der „Ein¬
geweideschmerzen“. In 59,3°/o ließ sich die Milz deutlich fühlen; in den
anderen Fällen durch die Perkussion als vergrößert nachweisen. Die Agglu¬
tinationsprüfung ergab in 13 Fällen ein positives Resultat. Konstante klinische
Merkmale für die Erkennung der Paratyphus A- bezw. B-Infektion waren nicht
vorhanden. In den 2 zur Sektion gekommenen Fällen fand sich neben enteritischen
Erscheinungen Geschwürsbildung im Darm. Die Therapie war dieselbe wie bei
Bauchtyphus.
Die Prophylaxe der Paratyphusinfektionen erfordert u. a. eine gute
Nahrungsmittelkontrolle; dazu gehört eine bakteriologische Untersuchung der
«in der Nahrungsmittelbranche beschäftigten Personen.
Weiter fanden sich gehäuft Fälle — im ganzen 43 — von Pyelitiden
bzw. Zystopyelitiden auf paratyphöser Basis, zu denen die Prostituierten
den weitaus größten Prozentsatz stellten. Die Häufigkeit dieser Infektion legt
die Annahme einer wirklichen epidemischen Verbreitung nahe. Alle diese Fälle
betrafen weibliche Erkrankte. Die Symptome waren die der Pyelitis, mit Harn¬
drang und Schmerzen beim Urinieren. Die meisten hatten vorher Bauch para-
typhus, vielleicht auch ambulant, durchgemacht oder an Gastroenteritis para-
typhosa gelitten. Möglicherweise sind mehrere davon Bazillenträger geblieben.
Für die Infektion der Harnwege kommt Autoinfektion and manuelle Ueber-
tragung der Paratyphusbazillen auf die Urethra, dann fortschreitend auf Blase
und Nierenbecken, in Frage; die letztere Annahme trifft hauptsächlich auf die
Prostituierten zu. Sie pflegen, um bei der Gesundheitsvisitation gonorrhöfrei
zu erscheinen oder aus dem Krankenhause als gesund entlassen zu werden,
kurz vor der Untersuchung das event. Sekret der Harnröhre durch Auspressen
mit den Fingern zu entfernen. Sind die Finger, z. B. bei Bazillenträgern, mit
Paratyphusbazillen infiziert, so ist diese Art der Infektion leicht möglich. Natür¬
lich kommen auch noch andere Uebertragungen in Frage. Diese Patienten sind
nicht eher zu entlassen als bis der Urin steril ist, besonders wenn es sich um
Prostituierte handelt. Dr. L. Quadflieg -Gelsenkirchen.
4. Ruhr.
Zur Aetiologie der Ruhr. Von Prof. Dr. U. Friedemann und Dr.
Steinbock. (Aus der Infektionsabteilung des Rudolf Virchow-Kranken¬
hauses in Berlin.) Deutsche med. Wochenschrift; 1916, Nr. 8.
Der Nachweis der spezifischen Erreger bei der Kriegsruhr stößt auf
besondere Schwierigkeiten. In einem Etappenlaboratorium des Ostens ist im
Laufe von 8 Monaten bei der Untersuchung vieler hunderte von Fällen der
Nachweis von Dysenteriebazillen nur 15mal geglückt (Seligmann). Die
Autoren konnten unter 335 Patienten, deren Faezes wegen Ruhrverdachts
untersucht wurden, nur bei 29 einen positiven Bazillenbefund erheben. Das
erklärt sich daraus, daß die Ruhrbazillen durch die Konkurrenz der Darm¬
bakterien sehr leicht unterdrückt werden können, auch meist nur in ganz
bestimmten Stadien der Krankheit auffindbar und, wenn die Faezes den Darm
verlassen haben, sehr schnell dem bakteriologischen Nachweis entzogen sind.
Erst reeht gilt das für die Kriegsruhr, weil die Erkrankung gerade im Beginn
166
Kleinere Mitteilungen und Referate aas Zettschriften.
dem Bakteriologen gar nicht zugänglich ist. Bei Verlegung des Laboratoriums
näher an die Front stieg die Zahl der positiven Bazillenbefunde Seligmanns
auf 38°/o, bei den in der ersten Krankheitswoche Untersuchten auf 70 °/«-
Auch Aronson konnte bei Untersuchung möglichst frischer Stuhlproben
bei 299 von 1133 Fällen Dysenteriebazillen finden. In der Leiche konnten die
Verfasser niemals Ruhrbazillen auffinden, weder im Darm noch in Mesenterial¬
drüsen, Milz, Herzblut trotz typischen anatomischen Ruhrbildes. Die Ruhr ist
eben im wesentlichen eine Intoxikation, deren Wirkungen noch andauern, wenn
die spezifischen Erreger bereits geschwunden sind; und die Darmbakterien
erschweren das Aasheilen der Dickdarmgeschwüre und unterhalten auch nach
dem Verschwinden der Ruhrbazillen den entzündlichen Zustand der Darm¬
schleimhaut.
Dos Versagen der bakteriologischen Diagnose hat den Glauben an eine
einheitliche Aetiologie der epidemischen Ruhr erschüttert. Man beschuldigte
Paratyphasbazillen, Streptokokkeninfektionen nach Angina und hielt die häufig
unzweckmäßige Ernährung im Felde auch ohne Mitwirkung pathogener Keime
für geeignet, das klinische Bild der hämorrhagischen Colitis zu erzeugen. Zur
Klärung der Frage haben die Verfasser die Agglutinationsreaktion Shiga
herangezogen, die nie eine ähnliche Bedeutung erlangt hat wie die W i d a 1 sehe
beim Typbus, weil sie erst in der dritten bis vierten Woche aufzutreten pflegt.
Andererseits bleiben die spezifischen Serumveränderungen beim Rekonvaleszenten
sehr lange bestehen, so daß sie noch nachträglich die ätiologische Natur der
Erkrankung bestimmen lassen.
Im allgemeinen gelten für den Shiga-Kruse-Bacillus positive
Reaktionen von der Verdünnung 1:60 ab, für die ungiftigen Ruhrstämme
solche von 1:100 ab als beweisend. Sera von Shi ga-Dysenterien agglutinieren
häufig auch die andern Stämme, während das Umgekehrte weit seltener der
Fall ist. Zu bemerken ist ferner, daß die Agglutination des Typhusbacillus
mit der Bildung eines feinkörnigen Niederschlags verglichen werden kann, daß
aber bei der spezifischen Agglutination des Ruhrbacillus grobeKlumpen
entstehen, die rasch zu Boden sinken. Nur diese Form der Reaktion
ist bei derRuhr diagnostisch verwertbar, während die feinkörnige
Agglutination auch durch unspezifisebe Nebenagglutination hervorgerufen werden
kann. Ruhrstämme, die die klumpige Aufflockung nicht in charakteristischer
Weise zeigen, sind für diagnostische Zwecke nicht zu brauchen.
Die Ergebnisse der Kontrolluntersuchungen waren, daß von 44 ruhr¬
freien Patienten (19 gewöhnliche Durchfälle, 16 Typhusfälle, 10 Typhus¬
schutzgeimpfte) in keinem Fall Shi ga-Bazillen in der charakteristischen
Weise agglutiniert wurden. Hingegen wurden die atoxischen Flexner- und
Y-Bazillen von einigen 8era noch in der Verdünnung 1 : 40 in typischer Weise
zusammen ge klumpt, und war die feinkörnige Agglutination im Serum
von Typhus-Rekonvaleszenten und -Schutzgeimpften auch dem S higa- Bacillus
gegenüber bisweilen anzutreffen.
In der 2. Versuchsweise zeigten von 44 fällen klinischer Ruhr,
die von der Ostfront stammten, 84 typische, grobklumpige Agglutination; in
8 Fällen war überhaupt keine Ruhragglutination festzustellen, und zweimal
wurde Y-Agglutination ohne Shiga-Agglutination beobachtet.
Angesichts der vielen negativen Ergebnisse der bakteriologischen Stuhl-
untersuchungen ist die Zahl der positiven Serum re&ktionen erstaunlich und
unerwartet hoch: von den klinischen Ruhrfällen erwiesen sich
nicht weniger als 81,8°/o serologisch als echte bazilläreRuhr,
davon 77,3°,o der schweren Form der Shiga-Kruse-Dysenterie zugehörig,
und nur bei 18,2 °/o ließ sich die Aetiologie auf serologischem Wege nicht
stellen. Von den obigen 34 positiv reagierenden Fällen konnten bakterio¬
logisch nur 6 = 14,7 °/o als Ruhr diagnostiziert werden. Die Agglutinations¬
reaktion gegenüber dem Shiga-Kruse-Bacillas ist also spezifisch und
diagnostisch verwertbar, wenn nur die grobklumpige Form der
Agglutination berücksichtigt wird.
Das Resultat der Beobachtungen, die fast ausschließlich Ruhrfälle aus
dem Osten betreffen, ist prophylaktisch und therapeutisch wichtig. In
prophylak tischer Hinsicht mahnt es, jede an der Ostfront vorkommende
hämorrhagische Colitis auch bei negativem Bazillenbefund als Bazillenruhr zu
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
167
betrachten; nnd in therapeutischer Hinsicht dürfte es nicht erforderlich
sein, die Anwendung des spezifischen 8 h i g a - Dysenterieserams von der
bakteriologischen Diagnose abhängig za machen.
_ Dr. R o e p k e - Melsungen.
Zar Epidemiologie nnd Bekämpfung der Rnhrerkranknngen Im Felde.
Von 8tabsarzt d. B. Prof. Dr. Jos. Koch, Mitglied des Kgl. Instituts für
Infektionskrankheiten „Robert Koch“, Berlin. Deutsche med. Wochen¬
schrift; 1916, Nr. 7.
In der Epidemiologie der Rahrerkrankangen spielt die „zeitliche und
örtliche Disposition" eine gewaltige Rolle. Die Bedeutung der Ruhr als
Heeresseuche geht aus den Zahlen des Krieges 1870/71 hervor. Noch
Schuster erkrankten an Ruhr in der Armee 88652 Mann « 4,9°/o mit
2380 Todesfällen = 6 */• der Kranken. Offiziere, Aerzte, Beamte eingerechnet,
erhöhen sich diese Zahlen auf 88975 und 2405. Wie im Jahre 1870/71 kam
es auch im jetzigen Kriege in den Monaten September und Oktober zu einer
epidemischen Ausbreitung der Rohr, die im September ihren Höhepunkt mit
16,7 •/•• der Kopfstärke erreichte.
Qewisse Bedingungen und begünstigende Momente müssen vorhanden
sein, wenn es zu einer epidemischen Ausbreitung der Ruhr kommen soll. Daß
der ruhrkranke Mensch die Hauptinfektionsquelle ist, ist in diesem Kriege aufs
neue bestätigt worden. Das schnelle seuchenhafte Umsichgreifen der
Ruhr in den Ortschaften beruht aber auf anderen Ursachen: auf der Ver¬
unreinigung der Ortschaften mit Ruhrstühlen, die eine gewaltige Verbreitung
von infektiösen Keimen ermöglichen, auf der Verseuchung des Wassers und
Inhaltes der Brunnen und der längeren Konservierung der Ruhrbazillen in
diesem während der heißen Monate, endlich auf der Verschleppung durch
Fliegen. Wo diese Bedingungen zutreffen, da schaffen sie die sog. „örtliche
Disposition" oder den „sieghaften" Boden im Sinne Pettenkofers.
Beobachtungen von Ruhrepidemien auf Truppenübungsplätzen haben
gelehrt, daß bei einer Rahrepidemie der größte Teil der Mannschaft eines ver¬
seuchten Gebietes sich mit den Erregern der Ruhr infiziert, ohne ernstlich zu
erkranken. Es bedarf noch einer Gelegenheitsursache, eines auslösenden
Momentes. Die „persönliche Disposition", die den Boden für die Ansiedelupg
der Ruhrbazillen vorbereitet, ist in der Mehrzahl der Fälle in Katarrhen des
Magendarmtraktus zu suchen, für welche die heißen Monate (Juli bis September)
die günstigste Zeit sind. Es kann daher der Einfluß einer guten Kost und
einer regelmäßigen Ernährung durch die Feldküche auf die Widerstandsfähig¬
keit der Truppe gegen Infektionskrankheiten gar nicht hoch genug bewertet
werden. Ebenso ist die gute Trinkwasserversorgung im Felde beim Biwakieren
nsw. eines der wertvollsten Mitteln im Kampfe gegen die Seuchen. So wirken
verschiedene Umstände zusammen, um neben der örtlichen auch die „zeit¬
liche" Häufung der Ruhrfälle in den heißen Monaten und die Steigerung zur
Epidemie unter den Truppen zu bedingen. Im übrigen ist aber schwer, den
Anteil der einzelnen Faktoren bei einer Rahrepidemie auch nur einigermaßen
richtig abzuschätzen.
Bei der Bekämpfung kommt alles darauf an, den Stuhl des Ruhr¬
kranken sobald als möglich zu vernichten oder wenigstens unschädlich zu
machen. Im Felde kann das am einfachsten geschehen, daß jeder Mann sofort
noch der Defäkation seine Exkremente vergräbt und zwar so tief, daß der Kot
bei Regenwetter nicht fortgespttlt werden kann. Damit wird zugleich die
Fliegenplage wesentlich eingeschränkt und gleichzeitig Cholera- und Typhus-
Propbylaxe geübt. Weiter hat in den heißen Monaten eine besonders gewissen¬
hafte Ueberwachung des Trinkwassers und der Ernährung durch die Truppen¬
ärzte stattzufinden (Verhinderung des Trinkens von kaltem Wasser in größeren
Mengen in erhitztem Zustande, Fernhaltung infizierten Wassers, Beschaffung
von Tee und Kaffee in genügenden Mengen, Aufstellung der Jahreszeit ent¬
sprechender Speisezettel für die Feldküche).
Hat die Ruhr ihren Eingang in eine Truppe gefunden, dann wird sich
im Bewegungskriege die Absonderung der Ruhrkranken nur schwer, die
bakteriologische Untersuchung überhaupt nicht durchführen lassen. Letztere
168 Kleinere Mitteilungen und'Referate au* Zeitschriften.
fällt auch verhältnismäßig häufig negativ ans, so daß die Entscheidung in der
Bnhrdiagnose zunächst dem Kliniker überlassen bleiben maß.
Eine gewisse Trennung zwischen Gesunden und Leichtkranken ist
durchzuführen, indem man alle an Darmstörungen leidenden Mannschaften in
der Trappe feststellt, sie gesondert von der übrigen Truppe hält, ihnen nach
Möglichkeit besondere Quartiere zuweist, ihre Ernährung dem Darmleiden
entsprechend regelt, ihnen möglichst weitgehende körperliche Schonung vor¬
schreibt und die Latrinenhygiene mit besonderer Sorgfalt durchführen läßt
Die Verlegung aus den alten verseuchten Quartieren in neue einer anderen
Gegend ist unbedenklich. • _ Dr. R o e p k e - Melsungen.
5. Diphtherie.
lieber primäre Nasendiphtherie. Von E. Bergh. Monatsschrift für
Ohrenheilkunde und Laryngo-Rhinologie; Bd. 49, Nr. 10.
Verfasser hat die primäre Nasendiphtherie vorzugsweise bei Kindern im
Alter von 1—10 Jahren und während der kälteren Jahreszeit beobachtet Als
besondere Komplikationen sind in den 36 beobachteten Fällen Albuminurie,
Herzlähmung, purulente Mittelohraffektionen aufgetreten. Die Prognose ist
bei Serumbehandlung günstig, jede lokale Therapie nach der Serumeinspritzung
überflüssig, ln den mit Seram behandelten Fällen verbleiben die Diphtherie¬
bazillen anf der Nasenschleimhaut im Durchschnitt nicht länger als bei Diph¬
therie auf anderen Schleimhäuten. Die hauptsächlichste Bedeutung der primären
Nasendiphtberie liegt darin, daß sie Bazillenträger erzeugt
_ Dr. R o e p k e - Melsungen.
6. Tetanus.
lieber die „Fibrillentheorie“ und andere Fragen der Toxin- und
Antitoxinwanderung beim Tetanus. (Aus dem Pathologischen Institut der
Universität Freiburg i. Br.). VonL. Aschof f-Freiburg und H. E.Robertson-
Minneapolis. Medizinische Klinik; 1916, Nr. 26 und 27.
Die bisherigen Kriegserfahrungen über die Anwendung des Tetanustoxins
sind ausschließlich empirisch gewonnene Tatsachen, die nur das bestätigen,
was die Behringsche Schule bezüglich der Verwendung des Antitoxins
experimentell festgelegt hat. Diese Ergebnisse haben aber zum Teil nooh bis
heute keine volle Berücksichtigung erfahren und veranlaßten die Autoren zu
weiteren tierexperimentellen Nachprüfungen über das Schicksal des Toxins und
Antitoxins im Tierkörper nnd daraus zu ziehenden Schlüssen hinsichtlich der
Anwendung des Antitoxins beim Menschen.
Zahlreiche Autoren haben aus ihren Versuchen geschlossen, daß das
Tetanusgift von den Muskelnervenenden absorbiert wird und sich zentripetal
zum Rückenmarke fortpflanzen muß, den Achsenzylindern entlang, oder wie
Meyer und Ransom es ausdrückcn: „Das Gift muß im Fibrillenplasma
strömen.“ Gegen diese heute allgemein gültige Vorstellung der „Fibrillen¬
theorie“, der Leitung des Giftes in den fibrillären Strukturen bis
zum RUckenmarke und auch im Rückenmarke selbst, werden theoretische
Bedenken und die Ergebnisse der Tierversuche angeführt. Es wird gezeigt,
daß alle Resultate vollkommen nur mit der Theorie von der Leitung des Giftes
in den Nerven ly mph bahnen übereinstimmen, und daß diese „Lymph-
bahnentheorie“ auch die anerkannte Wirkung des Antitoxins auf das
Toxin im Tierexperiment am besten zu erklären vermag. Für die Lymphbahnen-
theorie sprechen weiterhin alle Versuche, die von Behring an bis heute über
die prophylaktische Anwendung des Antitoxins ausgeführt worden sind.
Die Klärung der Frage ist prophylaktisch und therapeutisch
von großer praktischer Bedeutung. Denn wenn Tetanusgift in den Achsen¬
zylindern wandert und sie erst einmal erreicht hat, ist keine Hoffnung mehr
vorhanden, seinen Lauf durch die Injektion von Antitoxin aufzuhalten. Tat¬
sächlich wandert aber das Tetanusgift schnell und vorwiegend in den Lympb-
bahnen der peripheren Nerven, wird dann zum Zentralnervensystem geleitet
und kann durch Antitoxin in jedem Stadium der Wanderung
neutralisiert werden bis zn der Zeit, wo es sich endgiltig zu einer
irreversiblen Verbindung mit den Elementen des Nervensystems vereinigt, für
Kleinere Mitteilungen 111111 Beferate ans Zeitschriften. 1Ä0
die es besondere Affinit&t besitzt Voraussetzung für die Wirkung ist aliefi-
dings, daß das Antitoxin in genügender Konzentration an die
betreffenden Steilen gebracht werden kann. Deshalb ist Behrings Bemühen
dnrehans berechtigt, ein so stark konzentriertes Antitoxin zu
erhalten, daß es, wenn auch mit allen Gewebsflüssigkeiten des Körpers ver¬
dünnt doch noch genug Neutralisationskraft besitzt nm das Gift wo es nur
irgend erreichbar ist unschädlich zu machen, ehe es die lebenswichtigen
Zentren erreicht.
Wenn aber beim Menschen die ersten Symptome aufgetreten sind,
befinden sich in der Begel die wichtigsten Lebenszentren bereits in großer
Gefahr; und in einem großen Prozentsatz der Fälle, besonders bei solchen mit
einer Inkubationsdauer von weniger als 6 Tagen, ist es dann sehr zweifelhaft,
ob irgendwelche Mittel überhaupt noch diese Zentren vor der endgültigen Ver¬
giftung zu schützen imstande sind. Unsere ärztlichen Bemühungen müssen daher
hauptsächlich gerichtet sein 1. auf die Neutralisation desjenigen Giftes, das
noch weiterhin in der Wunde gebildet und in das Blut geleitet werden kann;
2. auf die Erhaltung der Kräfte und der Widerstandsfähigkeit des Patienten
durch geeignete symptomatische und lokale Behandlung. Das beste, was man
also tun kann, ist: das Gift, das im Blute frei zirkuliert, im erstmöglichen
Augenblick unschädlich zu machen.
Für diesen Zweck ist die intravenöse Injektion von Antitoxin
ein fast vollkommenes Mittel, zumal es dann nicht in ungeheuren oder auch
nur in großen Dosen gegeben zu werden braucht. Dagegen ist die wegen
ihrer Einfachheit bevorzugte subkutane Anwendung für therapeutische
Zwecke, wenn die Symptome erst einmal aufgetreten sind, eine nutzlose Zeit¬
verschwendung. Die Autoren empfehlen daher, jeden Fall, bei dem sich Tetanus¬
symptome zeigen, sofort ohne Aufschub mit einer intravenösen
Einspritzung von 20 A.-E. Tetanusantitoxin zu behandeln. Diese
eine Einspritzung von 20 A.-E. genügt reichlich, um das Gift zu neutralisieren:
es hat daher auch nur geringen oder gar keinen Wert, die Dosis zweimal
täglich oder jeden zweiten Tag zu wiederholen.
Neben der intravenösen Injektion kann noch die subaraefanoideale
Einspritzung des Antitoxins (20 bis höchstens 100 A.-B.) in Frage kommen,
vorausgesetzt, daß der Zustand des Patienten eine länger dauernde Tiefen¬
lagerung des Kopfes bei Beckenhochlage gestattet oder der behandelnde Arzt
die zervikale subarachnoideale Injektionsmethode genügend beherrscht. Aber
auch diese Eingriffe müssen sofort nach Auftreten der Symptome ausgeführt
werden, wenn sie überhaupt noch Hilfe bringen sollen. Jedenfalls ist und
bleibt die sofortige intravenöse Injektion von 20 A.-E. für Heilzweke
die Hauptbehandlung.
Groß und viel verheißend ist nach Ansicht der Verfasser die prophy¬
laktische Wirkung des Antitoxins, wenn auch die Kliniker darin noch nicht
übereinstimmen. Trotz prophylaktischer Injektion sind Tetanusfälle vorge¬
kommen, nach den Literaturangaben vom jetzigen Kriege in 66 Fällen, bei
denen Angaben über Zeit, Einspritzung, Dosis, Art des Antitoxins, Inkubations¬
zeit vorliegen; 86 Fälle verliefen sogar tödlich. Hier ist in erster Linie der
Zeitinterwall zwischen Verletzung und Injektion des Heilserums entscheidend.
Die Schutzseruminjektion (subkutan oder intravenös) soll ebenfalls so früh wie
möglich, falls durchführbar noch innerhalb der ersten 24 Stunden nach der
Verletzung gemacht werden; das geschah unter den oben angegebenen Fällen
nur bei 18, von denen 60% durchkamen. Das französische Antitoxin hat sich
weniger zuverlässig in der Wirkung gezeigt.
Anstelle der Injektion des flüssigen Antitoxins können im Kriege, zumal
im Bewegungskampf,’ trockene Antitoxintampons Verwendung Anden.
Sie haben die Vorzüge des Antitoxinpulvers von Calmette und die des
frischen Antitoxintampons, vermeiden deren Nachteile und besitzen eine
Wirkungsdauer von 6 Wochen und mehr. Die Anwendung der Antitoxin¬
tampons empfiehlt sich auch, wenn eine Wiederholung der Serumanwendung
wünschenswert erscheint und die Gefahr einer Anaphylaxie durch die
erneute 8erumeinspritzong vermieden werden soll.
•*' Das Versagen der prophylaktischen Antitoxininjektion kann auch durch
lange Inkubationsdauer — 15 bis 25 Tage — bei Tetanus (verzögertem Tetanus)
170
KMuhaw Mitteilungen Uäfl Bef erste ans Zeitschriften.
bedingt sein. Ü solchen Fällen wird das Tetanusgift erst gebildet-oder
'absorbiert; > wenn von dem zuerst gegebenen Antitoxin, dessen Wirkung
praktisch eine Woche anhält, nur wenig oder gar kein Schutz mehr (20 Tage
nach >der Injektion) zu erwarten ist Hier würde die Benutzung von Anti»
toxinwatte zum Verbinden etwa jeden fünften Tag vorteilhaft sein.
>» 'Die Wiederholung der subkutanen Injektion von 20 A.-E. ist aus
.prophylaktischen Gründen immer geboten, wenn etwa ein späterer chirurgischer
Eingriff an der verletzten Extremität geplant wird; sie geht am besten 21 bis
48 Stunden* der Operation voraus. Dr. B o e p k e - Melsungen.
Sur Tetanusfrage. Von Oberstabsarzt Prof. Dr. Menz er »Bochum,
sehe,medizinische Wochenschrift; 1916, Nr. 8.
Auf der .Kriegschirurgentagung in Brüssel ist mit fast allgemeiner Zpr
Stimmung der Ansicht Ausdruck gegeben worden, daß, die Behandlung des
jfrjttnzeitig nach der Verletzung ausgebrochenen Tetanus auch mit großen
Dosen Antitoxin einen Erfolg nicht zeitigt, und daß es deshalb unbedingt
ratsam, ist, die unnötige Serum Verschwendung bei ausgebrochenem Tetanus auf¬
zugeben und dafür die fast allgemein als nützlich angesehene prophylak¬
tische Antitoxinbehandlung in weitgehendem Maße anzuwenden. In
der theoretischen Frage, weshalb.das Tetanusantitoxin bei dem irisch aus¬
gebrochenen Tetanus so vollständig versagt, spricht manches dafür, daß der
menschliche Tetanus, insbesondere der Kriegstetanus, zu einer generalisierten
Infektion mit septischen Bakterien und vielleicht auch mit Tetanusbazillen
oft führt Das Tetanusantitoxin hat wahrscheinlich neben der antitoxischeu
noch eine bakteriolytische Komponente; seine Anwendung bei ausgebrochenem
Tetanus ist daher nutzlos, wenn nicht sogar in manchen Fällen direkt nachteilig;
Die Behandlung des Tetanuskranken muß neben der zweckentsprechenden
Versprgtmg der Eingangswunde eine allgemeine sein und von dem Grundsatz
ausgehen, daß die für den Kranken dringend gebotene Buhe nicht durch allzu¬
geschäftige Polypragmasie gestört werden darf. Dr. B o e p k e - Melsungen.
7. Geschlechtskrankheiten und deren Bekämpfung.
Heber den Ausfall der Wa. B. bei Verwendung größerer Serum-
mengen. Aus der Universitäts - Hautklinik in Bostock. Von Dr. B. Fischer,
Deutsche med. Wochenschrift; 1916, Nr.5.
Die von Kromayer angegebene Methode der Verwendung größerer
Serummengen bei der Wa. B. läßt sich, neben der ursprünglichen angewandt,
allgemein zu diagnostischen und zu therapeutischen Zwecken verwerten. Sie
hilft die Fälle aufklären, die wohl auf Lues verdächtig, aber klinisch nicht
einwandsfrei sind und eben in geringen Serummengen erst oder zurzeit nur sehr
weqig spezifische Stoffe enthalten. Gerade bei zweifelhaften, kurz bestehenden
Liberationen des Primärstadiums, bei denen der Spirochätennachweis nicht mehr
gelingt infolge bereits erfolgter äußerlicher Behandlung, ist die Kromayer¬
sehe Methode äußerst wertvoll; sie ist da imstande, in vielen Fällen bei vor¬
handener Lues eine negative Wa. B. bei 0,1 ccm in eine komplett positive bei
Q,4 ccm umzuwandeln und dadurch die Behandlung viel früher einzuleiten.
lUi vielen anderen Fällen wird sie eine minimale Hemmung durch Verstärkung
zur totalen oder partieU stärkeren Hemmung als spezifisch oder nicht spezifisch
erkennen zu lassen.
Die Kr omay er sehe Modifikation ist auch ein wesentlicher Indikator
für die Behandlung; man soll die Kur, namentlich bei frischen Fällen möglichst
erst dann beenden, wenn die Wa. E. auch bei 0,4 ccm pegativ geworden ist.
Anderseits darf aber ein sehr rasches Negativwerden auch bei 0,4 com nicht
verleiten, die Therapie weniger energisch und ausgedehnt dnrehzuführen. Alle
bei Verwendung von 0,4 ccm Serum zur Wa. B. erzielten Hemmungen waren
als spezifische zu betrachten. Dr. Roepke-Melsungen.
Die Fortbewegung der Geschlechtskrankheiten in der Festung Breslau
Während des ersten Kriegsjahres. Von Dr. Martin Chotzeo. Münchener
Medizinische Wochenschrift; 1916, Nr. 9.
Die Zahl der in den städtischen Krankenhäusern Breslaus behandelten,
.erkrankten, überwachten Prostituierten betrug vom 1. August bis
81. Juli:
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. -171
1911/12 1912/13 1918/14 Durchschnittl. 1914/16
Erankenzahl 460 349 833 380 679
Verpflegungstage 11822 8969 8559 9783 17586
Die Zunahme der kranken Prostituierten während des ersten Kriegsjahres
ist also fast eine Verdoppelung. Die Gründe der Zunahme sind verschieden.
Einer der Grunde ist die Zunahme der Besatzung.
Die relative Erkrankungshäufigkeit der Besatzung war auf
je 1000 der Kopfstärke: 1911/12: 8,37#, 1912/18: 2,67#, 1913/14: 2,9 7o,
1914/16: 3,1 7 o.
Eine relative Zunahme der Geschlechtshäufigkeit der Besatzung BreslauB
ist also nicht nachweisbar; dagegen eine starke absolute, die dann in der
Zivilbevölkerung sich auswirkt. — Entgegen den bestimmten Vorschriften zur
Bekämpfung ansteckender Krankheiten fehlt uns bei den Geschlechtskrank¬
heiten jede Handhabe zum wirksamen Schutz der Bevölkerung. Notwendig ist
eine zwangsweise Behandlung. Auf Anregung Chotzens hat der Gesund¬
heitsausschuß der armierten Festung Breslau beschlossen, den Herrn Stadt¬
kommandanten zu ersuchen, bei der zuständigen Behörde anzuregen, daß An¬
gehörige der Armee und Marine, die während des Kriegsdienstes mit euer
sichtbaren oder schlummernden Geschlechtskrankheit behaftet waren — besonders
nach Friedensschluß — zum Schutze der Heimatsbevölkerung erst dann Voti
der Truppe entlassen werden, wenn eine Uebertragung der Krankheit auf Grund
der neuzeitigen Untersuchungsverfahren nicht mehr zu befürchten ist
(Referent möchte auf die wenigstens im Allgäu starke Zunahme der
Behandlung an Geschlechtskrankheiten aller Art, namentlich auch der
ansteckenden Geschlechtskrankheiten, von seiten der nicht geprüften Kranken¬
pfleger besonders auch hier hinweisen.) Dr. Graol-Kempten.
8. Sonstige Krankheiten.
Die Thermopr&zlpitlnreaktion als Diagnostlkum bei Pneumokokken*
Infektionen. (Aus dem Hygienischen Institut der Universität Halle). Von
Priv.-Doz. Dr. W. Schürmann. Med.-Klinik; 1915, Nr. 27.
Die meisten Immunsera erzeugen in Filtraten der Bakterienkulturea
spezifische Niederschläge, Präzipitine. Diese Niederschläge treten aber nur
dann auf, wenn ein Immunserum mit Filtraten der zugehörigen Bakterienkultur
zusammengebracht wird (Kraus). Ascoli und Valenti gaben 1911 eilt
neues Verfahren an, das „Thermopräzipitinreaktion“ genannt wurde,
weil die zur Anstellung der Reaktion benötigten Organextrakte im kochenden
Wasserbade erhitzt wurden.
Die für die Milzbranddiagnose bedeutungsvoll gewordene Thermopräzipitin-
reaktion wurde nun von Schürmann bei Pneumokokkeninfektionen
versucht, und zwar erstreckten sich die Versuche auf mit Pneumokokken
infizierte Laboratoriumstiere, ferner auf Exsudat und Leichenteile von an
Pneumonie zugrunde gegangenen Menschen und auf Sera von Pneumonie-
kranken.
Zur Anstellung der Reaktion werden die Organteile, Exsudate oder
Sera mit der fünffachen Menge physiologischer Kochsalzlösung vermischt, im
Wasserbade 5 Minuten gekocht und bis zur vollkommenen Klarheit filtriert.
Dann werden die gewonnenen klaren Extrakte auf ein hochwertiges, gut
präzipitierendes Pneumokokkenserum in kleinen Präzipitationsröhrchen ge¬
schichtet. Bei positiver Reaktion entsteht an der Berührangsstelle der Beiden
Schichten ein weißer Ring und zwar innerhalb von 15 Minuten.
Nach dem Ausfall der Versuche ist die Thermopräzipitinreaktion bei
Pneumokokkeninfektionen streng spezifisch. Es gelingt durch sie der Nachweis
von Pneumokokkeninfektionen mit den Organextrakten frisch verendeter und
auch in Verwesung übergegangener Tiere und Menschen da, wo das bakterio¬
logische Kulturverfahren im Stiche läßt. 8ie gibt anch eindeutige Resultate
mit Körperflüssigkeiten, die durch Pneumokokken hervorgerufen sind, und kann
bei Verwendung von Krankenserum zur Unterstützung der klinischen Diagnose
bei Pneumonie nerangezogen werden. Ihr Ausfall ist beweisend vom siebenten
Tage. Letzteres beeinträchtigt allerdings ihren klinischen Wert am Krankenbett.
Dr. Roepke-Melsungen.
Kleinere Mitteilungen und Referate ane Zeitschriften.
*72
D. HyglM» und öffentliche* Gesundheitswesen.
1. Wasserversorgung.
Die Desinfektion kleinerer Trlnkwassermengen durch chemische
Mittel. Von Prof. Dr. Spitta-Berlin. Medizinische Klinik; 1915, Nr. 46.
In der Arbeit wird kurz die Entwicklung der Trinkwassersterilisation
durch Chemik&liea, besonders Chlor in Form von Chlorkalk besprochen. Von dem
Chlor ist auch Gebrauch, gemacht in der Packung, die von den Farbenfabriken
Friedir. Bayer & C o. für Heereszwecke hergestellt wurde. Zur Desinfektion
dienen 0,2 g Calciumhypochlorit pro 1 = etwa 140 mg aktives Chlor.
Diese Menge erscheint sehr hoch, man muß jedoch bedenken, daß damit auch ein
sehr stark verunreinigtes Wasser in kurzer Zeit sterilisiert werden soll. Zur
Entfernung des Chlorgeschmackes dient Wasserstoffsuperoxyd in der Form von
0,4 g Ortizon (= ein haltbares Wasserstoffsuperoxydkarbonat mit etwa 30 °/ 0
HsOi). Das Verfahren ist einfach und zuverlässig, wenn keine gröberen Partikel¬
chen in dem fraglichen Wasser enthalten sind. In solche eingeschlossene Bakterien
würde das Desinfiziens nicht abtöten. Daher müssen vor Anwendung größere
Partikel abgeseit werden.
Ein anderes auf den Markt gebrachtes Mittel sind die Mikrozid-
tabletten; sie genügten den Anforderungen nicht. Das gleiche kann
man von den Katazidtabletten behaupten; bei der Nachprüfung wurden
Typhusbazillen nach 45 Minuten langer Einwirkung noch nicht sicher abgetötet.
Infolge der ungenügenden Zersetzung des Wasserstoffsuperoxyds — es blieben
nach Ablauf der Einwirkungsdauer noch 1100—1400 mg HiOi auf 11 Wasser
zurück — war das Wasser völlig ungenießbar.
Dr. L. Quadflieg-Gelsenkirchen.
üeber Katacldtabletten. Von Prof. Dr. W. We i c h a r d t, zurzeit fach¬
ärztlicher Beirat für Hygiene beim Sanitätsamt des III. B. A.-K. und Dr.
Maximilian Wolff. (Aus dem Hygienischen Institut der Universität Erlangen.)
Medizinische Klinik; 1916, Nr. 4.
In dem Streben, dem einzelnen Mann im Felde die Möglichkeit zu geben,
sich jederzeit infektionsfreies Trinkwasser zu verschaffen, sind verschiedene
Mittel in den Handel gebracht worden, so auch von der Firma Dr. Henning-
Berlin die Dr. Strauß Katacidtabletten (20 Stück 1,50 M.). 1 Tablette soll
bei 15 Minuten langer Einwirkung */« 1 Wasser desinfizieren, resp. darin ent¬
haltene pathogene Keine abtöten. Die Katacidtabletten bestehen aus einer
86®/o igen Wasserstoffsuperoxyd-Carbamid-Verbindung, tierischer Katalase (zur
Spaltung des Wasserstoffsuperoxyds) und Zitronensäure als Geschmacks-
korrigens. Bei der Nachprüfung des Mittels kommen die Verfasser zu dem
Ergebnis, daß das Resultat bei 15 Minuten langer Einwirkung höchst unsicher
ist, daß auch bei noch längerer Einwirkung nicht alle pathogenen Bakterien
abgetötet werden. Das Mittel ist daher zur Verwendung ungeeignet, wenn
nicht gefährlich. Auch der Geschmack läßt viel zu wttnsohen übrig.
Dr. L. Q u a d f 1 i e g - Gelsenkirchen.
2. Nahrungsmittelhygiene.
Die Frlscherhaltung von Lebensmitteln. Von R. Stetef eld, Deut¬
sche Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege; 1916, Bd. 47.
Die Aufbewahrung von Lebensmitteln in gekühlten Räumen, die immer
mehr Anwendung gefunden, läßt sich desto länger ausdehnen, eine je kältere
Temperatur die betreffenden Nahrungsmittel vertragen. Die Kälte hemmt die
Verdunstung, schränkt die Eintrocknung ein und verhindert die Tätigkeit der
Gährungs- und Fäulnispilze. Die Luft in den Lagerräumen muß kühl, relativ
trocken und bakterienfrei sein und gut zirkulieren.
Gekühltes, nicht gefrorenes Fleisch ist höchstens 6 Wochen haltbar,
durchgefrorenes und bei —6° bis — 6° aufbewahrtes dagegen monate- und
jahrelang, ohne daß Nährwert und Verdaulichkeit darunter leiden. Die Er¬
fahrungen sind an Rindfleisch äus Südamerika und Australien und an Hammeln
gemacht; dies gilt auch für Wild und Geflügel. Gefrorene Tierkörper sollen
vor der Zubereitung sorgfältig aufgetaut werden.
Ausgeweidete Fische können durch Kälte lange konserviert werden; sie
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
178
sind, wenn sie niohtgleich nach dem Töten genossen werden, immer zumindest
in Eis verpackt aufzubewahren. Für langes Aufbewahren ist Einfrieren nötig.
Aach Fischkonserven, sind kühl aufznbewahren, ebenso Milch und Käse.
Gekühlte Butter soll möglichst in dunklen Lagerräumen aufbewahrt
werden, da sie sonst, selbst bei kühler Temperatur des Baumes, zum Ranzig-
werden neigt.
Eier, in Eierkisten von 1400—1600 Stück, werden zweckmäßig in ge¬
kohlte Räume mit starker Luftbewegung eingebracht und in möglichst kurzer
Zeit auf nahezu 0 ( gekühlt. Danach vertragen sie eine Lagerung von'Mai
bis zunr Anfang des folgenden Jahres bei Raumtemperaturen von -f-1 bis
+ 0° und relativer Feuchtigkeit der Luft im Raume von 76— 80°/o. Das
Kühlhausei bewährt sich besser als die in Wasserglas, Schmalz- oder Kalt¬
lagerung auf bewahrten Eier. Bei der Kaltlagerung ist das Verpacken in
Weizen- und Roggenstroh oder Holzwolle zweckmäßig.
Auch bei Obst und Gemüse wird Kaltlagerung angewendet, während sie
bei Kartoffeln noch umstritten ist.
Die Einlagerung von Wurst, Schinken, Speckseiten, Pökelfleisch usw.
ist in gut betriebenen Kühlräumen mit Temperaturen von 4—6° über Hüll und
Feuchtigkeitsgehalten von 80—76°/ 0 als einwandsfrei zu betrachten. Diese
Dauerware erleidet bei dem üblichen Aufhängen in gewöhnlichen Räumen
während 4—6 Monaten Lagerzeit etwa 24—25°/ 0 Gewichtsverluste, bei Lage¬
rung in Schmalz 16— 16 #/ 0 , dagegen bei Kühlung nur 6—6°/ 0 . Die Herstellung
von Dauerware aus gefrorenem Fleisch ist ebenfalls möglich.
Roggen, Hafer, Erbsen werden durch elfmonatige Lagerung in Kälte in
ihrem Keimungsprozeß und Nährwert nicht beeinflußt.
In kalten Räumen gelagerte Nahrungsmittel müssen vor dem Gebrauche
mit Vorsicht nach und nach in warme Umgebung gebracht werden.
Dr. R o e p k e - Melsungen.
Entspricht die jetzige Broterzeugung den modernen biochemischen
Forschungen der menschlichen Ernährung? Von Hofrat Prof. Dr. J. 8 tokl asa-
Prag. Deutsche med. Wochenschrift; 1916, Nr. 8.
Ueber die derzeitige Brotfrage stimmen die breitesten Schichten des
Volkes, Physiologen und Aerzte in ihren Anschauungen nicht überein. . Die
einen halten nur Vollkornbrot, d. h. ein durch Ausmahlen des ganzen Getreide-
korns hergestelltes .Brot, wegen der Erhaltung aller im Korn geborgenen, auch
anorganischen Nährstoffe für ein einwandfreies Gesundheitsbrot; die anderen
wünschen für die Brotherstellung den Weizen bis zu 76°/o, den Roggen bis zu
66 */o aasgemahlen. Jetzt zu Kriegszeiten werden beide Brotirüchte auf
80—86°/o ausgemahlen, aber infolge gründlicher Abscheidung der Kleie von
dem übrigen Mehl ist dessen Zusammensetzung keine solche, daß neben den
wichtigen Eiweißstoffen, Fett und Kohlehydraten auch die anorganischen Bestand¬
teile und hochwichtigen organischen Verbindungen (Phosphor, Kalium, Kalzium,
Magensäure, Eisen, Nukleoalbumin, Phytine, Lezithine, Hämatogene usw.) zu¬
gegen sind; das Embryo des Korns mit den Aleuronschichten gelangt eben in
die Kleie.
Die Erkenntnis von der großen Wichtigkeit der in der Kleie vorhandenen
Stoffe für die menschliche Ernährung führte Finkler-Bonn zu dem Naßver¬
fahren in der Behandlung des Mehlgutes, durch das eine feine Zerkleinerung
der Kleie stattfindet, das ganze Getreidekorn durch Aufschließen der Aleuron-
zellen für die Ernährung des Menschen gewonnen und jegliche Erhitzung des
Mehles vermieden wird.. Die Kleie wird mit einer lproz. Kochsalzlösung in
kalkkaltigem Wasser versetzt und auf besonders gebauten Raffineuren ge¬
mahlen. Das so dargestellte Mehl, das sog. Finalmehl, wird leicht resor¬
biert, ist sehr reich an verdaulichen Stickstoffsubstanzen, enthält Phosphorsäure
(Nukleoalbumin) und die Enzyme, die bei der Teigbereitung und Teiggährung
zur Wirkung kommen.
Es wurden Backversuche vorgenommen und die Ergebnisse der chemischen
Analysen gegenübergestellt 1. von einem Roggenbrot, 2. von Brot aus 80°/<>
Roggenmehl und 20 °/ 0 Finalmehl, 3. von Brot aus 70 °/ 0 Roggenmehl und 30 */ 9
Finaimehl. Es ergab sich, daß das Finalmehl vom ernährungsphysiologischen
Standpunkte eine sehr günstige Beurteilung verdient, weil es sehr reich an
174
Kleinere Mitteilungen and Referate aü* Zeitschriften.
Eiweißstoffen Ist. Bin Zasntz von SO*/« Finalmehl wies das Finalbrot bei 34*/ 0
Wassergehalt 10,59 °/o, die Trockensubstanz 15,91*/, Eiweißstoffe anf. Ochse n-
ond Kalbfleisch enthält 18-20°/,, Schweinefleisch 15—20*/ 0 Eiweißstoffe; ee
kann daher das Finalbrot als teilweiser Ersatz des Fleisches fttr die Volks¬
ernährung dienen. Der Fettgehalt stieg bei Zufügung von 30*/, Finalmeht
bis anf 1,1 •/„. Beinasche (and damit Phosphor, Kaliam, Kalzium, Magnesiom,
Eisen) war bei Zasatz von 20*/, Finalmehl 2,68 «/„ bei Zugabe von 30°/o
8,88*/, zagegen. Endlich ttbt das Finalbrot einen günstigen Einfluß aal die
Verdauungsprozesse aus.
Das Finalmehl ist bei der Ernährung der Kinder sehr zu empfehlen;
5—10°/, können sehr gut zur Bereitung von Grieß und dergl. zu den ttblichen
Mehlen zugesetzt werden. Zu Mehlspeisen lassen sich 3—5°/o Finalmehl mit
Vorteil zusetzen.
Der Verfasser erblickt auf Grund seiner Untersuchungen in dem Fitaal¬
mehl ein Produkt, das für die Volksernährung von ungeheurer Bedeutung ist.
Es ist dies eigentlich der erste Fortschritt in der Reform unserer Getreide¬
verwertung bezw. Broterzeugung für die breitesten Schichten des Volkes Zum
Schluß wird der Wunsch nach Begründung einer Zentralstelle für Volks¬
ernährung in Oesterreich ausgesprochen und im besonderen die schon von ver¬
schiedenen Seiten angeregte Schaffung eines Instituts für Nahrungsmittelgewerbe
begründet. _ Dr. Roepke-Melsungen.
Die sanitfltspollzelllche Beurteilung der Därme bei Tuberkulose der
zugehörigen Gekrßslymphdrftsen und die hierauf bezügliche sächsische
Ministerlaiverordnung vom 17. Mai 1915. Von J. Bongert, Professor an
der Kgl. tierärztlichen Hochschule in Berlin. Zeitschrift für Tuberkulose;
Bd. 25, Heft 2.
Nach § 35, 4 der Aasführungsbestimmungen A zum Reichs - Fleisch¬
beschaugesetz sind alle tuberkulösen Organe als untauglich zum Genüsse für
Menschen zu behandeln, weil sie die menschliche Gesundheit zu schädigen
geeignet sind. Und zwar ist ein Organ auch dann als tuberkulös anzusehen,
wenn nur die zugehörigen Lymphdrüsen tuberkulöse Veränderungen aufweisen.
Das gleiche gilt von Fleischstücken, sofern sie sich bei genauer Untersuchung
nicht als frei von Tuberkulose erweisen. Diese strenge Maßnahme ist wissen¬
schaftlich voll und ganz berechtigt und zwingt die im Dienste der Sanitätn-
polizei stehende Fleischbeschau, die tuberkulösen Organe mit allen ihren Ad¬
nexen sorgfältig zu entfernen und Organe oder Schlachttiere auch dann un¬
schädlich zu beseitigen, wenn nur die zugehörigen Lymphdrüsen tuberkulös
verändert sind. Widrigenfalls macht sich der Fleischbeschausachverständige
nicht nur einer Zuwiderhandlung gegen das Fleischbeschaugesetz (§§ 9 und 26),
sondern auoh eines Vergehens gegen § 12 des Nahrungsmittelgesetzes schuldig.
Neuere Feststellungen naben ergeben, daß bei der tuberkulösen Hera-
erkrankung der Fleisch- (quergestreifte Muskulatur) Lymphdrüsen die als Wurzel-
S ebiet geltende Muskulatur — zum Unterschied von den inneren Organen — in
er Regel nicht erkrankt. Dagegen ist bei anscheinend isolierter Tuberkulose
von Organlymphdrüsen eine tuberkulöse Erkrankung des Organparencbyms
stet8 vorhanden.
Eine vom Deutschen Fleischerverband an das Reichsamt des Innern ge¬
richtete Eingabe, solche Därme freizugeben, die nicht selbst mit
Krankheitserscheinungen behaftet sind, wurde abschlägig be-
schieden. Um so befremdlicher erscheint B onger t die Anordnung des Sächsi¬
schen Ministeriums des Innern vom 17. Mai 1915, die die für die Fleisch¬
beschau verpflichteten Tierärzte und die nichttierärztlicben Fleischbeschauer
mit Genehmigung des Reichskanzlers anweist, während der
Dauer des Krieges folgende Milderungen bei Ausübung der Fleischbeschau
eintreten zu lassen: „1. Die Vorschrift in § 85 Nr. 4 der Ausführungs¬
bestimmungen A zum Fleischbeschaugesetze, nach der ein Organ auch dann
als tuberkulös anzusehen ist, wenn nur die zugehörigen Lymphdrüsen tuber¬
kulöse Veränderungen aufweisen, hat auf solche Därme keine Anwendung
zu finden, in deren zugehörigen Gekrösdrüsen nur ältere, verkäste oder
verkalkte Tuberkelherde gefunden worden sind; in den gedachten
Fällen sind die tuberkulös veränderten Gekrösdrüsen nach sorgfältigem Aus-
Kleinere Mitteilungen and Referate an* Zeitschriften.
176
schneiden ans dem sie umgebenden Qevtebe unschädlich zu beseitigen.“ (Die
zweite Milderung betrifft die Freigabe von Sehlund, Magen uad Darm solcher
Schlachttiere, die mit Maul- und Klauenseuche behaftet oder Seuche verdächtig
sind; sie wird von B. als berechtigt angesehen und kommt hier nicht in Betracht).
Beide Milderungen bei Ausübung der Fleischbeschau sind nun in der
Folgezeit auch vom Reichsamt des Innern nicht nnr als durchführbar, sondern
sogar als empfehlenswert bezeichnet worden und inzwischen.durch Min.-
Verfügung. vom 27. Mai 1915 auch für Preußen, Württemberg! mid
Mocklenbnrg-Strelitz angeordnet in dem gleichen Wortlaut und ebenfalls
für die Kriegsdauer. . . ; k..
Gegen die Milderang in der Beurteilung der D&rme bei Tuber-
knlose der mesenterialen Lymphknoten werden schwerwiegende Be¬
denken geltend gemacht. Bongert weist nachdrücklichst darauf hin, daß die
Tuberkulose der mesenterialen Lymphdrüsen sowohl bei Schweinen, als auch
bei Rindern recht häufig, wenn auch beim Schweine tuberkulöse Verände¬
rungen in. der Darmwand, also wirkliche Darmtuberkulöse, bisher noch nicht
zur sicheren Feststellung gelangt sind. Jedenfalls ist Über die Ansicht,
daß bei Rindern die Darmtuberkulose nicht oft, bei älteren Tieren sogar sehr
selten vorkommt, nioht zutreffend, sondern das Gegenteil ist richtig: Ale
Darmtuberkulose wird gerade bei alten Rindern verhältnis¬
mäßig häufig festgestellt. '
Auch gegen die bedingungslose Inverkehrgabe dös Gekrösfettes „nach
Ausschneiden der tnberknlös veränderten -GekrösdrüseU aus dem sie umgebenden
Gewebe“ sind die schwersten hygienischen Bedenken zu erbeben. Der durch
die Inlandsschlachtungen gewonnene Rindertalg wird während des Krieges bei
den unerschwinglichen Preisen für Streichfett (Schmalz und Butter) fast aus¬
schließlich zur Herstellung von Margarine verwendet und somit keines¬
wegs Hitzegraden aasgesetzt, durch die die Tuberkelbazillen nnschädlich gemacht
werden; diese behalten vielmehr bei der in der Margarinefabrikation übliehen
Schmelztemperatur von etwa 45 ° ihre volle Lebensfähigkeit und Virulenz. Es
ist somit die Gefahr der Infektion der Margarine mit Tuberkelbazillen besonders
g roß und gerade im Interesse der Volksgesundheit gegen die Freigabe des
armfettes bei Gekrösdrüsentnberkulose im rohen Zustände Einspruch za
erheben. „Daß eine Margarine, die ans Rohfett hergestellt wird, das Tuberkel
enthält oder zngestaodenermaßen enthalten kann, alle Tatbestandmerkmale des
§ 12 des Nahrangsmittelgesetzes aalweist, darüber kann kein Zweifel bestehen.“
Endlich bestreitet Bongert, daß ein großer Mangel an Därmen, die
zur Herstellung von Dauerwürsten erforderlich sind, bestanden bat oder zurzeit
noch besteht. „Jetzt besteht ein Ueberfloß an Därmen. Das Angebot über¬
steigt die Nachfrage.“ (B. hätte noch hinzufögen können, daß jetzt behörd¬
liche Maßnahmen notwendig geworden sind, die ver hindern sollen, daß alles
Fleisch, der der übereilten Massenabschlachtung entgangenen Schweine ans
Profitsucht in die Därme gestopft wird. Ref.) Ein an einem öffentliche®
Schlachthause angestellter Dichttierärztlicher Beschauer hat auch bereits unter
Hinweis auf die erörterte Ministerial-Verfügung den Vorschlag gemacht, tuber¬
kulöse Eingeweide, bei denen nur die zugehörigen Lymphdrüsen verkalkte
Tuberkel enthalten, beim genaueren Betasten und Zerschneiden aber keine
tuberkulösen Herde aufgefunden worden, mit minderwertigem Fleisch zur Warst
za verarbeiten nnd als Nahrangsmittel für Menschen anf der Freibank zn
verwerten!
Man sieht, wohin das Beiseiteschieben eines markanten Grundsatzes der
Fleischbeschau, dem Gesetzeskraft gegeben war“, führt und wird der Stellung¬
nahme Bongerts nur beipflichten können: „Der bisher in der Fleischbeschau
als unverrückbar allgemein angesehene Grundsatz für die sanitätspolizeiliche
Beurteilung der tuberkulösen Organe, dem auch der § 35,4 entspricht, ist
durch die Sächsische Ministerial-Verordnung für Därme beim Vorhandensein ver¬
käster oder verkalkter Tuberkelherde in den Mesenterialdrüsen während der
Kriegsdauer außer Geltung gesetzt. Das bedeutet ein Interregnum in der
wissenschaftlichen Fleischbeschau, geeignet, bei den nichttierärztlichen Be¬
schauern verwirrend zu wirken und die Fleischbeschau zom Schaden für
die VolkBgesundheit auf den empirischen Standpunkt vor 30 Jahren
xorückzuwerfen. Diese nachteiligen Folgen, die >mehl nur zu befürchten sind
176
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
sondern bei längerer Wirkungsdauer dieser verfehlten Maßnahme not«
wendigerweise eintreten werden, sollten für die Regierung Anlaß sein, .die
Verordnung sobald wie möglich wieder aufzuheben, da ein Not¬
stand, durch den man glaubte, ihn begründen zu können, nicht besteht.“
_ Dr. Roepke-Melsungen.
Einiges über Fleischhygiene in Nordamerika* VonProf.Dr.Poz-
tolka-Wien. Zeitschrift für Öffentliche Gesundheitspflege; 1915, Nr. 4—5.
Der Verfasser schildert die zum Teil ungünstigen Verhältnisse, die in
Nordamerika in bezug auf Fleischhygiene angetroffen werden.
Dr. Wolf-Hanau.
3. Säuglings- und Kleinkinderfdrsorge.
Zur Praxis der Kriegsfürsorge für Mutter und Säugling. Zeitschrift
für ßäuglingsfürsorge; 1915, Nr. 12.
Der Verein für Säuglingsfürsorge im Reg.-Bez. Düsseldorf berichtet über
seine Tätigkeit in bezug auf 1. Reichswoohenhilfe und 2. Ueberwachung der
Kinder. Dr. Wo 1 f -Hanau.
Bericht der Städtischen Säuglingsfflrsorgestelle in Weißenfels für
1914. Von Stadtarzt Dr. Os chm an n-Weißenfels. Zeitschrift für Säuglings¬
schuh; 1915, Nr. 12 und 1916, Nr. 1.
Aus der vorwiegend statistischen Abhandlung sei hervorgehoben, daß
die Sterblichkeit unter den dauernd in Beaufsichtigung der Säuglingsfürsorge-
.stellen sich befindenden Kindern bei den ehelichen fast nur */• der Mortalität
der übrigen Säuglinge und bei den unehelichen nnr */& der sonstigen Mortalität
derselben gleichkommt. Die Beaufsichtigung der Fürsorgestefien und eine
eigene das rechte Maß findende Sorge und Fürsorge für das Kind sind also
geeignet, die Mortalität wesentlich herabzusetzen.
Dr. W o 1 f - Hanau.
Zehn Jahre Säuglingsfürsorge in Charlottenburg. Von Prof. Dr.
B. Bendix. Zeitschrift für Säuglingsfttrsorge; 1915, Nr. 11—12.
Da die Arbeit eine Fülle von Material bringt, das sich in einem kurzen
Referate nicht zusammenfassen läßt, wird auf die Abhandlung verwiesen.
Dr. Wolf-Hanau.
Säuglingssterblichkeit und Volksernährung in Deutschland. Der
Eindämmung der Säuglingssterblichkeit haben sich seit Jahren die besten,
hierzu berufenen Kräfte gewidmet. Der Prozentsatz ist infolgedessen auch
dauernd zurückgegangen, wie die folgende Tabelle beweist. Es starben in
Deutschland
im Jahre 1901
TOD
100 Lebendgeborenen 20,7
tt n
1902
tf
ff
91
18,8
i» n
1903
ff
f)
V
20,4
n ft
1904
n
n
ff
19,6
ff n
1905
p
ti
ff
20,5
f> n
1906
n
rt
99
18,5
n ft
1907
n
ff
ff
17,6
17,8
ff i>
1908
n
ft
n
ff ff
1909
ff
*
ff
17,0
ff ff
1910
jf
9
D
16,2
ff ff
1911
n
ff
ff
19,2
ff ji
1912
ff
ff
ff
14,7
ff ff
1918
ft
9
ff
15,1.
An diesen für das Deutsche Reich feststehenden Durchschnittszahlen
waren die einzelnen Gliedstaaten und preußischen Provinzen ganz verschieden
beteiligt. Während für das Jahr 1918 das Fürstentum Waldeck mit 6,9 Pros,
am günstigsten abschneidet, weist Westpreußen mit 19,1 Prozent den
höchsten Prozentsatz auf.
Nun ergibt die Statistik gleichzeitig, daß der Prozentsatz der Sterblich-
Kleinere Mitteilungen Und Bef ernte aal Zeitschriften.
177
keit ehelicher Säuglinge wesentlich geringer ist, als der der anehelichen, wie
aas folgender Tabelle ersichtlich ist. Es starben in Deutschland. von je
100 Lebendgeborenen
eheliche’ aneheliche
im Jahre 1901 . 19,4 88,9
„ „ 1902 17,8 29,8
„ „ 1906 19,8 82,7
„ „ 1904 ..... 18,6 ' 81,4
„ * 1906 19,4 82,6
„ w 1906 . 17,5 29,4
„ „ 1907 16,6 28,0
„ „ 1908 16,8 28,5
„ , 1909 16,0 26,8
„ * 1910 15,2 26,7
„ „ 1911 18,2 29,9
„ 1912 . 13,9 28,2
* * 1918 14,2 28,T.
Diese Zahlen beweisen, daß die im Interesse der deutschen Volkswirt¬
schaft liegende Aufgabe, die Säuglingssterblichkeit herabzudrücken, Bchon.in
Friedenszeiten schwer zu erfüllen ist, und daß, wie der Unterschied zwischen
den Zahlen der ehelichen und der unehelichen Säuglinge beweist, an den
immer noch hohen Prozentziffern die privatwirtschaftlichen Verhältnisse
große Schuld tragen.
Im Interesse der Gesundheit kommender Generationen maß unter allen
Umständen trotz der Knappheit und Teuerung der Lebensmittel Unterernährung
bei Säuglingen verhütet werden. Die Gefahr einer solchen ist durch die
Milchknappheit und durch die ungleichmäßige Versorgung der Bevölkerung
mit Milch sowie durch die bestehenden Teuerungsverhältnisse gegeben. Viele
Väter stehen im Felde. Den Müttern fehlt es zuweilen an Bat und Hilfe,
vielleicht auch oft an den Mitteln, ihre Kinder hinreichend zu ernähren. Behörd¬
liche Hilfe kann nicht überall und sofort einsetzen, aber privates Entgegen¬
kommen und private Hilfe kann schnell zur Stelle sein und vielleicht manchen
8äugling dem Leben erhalten. Es ist nur ein geringes Entgelt, wenn hilfs¬
bereite Männer und Frauen den Kindern der draußen im Felde Stehenden, die
sie und ihre eigenen Kinder gegen feindliche Willkür und Brutalität schützen,
einen Teil des Dankes abtragen, den sie unseren opfermutigen, tapferen Leuten
im Felde draußen schuldig sind. Diese direkte Unterstützung möge daher in
weitestgehendem Umfange Platz greifen. Aber auch indirekt kann den Säug¬
lingen geholfen werden. Die Knappheit an Milch muß jede Neigung, den
eigenen Hausstand über den Bedarf der kleinen Kinder hinaus zu versorgen,
zurücktreten lassen. Weiter muß durch Organisation der Ziegenzucht für eine
Vermehrung der Milchproduktion Sorge getragen werden. Mancher leerstehende
Pferdestall bietet hierzu vorzügliche Gelegenheit. Es gibt der Wege gar viele,
dem heranwachsenden Geschlecht zu helfen, besonders denjenigen, denen die
fürsorgende Hand des Vaters völlig oder während der Kriegszeit fehlt. Es
handelt sich hier um eine Ehrenpflicht der Zurückgebliebenen, deren Erfüllung
zum Segen des deutschen Volkes ist.
4. Soziale Hygiene.
Unsere Aufgaben in der Bevülkerungspolitik. Von G. Winter-
Königsberg. Zentralblatt für Gynäkologie; 1916, Nr. 5.
Winter geht mit seinen Vorschlägen als Geburtshelfer und Gynäkologe
von den Tatsachen aus, daß die Zahl der Geburten auf 1000 Einwohner von
37,9 im Jahre 1860 auf 28,1 im Jahre 1913 heruntergegangen ist, und daß die
Säuglingssterblichkeit noch immer etwa 15°/« beträgt. Hiergegen ist zu
wirken: 1. Durch Beförderung der Konzeption; Gonorrhoe und Syphilis bilden
den Hauptgrund der ehelichen Sterilität; noch mehr ist die absichtlich herbei¬
geführte Kinderlosigkeit zu bekämpfen. 2. Durch Erhaltung der Leibesfrucht
während der Schwangerschaft, die am häufigsten durch spontane, künstliche
und kriminelle Aborte gefährdet bzw. vernichtet wird. 3. Durch den
178 KleineieMibteilungennnd Referate aas Zeitschriften.
Schutz das kindlichen Lebens während der Geburt.. Die Hanptgefahren für
das »Kind süd die protrahierte Austreibungspenöde und das enge Decken. Ea
maß nicht mehr heißen in der Geburtshilfe Matter oder Kind, sondern Matter
and Kind. Beim engen Becken sollen Symphyseotomie and Kaiserschnitt mit
ihrer geringen Sterblichkeit (1—2°/«) anstelle von Perforation, künstlicher
Frühgeburt, hoher Zange and prophylaktischer Wendung treten. 4. Durch
Einleitung zweckmäßiger Ernährung im Wochenbett. Eier gilt es in erster
Linie, die Matter zum Selbststillen za. bringen; es gehört' zam Wochenbett
wie die Wehen zur Gebart. \ • . . . Dr. B o ep k e - Melsungen.
Zar Gebartenbewegung Tor and während des Krieges in Wien. Von
J. Bichter. Med. Klinik; 1916, Nr. 6.
In der geburtshilflich-gynäkologischen Gesellschaft gibt B. einen Ueber-
blick über die Geburtenbewegung vor- dem Kriege an den 8 Gebärkliniken
Wiens and außerhalb dieser Anstalten in Wien selbst and weist an Kurven
nach, daß die Geburtenzahl'- an den drei Gebärkliniken von Aagust 1914 bis
April 1916, gegenüber dem Vorjahre zugenommen hat. Dieses Pias an Ge¬
burten ist. durch Aufnahme von Frauen, die sonst zu Hause entbanden hätten,
und durch Aufnahme von Flüchtlingsfrauen zu erklären. Vom April 1915. bis
Ende Juni 1915 sinkt sowohl an den drei Gebärkliniken als anch in Wien die
Geburtenziffer plötzlich stark ab: an den Kliniken von 289 unter 190 and in
Wien von 2725 aaf 1734. Dieser steile Abfall fällt in eine Zeit, in welcher
die Frauen zur Entbindung kamen, die in den Monaten Jnli, August, September
des Jahres 1914 die letzte Menstruation gehabt haben, also zu einer Zeit, in
Welcher der Krieg bereits ausgebrochen war. Durch die Einstellung einer
großen Menge zeugungsfähiger Männer in das Heer ging für viele Frauen die
Möglichkeit einer Schwängerung vorüber. Auch in den folgenden Monaten er¬
reichten wegen der weiteren Einberufungen die Geburtenzahlen weder an den
Gebärkliniken n6ch in Wien annähernd die Höhe des Vorjahres.
Neben der Mobilisierung als Hauptursache der Geburtenverminderung
kommt noch die Zahl der aus verschiedenen Gründen frühzeitig unterbrochenen
Schwangerschaften in Betracht. Der Beginn des Geburtenrückganges läßt sich
also mit dem Beginn des Krieges in engen Zusammenhang bringen.
Dr, B o e p k e - Melsungen.
5. Statistik.
•' Heber die Bewegung der Bevölkerung In Preußen ln den Jahren
1918 und 1914.
. Für das Jahr 1913 sind im preußischen Staate 1209600 Geburten,
656490 Sterbefälle (einschließlich der 35970 Totgeburten) und 923709
Eheschließungen ermittelt worden, der Geburtenüberschuß hat somit
553010 oder 13,2 auf das Tausend der mittleren Bevölkerung betragen. Im
Jahre 1914 sind 1202528 Kinder geboren (einschließlich der 35948 Tot¬
geborenen) und 802776 Personen gestorben (mit Totgeburten), sowie 286197
Eheschließungen gezählt worden. Es ist also 1914 die Geburtenzahl
gegen das Vorjahr um 6972 gesunken, dagegen die Zahl der Todesfälle um
146286 gestiegen, der Geburtenüberschuß dementsprechend um 153258,
und zwar von 553010 auf 399752 zurückgegangen. Eine bemerkenswerte, in
•fast allen europäischen Staaten wiederkehrende Erscheinung der Jahre 1909 bis
1912 war die abnehmende Geburtenzahl bei steigender Zahl der
Eheschließungen. Während sich nämlich im Darchschnitt des Jahrzehnts
1904—1918 die Geburtenzahl auf 1270253, die Zahl der 8terbefälle auf
711629, der Geburtenüberschuß somit auf 558624 belief, betrug die Geburten¬
zahl im Jahre 1913 bereits 60753 unter dem zehnjährigen Durchschnitt, 1914
aber sogar 67 725. Die Zahl der Todesfälle stand 1918 um 55139 unter,
-dagegen 1914 um 91147 über dem zehnjährigen Durchschnitt. Die Zahl der
Eheschließungen stellte sich 1913 auf 11676 über, im Jahre 1914 dagegen
auf 25 836 unter dem zehnjährigen Durchschnitt 1904—1913. Es ist also kiaY,
-daß die eheliche Fruchtbarkeit ia einer nicht unerheblichen Abnahme begriffen
Klefctere< Mitteilungen lind Referate ads Zeitschriften.
179
ist. Der besseren Vergleichungdienen die folgenden lM>ersichten;d«mnaeh
sind beurkundet: ?
.- _ _ _ » * r * *• * ? * ’ * • r - r i
< ■ , ■'«r
Geburten f Sterbefälle
einschließl. der Totgeborenen
:_:_t- -
Geburten- ’
Überschuß *
Ebe- r
Schließungen
1904 .. . . . .
' 1804936
742428
562608 -
294732
1906 ......
1280288
765250
516027
299988 '
1900 .
1809140
718088
590057
809922
1907 ........
1298 508
719786
678772
313089 .
1908 . . . .
1808504
783047
575457
811181 ‘
1909 . . . . . .
1287 284
705877
581857
807 904
1910
1256794
075 287
- 581567
810416
1911 ......
1225 300
732826
492474
821161 !.
1912 . . . .
1222)838
672 306
550.027
828840
1913. . . . .
1209500
656 490
558010
828709
1914. ,....• .
1202528
802 776
899752 '
286197
Auf 1000 der mittleren Bevölkerung betrug also :
die Geburts¬
ziffer
die Sterbe¬
ziffer
der Geburten¬
überschuß
die Heirats¬
ziffer
1904 .......
35,8
20,3
16,5
16,2
1906 .
84,5
20,7
18,8
16,2
1906 .
34,8
19,0
15,8
16,5
1907 .
34,0
18,8
16,2
16,4 f
1908 .• .
33,7
18,9
14,8
16,0
1909 .
32,7
17,9
14,8
16,6
1910.
81,5
16,9
14,6
15,5
1911 . .
80,3
18,1
12,2
15,9
1912.
29,8
16,4
18,4
16,0 ’
1918.
29,0
15,8
13,2
15,5
1914 .......
28,6
19,0
0,5
18,6
Hiernach hat sich die Geburtenziffer um 20 und die Sterbeziffer um 0 v, H.
Ton 1904 bis 1914 yerringert. Die Heiratsziffer für 1914 liegt um 16 t. H« unter
dem 10jährigen Durchschnitt 1904/1913.
(Statistische Korrespondenz des Königl. Statistischen Landesamts.)
6. Medizinalverwaltung.
Das Gesundheitswesen im Verwaltung«gebiete des Kaiserlich deutschen
Generalgouvernements Warschau. Aus einem vom Kaiserlichen Gesundheits¬
amt erstatteten Bericht bringt der Beichsanzeiger vom 24. Februar d. J. folgende
interessante Mitteilungen:
Nach dem Uebergang russischer Landesteile in deutsche Verwaltung er¬
wuchs dieser die wichtige Aufgabe, auch für die gesundheitlichen Verhältnisse
der dortigen Bevölkerung zu sorgen. Die in dem besetzten Gebiete ein¬
gerichtete Gesundheitsverwaltnng untersteht dem Verwaltungschef
beim Generalgouvernement Warschau, dem ein Medizinalreferent zugeteilt ist.
Mit den Aufgaben der örtlichen Gesundheitspflege sind Kreisärzte betraut.
Von den 49 vormals russischen Kreisen des Verwaltungsgebiets sind nunmehr
41 mit Kreisärzten besetzt. Es ist jedoch in Aussicht genommen, für jeden
Kreis einen besonderen Kreisarzt zu bestellen.
Besondere Maßnahmen erforderte die Versorgung des Landes mit prak¬
tischen Aerzten. Da, wo Aerzte fehlten, wurden solche aus der Nach¬
barschaft veranlaßt, regelmäßige Sprechstunden abzuhalten. Im Bedarsfalle
beteiligen sich sowohl die Kreisärzte, als auch die Truppenärzte an der ärzt¬
lichen Versorgung der Zivilbevölkerung. Auch haben mehrere gefangene
polnische Aerzte in ihre Heimat zurückkehren dürfen, um ihre Praxis Wieder
aufzunehmen. Die Verteilung derjenigen polnischen Aerzte, welche nach
180
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
Warschau geflohen waren, aal Bezirke, in denen zurzeit kein Arzt eich be¬
findet, ist im Gange.
Auch sonst ließ sich die Verwaltung die Fürsorge für Kranke angelegen
sein. Im Ban befindliche Krankenhäuser wurden vollendet, beschädigte
instand gesetzt. Die Irrenanstalten haben ihren Betrieb wieder aufgenommen.
Da Russisch-Polen von jeher durch ansteckende Krankheiten aller
Art schwer beimgesucht wurde, betrieb die deutsche Verwaltung die Be¬
kämpfung dieser Krankheiten init besonderem Nachdruck. Zur Sicherung des
Nachrichtendienstes wurde, vor allem die Anzeigepflicht bei.Infektions¬
krankheiten eingeführt. Es sind zu. melden außer den sogenannten gemein-
S gefährlichen Krankheiten — Cholera, Pocken und Fleckfieber — auch Unter¬
eibstyphus, Ruhr, übertragbare Genickstarre, Scharlach und Diphtherie. . Auch
Verdachtsfälle dieser Krankheiten müssen der Behörde angezeigt werden. Der
frühzeitigen Ermittlung übertragbarer Krankheiten dient die Leichenschau
durch Aerzte oder Feldscherer, die in einer Reihe von größeren Städten ein¬
geführt worden ist. Sie ermöglichte vielfach den Nachweis von Krankheits¬
herden,. die auf dem vorgeschriebenen Wege nicht gemeldet worden waren.
Zur bakteriologischen Feststellung der Infektionskrankheiten
hat die Zivilverwaltung eine eigene bakteriologische Untersuchungs¬
anstalt in Lodz eingerichtet. Außerdem beteiligen sich an der Untersuchung
eingesandter Proben die bakteriologischen Institute der Heeresverwaltung in
Warschau, Thorn und Bialystok, sowie die preußischen Anstalten in Beuthen,
Breslau und Posen. Bei der Ermittlung von Krankheiten leisten die Feld¬
scherer gute Dienste. Nachdem sie von den Kreisärzten ausgebildet waren,
haben sie sich auch an der Vornahme der Impfungen beteiligt.
Zur Absonderung ein.es jeden Falles einer anzeigepflichtigen Krankheit
sind im Verwaltungsgebiete, abgesehen von den bestehenden Krankenhäusern,
260 Absonderungshäuser eingerichtet worden. Auch dem Desinfek¬
tionswesen wurde die gebührende Aufmerksamkeit zugewendet. Deutsche
Kreisärzte und Desinfektoren bildeten einheimische Kräfte in den üblichen
Desinfektionsverfahren aus. Ihre Lehrtätigkeit wurde durch Herausgabe eines
Leitfadens für Desinfektoren in polnischer Sprache erleichtert. In Lodz wurde
eine Desinfektorenschule errichtet, in die Desinfektoren zu Wiederholungskursen
entsandt werden sollen. Desinfektionsapparate für Dampfbetrieb oder Formal-
debyd wurden behelfsweise hergerichtet oder aus Deutschland bezogen.
Was die einzelnen Infektionskrankheiten anbelangt, so haben die P o c k e n,
die in Friedenszeiten in den russischen Weichselgebieten alljährlich etwa
11000 Erkrankungen hervorgerufen haben, auch unter der deutschen Verwal¬
tung sich gezeigt. Von den gegen diese Krankheit ergriffenen Maßnahmen ist
an erster Stelle zu nennen die I m p f u n g. Die regelmäßigen Impfungen wurden
in der Weise durchgeführt, daß ebenso wie zur Zeit der russischen Herrschaft
wöchentlich öffentliche Impftermine abgehalten wurden. Außerdem erging die
Anordnung, daß. sämtliche Schulkinder vor Ablauf des Jahres 1915 geimpft
werden müßten, soweit sie nicht in demselben Jahre bereits mit Erfolg ge¬
impft waren oder die natürlichen Pocken überstanden hatten. Beim Auftreten
von Pockenfällen wurde von Notimpfungen in der Umgebung des Erkrankten
ausgedehnter Gebrauch gemacht. Es sind bisher etwa 600000 Impfungen voll¬
zogen worden, die einen Rückgang der Pocken um fast 60 ®/o zur Folgo hatten.
Die Ausführung der Impfungen lag teils in den Händen von Aerzten, teils,
wie erwähnt, in denen von Feldscherern, die von den Kreisärzten in der Impf¬
technik unterrichtet worden waren.
Das Fleckfieber ist neuerdings nur in Alexandrow (Landkreis Lodz)
-und in Warschau in einer gewissen Häufung der Fälle aufgetreten. Unter
den Maßnahmen zu seiner Bekämpfung hat sich, abgesehen von der strengsten
Absonderung der Kranken, Krankheitsverdächtigen und Ansteckungsverdäch¬
tigen, die Befreiung dieser Personen von Kleiderläusen sowie die Abwehr der
Läuseplage im allgemeinen als wirksam erwiesen. Diesem Vorgehen ist es zu
danken, daß, sobald einmal der Krankheitsherd entdeckt worden war, kaum
noch weitere Uebertragungen zustande kamen. Die Vertilgung von Kleider¬
läusen dienten anßcr den 6 großen militärischen Sanierungsanstalten, die auch
der Zivilbevölkerung zur Verfügung stehen, 20 kleinere derartige Anstalten.
Eine auf der Weichsel schwimmende Entlausungsanstalt wird von der Be-
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
381
völkerung am Flußlauf in Anspruch genommen. Zur Verhütung einer Ein¬
schleppung des Fleckfiebers nach dem Deutschen Reich, werden angeworbene
polnische Arbeiter vor dem Ueberschreiten der Grenze von Ungeziefer befreit,
falls in ihrem Herkunftsgebiet Fleckfieber herrscht.
Zur Zeit der Uebernahme der russischen Gebietsteile durch die deutsche
Verwaltung waren in der dortigen Zivilbevölkerung zahlreiche Cholerafälle
vorhanden. Zur Verhütung einer Ausbreitung der Seuche im Stromgebiet der
Weichsel wurde während des Sommers 1915 auf der Strecke abwärts von Plock
die gesundheitliche Ueberwachung des Schiffahrts- und Flößereiverkehrs ein¬
gerichtet Zu diesem Zweck wurden in Plock. und Wloclawek Ueberwachungs-
stellen in Betrieb gesetzt. Hier untersuchten Aerzte alle auf Schiffen und
Flößen die Weichsel hinauf oder herunter fahrenden Personen.. Im Verein mit
weiteren Choleraüberwachungsstellen, die seitens der preußischen Regierung in
Schilno und Thorn eingerichtet waren, gelang es, die Verschleppung der Cholera
durch die Weichselschiffahrt von dem preußischen Gebiet fernzuhalten. In
derselben Absicht 'war bereits im Jahre 1907 zwischen dem Deutschen Reiche
und Rußland ein Grenzabkommen getroffen worden, das u. a. einen unmittel¬
baren Nachrichtenaustausch über Choleraerkrankungen zwischen den Behörden
der beiderseitigen Grenzbezirke vorsieht. Die Gesundheitsverwaltung des
Generalgouvernements ist in diesen Vertrag, der eine sachliche Erweiterung
hinsiobtSch der Benachrichtigung übpr die Feststellung von Bazillenträgern er¬
fuhr, eingetreten.
Zu den vorbeugenden Maßnahmen gegenüber den Infektions¬
krankheiten gehört auch die Fürsorge.für die öffentliche Reinlichkeit.
Daher wurde der regelmäßigen Reinigung der Straßen, der Plätze, der Rinn¬
steine sowie dem Zustand der Aborte, Düngergruben und aller Sammelstellen
für schmutzige Abgänge ernste Aufmerksamkeit zugewendet. In Lodz, wo der
Unterleibstyphus dauernd herrscht, fand man* mehrere hundert unzweckmäßige
Hauskläranlagen vor, aus denen das zwar geklärte, aber noch Bazillen ent¬
haltende Abwasser in die Rinnsteine floß. Durch Desinfektion mittels Chlor¬
kalks wird nun die Gefahr der Verschleppung von Krankheitskeimen beseitigt.
In Lodz wurde auch zur Ueberwachung der Reinhaltung der Höfe ein besonderer
Aufsichtsbeamter angestellt.
Auch die Wasserversorgung, die im Verwaltungsgebiet vielfach
im argen liegt, wurde besonders beaufsichtigt. In Lodz sind von 10000
Brunnen bisher 7000 auf ihre gesundheitliche Beschaffenheit genau untersucht
worden. Die Vorgefundenen Mängel sollen gründlich abgestellt werden. In
einer Anzahl von Ortschaften .werden Bohrungen auf brauchbares Trinkwasser
durch einen von der Verwaltung angestellten Bohringenieur vorgenommen.
Die Knappheit an Arznei- und Desinfektionsmitteln sowie an
Verbandstoffen ist durch eine dem Kriegsbedarf entsprechende Einfuhr
aus Deutschland beseitigt worden.
Um eine Versorgung der Bevölkerung mit einwandfreien Nahrunga-
u’nd Genußmitteln sicherzustellen, werden die auf Märkten und in Hand¬
lungen feilgebotenen Lebensmitteln häufig polizeilich besichtigt. Die Unter¬
suchung von Proben wurde in den Nahrungsmitteluntersuchungsämtern in Posen,
Beuthen und Bromberg vorgenommen. Neuerdings ist aber für das gesamte
Verwaltungsgebiet links der Weichsel ein großes Nahrungsmittelünter-
auchungsamt in Lodz eingerichtet worden. Die beiden dort angestellten
Chemiker sollen neben ihrer Tätigkeit in der Anstalt selbst das Gebiet links
der Weichsel bereisen, Nahrungsmittel, insbesondere Milch, dort untersuchen
und die Polizeibeamten in der Entnahme von Proben ausbilden. Ein besonderes
Augenmerk wurde auch der Untersuchung und Beschaffenheit des Fleisches
zugewandt Auf diesem Gebiete sind neben den deutschen Kreisärzten
anch deutsche Kreistierärzte an der Arbeit
Allem Anschein nach bringt die einheimische Bevölkerung den Be¬
strebungen der deutschen Gesundheitspflege ein mit der Zeit wachsendes Ver¬
ständnis entgegen. ,Die von der deutschen Verwaltung getroffenen Einrich¬
tungen versprechen gute dauernde Erfolge.
182
Tageaaäohrtchten. .
Tagemctarichttir.
' DieR ei c h sr eg i e r u n g hat dem vom Reichstage am 15. Januar d.J. ein¬
stimmig gefaßten Beschlüsse betreffs Herabsetzung der Altersgrenze bei der
Invalidenversicherung Rechnung getragen und dem Bnndesrat einen Gesetz¬
entwurf zngehen lassen, dnrch den die Altersgrenze für den Bezog der Alters¬
rente vom 70. auf das 66. Lebensjahr herabgesetzt wird. Der Reichstag wird
"also voraussichtlich noch in der jetzigen Tagung diese Gesetzesvorlage zu be¬
schließen haben. -
», - _:_i. - -
- * ' i . , t i • . • >
Au« dem Setohatage. Ebenso wie bei der letzten Tagung des
Reichstags (s. diese Zeitschrift; Jahrg* 1915, Nr. 23, 8.727) ist ihm auch bei
Seinem jetzigen Zusammentritt wiederum eine Denkschrift Aber Wirtschaft*
liehe Maßnahmen ans Anlaß des Krieges angegangen, die einen Ueberblick
Aber die wichtigeren, von Mitte November 1916 bis in den Anfang März 1916
getroffenen gesetzgeberischen- Verwaltungs- und anderen Maßnahmen geben.
In der Denkschrift ist auch diesmal die Nahrnngsmittelversorgnng an erster
Stelle behandelt. Der Zeitraum der jttnsten drei Monate bedeutet einen Zeit¬
abschnitt angespannter organisatorischer Arbeit aller zuständigen Stellen auf
dem Gebiete der Nahrangsmittelfürsorge. Eine dankenswerte Bereicherung hat
diese Tätigkeit dnrch die Mitarbeit des neu geschaffenen Beirats ffir
Volksernährung erfahren« der aus fünfzehn Mitgliedern des Reichstags
gebildet und seit Beginn des Jahres 1916 allwöchentlich zu einer Sitzung zu-
sammengotreten ist. Beachtenswerte Anregungen ans dem Kreise der Beirats-
mitglieder sind bereits teils unmittelbar für die gesetzgeberischen Arbeiten
verwertet, teils an die Bundesregierungen weitergegeben und dort zur ferneren
Verfolgung aufgenommen worden. Daneben hat die Reichsprüf ungsstelle
für Lebensmittelpreise im Verein mit den Landes- and örtlichen Preis¬
prüf ungsstellen ihre Arbeiten fortgesetzt.
Das System der Höchstpreise ist in zahlreichen neuen Verordnungen
planmäßig weiter ausgebaut, zugleich aber ist versucht worden, die Härten,
die dieses System nicht nur für Erzenger und Händler, sondern auch für die
Verbraucher leicht im Gefolge haben kann, durch die Zulassung geeigneter
Ausnahmebestimmungen zu mildern. Weiterhin haben die Erfahrungen der
Praxis, immer deutlicher gezeigt, daß eine wirksame Höchstpreispolitik nur
entweder in Verbindung mit einer öffentlichen Bewirtschaftung der
beschlagnahmten und enteigneten Nahrungsmittel oder aber mit einer plan¬
mäßigen Organisation ganzer Berufsgruppen von Erzeugern
und Händlern durchführbar ist. Aus diesem Gesichtspunkte heraus sind
in der Berichtszeit neben nenen gesetzgeberischen Bestimmungen auch um¬
fassende Maßnahmen z.ur Organisation einzelner Wirtschaftszweige in Angriff
genommen worden.
So sind in Verwirklichung der früher erlassenen Bestimmungen über die
Versorgungsregelung umfassende Versuche auf dem Gebiete der Fleisch-
Versorgung gemacht. Zunächst sind in Preußen die Viehhändler pro¬
vinzweise zu Zwangsverbänden und diese wiederum zu einem Zentralverband
zusammengeschlossen, denen unter obrigkeitlicher Einwirkung die Regelung
der Preise und die zweckmäßige Verteilung der aufgekauften Viehbestände
zur gleichmäßigen Befriedigung des Verbrauchs der verschiedenen Bezirke
übertragen sind. In den anderen Bundesstaaten sind auf dem Gebiete der
Viehversorgung organisatorische Maßnahmen zum Teil auf der gleichen, zum Teil
attf einer im Endzweck ähnlichen Grundlage getroffen worden oder in Vorbereitung^
Die vollständige Regelung des Verkehrs von der Erzeugung
öder Einfuhr bis zu ihrem Uebergang m die Hände des Verbrauchers unter
S leichzeitiger Festsetzung von Höchstpreisen ist bei einigen
et wichtigsten Nahrungsmittel eingeleitct. Ein Beispiel für die Durchführung
einer solchen Regelung bietet in der Berichtsperiode der Verkehr mit aus¬
ländischer Butter, deren Einfahr in der Hand der Zentral-Einkaufsgesellschaft
zusammengefaßt ist und deren planmäßige Verteilung bis zum Verbraucher
unter Feststellung eines einheitlichen Verteil ungsplanes für das ganze Reichs¬
gebiet erfolgt. Für den Verkehr mit inländischer Butter ist der gleiche Weg
insofern beschritten worden, als die Zentral-Einkanfsgesellschaft den Anspruch
auf Lieferung eines bestimmten Teiles der Buttererzeugung aller deutschen
Tagesuzchrichtm.
188
Großmolkereien erhalten hat . und diesen Anteil ‘nach dem gedachten Ver-
teilongsplane verteilt. In beiden Fällen ist den Batter beziehenden Gemeinden
die Verpflichtung aaferlegt, den weiteren Vertrieb an die Verbraucher durch
Butterkarten zu regeln.
Aul diesem Wege einer planmäßigen Verteilung der v-orhan-
denenen und anfallenden Vorräte unter genauer Begrenzung
des Anteils jedes einzelnen Verbrauchers wird sich, dem Bedürft
aisse und den Möglichkeiten folgend, auch bei anderen wichtigen Lebensmitteln
der yolkswirtschaftlich und sozialpolitisch wünschenswerte und gerechte Aus¬
gleich zwischen den Ansprüchen aller Kreise der Verbraucher erzielen lassen,
wie er bereits bei der Versorgung mit Mehl und Brot mit Erfolg durch¬
geführt ist.
Die Fragen der Nahrungsmittelversorgung zeigen außerordentliche Viel¬
gestaltigkeit und lassen eben deshalb sich nicht in ihrer Gesamtheit von
einer zentralen Stelle aus lösen. Den Landesregierungen und den örtlichen
Verwaltungen, insbesondere den Gemeinden, bleiben mannigfache Aufgaben
yon starker Wichtigkeit yorbehalten. Wie bereits in der Bede des Stellver-
■treter8 des Reichskanzlers im Reichstag vom 11. Januar 1916 nachdrücklich
hervorgehoben worden ist, gibt schon die bestehende Gesetzgebung, namentlich
durch die Verordnungen über die Versorgungsregelung, den Gemeinden überaus
weitgehende Befugnisse, zu deren umfassender Ausübung sich diese in allen
den Fällen entschließen müssen, in denen die Verschiedenartigkeit der örtlichen
Produktionsbedingungen, die Mannigfaltigkeit der Formen des Handels und
der Versorgung des betreffenden Marktes, sei es aus dem Inland, .sei es aus
dem Ausland, einer zentralen Regelung durch den Bundesrat oder die Reichs-
leitung entgegenstehen. 8ind erst einmal örtliche Regelungen durchgeführt,
so wird sich viel leichter die Möglichkeit eines > weiteren. Zusammenschlusses
oder eine, allgemeinen Zentralisation finden. .
Aber über die Tätigkeit aller amtlichen Stellen des Reichs wie der
Bundesstaaten und der Gemeinden weit hinaus muß — wie gleichfalls in der
soeben angeführten Rede mit Nachdruck betont worden ist — in immer um¬
fassenderem Maße eine bewußte Mitarbeit der großen Kreise der
Bevölkerung, der Erzeuger und Händler ebensowohl wie der Verbraucher,
bei der planvollen Regelung unserer Nahrungsmittelversorgung Platz greifen.
-Bei einem solchen Zusammenarbeiten wird sich das Ziel der gesamten nationalen
Ernährungspolitik, das unbedingte Durchhalten bis zürn sieg¬
reichen Frieden, mit Sicherheit erreichen lassen.
Tagesordnung der In Warschau am 1. und 2. Mai d. J. stattfindenden
außerordentlichen Tagung des Deutschen Kongresses für innere Medizin
(s. Nr. 5 dieser Zeitschrift, 8.160).
Montag, den 1. Mai, vormittags 9'/i Dhr: Eröffnungssitzung.
1. Abdominaltyphus. Referenten: Generaloberarzt Geheimrat v. Krehl;
Generalarzt Hünermann. — 2.-Paratyphus. Referent: Generalarzt Geheim-
rat Stintzing. — 8. Herzkrankheiten bei Kriegsteilnehmern. Referent:
IVof. Wenckebach. — 4. Nierenentzündungen im Felde. Referent: General¬
oberarzt Geheimrat Hirsch. — Zur Diskussion eingeladen: Stabsarzt d. R.
Prof. Bruns; Oberarzt Dr. Jungmann.
Abends Kameradschaftliches Beisammensein.
Dienstag, den 2, Mai, vormittags 9 Uhr: 1. Fleckfieber.
Referent: Generaloberarzt Prof. Brauer. — 2. Biologie der Laus. Referent:
Prof. Haee. — Zur Diskussion eingeladen: Dr. Munck. — 8. Schutz des
Heeres gegen Cholera. Referent: Oberstabsarzt Prof. Hof mann. — 4. Ruhr.
Referenten: Generaloberarzt Geheimrat M a 11 h e s; Geheimrat Prof. Kruse.
Anschließend an die Sitzungen und, wenn erforderlich, am 3. Mai werden
Führungen durch die ständigen und kriegsmäßigen medizinischen und sani¬
tären Einrichtungen und Anstalten Warschaus veranstaltet.
Der Preis der Eintrittskarte beträgt für alle Teilnehmer 10 Mark. Zur
Teilnahme an der Tagung sind berechtigt die Militär- und Zivilirzte, welche
dem Deutschen Reiche und den verbündeten Staaten angehören. ..Angehörige
neutraler Staaten werden ebensowenig zugelassen wie Damen (abgesehen von
approbierten Aerztinnen) und sonstige Familienangehörige.
<184
Tagesnachrichten.
Zivilärzte müssen bis spätestens 1. April ihre Teilnahme beim Sekretär
des Kongresses, Prof. Dr. Weintrand in Wiesbaden, anmelden unter Angabe
Von Namen, Staatsangehörigkeit, Wohnort nnd Adresse; sie erhalten dann von
der Paßzentrale des Generalgouvernements den Passierschein zugesandt.
Außerdem bedürfen sie eines Passes, den sie bei der Polizeibehörde ihres
Wohnortes zu beantragen haben. Da die Beschaffung von Wohnungen mit
Schwierigkeiten verbunden ist, müssen etwaige Wünsche bis spätestens
15. April dem Sekretär des Kongresses mitgeteilt werden.
Ehrentafel. Es haben weiterhin erhalten das
Biserne Krenz II. Kasse:
Generaloberarzt Prof. Dr. Hahn* Straßburg i. Eis.
Oberstabsarzt d. L. Geh. Med.*Rat Dr. Otto, Kreisarzt a. D. in Neu¬
rode (Schlesien).
Ehren - Ged&ohtnlatafel. für das Vaterland gefallen sind ferner:
Oberarzt d. Bes. Dr. Josef Deßloch- Würzburg.
Assistenzarzt d. Bes. Dr. Karl Fähndrich-Lahr (Baden) (Infolge von
Krankheit gestorben).
Landsturmarzt Dr. Franz Konrad-Landsberg (Oberbayern).
Assistenzarzt d. Bes. Dr. Franz Bo 11, Landwehr-Inf.-Regt. 126.
Oberarzt d. L. Dr. Otto Seidler-Essen a. Ruhr.
Stabsarzt d. Bes. Dr. Siebert, Oberarzt an der Provinzialheilanstalt in
Niedermarsberg (Westf.) (in Bußland an Flecktyphus gestorben).
Oberarzt Dr. Kurt Sorge-Dresden (gestorben an Flecktyphus, im
Blaukasus).
Feldarzt Dr. Paul Zimmer mann-Freiburg L Breisgau (gestorben
infolge von Krankheit). _
Cholera: In Oesterreich sind Choleraerkrankungen (Todesfälle) vom
80. Januar bis 20. Februar: 2 (—), 1 (—), — (—) festgestellt; in Ungarn
vom 14.—20. Februar: 1 (1); in Kroatien und Slavonien vom 24. Januar
bis 14. Februar 16 (11), 8 (2) und 1 (1) (sämtlich bei Kriegsgefangenen); in
Bosnien und Herzegowina: vom 6.—19. Februar: 1 (—) und 1 (1).
Fleckfleber: Im Deutschen Reich sind vom 20. Februar bis 11. März:
89 (2), 4 (1) und 1 (—) Erkrankungen (Todesfälle) unter den in Gefangenen¬
lagern untergebrachten Kriegsgefangenen vorgekommen; in Ungarn vom
24. Januar bis 18. Februar: 27 (1), 13 (3) und 84 (9).
Pocken: In den Wochen vom 20. Februar bis 11. März sind im
Deutschen Reich 1, 1 und 8 Erkrankungen angemeldet.
Erkrankungen nnd Todesfälle an ansteckenden Krankheiten ln
Preußen. Nach dem Ministerialblatt für Medizinal-Angelegenheiten sind in der
Zeit vom 20. bis 26. Februar 1916 erkrankt (gestorben) an Pest, Gelb¬
fieber, Fleckfieber, Cholera, Aussatz, Trichinose, Rots,
Pocken, Tollwut: — (—); Bißverletzungen durch tollwutver¬
dächtige Tiere: 3 (—); Milzbrand: 1(1); Unterleibstyphus:
170 (11); Ruhr: 22(6); Diphtherie: 2960(212); Scharlach: 1828(74);
Kindbettfieber: 72(28); Genickstarre: 24(6); Fleisch-, Fisch-
und Wurstvergiftung: 5(—); Körnerkrankheit (erkrankt): 49;
Tuberkulose (gestorben): 883.
Berichtigung. Bei der Noüz in Nr. 5 der Zeitschrift (S. 149) über den
70. Geburtstag von Geh. Med -Bat Dr. Pfeiffer, Reg - und Med.-Rat in Wies¬
baden hat insofern eine Verwechselung stattgefunden, als nicht dieser, sondern
sein älterer Bruder, Geh. San.-Rat I»r. E. Pfeiffer, der langjährige Sekretär
des Deutschen Vereins für innere Medizin, seinen 70. Geburtstag gefeiert hat.
Die für den jüngeren Bruder bestimmten Glückwünsche sind somit ante festum
gekommen; mögen sie für ihn ein gutes Omen sein!
Redaktion: Prof. Dr. Rapmund, Geh. Med.-Rat in Minden LW.
J. 0. C. Brant, Htnofl. 8Jfok«. a. FOntl. Sob.-L. Hoftothdnckerei In Mlnd«m.
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1916.
29. Jahrg.
Zeitschrift
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zentralblatt
für das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie,
des staatlichen und privaten Versicherungswesens, sowie för das
Medizinal- und Öffentliche Gesundheitswesen, einschließlich der
Hygiene und Bakteriologie.
Her&nsgegebcn
von
Prof. Dr. OTTO RAPMÜND,
Geh. Med -Rat In Minden I. W.
Offizielles Organ des Deutschen, Preussischen, Bayerischen, Sächsischen,
Wörttembergisohen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen, Thüringischen,
Braunschweigischen und Eisass • Lothringischen Medizinalbeamtenvereins.
Verlag von Fiseher’s med. Buehhandlg E Kornfeld,
Herzog!. Bayer. Hof- o. K. u. K. Kammar-BnobhlniUer.
Berlin W. 62, Keithstr. 5.
AuelfeB nihHM 41« Teriifihiadluf toirie alle AnzeifenannnhmettelUn des Io«
ud laiUadei entfefizi.
Nr. 7.
Enehelat
S. ud SO. Jedes ■esst*.
5. April.
Aus dem Kgl. Institut für Hygiene und Infektionskrankheiten in
Saarbrücken (Stellvertr. Direktor: Prof. Dr. E. Go t sch lieh).
Praktische Typhusbekämpfung und epidemiologische Beob¬
achtungen gelegentlich einer dörflichen Typhusepidemie.
Von Dr. Richard Steinebach.
Die Frage nach der Epidemiologie des Typhus abdominalis
ist durch die systematische Typhusbekämpfung im Süd westen
des Reiches in den Hauptpunkten beantwortet worden: Hin¬
sichtlich der Infektionsquelle wissen wir heute, daß nur die
Ausscheidungen des typhusinfizierten Menschen in
Betracht kommen; zu diesen rechnen wir auch die „Daueraus¬
scheider“ und „Bazillenträger“. 1 )
Weiter hat sich im Laufe der Jahre immer deutlicher
gezeigt, daß die Terbreitnngsweise vornehmlich durch
unmittelbaren oder mittelbaren Kontakt erfolgt; die indirekte
l ) Eine Unterscheidung dieser beiden Arten ist praktisch häufig schwierig
nnd von geringer Bedeutung; die praktische Typhusbekämpfung im Südwesten des
Reiches bezeichnet daher beide mit dem gemeinsamen Namen „Bazillenträger".
186 I ft. Steinebach: Praktische Typhusbekimpfon^ and epidemiologische
Uebertragung durch infiziertes Wasser oder durch Nahrungs¬
mittel aller Art tritt gegenüber der Kontaktinfektion stark in
den Hintergrund. Diese Tatsache wird in weiteren ärztlichen
Kreisen nicht immer genügend gewürdigt; nicht selten ist man
geneigt, das Trinkwasser, die Milch und andere Nahrungsmittel
für die Verbreitung des Typhus verantwortlich zu machen.
Die zu einer solchen Auffassung berechtigenden Voraussetzungen
fehlen aber nur zu häufig: Da der Nachweis von Typhusbazillen
im Trinkwasser oder in den beschuldigten Nahrungsmitteln nur
sehr selten gelingt, sieht man gern in dem „explosions¬
artigen Charakter“ einer Epidemie einen Bew'eis für
eine indirekte Uebertragungsweise. Als explosionsartig wird
eine Epidemie dann angesehen, wenn um die gleiche Zeit ge¬
häufte Erkrankungen, die dazu vielleicht noch räumlich sich
ziemlich weit verteilen, unvermittelt, d. h. ohne vorhergegangene
gleichartige Krankheitsfälle auftreten. In solchen Fällen ist die
Schlußfolgerung naheliegend, daß infiziertes Wasser oder infizierte
Nahrungsmittel, von denen viele Personen, die untereinander
gar nicht in Berührung zu kommen brauchen, genossen haben;
die Seuche hervorriefen. Wohl ist eine derartige Schlu߬
folgerung naheliegend, aber deshalb noch keineswegs immer
richtig. Man nehme nur beispielsweise an, daß eine
Person mit einem ganz leicht verlaufenden Typhus
(Typhus „levissimus“, unbewußt und unbemerkt durch
direkten Kontakt eine ganze Reihe von Personen
infiziert; diese können dann ihrerseits eine.solch
große Anzahl von Kontaktmöglichkeiten bieten,
daß gehäufte Erkrankungen um die gleiche Zeit
auch an räumlich weit ausein anderliegenden Ort¬
schaf tsteilen scheinbar unvermittelt, d. h. also
explosionsartig erfolgen. Würde man sich in diesen
Fällen mit der Annahme einer indirekten Uebertragung und mit
demefitsprechenden Maßnahmen, z. B. mit einer Sterilisierung
der als infiziert angesehenen Genußmittel begnügen, so bliebe
die eigentliche Infektionsquelle unverstopft, und die Möglichkeit
zu weiteren Erkrankungen wäre gegeben.
In voller Würdigung dieser Erwägungen hat die Typhus¬
bekämpfung im Südwesten des Reiches es sich zur Aufgabe
gemacht, in jedem Falle von Typhus hinsichtlich der Verbrei¬
tungswege zunächst alle Möglichkeiten einer Kontaktinfektion
zu berücksichtigen und in der Umgebung des Kranken die
Personen zu ermitteln, die als Träger von Typhusbazillen die
Infektionsquelle bilden können.
Daß es unter Beachtung dieser Grundsätze gelingt, bereits
ausgebrochene Epidemien von mittlerem Umfange
epidemiologisch fast restlos aufzuklären und dadurch
auch vollständig zum Stillstand zu bringen, dafür
geben nachstehende Ausführungen, die sich im wesentlichen
an den von mir über die Typhusepidemie in X. erstatteten
amtlichen Bericht halten, ein Beispiel:
Beobachtungen gelegentlich einer dörflichen Typhusepidemie.
187
I. Teil: Feststellung des Umfanges der Seuche
und ihre Eindämmung.
Am 16. September 1915 wurde dem Kgl. Kreisärzte
Dr. T. gemeldet, daß in X. (einem Dorfe von etwa 2700 Ein¬
wohnern), Haus Nr. 351, die 70jährige Mag. Elis. Re. (Tabelle I
Nr. 3) an Typhus erkrankt sei. Bei der tags darauf vorge¬
nommenen örtlichen Ermittlung zeigte sich, daß noch drei
weitere Personen in X. an Typhus krank waren, nämlich die
ungefähr gleichaltrigen Schüler Berthold La., August Re. und
Heinrich Str. (Tabelle I Nr. 2, 5 und 6).
Bei einer weiteren Ortsbesichtigung am 20. September
erschienen wiederum drei Fälle dringend typhusverdächtig,
nämlich das dreijährige Kind Wilhelm Sa. (in den Tabellen
nicht aufgeführt, da der Verdacht sich später nicht bestätigte;
vergl. weiter unten!); dann Frau Marg. Br. (Nr. 1) und endlich
der bereits am 18. September verstorbene 9jährige Schüler
Emil Le (Nr. 7). Obwohl im letzten Falle eine Sektion wegen
äußerer Umstände (der Verstorbene war bereits eingesargt)
unterbleiben mußte, war auf Grund der klinisohen Erscheinungen
Typhus abdominalis als Todesursache höchst wahrscheinlich;
der Fall wurde deshalb vom Kreisärzte gemeldet und in das
Typhusregister aufgenommen.
Am 27. September schloß ich mich einer dritten Orts¬
besichtigung an; an diesem Tage wurden drei neue typhus¬
kranke Personen in X. festgestellt und zwar Frau Friedr. Schn.
(Nr. 4), Katharina Br. (Nr. 8) und Reinhold Ba. (Nr. 9).
Die bis dahin ermittelten 10 Fälle ließen sich bereits zum
großen Teil auf direkten Kontakt mit der zuerst erkrankten
Person, Frau Marg. Br. (Nr. 1) zurückführen. Der Ursprung
der ersten Fälle (Nr. 1 und 3) blieb jedoch zunächst noch
zweifelhaft. Dieser Umstand und weiter die bedauerliche
Tatsache, daß von allen Fällen nur einer (Marg. Elis. Re.,
Nr. 3) — und dieser auch erst 26 Tage nach Beginn der
Erkrankung— in ärztlicher Behandlung gestanden hatte,
so daß die Gefahr einer weiteren Verbreitung der
Seuche bedeutend war, machten eine weitere systematische
Durchsuchung des Ortes nach Personen, die typhuskrank waren
oder verdächtig erschienen, vor kurzem erst durchseucht worden
zu sein, dringend notwendig.
Die genaue Ortsdurchsnchang wurde von mir in zwei Terminen
an insgesamt 6 Tagen vorgenommen. Während meines ersten Aufenthaltes,
vom 4. bis 6. Oktober, ermittelte ich 8 sichere Typhusfälle (Nr 10, 18, 14, 17,
18, 19, 20 und 21). Den zweiten Aufenthalt, vom 14. bis 16. Oktober, benutzte
ich zu Umgebungsuntersuchungen von weiteren 5 Fällen, die inzwischen vom
Kreisärzte und dem behandelnden Arzt, Herrn San.-Rat Dr. R. zur Anzeige
gebracht waren (Nr. 11, 12, lö, 16 und Maria Le., llaus Nr. 194); auch stellte
ich 5 neue Typhusverdachtsfälle fest (Nr. 22, 28 und die in den Tabellen nicht
geführten Anna Ku., Haus Nr. 152, Elise Le, Haus Nr. 194 und Frau Peter Re.,
Haus Nr. 67).
In den beiden ersten Wochen nach meiner Rückkehr wurden noch 5 Fälle
gemeldet (Nr. 24, 25, 26, 27 und der in die Tabellen nicht auf genommene
Friedr. Be., Haus Nr. 184).
188 Dr. Steinebach: Praktische Typhusbekämpfaog und epidemiologische
Von den vorstehend angeführten 88 Personen, die an Typhus litten
oder ans epidemiologischen Gründen zunächst typhusverdächtig waren, sind
6 (Wilhelm Sa., Haus Nr. 134, Maria und Elise Le., Haus Nr. 194, Anna Kn.,
Haus Nr. 162, Frau Peter Be., Haus Nr. 67 und Friedrich Be., Haus Nr. 184)
in den Tabellen nicht geführt. Bei all diesen hat nämlich die klinische Beob¬
achtung wie auch die mehrfach wiederholte bakteriologisch-serologische Unter¬
suchung keine Stütze für die Diagnose Typhus erbracht.
Außer den vorgenannten Personen ermittelte ich bei der systematischen
Ortsdurchsuchung noch 6 Kranke, die an Magen-Darmstörungen litten. Die
klinischen Erscheinungen waren völlig unverdächtig; jedoch wurde vorsichts¬
halber eine Blutprobe entnommen, wie auch Stuhl und Urin zur Untersuchung
eingeschickt. Nachdem die klinische Beobachtung keine Verdachtsmomente
ergeben hatte und nachdem ferner alle bakteriologisch-serologischen Unter¬
suchungen negativ ausgefallen waren, wurde von einer Meldung dieser Personen
Abstand genommen.
Die dringendste Aufgabe, die bei der Ortsdurch¬
suchung zu erledigen war, nämlich die Feststellung aller
verdächtigen Krankheitsfälle und deren schleunige
Isolierung, durfte damit wohl als gelöst betrachtet werden.
Dafür spricht auch der Umstand, daß die nach meiner Rückkehr
gemeldeten Fälle ausschließlich solche Personen betreffen,, bei
denen ein direkter Kontakt mit den früheren Fällen sicher ist
(Fall Nr. 24 im infizierten Hause Nr. 130 und zwar 10 Tage
nach dem vorausgehenden Fall 23; ferner die drei Fälle 26,
26, 27 im infizierten Hause Nr. 167 und zwar 15 Tage nach
der Isolierung der früheren Fälle). Diese Personen hatten wahr¬
scheinlich schon zur Zeit meines Aufenthaltes in X. die Krank¬
heitskeime aufgenommen; jedoch befanden sie sich alle noch
im Zustande der Inkubation und boten daher noch keine
Krankheitserscheinungen dar. Der weiteren Verbreitung
der Epidemie war also durch eine systematische
Ortsdurchsuchung an sechs Tagen ein Ziel gesetzt
worden; eine Seuche, die bereits mehrere Wochen
bestanden hatte und die schon eine ziemlich aus¬
gedehnte örtliche Verbreitung gewonnen hatte,
war zum Stillstand gebracht worden durch reine
hygienische Maßnahmen. Dieser Umstand verdient besondere
Beachtung; lag doch angesichts der drohenden Qefahr einer
großen Epidemie der Gedanke nahe, der Seuche mit noch
anderen Mitteln entgegenzuarbeiten, beispielsweise durch eine
Schutzimpfung der Bevölkerung. Ganz abgesehen davon, daß
man über den prophylaktischen Wert der Typhusschutzimpfung
ein abschließendes Urteil zurzeit nicht fällen kann, hätte diese
Maßnahme praktische Nachteile zur Folge haben können: So
wäre die für die schnelle Erkennung einer Typhuserkrankung
so überaus wichtige Wi da Ische Reaktion bedeutungslos ge¬
worden, was die weitere Feststellung typhuskranker Personen
unter Umständen sehr erschweren konnte. Wäre es aber doch
im Verein mit den amtlich vorgeschriebenen Maßnahmen ge¬
lungen, die Epidemie ebenso schnell und vollständig zu ersticken,
so wäre dem Trugschluß Raum gegeben worden, den ganzen
Erfolg der Typhusschutzimpfung gut zu schreiben.
Beobachtungen gelegentlich einer dörflichen Typhusepidemie.
189
II. Teil: Epidemiologie.
Soweit die äußeren Verhältnisse es erlaubten (nämlich
einmal die Anwesenheit der in Frage kommenden Personen
und dann deren Einwilligung hinsichtlich der Entnahme einer
Blutprobe), wurden ausgedehnte Umgebungsuntersuchun^en
angestellt. Außer zur Ermittlung von Kranken dienten diese
Umgebungsuntersuchungen zur Lösung einer zweiten ebenso
wichtigen Aufgabe, nämlich der Ermittlung des epidemio¬
logischen Ursprunges und Zusammenhanges.
Das Ergebnis der dahin zielenden Bemühungen ist aus
den Tabellen und dem Ortsplan ersichtlich. Dieselben enthalten
alle als positiv in das Typhusregister aufgenommenen Fälle
und daher auch solche, bei denen die bakteriologisch-serologische
Untersuchung zunächst Zweifel an der Diagnose TypJjus zuläßt.
Diese zweifelhaften Fälle sind in den Tabellen eingeklammert
und in Tabelle 1 außerdem durch Hinweis auf erläuternde Fu߬
noten kenntlich gemacht.
Tabelle I (s. folgende Seite) führt die Typhusfälle auf, chrono¬
logisch geordnet nach dem mutmaßlichen Beginn der Erkrankung.
Die mit Fußnote 1 versehenen Fälle (Nr. 4, 8 und 9)
ergaben eine für Paratyphus B positive Grub er-WidaIsche
Reaktion; die stets mit Typhusbazillen angestellte Parallel¬
reaktion war negativ. Bei einer zweiten Untersuchung des
Falles Nr. 8 am 1. Oktober wurden Typhus- und Paratyphus¬
bazillen gleich stark agglutiniert; bei einer zuletzt am 30. No¬
vember 1915 wiederholten Reaktion war in den Fällen 8 und 9
überhaupt kein positives Resultat mehr ablesbar und im Falle 4
die Agglutination für Typhusbazillen bedeutend schwächer als
für Paratyphusbazillen. Wenngleich nun derartige Fälle in der
Regel als Paratyphusinfektion aufgefaßt werden, so sind doch
eine ganze Reihe von Fällen bekannt, in denen sichere Typhus¬
fälle einen für Paratyphus gleich hohen oder höheren Aggluti¬
nationswert als für Typhusbazillen ergaben. Allerdings waren
Typhusfälle, in denen eine Agglutination für Typhusbazillen
völlig vermißt wurde, während die Reaktion für Paratyphus-
bazillen positiv ausfiel, in der mir zugänglichen Literatur nicht
bekannt. Diese Lücke konnte ich durch eine Reihe von
Beobachtungen ergänzen, die am hiesigen Institut besonders in
letzter Zeit erhoben und die an anderer Stelle mitgeteilt sind. Diese
Arbeit erbrachte den Nachweis, daß das Serum von— auch
bakteriologisch — sicheren Typhuskranken keine Agglu¬
tinationskraft für Typhusbazillen aufzuweisen braucht
und trotzdem Paratyphusbazillen agglutinieren
kann. Demgemäß ist es also wohl möglich, daß die Fälle 4, 8
und 9 echte Typhen sind; die Fälle 4 und 8 um so mehr, als
bei ihnen zuletzt auch Typhusbazillen mitagglutiniert wurden.
Diese Möglichkeit gewinnt eine gewisse Wahrscheinlichkeit
dadurch, daß das klinische Bild in allen drelFällen mehr dem
des Typhus entsprach, und weiter deswegen, weil der epidemio-
TystöusSüß ic I«ftranologiituii geordnet nach dem mutmaseiicisen Tag der Erkrankung.
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Beobachtungen gelegentlich einer dörflichen Typhoaepidemie. ' 191
logische Zusammenhang mit den anderen sicheren Typhusfällen
in X. fast evident erscheint (vgl. umstehende Tabelle II).
Ebenso ist bei Fall Nr. 22 (Fußnote 21) die Berechtigung
zur Auffassung als Typhuserkrankung gegeben, da das dauernde
Fehlen des Widalsehen Phänomens während der ganzen
Erkrankungsdauer häufig beschrieben worden ist. Der Fall
wurde auf Grund des klinischen Befundes und des epidemio¬
logischen Zusammenhanges als Typhus gemeldet.
Bei Fall 27 endlich (Fußnote3!) erfolgte der Tod, bevor
Untersuchungsmaterial eingesandt worden war; der klinische
Befund erwies sich aber so eindeutig, und die epidemiologischen
Gründe waren so schwerwiegend (4 sichere Fälle in derselben
Familie I), daß an der Berechtigung, diesen Fall als Typhus zy
führen, kaum ein Zweifel entstehen kann. Aus diesen Gründen
hatte auch der Kreisarzt von der Leichenöffnung Abstand
genommen.
Im übrigen, ergibt sich aus Tabelle I noch mancherlei
Bemerkenswertes: In Spalte f ist die Zeitdifferenz ange¬
geben, die vom Beginn der Erkrankung (Spalte .d) bis
zum Tage der Meldung (Spalte e) liegt. Es zeigt sich
deutlich, wie diese Zeitspanne, deren Größe zur Ausbreitungs¬
möglichkeit der Seuche in direktem Verhältnis steht, bei
den später erkrankten Personen ziemlich progressiv
abnimmt.
Das in der Spalte b der Tabelle I angegebene Alter der
Erkrankten läßt bereits Rückschlüsse zu', die für die Annahme
sprechen, daß sich die Seuche vornehmlich durch Kontakt ver¬
breitete. Es sind nämlich vorwiegend zwei Altersklassen
betroffen: Erstens schulpflichtige oder eben erst schulentlassene
Kinder im Alter von 9 bis 15 Jahren (Nr. 2, 5, 6, 7, 9, 15,
16, 20, 22, 23 und 26 = 11 Fälle) und zweitens jugendliche
Personen (und zwar überwiegend weibliche!) im Alter von
16 bis 28 Jahren (Nr. 1, 4, 8, 10, 12, 13, 14, 17, 18, 19, 21
= 11 weibliche und 25, 27 = 2 männliche; zusammen 13 Fälle).
Die Personen innerhalb der einzelnen Gruppen sind durch viele
gleichartige Interessen und gleiche Beschäftigung
auf regen wechselseitigen Verkehr hingewiesen. Es
ist einleuchtend, daß für die Verbreitung einer Seuche eine
derartige Alters- und Interessengemeinschaft von der
größten Bedeutung sein kann. Die weitere Untersuchung ergab
dann auch in der Tat, daß zahlreiche Kontakte durch
diesen Umstand zu erklären sind.
Weitere Kontaktmöglichkeiten ergeben sich aus
der örtlichen Verteilung, wie sie aus dem Ortsplane (s. fol¬
gende Seite) ersichtlich wird. Die Häuser 179 (Fall 1 u. 2) und 130
(Fall 23 und 24) wurden von je 2 Erkrankungsfällen, das Haus 167
gar von 5 Fällen (11, 13, 25, 26 und 27) heimgesucht. Da diese
Fälle in den betroffenen Haushaltungen nicht gleichzeitig auf¬
traten, sondern vielmehr in Zeitabständen einander folgten, die
durchaus der Inkubationszeit des Typhus entsprachen, muß für
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Margarete Od., 70 Jahre, Kr. 181,
TjrphMbaalUaotrSgertnvTor 8 Jahren typhaekrank.
Beobachtangen gelegentlich einer dörflichen Typhasepidemie. j!93
194 De. Steinem&nn: Praktisch? Typhasbek&mpfang and epidemiologische
die später erkrankten Personen eine Kontaktinfektion
vom jeweils ersten Falle her angenommen werden. Alle
übrigen Fälle betrafen verschiedene Häuser (insgesamt 21), die
sich auf fast alle T^eile der Ortschaft verteilen. Bei
Fall Nr. 3 sind in Tabelle I, Spalte c zwei Hausnummern
angegeben; die eingeklammerte Zahl 134 (die auf dem Ortsplane
ebenso eingezeichnet ist) bezieht sioh nämlich auf das Haus, in
dem die betreffende Person gegen Tagelohn beschäftigt war;
in diesem Hause erfolgte — wie sich bald herausstellte — ihre
Infektion, und von hier aus fanden Kontakte in derNach-
barschaft statt, nämlich die Fälle 17, 19, 22 und 23 in den
Häusern 138, 128 und 130. Ueberhaupt mußte der nachbar¬
liche Verkehr ziemlich oft für Kontaktübermittlung
verantwortlich gemacht werden: So geht der Fall 12 im
Hause Nr. 109 auf Fall 5 im Hause Nr. 106 zurück; ebenso
gehören die Fälle 6 und 10 in den Nachbarhäusern 169 und 162
zusammen; desgleichen die Fälle 8 und 9 in den Häusern 196
und 199. Weitere Aufschlüsse über Entstehung und Verbreitung
der Epidemie gab die örtliche Verteilung nicht. Erwähnt sei
noch die besondere Häufung der Erkrankungen in der dicht¬
bewohnten Ortsmitte, in der alle Häuser aus einem gemeinsamen
Laufbrunnen das Wasser beziehen; jedoch wird die Annahme
einer Wasserinfektion durch die zeitliche Aufein¬
anderfolge hinfällig.
Wie im einzelnen die Ausbreitung der Epidemie statt¬
gefunden haben mag, lehrt Tabelle II (s. vorstehende Seite). In
ihr sind die Kontaktketten mit ihren Verzweigungen in Form
eines Stammbaumes aufgezeichnet. Beinahe alle 27 Fälle
gliedern sich zwanglos durch fortlaufenden Kontakt den zuerst
erkrankten Personen an:
A. Die am 20. August 1915 erkrankte Marg. Elis Re. (Nr. 3)
hat 6 weitere Fälle infiziert.
B. Auf die am 10. August 1915 erkrankte Frau Marg. Br.
(Nr. 1) lassen sich 14 Fälle zurückführen. Die große Ausdehnung
dieses Stammbaumes erklärt sich durch die zahlreiche Ver¬
wandtschaft der Urheberin, ihren Wohnsitz im dicht bevölkerten
Ortsteil und durch die frühzeitige Ansteckung ihres schulpflich¬
tigen Bruders Berthold La. (Fall Nr. 2), der seinerseits dann
5 Schulkameraden infizierte.
C. Der am 10. September 1915 erkrankte Peter Dö. (Nr. 11)
setzte 4 Kontakte in seiner Familie.
Es ergeben sich somit 3 verschiedene Kontakt¬
stammbäume (in Tabelle II mit A., B. und C. bezeichnet), für
die ein direkter Zusammenhang untereinander nur schwer kon¬
struierbar ist. Demnach war noch die Herkunft der Er¬
krankung bei den Urhebern der Kontaktstamm¬
bäume festzustellen, d. h. also für die Fälle Nr. 3, 1 und 11.
Es lag nahe, für diese Fälle Beziehungen zu früheren
Typhuserkrankungen in X. anzunehmen.
Aus den Ortslisten, die seit 1906 geführt sind, ergab sich
Beobachtungen gelegentlich einer dörflichen Typbneepidemie. .195
zunächst, daß von allen bei der heurigen Epidemie infizierten
Häusern nur in Nr. 832 Typhus vorgekommen war und zwar
im Jahre 1910, in dem X. ebenfalls von einer Epidemie heim¬
gesucht worden war. Die bei der damaligen Epidemie im
Hause 332 erkrankte Person starb infolge ihrer Erkrankung; sie
ist daher für die Entstehung der Epidemie von 1915 bedeutungs¬
los, zumal der im Hause 332 jetzt vorgekommene Fall (Nr. 16) sich
einwandfrei auf andere Erkrankungen zurückführen läßt, — , Ein
anderes Haus, das im Jahre 1910 infiziert war, erschien bedeutungs¬
voller, nämlich das Haus Nr. 349; dieses liegt in nächster
Nähe des Hauses Nr. 351, des Wohnhauses der Marg.
Elis. Re. (Fall Nr. 3), die im Beginn der Epidemie er¬
krankte und als die Urheberin des Kontaktstamm¬
baumes A gelten muß. Die örtliche Zusammengehörigkeit
dieser beiden Häuser ist um so höher zu bewerten, da beide
von nahen Verwandten bewohnt werden, die fast ein gemein¬
sames Familienleben führen. Die mehrfache Untersuchung der
Hausbewohner förderte jedoch keinen positiven Befund zu tage;
speziell wurde bei den früher typhuskranken Personen, die als
Dauerausscheider in Betracht kommen konnten, der Nachweis
von Typhusbazillen in den Abgängen nicht erbracht.
Die Ermittlung des Falles Nr. 3, Marg. Elis. Re., ergab
jedoch noch mehrere Möglichkeiten für eine Infektionsquelle.
Diese Person hatte'nämlich bis zur Höhe ihrer Erkrankung bei
Familie Sa. im Hause 134 gearbeitet. Es lag nahe anzu¬
nehmen, daß die Infektion dort erfolgt war, um §o mehr
als auch das Kind Sa. um die gleiche Zeit Krankheits¬
erscheinungen dargeboten hatte. Der im Hause 134 wohnende
Michel Sa. hatte vor mehr als 20 Jahren Typhus gehabt, und ein
in demselben Hause beschäftigtes Dienstmädchen war ebenfalls
verdächtig, Typhus überstanden zu haben. Von den verdächtigen
Personen wurde mehrfach Stuhl und Urin untersucht; jedesmal
mit negativem Ergebnis.
Trotz so vieler ergebnisloser Nachforschungen mußte an
der Ueberzeugung festgehalten werden, daß in der Umgebung
der Marg. Elis. Re. die Infektionsquelle zu suchen war. Da
lenkte sich der Verdacht auf eine in der nächsten
Nachbarschaft des Hauses 134 wohnende Person, die
ebenfalls 1910 Typhus gehabt hatte und die an
Gallensteinkoliken litt. In der Tat wurden bereits bei
der ersten Untersuchung im Stuhlgange dieser Person, der im
Hause 131 wohnenden, 71jährigen Margarete Od., Typhus¬
bazillen festgestellt. Da auch die Nachuntersuchung diesen
Befund bestätigte, hat die Margarete Od. als Typhusbazillen¬
trägerin zu gelten. Sie infizierte die Urheberin des
Stammbaumes A. durch direkten Kontakt, der durch
die enge Nachbarschaft und die Gleichaltrigkeit
beider Personen ohne weiteres verständlich wird.
Schwieriger waren Beziehungen der Bazillenträgerin zu
den beiden anderen Kontakturhebern aufzufinden.
196 Dr. Steinem&nn: Pr&ktiBche Typhusbekämpfung and epidemiologische
Die zuerst erwogene Möglichkeit, dafi Frau Magarete Br.,
die Kontakturheberin zu Stammbaum B., bei einem Besuche
ihres in Weißenburg beschäftigten Mannes sich infiziert habe,
konnte nach den angestellten Erkundigungen nicht in Betracht
kommen. Auf dieser Reise wurde Frau Br. von Frau Sa., bei der
die Marg. Elis. Re. in Stellung war, begleitet. Daß auf diese
Art zwischen Frau Br. und Marg. Elis. Re., d. h. also zwischen
den Urhebern der Stammbäume B. und A., ein Kontakt über¬
mittelt wurde, erscheint deswegen sehr unwahrscheinlich, weil
die Mittelsperson, Frau Sa., gesund blieb. Zwar
erkrankte zu Beginn der Typhusepidemie auch das Kind der
Frau Sa.; die klinische Beobachtung und die mehrfach mit
negativem Ausfall wiederholte bakteriologische und serologische
Untersuchung ergab aber mit größter Wahrscheinlichkeit, daß
die Erkrankung des Kindes kein Typhus war. Un> so mehr
muß der indirekte Kontakt durch eine gesund ge¬
bliebene Mittelsperson fraglich erscheinen. Die Kontakt¬
stammbäume dürften somit untereinander unabhängig sein.
Immerhin ist auch bei den Stammbäumen B. undC.
eine indirekte Beziehung zur Bazillenträgerin Od.
möglich. Die Wäsche der Bazillenträgerin wird nämlich im
Hause 165 gewaschen, das in naher Nachbarschaft der Häuser 179
(Frau Marg. Br. Nr. 1) und 167 (Peter Dö. Nr. 11) gelegen ist.
Die Wäsche aus den genannten drei Häusern wird an einem
Brunnen gewaschen, und zwar ist es üblich, die Wäsche vor
dem Kochen in kaltem Wasser „einzuweichen“ und zu verreiben.
Eine Infektion durch Schmutzwäsche ist daher wohl
möglich. Diese Möglichkeit ist in Tabelle II für die Stamm¬
bäume B. und C. als Ursprung angenommen.
Natürlich bestehen bei zahlreichen Personen eine ganze
Reihe von Möglichkeiten für Kontaktinfektionen; die¬
selben sind nur soweit eingetragen, als die Uebersichtlichkeit
nicht darunter leidet; der Grad von Wahrscheinlichkeit ist aus
der Tabelle ersichtlich.
Jedenfalls ergibt sich das Bemerkenswerte, daß eine
ziemlich ausgedehnte Epidemie sich vollständig
durch Kontaktverbreitung erklärt und daß letzten
Endes eine Bazillenträgerin als Infektionsquelle
ermittelt wird. 1 )
Die Ursachen für die Ausdehnung der Epidemie
decken sich zum Teil mit den Bedingungen, die für die Kontakt¬
möglichkeiten erörtert worden sind; z.T. aber erklärt sich das
zunächst ungestörte und unbemerkte Umsichgreifen
der Seuche durch den klinischen Charakter: Die meisten
Fälle verliefen nämlich ziemlich mild; nur wenige wiesen
bedrohliche Symptome auf; von den 4 Todesfällen fiel nur
') Dieser Auffassung schloß sich auch der Medizinalreferent der Kgl.
Regierung in Trier, Herr Qeh. Med.-Rat Dr. Schlecht, bei einer Orts¬
besichtigung an.
Beobachtungen gelegentlich einer dörflichen Typhusepidemie. 197
einer (Nr. 3) in den Beginn der Epidemie. Demgemäß wurde
nur bei vereinzelten Fällen (Nr. 3, 11, 15, 16 und 26) zum
Arzt geschickt; bei allen übrigen Personen wurde von den
Angehörigen die Diagnose „Erkältung“ gestellt. Da eine ganze
Reihe der Kranken nur wenige Tage oder überhaupt nicht
bettlägerig gewesen war, stieß die Ermittlung z. T. auf große
Schwierigkeiten, die nur durch die systematische Durchsuchung
aller Häuser und durch recht zahlreiche bakteriologische und
serologische Untersuchungen bewältigt wurden. Mehrfach
zeigte sich ein Ansatz zu anscheinend explosions¬
artiger Verbreitung; so fielen 4 Erkrankungen auf den
1. und 2. September, und in den Tagen vom 20. bis 24. Sep¬
tember — also ziemlich zu gleicher Zeit! — breitete sich die
Epidemie auf 6 neue Personen aus! Wären die Vorläufer und
Zwischenglieder zu diesen Fällen verborgen geblieben — was
bei dem leichten klinischen Verlauf sehr wohl möglich war, so
wäre den Vermutungen über eine indirekte Verbreitungsweise
weitester Spielraum geboten worden. Es zeigt dieses Beispiel,
wie sehr die Methodik der Typhusbekämpfung im Südwesten
des Reiches zu Recht besteht, nämlich bei jedem Falle von
Typhus, gleichgültig, ob er sporadisch oder im Rahmen einer
größeren Epidemie auftritt, allen nur denkbaren Kontakt¬
möglichkeiten nachzugehen und möglichst den oder die typhus¬
infizierten Menschen ausfindig zu machen, von denen die Infektion
ausgegangen sein könnte.
Ergebnis.
1. Eine Typhusepidemie mittleren Umfanges wird
durch rein hygienische Maßnahmen — nämlich
schleunige Isolierung der Kranken und Krank¬
heitsverdächtigen — in kurzer Zeit völlig zum
Stillstand gebracht.
2. Die Seuche erweist sich trotz einiger Ansätze
zu explosionsartiger Verbreitung als ausschlie߬
liche Kontaktepideraie.
3. Als Infektionsquelle wird eine Bazillenträgerin
festgestellt.
Dem Herrn Reichskommissar für die Typhusbekärapfung,
Geh. Med.-Rat Dr. Wodtke, spreche ich für manchen wertvollen
Wink bezüglich der epidemiologischen Auffassung meinen ver¬
bindlichsten Dank aus.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
A. Oeriohtliohe Payohiatrie.
Militär-Psychiatrische Beobachtangen and Erfahrungen. Von Stabs¬
arzt Dr. W e y e r t in Posen. Sammlung zwangloser Abhandlungen ans dem
Gebiete der Nerven- und Geisteskrankheiten; XI. Bd , H. 2—4. Halle 1916.
Carl Marholds Verlagsbuchhandlung. 8°, 146 S. Preis: 3,60.
Das 8treben der Militärverwaltung ist ein zweifaches: 1. Verhinderung
der Einstellung von psychisch kranken oder defekten jungen Leuten in die
198 Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften*
Armee, und 2. möglichst frühzeitige Erkennung aller geistig für den Heeres¬
dienst nicht geeigneten Elemente. Die erste Forderung wird kaum ganz erfüllt
werden können, wenn in dieser Hinsicht auch durch verständnisvolles Zusammen¬
arbeiten mit Zivil- und Militärbehörden (besonders durch Mitwirkung der Irren¬
anstalten, Hilfsschulen, Fürsorgestellen usw.) schon viel erreicht ist und viel¬
leicht noch mehr erreicht werden kann. Um so mehr muß die Militärverwaltung
Wert darauf legen, möglichst bald nach der Einstellung die Mannschaften mit
regelwidrigen Geisteszuständen herauszufinden; dafür ist auch jetzt nament¬
lich durch Errichtung psychiatrischer Stationen bei jedem Armeekorps, die
unter Leitung eines spezialistisch ausgebildeten Militärarztes stehen, insofern
ausreichende Fürsorge getroffen, als nunmehr ein geistig kranker oder auf¬
fälliger Soldat sofort einem Fachmann zur Beobachtung oder Behandlung über¬
wiesen werden kann. Verfasser ist Leiter einer solchen größeren psychiatrischen
Station in Rosen gewesen und berichtet in der vorstehenden, höchst interessanten
Abhandlung über seine dortige Tätigkeit während der Zeit vom 1. Oktober 1911
bis 30. September 1912. Von den 106 behandelten Kranken gehörten 7 dem
Offizierstande, 16 dem Unteroffizier- und 83 dem Mannschaftsstande an Unter
den behandelten Mannschaften wurden am häufigsten Dementia praecox (20),
psychopathische Konstitution (22), Imbezillität (20) und Epilepsie (11) beob¬
achtet; bei den Angehörigen des Unteroffizierstandes: alkoholische Geisteskrank¬
heiten (4) und Dementia praecox (3). Bei den Mannschaften wurde die be¬
treffende Geisteskrankheit in fast zwei Drittel der Fälle schon im ersten Dienst¬
jahre fcstgestellt. Das beobachtete Material wird nach den Geisteskrankheiten
(Dementia praecox, angeborener Schwachsinn, Epilepsie, psychopathische Kon¬
stitution, endogene Nervosität und erworbene Neurasthenie, Hysterie, organi¬
sche Gehirnerkrankungen, depressives Irresein, akute halluzinatorische Ver¬
rücktheit) geordnet und unter Einfügung bemerkenswerter Krankheitsgeschichten,
sowie mit Rücksicht auf Fürsorgeerziehung und Kriminalität besprochen. Von
den 83 Mannschaften hatten sicü 12 = 14,4°/ 0 in Fürsorgeerziehung befunden;
26 = 31‘Vo waren bestraft, 41 — 49,4 °/ 0 wegen einer gerichtlich zu ahndenden
Straftat bezw. auf Anordnung des Gerichts der Beobachtung überwiesen,
darunter nicht weniger als 26, also fast zwei Drittel, wegen unerlaubter Ent¬
fernung bezw. Fahnenflucht; sonst bildeten Achtungsverletzung und Gehorsams¬
verweigerung (je 4 mal) die häufigsten Delikte. Von den Fahnenflüchtigen litt
je ein Drittel an Imbezillität und an einer degenerativen psychopathischen
Konstitution; es wird also die auch von anderen Psychiatern gemachte Er¬
fahrung bestätigt, daß Fahnenflucht gerade von Schwachsinnigen nicht selten
begangen wird. Betreffs der strafrechtlichen Verantwortlichkeit
der Imbezillen ist Verfasser der Ansicht, daß man ihnen gegenüber die
Grenzen der Zurechnungsfähigkeit möglichst weit stellen und sich ihnen gegen¬
über aus sozialen Gründen vor einer weichherzigen Sentimentalität hüten sollte.
Affekthandlungen und Straftaten Imbeziller unter Alkoholeinfluß seien jedoch
besonders eingehend zu würdigen.
Aus den Ausführungen des Verfassers geht jedenfalls erfreulicherweise
hervor, daß es heutigentags viel schneller und vollkommener als früher ge¬
lingt, geistig kranke oder abnorme Mannschaften zu erkennen und aus dem
Heere auszuschließen, dank der getroffenen Maßnahmen und nicht zum wenigsten
dank der vertieften psychiatrischen Kenntnisse und Fähigkeiten der Truppenärzte,
Militärrichter und Offiziere Wünschenswert für die Zukunft ist nach Verf. Ansicht
Ergänzung der geltenden Bestimmungen nach der Richtung hin, daß ein Mann
wegen verbrecherischer Taten nicht bloß wie bisher bei Zuchthausstrafe zwangs¬
weise aus dem Heere entfernt werden kann, sondern dem Gerichte die Befugnis
eingeräumt wird, auch bei leichteren wiederholten Verbrechen oder längeren
Gefängnisstrafen gleichzeitig auf Entfernung aus dem Heere zu erkennen; ein
Vorschlag, der bereits von Stier gemacht ist. Mit Rücksicht auf die Frage, ob
eine Kriminalität schon vor dem Diensteintritt als Folge einer krankhaften
oder abnormefi Psyche bestanden hat, ist es weiterhin erwünscht, daß etwaige
Freisprechungen oder Einstellungen des Verfahrens aus $ 51 Str. G. B. in die
Straflisten eingetragen werden. Bei häufigen oder längeren Gefängnisstrafen
könnten auch Zählkarten bezw. Fragebogen von den Gefiingnisärzten angelegt
werden, die eine wertvolle Unterlage für die Beurteilung vorbestrafter Mann¬
schaften bilden würden. Man kann dem Verfasser nur bestimmen, wenn er
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.- 1'99
sich am Schloß seiner Ausführungen dahin äußert, „daß die erhöhte Beachtung
des Kapitels: Kriminalität und geistige Gesundheit sowie die Verarbeitung eines
großen Beobachtuagsmaturials durch die Militärpsychiater doch allmählich-
praktische Ergebnisse zeitigt, die schließlich dazu führen, nnser Heer in
größerem Maße als bisher von geistig kranken oder ungeeigneten Elementen
säubern zu können." Bpd.
B. laohTerst&ndlgent&tigkelt in Unfall- and Invalidität*- and
KrankenTsniohenmgnaehsn.
Zur Frage der traumatischen Neurose. Von Prof. Dr. Zangger-
Ziirich. Zentralblatt für Gewerbehygiene; 1916, Nr. 1 u. 2.
Der versicherungs-medizinische Begriff der traumatischen Neurose be¬
deutet in der Mehrzahl der Fälle auch ein in bezug auf das Erwerbsleben gute
Prognose; die Aerzte müssen sich aber bewußt bleiben, daß ein momentanes
Hymptomenbild, das der traumatischen Neurose entspricht, nicht immer diese
gute Prognose hat Wesentlich schlechter scheint die Prognose, wenn das be¬
dingende Trauma dadurch charakterisiert ist, daß seine Wirkung infolge der
physikalischen Eigenart des ganzen Körpers spezifisch durchdringt (elektrische
Wirkung, chemische Wirkungen). Es gibt aber auch Fälle, bei denen ein¬
fach unsere Methodik nicht ausreicht, die bleibenden Störungen festzustellen,
wenn sie sich auch unter etwas atypischen Bildern verstecken, die immer noch
dem ja nicht scharf abgegrenzten Bild der traumatischen Neurosen entsprechen,
die aber unter sukzessiver Verschlimmerung in Krankheitsbildern übergehen,
die z. B. Störungen in den Meningen, der inneren Sekretion entsprechen und
zum Tode führen können. Es kann aber auch indirekt eine kausal mit dem
Trauma zusammenhängende Störung eine Situation bedingen, durch die der
Tod erfolgte, wo also ein Kausalzusammenhang in dem rechtlichen Sinne be¬
steht, daß mit größter Wahrscheinlichkeit der Tod ohne die Traumafolge nicht
eingetreten wäre. Dr. Wolf- Hanau.
Nur 25°/ 0 Erwerbseinbuße bei Verlust des Sehvermögens auf einem
Auge^ auch wenn der Augapfel entfernt ist. Rekurs-Entscheidung des
Beichs-Versicherungsamts vom 5. Januar 1916.
Es handelt sich nur noch um den glatten Verlust des Sehvermögens auf
dem rechten Auge, an den Gewöhnung eingetreten ist. Die Ansicht des Klägers,
ihm stehe als Gesteinshauer für diesen Verlust unter allen Umständen eine
Teilrente von 33*/»°/.» zu, ist irrig. Vielmehr ist nach der Rechtsprechung des
R. V. A. bei jedem Verletzten der Grad der Beeinträchtigung von Fall zu Fall
zu prüfen. Mit Rücksicht auf den vom Kläger verdienten normalen Lohn ist
in diesem Falle eine Teilrente von 2ß g / 0 aber ausreichend, so daß dem Rekurse
des Verletzten gegen das Urteil des Oberversicberungsamts vom 14. März 1913
der Erfolg zu versagen war.
Ebenso unbegründet ist der Rekurs gegen das Urteil vom 15. Junii914.
Dieses setzt die Rente aus dem Unfall vom 80. August 1901 nach erfolgter
operativer Entfernung des rechten Auges von neuem fest. Nach den
Gutachten des Dr. K. und des Dr. M. hat sich die Einbuße an Erwerbsfähigkeit
durch die Entfernung des rechten Auges nicht gemindert. Nach wie vor handelt
es sich nm den glatten Verlust dieses Auges und hierfür ist, wie oben aus-
geführt, eine Teilrente von 25®/ 0 angemessen und ausreichend.
(Kompaß; 1916, Nr. 6.)
Die ärztlichen Berater der Landesversicherungsanstalten (die soge¬
nannten Vertrauensärzte) können vor dem Oberversichernngsamt als
Parteivertreter erscheinen und als solche gehört werden. Es ist auch
zulässig, daß sie in einzelnen Fällen ans besonderen Gründen vom Ober-
versichernngsamt als Zeugen und in Verbiudnng mit der Auskunft über
ihre eigenen früheren Wahrnehmungen gutachtlich (als sachverständige
Zeugen) vernommen werden. Doch dürfen die Oberversichernngsämter
zur Vermeidung einer Umgehung (Verletzung) des § 16H6 der Reichster-
sichernngsordnung hieraus keine Regel machen. Revisions-Ent¬
scheidung des Reicbsversicherungsamts vom 15.Mai 1915.
(Amtliche Nachrichten des Reichs-Versicherungsamts; 1916, Nr. 8.)
900
Kleinere Mitteilungen and Befernte ans Zeitschriften.
Der Hinweis darauf, daß für die Schätzung der Erwerbsunfähigkeit
des Verletzten ein (näher bezelchnetes) ärztliches Gutachten die Unterlage
bilde, genügt nicht als Begründung des Bescheid (§ 1589 der Reichsver¬
sicherungsordnung). Es bedarf vielmehr der Mitteilung wenigstens des
wesentlichen Inhalts des Gutachtens. Rekurs-Entscheidung des
Reichsversicherungsamts vom 27.Februar 1915.
(Amtliche Nachrichten des Reichs-Versicherungsamts; 1915, Nr.7.)
Die Kosten ärztlicher Gutachten, die das Versicherungsamt im Ein¬
spruchsverfahren im Rahmen seiner Befugnisse aus §| 1595 und 1598 der
Reichsversicherungsordnung einholt, gehören zu den von den Ver¬
sicherungsträgern zu erstattenden Barauslagen. Für die Frage der
Erstattungspflicht eines im Einspruchsverfahren von Amts wegen einge¬
holten ärztlichen Gutachtens kommt es nicht darauf an, ob das Gutachten
zur Beurteilung des Falles erforderlich war. Rekurs-Entscheidung
des Reichsversicherungsamts vom 7. September 1914.
Der Anspruch auf Kostenerstattung ist aus § 1600 in Verbindung mit
§ 1598 der Reichsversicherungsordnung gerechtfertigt, da sich das Ver¬
sicherungsamt nach mündlicher Verhandlung zur Sache gutachtlich geäußert
hat. Die Berufsgenossenschaft bezweifelt zu Unrecht, daß die Kosten ärztlicher
Gutachten zu den von den Versicherungsträgern zu erstattenden Barauslagen
des Einspruchsverfahrens gehören. Im § 59 Abs. 2 a. a. 0. ist durch den
Hinweis in der Klammer klargestellt, daß auch der Einspruch im Sinne dieser
Vorschrift als Spruchsache zu behandeln ist. Die im Einspruchsverfahren ent¬
stehenden Kosten sind daher von den Versicherungsträgern zu erstatten, soweit
es sich um Barauslagen des Verfahrens handelt. Hierzu gehören unbestritten
auch die Gebühren für Sachverständige, weil sie sofort ausscheidbar und nicht
den gewöhnlichen Kosten der Organisation zuzurechnen sind. Nach der Rechts¬
übung des Reichsversicherungsamts sind demnach die Kosten ärztlicher Gut¬
achten, die das Versicherungsamt im Einspruchsverfahren im Rahmen seiner
Befugnisse aus §§ 1595 und 1598 a. a. 0. einholt, von'den Vejpicherungsträgern
zu erstatten.
Die Berufsgenossenschaft nimmt ferner irrig an, das Versicherungsamt
dürfe in der Regel kein so umfangreiches und kostspieliges Gutachten wie im
vorliegenden Falle einholen. Das Reichsversicherungsamt hat schon in der
erwähnten Entscheidung 2735 ausgesprochen, daß das Versicherungsamt auch
eingehend begründete Gutachten einzuziehen berechtigt ist. Die den Kom¬
missionsberichten 6. Teil 8.102 entnommenen Ausführungen der Berufsgenossen¬
schaft können diese Ansicht nicht widerlegen. Die Erklärungen eines Ver¬
treters der verbündeten Regierungen in der Kommission über die Ausdehnung
der Ermittlungen im Einspruchsverfahren sind von der Berufsgenossenschaft
nicht vollständig wiedergegeben worden. Sie lauten nämlich dahin, daß größere
Erhebungen der Berufsgenossenschaft überlassen bleiben müßten. Wenn sie
geboten sein sollten, habe sich das Gutachten des Versicherungsamts darauf
zu beschränken, wünschenswert erscheinende Anregungen zu geben. Unter
größeren Erhebungen in diesem Sinne sind aber in der erwähnten Entscheidung
nur umständliche, mit einer Beobachtung im Krankenhause verbundene Begut¬
achtungen und sogenannten Obergutachten zu verstehen.
Unrichtig ist schließlich die Ansicht der Berufsgenossenschaft, die Kosten
für ein von Amts wegen eingeholtes ärztliches Gutachten habe der Versicherungs-
träger nur dann zu erstatten, wenn es zur Beurteilung des Falles noch
erforderlich gewesen sei. Schon unter der Herrschaft des früheren Rechtes hat
das Reichsversicherungsamt in ständiger Rechtsübung anerkannt, daß die von
den Schiedsgerichten für Arbeiterversicherung eingeholten Gutachten ohne
Rücksicht auf ihre Notwendigkeit von den Berufsgenossenschaften zu erstatten
sind. Ebenso gilt in Gerichtskostengesetze der Grundsatz, daß die Belastung
der Staatskasse mit Auslagen des Verfahrens unzulässig ist, auch wenn diese
Auslagen durch ein Verschulden der im Verfahren tätig gewesenen Beamten
oder sonstwie durch eine unrichtige Behandlung der Sache ohne Schuld der
Beteiligten entstanden sind. Hat im Einspruchsverf&hren ein Versicherungsamt,
das sich gutachtlich zur Sache geäußert hat, von Amts wegen Ermittlungen
angestellt, so haben, wenn der beteiligte Versicherungstrager sich weigert, die
Kleinere Mitteilungen jnd Referate ans Zeitschriften.
201
hierdurch entstandenen Kosten za tragen, die Instanzen nur zu prüfen, ob die
Beweismittel bereit oder leicht za beschaffen and erhebliche Kosten nicht
entstanden sind (§ 1598 a. a. 0.). Darüber, ob eine Beweiserhebung erforderlich
ist, bat der Vorsitzende des Versicherangsamts allein pflichtgemäß za befinden.
Die Erheblichkeit des Beweises ist ohne Bedeutung für die Kostenerstattungs¬
pflicht. Sonst würde im Kostenbeschwerdeverfahren die Grundlage des ganzen
Rentenstreits nachzuprüfen und damit zu Fragen Stellung zu nehmen sein, die
dem Spruchverfahren Vorbehalten sind. Die Gefahr, daß die Spruch- und
Beschlußinstanz über die Bedeutung von Ermittlungen des Versicherungsamts
verschiedener Meinung sind, muß vermieden werden. Auch würde das freie
Ermessen der Versicherungsämter bedenklich beeinflußt werden, wenn für
Ermittlungen, die in der Beschwerdeinstanz für nicht erforderlich angesehen
werden, keine Kosten erstattet würden. Das Einspruchsverfahren könnte
dadurch seine Bedeutung zum großen Teile verlieren. Das Reichsversicherungs¬
amt geht aber bei dieser Entscheidung von der Voraussetzung aus, daß die
Versicherungsämter bei ihren Beweiserhebungen sachgemäß verfahren und dabei
bemüht sein werden, eine Belastung der Berufsgenossenschaften durch unnötige
Kosten zu vermeiden.
(Amtliche Nachrichten des Reichs-Versicherungsamts; 1915, Nr. 7.)
IIeberträgt die Berufsgenossenschaft der Krankenkasse gemäß § 1514
der Reichsversichernngsordnnng das Heilverfahren Uber die dreizehnte
Woche nach dem Unfall hinaus, so tritt hierdurch die Berufsgenossen¬
schaft nur zu der Krankenkasse, nicht auch zu den Personen, deren sich
die Krankenkasse zur Ausführung des ihr erteilten Auftrages bedient
(Aerzte, Apotheker usw.) in Rechtsbeziehnngen. Revisions-Entschei¬
dung des Reichs-Versicherungsamts vom 19. Juni 1915.
Der Beklagten ist darin beizutreten, daß sie aus dem der Klägerin
erteilten Aaftrag nur zu dieser in Rechtsbeziehungen getreten ist. Sie hat der
Klägerin in dieser aus der Ausführung des Auftrags erwachsenen Kosten zu
ersetzen. Zu diesen gehören ohne weiteres die Kosten der über die dreizehnte
Woche nach dem Unfall hinaus fortgesetzten ärztlichen Behandlung.
Nur solche Kosten hat die Berufsgenossenschaft zu ersetzen, die die Kranken¬
kasse für die zur Ausführung des ihr erteilten Auftrags notwendigen Leistungen
nachweislich angemessen aufgewandt hat oder noch zahlen muß. Dabei sind
Streitigkeiten mit dem Arzte über die Höhe seines Honorars nicht von der
Berufsgenossenschaft, sondern von der Krankenkasse als der Auftraggeberin
des Arztes mit diesem zum Austrag zu bringen.
Der Auftrag der Beklagten an die Klägerin ging dahin, „die Leistungen
für Rechnung der Beklagten im Rahmen der Kassenleistungen forzusetzen“.
Die Beklagte durfte danach erwarten, daß die Klägerin die Heilbehandlung
des verletzten W. in demselben Umfang und in der gleichen Weise wie während
der ersten 13 Wochen fortsetzen würde, und daß ihr, der Beklagten, daraus
nicht mehr Kosten entstehen würden, als die Klägerin selbst aufznwenden
gehabt haben würde, wenn sie die weiteren Leistungen ohne Auftrag der Be¬
klagten im Rahmen der Kassenleistungen gewährt hätte. Die Leistungen, die
die Klägerin dem W. im Auftrag der Beklagten gewährt hat, gehen über den
Rahmen der Kassenleistungen nicht hinaus, die Notwendigkeit der ärztlichen
Leistungen des Dr. Fr. wird von der Beklagten im allgemeinen nicht bestritten.
Als angemessene, von der Beklagten zu ersetzende Vergütung kann daher
vorbehaltlich des Nachweises der Notwendigkeit höherer Aufwendungen nur der
Betrag gelten, den die Krankenkasse aufzuwenden gehabt haben würde, wenn
sie die Leistungen für eigene Rechnung als Kassenleistungen gewährt hätte,
d. i. der Betrag, den die Klägerin dem Arzte nach den mit ihm für
Kassenleistungen getroffenen Vereinbarungen zu zahlen hätte.
Glaubt der Arzt, der Klägerin höhere Gebührensätze in Rechnung stellen zu
dürfen, weil die Klägerin Ersatz ihrer Aufwendungen von der Beklagten zu ver¬
langen berechtigt ist, so wird ein Streit hierüber zwischen der Klägerin und dem
Arzte auszutragen sein, und die Beklagte gemäß §1514 Abs. 2 der R.V.O. der
Klägerin alsdann auch den Betrag zu ersetzen haben, den diese nachweisbar über
den Betrag des für Kassenleistungen vereinbarten Honorars hinaus möglicherweise
an Dr. Fr. wird zahlen müssen. Zur Zeit fehlt es an diesem Nachweis. Die ganze
Sachlage und der Akteninhalt geben nicht den geringsten Anhalt für die Annahme,
202 Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
daß Dr. Fr. berechtigt ist, für die im Auftrag der Klägerin fortgesetzte Be¬
handlung des verletzten W. der Klägerin höhere als die für Kassenleistungen
vereinbarten und auch für die ersten dreizehn Wochen berechneten Honorarsätze
in Rechnung zu stellen. Der Umstand, daß die Klägerin einen Ersatzanspruch
gegen die Beklagte bat, ist für das Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin
und dem Arzte hinsichtlich der von diesem im Auftrag der Klägerin fort¬
gesetzten Heilbehandlung, soweit erkennbar, ohne Bedeutung. Die Akten er¬
geben insbesondere nicht, daß etwa zwischen der Klägerin und Dr. Fr. für Fälle
der vorliegenden Art besondere Honorarvereinbarungen bestanden.
Hiernach beruht das angefochtene Urteil des Oberveraicherungsamts,
durch das die Beklagte zum Ersätze des gesamten von Dr. Fr. berechneten,
die mit der Klägerin für Kassenleistungen vereinbarten Sätze unstreitig über¬
steigenden Honorars von 280,75 M. verurteilt worden ist, auf der unrichtigen
Anwendung des bestehenden Rechtes (§ 1697 der Reicbsversicherungsordnung).
Das Urteil war daher auf die Revision der Beklagten aufzuheben und zugleich
die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz
zurückzuverweisen. Nach den dargelegten Grundsätzen ist der Ersatzanspruch
der Klägerin zur Zeit nur insoweit begründet, als der Honoraranspruch des
Dr. Fr. die Sätze nicht überschreitet, die die Klägerin zu zahlen haben würde,
wenn die Behandlung des W. ohne den Auftrag der Beklagten an die Klägerin
Von Dr. Fr. für Rechnung der Klägerin im Rahmen der dieser obliegenden
Kassenleistungen fortgesetzt worden wäre. Das Oberversicherungsamt wird
die Höhe dieses Betrags festznstellen und diesen seiner neuen Entscheidung
zugrunde zu legen haben, sofern nicht die im § 1503 der R.V.O. bezeichneten
Beträge höher sind, oder aber die Klägerin in dem neuen Verfahren nachweist,
daß sie zur Bezahlung eines die für die Behandlung von Kassenmitgliedern
vereinbarten Sätze übersteigenden Honorars an Dr. Fr. verpflichtet ist
(Amtliche Nachrichten des Reichs-Vereicherungsamts; 1915, Nr. 9.)
Eine vom Arzte angeordnete nnd überwachte medlko-mechanische
Behandlung stellt eine ärztliche Behandlung und nicht ein Heilmittel im
Sinne des § 182 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung dar. Revisions-
Entscheidung des Reichsversicherungsamts vom 31. Mai 1915.
Die Annahme des Oberversicherungsamts, daß die beklagte Krankenkasse
im vorliegenden Falle zur Gewährung der mediko-mechanischen Behandlung
verpflichtet sei, läßt keinen Rechtsirrtum erkennen. Der Auffassung des Vor¬
standes der beklagten Kasse, daß eine mediko-mechanische Behandlung ein
Heilmittel darstelle, zu dessen Gewährung sie nur nach Maßgabe ihrer Satzung
(§ 20 Abs. 1 Ziffer lb) verpflichtet sei (zu vergleichen § 182 Nr. 1, § 193 der
Reichsversicherungsordnung), kann nicht beigetreteu werden. Allerdings war
die Frage unter der Herrschaft des Krankenversicherungsgesetzes zweifelhaft.
Die überwiegende Meinung in Literatur und Rechtsprechung rechnete die
mediko-mechanische Behandlung den Heilmitteln zu, weil die persönliche
Tätigkeit des Arztes dabei fast ganz in den Hintergrund trete; diese Auffassung
kann aber nach der Reicbsversicherungsordnung nicht mehr aufrecht erhalten
werden. Nach § 122 der Reicbsversicherungsordnung umfaßt die ärztliche Behand¬
lung auch die „HilfeMeistungen anderer Personen, wie Bader — Heilgehilfen —
Masseure und dergleichen dann, wenn der Arzt sie anordnet. Im vorliegenden
Falle hat der Arzt die Anwendung der mediko-mechanischen Behandlung
angeordnet, auch hat er ihren Erfolg fortlaufend überwacht und sogar bei der
Einlegung des verletzten Gliedes in den Apparat persönlich mitgewirkt. Es
liegt hier also jedenfalls eine auf Grund ärztlicher Anordnung erfolgte und
auch vom Arzt dauernd überwachte Hilfeleistung vor, die nach § 12i a. a. 0.
als ärztliche Behandlung anzusehen ist und zu deren Gewährung auf die Dauer
von 26 Wochen die beklagte Kasse nach § 182 Nr. 1 der Reichsversicherungs¬
ordnung verpflichtet ist. Daß im übrigen durch die Verpflichtung der Kranken¬
kassen, eine mediko-mechanische Behandlung, falls sie vom Arzte angeordnet
und ihr Ergebnis vom Arzte überwacht wird, als ärztliche Behandlung und
nicht mehr als Heilmittel zu gewähren, die Volksgesundheit wesentlich gefördert
wird, kann bei der steigenden Bedeutung dieser Heilungsart wohl nicht be¬
zweifelt werden.
(Amtliche Nachrichten des Reichs-Versicherungsamts: 1916, Nr. 8.)
Kleinere Mitteilangen und Referate ans Zeitschriften. 208
Berechtigung der Krankenkassen zur Bezahlung der zwecks Ein¬
leitung eines Heilverfahrens ansgestellten ärztlichen Zeugnisse. Beschluß
des Beichs-Versicherangsamts (großen Senats) vom 5. Juni 1815.
Die Mittel der Kasse dürfen nach § 368 der Reicks-Versicherungsordnung
znr Tragang der Kosten ärztlicher Zeugnisse verwendet werden, die Kassen*
mitglieder für ein von der Versicherungsanstalt nach § 1269 ff. der R.V.O. ein-
zuleitcndes Heilverfahren aufgewendet haben.
ln der Beschwerdesache der Allgemeinen Ortskrankenkasse des Stadt¬
kreises Guben gegen die Entscheidung des Königl. Oberversicherungsamts in
Frankfurt a. 0. vom 10. Februar 1916 wegen Tragung von Kosten für ärztliche
Atteste von Kassenmitgliedern, die einen Antrag auf Heilanstaltsbehandlung
bei der Landes Versicherungsanstalt stellen, hat das R.V.A. wie folgt entschieden:
Die Entscheidung des Königl. Oberversicherungsamts Frankfurt a. 0.
vom 10. Februar 1915 und die Anordnung des städtischen Versicherungs¬
amts in Guben vom 7. Dezember 1914 werden aufgehoben.
Gründe: Nach dem Vertrage zwischen der Allgemeinen Ortskrankenkasse
des Stadtkreises Guben und der dortigen Aerztevereinigung sollen die Kosten
der ärztlichen Zeugnisse für diejenigen Kassenmitglieder, die lungenkrank sind
nnd einen Antrag auf Heilanstaltsbehandlung bei der Landesversicherungsanstalt
stellen wollen, im Betrage von je 6 M. von der Kasse bezahlt werden. Das
Städtische Versicherungsamt Guben hat die Zulässigkeit der Uebernahme dieser
Kosten durch die Kasse beanstandet, weil es sich um Ausgaben haudele, zu
denen die Kasse weder nach dem Gesetz (§ 363 der R.V.O.), noch nach der
Satzung ermächtigt sei. Es hat daher mit Verfügung vom 7. Dezember 1914
die Bezahlung dieser Kosten durch die Kasse untersagt. Die Beschwerde gegen
diese Anordnung hat die Beschlaßkammer des Königl. Ober versicherungsamte
Frankfurt a. O. mit Entscheidung vom 10. Februar 1915 als unbegründet zu¬
rückgewiesen. Auch nach Ansicht des Oberversicherungsamts ist die Ver¬
wendung von Kas8emnitteln für den angegebenen Zweck unzulässig, weil der¬
artige Aufwendungen weder zu den satzungsmäßigen Leistungen noch zu den
allgemeinen Zwecken der Krankheitsverhütung im Sinne des § 363 Abs. 1 der
R.V.O. gehörten. Gegen diese Entscheidung hat der Kassenvorstaud rechtzeitig
weitere Beschwerde beim ReicbsversicheruDgsamt eingelegt. Es handelt sich
nach Ansicht der Kasse bei Uebernahme der fraglichen Kosten nicht um eine
Vorbeugungsmaßregel zugunsten eines einzelnen Kassenmitgliedes, sondern um
eine Fürsorge, die für einen größeren Teil erkrankter Kassenmitglieder und
deren Familien von Bedeutung sei. Wegen der dadurch erleichterten Ein¬
leitung eines alsbaldigen Heilverfahrens mit größeren Heilungsaussichten für
die Erkrankten trage diese Maßnahme, auch dazu bei, die allgemeinen Auf¬
wendungen der Kasse für Krankenhilfe zu verringern. Auf die Ausführungen
in den Beschwerdeschriften der Kasse und die Entscheidungen des Versiehe-
rangsamts und des Oberversicherungsamts wird im übrigen Bezug genommen.
Die weitere Beschwerde ist zulässig (§ 1797 der R.V.O.) und auch begründet.
Nach § 363 Abs. 1 der R.V.O. dürfen die Mittel der Kasse insbesondere
verwendet werden zu den satzungsmäßigen Leistungen und für allgemeine
Zecke der Krankheitsverhütung. Um eine satzungsmäßige Leistung handelt
es sich bei Uebernahme der Kosten für die in Rede stehenden ärztlichen Zeug¬
nisse nicht. Denn wenn diese Aufwendungen auch erkrankten Kassenmitgliedern
zugute kommen sollen, so fallen sie doch nicht unter die im Zweiten Buche der
R.V.O vorgeschriebenen Leistungen oder die dort für zulässig erklärten Mehr¬
leistungen der Krankenkassen an Krankenhilfe (zu vergleichen § 179 der R.V.O.).
Fraglich kann aber sein, ob die hierfür verwendeten Mittel zu den „allgemeinen
Zwecken der Krankheitsverhütung“ zu rechnen sind. Der Senat hat dies an¬
genommen.
Dem § 29 Abs. 2 des Krankversicherungsgesetzes, an den sich § 363
der R.V.O. anlehnt, war eine Verwendung der Kassenmittel für Zwecke der
Krankheitsverhütung fremd. Der Entwurf der R.V.O. wollte die Zwecke, für
welche die Mittel der Kassen aufgewendet werden dürfen, erweitern, insbesondere
Maßnahmen allgemeiner Art für die Gesamtheit der Kassenmitglieder, die das
Entstehen oder Ausbreiten von Krankheiten unter ihnen verhüten könnten, für
zulässig erklären (Begründung Seite 211). § 372 des Entwurfs (§ 363 der R.V.O.)
ließ demgemäß die Verwendung der Mittel der Kasse auch für „allgemeine
Schutzmaßregeln gegen Erkrankung der Mitglieder“ zu. An die .Stelle dieser
204
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
Worte ist zufolge des in der Kommissionsberatang gestellten Antrags Nr. 224
die jetzige Fassang des § 863 a. a. 0. getreten, wonach die Kassenmittel „für
allgemeine Zwecke der Krankheitsverhütung“ verwendet werden dürfen. Die
Erörterungen za diesem Antrag (zu vergleichen Seite 263, 264 des Kommissions-
berichts 2. Teil) lassen erkennen, daß der Antrag keine Einschränkung, sondern
eine Erweiterung des Verwendungszwecks der Kassenmittel verfolgte. Es sollte
den Kassen die Befugnis gegeben werden, über die durch Qesetz oder Satzung
vorgeschriebenen Leistungen für den einzelnen Erkrankten hinaus vorbeugende
Maßnahmen zugunsten der Gesamtheit oder eines größeren Teiles der Kassen¬
mitglieder zu treffen. Den Gegensatz zu den „allgemeinen“ Maßnahmen bilden
also „besondere“ Maßnahmen, die lediglich einem einzelnen Kassenmitglied,
nicht auch einem größeren Kreise der Mitglieder förderlich sind (zu vergleichen
auch Ilahn, Handbuch der Krankenversicherung, Anmerkung 1 d am Ende zu
§ 868 der R.V.O). Als eine solche Maßnahme war die von der Kasse vor¬
gesehene Fürsorge gedacht. Die Kosten der ärztlichen Zeugnisse sollen nicht
bloß in einem bestimmten Einzelfalle, sondern grundsätzlich bei allen erkrankten
Versicherten übernommen werden, die nach ärztlicher Untersuchung Heilanstalts¬
pflege wegen Lungentuberkulose beantragen. Eine allgemeine Wirkung in
diesem Sinne wird auch tatsächlich von dieser Maßnahme erzielt werden. Denn
die den lungenkranken Mitgliedern gewährte Vergünstigung käme bei der
weiten Verbreitung von Lungenkrankbeiten in den Kreisen der Versicherten
erfahrungsgemäß einem größeren Kreise der Kassenmitgliedcr zugute.
Derartige allgemeine Maßnahmen sollen nach § 363 a. a. 0. zulässig sein,
wenn sie der „Krankheitsverhütung“ dienen. Begrifflich fallen
hierunter alle Maßregeln, die geeignet sind, die Gesundheit der Kasscnmitglicder
mittelbar oder unmittelbar zu fördern. Indessen soll die Zulässigkeit der Ver¬
wendung von Mitteln der Kasse, nach den Ausführungen der Begründung auf
Seite 211 und eines Regierungsvertreters bei der Kommissionsberatung (Kom¬
missionsbericht 2. Teil Seite 264), in einer bestimmten Richtung beschränkt
bleiben. Die Kassen sollen nämlich vorbeugende Maßnahmen, die nur die mög¬
liche Entstehung künftiger Krankheiten bei noch nicht erkrankten Personen
verhindern sollen, nicht übernehmen. Denn sie würden dadurch in eine Sphäre
übergreifen, die nach dem Gesetze (zu vergleichen § 1269 ff. der ll.V.O.) den
Versicherungsanstalten Vorbehalten ist. Dagegen sollte die Fürsorge
der Krankenkassen für den einzelnen erkrankten Versicherten
(z. B. bei Unterbringung in einer Lungenheilanstalt), wie bis¬
her, auch nach der R.V.O. nicht beschränkt werden. Hiernach
ist die Kasse unbedenklich berechtigt, die Kosten der ärzt¬
lichen Zeugnisse für Kassenmitglieder, die den Antrag auf
Heilanstaltspflege bei einer Versichernngsanstalt stellen
wollen, zu übernehmen. Denn ein solches Zeugnis gibt der Kranken¬
kasse erst Aufschluß darüber, ob und wie weit bereits Krankbeitszustände be¬
stehen, die die Einleitung eines Heilverfahrens geboten erscheinen lassen. Das
ärztliche Zeugnis ermöglicht also der Krankenkasse erst diejenigen Fälle zu
ermitteln, in denen sie selbst ein Interesse an alsbaldiger Einleitung eines
Heilverfahrens durch die Landesvcrsicherungsanstalt hat, weil eine Krankheits¬
anlage, die sich möglicherweise später zu einer von der Kasse zu entschädigenden
Krankheit entwickelt, bereits vorhanden ist. Insofern dient die Uebernahme
der Kosten der ärztlichen Zeugnisse auch dem allgemeinen Zwecke der Krank¬
heitsverhütung im Sinne des § 363 Absatz 1 der R.V.O., ohne daß die Kranken¬
kasse dabei in das Tätigkeitsgebiet der Versicherungsanstalten übergreift. In
vielen Fällen werden sich namentlich minderbemittelte Versicherte wegen der
Kosten für die Ausstellung eines ärztlichen Zeugnisses scheuen, einen Heil-
Verfahrensantrag überhaupt oder doch möglichst zeitig zu stellen. Eine Be¬
seitigung derartiger Hemmungen durch die Kasse liegt zweifellos im Interesse
vieler Kassenmitglieder und im Endergebnis auch im geldlichen Interesse der
Kasse selbst. Demgemäß ist die von der Kasse in dem Arztvertrage über¬
nommene Kostentragang nach S 363 der K.V.O. nicht zu beanstanden, und war der
Beschwerde unter Aufhebung der Vorentscheidungen, wie geschehen, stattzugeben.
Den Krankenkassen eröffnet sich hiernach die Möglich¬
keit, in weiterem Umfange als bisher auch ihrerseits bei der
Bekämpfung der Tuberkulose mitzuwirken.
(Amtliche Nachrichten des Rcichsversicherungsamts; 1915, Nr. 9.)
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
205
Eine Satzung8bestimmuiig, wonach die Mehrleistungen nur dann
und so lange gewährt werden, als das Kassenmitglied und seine Ange¬
hörigen den Anordnungen des Arztes oder des Kassenvorstandes Folge
leisten und den Arzt nicht ohne genügende Veranlassung in Anspruch
nehmen, ist unznlässlg. Entscheidung des Reichs-Versicherun gs -
amts vom 17. April 1916.
Die Satzung der ßetriebskrankenkasse des Wasserbauamts St. enthielt
im § 7 Ziffer 6 folgende Bestimmung: „Der Vorstand kann gegen Mitglieder,
die der Kranken Ordnung oder den Anordnungen des Arztes zuwiderhandeln,
eine 8trafe bis zum dreifachen Betrage des täglichen Krankengeldes fttr jeden
einzelnen Uebertretungsfall festsetzen und außerdem die Kassenleistungen bis
auf die Regelleistungen entziehen." Nachdem bei einer anderen Kasse eine
gleichlautende Satzungsbestimmung hinsichtlich ihres letzten Teiles durch Ent¬
scheidung des Beschlußsenats des ReichsverBicherungsamts, Abteilung für
Kranken-, Hinterbliebenen- und Invalidenversicherung, vom 20. Dezember 1913
für ungültig erklärt worden war, beschloß die Kasse, in der Satzung an der
bezeichneten Stelle die Worte „und außerdem die Kassenleistungen bis auf die
Regelleistungen entziehen“ zu streichen und in die Satzung als § 14a folgende
Bestimmung aufzunehmen: „Die über die gesetzlichen Regelleistungen hinaus-
gehenden freiwilligen Leistungen werden in dem einzelnen Krankheitsfalle nur
dann und so lange gewährt, als das Kassenmitglied und seine Angehörigen
der Krankenordnung, den Anordnungen des Arztes oder des Kassenvorstanaes
Folge leisten und den Arzt nicht wiederholt ohne genügende Veranlassung in
Anspruch nehmen." Die Beschlnßkammer des Oberversicherungsamts hat im
wesentlichen im Hinblick auf die vorbezeichnete Entscheidung des Reichsver¬
sicherungsamts die Genehmigung des § 14 a der Satzung versagt. Gegen diese
Entscheidung hat der Vorstand der Kasse Beschwerde beim Reicnsversicherungs-
amt eingelegt. Er glaubt, daß die Genehmigung der Satzungsbestimmung zu
Unrecht versagt sei, weil die Kasse die Voraussetzungen, unter denen sio
Mehrleistungen gewähren wolle, selbständig regeln dürfe.
Die Kasse will nicht mehr durch die Satzung gewisse Verfehlungen der
Kassenmitglieder sowohl durch Bestrafung wie durch Verlust der Mehrleistungen
ahnden. Die Mehrleistungen will sie aber nur so lange gewähren, als die im
§ 14 a der Satzung aufgestellten Voraussetzungen gegeben sind. Richtig ist,
daß die Kassen bei Einführung von Mehrleistungen im allgemeinen nach freiem
Ermessen verfahren können. Aber nicht unbeschränkt. Ihr Ermessen findet
seine Grenze in den Vorschriften des Gesetzes. Gegen die vorliegend beab¬
sichtigte Regelung der Mehrleistungen ergeben sich Bedenken aus der Vor¬
schrift des § 529 der Reichsversicherungsordnung. Soweit durch die Satzungs¬
bestimmung Rechtsnachteile für den Fall vorgesehen sind, daß das Kassen¬
mitglied und seine Angehörigen der Krankenordnung oder den Anordnungen
des Arztes zuwiderhandeln, ist ein Tatbestand gegeben, der in den Rahmen
der bezeichneten Vorschrift der Reichsversicherungsordnung fällt. Das Reichs¬
versicherungsamt hat bereits ausgesprochen, daß es der Kasse nicht gestattet
ist, im Wege des Ordnungsstrafrechts noch andere Rechtsnachteile für die im
§ 629 der Reichsversicherungsordnung mit Strafe bedrohten Verfehlungen ein-
treten zu lassen. Die Rechtsnachteile sind dort erschöpfend geregelt. Eine
Verfehlung gegen die bezeichnete Vorschrift kann daher den Verlust von
Kassenleistungen nicht zur Folge haben. Daraus ergibt sich die Unzulässig¬
keit der hier streitigen Satzungsbestimmung, soweit sie in der Versagung der
Mehrleistungen an den Tatbestand des § 529 der Reichsversicherungsordnung
anknüpft. Hiervon würde auch ein etwaiges Zuwiderhandeln der Angehörigen
des Kassenmitglieds gegen die Krankenordnung betroffen, das an sich in den
Rahmen des § 529 der Reichsversicherungsordnung fallen würde, aber straffrei
gelassen ist. Die weiteren Voraussetzungen, von denen § 14 a der Satzung die
Gewährung der Mehrleistungen abhängig macht, sind ebenfalls unzulässig.
Schon unter der Herrschaft des Krankenversicherungsgesetzes wurde ange¬
nommen, daß sich der Anspruch auf die Mehrleistung als ein festbestimmter
Rechtsanspruch darstellen müsse, für dessen Bestand nur zuverlässig feststell¬
bare (objektive) Voraussetzungen aufgestellt werden durften (zu vergleichen
Entscheidung des Königlich Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 4. Mai
1908). Damit sollte jeder ungleichmäßigen Behandlung der Kassenmitglieder
206
Kleinere Mitteilangen and Referate aas Zeitschriften.
vorgebeugt werden. Aas diesem Grande warde es aach für anzal&ssig erachtet,
die Gewährung der Mehrleistungen dem Ermessen der Kassenorgane im Einzel¬
falle vorzuhehalten (Entscheidung des Königlich Bayerischen Verwaltungs¬
gerichtshofs vom 30. Mai 1904). An diesen Grundsätzen maß für das Recht
der Reichs Versicherungsordnung festgehalten werden. An der genügenden
Bestimmtheit der Voraussetzungen fehlt es auch vorliegend. Die Fassung des
§ 14a ist in ihrem letzten Teile zu unbestimmt, am ein festes, dem freien
Ermessen der KassenleituDg entzogenes Erfordernis für den^Wegfall der
Leistung zu schaffen. Das Oberversicherangsamt hat daher die Genehmigung
der Satzungsbestimmung zu Recht versagt. Hiernach war die Beschwerde
zarückznweiscn.
(Amtliche Nachrichten des Reichs-Versicherungsamts ; 1915, Nr. 7.)
Eine Satzungsbestimmnng, wonach die Kasse Zahnplomben nnr dann
bezahlt, wenn vorher der Yorstand die Zustimmung erteilt hat, ist
unzulässig. Revisions-Entscheidung des Reichs-Versicherungs¬
amts vom 30. April 1915.
Die allgemeine Ortskrankenkasse für den LandkreisJ'St. hatte dem
zuständigen Oberversicherangsamt einen Satzangsantrag eingereiebt, in dem
unter anderen die Bestimmung vorgesehen war:
„Künstliche Gebisse und Einzelzahnersatz werden nicht
gewährt. Es bleibt den Vorstand überlassen, innerhalb der Grenzen des § 19
Abs. 1 einen Zuschuß za gewähren. Zahnplomben bezahlt die Kasse nnr
dann, wenn vorher der Vorstand die Zustimmung erteilt bat.^j Diese ist abhängig
von einer ärztlichen Bescheinigung, daß das Plombieren zur Beseitigung einer
Störung des Gesundheitszustandes und nicht bloß zur Abstellung^eines Schön¬
heitsfehlers erforderlich ist.“
Diesen Zusatz hat das Oberversicherungsamt die Genehmigung mit Recht
versagt. Wenn auch hin und wieder Plomben gewünscht werden, um Schön¬
heitsfehler zu beseitigen, so erscheint die Ergänzung der Satzung doch nicht
zulässig. Die Kasse will offenbar selbst nicht bestreiten,f daß minderen Fällen
auch Plomben lediglich zur Beseitigung eines krankhaften Zustandes benötigt
werden; es handelt sich dann aber um ärztliche Hilfe. Als Heilmittel können
solche Plomben um deswillen nicht angesehen werden, weil dos Wesentliche beim
Legen von Plomben die persönliche Tätigkeit des Arztes ist, gegen welche
das sächliche Mittel der Plomben zurücktritt. Aerztlicbe Behandlung hat aber
die Kasse ohne Einschränkung zu gewähren ; sie darf.'nicht von der Zustimmung
des Kassenvorstandes abhängig gemacht werden. Diese Auffassung wider¬
spricht auch nicht des in der Beschwerde herangezogenen Königl. Preußischen
Min.-Erl. vom 14. April 1915, da dort wohl nur an die'Stellungnahme des
Vorstandes zu der Gewährung von Plomben in Einzelfällen, nicht aber an eine
allgemeine Regelung dieser Frage durch die Satzung gedacht ist. Hiernach
war die Satzungsänderung in dieser allgemeinen Form unzulässig, unbedenklich
würde dagegen eine Bestimmung sein, die nur die Gewährung solcher Plomben,
die lediglich zur Behebung von Schönheitsfehlern dienen,von der vorherigen
Zustimmung des Vorstandes abhängig macht.
(Amtliche Nachrichten des Reichs-Versicherungsamts; 1915, Nr. 7.)
Zur „Familie“ im Sinne des § 1260 der Reichs-Versicberungsord-
nung gehören außer dem Ehemanne nur die Kinder unter 15 Jahren.
ltevi sions - En tscheidu ng des Reichs-Versicherungsamts vom
13. Februar 1915.
(Amtliche Nachrichten des Reichs-Versicherungsamts; 1915, Nr. 9.)
1>ie Unterbringung in Familienpflege steht der Unterbringung in
einer Anstalt im Sinne des § 1506 der Reichsversicherungsordnung nicht
gleich. Revisions-Entscheidung des Reichs-Versicherungs¬
amts vom 20. März 1915.
(Amtliche Nachrichten des Reichs-Versicherungsamts; 1915, Nr. 9.)
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
207
Der Paaschbetrag für Krankenpflege nach § 1606 der Reicherer»
sicherangsordnnng kann in jedem Falle auch für Sonn* und Feiertage
rerlangt werden, ohne Rücksicht darauf, ob bei Festsetzung des Grand¬
lohns die Sonn* und Feiertage als Arbeitstage in Betracht kommen.
Revisions-Entscheidung des Reichs-Versichernngsamts vom
31. Mai 1915.
(Amtliche Nachrichten des Reichs-Versicherungsamts; 1915, Nr. 9.)
Das Wochengeld auf Grand des § 8 Nr. 2 der Bekanntmachung, be¬
treffend Wochenhilfe während des Krieges, vom 8. Dezember 19,14 ist wie
das Wochengeld der Relchsversicherungsordnnng (§ 196 Abs. 1 der Reichs*
Verslcherung8ordnung) für 57 Tage zu gewähren. Entscheidung des
Reichs-Veraicherungsamts vom 20.8eptember 1915.
(Amtliche Nachrichten des Reichs-Versicherungsamts; 1915, Nr. 11.)
Sterbegeld nach § 205 Nr. 3 der Reichsversichernngsordnnng Ist
auch bei Totgebarten za zahlen, wenn die Satzung nichts Gegenteiliges
bestimmt. Revisions-Entscheidung des Reichs-Versicherungs-
amts vom 16. August 1915.
(Amtliche Nachrichten des Reichs-Versicherungsamts; 1915, Nr. 9.)
0. Baktarlologte and Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten
1. Pocken.
lieber die Differentlaldiagnose zwischen Variola und Ihr ähnlichen
Bläschenerkrankungen mittels des Kornealversuches. Von Dr. Hammer-
schmidt, Stellvertreter des Direktors der k. k. Impfstoffgewinnungsanstalt in
Wien. Oesterreichisches Sanitäts wesen; 1916, Nr. 5—8, S. 117—121.
Nachdem durch G-uarnieri die Tatsache fe3tgestellt war, daß das
Virus der Variola ebenso wie das der Vakzine auf der Hornhaut des Kaninchens
spezifische Veränderungen hervorruft, hat man in jüngster Zeit Untersuchungen
angestellt, um diese Tatsache zu differentialdiagnostischen Zwecken zu ver¬
werten. Insbesondere hat sich der Direktor der Wiener Impfanstalt, Reg.-Rat
Dr. Paul, um die Klarstellung dieser Frage große Verdienste erworben;
denn es ist ihm durch seine Untersuchungen gelangen, ein nicht sehr umständ¬
liches Verfahren zu entdecken, das eine sichere Diagnosestellung oft schon
nach 36 Stunden, sicher aber nach 48 Stunden ermöglicht. Bei dem Verfahren
wird das geimpfte Auge des Kaninchens nach dessen Tötung und 36 Stunden
nach der Impfung enukleiert und mit Sublimatalkohol behandelt; es treten
dann die durch Variola oder Vakzine verursachten und für diese eigentümlichen
Herderkrankungen als scharf umschriebene, hellweiße Flecken oder Punkte auf
der gleichmäßig grauen Hornhautoberfläche hervor, während alle anderen
Hornhautinfektionen nur verschwommene graue Trübungen verursachen, die sich
von den ersteren ohne Schwierigkeiten unterscheiden lassen. Diese Versuche
sind besonders während der Wiener Pockenepidemie 1914/15 fortgesetzt und
haben nach dem Bericht des Verfassers, abgesehen von ganz wenigen Fehl¬
diagnosen im Anfänge der Untersuchungen, wo noch die genügende Erfahrung
in der Beurteilung des auf der Hornhaut des Kaninchens hervorgerufenen
Krankheitsbildes fehlte, fast immer ein richtiges und sich mit der klinischen
Diagnose deckendes Ergebnis gezeigt. Besonders bemerkenswert ist, daß sich
das Verfahren auch in solchen Fällen bewährt hat, bei denen wegen der spär¬
lichen und wenig ausgeprägten Efilorenszenzen klinisch nur der Verdacht auf
eine leichte Form von Blattern oder ein solcher Verdacht überhaupt nicht
angenommen war. Nach dem Ergebnis der Untersuchungen scheinen gerade
die leichtesten Fälle von Blattern, also solche mit geringem Ausschlag, ver¬
hältnismäßig schwerere Veränderungen der Hornhaut hervorzurufen, die sich
außerdem durch besonders reichliches Auftreten von Gu a r n i e ri scher Körperchen
aaszeichnen. Jedenfalls ist die sachgemäß ausgeführte Hornbautreaktion
berufen, bei der Entscheidung über unklare, blatternverdächtige Krankheits¬
fälle eine wichtige Rolle zu spielen. In Preußen ist das Verfahren für
diesen Zweck bereits durch den Min.-Erl. vom 22. Februar d. J. (s. Beilage zu
Nr. 6 dieser Zeitschrift, S. 28) nutzbar gemacht; bei Gelegenheit einer jetzt im
208
Kleinere Mitteilungen und Befer&te aus Zeitschriften.
Bezirk des Beferenten (Kreis Herford) ausgebrochenen Pockenepidemie hat es
sich auch durchaus als wertvolles diagnostisches Hilfsmittel bewährt. Bpd.
Die Bedeutung des Impfgesetzes für den gegenwärtigen Krieg. Von
Geh. Beg.-Bat Dr. B r e y e r - Berlin. Mediz. Klinik; 1915, Nr. 49.
Gegenüber der großen Verbreitung der Pocken in dem von unseren
Trnppen besetzten Russisch - Polen (im Jahre 1911 betrug z. B. die Zahl der
Erkrankungen 12202 mit 8538 Todesfällen) 1 ) ist es erfreulich, daß trotzdem
das Deutsche Reich im Gegensatz zu Oesterreich, wo bekanntlich kein Impf¬
zwang besteht, von den Pocken ebenso wie in den Friedensjahren verschont
geblieben ist. Es sind in Deutschland in der Zeit vom 2. Aug. 1914 bis 81. Juli 1915
nur 140 Pockenfälle, darunter 17 bei Soldaten, festgestellt (also fast nur die Hälfte
der Durchschnittsziffer in den Jahren 1909—1913, die 277 beträgt), gegenüber
9111 während des gleichen Zeitraums in Oesterreich (davon 1613 in Wien).
Diese außerordentlich geringe Zahl der Pockenerkrankungen im Deutschen Reiche
verdanken wir zweifellos dem Impfgesetz und der dadurch gesicherten all¬
gemeinen Durchimpfung der Bevölkerung; es ist damit wieder ein schlagender
Beweis für den großen Segen dieses so heftig von den Impfgegnern ange¬
griffenen und bekämpften Gesetzes gegeben, der hoffentlich dazu beitragen wird,
künftighin alle derartige Bestrebungen hinfällig zu machen. Rpd.
2. Typhus.
Mundtyphusbazillenträger. Von Dr. Eggebrecht. Feldärztliche
Beilage Nr. II zur Münchener med. Wochenschrift; 1916, Nr. 11.
Die systematische Untersuchung der Sekrete des Mundes auf Typhus
ergab folgendes überraschende Resultat: In 200 untersuchten Fällen fanden
•ich 9 mal Bazillen = 4,5 °/o, darunter solche, in deren Kot Bazillen nicht
nachzuweisen waren. In einer Irrenanstalt ergaben sich unter 174 Personen
4,2 °/ n als Typhus-Rachenbazillenträger. Vorbedingung ist, daß Mandel-, Rachen-
und Zungenabstrich etwas energisch aufdrückend gemacht werden. (Referent
schickte vor 10 Jahren den Abstrich eines an Angina erkrankten Russen zur
Untersuchung an die bakteriologische Anstalt München und erhielt die Mit¬
teilung: Typhusbazillen. Da der Mann alsbald gesundete, dachte Referent
an einer Fehldiagnose der Untersuchungsarbeit, bekennt aber jetzt reuig seinen
Irrtum.) Dr. G raß 1-Kempten.
3. Ruhr.
Ueber die Serumbehandlung der Ruhr. Von k. u. k. Stabsarzt Dr
8. Scharf, Spitalskommandant, Dr. Helene Sokolowska, freiwillige Aerztin,
und Dr. Marian Gieszezykiewicz, Assistenzarzt d. Res. Aus dem k. u. k.
Epidemiespital Nr. 2 Krakau - Lobzow. Med. Klinik; 1916, Nr. 6.
Die Ausführungen schließen sich an frühere Mitteilungen (Med. Klinik;
1916, Nr. 43) über Erfolge bei der Serotherapie der Ruhr an. Von den im
Jahre 1915 im Spital behandelten 305 Kranken sind nur 6 (1,96 °/ 0 ) gestorben,
davon 3 mit Serum behandelte. Diese hatten Komplikationen, die durch das
Ruhrserum nicht zu beeinflussen sind, so 1. Lungengangrän, 2. Mischinfektion
von Ruhr mit Typhus, 3. Lungenentzündung. Daß die weitere Entfernung des
Kriegsschauplatzes oder der „Genius epidemicus*' die Ursache des günstigen
Krankheitsverlaufes waren, kann nicht behauptet werden; denn dann hätten
auch andere Spitäler so günstige Erfahrungen machen müssen, was aber nicht
der Fall war. Es bleibt also wohl nur der Einfluß des Serums. Außer Wiener
Serum, das monovalent (gegen Shiga-Kruse) ist und keine Vorteile gegen
das polyvalente von Bujwid besitzt, kam meist das von Bujwid zur An¬
wendung. Der im Jahre 1915 erzielte bessere Erfolg muß der erhöhten Dosie¬
rung zugeschrieben werden. Es wurden 202 Fälle mit Serum behandelt, die
Dosis betrug 20—200 ccm, durchschnittlich 50 ccm bei jedem Kranken. Die
Heilung esfolgte durchschnittlich in 2 Wochen. Unter diesen Fällen waren
l ) Siehe auch die Abhandlung von Dr. Hillenberg in dieser Zeitschrift
(Jahrg. 1915. Nr. 14): Hygienische Betrachtungen bei der Sanierung von L. usw.,
der in einem Dorfe 40 Pockenfälle unter der betreffenden Bevölkerung ermittelte.
Kleinere Mitteilungen und Referate aas Zeitschriften.
209
84 Shiga-Kruse-Infektionen, 60 Flexner und Y - Fälle, 2 atypische
Stämme, 6 wurden nicht näher identifiziert; in 68 klinischen Ruhrfällen verlief
die bakteriologische Untersuchung negativ. Die Dosierung ist bei verschiedenen
Autoren verschieden: 8 h i g a wendet Dosen von 10—100 ccm in einzelnen
Fällen an, Kraus 20—40, Kr use 10—20 (mit geringem Erfolg), Rosenthal
20—60, Vaillard und Dopter 20 bei leichten und 40—60 bei schweren
Fällen, Jochmann 80—100, Raffer and Willmore, je nach der Schwere
der Infektion 40—820 ccm. Zu kleine Dosen helfen nicht, man muß stärkere
Dosen und diese erforderlichenfalls wiederholt anwenden. Die toxischen Er¬
scheinungen, meist in Form eines Serumexanthems (geringes Jucken) sind bei
kleinen und großen Dosen gleich. Seltener sind Gelenkschwellungen; Ana¬
phylaxie kam nicht zur Beobachtung. Wiederholte Serumgaben können nur
nach längeren Zeitintervallen gefährlich werden.
Dr. L. Q u a d f 1 i e g • Gelsenkirchen.
4. Diphtherie.
Bemerkungen zur Serumtherapie der Diphtherie. Von Prof. Dr-
F. Bei che-Hamburg, Oberarzt am Allgemeinen Krankenhaus Hamburg-
Barmbeck. Med. Klinik; 1916, Nr. 7.
Seit 1909 hat die Diphtherie in Hamburg wieder stark zugenommen; in
dem voraufgegangenen 1 */» Jahrzehnt stellte sich die Erkrankungsziffer durch¬
schnittlich auf 1403 Fälle, 1909—14 im Durchschnitt auf 4384, 1911 allein auf
5839. Mit der numerischen Zunahme ging auch eine Steigerung der Intensität
der Erkrankungen einher. Unter etwa 1000 Sektionen (von 1909—13) zeigte
sich 28 mal der Magen mitergriffen, 11 mal fanden sich im Oesophagus mehr
weniger ausgedehnte pseudomembranöse Veränderungen mit L ö f f 1 e r - Bazillen,
je 2 mal waren Duodenum und Dünndarm, viermal das Rectum befallen. Unter
7314 Erkrankungsfällen der Jahre 1909—13 war 1421 mal (= 19,4 # / 0 ) die Nase
und 863mal (= 11,8 # / 0 ) der Kehlkopf infiziert; 96mal (= 1,3°/ 0 ) waren Pseudo-
membranen auf Zunge und Lippen; 51 mal (= 0,7°/ 0 ) gelangte diphtherische
Conjunctivitis zur Beobachtung. Unter 886 Verstorbenen fand sich 176mal
(= 19,8 °/ 0 ), davon bei 802 Fällen unter 15 Jahren, 173 mal (= 21,6 °/ 0 ) hämor¬
rhagische Diathese; 2 Kranke mit dieser Komplikation kamen zur Genesung.
Auch die Sterblichkeit stieg in den genannten Jahren von 8,8 auf 10,3 °/ n . Der
Rückgang der Sterblichkeit seit 1896 kann nicht mehr ausschließlich der Serum¬
behandlung zugeschrieben werden. Hier ergibt sich die Frage nach der Serum-
Wirkung überhaupt; zur Beurteilung eignet sich besonders das Diphtherie-
material der Erwachsenen, das keineswegs sehr gering ist; denn 26,3°/ 0 aller
Gemeldeten betrafen Personen über 15 Jahre. Es wird betont, daß nahezu die
Hälfte aller gemeldeten Diphtherieerkrankungen dem Krankenhaus zugeführt
wurde, darunter befanden sich 55,4° „ frühe Fälle. Dies ist für die Bewertung
der Serumbehandlung von großer Bedeutung; man weiß, und das wurde auch
hier wieder festgestellt, daß die frühen Fälle eine sehr erheblich günstigere
Sterblichkeit aufweisen, als die später Injizierten, bei denen die Sterblichkeit
mit jedem weiteren Erkrankungstage schnell zunimmt. Das beruht aber nicht auf
der Serumwirkung, sondern vielmehr darauf, daß die Mischung der Erkrankten
nach der Seite der schweren und komplizierten Verlaufsbilder und damit die
Sterblichkeit eine dauernd mit jedem neuen Tag unglücklichere wird. Die
Kritik über die Bedeutung der Serumbehandlung muß bei der Beurteilung der
klinischen Erfolge geschärft werden. Dr. L. Quadf lieg-Gelsenkirchen.
5. Geschlechtskrankheiten und deren Bekämpfung.
Vorübergehende positive Wassermannreaktion bei Leistendrüsen-
entzttndungen nnd nicht syphilitischen Uizeratlonen. Von Dr. G. Stttmpke.
Aus dem Dermatologischen Krankenhause II, Hannover - Linden (dir. Arzt
Dr. med. G. Stümpke). Med. Klinik; 1916, Nr. 6.
In der Literatur sind wiederholt Fälle von Geschwüren nicht syphilitischer
Natur an den Genitalien niedergelegt, bei denen vorübergehend die Wasser¬
mannreaktion positiv befunden worden war. Zu dieser Frage bringt non
St. zwei neue Beobachtungen. Im ersten Fall handelt es sich um einen
24jährigen Arbeiter, der mit Gonorrhoe und einem Bubo in der Leistengegend
210 Kleinere Mitteilungen and Beferate aas Zeitschriften.
in Behandlung kam. Oie Gonorrhoe heilte bald aas, der Babo wurde größer
and maßte gespalten werden. Im Inhalt fanden sich mikroskopisch and kul-
tarell keine Bakterien. Bel der Aufnahme war die Wassermann -Beaktion
negativ, wurde dann in 8 Wochen positiv, am später wieder ein negatives
Ergebnis za liefern. Es sei noch bemerkt, daß sich kein Ulcns an den Geni¬
talien feststellen ließ, daß auch die Angaben des Kranken nach dieser Bich¬
tang verneinend waren. Oer zweite Fall betraf eine 20 jährige Arbeiterin mit
Gonorrhoe; bei dieser bildete sich im Verlaufe der Krankheit an den großen
Labien je ein fingernagelgroßes Geschwür, in dessen Sekret sich keine Gono¬
kokken, keine Spirochaeta pallida, keine Ducrey sehen Bazillen, sondern
massenhaft Spiroch. refringens fanden. In der Leiste geringe Orüsenschwellong.
Bei der Aufnahme war die Wassermann-Beaktion negativ, nach dem Auf¬
treten der Geschwüre wiederholt positiv and nach einiger Zeit absolut negativ.
Oie Ulcera heilten in 14 Tagen unter indifferenter Behandlung, ebenso die
Orttsenschwellung. Oas Auftreten der positiven Wassermann-Beaktion ist
noch nicht eindeutig geklärt. Für die Praxis folgt ans diesen Befanden, daß
man in solchen Fällen aus einer mehr weniger stark positiven Beaktion keine
Syphilis diagnostizieren darf. Oaß dabei über dem Zuwarten event. einige Zeit
vergeht, ist nicht zu schwer zu nehmen, jedenfalls noch erträglicher als einem
nicht syphilitischen Kranken für sein späteres Leben eine Syphilis mit anf den
Weg zu geben. Or. L. Qu ad flieg-Gelsenkirchen.
6. Kropf.
Weitere Unternehmungen über den endemischen Kropf mit besonderer
Berücksichtigung des Vorkommens im Königreich Bayern. Von Or.
W. Weichardt und Or. M. Wolff. Münchener medizinische Wochenschrift;
1916, Nr. 9.
Schlittenhelm und Weichardt haben vor einigen Jahren Unter¬
suchungen über endemischen Kropf in Bayern vorgenommen (Berlin, Julius
Springer 1912 und Münchener med. Wochenschrift 1912, Nr. 48). Es stellte
Bich heraus, daß das Vorkommen des Kropfes durchaus nicht an eine besondere
geologische Formation gebunden war; im Gegenteil, es zeigte sich, daß der
endemische Kropf in Gegenden, die über ausgesprochenes Urgestein, wie den
bayerischen Wald, liegen, außerordentlich verbreitet ist, während andere
Gebiete, deren geologische Formation Kropfvorkommen begünstigen sollte, auf¬
fallend kropfarm waren. Es zeigte sich ferner, daß in Kropfgegenden eine ganz
besondere Durchseuchung der Jugend und der Kinder beobachtet wird (auch
vom Beferenten im Allgäu beobachtet), daß der Prozentsatz der kropfigen Schul¬
kinder größer ist als der der Erwachsenen. Die Verfasser wiesen auf die
gleiche Erscheinung bei Malaria hin, bei der die Durchseuchung der Jugend
ein Schutz für die Erwachsenen ist. — Als Ursache des Kropfes nehmen die
beiden Verfasser einen Erreger an (auch v. Kutschern in Innsbruck nimmt
eine Ansteckung an. Bef.). — Die Untersuchungen des Wassers aus Kropf¬
gegenden, die die beiden Verfasser Vornahmen, ließ nichts auftinden, was auf
eine chemische Ursache des Kropfes schließen ließe. Die Bodentheorie ist
also zu verlassen. (Ich benutze diese Gelegenheit, um auf einen inneren
Zusammenhang zwischen Kropf und Stillhäufigkeit im reziproken Sinne auch
hier hinzuweisen). Dr. G r a ß 1 - Kempten.
7. Sonstige Krankheiten.
Durch Bakterium coli commune verseuchte Trinkwasserbrunuen als
Ursache von Broneho-Pneumonien. Von Dr. F. Windrath, Chefarzt.
(Aus der Auguste-Viktoria-Knappschaftsheilstätte Beringhausen bei Meschede.)
Medizinische Klinik; 1916, Nr. 4.)
In der Zeit von Ende Mai bis Mitte Juni 1915 erkrankten von 13 Be¬
wohnern einer Ortschaft 8 an Broncho-Pneumonie. 10—14 Tage vor Ausbruch
dieser Erkrankung hatten die Erkrankten an Magen-Darmstörungen, Durchfällen,
Abgeschlagenheit und Appetitlosigkeit gelitten. Ihr Trinkwasser entnahmen
diese Leute Flach- und Kesselbrunnen, die hygienisch schlecht beschaffen
waren; das Wasser war um so schlechter, als 5 Wochen lang kein Begen
gefallen war und schon öfter zu Zeiten der Dürre das Wasser eine schlechte
Kleinere Mitteilungen and Beicrate aas Zeitschriften.
211
Beschaffenheit gezeigt and Magendarmstörungen veranlaßt hatte. In dem
Answarf der Kranken fanden sich neben Pneumokokken Stäbchen von dem
Aassehen and dem färberischen Verhalten der Colibazillen; als solcho erwiesen
sie sich auch auf dem Differential-Nährböden; ebenso fanden sich sehr reichlich
Colibazillen in dem Brunnenwasser. Der Chlorgehalt usw. deutete ebenfalls
auf Verunreinigung des Trinkwassers von den nahegelegenen Dilngestätten
her; die Bestandteile gelangten bei der grobporigen Beschaffenheit des Bodens
ziemlich ungehindert in die Brunnen. Nach Schließung der Brunnen hörten
die Erkrankungen auf. Die aus dem Sputum und dem Trinkwasser gezüchteten
Colistämme erwiesen sich als tierpathogen und zwar die ersteren stärker. Die
Pathogenität der letzteren ließ sich durch Züchtung auf Jaucheagar steigern.
Es ist anzunehmen, daß die Colibazillen bei den längere Zeit bestehenden
Darmerkrankungen auf dem Lymph- und Blutwege in die Lungen gelangt
sind; jedoch ist es nicht wahrscheinlich, daß der Coli allein der Erreger der
Lungenentzündung gewesen ist, da ja auch Pneumokokken im Sputum enthalten
waren. Es handelt sich wahrscheinlich hier um eine Mischinfektion. Die
Literatur über Coliinfektfon vom Darm aus ist in der Originalarbeit nach¬
zulesen. Dr. L. Qu ad flieg-Gelsenkirchen.
Zu den Infektionen mit fusiformen Bakterien. Von Prof. A. Ghon
und Assistent B. Roman. (Aus dem pathologisch-anatomischen Institut der
Deutschen Universität in Prag.) Medizinische Klinik; 1916, Nr. 7.
Die fusiformen Bakterien, die von dem Krankheitsbilde der Angina
Vincenti her bekannt sind, finden sich auch sonst, vor allem bei gangränösen
Prozessen. Da sie aber meist in Mischinfektionen Vorkommen und schwer
züchtbar sind, ist die Kenntnis ihrer Bedeutung noch gering. Jedenfalls gibt
es verschiedene Arten. In der Literatur der letzten Jahre ist ihr Vorkommen
bei pyaemischcn Prozessen und zwar auch als alleiniger Bakterienbefund be¬
schrieben. Die Verfasser hatten 1914 in 2 Fällen Gelegenheit, bestimmte
fusiformc Bakterien und zwar in Reinkultur nachzuweisen. Der Ausgang der
Infektion ist in beiden Fällen im Darm zu suchen; daran hatten sich zahlreiche
Leberabzesse angeschlossen. Es fanden sich nur die Gramnegativen faden¬
förmigen Bakterien in ihrer unverkennbaren Peitschen- und Kravattenform.
Sie konnten auch auf serumhaltigen Nährböden unter anaeroben Be¬
dingungen gezüchtet werden. Es erscheint gerechtfertigt, den aufgefundenen
Bakterien die ursächliche Rolle zuzusebreiben. Damit wäre dann auch, trotz
des negativen Ausfalles der bisherigen Tierversuche, der Beweis der Patho¬
genität dieser Bakterien für den Menschen erbracht. Das im ersten Falle
isolierte Bakterium konnte in 43 Generationen fortgezüchtet werden. Gas¬
bildung wurde nicht beobachtet. Um die Kulturen lebensfähig zu erhalten,
mußten sie besonders anfangs häufig übergeimpft werden. Klinisch ist von
Bedeutung, daß in erster Linie der Darmtrakt die Eintrittspforte darstellt und
daß es im Anschluß daran zu pylephlebitischen Abzessen in der Leber kommt.
Dr. L. Q n a d f 1 i e g - Gelsenkirchen.
D. Hygiene und öffentllohes Gesundheitswesen.
1. Strassenhygiene.
Das Teerzementpflaster. Von F. Absolon-Oldenburg i. Gr. Städte-
Zeitung; 1916, Nr. 16.
Der Verfasser bespricht die verschiedenen Arten der Straßenbefestigung
in Städten, deren Wahl abhängig ist von der Lage, dem Untergrund, deren
Längengefälle, der Verkehrsstärke usw. der betr. Straße und von den zur
Verfügung stehenden Geldmitteln ; ferner ist Rücksicht zu nehmen auf Gesund¬
heit and Annehmlichkeit der Anwohner. Es kommen in Betracht: eingebaute
Steinschlagbahnen, Kleinpflaster, Diagonalreihen-, Querreibenpflaster, Holz¬
pflaster, Stampfasphaltbahnen, Betonbabnen und das Absolonscne Teerzement¬
pflaster; letzteres empfiehlt sich für Straßen mit geringem und mittlerem
Verkehr, für Höfe, für Fälle, wo geräuschloses Pflaster erwünscht ist, zur
Ueberdeckung stärker befahrener alter städtischer Steinschlagbahnen, für Fu߬
böden in Schlacht- und Viebhöfen etc., sowie in sehr engen Straßen mit hohen
Häusern. « Dr. Wolf-Hanau.
212
Besprechen gen,
2. Säuglingsfflrsorge.
Die offene Säuglings fürsorge im Krieg und Frieden. Von Dr. Kettner-
Charlottenburg. Zeitschrift für Säuglingsschutz; 1916, H. 1—2.
Ein bedeutender und anhaltender Einfluß der im Sommer 1911 herrschenden
großen Hitze auf die Erkrankung der Säuglinge an Magendarmerkrankungen
kann nicht geleugnet werden. Die von den Fiirsorgestellen dagegen ergriffenen
Maßnahmen waren von durchschlagendem Erfolg und berechtigen zu den besten
Hoffnungen für die Zukunft, der es hoffentlich vergönnt ist, noch vorhandene
Lücken dieses stattlichen Baues auszufiillen. Auch im Jahre 1914 haben die
Säuglingsfürsorgebestrebungen erneut ihre Probe bestanden. Im 3. Teil zeigt
der Verfasser den Einflnß, den der Weltkrieg auf die Säuglinge ausgeübt hat,
und die Maßnahmen, um die Schädigungen zu beheben. Die wichtigste Tat¬
sache ist die Zunahme der Brusternährung. Dr. Wolf- Hanau.
3. Verkehr mit Arzneimitteln.
Pharmazeutische Rundschau. Von Dr. Max Win ekel-München.
Münchener med. Wochenschrift; 1915, Nr. 24.
Um die Unabhängigkeit des deutschen pharmazeutisch-chemischen Marktes
vom feindlichen Ausland weitgehendst durchzusetzen, hat der Ausschuß der
Spezialitäten- und Warenzeichenunternehmer des deutschen Apotheker¬
vereins einen Aufruf erlassen, der sich in erster Linie an die Aerzte richtet,
nur Heilmittel deutscher Herkunft zu verordnen. Eine Liste
zählt die deutschen Ersatzpräparate für ausländische Original¬
präparate auf:
Benguc Balsam du Dr. Benguö
Bromidia Battle
Cascarine Leprince
Extrait de Quinquiana Wattelet
Fellows Sirup of Hypophosphites
Fer dialysä Bravais
Hömoglobine Deschiens granal
Laxarine Ferrial
Liquer du D. Laville
Menthosol
Morisons Pills
Pastilles Laxatif Miraton
Peptonate de Fer du Dr. Jaillet
Peptonate de Fer Bobin
Pilulae Clin ä la Lecithine
Quina Laroche
Scotts Emulsion
Sirup de Chloral bromure du Dr. Dnbois
Sirup de Chloral de Follet
Sirup de phosphate de fer Leras
Sirup Rami
Vasogene
Balsam. Menthol, comp.
Liq. Chlorali bromat.
Pilulae Cascar. sagr.
\ Extr. Chinae liquid, odor
f Extr. Chinae fluid.
\ Liq. Hypophosphit comp, sacch.
/ Sirup. Hypophosphit comp.
Tinct. Ferri aromat.
Pilulae Haemoglobini.
S Essent. Frangulae oder
Elixir Frangulae.
Pil. Colchicin. comp, oder-
Liquor Colchicini.
Vasoliment. Mentholi.
Pilulae laxantes.
Pastilli Phenolphthaleini.
Liq. Ferri peptonati.
Pilul. Haemoglob. c. Lecithino.
Vinum Chinae oder Elixir Chinae.
Emuls. 01. Jecoris Aselli comp.
Liq. Chlorali bromat.
Liq. Calc. lactophosphor. c. Ferro et
Mang, sacch.
Liq. Bromoform comp, sacch.
Vasolimenta.
Dr. Boepke-Melsungen.
Besprechungen.
Prof. Dr. Aug. OArtner-Jena: Die Hygiene des Wassers. Gesundheit¬
liche Bewertung, Schutz, Verbesserung und Untersuchung des Wassers. Ein
Handbuch für Ingenieure, Wasserwerksleiter, Chemiker» Bakteriologen und
Medizinalbeamte. Mit 93 Abbildungen und 11 Tafeln. Braunschweig 1916.
Besprechungen. 213
Verlag von Friedrich Vieweg u. Sohn. Gr. 8°; 962 8. Preis: 86 M.,
geh. 38 M.
Die Untersuchung des Wassers in chemischer und bakteriologischer
Hinsicht ist, wie Verfasser in seinem Vorwort mit Hecht betont, in den letzten
Jahren vorzüglich durchgebildet, dagegen ist die Berücksichtigung der
geologischen, örtlichen und sonstigen Verhältnisse und damit die richtige
Bewertung des Wassers nach dieser Richtung hin zurückgeblieben. „Hier galt
es demnach den Hebel anzusetzen“. Wohl niemand war aber hierzu in aller¬
erster Linie befähigt, als gerade der Verfasser; stand ihm doch eine fast
dreißigjährige Erfahrung zur Seite, die sich nicht nur über das durch seine
geologischen Verhältnisse so wechselvoll geartete Thüringen — sein engeres
Heimatland — erstreckte, sondern weit über dessen Grenzen hinausging. Das
großzügig angelegte Werk trägt demzufolge nicht nur den neuesten Forschungen
der Wissenschaft auf diesem Gebiete Rechnung, Bondern jeder einzelne Abschnitt
läßt den erfahrenen Praktiker erkennen, dem ein außerordentlich großes und
von ihm in kritischer Weise gesichtetes Material zur Verfügung stand. Aus
der Praxis heraus und für die Praxis geschrieben, das ist das Leitmotiv, das
sich Verfasser bei Abfassung seines Handbuchs zugrunde gelegt hat und dem
er in wirklich hervorragender Weise gerecht geworden ist. Er beginnt mit
einer eingehenden Besprechung der Anforderungen an ein Trink- und Haus¬
gebrauchswasser im allgemeinen und behandelt dann in gleicher erschöpfender
Weise das Regenwasser und Eis, das Grund-, Quell-, Oberflächen-, See- und
Stauseewasser. Es folgen hierauf die namentlich für die Medizinalbeamten
sehr wichtigen Abschnitte über die Beurteilung der Wässer nach ihren ört¬
lichen und sonstigen Verhältnissen, sowie nach ihrer physikalischen, chemischen
und bakteriologischen Beschaffenheit, die sich durch eine besonders klare und
alle Gesichtspunkte berücksichtigende DarsteUung auszeichnen. Dasselbe gilt
von den nächsten Abschnitten über die örtlichen Schutzmaßnahmen für die
Wasserentnahmestellen, Schutzzonen, Fassungen, Wasserbehälter, Rohrleitungen,
über Desinfektion von Brunnen und Wasserleitungen sowie über Filtration und
Sterilisation; an die sich in zweckmäßiger Weise eine Zusammenstellung der
geltenden einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen und Vorschriften sowie
der richterlichen Entscheidungen anschließt. Die letzten Abschnitte sind der
Untersuchung des Wassers auf Mikroorganismen, dem Nachweis spezifischer
Bakterien im Wasser und der chemischen Untersuchung gewidmet. Mit Recht
sind hier nur die bewährtesten Verfahren aufgeführt; besonderer Wert
muß auf die bei der Probeentnahme zu beachtenden Vorsichtsmaßregeln gelegt
werden, deren erfahrungsgemäß sehr häufige Nichtbeachtung oft zu den größten
Irrtümern Veranlassung gibt. *
Verfasser will mit seinem Werke Techniker und Medizinalbeamte von
der toten Zahl freimachen, sie zu einer klaren Beurteilung anregen und ihnen
vor allem in weitem Maße zeigen, wie das Wasser vor Infektionen und Ver¬
schmutzungen, vor Beeinträchtigungen seiner wirtschaftlichen Brauchbarkeit
behütet und ihm dadurch eine in gesundheitlicher und wirtschaftlicher Hinsicht
einwandfreie bezw. brauchbare Beschaffenheit gegeben werden kann. Er hat
diese Aufgabe in wirklich vorzüglicher Weise gelöst, wofür ihm die beteiligten
Kreise zu großem Danke verpflichtet sind. Sein Werk wird sicherlich allseitige
Anerkennung und hoffentlich auch recht weite Verbreitung finden; dann wird
es nicht bloß „einigen“, sondern recht viel Nutzen für die Hygiene des Wassers
bringen.
Dem Dank des Verfassers an die Verlagsbuchhandlung für die vorzüg¬
liche Ausstattung des Werkes, bei der weder Mühe und Kosten gescheut sind,
kann'sich Referent nur anschließen. Rpd.
Dr. Hartwig Klut, Mitglied der Kgl. Landesanstalt für Wasserhygiene zu
Berlin-Dahlem: Untersuchung des Wassers an Ort und Stelle. Dritte
umgearbeitete Auflage. Berlin 1916. Verlag von Julius Springer.
Kl. 8°; 135 S. Preis geb. 4,60 M.
Ein uns seit langem lieb und unentbehrlich gewordenes Buch haben wir
in dritter wesentlich erweiterter Auflage vor uns. Die den früheren Auflagen
nachgerühmten guten Eigenschaften allgemeiner Art, die deutliche und klare
Sprache, die leicht verständliche Darlegung chemischer Vorgänge und vor
214
Tagcsuachrichluu
allem die erschöpfenden Literatu rangaben bis auf die neueste Zeit, sind auch
bei dieser Auflage vorhanden. Bekanntlich bietet uns daa Buch bei weitem
mehr, als sein Titel besagt: Auch die Beurteilung der Wässer für die ver¬
schiedensten Zwecke wird neben den Untersuchungsmethoden klar, kurz und
die neuesten Erfahrungen berücksichtigend vorgetragen. Diese neuen Er¬
fahrungen haben nun eine Reihe von Aenderungcn und Erweiterungen be¬
dingt: Die Lehre von den Ionen hat eine praktische Anwendung bei der
Wasscruntersuchung gefunden (vergl. das Kapitel über elektrische Leitfähig¬
keit). Die Lehre vom chemischen Gleichgewicht in ihrer neueren Form hat
dazu geführt, eine „aggressive“, d. h. Metalle und Mörtel zersetzende von
einer nicht aggressiven Kohlensäure zu unterscheiden. — Auch die Methodik
der Untersuchung hat sich etwas geändert. Die Anwendung flüssiger Rea¬
genzien scheint sich für Untersuchung an Ort und Stelle gegenüber der Be¬
nutzung von Rcagentien in Tablettenform siegreich behauptet zu haben. Ver¬
fasser selbst hat jetzt einen „Wasserkasten“ für chemische und physikalische
Wasseruntersuchungen an Ort und Stelle angegeben, der bei P. A11 m a n n,
Berlin N.W. erhältlich ist und an Handlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt.
(Preis 40 M.) — Es hat sich ferner, um nur das wesentlichste hervorzuheben,
aas Verfahren bei der Kohlensäure-Bestimmung geändert. — Die Herstellung
der Rcagentien hat Verfasser schon früher große Aufmerksamkeiten zugewendet
und bringt uns auch jetzt darin die neuesten Erfahrungen. Tch erwähne nur
die Darstellung der Jodzinkstärkelösung und ihre Anwendung sowie den Ein¬
fluß von Kochsalzgehalt des Wassers auf die Diphenylamin-Probe. — Ganz
neu und höchst wichtig ist das Kapitel über „Metalle und Mörtelmaterial an¬
greifende Wässer“.
Die dritte Auflage von H. Kluts Buch kann zum Studium und zum
täglichen Gebrauch warm empfohlen werden, zumal sie alles Wissenswerte so¬
zusagen in nnce bringt. Dr. Schultz-Schultzenstein-Eberswalde.
Tagesnachrichten.
Ans dem preuasiaohen Herrenhaus«. Behufs Bekämpfung der
Geschlechtskrankheiten hat der zeitige Gcneralgouverneur von Belgien,
General Freiherr von Bissing, im preußischen Herrenhause den Antrag ge¬
stellt, die Staatsregierung möge einen bestimmten Betrag in den Haushalt zu
m nachfolgenden Zwecken einstellen:
1. Zur Einführung der Geschlechtskunde in den Seminaren und
Hochschulen für die Geistlichen und Lehrpersonen an allen Schulen.
2. Zur Aufnahme der Haut- und Geschlechtskrankheiten als Prüfungs¬
arbeit bei der ärztlichen Staatsprüfung.
8. Zur Abhaltung planmäßiger Belehrung der Schüler und
Schülerinnen vor der Entlassung über Geschlechtskrankheiten durch Schul-
und Amtsärzte.
4. Zu einem Preisausschreiben über den Einfluß der Geschlechtskrank¬
heiten auf die Bevölkerungsbewegung.
5. Zur Unterstützung der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der
Geschlechtskrankheiten.
Der Antrag befürwortet ferner, daß jede wissentlich geschlechtskranke
Person, die trotzdem geschlechtlich verkehrt, bestraft werden könne. Der
Antrag, der von einer Reihe von Herrcnbausmitgliedern unterstützt wird, ist
mit einer eingehenden Begründung versehen.
Eine von der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechts¬
krankheiten zusammenberufene Sachverständigenkonferenz, zu der auch das
Rcichsjustizamt, das Kaiserl. Gesundheitsamt und das preußische Ministerium
des Innern Vertreter entsandt hatten, hat sich vor kurzem in zweitägigen Be¬
ratungen mit den schweren Mißständen befaßt, welche auf dem Gebiete des
Prostitutionswesens und der Geschlechtskrankheiten herrschen und die an-
Tagesnachrichten.
215
gesichts der durch den Krieg geschaffenen Lage dringend Abhilfe erheischen.
Um eine bessere Ueberwachung der Prostitution zu ermöglichen und den Ver¬
waltungsbehörden freie Bahn für die dringlichsten Aufgaben zu schaffen, ver¬
langt die Konferenz in einer Petition an den Reichstag, daß dieser durch ein
Notgesetz schon jetzt die erst für die Reform des St. G. B. in Aussicht ge¬
nommene Aenderung des § 180 vornehme, auf Grund dessen heute schon aas
bloße Vermieten an Prostituierte als Kuppelei bestraft wird. Gegen Bordelle,
die ja immer zu schamloser Ausbeutung der Prostituierten führen, hat die
Konferenz ausdrücklich Stellung genommen, hingegen sich zugunsten des so¬
genannten Bremer Systems ausgesprochen, bei dem die Prostituierten in
besonderen Straßen als unabhängige Mieterinnen eigene Wirtschaft führen.
Mit Recht verlangt die Konferenz in ihrer Petition eine Bestrafung derjenigen
Personen, die, obwohl sie von dem ansteckenden Charakter ihrer Krankheit
Kenntnis haben, dennoch andere den Gefahren einer venerischen An¬
steckung aussetzen. Schließlich fordert sie die Freigabe der Ankündigung
und des Verkaufes der sogenannten Schutzmittel, insofern diese nicht
gesundheitsgefährlich sind, in ärgerniserregender Weise öffentlich angekündigt
und ausgestellt oder im Umherziehen vertrieben werden.
(Deutsche medizinische Wochenschrift; 1916, Nr. 13.)
Aenderung der Kreisarztbezirke im Stadt- und Landkreise Kdln.
Vom 1. April ab sind die Bezirke Köln-Nippes und Köln-Ehrenfeld vom Kreis¬
arztbezirk Köln-Nord abgetrennt und mit dem Landkreis Köln zu einem
Kreisarztbezirk vereinigt, der dem bisherigen Kreisarzt des Landkreises Köln
Dr. Stoffels übertragen ist. _
50jührlges Doktorjubilfium. Am 17. März d. J. hat der Geh. Med.-Rat
Dr. Erich Richter, Reg.- u. Med.-Rat bei der fürstlichen Regierung in Dessau,
sein 50jähriges Doktorjubiläum gefeiert. Er ist geborener Anhaltiner und ist,
seitdem' er im Jahre 1867 die ärztliche Prüfung bestanden hatte, in seiner
Vaterstadt Dessau als praktischer Arzt tätig gewesen. Im Jahre 1881 wurde
er hier zum Kreisarzt ernannt und im Jahre 1903 zum Regierungs-Medizinalrat
und Vorsitzenden des Landes-Medizinalkollegiums. Um die Entwicklung und
Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens seines engeren Vaterlandes hat
sich Richter, namentlich in seiner jetzigen amtlichen Stellung, große Verdienste
erworben. Bei seinen Kollegen, insbesondere bei den Medizinalbeamten, erfreute
er sich nicht nur des Rufes eines tüchtigen Fachmannes, sondern auch infolge
seiner großen Liebenswürdigkeit einer allgemeinen Beliebtheit. Er gehört mit
zu den Begründern des Deutschen Medizinalbeamtenvereins und ist seit dessen
Bestehen Mitglied des Vorstandes, der nicht verfehlt hat, ihm zu seinem
Jubiläum die herzlichsten Glückwünsche zu übersenden. Mögen ihm noch
recht viele Jahre in derselben geistigen und körperlichen Frische wie bisher
vergönnt sein! _
Nachruf. Am 21. März d. Js. ist der Kreisarzt des Kreises Bceskow-
Storkow, Dr. Arthur Doebert, in Warschau an Fleckfieber gestorben, das er
sich bei Ausübung seines Dienstes als Kaiserlicher Kreisarzt des Landkreises
Warschau zugezogen hatte. Seit Kriegsbeginn hatte er den Feldzug als
Stabsarzt d. Res. beim 3. Garde-Ersatz-Bataillon mitgemacht und als solcher
das Eiserne Kreuz II. Klasse erhalten. Ira September v. Js. erfolgte dann
seine Berufung in den Dienst der Zivilverwaltung des Gouvernements Warschau.
Hier hat sich der ebenso tüchtige wie pflichttreue Kollege eine Ansteckung
mit Flecktyphus zugezogen, der er leider in voller Manneskraft erlegen ist.
Ehre seinem Andenken!
Ehrentafel. Es haben weiterhin erhalten das
Eiserne Kreuz I. Klasse:
Generaloberarzt Prof. Dr. Hahn-Straßburg i. Eis.
Eiserne Krenz II. Klasse am schwarz-weißen Bande:
Oberstabsarzt d. L Geh. Med.-Rat Dr. Wodtke, Reservclazarett-
Direktor in Saarbrücken.
216
Tagesnachrichten.
Ehren-OeUohtniitafel. Für das Taterland gefallen sind ferner:
Chefarzt San.-Bat Dr. Pani Berner- Fürstenberg (Mecklenburg-Strelitz).
Generalarzt z. D. Dr. A. Böttcher, stellvertretender Korpsarzt in
Danzig (infolge von Krankheit gestorben).
Stabsarzt d. Bes. Dr- D o e b e r t, Kreisarzt in Beeskow (zuletzt Kreisarzt
des Landkreises Warschau (an Flecktyphus gestorben).
Unterarzt Dr. Erich Fackenheim-Eisenach.
Dr. Karl Gail, Arzt an einem Bes.-Lazarett (an Typhus gestorben).
Stabsarzt d. L. Dr. Karl Haeffner-Wiesbaden.
Stabsarzt d. L. Dr. Friedrich Kahler- Bühl (Baden) (infolge von Krank¬
heit gestorben).
Assistenzarzt d. Bes. Dr. Fritz Krobitzsch-Gera.
Oberstabsarzt Dr. A. Martin-Metz (infolge von Krankheit gestorben).
Stabsarzt d. Bes. Dr. Ober ndörff er-Berlin (in Bagdad an Fleck¬
typhus gestorben).
Stabsarzt d. L. Dr. Plathner-Harzburg i. H. (infolge von Krankheit
gestorben).
Stabsarzt d. L. Dr. F. Schmidt-Bochum (infolge von Krankheit
gestorben).
Stabsarzt d. Bes. Dr. W. Schradcr-Stettin.
Generaloberarzt a. D. Dr. Solbrig, Chefarzt eines Bes-Lazaretts in
München (infolge von Krankheit gestorben).
Oberstabsarzt Dr. Eduard Wadsack-Potsdam.
Cholera: In Oesterreich ist die Seuche erloschen; auch in den
übrigen zu Oesterreich gehörenden Staaten scheint dies der Fall zu sein, denn
in Ungarn sind vom 21. bis 27. Februar: 4 (2), in Bosnien und Herze-
? ;owina vom 30 Januar bis 5. Februar nur noch 4 (1) Erkrankungen (Todes-
älle) angemeldet.
Fleckfteber: Im Deutchen lleich sind vom 12.—25. März nur 5 Er¬
krankungen und 1 Todesfall unter Kriegsgefangenen in einem Gefangenenlager
vorgekommen; in Oesterreich vom 16. Januar bis 26. Februar: 244, 354,
349, 398, 484 und 361, davon in Galizien und der Bukowina: 240, 846,
810, 283, 378 und 273; in Ungarn vom 14. Februar bis 5. März: 3 (—),
16 (2) und 19 (5).
Pocken: Im Deutschen Beich sind in den Wochen vom 12. bis
25. März 26 (davon 15 im Kreise Herford,* Beg.-Bez. Minden) festgestellt; in
Oesterreich vom 30. Januar bis 19. Februar: 1693, 1723 und 1536 (davon
1621, 1652 und 1438) in Galizien.
Berichtigung. Von zuständiger Stelle erhalten wir eine Bichtig-
stellung zu der von uns in Nr. 5 der Zeitschrift, S. 150/151 gebrachten Mitteilung
über den Vertrieb der Broschüre eines Kurpfuschers durch das Zentral«
komitee des Landesvereins vom Roten Kreuz. Danach hat es sich nur um
Verbreitung von etwa 1000 Stück einer von einem gewissen Sch. verfaßten,
dem Sanitätskorps gewidmeten und dem Landesverein zur Verfügung gestellten
Schrift über die Behandlung der Wundnarben gebandelt, die dieser dann an die
Lazarette und an die Front geschickt hat mit dem ausdrücklichen Vermerk,
daß die Schrift nur für Aerzte und Lazarette bestimmt sei. Jede Absicht, einem
Kurpfuscher Vorschub zu leisten, hat bei Versendung der völlig harmlosen
Schrift selbstverständlich ferngelegen; von einem „Vertriebe“ der Schrift kann
überhaupt nicht gesprochen werden. Ihre Versendung ist auch sofort ein¬
gestellt, als sich Bedenken gegen die Persönlichkeit des Verfassers erhoben.
Auch die in dem Jahresbericht der Kommission der Aerztekammer zur Auf¬
klärung des Kurpfuschertums befindliche Bemerkung, daß das Zentralkomitee
eine Anfrage der Kommission vom 11. Juli 1915 unbeantwortet gelassen habe,
ist durchaus unberechtigt; denn schon am 17. Juli 1915 ist eine Antwort erfolgt.
Redaktion: Prof. Dr. Bapm und, Geh. Med .-Bat in Minden i. W.
J. C. C. Braut, Henofl. Biehn, u. F. 8ch.~L. Hofbucbdruckerei In Minden.
Zeniralöp^^r^V' ,/^ :
lör das psdnite Gebiet der fferiöht/iaben Mediito u.r4
.staatlichen und privaten Versw:Wnäi»f{»W« 8 ^na;.’*. 2 iaVi 1 ö ■■4jfc: d**
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■
1916.
**** Zeitschrift
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zentralblatt
fOr das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie,
des staatlichen und privaten Versicherungswesens, sowie für das
Medizinal- und öffentliche Gesundheitswesen, einschließlich der
Hygiene und Bakteriologie.
Her&asgegeben
TOD
Prot Dr. OTTO RAPMÜND,
Geh. Med -Rat In Minden I.W.
Offizielles Organ des Deutschen, Preusstschen, Bayerischen, Sächsischen,
Wörttembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen, Thüringischen,
Braunschweigischen und Eisass-Lothringischen Medizinalbeamtenvereins.
Verlag von Fiseher’s med. Bnehhandlg E Kornfeld,
HanoffL Bayer. Hof- u. iE. «. K. Kammer -BucbhAndler.
Berlin W. 62, Keithstr. 5.
iMelfei oekmen Me TarUfshmndlmnf sowie eile Amelyenennehmeetellcn des In¬
an d Auslandes entfefen.
Nr. 8.
Erscheint
5. and SO. Jeden Konnte.
20. April.
Gesundheitliche Kriegslehren.
Von Med.-Bat Dr. Berger, Kreisarzt in Crefeld.
Der große Mahner und Erzieher Krieg hat in alle Ecken
des äußeren und inneren Lebens hineingeleuchtet; er drang
durch das Flittergold der Modernität auf den Grund der
deutschen Seele, wo ihm noch das reine deutsche Wesen
ent^egenspiegelte; er drang durch das Unkraut des Luxus in
Kleidung, Ernährung usw. auf den Kern des Bedürfnisses; dort
gern gesehen, nicht als solcher, nein, das wäre wieder undeutsch,
aber als notwendiges Uebel, dem man, wenn auch schrecklich
wie des Himmels Plagen, doch das Geschenk des Himmels
abgewinnen muß, hier von allen verwünscht, den einen hier,
den ; anderen da beengend, ja ganz aus dem Geleise werfend.
Der Krieg schob die Menschen, die bis dahin die schiebenden
gewesen waren. Es dürfte jetzt an der Zeit sein, daß die
Rollen allmählich wieder getausoht werden; noch nicht ist es
soweit, aber es wird ja wohl, nachdem er 20 Monate regiert
hat, bald soweit sein. Jedenfalls gilt es, schon jetzt .die Er-
218
-Df. Bergei
fahrungen im Kriege zu verwerten und aus ihnen Lehren für
die Zukunft, d. h. für den Frieden, aufzubauen.
Diese Kriegslehren werden sich auf unser ganzes Leben
zu beziehen haben, sie erfordern aber eine besondere Beachtung,
soweit das gesundheitliche Gebiet in Frage kommt, hängt doch
alle Betätigung, und damit alle anderen Fragen, letzten Endes
von der Gesundheit des einzelnen ab;. vielleicht, wird, io allen
wirtschaftlichen Sorgen das gesundheitliche in weiterem Sinne
nicht genügend beaöhtet.
Der Krieg hat die Augen besonders auf das'herahwachsende
Geschlecht gelenkt, und die so viel neuerdings erörterte Frage
des Geburtenrückgangs, die ja keineswegs eine rein ärzt¬
liche ist, kann nicht übergangen werden; denn was nützt uns
die schönste Ausstellung „das Kind“, wenn wir keine Kinder
haben; die Sorge für das heranwachsende Geschlecht hat zur
Voraussetzung, daß es vorhanden ist.
Das Kind muß aber nicht nur vorhanden sein,,sopder^ es
muß reichlich vorhanden sein, reichlicher, als es in der jäh
gleitenden Bahn der letzten Jahre geworden ist.
Die Frage des Geburtenrückganges ist soviel erörtert
worden, daß einem bei diesen vielen Erörterungen eigentlich
um die Lösung der Frage, d. h. die Vermehrung der Geburten,
etwas bange werden kann.
Es muß weniger von der Sache geredet und mehr gehandelt
werden. Die Lösung solcher Fragen läßt sich nicht durch
diese oder jene einzelne Maßnahme erzwingen oder auoh nur
fördern, sie müssen sich von selbst lösen, indem man ohne viele
Erörterungen die Vorbedingungen, die eben ungünstig geworden
sind, abzuändern sucht. Man kommt da um gewisse Er¬
örterungen gewiß nicht ganz herum, aber man kann das erörtern,
ohne immer die Steigerung der Kinderzahl im Munde zu haben;
diese muß eine selbstverständliche sein.
Eine Vorbedingung für „volle Wiegen“ ist eine Vermehrung
der Ehen. „Die Junggesellen und der Krieg“ sind mancherorts
erörtert. Für Junggesellensteuern erwärmen sich alle, die es
nicht selbst sind, mancher vielleicht mit der stillen Hoffnung,
daß dann die anderen Steuern geringer ausfallen. Ich halte
eine Junggesellensteuer für berechtigt aus verschiedenen
Gründen:
Der vielbesprochene Ueberschuß der Frauen ist zur Zeit
des Heiratsalters gar nicht da, das ist ein großer Irrtum; wenn
man den weiblichen Heiratskandidaten von 18 bis 30 Jahren
die männlichen von 21 bis 40 gegenüberstellt, so ist kein
Frauenüberschuß da. 1907 waren von den über 16 Jahre alten
Personen im Deutschen Reich ledig 7 321808 Männer und
6624909 Frauen. Der Mangel lag also in der Heiratswilligkeit
der Männer.
Dieses Zahlenverhältnis verschiebt sich durch den Krieg,
alier doch nicht wesentlich. Am 10. Dezember 1910 hatten
wir rund 13 Millionen Männer im Alter von 18 bis 45 Jahren,
Gesundheitliche Kriegslehren.
219
von denen nur 7 Millionen verheiratet waren. Wenn also
6 Millionen fehlten, braucht ziffernmäßig noch keine Ehe weniger
geschlossen zu werden, sagen manche, und solche Verluste
kommen nicht im entferntesten in Frage. Ganz so liegt es ja
nun nicht, aber das ist richtig, die Kriegs Verluste sind nicht
schuld, wenn eine Hero weniger ihren Leander findet. Bei
einer Geburtsziffer und Sterblichkeit der deutschen Bevölkerung
wie im Jahre 1912 würde der Krieg nur eine Herabsetzung der
Volks Vermehrung innerhalb 20 Jahren von 16,8 Millionen auf
14 Millionen zur Folge haben; das ließe sich durch geringe
Steigerung der ehelichen Fruchtbarkeit etwa zu dem Durch¬
schnitt der Jahre 1901—1910 vollständig ausgleichen.‘)
Die Eheschließungen müssen zunehmen; sie werden
wesentlich bedingt durch die wirtschaftliche Lage. Die heim¬
kehrenden Krieger werden reichlich Arbeit finden, die Mädchen
haben im Kriege besser gelernt zu wirtschaften, die weiblichen
Lückenbüßer werden aus der Arbeit zurückgedrängt werden
von den Zurückkehrenden, das ist nur gut, das Mädchen soll
heiraten, der Mann soll arbeiten. Sorge ist schon heute zu
treffen, daß sich das ohne Härten vollzieht; es kann uns dann
gar nicht fehlen, ich will ganz schweigen von dem Sehnen des
Feldgrauen nach einem traulichen Heim, von dem Suchen des
Mädchens nach dem Helden. Der Krieg wird beleben, wie
1870. Es kommt nur auch hier auf das Durchhalten und den
selbstverständlichen Sieg an. Wie sagt unser einziger Hinden-
burg? „Hoffentlich dauert der Krieg so lange, bis alles sich
unserem Willen fügt.“ Dann greifen die Männer wieder in die
Speichen des Wirtschaftsrades. Ebbt die weibliche Arbeit
wieder zurück, so wird auch die Mutterschaft günstiger ver¬
laufen. Vielleicht sorgt man schon jetzt, daß der weibliche
Körper durch die vermehrte Arbeit nicht geschädigt wird;
Stärkungen und sachgemäße Erholungen können viel bewirken,
und das ist alles ausführbar.
■_ Die höheren Kreise sind in der gewollten Beschränkung
der Geburten vorangegangen, das Volk ist gefolgt; es mußte
doch auch für das Volk gut sein, was jene für sich für gut
Hielten. In den höheren Ständen bleiben auch mehr ledig als in den
unteren. Unter den Postbeamten waren ledig 15,7 °/ 0 bei höheren
Beamten, 12,8 bei mittleren und 3,6 bei Unterbeamten; Familien
mit mehr als 6 Kindern kamen auf 100 Ehen bei höheren Beamten
1,3 mal, bei mittleren 2,5, bei Unterbeamten 8,1. Der Beamte
kommt zu .spät zu einem auskömmlichen Gehalt, und die Familie
wird nicht im Alter gegründet und soll es nicht. Weniger Be¬
amte, mehr Arbeit, gute Besoldung 1 Erziehungsbeihilfen, Gehalts-
staffelungen, Steuerbegünstigungen dürfen nicht unterschätzt,
aber vor allen Dingen nicht überschätzt werden.
Für das Land ist die Hauptsache Landbesitz, für die
0 Christian: Tagung fttr Erhaltung und Mehrung der deutschen
Volkskraft. Berlin, 26.-28. Oktober 1916.
220
Dr. Berger.
Stadt ausreichende Wohnung. Warum brachte Serbien
im Balkankrieg 400000 Soldaten ins Feld? Weil der Serbe
niemals ganz von Grund und Boden entfernt werden darf. 1 )
Ich erinnere an den Geburtenreichtum der bodenständigen
französischen Bevölkerung Kanadas. In dem Zusammenhänge
sei auch der Kosaken Sibiriens gedacht.*)
Dringend der Lösung bedarf die Wohnungsfrage für
kinderreiche Familien, ich halte sie für eine der wichtigsten.
Mit Gewährung von Kindergeldern für die Schicht und das
Kind, wie es neuerdings der Eschweiler und der Mülheimer
Bergwerksverein und andere industrielle Unternehmungen getan
haben, so schön und nachahmenswert das auch ist, löst man
nicht die Wohnungsfrage, die gerade jetzt schon in Angriff
genommen werden muß, vor dem Frieden.
Der übertriebene Luxus, die gesteigerten Lebensansprüche
bedingten mit die Einschränkung der Kinderzahl; dazu hat sich
die Lebensmittelteuerung gesellt. Die beiden ersten gehen
täglich zurück, die letztere steigt täglich. Sie wird mit dem
Frieden nachlassen; es kommt darauf an, die Verminderung
der beiden ersteren in den Frieden hinüberzunehmen. Dazu
beitragen werden die neuen Steuern.
Die gestiegenen Löhne der Arbeiter ermöglichen ihm jetzt
mehr Ausgaben als dem Beamten sein gleichgebliebenes Gehalt.
Soll er ein Beispiel geben, soll er heiraten und eine Anzahl
Kinder erziehen, so wird man dessen gedenken müssen.
Die rein gesundheitliche Seite der Frage der Geburten¬
beschränkung würde eine umfangreiche Darstellung für sich
erfordern. Zahllose Störungen der Gesundheit, von den tödlichen
Fällen ganz zu schweigen, haben in der gewollten Geburten¬
beschränkung ihren Grund bei Mann und Frau.
Man sündigt nicht ungestraft gegen die Moral. Geburten¬
beschränkung ist Pessimismus, ist Zeichen des Rückgangs. Wir
sind ein auf steigendes Volk; ein verantwortungsvolles Leben
ist wert gelebt zu werden, nicht ein bequemes. Das Leben
muß jeder nicht für sich leben, sondern für andere, für die
Allgemeinheit, so predigt es unser tapferer Soldat, so muß es
bei uns daheim werden und bleiben. Sittliche Erneuerung,
religiöse Erneuerung, bringe auch sie uns der Krieg! Wenn
man in dem statistischen Jahrbuch für den preußischen Staat
1913 liest, daß die Ehescheidungen um so mehr zusammen¬
schrumpfen, je ländlicher und je katholischer die Bevölkerung
ist (z. B. 40,6 auf 100000 Einwohner in Sachsen, in Bayern 16,4),
so läßt das ohne weiteres an den ähnlichen Unterschied der
Geburtenzahl denken. Die soeben veröffentlichten Zahlen für
1914 lassen den konfessionellen Unterschied allerdings weniger
hervortreten.
Die Erziehung des Mädchens zur Mutter bietet keine
M 25. Bundestag deutscher Bodenreformer in Straßburg.
') W i e d e n f e 1 d : Sibirien in Kultur und Wirtschaft.
Gesundheitliche Kriegslehren.
221
Schwierigkeiten, man sollte aber sich mehr der Erziehung des
Knaben zum Vater annehmen. Kürzlich hatte ein Lehrer in
der Oberklasse der Knaben Niederschriften veranlaßt „Wie ich mir
meine Zukunft denke“. Einer schrieb: „Ich werde nicht heiraten,
denn dann muß man für Frau und Kinder sorgen, und c^as ist
jetzt so teuer“. Ein anderer „Ich will nicht heiraten, dann
brauche ich mich auch nicht über meine Frau zu ärgern.“
. Das gibt zu denken!
Das Glück mit Kindern und durch Kinder muß praktisch
gezeigt werden durch Heraushebung der kinderreichen Familien
im Leben.
Wenn dann noch unsere großen Geister sich der Frage
annehmen und sie dem großen Volk in ihren Werken nahe
bringen — mir schrieb kürzlich unser bedeutendster zeit¬
genössischer Dichter, er werde es tun —, so werden die Wunden
.des Krieges für das deutsche Volk bald verharschen.
Die Säuglingspflege ist bereits erheblich verbessert
worden. Was dann geschehen kann und geschehen muß, das
mag man daraus ermessen, wenn man den Verlust von
16 Millionen Säuglingen, die in den 48 Friedensjahren im
zartesten Alter gestorben sind, den Kriegsverlusten gegen¬
überstellt.
Die Reichswochenhilfe war von außerordentlich segens¬
reichem Einfluß, sie wird ja wohl in den Frieden mit hinüber-
S enommen werden, das ist der Wunsch aller Kreise, denen das
redeihen der Säuglinge am Herzen liegt. Notwendig ist aber
ihre Verbindung mit den allenthalben einzurichtenden Mütter¬
beratungsstellen. Die Reichswochenhilfe allein tut es nicht,
es gehört dazu praktische Arbeit; der Besuch der Mütter¬
beratungsstellen darf nicht leiden, wenn die Mütter von anderer
Seite Hufe bekommen. Es muß eben beides vereinigt werden.
Wenn nun, wie Dietrich mit Recht sagt, „das gute Befinden
der Mutter ein sehr wichtiger Faktor im Leben des Säuglings
isti, w i r< l doch mit der Mutter zugleich die beste Pflegerin und
Nahrungsquelle des Kindes geschützt“, so wäre das erstrebens¬
werteste, den Mutterschutz auch mit an die Mütterberatungs¬
stelle anzugliedern; ich halte den Weg durchaus für gangbar,
und werde meine Erfahrungen in der Richtung demnächst
bekannt geben. Für gefährdete Säuglinge müssen Säuglings¬
heime in viel größerer Zahl geschaffen werden; wer den Segen
der neuen Heime in Köln und Crefeld gesehen hat, der wird
sie in größter Zahl für ein Bedürfnis halten.
Die Sterblichkeit der Säuglinge zeigt in dem Kriegsjahr
1915 eine erfreuliche Senkung. Die Gründe dafür sind leicht
zu finden. Die Ernährung der Säuglinge erfuhr keine Ver¬
änderung, keine Verschlechterung. Die Mütter konnten bei der
Abwesepheit der Männer vielfach auf ihre Kleinsten besondere
Sorgfalt verwenden. Man wird aus dieser leider notwendigen
Abwesenheit der Männer den Schluß ziehen dürfen, daß in der
Fürsorge für die Kleinsten noch viel geschehen kann. Wenn
222
Dr. Berger.
auch der heimgekehrte Krieger wieder einen berechtigten'An¬
spruch auf Sorge für sich erheben darf, so wird doch manches
jetzt Gelernte bleiben; das muß durch praktische Säuglings¬
fürsorge gepflegt werden, es darf kein Rückfall eintreten. Hier
liegt ein großes Feld für weibliche Betätigung. Wenn die
Vermutung ausgesprochen ist, daß mit der Abnahme der Zahl
der Lebendgeborenen sich eine zunehmende Fürsorgetätigkeit
entwickeln oder besser wirken konnte, so ist das ein' Trug¬
schluß, aus dem etwa einen Rückschluß zu ziehen nur dringend
gewarnt werden kann.
Erheblich größer als die Sterblichkeit der ehelichen Säug¬
linge ist die der unehelichen. Es muß noch mehr geschehen,
und da winken Lorbeeren. Das uneheliche Kind erfordert
unsere Sorge ebenso wie das eheliche; seine Entstehung darf
für uns keine Rolle spielen. Eine besondere Art von Kriegs¬
neugeborenen, dieKettner 1 ) gesehen haben will, habe ich in
meinem gutbelegten Säuglingsheim nicht gesehen.
Hat das Kind das Säuglingsalter verlassen, so entbehrt
es einer besonderen Fürsorge, denn gerade in dem Alter drohen
dem Kind allerhand Gefahren; die Kleinkinderschulen' können
aber nicht als ausreichend für diese Fürsorge gelten. Die Klein¬
kinderfürsorge hat deshalb auch schon zu mehrfachen Vor¬
schlägen geführt, u. a. zur Angliederung an die Säuglingsfürsorge.
Gerade der Krieg hat gezeigt, daß die kleinen Kinder oft
zu kurz kamen, sei es, daß die Mutter durch Arbeit in Anspruch
genommen war, sei es, daß sie durch den Säugling mehr Sorgen
hatte oder anderes. Erstaunlich blühten solche kleinen Kinder
in anderen sicheren Verhältnissen auf, wohin sie verpflanzt
wurden durch Vermittlung der Deutschen Zentrale für Jugend¬
fürsorge. Die neuen Pflegeeltern, oft kinderlose Eltern, wurden
aber reichlich belohnt durch das Gedeihen der Kleinen und
durch ihre Unterhaltung.
Nicht Vernachlässigung seitens der Mutter war es, was
die Verbringung in andere Verhältnisse wünschenswert erscheinen
ließ, im Gegenteil, glaube ich, daß wir der größeren Sorge der
Mütter mit das Heruntergehen der Säuglingssterblichkeit zu
verdanken haben, es war Nichtkönnqn nach jeder Richtung.
Diese kleinen Kinder leiden still, sie klagen nicht, aber
es wird der Grund gelegt zum Verderben. Wie sollen sie später
zu kräftigen Menschen werden, wenn der Aufbau sich nur
mangelhaft vollziehen kann? Eine Unterernährung in diesem
Alter rächt sich schwer.
Während die Säuglinge im Kriege nicht schlecht ab¬
schneiden, ist das allem Anschein nach bei den kleinen Kindern
und, wie wir später sehen werden, bei den Sohulkindern zu
befürchten.
Die Mütterberatungsstellen müssen zu Kleinkinder-
') Langstein: Bemerkungen über die Kriegsneugeborenen. Zeitschrift
für Süuglingsschutz; VIII, 3.
Gesundheitlipbo Kriegslehren.
223
beratungssteilen ausgebaut werden, denen Mittel und Wege
zur Verfügung stehen, die Kinder in geordnete und gesund¬
heitsförderliche Verhältnisse zu bringen.
Auf einen Mangel hat der Krieg mit Fingern gezeigt, das
ist die geringe Zahl von Kinderhorten, wo die Kleinen
Kühe und Pflege Anden, und wo sie auch erziehlich beeinflußt
■ weiden; Auch viele Schulkinder brauchen außerhalb der Schul¬
zeit Arbeits- und sanfte Erziehungsstätten, das trifft besonders
zu auf die Schwachbegabten Kinder. Wir wissen, daß der
Beginn der. Schulzeit auf die Gesundheit des Kindes nicht ohne
Einfluß ist, wie soll das. nicht geradezu verhängnisvoll sein
können für. ein Kind, das vorher schon gelitten hat?
Da kann denn auch die schulärztliche Fürsorge oft
nicht mehr helfen. Die Notwendigkeit einer schulärztlichen
Fürsorge ist ja wohl meistenteils anerkannt, nur sind die
Meinungen noch über die Gestaltung nicht einig; vor allen
Dingen ist erforderlich, daß die schulärztliche Tätigkeit sich
nicht bescheidet mit der Feststellung der Abweichungen und
Krankheiten, die Gesundheit der Schulkinder muß vielmehr
auch wirklich praktisch durch ärztliche Behandlung, durch
Kuren usw. gefördert werden. Ohne diese Folgerung ist
die schulärztliche Tätigkeit eine halbe. Durch eine Schul¬
schwester, die den einzelnen kranken Kindern in die Familie
nachgeht, wird schon manches gebessert, aber nicht alles
erreicht. Es muß eine Form gefunden werden, die die ärztliche
Behandlung aller kranken Schulkinder ermöglicht; das dürfte
leicht möglich sein durch eine Form der Krankenversicherung.
Was in der Zahnfürsorge möglich ist durch die notwendigen
und. segensreichen Schulzahnkliniken, das ist auch für die
Krankheiten des ganzen Körpers möglich.
Unsere Schulkinder mit den kleinen Kindern sind unser
zukünftiges Geschlecht, das das wahren und mehren soll, was
jetzt die Väter kraftvoll erstreiten.
' Ich stimme u. a. den Kölner Feststellungen zu, daß im
Jahre 1915 von einer wesentlichen Unterernährung noch nichts
wahrzunehmen war, ich fürchte aber, — und ioh habe dafür
deutliche Anzeichen — daß die Unterernährung mit ihren
Folgeerscheinungen jetzt droht. Wenn irgendwo, dann heißt
es hier arbeiten mit allen Kräften, ehe es zu spät ist.
Die Schulkinder erfordern jetzt unsere ganze Aufmerk¬
samkeit, und nicht nur in diesem Jahre, sondern in der Zukunft.
Es wird darauf ankommen, eine allgemein durchführbare Schul¬
arzteinrichtung zu schaffen. *)
Die Schularzteinrichtung hat sich selbstverständlich nicht
allein auf die Volksschulen und auf die höheren Schulen zu
beschränken, sie muß sich auch auf die Fortbildungsschule
ausdehnen; Ich würde es überhaupt für zweckmäßig halten,
') ; Vergl. die Rede des Ministerialdirektors Prof. Dr. Kirchner im Ab-
geordnetenhause am 25; Februar 1916.
224
Dr. Berger.
wenn die allgemeine Zwangs-Fortbildungsschule mehr in den
Vordergrund der Fürsorge ftir unsere Jugend gerückt würde.
Die Einwendungen, die wohl von seiten der höheren
Schulen gemacht werden, daß für ihre Zöglinge vermöge der
Lage der Eltern ausreichend ärztlich gesorgt sei, müssen
unberücksichtigt bleiben; nur eine mit starker Hand geschaffene
allgemein durchführbare Schularzteinrichtung erreicht das Ziel.
In die Tätigkeit des Schularztes ist einbegriffen seine
Beteiligung an der Beratung bei der Berufswahl. Die Kriegs¬
zeit hat uns da manche Lehre gebracht; jetzt will alles Dreher,
Schlosser werden, es gelingt nicht, soviel Stellen zu finden,
nicht jeder schwache Körper ist geeignet; zahlreiche Mädchen
wollen jetzt Dienstmädchen werden, während früher die Freiheit
und der Lohn der Fabrikarbeiterin lockte. Sollen wir tuber¬
kulöse oder zur Tuberkulose veranlagte Mädchen in den Haus¬
halt gehen lassen zu kleinen Kindern?
Unsere ganze Berufsberatung muß ausgestaltet werden
schon jetzt und besonders nach dem Kriege; wir wollen unsere
deutschen Kinder bestmöglichst verwenden und so verwenden,
wie es ihr Gesundheitszustand für sie und für die Allgemeinheit
erfordert.
Die Fürsorge für die heranwachsende Jugend nach dem
Verlassen der Volksschule hat, was den männlichen Teil der
Bevölkerung anlangt, schöne Erfolge gezeitigt; nicht alle Hoff¬
nungen sind erfüllt, es bedarf weiterer Arbeit, namentlich eines
besseren Zusammenfassens.
Für den weiblichen Teil ist noch nicht viel geschehen. Die
Erziehung zur Mutter und Hausfrau liegt sozusagen in
der Luft. Das „Freiwillige Jahr“ muß in dieser oder jener Form
zur Tat werden, und in ihm wird man auch des Arztes nicht
entraten dürfen. Hier muß über Säuglingspflege, über zweck¬
mäßige Ernährung usw. gesprochen werden, dann lernt die
Mutter ihr Kind sachgemäß behandeln und ernähren, dann ist
sie nicht ratlos, wie man es zur Kriegszeit sah, dann lernt sie
gesundheitsgemäß wirtschaften und hält nicht den Mangel von
Semmeln für eine schwere Gesundheitsbeeinträchtigung.
Die gesundheitlichen Kriegslehren beschränken sich nicht
bloß auf das heranwachsende Geschlecht.
Wir haben im Jahre 1915, wie während des ganzen Kriegs,
einen sehr guten Gesundheitszustand im allgemeinen gehabt,
die Ende 1915 stärker auf tretende Grippe kann füglich^ außer
Betracht bleiben. Wir blieben frei von Seuchen. Das ist der
Beweis, daß die Maßnahmen gegen Seuchen den Anforde¬
rungen entsprechen; wir werden uns schon im Frieden erinnern
müssen, daß Absonderung und Desinfektion mit Strenge durchzu¬
führen sind, wir werden dafür sorgen müssen, daß beide möglichst
lückenlos arbeiten. Um gar keine Lücken zu lassen, wird noch
ein ständiges Handinhandarbeiten von Zivil- und Militärbehörden
notwendig sein, und ein lückenloses Arbeiten der verschiedenen
Einrichtungen für Kranke untereinander: Gegenseitige Benach-
Gesundheitliche Kriegslehren.
225
richtigung von Krankenhäusern, Irrenanstalten und Amtsärzten
und Polizeiverwaltungen, namentlich wird das auch zu gelten
haben bezüglich der sogenannten Bazillenträger, die für die
Verbreitung ansteckender Krankheiten vielleicht eine ungeahnte
Rolle spielen.
Unter den Gründen für den guten allgemeinen Gesund¬
heitszustand möchte ich einen erwähnen: die Bevölkerung hielt
sich mehr im Freien auf als sonst, der Raumgehalt gerade der
kleinen Wohnungen war infolge Abwesenheit eines Erwachsenen
vielfach ein günstiger geworden. Das dürfte u. a. auch auf die
Notwendigkeit des Baus ausreichend großer Wohnungen für
kinderreiche Familien hin weisen.
Manche Erkrankungen zeigen eine geradezu in die Augen
fallende Abnahme. Daß unsere ausgezogenen Krieger einen
ausgezeichneten Gesundheitszustand boten, ist bekannt. Das
ist aber auch für uns daheim eine Kriegslehre geworden. Wir
sahen nicht wenige von den Ausgezogenen früher über Lunge
und besonders Magen und Nerven klagen. Ja, wir wissen un¬
gezählte Fälle sicher, daß unsere früheren Kranken im Felde
genesen sind. Wodurch, das kann sich jeder selbst beantworten.
Ich hatte vor Jahren einmal über ein englisches Buch zu be¬
richten, dessen Ueberschrift lautete: „Luft, Nahrung, Körper¬
bewegung.“ Diese drei gibt es im Felde in Reinheit und Regel¬
mäßigkeit und Nr. 2 in Mäßigkeit. Reinheit, Mäßigkeit
und Regelmäßigkeit, die uns durch die wirtschaftlichen
Verhältnisse auch zum Teil näher gebracht worden sind, sie
sind das A und O zum Gesundbleiben. Daß der Frieden keine
Rückfälle bringt, das sei unsere Sorge.
Dies gilt besonders bezüglich der Trinker; bei denen
keine Kur half, ihnen hat vielfach der Krieg die Heilung ge¬
bracht; es heißt aber schon jetzt Vorsorge treffen, daß die
Siegesfeier nicht den Rückfall kräftig einleitet.
Offenbar haben wir mit einer Zunahme der Geschlechts¬
krankheiten zu rechnen. Das war bekanntlich nach allen
Kriegen zu beobachten seit 1490 und nach gewaltsamen Vermitt¬
lungen sogenannter Kultur. Und nach diesem Krieg aller Kriege ?
Wir müssen offen darüber reden, wie es unsere Heeresleitung in
jedem Tagesbericht tut. Es ist nicht zu leugnen, daß der wilde
Geschlechtsverkehr zugenommen hat, die Folgen sind klar. Daß
heimkehrende Soldaten nicht die Krankheiten daheim verbreiten,
muß mit allen Mitteln erstrebt werden. Wir sind in dieser Ge¬
fahr bereits mitten drin, wie ich leicht durch Beispiele erhärten
könnte. Die Anzeigepflicht für ansteckende Krankheiten wird
von den meisten nicht gut geheißen; Hauptgrund, weil das zu
einer Verheimlichung führen würde. Zu empfehlen sind die neuer¬
dings erörterten Beratungsstellen; sie müssen möglichst
überall eingerichtet werden. Die Geschlechtskrankheiten dürfen
jedoch nicht nur als Aushängeschild gelten, es tritt sonst
leicht wieder die gefürchtete Verheimlichung ein. Aber
geschehen muß hier nicht nur etwas, sondern viel, wenn viel
226
Bf. Bergen
•Unheil rvörhütet,,werden soll. Geschlechtskrankheiten machen
nicht nur krank, sie machen auch zeugungsunfähig. In. Deutsch¬
land sollen 350000 Ehen, also 4 °/ 0 , infolge Geschlechtskrankheit
des Mannes kinderlos sein. Dazu. kommt dann noch die Un¬
fruchtbarkeit nach dem ersten Kinde infolge und im Anschluß
an Geschlechtskrankheit des Mannes.
Wir dürfen; nicht immer die größere Schuld am Geburten¬
rückgang bei der Frau suchen, ja, wenn man zwei Haupt¬
gründe betrachtet, die Heiratsscheu der Männer und die Un¬
fruchtbarkeit. der Ehen durch Geschlechtskrankheiten, so kann
man Gertrud Bäum er und Anna Papp ritz nicht Unrecht
geben. Mit Nachdruck muß aber doch betont werden, daß
man nun nicht, wie- das neuerdings zu sein scheint, die Be¬
kämpfung der Geschlechtskrankheiten für die Hauptsache hält
bei der Verhinderung des Geburtenrückgangs. Dazu ist ihr
Anteil zu gering;* meiner Meinung laufen wir da Gefahr, in ein
falsches Fahrwasser zu geraten.
Eine große Umwälzung brachte der Krieg in der Er¬
nährung. Er bewies zunächst, daß wir zu viel aßen und
besonders zu viel Fleisch. Damit soll nicht gesagt sein, daß
die unzweifelhaft ungenügende Ernährung mancher gesundheits¬
gemäß ist. Hätte man allmählich schon früher aus dem Zuviel¬
verbrauch eingelenkt, so hätte man jetzt die Einschränkungen
größtenteils gar nicht gespürt, sie kamen aber plötzlich, wider
Willen und wohl auch stellenweise zu schnell, deshalb wurden
sie empfunden. Das Ernährungsproblem war kein Nahrungs¬
mittelproblem,, sondern ein Verteilungsproblem.
Eine Aufmachung über die Abnahme von Magenerkran¬
kungen wäre lehrreich. Das steht fest und läßt sich beweisen,
daß die Kriegsdiät den Gesundheitszustand nioht
verschlechtert, sondern geradezu gebessert hat,
Einzelheiten aufzuführen, ist an dieser Stelle nicht angezeigt.
Vielleicht läßt sich u. a. in Zukunft eine Abnahme des Krebses
feststellen aus naheliegenden Gründen. Für jetzt glaubt Boas
eine überraschende Zunahme der Karzinome der Verdauungs-
. organe namentlich im jugendlichen Alter feststellen zu können,
er hält aber eine Vortäuschung vorläufig für möglich. Gewichts¬
abnahme bei erhaltener Kraft ist in der Kriegszeit eine häufige
Beobachtung, das ist nichts Krankes; wir waren überernährt.
Wir werden uns freuen, wenn dieser oder jener Zufluß wieder
etwas reichlicher fließt, aber das sind im großen ganzen
Ueberflüsse; jedenfalls hat der Krieg gelehrt, daß wir mit
weniger auskommen können. Glaubten nicht manche ver¬
hungern zu müssen, als sie zum ersten male keine frischen
Semmeln bekamen? Unsere Ernährung war eben vor dem
Kriege nicht immer richtig. Wer war zu überzeugen von
dem Nutzen des dunklen Vollkornbrots, wo er doch seinen
Schweinen Kleie fütterte, um sie fett zu machen ? Alles wollte
Grahambrot haben, und wußte gar nicht, was es war. Der
Arzt Graham hatte ein Vollkornbrot, allerdings aus Weizen,
GesundBeStliche Kriegslehren.
227
bäoken lassen, um die äußere 'wertvolle Schale des Kofris mit
zu verwenden, weiter nichts.
"Die Ernährungsfrage erfordert viel Arbeit, anhaltend, es
wird das durch den Krieg Erzwungene sorgfältig zu verfolgen
und darauf weiter zu bauen sein, namentlich in den Schulen.
Nicht alles wollen wir in den Frieden mitnehmen, aber das
Gesundheitsgemäße wollen wir retten.
Daß bei dem Ausrücken vieler Aerzte ins Feld die Kur¬
pfuscherei blüht, ist nicht zu verwundern. Ich weiß viele
Fälle, in denen die Frauen über alle möglichen Einschränkungen
klagten und — die Kriegsünterstützungen zu Kurpfuschern
trugen, während sie ; ärztliche Hilfe umsonst haben konnten.
Und wie ließen sich die Kurpfuscher bezahlen, wahrhafte
Kriegspreise.
Die Schäden, die angestiftet worden sind, sind leider immer
schwer ■ zu verfolgen, niemand will seine Dummheit öffentlich
eingestehen. Hoffentlich sind sie nicht ernster Natur. Aber
eins tut not, das ist das Verbot der Kurpfuscherei.
Selbstlos. sind die Aerzte ins Feld gezogen, viele erleiden er¬
hebliche Geldeinbußen, sie tun es gern. Gebe man ihnen eins
dafür, das Verbot , der Kurpfuscherei, nicht als Belohnung für
etwas Selbstverständliches, wie es für jeden Deutschen war,
nein, zum Wohle der Gesamtheit, für das sie auch vor dem
Kriege schon immer gegen die Kurpfuscherei gehandelt haben.
Warum trägt man nicht dem Hange einzelner Soldaten zur
Kurpfuscherei auch im Heere Rechnung, und stellt Kurpfuscher
im Felde.an?
: Die Behandlung der Geschlechtskranken durch Kurpfuscher
'soll gerade im-Kriege stark zugenoramen haben. Das bedeutet
eine große Gefahr auf diesem Gebiete, jetzt und auch nach dem
Kriege. 1 Hat man daran auch genügend gedacht bei der viel
erörterten und mehr denn je notwendigen Bekämpfung der
Geschlechtskrankheiten?
Gefrade vor dem Kriege sprach man viel von der Z e n t r a 1 i -
Nation der gesundheitlichen Fürsorge. Nun, wenn
etWäß geeignet war, auch den Widerstrebenden die Augen zu
öffnen über'diese Notwendigkeit, dann war es der Krieg. Wäre
die gesamte Wohlfahrtspflege zentralisiert gewesen, es hätte
ganz* anders gearbeitet werden können. Manche Frau, die zu
latifen wußte, erhielt mehrfach, manche litt bittere Not. Die
Hilfsbereitschaft war allenthalben groß, und wenn alle Unter¬
stützungseinrichtungen sich zusammen getan hätten, dann wäre
viel möglich gewesen. Es gab ja auoh so keinen, der vergeb¬
lich Hilfe suchte, aber auch langes Suchen ist für Kinder nicht
nützlich.
Als ich 1897' zuerst Wohlfahrtsämter vorschlug, hatte
ioh-zunächst die Zusammenfassung der Wohlfahrtsgesetzgebung
hauptsächlich im Auge, ich habe den Gedanken dann erweitert,
und an einigen Orten sind bereits Wohlfahrtsämter, diu die
228
Dr. AL Mayor.
gesamt« Gesundheit»- und Wohlfahrtspflege umfassen, eingß-
richtot. lfehßr ihre Gliederung habe ich in den Veröflent-
hohungm» aus dem Gebiete der Medizinalverwaltung (Hl, 12)
berichtet. Mögen sie nach dem Kriege allenthalben entstehen,
in jedem StadG und in jedem Landkreis, sie werden dann rnit-
bancn »n dem großen neuen Deutschland.
„Wir sehen 4 , wie H. St. Ghamber iain sagt, „ein Deutsch¬
land im Werden — ja schon im Werke —, das die meisten
gar nicht kennen''; sorgen wir !ür die Gesundheit des kraftvoll
sich regenden Kindes.
Zur Sotryomykose beim Menschen.
Wm 8on.-fiot Ör. M* May^^fflWörö;
Am 17. .Juni 1 cH5 steJHe sidh mir ein Öi^&hirtger Ackerer
und Stierpfloger mit einer mk.chtlgeft Gesch wütet der rechten
Unterkiefergegend veir. Der
lieh einsytzende Magenbeschwerders stet* gösund gewesen war
und nur die Üblichen Alterserscheimingen der Hurnsrücker Be*
völkerung auf wies, gab an, er habe vor etwa 4 Wochen
Schmerzen ira Mund und am Gaumen empfunden, es seien
Schl uckbesehwerden aufgetreten, das Zahnfleisch sei empfindlich
geworden. Plötzlich sei die rechte Mandel angeschwollen und
darauf sei die Geschwulst an der ruhten llnterkieferseiie auf¬
getreten. Einige hohle Zähne fanden sich im rechten Unter¬
kiefer,
Bei der nächsten Vorstellung am 23. Juni maß die Ge¬
schwulst 5 : b cm. Ich dachte an Aktinomykose, verordnete
Jodk&Ji Und spaltete mit Herrn Kollegen Dr. Bickenbach
die Geschwulst im hiesigen Ev. Kranketihause. Der Inhalt wich
von dein bei AXtinoraykose gefundenen weseotlieh ah; es fanden
sich keine Körner, mir dünne fadenziehende, gallertige Masseo,
kein Eiter.
Die Behandlung war indessen die von mir bei Aktinomykose
öfter angewandte: Tamponade mit Perubälsam. um Eiterung
zu erregen bei gleichzeitiger innerlicher Anwendung von Jod¬
kalt. Der Mann »st uni 20, Juli aus dem Krankenhause gebessert
entlassen worden. Er stellte sich mir später wiederholt vor.
Die Narbe war bald glatt, die Geschwulst geschwunden, nach
einmaligen» vorübergobemb-u Wiederaufbrechen ist die Narbe
bisher fest geblieben.
Von dum Inhalt Vl»n Gqsahw iihi war enm Probe an das
i
t«
h
4*»
v..- wgl- Me<üamafv .gesandt
•err Prof.
k, l)ub;i . dum :tdh• Dauk sage;
■ ebsstüek
> raaseeu-
‘ ' '^yhmy-kose
•*
Zw Botryomykose beim Menschen.
289
Die Verwechslung mit Aktinoraykose erscheint erklärlich,
wenn man die üblichen Befunde bei klinischer Betrachtung ins
Auge faßt.
Pseudofluktuation, sulzige Gewebsdurchtränkung bei gleich¬
zeitigem Vorkommen von ergebnislosen Zahnextraktionen hatte
ich als solche Symptome in einem Vortrage angenommen, den
ich 190Ö 1 ) in einer Versammlung der Medizinalbeamten des
Reg.-Bet. Coblenz über die bis dahin von mir auf dem Hunsrück
beobachteten Fälle gehalten hatte. Die maßgebenden Autoren,
Poncet und Börard,*) schildern aber auch neuerdings das
Bild ähnlich:
Die, gewöhnliche Art der Halsaktinoraykose bildet einen
diffusen, livid verfärbten Herd, wobei brettharte mit fluktuierenden
Stellen abwechseln und Fisteln neben alten vernarbten Stellen
vorhanden sind.
In unserem Falle fehlten allerdings Fisteln bei der ersten
Untersuchung, dobh war das äußere Aussehen und die Kon¬
sistenz der der Aktinomykose ähnlich.
Die bei Botry omy kose des Menschen gewöhnlich ange¬
troffenen Geschwülste sind gestielte Hautgescn Wülste.
L. Frdd^ric 3 ) schildert die sog. menschliche Botryomykose
als gestielte Geschwülste, die auf der Oberfläche häung schwer
erodiert sind, prominent, elastisch, in der Regel solitär an der
Hand, auch im Gesicht auftreten, deren Verwechslung mit
Sarkom manchmal nahe liegt.
Dr. M. B. Hartzell-Philadelphia 4 ) nennt die Affektion
Granuloma pyogenicum (Botryomykose der französischen
Autoren). Er hatte sie in 4 Fällen zu beobachten Gelegenheit:
Geschwülste aus Granulationsgewebe, die den gelben Eiter-
staphylococcus beherbergen.
H. Küttner 6 ) hält für die Erkrankung den peripherischen
Sitz, die pilzförmige Stielung, die rundliche Form und die
Neigung zu Blutungen für charakteristisch. Die Absonderung
der ulzerierten Tumoren ist lästig. Die Erkrankung ist klinisch
und histologisch als typisches Krankheitsbild festzuhalten und
als teleangiektalisches Granulom anzusprechen.
Beneke und Küttner haben sich gegen die Annahme
von Poncet und Dor gewandt, daß diese Granulome beim
Menschen mit der Tierbotryomykose identisch seien, wie sie
von Bollinger im Perimysium, in der Subkutis, im Samen¬
strang nach Kastration und im retroperitonealen Bindegewebe
des Pferdes nachgewiesen ist.
Alle die erwähnten Granulome, auch die Fälle von
«) Diese Zeitschrift; 1901, S. 287.
*) Bef. Mttnchener medizinische Wochenschrift; 1911, 8. 778.
*) Bef. Mttnchener med. Wochenschrift; 1904, 8. 766.
*) Bef. Berliner klinische Wochenschrift; 1904, Literatnrbeilage S. 40.
6 ) Bef. Mttnchener med. Wochenschrift; 1906, 8. 2466.
290 Bericht über die 29. .ordentliche Versapmlung
B. V; Bäracz, 1 ) N. Bardescu,*) G.E.Köfljetzn,y 8 )-haben
mit unserem Falle klinisch keine Aehnlichkeit..
Dabei ist es aber von Interesse, daß immer wieder auf
die Möglichkeit hingewiesen wird, daß die menschliche Botryo-
mykose eine Berufskrankheit sei.
Polizeitierarzt G läge-Hamburg 4 ) sagt in einem in 4er
biologischen Abteilung des Aerztlichen Vereins Hamburg 1905
gehaltenen Vortrage:
Botryomykose wird durch Botryokokken erzeugt, die
vielleicht mit Staph. pyog. aur. identisch sind;
Sie ist öfter von Pferden auf den Menschen übertragen
worden, besonders bei Pferdewärtern und Landleüten. Dabei
bilden sich an der Infektionsstelle typische Granulations¬
geschwülste, die aber stets durch Operation erfolgreich beseitigt
werden konnten. ,
Bernstein 5 ) weist darauf hin, daß Küttners 4 Fälle
nur Landleute betrafen. „Ob irgend eine berufliche Schädigung
durch die Landwirtschaft die Entstehung dieser Geschwülste
veranlaßt oder gefördert hat .... muß dahin gestellt bleiben.
Unter der Voraussetzung, daß die Krankheit vbn den Pferden
auf den Menschen übertragen werden könne, würde sie zu den
Berufskrankheiten der Landarbeiter zählen.“
Wenn es auch noch nicht gelungen ist, die Art der Ueber-
tragung in meinem Falle festzustellen, scheint mir dooh wesent¬
lich, daß der von mir behandelte Mann viele Jahre Stier-
pfleger ist und eine Entzündung von Mubd- und Gaumen¬
schleimhaut sowie der Mandel mit Schwellung vorausgegangen
war. Die Gutartigkeit des Verlaufes, die Beeinflussung-durch
Jodkali dürfte auch differentiell diagnostisch gegenüber« anderen
Kiefergesohwülsten von Bedeutung sein. ,
Aus Versammlungen undVereinem
Bericht Aber die 28. ordentliche Veraamutlatag de«
Mecklenburgischen Hediiinslbeamten - Verdm-zii«
#6. November 1915 ln Rostock.
' Anwesend die Mitglieder: U n r u h - Wismar, Wilhelmi-{Schwerin;
D a n n i e n - Malchin, Stein- Neu-Strelitz, Stephan -Qttstrow, M u 1 ert'-Wareb,
Viereck-Ludwigslust, Dugge-Rostock.
Der Vorsitzende, Med.-Rat Dr. Unruh-Wismar, gibt zunächst dqn
verstorbenen Mitgliedern Roggen bau- Neu-Strelitz, Bartsch'- Parchim,
Jenz-Schwerin einen warm empfundenen Nachruf.
i .
*) B. v. Baracz-Lemberg: Zur Frage eines speziellen> Krankheits¬
erregers bei der sog. Botryomykose des Menschen. Ref. Mttnchener mOd. Wochen¬
schrift; 1901, S. 646. t
*) N. Bardescu: Die Botryomykose beim Menschen;'Mttnchener med.
Wochenschrift; 1906, S. 1457.
8 ) O. E. Konjetzny: Zur Pathologie und Axiologie der . sog. tele-
angiektatischen Qranulome. Münchener med. Wochenschrift; 19)2,8. SW19.
*) Münchener med Wochenschrift; 1905, S. 2343..
5 ) R. Bernstein: Die Berufskrankheiten der Land- und fkurstar beiter.
Stuttgart 1910.
• des Mecklenburgischen'Medizifafbeamten 1 -Vereins. 1 201"
Im Felde stehen noch immer: G ü n th e r - Hagenow, Buschmann-
Parchim, Peeck-Gnöien. D u g g e-Rostock steht als Stabs- and Chefarzt
der Hecklenhnrg-Strelitzer Lazarette in Neustrelitz.
I. Gefängnispsychosen. Med.-Rat Dr. Stephan, Kreisarzt in Güstrow:
Gefängnispsychosen sni generis gibt es nicht. Das ätiologische Moment
der Entziehung der Freiheit ist aber von fundamentaler Bedeutung für Ent¬
wicklung geistiger Störungen, besonders für Disponierte. Zu unterscheiden ist
Internierung für lange Dauer (Strafanstalten und Zuchthäuser) und für kürze
Dauer (Untersuchungshaft). Dort abgeschlossenes Verfahren, hier ewige
Störungen mit Vernehmungen, Vorbereitungen zum Termin etc. etc.; auch die
plötzliche Einsperrang selbst kommt erheblich in Betracht.
Ueber die Anstalten für langfristige Strafen hat Vortragender weniger
eingehende Erfahrungen, da er an solchen nicht angestellt ist und sie
nur als Kreisarzt gelegentlich sieht. Er streift aber den „ Begnadigungswahn",
meist wohl ein Zeichen präseniler Demenz; es fehlt solchen Kranken durchweg
die Schärfe, die Impulsivität sonstiger Wahne; darin liegt eben das Präsenile.
Das Untersuchungsgefängnis bietet andere Bedingungen. Die ganze
Schwere der‘neuen Umgebung • lastet auf den plötzlich der Freiheit Beraubten.
Leute, die ex ovo geistig labil und nicht völlig fest sind, brechen leicht zu¬
sammen.
Verschiedene Gruppen von Kranken reagieren verschieden, je auf ihreWeise.
Neurastheniker, ohnehin ja leicht erschöpft in ihrer nervösen Kraft, klagen
über allerlei Beschwerden, Druck vor dem Magen, vor dem Kopf, können nicht
schlafen usw.
Degenerative, Defektmenschen, Erregbare, Verschrobene^ Streitsüchtige,
Haltlose etc. bieten einen leider vorzüglichen Boden für einen geistigen Zu¬
sammenbruch. Hierher gehören auch die Hysteriker, sowie : manche Luetiker.
Für alle diese Gruppen kommt als Gefängnispsychose der sog; „Zucht¬
hausknall“ in Betracht: Aus verhältnismäßig guter geistiger. Gesundheit
heraus plötzlich starke Erregung, mit halluzinatorischer Verwirrtheit, unsinn¬
licher Zerstörungswut, sich äußernd. In den vom Vortragenden beobachteten
Fällen war die Erregtheit meist in 2—8 Tagen abgeklungen, nach Bädern
und Beruhigungsmitteln, ohne daß UeberfÜhrung in eine Irrenanstalt notwendig
geworden wäre.
Den Zuständen ähnlich, zu ihnen überleitend, sind die hysterischen
Störungen. Es ist dabei zu denken an die funktionellen Störungen bekannter
Art, weniger an die (durchaus nicht stets erforderlichen) Stigmata. Solche
Kranken bieten im Gefängnis häufig Dämmerzustände, wollen plötzlich eine
Reise machen u. dgl. mehr. Vortragender hat solche Zustande bis zu 8 Tagen
beobachtet. Ein zunächst vielleicht vorliegender Vortäuschungs-Verdacht'
erweist sich fast stets als unbegründet. .
Hierher gehören auch (als haltlos Degenerative) die Alkoholiker, auch
die Prostituierten, vornehmlich die höherer Stände. Vereinzelt fand Vor¬
tragender das sog. Gansersehe Symptom, krankhaftes Vorbeireden: „Das
Pferd hat 5 Beine“; „die (auf dem Bilde weiße I) Ziege ist schwarz“ n. dgl.
mehr. Dies Symptom hält sich oft viel länger, wochen- ja monatelang; man
hat oft das Gefühl der Täuschung, muß sich'aber bei Defektmensohen doch
von der Wirklichkeit des Zustandes überzeugen.
Eigentliche Paranoia, echte Wahnbildung zu festem, unverrückbarem
System, findet man in Gefängnissen relativ selten-; es währt meistens nicht
lange bis diese Kranken, oft gefährlicher Form, in die 1 Irrenanstalten abge*
schoben werden.
Die Gefängnispsychosen bieten noch viel unaufgeklärte Punkte und ver¬
langen weiteres, sorgfältiges Studium.
Diskussion. '
Dr. Wilhelmi bestätigt, daß die Anfälle von . „Zuchthausknall“ ge¬
legentlich so schnell abklingen, daß sie nicht erst in die Irrenanstalt überführt
zu werden brauchen. Er betont aber ausdrücklich, daß er einen Fall von
echter, rückhaltslos eingestandener Simulation erlebt hat.
Dr. Viereck macht aufmerksam, daß an den kleinen Amtsgerichts-
gefängnissen die Verhältnisse anders liegen. Echte Simulation hat er dort
282 Ber. über die 28. ord. Versammlung des Meekl. Med .-Beamten * V ereins.
nie erlebt. Unter den vielen Bettlern and Landstreichern befinden sich zahl¬
reiche alte. Psychotiker, Dementia praecox, Alkoholismas, Präsenile usw.
Dr. Unruh möchte doch vor der Möglichkeit einer Vortäuschung des
Gans er sehen Symptoms ausdrücklich gewarnt haben.
II. Vertretung der zum Heeresdienst eingezogenen Aerzte durch
Kandidaten der Medizin. Med.-Bat Dr. Unruh, Kreisarzt in Wismar.
In einem Orte des Bezirks Wismar waren beide Aerzte eingezogen. Sie
hatten zunächst einen gemeinsamen Vertreter; seitdem auch dieser eingezogen
war, vertrat ein 8 3emestriger Mediziner die beiden Aerzte. Er meldete sich
beim Kreisarzt U. an; hatte schon früher in Sachsen vertreten; brachte das
Zeugnis des kgl. sächsischen Bezirksarztes in 0., daß „bei seinen Kenntnissen
der Vertretung eines praktischen Arztes nichts entgegenstehe“. Auf Anfrage
bei dem Bezirksarzt bekam U. die Antwort, daß inzwischen laut Ministeriad-
verfügung solche Vertretung nicht mehr zulässig sei. (Vgl. Beilage Recht¬
sprechung und Medizinalgesetzgebung dieser Zeitschrift; 1916, Nr. 2.) U. be¬
richtete an die Medizinalkommission und erhielt die Antwort, daß besondere Ver¬
fügungen bei uns nicht bestehen; jedoch dürfe der Vertreter solche Verrich¬
tungen, die durch Gesetz ausdrücklich Aerzten Vorbehalten sind (Impfungen!),
nicht vornehmen. Ü. hat aber auch andere wichtige Bedenken; so hat er sich ver¬
anlaßt gesehen, den Vertreter ausdrücklich anzuweisen, über anzeigepflichtige
Krankheiten ihm Anzeige zu erstatten; hat ihm auch Verhaltungsmaßregeln
über den Verkehr mit stark wirkenden Arzneimitteln gegeben, den Apotheker
des Ortes angewiesen, verordnete Arzneimittel zwar abzugeben, sich aber in
allen auch nur einigermaßen zweifelhaften Fällen an ihn, den Kreisarzt, zu
wenden. Besonders und ausdrücklich hat er den Vertreter ermahnt, vorsichtig
in seinen Ordinationen zu sein. U. ist sich bewußt, formell nicht vorschrifts¬
mäßig, sachlich jedoch, der Not der Zeit entsprechend, richtig gehandelt
zu haben.
In der
Diskussion
wird diese letztere Ansicht allgemein gutgeheißen.
Dr. Wi 1 h e 1 m i ist bereits vom Ministerium mit dieser Sache befaßt und
soll über die hier zutage tretenden Anschauungen Bericht erstatten. Er weist
auf die Delbrück sehe Verlautbarung aus den ersten Tagen der Mobilmachung
(siehe Aerztliche Mitteilungen, August 1914) hin, durch die den Medizinern
„für dringende Fälle“ nach zwei klinischen Semestern gestattet wird, als ärzt¬
liche Hilfspersonen auch bei Krankenkassen zu wirken. In einem Schreiben
desselben Ministers an das Schweriner Ministerium heißt es aber nicht „außer
den Aerzten“, sondern „neben ihnen“; das kann als schwerwiegender Unter¬
schied gedeutet werden.
Sicherlich ist in dieser heiklen Frage schon in Friedenszeiten stets, wohl
überall in deutschen Landen, mehr oder weniger ein Aoge zugedrückt worden:
heute aber handelt es sich um eine Notlage. Um Härten auszugleichen, wird
es augenblicklich, zumal in unsern dünnbevölkerten Landgegenden, nicht immer
möglich sein, dem Wortlaut des Gesetzes zu genügen.
Dr. Dugge würde im vorliegenden Falle genau so gehandelt haben,
wenn auch, rein offiziell, contra ordinem. Es ist eben ein Notstand, und es
darf in diesen Zeiten ehrlich anerkannt werden, daß Vertretung durch ältere
Mediziner seit Jahrzehnten eben ein oft stillgelittenes Uebel war und ist.
Dadurch, daß Dr. Unruh den Vertreter ausdrücklich zu vorsichtigem Handeln
ermahnte und den Apotheker anwies, sich in allen Fällen des Zweifels an ihn,
den Kreisarzt, zu wenden, gestaltete er obendrein die Sachlage viel günstiger,
als sie sonst gemeinhin gewesen sein mag; er nahm einen großen Teil der
Verantwortung auf sich selbst. Schwierigkeiten könnten einzelne Behörden
(Gefängnisarzt!) oder Gutsbesitzer machen, soweit sic schriftlich „ärztliche“
Behandlung ausbedangen haben; doch ist das rein privatrechtlicher Art und
mag eigener Vereinbarung überlassen bleiben. Interessant ist übrigens, daß
nach zahlreichen Erfahrungen, nicht nur die Frauen der ins Feld gerückten
Aerzte, sondern auch das Publikum übereinstimmend meist sich sehr wohl¬
wollend und dankbar über die älteren, nicht approbierten Mediziner ausge¬
sprochen haben, im eigenartigen Gegensatz zu manchem harten Urteil, daß
Klebet« Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 283
Uber rein ärztliche Vertreter bemerkbar wurde. Wo so viele ansässige Aerzte
aus guter, alter Praxis im Felde sind, und wo alle richtig leistungsfähigen
Aerzte an ihrem Wohnorte doppelt und dreifach für die Abwesenden mitarbeiten
müssen, also unentbehrlich und an die Scholle gebunden sind, ist es kein
Wunder, daß an richtig guten und wahrhaft vertrauenswerten approbierten Ver¬
tretern ein Mangel ist, und daß anderseits unter den zur Verfügung sich stellenden,
zum Ortswechsel bereiten Approbierten immerhin ein erheblicher Prozentsatz
von solchen ist, die mit Vorsicht zu genießen sbd, oder die irgendwie und
irgendwo ein großes Fragezeichen aufweisen.
Dr. Mulert, Dr. Stephan, Dr. Dannien, Dr. Stein sprechen sich
durchweg in zustimmenden Sinne aus. Generelle Regelung durch eine Zentral¬
instanz ist zur Zeit schwierig, wenn nicht unmöglich.
III. Bemerkungen zur Bekanntmachung vom 3. Dezember 1914 Uber
Wochenhilfe. Med.-Itat Dr. Wilhelm!, Kreisarzt in Schwerin.
Der Vortragende berichtet über einen Fall von Weigerung einer Kranken¬
kasse, für Hebammendienste bei einer Fehlgeburt Kosten zu übernehmen, weil
dies keine „Entbindung“ sei. Das Großherzogliche Versicherungsamt hat
entschieden, daß zwar allerdings eine Fehlgeburt keine Entbindung im Sinne
der Bekanntmachung sei, daß aber gleichwohl die Kasse die Hebammendienste
zahlen müsse auf Grund des § 3, Ziffer 3 der Bekanntmachung; denn eine
Fehlgeburt falle unter den Begriff der „Schwangerschaftsbeschwerden“, und
steUe den höchsten Grad solcher Beschwerden dar. Dr. Wilhelmi behält
sich vor, das in dieser Angelegenheit von ihm erstattete Gutachten und die
Entscheidungsgründe des Versicherungsamts gelegentlich anderweit zu ver¬
öffentlichen.
IV. Anforderungen, die man an die bei den Krankenkassen zuge¬
lassenen Zahntechniker stellen soll. Med.-Rat Dr. Wilhelmi, Kreisarzt in
Schwerin.
Dr. W. hat wiederholt Gelegenheit gehabt, im Aufträge des Großherzog¬
lichen Versicherungsamts an Ort und Stelle den Betrieb von Zahntechnikern
zu besichtigen. Er fordert: Sauberkeit in erster Linie, dann aber, bei be¬
scheidenen Ansprüchen, immerhin ausreichendes Instrumentarium, ferner aus¬
reichende Kenntnisse nnd Möglichkeit zur Desinfektion der Instrumente, auch
ordnungsmäßige Aufbewahrung der Geräte. Wie entsetzlich ist oft allein die
Watte aufbewahrt! Zu achten ist auch auf die differenten Einspritzungen,
die seitens der zur Kassenpraxis zugelassenen Zahntechniker in Mecklen¬
burg (Bekanntmachung vom 19. Dezember 1913, § 5, Ziffer 2) nicht angewandt
werden dürfen. Nach neueren preußischen Entscheidungen dürfen allerdings den
Zahntechnikern Gifte zu ihren „gewerblichen“ Zwecken, sofern sie „zuverlässige“
Personen sind, verabfolgt werden.
V. Geschäftliches. Die Vorstandswahl ergibt Wiederwahl der
bisherigen Mitglieder.
Deber eine Frühjahrsversammlung soll der Vorstand nach eigenem besten
Ermessen entscheiden. Erwünscht wird eine Besichtigung auf dem Gebiet der
Kriegsbeschädigten-Fürsorge.
Ein Jahresbeitrag soll diesmal nicht erhoben werden.
Dr. Dugge-Rostock.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
A. Gerichtliche Medizin.
Die Schädigung des Auges bei Vergütung durch Methylalkohol.
Von Prof. Dt. Birch-Hirschfeld-Königsberg i. Pr. Medizinische Klinik;
1916, Nr. 9.
Die Methylalkoholvergiftung hat in Deutschland durch die Massenver¬
giftung im Berliner städtischen Asyl für Obdachlose die allgemeine Aufmerk¬
samkeit auf sich gelenkt, während die Erkrankung hier vorher ziemlich selten
war. Diese Vergiftung führt oft zu schweren und dauernden Sehstörungen.
Den in der Literatur bereits niedergelegten Erblindungsfällen werden 2 eigene
Beobachtungen über Schädigung des Sehvermögens bei Soldaten, die an Methyl-
234
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
alkoholvergiftang erkrankt waren, angereiht. Die ersten Symptome bei Methyl-
allroholvergiftung treten nach mehreren Stunden bis za einem Tag latent aöf
and betreffen den Verdaaangstraktas; sie bestehen in Uebelkeit, Kopfschmerzen,
Schwindel. Erbrechen; in ungünstigen Fällen treten auch Delirien, Krämpfe
and Bewußtseinsstörungen auf. Die schädigenden Dosen unterliegen weite»
Schwankungen. Die Sehstörung setzt meist schon vor Ansbruch der schweren
Allgemeinerkrankungen ein. Weite, starre Pupillen, Reaktionslosigkeit deuten
auf die Schädigung des Sehorgans; es findet sich Neuritis optica, Lähmung der
Konvergenz und Auftreten von Nystagmus sind selten, ebenso Netzhautblutungen.
Bei Metbylalkoholamaurose erstreckt sich die Netzhauttrttbung nicht
auf den ganzen hinteren Pol, wie es häufig bei der Chininamauroee,
selten bei der Filixamaurose vorkommt. In leichteren Fällen kann das
Bild mit den Symptomen der chronischen Alkohol-Tabakamblyopie überein¬
stimmen, unterscheidet sich aber hiervon schon durch das plötzliche Einsetzen.
Tritt plötzlich eine schwere Sehstörung mit zentralem absoluten Skotom and
Einengung des peripheren Gesichtsfeldes mit Neuritis optica auf und liegen
gastrointestinale Vergiftungserscheinungen vor, so ist in erster Linie an Methyl¬
alkoholvergiftung zu denken. Der Methylalkohol ruft degenerative Veränderungen
in den Nervenfasern und den Ganglienzellen der Netzhaut hervor ohne ent¬
zündliche Infiltration. Bei der Methylalkoholvergiftung sind die Veränderungen
am Auge nicht auf das papillomakuläre Bündel beschränkt. Die Therapie Ist
ziemlich machtlos, daher ist die Prophylaxe (Ueberwachung des Schnapsver¬
kaufes, evtl, strenge Bestrafung etc.) von größter Bedeutung.
Dr. L. Quadflieg -Gelsenkirchen.
Optochin-Amaurose. VonSan.-Rat Dr. W. Feilchenf eld, Augenarzt
in Charlottenbarg. Deutsche med. Wochenschrift; 1913, Nr. 11.
Die Behandlung von Pneumokokkeninfektion mit Optochin ist
sehr warm empfohlen. Doch ist das Präparat darchaus nicht ungefährlich.
F. hat beobachtet, daß durch stündliche Dosen von je 0,2 g, in Gesamtmenge
von 6 g, eine dauernde Schädigung der Augen bedingt wurde. Die gegebene
Menge entspricht vielfachen Vorschriften, bleibt sogar noch unter der von ein¬
zelnen geforderten Grenze. Wenn auch Optochin ebenso wie Chinin nur zu¬
weilen so stark auf den Sehnerven einwirkt, so erscheint doch Vorsicht and
Prüfung der Toleranz geboten. Da Gebörstörungen anscheinend zuerst be¬
merkbar werden, empfiehlt es sich bei deren Auftreten sofort das Mittel aus-
zusetzen. Dr. R o e p k e - Melsungen.
Die Ablehnung des Arztes als Sachverständigen. Von Ob'erlandes-
geriebtsrat A. Freymuth. Aerztliches Vereinsblatt; 1916, Nr. 1068.
Da in vielen, namentlich Unfallprozesscn das Outachten des Arztes als
Sachverständigen die tatsächlich entscheidende Rolle spielt, wird oft um die
Auswahl des Gutachters hartnäckig gekämpft. Ob im Einzelfall die Ablehnung
berechtigt ist, entscheidet das Gericht. Nach der Zivilprozeßordnung (§§ 406,
42) ist die Ablehnung statthaft, „wenn ein Grund vorliegt, welcher geeignet ist,
Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen“.
Der in einer Reihe von neueren gerichtlichen Entscheidungen in der AblehUungs-
frage vertretene Standpunkt wird vom Verfasser dahin zusammengefaßt:
„1. Die Tatsache allein, daß der Arzt eine Partei — natürlich gegen
Entgelt — behandelt hat, sei es auch wegen des in dem Prozesse erhebuohen
Leidens, rechtfertigt die Ablehnung des Arztes als Sachverständigen nicht. —
Vgl. aber Nr. 4.
2. Wohl aber ist die Ablehnung dann gerechtfertigt, wenn zwischen dem
Arzt und der behandelten Partei sich ein besonderes Vertrauensverhältnis
herausgebildet hat, wie es namentlich vorliegt:
a) bei der Tätigkeit als langjähriger Hausarzt,
b) bei der Behandlung des Kranken in der Privatklinik des Arztes.
3. Auch dann ist dio Ablehnung gerechtfertigt, wenn zwar ein besonderes
Vertrauensverhältnis (vgl. 2) nicht vorliegt, es in dem Prozeß sich aber gerade¬
tim eine AnorJnung handelt, die durch den betreffenden Arzt veranlaßt worden
ist. (Hinweisung der Partei in eine Irrenanstalt.)
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. ' 230
4. Ferner ist dann die Ablehnung auch ohne das Vorliegen eines be¬
sonderen Vertrauensverhältnisses (vgl. 2) gerechtfertigt, wenn der Arzt den
Kranken wegen des im Prozesse erheblichen Leidens nicht nur behandelt (vgl. 1),
sondern ihm anch private Gutachten darüber gegen Entgelt erstattet hat."
Dr. R o e p k e - Melsungen.
Die Haftung des Arztes wegen Pflichtverletzung in der Recht¬
sprechung des Reichsgerichts. Von Dr. W. Stein. Halbmonatsschrift für
soziale Hygiene und praktische Medizin. Jahrg. 24, Nr. 6, 16. März 1916.
Die Frage nach der Haftung des Arztes wegen Pflichtverletzung ist
noch lange nicht geklärt. Eine Operatinn ist nicht widerrechtlich, wenn der
Kranke oder sein gesetzlicher Vertreter eingewilligt hat, aber dies ist nicht
immer möglich. Von dem verwundeten, bewußtlosen Soldaten kann weder die
eigene noch die Einwilligung der Eltern gefordert werden; deshalb muß bei
derartigen Eingriffen von Fall zu Fall entschieden werden. Die Verweigerung
der Einwilligung der Eltern kann auch einen Mißbrauch der elterlichen Gewalt
darstellen. Vor allen Dingen muß der Arzt sich gegen den Vorwurf der Fahr¬
lässigkeit schützen; er muß auch in der Wahl seiner Gehülfen vorsichtig sein,
denn das Reichsgericht hat entschieden, daß der Arzt für deren Verschulden
haftet. Anderseits hat das Reichsgericht zugunsten des Arztes angenommen,
daß die Unmöglichkeit, die Ursache einer Verletzung sicher festzustellen, nicht
zu Lasten des Arztes gehen darf. Dr. Hoffmann- Berlin.
B. 8&ohverztämdlgent&tigkeit auf militärJLrztllokem Gebiete.
Zur Erkennung von Spätfolgen nach Schädelschüssen. Von Prof.
Dr. Tilmann-Cöln. Deutsche med. Wochenschrift; 1916, 20.2.
T. hält es für möglich, durch die Lumbalpunktion festzustellen, ob die
Reaktionserscheinungen des Gehirns auf eine Verletzung abgelaufen sind oder
nicht. Erhöhter Druck mit normalem Eiweißgehalt der Hirnflüssigkeit scheint
auf eine einfache arachnoidale Retentionszyste infolge Narbenbildung hinzu¬
weisen. Besteht hei hohem Druck geringer Eiweißgehalt, dann handelt es sich
oft um eine entzündliche Zyste; ist der Eiweißgehalt hoch, so daß es in Flocken
auafällt, dann liegt bei gleichzeitig hohem Druck meist ein Abszeß vor. Ei¬
weißgehalt bei normalem Druck deutet auf rein meningeale Vorgänge. Die
klinischen Ausfallserscheinungen haben für die angeregten Fragen keine große
Bedeutung. _ Dr. R o e p k e - Melsungen.
UebuagMChule für Gehirnkrüppel. Von Dr. Fritz Hartmann.
Münchener med. Wochenschrift; 1916, Nr. 12.
Auf Grund praktischer Erfahrungen stellt Verfasser folgende Sätze auf:
Jeder Gehirnkrüppel (Schädelverletzte) ist einer von einem Arzte und von einem
Pädagogen geleiteten Anstalt zuzuführen und dort eingehend zu untersuchen.
Am besten in heimatliche Anstalten. Da fast jeder Gehirnkrüppel Ausfall
der Merkfähigkeit, Aufmerksamkeit und Assoziationsleistung aufweist, ist der
Wiederaufbau nicht an den bestehenden Rest der Leistungen des Gehirns
anzuknüpfen, sondern hat, bei allen ernstlichen Verletzungen, bei der ersten
Stufe des elementaren Unterrichts zu beginnen. Auch bei Erschöpfungsneurosen
empfiehlt sich das gleiche Verfahren. Dr. G r a ß 1 - Kempten.
Weitere Beiträge zur Kenntnis der akzidentellen Herzgeräusche.
Von Prof. Dr. Ehret. Münchener med. Wochenschrift; 1916, Nr. 14.
Ehret bat bei 90°/ o der Gemusterten Herzgeräusche festgestcllt. Die
Entstehungsart der Geräusche ist nach seiner Auffassung in der Mehrzahl der
Fälle in der Beeinflussung der das Herz umschließenden Lungenteile durch
aufgeregten Herzschlag zu suchen, ln diesen Lungenteilen findet infolge der mit
dem Herzschlag verbundenen Konturveränderungen, an die sich die Lungen an¬
passen müssen, eine mehr oder weniger gewaltsame Verschiebung des Luftein¬
falles der Lungen statt. „Diese in Sekundenbruchteilen erfolgende Ver¬
schiebungen des Lufteinfalls werden bei intensivem Herzschlag und geeig¬
neter Luagenbeschaffenheit hörbar; daher die akzidentellen Geräusche in
Ö36 Kleinere Mitteilungen und Referate ans ZeitschriitMU
der Herzgegend". Geräusche, die bei dem Preßakte sofort verschwinden oder
a tempo viel leiser werdenj dürften somit als akzidentelle, pneumokordialen
Ursprungs und als für Herzdiagnose bedeutungslos angesprochen werden.
_ Dr. G r a ß 1 - Kempten.
O. SaohverztAndigentAtlgkelt in Unfall- und Invalidität»- und
KrankenverzioherungMaohen.
Ist Flecktyphus ein entschädigrungspflichtiger Unfall? Von Geh.
San.-Rat Prof. Dr. C. Rüge. Aerztliche Sachverständigen-Zeitung; 1916, Nr.8.
Der 45jährige Prof. Dr. L. hatte am 15. Mai 1914 die Insassen einer
Flecktyphusbaracke zu untersuchen; er erkrankte am 31. Mai unter prodromalen
Allgemeinerscheinungen, nach 24 Stunden mit starkem Schüttelfrost. Am (. Juni
Aufnahme ins Krankenhaus; leichte Rötung im Rachen, Fieber, hyaline und
granulierte Zylinder; 3 Tage später Flecktyphusausschlag, am 8. Juni unter
Benommenheit und Herzlähmungserscheinungen Tod.
Erkrankung und Tod wurden von der Familie als Unfallereignis ange¬
sehen und bei der Unfall-Versicherungsgesellschaft Ansprüche geltend gemacht,
weil „ohne Zweifel eine äußere Verletzung durch Läusebiß“ stattgehabt hätte,
die plötzlich, unfreiwillig, mechanisch von außen auf den Körper einwirkte.
Nach der jetzt gebräuchlichen Infektionsklausel sind in die Versicherung
eingeschlossen alle Infektionen, bei denen durch Ausübung des ärztlichen Be¬
rufes der Ansteckungsstoff nachweislich durch äußere Verle tzungen
oder durch Einspritzen infektiöser Massen in Auge, Mund oder Nase in den
Körper gelangt ist.
R. führt des weiteren aus, daß im vorliegenden Falle nicht erwiesen ist,
daß die Infektion durch äußere Verletzung auch durch Läusebiß entstanden
ist, daß es eine nicht bemerkte, nicht wahrgenommene Unfallsverletzung nicht
gibt, daß bei Flecktyphus neben der Uebertragbarkeit durch Blut eine Tröpf¬
cheninfektion nicht ausgeschlossen ist, daß für die Entschädigungspflicht bei
einer Infektionskrankheit der nachweisbare Lokalherd entscheidend ist, von
dem aus die Infektion erfolgt. Es wird an der Hand der Literatur geprüft,
wie die Infektionsträger in den Körper gelangt sind, ob typisch, wie bei
der Infektionskrankheit überhaupt — dann liegt kein Unfallsereignis vor —
oder infolge wirklicher Verletzung — dann ist die Entscbädigungspflicht
klar — oder atypisch durch Einatmung — dann liegt ebenfalls kein Un»
fallsereignis vor. Nach allem wird die Frage: Ist Flecktyphus ein entschädi¬
gungspflichtiger Unfall? verneint, da Infektionskrankheiten nicht entschädigt
werden, hier auch keine Unfall Verletzung vorlag.
_ Dr. Roepke-Melsungen.
Die Unfallbegutachtung durch den erstbehandelnden Arzt. Von
D. F. Curschmann -Greppinwerke. Zentralbl.f. Gewerbebygiene; 1916,Nr.8.
Eine eingehende Untersuchung und eine genaue Aufzeichnung der Anam¬
nese ist bei allen Unfallverletzten durch erstbehandelnden Arzt von größter
Bedeutung. Der Verfasser empfiehlt ein Formular, das die Möglichkeit bietet,
die in jedem einzelnen Falle verschiedenartigen wichtigen Umstände darin unter¬
zubringen; es müßte aber von allen oder der Mehrzahl der Berufsgenossen¬
schaften eingeführt werden. Dr. Wolf-Hanau.
D. Baktsrlologia andBsk&mpfluf der übertragbaren Krankheiten.
1. Bekämpfung übertragbarer Krankheiten im allgemeinen.
Zum Eiweißnachweis im Urin. Von Stabsarzt Dr. Siebert. Deutsche
med. Wochenschrift; 1916, Nr. 11.
Eine einfache, wenig bekannte Probe des Eiweißnaclrweises im Urin, die
bei der serologischen Liquordiagnostik schon seit einigen Jahren gute Dienste
leistet, ist die Pandysehe Reaktion; sie gilt als feinstes Reagens für Eiweiß
und spez. Globulinnachwcis bei pathologisch verändertem Liquor cerebrospinalis
(bei Tabes und Dementia paralytiea).
Man stellt die Probe folgendermaßen an: Man füllt ein Uhrglasschälchen
zu dreiviertel voll mit einer verdünnten Karbolsäurelösung (Acid. carbol. liquef.
Kleinere Mitteilangen And Referate aas Zeitschriften.
237
10,0 Aq. dest. ad 100,0) and läßt 1—2 Tropfen Urin in die Lösung fallen.
Sofort bildet sich bei Eiweißgehalt eine weißliche Trübung oder ein weißer,
wolkiger Niederschlag je nach der Menge des vorhandenen Albaniens. Die
Probe kann auch angewendet werden wie die Heller sehe Ringprobe. Der
gebildete Niederschlag läßt 6ich durch Na OH* und NH 3-Lösung wieder auf-
lösen, ein Beweis für seine Eiweißnatur. Die Trübung läßt sich, gegen einen
schwarzen Untergrund betrachtet, sehr gut bei täglichen Untersuchungen
abschätzen. Dr. R o e p k e • Melsungen.
2. Rückfallfleber.
Ueber eine neue dem Rückfallfleber ähnliche Kriegskrankheit. Von
Oberarzt Dr. Kombach. Deutsche med. Wochenschrift; 1916, Nr. 12.
Im April 1915 wurden bei drei verschiedenen Regimentern rekurrierende
Fieberanfälle beobachtet, die sich im Jnli verloren und erneut im November
bei denselben Truppenteilen auftraten. Sie boten folgendes klinische Bild:
Plötzliche Erkrankung mit leichten Kopf- und Kreuzschmerzen und nächtlichem
Schweißausbruch. Am 5. Tage neuer, schwerer Anfall von Kopfschmerzen,
außerdem Blutwallungen nach dem Kopf, Augendrücken, ziehende Schmerzen
in den Schienbeinen und oft Durchfall. Der 3. Anfall ist meist recht schwer,
hat drei Fiebertage und führt in der Regel den Kranken zum Arzt.
Während der ganzen Dauer der Erkrankung weiß-grau belegte Zunge,
Rachenschleimhaut entzündlich gerötet, Skleren leicht iktorisch, Lippen livid,
oft leichtes Oedem der Knöchelgegend; Milz immer, oft erheblich, ver¬
größert, Leber druckempfindlich, Bauchdecken gespannt, Sehnenreflexe lebhaft;
fast immer während eines Anfalles, öfters 2—3 mal, Herpes labialis. Urin
ergibt stark positive Urochromogenprobe und enthält meist Eiweiß. Leichte
Hyperleukozytose und mäßige Vermehrung der Lymphozyten. Hämoglobin¬
gehalt immer niedrig (50—60°/o). Die Widalsche Reaktion ist — bei den
Geimpften — anfänglich erhöht (1: 800), sinkt zumeist innerhalb von 14 Tagen
auf 1 : 100 ab. Die heftigen Schmerzen in den langen Röhrenknochen sind
während des Fieberanstieges oft unerträglich und können in unbehandelten
Fällen bis zu 2 Monaten anhalten.
Herzstörungen sind häufig; Verbreiterung nach links, Töne dumpf und
leiset, oft kurzes hystologiscbes Fauchen an der Herzspitze; Puls meist regel¬
mäßig. Die Temperaturkurve ist in der Mehrzahl der Fälle typisch.
Die rekurrierenden Fieberanfälle, die drei Tage dauern und mit Durchfall
einhergehen, legten den Gedanken an afrikanisches Rückfallfieber nahe. Durch
Arsen (Neosalvarsan und Solatio Fowleri) wurde sehr günstige Wirkung erzielt.
In den Tagen des Fieberanstieges sind im Blatausstrichpräparate gestreckte
und gewundene Fädchen (Spirillen?) beobachtet.
Da als erste Ueberträgerin des afrikanischen Rückfallfiebers die Kleider¬
laus festgestellt, erscheint die gründliche Entlausung der Truppenteile bei der
Bekämpfung dieser Krankheit geboten. Alle eingelieferten Kranken waren
stark von Läusen befallen; nach Entlausung wurde eine direkte Uebertragung
im Lazarett nie beobachtet. Dr. Roepke-Melsungen.
3. Typhus.
Tetragenussepsis nach Typhus abdominalis. Von Dr. A. Welz und
Dr. E.,Kalle. Deutsche med. Wochenschrift; 1916, Nr. 9.
Die Tetragenuskokken haben als saprophytische Begleitbakterien anderer,
meist chronisch-infektiöser Erkrankungen, besonders der offenen Tuberkulose,
oder als harmlose Mund- und Rachen bewohner in der Pathologie eine mehr
untergeordnete Bedeutung. Sie sind bisher nur sehr selten im strömenden
Blute nachgewiesen und als Erreger septischer Allgemeininfektionen erkannt
worden.
Die Verfasser haben innerhalb kurzer Zeit und an verschiedenen Orten
3 Fälle beobachtet, bei denen das Gemeinsame der Uebergang von
Tetragenuskokken insBlut in der Rekonvaleszenz vom Typhus
unter plötzlich anfallsweise auftretendem Fieber war. Die mit Schüttelfrost
einhergehenden, stark remittierenden Temperaturschwankungen erweckten den
Verdacht der Sepsis. Die kulturellen Blutuntersuchungen ergaben nicht
238
Kleinere Mitteilungen and Betonte nas Zeitschriften.
die beim Typhus häufigeren Mischinfektionen mit Staphylokokken, Strepto¬
kokken, Pneumokokken, Bakterium coli oder der Paratyphusgruppe, sonders
das rezidivierende schubweise Auftreten des Micrococcus tetragenas.
In einem Falle war das Vorhandensein von reichlich Tetragenus auch
im Sputum des Kranken gleichzeitig mit dem Befunde der Kokken im Blute
bemerkenswert; dabei fehlten tuberkulöse Veränderungen im Blute. Als Ein¬
gangspforte kommt wahrscheinlich die ulzerös veränderte Dannschleimhaut
nach der Typhoserkrankung in Betracht.
Der aus Blut-BoniUon und -Peptonwasser nach 24 Standen Bebrütung
angelegte Ausstrich zeigt gefärbt die in charakteristischen Verbänden gelagerten
Kokken, vielfach mit einer breiten Kapsel umschlossen. Uebereinstimmend
zeigen sie die leichte Färbbarkeit mit allen gebräuchlichen Anilinfarbstoffen,
am besten mit Metbylenbau, das positive Verhalten nach Gram und ihre
Unbeweglichkeit. In flüssigen Medien wachsen die Kokken meist in Tetraden,
auf festen Nährböden meist in Staphylokokken-Verbänden, lassen Milch und
Lakmnsmolke unverändert nnd vermögen Tranben-, Milch- und Rohrzucker in
Bouillon in Agar nicht zn vergären. Indol- nnd Schwefelwasserstoffbildnng
wnrde nicht beobachtet. Tierversuche fielen nicht immer positiv ans; bei
letaler Infektion waren die Kokken in den Organen der geimpften Mäuse
überall wieder nachweisbar.
Zeitlich fiel mit der Schüttelfrost- nnd Sepsisperiode eine eigentümliche
Bronzefärbnng umschriebener Haut- und Schleimhantpartien auf. Die voran¬
gehende Typhnserkrankung war in den 3 Fällen verschieden schwer. Die
3 ;glntinierenden Typhus-Antikörper waren im Blutserum noch nachweisbar,
s die nene Infektion einsetzte nnd — wie in einem Falle naebgewiesen —
zur Bildung von spezifischen, gegen die Tetragenusinfektion gerichteten
Agglntininen führte. Therapeutische Versuche mit intravenösen Kollargol-
infusionen hatten anf den au sich gutartigen Verlauf keinen deutlich sichtbaren
Einfluß. __ Dr. Roepke-Melsungen.
4. Keuchhusten.
Eine neue Behandlungsmethode des Keuchhustens. Von Prof.
U. Kraus-Buenos Aires. Deutsche med. Wochenschrift; 1516, Kr. 10.
Die Kontagiosität nnd das epidemische Auftreten des Keuchhustens
stützen die Anffassnng der Mehrzahl der Kliniker, daß der Keuchhusten eine
Infektionskrankheit und keine Nenrose ist. Eine Reihe von Autoren schreibt
anf Grund kultureller Untersuchungen dem Bacillus Bordet-Gengon eine
ätiologische Rolle za, während andere die einheitliche Aetiologie ablebnen.
Möglicherweise kommt dem Bacillns Bordet-Gengon nur eine sekundäre
Bedeutung zn.
Da nach Krans Eiweißkörper verschiedener nicht spezifischer Art
einen Einflnß anf den Verlauf von Infektionskrankheiten haben, suchte er
an Stelle des nicht züchtbaren Virus im Sputnm selbst das Mittel zur Be¬
handlung des Keuchhustens; er nimmt an, daß im Spntum der hypothetische
Erreger sein müsse nnd zugleich die Eiweißkörper, die die Krankheit beeinflassen.
Sputum von Kenchhustenkindern, das tuberkelbazillenfrei befunden, wird
möglichst steril gesammelt, gewaschen, mit Aether versetzt nnd in Flaschen
3—4 Tage lang auf der Schüttelmaschine geschüttelt. Nachher wird der Aether
verdampft und das homogenisierte Spntnm, auf Sterilität in Nährböden und
Tierkörpern geprüft, in Fläschchen zn 1 ccm gefüllt. Dieses Präparat wird
Kindern subkutan in Abständen von 2—3 Tagen in Mengen von 1—3 ccm
injiziert.
Nach dem Urteil der Kliniker, die das Präparat in 3 Spitälern angewandt
haben, ist das Mittel absolut unschädlich nnd setzt die Zahl nnd Dauer der
Anfälle herab. Der Charakter der Krankheit ändert sich insofern, als das
Erbrechen aufhört, der Auswnrf gering, schleimig, der Hnsten katarrhalisch
wird und in sehr vielen Fällen nach 10—14 Tagen aufhört, so daß die Krank¬
heit wesentlich abgekürzt wird. Jedenfalls bessert dus Mittel den Keuchhnsten
in einer Weise, wie es mit keinem anderen medikamentösen Mittel bis heute
möglich ist. _ Dr R o c p k c - Melsungen.
Kleines« Mitteilungen und Referate »ns Zeitschriften.
289
5. Tuberkulose.
Ueber den diagnostischen and prognostischen Wert der Wieder«
heloog lokaler Tnberknlinreaktlonen nebst Beiträgen zur Frage nach der
Taberkalin&bereinpAndllflhkelt. Von G. Bes sau and J. Sch wenke. Jahr¬
buch für Kinderheilkunde; 1914, Bd. 79, H. 2.
Die Verfasser haben an 163 Kindern im Alter von 9 Monaten bis
14 Jahren wiederholte intrakutane Injektionen von Koch sehen Alttuber-
knlin in den 8 verschiedenen Verdünnungen 1: 10000, 1 :1000, 1 :100 vor-
genommen, um die Steigerung der lokalen Tuberkulinempfindlichkeit zu
beobachten. Nach ihren Ergebnissen bedeutet im Kindesalter eine starke
lokale Tuberkulinempfindlichkeit (intensive Reaktion bei intrakutaner Ver¬
abreichung von 0,1 ccm Tuberkulin 1 : 10000) meist einen aktiven Prozeß.
Bei sehr starker Reaktionsfähigkeit ist der Prozeß meist als klinisch günstig
za beurteilen entsprechend der Auffassung, daß die lokale Reaktionsfähigkeit
eine Abwehrmaßregel des Organismus (des tuberkulösen R.) bedeutet.
Schwache Lokalreaktionen können entweder auf einen progredienten
oder anderseits auf einen abgeklungenen Prozeß hindeuten. Hier erweist
sich die Wiederholung der Tuberkulinreaktion als besonders wertvoll:
Starke Steigerung der lokalen Empfindlichkeit schließt einen aktiv
progredienten Prozeß mit sehr großer Wahrscheinlichkeit aus.
Die Frage, ob die Erscheinungsformen der Steigerung der lokalen
Tuberkulinempfindlichkeit mit denen der lokalen Serumüberempfindlichkeit eine
gemeinschaftliche Qenese aufweisen, wird verneint; ebenso die weitere
klinisch geprüfte Frage, ob bei der TuberkülinUberempfindlichkeit die Stärke
der intrakutanen lokalen und der durch subkutane Injektion ausgelösten
Allgemeinreaktion parallel geht. Dr. R o e p k e - Melsungen.
Vergleichende Tuberkulinuntersnchungen an Kindern ans tuber-
kntösen und nichttuberkulösen Familien. Von E. Dethloff-Bergen. Zeit¬
schrift für Tuberkulose; Bd. 25, Heft 2, 8.130.
Nach dem Ausfall der Pirquetschen Tuberküloseprüfungen, die in
Bergen an Kindern aus tuberkulösen und nichttuberkulösen Familien vorge¬
nommen wurden, geht die wesentlichste Ansteckung im Kindesalter innerhalb
der vier Wände des eigenen Heims vor sich. Die Reinlichkeit im Hause spielt
dabei eine sehr große Rolle, denn sämtliche Kinder aus den unreinlichen Häus¬
lichkeiten waren infiziert, während es -vorkam, daß keine oder nur die großen
Kinder aus den reinlichen Häuslichkeiten angesteckt waren.
Die Milch ist für die Ansteckung ohne Bedeutung: von 60 Kindern
unter 4 Jahren aus nichttuberkulösen Familien war keines infiziert, «von
67 Kindern aus tuberkulösen Familien 81. 73 Kinder hatten eine tuberkulöse
Mutter und 77 einen tuberkulösen Vater; von den Müttern reagierten 60 °/o positiv,
von den Vätern 76°/». Danach scheint die Tuberkulose des Vaters gefährlicher
als die der Mutter; das achtlose Spacken der Väter erklärt das vielleicht.
In den Häuslichkeiten mit an offener Tuberkulose leidenden Kindern waren
alle anderen Kinder infiziert. Die infizierten Kinder unter 5 Jahren boten
sämtlich eine starke Neigung zu Katarrhen im Respirations- und Darmtraktus.
Je jünger die Kinder, desto schlechter der Allgemeinzustand. Eine der
wichtigsten Forderungen im Kampfe gegen die Tuberkulose ist, die Kinder
und besonders die kleinen Kinder aus den tuberkulösen Häuslichkeiten zu
entfernen, um sie entweder in gesunden privaten Familien oder in Kinderheimen
bis aum 6.—6. Lebensjahr unterzubringen. Dr. R o e p k e - Melsungen.
Auftreten von Tuberkulose in einem Tale, in welchem bisher ein
sicherer Todesfall an Tuberkulose nicht bekannt war. Von BirgcrOVor¬
land. Zeitschrift für Tuberkulose; Bd. 25, Heft 2, S. 130.
In eiuem isolierten Gebirgstale Norwegens, in dem kein Todesfall an
Tuberkulose beobachtet war, wurden sämtliche 100 Einwohner mit der
Pirquetschen Tuberkulinprobe geprüft: es reagierten 54 %> positiv. Klinische
Tuberkulose wurde nachgewiesen 1. bei einem 26jährigen Mädchen, das seit
der Kindheit an Lupus litt; 2. bei einem 30jährigen Mann mit Ankylose nach
Cexitrn; 3. bei'einem 33jährigen Mann, dem ein Finger wegen Tuberkulose
240
Kleinere Mitteilungen and Beferato aas Zeitschriften.
amputiert war. Wahrscheinlich waren außerdem tuberkulöser Natur 2 Fälle
von Abszessen und 1 Fall mit phlyktänulärer Augenkrankbeit.
Als Träger und Ueberträger der tuberkulösen Infektion müssen zwei
tuberkulöse Lehrer angeschuldigt werden, die ^Umgangsschule“ in diesem
Kreise gehalten hatten.
Bemerkenswert ist, daß sämtliche Kühe mit Tuberkulin geprüft waren
und sämtlich eine negative Beaktion gezeigt hatten. Eine Infektion mit
bovinen Bazillen war also bei den positiv reagierenden Bewohnern auszu¬
schließen. Dr. Boepke- Melsungen.
Experimentelle Grundlagen für die Behandlung der Lungentuber¬
kulose mit Röntgenstrahlen. (Aus der Med. Klinik Freiburg i. Br.) Von
Priv.-Doz. Dr. Kiipferle und Priv.-Doz. Dr. Bacmeister. Deutsche med.
Wochenschrift; 1916, Nr. 4.
Die Verfasser haben die Wirkung der Böntgenstrahlen auf die hämatogen
und inhalatorisch erzeugte Lungentuberkulose in Tierserien zu erforschen
gesucht und über die grundsätzliche Bedeutung und Möglichkeit einer günstigen
Einwirkung, über die Art der Technik und die Vermeidung von Schädlichkeiten
Erfahrungen gesammelt, die es ermöglichten, diese Therapie mit Erfolg auch
beim Menschen anzuwenden. Sie stellten zunächst fest, daß durch Anwendung
harter, filtrierter Böntgenstrahlen eine beginnende, experimentell bei Kaninchen
gesetzte Lungentuberkulose zu unterdrücken, eine bereits entstandene zu heilen
ist. Getroffen wird durch die Böntgenstrahlen das relativ schnell wachsende
tuberkulöse Granulationsgewebe, das in Narbengewebe umgewandelt wird,
während eine Einwirkung der Böntgenstrahlen auf die Tuberkelbazillen Selbst
nicht stattfindet.
Zur Erzielung der Heilung ist eine Strahlen-Optimaldosis notwendig.
Zu kleine Dosen in langen Pausen haben keinen Einfluß. Sehr große Dosen
in schneller Folge ohne genügend große Beaktionspausen schädigen das normale
Lungengewebe und rufen Bronchitiden und Bronchopneumonien hervor. Im
Tierexperiment sind 20—23 X Oberflächenenergie mit Einschaltung von
3—6 tägigen Beaktionspausen zur Anregung und Beschleunigung des Heilungs¬
vorganges bei experimentell gesetzter hämatogener und Aspirationstuberkulose
notwendig. Durch Quarzlampenlicht wurde ein direkter Einfluß auf die
experimentelle Lungentuberkulose nicht erzielt.
Dr. Boepke-Melsungen.
Die Erfolge der kombinierten Quarzlicht-Böntgentiefentherapie bei
der menschlichen Lungentuberkulose. Von Priv.-Doz. Dr. Bacmeister-
St. Blasien. Deutsche med. Wochenschrift; 1916, Nr. 4.
Es wurden stationäre, zur Latenz neigonde Phthisen ohne Fieber, dann
fieberhafte, chronisch progrediente Fälle und endlich Kranke mit schwer
destruierenden und käsig-exsudativen Formen (Kavernenbildung) der Böntgen-
tiefenbestrahlung unterworfen; Ergebnis: Die Bestrahlung ist auch kein Allheil¬
mittel für alle Formen der menschlichen Lungentuberkulose. Getroffen wird nur
das relativ schnell wachsende tuberkulöse Granulationsgewebe, nicht der Bacillus
selbst. Günstig beeinflußt wird also nur die stationäre und die sich
chronisch entwickelnde Phthise mit relativ langsamer Aus¬
breitungstendenz. (Das sind die prognostisch günstigen Fälle, die
erfahrungsgemäß auch ohne Böntgenstrahlen zur Heilang kommen! Bef.)
Der kranke Lungenherd wird felderweise (12 :8, 8:8, 5:8 cm) bei
völliger Abdeckung der Umgebung je zweimal abwechselnd von vorn und von
hinten bestrahlt. Die Filterung geschieht durch 3 mm Aluminiumplatten; Dosis
10-15 X , so daß jeder Herd in 4 aufeinanderfolgenden Sitzungen (abwechselnd
von vorn und von hinten) 40—60 X erhält. Wöchentlich 2, höchstens
3 Sitzungen.
Besser sind die Erfolge der kombinierten Quarzlampen- und Röntgen-
tiefenbestrahlungen. B. beginnt mit wenigstens 6 Quarzlampenbestrahlungen
(wöchentlich 3), dann folgt die Röntgenbestrahlung, wie oben angegeben, und
schließlich wird die Behandlung mit 6 Sitzungen unter der künstlichen Höhen¬
sonne abgeschlossen.
Die Böntgenbestrahlung ist keine indifferente Methode; falsche Technik,
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
241
vor allem Ueberdosierung ist zn vermeiden. Häufig beobachtet man V* Tag
nach der Bestrahlung Unlust, leichte Unruhe, Kopfschmerz, kleine Temperatur-
Steigerungen (Röntgenjammer). Eine Allgemeinkur und Dosierung der Be¬
wegung ist gleichzeitig immer am Platze. Die Strahlenbehandlung der Lungen¬
tuberkulose läßt sich nur im Rahmen einer klinisch-diätetischen Allgemein¬
behandlung durchführen; sie wird daher weniger Sache der Röntgenolegeu und
Krankenhäuser als der Sanatorien und Heilstätten sein.
_ Dr. R o e p k e - Melsungen.
Zur Frage nach den Beziehungen des AlkohoHsatas zur Tuberkulose.
Mitteilungen von Prof. J. Orth in der 8itzung der Kgl. Preuß. Akademie der
Wissenschaften. Besprochen von C. Hart. Zeitschrift für Tuberkulose;
Bd. 26, Nr. 8.
Der Alkoholismus schafft sicher disponierende Mißstände (Wohnungs¬
elend, schlechte Ernährung) für die Tuberkulose, insbesondere die Lungen¬
schwindsucht. Er fördert also indirekt auf dem Umwege durch soziales Elend
die Tuberkuloseerkrankungen. Orth legt auch kein Wort zugunsten des
Alkohols ein; er will vielmehr nur den Kampf gegen den Alkohol auf feste
wissenschaftliche Grundlage gestellt wissen. Denn die wissenschaftliche
Forschung muß feststellen, ob und inwieweit der Alkohol als solcher wirkt
oder — nicht wirkt.
Orth beweist im Gegensatz zu Bertillons Kartenskizzen, daß die
Häufigkeit der Tuberkulosetodesfälle nicht parallel verläuft der Höhe des
Alkohol-, insbesondere des Branntweinverbrauches, auf den Kopf der Bevölke¬
rung berechnet. Auch die stärkere Beteiligung des männlichen Geschlechts
an der Tuberkulose beweist nicht, daß der Alkohol die Ursache dafür ist. Daß
unter den Tuberkulosetodesfällen eines Jahres bei Personen von 8—40 Jahren
die weiblichen Personen überwiegen, spricht dagegen. Endlich hat die' ex¬
perimentelle Forschung keinen direkten Zusammenhang zwischen Alkohol und
Tuberkulose einwandsfrei nachweisen können.
Gegen diese erste Mitteilung Orths sind Vorwürfe allgemeiner Art und
Einwände erhoben, die von Ortn in der zweiten Mitteilung zurückgewiesen
werden durch Gegenüberstellung von statistisch gewonnenen Zahlen der patho¬
logischen Anatomie. Er weist nach, daß in den Alkoholgewerben die Tuber-
kulosesterblichkeit eine durchweg niedrigere ist, als aus den meisten anderen
Ursachen. Es ergibt sich ferner, daß die Zahl der Tuberkulösen bei den Säufern
mit der bei der Gesamtheit übereinstimmt, daß aber ein wesentlicher Unter¬
schied in der Schwere der Erkrankung zugunsten der Alkoholiker besteht,
indem bei diesen nur 13,4 °/o (gegen 22*/ 0 der Allgemeinheit) eine fortschreitende,
dagegen 16,1 */• (gegen 8°/o der Allgemeinheit) eine ruhende nnd geringfügige
Erkrankung darboten. Und noch günstiger als bei der Gesamtheit der Alkoholiker
stellen sich die Tuberkuloseverhältnisse bei den an Säuferwahnsinn Gestorbenen;
von 78 Deliranten zeigten 60 (d. s. rund 77°/o) völlig tuberkulosefreie At¬
mungsorgane (gegen 70°/o der Allgemeinheit), und von den 18 überhaupt mit
Tuberkulose Behafteten nur 6 = 7,3 °/o (gegen 22 °/o) eine fortschreitende und
12 = 15,6 °/ 0 (gegen 8®/®) eine geringfügige und ruhende Tuberkulose.
Ferner: Jenseits des 40. Lebensjahres standen 144 Alkoholiker (gegen 74);
die Mehrzahl der Tuberkulösen unter ihnen (38 = rund 3 /s) gehörte dem höheren
Lebensalter an. Von den im Alkoholgewerbe beschäftigten Männern
waren 83'/*°/o (gegen 70°/o der Gesamtheit) völlig frei von Tuberkulose, 16 */ a °/o
(gegen 30®/o) boten überhaupt nur tuberkulöse Veränderungen und nur 8 l / s (gegen
22®fa) eine fortschreitende Tuberkulose. Danach waren die in der Charitö in
Berlin verstorbenen Gastwirte, die nachweislich Trunkenbolde waren, in bezug
auf die Lungentuberkulose weit besser gestellt, als die Gesamtheit der in
demselben Krankenhaus verstorbenen Männer über 15 Jahre.
Endlich weist Orth aus Zusammenstellungen nach, daß die Tuberkulose¬
todesfälle in den letzten 20 Jahren ganz erheblich zurückgegangen sind, bei
den Männern im stärkeren Maße als bei den Frauen und ganz besonders stark
im 7. Lebensjahrzent, während die Todesfälle an Säuferwahnsinn nicht ent¬
fernt eine gleiche Abnahme und gerade für das 7. Lebensjahrzent eine recht
beträchüiche Steigerung erfahren haben. Nach allem kommt Orth zu dem
8ohluß: „Es bleibt also dabei, daß der Nachweis, daß beim Menschen der
242 Kleinere Mitteilungen and Befer&te aas Zeitschriften.
Alkoholismus eine große Menge von Männern der Tuberkulose in die ine
führe, in keiner Weise erbracht ist, daß im Gqjenteil vieles dafür spricht, daß
der Alkohol in bezog auf die Schwindsucht nioht nur nichts schadet, sondern
daß die Alkoholiker der Tuberkulose gegenüber günstiger gestellt sind als
die Nüchternen.“
Eine weitere Mitteilung über die experimentelle Seite der Frage stellt
Orth in Aussicht. Dr. Boepfee-Melsungen.
6. Lupus.
Tätigkeit der Lupnskonimlssion des Deutschen Eentra&oaritees zur
Bekämpfung der Tuberkulose im Kriegsjahr 1914. Zeitschrift für Tuber¬
kulose: Bd. 25, H 3.
Obwohl viele Aerzte und Leiter der Sonderanstalten für Lup.nskratfke
zurzeit im Felde oder im militärischen Dienste stehen, ist die Zahl der von
der Lupuskommission vermittelten Heilverfahren für heilungs- und besserungs¬
fähige Lnpuskranke gegenüber dem Jahre 1918 nur unerheblich znrüoc-
gegangen. Auf Veranlassung der unter Vorsitz des Ministerialdirektors Prof. Dr.
Kirchner arbeitenden Kommission wurden 1909: 10, 1911: 163, 1912 : 816,
1913 : 395 und 1914 : 337 Kranke behandelt und größtenteils geheilt entlassen.
Die hierfür von der Kommission aufgewandten Kosten sind in der gleichen
Zeit von 2300 M. auf 17—20000 M. gestiegen. Dem Zweck, die Lupus¬
erkrankungen in allen Fällen so früh als möglich zu erkennen und der Be¬
handlung zu unterwerfen, dienen 48 Lnpusheilanstalten, die über das ganze
Beich verstreut sind, ferner eine 1912 begonnene Zählkartenforschung, durch
die bisher 6000 Lupuskranke im Deutschen Beiche ermittelt sind, und die alle
2—3 Jahre stattfindenden Lupus-Ausschußsitzungen, in denen über neue Mittel
upd Wege der Lupuserkennung und Lupusbehandlung verhandelt wird.
Dr. Boepke-Melsnngen.
E. Hygiene and öffentliohee Oesandbelteweeen.
1. Wohnungshygiene.
Wohnungsnot. Von Dr. Wilhelm Fei 1 chenfeld-Berlin*Charlotten¬
burg. Halbmonatsschrift für soziale Hygiene und praktische Medizin. Jahr¬
gang 24, Nr. 5, 2. März 1916.
Verfasser wünscht, daß für die Arbeiterbevölkerung bessere und billigere
Wohnungen beschafft werden; es müßten von den Stadtverwaltungen Häuser
mit kleinen Wohnungen gebaut und die Verkehrsmittel nach den Vororten ver¬
mehrt werden, ln einem Umkreis von mindestens 25—30 km um Groß-Berlin
herum müßten Verkehrsverbindungen vorhanden sein, die ermöglichten, in dem
genannten Umkreise Wohnungen zu bauen und bequem zu benützen.
Dr. Hoffmann -Berlin.
2. Abwässer beseitig ung.
Besehreibung der Abwässer-Kläranlage der Tuch* und FlaneUfabrlk
W. Lewin In Güttingen. Von Gewerbeinspektor Bannert und Ingenieur
Spanner. Zentralblatt für Gewerbehygiene; 1916, Nr. 2—3.
Das im Abwasser noch enthaltene unverseiftc Fett wird in eine schaumige
Masse verwandelt, die auf den Abwässern schwimmt. Da dieser Schaum, der
also einen Teil der Seife und des Fettes enthält, auf mechanischem Wege von
der Oberfläche des Abwassers entfernt werden kann, vermeidet man die Aus¬
fällung dieses Fettes und dieser Seife. Der Best muß natürlich gefällt werden.
Das Verhältnis, in dem die Scbaumbildnng einerseits und die Ausfällung
mit Kalk anderseits zur Beseitigung des Fettes und der Seife mit beigetragen
bat, konnte nicht genau ermittelt werden. Man wird aber nicht fern gehen,
wenn man annimmt, daß in dem Schaum 2 ,s des gesamten Fettes und der Seife
enthalten sind und daß nur s mit Kalk zur Ausfüllung gelangt.
Dr. Wolf-Hanau.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
248
Abwässerpflege und Milzbrand. Von Prof. Dr. P. R o h 1 a n d - Stuttgart.
Halbmonatschrift für soziale Hygiene und praktische Medisin; Jahrgang 24,
Nr. 2, 20. Januar 1916.
Bei der Abwässerklärung und -reinigung ist mechanische, chemische und
biologische Klärung und Reinigung zu unterscheiden. Klärung und Reinigung
-sind streng auseinander zu halten. Verfasser bespricht sodann 2 Fälle, in
denen Lederfabriken dadurch geschädigt wurden, daß in ihren Abwässern Milz-
brandsporen und Bazillen enthalten sein sollten. In dem einen Fall sollte der
Röhrenstrang, der zum Durchleiten des Abwassers diente, undicht sein und so
.eine Milzbrand Verseuchung entstehen können. In dem anderen Falle war das
im Vorfluter verdünnte Abwasser als Düngemittel für Wiesen verwandt werden
und nun sollte evtl, das Heu Milzbrandsporen enthalten. Es gibt jedoch noch so
unzählige Fälle, wie die Milzbrandsporen auf jene Aecker gelangt sein können,
daß beim Entstehen einer Milzbrandverseuchung keineswegs dem Abgang der
Lederfabriken die Schuld- ohne weiteres beizumessen sei. Hier können erst
gründliche Untersuchungen zum Ziele führen. Im übrigen sei im Chlorkalk
und in anderen Substanzen ein leicht anzuwepdendes und billiges Mittel vor¬
handen, um 4 eine Milzbrandverseuchung im Keime zu ersticken.
Dr. Hoffmann -Berlin.
3. Gewerbehygiene.
Zur Frage der Ausscheidung gewerblicher Gifte durch die Atmung.
Von Prof. Dr. Ram b ou se k - Prag. Zentralblatt für Gewerbehygiene;
1916, Nr- 3.
Es zeigte sich, daß Anilin selbst oder auch als Salz (Sulfat), sei es
intravenös oder subkutan oder auch per os gegeben, nngefähr im gleichen Ver¬
hältnis und Zwar etwa zu l°/o von der gegebenen Menge ausgeatmet wird,
wobei die Anilinausscheidung durch die Atmung mehr wie 24 Stunden nach
der Darreichung andauert und die ausgeatmete Anilinmenge allmählich
abnimmt. Phen.ol, Blausäure, Schwefelwasserstoff konnten in der Exhalations-
luft nicht festgestellt werden, dagegen Phosphor.
Dr. Wolf-Hanan.
Sind die elektrischen Zweizellenbäder ein therapeutischer Heilfaktor
bei Bietkranken2 Von San.-Ral Dr. Böttrich-Hagen i. W. Zentralblatt
für Gewerbebygiene; 1916, Nr. 2—3.
1. Die elektrischen Bäder auch in Form der Zweizellenbäder sind seit
langem im Gebrauch.
2. Es ist ein Verdienst Olivers, die elektrischen Zweizellenbäder in
leicht herstellbare Formen gebracht und zu experimentellen Untersuchungen
auf Bleiausscheidung mit denselben angeregt zu naben.
3. Durch die Zweizellenbäder scheint die Ausscheidung von Blei aus
dem Organismus gefördert zu werden.
4. Die Zweizellenbäder scheinen keinen nachteiligen Einfluß auf den
Organismus oder einzelne Teile desselben auszpüben.
5. Die Anwendung der elektrolytischen Zweizellenbäder empfiehlt sich
in allen Fällen, wo Bleierkrankungen oder wo Verdacht auf diese vorliegt,
oder bei denen eine Aufnahme von Bleiprodukten nachweisbar ist (Prophylaxe).
Dr. Wulf-Hanau.
4. Schulhygiene.
Aerztliche Erfahrungen an den Schulkindergarten der Städtischen
Volksschule zu Dortmund. Von Stadtschularzt Dr. Steinhaus Der
8chularzt; 1916, Nr 3.
Die Einrichtung eines Schulkindergartens ist in Dortmund auf Anregung
des Verfassers nach dem Vorbild und den günstigen Erfahrungen in Charlotten¬
burg getroffen. Die Kinder werden aus zwei Volksschulen genommen, und
zwar aus solchen Lernanfängern ausgewählt, die wegen allgemeiner Körper¬
schwäche noch nicht für schulbesuchsfähig anzusehen sind. Verfasser berichtet
über die Erfahrungen, die mit einem solchen Schulkindergarten mit 22 Kindern
gemacht wurden. Die Erfolge können als durchaus befriedigend bezeichnet
244 Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
werden; das Körpergewicht und die Körpergröße zeigten nach Ende des'Schul¬
jahres eine erfreuliche Zunahme.
Im Schulkindergarten, der als eine obligatorische Einrichtung gelten
soll, werden die Kinder einem Unterricht an leichten Stoffen unterzogen, im
übrigen im Freien mit Spielen und dergl. beschäftigt. Mit Rücksicht darauf,
daß alljährlich rund 6 Proz. aller schulpflichtig werdenden Kinder noch nicht
für schulbesuchsfähig anzusehen sind und für den Schulkindergarten in Betracht
kommen, verdient die Einrichtung der Schulkindergärten allgemein eingeführt
zu werden. Die Einriohtungskosten betragen etwa 8000 bis 13000 Mark pro
Garten und 70 bis 80 Kinder. Gerade in der Jetztzeit, wo es auf die Auf¬
zucht eines gesunden und körperlich kräftigen Nachwuchses ankommt, sollten
alle Mittel, die verfügbar sind, angewendet werden.
Dr. Solbrig-KOnigsberg L Pr.
Erhebungen über die Terbreitung des Scbnlarztwesens ln Oester¬
reich. Von Leo'Burger stein-Wien. Der Schularzt; 1916, Nr. 2.
Diese Erhebungen wurden von Verfasser auf Anregung der Oester-
reichischen Gesellschaft für Schulhygiene durch ausgesandte Fragebogen ver¬
anstaltet. Der Krieg mit seinen Folgen beeinträchtigt die Vollständigkeit der
Ergebnisse. Immerhin ist die Arbeit nicht erfolglos gewesen. Im ganzen
wurden die Erwartungen des Verfassers über die Ausbreitung der Schularzt¬
einrichtung in Oesterreich übertroffen. Es werden nur solche Einrichtungen
berücksichtigt, bei denen zum mindesten jeder. Schüler während seines Schul¬
besuches einmal allgemein ärztlich untersucht wird, denn Burgerstein legt
mit Reoht bei der Schularztfrage den größten Wert auf die Schülerunter¬
suchung mit ihren Folgen wie Raterteilung. — Im Juli 1914 waren in Oester¬
reich über 27000 Schulen mit über 6 Millionen Schüler vorhanden; den bei
weiten größten Teil machen natürlich die niederen Schulen aus (über 24000
Schulen mit über 4 l /* Millionen Schüler). Von den einzelnen Kronländern steht
Schlesien obenan, da hier 14 Proz. der Volksschulen .bereits mit Schulärzten
versehen sind. Die niedrigsten Ziffern (2 Prozent und darunter) Anden sich in
Tirol, Niederösterreich, Salzburg u. a. Bei den Mittelschulen ist Nieder¬
österreich an der Spitze. In den Lehrerbildungsanstalten ist wenigstens der
Anfang mit der Schularzteinrichtung gemacht. Dagegen ist diese Einrichtung
in den Anstalten für gewerbliche Bildung noch recht wenig entwickelt. Ver¬
fasser verspricht sich von literarischen Verbreitungen über die Schularztein¬
richtungen mancherlei Nutzen und erhofft für sein Heimatland eine weitere
Ausbreitung der segensreiehen Schularzteinrichtung.
Dr. 8 o 1 b r i g - Königsberg i. Pr.
Mitteleuropäische Gemeinschaft für Schulgesundheltspflegfe. Von
Fr. Lore nt z. Zeitschrift für Schulgesundheitspflege; 1916, Nr. 3.
Die Bestrebungen von deutscher Seite und den mit Deutschland jetzt im
Kriege verbundenen Mächten zur Begründung eines engeren politischen und
wirtschaftlichen Zusammenschiasses haben Lorentz angeregt, eine „mittel¬
europäische Gemeinschaft für Schulgesundheitspflege“ ins Leben zu rufen. Die
„Internationale Gesellschaft für Schulhygiene“ hat, wie er wohl mit Recht be¬
merkt, für unsere deutsche Schulgesundheitspflege nicht befruchtend gewirkt,
dazu kommen die politischen Verhältnisse, Rassenunterschiede usw., die hier
hinderlich wirken. Dagegen wird die dauernde Interessengemeinschaft der
mitteleuropäischen Bundesstaaten auch für die Erziehung des jugendlichen
Nachwuchses manche gleichartige Ziele und Anforderungen stellen, besonders
auch in bezug auf die militärische Jugenderziehung.
Wenn es auch noch zu früh ist, die Aufgaben solcher Arbeitsgemein¬
schaft im einzelnen zu bestimmen, so ist es nach Lorentz sicher schon Zeit,
eine Sammlung aller schulhygienisch interessierter Kreise der verbündeten Länder
zu gemeinsamer Arbeit anzubahnen. Dr. Solbrig-Königsberg i. Pr.
5. Soziale Hygiene.
Die ßevölkerungsfrage. Von Med.-Rat Dr. R i c h t e r - Königsberg i. Pr.
Deutsche med. Wochenschrift ; 1916, Nr. 9.
Billige, gesunde Wohnungen, billige, gesunde Nahrung, Schutz der
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. $>4b
Matterschaft und des Nachwuchses sind die Hauptforderungen in der. Be-
völkerungsfrage, aus denen sich alles andere von selbst entwickeln wird.
Verfasser kommt daher zu der Forderung eines Reichs-Bevölkerungs-
amts mit Abteilungen fttr Wohnungspflege (Reichs-Siedlungsamt),
f&r Marktaufsicht (Reichs-Marktamt) und für Pflege des Nachwuchses
im weitesten Sinne vom Kinde im Mutterleibe bis zum jugendlichen Arbeiter
(Reichs-Jugendamt). Das so fttr die Volksgesundheit angelegte Kapital
ist auch finanztechnisch richtig angelegt und befriedigt ethisch voll; auf ihm
liegt keine öde Gleichmacherei. Dr. Roepke-Melsungen.
Der Geschlechtsbruch In der Bevölkerungsstatistik. Von Dr< v. E y k -
Huisen (Holland). Archiv fttr soziale Hygiene; Bd. 11, H. 3.
Unter Gesehlechtsbruch versteht Verfasser das Zahlenverhältnis zwischen
der lebenden männlichen und weiblichen Bevölkerung. Die Ursache des Größer¬
werdens des Geschlechtsverhältnisses bei der Bevölkerung liegt in diesem
Jahrhundert in den Fürsorgemaßnahmen, die im Hinblick auf die männliche
Bevölkerung genommen worden sind. Dr. Wolf- Hanau.
■j .» ..
Ueber den Einfluß der kriegsmäßig veränderten Ernährung. Von
F. Sommel-Jena. Deutsche med. Wochenschrift; 1916, Nr. 12.
Nach.Eltzbacher hat der Kalorienverbrauch des deutschen Volkes
um 59°/o, der Eiweißverbranch um 44°/o dem physiologischen Bedarf über¬
stiegen. Wie nun der praktische Erfolg der kriegsmäßig veränderten Er¬
nährungsweise ist, sucht L. an bestimmten Menschengruppen festzustellen, und
zwar wählte er Dir die Untersuchungen die Altersklassen, in denen das stärkste
Wachstum des Körpers erfolgt, die Säuglingszeit und die Ent¬
wicklungszeit.
Es wurden aus den Gewichtszahlen der der Jenenser Poliklinik ange¬
gliederten 9äuglingsfttrsorgestelle Durchschnittwerte berechnet durch Zusammen-
rassen und Gegenüberstellen der jeweils im 1., 2. bis 12. Monat befindlichen
Säuglinge einesteils der Jfhre 1913 und 1914, andernteils des Jahres 1915.
Die einzelnen Gruppen waren hinreichend groß, um zuverlässige Mittelwerte
zu ergeben. Es zeigte sich bei Brustkindern und bei unnatürlich Ernährten
im Jahre 1915 nicht die geringste Veränderung im Wachstum. Mit Normal¬
kurven Camerers verglichen, ergaben die Kurven vor und während des
Krieges eine fast vollkommene Uebereinstimmung.
Als Beobachtungsmaterial des Pubertätsalters dienten die jugeadlichen
Arbeiter und Lehrlinge der Firma Carl Zeiss in Jena, die seit Jahren halb
jährlich untersucht werden. Die jungen Leute wurden in Gruppen von 18*/s-
14, 14*/a bis 18 Jahren eingeteilt, ihr Gewicht und die Körperlänge festgestell,
und die Zahlen zu Ende 1915 in Vergleich gesetzt mit den aus den voraust
gegangenen Wägungen berechneten Durchschnittswerten. Es zeigte sich dabei-
aaß die Gruppe der 15 1 /»jährigen den früheren Durchschnitt an Körpergewicht,
überragte, während alle anderen Gruppen etwas dahinter zurückblieben. Der
Unterschied ist aber bei den 16, 16'/» und 17jährigen so gering, daß er ver¬
nachlässigt werden kann. Nur die 14'/» und l&jährigen waren erheblicher
zurückgeblieben; sie gehörten aber von vornherein einem stark untergewichtigen
Jahrgang an und hatten im Laufe des 2. Halbjahres 1915 einen recht günstigen
Zuwachs erzielt.
Alle jungen Leute hatten eine um 25°/o verlängerte Arbeitzeit, teilweise
Nachtschichten. Wenn trotz dieser erhöhten Leistung wesentliche Gewichts¬
unterschiede fehlen und der allgemeine Eindruck der Untersuchten keine An¬
zeichen einer Verchlechterung gegen früher erkennen läßt, so kann der Schluß'
gesogen werden, daß die veränderte Ernährung bis jetzt (Ende
1915) zu keiner Schädigung der untersuchten Bevölkerungs¬
klasse geführt hat. Dr. Roepke-Melsungen.
-. . . i
Die Ernährung der Kopfarbeiter. Von Dr. Hindhede, Direktor des
Laboratoriums für Ernährungsuntersuchungen in Kopenhagen. Berechtigte
Uebersetzung von Gertrud Bauer. Halbmonatsschrift für soziale Hygiene
und praktische Medizin; Jahrg. 24, Nr. 2, 20. Januar 1916.
Verfasser meint, daß die Forderung von Cohnheim als Eiweißminimum
246
Kleinere Mitteilungen and Ijtoferate am Zeitschriften.
für den Kopfarbeiter 100 g za rechnen, veraltet sei, er rechnet die Hälfte, also
50 g. Die Versuche haben gezeigt, daß sogar mit noch erheblich weniger aus-
zukommen ist. Bei diesen Versuchen bestand die Nahrang hauptsächlich aus
Kartoffeln. H. betont ausdrücklich, daß Fleisch-, Kartoffel* und Brot »Eiweiß
ganz denselben Nährwert haben; Brot und Kartoffeln seien deshalb von emi¬
nenter Bedeutung, und es sei gefährlich, die Menge dieser Nahrungsmittel
berabzusetzen, viel eher könne die Fleischnabrung, speziell Schweinefleisch, ver¬
mindert werden. Wenn in schwerer Zeit nicht Nahrung genug vorhanden sei,
dann müsse für die Mästung eines Schweines 1,7 Mann hungern; der Schweine¬
bestand müsse daher herabgesetzt und darauf gedrungen werden, mehr Brot
und Kartoffeln zu essen. Dieses müsse zur Ueberzeugung des Volkes werden,
das bis jetzt verbleudet sei durch ein Menschenalter des Irrtums. Deutschland
sei sich klar darüber, daß es gegen viele Großmächte zu kämpfen habe, aber
es sei sich noch lange nicht klar genug darüber, daß es auch noch mit einer
anderen Großmacht kämpfe, die vielleicht gefährlicher sei als alle anderen,
nämlich — gegen das deutsche Schwein. — Ob wirklich unsere Ernährung so
unzweckmäßig gewesen ist ?! Dr. H o f f m a n n - Berlin.
Tagesnachrichten.
An* dem Belohn tage. Der dem Reichstage vorgelcgte neue Haus¬
halt für das Jahr 1916 bringt auf dem Gebiete des öffentlichen Gesundheits¬
wesens gegenüber dem Vorjahre wenig Aendernngen. Dies gilt insbesondere
vom Gesundheitsamt«, dessen ordentliche Ausgaben sich nur durch den Mehr¬
bedarf an Gehältern (infolge höheren Dienstalters) etwas höher stellen: 934606
gegen 926158 Mark im Jahre 1915. Erfreulicherweise sind jedoch wiederum
unter den einzelnen Ausgaben des Reichsamts des Innern
166000 M. für die Bekämpfung des Typhus, 10000 M. für Versuche
zur weiteren Erforschung der Pocken, 100000 M. zu den Unterhaltungs¬
kosten einer Anstalt für die Bekämpfung der Säuglingssterblich¬
keit im Deutschen Reich sowie 160000 M. für die Förderung der Er¬
forschung und Bekämpfung der Tuberkulose vorgesehen; des¬
gleichen 6 Mill. M. für die Förderung der Herstellung geeigneter
Kleinwohnungen für Arbeiter und gering besoldete Beamte.
Hierzu hat der Wohnungsaussehuß des Reichstages beschlossen, die verbündeten
Regierungen zu ersuchen, im nächsten Reichshaushalt diesen Betrag zur
Förderung des Klein Wohnungsbaus („Reichswohnungsfürsorgefonds*)
auf 10 Millionen Mark zu erhöhen und außerdem als regelmäßige Ausgabe
einen Betrag von 300U0 M. einzusetzen zur Unterstützung derjenigen Ver¬
einigungen, die die allgemeine Förderung des Kleinwobnungswesens bezwecken.
Endlich wird von dem Wohnungsausschuß noch eine Ergänzung des Gesetzes
vom 10. Juni 1914, betr. Bürgschaften des Reiches zur Förderung
des Baues von Kleinwohnungen, angestrebt, wodurch die Wirkungen
-dieses Gesetzes vor allem auch den Kriegsteilnehmern udü deren Hinterbliebenen
zugute kommen sollen. Danach soll der Reichskanzler die Ermächtigung er¬
halten, zur Förderung der Herstellung von geeigneten Kleinwohnungen für
Darlehen an Gemeinden, Kommunalverbände und gemeinnützige Unternehmungen
Bürgschaften bis zum Gesamtbetrag von 250 Millionen Mark
zu übernehmen. — Es ist jedoch fraglich, ob der Reichstag und später der
Bundesrat diesem Vorschläge seine Zustimmung erteilen wird.
Dem Reichstag ist jetzt auch der Gesetzentwurf, betreffend Herabsetzung
der Altersgrenze für die Leistung der Altersrente vom 70. auf das 66. Lebens¬
jahr vorgelegt. Die wichtigsten Bestimmungen des Entwurfes lauten:
Artikel 1.
Die §§ 1267, 1292, 1392, 1397 der Reichsversicberungsordnung erhalten
die folgende Fassung:
§ 1267. Altersrente erhält der Versicherte vom vollendeten fünfund-
sechzigsten Lebensjahr an, auch wenn er noch nicht invalide ist,
§ 1292. Der Anteil der Versicherungsanstalt beträgt
bei Witwen- und Witwerrenten drei Zehntel,
bei Waisenrenten für eine Waise drei Zwanzigstel, für jede weitere ein
Zwanzigstel
Kleinere Mitteilungen und Referate am Zeitschriften.
247
db» Grandbetrages nnd der Steigerungssätze der Invalidenrente, die der Er¬
nährer zur Zeit seines Todes bezog oder bei Invalidität bezogen hätte.
§ 1892. Bis auf weiteres wird als Wochen hei trag erhoben
in Lohnklasse I: 18, II: 26, ID: 84, IV: 42, V: 60 Pfennig.')
Artikel 4.
Die Vorschriften dieses Qesetzes treten bezüglich der §§ 1892, 1397 mit
dem 1. Januar 1916 in Kraft.
Ueber die Steuerpflicht der der Heeresverwaltung vertraglich ver¬
pflichteten Zivilfinte ist auf den Antrag des Reichstages vom 26. August 1916,
in dem um Steuerfreiheit dieser Aerzte ersucht wird, jetzt folgender Bescheid
des Bundesrats ergangen:
„Die Zugehörigkeit zum aktiven Heere (§ 38 Reichsmilitärgesetz) hat
ein öffentlich-rechtliches Verhältnis der betreffenden Personen zum Heere zur
Voraussetzung. Das ist bei den auf Grund eines privatrechtlichen Dienst¬
vertrages angenommenen Zivilärzten nicht der Fall. Aus den Materialien zum
Reichsmilitärgesetz und aus der Betrachtung des § 38 A 1 und B1 des Reichs¬
militärgesetzes ergibt sich, daß mit den Aerzten unter B Ziffer 2 a. a. 0. in¬
aktive, für Kriegsdauer wieder angestellte Sanitätsoffiziere gemeint sind.
Wegen der Rückwirkung auf andere von der Heeresverwaltung privat¬
rechtlich angenommene Personen ist eine Aenderung des Reichsmilitärgesetzes
zugunsten der vertraglich verpflichteten Zivilärzte nicht angängig. Da die
Steuerfreiheit vom Militäreinkommen im Falle einer Mobilmachung nach § 46
Abs. 2 des Reichsmilitärgesetzes nur den aktiven Heeresangehörigen (§ 38) zu¬
steht, kommt sie auf den Grund eines privatrechtlichen Vertrages von der
Heeresverwaltung angenommenen Aerzten nicht zu. In diesem Sinne hat der
Preußische Finanzminister bereits am 19. April 1916 einen Erlaß an die Steuer¬
behörden ergehen lassen. Den bei der fechtenden Truppe einschließlich Sanitäts¬
kompagnien tätigen Vertragsärzten ist eine zweite Ausrüstungsent-
schadigung entsprechend dem zweiten Mobilmachungsgelde gewährt worden."
Um eine möglichst gleichmäßige Ernährung der BevQlkerung mit
Fleisch sicherzustellen, ist man jetzt vielerorts zur Ausgabe von Fleischkarten
übergegangen. In den süddeutschen Staaten ist diese fast überall für den
ganzen betreffenden Bundesstaat eingeführt, in Württemberg seit dem
17. April. Danach erhält jede Person (mit Ausnahme der Kinder, bis zu
6 Jahren, die nur die Hälfte erhalten) Karten für 160 g Fleisch (mit ange¬
wachsenen Knochen), auch Wild und Geflügel, Wurst usw. für den Tag unter
Ausschluß der beiden fleischlosen Tage. Bis zum 17. April dürfen Dauer-
ftdachwaren, Schinken und Dauerwurstwaren nur noch im Aufschnitt verabfolgt
werden; der Verkauf von Fleischkonserven ist in dieser Zeit überhaupt ver¬
boten. Außerdem ist auch bestimmt, daß bei der Zumessung von Fleischkarten
die vorhandenen Vorräte zu berücksichtigen sind. In den anderen süddeutschen
Bundesstaaten ist die Tagesportion meist auf 160 g festgesetzt.
Me Gesundbeterei und christliche Wissenschaft vor dem Reichs¬
gericht. Der bekannte Prozeß gegen die Gesundbeterinnen Hüsgen und
Ahrens, der im November v. Js. in der Strafkammer des Landgerichts III
in Berlin spielte und zu ihrer Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung der
Schauspielerinnen Butze und v. A r n o 1 d führte, *) hat jetzt vor dem Reichs¬
gericht seinen Abschluß gefunden. Der höchste Gerichtshof hat sich der
Entscheidung des Landgerichts angeschlossen und die dagegen erhobene
Revision durch Urteil vom 14. d. M. verworfen (s. die Beilage Rechtsprechung
und Mediiiaalgesetzgebung zur heutigen Nummer der Zeitschrift, 8. 41).
Nachruf. Leider ist Wieder einer unserer jüngeren Medizinalbeamten,
Kreisarzt Dr. Fohrs -Czarnikau, infolge einer im Felde zugezogenen Infektion
mit Flecktyphus gestorben. Er hatte den ganzen Feldzug bisher als Stabs-
') Die Erhöhung des Wochenbeitrages beträgt gegen früher 2 Pfg.
*) S. Bericht darüber in Nr. 16 dieser Zeitschrift, Jahrg.1916, S. 726/726.
24&
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
arzt d. Res. mitgemacht, sich das Eiserne Kreuz U. Klasse erworben and
zaletzt die ebenso ehren- wie verantwortungsvolle Stellung eines beratenden
Hygienikers bei einem Reserve-Korps eingenommen. Hier ist er in Ausübung
seines Berufes am 29. v. M. an Flecktyphus erkrankt und schon am 2. d. M.
der tückischen Krankheit zam Opfer gefallen. Ehre seinem Andenken! .
Ehrentafel. Es haben weiterhin erhalten das
Ritterkreuz des Ordens der Württembergischen Krone mit Schwertern:
Oberstabsarzt d. L. Ob.-Med.-Rat Dr. K o h 1 h a a s - Stuttgart.
Das Großherzogi. Oldenburgische Friedrich August-Kreuz I. Klasse:
Stabsarzt d. Res. und Reg.-Arzt Dr. W i 11 m s - Kirchweihe bei Bremen.
Ehren - Oed&ohtnistafeL Für das Taterland gefallen sind ferner:
Oberarzt d. Res. Dr. Ellern-Frankfurt a. M.
Stabsarzt d. Res. Kreisarzt Dr. Fehrs • Czarnikau, beratender Korps-
Hygieniker (gestorben infolge von Flecktyphus).
Oberstabsarzt d. L. Dr. E. Fi 8 c h e r - Euskirchen (infolge von Krankheit
gestorben).
Feldunterarzt Hans Heck-Neckarsulm (Württemberg).
Oberstabsarzt d. L. Dr. Richard Jeremias-Bresden.
Feldarzt Dr. Paul Kruschewsky-Sellin (Rügen).
Assistenzarzt Dr. Friedrich Masling-Münster i. W.
Feldarzt E. Müll er-Marburg.
Feldunterarzt W. P o 1 a n d - Ebergötzen.
Stabsarzt Prof. Dr. P. Roemer-Halle a. 8., Korpshygieniker im Osten
(infolge von Fleckfieber gestorben).
Feldarzt Dr. Karl 8 c h i n k - Gleiwitz i. Oberschles.
Stabsarzt d. Res. Dr. Waldow-Laage (Mecklenburg-Schwerin) infolge
von Krankheit gestorben).
Cholera. In Oesterreich sind vom 6. bis 18. März in Dalmatien
3 (3) Erkrankungen (Todesfälle) vorgekommen; in U ng ar n vom 20. bis 26.März:
1 (—); in Bosnien undHerzegowina vom 6. bis 18. März: — (—), 1 (—).
Fleckfieber. ImDeutschenReich sind in den Wochen vom 26. März
bis 8. April 6 (—) und 3 (3) Erkrankungen (Todesfälle) unter Kriegsgefangenen
amtlich gemeldet; in Ungarn vom 6. bis 12. März: 12 (6).
Pocken. Im Deutschen Reich sind vom 26. März bis 8. April 16 (1)
und 5 (1) gemeldet, davon 14 (1) im Reg.-Bez. Minden und 4 (1) im Reg.-
Bezirk Bromberg.
Erkrankungen und Todesfälle an ansteokenden Krankheiten In
Preußen. Nach dem Ministerialblatt für Medizinal-Angelegenheiten sind 4n der
Zeit vom 27. Februar bis 26. März 1916 erkrankt (gestorben) an Pest, Gelb¬
fieber, Fleckfieber, Cholera, Aussatz, Trichinose: — (—), —(—);
Botz: 1 (-), - (-), - (-), - (-); Pocken: 6 (-), 16 (-), 37 (4), 26 (1);,
Tollwut: 4 (2), 1 (1), — (—), — (—); Bißverletzungen durch
tollwutverddehtige Tiere: 8 (—), 11 (—), 17 (—), 31 (—); Milz¬
brand: 2 (1), —(—), — (—), 1 (—); Unterleibstyphus: 133 (20),
118 (20), 156 (18), 205 (13); Ruhr: 34(4), 27 (1), 68 (3), 55 (-); Diph¬
therie: 2637 (251), 2691 (225), 2744 (181), 2522 (182); Scharlach: 1775(86),
1753 (85), 1885 (76), 1609 (95); Kindbettfieber: 72 (23), 65(21), 77(21),
89 (29); Genickstarre: 25 (11), 32 (9), 24 (12), 36 (10);|jspi'naler
Kinderlähmung: 3 (1), — (—), — (—), — (—); Fleisch-, Fisch-
und Wurstvergiftung: 2 (—), 4 (1), 1 (—), 3(1); Körnerkrankheit
(erkrankt): 56, 30, 210, 55; Tuberkulose (gestorben): 937, 951, 1084,884.
Redaktion: Prof. Dr. Rapmund, Geh. Med.-Rat in Minden i.W.
J. 0. 0. Brmns, Hermofl. Blak«, n. F. 8ch.-L. Hofbodidniokml In Minden.
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Friedrichfctr. |9 ItHifenJi;
von Fischer s medicin. Buchhandlung It, Kornfeld,
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• Rieben tö verbesserte- Auflage
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29. Jahrg.
1916.
Zeitschrift
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zentralblatt
fOr das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie,
des staatlichen und privaten Versicherungswesens, sowie für das
Medizinal* und öffentliche Gesundheitswesen, einschließlich der
Hygiene und Bakteriologie.
Heraasgegeben
von
Prot Dr. OTTO RAPMÜND,
Geh. Med.-Rat In Minden I.W.
Offizielles Organ des Deutschen, Preussischen, Bayerischen, Sächsischen,
Wörttembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen, Thüringischen,
Braunschweigischen und Eisass-Lothringischen Medizinalbeamtenvereins.
Verlag von Fiseher’s med. Buehhandlg E Kornfeld,
HenogL Bayer. Hof- tl K. u. K. Kommwr-Bnohhinrttor.
Berlin W. 62, Keithstr. 5.
Abs elfen nehmen ilt TerUfshendlonf sowie alle Anxelfenennehmestellen des In*
tnd Auslandes entgegen.
Nr. 9.
Kneheimt am ff. und SO. jedem Kommt*.
5. Mai.
Ein eigenartiger Unglücksfall eines Säuglings
in einer Anstalt.
Von Prof. Dr. Leo Langstein, Direktor des Kaiserin Auguste Victoria-IIauses
in Charlottenbnrg.
Ein eigenartiger Unfall, der infolge der Verkettung unglück¬
licher Umstände einem 8 Monate alten Kinde durch Strangulation
das Leben kostete, ereignete sich auf einer unserer Stationen
am 23. Dezember 1915. Da die Schuld an diesem Unglück in
letzter Linie allein auf die ungeeignete Konstruktion eines
nicht nur bei uns vielfach verwendeten Kinderbettes zurück¬
geführt werden muß, erscheint es uns im Interesse des Säug¬
lingsschutzes in geschlossenen Anstalten notwendig, den Sach¬
verhalt einem weiteren Aerztekreise vorzulegen.
Im Kaiserin Auguste Victoria-Hause sind verschiedene
Systeme von Säuglingsbetten in Anwendung. Das in Betracht
kommende Bett gehört zu den alten Modellen, die bei der
Gründung der Anstalt angeschafft wurden. — Die aus Ab¬
bildung 1 ersichtliche Vorrichtung mit dem herunterklappbaren
Seitengitter Schien den Forderungen: dem Kinde sicheren Schutz
Br. Längstem.
250 ,
zu gewähren und Arbeitsleistung, Zeitverlust, sowie Raum¬
behinderung bei der Wartung auf ein Mindestmaß zy beschränken,
vollauf Genüge zu leisten. Die beweglichen Seitengitter sind
oben an 2 Ringen zu beiden Enden des Bettes in einer Führung
aufgehängt, unten stützen sie sich auf zwei breite Haken, die
sie an das Bett fixieren. — Will man das Bettchen aufmachen,
so hebt man das Gitter nach außen und oben, bis die Rin^e
an der höchsten Steile der Führung sich befinden und die
untere Stange aus den Haken herausgetreten ist; bei leichtem
Zug nach außen gleitet nun das Gitter der Führung entlang
herunter. Beim Schließen des Bettchens muß das Gitter wieder
in die Haken gestellt werden. Wird das nicht beachtet, so
hängt es frei und kann vom Kinde jederzeit mit Leichtigkeit
beiseite geschoben werden (s. Abbildung 2) Aus Abbildung 3
ist ohne weiteres zu ersehen, daß es bei nur flüchtigem Blick
dem Personal leicht entgehen kann, ob das Seitengitter richtig
in den Haken sitzt, oder ob es außerhalb derselben hängt.
Das Kind B. war im Spätsommer wegen „Bronchitis und
Nichtgedeihens“ in unsere Anstalt eingewiesen worden und
hatte sich Ende Dezember soweit erholt, daß es auf die Ab¬
teilung für gesunde Pflegekinder verlegt werden konnte. Es
befand sich auf jener Station seit einigen Tagen, als das Unglück
sich'ereignete. Es war damals 8 Monate alt und wog 6150 g.
Der besonders lebhafte Knabe strampelte sich mehrmals täglich
los, so daß er öfters von allen Windeln befreit, nur im Bett¬
jäckchen quer auf seiner Decke liegend, gefunden wurde.
Ich lasse nun einen Auszug aus der Kranken¬
geschichte folgen:
Abends 6 Uhr wurde das Kind von einer Mutter ge¬
füttert; zum Schlafen vorbereitet wurde es dann von Schwester
H. G. gegen 7 Uhr. Das Kind lag vorschriftsmäßig unter
seinefn Bettgürtel. Um 8 Uhr wurde das Kind noch von
Schwester H. G. ruhig schlafend im Bett vorgefunden. Zwischen
9 und 9 1 /* Uhr kam dann die Nachtschwester M. U. in das
Zimmer, um einem anderen Kinde, dessen Bettchen in der
gleichen Reihe mit dem des Kindes B., aber am anderen Ende
stand, die Flasche zu geben. Die Schwester überblickte während
der Fütterung die Bettreihe und sah, daß .B’s Bett leer war.
Sie ging gleich an das Bett. Die obere Bettdecke war in ih?er
richtigen Lage. Nach Hochheben derselben zeigte sich, daß
die untere Bettdecke zwar etwas verschoben war, aber noch
unter dem Bettgürtel steckte und von ihm festgehalten wurde.
Unter dem Bettgürtel sahen Windelzipfel heraus. Das Kind lag
nicht im Bett. Als die Sohwester die gegen Zugluft vorgestellte
Boxenwand beiseite schob, fand sie das Kind am Jackenbändchen
aufgehängt tot jenseits des Gitters hängend vor. Die sogleich
nach Abnahme des Kindes vorgenommenen Widerbelebungs-
versuche, die vom diensthabenden Arzt fortgesetzt wurden,
blieben leider erfolglos. Es muß dem kräftigen Kinde gelungen
sein, den Mechanismus des dem Fenster zugekehrten Bett-
Bin eigenartiger Unglücks fall eines Säuglings in einer Anstalt.
262 Dr. Langstein: Ein eigenartiger Unglücksfall eines Säuglings.
gitters zu lösen, so daß es herausfallen konnte. Dabei blieb
es unglücklicherweise mit der Zugschnur seines Nachtjäckchens
an einem Haken hängen, auf dem sich das Bettgitter stützen
soll, und strangulierte sich. Schwester M. P. fand das Kind,
das Gesicht nach unten gekehrt, den Rücken dem Bettchen
zugewendet. Arme und Beine hingen schlaff herab; die Beine
berührten den Boden nicht (Abbildung 4 gibt die Stellung wieder,
in der das Kind aufgefunden wurde).
Der Hergang des Unfalls läßt sich etwa folgendermaßen
rekonstruieren: Der Knabe machte sich durch das Strampeln
los und wand sich, wie schon öfter, aus seinen Windeln, Bett¬
gürtel und Decken heraus. Die wichtige Frage, ob er aus dem
Bette fiel, weil das Gitter aus dem Haken herausging, oder ob
er es selbst heraushob, glauben wir nach eingehender Prüfung
des Sachverhalts und Prüfung verschiedener Betten dahin
beantworten zu müssen, daß das Kind das Gitter selbsttätig
heraushob. Der dazu nötige Kraftaufwand ist nicht immer der
gleiche, da es auf Richtung und Ansatzstelle der stemmenden
Kraft ankommt. Es läßt sich beispielsweise leicht vorstellen,
daß der Knabe; nahe dem Bettrande'auf dem Rücken liegend,
mit den Füßchen wiederholt stoßende Bewegungen gegen die
Stangen des Gitters ausführte und dieses dabei aus den Haken
heraushob; oder er stieß mit dem Rücken mehrmals gegen das
Gitter und stemmte es auf diese Weise heraus. — Die Aus¬
lösung dieses Mechanismus durch ein kräftiges Kind ist nach
unserer Feststellung bei sämtlichen Betten dieses Systems
möglich. — Die Annahme, daß das Gitter vom Personal nicht
richtig eingehängt gewesen wäre, wird unter anderem auch
schon durcn die bestimmte Annahme der Schwester H. G.
widerlegt, daß sie beim Zurechtstreichen der Bettdecke, unmittel¬
bar vor dem Verlassen des Saales, unbedingt hätte fühlen
müssen, wenn das Gitter locker gehängt wäre.
Der Knabe kam auf dem Rücken liegend bis an den Rand
des Bettes. Sein Nacken muß sich gerade über dem Gitter¬
haken befunden haben. Bei einer weiteren Bewegung kippte
das Kind aus dem Bett heraus, indem es das freihängende Gitter
beiseite schob und wäre auf den Boden gefallen, wenn es nicht
mit der Zugschnur seines Jäckchens am Gitterhaken hängen
g eblieben wäre. Nachdem es das Kind durchgelassen, fiel das
fitter gegen das Bett zurück, so daß der Kopf des hängenden
Kindes, wie aus Abbildung 4 hervorgeht, außerhalb desselben
war. — Ein unglücklicher Zufall wollte es, daß einige Tage vorher
auf der ganzen Station für die Jäckchen versuchsweise neue Zug¬
schnüre aus festerem Bandmaterial eingeführt worden waren;
ein gewöhnliches Bändchen wäre sicher zerrissen worden.
Wenn auch zugegeben werden muß, daß der eben be¬
schriebene Fall erst durch das Zusammenwirken von besonders
unglücklichen Umständen, wie es unter tausenden von Fällen
kaum je einmal Vorkommen wird, zustande kam, so muß doch
anderseits festgestellt werden, daß er ohne die ungünstige
Dr. Racine: Eine Vergiftung mit übermangansaurem Kali. 253
Konstruktion des Bettes vermieden worden wäre. — Für die
in unserer Anstalt noch in Gebrauch stehenden Betten ist
sogleich eine Abänderung, die das leichte Aushängen der Seiten¬
gitter unmöglich macht, angeordnet worden. — Wir haben
außerdem der Firma, die die Betten hergestellt hat, von dem
Fall Mitteilung gemacht, damit das betreffende Modell die
nötigen Abänderungen erfahre, die das Vorkommen eines weiteren
derartigen Unglücksfalles unmöglich machen.
Eine Vergiftung mit übermangansaurem Kali.
Von Geh. Med.-Rat Dr. Racine, Kreisarzt in Essen -Ruhr.
So vielfach das übermangansaure Kali in der Technik und
in der Medizin auch angewendet wird, so selten hört man von
Vergiftungen, die es hervorruft, so daß man fast völlig vergißt,
es mit einem Gifte zu tun zu haben. In der Literatur des
letzten Jahrzehnts sind nach Kobert 1 ) nur zwei Fälle von
schwerer Vergiftung durch Kaliumpermanganat verzeichnet. Der
eine Fall wird aus Dorpat von Thomson berichtet und be¬
trifft einen jungen Mann, der 15—20 ccm einer offenbar ge¬
sättigten und mit Kristallen vermischten Lösung des Mittels
getrunken hatte und nach 6 Stunden starb; der andere von
Box in England beobachtete Fall betraf eine Trinkerin, die
eine handvoll Kaliumpermanganat in Bier aufgelöst getrunken
hatte und schon 35 Minuten darauf starb. Ueber einen dritten,
glücklicherweise nicht so tragisch verlaufenen Fall erlaube ich
mir im folgenden zu berichten.
Am 31. Oktober 1915 wurde das 1 3 / 4 Jahr alte Kind
Georg H. abends 7 3 / 4 h. in das hiesige evangelische Kranken¬
haus „Huyssens-Stiftung“ eingelieiert. Die Mutter gab an,
das Kind sei um 7 Uhr zu Bett gebracht worden. Unmittelbar
darauf wurde man durch das Schreien des Kindes aufmerksam;
man fand es mit geschwärztem Gesicht, in den Händen ein
Fläschchen haltend, in dem früher Formaraint-Tabletten ge¬
wesen waren und das jetzt, mit Kaliumpermanganat-Kristallen
gefüllt, in unmittelbarer Nähe des Kindes auf dem Nachttisch
gestanden hatte. Das Kindchen hatte das Fläschchen ergriffen,
den festsitzenden Stopfen mit den Zähnchen entfernt und die
Kristalle in den Mund gesteckt. Die Menge des genossenen
Kalium ließ sich nicht genau bestimmen, da der liest ver¬
schüttet war.
Das Kind bot einen höchst auffallenden Anblick dar:
Zunge und Lippen waren tiefschwarz gefärbt und stark ge¬
schwollen, so daß die braungefärbten Zähnchen sichtbar waren.
Kinn, beide Backen und Nase gebräunt. (Das Kind hatte offen¬
bar, als es Schmerzen an der Zunge und den Lippen bekam,
die Mundflüssigkeit mit den Händchen im Gesicht herumgewischt,
da auch die Händchen braun gefärbt waren.) Auch an der
*) Lehrbuch der Intoxikationen; II. Bd., S. 415.
264
Dr. Racine.
linken Skleral-Bindehaut nasenwärts eine bräunliche Verfärbung.
Aus der Nase reichlicher Flufi des braunrot gefärbten Sekrete.
Atmung frei, keine Stenose-Erscheinungen. Lungen und Hers
ohne Befund. Leib weich, nirgends Bauchdeckenspannung.
Es gelang noch, eine dQnne Schlundsonde durch den ver-
schwollenen Mund zu bringen und den Magen auszuspülen. Es
entleerten sich reichlich Luft und Reste einer Milch-Halergrütze-
Mahlzeit, die leicht braun verfärbt waren und reichliche ver¬
färbte Kristalle von übermangansaurem Kalium enthielten. Aus
der Menge der Kristalle ließ sich die aufgenommene Menge auf
etwa 10 g schätzen.
Krankheitsverlauf nach der Krankengeschichte:
1. November: Die Schwellung des Mundes und Rachens hat noch
zugenommen. In der Nacht Atembeschwerden, die auch heute morgen anhalten.
Das Kind sitzt aufrecht und atmet schwer, aber kein eigentliches Stenose-
Geräusch. Kein Schlaf. Verhalten im allgemeinen stark apathisch. Innere
Organe ohne Befund. Temperatur (rektal) morgens: S9,0; Puls: 172 in der
Minute. Ernährungsaufnahme verweigert. Urin sehr hoch gestellt; spez. Ge¬
wicht 1036, kein Eiweiß, kein Zucker, sehr große Mengen Sediment, lateritium.
Mikroskopisch nur harnsaure Kristalle und harnsaure Salze, keine Zylinder,
keine Epithelien. Abendtemperatur: 88,7, Puls: 160. Urin: Tagesmenge
nur a 180 ccm.
2. November: Die Atemnot hat abgenommen, im übrigen unveränderter
Befund. Das Kind liegt meist apathisch im Bett, nur wenn man ihm Milch
oder Haferschleim anbietet, wehrt es energisch und laut weinend alles ab.
Temperatur morgens: 88,2, Puls: 160; abends: 88,8; Puls: 140. Stuhlgang
bisher nicht erfolgt. 60 ccm reine dünne Seifenlosung als Beinigungsklistier.
Nährklistier: 160 g Milch, 6 g Mehl, 1 g Salz, 1 Teelöffel Rotwein, 1 Ei.
Die Händchen und das Gesicht (nicht die Schleimhäute) werden mit
schwefliger Säure in wässeriger Lösung vorsichtig abgewaschen; bis auf einige
tiefer verätzter Stellen geht die Verfärbung durch einmalige Abwaschung ab.
Urin-Tagesmenge: 160 ccm; Stuhl breiig, dunkelbraun.
8. November: Zustand unverändert. Temperatur: morgens 88,8, abends:
38,9; Puls morgens und abends: 140. Das Kind trinkt heute 800 ccm dünnen
Haferschleim mit Himbeersaft. Urin-Tagesmenge: 200 ccm; Stuhl breiig, braun.
4. November: Das Kind wird etwas lebhafter, es schreit häufiger. Die
Verfärbung der linken Sklera ist verschwunden, ohne eine Wunde zu hinter¬
lassen. Die Zunge beginnt sich durch Abstoßen der Schleimhaut zn reinigen;
sie ist ziemlich abgeschwollen. Das beständig fließende Nasensekret ist nur
noch wenig bräunlich verfärbt. Innere Organe ohne Befund; Stuhl braun,
breiig. Per os 600 ccm Milch. Temperatur: morgens: 87,9, abends: 88,2;
PuIb: morgens: 180, abends: 140.
6. November: Das Kind wird recht ungebärdig; es schreit, sobald man
es anfaßt. Die Znnge ist vollkommen abgeschwollen und fast sauber, auch
die Lippen beginnen sich zn reinigen. Per os 1000 g Milch. Sträuben gegen
feste Speisen (Brei, Gemüse, Kompott etc.). Temperatur: morgens: 87,9,
abends: 38,5. Puls: morgens: 125, abends: 110. Drin-Tagesmenge: 200 ocm,
ohne Eiweiß und Zocker, fast klar. Stuhl braun, breiig.
6. November: Die Haut des Gesichtes ist ziemlich sprOde und zeigt
stellenweise kleine Risse der Hornschicht; die Lippen haben sich gereinirt.
Per os 750 ccm Milch- Temperatur: morgens: 37,8, abends: 87,6. Puls:
morgens: 128, abends: 130. Atmung ruhig, am Herzen kein Geräusch, Urin-
Tagesmenge: 250 ccm, Stuhl breiig, dunkelgelb.
7. November: Die Haut der Backen ist noch rissiger und spröder als
gestern, aber vollkommen gereinigt. Sonst keine Besonderheiten. Einfetten
mit Vaselin. Temperatur: morgens: 87,5, abends: 37,7.
8. November: Puls abends beschleunigt: 140. Temperatur: morgens:
37,4, abends: 37,6.
Eine Vergiftung mit übermangansaurem Kali.
266
9. November: Heute zum erstenmal etwas'Griesbrei und Apfelmus..
Temperatur: morgens: 87,9, abends: 37,6; Puls : morgens: 140,abends: 136. Urin,
klar, Menge 400 ccm.
10. November: Puls: 130; Temperatur: 37,8. Keine Besonderheiten.
Benehmen etwas launenhaft. Urinmenge: 660 ccm, klar.
In den nächsten Tagen fortschreitendes Wohlbefinden, so
daß das Kind am 13. November entlassen werden konnte.
Bei der Entlassung war der Urin klar, ohne fremde Bestandteile;
die inneren Organe waren ohne Befund. DieSchleirahaut-Wunden
der Nase, des Mundes und des Rachens waren vollkommen
verheilt; ebenso war der Rachenkatarrh geheilt. Die Haut des
Gesichts war weich und elastisch; Puls: 110 in der Minute,
Temperatur: 37,3. Das Verhalten des Kindes war wieder normal.
Die Wirkung des übermangansauren Kalium ist eine
zweifache, eine lokale und eine allgemeine resorptive. Die
lokale ist eine typisch ätzende mit starker gleichzeitiger
Oxydation, die resorptive besteht in Lähmung des Zentral¬
nervensystems, Sinken der Atmung, des Blutdrucks und der
Herzkraft, parallel mit der Erregbarkeit des Gehirns und Rücken¬
marks ; *) Nahrungsverweigerung, Erbrechen treten ein. Das
Metall wird durch die Galle und die Drüsen des Darmkanals aus-’
geschieden; die Niere beteiligt sich nur bei toxischen Dosen an
der Ausscheidung und erkrankt dabei unter parenchymatöser
Entzündung. Bei der Sektion fanden sich in dem Dorpater
Falle Verfärbungen und Verschorfungen an Lippen, Zunge,
Mund-, Pharynx- und Larynx-Schleimhaut; Trachea, Bronchien
und Oesophagus waren aber frei. Magen und Därme sollen
normal gewesen sein. Thomson behauptet, daß eine
Resorption des Giftes nicht stattgefunden habe und daß das
Ganze keine spezifische Mangan-Vergiftung, sondern lediglich
eineAetzung der Halsorgane vorstelle. In dem Falle von
Box fanden sich ebenfalls tief schwarze Verfärbung und
Schwellung von Mund und Zunge, sowie Oedem der Glottis.
Der Magen enthielt reichlich Flüssigkeit, Speisereste und durch
Reduktion entstandenes Manganhydroxyd; die Magenschleim¬
haut war aber nicht verätzt, sondern nur hyperämisch.
Auch in dem von mir beobachteten Falle tritt am meisten
die lokale Wirkung in den Vordergrund: die Verfärbung und
Verätzung der Lippen und der Zunge. Dabei fällt aber die
starke Apathie des Kindes in den ersten Tagen auf, die ent¬
schieden auf eine Läsion des Zentralnervensystems hinweist
und nicht durch die lokalen Aetzungserscheinungen zu erklären
ist. Sie bot einen ganz auffallenden Gegensatz zu dem späteren
normalen — stark eigensinnigen — und „verzogenen“ Ver¬
halten des Kindes. Es handelte sich hierbei offenbar um
eine resorptive Wirkung des Giftes. Dagegen schiebe ich die
Nahrungsverweigerung hauptsächlich auf das Schmerz¬
gefühl, das die Einwirkung der Speisen auf die wunden Stellen
‘) K o b e r t; 1. c., S. 416.
256
Dr. Rätin«.
der Schleimhaut der Zunge Und des Mundes hervorrufen mußte.
Da die Aetzungen glücklicherweise nicht tief gingen, so verlor
sich die Nahrungsverweigerung schnell. Erbrechen und Durch¬
fall sind nicht aufgetreten: der Stuhl war stets von guter,
breiiger Beschaffenheit, in den ersten Tagen bräunlich, später
von dunkelgelber Farbe. Magen und Darmkanal können also
von der Aetzwirkung des Giftes nicht ergriffen worden sein,
wobei ich nochmals auf die Tatsache hinweisen möchte, daß
auch in den beiden anderen erwähnten Fällen keine wesentlichen
Veränderungen am Magen gefunden sind.
Wir waren natürlich von vornherein darauf gefaßt, daß
Glottis- Oedem ein treten könnte, allein es kam nicht dazu.
Wohl stellte sich am zweiten Tage stärkere Atemnot ein,
doch war sie nicht so groß, daß eine Tracheotomie nötig ge¬
worden wäre; auch verlor sie sich am nächsten Tage. Offenbar
aber ist die Atemnot, die bei dem sonst so apathischen Kinde
höchst auffallend war, auf eine Anschwellung der Larynx-
schleimhaut zurückzuführen.
Während es sich hierbei wieder um eine lokale Wirkung
des Giftes handelte, beruhte die enorme Beschleunigung
der Herztätigkeit in den ersten Tagen und auch noch
später auf resorptiver Wirkung des Giftes, ebenso wie die
Temperatursteigerung, die ich nicht auf Rechnung der
Verätzung der Schleimhäute setzen möchte. Die Verätzungen
waren, wie erwähnt, wenig tiefgehend, betrafen nur die oberen
Schichten und reinigten sich sehr bald.
Von seiten der Nieren fiel die anfangs beobachtete
starke Ausscheidung an Harnsäurekristallen und harnsauren
Salzen bei hohem spezifischem Gewicht auf, sowie die später
einsetzende Verminderung der Urinmenge. Wenn diese zum Teil
auch auf die verminderte Flüssigkeits- und Nahrungszufuhr zu
setzen ist, so ist sie doch anderseits zu bedeutend, um hier¬
durch allein erklärt werden zu können. Auffallend ist dabei,
daß niemals Zeichen einer parenchymatösen Erkrankung der
Nieren sich bemerkbar machten. Es wurde niemals Eiweiß ge¬
funden ; ebenso wenig fanden sich Zylinder oder Epithelien. Die
Urinmenge kehrte ohne weiteres zur Norm zurück.
Während uns Aerzte naturgemäß die Erscheinungen an
den inneren Organen beschäftigten, war es für die Angehörigen
am schrecklichsten, die schwarzen Verfärbungen an
Zunge und Lippenschleimhaut, sowie die braunen
Flecken im Gesicht und an den Händen sehen zu müssen, ln
der Tat war dieses Bild ein so eigenartiges, wie man es bei
keiner anderen Vergiftung zu sehen bekommt. Diese Ver¬
färbung der Haut und der Zähne ließ sich durch Abwaschen
und Betupfen mit einer wässerigen Lösung von schwefliger
Säure leicht beseitigen; es bildet sich hierbei aus Mangansuper-
oxyd farbloses dithionsaures Manganoxyd. 1 )
l ) Liebreich: Enzyklopädie der Therapie, S. 744.
Eine Vergiftung mit übermangansaurem Kali.
257
Wie kommt es nun, daß trotz der verhältnismäßig großen
Menge von übermangansaurem Kalium, die in den Magen des
Kindes gelangt ist, die Vergiftung so verhältnismäßig schnell
und günstig ablief? Dafür ist in erster Linie wohl die schnell
erfolgte Entfernung des Giftes aus dem Magen verantwortlich
zu machen; ferner der Umstand, daß keine Lösung, sondern
Kaliumpermanganat in Substanz (Kristallen) verschluckt war.
Sodann muß aber darauf hingewiesen werden, daß der größte
Teil des Kaliumpermanganat im Magen zerlegt und nur wenig
resorbiert wird. Bekanntlich wird Kaliumpermanganat beim
Erhitzen auf 240° unter Abspaltung von Sauerstoff in
Kaliummanganat und Braunstein (Mangansuperoxyd) zerlegt.
Diese Abspaltung von Sauerstoff tritt ebenfalls ein bei Gegen¬
wart von Säuren unter Bildung von Manganoxydul, das sich
mit der Säure zu einem Manganosalz vereinigt.*) 3 ) Daher waren
auch bei der Ausspülung des Magens die entleerten Kristalle
bereits entfärbt, ein Zeichen, daß sie ihren Sauerstoff abgegeben
hatten, selbst aber dabei reduziert und entfärbt waren. Diese
Entfärbung der Kristalle sieht man schon bei dem gewöhnlichen
käuflichen übermangansaurem Kalium, besonders wenn es längere
Zeit in ungeeigneten Gefäßen aufbewahrt ist. Die Kristalle
sind dann mit einer Schicht von Manganoxydul bzw. Mangan¬
superoxyd überzogen und mißfarbig, so daß die ursprünglich
vorhandene metallisch glänzende schwarzviolette Farbe i der
Kristallprismen einem dunklen Braungrau weicht. Auch dieser
Umstand mag dazu beigetragen haben, daß es zu einer so
leichten Intoxikation kam.
Die verhältnismäßig schnelle Zerlegung des Salzes erklärt
auch die auffallende Tatsache, daß Magen- und Darm¬
schleimhaut in allen Fällen so wenig oder gar nicht verätzt
waren. Das bei der Reduktion sich nebenbei bildende Kalium¬
oxyd (K,0) entzieht natürlich den Geweben Wasser, indem es
zu Aetzkali (K O H) wird — worauf offenbar die ätzende
Wirkung des Kaliumpermanganat beruht. — Dieses Kalium¬
hydroxyd wird aber durch die Salzsäure des Magens sofort
weiter umgewandelt in Kaliumchlorid. Das gebildete Aetzkali
kann also keine ätzende Wirkungen mehr entfalten, so daß es
höchstens wie im Falle von Box zu einer Hyperämie der
Magen - Schleimhaut kommt.
Wenn man bedenkt, wie einfach und wie sorglos das über¬
mangansaure Kali verordnet und angewandt wird, so muß man
sich eigentlich wundern, daß es nicht öfter zu Vergiftungen
damit kommt. Hauptsächlich ist dies wohl dem Umstande
zuzuschreiben, daß seine Giftigkeit dem Publikum nicht bekannt
ist, und daß es schon in geringen Mengen eine prachtvoll ge¬
färbte Flüssigkeit (wässrige Lösungen von 0,1—1,0 : 100 sind
*) Liebreich: Enzyklopädie der Therapie, S. 743.
*) Nach der Formel: 2 K Mn 0< = 2 Mn O -|- K«0 -f- 5 0 (Kalium¬
permanganat = Manganoxydul -\- Kaliumoxyd -)- Sauerstoff).
258
Kleinere Mitteilungen and Beferate ans Zeitschriften.
meist in Gebrauch) darstellt, die in dieser Verdünnung innerlich
wohl kaum eine schwere Vergiftung hervorzurufen geeignet
ist. Daher kommt es, daß es zu Selbstmordzwecken nicht
benutzt wird und daß man trotz seines alltäglichen Gebrauchs*
auch in der medizinischen Literatur, von Unglücksfällen, die
durch das übermangansaure Kali hervorgerufen sind, kaum
etwas hört.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
A. Oerlohtllohe Medizin.
Das diagnostische Experiment am Menschen* Von Stabs- u. Bataillons¬
arzt Dr. Richard Bernstein -Mülhansen in Thüringen. Vierteljahrsschrift für
gerichtliche Medizin und öffentliches Sanitätswesen. Dritte Folge; 61. Bd., 1. fl.;
Jahrg. 1916, 1. H.
Verfasser versteht unter diagnostischem Experiment am Menschen eine
besondere Form des diagnostischen Eingriffes, durch den die Integrität des
Körpers des Untersuchten oder auch seines geistigen oder seelischen Zustandes
gestört wird. Er unterscheidet dann weiter den diagnostischen Eingriff behufs
Beobachtung der durch ihn bei dem Untersuchten ausgelösten Reaktion; es
kann sich hierbei um physiologische, pathologische und therapeutische Experi¬
mente an kranken oder gesunden Versuchspersonen handeln um noch unbe¬
kannte physiologische, pathologische oder therapeutische Tatsachen durch
Versuche festzustellen, oder um ein Experiment am Tiere, in vitro usw. Das
diagnostische Experiment kann am Menschen angestellt werden, indem man
Stoffe (Nahrungsstoflfe, Genußmittel, Arzneimittel und Gifte, Sera usw.) von
bestimmter Menge oder von bestimmter Beschaffenheit in den Körper des
Untersuchten einführt, oder indem man physikalische Kräfte (mechani¬
sche, elektrische, Wärme- und Kälteeinwirkungen, akustische und optische
Reize) in bestimmter Art auf den Körper des Untersuchten einwirken läßt,
oder indem man dessen Willen zum Zwecke der Auslösung bestimmter
Funktionen beeinflußt Da alle diese Experimente nicht wissenschaftlichen,
sondern ärztlichen Zwecken dienen, so müssen für itire Beurteilung auch rein
ärztliche Gesichtspunkte angewendet werden. Für diese Beurteilung kommt
einmal der Wert des Experiments an sich in Betracht, sodann die Frage seiner
Zweckmäßigkeit (ob notwendig, wünschenswert, entbehrlich oder überflüssig)
und die etwa zu befürchtende Schädigung oder Gefährdung des Untersuchten,
sowie endlich seine Beurteilung vom Standpunkte des Sachverständigen und
im Verhältnis zu anderen Untersuchungsmethoden. Alle diese Gesichtspunkte
werden von dem Verfasser in seiner wertvollen Abhandlung eingehend berück¬
sichtigt; am Schluß faßt er dann seine Ausführungen in nachfolgende 8ätze
zusammen i
„1 Das Experiment am Kranken ist ein berechtigtes Mittel zur Stellung
der Diagnose.
2. Der Arzt, der von diesem Mittel Gebrauch machen will, muß erstens
Technik, Leistungsfähigkeit und Fehlerquellen des Experiments kennen,
zweitens die gebotene Rücksicht auf den Untersuchten nehmen,
drittens den Zweck der Untersuchung im Auge behalten.
3. Ob im einzelnen Falle ein diagnostisches Experiment am Menschen
einzustellen ist oder nicht, muß ebenso wie bei jedem anderen diagnostischen
oder therapeutischen Eingriff dem pflichtmäßigen Ermessen des Arztes Über¬
assen bleiben.
4. Furcht vor Verantwortung darf nicht dazu führen, eine zuverlässige,
aber nicht ganz indifferente Untersucbungsmethode auf Kosten der Genauigkeit
des ärztlichen Urteils durch eine weniger wertvolle Methode zu ersetzen, viel¬
mehr sind diese Methoden nach den Rehringschen Worten anzuwenden: mit
aller Vorsicht, aber auch mit aller Energie und Konsequenz.“ Rpd.
Kleiner« Mitteilungen und Beferate aus Zeitschriften.
269
Ueber die Bestimmung des Lebensalters an Kindesleichen auf Grund
der Histologie der Nebennieren. Von Dr. Basileios Photakis (Athen).
Aus der Dnterrichtsanstalt für Staatsarzneikunde in Berlin (Direktor Geh. Med.-
|tat Prof. Dr. Strassman n). Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin und
öffentliches Sanitätswesen. Dritte Folge; 61. Bd., 1. H.; Jahrg. 1916, 1. H.
Die Nebennieren sind bekanntlich vor den Nieren vorhanden und wachsen
anfänglich rascher als diese, erst von der Mitte der Fötalzeit treten sie an
Größe hinter den Nieren zurück und werden später von diesen bedeutend über¬
holt. Das Größenverhältnis zu den Nieren ist im 6. Monat etwa wie 1 : 2, bei
Neugeborenen wie 1 : 8, bei Erwachsenen wie 1 : 28. Bei Neugeborenen ver¬
hält sich Länge, Breite und Dicke wie 2,70-: 2,40: 0,41, bei Frühgeborenen wie
3,05 : 2,20 : 0,40; das Gewicht beträgt bei den ersteren 2,66—4,76 g, bei den
letzteren 3,08—5,8 g. Die vom Verfasser ausgeführten Untersuchungen
über die Beschaffenheit der Nebennieren bei Neugeborenen, die sich auf 24 Fälle
erstreckten, haben vom gerichtsärztlichen Standpunkte aus ergeben, daß
— entsprechend dem verschiedenen makroskopischen Aussehen der Neben¬
nieren — ein durch mikroskopische Untersuchung festgestelltes Fehlen
der Hauptmassen des chrombraunen Pigments in der Marksubstanz für den
neugeborenen Znstand, sein vollständiges Vorhandensein gegen diesen spricht.
Wenn daher, wie es oft vorkommt, zerstückelte Kindeslcichen, bei denen die
sonstigen Zeichen des neugeborenen Zustandes nicht festzustellen sind, in bezug
auf das Lebensalter zu begutachten sind, so kann die histologische Prüfung
der Nebennieren wichtige Aufschlüsse liefern und sollte nicht unterlassen werden.
Bpd.
Ueber den Wert zweier neuer Kennzeichen des Todes durch Kälte-
Wirkung. Von Dr. Felix Dyrenfurth, Assistent an der Unterrichtsanstalt
für Staatsarzneikunde in Berlin. Vierteljahrschrift für gerichtliche Medizin und
Öffentliches Sanitätswesen. Dritte Folge; öl. Bd., 2. H.; Jahrg. 1916, 2. H.
Krjukoff hat im Jahre 1914 als Kennzeichen für den Tod durch
Kältewirkung das Fehlen des Glykogens in der Leber und die durch Blutungen
in oder aus der Schleimhaut des Magens hervorgerufenen sogenannten
Wischnewskischen Flecken bezeichnet. Diese Flecken sollen sich als
Erosionen in der Magenschleimhaut zeigen, von der Größe eines Hirsekorns bis
zu der einer Erbse, rund oder länglich geformt, manchmal punktförmig, nur
2—4,6 cm auseinander entfernt und über der Schleimhaut etwas vorspriogend.
Ihre Menge soll 5—100 betragen. Dyrenfurth hat diese Untersuchungs¬
ergebnisse von Krjukoff einer Nachprüfung unterzogen; als Untersuchungs¬
material wurden Kaninchen, Meerschweinchen, Mäuse und Frösche sowie Hunde
und Katzen benutzt, da infolge Kältewirkung gestorbene Menschen nicht zur
Verfügung standen. Auf Grund dieser Untersuchungen kommt er zu dem
Ergebnis, daß sich nur in ganz seltenen Fällen unbedeutende Blutungen in der
Magenschleimhaut fanden und daß die sog. Wischnewskischen Flecken
wahrscheinlich eine Leichenerscheinung sind, die mit dem Tode durch Erfrieren
nicht das mindeste zu tun haben. Ebenso konnte Verfasser in jedem Falle
Glykogen in der Leber nachweisen, oft allerdings nur in geringen Mengen.
Das Fehlen von Glykogen in der Leber kann also auch nicht als charakteristisch
für den Erfrierungstod angesehen werden, ganz abgesehen von den starken
Schwankungen des Glykogengehaltes der Leber je nach Alter, Ernährung usw.
und der Unbeständigkeit des Glykogens bei Fäulnis. Es wird demnach bei
der in deutschen Lehrbüchern allgemein niedergelegten gerichtsärztlichen Er¬
fahrung verbleiben müssen, daß es ein diagnostisch sicheres Merkmal für den
Tod durch Kältewirkung bis jetzt nicht gibt. Bpd.
Die Bestimmung der Todeszeit durch die muskeimechanischen Erschei¬
nungen. Von Dr. Stefan Zsakö, Primarius der psychiatrischen Abteilung in
St. Martin. Münchener med. Wochenschrift; 1916, Nr. 3.
Verfasser hat schon früher auf gewisse, auch bei Leichen zu beobachtende
mUBkelmechanische Erscheinungen aufmerksam gemacht, die es ermöglichen,
mit annähernder Genauigkeit zu bestimmen, wann der Tod eingetreten ist, und
deshalb in vielen Fällen von großem Nutzen sein können, in denen es darauf
ankommt, die nach dem Todeseintritt verstrichene Zeit feBtzustellen. Der
260
Kleinere 'Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
gegenwärtige Krieg hat ihm reichlich Gelegenheit za Leichenantersuchangen
and damit zu weiterer Anstellung seiner früher in dieser Hinsicht gemachten
Versuche gegeben, wodurch seine bisherigen Beobachtungen von neuem bestätigt
sind. Die Erscheinungen, die sehr leicht mit Hilfe des Klopfhammers, aud}
von dem Krankenpersonal, ausgelöst werden können, sind folgende:
1. Schlägt man mit dem Klopfhammer am Radius entlang, vom Ellen¬
bogengelenk gerechnet auf 3—4 Finger breit quer Distal leicht an der
Spannungsoberfläche auf den Unterarm, so tritt eine gut bemerkbare Streckang
der Hand ein.
2. Klopft man an der Beugungsoberfläche des Unterarms längs des
Radius auf 4—6 Finger breit oberhalb des Handgelenks, so erfolgt eine Beugang
des Daumens.
8. Die Reizang der interossealen Gebiete ruft eine gegenseitige An*
näherang der entsprechenden zwei Finger hervor.
4. Klopfen am Faßrücken 8—4 Finger breit vom äußeren Knöchel nach
vorn ruft Streckung der Zehen hervor.
5. Klopfen am Unterschenkel an der Spannseite 3 Finger breit von der
Spitze der Tibia und 3 — 4 Finger abwärts davon bewirkt eine Adduktion
des Fußes.
6. Auf Klopfen am Unterschenkel in der Suralisgegend im mittleren
Drittel und 1 Finger breit von der Tibia entfernt erfolgt eine Streckung
des Fußes.
7. Klopfen im unteren Drittel des Oberschenkels, 4—6 Finger breit
oberhalb der Kniescheibe bewirkt eine bis zur inguinalen Region reichende
Muskelbewegung.
8. Klopfen auf dem Rücken zwischen Schulterblatt und Wirbcläule ruft
eine Annäherung des Schulterblattes zur Wirbelsäule hervor.
Die unter 1—8 beschriebenen Erscheinungen sind durchschnittlich 90
bis 120 Minuten lang nach Eintritt des Todes auslösbar; in
manchen Fällen dauert die Reizbarkeit der Muskeln bis 4 Stunden; sie sind
bei toten Personen deutlicher als bei lebenden, da sie bei diesen durch den
Muskeltonus abgeschwächt werden. Auch durch Chloroform oder Aether be¬
täubte, durch Medikamente alterierte Personen sowie solche, bei denen durch
Novokain oder Kokain Lumbalästhesie angewendet ist, zeigen diese Erschei*
nungen, die in jedem Falle der Leichenstarre vorangehen. Nur
Oedeme können bei der Ausübung der Erscheinungen störend wirken. Ihr
Fehlen gestattet ein Rückschluß auf den Eintritt des Todes und die Zeit des
Todeseintritts; Verfasser konnte z. B. aus dem Fehlen der Erscheinungen bei
einem Selbstmordfall bestimmen, daß der Tod schon 3 Stunden eingetreten war.
Notwendig ist bei der Untersuchung gute Beleuchtung und Entkleidung der
Leichen. Rpd.
A. Qerlohtliohe Psyohlatris.
Erinnern und Vergessen. Eine Studie über die traumatische Amnesie-
Von Gerichtsarzt Dr. M a r x - Berlin. Vierteljahrschrift für gerichtliche Medizin
und Sanitätswesen. Dritte Folge; 51. Band, 2. H.; 1916, 2. H.
Von allen Formen des Vergessens, die den Gerichtsarzt interessieren,
erscheint keine so sehr von dem Schleier des Rätselhaften, vom Charakter des
Auffälligen und Widerspruchsvollen umkleidet, wie die retrograde
Amnesie. Gerade diese Form des Vergessens erscheint aber, wie keine
andere, geeignet, Lichter auf das Verstehen jenes Vermögens zu werfen, das
wir als Gedächtnis bezeichnen, und uns somit zu zeigen, wie Erinnern und
Vergessen möglich werden. Verfasser bespricht die bisherigen Untersuchungen
über das Gedächtnis, namentlich die Verworn in dieser Hinsicht aufgestellte
Lehre, die wegen ihrer Bedeutung an die Spitze einer Betrachtung über die
Störungen des Qedächtnisses gestellt zu werden verdient. Er betont dann,
daß auf „Erinnern“ die ganze Rechtspflege beruht; mit dem Vergessen fällt
sie. Darum sind die beiden Fragen: Wie ist Erinnern möglich, wie geht
Erinnern verloren ? Fundamentalfragen, um die sich der Gerichtsarzt sonderlich
zu mühen hat. Eindrucksvolle Geschehnisse des Alltages werden trotzdem
von der großen Mehrheit wieder vergessen, während sie andere mit großer
Treue in der Erinnerung bewahren und wieder andere nur in schattenhafter
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 26 t
Wesenheit festhalten. Manche Erlebnisse haften aber in der Regel mehr
oder weniger bei allen Beteiligten fest, z. B. geschlechtliche Erlebnisse, be¬
sonders bei Erstlingen auf diesem Gebiete, und Unfälle. Um so auffallender
sind Erinnerungsdefekte, die sich gerade auf Erlebnisse wie Unfälle, Trauma
beziehen, deren gedächtnismäßiges Festhalten vor allen anderen erwartet
werden sollte. Bei der Beurteilung der Fälle müssen allerdings alle diejenigen
ausgeschieden werden, bei denen der Verdacht der Hysterie, der absichtlichen
oder hemmungsmäßigen Unterdrückung des Gedächtnisses vorliegt. Verfasser
hat deshalb auch für seine Studie aus seiner gerichtsärztlichen Praxis nur
solche Fälle — im ganzen fünf — herangezogen, in denen ein engumschriebenes
Ereignis, ein Trauma, bei vorher gesunden oder jedenfalls nicht nachweislich
kranken Personen einen rückläufigen Erinnerungsdefekt hervorgerufen hat und
bei denen es sich zweifellos um echte Erinnerungsdefekte handelte. Durch
ihre Mitteilung und Schilderang will er die bedeutsamen Vorgänge des Erinnerns
und Vergessens in das Licht der Physiologie und Pathologie rücken. Daß ein
zellularphysiologisches Verständnis des Gedächtnisses möglich ist, haben die
Forschungen von Ve r w o r n und seiner Schule ergeben; die Ve r w o r n sehe Lehre,
wonach die durch Sinneserregungen im Gehirn hervorgerufenen Eindrücke in
eine Substanzzunahme der Ganglienzellen bestehen, also das „Wachstum" der
Zelle die Grundlage des Gedächtnisstoffes bildet, paßt sich in den Rahmen der
allgemeinen Lehre von der Aktivitätshypertrophie ein und findet ihre Bestätigung
in der Pathologie des Gedächtnisses. Das Erwerben von Gedächtnissen, das
Lernen, stellt eine Zentrenbildung im Kleinen dar. Erinnern und Vergessen
bedeuten Reizung und Lähmung dieser kleinsten Zentren. Für die erste
Bildung eines Einzelgedächtnisses ist die Reizaufnahme von größter Bedeutung;
die Treue eines Erinnerungsbildes wird damit abhängig von der Funktion des
den ersten Reiz empfangenden Sinnesorgans. Das ist auch für die gerichtliche
Medizin, für die Psychologie der Zeugenaussage, von Bedeutung. Kein klares
Erinnern ohne Zuverlässigkeit des Auges, des Ohrs, kurz der peripheren Sinnes¬
organe, kein klares Erinnern ohne normale Blutversorgung des Gehirns. Das
Gehirn kann aber niemals die Aufgabe haben, die Außenwelt restlos abzu¬
bilden; denn wir würden sonst an der Fülle der Gedächtnisse ersticken. Hier
setzt eine teils automatische, teils bewußte Auslese ein, so daß das Gedächtnis,
wie Ribot zutreffend bemerkt, vom Vergessen lebt. Von jedem Erinnerungs¬
bild bleiben nur Zeichen, gewissermaßen nur Skizzen zurück, so daß unser
gesamtes Gedächtnis schließlich eine Sammlung von Zeichen darstellt, in der
fortwährend Stücke verloren gehen und andere neu erworben werden. Diese
Zeichen werden von einer Mehrheit von Neuronen aufbewahrt, die alle unter¬
einander verbunden sind; gerade diese Auflösung der Bilder in Zeichen macht
unsere Erinnerungsfähigkeit und die Aufnahmemöglichkeit für Bilder unbe¬
grenzt. Im letzten Grunde geht die Auflösung unserer Eindrücke in Zeichen
auf den Aufbau unseres Zentralorgans aus einzelnen Zellen zurück; deshalb
kann auch nur eine Zellularphysiologie berufen sein, das Problem des Gedächt¬
nisses zu lösen. _ Rpd.
B. Bakteriologie and Bok&mpfang der übertragbaren Krankheiten.
1. Bekämpfung übertragbarer Krankheiten im allgemeinen.
Das Anaphylaxieproblem in der Dermatologie. Von Privatdozent
Dr. E. Klausner. (Aus der k. und k. dermatol. Klinik. Prof. C. Kreibisch
in Prag.) Mediz. Klinik; 1916, Nr. 7.
Unter Anaphylaxie versteht man einen erworbenen Zustand von Ueber-
empfindlichkeit des menschlichen oder tierischen [Körpers gegen parenterale
Zufuhr von Eiweißkörpern. Hierhin gehört die Serumkrankheit mit den Er¬
scheinungen von Urticaria, Fieber, Oedem und Gelenkschmerzen, sowie die
Urticaria nach Bluttransfusion, v. Pirquet bezeichnete diese Ueberempfind-
lichkeit nach Seruminjektion als Allergie. Seinen Studien verdanken wir die
Einführung der Kutanreaktion in die Diagnostik der Tuberkulose. Nogucki
gelang es, mit Spirochäten-Extrakt Luetin, Fischer mit Pallidin, einem
Pseumonia alba Lungenextrakt, eine Reaktion auf Syphilis, besonders im
Tertiärstadium, zu entdecken. Mit der Allergie erklärt Jadassohn den
Pseudoschanker bei Tertiär-Luetikern, wonach bei einer Spirochäteninfektion
262
Kleinere Mitteilangen and Referate aas Zeitschriften.
während dieser Periode kein Primäraffekt, sondern ein Gamma ähnliches Ge¬
schwür auf tritt. Allergische Haatreaktionen worden auch bei Infektionskrank¬
heiten, wie Typhus, Rotz, Lepra etc., ferner Buchweizenvergiftung und Gravidität
studiert. Wolff-Eisner deutet die Urticaria als anaphylaktisches Symptom.
In das Gebiet der Ueberempfindlichkeitserkrankungen gehören auch die heftigen
Erscheinungen infolge Eindringens tierischer oder pflanzlicher Gifte, Insekten¬
stiche, Primula abconica-, Satinholz-Dermatitis. Die Ueberempfindlichkeit gegen
gewisse Arzneistoffe, Idiosynkrasie, ist bis heute noch nicht geklärt. Bloch
nimmt an, daß es sich bei dieser Abnormität um zelluläre Allergie der Haut-
zellen handelt. Dr. L Quadf lieg -Gelsenkirchen.
2. Meningitis.
Pneumokokken- and Meningokokken-Meningitis nach Schädelbasis¬
fraktur. Aas dem Hygienischen Institut der Universität in Gießen. Von
Prof. Dr. P.Schmidt. Deutsche med. Wochenschrift; 1916, Nr. 6.
Der in der medizinischen Universitätsklinik beobachtete Fall stellt eine
Doppelinfektion der weichen Hirnhäute durch Pneumokokken and Meningo¬
kokken dar. Ein 19 jähriger Arbeiter hatte durch Sturz auf der Treppe eine
Basisfraktnr erlitten. Danach trat sofort Bewußtlosigkeit und nach vorüber¬
gehender Besserung große Unruhe, Fieber, Nackensteifigkeit, Strabismus diver-
gens, große Schmerzempflndung auf. Am 7. Tage nach dem Unfall kam der
Mann in die Klinik, am 8. Tage erfolgte der Tod.
Die bakteriologische Untersuchung des Liquor cerebrospinalis ergab
Pneumokokken und Meningokokken etwa in gleicher Menge. Die
Diagnose wurde kulturell, bei den Meningokokken auch mit Hilfe der Lingels-
he im sehen Zackernährböden und serologisch gestellt. Auf den Blutagar-
Pl atten fanden sich nur Pneumokokken in ziemlich reichlicher Menge.
Nach dem Sektionsergebnis ist anzunehmen, daß die Infektion der weichen
Hirnhäute in diesem Falle ganz direkt von der entzündeten oberen Nasenhöhle
aus, sei es durch Vermittlung der Fissur im Siebbein, sei es durch die Fraktur
im Keilbein erfolgt, d. h. also auf dem Lymphwege, nicht durch das Blut. Daß
es hämatogen entstehende Meningokokken - Meningitiden gibt, ist sicher er¬
wiesen. Schmidt hält es jedoch für durchaus unentschieden, daß dieser Weg
die Regel darstelien soll. Nach den Untersuchungen von G. Mayer, Wald¬
mann, Fürst und Gr über u. a. sind die Meningokokken auch außerhalb
von Epidemiezeiten auf der völlig gesunden Pharynxschleimhaut gar kein
ungewöhnliches Vorkommnis, wenn auch die Annahme einer „Ubiquität“ für die
Rachenscbleimhaut zu weit geht.
Die Beobachtung mahnt im übrigen, künftig bei Meningitisfällen besonders
der Kinder öfter an Kopfverletzungen zu denken, als es bisher zu geschehen
pflegte. _ Dr. Roepke -Melsungen.
3. Weilsehe Krankheit.
Zur Aetlologle der Wellschen Krankheit. 1. Von A. Weil, 2. Von
Prof. Dr. Hü bene r und Privatdozent Dr. Reiter in Berlin. III. Mitteilung.
Deutsche med. Wochenschrift; 1916, Nr. 5.
In der gleichen Nummer der Deutschen med. Wochenschrift unterzieht
A. Weil-Wiesbaden, einem Wunsche der Schriftleitung entsprechend, die
bisherigen Mitteilungen und Beiträge von Hüben er und Reiter einer sach¬
lichen und kritischen Besprechung, lieber die Arbeiten ist an dieser Stelle in
früheren Nummern berichtet. Weil verlangt in dem offenen Brief, daß der
Name „Weilsehe Krankheit“ nur für solche Erkrankungen zu benutzen ist,
die dem von ihm gegebenen einheitlichen charakteristischen Bilde entsprechen
oder wenigstens seine wesentlichen Züge enthalten. Das ist eine „mit Milz¬
tumor, Ikterus und Nephritis einhergehende akute Infektionskrank¬
heit“. Der Behauptung von Hüben er und Reiter, daß die pathologischen
Befunde der verendeten Meerschweinchen denjenigen der an W e i 1 scher Krank¬
heit Verstorbenen gleichen, kann er keine Beweiskraft beimessen und hält es
daher für verfrüht und nicht zum Nutzen der endgültigen Feststellung der
Kleinere Mitteilungen und Referate aas Zeitschriften.
26S
Wahrheit, die Frage nach der Aetiologie der Weil sehen Krankheit jetzt schon
für positiv gelöst zu erklären.
Dem gegenüber suchen Hiibener und Reiter nachzuweisen, daß die
Vorstellung, die Weil vor 30 Jahren von der Oenese der nach ihm benannten
Krankheit gehabt hat, sich in allen Punkten mit ihrer Auffassung von der
Pathogenese der Weil sehen Krankheit deckt Sie ist gewonnen aus tier-
experimentellen Versuchen, klinischen Beobachtungen, eigenen Sektionsbefunden
und epidemiologischen Erfahrungen und lautet: Die Weil sehe Krankheit ist
eine akute, nicht kontagiöse Infektionskrankheit, deren Erreger
ein zur Oruppe der Spirochäten gehöriger Mikroorganismus ist, der durch
Insektenstich auf Menschen übertragen und in die Blutbahn eingeimpft
wird und durch gleichzeitiges Befallen der inneren Organe und Gewebe sowie
durch Produktion spezifischer Giftstoffe eine Allgemeinerkrankung mit
typischem Fieber und vorzugsweiser Schädigung der Nieren und Leber
hervorruft. _ Dr.Roepke - Melsungen.
4. Geschlechtskrankheiten und deren Bekämpfung.
a. Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten und b. Beratungsstelle
fOr Geschlechtskranke. Von Sanitätsrat Dr. Lilienthal.
c. Syphilis, Krieg und Geschlechtskrankheit. Von Dr. Paul Richter.
Halbmonatsschrift für soziale Hygiene und praktische Medizin; Jahrgang 24,
Nr. 4 (a) und Nr. 5 (b und c).
Der Weltkrieg hat neue Gefahren heranfbesebworen, die in einer Durch¬
seuchung mit Geschlechtskrankheiten bestehen. Glücklicherweise ist die Zahl
der Geschlechtskranken im Heere geringer als man befürchtet hat; sie betrug
während der ersten 15 Kriegsmonate nur 6,1 °/oo der Kopfstärke, während sie
sich in dem Friedensjahre 191111912 auf ll u /oo belaufen hatte Die Militär¬
verwaltung arbeitet mit der Landesversicherungsanstalt Hand in Hand, es sollen
Beratungsstellen errichtet werden, deren Tätigkeit natürlich für die Beratenen
kostenlos ist und selbstverständlich mit der nötigen Verschwiegenheit durch¬
geführt wird. Auch die Honorierung der Aerzte muß nach Ansicht des Ver¬
fassers eine entsprechende sein; Sparsamkeit wäre hier unangebracht
Die Beratungsstelle für Geschlechtskranke beleuchtet Dr.
Lilien thal in Nummer 5 obengenannter Zeitschrift und betont auch hier, daß
der großzügige Kampf gegen die Geschlechtskrankheiten eine Hebung der
Volksgesundheit beabsichtigt; dieser Plan ist aber nur durchzuführen unter
freudiger Mitarbeit der gesamten Aerzteschaft.
Charlottenburg hat bereits eine Beratungsstelle eingerichtet, sie wird
von Dr. Richter in dem Aufsatz „Syphilis, Krieg und Geschlechts¬
krankheiten“ in derselben Nummer der obengenannten Zeitschrift ge¬
schildert. Er verlangt vor allen Dingen, daß Einrichtungen getroffen werden,
wo sich Personen, die früher an Syphilis erkrankt waren, auch später, wenn
sie scheinbar genesen sind, einer regelmäßigen Blutuntersuchung unterziehen
können. Dr. Hoffmann -Berlin.
Znr Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten hat das Reichs-
versicherungsamt unter dem 16. April d. J. folgendes Rundschreiben
ergehen lassen:
Die Verhandlungen über die Einrichtung der Beratungsstellen sind am
23. Februar und 10. März 1916 unter Zuziehung von Vertretern der Ver¬
sicherungsanstalten und Sonderanstalten sowie von ärztlichen Sachverständigen
im Reichsversicherungsamt fortgesetzt worden. Als ihr Ergebnis werden die
anliegenden „Gesichtspunkte bei der Einrichtung von Beratungsstellen“ er¬
gebenst übersandt. Wie sich aus den „Gesichtspunkten“ und dem gleichfalls
beigefügten Vordruck für Meldungen der Aerzte an die Beratungsstellen er¬
gibt, ist auf Wahrung der Rechte der behandelnden Aerzte, deren freudige
Mitarbeit von besonderem Wert sein wird, gebührend Bedacht genommen
worden. Die Einrichtung von Beratungsstellen ist nunmehr allerwärts im
Gange und werden hoffentlich die neuen Beratungsstellen den gestellten Er¬
wartungen entsprechen. Die Veröffentlichung der „Gesichtspunkte“ in der
Vereinszeitschrift würde mit Dank begrüßt werden.
264
Kleinere Mitteilungen and Referate aus Zeitschriften.
Gesichtspunkte bei der Einrichtung von Beratungsstellen.
1. Zweck der Beratungsstellen ist eine kostenlose und streng ver¬
schwiegene Beratung von Personen, die an Geschlechtskrankheiten oder deren
Nachkrankheiten leiden oder daran zu leiden besorgen. Die Beratungsstelle
erstreckt sich auf alle in ihrem Bezirke wohnenden oder dauernd beschäftigten
Personen, die dem Kreise der nach der Reichsversicherungsordnung (und dem
VersicherungBgesetz für Angestellte) versicherten Bevölkerung angehören oder
ihr in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht nahe stehen. Gegebenenfalls ist
die Beratung auf Familienangehörige auszudehnen.
2. Der Leiter der Beratungsstelle muß neben den erforderlichen all¬
gemein ärztlichen und fachwissenschaftlichen Kenntnissen das Vertrauen der
Aerzte des Bezirks besitzen. 1 ) Auch soll er die Kranken menschlich zu be¬
raten wissen und dabei der verschiedenen sittlich-religiösen Auffassung der
beteiligten Kreise Rechnung tragen.
8. Die Sprechstunden bei den Beratungsstellen sind tunlichst auf
arbeitsfreie Zeiten zu verlegen. Wie die neue Einrichtung und ihre Zwecke mög¬
lichst weitgehend bekannt zu machen sind und ob es auch in Tageszeitungen
geschehen soll, hängt von den örtlichen Verhältnissen ab. Namentlich. sind die
Pfleglinge der Krankenhäuser auf die Beratungsstellen hinzuweisen.
4. Als Besucher der Beratungsstellen kommen in Betracht:
a) die vom Militär, von Aerzten, Krankenkassen, Sonderanstalten, Kranken¬
häusern, der Armenpflege usw. überwiesenen Personen,
b) freiwillig sich Meldende.
Es ist anzustreben, daß die Aerzte des Bezirks die aus ihrer Behand¬
lung Ausscheidenden, soweit sie dem in Ziffer 1 umschriebenen Personenkreis
angehören, der Beratungsstelle zur weiteren Ueberwachung melden. Wenn
dies allgemein noch nicht erreicht werden kann, ist jedenfalls darauf Bedacht
zu nehmen, daß den Krankenkassen von den Kassenärzten entsprechende Mit¬
teilungen zngehen, die dann von den Krankenkassen an die Beratungsstellen
weitergeleitet werden. Falls bisher arbeitsfähige Kranke der Krankenkasse
nicht gemeldet werden, ist, soweit es sich um Geschlechtskranke handelt, eine
Aenderung herbeizuführen.
ö. Eine Verweisung des sich bei der Beratungsstelle Meldenden an die
Armenpflege zur weiteren Behandlung wird im allgemeinen nur in Frage
kommen, wenn der Kranke sich schon vorher in Armenpflege befunden hat.
6. Es empfiehlt sich, den Arzt der Beratungsstelle zu ermächtigen, bei
Gefahr im Verzug darüber zu entscheiden, ob der Kranke vorläufig auf Kosten
der Versicherungsanstalt in Behandlung zu nehmen ist. Die Versicherungs¬
anstalt, die alsbald von der vorläufigen Anordnung zu benachrichtigen ist,
kann die Gebernahme der weiteren Behandlung auf ihre Kosten ablehnen.
Bei der Behandlung sind Wünsche der Kranken hinsichtlich der Persön¬
lichkeit des Arztes oder der Auswahl des Krankenhauses tunlichst zu berück¬
sichtigen.
Der Beratungsstelle werden Mittel zur Verfügung zu stellen sein, aus
denen Reisekosten und Verdienstausfall den Besuchern der Beratungsstelle
alsbald erstattet werden können.
7. Die Beratung eines noch in Behandlung stehenden Kranken soll nur
im Benehmen mit dem behandelnden Arzt erfolgen.
Von einer Beratung der Kranken ist solange und soweit abzusehen, als
der behandelnde Arzt der Beratungsstelle gegenüber erklärt, daß er den Kranken
überwachen werde, und die Beratungsstelle von dem Stande der Sache unter¬
richtet (vgl. Ziff. 8).
8. Die Beratungsstelle ist über den Erfolg der Behandlung zu unter¬
richten. Am besten geschieht dies durch unmittelbare Anzeige des behandelnden
Arztes über Beginn, Ende und Erfolg der Behandlung. Im übrigen gilt das
in Ziffer 4 Abs. 2 Gesagte.
') Siehe auch den in der Beilage zur heutigen Nnmmer der Zeitschrift,
S. 50 abgedruckten Erlaß des preußischen Ministers des Innern vom 16. April
d. Js., in dem den Kreisärzten die Ilebernahme einer solchen Stellung zur
Pflicht gemacht wird.
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
265
9. Kranke, die anf die erste Einladung nicht erscheinen, sind auf die
Folgen des § 1272 der Keichsversicherungsordnung und anf die gemäß § 629
a. a. 0. durch die Krankenordnnng vorgesehenen Strafbestimmungen hinzuweisen.
Die Krankenkassen können ihren Mitgliedern die Meldung bei der Beratungs¬
stelle durch die Krankenordnung zur Pflicht machen.
10. Bei Ueberwachung der an Gonorrhoe erkrankt Gewesenen kommen
in erster Linie die Fälle in Betracht, in denen Kranke ungeheilt ans der Be¬
handlung eines Arztes entlassen sind oder sich ohne Grundangabe der weiteren
Behandlung entzogen*haben.
11. Verzieht der Kranke aus dem Bezirk der Beratungsstelle, so ist eine
Abschrift der Aufzeichnungen der Beratungsstelle (Krankenblatt) an die nun¬
mehr zuständige Beratungsstelle zu senden. Die Urschrift verbleibt bei der
ersten Beratungsstelle. Solange die Einrichtung der Beratungsstellen nicht
abgeschlossen ist, empfiehlt sich die Versendung der Krankenblätter von Ver¬
sicherungsanstalt zu Versicherungsanstalt.
Vornamen:
Beruf: .
Meldung des behandelnden Arztes.
.Zunahme: ....
am.zu
geb.
(Kreis:.)
Wohnort und Wohnung:.
Mitglied der.Kasse; Bnch Nr.ist von mir
vom.bis.an.behandelt worden und
* geheilt entlassen
* am.| einem Krankenhaus Überwiesen
\ Herrn Dr.zur Behandlung /
* genesen entlassen und bedarf einer Nachuntersuchung
nach
Wochen.
Monaten.
(Wünscht unter meiner persönlichen Ueberwachung zu bleiben.)
(Ich werde der Beratungsstelle weiter Bericht erstatten.)
* ist nngeheilt seit.aus meiner Behandlung fortgeblieben.
Der behandelnde Arzt Dr.
5. Krebs.
Heilnngsvorgänge lm Karzinom nebst einer Anregung zu seiner
Behandlung. Von Prof. Dr. H. Bibbert-Bonn. Deutsche med. Wochen¬
schrift; 1916, Nr. 10.
R. geht von der Untersuchung eines metastatischen, halbwalnusgroßen
Krebsknotens aus, der sich am Halse nach primärem Lippenkrebs wahrscheinlich
in einer Lymphdrüse entwickelt hatte, und in dem weitaus der größte Teil des
Karzinoms zurückgezogen war. Es handelt sich um ein Eindringen des zeitigen
Gewebes in das lebende Epithel und um den damit verbundenen Untergang
des Epithels und zwar der jungen, am Rande der Krebshaufen befindlichen
und sonst die Ausbreitung des Tumors besorgenden Zellen. Ribbert nimmt
nun an, daß die Vernichtung des Epithels auf den Einfluß der
Rundzellen zu beziehen ist und durch die toxischen Einflüsse bedingt wird,
die aus den zerfallenden Lymphozyten frei werden. Daraus folgert er den
Vorschlag, Lymphozyten und ihre Zerfallsprodukte dem zu behandelnden Krebs
künstlich zuzuführen. Man sollte in primäre oder auch in leicht zugängliche
metastatische Karzinome zerriebenes Lymphdrüsengewebe oder
aus ihm hergestellte Extrakte so reichlich einspritzen, daß eine
möglichst weitgehende Durchtränkung erzielt und alles Epithel mit den Zell-
S rodukten in ausreichende Berührung gebracht wird. Führt das zum Erfolg,
ann könnten weiterhin die Flüssigkeiten auch intravaskulär eingespritzt
werden, so daß sie vom Blute aus auf die nicht direkt erreichbaren Karzinome
einwirkeu können. Dr. R o e p k e - Melsungen.
* Das Zutreffende ist zu unterstreichen.
266 Kleinere .Mitteilungen and Beforate aas Zeitschriften.
Krebsepldemiologlsche Untersuchungen. Von Kreisarzt Dr. Hillen*
berg-Zeitz. Veröffentlichungen aus dem Gebiete der Medizinalverwaltung.
V. Bd., 4. H., Gr. 8°, 50 8. Preis: 2,80 M.
Verfasser gibt zunächst eine erschöpfende und deshalb wertvolle Ueber-
sicht über den derzeitigen Stand der Krebsätiologie und berichtet dann über die
von ihm in seinem Stadt- und Landkreis Zeitz sowie im benachbarten Stadtkreis
Weißenfels vornehmlich in ätiologischer Richtung hin angestellten epidemio¬
logischen Ermittelungen über das Vorkommen von Krebs. Er hat zu diesem
Zweck einen Fragebogen entworfen und nicht weniger alB 15000 Stück
an sämtliche Kinder aller im Stadt- und Landkreis Zeitz vorhandenen Schulen
sowie an die Schüler der Bürgerschulen in Weißenfels und durch Vermittlung
der Lehrer auch an alle diejenigen Familien verbreiten lassen, die keine schul¬
pflichtigen Kinder haben. Vor der Verteilung hatte er die Lehrer besonders
auf die Wichtigkeit ordentlicher Beantwortung der Fragebogen hingewiesen und
sie ersucht, diese nach Rückgabe durchzuseheu und auf Grund eigener Kennt¬
nisse sowie durch Nachfragen zu ergänzen. Diese Mitarbeit war von den Lehrern
bereitwilligst geleistet. Wo es erforderlich, hat dann Verfasser später noch
nähere Erkundigungen schriftlich oder persönlich eingezogen. Es wurden
377 Krebsfälle festgestellt, 196 beim männlichen, 181 beim weiblichen Geschieht;
davon entfielen auf die einzelnen Organe: 57,6°/o auf den Magen, 9,2°/o auf
die Gebärmutter, 8,4 °/o auf den Darm,. 6,6 °/o auf die Brust, 5,04 °/o auf die
Leber, l,8°/o auf die Speiseröhre, lß°lo auf das Gesicht, 1,5 # /o auf den Kehl¬
kopf, 1,8 */o auf den Hals und 1,01 °/o auf die Zunge. Von. den . einzelnen
Altersklassen waren am meisten bei der Krebssterblicbkeit die Alters¬
klassen von'51—60 Jahre (30°/o), 61—70 Jahre (20 °/o>, 41— 50 Jahre (17,8°/o)
und 71—80 Jahre (11,4 °/o) beteiligt, während die übrigen Altersklassen erheblich
geringere Zahlen aufwiesen: von 31 — 40 Jahre: 7,2%>, 21—30 Jahre:2,6°/o, über
80 Jahre: 0,64°/#, von 15—20 Jahre: 0,26°/o; unbekannten Alters waren 5,3 °/o.
Der Verwandtschaft nach trat der Krebs 34mal = 9,09°/o bei Eltern
und Kindern, 20 mal = 5,3 ®/o bei Ehegatten, 10 mal = 2,6°/« bei Geschwistern
und 7 mal = 1,8 °/o bei direkten Verwandten auf. ln 71 Familien war mehrfach
Krebs zu verzeichnen. Unter den Ursachen spielt nach Angabe der Be¬
fragten Trauma eine nicht unwesentliche Rolle (7,14°/o der Fälle); ob über¬
mäßiger Alkoholgenuß die Entstehung des Krebses begünstigt, dafür bieten
die Ermittlungen ebensowenig einen sicheren Anhalt wie für einen ursächlichen
Zusammenhang zwischen Krebs und Beruf; nur soviel geht aus ihnen hervor,
daß die Beschäftigung in der Landwirtschaft und in verwandten Berufen
anscheinend keine erhöhte Krebssterblichkeit zeitigt. Auch die Beschaffenheit
der Wohnung und ihrer Umgebung, insbesondere die Feuchtigkeit kommt nach
dem Ergebnis der Ermittlungen als Krebsursache nicht wesentlich in Betracht,
desgleichen wird durch das Ergebnis die Ansicht des Krebsforschers Werner-
Heidelberg bestätigt, „daß weder oreographische, geologische, hydrographische
oder klimatische Eigentümlichkeit der Orte, noch die Bauart ihrer Wohnhäuser eine
Beziehung zur Häufigkeit oder Seltenheit des Krebses besitzen.“ Zum Schluß
betont Verfasser, daß die Ergebnisse seiner durch fast zwei fortgesetzten, zum
Teil sehr mühevollen Ermittlungen keinen besonderen Anhalt für die endogene
Krebsentstehung gezeitigt haben; auffallend seien nur die festgestellten aus¬
geprägten zeitlichen und örtlichen Differenzen im Auftreten des
Krebses: in einem Orte (Kayna) z. B. in den Jahren 1901 — 1905 26,20°/o auf
10000 Lebende, 1906—1910 dagegen 0,00 °/o !, ferner in einzelnen Orten des
Kreises gar keine Krebstodesfälle, in anderen dagegen 15 und noch mehr auf
10000 Lebende (Brockau: 16,34 °/uo«, Dragsdorf: 23,92 %>oo). Dies an einzelnen
mehr oder weniger engbegrenzten Wohngebieten beobachtete gehäufte Auftreten
der Krebserkrankungen lasse zum mindesten für einen Teil derselben äußere,
d. h. von außen in den Körper gelangende Schädlichkeiten, die sehr
wahrscheinlich unter dem Kleinlebewesen zu suchen seien, als Ursache ver¬
muten. Ueber ihre Art und Zugehörigkeit schwebe allerdings z. Z. noch
ebensolches Dunkel, wie über den Weg ihrer Uebertragung; vieles spreche
jedoch dafür, daß diese auf die Menschen durch Vermittlung eines Zwischen¬
wirtes stattfinde und zwar durch Nahrungsmittel, da erfahrungsgemäß Ver¬
dauungsorgane, in der Hauptsache der Magen, vornehmlich Sitz des Krebses
sind. Für einen anderen Teil der Krebserkrankungen dürften dagegen andere
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 267
Ursachen in Frage kommen, die mit lebenden Agentien nichts weiter gemein
haben, als die Fähigkeit, in der disponierten Zelle eine tiefgreifende biologische
Alteration hervorzurufen. Durch weitere epidemiologische Forschnngen sowie
biologisch-experimentelle Untersuchungen sei eine Lösung der Krebsätiologie
za erwarten; sie sollten insbesondere an solchen Orten vorgenommen werden,
die einzelne Krebshäuser mit zahlreichen Fällen aufweisen. Man kann deshalb der
Ansicht Czernys nur zustimmen: „Wir können in den Fragen der Häufigkeits¬
zunahme, Kontagiosität der Erblichkeit und Aetiologie bloß dann sichere
Schlüsse ziehen, wenn sich die Forschung bis in die Verhältnisse der Gemeinden,
Häaser and der Familien vertieft.“ Rpd.
C. Hygiene und öffentliches Gesundheitswesen.
1. Abwässerbeseitigung.
Die Abwasserfrage IV. Von Prof. Dr. Rohland-Stuttgart. Zentral¬
blatt für Gewerbehygiene; 1916, Nr. 4. *
Aus der Theorie der Klärung und Reinigung der Abwässer und auch
aas der bisherigen Praxis ergibt sich, daß das „Kolloidtonreinigungsverfahren“
sich vortrefflich eignet zur Klärung und Reinigung der Abwässer der Textil¬
werke, der Farbwerke, Papier- und Pappenfabriken, der Brauereien, Brennereien,
Molkereien, Preßhefefabriken, Rohrzuckerfabriken und Raffinerien usw. and
zur Nachklärung und Nachreinigung der städtischen Abwässer, daß es aber
da nicht anwendbar ist, wo es sich darum handelt, anorganische Salze, die in
größerer Konzentration vorhanden sind, aus dem Abwasser zu entfernen, z. B.
aas den Endlaagen der Kaliwerke. Dr. Wolf-Hanau.
2. Gewerbehygiene.
(Jeher Rasierstubenhygiene. Von Dr. R. Oxenius-Frankfurt a. M.
Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin and öffentliches Sanitätswesen.
Dritte Folge; 51. Bd., 1. H.; Jabrg. 1916, 1. H.
ln der vorstehenden Abhandlung werden die Gefahren, die dem Publikum
and dem Geschäftspersonal durch die Barbier-, Frisier- und Haarschneidegewerbe
droben, sowie die Vorschriften zu ihrer Bekämpfung eingehend besprochen und
am Schluß Vorschläge zu weiteren Maßnahmen gemacht. Nach Erwähnung
der bisherigen Literatur über diese Frage und der darin mitgeteilten Einzel¬
beobachtungen werden die in Preußen erlassenen sanitätspolizeilichen Vorschriften
sowie die dazu ergangenen gerichtlichen Urteile angeführt und betont, daß dem¬
nach alle polizeilichen Vorschriften, die sich lediglich mit der Verhütung über¬
tragbarer Krankheiten durch die Barbierstuben befassen, ebenso ungültig sind,
wie diejenigen die zu allgemein gehaltene Bestimmungen über Reinhaltung usw.
enthalten und das Aufhäugen der Verordnung in den Geschäftslokalen fordern.
'Es frägt sich daher, ob nicht doch rechtsgültige Verordnungen erlassen werden
können, die im wesentlichen den an die Barbierstuben zu stellenden hygieni¬
schen Anforderungen, auch mit Rücksicht auf die Gefahr der Uebertragung
ansteckender Krankheiten, genügen. Die Frage, daß die heutigen Einrichtungen
der Barbierstuben diesen Anforderungen im allgemeinen nicht genügen, ist nach
Ansicht des Verfassers unbedingt zu bejahen. Um eine Besserung in dieser
Hinsicht zu erzielen, genügen aber nicht allgemeine Belehrungen; eine solche ist
vielmehr nur durch den Erlaß zweckmäßiger polizeilicher Vorschriften zu erwarten,
die am besten in Form einer für den ganzen Staat allgemein gülti¬
gen Verordnung erlassen werde, da die Verhältnisse in den einzelnen
Landesteilen keineswegs so verschieden sind, daß lokale Verordnungen den
Vorzug verdienen. Eine solche allgemeine Verordnung hat vor allem den
Vorteil, daß den Ort ihrer Tätigkeit wechselnde Barbiergehilfen sich nicht erst
an andere Vorschriften zu gewöhnen brauchen, sondern sich immer nach den¬
selben Bestimmungen zu richten haben. Notwendig ist es allerdings, daß man
sich bei Abfassung einer solchen allgemeinen Verordnung auf die „Mindest¬
maßnahmen“ beschränkt, die auch in kleinen Bezirken und Orten durchführ¬
bar sind. Die Verordnung muß sich auf die Geschäftsräume, das Personal, das
die Geschäfte besuchende Publikum, sämtliche im Betrieb verwandte Gegen¬
stände- and «uf die Ueberwachung erstrecken. Die in dieser Beziehung zu
steUenden Anforderungen werden von dem Verfasser ausführlich erörtert und
263
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
dann am Schloß in Form einer Polizeiverordnung zusammen gefaßt, die auch
der Rechtsprechung auf diesem Gebiete Rechnung trägt. Das Aushängen der
Verordnung in den Geschäftsräumen wird deshalb nicht gefordert; statt dessen
vorgeschlagen, jedem Geschäftsinhaber genügend Exemplare zur Verfügung zu
8teilen, damit er nicht bloß jedem antretenden Gehilfen, sondern auch jedem
Kunden ein solches anshändigen kann. Der Entwurf der Polizeiverordnung
enthält auch eine Bestimmung, wonach die Durchführung der Maßnahmen in
bestimmten Zwischenräumen (2 Jahren) durch besonders hierzu geeignete
Organe (der Polizei) überwacht werden soll. Eine solche Bestimmung gehört
aber nicht in eine Polizeiverordnung, sondern in die Ausführungsbestimmungen,
statt dessen ist aber eine Bestimmung erforderlich, daß der Geschäftsinhaber
und dessen Vertreter den mit der Ueberwachung der Ausführung der Polizei¬
verordnung beauftragten Beamten die Besichtigung ihrer Geschäftsräume zu
gestatten und ihnen die von ihnen geforderte Auskunft zu geben haben. Rpd.
Zar Toxikologie des Tetrachlormethans and des Tetrachlorftthans.
Von Reg.- und Med.-Rat Dr. Koelsch-München. Zentralblatt für Gewerbe¬
hygiene; 1916, Nr. 4.
Der Verfasser berichtet über einen Fall einer chronischen Tetrachlor¬
methan-Vergiftung. Die Erfahrung lehrt, daß bei der offenen industriellen
Verarbeitung das Tetrachlormethan ein äußerst bedenklicher Körper ist,
der schon nach relativ kurzer Bescbäftigungsdauer schwere, selbst töd¬
liche Erkrankungen hervorzurufen imstande ist. Die Folgerungen ergeben
sich von selbst: Vom gewerblich - hygienischen Standpunkte aus ist .die
Verwendung Tetrachloräthans, soweit durchführbar, ganz zu verbieten oder
nur unter ganz scharfen Schutzmaßnahmen zu gestatten. Für alle Fälle besteht
begründeter Anlaß, bei der Verwendung der gechlorten Wasserstoffe der
aliphatischen Reihe die Gesundheitsverhältnisse der Arbeiter stets im Auge zu
haben. Eine längere Beschäftigung mit den Substanzen ist für den Ausbruch
der Vergiftung nicht erforderlich; denn es werden selbst bei relativ kurzer
Beschäftigungsdauer tödliche Erkrankungen beobachtet. Als disponierend
dürften Alkoholismus, Fettsucht und Anämie anzusprechen sein. Selbstredend
ist jeder Arbeiter, der auch nur eine Andeutung von Ikterus zeigt, sofort
von der Arbeit zu entfernen. Unterstützt wird diese Maßnahme durch den
chemischen und besonders spektroskopischen Nachweis von Gallenfarbstoff in
Harn, bezw. im Blutserum, wo er in manchen Fällen noch vor der Gelbfärbung
der Haut auftritt Von den sonstigen Symptomen verdienen die Klagen über
Uebelkeit, Brechreiz, Magenbeschwerden, nervöse Reizerscheinungen, Fehlen
oder Herabsetzen der Kniereflexe unsere Beachtung. Dr. Wolf-Hanau.
Ueber ein neues Aeschereiverfahren für Gerbereien. Von Gewerbe¬
inspektor Dr. Naske-Wien. Zentralblatt für Gewerbehygienc; 1916, Nr. 4.
Die Vorteile der Aescheranlage nach dem System Gustav Pollak lassen
sich gegenüber dem alten Aescherverfahren und den Rühr- bezw. Drehäscbern
in folgenden Punkten zusammenfassen:
1. Die manuelle und für die Arbeiter außerordentlich anstrengende Arbeit
des Aufschlagens der zu weichenden und zu äschernden Häute fällt bis auf
das Einhängen und Abnehmen der Häute nach beendigtem Prozesse voll¬
ständig weg.
2. Hierdurch ist die Möglichkeit der Verätzung an Händen und Augen
durch verspritzende Kalkmilch auf ein Mindestmaß eingeschränkt.
3. Die Bildung von Bodensatz in den Geschirren ist ausgeschlossen.
Das Einsteigen in die Geschirre ist überflüssig und die Gefahr einer Gasver¬
giftung daher ausgeschaltet.
4. Durch die zirkulierende Brühe wird eine vollkommen gleichmäßige
Aescherung der Häute und eine rationelle Ausnützung der Aescherbrühe bewirkt.
5. Der Weich- und Aescherprozeß wird ohne Zugabe irgendwelcher
Chemikalien bei sonst gleichen Voraussetzungen hinsichtlich der Beschaffenheit
des Rohmaterials und des zur Verwendung kommenden Wassers auf halbe Zeit
eingeschränkt. Dr. W o 1 f - Hanau.
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
269
3. B&uglisgzfttnorge.
Bemerkungen Aber die „Kriegsneugeborenen“. Von Prof. Dr. Lang¬
st ein -Berlin. Zeitschrift für Säuglingsschutz; 1916, Nr. 8.
Der Verfasser wendet sich gegen die Anschauung von Kettner 1 ), der
„eine ganz neue Art von Säuglingen", die sog. Kriegsneugeborenen, gesehen
zu haben angibt und ist der Ansicht, daß man höchstens annehmen kann, daß
die weitere Kreise umfassende Aufregung der Mütter auch zu einer Ver¬
mehrung unruhiger Säuglinge geführt hat, eine Folge vermehrter Fehler in der
Pflege und Ernährung der Kinder. Dr. Wolf-Hanau.
Zum Milchbedarf des Kindes und zur Aetlologie und Behandlung
der Rachitis. Von Prof. Dr. E. Feer. (Aus der Universitäts-Kinderklinik
in Zürich). Mediz. Klinik; 1916, Nr. 8.
Mit Bezugnahme auf den Bundesratserlaß, wonach Kinder, soweit sie
nicht gestillt werden, bis zum vollendeten 2. Lebensjahr 1 1 Milch, ältere
Kinder */* 1 erhalten sollen, wird die Frage erörtert, ob diese Mengen ge¬
nügen? Die Ansichten über den Milchbedarf des Säuglings gehen weit aus¬
einander. Die Erscheinung des Milchnährschadens bei Flaschenkindern hat in
den letzten Jahren zu Einschränkungen der verabreichten Milchmengen ge¬
führt. Czerny-Keller empfehlen am Ende des 1. Jahres für ein Kind von
10 kg 1 1, für kleinere Kinder 100 g für das kg Körpergewicht. Verfasser
gibt seit Jahren höchstens 600 g Milch im Tag am Ende des 1. Lebensjahres.
Diese Menge wird im 2. Jahre stark beschränkt. In einer Anzahl von Fällen
wurden im 1. Jahre 600 g Milch nicht überschritten. Diese Menge
genügt vollauf zum guten Gedeihen der Kinder; dabei ist jedoch die früh¬
zeitige Zugabe von Kohlehydraten, Gemüse und Obst sehr wichtig; das
Nahrungsvolumen wird durch Wasserzusatz auf das physiologische Maß ge¬
bracht. Mit der Zuckerzugabe beginnt man sofort nach der Geburt und steigt
auf 20—30 g, die im 2. Halbjahr durch Mehle ersetzt wird. Mit Mehl beginnt
man am Ende des 1. oder anfangs des 2. Monats, auf den Tag 6 g.
Vom 6. Monat an bekommt das Kind eine Griessuppe, steigend von 15 bis
25 g Gries in dünner Fleischbrühe, weiter grünes Gemüse in feinster Breiform,
Obstsäfte und rohgeschabte Aepfel, Beerenfrüchte. Im 2. Jahre vermehrt man
Kohlehydrate, Obst und Gemüse und vermindert die Milch. Fleisch und Eier
sind ganz überflüssig. Größere Kuhmilchmengen fördern das Gedeihen des
Kindes keineswegs, beeinflussen es wohl oft ungünstig. Theoretische Bedenken
gegen die kleineren Milchmengen bestehen nicht, die allgemeinen biologischen
Ueberlegungen sprechen für eine starke Milchverminderung im 2. Jahre. Die
Milchmengen, die der deutsche Bundesrat in seiner Bestimmung den Kindern
sichpr stellen will, sind für gesunde Individuen mehr als ausreichend.
Manche Aerzte erblicken in der geringen Milchzufuhr infolge unge¬
nügenden Kalkgehaltes die Ursachen der Rachitis. Unsere Kenntnis über die
Aetiologie der Rachitis widersprechen dieser Annahme. Neben andern Ursachen
sind es in erster Linie die „respiratorische Noxe" (Mangel an frischer Luft
und 8onne) und die unzweckmäßige Ernährung, vielleicht auch infektiöse Fak¬
toren, die den Ausbruch der Rachitis begünstigen, daneben Heredität, die aber
nicht überschätzt werden darf. Der Einfluß der Mehlfütterung ist stark über¬
trieben worden. Unter den Ernährungsfehlern ist es zunächst die einseitige
und übermäßige Milchnahrung, die Rachitis auslöst. Die schwersten Fälle
können sich gerade bei Milchfütterung einstellen. Stoffwechseluntersuchungen
über Rachitis sprechen zugunsten knapper Milchernährung. Einseitige und
übermäßige Milchnahrung beeinflussen den Kalkstoffwechsel ungünstig. Die
beste Prophylaxe der Rachitis bietet die Ernährung mit wenig Milch unter
Zugabe von Kohlehydraten, Gemüse und Obst. Noch wichtiger ist diese Er¬
nährungsweise bei manifester Rachitis. Sie ist auch wirksamer als die aus¬
schließlich medikamentöse Therapie. Daneben muß die respiratorische Noxe
bekämpft werden, d. h. die Kinder soUen möglichst viel ins Freie gebracht
werden. Außerdem leisten Lebertran und Phosphorlebertran gute Dienste.
*) Siehe Referat darüber in Nr. 7 dieser Zeitschrift; Jahrg. 1916, S. 212.
270
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
Die Kalk - Retention wird verstärkt bei gleichzeitiger Verabreichnng von Kalk-
Präparaten. Die Abhandlung enthält auch einige ausführliche Kostzettel.
Dr. L. Qnadflieg -Gelsenkirchen.
4. Eisenbahnhygiene.
Periodische gesundheitliche Untersuchungen des Eisenbahnpersonal?.
Von Dr. Placzek-ßerlin. Zeitschrift für Bahnärzte; 1915, Nr. 3.
Der Verfasser tritt dem Vorschläge Gilberts 1 ) betr. periodischer Voll-
untersuchungen bei und fügt noch hinzu: „vermehrt durch die psychische
Untersuchung". Dr. W o 1 f - Hanau.
5. Krankenanstalten.
Zentrale Kränkenhausbelüftung und Luftabsaugung. Von Dr. Hasser.
Die Heilanstalt; 1916, Nr. 7/8.
Der Verfasser bespricht die Einrichtungen, die eine reine, 18—20° C.
warme, 60—60°/o relativ feuchte und stets leicht bewegte Luft in den Kranken¬
zimmern verschaffen. Dr. Wo 1 f - Hanau.
Verringerung der Krankenhausbaukosten unter besonderer Berück¬
sichtigung der Knappschaftslazarette. Vortrag des Stadtbaurats a. D.
S p i n n e r - Tarnowitz (Oberschles.), gehalten auf der Mitgliederversammlung
des Allgemeinen deutschen Knappschaftsverbandes am 28. September 1915.
Spinner weist mit Hecht darauf hin, daß die Berechnung der Kranken¬
hausbaukosten „für ein Bett" keinen richtigen Maßstab für die Frage abgebe,
ob die Kosten angemessen oder zu hoch seien, da die dabei in Betracht
kommenden Verhältnisse bei den einzelnen Krankenanstalten zu verschieden¬
artige seien. Der Oberschlesische Bauverein baue auch heute noch seine
Lazarette mit besonderen Verwaltuugs- und Wirtschaftsgebäuden, Wohnungen
für leitenden Arzt und Wartepersonal einschließlich innerer Einrichtung und
Ausstattung sowie aller Außen- und Nebenanlagen für 4000—4500 Mark für
das Bett, ohne Rücksicht darauf, ob 80 oder 3—400 Betten darin Platz linden.
Das Wichtigste und Entschiedenste für die Höhe der Baukosten sei die
Gestaltung des Bauprogrammes; durch die Vereinigung einer großen
Anzahl Betten in einem Gebäude werde eine große Kostenersparnis erzielt,
besonders in industriellen Gegenden, wo der Grund und Boden sehr teuer sei.
Gegen solche Einheitsbauten bis zu 400 Betten liegen auch ebensowenig
hygienische Bedenken vor, wie gegen die Verteilung der Krankenbetten in
drei Geschossen. Weiterhin lasse sich durch Einrichtung größerer Säle
eine Verminderung der Flurflächen und damit auch der Baukosten bewirken.
Nebengebäude seien tunlichst zu vermeiden, statt dessen Unter- und
Dachgeschosse möglichst zu Wirtschafts- und anderen Zwecken auszunutzen.
Nicht minder wichtig sei die richtige Bemessung der Anzahl und Größen der
Nebenräume (Tageräume, Aborte, Bade- und Waschräume, Schwestern-und
Wärterzimmer, Anrichten usw.); dasselbe gelte betreffs der Koch- und Wasch¬
küchen sowie betreffs der wissenschaftlichen Zwecken dienenden Anlagen,
soweit die Krankenanstalten nicht zugleich als Lehranstalten dienen. Bei einer
zweckmäßigen Grundrißlösung kommt es vor allem darauf an, unter strenger
Beachtung aller hygienischen Grundsätze, der Betriebsrücksichten und der
baupolizeilichen Bestimmungen die Krankenrnumc, Treppen und Nebenräume
so zu gruppieren, daß die Anzahl der Treppen, die Flächen der Flure, Gänge
und Nebenräume auf das möglichste Mindestmaß beschränkt werden. Die
Kosten einer besseren baulichen Ausstattung der Außenseiten werden vielfach
überschätzt; eine Ueberladung mit ornamentalem Schmuck, mit reichen Vor-
und Aufbauten sei unbedingt zu vermeiden; denn auch ohnedem lasse sich
dem Krankenhause architektonisch ein freundliches, vornehmes und gefälliges
Aeußere geben. Viel Kosten lassen sich bei der Ausführung sparen, wenn
auch der Grundsatz gelten muß, daß an Materialien und Konstruktion das
Zweckmäßigste und Preiswürdigste auszuwählen ist. Einmalige Mehrausgaben,
durch die die späteren Betriebskosten herabgesetzt werden (z. B. Wandfliesen
') Siehe Referat darüber in Nr. 3 dieser Zeitschrift; Jahrg. 1916, S. 81.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 271
in Baderaumen usw.), sind nicht zu scheuen, im übrigen ist aber, auch bei der
inneren Ausstattung, jeder überflüssige Aufwand zu vermeiden. Mit Recht
betont der Verfasser, daß man den Beginn der Arbeiten nicht überstürzen und
dem Architekten hinreichend Zeit zu sorgfältiger Durcharbeitung des Entwurfes
lassen soll, damit sich späteren Aenderungen, Stemmarbeiten usw., die meist
sehr kostspielig sind, nicht als notwendig erweisen. Auch durch Vereinigung
mehrerer Knappschaftsvereine, Gemeinden usw. zu Zweck verbänden, um durch
umfangreiche Lieferungsabschlüsse billigere Einkaufspreise zu erzielen, lasse
sich eine nicht unerhebliche Kostenersparnis erreichen. Jedenfalls könne
nicht behauptet werden, daß die behördlichen Vorschriften zu weit gingen und
den Bau der Krankenhäuser unnötig verteuerten; diese Verteuerung sei vielmehr
auf andere Ursachen zurückzuführen und müsse um so mehr vermieden werden,
als eine zu teuere Anlage nicht nur durch die Verzinsung der größeren Bau¬
summe, sondern auch durch die teuere Unterhaltung, Vermehrung des Personals
eine wesentliche Erhöhung der -Betriebskosten nach sich ziehe. Rpd.
Luxus in Krankenhausbauten. Von Architekt Fritz Voggen-
berger. Frankfurter Zeitung vom 16. Februar d. J.
• Auch dieser Verfasser ist der Ansicht, daß sich ein zutreffendes Urteil
über die Angemessenheit der Krankenhausbaukosten nicht aus einem Vergleich
der Kosten für das einzelne Bett bilden läßt, da die dabei in Betracht
kommenden Verhältnisse zu verschiedenartig sind; denn die Kosten des Baues
und der Einrichtung richten sich besonders nach den ortsüblichen Lohnsätzen, die
bekanntlich außerordentlich verschieden sind. Ferner weicht die notwendige
maschinelle und technische Einrichtung der einzelnen Anstalten je nach ihrer
Bettenzahl sehr voneinander ab, so daß eine Statistik unmöglich einwandfrei
sein kann, wenn man die Kosten für Krankenhäuser mit SO und 1200 Betten
gegenüberstellt. Von Luxus im Krankenbausbau kann nach Voggenberger
nur gesprochen werden bei Verschwendung in den Raumabmessungen, oder bei
Anwendung von Materialien, die nicht im Verhältnis zu den an sie gestellten
Forderungen stehen, oder bei Einrichtungen, die mit Rücksicht auf den Zweck
des Krankenhauses nicht als notwendig anzusehen sind. Selbst in den neueren
Krankenhäusern dürften aber in bezug auf die Raumabmessungen kaum
die in dieser Hinsicht gegebenen, reichliche Maße vorsehenden ministeriellen
Vorschriften überschritten sein, eine Ansicht, die jedoch nicht zutrifft, da es
eine große Anzahl von Krankenanstalten gibt, wo dies doch der Fall ist, z. B.
durch übermäßig breite Fluren usw. Daß durch das im Bau selbst verwendete
Material im Gegensatz gegen früher mehr Aufwand notwendig macht, wird
vom Verfasser zugegeben; diese Mehrkosten werden jedoch hauptsächlich durch
Forderung der Bauhygiene (Ausrundung an Wänden und Decken, glatte Profi¬
lierungen usw.) bedingt und nicht durch luxuriöse architektonische Ausstattung;
denn die jetzigen Krankenhäuser seien mit wenigen Ausnahmen schlichte An¬
lagen, die nur durch die Anordnung und durch die Größe monumental
wirken. Vielmehr werde der Krankenhausbau durch die medizinischen und
hygienischen Einrichtungen verteuert, die bei dem modernen Krankenhaus eine
ganz gewaltige Rolle in bezug auf die Kosten spielen, da nicht nur die erforder¬
lichen Apparate, und Instrumente usw. sehr erhebliche Kosten verursachen,
sondern noch mehr die zu ihrem Betrieb notwendigen baulichen und sonstigen
Verkehrungen. Zur Verbilligung der Krankenhausbauten und ihrer Einrichtung
macht Verfasser am Schluß folgende Vorschläge:
„1. Die Vorschriften der Preußischen Staatsregierung über Anlage,
Bau und Einrichtung der Krankenhäuser, Heil- und Pflegeanstalten sollten ent¬
sprechend geändert werden.
2. Durch Herstellung von Leicht-Krankenhäusern (Anstalten für
Leichtkranke, Erholungsheime und dergleichen) sollten die eigentlichen Kranken¬
häuser entlastet werden.
3. Bei der Entwurfsbearbeitung und Einteilung des Baues muß auf die
soziale Zusammensetzung des Bezirks oder der Stadt'Rücksicht ge¬
nommen werden.
4. Die gesamten Einrichtungen müssen durch Industrialisierung und durch
Aufstellen von Typen verbilligt werden.
6. Bei der Projektierung sind Sachverständige beizuziehen, die ins-
272
Kleinere Mitteilungen und Beferate aus Zeitschriften.
besondere darüber zu entscheiden haben, in welchem System gebaut werden
soll, ob ein Einheitsbau (Korridorsystem) zu wählen oder, wo es speziell
notwendig ist, das Projekt in verschiedene Qebäude aufzulösen ist, ob weiterhin
die Trennung (horizontal oder vertikal) der Geschlechter durchgeführt werden
oder ob eine Einteilung nach Krankheitsgattungen stattfinden soll."
Bei der Beachtung dieser Punkte sei es sehr leicht möglich, die Kosten
des Baues und der Einrichtung in normalen Grenzen zu halten. Man dürfe
aber nicht außer Acht lassen, daß das heutige Krankenhaus eine Gesundheits¬
stätte für Lebensschwache ist und nicht mit den früheren Anstalten, die
lediglich Unterkunftsräume für Leidende darstellten, verglichen werden kann.
Jedes Krankenhaus, selbst das kleinste, muß, abgesehen von den medizinischen
Einrichtungen, so beschaffen sein, daß es auf die Seele des Kranken einen
wohltuenden Eindruck macht. _ Bpd.
6. Krankenpflegepersonen.
Die Ausbildung des Pflegepersonals für Krankenanstalten und die
private Krankenpflege. Von Dr. Franz Patschke, Arzt in der Heilanstalt
«Waldhaus" in Nikolassee. Vierteljahresschrift für gerichtliche Medizin und
öffentliches Sanitätswesen. Dritte Folge; 51. Bd., 1. H. ; Jhrg. 1916, 1. H.
Patschke gibt zunächst eine eingehende Schilderung der zurzeit in
Deutschland bestehende Ausbildung des Pflegepersonals, unter dem er alle
männlichen und weiblichen Pflegepersonen versteht, die „Hilfspersonen des
Arztes in der gesamten Krankenfürsorge und als solcher ein wichtiger Heil¬
faktor bei der Krankenbehandlung und Krankenversorgung sind". Es folgt
dann eine Besprechung dieser Ausbildung in England und Amerika und im
Anschluß hieran eine kritische Betrachtung der einschlägigen Verhältnisse in
diesen drei Staaten. Verfasser verlangt ein zweites Lehrjahr für das Pflege¬
personal in Deutschland, da das jetzt in einem Jahre zu bewältigende Pensum
überaus groß sei und dem amerikanischen und englischen, wo die Lehrzeit
2—3 Jahre dauere, nicht viel nachstehe. Die Hauptsache für die Ausbildung
sei, daß den Pflegepersonen die grundlegenden Lehren in der allgemeinen Kranken¬
pflege beigebracht werden; die Spezialausbildung müßte nach bestandener Prüfung
in einem zweiten Lehrkursus mit nochmaliger Prüfung erfolgen. Patschke
empfiehlt daher in seinen Sclußsätzen einen zweijährigen Lehrkursus in zwei
Abschnitten mit je einem Schlußexamen, wobei dem zweiten Jahre die Speziali¬
sierung Vorbehalten bleiben könnte. Auch das Pflegepersonal in den Irren¬
anstalten müßte zunächt in der allgemeinen Krankenpflege ausgebildet werden,
die Ausbildung nur an Irrenanstalten sei zu einseitig. Die Privatkrankenpflege
erfordere außer erhöhten Kenntnissen in der eigentlichen Krankenpflege noch die
Beherrschung der wirtschaftlichen Gegenstände und besondere persönliche Eigen¬
schaften ; leider haben sich aber gerade in diese zahlreiche unausgebildete und
ungeeignete Elemente hineingedrängt, deren Ausschaltung durch größere Ausbrei¬
tung und Zentralisation der Fachverbände anzustreben sei. Für die Privatpflege-
E ersonen müßte außerdem besondere Gelegenheit zu Wiederbolungs- und Fort-
ildungskursen gegeben werden, damit sie sich stets auf dem Laufenden erhalten
können. Jedenfalls ist nach Ansicht des Verfassers eine gründliche Abhilfe
aller auf diesem Gebiete noch vorhandenen Mißstände nur durch eine obligato¬
rische staatliche Prüfung nach genügend langer Ausbildungszeit für, alle Pflege¬
personen zu erreichen. Bpd.
7. Soziale Hygiene.
Das heutige Zahnelend nnd der einzige Weg zu seiner Besserung.
Von Kunert, Zahnarzt in Breslau. Deutsche zahnärztliche Wochenschrift;
Jahrg. 18, Nr. 14.
Weder beim Menschen noch beim Tier tritt Karies auf, solange die
Zähne durch harte, am besten rohe Nahrungsmittel mechanisch genügend
beansprucht werden. Erst der Uebergang zu weicher Kost läßt die Zahnfäule
entstehen. Das Ziel aller zahnhygienischen Bestrebungen, wenn sie sich nicht
mit Schein- und Augenblickserfolgen zufrieden geben wollen, kann nur in der
Bückleitung unseres Volkes zu gröberer Kost, vor allem zu einem richtigen,
energisches Kauen erfordernden Vollkornbrot, und in der Einschränkung des
Kleinere Mitteilungen und Referate ade Zeitschriften.
273
Zlickergennsses, besonders der Zacker-Feinm&hlgemische liegen. Alle anderen
Maßnahmen, wie die Förderung der Zahnpflege durch Bürste und Zahnputz-
mittel, sogar die zahnärztliche Behandlung haben dieser wichtigsten Aufgabe
gegenüber eine mehr nebensächliche Behauptung.
Wir verzehren heute fast unser gesamtes Getreide, von der Kleie befreit
und das Innere des Korns zu allerfeinstem Mehl vermahlen, als Weißbrot,
Weizenfeingebäck, Kuchen und Gebäckarten, die den Kiefern so gut wie keine
Arbeitsleistung Zutrauen, dagegen durch ihre klebrige Beschaffenheit, durch
das Hängenbleiben von säurebildenden Besten an und zwischen den Zähnen
und in den Grübchen der Kauflächen ebenso wie die gekochte Nahrung ihr Teil
zur raschen Zerstörung der Zähne beitragen. Die Entwicklung der Mühlen*
industrie, die WalzmüUentechnik, die Einschränkung der Eigenbäckerei unter
Bevorzugung hellen und frischen Gebäcks und der sehr gestiegene Zucker¬
verbrauch Bind hauptsächlich für das Zahnelend verantwortlich zu machen.
Ein richtiges Mehl soll grob vermahlen, scharf zerrissen, aber
nicht breitgequetscht sein, wie es durch die Walzmühlen geschieht. Die
Mühlenindustrie maß wieder Mühlensteine oder ähnliche Einrichtungen einführen,
die das Getreide „schroten“. Durch die Excelsior-Mühlen der Firma Krupp
in Magdeburg-Buckau ist das Problem gelöst. Ferner müssen wir zum Back¬
steinofen zurück, weil er allein im langsamen Backprozeß das Brot richtig
durchzubacken und eine genügend dicke Binde zu schaffen vermag.
_ Dr. E o e p k e - Melsungen.
Wohnrenten für Kinderreiche durch Sparplllcbt vor der Heirat.
Von Dr. jur. Schmittmann, Hochschul-Professor in Köln a. Bh. Sonder¬
abdruck aus der Monatsschrift für die Bestrebungen der christlich-nationalen
Arbeiterschaft „Deutsche Arbeit“, Nr. 3, vom 1. März 1916.
Der Verfasser betritt mit dieser Abhandlung einen neuen, und wie es
dem Beferenten scheint, sehr praktischen Weg, um das Wobnungselend der
Familien mit zahlreichen Kindern abzuhelfen. Er geht von dem wohl richtigen
Gedanken aus, daß die Wohnungsfrage des Proletariates eine Lohnfrage ist.
Die Kleinwohnungen sind unrentabel, mit starkem Bisiko verbunden. Die
Abnutzung der Wohnungen durch Familien mit starker Kinderzahl, die
Unsicherheit des Einganges des Mietzinses hindert an der Bereitstellung von
Kleinwohnungen. Die hohe Aufgabe, die aber gerade gegenwärtig den Familien
mit großer Kinderzahl im Erhalt der Nation znfällt, finden eine durchgreifende
Maßregel. Als solche empfiehlt der Verfasser die Sparpflicht der Ledigen, die
in engster Verbindung mit der Invalidenversicherung durch Markenkleben
durchzuführen ist. Ledige Personen haben in der ersten Lohnklasse 16 Pfg.,
in der zweiten 24 Pfg., in der dritten 32 Pfg., in der vierten 40 Pfg. wöchentlich
zu kleben, was die Lebensverhältnisse der Ledigen gegenüber denjenigen der
Familien in keiner Weise beeinträchtigt. Dadurch kommen alljährlich 174 Millionen
zusammen, von denen nach Abzug einer allgemeinen Kapitalisierung alljährlich
131 Millionen direkt zur Erhaltung von Arbeiterwohnungen verwendet werden
können. Die Frage der Beitragspflicht der Arbeitgeber beantwortet Verfasser
nicht bestimmt, empfiehlt aber den Zwang.
Der Arbeiter hat ein Becht an der von der Allgemeinheit angesammelten
Gesamtsumme. (Beferent möchte noch eine Ergänzung hinzu Vorschlägen.
Neben der durch den Krieg erzwungenen Sozialisierung der Lebensmittel könnte
auch eine solche der Wohnungen Platz greifen. Jeder Staatsbürger, dessen
Wohnräume die von dem Staat aufzustellende Norm für das Wohnbedürfnis
wesentlich übersteigen, sollte zugunsten der Wohnungen des Proletariates
besteuert werden. Dr. Graßl-Kempten.
Geburtenrückgang ln der Provinz Posen. Von Kreisarzt Dr. La ras s-
Koachmin. Veröffentlichungen aus dem Gebiete der Medizinalverwaltung.
V. Bd., 5. H. Berlin 1916. Verlag von Bichard Schütz. Groß 8°, 30 S.
Preis: 1 Mark.
Verfasser kommt auf Grund seiner eingehenden Ausführungen und der
diesen beigefügten zahlreichen tabellarischen Uebersichten zu folgenden Schlu߬
ergebnissen :
„1. In der Landbevölkerung der Provinz Posen ist zwar eine Abnahme
274
Kleinere'Mitteilangen and Beferate aas Zeitschriften.
der Geburtenziffern festzustellen, doch ist sie weder anf eine Verminderung
der Fruchtbarkeit, noch auf eine gewollte Beschränkung der Kinderzahl zurück-
zufiihren, sondern die Folge einer unter dem Einfluß der Abwanderung ver¬
minderten Zusammensetzung des Volkskörpers.
2. Neben den herrschenden religiös-sittlichen Anschauungen hat besonders
wirtschaftliche Wertigkeit des Kindesalters hier noch nicht den Wunsch nach
einer Beschränkung der Kinderzahl allgemeiner werden lassen.
3. Als wirksamstes Mittel zur Sicherung und Hebung des Volksbestandes
ist die Vermehrung des bäuerlichen Besitzstandes durch Aufteilung und Be¬
siedlung anzusehen, wobei auf Erhaltung der wirtschaftlichen Wertigkeit des
Kindesalters unter möglichster Ausschaltung zurzeit bestehender Mißstände zu
achten ist.“ Bpd.
Rflckbllck anf die Literatur des Geburtenrückganges. Von Geh.
Beg.-Bat Dr. E. Würzburger-Dresden. Soziale PraxU; Nr. 21.
Verfasser weist darauf hin, daß in der bisherigen überreichen
Literatur über den Geburtenrückgang sich verschiedene Irrtümer befinden. So
wird allgemein behauptet, daß die Geburtenziffer im Deutschen Reiche schon
seit 40 Jahren in beständigem Sinken begriffen sei; tatsächlich ist aber dieses
Sinken, wenn man von der Hochflat der Geburtenziffer in der Mitte der 70 er
Jahre, bedingt durch die Hochflat der Eheschließungen nach dem Feldzuge
1870/71, absieht, erst in dem Jahrfünft 1901/1905 eingetreten; denn die Ziffer
der lebendgeborenen Kinder war im Jabre 1901 auch fast ebenso hoch wie
1892 und 1866 (37,0—38,0 auf 1000 Einwohner). Falsch ist auch die Be¬
hauptung, daß die Sterblichkeitsminderung die mit dem Geburtenrückgang ent¬
standene Bevölkerungsabnahme ungefähr ausgeglichen habe; der Sterblichkeits¬
rückgang ist vielmehr bis zur Jahrhundertswende ungeschmälert der Bevölke-
rungszunahme zugute gekommen und hat demzufolge eine beispielose Zunahme
der Bevölkerung bewirkt. Während nun vor der Jahrhundertswende der Sterb¬
lichkeitsrückgang fast ausschließlich die Erwachsenen oder richtiger gesagt
die jenseits des Säuglingsalters stehenden Personen betroffen hat, ist er später
vorzugsweise bei Kindern unter einem Jabre eingetreten; die volle Zahl der
Sterbefälle betrug z. B. 1901 bei den letzteren 420223, bei den übrigen Personen
754166 im Jahre 1912 dagegen 276671 (also 144652 weniger) bezw. 754178
(also nur 88 weniger). Jedenfalls steht das Deutsche Reich in bezug auf die
Volksvermehrung an der Spitze der europäischen Großmächte; denn
zwischen den beiden letzten Volkszählungen betrug diese jährliche Vermehrung
hier 13,6 # /oo, dagegen in Rußland nur 11,4 %>o, in Oesterreich-Ungarn un Gro߬
britannien 8,7 °/ 00 , in Italien 6,3°/ 00 und in Frankreich nur 1,8%». Die Er¬
folge der im Deutschen Reiche besonders seit dem Jahrhundertbeginn ein¬
gesetzten Bestrebungen zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit werden
vielfach zu gering eingeschätzt, obwohl sie phänomenal genannt werden müssen
(im Deutschen Reich von 20,7% auf 14,7%, im Königreich Sachsen von
25,73 ®/ 0 auf 15,65°/«). Ebenso ist die Gleichzeitigkeit des Eintritts von Ge¬
burten- und Sänglingssterblichkeits- Rückgang meist ganz unbeachtet geblieben
und dadurch die Erforschung der Ursachen für die Geburtenabnahme auf
andere, zu irrtümliche Schlußfolgerungen führenden Wege gelenkt. Für die
Bevölkerungsentwicklung ist nicht die Geburts-, sondern die Aufwuchs¬
ziffer maßgebend. Die jährliche Aufwuchsziffer, für deren Feststellung etwa
der Eintritt ins siebente Lebensjahr zur Grundlage dienen kann, gibt in Ver¬
bindung mit der Ziffer der über diesem Alter jährlich Sterbenden die Ver¬
änderung des ganzen Volksbestandes an, der praktisch für die Zukunft allein
in Betracht kommt. Die Aufwnchsziffer hat sich aber in der Zeit des Ge¬
burtenrückganges nicht vermindert, sondern sogar vermehrt. Wird durch die
angepriesenen Abhilfemittel tatsächlich eine Wiedererhöhung der Geburtsziffer
erreicht, so wird diese durch eine dann einsetzende erhöhte Säuglingssterb¬
lichkeit bald wieder ganz eitel gemacht werden, ganz abgesehen davon, daß
sich die meisten der empfohlenen Abhilfemittel, z. B. in Frankreich, als un¬
wirksam erwiesen haben. Verfasser will mit dieser Ansicht jedoch nicht den
Standpunkt vertreten, als ob eine noch stärkere Volksmehrung als die gegen¬
wärtige nicht anzustreben sei; eine solche erweise sich schon mit Rücksicht
auf die großen Menschenverluste des jetzigen Krieges notwendig und sei auch
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
275
mit Rücksicht darauf geboten, daß ein von übelwollenden Nachbarn umgebener
Staat an Volkszahl gar nicht stark genug sein könne. Diese Volkszunahme
muß aber, um keine Uebervölkerung des alten Bodens herbeiznfiihren, durch
Kolonisation, also durch die Form erfolgen, in der sich die Völker erfahrungs¬
gemäß verjüngen. Bei dieser Kolonisation müssen „wir jedoch unseren Blick
nicht anf fernere Erdteile richten, wo die Qefahr der Entfremdung zwischen
Kolonisten und Mutterland neben anderen Gefahren droht, sondern dorthin,
wo in unseren jetzigen Ostprovinzen das vor Jahrhunderten begonnene Werk
deutschen Unternehmungsgeistes des erlösenden Wortes harrt." Rpd.
8. Statistik.
Der wöchentliche Verlauf der Geburtenhänflgkett und Säuglings¬
sterblichkeit in den Großstädten mit mehr als 200000 Einwohnern während
der Zeit vom 1 . Angnst bis 30. Oktober 1915. Veröffentlichungen des Kaiser¬
lichen Gesundheitsamtes; 1916, Nr. 5.
Um im Anschluß an die erstmalige statistische Bearbeitung der Wochen¬
nachweise über die Bevölkerungsvorgänge in. den deutschen Großstädten mit
mehr als 200000 Einwohnern, die sich auf die Zeit vom 4. April bis 31. Juli
1915 erstreckte, den weiteren Einfluß des Krieges auf die Geburten¬
häufigkeit und Säuglingssterblichkeit in diesen Städten verfolgen
zu können, ist vom Kaiserlichen Gesundheitsamte in der die wöchentliche Zu¬
oder Abnahme der absoluten Zahlen der Lebendgeborenen und der Sterbefälle
im 1. Lebensjahre während der Zeit vom 1. August bis 30. Oktober 1915 gegen¬
über der entsprechenden Zeit des Vorjahrs 1 ) zusammengestellt. Zur Erzielung
einer Vergleicbsmöglichkeit der Ergebnisse dieser mit denen des früheren,
17 Wochen umfassenden Beobachtungszeitraums wurde außerdem der wöchent¬
liche Durchschnitt der Zu- oder Abnahme der absoluten Zahlen der
Lebendgeborenen und der Sterbefälle im. 1. Lebensjahre während der einzelnen
Beobacbtungszeitränme beider Vergleichsjahre berechnet und miteinander in
Vergleich gestellt.
Wie der Vergleich des wöchentlichen Durchschnitts der absoluten
Zu- oder Abnahme der Zahl der Lebendgeborenen zeigt, war in
der Mehrzahl der aufgeführten Großstädte die Abnahme der Zahl der
Lebendgeborenen während der Zeit vom 1. August bis 80. Oktober 1915
gegenüber der entsprechenden Zeit des Vorjahrs größer als in dem voran¬
gegangenen Beobachtungszeitraum. Hierbei ist allerdings zu bedenken, daß
sich der letztere auch auf die Zeit vom 4. April bis 1. Mai 1915 erstreckte, in
der ein Einfluß des Krieges auf die Geburtenhäufigkeit sich noch gar nicht
geltend machen konnte. Es muß daher schon aus diesem Grunde die wöchent¬
liche Durchschnittszahl der Geburtenabnahme während des zweiten, ganz unter
dem Kriegseinfluß stehenden Beobachtungszeitraums größer sein als die des
vorausgegangenen. Dennoch war die wöchentliche durchschnittliche Abnahme
während des zweiten Beobachtungszeitraums in den meisten Städten nur wenig
größer als die des ersten. Ein bedeutsamer Anstieg der wöchentlichen durch¬
schnittlichen Geburtenabnahme hatte sich nur in Hamburg (von 99,5
während des ersten Beobachtungszeitraums auf 148,4 während des zweiten), in
Leipzig (von 39,5 auf 64,9), in Cöln (von 16,5 auf 65,2) und in Königsberg
(von 23,9 auf 66,2) ergeben. Dagegen zeigte sich eine verminderte Ab¬
nahme in Berlin (von-141,4 auf 137,4), in Frankfurt a. M. (von 46,2 auf 32,8),
in Stuttgart (von 30,4 auf 28,8), in Neukölln (von 29,0 auf 26.4) und in Kiel
(von 13,1 auf 8,8), während in Breslau überhaupt keine Veränderung hierin
<52,5 bezw. 52,9) eingetreten ist. Die einzige Stadt, welche eine Zunahme der
absoluten Zahl der Lebendgeborenen während des zweiten Beobachtungszeit-
raums zu verzeichnen hatte, war wiederum Essen, doch war die Zunahme
während des zweiten Beobachtungszeitraums geringer als während des ersten.
Trotz des starben Anwachsens der Bevölkerung infolge Einverleibung um mehr
als 100000 im Jahre 1915 war die wöchentliche Zunahme der Zahl der Ge¬
borenen während der Zeit vom 1. August bis 30. Oktober 1915 in dieser Stadt
nur um 13 größer als die Geburtenzahl während der entsprechenden Zeit des
Vorjahrs.
l ) Siehe diese Zeitschrift, Jhrg. 1915; Nr. 23, S. 721.
276
Kleinere Mitteilungen and Beferate atu Zeitschriften.
Wie verschieden die Abnahme der wöchentlichen Durchschnittszahl der
Lebendgeborenen in einzelnen Städten in dem ganzen, 30 Wochen umfassenden
Beobacntungszeitraum vom 4. April bis 80. Oktober 1915 gegenüber der ent¬
sprechenden Zeit des Vorjahrs sich gestaltete, kann man ersehen, wenn man
die Grenzwerte dieser Abnahme in den einzelnen Ortsgrößenklassen
einander gegenüberstellt. So war die durchschnittliche wöchentliche Abnahme
in den beiden Städten der Ortsgrößenklasse mit mehr als 1 Million Einwohnern,
nämlich in Berlin mit 139,7 und in Hamburg mit 120,7 nur wenig verschieden,
obgleich die Einwohnerzahl Hamburgs nur etwas mehr als die Hälfte derjenigen
Berlins zurzeit beträgt. In der Ortsgrößenklasse von mehr als 500000 bis
1000 000 Einwohnern bewegten sich diese Grenzwerte zwischen 37,6 (Cöln) und
58,8 (Dresden), in der Ortsgrößenklasse von 400 000 bis 500000 Einwohnern
zwischen 40,4 (Frankfurt a. K.) und 44,8 (Düsseldorf), in der Ortsgrößenklasse
von 300000 bis 400000 Einwohnern zwischen 24,0 (Charlottenburg) und 52,9
(Nürnberg) und in der Ortsgrößenklasse von 200000 bis 300000 Einwohnern
zwischen 6,4 (Berlin-Schöneberg) und 46,2 (Duisburg).
Vergleicht man nun die Zahl der Lebendgeborenen während der Zeit
yom 1. August bis 30. Oktober 1915 mit derjenigen während der entsprechenden
Zeit des Vorjahrs für sich, so zeigt sich, daß sie in der Gesamtheit der 25 Städte,
von denen vollständige Nachweise vorliegen, um 15 457 oder 26,2 °/o abge¬
nommen hat. Die Abnahme war in den einzelnen Städten sehr verschieden
groß; diese Verschiedenheit tritt besonders deutlich zutage, wenn für die
Werte der absoluten Abnahme Indexziffern berehnet werden. Das Ergebnis
dieser Berechnung ist im Vergleiche mit dem der gleichen Berechnung für die
erste Vergleichsperiode folgendes:
Zahl der Lebendgeborenen
in der Zeit
Städte
1. Essen
2. Cöln . . ,
3. Kiel . .
4. Berlin-Schöneb
5. Leipzig . ,
6. Dortmund ,
7. Chemnitz ,
8. Hannover .
9. Königsberg
10. München
11. Charloitenburg
12. Stettin . .
13. Breslau . .
14. Berlin . .
16. Düsseldorf.
16. Danzig . .
17. Bremen . .
18. Stuttgart .
19. Hamburg .
20. Duisburg .
21. Dresden
22. Frankfurt a. M
23. Magdeburg
24. Neukölln
25. Nürnberg
erg
vom 4. April bis vom 1. Aug. bis
31. Juli 1916 30. Oktober 1915 ünter8chied
gegenüber dem entsprechenden Zeit¬
raum des Vorjahrs, wenn die Angaben
für den letzteren = 100 festgesetzt
werden
120,2
107,6
- 12,6
94,2
77,3
- 16,9
87,9
90,9
+ 8,0
86,9
82,0
- 4,9
84,1
72,3
- 11,8
83,8
74,3
— 9,5
8b,4
62,6
- 20,8
82,4
74,2
— 8,2
81,8
59,2
— 22,6
81,2
74,4
- 6,8
81,1
69,4
- 11,7
80,9
68,7
— 12,2
80,4
78,8
- 1,6
80,2
78,9
- 1,3
79,8
71,9
- 7,9
79,6
70,5
- 9,1
78,7
68,8
— 9,9
78,2
77,0
- 1,2
76,2
63,9
- 12,3
74,4
65,0
- 9,4
74,3
69,2
- 5,1
73,5
77,9
+ 4,4
73,1
72,7
- 0,4
72,2
71,2
- 1,0
68,8
63,4
- 5,4
Wie dieser Vergleich zeigt, hat das Maximum der relativen Ge¬
burtenabnahme, das während der ersten Vergleichsperiode von Nürnberg
Kleinere Mitteilungen und Beiernte aus Zeitschriften.
277
mit 68,8 erreicht worden war, während der zweiten Vergleichsperiode weiterhin
angenommen, indem die Indexziffer von Königsberg von 81,6 anf 69,2 sank.
Biese auffallende Erscheinung findet ihre Erklärung dadurch, daß die Zahl
der Lebendgeborenen in Königsberg im Oktober 1914 eine außergewöhnliche
Zunahme wohl infolge der Aufnahme vieler Flüchtlinge erfahren hatte, wo¬
durch die Abnahme in der entsprechenden Zeit des Jahres 1916 viel zu groß
erscheint. Es kann daher eigentlich nur die Indexziffer der Stadt Chemnitz
mit 62,6 als Maximum der relativen Abnahme der Zahl der Lebendgeborenen
während der zweiten Vergleichsperiode angesehen werden. Außer in diesen
beiden Städten trat nur noch in Cöln, Essen, Hamburg, Stettin, Leipzig und
Charlottenburg eine bedeutsame weitere Abnahme der Indexziffer für die zweite
Vergleichsperiode in Erscheinung. In den übrigen Städten war die Verände¬
rung der Indexziffer der Geburtenabnahme von geringerer Bedeutung, in zwei
Städten (Kiel und Frankfurt a. M.) war die relative Geburtenabnahme während
der zweiten Vergleichsperiode sogar geringer als während der ersten. Wenn¬
gleich die Indexziffer von Frankfurt a. M. nur von 73,6 auf 77,9 anstieg, so
wurde durch diese Zunahme erreicht, daß diese Stadt in der Reihenfolge der
Städte nach der Größe ihrer Geburtenabnahme von der 22. Stelle während der
ersten Vergleichsperiode auf die 6 günstigste Stelle während der zweiten
Periode rückte. Ebenso hat sich auch die Stellung der Stadt Berlin in dieser
Beihenfolge bedeutend gebessert, indem sie von der 14. auf die 4. günstigste
Stellung auf rückte, da die Veränderung der Indexziffer ihrer Geburtenabnahme
während der zweiten Periode nur geringfügig gewesen war und sich sogar,
wie schon erwähnt, dort eine Verminderung der wöchentlichen Durchschnitts¬
zahl der absoluten Abnahme der Lebendgeborenen ergeben hatte. Die gleichen
Verhältnisse lassen sich auch in Neukölln beobachten, wo sich die Indexziffer
der Geburtenabnahme ebenfalls nur wenig verändert bat, nämlich von 72,2
während des ersten auf 71,2 während der zweiten Periode, ferner in Magdeburg
und in Stuttgart, wo sich die Indexziffer während der gleichen Zeit von 78,1
auf 72,7 bezw. von 78,2 auf 77,0, also nur um 0,4 bezw. um 1,2 verminderte.
Vergleicht man nun die Geburtenabnahme während des Beobachtungs¬
zeitraums vom 1. August bis 80. Oktober 1916 gegenüber dem entsprechenden
Zeitraum des Vorjahrs mit der Veränderung der Zahl der Sterbefälle
im 1. Lebensjahre während derselben Vergleichszeit, so ersieht man,
daß der Abnahme der Zahl der Lebendgeborenen in der Gesamtheit
der 26 Großstädte um 16467 eine solche der Säuglingssterbefälle um
6864 gegenübersteht Der Ausfall der Geburten wurde also
nahezu bis zur Hälfte durch die Verminderung der Säug¬
lingssterblichkeit ausgeglichen. Die Geburtenabnahme erscheint
hierdurch in einem viel milderem Lichte, da aus diesem Erfolge schon jetzt
geschlossen werden kann, daß die Zahl der das 1. Lebensjahr Ueber¬
lebenden im Jahre 1915 sich viel weniger verringern dürfte als die der
Lebendgeborenen. Für die Volksvermehrung ist jedoch die Zahl der das
1. Lebensjahr Ueberlebenden von maßgebender Bedeutung.
Es fragt sich nun, auf welche Ursachen die bedeutungsvolle Ab¬
nahme der Säuglingssterblichkeit in den Monaten August bis Oktober 1915
gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahrs zurückzuführen ist. Da bereits
während der ersten Vergleichsperiode in allen hier aufgeführten Städten mit
Ausnahme von Essen die absolute Zahl der Lebendgeborenen sich zu ver¬
mindern begann, so ist klar, daß infolge der Verminderung der Zahl der dem
Sterben ausgesetzten Säuglinge sich auch deren Sterbefälle vermindern mußten.
Aus der Berechnung der prozentualen Abnahme der absoluten Zahl der
Lebendgeborenen und der Sterbefälle im 1. Lebensjahre während dieses Beob¬
achtungszeitraums gegenüber dem entsprechenden Zeitraum des Vorjahrs läßt sich
jedoch ersehen, daß die Abnahme derZahlderSäuglingssterbefälle
während dieser Vergleichszeit in allen Städten prozentual viel größer war
als die der GeburtenzahL Die Abnahme betrug nämlich für die Gesamtheit der auf¬
geführten Städte bei den Sterbefällen im 1. Lebensjahre 62,9°/o, während sie
bei den Lebendgeborenen, wie schon erwähnt, nur 26,2°/o erreichte. Die
prozentuale Abnahme der Zahl der Sterbefälle im 1. Lebens¬
jahre war also gerade noch einmal so groß als die der Lebend¬
geborenen während der gleichen Zeit.
278
Tagosnachrichten.
Wie es scheint, ist die Größe der prozentualen Abnahme der Lebend¬
geborenen nicht ohne Einfluß auf die prozentuale Abnahme der Sterbefälle im
1. Lebensjahre gewesen; denn von den 11 Städten, welche eine unterdurch¬
schnittliche prozentuale Abnahme der Zahl der Lebendgeborenen auf¬
weisen, zeichnen sich nur 4 durch eine überdurchschnittliche Abnahme
der Säuglingssterblichkeit aus, nämlich Berlin mit 53,3 °/ö, Stuttgart mit
53,8°/o, Berlin - Schöneberg mit 58,3% und Hannover mit 63,l°/o; dagegen be¬
finden sich unter den 14 Städten mit einer überdurchschnittlichen
prozentualen Abnahme der Sterbefälle im 1. Lebensjahre 9 Städte mit einer
ebenfalls überdurchschnittlichen prozentualen Abnahme der Zahl
der Sterbefälle im 1. Lebensjahre, nämlich Dresden mit 52,7°/o, Königsberg mit
53,7°/o, Neukölln mit 54,5°/o, Nürnberg mit 67,4 °/o, Duisburg mit 60,4%,
Leipzig mit 61,7%, Düsseldorf und Hamburg mit je 63,9 % und Chemnitz
mit 70,6%. Am geringsten ist die prozentuale Abnahme der Sterbefälle im
1. Lebensjahr in Kiel mit 22,1%, wo auch die prozentuale Abnahme der Zahl
der Lebend geborenen mit 9,1 % am geringsten ist; dagegen ist, wie schon
erwähnt, die prozentuale Abnahme der Zahl der Lebendgeborenen am höchsten
in Chemnitz mit 37,4%, wenn man von der nicht vergleichbaren Ziffer für
Königsberg absieht, und dementsprechend auch die prozentuale Abnahme der
Zahl der Sterbeiälle im 1. Lebensjahre mit 70,6% am größten..
Diese Beziehungen lassen vermuten, daß im allgemeinen mit dem Grade
der Abnahme der Zahl der Lebendgeborenen sich eine zunehmende Für¬
sorgetätigkeit > für die Säuglinge in einzelnen Städten entwickelte oder
daß diese Tätigkeit jetzt besser zur Wirkung kommen konnte, da sie den
hilfsbedürftigen Säugling mehr erreichte als bei der früheren größeren Säug¬
lingszahl. Dazu kamen freilich die günstigen Temperaturverhält¬
nisse in den Sommermonaten des Jahres 1915 als begünstigender Umstand
hinzu; denn der Einfluß der Temperaturverhältnisse in den Sommermonaten
auf die Säuglingssterblichkeit macht sich bekanntlich gerade in den Grofr-
städteu am meisten geltend. Hätten sich die Temperaturverhältnisse in den
.Sommermonaten des Jahres 1915 ungünstig gestaltet, so wäre der durch den
Krieg bedingten Geburtenabnahme infolge eines gleichzeitigen Anstiegs der
Säuglingssterblichkeit vermutlich eine viel größere Bedeutung zugefallen, als
ihr nach den bisher vorliegenden Nachweisen über die gleichzeitig einher-
gehende starke Verminderung der Säuglingssterblichkeit zuzukommen scbeint.
Tagesnachrichten.
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 1. Mai einen Nachtrag zur
deutschen Arzneitaxe 1916 beschlossen. Dieser Nachtrag enthält Aenderungen
der Preise für einzelne Gefäße unter Abschnitt All! Ziffer 12b der deut¬
schen Arzneitaxe 1916 und der Preisliste der Arzneimittel unter Abschnitt E
daselbst als Nachtrag zu der durch den Bundesratsbeschluß vom 16. Dezember
1915 festgestellten deutschen Arzneitaxe für 1916. Weitere Aenderungen in
der Preisliste der Arzneimittel Abschnitt E der deutschen Arzneitaxe, die
während der Dauer des Krieges infolge des Steigens der Großhandelspreise für
die Arzneistoffe notwendig werden, wird der Reichskanzler feststellen.
Am 29. April d. J. ist das Kaiser Wilhelm*Institut für Biologie, das
vierte Forschungsinstitut der im Jahre 1910 gegründeten Kaiser Wilhelms*
Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, eröffnet worden. Es liegt
ebenfalls auf dem Gebiet der ehemaligen Domäne Dahlem bei Berlin, südlich
von den beiden im Jahre 1912 eröffneten Kaiser Wilhelm-Institute für Chemie,
physikalische Chemie und Elektrochemie, und östlich von dem im Jahre 1913
eröffneten Kaiser Wilhelm - Institut für experimentelle Therapie. Zum ersten
Leiter des neuen Instituts ist Prof. Dr. C. Cor reus-Münster i. W., zum
zweiten Direktor Prof. Dr. II. Spemann -Rostock ernannt. Außerdem sind
noch Prof. Dr. M. Hart mann vom Institut für Infektionskrankheiten „Robert
Koch“ als Leiter der Abteilung für Protistenkunde, Dr. 0. Warburg als
Leiter der Abteilung für Physiologie berufen.
Tagesnachrichten.
279
Erste Anssnußsitzung einer nenznbildonden Deutschen Gesellschaft
für soziale Hygiene. Infolge der im vorigen Jahre von San.-Bat
Dr. Hanauer-Frankfurt a. M. gegebenen Anregung (s. diese Zeitschrift,
Jahrgang 1916, Nr. 18, S. 666), hat sich behnfs Gründung einer
Deutschen Gesellschaft für soziale Hygiene ein Ausschuß
gebildet, in den folgende Herren eingetreten sind: Kreisarzt Dr. Ascher-
Berlin, Hofrat Dörnberger-München, Dr. Effler-Danzig, Dr. A. Fischer-
Karlsruhe, Dr. Fürst -Hamburg, Stadtarzt Prof. Gastpar -Stuttgart, San.-Rat
Dr. Hatfaner-Frankfurt a. M , Hof rat Prof. Dr. Hüppe- Dresden, Prof.
Dr. Kisskalt -Königsberg, Stadtarzt Dr König-Frankfurt a.M., Dr. Kolb-
München, Landesgewerbearzt Med.-Rat Dr. Kölsch-München, Beigeordneten
Prof. Dr. Kr aut wi g-Köln, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. K r u s e - Leipzig, Dr.
M o s e s - Mannheim, San.-Rat Dr. Prinzing-Ulm, Reg.-Rat Dr. Rößle-
Berlin, Prof. Dr. S a 1 g e - Straßburg, Hof rat Prof. Dr. Schottelius - Freibnrg,
Prof. Dr. Schloßmann-Düsseldorf, Stadtschularzt Dr. T h i e 1 e - Chemnitz,
Obermedizinalrat Prof. Dr. Tjaden-Bremen, San.-Rat Dr. Weinberg-
Stuttgart. Am 25. April d. J. hat die erste Sitzung dieses Ausschusses im Hygieni¬
schen Institut zu Leipzig unter Vorsitz von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Kruse
stattgefunden. Erschienen waren vom Ausschuß die Herren Dr. Ascher, Dr.
Fischer, Dr. Hanauer, Dr.Hüppe, Dr. Kisskalt, Dr. Kölsch, Dr.
KiruBe, Dr. Rößle und Dr. Thiele. Auf Einladung nahmen noch Stadtrat
Dr. Gottstein-Charlottenburg, Geh. Ob.-Med.-Rat Prof. Dr. Abel-Jena, Geh.
Med.-Rat Prof. Dr. R o t h - Potsdam, Prof. Dr. Rille und Prof. Thiemich und
Stadtarzt Dr. Pötter-Leipzig an der Sitzung teil. Die Versammlung war
sich einig, daß eine große Organisation, eine umfassende sozial-hygieni¬
sche Zentrale geschafft werden müsse. Es sollen hier besonders gepflegt werden:
Medizinalstatistik und Bevölkerungspolitik, Wohnugs- und
Ortschaftshygiene, die Jugendfürsorge, Frauen- und Mutter¬
schutz, Krankenfürsorge, Berufshygiene und soziales Versicherungswesen,
Bekämpfung der Volkssenchen, Volksernährung und Alkoholismus, Medi¬
zinalverwaltung und Gesetzgebung, populäre Aufklärung über Hygiene.
Die Festsetzung der endgültigen Form der neuen Organisation bleibt einer
späteren Sitzung des Ausschusses Vorbehalten.
Die diesjährige XX. General -Versammlung des Deutschen Zentral-
Komitees zur Bekämpfung der Tuberkulose findet am Freitag, den
19. Mai 1916, vormittags 10 Uhr in Berlin im Reichstagsgebäude (Saal 12,
Obergeschoß); Eingang V (Reichstagsufer) statt.
Tagesordnung:
1. Geschäftsbericht. 2. Rechnungslegung für 1916 und Voranschlag für
1916. 8. Wahl zweier Rechnungsprüfer und zweier Stellvertreter derselben.
4. Vortrag: „Aufgaben der Tuberkulosebekämpfung während des Krieges“.
Berichterstatter: Ministerialdirektor Prof. Dr. Kirchner. 5. Anträge und
Mitteilungen.
Unmittelbar an diese Sitzung schließt sich eine Sitzung des Ausschusses
mit der Tagesordnung: 1. Wahl eines Präsidialmitgliedes. 2. Anträge und
Mitteilungen. _
Ehrentafel. Es haben weiterhin erhalten das
Eiserne Kreuz I. Kasse:
Oberarzt d. Res. Dr. Joh. Ollrich-Neudorf (Oberschles.).
Stabsarzt d. Res. Dr. S c h e n k e - Flensburg.
Stabsarzt d. L. Dr. Schirmer-Grünberg i. Schles.
Oberstabsarzt Dr. Ludwig Schmidt-Berlin (Wilmersdorf).
Oberstabsarzt Prof. Dr. Paul 8 i c k - Leipzig.
Stabs- und Bataillonsarzt Dr. Zürn-Brieg.
Das Königlich Sächsische Kriegsverdienstkreuz: Geh.
Med.-Rat Dr. E r a s, Bezirksarzt a. D. in Pirna, Medizialamtmann Dr. Franke
in Dresden, ständiger Hilfsarbeiter beim Landesgesundheitsamt.
Das Großherzogi. Mecklenburgische Militär-Verdienst-
280
Tagesnachrichteil
kreuz am roten Bande: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Körner, Prof. Dr.
Bnmke, Prof. Dr. Fr ob oes-Rostock.
Der Oesterreichische Franz Josef-Orden: Obermedizinalrat
Dr. Ilberg, Direktor der Heil- nnd Pflegeanstalt Sonnenberg (Königr. Sachsen).
Ehren-Ged&ohtnistafel. Für das Vaterland gefallen sind ferner:
Marinestabsarzt Dr. Fritz Baumann-Pas^au.
Stabsarzt d. Res. Dr. Danielsen-Benthcn (Oberschles.). 4
Assistenzarzt d. Res. Dr. Fnnke.
Oberstabsarzt d. L. nnd Chefarzt eines Reserve-Lazaretts Geh. Med.-Rat
Dr. Otto Horn-Tondern (gestorben infolge einer Operation).
Stabsarzt d. Res. a. D. Dr. Emil K ruse- Wangelin (Mecklenburg) (infolge
Krankheit gestorben).
Marinestabsarzt d. Res. Dr. Leonhard, Kreisarzt in Dann (an Fleck¬
typhus gestorben).
Feldnnterarzt Dr. Waldemar Meyer-Celle.
Feld Unterarzt H. Neuff er-Weimar.
Stabsarzt a. D. Dr. Fritz Räber t-Loewenberg in der Mark (an Typhus
gestorben).
Obergeneralarzt Dr. Max Rudelo ff-Neuhaldensleben (infolge von
Krankheit gestorben).
Oberstabsarzt d. L. Dr. Rudolphsohn-Frohnau (Reg.-Bez. Potsdam)
(infolge von Blutvergiftung gestorben).
Stabsarzt d. L. Dr. A. Schlottmann-Buchholz (Reg.-Bez. Lüneburg).
Bataillons- und Chefarzt Dr. Hilmar Schttnemann-Oberfrohna bei
Chemnitz.
Generalarzt a. D. Dr. Artur Schuster-Vetschau (infolge von Krank¬
heit gestorben).
Assistenzarzt Dr. Walter S c h w e i t z e r - Berlin-Schöneberg (infolge von
Krankheit gestorben).
Assistenzarzt d. Res. Dr. Friedrich Stein buch-Tübingen.
Stabsarzt d. Res. Dr. Richard Timm ermann-Stade (infolge von
Krankheit gestorben).
Truppenarzt Hermann Ufer-Karlsruhe.
Cholera: In Oestereich sind vom 19. März bis 2. April 4 Erkran¬
kungen (8 Todesfälle) und 1(—), in Bosnien und der Herzegowina vom
19. März bis 2. April 2 (1), — (—) und 93 (27) [unter Kriegsgefangenen in
Doboj) vorgekommen.
Fleckfleber. Im Deutschen Reich sind in den Wochen vom 9. bis
22. April (11) — (davon 7 unter Kriegsgefangenen und 4 bei Zivilpersonen) und
3 (1) (nur unter Kriegsgefangenen) festgestellt; in Ungarn vom 13.—29. März:
7 mit 11 Erkrankungen.
Pocken. Im Deutschen Reich sind in den beiden Wochen vom
9.-22. April: 15 (—) (für die Vorwoche noch nachträglich 5) und 14 (2) Er¬
krankungen (Todesfälle) ermittelt.
Berichtigung, ln Nr. 6 dieser Zeitschrift findet sich 8eite 172
ein von mir erstattetes Referat: Ueber Katacidtabletten. Darin ist
irrtümlich angegeben, daß die „Dr. Strauß' Katacidtabletten“ von
der Firma Dr. Henning-Berlin in Handel gebracht werden. Ich be¬
richtige diese Angabe dahin, daß nicht die Firma Dr. Georg Henning-
Berlin, sondern die Firma Chemische Industrie Pütt-Berlin die Katacid¬
tabletten in Handel gebracht hat. Dr. L. Quadflieg-Gelsenkirchen.
Redakteur: Prof. Dr. Rapmund, Geh. Med.-Rat in Minden LW.
J< 0. O. Bru«, B«r«o«l. Slßki. a. F. 8eh,-L. Hafbaekdraakaraf la K1 b4m.
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Itir Gemüts* u« Nervenkranke
/ zu Bendorl bei Coblenz. ®
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Sanatorium
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1916
Zeatralblitt
für das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie,
des staatlichen und privaten Versicherungswesens, sowie für das
Medizinal- und dffentliche Gesundheitswesen, einschließlich der
Hygiene und Bakteriologie.
Heraosgegeben
von
Prot Dr. OTTO RAPMÜND,
Qah. Med.-Rat In Minden ». W.
Offizielles Organ des Deutschen, Preussischen, Bayerischen, Sächsischen,
Wörttembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen, Thüringischen,
Braunschweigischen und Eisass-Lothringischen Medizinalbeamtenvereins.
Verlag von Fiseher’s med. Buehhandlg E Kornfeld,
HmogL Bayer. Hol- u. u. K. jüunmar-Buchliiadlt^
Berlin W. 62, Keitlistr. 5.
Ans#Ifta nekmen 41# Tect*gsk*sdlamg sowie alle AnseigenaniiahmeeteHefi d#i Im-
and Auslandes entgegen.
282 Dr. Boepke: Kriminelle Fruchtabtreibong, künstliche Unterbrechung
die Religion und die Lehre der Moraltheologie heranziehen
will, mag es tun. Die zunehmende Zahl der kriminellen Aborte
und der Verurteilungen aus diesem Anlaß in Deutschland würde
es rechtfertigen. Als Wegweiser kann dabei dienen, daß in
allen Ständen und von Verheirateten fast doppelt so
häufig abgetrieben wird, wie von ledigen Personen. Nach
Be n t h i n s Berechnungen wird die Fruchtabtreibung sogar
auffallend häufig von den Frauen selbst vorgenömmett (über
50%), während in Ostpreußen in 30% der Fälle eine Hebamme
ihre Hand im Spiel hatte. Als Gründe füf die. Fruchtabtreibung
herrschen schlechte soziale Verhältnisse vor, in Städten vor¬
nehmlich die Wohnungsfrage und der Kinderreichtum; beide
sollen im annähernd gleichen Prozentsatz (30%) beteiligt sein. Ein
Viertel der Frauen aber treibe aus „Bequemlichkeitsgründen“ ab.
Den meisten Aerzten wird die Betonung des Religiösen
im Kampfe gegen die kriminelle Fruchtabtreibung
nicht liegen. Der Arzt mag seine Hilfe über die körperliche
Sphäre hinaus ausdehnen Und seiner Klientel zum Seelenärzt
werden; er kann und soll aber niiöht den Priester vertreten,
ebenso wenig wie der Seelsorger' sich als Arzt betätigen soll.
Und wenn die Aerzte ihrerseits die Grenze in allem streng be¬
achten, können sie das gleiche von der Gegenseite in, der Seel¬
sorge und am Krankenbett verlangen.
Für die ärztlich gebotene Unterbrechung der
Schwangerschaft müssen allein anatomisch-physiologische
Tatsachen und pathologisch - therapeutische Ueberlegungen ma߬
gebend bleiben. Religiös - dogmatische Grundsätze, die auch
in der vorliegenden Frage das ärztliche Handeln in der rechten
Sicherheit und Sittlichkeit erhalten sollen, sind abzulehnen.
Nach der „Pastoral-Medizin“ von Capellmann*) war es zwar der
christlichenKultur Vorbehalten, den künstlichen Abort als
Heilmittel zu verbieten und fast gänzlich auszurotten,
bis gegen Ende des vorigen Jahrhunderts zuerst die Engländer,
dann die Franzosen ufid zuletzt in Deutschland fast alle Lehrer
der Geburtshilfe wenigstens die eine oder andere, oft recht viele
Indikationen für den künstlichen Abort angaben. Aber das
Dogma, daß der künstliche Abort eine Tötung des Eies ist,
daß jedes menschliche Individuum, also auch das befruchtete
menschliche Ei, als erstes Recht das Recht auf das Leben hat,
daß der künstliche Abort also als eine widerrechtliche Tötung
zu betrachten ist, die durch jede göttliche ünd menschliche
Gesetzgebung verboten" ist, dieses Dogma muß auch ferner halt
machen vor dem gleichen oder noch größeren Recht der
Schwangeren, das ihr bei streng begrenzter Indikation ohne
Gefährdung nur den heilenden Segen des ärztlichen Eingriffs
zugute kommen läßt. Das Dogma mag bei Laien eigenen
Bedenken eine konservative Richtung geben, die trotz Gefähr-
*) Medizinische Klinik; 1916, Nr. 11, 8. 301.
*) Herausgegeben von Dr. W. Bergmann; Aachen 1907.
der Schwangerschaft und Fürsorge für tuberkulöse Schwangere. 288
düng des Fruchtträgers die Schwangerschaft zu erhalten be¬
strebt ist. Den ärztlichen Praktiker darf es nicht einmal
dann zu dem Standpunkt der Moralisten „nunquam licet direote
procurare abortum“ herüberziehen. Selbst in den Fällen, in
denen der Arzt Schwangere, die die Beseitigung der Frucht
aus nicht stichhaltigen Gründen wünschen, umstiramen möchte,
soll er sich nicht auf jene Lehre stützen; denn diese Stütze
erklärt sich vielleicht sohon wenige Wochen später und bei dem
gleichen Fall gegen ihn, gegen sein berufs- und pflicht¬
gemäßes Raten und Handeln.' Je weniger• überhaupt die
Allgemeinheit der Aerzte Religiöses und Medizinisches direkt
oder indirekt verquicken würde, um so mehr würde sie dem
Unglauben entgegen wirken, der zu reichlichen oder ausbleiben¬
den Kindersegen je nach Wunsch durch Wallfahrten, Wunder
usw. beeinflussen zu können glaubt.
In juristischer Hinsicht bin ich auf die Beurteilung
des Verbrechens gegen das keimende Leben in einer neuen
Entscheidung des Reichsgerichts (IV. Str.-S.) vom
21. Dezember 1916 hingewiesen worden. Durch das Urteil
werden in der Tat einige recht unklare und dehnbare Begriffe
in die Rechtsprechung eingeführt, die geeignet sind, den § 218
des Strafgesetzbuches wesentlich einzuschränken und auch bei
Aerzten die scharfen Grenzen der Indikation zum künstlichen
Abort je nach den subjektiven Ansichten und Autosuggestionen
der Geschwängerten zu verwischen. Der der Entscheidung
zugrunde liegende Fall ist folgender;
„Eine Frau L. Sehr, ist vom Landgericht Baatzen am 18. Oktober 1915
wegen versuchter Abtreibung za 6 Wochen Gefängnis verurteilt worden. Die
Angeklagte, bereits Mutter von zwei ehelichen Kindern, hatte beim zweiten
Male eine sehr schwere Geburt gehabt und befürchtete bei einer dritten Ent¬
bindung äußerste Lebensgefahr. Als sie sich daher zum dritten Male —
übrigens irrtümlich — schwanger fühlte, ließ sie sich von einer „weisen Frau“
in der üblichen Weise durch Einspritzungen helfen. Es blieb aber, strafrecht¬
lich betrachtet, nur beim Abtreibungsversuch, da ja gar keine wirkliche
Schwangerschaft bestanden hat. Die Angeklagte berief sich zu ihrer Ver¬
teidigung auf den Strafbefreiungsgrund des Notstandes (§ 54 St.G.B.), weil sie
nur durch eine Fruchtbeseitigung die ihrem Leben von einer dritten Entbindung
drohende vermeintliche Gefahr habe abwenden können. Die Strafkammer wies
jedoch diesen Einwand zurück, denn einerseits sei die „Gefahr für Leib und
Leben“ keineswegs eine „unmittelbare“ gewesen, sondern habe noch in weiter
Ferne gestanden, anderseits hätte die Angeklagte in gesetzlich erlaubter Weise
durch einen operativen Eingriff seitens eines Arztes gerettet werden können.
Selbsthilfe durch Abtreibung sei mithin nicht notwendig gewesen. Auf die
Bevision der Angeklagten hob jedoch das Reichsgericht die Verurteilung auf
und verwies die Sache an die Vorinstanz zurück: Der „Notstand“ ist nicht
einwandfrei widerlegt. Es fehlt jede nähere Feststellung, auf welchem Wege
die Angeklagte die in solchen Fällen sehr schwer zu erlangende
ärztliche Hilfe erreichen sollte, und welches gesetzliche Mittel ihr über¬
haupt blieb, um die scheinbar unvermeidliche Lebensgefahr abzuwenden. Einer
hilflosen Schwangeren, die von einer neuen Entbindung den Tod be¬
fürchtet, wird der Strafausschließungsgrund des Notstandes nur dann zu
versagen sein, wenn ihr nachweisbar ein gesetzlich zulässiger Ausweg aus ihrer
Notlage geboten und auch bekannt war.“
Mit Recht wird in der Münchener med. Wochenschrift
(1916, Nr. 62) zu dem Urteil bemerkt, daß es viele „hilflose“
284 Dr. Roepke: Kriminelle Fruchtabtreibung, künstliche Unterbrechung
Schwangere gibt, die „von einer neuen Entbindung den Tod
befürchten“. Ob solche Todesfurcht tatsächlich vorhanden
ist oder nur vorgespiegelt wird, läßt sich nicht entscheiden.
„Hilflos“ ist schließlich jede Schwangere, der der Arzt den von
ihr begehrten „lebensrettenden“ Eingriff als nicht indiziert ab¬
lehnt. Es ist aber wohl denkbar, daß recht bewegliche Klagen
und Bitten von Schwangeren, wie sie nicht selten sind von
solchen, die ohne Gefährdung ihrer Gesundheit die Frucht los¬
werden wollen, den Arzt an diese Entscheidung erinnern und
einen „Notstand“ als gegeben ansehen lassen.
Weiter bin ich auf die Veröffentlichung von F. S tr a߬
mann 4 )„Die Behandlung der Abtreibung im künftigen Straf¬
gesetzbuch“ hingewiesen. Der vortrefflichen, zeitgemäßen Ab¬
handlung habe ich bereits für meine erste Arbeit die sich mit
meiner Erfahrung deckende Feststellung entnommen, daß haupt¬
sächlich „leichte tuberkulöse Affektionen oder auch nur
verdächtige Befunde, ohne daß etwa irgendein Fortschreiten
des Prozesses in der Schwangerschaft festgestellt ist, alsbald
als vollkommene Indikation für eine Unterbrechung der
Schwangerschaft angenommen werden“.
Nun denke man sich eine Schwangere, die weiß oder sich
einbildet oder vorgibt, daß sie tuberkulös lungenkrank oder
kehlkopfkrank war oder noch ist, und die beim Fortbestehen
der Schwangerschaft äußerste Lebensgefahr befürchtet. Wird
da nicht durch die neue Entscheidung des Reichsgerichts vom
21. Dezember 1915 der Strafbefreiungsgrund des „Notstandes“
(§ 54 des St. G. B.) und dem Arzt die Leistung der aus dem
Notstand sich ergebenden „Nothilfe“ nahegelegt? Wer die
Verhältnisse des Lebens kennt, wird in der Einführung des Be¬
griffes der hilflosen Schwangeren, die von der Schwanger¬
schaft eine Lebensgefahr befürchtet, in die Recht¬
sprechung eine Erschwerung der strafgesetzlichen Regelung der
Abtreibung erblicken müssen.
Welche Bestimmungen im übrigen das künftige Strafge¬
setzbuch bringen wird, bleibt abzuwarten. Mit Straßmann 4 )
werden es alle Aerzte begrüßen, daß man die willkürliche
Fruchtabtreibung einerseits nicht straflos lassen, anderseits
nicht ausnahmslos hart bestrafen will. Die Strafrechts¬
kommission hat sich für einfache Gefängnisstrafe bei nach¬
gewiesener krimineller Fruchtabtreibung entschieden und nur
in besonders schweren Fällen Bestrafung mit Zuchthaus bis zu
5 Jahren verlangt. Strenger soll jedoch der, der „gegen Entgelt“,
aus Gewinnsucht oder Gewerbsmäßigkeit die Abtreibung vor¬
nimmt, bestraft werden, nach dem Vorentwurf mit Zuchthaus
bis zu 15 Jahren oder mit Gefängnis nicht unter 6 Monaten.
Auch für die vorsätzliche Abtreibung ohne Wissen oder Willen
der Schwangeren wird Zuchthausstrafe nicht unter 2 Jahren
*) Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin und öffentliches Sanitäts¬
wesen; 3. Folge, ßd. XL1X, H. 2.
der Schwangerschaft and Fürsorge für tnberkalöse Schwangere. 285
vorgeschlagen. Endlich ist schon der Versuch der Abtreibung
strafbar; ob auch der mit untauglichen Mitteln und am un¬
tauglichen Objekt, steht noch aus.
Vom allgemein- und gerichtsärztlichen Standpunkt darf
man diese im Entwurf vorgesehenen Strafbestimmungen gegen
die Abtreibung als zweckmäßig und auch wirksam ansehen,
zumal sie in folgendem Zusatz (§217a) eine gegen die Kur¬
pfuscherei gerichtete Erweiterung erfahren:
„Mit Gefängnis bis za einem Jahre oder Geldstrafe wird bestraft, wer
Öffentlich oder durch Verbreitang von Schriften, Abbildangen oder Darstellungen,
wenn aach in verschleierter Form, Mittel oder Gegenstände zur Ab¬
treibung ankündigt oder anpreist oder in gleicher Weise seine eigenen oder
fremden Dienste zur Vornahme oder Förderung der Abtreibung
anbietet.“ (
Diese Strafbestimmung wird für die Bekämpfung der Ab¬
treibung nicht das leisten, was von der Durchführung des Kur¬
pfuschereiverbots zu erwarten wäre; immerhin ist sie ein
gutes Mittel, um der willkürlichen Beschränkung der Geburten¬
zahl entgegen zu wirken.
In der gleichen Richtung bewegt sich ein Antrag des
verstärkten Ausschusses des preußischen Abgeordnetenhauses
vom 18. Februar d. J., der die Königl. Staatsregierung ersucht:
„Bei dem Bandesrat dahin zu wirken, daß derselbe dem Beichstage mög¬
lichst bald einen Gesetzentwurf vorlegen möge, durch welchen der Bandesrat
ermächtigt wird, nicht allein jedes unaufgefordert an das Publikum sich heran¬
drängende Anbieten und Anpreisen durch Kataloge, Drucksachen, Hausieren usw.,
besonders auch das Feilbalten und den Vertrieb von Gegenständen, die zur
Beseitigung der Schwangerschaft oder zur Verhütung der Empfäng¬
nis geeignet sind, zu beschränken oder zu untersagen, wie auch alle nur für
das Laienpublikum bestimmten Schriften und Bücher, in welchen sich Be¬
schreibungen und Besprechungen der antikonzeptionellen und zur Unter¬
brechung der Schwangerschaft geeigneten Methoden und Mittel finden,
zu verbieten.“
Hier wird also die Bekämpfung der Fruchtabtreibung mit
der der Empfängnisverhütung vereinigt. Von letzterer soll man
sich nicht zu viel versprechen, zumal Kirchner 5 ) mit Recht
fordert, daß dabei nicht diejenigen Mittel getroffen werden, die
die Verbreitung der übertragbaren Geschlechtskrankheiten ver¬
hindern sollen. Wie dem aber auch sei oder werde, der kom¬
binierte Antrag in der Abgeordnetenkammer wird die durch
den Krieg noch dringlicher gewordene Bekämpfung der krimi¬
nellen Fruchtabtreibung beschleunigen und durch reichsgesetz¬
liche Regelung dem gemeingefährlichen Kurpfuschertum das
Handwerk legen auf einem Gebiete, auf dem es sich seit langem
breit machte und zurzeit auch durch die Kriegsverordnungen der
obersten Militärbehörden nicht recht gefaßt werden konnte.
Die Frage, in welcher Weise für die ärztlich gebotene
künstliche Unterbrechung der Schwangerschaft ein ge¬
nügender Schutz gewährt werden soll, ist noch umstritten. Während
von medizinischer Seite eine gesonderte Ausnahmebestimmung
bei dem § 217 Str.G.B. (Abtreibung) vorgeschlagen ist, hat die
*) Bede im Preußischen Abgeordnetenhaus am 25. Februar 1916.
286 Dr. Roepkfl: Kriminelle Fracht&btreibnng, künstliche Unterbrechung
Strafrechtskommission zunächst einen allgemeinen Zusatz zum
§ 67 (Notstand) gewählt. Der Wortlaut der Bestimmung steht
noch nicht fest, sie soll aber pflichtgemäßes ärztliches
Handeln als „Nothilfe“ dadurch decken, daß sie als nicht
strafbar den erklärt, der eine Handlung zur Rettung der Person
aus einer gegenwärtigen, auf andere Weise nicht zu beseitigen*
den Gefahr vornimmt, falls er nicht wider den Willen des an¬
deren handelt. Uns will scheinen, daß der kriminellen licht¬
scheuen Abtreiberei mit ihren Verwüstungen ein noch besserer
Riegel vorgeschoben würde, wenn das Gesetz neben der Be¬
strafung dieser ausdrücklich die Straflosigkeit für den —
und zwar einzigen — Pall bestimmt, daß 1. begründete Ge¬
fahren für das Leben odpr dauernde Schädigungen für die Ge¬
sundheit durch die Portdauer der Schwangerschaft bestehen,
und 2. die Unterbrechung durch den Arzt, abgesehen von ganz
dringenden Fällen, erst nach Beratung und im Einver¬
ständnis mit einem zweiten Arzte, erfolgt. DieForderung
der Zweizahl braucht vom Aerztestande nicht als kränkend
empfunden werden. Sie wird zwar, selbst wenn die Uebertretung im
Str.G.B. mit Geldstrafe belegt wird, nicht den Zusammenschluß
unlauterer, geschäftskundiger Elemente zu weniger strengen
Indikationsstellungen verhindern. Immerhin würde dadurch die
Aerzteschaft in dem Verantwortlichkeitsgefühl bestärkt und in
der Forderung auch rechtlich unterstützt werden, den künst¬
lichen Abort auf die unbedingt nötigen Schwangerschaftsfälle
zu beschränken.
Soweit die Eugenik, die Züchtungskunst und Lehre von
der Erzielung hervorragender Menschen, rassenhygienische Auf-
g aben hat, ist ihr in meinem ersten Aufsatz Rechnung getragen.
>ie dort für die Tuberkulose vertretene Ansicht ließe sich
dahin erweitern, daß dem Volksganzen auoh an den Nachkommen¬
schaften solcher Mütter, die an schweren Konstitutionskrank¬
heiten, perniziöser Anämie, hochgradiger Osteomalacie, aus¬
gesprochener Hämophilie, an oganischen Nerven- oder Geistes¬
störungen leiden, nicht überragend viel gelegen sein kann,
jedenfalls nicht soviel, daß darüber das Leben der Mütter gegen
das der Früchte zurücktreten dürfte.
Schacht 6 ) meint allerdings in einem Aufsatz über die
„Fruchtabtreibung“, daß die Natur überall das Bestreben
habe, sich zu regenerieren und aufwärts zu entwickeln.
Man solle daher bei dem tiefen Stande unserer Geburtszahlen
Kinder entstehen lassen, wo es nur immer möglich ist, und
sie dann unter Bedingungen bringen, unter denen sie gedeihen.
„Nicht dem künstlichen Abortus ist das Wort zu reden,
sondern einer hygienischen Kinderpflege und Erziehung“.
Ersteres geschieht ja nicht, aber auch letztere unterbleibt
leider noch immer in vielen an sich notwendigen Fällen, weil
es nicht überall gelingt, die geborenen Kinder aus einer
ß ) Archiv für Frauenkunde und Eugenik; 2. Band, Heft 1/2.
der Schwangerschaft und Fürsorge iür tuberkulöse Schwangere, 287
hygienisoh ungünstigen Umwelt herauszuheben. Von 8 Kindern
sterben bekanntlich noch 4 vor Eintritt der Pubertät»
wahrlich kein Qrund, die Fortpflanzung und das Gedeihen
von MinusVarianten im Sinne Grub er s nunmehr besonders
zu kultivieren, ln den Fällen, in denen eine schwere Krank¬
heit der Schwangeren Grund zur Abtreibung geben darf, würde
das Kinderelend zum großen Teil mit und in den Kindern
selbst auf die Welt kommen, wenn auch die Wirkung ungün¬
stiger volkswirtschaftlicher und -gesundheitlicher Verhältnisse
auf die Kindersterblichkeit keineswegs unterschätzt werden
soll. Ich möchte also die Forderung, Kinder entstehen zu
lassen, wo es nur immer möglich ist, nicht unterschreiben.
Außerdem ist der Stand unserer Geburtszahlen nicht so
tief, wie es allgemein behauptet wird. Ein Geburten-Rück¬
gang hat mit Beginn des neuen Jahrhunderts unverkennbar
eingesetzt, aber gleichzeitig mit ihm ist ein hocherfreulicher
Säuglingssterblichkeits-Rückgang eingetreten, sodaß
die Zunahme der Reichsbevölkerung von 10 Millionen
in den zwanzig Jahren 1875/1895 sich auf 16 Millionen in den
folgenden zwanzig Jahren heben konnte. Selbst in den IS Jahren
scharfen Geburtenrückgangs 1901 bis 1914 ist die Bevölkerung
noch um 11 Millionen gewachsen! Wenn man sich diese Zahlen,
die Würzburgers 7 ) „Rückblick auf die Literatur des Geburten¬
rückgangs“ entnommen sind, gegenwärtig hält, dann wird man
der Geburtenvermehrung um jeden Preis erst recht nicht
das Wort reden.
Die gleiche Forderung, ausgedrückt im Sinne des späteren
römischen Rechtes durch den Gedankengang „der Staat braucht
Kinder — das Weib muß sie austragen, gleichviel unter welohen
Bedingungen“ — liegt auch nicht im Interesse einer gesunden
Bevölkerungspolitik. Man muß Helene Simon 6 ) darin
beistimmen, daß die antiken Staaten nicht an Uebervölkerung
zugrunde gingen und sich nicht aufaßen, vielmehr mitsamt ihrer
Kultur aufgegessen wurden von jugendfrischen, „gebär¬
tüchtigen“ Barbaren, deren Abwehr ihre Greisenhaftigkeit
nicht mehr gewachsen war. Oder wie es Brentano,;[aus¬
drückt : „Das, was die europäischen Kulturvölker heute be¬
droht, ist das, woran die Kulturvölker der antiken Welt zu¬
grunde gegangen sind.“ Wenn der Unterschied zwischen der
bisher erreichten Höchstzahl der Geburten, die das Jahr 1901
mit 2032818 Lebendgeborenen geliefert hat, und derjenigen
des letzten Friedensjahres nahe an 200000 beträgt, dann wird
allerdings eine geburtenfördernde Bevölkerungspolitik für
das Deutschland des 20. Jahrhunderts zur Notwendigkeit. Die
geburtenfördernde Bevölkerungspolitik darf jedoch der rassen-
hygienischen Grundsätze nicht entraten. Hier gelten viel¬
mehr die Forderungen der Eugenik nach der negativen
Seite hin, d. h. die Fortpflanzung derjenigen zu beschränken,
7 ) Soziale Praxis; 1916, Nr. 21.
288 Dr. Boepke: Kriminelle Frachtabtreibung, künstliche Unterbrechung
deren Nachkommenschaft nicht nur keinen Wertzuwachs, sondern
eine Vermehrung der gemeinschädlichen Elemente bedeutet.
Es entsteht die Frage, wie bei dieser Sachlage ein ge¬
sunder Ausgleich zu schaffen ist. Der Schwerpunkt liegt in
der Prophylaxe. Zunächst, wie es Schacht 6 ) mit allem Nach¬
druck fordert, schärfste Ablehnung des Neumalthusianismus und
seines Grundsatzes, daß die Bestrafung der willkürlichen Frucht¬
abtreibung unzulässig sei, weil die Person über sich und das
Ihre frei verfügen könne. Innerhalb eines politischen Staats¬
gebildes gibt es keine völlig unbegrenzte Freiheit über die
eigene Person; es ist auch nicht erwünscht, sie zu schaffen.
Sodann ist die Frucht schon ein zweites Individuum und nicht
nur ein Teil der Mutter; darin findet aber die persönliche
Freiheit der Mutter eine Schranke. Vor allem muß aber der
Staat das Recht haben, seinen Fortbestand durch den Staats¬
bürger zu sichern; deshalb bestraft er ja die willkürliche
Fruchtabtreibung. Die schrankenlose, unbegrenzte
Freiheit der Schwangeren, über ihre Frucht zu
verfügen, kann also nicht die Forderung des Tages
sein oder werden. Das wären negative Leistungen, während
das Volksganze und das Volksbeste positive Werte von
ihr fordern.
Johann Barsony 8 ) schreibt sehr treffend in einer Abhand¬
lung über die „Eugenik nach dem Kriege“:
„Wir lassen im großen and ganzen nicht genug Sorge dem weiblichen
Körper angedeihen. Begehren wir von demselben, daß er viel und gutes
Menschenmaterial hervorbringe, so müssen wir mit Recht verlangen, daß wir
denselben schonen, pflegen und hegen und ihn zu der von ihm erwarteten
Aufgabe verbessern. Der schon während der Entwicklung mit Arbeit
überlastete Körper des Weibes wird ebenso verkümmern wie der eines Tieres,
das vorzeitig in das Joch gespannt wird, obwohl doch letzteres stärker ist.
Die das schwangere Weib anstrengende Arbeit ist eine Bürde gegen die Frau
und das Kind. Eine für die tägliche Notdurft des Daseins zu arbeiten be¬
müßigte Frau, die nicht säugen kann, ist keine Frau, weü keine
wahre Mutter.*
Also Frauenschutz! Mehr Schutz für das weibliche
Geschlecht schon während der Entwicklungsjahre, mehr gesund¬
heitsfördernde Jugendfürsorge, und während der Schwanger¬
schaft besondere Schonung des Körpers. Dann werden nicht
nur dank besserer Widerstandsfähigkeit die konstitutionellen
und infektiösen Krankheiten bei den Schwangeren abnehmen,
sondern auch sog. Schwangerschaftsbeschwerden organischer
und funktioneller Art seltener und geringer auftreten. Folge¬
richtig müssen damit die pathologischen Zustände, die den
Abort indizieren können, nach Zahl und Art zurückgehen und
noch mehr die Ansinnen, aus „Bequemlichkeitsgründen“ von
der Frucht befreit zu werden. Mit dem Zurücktreten solcher
Wünsche, denen der Arzt die Berechtigung abspricht, schränkt
sich dann auch die kriminelle Fruchtabtreibung durch eigene
Hand oder durch Kurpfuscher ein. Gebärtüchtige, gebär-
8 ) Archiv für Fr&uenkunde und Eugenik; 2. Bd., Heft 1/2.
der Schwangerschaft and Fürsorge für tuberkulöse Schwangere. 289
freudige und stillfähige Frauen bilden die beste
Gewähr für Abnahme der Fruchtabtreibung und
Zunahme der Geburtenziffern! Das mag optimistisch
klingen, aber ohne Optimismus kommt man über diese tief¬
ernsten, unheilschwangeren Fragen nicht hinaus zu der taten¬
frohen Mitarbeit, der sich kein Arzt entziehen darf. Es ist ein
Teil unserer Kriegsarbeit für den Frieden!
Barsony 8 ) gibt noch ein zweites Mittel an, das nach
seiner Ansicht der in allen Volksschichten auch im ehelichen
Verkehr weitverbreiteten Verhütung der Konzeption und zu¬
gleich der kriminellen Fruchtabtreibung entgegenwirken würde:
daa staatliche Findelhaus. Jeder verheirateten oder un¬
verheirateten Frau soll von vornherein Sicherheit geboten
werden, ihre Kinder, wieviel sie auch immer zur Welt bringt,
ohne Schwierigkeit vom Tage der Geburt an, auch für das
ganze Leben, dem Staate in einer mustergiltigen Einrichtung
zur Erziehung überlassen zu dürfen, sofern die Mütter aus
materiellen oder sozialen Gründen zur Erhaltung der Kinder
unfähig sind.
Bekannt ist, daß Findelhäuser weder in Frankreich noch
in Belgien den Geburtenrückgang aufgehalten haben. Außer¬
dem sind sie in Deutschland anrüchig; und damit muß gerechnet
werden. Was uns aber fehlt, sind zahlreiche Gebärasyle als
Entbindungsstätten, die nicht mit Hebammenunterrichtsanstalten
verbunden sind. Die Aufnahme in die Gebärasyle muß in jeder
Hinsicht erleichtert werden, möglichst kostenlos, z. B. auf An¬
trag von Vereinen usw. erfolgen. Sie sollen die Schwangeren
zeitig genug aufnehmen, ohne sie als Unterrichtsmaterial zu
verwenden, und für die spätere Unterkunft der Kinder sorgen,
soweit die Mütter unverheiratet sind. Solche Gebärasyle, die
in Schweden vorzüglich eingerichtet sind, wirken den Beweg¬
gründen entgegen, die erfahrungsgemäß so häufig die Verhütung
der Konzeption oder die willkürliche Fruchtabtreibung veran¬
lassen. Sie würden Hekatomben von Früchten, ungeborenen
und geborenen Kindern, Leben geben bzw. erhalten und dem
Staate den Ersatz bieten für Säuglinge, die — in Preußen
allein nicht weniger als 40000 jährlich — an sog. Lebensschwäche
infolge angeborener Syphilis zugrunde gehen.
Auf die Einwände, die gegen solche Gebärasyle ge¬
macht werden können, soll nicht eingegangen werden. Nur
eins: die Sittlichkeit, die durch ihre Errichtung gefährdet
wird, verdient möglichst schnell zugrunde zu gehen, um
Sittlicherem Platz zu machen. Für die Aerzte im all¬
gemeinen und die im besonderen, die sich mit diesen „Kultur¬
fragen“ beruflich häufiger beschäftigen müssen, überwiegen an¬
gesichts des Umfanges der kriminellen und approbierten Frucht¬
abtreibung die Vorteile. Ob die gegenwärtige große Zeit,
die in so viele Hirne und Herzen Licht und Sonne hinein¬
getragen und veraltete Ueberlieferungen mit samt vielem
Splitterrichtertum abgetötet hat, auch gesund und willensstark
890 Dr. Boepke: Kriminelle Fracbtabtreibong, künstliche Unterbrechung
genug sein wird, um nach E. M. Arndts Mahnung „mit Liebe
zu empfangen, was Liebe gab“, auch wenn es nicht begehrt
oder außerehelichen Ursprungs ist? Vielleicht wird man zu¬
nächst noch ab warten wollen, ob und wie sich die Verhältnisse
nach dem Kriege gestalten, und beeinflussen lassen durch die
neugebildete deutsche Gesellschaft für Bevölkerungspolitik, durch
die Vereinigung für Familien wohl im Reg.-Bez. Düsseldorf und
durch alle die Maßnahmen, die unter Beteiligung der deutschen
Aerzteschaft am Werke sind, um die vielen, dem deutschen
Volk aus den Lücken im Nachwuchs entstehenden Gefahren
zu bekämpfen.
Jedenfalls wird das Gebärasyl die Bedeutung einer .er¬
strebenswerten sozialen Einrichtung behalten. Es ist als
Prophylaktikum gegen die willkürliche Fruchtabtreibung gerade¬
zu notwendig für ledige Personen, für unbemittelte Frauen und
auch für tuberkulöse und tuberkulöseverdächtige Schwangere.
Wer die soziale Indikation zur Unterbrechung der
Schwangerschaft ablehnt, um nicht der Willkür Tür und Tor
zu öffnen, muß das Gebärasyl als Ausgleich wünschen,
wenn nicht aus staatlicher, dann aus kommunaler oder privater
Initiative. Die kriminelle Fruchtabtreibung wird heute in den
mit zu- und ab ziehenden Truppen überfüllten Städten in einem
Umfange bewirkt, von dem keine Statistik spricht. Der Vater
ist im Kriege, die Mutter ohne Anspruch, hilflos, bemitleidens¬
wert zurückgeblieben. Wie viele Schwangere würden aber
trotzdem aus Sittlichkeit oder aus Furcht vor verbrecherischen
lebensgefährlichen Eingriffen die Bürde austragen und ein Ge¬
bärasyl aufsuchen, wenn sie nur das geborene Kind ohne
Schwierigkeit abgeben und damit die Sorge um seine Aufzucht
los werden könnten! Der letzte Grund zur willkürlichen
Fruchtabtreibung ist doch bei den weitaus meisten ledigen
Schwangeren nicht eine kriminelle Neigung, sondern er
entspringt der Ueberlegung, den Schwangerschaftszustand zu
verwischen und aufzuheben, bevor er zur Geburt eines lebens¬
fähigen Kindes geführt hat und dann dessen Beseitigung nicht
nur schwieriger, sondern auch viel unmoralischer und krimi¬
neller macht. Wenn auch viele verheiratete Frauen aus den
nichtigsten Gründen abtreiben, genug von ihnen und noch mehr
von den Unverheirateten abortieren, um nioht für ein lebendes
Kind sorgen zu müssen.
So erschweren soziale Begleitumstände den Kampf gegen
die Abtreibung und lassen über die Zweckmäßigkeit weiter zu
ergreifender Schutz- und Abwehrmaßregeln streiten. Um den
sozialen Notstand für Verheiratete abzuschwächen, sind
empfohlen: Unterstützung kinderreicher Familien durch Kinder¬
zuwachsprämien, großzügige Wohnungsfürsorge mit besonderer
Berücksichtigung der großen Familien, Steuernachlaß bis zum
völligen Steuererlaß, Bevorzugung verheirateter Beamte, Koloni¬
sation an unseren jetzigen Ostgrenzen und dergl.
Als Prohibitivmaßnahmen, die im besonderen die
der Schwangerschaft und Fürsorge für tuberkulöse Schwangere. 291
beamteten Aerzte beteiligen, kämen noch in Frage die Anzeige*
pflicht aller fieberhaften und septischen Aborte, die Besser¬
stellung des Hebammenstandes, eine schärfere Aufsicht über
Privatentbindungsanstalten, das Verbot der Herstellung von
Mutterspritzen.
Die Meldepflicht für alle septischen Aborte
durch. Arzt oder Hebamme ist ebenso berechtigt wie die An¬
zeigepflicht des Wochenbettfiebers; denn sie würde ein besseres
Bild von dem Umfang der Fruchtabtreibung in bestimmten
Gegenden, Bezirken, Volksschichten usw. geben und auch besser
auf die Spur der gewerbsmäßigen und kurpfuschenden Abtreiber
bringen. B ent hin empfiehlt außerdem, in den tödlich endenden
Fällen die Ausstellung des Totenscheines zu verweigern
und dadurch die Sektion und gerichtsärztliche Feststellung mit
anschließender Strafverfolgung zu erzwingen. Das ist ein
etwas umständliches, aber zweifellos auf Oeffentlichkeit und
Heimlichkeit außerordentlich abschreckend wirkendes Verfahren!
Die Besserstellung der Bezirkshebammen ist in
den diesjährigen Verhandlungen des preußischen Abgeordneten¬
hauses über den Medizinaletat erneut allseitig gefordert und
auch als notwendig anerkannt. Sie erfolgt nun hoffentlich in
einer Weise, daß die Hebammen nicht mehr durch die Not zu
Verbrechen gegen das keimende Leben sich verleiten lassen,
vielmehr durch Ablehnen, Warnen oder Anzeigen in ihrem
Bezirk den Ast erhalten, an dem ihre berufliche Tätigkeit hängt.
Darüber daß gewisse Privatentbindungsanstalten,
mögen sie unter diesem Aushängeschild wirken oder namenlos
sein, einer viel schärferen Kontrolle hinsichtlich der Zu- und
Abgänge und der Art des Entbindungsmaterials bedürfen,
braucht hier kein weiteres Wort verloren zu werden. Da müßte
jede Rücksicht aufhören 1
Ebenso rücksichtslos ist die Mutt er spritze zu beschlag¬
nahmen und zu vernichten, wo immer man sie findet, bis ihre
Herstellung überhaupt verboten ist. Nach Puppe dient
die Mutterspritze ausschließlich kriminellen Zwecken und wird
am häufigsten als instrumentelles Mittel zur Fruchtabtreibung
angewandt, in 20°/ o aller Fälle mit Sicherheit erfolgreich.
Zu der ärztlich-medizinischen Frage des künstlichen
Abortes zurückkehrend, gebe ich zunächst eine kurze Ueber-
sicht über die Krankheitszustände, die überhaupt den
künstlichen Abort indizieren können; sie wird für die
Praxis das Vorherrschen der Tuberkulose als berechtigte
und unberechtigte Indikation dartun.
Da in allen Schwangerschaftsfällen die Möglichkeit besteht,
daß sich der Arzt über die Größe und Nähe der Gefahren für
die Schwangere täuschen kann, dürfen allein die objektiv
feststellbaren Beobachtungen des Arztes über Krank¬
heitszeichen seiner Entscheidung zugrunde gelegt werden. Das
klingt selbstverständlich; gleichwohl wird jeder Arzt Fälle mit
292 Dr. Boepke: Kriminelle Frachtabtreibung, künstliche Unterbrechung
folgendem Urteil kennen: Da die Patientin glaubhaft angibt,
daß sie an „unstillbaren“ Erbrechen leidet, ist die Indikation
zum Abortus artificiaüs gegeben. Da aber das unstillbare
Erbrechen der Schwangeren oft oder meist bei geeigneter Be¬
handlung stillbar ist, kann nur längere positive Eigenbeobachtung
unter Zuhilfenahme der Wage oder das Zeichen des bedenk¬
lichen Hungerzustandes den Eingriff unbedingt indizieren. Das
„unstillbare“ Erbrechen der Schwangeren mit „Lungenspitzen¬
katarrh“ ist besonders gründlich nachzuprüfen.
Die Einklemmung des retroflektierten oder vorgefallenen
oder in einer Hernie liegenden schwangeren Uterus wird
fachärztlich zu behandeln sein und erst bei negativem «Be¬
handlungsergebnis zur Unterbrechung der Schwangerschaft
berechtigen. Nach den Erfahrungen in den Frauenkliniken
sollen die Erfolge erstaunlich gut sein, so daß aus dieser Ver¬
anlassung der künstliche Abortus nur äußerst selten nötig wird.
Myome des Uterus geben an sich keine Anzeige zur
Unterbrechung, während der Uteruskrebs, der noch Aus¬
sicht auf Dauerheilung bietet, bei nicht lebensfähiger Frucht
die Totalexstirpation der schwangeren Gebärmutter, bei Lebens¬
fähigkeit des Kindes Kaiserschnitt mit anschließender Total¬
exstirpation indiziert.
Die Indikationsstellung zur Unterbrechung der Schwanger¬
schaft bei Beckenenge beträchtlichen Grades und bei
absoluter Beckenenge hängt in der Hauptsache von der Wahl
des richtigen Zeitpunktes ab und ist Sache der Geburtshelfer.
Bei Nieren-, Herz-, Leber-, Darm-Erkrankungen,
bei akuten Strumen, auch bei Diabetes, Nerven- und
Geisteskrankheiten und anderen akuten und chronischen
pathologischen Zuständen entscheidet allein der Grad der
Krankheit, ihr fortschreitender Verlauf und die Rück¬
wirkung auf den Allgemeinzustand der Schwangeren.
Es werden also z. B. Orthopnoe mit Zyanose bei Struma, bei
Herzkranken die nicht kompensierten Fehler mit Zyanose,
Dyspnoe, Albuminurie, bei den verschiedenen Formen der
Nephritis dauernder Eiweiß- und Zylindergehalt des Urins,
Hydrops und Herzstörungen, bei Diabetes höhere Grade der
Zuckerausscheidung mit schlechter oder stark schwankender
Toleranz, bei Nervenfällen die schweren Formen der Chorea und
Polyneuritis, bei Geisteskranken ausgesprochene Melancholien
und Erregungszustände die unbedingte Indikation zur künst¬
lichen Schwangerschaftsunterbrechung abgeben. Häufig wird
übrigens in solchen Fällen der Abort oder die Frühgeburt von
selbst eintreten; oder es werden nach vergeblicher therapeuti¬
scher Beeinflussung die Anzeichen so eindeutig sein, daß wirk¬
liche Zweifel über Eingreifen, Zuwarten oder Ablehnen des
Eingriffs nicht gut bestehen können.
Anders bei der Komplikation der Schwangerschaft mit
Lungenerkrankungen, insbesondere mit Tuberkulose
der Schwangerschaft und Fürsorge für tuberkulöse Schwangere. 293
der Atmungswege. Die bis zur ausgesprochenen Lungen¬
schwindsucht vorgeschrittenen und die durch eine sichere
tuberkulöse Kehlkopferkrankung erschwerten Fälle werden für
die Entschließung zur künstlichen Schwangerschaftsunter¬
brechung keine Schwierigkeiten machen. Diese sind aber 'in
allen beginnenden und stationären, inaktiven und
tuberkuloseverdächtigen Fällen gegeben, da nicht schon,
wie hier nochmals betont sein soll, der Nachweis der tuber¬
kulösen Veränderungen in der Lunge an sich, sondern erst der
Nachweis ihres Fortschreitens bzw. Fortgeschritten¬
seins im Lungengewebe unter dem Einflüsse der
Schwangerschaft entscheidend ist, gar nicht zu reden
von den Fällen eingebildeter oder absichtlich vorgetäuschter
Tuberkulose und von der Differentialdiagnose zwischen Chlorose,
Anämie, Neurasthenie und latenter Tuberkulose. Das ist ja
auch der Grund, weshalb ich die Mitwirkung des Tuberkulose¬
facharztes für notwendig halte.
Zu den sachlichen Schwierigkeiten kommen persönliche.
Der verderbliche Einfluß, den die Schwangerschaft auf eine
bestehende Lungentuberkulose haben kann, ist in den weitesten
Volksschichten bekannt. Ebenso bekannt ist der viel nach¬
gesprochene törichte Satz „ein bißchen tuberkulös ist jeder
Mensch“. Kein Wunder, wenn Frauen und Mädchen, die ihre
Schwangerschaft los werden wollen, sich ad hoc tuberkulose¬
krank Fühlen, wenn Aerzte propter hoc „tuberkuloseüber-
erapfindlich“ sind oder es werden. Subjektive Beschwerden
und objektive Befunde, beide mehr oder weniger schwankend,
stimmen schließlich überein und führen zum künstlichen Abort.
Ich will damit sagen, daß bei keinem tatsächlichen oder ver¬
meintlichen Krankheitszustand die Gelegenheit so häufig und
die Gefahr so groß ist, „approbierte“ Fruchtabtreibung zu üben
wie auf dem Tuberkulosegebiet, zumal jeder Arzt von sich
annehmen kann, die diagnostischen Mittel der Perkussion und
Auskultation genügend sicher zu beherrschen.
Was kann geschehen, um den künstlichen Abort wegen
Lungentuberkulose oder Tuberkulosegefahr auf das Notwendige
zu beschränken? Was kann geschehen zu dem Zweck, tuber¬
kulöse Schwangere ohne Gesundheitsschädigung aus dem
erhöhten Gefahrenbereich heraus- oder durch ihn durchzu¬
bringen ?
Wenn auch der Antrag, durch die ärztliche Standes¬
ordnung die Beratung zweier Aerzte für die Indikationsstellung
des künstlichen Aborts vorzuschreiben, kaum Aussicht auf
Annahme hat, zumal die Berlin-Brandenburger Aerztekamraer
eine Beschränkung der künstlichen Schwangerschaftsunter¬
brechung auch ohne ehrengerichtliche Sonderbe¬
stimmungen für erreichbar hält, so muß doch an dieser
Forderung festgehalten werden. Es muß eben versucht werden,
die Zweizahl der Aerzte durch eine gesetzliche Bestim-
294 Dt. Roepke: Kriminelle Fruchtabtreibnng, künstliche Unterbrechung
mung, wie oben ausgeführt, zu erreichen, wenn dies auch
vielleicht zunächst noch auf Schwierigkeiten stoßen wird.
Ein anderer Weg zu dem gleichen Ziele wäre der, daß
die hauptsächlich beteiligten Fachärzte, das sind die Ver¬
treter der inneren Medizin, der Frauenheilkunde und die Tuber¬
kuloseärzte, in ihren großen Fachvereinigungen als Entschließung
zum Ausdruck brächten und für sich bindend erklärten,
was v. Franqud als Zusatz zu einem Abtreibungsparagraphen
vorgeschlagen hat: „Vor Ausführung eines Eingriffes zur Ent¬
fernung des Schwangerschaftsprodukts ist der Arzt verpflichtet,
einen zweiten Arzt zuzuziehen, sofern der Zustand
der Mutter die dadurch etwa nötige Verzögerung
gestattet“. Kein Facharzt, der die Mißstände kennt, und
dem es nur auf die Sache ankommt, kann eine solche Erklärung
nicht gutheißen oder für sich nicht abgeben oder gar durch
ihre Forderung sich gekränkt fühlen. Die Autoritäten, Univer¬
sitätslehrer, Professoren, Krankenhausleiter dürften sich nicht
ausschließen, auch die Besitzer von Privatentbindungsanstalten
nicht. Die nächste Wirkung würde dann die 1 sein, daß der
Allgemeinpraktiker sich sagt: Was die zuständigsten Fach¬
kollegen und Autoritäten als ungeeignet oder zu verantwortungs¬
voll für die Entschließung eines einzelnen Arztes ansehen, das
darf auch der praktische Arzt nicht allein entscheiden und
verantworten wollen! Wer sich das aber nicht sagt und nicht
danach handelt, wird sich nicht wundern dürfen, wenn sein
souveränes Handeln genauer, kritischer beobachtet wird. Seien
wir doch offen: Wegen Personen, die nicht gut oder sehr gut
zahlen können, wird sich kaum jemand der Gefahr aussetzen,
etwas zu tun, was die Berufskollegen nicht zu tim pflegen, und
dadurch bei ihnen in eine schiefe Stellung zu kommen. Und
diejenigen „schönen Seelen“, die sich trotzdem zusammen¬
finden — in der Regel wohl nur in Großstädten — um zu zweit
Schwangerschaften ohne strikte Indikation zu unterbrechen,
werden auf die Dauer nicht unbekannt bleiben. Bleibt der
Einwand, daß die Aerzte, die berufen sind, lege artis Schwanger¬
schaften ohne gesundheitliche Nachteile zu unterbrechen, gerade
die besonders gefährdeten Tuberkulösen in die Netze der heim¬
lichen, kurpfuschenden oder berufsmäßigen Abtreibung zwingen,
wo ihnen mit einem hohen Grad von Wahrscheinlichkeit direkte
Gefahren für Leben und Gesundheit drohen. Das ist wieder
die soziale Seite der Frage, besonders wichtig und schwierig
durch die Komplikation der Schwangerschaft mit der Volks¬
krankheit Tuberkulose. Die Schwierigkeiten der Lösung sind
die der Tuberkulosebehandlung bei Unbemittelten, sofern nicht
Träger der sozialen Versicherung für die Kosten des Heilver¬
fahrens eintreten.
Bei Schwangeren aus bemittelten und wohlhabenden
Kreisen ist die Behandlung im Falle einer Tuberkulose unbe¬
schadet strengen Individualisierens nach folgenden Richtlinien
möglich: Bei Tuberkulose verdacht werden Vorschriften gegeben,
der Schwangerschaft und Fürsorge für tuberkulöse Schwangere* 295
die das Kurleben der Patienten im Hause dem in einer Lungen-
heilanstalt ähnlich gestalten: Regelung der Ernährung, Liege-
und Bewegungskur, vorsichtige Wasserbehandlung, Teraperatur-
und Gewichtskontrolle, Lungen- und Kehlkopfuntersuchungen
in 2—3 wöchigen Abständen. Auch diagnostische Tuberkulin¬
einspritzungen können gemacht werden, wenn die Entscheidung
drängt oder nicht anders möglich ist. Nichttuberkulöse oder
tuberkuloseverdächtige Schwangere in eine Lungenheilanstalt
zu schicken, wo sie als Prophylaktikerinnen unter Tuberkulösen
behalten werden, ist ein Kunstfehler. Nur wenn das Vor¬
handensein einer beginnenden aktiven oder einer stationären
Tuberkulose sich er gestellt ist, empfiehlt sich die Unter¬
bringung in einer Lungenheilanstalt und zwar möglichst schon
für die erste Hälfte der Schwangerschaft, um durch die
hygienisch-diätetisch-spezifischen Heilmittel die tuberkulöse Er¬
krankung zum sicheren Stillstand oder zur klinischen Rück¬
bildung zu bringen. Eine große Anzahl von Frauen kommt
so ohne Verschlimmerung zum normalen Ende der Schwanger¬
schaft und zu gesundem Kinde. Den zweiten Teil der
Schwangerschaft kann die in der Heilanstalt gesundheitlich
erzogene Frau wieder zu Hause zubringen, vorausgesetzt, daß
sich die Umwelt günstig gestalten und die Kontrolle durch
einen Lungenarzt ermöglichen läßt. Die Leitung der Geburt
und die Ueberwachung des Wochenbetts übernimmt der Haus¬
arzt oder ein Frauenarzt, falls nicht die Niederkunft in einer
Fachklinik vorgezogen wird. In der Erlaubnis des Stillens
wird man auch bei anscheinend klinisch Geheilten zurückhaltend
sein müssen. Läßt sich trotz des Aufenthaltes in einer Heil¬
anstalt oder schon während der häuslichen Beobachtungszeit
der Fortschritt des Tuberkuloseprozesses mit ungünstiger Rück¬
wirkung auf den Allgemeinzustand feststellen, dann wird die
Schwangerschaft nach Beratung mit einem zweiten Arzt künst¬
lich unterbrochen und danach die Kur in der Lungenheilanstalt
aufgenommen bzw. fortgesetzt. Bei vorgeschrittener Tuberkulose
oder Komplikation mit Kehlkopferscheinungen empfiehlt sich
vom humanen und praktischen Standpunkte aus die Aus¬
schaltung der Frau aus der ganzen Geburtstätigkeit mit mög¬
lichster Beschleunigung und unter Beobachtung der bewährten
geburtshilflichen Grundsätze. Schließt sich daran die Anstalts¬
behandlung oder eine klimatische- oder ambulante-spezifische
Kur, so kann es gelingen, die Mutter auf Jahre hinaus zu
retten, vielleicht sogar zu heilen und für einen späteren Zeit¬
punkt konzeptions- und gebärfähig zu erhalten. Erscheint
nach Ausbreitung oder Schwere der Erkrankung dieses Ziel von
vornherein nicht erreichbar, so bleibt die Frage der Sterilisierung
zu prüfen und gegebenenfalls zugleich mit dem künstlichen
Abort auszuführen.
Nicht anders sollten die tuberkulösen Schwangeren aus
den unteren und weniger bemittelten Kreisen be¬
handelt werden und zwar ohne Unterschied, ob sie verheiratet
296 Dr. Roepke: Kriminelle Prnchtabtreibung, künstliche Unterbrechung
oder ledig sind. In Wirklichkeit liegen aber ihnen gegenüber
die Verhältnisse noch so, daß für sie eine häusliche Beobachtung
und Behandlung als unmöglich ausscheidet oder unzureichend
bleibt und die Heilstättenbehandlung nicht immer erreichbar ist.
Nach zwei Richtungen ist Abhilfe nötig, wenn wir in diesen Fällen
der kriminellen Fruchtabtreibung aus sozialer Not Vorbeugen
und soziale Indikationen zum künstlichen Abort nicht auf-
kommen lassen wollen.
Erstens: Die deutschen Volksheilstätten müssen genügend
Betten für tuberkulöse Schwangere zur Verfügung halten und
sie aufnehmen ohne Rücksicht auf Allgemein- und Schwanger¬
schaftszustand. Die Forderung ist schon wiederholt im Laufe
des letzten Jahrzehnts erhoben, ohne der Lösung näher
gekommen zu sein. Noch ist es so, daß tuberkulöse
Schwangere überhaupt nicht oder nur für die
ersten Schwangerschaftsmonate in die Heilstätte aufge¬
nommen und aus ihr entlassen werden, sobald gynäko¬
logische Hilfe nötig zu werden scheint. Darin liegt vielleicht
eine Erklärung und zugleich der Wink, den unhaltbaren Zu¬
stand zu ändern. Wenn die deutsche Heilstätte, wie wohl
heute feststeht, das wirksamste therapeutische Mittel
im Kampfe gegen die Volkskrankheit Tuberkulose ist, dann
muß sie auch denen zugute kommen, bei denen die Tuber¬
kulose meist gleichzeitig zwei Leben gefährdet. Es wird
nur notwendig sein, daß die deutsche Frauenheilstätte mit Ein¬
richtungen, Räumen, Personal und ärztlicher Hilfe auf die
gynäkologische Behandlung der tuberkulösen Frauen
während Schwangerschaf t ? künstlicher oder normaler
Entbindung und Wochenbett eingestellt wird.
Zweitens: Die Ausnutzung der Lungenheilstätte für unbe¬
mittelte schwangere Tuberkulöse darf nicht an der Kosten¬
frage scheitern. Das ist aber der Fall bei den vielen ver¬
heirateten Frauen, die mittellos und nicht selbst ver¬
sichert sind. Es fehlt da der Träger der Kosten des Heil¬
verfahrens. Sofern die schwangeren Frauen selbst oder ihre
Ehemänner Mitglieder von Krankenkassen sind, reichen deren
Leistungen auch nicht aus, um die Kosten für Anstaltskuren
bei lebensbedrohlichen Zuständen während der Schwangerschaft
zu decken.
Auch bei den reichsgesetzlich versicherten
Frauen machen die Versicherüngsträger von der Bestimmung
im § 1269 der Reichsversicherungsordnung, daß das Heilver¬
fahren für sie keine Pflicht darstellt, Gebrauch, wenn bei der
Antragstellerin die Tuberkulose durch eine Schwangerschaft
kompliziert ist. Es ist vom rein versicherungstechnischen
Standpunkt zuzugeben, daß die Schwangerschaft die Aussichten
des vorbeugenden wie des wiederherstellenden Heilverfahrens
verschlechtert. Heute sollte aber das Gebot der sozialen
Gerechtigkeit solche Kleinrechnerei überwinden, insbesondere
der Schwangerschaft and Fürsorge für tuberkulöse Schwangere. 297
auch dann und gerade dann, wenn die tuberkulöse Schwangere
ledig ist.
Es bleibt abzuwarten, ob unsere jetzt gesteigerten Be¬
strebungen gegen Fruchtabtreibung und für Geburtenvermehrung
den Ausbau der Frauenheilstätten für tuberkulöse
Schwangere der unbemittelten V olksschichten bringen, die Hilfs¬
mittel oder Zuschüsse zu den Kuren bereitstellen und für Versicherte
die liberalste Gewährung des Heilverfahrens vor, während und nach
der Schwangerschaft sichern werden. Der Wunsch nach durch¬
greifenden Maßnahmen ist um so berechtigter, als in der Regel
ein wirklicher Erfolg zu erreichen sein wird: entweder eine
Besserung bei der Tuberkulösen und die Stärkung ihrer Abwehr¬
stoffe gegen die Tuberkulose für Jahre hinaus oder ein lebens¬
fähiges und nach Absonderung gesund bleibendes neues
Individuum oder gar beides, während ohne die Heilstättenkur
die Frucht, meist sogar auf kriminellen Wege, verloren geht
und die Kur für die Mutter später doch, nur mit inzwischen
verschlechterten Aussichten notwendig wird.
Es wäre eine neue Aufgabe für das Deutsche Zentral¬
komitee zur Bekämpfung der Tuberkulose, nach dem Kriege den
Kampf gegen die Tuberkulose der schwangeren Frau zu organi¬
sieren und einzupassen in den Rahmen der großzügigen Bestre¬
bungen gegen einen weiteren Geburtenrückgang. M. E. würde es
sich unschwer ermöglichen lassen, wenigstens in jeder Provinz
eine Frauenheilstätte durch eineAbteilung auszubauen, die
die heilstätten- und f rauen ärztliche Behandlung tuberkulöser
Schwangerer übernimmt und durchführt. Es kämen für die
Aufnahme in Frage: erstens die Schwangeren, bei denen be¬
gründeter Verdacht auf Tuberkulose vorliegt, damit die Diagnose
sichergestellt und das Verhalten zur Schwangerschaft festgelegt
wird; zweitens die Schwangeren mit beginnender Tuberkulose,
um sie so günstig zu beeinflussen, daß die Schwangerschaft
ohne Nachteil ausgetragen werden kann. Drittens würden hierher
gehören solche Schwangere, bei denen der Lungenbefund den
künstlichen Abort im Interesse der Mutter oder die künstliche
Frühgeburt im Interesse des Kindes indiziert, sowie viertens die
tuberkulösen Frauen, die über die besonderen Gefahren der Ent¬
bindung und des Wochenbetts hinweggebracht werden sollen und
ihre Kinder in gesunder Umgebung aufziehen lassen wollen.
Bei der Auswahl würden Flauen- oder auch Kinder¬
heilanstalten zu bevorzugen sein, deren leitenden Aerzte
fähig und bereit sind, sich in der geburtshilflichen Technik
durchzubilden. Die Anstalten müßten außerdem so gelegen
sein, daß frauenärztliche Fachhilfe in regelmäßigen
Zeitabständen und bei besonderen Gelegenheiten ohne Verzug
möglich ist. So erscheint mir, um nur ein paar Beispiele anzu¬
führen, für die Provinz Westfalen die Frauenheilstätte Auguste
Viktoria-Stift in Lippspringe für die Angliederung einer
Schwangeren-Abteilung besonders geeignet, sowohl wegen ihrer
Anlage, als auch wegen der leichten Erreichbarkeit des Fach-
298 Dr. Boepke: Kriminelle Fruchtabtreibang, kfinstL Unterbrechung nsw.
arztes der Hebammenlehranstalt in Paderborn. In der Provinz
Hessen-Nassau würde die Frauenabteilung der Heilstätte in
Oberkaufungen wegen der Nähe von Cassel in Frage kommen,
für die Provinz Posen die Frauenheilstfttte in Mühlthal wegen
der Nähe von Bromberg usf.
Der Gedanke, besondere Heilstätten für tuberkulöse
Schwangere neu zu errichten, verbietet sich schon mit Rück¬
sicht auf die dringlicheren Aufgaben, die nach dem Kriege zu
lösen sein werden. Außerdem reichen in den Frauenheilstätten
die Räume und Lagestellen für die oben angegebenen Zwecke
aus, wenn jene Anstalten sich endlich nnd grundsätzlich ihrer
nicht-tuberkulösen Klientel nach Sicherstellung der Diagnose
entledigen wollten. Es kann noch immer der Vorwurf gegen
Versicherungsträger und Heilstättenärzte erhoben werden, aafl
gerade in den Frauenheilstätten ein erheblicher Prozentsatz
— ich wage ihn auf 25 °/ 0 zu schätzen — überhaupt nicht
tuberkulös, überhaupt nicht lungenkrank, überhaupt nicht
anstaltsbehandlungsbedürftig istl Han muß als Kenner dieser
Zustände Credd-HOrder unbedingt zustimmen, wenn er recht
scharfe Worte findet darüber, daß soviele Nichttuberkulose
grund- und zwecklos teure Heilstättenkuren monatelang genießen,
während tuberkulöse Schwangere, gleichviel aus welchen Gründen,
draußen bleiben müssen. Auch allgemein-hygienische und
prophylaktische Gesichtspunkte, wie vor allem die Ausschaltung
der Ansteckungsquelle für die Familie und die Kleinkinderwelt
sollten eine Aenderung herbeiführen.
Wahrscheinlich bringt der Weltkrieg ein solches An¬
schwellen behandlungsbedürftiger Tuberkulosefälle, daß die
Lungenheilstätten sich auf ihre eigentliche Bestimmung, Mittel¬
punkte der therapeutischen Tuberkulosebekämpfung zu sein,
besinnen müssen. Es wäre ein Segen, von dem in den Frauen¬
heilstätten die tuberkulösen Sohwangeren den Nutzen haben
sollten.
Bei der Beseitigung von Mißständen, die sich wie die
Fruchtabtreibung im Volke festgesetzt haben, ist mit Ver- und
Geboten allein nichts getan. Werden aber Heilstättenbetten
für tuberkulöse Schwangere ohne Einschränkung durch das
Stadium der Erkrankung und der Schwangerschaft bereitgestellt
und solche Heilstättenkuren für Versicherte und Nichtver-
sicherte, Ledige und Verheiratete ermöglicht, dann haben wir
das Mittel, die durch Tuberkulose bedingte Fruchtabtreibung,
soweit sie kriminell ist, zu bekämpfen und in die gesundheitlich
richtigen engen Bahnen zu lenken, soweit sie ärztlich geboten
ist. Die Zusammenhänge dieser Aufgaben mit den Macht- und.
Kulturproblemen unseres Volkes sind durch den Weltkrieg nur
offenbarer geworden. Die deutschen Aerzte werden auch an
dieser Friedensarbeit hervorragenden Anteil nehmen, jeder an
seinem Platze und nach seinen Kräften!
Bericht über die Tagung der Deutschen Vereinigung für Krttppelfürsorge. 299
Aus Versammlungen und Vereinen.
Bericht über die ausserordentliche Tagung der Deutschen
Yerelnigung für Krüppel!firsorge in Berlin (Beiehstags-
gebftude) am 7. Februar 1916.
(Ergänzungsheft der Zeitschrift für Erüppelfürsorge; Nr. 1. Leipzig 1916.
Verlag von Leopold Voss. 8 # , 198 S. Preis: 3,20 M., für Mitglieder der
Vereinigung: 2,60 M.)
a. Vormlttagssitzung.
Die außerordentlich zahlreich besuchte Versammlung, an der in Vertretung
Ihrer Majestät der Kaiserin Ihre Kaiserliche und Königliche Hoheit die
Frau Kronprinzessin Cecilie, sowie als Mitglied des österreichischen
Kaiserhofes Seine Kaiserliche und Königliche Hoheit der Erzherzog Karl
Steph an teiln&hmen, wurde von dem Vorsitzenden der Vereinigung, Wirkl. Geh.
Ober-Med.- Bat Dr. Dietrich - Berlin, eröffnet. In seiner Begrüßungsansprache
S tb er einen kurzen Ueberblick über die bisherige KriegsinvalidenfUrsorge,
re Organisation in den einzelnen Bundesstaaten und ihre Leistungen. Danach sind
in allen Bundesstaaten Landesausschüsse gebildet, in den größeren außerdem
Provinzial-, Bezirks- und Kreisausschüsse; die Landesausschüsse haben sich
wieder in einem Beichsausschuß vereinigt, der die Verbindung zwischen ihnen
aufrecht erhält und die vielen gemeinsamen Fragen grundsätzlicher Art ver¬
handelt. Einen wichtigen Faktor bei der Kriegsinvalidenfürsorge bilden L a z a -
rettberatung und Lazarettunterricht; sie sind gleichsam die Grund¬
lage der Fürsorge, die weiterhin in Berufsberatung, Berufsausbildung und Arbeits¬
vermittlung, wenn erforderlich auch in der Herbeiführung einer weiteren Heil¬
behandlung bestehen soll. Wenn sich seit der vor Jahresfrist abgehaltenen
außerordentlichen Tagung der Vereinigung die Einrichtungen und Organisationen
der bürgerlichen Kriegsinvalidenfürsorge so schnell und erfolgreich entwickelt
hätten, so sei dies vor allem dem verständnisvollen Zusammenwirken aller
amtlichen staatlichen und kommunalen Behörden, Berufs- und Wohlfahrts-
Vereinigungen usw. zu verdanken. Bedner spricht diesen dafür den wärmsten
Dank aus, heißt die erschienenen Vertreter der Beichsverwaltung und Bundes¬
regierung, des Heeres und der Marine, der einzelnen Landesregierungen, Beichs-
und Landesversicherungsanstalten, Gemeindebehörden, Beruisverbände, Wohl¬
tätigkeitsvereine usw. herzlich willkommen mit dem Wunsche, daß Ihr zahl¬
reiches Erscheinen eine gute Vorbedeutung für den Verlauf und Erfolg der
Verhandlungen sein möge.
Es wird dann sofort in die Tagesordnung eingetreten:
1. Ein Jahr Krttppelfürsorge mit besonderer Berücksichtigung der
ärztlichen Tätigkeit. Berichterstatter Prof. Dr. Biesalski - Berlin: Im letzten
Jahre hat sich ein vollständiges Umlernen in der Beratung der Kriegsbeschädig¬
ten bis in die breitesten Volksschichten vollzogen. Die frühere sentimentale
Auffassung, der Schwerverletzte sei nur ein Gegenstand des Mitleides und
müsse infolgedessen befreit von aller Arbeit und Beschäftigung nur mit Liebe
und Pflege umgeben werden, ist erfreulicherweise von Grund aus beseitigt und
an ihre Stelle eine andere zeitgemäßere und erfreuliche Auffassung eingetreten,
in der aber sehr viel mehr tatsächliche Fürsorge und Liebe steckt, als in jener
alten. Niemand spricht jetzt mehr von dem einäugigen Leierkastenmann oder
dem einbeinigen Hausierer, niemand verlangt Versorgungsheime für Verstümmelte,
sondern ein jeder weiß jetzt, daß auch ein schwerverletzter Krieger nicht
immer nötig hat, seinen Beruf zu wechseln, sondern daß er auch weiter in
diesem tätig sein kann und daß namentlich aus dem landwirtschaftlichen kaum
ein einziger Mann fortzubleiben braucht. Deshalb sind auch die überall in großem
Umfange eingesetzten Siedlungsbestrebungen für die weitere Versorgung
der Kriegsbeschädigten von großer Wichtigkeit; sie bilden ein äußerst wert¬
volles Mittel gegen die Landflucht und werden dazu beitragen, daß wieder
größere Teile unseres Volkes zu ruhigerer Lebensweise und einfacheren Sitten
zurückkehren. Wichtig ist ferner die Erkenntnis, daß Krüppeltum nicht zur Arbeit
unfähig macht, sondern daß auch der Schwerverletzte zu arbeiten
vermag, wenn er nur den „Willen“ dazu hat Er gehört nicht mehr ins
Feierabendhaus oder in den Sorgenstuhl, sondern muß es als Beine Ehrenpflicht
300
Bericht ober die anfierordentliche Tagung
betrachten, daß er für sich, seine Angehörigen and das ganze Volk arbeitet.
Daß dazu aber fast alle Kriegsbeschädigten mit ganz wenigen Aasnahmen fähig
sind, verdanken wir den vorzüglichen Heilerfolgen der ärztlichen
Kan st wie den großen Fortschritten aaf dem Gebiete der Prothesen, wo
Aerzte, Bandagisten and Techniker einmütig Zusammenarbeiten. Die Vor¬
bedingung für die Erfolge der Kriegsbeschädigtenfürsorge ist eine den wechseln¬
den Anforderungen der Arbeit lebendig angepaßte organische Einheit¬
lichkeit in der Zusammenfassung aller mitarbeitenden
Kräfte; gerade die deutsche Kriegsbeschädigtenfürsorge ist aber im Gegen¬
satz zu derjenigen im feindlichen Ausland einheitlich und folgerichtig auf
Grund bewährter Erfahrungen aufgebaut und erstreckt sich mit der gleichen
Liebe und Sorgfalt auf alle Kriegsbeschädigten ohne Unterschied, ob ge¬
meiner Soldat oder Offizier, ob einfacher Mann oder Akademiker usw. Alle
Teile unseres Volkes wirken gemeinsam auf das eine Ziel hin, für die wirt-
scbaftliche Sicherstellung der Kriegsbeschädigten alle erforder¬
lichen Grundlagen zu schaffen, um sie wieder voll erwerbsfähig za machen and
sie wenn irgend möglich wieder an ihre alte Arbeitsstelle za bringen. Ist dieses
Ziel erreicht, dann wird unser Volk den letzten Sieg erfochten and sich freie
Bahn für die angehemmte Weiterentwicklung auf geistigem wie wirtschaft¬
lichem Gebiete errangen haben.
2. Die stationären and ambulanten Fürsorgeeinrichtangen für Kriegs¬
beschädigte in Deutschland. Berichterstatter: GeneralarztDr.Schultxen-BerUn:
Erhaltung und Förderung der Schlagfertigkeit unseres Heeres
durch Fernhaltung von Krankheiten und Seuchen, durch schnellste Wieder¬
herstellung Verwundeter und Kranker, sowie Erhaltung und Förderung
der Opfer des Krieges, die Sorge für ihre körperliche, seelische and
soziale Heilung und Gesundung bilden die berechtigsten und vornehmsten Auf¬
gaben des Militärsanitätsdienstes. Dauernde Schädigungen durch Krankheiten
treten in diesem Kriege vollkommen zurück hinter denjenigen durch Verwun¬
dungen und Verletzungen mit ihren Folgen. Die rein körperliche Heilung
der Verletzten ist lediglich Sache der Aerzte und ihres Hilfspersonals, denen
dazu in den Lazaretten und Heilanstalten alle Mittel der modernen Wissen¬
schaft zu Gebote stehen. Aber aach ihre seelische Heilung ist in die Hand
des Arztes gelegt; denn nur er kennt die seelischen Folgewirkungen der Ver¬
letzung. Sehr wertvoll ist jedoch hierbei eine verständnisvolle Untersützung
durch ein gut angeleitetes Pflegepersonal, durch die Angehörigen und sonstige
Personen, die sich der Kriegsbeschädigtenfürsorge widmen. Diese ganze ärzt¬
liche Betätigung erfordert außerordentlich viel Geschick, Ausdauer, Langmut und
Hingabe; sie muß vor allem das Ziel im Auge haben, neben der körperlichen und
seelischen Gesundung auch eine soziale ETstarkung und Gesundung
des Verletzten zu erreichen. Jeder Verwundete muß die Ueberzeugung haben,
daß ärztliche Wissenschaft und Kunst sowie Technik und Nächstenliebe das
Möglichste tun, um ihn wieder hoch zu bringen; er soll aber davon durch¬
drungen sein, daß er selbst den festen Willen zur Arbeit, Gesundung und
Erwerbsbetätigung haben muß. Deshalb muß ihm von vornherein klar gemacht
werden, daß Arbeite- und Erwerbsfähigkeit ein viel höheres Gut für ihn
sind als eine Rente; dadurch wird auch die sich sonst leicht und epidemisch ein¬
stellende Rentensacht vermieden. Am sichersten erreichen wir die soziale
Gesundung durch frühzeitige Bcschäftigungund frühzeitige Gewöhnung
an die Arbeit; Langeweile und Müßiggang sind die größten Feinde dieser Ge¬
sundung. Wenn sich auch in jedem Lazarett und Krankenhause genügend
Gelegenheit zu ernster Arbeit findet, so ist doch erforderlich, über diese Gelegen¬
heit hinaus Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen, die aber nicht in das
Belieben der Kriegsbeschädigten gestellt, sondern nach Verordnung Und
unter Leitung der Aerzte in straffer Zucht ausgeübt werden müssen.
50 Lazarette sind deshalb bereits mit großen Werkstätten für die verschie¬
densten Handwerke, 80 mit kleineren Werkstätten versehen und bei 30 Lazaretten
besondero Möglichkeiten zu landwirtschaftlicher Arbeit und Betätigung ge¬
schaffen; weiterhin ist der Militärverwaltung in dieser Hinsicht die Unter¬
stützung der Behörden, Gemeinden, Fachschulen, Industrie usw. in reichem
Maße zuteil geworden. Große Erfolge sind auch bei verschiedenen Armeekorps
dadurch erzielt, daß Verletzte im Industriebetriebe zur Ausbildung abgeordnet
der Deutschen Vereinigung für Krüppelfürsorge in Berlin. 301
sind. Nach den bisherigen Erfahrungen ist für eine derartige Arbeits-
fürsorge und Arbeitserziehung ein dezentralisierendes Verfahren zu empfehlen,
da es eine weitgehende Anpassung je nach den Örtlichen Verhältnissen ge¬
stattet. Jedenfalls ist die Arbeitstherapie ein außerordentlich wichtiger un¬
entbehrlicher Heilfaktor für die Verwundetenfürsorge; sie muß deshalb immer
mehr ausgedehnt und ausgebaut werden, damit sie jedem Willigen teilhaftig
werden kann.
3. Anlage und Organisation von Inralldensohvlen. Oberstabsarzt Prof.
Dr. Spitzj -Wien berichtet über das im Januar 1915 in Wien errichtete ortho¬
pädische Spital, das jetzt 3000 Betten in 42 Baracken umfaßt, mit allen
medizinischen und orthopädischen Einrichtungen ausgerüstet und vorbildlich für
das ganze Land ist. Dieser medizinischen Zentrale ist eine pädagogische ange¬
gliedert, in der Werkstätten für 35 gewerbliche Betriebe, vorzugsweise für den
kleinen Mann geeignet, angereiht sind. Die hier ausgebildeten Kriegsverletzten
werden später von den verschiedenen Betrieben, die ein Auskommen gewähren,
übernommen. So wird die Arbeitsleistung und Arbeitsausbildung bis ins einzelne
durchgeführt. Zur Lösung der einzelnen Fürsorgeanfgaben ist die Invaliden¬
schule in eine ärztliche, technische, Verwaltungs- und Arbeits¬
vermittlung-Abteilung ausgebaut, die alle vier von einem Zentralbureau
geleitet werden, während für jede Abteilung ein besonderer fachmännischer Leiter
vorgesehen ist. Die Invalidenschule ist noch mit einer Prothesenfabrik, in
der 300 Mann beschäftigt werden, verbunden, an die wieder eine Lehr¬
werkstätte angegliedert ist Hier wird an der Normalisierung von Prothesen¬
teilen gearbeitet; außerdem soll hier jeder Invalide die Ausbesserung seiner
Prothese lernen. In der Invalidenschule ist somit ein weitverzweigter Schul-
und Arbeitsbetrieb ausgebildet, der alle Bedürfnisse der Ausbildung und des
Erwerbs berücksichtigt. Die Invalidenschule soll auch im Frieden ihre Tätig¬
keit fortsetzen, um ihre reichen Erfahrungen und zweckmäßigen Einrichtungen
für Unfallverletzte und verkrüppelte Kinder nutzbar zu machen.
4. Organisation der Institution des Künigl. Ungarischen Kriegs-
invalidenamtes. Generalstabsarzt Prof. Dr. Dillinger-Budapest: In Ungarn
sind bis jetzt 42642 Kriegsinvaliden festgestellt, für die eine staatliche Für¬
sorge einzutreten hat. Um diese in wirksamer Weise durchzuführen, ist eine
Zentral-Landesinvalidenamtstelle eingerichtet, der die Militärbehörden sämt¬
liche Kriegsinvaliden mitzuteilen haben nnd die diese wiederum nach ihren
verschiedenen Leiden den entsprechenden Spezialanstalten zuweist. Die Für¬
sorge umfaßt auch hier drei Hauptgruppen: ärztliche Behandlung, Ausbildung
und Schulung sowie Arbeitsvermittlung. Für die ärztliche Nachbehandlung
stehen in verschiedenen Landesteilen 10960 Betten (4600 für innere und 6860
für äußere Kranke) zur Verfügung. Eine eigene Prothesenfabrik mit 130 Arbeitern,
die an ein für 500 Ausgebildete bestimmtes Sammelspital angegliedert ist,
stellt die Ersatzglieder her; sie liefert wöchentlich 100 Prothesen. Außerdem
sind besondere Fachschulenv orgesehen; in der größten davon können 700 Invalide
ausgebildet werden. Für die Unheilbaren und diejenigen, die wegen ihrer
schweren Gebrechen dauernde ärztliche Behandlung fordern, sollen eigene
Invalidenhäuser errichtet werden. Invalide, die jede Ausbildung ablehnen,
unterliegen der Beurteilung durch eine besondere Prüfungskommission, die sie
auf Grund des festgestellten Untersuchungsergebnisses im Falle der Aus¬
bildungsfähigkeit einer Invalidenschule oder Nachbehandlungsanstalt überweist
oder bei weiterem ablehnenden Verhalten Entziehung der Rente beantragt.
5. Die FriedenskrUppelhelme als Grundlage für die gleichartige
Fürsorge der Kriegsverletzten. Der Berichterstatter Pastor Hoppe-Nowawes
gibt zunächst einen kurzen geschichtlichen Ueberblick über die Entwicklung
der Krüppelfürsorge im Frieden, die besonders von der inneren Mission der
evangelischen Kreise gefördert ist. Im Deutschen Reiche sind jetzt 53 Krüppel¬
heime mit 5239 Betten und 215 Werkstätten für 51 verschiedene Berufe vor¬
handen. Für die kriegsbeschädigten Soldaten könne gar nicht besser gesorgt
werden, als es in diesen schon bestehenden Anstalten möglich ist, die mit
Klinik, Schule, Handwerksstätten verbunden, sowie mit allen erforderlichen
Einrichtungen ausgestattet sind und außerdem auch für Unterbringung in
einem geeigneten Berufe sorgen, kurz und gut, alles das leisten, was auch von
802 Bericht über die Tagung der Deutschen Vereinigung für Krüppel!ttrsorge.
der Kriegsbeschädlgtenfürsorpe angestrebt wird. Auffallender Weise werden
aber bisher diese Krüppelheime weder von der Militärverwaltung, noch vom
Beichsausschuß, noch vom Boten Kreuz im wünschenswerten Maße ausgenutzt;
hoffentlich trete in dieser Beziehung recht bald ein im Interesse unser Kriegs¬
beschädigten wünschenswerter Wandel ein.
6. Lazarettschule und bürgerliche Kriegsbesch&dfgtenfürsorge. Bericht¬
erstatter Landesrat Dr. Horlon: Eine außerordentliche Unterstützung findet die
bürgerliche Kriegsbeschädigtenfürsorge durch die Lazarettschulen und Lazarett¬
werkstätten ; sie hat an diese jedoch drei Forderungen zu stellen: Die Tätigkeit
der darf keine spielende, lediglich die Langeweile tütende Beschäftigung mit
kleinen Handfertigkeiten darstellen, sondern es muß, soweit es der Gesundheits¬
zustand des Verletzten gestattet, anstrengende, praktische Arbeit, womöglich
in dessen Beruf geleistet werden. Es muß weiterhin den Kriegsbeschädigten
der möglichst vollkommene Gebrauch seiner beschädigten Glieder oder seiner
Ersatzglieder gelehrt und dieser endlich auf den von ihm mit Rücksicht auf
seine Beschädigung künftighin zu ergreifenden Beruf vorbereitet und ihm eine
etwaige Umbildung oder Neuausbildung verschafft werden. Sobald der Ver¬
letzte geheilt und den Gebrauch der verstümmelten Glieder erlernt hat, empfiehlt
es sich aber, ihn nach Hanse zu entlassen; denn bei den in die Heimat ent¬
lassenen Kriegsbeschädigten ist die Arbeitsfähigkeit und Arbeitslust viel größer
und die Rentensucht viel geringer als bei den im Lazarett verbleibenden.
Nach dem Ergebnis einer Umfrage bei sämtlichen Ortsausschüssen für Kriegs¬
beschädigtenfürsorge in der Rheinprovinz, die sich auf 17 000 Kriegsbeschädigte
erstreckt, ist z. B. die in den Lazaretten so gefürchtete Rentensucht im
praktischen Leben bei den äußerlich Verstümmelten und Beschädigten fast
unbekannt. Anderseits darf man aber auch die Arbeitsfähigkeit der Kriegs¬
beschädigten nicht überschätzen; desgleichen muß man sich hüten, sie für
einen Beruf auszubilden, der späterhin keinen lohnenden Erwerb gibt; was
z. B. häufig bei Stenographie und Maschinenschreiben der Fall ist. Etwaige
Mißgriffe in dieser Hinsicht werden am besten durch Zusammenarbeiten der
Lazarettschulen mit der bürgerlichen Fürsorgetätigkeit vermieden; dieses
Zusammenarbeiten wird auch zur Klärung mancher noch zweifelhaften Fragen
auf diesem Gebiete führen, die im Interesse der Kriegsbeschädigten selbst sehr
erwünscht ist.
Aussprache:
Freifrau von Blsslng. Exzellenz, tritt warm für die Mitarbeit der Frauen
bei der Kriegsbeschädigtenfürsorge ein und bittet, daß die Chefärzte diesen
bei ihrer Arbeit mehr als bisher entgegenkommen. Ohne ihre Unterstützung
sei auch keine richtige und zweckmäßige Fürsorge in der Familie nach der
Entlassung der Verletzten möglich. Die Arbeit der Lazarettfürsorge und
Familienfürsorge müsse Hand in Hand gehen.
Prof. Dr. Wullsteln-Bochum: Neben den Krüppelheilanstalten sind auch
die großen Unfallkrankenhäuser berufen, bei der Kriegsbeschädigtenfürsorge mit¬
zuwirken. Die Schwierigkeiten der Arbeitsausbildung sind ebenso wie der Ersatz
durch künstliche Glieder bei den ungelernten landwirtschaftlichen Arbeitern
nicht so schwierig wie bei den ungelernten Industriearbeitern; außerdem ist
bei der Arbeitsausbildung die provinzielle Eigenart zu berücksichtigen. Vor
allem müssen die Ausbildungsschulen und -Anstalten eine große Zahl von
Berufsausbildungsmöglichkeiten bieten, damit der Verletzte möglichst freie
Wahl für seinen künftigen Beruf hat; deshalb ist auch Ausbildungsmöglichkeit
für sitzende oder halbsitzende Berufe zu schaffen, die sich namentlich für
Beinamputierte empfehlen.
Stabsarzt Dr. Silberstein-Nürnberg betont, daß sich die Sorge um die
Kriegsbeschädigten nicht von der um die im Berufsleben Geschädigten trennen
läßt; das geschieht aber am besten in Anstalten,, deren Betrieb und Unter¬
haltung unabhängig vom Zeitpunkt des Friedensschlusses ist. Krüppelfürsorge
und Kriegsbeschädigtenfürsorge lassen sich nach einheitlichen Gesichtspunkten
regeln; deshalb können auch Krüppel und Kriegsbeschädigte in entsprechend
eingerichteten gemeinsamen Anstalten behandelt werden. Damit diese Anstalten,
die einen nicht unerheblichen Kostenaufwand fordern, allen Anforderungen
genügen, sollten alle beteiligten; Kreise (Deutsche Vereinigung für Krüppel-
Kleinere Mitteilungen and Referate atu Zeitschriften.
808
fürsorge, Venricherungsanstaiten, staatliche und freiwillige Organe der Kriegs-
beeohädigtenfürsorge) die Lasten nach Maßgabe der jeweiligen Inanspruchnahme
gemeinsam tragen.
Assistenzarzt Dr. Hecht*Wien spricht über die Errichtung und
Organisation von typischen, mechanotherapeutischen Stationen für
chirurgische SpitUer und empfiehlt die Errichtung zahlreicher kleinerer und
mittelgroßer derartiger Stationen in Verbindung mit bestehenden Heilanstalten,
damit hier gleich die physikalisch-therapeutische Nachbehandlung in unmittel¬
baren Anschluß an die Wundheilung beginnen kann. Die dadurch entstehenden
Kosten seien geringer als bei großen Zentralanstalten, da die kleinen Anstalten
einfacher ausgestattet sein konnten; an Apparaten genüge z. B. im allgemeinen
der Universal-Handelapparat.
Stabsarzt Dr. W. Hartwich •Paderborn, beauftragt mit der Geschäfts¬
führung des Ausschusses der Kriegsinvalidenffirsorge im Kreise Paderborn,
berichtet über seine dort gemachten Erfahrungen auf dem Gebiete der Arbeits¬
heilbehandlung und ist der Ansicht, daß sich eine solche mit Leichtigkeit auch
in den kleinen Lazaretten durchführen läßt.
L. Gernegroß-Frankfurt hat einen längeren schriftlichen Bericht über
die Tätigkeit des Vereins für Krüppelfürsorge in Frankfurt a. M. eingesandt,
aus dem hervorgeht, daß neben dem Heilverfahren in Verbindung mit dem
Arzte eine frühzeitige und sachverständige Beratung der Kriegsbeschädigten
durch geeignete Berater eingerichtet ist; dadurch wird eine alsbaldige Heran¬
ziehung der Invaliden zur Arbeit und eine sorgfältige, nicht schablonenhafte
Berufsausbildung ermöglicht. (Schluß der Vormittagssitzung.)
(Schluß folgt.) Bpd.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
A. Geriohtliohe Medizin.
Die Fluoreszenz der Hftmogloblnderivate und ihre Bedeutung für
den forensischen Blutnachweis. Von Robert Heller. Aus dem gerichtlich¬
medizinischen Institut der Universität Zürich; Direktor: Prof. Dr. Zangger.
Vierteljahmchrift für gerichtliche Medizin und öffentliches Sanitätswesen.
Dritte Folge, 51. Bd., 2. H.; Jahrg. 1916, 2. Heft.
Um die Fluoreszenz der gerichtlich-medizinischen Methodik des Blut-
naehweises nutzbar zu machen, hat Verfasser versucht, Blut durch verschiedene
Mittel zur Lichtaussendang anzuregen. Er kam bei Versuchen bald zu dem
Ergebnis, daß dazu nur die Hämoglobinderivate und zwar hauptsächlich das
Hfanatoporphyrin geeignet seien. Bekanntlich hat sich die durch Struwe,
Kratter und Hammerl in die gerichtlich-medizinische Technik des Blut¬
nachweises eingesetzte spektrale Hämatoporphyrinprobe sehr gut bewährt; die
kombinierte Hämochromogen-Hämatoprophyrinprobe wird allgemein als sicherstes
Verfahren für den Blutnachweis angesehen. Eine praktische Verwertung der
Fluoreszenz dieses Blutderivats ist dagegen bisher noch nicht erfolgt; sie wird
auch nur bei Verwendung von ultraviolettem Lichte hervorgerufen, unter dessen
Einwirkung das Hämatoporphyrin sichtbares Licht aussendet. Verfasser hat
diese von mm entdeckte neue optische Methode des forensischen Blutnachweises
weiter ausgfebaut und festgestellt, daß sie außerordentlich empfindlich und
deshalb in gerichtlich-medizinischer Hinsicht von großem Wert ist. Bei ihrer
Verwertung sind folgende Gesichtspunkte zu beachten:
Der mikroskopische Nachweis der Fluoreszenz des Hämotoporphyrins bei
Benutzung des Tageslichts ist beschränkt auf Lösungen des Farbstoffes.
Blut leuchtet im ultravioletten Lichte nicht; erst wenn durch Einwirkung
geeigneter Reagentien Hämatoporphyrin gebildet ist, beginnt es intensiv zu
fluoreszieren. Da auch die gewöhnlichen Eisenverbindungen nicht fluoreszieren,
so liegt in dieser Reaktion nicht nur ein zuverlässiges Erkennungsmittel für
Blutflecken, sondern auch ein scharfes Unterschiedsmerkmal zwischen diese
und Rostflecken. Das alkalische Hämatoporphyrin zeigt bei Bestrahlung mit
ultraviolettem Lichte eine karmoisinrote, das saure Hämatoporphyrin eine
orangerote Fluoreszenz von großer Stärke. Die Methode hat weiterhin den
großen Vorzug, daß sie selbst bei ganz unbedeutenden, nur der mikroskopischen
804
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
Betrachtung zugänglichen Spuren verwendbar ist. Sie kann außerdem an dem
gleichen Materiale wie die spektrale Hämatoprophyrinprobe vongen ornmea
werden, besitzt aber dieser gegenüber den Vorzug, daß sie auch.im auffallenden
Lichte, also bei undurchsichtigen Proben stattfinden kann, während die
spektroskopische Untersuchung durchfallendes Licht erfordert. Dieser Vorzag
befähigt die Methode der Fluoreszenz mittels ultravioletten Lichtes in hervor*
ragender Weise zum Nachweis von Hämatoprophyrin in Organproben; auch
kann sie dazu dienen, das Alter von Blutteilen und Blutaustritten sowohl-an
Leichen, wie am Lebenden festzustellen. Bei der technischen Ausführung der
neuen Methode bedient man sich mit Vorteil der Einschaltung geeigneter
Strahlenfilter, die die sichtbaren Strahlen absondern, dagegen die ultravioletten
in genügendem Maße durchlassen wie z. B. das Wood sehe Filter in der
Lehmannschen Anordnung („U.V.-Filter lampe). Bpd.
B. Baohvernt&ndigent&tlgkeit in Unfall- and Invalidität»- and
Krankenverslohernngasaohen.
Ein Rechtsanspruch des Versicherten auf Gewährung eines Kranken-
kassenznschnsses für größere Heilmittel besteht nicht. Urteil des
Beichsversicherungsamtes vom 11. Januar 1915.
Nach § 193 B.V.O. kann eine Krankenkassensatzung mit Zustimmung
des Oberversicberangsamts für kleinere Heilmittel einen Höchstbetrag festsetzen,
auch bestimmen, daß die Kasse bis zu dieser Höhe einen Zuschuß für größere
Heilmittel gewähren darf. Anf diese Bestimmung stützte sich die Klage eines
Krankenkassenmitgliedes, das sich einen Oberkieferzahnersatz beschafft
hatte, gegen seine Kasse unter Hinweis auf deren Satzung, nach der sie ihren
Mitgliedern für größere Heilmittel einen Zuschuß bis zur Höhe von 15 M.
gewähren dürfe. Die in Anspruch genommene Kasse verweigerte den Zuschuß
mit Bücksicht auf ihre ungünstige Vermögenslage. DaB Reichsversiche¬
rungsamt entschied dabin, daß ein klagbarer Anspruch auf eine solche Zu-
buße nicht bestehe und führte dazu folgendes aus:
Bichtig ist, daß die Qewährung eines Zuschusses i. S. des § 26 Nr. 1
Satz 2 der Kassensatzung eine Mehrleistung ist; denn sie gehört nicht zft
den im § 179 Abs. 1 B.V.O. vorgeschriebenen Begelleistungen und anch nicht
za den Ersatzleistungen, da sie nicht an die Stelle einer in erster Linie zu
gewährenden Leistung tritt. Daraus folgt jedoch nicht, daß die Klägerin einen
Rechtsanspruch auf Zahlung des Zuschusses hat. Allerdings darf die GBe¬
währung der satzungsmäßig bestimmten Mehrleistungen grundsätzlich nicht
dem Ermessen des Kassenvoratandes überlassen werden; die Versicherten haben
vielmehr regelmäßig einen Anspruch anf diese Leistungen, wenn die gesetz¬
lichen and satzungsmäßigen Voraussetzungen vorliegen. Indessen läßt das
Gesetz Ausnahmen zu. So schreibt § 187 Nr. 2 R.V.O. vor, daß die Kassen-
satzung eine gewisse Fürsorge für Genesende „gestatten“ kann. - Die Ge¬
währung dieser Fürsorge ist somit, falls sie in der Satzung vorgesehen ist,
dem Ermessen des Vorstandes überlassen. Eine weitere Ausnahme enthält dife
Vorschrift des § 193 Abs. 1 a. a. 0., soweit sie die Gewährung eines Zuschusses
für größere Heilmittel betrifft. Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut der
Vorschrift, wonach die Satzung bestimmen kann, daß die Kasse dÄ» Zuschuß
gewähren „d a r f“. Hätte der Gesetzgeber denVersicherten einen Rechts¬
anspruch auf die Gewährung des Zuschusses einräumen wollen,'so hätte-er
wohl eine andere and deutlichere Fassung gewählt. Insbesondere hätte ee
nahe gelegen, ebenso wie in § 193 Abs. 2 und 3 a. a. 0. sowie in sonstigen Vor¬
schriften die Wendung „die Satzung kann zubilligen“ zu • gebrauchen. Anch
die Begründung zum Entwürfe der R.V.O. spricht nicht gegen die. hier ver¬
tretene Ansicht. Dort ist ausgeführt, es sei für den Versicherten oft hart, daß
er deshalb überhaupt keine Beihilfe für ein Heilmittel erhalte, weil deaeen
Kosten über die eines „kleineren“ Heilmittels hinausgingen. Ihm werde unter
Umständen sehr wesentlich damit gedient sein, wenn die Kasse ihm für das
teuere Heilmittel so viel zuschieße, als sie für ein billigeres selbst hätte anft-
geben dürfen. Diese Bemerkungen bieten keinen Anhalt für die.Annahme, daß
dem Versicherten ein Rechtsanspruch auf die Gewährung des Zuschusses ein-
geräumt werden sollte. . •
(Sächsische Korrespondenz; Nachdruck nur mit deren Genehmigung gestattet.)
Kleinere Mitteilungen und Bef ernte ans Zeitschriften. 805
Die Ergebnisse der reichsgesetzltchen Unfallversicherung. Amtliche
Nachrichten des Reichs-Versicherungsamts; 1916, Nr. 2.
Nach dem vom Reichsversicherungsamt angestellten Nachweis der ge¬
samten Rechnungsergebnisse für das Jahr 1914 amfaßte die Unfallver¬
sicherung 117 Berufsgenossenschaften (68 gewerbliche und 49 landwirtschaft¬
liche), 663 Ausführungsbehörden (191 staatliche und 372 gemeindliche) und
14 • Zweiganstalten, eine Tiefbau-Berufsgenossenschaft und eine ßee-Berufs-
genossenschaft. Die Zahl der Versicherten betrug 27964684 Personen; davon
entfielen 10236331 auf die gewerblichen, 17686987 auf die landwirtschaft¬
lichen Berufsgenossenschaften und 96206. auf die See-Berofsgenossenschaft.
An Entschädig.ungsbetragen (ohne die Kosten der Fürsorge für
Verletzte innerhalb der gesetzlichen Wartezeit) haben die Verletzten und
deren Angehörige im Jahre 1914 von den Berufsgeüossenschaften 161476 266,36 M.
(gegen 159019132,93 M. im Vorjahre), von den Ausführungsbehörden 14633074,60
Mark (gegen 14414376,74 M..im Vorjahr), von den Zweiganstalten der Baa-
gewerks-Berafsgenossenschaften, der. Tiefbau- und der See-Berufsgenossenschaft
1779 432,68 M. (gegen 1917 256,43 M. im Vorjahr) zusammenl77 788 763,68 X.
(gegen 176360766,10 M. im Vorjahr) erhalten. Von der Vorschrift, nach der
Verletzte, deren Rente ein Fünftel der Vollrente oder weniger beträgt, mit
ihrer Zustimmung durch. Kap ita lz ah lu ng en abgefunden werden können,
haben die Genossenschaften usw. in 8198 Fällen Gebrauch gemacht. ■ Der hierfür
aufgewendete Betrag stellt sich, auf 6408275,23 M. 2892 Verletzte (gegen
3098 im Vorjahr) haben.im Geschäftsjahr wegen Hilflosigkeit eine höhere
Rente als 66*/s vom Hundert ihres Jahresarbeitsverdienstes (gesetzliche Voll¬
rente) bezogen..
Die Anzahl der. gemeldeten Unfälle betrug 704973, davon waren
entschädigungspflichtig: 124086 (gegen 139633 im Vorjahre).; hiervon
hatten 9401 den Tod und 793 eine mutmaßlich dauernd völlige Erwerbsunfähig¬
keit der Verletzten zur Folge.
Die Unfallgefahr in den einzelnen Gewerbegruppen stellt
sich nach den im Geschäftsjahr vorgekommenen entschädigungspfiichtigen Un¬
fällen wie folgt: Es entfallen auf
1000 Vollarbeiter
Unfälle
1914 1918
bei der. Gewerbe-, Bau- und See-Unfallversicherung — jedoch
— ohne die Zweiganstalten der Baugewerks-Berufsgenossen-
Bchaften, der Tiefbau- und der 8ee-Berufsgenossenschaft — 7,80 7,77
und in der Gruppe bezw. Berufsgenossenschaft:
Knappschafts-Berufsgenossenscnaft.. 15,05 14,94
Steinbruchs-Berufsgenossenschaft . . ... . . . . . 16,54 13,95
Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik . 5,70 4,98
Eisen und Stahl. 9,75 9,97
Metall. 7,56 7,02
Berufsgenossenschaft der Musikinstrumentenindustrie . . . 7,22 5,33
Glas-Berufsgenossenschaft .. 4,53 8,77
Töpferei-Berufsgenossenschaft . . .. 3,30 3,06
Ziegelei-Berufsgenossenscbaft ..9,11 8,72
Berufgsgenossenschaft der chemischen Industrie. 7,24 7,09
Berufsgenossenschaft der Gas- und Wasserwerke ..... 5,36 5,25
Textilindustrie. 2,52 2,70
Papiermacher-Berufsgenossenschaft.' 8,95 8,98
Papierverarbeitung8-Berufsgenosfienschaft.. 3,96 3,28
Lederindustrie-BerufBgenossenschaft. 5,49 5,38
Heiz. 10,94 9,69
Mttllerei-Berufsgenossenschaft. . 12,19 13,76
Nahrungsmittelindustrie-Berufsgenossenschaft. 2,93 3,61
Zuckerindustrie-Berufsgenossenschaft-. 7,78 8,15
Berufsgenossenschaft der Molkerei-, Brennerei- und Stärke-
Brauerei- und Mälzereiberufs-Genossenschaft. 8,83 8,27
Tabak-Berufsgenossenschaft. 0,49 0,56
806
Kleinere Mitteilungen und Beferate ans Zeitschriften.
1000 Vollarbeiter
Unfälle
1914 1918
Bekleidungsindustrie-BenifBjgenossengchaft . . . . * . .
Bernfegenosseaschaft der Schorns teinfegermeUter des Deateehen
Reichs.
Bauwesen.. .
Deutsche Buchdrucker-Berufsgenossenschaft.
PriTatbahn-Berufsgenossenschaft.
Straßen- und Elleinbahn-Berufsgenossenschaft.
Lagerei-Berufsgenossenschaft..
Fuhrwerks-Berufsgenossenschaft.
Binnenschiffahrt . ..
See-Berufsgenossenschaft.
Tiefbau-Berufsgenossenschaft.
Fleischerei-Berufsgenossenscbaft.
DetaUhandels-Berufsgenossenschaft.
Versicherungsgeaossenschaft der Privat-Fahrzeug- und Beittier-
besitaer.
Ausführungsbehörden:
Marine- und Heeresverwaltung . ..
Oeffentliche Baubetriebe (staatliche und gemeindliche Bau-
Verwaltungen) .
Staatseisenbahnen, Post und Telegraphen.
Staatsbetriebe für Schiffahrt, Baggerei, Flößerei usw. . . .
1,86
6,88
10,60
2,68
4,81
7,66
9,28
1838
16,16
7,01
16,06
6,40
131
6,12
6,74
6,86
836
1,98
6,42
9,91
2,76
4,94,
6,7(1
9,00
1737
1438
6,06
18,07
6,47
0,76
4,72
6,12
638
6,67
Die laufenden Verwaltungskosten stellen sich bei den gewerblichen
Berufsgenossenschaften auf 14082838,46 M. = 1,48 M. auf den Versicherten
(gegen 14208128,84 M. oder 1,84 M. im Vorjahr), bei den landwirtschaftlichen
Berufsgenossenschaften auf 4780680 M. = 0,27 M. auf den Versicherten (gegen
4640166,12 M. oder 0,27 M. im Vorjahr). Die Verwaltungskosten sind somit
bei den gewerblichen Berufsgenossenschaften erheblich höher.
Die Bestände der bis zum Schlüsse des Geschäftsjahres angesammelten
R&cklage der Berufsgenossenschaften einschließlich Zweiganstalten betrugen
zusammen 868668664,60 M.; an sonstigem Vermögen war ein Betrag
von 287 666 996,18 M. vorhanden. Bpd.
O. Hygiene und ßffentliohee Oennndheitawenea.
KriegsbeschädlgtenfOrsorge.
Fachtechnische und gewerbehygienische Berufsberatung für Kriegs¬
verletzte. Von Beg.- und Gewerberat Fis eher-Potsdam. Zentralblatt für
Gewerbehygiene; 1916, Nr. 8.
Die rein fachtechnische Beratung des Kriegsbeschädigten allein genügt
oft nicht, sie muß vielmehr in einer gewerbehygienischen Beratung ihre Er¬
gänzung finden. Ist der Berufsberater in dieser Hinsicht nicht bewandert,
so ist es seine Pflicht, einen gewerbehygienischen Berater in der Person eines
gewerbehygienisch genügend geschulten Arztes oder eines Gewerbeaufsichts¬
beamten heranzuzienen. denen dann die besonders wichtige Aufgabe zuteil
wird, die Unterbringung und Beschäftigung der Kriegsverletzten in den
gewerblichen Betrieben fortdauernd zu überwachen, damit sie gebotenenfaüs
von den ihnen nicht zuträglichen Beschäftigungsarten fern gehalten werden.
Bei solchen Bemühungen werden die Gewerbeaufsichtsbeamten aber auf den
Widerstand der Kriegsverletzten stoßen, wenn der rein fachtechnische Berufe¬
berater ihnen die aus gewerbehygienischen Gründen zu beanstandende Tätig¬
keit empfohlen hat Auch die technischen Aufsichtsbeamten der Berufsgenossen¬
schaften werden den jetzt teilweise erweiterten Aufgaben des Unfallschutzes
im Hinblick auf die Kriegsverletztenbeschäftigung ihre besondere Aufmerksam¬
keit zu widmen haben. Dr. Wolf-Hanau.
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
807
Krlegsblindenfünorge. Von Bau. -Rat Dr. W. Feilchenfeld-Char-
lottenbarg. Deutsche medizinische Wochenschrift; 1916, Nr. 18.
Krttckm&nn nennt als Berufe, die für Kriegsblinde za empfehlen sind,
an erster Stelle Seilerei, Stahlflechterei, Bürsten« and Besenbinderei, Korb¬
macherei, die eine Ausbildungszeit von 2 1 /*—4 Jahren erfordern. Aach Matten¬
flechten, Stahlbeziehen und Netzestricken gehören za den Erwerbsquellen, die
aber sämtlich nur einen notdürftigen Unterhalt gewähren. Silex hat den
Wochenverdienst der Blinden durch Stuhlflechten anf 6 M, Korbmachen auf
9—11 M., Bürstenbinderei auf 8—12 M., durch Seilerei auf 12 M. festgestellt.
Vor Betätigung der Blinden auf musikalischem Gebiete ist im allgemeinen zu
warnen; nur besonders Begabte sollen sich als Organisten und ansübende
Künstler ansbilden lassen, sonst wird der Beruf als Bettel betrieben. Für
Klavierstimmer ist eine gründliche Lehrzeit von mindestens 2 Jahren er¬
forderlich; sie müssen auch Reparaturen vorzunehmen gelernt haben. Der
Rat an Blinde, Schreibmaschine zu erlernen, ist nnr in seltenen Fällen be¬
rechtigt, da der Blinde an der Schreibmaschine meist wesentlich hinter dem
Sehenden Zurückbleiben wird; der Verdienst ist außerdem gering nnd lohnt
sich nur in größerem Betriebe. Akademiker und frühere Kanfleute, die als
Korrespondenten Beschäftigung zu finden Aussicht haben, mögen Schreib¬
maschine lernen; aber zu Stenotypisten und Schreibern sollte man Kriegsblinde
besser nicht ausbilden.
Silex fand in den Königl. Munitionsfabriken, im Feuerwerkslabora¬
torium und Militärbekleidungsamt eine große Anzahl von Arbeiten, die sich
lür Blinde sehr gut eigen, z. B. Einziehen von Patronen in Patronenrahmen
oder Lederstreifen, Revidieren der Patronen auf festen Sitz der Geschosse,
Einstecken von Patronen in die Taschen eines Patronengurtes. Auch für
Schuhmacher, Tischler, Schneider fand sich regelmäßige geeignete Arbeit, die
bereits nach wenigen Stunden erlernt war und einen Tagesverdienst von 8,68
bis 4,40 M. brachte. Bei solcher gewinnbringenden Beschäftigung neben der Rente
von etwa 1400 M. für den einfachen Soldaten gehen die Blinden einer materiell
sorglosen Zukunft entgegen. Die Arbeitsstellen in den Königl. Militärinstituten
werden, wenn die bisherige Zahl der Blinden (etwa 800) nicht mehr erheblich
steigt, zur Versorgung der Kriegsblinden aus Arbeiter- und Handwerkerkreisen
voraussichtlich genügen.
Es sollte eine Untersuchungskommission aus einem Fabriktechniker,
einem intelligenten Blinden und einem Blindenlehrer die großen Industrie¬
betriebe nach Arbeit absuchen, die von Blinden ebenso wie von anderen Arbeitern
geleistet werden kann. Auch Packen, Wickeln, Sortieren, Bedienen einfacher
Maschinen usw. kommt da in Frage. Wenn besonders Betriebe außerhalb der
Großstädte zunächst ausgewählt werden, können die in der Nähe der Fabriken
angesiedelten Blinden auch ohne fremde Hilfe die Arbeitsstätte aufsuchen und
so durchaus selbständig in ihrem Erwerbe sein. Dr. R o e p k e - Melsungen.
Die Rentensucht der Kriegsbeschädigten. 1 ) Von Landesrat Horion-
Düsseldorf. Zeitschrift für Kriegsfttrsorge; 1916, Heft 4.
Die Rentensucht ist wenigstens bei den körperlich Beschädigten, solange
sie noch im Lazarett sind, größer, als wenn sie nach Hause entlassen sind;
die üblen Erfahrungen, die vielfach mit der Beschäftigung und der Aus¬
bildung der Kriegsbeschädigten während des Lazarettaufentbaltes gemacht
werden, dürfen daher nicht verallgemeinert und nicht auf die Kriegsbeschädigten
allgemein auch nach ihrer Entlassung aus dem Militärverbanae ausgedehnt
werden. Wenn auch die Rentensucht nicht so sehr im Mittelpunkt der Kriegs¬
beschädigtenfürsorge steht, daß von ihrer Beseitigung der ganze Erfolg der
Arbeit abhängt, so wird aber doch wohl zu erwägen sein, ob nicht gesetz¬
geberische oder Verwaltnngsanordnungen sich treffen lassen, durch die die
Schäden, die diese Rentensucht jetzt für die Wiedererwerbsfäbigmachung
der Kriegsbeschädigten bringt und noch bringen wird, nach Möglichkeit be¬
seitigt werden. Dr. Wolf- Hanau.
*) Vergl. auch den Bericht über den Vortrag desselben Verfassers auf
der diesjährigen Tagung der Deutschen Vereinigung für Krüppelfürsorge,
Seite 302 dieser Nummer.
308 Kleinere Mitteilungen and Befer&te aas Zeitschriften.
" Staatliche Invalldenfürsorgeln Ungarn.*) Von Dr.Ferenczi-Budapest»
Zeitschrift für Krüppelfürsorge; 1916, Heit 4.
Ladt einer Verordnung des königL ungarischen Ministerpräsidenten über
die Organisation der staatlichen Invalidenfürsorge erstreckt sich der Wirkungs¬
kreis des königl. ungarischen Invalidenamtes auf die Heilinstitute zur Nach¬
behandlung der gelähmten, verstümmelten und innerlich kranken Soldaten, auf
die Invalidenschulen, Prothesenwerkstätten und auf die landwirtschaftlichen
und gewerblichen Erwerbsanlagen, und zwar sowohl betreffs der Aufstellung, als
betreffs der Erhaltung und Leitung der bezeichneten Institute. Das Invalidenamt
hat als Invalidenberater bis heute überhaupt nur heilpädagogische und Volksschult
lehrer, und zwar nur in den Lazaretten, und in den Invalidenschulen angestellt.
Eine örtliche Dezentralisation, unter Einbeziehung der Ortsbehörden und von
gesellschaftlichen Kräften wurde bei dieser Aufgabe vermieden; die Fürsorge
besteht somit derzeit noch in der ausschließlich staatlich bureaukratischen
Zentralisation aller sozialer Aufgaben. Dieser Mangel der lokalen und be¬
ruflichen Dezentralisation, zu der auch in Ungarn manche Kräfte sich schon
spontan aufgeboten haben (landwirtschaftliche Vereine, Buchdruckergewerbe
usw.), hat zu einer Beschränkung der intensiven Fürsorge auf jene schwersten
Fälle der in ihrer Existenz bedrohten Invaliden grfübrt, die in neu eingerichte¬
ten und noch zu errichtenden Unterrichtsanstalten aufgenommen werden können.
Dr. Wolf-Hanau.
Ueber die Kapitalisierung von Krlegsrenten. Von Oberarzt Dr.
P. Horn -Bonn. Deutsche med. Wochenschrift; 1916, Nr. 13.
Dem Reichstage soll eine Vorlage über die Kapitalisierung eines Teiles
der Kriegsbeschädigtenrente zugehen (ist inzwischen geschehen), in der ihre
Festlegung in Heimstätten geplant ist, um einer unzweckmäßigen Verwendung
des Abfindungskapitals vorzubeugen. Nach den bisherigen Erfahrungen
erscheint die Uebertragung des Abfindungsverfahrens auch auf nervöse Kriegs-
beschädigte durchaus am Platze. Ueber die Höbe der Abfindung der
Kriegsrenten sind feste Normen aufzustellen; H. empfiehlt den 4—6fachen
Betrag der Jahresrente einer Abfindung zugrunde zu legen. Dabei müßte die
Abfindung aller Neurosen bis zu 80°/o an und für sich zulässig und in Grund¬
besitz festzulegen sein; nur bei Beträgen unter 1000 Mark dürfte auch Bar¬
geldauszahlung in zwei Raten möglich sein. Im übrigen ist gerade bei
nervösen Kranken eine ländliche Kolonisierung im gesundheitlichem Interesse
empfehlenswert. Besonders kommen hierfür in Frage solche, die vom Lande
stammen, oder Neigung und Geschick zu landwirtschaftlichen Arbeiten haben
und ihren früheren Beruf aus gesundheitlichen oder anderen Rücksichten nicht
wieder aufnehmen dürfen. Auch bei Personen aus dem Mittelstände wird die
Möglichkeit, durch Ablösung der Kriegsrente die wirtschaftliche Kraft zu
steigern, angenehm empfunden werden. Am schwierigsten liegt die Frage der
Abfindung, sozial betrachtet, bei den höheren und akademisch gebildeten
Ständen; doch ist auch hier bet nervösen Kriegsbeschädigten vom ärztlichen
Standpunkte aus eine Abfindung durchaus erwünscht.
Der Plan, nur einen Teil des Rentenanspruchs zu kapitalisieren, ist bei
Nervösen nicht zu empfehlen, dagegen bei solchen, die voraussichtlich
dauernde Kriegsschäden behalten, wie bei Gelenkversteifung, stationär ge¬
bliebenen peripherischen Nervenlähmungen oder bei Gefahr späterer Ver¬
schlimmerung der Verletzungsfolgen. Bei Nervösen liegt nach den Friedens¬
erfahrungen einzig und allein vollkommene Erledigung der gesamten Ent¬
schädigungsansprüche sowohl im Staatsinteresse, als vor allem auch im gesund¬
heitlichen und sozialen Interesse der Kranken.
Ueberhaupt nicht für eine Abfindung in Betracht zu ziehen sind Geistes¬
kranke, Manisch-Depressive, Schwachsinnige, Epileptiker, rezidivierende Dämmer¬
zustände hysterischer Natur, Psychosen im engeren Sinne, Kranke mit Morbus
Basedowii, völlig erwerbsunfähige Neurotiker. Dagegen ist bei nervös¬
hysterischen Störungen nach Granatkontusion, bei Schreckneurosen, bei Neurosen
*) Siehe auch den von Prof. Dr. Dillinger auf der diesjährigen Tagung
der Deutschen Vereinigung für Krüppelfürsorge erstatteten Bericht, S. 301
dieser Nummer.
Besprechungen
809
infolge körperlicher und geistiger Ueberanstrengung, infolge Hitzschlsges und
sonstiger Unfälle, sofern überhaupt Kriegsbescbfidigung mit" Erwerbs¬
beschränkung angenommen werden muß, Abfindung die beste Methode, den
schädlichen Folgen eines späteren Rentenkampfes vorzubeugen. Die Gewährung
von „fixen“ Dauerrenten, wie Elumker vorschlägt, hält Verfasser bei
nernösen Kriegsbeschädigten nicht am Platze.
Kriegsbeschädigte mit peripherischen NerveUlähmungen, mit
Gelenkveränderungen, Versteifung, Deformierung oder Ver¬
kürzung von Extremitäten, sofern 'sie nicht höher als 60°/o Erwerbs¬
einbuße erlitten haben und spätere Verschlimmerung auszuschließen ist, sollen
ebenfalls bei geeigneten wirtschaftlichen und beruflichen Verhältnissen abge¬
funden werden, natürlich erheblich höher als Neurotiker, d. h. mit dem
8—12fachen Betrag der Jahresrente als Abfindungsbasis. Nicht zur Ab¬
findung eignen sich außer den oben genannten Geisteskranken übw.
organische Herzaffektionen, Lungenleiden, schwere Magendarm¬
erkrankungen, Stoffwechselstörungen (besonders Diabetes mellitus),
Nierenleiden, ferner Verletzungen der nervösen Zentralorgane bei Schädel¬
schüssen, Schädeldach- und Schädelbasisbrüchen, dann organische Leiden
des Zentralnervensystems (multiple Sklerose, Tabes, Syringomyelie,
Lues cerebri, progressive Paralyse), ebensowenig Blinde. In allen diesen
Fällen kann die Prognose fast niemals sicher gestellt werden und besteht die
Gefahr der Verschlimmerung.
Danach ist eine Abfindung angezeigt, wenn 1. ein wichtiges thera¬
peutisches Interesse verliegt, oder wenn 2. eine gewisse Anpassung und
Gewöhnung an die Verletzungsfolgen im Laufe der Jahre zu erwarten und
eine Verschlimmerung ausgeschlossen ist; beide Male ist vorauszusetzen, daß ein
gewisses Maß von Erwerbsfähigkeit noeh besteht.
Als Zeitpunkt der Abfindung empfiehlt sich für die reinen Neurosen
ein möglichst baldiger ‘Abschluß des Entschädigungsverfahrens nach Kriegs¬
beendigung, bei den übrigen in Frage kommenden. Kriegsbeschädigten eine
Zwischenzeit von mindestens einem Jahre vom Erkrankungstag bis zur
etwaigen Rentenkapitalisierung.
Die Kapitalabfindung stellt kein Allheilmittel dar und kann nur in
einem begrenzten Umfange vorgenommen werden. Die Prüfung der ab¬
zufindenden Fälle hat durch Aerztekommissionen zu erfolgen, die Hand in
Hand gehen mit der großzügig organisierten Kriegsbeschädigtenfürsorge.
Durch Kräftigung der wirtschaftlichen Existenz vieler Kriegsbeschädigten
würde auch der Allgemeinheit genutzt werden. Dr. R o e p k e - Melsungen.
Besprechungen.
Dr. Bitdolf Abel, Geh. Ober-Med.-Rat und a. o. Professor de; Hygiene an
der Universität Jena: Bakteriologisches Taschenbuch. .Neunzehnte Auf¬
lage. Würzburg 1916. Verlag von Curt Kabitzsch. Taschenbuchformat.
189 S.; Preis: geb. und durchschossen 2,50 M.
Ungeachtet des Krieges ist die vorhergehende Auflage 'dieses vorzüg¬
lichen Taschenbuches binnen Jahresfrist vergriffen gewesen, der beste Beweis
für seine überaus große Verbreitung und Beliebtheit. Auch der neuen Auflage
wird diese allseitige und wohlverdiente Anerkennung zuteil werden, denn die
in dem Taschenbuch gegebenen technischen Vorschriften zur bakteriologischen
L&boratöriumsarbeit haben eine den Forschungen der Wissenschaft entsprechende
Umänderung und Ergänzung erfahren, wobei der Verfasser mit Recht an dem
bewährten Grundsatz festgehalten hat, von neuen Untersuchungsverfahren nnr
solche aufzunehmen, die sich bei der Nachprüfung bewährt haben, in den
Unterrichtskursen gelehrt werden und keine besonders' reich ausgestattete
Laboratorien erfordern. Rpd.
Erster Jahresbericht des Königlichen Landes-Gesundheitsamtes über
das Medizinal- und Veterinärwesen im Königreich Sachsen für das
Jahr 1912. Leipzig 1916. Verlag von F. C. W. Vogel.
Der Bericht bildet die Fortsetzung der früher von dem Königl. Landes-
Medizinal-Kollegium erstatteten Jahresberichte, an dessen Stelle jetzt durch
810
Besprechungen.
die Verordnung vom 20. Mai 1912 das Landesgesundheitsamt getreten ist.
Er bringt zunächst als Einleitung einen interessanten Ueberblick über die
EntwicUung dieser Zentralinstanz des sächsischen Gesundheitswesens aus der
Feder des Obermedizinalrats Dr. Oppelt, in dem gleichzeitig ihre Aufgaben,
ihr Geschäftskreis, ihre Zusammensetzung usw. von dem im Jahre 1710
errichteten Collegium medicum universale an bis zur Jetztzeit geschildert
werden und dem die Verordnungen über die Errichtung des Landesgesundheits¬
amtes beigefügt sind. Im übrigen ist die Einteilung und Bearbeitung des
Stoffes, soweit er das Medizinal wesen betrifft, im allgemeinen die gleiche
wie in den früheren Jahresberichten des Landesmedizinalkollegiums geblieben.
Die ersten Abschnitte behandeln die ärztlichen und pharmazeutischen
Organe der Medizinalverwaltung (I), Aerzte und Zahnärzte (II),
Apothekenwesen, Arzneimittel, Heil- und Mineralwasser¬
fabriken (III), Hebammen (IV), Zahntechniker, Krankenpflege-
S ersonal und Desinfektoren (V) und Ortsgesundheitsaus¬
chüsse (VI). Es folgt dann ein umfangreicher Abschnitt (VH) „0öffent¬
liche GesundheitsVerhältnisse“, in dem nicht bloß die Geburts- und
Sterblichkeitsverhältnisse während des Berichtsjahres, sondern auch das Auf¬
treten und die Bekämpfung der einzelnen übertragbaren Krankheiten geschildert
werden. Die Fruchtbarkeit weist wiederum einen Rückgang (08 °/m) auf (von
26,8°/oo auf 25,6 °/<«), der aber geringer als im Vorjahre (l,2°/oo) ist; die
Sterblichkeit ist dagegen auf 14,3°/oo, also um 2,2°/oo gesunken, so daß
die Bevölkerungszunahme 11,2 °/o© (1,7 °/oo) mehr als im Vorjahre beträgt.
Abgesehen von Keuchhusten und Tuberkulose, die eine geringe Zunahme der
Sterblichkeit aufweisen (von 0,9 auf l,2°/ooo und von 11,9 auf 12,0 °/ooo) zeigen
alle anderen übertragbaren Krankheiten eine Abnahme der Sterblich¬
keit, die besonders bei Masern (von 0,9 auf 0,5 °/m>«) und Typhus (von 0,2 auf
0,l # /ooo) recht erheblich ist. Von großen Epidemien ist das Königreich im
allgemeinen verschont geblieben.
Die folgenden Abschnitte betreffen Nahrungs- und Genußmittel
(VIH) einschließlich Fleischvergiftungen, Fleischverbrauch, der sich gegen das
Vorjahr etwas verringert hat (64,83 kg gegen 66,88 im Jahre 1911), Milch¬
versorgung usw., Wasserversorgung (IX), Bau- und Wohnungs-
sulagen (X), bei der die Mitwirkung der Bezirksärzte eine erhebliche Zu¬
nahme erfahren hat, Reinhaltung von Boden, Wasser und Luft (XI),
Gewerbepolizei (XII) — auch hier ist die Zuziehung der Bezirksärzte
eine häufigere gewesen—, Schulhygiene (XIH), Fürsorge für Kranke,
Schwache und Gebrechliche (XIV) — besonders eingehend ist hier die
Fürsorge für Geisteskranke und Epileptische behandelt —, Bäder (XV),
Armenhäuser (XVI), Gefängnisse (XVII), Giftpolizei (XVHI),
Begräbniswesen (XIX) — die Zahl der Leichenverbrennungen ist von
2282 auf 2812 gestiegen — und Kurpfuscherei (XX). Daß diese im
Königreich Sachsen außerordentlich verbreitet ist, ist ja bekannt; die Zahl der
Kurpfuscher hat auch während des Berichtsjahres eine Zunahme erfahren und
ist von 1651 auf 1738 gestiegen gegenüber 2205 Aerzten; in den Reg.-Bezirken
Bautzen und Chemnitz gibt es überhaupt mehr Kurpfuscher (169 und 315) als
Aerzte (148 und 805).
Der zweite Teil des Buches, Veterinärwesen, ist in gleicherweise
abgefaßt; auf seine Einzelheiten einzugehen erübrigt sich. Rpd.
Prof. Dr. B. Salge-ätraßburg i. Eis.: Therapeutisches Taschenbuch für
die Kinderpraxis. Siebente verbesserte Auflage. Berlin 1916. Verlag
von Fischers medizinische Buchhandlung (H. Kornfeld). 12°, 182 S.;
Preis: geb. und durchschossen 4 M.
In der vorliegenden neuen Auflage des bekannten Taschenbuches sind,
abgesehen von dem Hinzufügen einiger neuerer Mittel und Methoden, nur
wenige Aenderungen des bisheriges Inhalts vorgenommen, da dieser dem
heutigen Standpunkt der Wissenschaft noch völlig entspricht. Das Taschen¬
buch hat sich in den beteiligten Kreisen gut eingebürgert und wird sicherlich
auch in seiner neuen Auflage eine freundliche Aufnanme finden, die es auch
mit vollem Recht verdient. _ Rpd.
Tagesnachrichten.
811
Tagesnachrlchten.
Der 12. Ausschuß des Reichstages zur Beratung der Ge¬
setzes? orlage znr Reichsversicherungsordnong hat in seiner
8itznng vom 18. d. M. der Vorlage entsprechend die Grenze für die Bezugs-
Berechtigung der Altersgrenze einstimmig auf das vollendete 66. Lebensjahr
festgesetzt. Außerdem wurde nach Ablehnung sozialdemokratischer Anträge
ein Antrag des Zentrums ebenfalls einstimmig angenommen, wonach für jede
Waise */m des Geldbetrages und der Steigerungssätze der Invalidenrente des
verstorbenen Ernährers gewährt werden soll.
Der Bayerische Obermedizinalausschuß hat in seiner Sitzung
vom 27. April 1916 im Hinblick auf die bevorstehende Einführung der Fleisch¬
karten über die Fleischversorgung der Kranken beraten, Er ist dabei zu
dem Beschlüsse gelangt, daß eine Erhöhung der nach den Fleischkarten vor¬
gesehenen Fleischmengen für Kranke nicht notwendig ist. Bei diesem Be¬
schlüsse wurde in Betracht gezogen, daß auf Grund der Fleischkarte das
Fleisch ohne Knochenzuwage abgegeben werden muß und daß ferner nach den
bestehenden Vorschriften Knochen zur Herstellung von Suppen zum Preise von
40 Pf. für das Pfund im freien Verkehr abgegeben werden müssen. Eine Er¬
höhung der nach den Fleischkarten zulässigen Fleischmengen auf Grund ärzt¬
lichen Zeugnisses und dergl. erscheint schon deshalb nicht zulässig, weil diese
Mengen, die im Interesse einer nachhaltigen Sicherstellung der Volksernährung
zulässige äußerste Grenze darstellen. Der Uebergang zu der etwas veränderten
Kost wird zwar bei einzelnen empfindlichen Menschen zeitweise Unbequemlich¬
keiten hervorrufen, auch vorübergehend eine Gewichtsabnahme mit sich bringen,
dauernde gesundheitliche Nachteile können daraus aber für Kranke aller Art,
insbesondere auch für Zuckerkranke, nicht erwachsen. Nach der Ueberzeugung
des Obermedizinalausschusses kann die für manche Zuckerkranke notwendige
Biweißmenge durch Zugabe von Fischen, Eiern, dann von Käse aller Art, ins¬
besondere auch von Topfen erreicht werden. Dabei kann der Käse auch durch
Beigabe zu Saucen und Suppen sowie in Form von Aufläufen in eine allen
Anforderungen der Verdaulichkeit und Bekömmlichkeit entsprechende Form
S bracht werden. Der Obermedizinalausschuß war endlich der Anschauung,
ß in ärztlicherseits ausreichend begründeten Bedarfsfällen von den Kommunal¬
verbänden auch durch eine Mehrbewilligung von Milch und Butter allen Be¬
dürfnissen Rechnung getragen werden könne. Das Kgl. Staatsministerium des
Innern ist diesem Gutachten des Obermedizinalausschnsses beigetreten. Unter
diesen Umständen ist der Bevölkerung anzuraten, von der Stellung völlig zweck¬
end aussichtsloser Eingaben auf Erhöhung der Fleischkarten bei 'den Behörden
abzusehen. (Münchener med. Wochenschrift; 1916, Nr. 18.)
Der Aerzte-Ausschuß von Groß-Berlin hat sich in seiner letzten
Sitzung mit N ahrungsmittelfr agen Groß-Berlins vom ärztlichen Standpunkt
aas beschäftigt. Er hat hierbei folgende Entschließung angenommen:
„Der Aerzte-Ausschuß von Groß-BerUn hält im Interesse der Lebensmittel¬
versorgung der ganzen Reichsbevölkerung für notwendig, alle Absperrungs¬
versuche und Ausfuhrverbote einzelner Landesteile, Distrikte und Orte müssen
im Interesse einer gleichmäßigen und gerechten Versorgung aufgehoben werden.
In diesem Sinne begrüßt der Ausschuß die beabsichtigte Schaffung einer Reichs-
behörde für Volkseznährung als den ersten hoffnungsvollen Schritt auf dem
erstrebten Wege." Außerdem hat er beschlossen, eine begründete Eingabe an
den Reichskanzler zu richten.
Das im Königreich Sachsen durch Urkunde vom 16. März 1871 ge¬
stiftete Brinnerungskreuz für freiwillige Krankenpflege hat
durch Urkunde vom 81. März 1916 den Namen Ebrenkrenz für freiwillige
Wohlfahrtspflege erhalten mit der Bestimmung, daß es auch zur Anerkennung
verdienstvoller Leistungen auf dem Gebiete der Wohlfahrtspflege im weitesten
3inne verliehen werden kann.
Der vom Bundesrat genehmigte und jetzt von allen Bundesstaaten (in
Preußen durch Bekanntmachung des Ministers des Innern vom 6. d. Mts.)
Tageenachrichten
m
eingeführte neue Nachtrag rar Deutschen Araeitaxe 1916 umfaßt Preis-
änderungen bei 402 Arzneimitteln. Mit ganz geringen Ausnahmen hat er
entsprechend der Preissteigerung auf dem Arzneimittelmarkte Preiserhöhungen
gebracht, die z. T. recht erheblich sind; auch der Preis für Gläser mit ein¬
geriebenem Glasstöpsel ist erhöht. Dagegen hat eine Erhöhung der Arbeits¬
preise nicht stattgefunden, obwohl auf dem ganzen Arbeitsmarkte eine solche mit
Rücksicht auf die außerordentliche Steigerung des Lebensunterhaltes erfolgt ist
Die Enthüllung des von Touaillon geschaffenen Denkmals für
Robert Koch auf dem Luisenplatz (Ostseite) in Berlin wird am Sonnabend,
den 27. Mai d. J., mittags 12 Uhr, dem Todestage Kochs, stattfinden.
Die Gedächtnisrede hat Herr Wirkl. Geh. Ob.-Med.-Rat Dr. Gaffky über¬
nommen ; der Vorsitzende des Denkmalkomitees, Ministerialdirektor Professor
Dr. Kirchner, wird das Denkmal der Obhut der Stadt übergeben.
Ehrentafel. Es haben weiterhin erhalten das
Eiserne Kreuz I. Kasse:
Stabsarzt d. Bes. Dr. Wolf-Pudewitz (Landkreis Posen).
Oberstabsarzt Dr. Villaret-Demmin (Pommern).
Das Eiserne Kreuz II. Klasse:
Oberstabsarzt d. Bes. San.-Rat Dr. Flügge, Direktor der Provinzial-
Heil- und Pflegeanstalt Bedburg (Rheinland).
Marinestabsarzt d. Bes. Dr. Harms, Bezirksarzt in Annaberg i. Sachs.
Truppenarzt Dr. Julias Heilmann und Cand. med. Josef Heilmann,
Söhne des Geh. Med.-Rats Dr. Heilmann.
Stabsarzt d. Res. Dr. Heinicke, Oberarzt an der Heil- und PflegeanBtalt
Großschweidnitz (Königr. Sachsen).
Ferner den Bayerischen Militär-Verdienstorden 4. Kl. mit
Schwertern: Stabsarzt d. R. Dr. Pallikan, Polizeiarzt in München.
Ehren-QedAohtniatafoL Für das Vaterland gefallen sind ferner:
Feldunterarzt M. Dorenkamp -Godesberg bei Bonn (infolge von Krank¬
heit gestorben).
Stabsarzt d. L. Dr. H. F e y e r h e i m - Schneidemühl (Reg.-Bez. Posen).
Cand. med. Friedrich Geßler-Kordeshagen in Pommern.
Feldunterarzt S. Haufe-Ocker im Harz (infolge von Krankheit gestorben).
Assistenzarzt d. Bes. Dr. A. H e n s e 1 - Hirzenhain (Oberhessen).
Feldunterarzt H. Kurth-Pösneck (Sachsen-Meiningen).
Stabsarzt d. L. Dr. Bich. Mierendorf-Stralsund.
Assistenzarzt d. Bes. Dr. 0. Neuber-Kiel.
Marineoberstabsarzt z. D. Dr. Siegfried N u e s s e - Malchow (Reg.-Bezirk
Potsdam) (infolge von Krankheit gestorben).
Stabsarzt d. L. Dr. Max Oppenheimer-Hamburg.
Feldarzt Dr. 0. Stamm-Sobotka (Kreisarzt im (Gouvernement Warschau;
infolge von Krankheit gestorben).
Feldunterarzt A. Werner-Reichelsheim (Großhersogtum Hessen).
Erkrankungen und Todesfälle an ansteckenden Krankheiten In
Preußen. Nach dem Ministerialblatt für Medizinal-Angelegenheiten sind in der
Zeit vom 26. März bis 22. April 1916 erkrankt (geBtorben) an Pest, Gelb¬
fieber, Fleckfieber, Cholera, Trichinose, Botz, Tollwut,
Milzbrand: Aussatz: — (—), — (—), 1 (—>,
— (—); Pocken: 22 (1), 12 (2), 19(6), 6 (—); Bißverletzungen durch
tollwutverdächtige Tiere: 7 (—), 12(—), 14 (—),9(—); Unterleibs¬
typhus: 127 (6), 127 (17), 130 (8), 100 (16); Ruhr: 61 (1), 29 (7), 29 (8),
66 (7); Diphtherie: 2347 (167), 2332 (146), 2406 (176), 1716 (128);
Scharlach: 1517 (71), 1559 (72), 1461 (88), 1182 (78); Kindbettfieber:
68 (18), 75 (27), 67 (22), 64 (12); G e n i c k s t a r r e: 31 (16), 14 (13), 28 (8), 22 (11);
spinaler Kinderlähmung: 1 (1), 2 (1), 2 (1), — (—); Körnerkrank¬
heit (erkrankt): 62, 94, 67, 60; T n b e r k u 1 o s e (gestorben): 922, 929,918,822.
Redaktion: Prof. Dr. Rapmund, Geh. Med.-Bat in mnd—» L W.
J. C. C. Brau, Hermofl. Sich «, a. F. 8ch.-L. Hofbmofcdraekarai 1 b WaSaa.
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29. Jahrg.
1916
Zeitschrift
fttr
MEDIZINALBEAMTE.
Zentralblatt
für das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie,
des staatlichen und privaten Versicherungswesens, sowie für das
Medizinal* und öffentliche Gesundheitswesen, einschließlich der
Hygiene und Bakteriologie.
fler&osgegeben
i von
Prol Dr. OTTO RAPMUND,
Geh. Med.-Rat In Minden I. W.
Offizielles Organ des Deutschen, Preusstschen, Bayerischen, Sächsischen,
Württembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen, Thüringischen,
Braunschweigischen und Eisass • Lothringischen Medizinalbeamtenvereins.
Verlag von Fiseher's med Buehbandlg H. Kornfeld,
HtnogL Bayer. Hol- il K. jl K. Kammftr-BuchhAndler.
Berlin W.62, Keithstr. 5.
Ajuetfen nehman die ▼•riagihmndlang sowie eile Ajueigeo Annahmestellen des ln-
and Auslandes entgegen.
Nr. 11.
Erscheint am S. and ÄO. Jeden Monats.
5. Juni.
Beitrag zur Bekämpfung der Diphtheritte.
Von Med.-Rat Dr. Lembke, Kreisarzt in Daisbnrg.
Auf Veranlassung des Vorstandes des Vereins zur Be¬
kämpfung der Volkskrankheiten im Ruhrgebiet fand am 24. Februar
1916 eine Besprechung über die Bekämpfung von Scharlach und
Diphtheritis statt. Aus dem mir vorliegenden Auszug aus dem
Protokoll ersehe ich, daß man dort von der Voraussetzung
ausgegangen zu sein scheint, daß es im Industriegebiet der
Ruhr an Krankenhäusern mit genügenden Isolierräumen fehlt;
wenigstens sprach der Vorsitzende davon, daß „für die Möglich¬
keit der Isolierung mehr als es zurzeit der Fall sei, Vorsorge
zu treffen sei.“ Außerdem sprachen sich mehrere Redner für
den Bau besonderer Scharlach- und Diphtheritishäuser aus.
Nun trifft aber die Voraussetzung der Nicht-Isolierungsmöglich¬
keit in einem solchen Maße sicherlich nicht zu. In meinen
3 Kreisen (Duisburg, Hamborn und Dinslaken) haben z. B. sämtliche
18 Krankenhäuser genügend große Isolierstationen oder besondere
Isolierhäuser. Nur ganz ausnahmsweise sind die Isolierräume
voll oder fast voll belegt, obwohl die Ueherweisung der an
314
Dr. Lembke.
ansteckenden Krankheiten Erkrankten in die Krankenhäuser
eine recht gute ist. Die nachstehende Tabelle gibt eine Ueber-
sicht über die in den Krankenhäusern der 3 Kreise isolierten
Scharlach- und Diphtheritiskranken während der Zeit, in der ich
im Kreise als Kreisarzt tätig bin.
Es wurden in Krankenhäusern isoliert bei:
Duisburg
Diphtheritis
in
Hamborn *) Dinslaken
Duisburg
Scharlach
in
Hamborn *) Dinslaken
1909
46 %
40%
S5%
35%
1910
66 # /o
61 %
47%
45%
1911
76%
70%
72%
87 %
88%
89%
1912
78 •/»
76%
84%
88%
82%
76%
1918
86°/.
71%
72%
91%
65%
64%
1914
84°/o
88%
58%
86%
89 %
81%
1916
82%
88%
79%
88%
86%
81%
Die Ueberiührung in so hoher Zahl von Diphtheritis- und
Scharlachkranken in Krankenhäuser muß als ein recht gutes
Ergebnis bezeichnet werden, zumal wenn man bedenkt, daß
eine zwangsweise Ueberiührung doch nur unter gewissen Ein¬
schränkungen möglich ist. Ich vermute, daß in den meisten
Kreisen des Ruhrgebiets die Verhältnisse nicht viel anders
liegen werden: ausreichende Zahl an Krankenhäusern mit
Isolierräuraen und recht häufige Ueberiührung von Diphtheritis-
und Scharlachkranken in die Krankenhäuser. Für einen großen
Teil des Industriegebiets der Ruhr dürfte daher die Erstellung
besonderer Diphtheritis- und Scharlachhäuser wohl kaum in
Frage kommen, besonders wenn man bedenkt, welche erheb¬
lichen Kosten durch Bau und Betrieb solcher Anstalten für die
Gemeinden erwachsen.
Gewundert hat mich dann noch, daß in dieser Versamm¬
lung gar nicht auf die Bedeutung der Bazillenträger für
die Verbreitung der Diphtheritis hingewiesen und die Aus¬
schaltung dieser Bazillenträger aus dem Verkehr in Erwägung
gezogen worden ist. Gerade für die großen Industriestädte mit
ihrem intensiven Verkehr, mit dem Durcheinanderwirbeln der
Bevölkerung an Arbeitsstätte, Schule und dergleichen scheint
mir dieser Weg der Diphtheritisbekämpfung vor allem einzu¬
schlagen zu sein, zum mindesten darf er nicht vernachlässigt
werden. Ich habe im Jahre 1914 einen Versuch nach dieser
Richtung hin unternommen. Ich wollte durch diesen Versuoh,
der sich vorläufig nur auf die beiden Kreise Duisburg und
Hamborn erstrecken sollte, feststellen, ob es in der Praxis sich
durchführen ließe, einmal die Bazillenträger bei jedem einzelnen
Krankheitsfalle ausfindig zu machen und anderseits diese
Bazillenträger von der Schule fern zu halten.
Der Kreis Duisburg zählt nach der letzten Volkszählung
fast 248000 Einwohner, der Kreis Hamborn 110000 Einwohner.
') llamboro gehörte bis 1911 zam Kreise Dinslaken, seitdem bildet es
einen selbständigen Kreis.
Beitrag zur Bekämpfung der Diphtberitis.
815
Diphtheritiserkrankungen treten in beiden Stadtkreisen be¬
ständig auf. Es sind Diphtheritisfälle vorgekommen in:
1910
Duisburg
413 mit 18 Todesfällen
Hamborn
201 mit 33 Todesfällen
1911
416 „ 28
J*
211
„ 18
1912
390 „ 24
r
239
„ 23
1913
602 „ 48
n
459
n 81
1914
584 „ 48
n
672
„ 79
1915
620 „ 42
n
916
„ 108
In beiden Orten verteilten sich im großen und ganzen die
Diphtheritiserkrankungen ziemlich gleichmäßig über das ganze
Jahr und über die gesamten Stadtgebiete; weder einzelne
Schulen noch einzelne Stadtgebiete waren besonders heim-
gesucht. Von einer eigentlichen Epidemie in einem Stadtteil
oder in einer Schule konnte keine Rede sein, jedoch habe ich
beobachten können, daß, wenn einmal in einer Schule oder in
einer bestimmten Straße eine Diphtheritiserkrankung aufgetreten
war, einige Wochen später aus dieser Schule oder dieser Straße
ein zweiter und dritter Fall und einige Wochen später wieder
einige Einzelfälle zur Anzeige kamen. Auch war mir wiederholt
aufgefallen, daß, wenn in einer Familie ein Kind an Diphtheritis
erkrankt und ins Krankenhaus überführt war, in dieser Familie
bald nach der Rückkehr des genesenen Kindes in das Eltern¬
haus ein anderes Kind von Diphtheritis ergriffen wurde. Ich
glaubte hier zunächst an mangelhafte Wohnungsdesinfektion.
Allein unsere Wohnungsdesinfektoren sind alte, erprobte, zuver¬
lässige Beamte, die, da sie Tag für Tag Desinfektionen vor^
nehmen, durchaus ihr Gebiet beherrschen; wiederholte, unver¬
mutete Revisionen überzeugten mich außerdem davon, daß sie
zuverlässig und richtig arbeiteten. In den Krankenhäusern
wurden und werden die Kleider, die die diphtheritiskrankeri
Kinder mitbringen, ebenfalls vorschriftsmäßig desinfiziert; auch
baden die genesenen Kinder, bevor sie mit ihren desinfizierten
Kleidern aus dem Krankenhaus entlassen werden. Schließlich
vermutete ich, daß diese eigentümliche Weiterverbreitung der
Diphtheritis darauf zurückzuführen sei, daß Bazillenträger eine
Rolle spielen könnten. Es konnteil die genesenen Kinder aus
den Krankenhäusern zu früh, d. h. während sie noch in ihrer
Mund- und Rachenschleimhaut Diphtheriekeime führten, ent¬
lassen worden sein; ebenso konnten die in der Wohnung der
Eltern behandelten Kinder nach ihrer Genesung noch als
Bazillenträger zum Schulunterricht zugelassen worden sein.
Schließlich konnten auch gesunde Kinder aus der Umgebung
eines diphtheritiskranken Kindes Bazillenträger sein und nach
erfolgter Ueberführung der erkrankten Familienmitglieder ins
Krankenhaus und erfolgter Schlußdesinfektion als Bazillenträger
Ursache weiterer Uebertragungen in Schule, auf der Straße
oder Spielplatz sein.
Ich beschloß daher, angeregt durch eine Mitteilung aus
Halle a. S. über systematisch durchgeführte Schlußunter¬
suchungen bei Diphtheritis, in gleicher Weise, wie wir es den
816
Dr. Lembke.
Bazillenträgern bei Typhus gegenüber machen, gegen die Diph-
theritisbazillenträger vorzugehen.
Die bakteriologischen Untersuchungen zwangsweise herbei¬
zuführen, dazu fehlte es an der gesetzlichen Unterlage; es
konnte daher die Vornahme der Untersuchungen nur dadurch
erreicht werden, dafi sich die Krankenhausärzte und Privatärzte
freiwillig dazu verstanden. Daß die Entnahme von Unter¬
suchungsmaterial bei der großen Zahl Diphtheritiskranker eine
große Mehrarbeit für die Aerzte bedeutet, war nicht zu ver¬
kennen. In den Krankenhäusern ließen sich die Schlußunter¬
suchungen noch am leichtesten durchführen; außerdem war
hier die Durchführung der Maßnahmen am ehesten zu erwarten,
da ja die weitaus meisten diphtheritiskranken Kinder in Kranken¬
häuser übergeführt werden. Hier entstand nur die große
Schwierigkeit, daß, wenn auf Grund mehrfacher Untersuchungen
mit positivem Ergebnis der Krankenhausaufenthalt übermäßig
verlängert wurde, die Angehörigen der erheblichen Kosten
wegen Einspruch gegen den verlängerten Krankenhausaufenthalt
erheben würden. Tatsächlich mußten denn auch schließlich
solche Bazillenträger aus dem Krankenhause entlassen werden,
da die Eltern nicht gezwungen werden konnten, ihre „gesunden
Kinder“ im Krankenhaus zu belassen. In solchen übrigens
reoht seltenen Fällen wurden die Eltern auf die Gefahr der
Uebertragung aufmerksam gemacht und erhielten Anweisung,
ihre Kinder gurgeln und Mundspülungen machen zu lassen.
Zur Schule aber wurden diese nicht eher wieder zugelassen,
bis der Nachweis des Bazillenfreiseins erbracht worden war.
In der Privatpraxis der Aerzte lag die größere Schwierig¬
keit der'Durchführung; denn einmal sollten die Aerzte bei den
Geschwistern des diphtheritiskranken Kindes Schleimhaut¬
abstriche machen, das kostet Zeit und Mühe und bedeutet,
wenn das kranke Kind in ein Krankenhaus überführt ist, unter
Umständen einen oder mehrere Extrabesuche; anderseits wurde
die Zahl der Krankenbesuche bei den Schlußuntersuchungen
unter Umständen vermehrt. Etwas entlastet wurden die Aerzte,
vorwiegend allerdings nur in Duisburg, dadurch, daß sioh der
Leiter des hiesigen bakteriologischen Instituts, Herr Dr. Spring¬
feld, in liebenswürdigster Weise bereit erklärte, bei den ge¬
sunden Geschwistern Diphtheritiskranker in seinem Laboratorium
kostenlos Untersuchungsmaterial zu entnehmen (gedacht war
auch daran, dies ev. von den Schul- und Armenärzten machen
zu lassen). Ohne dieses Entgegenkommen seitens des Leiters
des bakteriologischen Instituts wäre wohl die Durchführung in
solchem Umfang, wie es geschehen ist, nicht möglich gewesen.
Eine weitere zu überwindende Schwierigkeit erwuchs durch
die allzulange Schulausschließung, gegen die sich die
Schulbehörden sträubten. Nach § 8 des Gesetzes betreffend
Bekämpfung übertragbarer Krankheiten sind sämtliche Ma߬
nahmen nach erfolgter Schlußdesinfektion aufzuheben; es
Beitrag zur Bekämpfung der Diphtheritis.
317
erschien daher fraglich, ob bei Diphtheritiserkrankung nach
erfolgter Schlufldesinfektion die Bazillenträger vom Schulbesuch
ausgeschlossen werden konnten; mit der Wohnungsdesinfektion
am Schluß der Erkrankung oder bei Ueberführung ins Kranken¬
haus aber solange zu warten, bis der Bazillenträger aufgehört
hatte, Bazillenträger zu sein, war schon gar nicht angängig.
Allein hier half der Ministerialerlaß vom 9. Juli 1907 zur Ver¬
hütung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten durch die
Schulen. * Gemäß § 5 dieser Anweisung dürfen gesunde Lehrer
und Schüler aus Behausungen,*}^ denen Erkrankungen an
Diphtheritis vorgekommen sind, die Schulräume nicht betreten,
so weit und solange eine Weiterverbreitung der Krankheit aus
diesen Behausungen durch sie zu „befürchten“ ist. Gemäß §6
derselben Anweisung darf weiterhin die Wiederzulassung Diph-
theritiskranker zur Schule erst erfolgen, wenn eine Weiter¬
verbreitung der Krankheit durch sie nach ärztlicher Bescheini¬
gung nicht mehr zu befürchten ist. Somit war die Zulässig¬
keit, Bazillenträger vom Schulbesuch auszuschließen, gegeben.
Nachdem im Dezember 1913 mit den Dezernenten des Gesund¬
heitswesens in beiden Städten und mit den Schulverwaltungen
Rückspraohe genommen worden war, und die Gesundheits¬
kommissionen sowie die Schuldeputation in Duisburg sich zu¬
stimmend geäußert hatten, wurde an sämtliche Krankenhaus¬
ärzte und Privatärzte beider Städte ein Rundschreiben geschickt.
In diesem Rundschreiben wurde den Aerzten ein Bild über die
Verbreitung und die bisherige Bekämpfung der Diphtheritis
gegeben, die Bedeutung der Bazillenträger für die Weiter Ver¬
breitung der Diphtheritis auseinandergesetzt, das beabsichtigte
Vorgeben bzgl. der schulpflichtigen Bazillenträger geschildert und
deren beabsichtigte Ausschließung vom Schulbesuch mitgeteilt.
Ferner wurden darin die Aerzte gebeten, bei Diphtheritis-
kranken in der Rekonvaleszenz eine zweimalige Probeentnahme
des Rachenschleimes an das bakteriologische Laboratorium in
Duisburg zur Untersuchung einzusenden, und ebenso von den
gesunden schulpflichtigen Geschwistern. Die Probeentnahme
sollte in Zwischenräumen von 2—3 Tagen stattfinden und bei
positivem Ausfall fortgesetzt werden, bis die Untersuchung
zweimal hintereiander negativ ausfallen würde.
Ebenso waren die Rektoren und Schullehrer von dem
Vorgehen unterrichtet und angewiesen worden, Schulkinder
nach überstandener Diphtheritis sowie die gesunden, schul¬
pflichtigen Kinder aus einer Familie, von der Diphtheritis
gemeldet war, nicht eher wieder zur Schule zulassen,
als bis ihnen mitgeteilt worden war, daß das betreffende
Kind „schulzulässig“ sei. Damit unnötige Schulversäumnisse
vermieden würden, wurden die Untersuchungsergebnisse vom
Untersuchungsamt dem Kreisarztamt telephonisch mitgeteilt;
dieses teilte dann der Gesundheitspolizei ebenfalls telephonisch
mit, ob und wann ein Kind wieder „schulzulässig sei. Die
Gesundheitspolizei benachrichtigte hierauf gleichfalls auf schnell-
318
Dr. Lembke.
stem Wege Eltern und Schule, daß das betreffende Kind wieder
die Schule besuchen könne.
Am 1. Januar 1914 setzte das Vorgehen gegen die Bazillen¬
träger ein. Natürlich ging nicht alles von Anfang an glatt.
Einige Aerzte versagten, namentlich war in Hamborn bei ein¬
zelnen Aerzten ein grundsätzlicher Widerstand entstanden, der
erst langsam und erst nach wiederholter Rücksprache mit
ihnen überwunden wurde. Im allgemeinen ging aber die Sache
besser, als ich erwartet hatte; schon nach kurzer Zeit hatte
sich das Verfahren allgemein eingebürgert. Leider machte der
Kriegsausbruch dem Versuche, der ursprünglich zunächst für
ein Jahr geplant war, bis zu einem gewissen Grade ein Ende.
Nachstehend berichte ich daher nur über die Zeit vom 1. Januar
1914 bis Ende Juli 1914 also über die Zeit von 7 Monaten.
Während dieser Zeit waren in Duisburg 486 Diphtheritis-
erkrankungen vorgekomraen; gestorben waren lß, von denen
also Schiaßuntersuchungen wegfielen. Von den verbleibenden
419 Diphtheritiskranken waren Schlußuntersuchungen gemacht
worden bei 344, also bei 82,1 °/ 0 .
ln Hamborn war das Ergebnis nicht so gut. Es waren
hier 339 Diphtheritiserkrankungen vorgekommen; die Zahl der
Todesfälle betrug 31. Von den 308 verbleibenden Diphtheritis-
rekonvaleszenten sind bei 126 Schlußuntersuchungen gemacht
worden, also bei 37,6 °/ 0 .
Die Zahl der Familien, in denen Diphtheritis aufgetreten
war und in denen außer dem Kranken noch gesunde, schul¬
pflichtige Kinder vorhanden waren, betrug in Duisburg 168, m
Hamborn 120. ln Duisburg fand bei 123 Familien eine Durch¬
suchung der gesunden schulpflichtigen Kinder statt, also bei
73,2 °/ 0 , in Hamborn bei 76 Familien also nur bei 63,3 °/ 0 .
Diese Ergebnisse zeigen, daß solche Schlußuntersuchungen
bei Diphtheritiskranken und Durchsuchungen der Familien nach
Bazillen tragenden Schulkindern praktisch durchgeführt werden
können. Die entgegenstehenden Schwierigkeiten lassen sich
überwinden.
Was nun die Ergebnisse der bakteriologischen
Untersuchungen selbst betrifft, so ergab sich folgendes:
In Duisburg sind 344 Diphtheritisrekonvaleszenten
untersucht und davon bei den Schlußuntersuchungen 221 frei
von Bakterien gefunden worden (hiervon hatte eine zweimalige
Untersuchung stattgefunden bei 180; bei 41 war nur einmal
untersucht worden). Ein positiver Befund wurde bei 123,
also bei 35,7 °/ 0 erhoben.
In Hamborn sind 126 Diphtheritisrekonvaleszenten unter¬
sucht und davon bei den Schlußuntersuchungen 94 frei von
Bakterien gefunden; hiervon waren 2 mal untersucht worden
47 und nur 1 mal ebenfalls 47. Positiven Befund hatten 32,
also 25,4°/ 0 . Daß in Hamborn die Zahl der Bazillenträger geringer
gefunden wurde, dürfte sich vielleicht daraus erklären, daß hier
die Sterblichkeit eine recht erhebliche gewesen und infolge-
Beitrag zur Bekämpfung der Diphtheritis.
319
dessen eine große Zahl schwerer Diphtheritisfälle nicht zur
Schlußuntersuchung gekommen ist.
Diese Bazillenträger (123 in Duisburg und 32 in Hamborn)
sind dann weiter untersucht worden. Danach zeigten einen
positiven Befund bei der
zweiten Untersuchung: in Duisburg: 10, in Hamborn: 3,
dritten „ „3, „1,
vierten „ „1, » 0,
fünften „ „0, „ 0.
Die längste Zeit d^s Bazillenträgerseins war einmal
16 Tage, einmal 20 Tage und einmal 34 Tage.
Diese Schlußuntersuchungen mit ihren Ergebnissen er¬
weisen die Notwendigkeit solcher Untersuchungen; ohne sie
wären sicherlich eine große Zahl von Diphtheritisbazillenträgern
zu früh aus den Krankenhäusern entlassen, zu früh wieder zur
Schule zugelassen worden und hätten dort sicherlich zu weiteren
Infektionen geführt. Anderseits verliert die große Mehrzahl
der Diphtheritisrekonvaleszenten doch wieder schon nach kurzer
Zeit die Bazillen, so daß eine übermäßige Verlängerung des
Krankenhausaufenthaltes, eine allzulange Ausschließung vom
Schulbesuch nicht zu befürchten ist.
Aus Familien, in denen Diphtheritis aufgetreten war
und in denen noch gesunde schulpflichtige Kinder vor¬
handen waren, ist eine Durchsuchung nach Bazillenträgern in
Duisburg bei 123 vorgenommen worden. In diesen 123 Familien
sind 35 Bazillenträger gefunden worden. In einer Familie
waren 2 gesunde schulpflichtige Kinder Bazillenträger und in
einer anderen Familie sogar 3 schulpflichtige Kinder Bazillen¬
träger. Aus der Umgebung von 100 Diphtheritiskranken kommen,
wenn schulpflichtige gesunde Kinder in der Familie überhaupt
vorhanden sind, 29,3 °/ 0 Bazillenträger.
In Hamborn sind in 76 Familien mit schulpflichtigen
Kindern Durchsuchungen nach Bazillenträgern vorgenommen.
Hier ist sogar bei 39 Schulkindern (d. s. 51,3 °/ 0 ) ein positiver
Befund erhoben worden, darunter in 6 Familien je 2 gesunde
Kinder mit Bazillen und eine Familie mit 3 Bazillenträgern.
Diese Bazillenträger (35 in Duisburg, 39 in Hamborn) sind
dann weiter untersucht worden. Danach zeigten einen posi¬
tiven Befund bei der
zweiten Untersuchung: in Duisburg: 10, in Hamborn: 9,
dritten „ „ 3, * 2,
vierten „ „ 1, * 0,
fünften „ „ 0, „ 0.
Diese Bazillenträger aus der Umgebung eines Diphtheritis¬
kranken bilden naturgemäß eine ungemein günstige Quelle der
W eiter Verbreitung.
Das Vorgehen bei der Anzeige eines Diphtheritisfalles war
bisher folgendes: Sowie der Arzt Diphtheritis festgestellt hatte,
erfolgte in der Regel noch am gleichen, spätestens am folgenden
320
Dr Baptnnnd: Inwieweit sind die von Medizinalbeamten als
Tage, Ueberfübrung in das Krankenhaus. Unmittelbar nach
der Ueberführung wurde die Wohnung desinfiziert und dann
durften die gesunden Geschwister die Schule wieder besuchen.
Daß bei solchem Verfahren durch die Bazillenträger die Diph-
theritis weiterverbreitet wird, daß in einer Großstadt und ip
den Schulen der Großstädte Diphtheritis immer herrscht, kann
nicht Wunder nehmen. Ich halte es daher für unbedingt not¬
wendig, auch die Umgebung von Diphtheritiskranken
zu durchsuchen, die Bazillenträger vom Schul¬
besuch fernzuhalten und mit Anweisungen zu versehen,
damit sie möglichst bald aufhören, Bazillenträger zu sein.
Die Durchsuchung der Umgebung der Diphtheritiskranken
ist praktisch durchführbar; ebenso wird auch die Schulaus-
schließung der Bazillenträger nicht auf Schwierigkeiten stoßen,
da auch diese Gruppe der Bazillenträger bald aufhört, Bazillen¬
träger zu sein, zumal wenn Mundspülungen und Rachenspülungen
vorgenommen werden, wie wir es in den beiden Kreisen in jedem
Falle angeraten haben.
Der Ausbruch des Krieges beendete den Versuch; aber
das, was ich durch ihn habe *feststellen wollen, ist erreicht
worden. Nach dem Kriege hoffe ich, wird das Verfahren gegen
die Bazillenträger in vollem Umfange wieder aufgenommen werden.
Es wird dies um so leichter sein, als sämtliche Krankenhäuser
bis heute hin die Schlußuntersuchungen beibehalten haben.
Inwieweit sind nach dem Angestellten-Versicherungsgesetz
die von den Medizinalbeamten als Schreibhilfe beschäftigten
Personen nach dem Versicherungsgesetz für Angestellte
versicherungspflichtig ?
Vom Herausgeber.
Die Frage der Versicherungspflicht der von den Medizinal¬
beamten als Schreibhilfe beschäftigten Personen ist, soweit diese
nicht als vollbeschäftigte Bürobeamte — also im Hauptamte —
angestellt sind und ein entsprechendes Gehalt beziehen, eine
strittige. In der Regel kann bei ihnen weder vom Hauptberuf
noch von einem Angestellten im Sinne einer höheren oder
gehobenen Stellung die Rede sein, sondern es handelt sich
meist umr eine einige Stunden dauernde Nebentätigkeit,
bei der die Betreffenden fast ausschließlich mit Abschreiben,
Diktatschreiben, Schreiben auf der Schreibmaschine, Akten¬
heften, Botengängen und ähnlichen niederen und mechanischen
Arbeiten beschäftigt werden. Daß sie in diesem Falle nach
dem Versicherungsgesetz für Angestellte nicht versicherungs¬
pflichtig sind, unterliegt keinem Zweifel;*) strittig wird dagegen
') In der vom Direktorium der Keichs Versicherungsanstalt
für Angestellte unter dem 2 0. Juni 1912 heransgegebenen Anleitung,
betr. den Kreis der nach dem Versicherungsgesetze für Angestellte yom
20. Dezember 1911 versicherten Personen heißt es unter Ziffer 14:
Schreibhilfe beschäftigten Personen versicherungspflichtig ? 821
die Frage, wenn sie außerdem noch mit dem Ausfüllen von
Listen, Formularen mit Vordruck usw. beschäftigt werden.
Auch diese Tätigkeit dürfte wohl bisher von den meisten
Medizinalbeamten als eine rein mechanische angesehen und
deshalb eine Versicherungspflicht für ihre Schreibhilfen nicht
anerkannt sein. Der nachstehende Fall zeigt jedoch, daß diese
Ansicht eine irrige ist, da das Ausfüllen von Listen nicht als
mechanische Arbeit gilt und die V^rsicherungspflicht auch
dann eintritt, wenn diese Tätigkeit nur eine geringfügige ist
im Verhältnis zu der sonstigen mechanischen Arbeit.
\ Der Kreisarzt Dr. Schultz-Schulzenstein in Freien¬
walde, der mir das erforderliche Material in liebenswürdiger
Weise zur Verfügung gestellt hat, wurde vom Direktorium der
Reichsversicherungsanstalt in Berlin durch Schreiben vom
22. Juli 1915 aufgefordert, den von ihm als Schreiber und Bote
beschäftigten B. zur Angestellten-Versicherung anzumelden. Er
erhob hiergegen bei dem zuständigen Rentausschuß in Berlin
Beschwerde mit folgender Begründung:
B., früher Maschinenschreiber beim hiesigen Landrat, dann eine Zeitlang
ohne Stell an g, ist von mir als Privatgehilfe zar Verrichtung der sich durch
meinen Dienst im Büro ergebenden niederen und mechanischen Dienstleistungen
„Büroangestellte, soweit sie nicht mit niederen oder lediglich
mechanischen Dienstleistungen beschäftigt werden. Danach sind die lediglich
mit körperlichen Arbeiten, z. B. mit dem Reinigen der Zimmer oder
mit Botendiensten beschäftigten Personen, von der Versicherung ausgeschlossen.
Aber auch die in einem Büro mit schriftlichen Arbeiten beschäftigten
Personen sind nicht sämtlich versicherungspflichtig. Vielmehr sind Personen,
die lediglich abschreiben, gleichviel ob mit der Hand oder
mit der Maschine, versicherungsfrei. Versichert sind dagegen
Expedienten, Registratoren, Kalkulatoren, Kassenbeamte, Gemeindeschreiber,
Gemeinderechner, Kirchenrechner, Personen, die in Rechtsanwaltsbüros Schrift¬
sätze anfertigen oder Kostenrechnungen und Buchhalter der Gutsverwaltungen,
Stenographen.
Büroangestellte sind nur versicherungspflichtig, wenn diese Beschäfti¬
gung ihren Hauptberuf bildet.“
Was unter „Hauptberuf“ zu verstehen ist, erläutert Ziffer 10 der
Anleitung wie folgt:
„Das Erfordernis, daß die Beschäftigung als Angestellter den Haupt¬
beruf der Beschäftigten bilden müssen, schließt die Anwendung des Gesetzes
für vorübergehend Beschäftigte sowie für solche Angestellte aus, die ihre
Stellung nur nebenamtlich anseben (z. B Gewerbetreibende, die nebenbei
die Geschäfte eines Gemeindeschreibers, eines Postagenten, des Rendanten
einer Darlehnskasse wahrnehmen). Der Hauptberuf bestimmt sich bei mehreren
Erwerbstätigkeiten nach dem Verhältnisse der auf sie verwandten
Arbeitszeit und des dafür gewährten Entgeldes. Wenn neben
einer hierher gehörigen Tätigkeit keine Erwerbstätigkeit aasgeübt, vielmehr
der Lebensunterhalt im übrigen aus Vermögen bestritten wird, so bildet sie
darum nicht notwendig den Hauptberuf. Es kommt«» noch darauf an, ob die
Beschäftigung, sei es, weil sie die Arbeitskraft hauptsächlich in Anspruch
nimmt, sei es, weil sie den Beschäftigten einem bestimmten Gesellschaftskreise
zuweist, für die Lebensstellung tatsächlich oder nach seiner Ansicht maßgebend
ist; dabei wird auch auf die Höhe und Sicherheit des Arbeitsentgeltes Wert
zu legen sein. Werden mehrere Tätigkeiten ausgeübt, deren jede den
Beschäftigten zum Angestellten macht, so kommt es darauf an, ob die
Gesamtheit dieser Beschäftigungen gegenüber der sonstigen nicht
versicherungspflichtigen Tätigkeit den Hauptberuf bildet.“
322 Dr. Rapmund: Inwieweit sind die von Medizinalbeamten als
angenommen und erhält dafür monatlich eine Entschädigung von 60 Mark.
Hierfür hat er täglich während einiger Standen von 9—12 Ohr vormittags —
in meinem Geschäftszimmer Reinschriften der von mir selbst ange-
fertigten Schriftsätze herzustellen, nach meiner Anweisung in jedem Falle
Adressen der abgehenden Schriftstücke za schreiben, die Daten in Vor¬
ladungen und zwar auch nur nach meiner jedesmaligen Angabe einzutragen,
die eingehenden Schriftstücke, die zu den Akten zu nehmen sind, in
die von mir auf jedem Schriftstück vermerkten Akten zu legen, die Akten
zu heften und sonstige unselbständige Büroarbeiten, z. B. Arbeiten
mit der Kopiermaschine, sowie die erforderlichen Botengänge zu verrichten.
Eintragungen in das Bürotagebuch hat er nur unter meiner Anleitung gemacht.
Irgendwelche selbständige Arbeiten hat er nicht verrichtet, war dazu auch
gar nicht befähigt und vorgebildet. Jede schriftliche Sache, die er nach meinem
Entwarf abschrieb, war mir vor Abgang vorzulegen, wurde von mir durch¬
gesehen und unterschrieben.
Die ganze Tätigkeit des B. auf meinem Büro ist eine vorüber¬
gehende und daher nicht als Hauptberuf anzusehen; dazu ist
auch der Umfang der Beschäftigung und des Bürobetriebes zu gering, was
schon daraus hervorgebt, daß mir vom Staat nur ein Dienstaufwand von
480 Mark gewährt wird, wofür ich eine im Hauptberuf Angestellte Schreibhilfe
nicht halten kann, znmal aus diesem Betrage auch alle sonstigen Büroauslagen,
Mieto und Heizung für das Bürozimmer usw. zu decken sind. B. war übrigens
gleichzeitig auch bei dem hiesigen Kreistierarzt als SchreibhUfe tätig.
Ein schriftlicher Vertrag ist von mir mit dem B. nicht abge¬
schlossen; für die Kündigung des Arbeitsverbältnisses gelten die gesetzlichen
Bestimmungen.
Durch die vorstehenden Ausführungen erscheint mir erwiesen, daß die
Voraussetzungen bei der Beschäftigung des B. in meinem Büro für ein ver-
sicherungspltichtigcs Arbeitsverhältnis nicht erfüllt sind.
Diese Beschwerde wurde von dem Rentenausschuß
der Angestelltenversicherung in Berlin durch Beschluß vom
15. Februar 1916 als unbegründet abgewiesen und
der Angestellte B. für versicherungspflichtig nach dem Ver¬
sicherungsgesetz für Angestellte mit folgenden Gründen aner¬
kannt :
. „Der Angestellte B. war in der Zeit vom 1. Februar 1913 bis zum
25. Juli 1914 in dem Geschäftszimmer des Königl. Kreisarztes Dr. Sch. mit
schriftlichen Arbeiten beschäftigt und gehörte sonach nach Art seiner Tätig¬
keit zu den Bttroangestellten. Als solcher unterlag er nach § 1 Abs. 1 Nr. 2
des Versicherungsgcsetzes für Angestellte der Versiehe rungspflicht, falls seine
Tätigkeit nicht als niedere oder lediglich mechanische Dienstleistung anzusehen
war und diese Beschäftigung seinen Hauptberuf bildete.
Zu den mit niederen Büroarbeiten betrauten Büro&ngestellten gehört
er zweifellos nicht, denn hierunter fallen Botendienste, Reinigungs- und Auf-
räumungsarbeiten, keinesfalls aber Schreibarbeiten. Der Angestellte war zwar
auch mit Botengängen zur Post und zu Behörden beschäftigt, aber in so ge¬
ringem Umfange, daß diese Tätigkeit für die Beurteilung seiner Versicherungs¬
pflicht nicht als ausschlaggebend in Betracht kommt. Fraglich könne nur sein,
ob er etwa zu den Büroangestellten gerechnet werden müßte, die „mit ledig¬
lich mechanischer Dienstleistung“ befaßt sind.
„Mechanisch“ in diesem Sinne ist nach den von den Spruchorganen
der Angestellten Versicherung in ständiger Rechtsprechung entwickelten Grund¬
sätzen die mit der bei der Beratung des Gesetzes im Reichstag zum Ausdruck
gebrachten Auffassung übereinstimmen, nur die Tätigkeit eines Abschreibers,
der Wort für Wort nach Vorlage abschreibt. Und auch eine derartige Tätig¬
keit befreit nur dann von der Versicherungsptlicht, wenn der Angestellte
ausschließlich damit beschäftigt ist.
Nach den tatsächlichen Feststellungen hatte B. Reinschriften nach Diktat
und nach schriftlicher Vorlage anzufertigen, Adressen nach Anweisung des
Arbeitgebers zn schreiben, die Daten der Vorladungen nach jedesmaliger An¬
gabe des Arbeitgebers in ein Buch zu schreiben, Eingänge in die vom Arbeit-
Schreibhilie beschäftigten Personen versicherungspflichtig?
828
geber genau bezeichneten Akten einzolegen and za heften, Eintragungen in
aas Brieftagebuch nach Angabe des Arbeitgebers za machen, Abdrucke mit
der Kopiermascbine herzasteilen, ferner die angemeldeten Krankheitsfälle ans
den Heldangen za statistischen Zwecken in eine Liste einzatragen and auf
Grand von Listen Impfscheine einzaschreiben. Seine Dienstzeit dauerte yon
9—12 Uhr vormittags; er erhielt für seine Dienstleistungen ein monatliches
Gehalt von 45 Mk., später 50 Mark and außerdem 30 Mark für das Schreiben
der Impfscheine. In der Zeit vom 1. April bis 1. Oktober war B. noch bei dem
Amtsvorsteher in W. tätig and zwar bei dem Btiroftibrer.- Während seiner Be¬
schäftigung beim Königl. Kreisarzt Dr. Scb. wandte er für seinen Lebensunter¬
halt etwa 800 M. jährlich aaf.
Strittig ist nar die Versicherangspflicht während der Beschäftigung beim
Königl. Kreisarzt Dr. Sch. Nach dem oben geschilderten Sachverhalt war der
Angestellte bei diesem allerdings zweifellos mit einer Beihe mechanischer
Tätigkeiten befaßt. Die Eintragung der Krankheitsfälle in eine Liste aaf
Grand der Anmeldescheine, sowie das Atusschreiben der Impf¬
scheine ans Listen können aber nicht als mechanische Dienstleistungen be¬
zeichnet werden. Es handelt sich hierbei nicht um ein unter Ausschluß der
Denktätigkeit stattfindendes Vervielfältigen einer Vorlage ihrem gesamten
Umfang und Inhalt nach; vielmehr erforderten diese Arbeiten Aufmerksamkeit
and Gewissenhaftigkeit, sie können daher mit einer Abschreibertätigkeit nicht
auf eine Stufe gestellt werden. (Beschluß des Oberschiedsgerichts zu P. 11/18;
Amtl. Nachrichten der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte; 1914, S. 102).
Der Angestellte war also auch mit nicht mechanischen Dienstleistungen befaßt.
Auf den Umfang der nicht mechanischen Dienstleistungen kommt es bei der
Beurteilung der Versicherungspflicht nicht an, da das Gesetz nur die mit
„lediglich“ mechanischen Dienstleistungen beschäftigten Büroangestellten für
nicht versicherungspflichtig erklärt. Es kann daher dahingestellt bleiben, in¬
wieweit die übrigen Arbeiten der Angestellten als mechanische Dienstleistungen
im Sinne des Gesetzes anzusehen waren. Auch dem weiteren gesetzlichen
Erfordernis für die Bestehung der Versicherungspflicht, der Ausübung der Be¬
schäftigung im Hauptberuf ist genügt; denn der Angestellte übte seine Be¬
schäftigung bei dem Königl. Kreisarzt in der Regel von 9—12 Uhr vormittags
aus. Daneben war er allerdings in der Zeit vom 14. April bis 30. Sept. 1918
auch noch bei dem Amtsvorsteher in W. beschäftigt, jedoch wurde diese Be¬
schäftigung nur zweimal wöchentlich ausgeübt; sie tritt deshalb so erheblich
hinter die Tätigkeit des Angestellten bei dem Königl. Kreisarzt zurück, daß
man in dieser letzteren den Hauptberuf des Angestellten erblicken muß.
Außerdem bildete das von dem Arbeitgeber bezogene Einkommen von jährlich
600 Mark auch die Grundlage für das Bestehen des Angestellten, der für seine
Lebensbedürfnisse etwa 800 Mark jährlich gebraucht hat.
Die Versicherangspflicht des Angestellten bei seiner Tätigkeit bei dem
Königl. Kreisarzt Dr. Sch. war daher nach § 1, Abs. 1, Nr. 2 des Versicherungs¬
gesetzes für Angestellte zu bejahen.“
Gegen diesen Beschluß legte der Kreisarzt Dr. Sch. unter
dem 9. März d. J. Beschwerde beim Schiedsgericht für die
Angestelltenversicherung ein mit dem Anträge, den Beschluß
des Rentenausschusses aulzuheben bezw. die Sache gemäß § 210
Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes an das Oberschieds¬
gericht abzugeben. Seine Beschwerde begründete er wie folgt:
.... In dem Beschluß des Rentenausschusses wird einerseits anerkannt’
daß B. mit einer Reihe von mechanischen Arbeiten befaßt war, dann aber
gesagt, daß „die Eintragung der Krankheitsfälle in eine Liste auf
Grund der Anmeldescheine“ nicht als mechanische Dienstleistung an¬
gesehen werden könne. Zum Beweise des Gegenteils dieser Auffassung füge
ich ein aasgefülltes Formular über eine Erkrankung und das Formular für die
zu machende Eintragung bei. In der Anzeige stellt der Ort der Erkrankung;
ihre Art ist jedesmal oben unterstrichen. Die ganze Schreib- und Denkarbeit
des B. bestand also darin, in die Liste den Ort der Erkrankung einzutragen
und in der Spalte für die betreffende Krankheit einen Strich zu machen. Diese
324
Dr. Rapmund: Inwieweit sind die von Medizinalbeamten als
Liste wird mir wöchentlich am Sonnabend mit den betreifenden roten Melde¬
zetteln vorgelegt, von mir kontrolliert und gegebenenfalls berichtigt, sowie
eine Abschrift davon mit meiner Unterschrift an den Herrn Regierungsprisi-
denten ein gereicht. Ich vermag mir nicht vorznstellen, wie man bei genafuer
Kenntnis dieses Sachverhalts in der genannten Tätigkeit des B. etwas anderes
als eine mechanische Abschreibearbeit sehen kann. Die Tatsache, daß er
statt des Wortes (Scharlach) nur einen Strich zu machen hatte, kann doch seine
Denktätigkeit wahrlich nicht auf eine Höhe heben, die die eines ganz gewöhn¬
lichen Abschreibens überragt. Zum Ueberfluß füge ich noch hinzu, daß täglich
1, höchstens 2 solcher Spalten im Formular aaszufüllen sind, sehr oft gar keine.
Ganz der gleiche Sachverhalt liegt bei dem Ausschreiben der
Impfscheine ans den Listen vor: Aus der Liste ist der Name, das Geburts¬
datum und der Tag der Aushändigung des Scheins rein mechanisch abzu-
schreibcn (eigentlich nur Name und Geburtstag, da das andere meist mittels
Stein peldrucks gemacht wird). Der Impfschein erhält seine Gültigkeit durch
meine Unterschrift und wird von mir im Nacbschautermin nachgeprüft; falls
ein Verschreiben oder ein Irrtum des B. vorlag (was oft genug vorkam), wird
der Impfschein zerrissen und von mir neu geschrieben. Die Tätigkeit des B.
erforderte daher auch nicht eine außerordentliche Sorgfalt, da jeder Fehler sich
ebenso wie beim Krankheitsverzeichnis sehr bald herausstellte; sie kann
deshalb nur als rein mechanische Abschreibetätigkeit bezeichnet werden, die
in keiner Weise mehr Aufmerksamkeit und Gewissenhaftigkeit erfordert, als
sie bei rein mechanischem Abschreiben in Frage kommt, m. E. sogar noch
weniger, weil nicht einmal Aufmerksamkeit auf Satzbau und Interpunktion
nötig ist, geschweige denn an Denkfähigkeit irgendwelche Anforderungen ge¬
stellt werden.
Der Beschluß des Rentenausschusses nimmt nun Bezug auf den Beschluß
des Schiedsgerichts zu P. 11/13; in diesem heißt es jedoch im Absatz 6: „Der
weitaus überragende Teil der ihm übertragenen Arbeiten gehöre auch nicht zu
den rein mechanischen, da sie immerhin gewisse Anforderungen an eine „selbst¬
ständige Denkarbeit“ stellen. Lediglich.die Abschriften nach
schriftlichen Vorlagen erscheinen als Beschäftigungen, die die Ver-
sicberungspflicht nicht begründen würde.“ Ich glaube, daß man mir nach
Einsicht der beigefügten Formulare ohne weiteres zugestehen muß, daß eine
selbständige Denkarbeit und geistige Tätigkeit oder ein¬
gehende Kenntnis des Betriebes bei B. sicherlich nicht in Frage kommt.
Auch nach den Beratungen der 16. Reichstags-Kommission sind unter Ab-
schreibearbeiten wie sie von jedem gewöhnlichen Schreiber ver¬
richtet zu werden pflegen, als niedere, rein mechanische zu verstehen. Um
solche Arbeiten handelt es sich hier aber doch lediglich.
Es ist dann ferner gesagt worden, daß die Führung von Büchern, Be¬
rechnung von Unkosten eine eingehende Kenntnis des Betriebes usw.,
sowie eine selbständige Denkarbeit und geistige Tätigkeit
erfordern. Eine Kenntnis des Betriebes kommt aber bei den von B. besorgten
Formalttrabschriften sicher nicht in Betracht. Das rein mechanische Abschreiben
aus einer Liste erscheint vielmehr als das Geringste von dem, was man von
einem ganz gewöhnlichen Schreiber oder Kanzlisten erwarten muß.
B. war bei mir uach weder als Expedient noch als Registrator, Kalkulator
usw. tätig (vergl. Anleitung vom 20. Juni 1912),') sondern nur als mechanischer
Abschreiber and Bote. Ich nehme ferner Bezog auf die grundsätzliche Ent¬
scheidung des Oberschiedsgerichts vom 24. September 1914, in der ebenfalls
ausgefiihrt ist, daß unter mechanischen Dienstleistungen mechanische Kopier¬
oder Abschreibearbeiten, wie sie von jedem gewöhnlichen Schreiber
oder Kanzlisten verrichtet zu werden pflegen, zu verstehen sind. „Vollzug
von Ersuchungsschreiben mit Bearbeitung der Karthothek“ gehören aber nicht
dahin, weil eine solche Arbeit einen Aufwand von peinlichster
Genauigkeit und von Denkvermögen erfordern.“ Arbeiten dieser oder
ähnlicher Art kommen aber bei mir gar nicht vor 1 Die Listen über ansteckende
Krankheiten und die Impfscheine füllt wohl jeder Schreiber eines Kreisarztes
aus; es müßten deshalb auch alle bei einem Kreisarzt beschäftigten Schreiber
*) Siehe vorher Anmerkung auf S. 320 und 321.
Schreibhilfe beschäftigten Perosnen versichcrnngspflichtig i
825
versicherungspflichtig werden, wenn sie zufällig einmal keinen anderen Beruf
haben, und man das Ansschreiben 7on Impfscheinen nsw. als eine so hohe
geistige Leistung bewerten will, wie es der Rentenausschuß tut. Die Sache
hat deshalb auch eine grundsätzliche Bedeutung."
In einem nachträglichen Zusatz zu seiner Beschwerde
nahm dann der Kreisarzt Dr. Sch. auf den Beschluß des Ober¬
schiedsgerichts in Berlin vom 11. September 1915 1 ) Bezug, in
dem nicht einmal ein Gehalt von 90 M. monatlich als ein solches
für eine „gehobene Stellung“ anzusehen sei; um so weniger
dürfe die von ihm dem B. gewährte Entschädigung, die in
Wirklichkeit jährlich nur 570 M. betragen habe, für eine der¬
artige Stellung sprechen. In diesem Beschluß sei außerdem
das Aussqhreiben von Rechnungen als eine die Ver¬
sicherungspflicht nicht bedingende Tätigkeit angenommen, ob¬
wohl sie eine Arbeit darstelle, die sehr viel mehr Aufmerksam¬
keit erfordere, als im vorliegenden Falle das Ausschreiben von
Impfscheinen und die Ausfüllung von Listen.
Durch Beschluß des Schiedsgerichts für Ange¬
stelltenversicherung in Berlin vom 3. April 1916
wurde diese Beschwerde jedoch abgewiesen und auch der An¬
trag auf Abgabe an das Öberschiedsgericht abgelehnt, da hier¬
zu die Voraussetzungen des § 210 Abs. 2 des Angestellten-
Versicherungs-Gesetzes nicht Vorlagen. Der Beschluß wurde
wie folgt begründet:
„Die Versicherungspflicht ist begründet, wenn ein Büroangestellter
nicht nur ganz vorübergehend, sondern mit einer gewissen Regelmäßig¬
keit eine nicht mechanische Tätigkeit ansübt, ohne daß es auf
dep Umfang der letzteren ankommt, auf ihr Verhältnis zu der
mechanischen Arbeit (Entscheidungen des Oberscbiedsgerichts vom 29. April
und 16. Juni 1914; Angestellten-Versicherung 1914, S 212 und 233, vom 18. Juni,
24. September und 28. November 1916; ebenda 1915, S. 187 und 1916, S. 9
und 49).
*) In dem oben angeftthrten Beschluß des Oberschiedsgerichts heißt es:
FxL P.8 Tätigkeit bei dem Zahnarzt N. hat zum Teil in Diensten niederer Art
bestanden. Dazu gehört zweifellos das Staubwischen, das Hereinlassen, Hinaus¬
führen und Bedienen der Patienten beim Ablegen der Garderobe, das Bedienen
des Fernsprechers, das Säubern der Instrumente, des Instrumenten- und des
Arzneischrankes und die üblichen Handreichungen während der ärztlichen Be¬
handlung der Patienten. Nach einer Auskunft der Preußischen Zahnärzte¬
kammer vom 28. Dezember 1914 fällt unter die üblichen Dienstleistungen
niederer Art auch das Hämmern von Goldfüllungen. Auch diese Leistung
bildet nach der Auskunft nicht etwa einen Teil der Behandlung. Sie kann
von jeder unvorgebildeten Person ausgeübt werden. Es kommt daher nur
noch darauf an, ob Fräulein P. wegen der ihr obliegenden schriftlichen Arbeiten
als Angestellte im Sinne des Versicherungsgesetzes für Angestellte zu be¬
trachten war. In dieser Richtung steht fest, daß Fräulein P. in das Bestell¬
buch, das der Arzt meist selbst führte, nach dessen Anweisungen Einträge
machte, daß sie Rechnungen ausschrieb, nachdem der Arzt zuvor die
Honorarsätze ausgerechnet hatte und daß sie nach Diktat Briefe schrieb.
Häufig hatte sie tagelang keine schriftlichen Arbeiten. Anderseits soll sie
auch an Sonntagen mit schriftlichen Arbeiten, und zwar auch mit solchen,
welche mit der zahnärztlichen Praxis nichts zu tun hatten, beschäftigt gewesen
sein. Diese Tätigkeit hat das Oberschiedsgericht nicht als eine Dienstleistung
höherer Art bewerten können, da ihr jede selbständige Ent¬
schließung und eigene Verantwortlichkeit fehlte. Auch das
monatliche Gehalt von 90 Mark spricht nicht für eine gehobene Stellung.
326
Verhandlungen des Reichstags über den Hanahalt
Das Ausfällen von Formularen und Listen ist eine-nicht
mechanische Tätigkeit (Entscheidungen des Oberschiedsgerkhts vom
18. Juni und 23. November 1915 (s. vorher), sowie vom 3. und 18. Dezember 1915 k
I o der Entscheidung vom 8. Dezember 1915 sogt das Oberschiedsgericht, es
habe in zahlreichen Entscheidungen angenommen, daß jede Register- und
Listenführung sowie das Ausfüllen von Vordrucke selbst einfacher Art nicht
unter dem Begriff der mechanischen Dienstleistungen gebracht werden kann,
auch wenn die Zahl der verwendeten Vordrucke klein sei und sich ihre Aus¬
füllung in gleicher Weise vollziehe.
Im vorliegenden Falle handelt es sich um die Ausfüllung von Listen
und Formularen, denn die Eintragungen des B. in die Krankheits¬
listen und Impfscheine waren nicht wortgetreue Abschriften der Vor¬
lage. In den Krankheitslisten war anstatt des Namens der in der An¬
zeige erwähnten Krankheit in der betreffenden Spalte der Liste ein Strich zu
machen; wurde die falsche Spalte ausgefüllt, so war das Ergebnis der Liste
unrichtig. In dem Impfschein waren Angaben aus der wesentlich anders
gearbeiteten Liste zu entnehmen und zum Teil durch andere Worte zu ersetzen.
Der Umstand, daß B. nicht unter eigener Verantwortlichkeit
arbeitete, schließt die Versicherungspflicht nicht aus (Entschei¬
dung des Ober-Schiedsgerichts vom 10. Februar 1914; Angestellten-Versiche-
rung 1914, S. 602).
Die Berufung auf die Entscheidung des O.Sch.G. vom 11. 8eptember 1915
(Angestellten-Versicherung, 1915, S. 228) trifft nicht zu, denn es handelt sich
nicht um die Frage, ob B. Angestellter im Sinne einer höheren oder gehobenen
Stellung war.“
Leider, ist die Sache nicht mehr zur Entscheidung des
Oberschiedsgerichts gekommen, das vielleicht doch in bezug
auf die Ausfüllung von Impfscheinen usw., um die es sich hier
hauptsächlich handelte, zu einer anderen Ansicht gekommen
wäre, als der Rentenausschuß und das Schiedsgericht. Jeden¬
falls werden aber die Medizinalbeamten bis dahin gut tun, die
Tätigkeit der von ihnen beschäftigten Schreiber, soweit diese
nicht einen anderen versicherungspflichtigen Hauptberuf haben,
auf die in dem Schiedsgericht gezogenen Grenzen zu be¬
schränken. Die betreffenden Personen sind dann aber nach
§ 1226 Abs. 1 Ziffer 1 der Reichs Versicherungsordnung (Inva¬
liden- und Hinterbliebenenversicherung) als „Gehilfen“ ver¬
sicherungspflichtig.
Verhandlungen des Reichstages Ober den Haushalt des
Reichsamts des Innern, insbesondere des Reichsgesund-
heitsamtes.
Vom Herausgeber.
Die Beratung über den Haushalt des Reichsamts des
Innern und des darin enthaltenen Haushalts für das Reichs¬
gesundheitsamts hat dem Reichstag in den Sitzungen vom
21. und 23. Mai Veranlassung gegeben, sich nicht nur mit einer
Reihe sozialpolitischer Fragen, sondern auch mit ver¬
schiedenen Fragen aus dem Gebiete der öffentlichen Gesund¬
heitspflege, wie Geburtenrückgang, Säuglingssterb¬
lichkeit, Mutter- und Säuglingsschutz, Reform des
Hebammenwesens, Bekämpfung der Geschlechts¬
krankheiten usw. zu beschäftigen. Die Hauptrolle spielten
des Reicbsamts des Innern, insbesondere des Reichsgesundheitsamtcs. 327
dabei ebenso, wie bei den Verhandlungen des Medizinaletats im
preußischen Abgeordnetenhause, die Bekämpfung des Geburten¬
rückganges sowie der Mutter- u. Säuglingschutz. Man kann gerade
nicht behaupten, daß die Beratung viel Neues zutage gefördert
hätte; ob der vom Reichstag beschlossene besondere Aus¬
schuß zur Vorberatung alle hierher gehörigen Gegenstände in
dieser Beziehung zu wirklich praktischen und Erfolg ver¬
sprechenden Vorschlägen kommen wird, muß die Zukunft
lehren. Jedenfalls befinden sich Reichstag und preußischer
Landtag im edlen Wettkampf auf diesem Gebiete; hoffentlich
trägt dieser dazu bei, daß es nicht wie bisher bloß bei einem
solchen mit Worten und theoretischen Erörterungen bleibt,
sondern es zu erfolgreichen Taten kommt. Es heißt aber auch
hier: „Tue Geld in deinen Beutel“, wenn man auch nicht so
weit gehen will, wie der Vertreter der neuen sozialdemo¬
kratischen Arbeits-Gemeinschaft, der bei jeder Geburt wo¬
möglich ärztlichen Beistand verlangt, während die Heb¬
ammen nur Beihilfe leisten sollen, und deshalb alle Entbin¬
dungen in heiraartig ausgestattete Gebärasyle verlegen möchte.
Die Einzelheiten der Verhandlungen ergeben sich aus dem
nachstehenden Auszug des stenographischen Berichts:
Abg. Hamm (Deutsche Fraktion): Ein Kolonisationsvolk ist kinderreich,
ein Mietskasernenvolk dagegen aassterbend; die Mietskaserne führt zum Zwei¬
kindersystem, die innere Kolonisation znm Zwölfkindersystem. Trotz der großen
Kriegsverluste ist das deutsche Volk zurzeit noch dank der Arbeiterversicherung
and der Wochenhilfe und der dadurch bedingten steigenden Untersterblichkeit
und Abnahme der Säuglingssterblichkeit ein wachsendes Volk; gleichwohl
dürfen die nachteiligen Folgen des in den letzten 12 Jahren cingetretenen
Gebartensturzes in bezug auf die Erhaltung unserer Wehrkraft nicht unter¬
schätzt worden. Nirgends ist dieser Geburtenrückgang ärger als inner¬
halb der Beamtenschaft aller Grade; statt Gewährung von Alterszulagen sollte
man deshalb an die Gewährung von ausreichenden Kinder Zulagen denken.
Weiterhin ist die Reichswochenhilfe leizubehalten und für eine Hebung
des Hebammenstandes zu sorgen.
Abg. Hitze (Zentr): Wenn heute auch schon in den arbeitenden Klassen
ein Geburtenrückgang zu verzeichnen ist, so ist einer der Hauptgründe
dafür der, daß die Kinder, sobald sie flügge werden, das Elternhaus verlassen und
den Eltern jede Unterstützung versagen. Die in dem Antrag Bernstein'j
geforderte reichsgesetzliche Regelung des Mutter- und Säug-
lingsschutzes hält Redner nicht für durchführbar, so sehr sicherlich alle
Mitglieder des Hauses volle Sympathie für das Ziel einer ausreichenden Mutter-
und Säuglingsfürsorge haben. Die Wöchnerinnenfürsorge ist bereits
durch die Reichsversicherungsordnung geregelt und bedarf deshalb keines
neuen Gesetzes; die Errichtung von 8äuglingsfürsorgestellen, die
Beaufsichtigung der Ziehkinder, die Fürsorge für Kinder¬
milch usw. sind aber Bache der Landesverwaltung, ebenso wie die Ver¬
besserung des Hebammenwesens. Die Frage der Bekämpfung des
Geburtenrückganges ist aber mit Rücksicht auf die Zukunft des
deutschen Volkes, auf die Erhaltung unserer Wehrkraft und wirtschaftlichen
Weltstellung eine so wichtige, daß sich die Bildung einer von seiner Partei
vor^escblagenen besonderen Kommission empfiehlt, die in ähnlicher
Weise wie die Wohnungskommission die Aufgabe hat, alle Anträge, Wünsche und
*) Der AntragBernstein (sozialdem. Arb.-Gem.) und Genossen lautet:
»Die verbündeten Regierungen zu ersuchen, einen Gesetzentwurf vorzulegen,
wodurch Muttermund Säuglingsschutz sowie die Geburtshilfe all¬
gemein reiohsgesetzlich geregelt werden."
828
Verhandlungen des Reichstages über den Haushalt
Vorschläge durch sorgfältige Beratung für das Plenum Torzuberaten, um mit
wirkungsvollen und möglichst von allen Parteien unterstützten Anträgen an
die verbündeten Regierungen herantreten zu können. In dieser Kommission
wird man dann den Hebel dort ansetzen, wo die Not am dringendsten ist und
sich deshalb auf wenige Anträge beschränken, diese aber vertiefen, mit sorg¬
fältigen Berichten begründen und erläutern.
Abg. Bassermann (natl.) begründet" zunächst kurz den von seiner Partei
gestellten Antrag:
„Den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, einen Gesetzentwurf dem
Reichstag zur Beschlußfassung vorzulegen, durch den die Leistungen der
für die Kriegszeit eingerichteten Reichswdchenhilfe zu Regel¬
leistungen der Krankenversicherung gemacht werden.“
Die von dem Abg. Bernstein geforderte reichsgesetzliche Regelung des
Mutter- und Säuglingsschutzes und der Geburtshilfe erkennt
Redner an sich als berechtigt an, unter Vorbehalt der von dem Vorredner
dagegen erhobenen Bedenken. Ebenso hält er die von dem Zentrum vorge-
schlagene Bildung eines besonderen Ausschusses zur Beratung aller
Fragen der Bevölkerungspolitik für richtig; besonders dringlich ist in
dieser Beziehung die Frage des Geburtenrückganges, die durch den
Krieg noch wichtiger als vorher geworden ist Wenn auch im Kriege die
Qualität der Soldaten für die endgültige Entscheidung schwer ins Gewicht
fällt so bilden immerhin die stärkeren Bataillone einen nicht minder wichtigen
Faktor für diese Entscheidung; Rußland mit seinem jährlichen Bevölkerungs¬
zuwachs von 2 Millionen ist demzufolge eine von Jahr zu Jahr wachsende Ge¬
fahr für Deutschland, das eine jährliche Zunahme von nur 7—800000 Einwohnern
aufweist. Eine wichtige Rolle bei dem Geburtenrückgang spielen ferner die
Geschlechtskrankheiten; sie sind eine große Gefahr für die Gesundheit
der Frauen und damit auch für deren Gebährfähigkeit. Ebenso wirken der
stetig wachsende Eintritt der Frauen in das Erwerbsleben und die damit zu¬
sammenhängende Eheverminderung nachteilig auf die Geburtenzahl. Eins der
wirksamsten Mittel, um dieser verminderten Bevölkerungsvermehrung nicht blos
zum Stillstand zu bringen, sondern sie wieder zu heben, ist vor allem die
Säuglingsfürsorge, durch die es uns gelingt, die Kindersterblichkeit
herabzusetzen, die im Deutschen Reiche noch immer höher ist, als in den
nordischen Staaten, in den Niederlanden, selbst in Frankreich. Es ist aus¬
gerechnet, daß sich durch eine wirksame Säuglingspflege 200000 Säuglinge
mehr als bisher am Leben erhalten lassen. Behufs Bekämpfung der Ge¬
schlechtskrankheiten empfiehlt sich besonders eine umfassendere Be¬
lehrung der heranwachsenden Jugend, aus der nach den bisherigen Erfahrungen
keineswegs die von mancher Seite für die Jugend befürchteten Nachteile er¬
wachsen. Desgleichen muß die schwierige Frage der empfängnisverhütenden
Mittel endlich auf gesetzlichem Wege zu einem wirksamen Abschluß ge¬
bracht werden. Der Einsetzung eines besonderen Ausschusses zur Regelung
aller mit dem Problem der Bevölkerungspolitik zusammenhängenden Fragen
stimmt Redner zu und bittet sowohl den von seiner Partei gestellten Antrag,
als den Antrag Bernstein dem aus 28 Mitgliedern zu bildenden Ausschuß
zu überweisen.
Abg. Kunert (Sozialdemokr. Arb.-Gemeinschaft) bemängelt zunächst
den geringen Betrag (900 000 M.), der für das Gesundheitsamt in den
Haushalt eingestellt sei; jedenfalls habe eine Steigerung der Seuchen während
der Kriegszeit infolge der Unterernährung stattgefunden. Er begründet dann
den von seinem Parteigenossen Bernstein gestellten Antrag, in dem
eine reichsgesetzliche Regelung des Mutter- und Säuglings¬
schutzes, sowie der einer reformbedürftigen Geburtshilfe, ver¬
langt wird. Der Antrag sei in erster Linie zum Schutz und zur Er¬
haltung des vorhandenen Lebens gestellt, die Bekämpfung des Ge¬
burtenrückganges und die Hebung der Volksvermehrung komme
erst in zweiter Linie. Gerade in einer Zeit, die so ungeheure Opfer am Leben
der Besten, Jüngsten und Kräftigsten forderte, sei es angezeigt, lebenserhaltend
und lebenschützend zu wirken. Eine reichsgesetzliche Regelung wird
verlangt, um die Angelegenheit auf eine möglichst breite Grundlage zu stellen.
des Reiehsümt. de» Innern, insbesondere des Reicbsgesnndbeitsamtes. 325
M-u t ter»«h«tz ist der besteSäuglingaschutz; er ist deshalb auf allblahn-
arbeitenden Frauen nnd Mädchen auszndehnen, desgleichen auf alle
.weiblichen Personen, deren Einkommen unter 5000 M. beträgt. Unter diesem
.Schatz Ist nicht nur die obligatorische Gewährung von Schwangeren- lind
Wöchnerinnenunterstützang sowie des Stillgeldes, die freie Gewährung > der
Hebeimmendienste, Hilfeleistungen der Haus- und Wochenpilegerinnen Sowie der
ärztlichen Behandlung zu verstehen, sondern auch der ausreichende S chu tz der
Arbeiterinnen sowohl in bezug auf die Arbeitszeit — täglich höchstens
8 Standen und Verbot der Beschäftigung 8 Wochen vor und nach der Ent¬
bindung — als in bezug auf die Art der Arbeit — Verbot der Beschäftigung
in allen für das weibliche Geschlecht ungeeigneten Betrieben. Eine Reform
des Hebammenwesens ist von der Partei des Redners sehon in den
Jahren 1913 und 1914 gefordert; der von ihr gestellte Antrag auf reiche-
gesetzliche Regelung des Hebammenwesens ist auch vom Plenum des Reichs¬
tages angenommen, eine Entschließung des Bundesrats zu diesem Antrag liegt
aber noch immer nicht vor. Die Klagen der Hebammen aus allen Teilen des
Reichs beweisen schonungslos, wie wenig befriedigend und verbesserungs¬
bedürftig die Verhältnisse der Hebammen sind. Die zu ihrer Aufbesserung in
einzelnen Bundesstaaten bereitgcstellten Summen sind Bettelsummen gegenüber
den Millionen, die für andere Zwecke z. B. für Gestüte ausgegeben werden.
Wir haben jetzt noch 4000 der Mehrzahl nach vermeidbare To tge bürten und
8000 im Wochenbett verstorbene Mütter, von denen der größte
Teil durch Kindbettfieber verursacht wird, also vermeidbar ist. Wir habeh
ferner Jahr für Jahr 35000 sieche Frauen infolge von Erkrankungen im
Wochenbett; die Zahl der Hebammen ist aber in vielen Bezirken so gering,
daß über 100000 Frauen im Deutschen Reich ohne Sachgemäße Hilfe cntbnnden
werden. Nicht weniger schlimm steht es mit der 8 äuglin gssterblichkei t,
wenn sie auch in der letzten Zeit zurückgegangcn ist und nur,noch 15—16%
statt früher 30% beträgt. Gerade die Säuglingssterblichkeit läßt sich aber
noch sehr stark durch bessere Fürsorge, größeren Mutterschutz herabsetzen;
stellt sic sich doch bei den Kindern höherer Beamten nur auf 4% und .bei
den unteren Beamten auf 14—15%, während sie bei den Kindern gewerblicher
Arbeiter auf 18—19 % und bei denen ungelernter Arbeiter auf 24—25% steigt.
Dieso große Säuglingsterblichkeit hat Schmoller mit Recht als Schandmal
des deutschen Volkes bezeichnet; sie bildet eine unnatürlich große Vergeudung
<tes edelsten Materials, das wir besitzen. Deshalb muß eine reichsgesetzliche
Regelung des Matterschafts- und Säuglingssehutzes sowie der Geburtshilfe das
nächste zu erstrebende Ziel sein. Bei jeder Geburt handelt es sich um
Tod und Leben von Mutter und Kind; sie sollte daher auch stets von
einem Arzt oder einer Aerztin geleitet werden und die
Hebamme nur als Gehilfin dabei tätig sein. Man müßte überhaupt von
der Grandanschauung ausgehen, daß die Entbindung aus der
PrIvatWohnung . in eine Anstalt verlegt wird, die aber keine
Kaserne, sondern ein Heim im besten Sinne des Wortes sein müßte,, damit
nach der ärmsten ProLetarierfran die gleichen Erleichterungen and die
gleiche Pflege in ihrer schweren Zeit zuteil werden könnte, wie der reichen
Frau. Die Durchführung dieser Forderung wird allerdings erheblich ins Geld
laufen und'.ihre Kosten nach Milliarden zu berechnen sein, denn auf 1 Million
Einwohner würden etwa 1000 Betten erforderlich sein; aber das dafür aus¬
gegebene Geld würde auch die allerhöchsten Zinsen einbringen. Bei einer
.solchen Anstaltsbehandlung können auch Entbindungen im sogenannten
Dämmerzustände vorgenommen und den Frauen die sonst dabei währenden
.Schmerzen sehr gemildert oder völlig beseitigt werden. Diese Methode bat
sicll nach den von sachverständiger Seite gemachten Mitteilungen sowohl im
In lande, als im Auslande bewährt. Redner bittet um Auskunft, welche Stellung
inan im maßgebenden Regierungskreise gegenüber dieser Methode annehme;
er kommt dann noch auf die Frage des Stillgeldcs zu sprechen und
erwähnt dabei einen, nach seiner Ansicht nicht scharf genug zu verurteilenden
FaH, wo ein Berliner Arzt einer seit Jahren stark schwindsüchtigen Frau die
Fähigkeit, ihr Kind selbst za stillen, bescheinigt hat. Er wünscht weiter
J einaF , e 6 t 9 tellang der Kciegerfranen, die während des Krieges Stillgeld erhalten
Und- ihre Kinder selbst gestillt haben, sowie eine Beantwortung der Frage, ob
330 Verhandlungen des Reichstages Ober den Haushalt
die Zahl der stillenden MGtter angenommen hat und welche Erfahrungen sonst
in dieser Hinsicht gemacht sind.
Wirkl. Gehi Ober-Reg.-R.at Dr. Bnmm, Präsident des Reichsgesund-
heitsamts, bestreitet zunächst mit aller Entschiedenheit die Ansicht des Vor¬
redners, daß im Deutschen Reiche eine Zunahme von Seuchen und
Krankheiten während des Krieges erfolgt sei; denn es sei noch nie ein
Krieg geführt worden, bei dem die Zivilbevölkerung Deutschlands so wenig
von Seuchen und Krankheiten heimgesucht worden ist, wie im gegenwärtigen
Weltkampf. Namentlich sind die Pocken, die noch im Jahre 1870/71
162000 Menschen dahingerafft haben, in diesem Kriege nur ganz vereinzelt
aufgetreten; auch die Cholera hat sich nur zweimal gezeigt, wobei es sich
um Einschleppung aus dem Ausland handelte, von der die inländische Be¬
völkerung in ganz geringem Maße berührt worden ist. Ebenso ist der Typhus
nur in geringem Umfange aufgetreten. Wir dürfen der medizinischen
Wissenschaft und unseren Aerzten sowie allen, die bei der Gesundheits¬
pflege im Deutschen Reich mitwirken, wirklich nur von Herzen dankbar sein,
daß die gesundheitlichen Verhälinisse in dieser tiefernsten Zeit bis jetzt so
befriedigend geblieben sind. (Bravo!) Diphtherie und Scharlach haben
ja an einzelnen Stellen zeitweilig eine etwas größere Ausdehnung angenommen;
solche örtliche Epidemien sind aber mit dem Kriege nicht im Zusammenhang zn
bringen, denn sie kommen auch in Friedenszeiten vor.
Redner betont dann weiter, daß alles getan werden muß, um die noch
beklagenswert hohe Kindersterblichkeit herabzumindern; erfreulicher
Weise ist es den Bemühungen der beteiligten Kreise bereits gelungen, im
Laufe der Jahre in recht anerkennenswerter Weise eine solche Abnahme herbei-
zuführen. Im Jahre 1901 sind durchschnittlich im Deutschen Reich von
100 Lebendgeborenen noch 20,7 °/o gestorben, im Jahre 1918 ist dagegen diese
Zahl auf 16,1 °/o gesunken. Die Ziffern aus dem Jahre 1914, 1916, 1916 liegen
dem Kaiserlichen Gesundheitsamt noch nicht vor, nach Mitteilungen aus den
deutschen Großstädten im letzten Halbjahre scheint sich allerdings eine geringe
Steigerung der Säuglingssterblichkeit bemerklich zu machen. Die Sterblichkeit
der ehelichen Kinder im ersten Lebensjahr, die im Jahre 1901 noch 19,4 •/•
betragen hat, war im Jahre 1913 auf 14°/o gesunken; die Sterblichkeit der
unehelichen Kinder im ersten Lebensjahr, die von jeher recht hoch war und
noch im Jahre 1901 33 4 /o betragen hat, ist im Jahre 1913 auf 23*/« herab¬
gesunken; während also im Jahre 1901 noch ein Drittel dieser Kinder starb,
betrug im Jahre 1913 die Sterblichkeit der unehelichen Kinder nur ein Fünftel.
Die Zahlen müssen jedoch noch weiter herabgedrückt werden. (8ehr richtig!)
Die Zahl der im Wochenbett sterbenden Frauen (38 von 10000)
ist leider in den letzten 10 Jahren eigentlich unverändert geblieben, im Jahre
1906 war sie sogar etwas geringer (30 °/o<*). Interessant ist aber, daß nach
einer Hamburger, in den Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamts
1915 auszugsweise veröffentlichten Statistik die Zahl der Frauen, die infolge
Kindbettfiebers nach normaler Geburt sterben, im allgemeinen gesunken
ist, die Zahl derjenigen dagegen, die an Kindbettfieber nacn einer anormalen
Entbindung, nach Fehlgeburt sterben, stetig gestiegen ist. Es wird in
sachverständigen Kreisen dieses Anwachsen der Sterblichkeit der Frauen infolge
Fehlgeburt darauf zurückgefübrt, daß bei den Fehlgeburten Hände von Nicht¬
sachverständigen eine Rolle spielen, und daß leider die Zahl derjenigen Frauen
steigt, bei denen künstlich und absichtlich die Leibesfrucht be¬
seitigt wird. Es ist deshalb nicht unwahrscheinlich, daß die auffallende
Zunahme der Todesfälle nach Kindbettfieber infolge Fehlgeburt zusammenhängt
mit den Vorgängen, die die Fehlgeburt herbeigeführt haben. Es ist ohne
weiteres zuzugeben, daß die Sterblichkeit der Frauen nach Kindbettfieber noch
mit allen Kräften vermindert werden muß, und daß hier eine Besserung anzu¬
streben sein wird.
Betreffs einer Besserung der Verhältnisse der Hebammen
hat schon im Jahre 1918 der Herr Staatssektär des Innern erklärt, daß er
einer reichsgesetzlichen Regelung des Hebammenwesens nicht zuslimmen
könne. Eine Umfrage bei den Bundesregierungen habe ergeben, daß ein
Bedürfnis hierfür nicht vorliege und daß sich auch eine reichsgesetzliche
Regelung infolge der Verschiedenheit der einschlägigen Verhältnisse in den
des Beichsamt des Innern, insbesondere des Reichsgesundheitsamtes. 831
einzelnen Bundesstaaten nicht empfehle. Es hat der Herr Beichskanzler
daraufhin dem Bundesrat eine Vorlage im April 1914 unterbreitet, die auf
Qrund einer yorherigen Beratung der ganzen Angelegenheit im Reichsgesund-
heitsrat vorschlägt, Grundsätze für eine gleichmäßige landes¬
rechtliche Begelung des Hebammenwesens in den einzelnen Bundesstaaten
zu vereinbaren. Diese Grundsätze liegen dem Bundesrat im Entwürfe vor;
sie beziehen sich au! die Erfordernisse für die Zulassung zur Ausbildung für
den Hebammenberuf, auf die Art und Dauer des Hebammenunterrichts, auf die
Prüfung, auf Nachprüfungen, Fortbildungslehrgänge, Anmeldung der Berufs¬
ausübung, Verbot der standesunwürdigen Anpreisung vpn Hebammen, auf das
Verhalten der Hebammen gegen Behörden und Aerzte, auf die Pflicht der-
Hebammen zur Hilfeleistung, auf ihre Tagebuchführung und auf das Verhalten
der Hebammen bei Todesfällen und gewissen Krankheiten, ferner auf däs
Verbot unbefugter Behandlung, auf die Entbindungen in Wohnungen der Heb¬
ammen, Nebenbeschäftigungen und auf die Beaufsichtigung der Hebammen. Der
erwähnte Bundesratsvorlage hat infolge des Kriegsausbruches nicht mehr zur
Beratung gebracht werden können und harrt noch ihrer Erledigung.
Bedner weist im Anschluß hieran die scharfen Angriffe des Vorredners
gegen Preußen Bowie dessen Vermutung, daß Preußen der Verbesserung
der Hebammenverhältnisse im Wege stehe, als völlig unbegründet zurück;
denn gerade der preußische Minister des Innern ist es gewesen, der vor
einiger Zeit dem Staatssekretär des Innern erklärt hat, als dieser wegen
eines von der Deutschen Vereinigung für Säuglingsschutz gewünschten Ammen¬
gesetzes eine Anfrage hielt, er befasse sich gegenwärtig mit der Einleitung
einer großzügigen, systematischen Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit uhd
beabsichtige grundlegende Maßnahmen auf allen, nach der gedachten Richtung
in Betracht kommenden Gebieten zu ergreifen. Er hat deshalb gebeten, die
Frage des Erlasses eines Ammengesetzes noch aufzuschicben, bis die im Gange
befindlichen Verhandluügen über weitere Maßregeln zur Bekämpfung der
Säuglingssterblichkeit und Hebung der Geburtenhäufigkeit abgeschlossen sind.
Es finden zurzeit fortgesetzt Beratungen über die verschiedensten Materien,
die eine Verminderung der Säuglingssterblichkeit und Mehrung der Geburten
bezwecken, im preußischen Ministerium des Innern unter Beteiligung der
Reichsressorts und von hervorragenden Sachverständigen auf dem besagten
Gebiete statt. Die Ergebnisse der Beratungen sollen nach Kriegschluß ver¬
wertet werden, um den Kampf gegen die Säuglingssterblichkeit und die
Förderung der Bevölkerungszunahme mit verstärkten Kräften aufzunehmen.
Die Verhältnisse, die da beraten werden, beziehen sich auch auf die Frage,
wie die innere Kolonisation bei der Bevölkerungsmehrung nutzbar ge¬
macht werden kann, wie wirtschaftliche Vergünstigungen verheirateter Per¬
sonen und kinderreicher Familien sich ermöglichen lassen, wie das Wohnungs¬
wesen im Interesse größeren Kinderreichtums der Familien verbessert werden
kann, wie sanitäre Maßnahmen gegen Mißstände auf dem Gebiete der Empfängnis¬
verhütung und der Schwangerschaftsverhütung zu ergreifen sind, wie strafrecht¬
liche Einschreitungen gegen Verfehlungen auf diesem Gebiete geschaffen werden
können, wie die Bekämp-fung der Geschlechtskrankheiten sich noch
verschärfen läßt, wie eine Verminderung in der Säuglingssterblichkeit und der
Wöchnerinnensterblichkeit herbeigeführt werden kann und auf welche Weise
schließlich eine wirksame Aufklärung des Volkes über die Bedeutung des
Geburtenrückganges nnd über seine Folgen für die Zukunft der deutschen
Nation ausführbar ist. Preußen hat also in diesem Punkte sich tatsächlich
mit allem Nachdruck für eine Besserung des gegenwärtigen Zustandes ein¬
gesetzt.
Heber die von dem Vorredner erwähnte empfehlenswerte Methode,
den Frauen die Entbindung möglichst schmerzlos zu machen, sind die
Sachverständigen noch verschiedener Meinung. Von Beichs wegen oder sonst
behördlicherseits in der Anwendung dieser Methode eine Einwirkung auszuüben,
etwa gar Aerzte oder Anstalten zu zwingen, das in Frage stehende Verfahren
anzuwenden, würde verfehlt sein. Solche Fragen müssen die Wissenschaft wie
Praxis selbst lösen und entscheiden, welche Methoden richtig und empfehlens¬
wert und welche verfehlt und verwerflich sind. Das Gute wird sich schon
Bahn brechen und zur Geltung bringen.
332 Verhandlungen des Reichstags über den Hanshalt' dei Beichsaint detf Innern.
!: ■! • Nachdem Bedner noch kurz die Fortseh ritte hervorgtehobea hat, die die
Fürsorge für schwangere Frauen und Wöchnerinnen durch dis während den
Krieges erfolgte obligatorische Einführung der Wochenhilfe und de» Still*
ge 1 des sowie durch deren Ausdehnung auf die unehelichen Mütter gemacht
hat, gibt er am Schluß- nochmals, offen zu, daß auf dem Gebiete der Mutter*
und Säuglingsfürsorgo weiter gearbeitet werden muß. Es ist'ein Gebot der
Staatsklugheit, ein Gebot verständiger Sozialpolitik und ein Gebot einfacher
Menschlichkeit, die Säuglingssterblichkeit und die Sterblichkeit der Frauen im
Wochenbett herunterzudrücken, soweit es nur immer möglich ist. Mit der
Tendenz des Antrages, insoweit er Vervollkommnungen auf diesem Gebiete herbei*
führen will, erhöhten Schutz für die gebärenden Frauen anstrebt, kann man
sich zweifellos einverstanden erklären, ln der Kommission wird sich Gelegen¬
heit bieten, alles Einschlägige noch eingehend und gründlich zu erörtern.
Äbg. Kuhnert (Soz. Arb.- Gern.) bemerkt, daß zwischen ihm und dem
Vorredner in bezug auf die Seuchenfrage ein Mißverständnis vorliege; er
habe nicht die Behauptung aufgestellt, daß die Seuchen durch den Krieg so
übermäßig zugenommen- haben, -wie man das in früheren Kriegszeiten beob¬
achten konnte, sondern nur betont, daß zweifellos Seuchen in Heer und Volk
vorhanden sind, und gefragt, ob darüber eine Auskunft gegeben werden könne.
Unterernährung und Hungersnot fördern jedenfalls die Entwicklung und
Ausbreitung aller dieser. Krankheiten, auch der Magenkrankheiten usw. aufs
äußerste; in diesem Sinne wird man den Boden für eine Zunahme der Seuchen
nicht wegleugnen können. Bezüglich der Herabsetzung der Kindersterb¬
lichkeit soll man nicht eher ruhen, als bis sie im Durchschnitt so gering
ist, wie in den Fürstenhäusern, also 3 °/ 0 , Bedner liest dann ein Schreiben
der Fraueoärztin Dr. Adams-Lehmann in München vor, in dem die
Methode des Dämmerschlafs behufs schmerzloser Entbindung
als völlig ungefährlich und als einen Segen für die Frauen bezeichnet wird. Ihre
Angaben werden durch den Frauenarzt Dr. Anton Heugge-München rückhalt¬
los bestätigt.
Abg. Fischer «Hannover (Sozialdemokrat) ist ebenfalls der Ansicht, daß
auf dem Gebiete des Mutterschutzes und der Bekämpfung derSäug-
lingsstcrblichkeit noch recht viel getan werden muß. Die Frauentätig¬
keit hat während der Kriegszeit einen so gewaltigen Umfang angenommen,
daß Tansende und aber Tansende von Frauen in der Schwerindustrie der Be¬
schäftigung nachgehen müssen, wodurch ein verheerender Einilaß auf die Ge¬
burten eintreten maß. Deshalb ist es notwendig, schon jetzt Vorkehrungen
zu treffen, damit diese unangenehme Erscheinung nicht weiter um sich greift,
sondern Verbesserungen auf diesem Gebiete herbeigeführt werden, und die
Säuglingssterblichkeit ebenso gering wird wie in Dänemark, England, in den
Niederlanden, in Schweden and Norwegen, wo sie im Jahre 1911 bezw. 1912
nur 10,6, 9,6, 8,7, 7,4 und 6,5 betrug. Wir waren in Deutschland und zwar
mit Hilfe der Ortskrankenkassen anf dem besten Wege, etwas Ersprie߬
liches zu leisten, aber durch den Krieg sind weitere Fortschritte verhindert
werden. Nun bat bei Ausbruch des Krieges die Begierung selbst einseben
müssen, daß auf dem Gebiete des Mutter- and Säuglingsschatzes etwas ge¬
schehen müsse, und deshalb durch Bnndesratsverordnnng vom 4. August 1914
den gesetzlichen Schutz für Frauen und Wöchnerinnen weiter ausgedehnt. Man
hat auch eingesehen, daß damit viel Gutes geleistet worden ist, und infolgedessen
diese Bnndesratsverordnnng noch auf die Frauen ansgedehnt, die nicht ver-
sicherungzpfiichtig sind, auf Gewerbetreibende, Kleinbauern usw., eine Ein¬
richtung, die anßerordentlich gut zu nennen ist und die auch nach Beendigung
des Krieges nicht bloß aufrecht erhalten, sondern sogar noch ansgebaut werden
muß. Wir haben alle Ursache, die Wunden, die der Krieg schlägt, dadurch
abzuhelfen, daß wir die Säuglingssterblichkeit vermindern; das kann aber nur
geschehen, wenn wir den Mutterschutz fördern.
Abg. Dr. MiUler-Meiniogen (frais. Volksp.) schlägt vor, die einzelnes An¬
träge. der Kommission za überweisen, am sie dort alle zu prüfen; denn wir
sind alle einig, daß die Bekämpfung des Geburtenrückganges eines der wich¬
tigsten Probleme unserer Zeit ist, and daß der Mutterschutz und der jSÄBg-
lingsscbutz die wichtigsten Etappen auf diesem Gebiete sind.
Die wichtigste Frage aber — die vor allen anderen im ZofamüMShMgü
Bericht über die Tagung der Deutschen Vereinigung für Krüppelfürsorge. BBS
mit dem Kriege steht — ist unzweifelhaft die Bekämpfung der Ge»
schlechtskrankheiten. Wir müssen nach hier alle möglichen positiven
Maßnahmen der Behörden unterstützen and vor allem die gesetzliche Basis
für ein solches Vorgehen der Behörden schaffen. Es wird unbedingt notwendig
sein, daß Beratungsstellen nicht bloß für Prostituierte, sondern auch für An¬
gesteckte errichtet werden. Daß die Fragen sehr schwierig zu lösen sind, be¬
weisen die Verhandlungen der Brüsseler Konferenz, besonders die Verhand¬
lungen über die eventuelle Mitteilung an die Versicherungsanstalten. Das
Hauptziel in der Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten aber , muß auch für
Deutschland sein, die Prostitution von der übrigen Bevölkerung möglichst
zu trennen. Dazu gehören nicht bloße Beden, sondern man muß so bald wie
möglich zu positiven Maßregeln nicht bloß der Strafgesetzgebung, sondern vor
allem adch der medizinischen, hygienischen Verwaltung übergehen.
Bedner ersucht deshalb die Beichsregierung, sich zu überlegen, ob nicht
in einem Notgesetz eine Aenderung des Strafgesetzbuchs eingeführt werden
könnte, daß gerade anf diesem, zu einer akuten Lösung drängenden Gebiete
so rasch wie möglich gesetzgeberisch und verwaltungstechnisch .die nötigen
Schritte getan werden, um die Verseuchung weiter Kreise des deutschen Volkes
mit aller Energie zu verhindern.
Bei der in der Sitzung vom 24. Mai erfolgten Ab¬
stimmung wurden die Anträge Bass erm ann (s. S. 828) und
Bernstein (s. Anm.auf S. 327) angenommen und dem .An¬
träge Hitze gemäß einem besonderen Ausschuß für Be¬
völkerungspolitik von 28 Mitgliedern zur weiteren Beratung
überwiesen. In : derselben Sitzung wurde auch der vom
Wohnungsausschuß gefaßte Beschluß betreffend die För¬
derung von Kleinwohnungen (s. Nr, 8 dieser Zeitschrift,
S. 246) angenommen. _ ■
Aus Versammlungen und Vereinen.
Bericht über die ausserordentliche Tagung; der Deutschen
Vereinigung für Kruppelt ft rsorge in Berlin (Reichstags-
gebftnde) am 7. Februar 1916.
(Ergänzungsheft der Zeitschrift für Krüppelfürsorge; Nr. 1. Leipzig 1916.
Verlag von Leopold Voss. 8°, 198 S. Preis: 3,20 M., für Mitglieder der
Vereinigung: 2,50 M.)
(Schluß.)
b. Ea ch m 111agasltzu ng;
7. Die Werkstätte .als Heilmittel, Vorbereitung und Ausbildung.
Berichterstatter Prof. Dr. ßiedlnger: Um den großen Ausfall von Arbeits¬
kräften nach dem Kriege vorzubeugen, ist nicht nur eine möglichst gute
körperliche, sondern auch soziale Heilung der Verwundeten erforderlich; es
muß daher nach der ersteren jedem Mann der richtige Platz auf dem Arbeits¬
markt angewiesen werden. Möglichste Wiederherstellung der Er¬
werbsfähigkeit ist für alle Geschädigte wertvoller als die Gewährung von
Benten; um diese Erwerbsfähigkeit aber ausnutzen zu können, bedarf es auch
der Beschaffung von Arbeitsgelegenheit nach dem Maße ihrer
Kräfte. Zur Herstellung der Erwerbsfähigkeit gehört zunächst Uebungs-
arbeit, die den Zweck hat. den Willen zu stärken sowie durch Anpassung
und Kräftigung körperliche Zustände zu bessern. Im Anschluß daran hat die
Berufsarbeit in früherer Tätigkeit oder in einer neuanfgenommenen zu
erfolgen. Dazu sind Uebungswerkstätten für die verschiedenen Berufe
erforderlich, die ausgiebige und dabpi verhältnismäßig schmerzlose Bewegungen
gestatten und, ärztlich geleitet, den Heiinngsprozeß auf das wirksamste unter¬
stützen. Aeltere Leute nehmen ihren bisherigen Beruf lieber wieder anf als
jüngere, die durch den Eintritt in einen neuen Beruf eine Bessernng ihrer
sozialen Lage erhoffen. Die größte Schwierigkeit verursacht die Unterbringung
ungelernter Arbeiter, die jedoch durch einfache mechanische Uebungen schlie߬
lich zu dauernder und sicherer Beschäftigung geführt werden können. Am
834
Bericht über die außerordentliche Tagung
besten vollzieht sich die berufliche Ausbildung sowie die Beschaffung geeig¬
neter Arbeitsmöglichkeit in möglichst enger Fühlung mit der heimischen In¬
dustrie und Landwirtschaft; eine befriedigende Lösung von Aufgaben der Aus-
bildunga- und Arbeitsfürsorge erscheint deshalb nur möglich durch Zusammen¬
schluß aller beteiligten Kreise zu gemeinsamer Arbeit.
Im Anschluß an diesen Vortrag berichtet Dr. B. Badicke-Berlin über
die Erwerbsmöglichkeiten Schwerverletzter auf Grund seiner im
Beservelazarett Görden gemachten Beobachtungen. Auch nach ihm lagen die
Verhältnisse für die .ungelernten Arbeiter am ungünstigsten, während Kopf¬
arbeiter, Angestellte und landwirtschaftliche Arbeiter am günstigsten stehen.
Durch Anlernung der Schwerverletzten in eigene Anlernwerkstätten läßt sich
aber auch bei den ungelernten Arbeitern ein besserer Erfolg erzielen; die für
ihr Fortkommen unbedingt notwendige innere Sicherheit erhalten alle diese
Geschädigten aber erst durch die wiederaufgenommene Arbeitstätigkeit im
regelrechten Betriebe. Mit dieser Sicherheit kehrt der Wille zur Arbeit und
die Arbeitsfreudigkeit zurück, durch die sie wieder als vollwertige Arbeiter
dem bürgerlichen Leben zurückgegeben werden.
Begimentsarzt Dr. Jos. Pokorny ■ Wien, ärztlicher Leiter der Invaliden¬
schule in Wien (s. Bericht Uber den Vortrag von Prof. Spitzy; Nr. 10 dieser
Zeitschrift, S. 801), schildert die Gesichtspunkte, die dort für die Zuteilung der
Invaliden zu bestimmten gewerblichen Arbeiten maßgebend sind. Die Invaliden¬
schule wird täglich von 1000—1400 Invaliden besucht, deren Zuteilung nach der
Art ihrer Verletzung unter Berücksichtigung ihres Zivilberufs und der heimat¬
lichen Arbeitsverhältnisse erfolgt. Die in den einzelnen Gewerben beschäftigten
Invaliden sind dann wiederum in drei Gruppen eingeteilt: in Invalidenschüler,
die in dem betreffenden Berufe vollständig ausgebildet werden sollen, sowie in
solche, die Arbeitstherapie betreiben oder in solche, die nur beschäftigt werden
sollen. Durch die Reichhaltigkeit der verschiedenen Gewerbe in der InvaUdeii-
schule ist auch dafür gesorgt, daß ein Invalide auch einen Nebenberuf erlernen
kann, wenn er für seinen früheren Beruf nicht mehr vollwertig wird. Zum
Schluß warnt Bedner vor einer zu zahlreichen Ausbildung in den sogenannten
Intelligenzberuftn; dadurch würde nur zu leicht ein geistiges Proletariat groß
gezogen.
8. Vebungsschulen für Hirnverletzte. Prof. Dr. Goldstein - Frank¬
furt a. M.: Bei den Kopfverletzungen spielen oft der Defekt des Schädels, also
der körperliche Defekt, keine oder nur eine geringe Rolle; viel wichtiger ist
vielmehr der psychische Defekt, den die Verletzten dabei häufig'erleiden.
Die außerordentlich große Durchschlagskraft der jetzigen Geschosse läßt diese
häufig durch den Schädel und das Gehirn hindurchgehen und ganz verschiedene
Zerstörungen erzeugen, als deren Folge dann auch nur umschriebene
seelische Ausfälle auftreten, z. B. Störungen der Sprache, des Tastsinns, der
Merksicherheit usw., durch die der Betreffende in seinem Berufe wesentlich
beeinträchtigt oder zum seelischen Krüppel werden kann. Diese Gefahr läßt
sich aber durch eine besondere Uebungsbehandlung beseitigen, die darauf hinzielt,
dem Verletzten zum Wiedererwerb der verlorenen Leistungen zu verhelfen. Die
Möglichkeit dazu liegt in Fähigkeit des Gehirns, verlorene Leistungen wieder
zu erwerben; diese Fähigkeit ist besonders bei jugendlichen Personen und bei
möglichster Unversehrtheit des nicht gestörten Gehirns vorhanden, Vorbe¬
dingungen, die bei derartigen Kriegsverletzten meist vorhanden sind. Der
Verletzte muß wie ein Kind neu lernen; die systematische Unterrichtstherapie
muß sich auf eine eingehende psychologische Analyse des Defekts wie der
erhaltenen Funktionen und des allgemein psychischen Zustandes sowie auf eine
genaue Untersuchung des körperlichen Zustandes der Kranken stützen; deshalb
ist zu ihrer Durchführung auch nur der sachkundige, spezialistisch ausgebildete
Neurologe berufen. Mit der Behandlung muß frühzeitig, womöglich schon
vor Abschluß der chirurgischen Behandlung begonnen und dabei auf das
Gesamtbefinden die größte Rücksicht genommen werden. Ein solche Uebungs-
schule, die am besten in Verbindung mit dem Lazarett steht, sollte in jeder
größeren Garnison eingerichtet werden. Die bisher in diesen Uebungsschulen
für Hirnverletzte erzielten Erfolge sind darchaus ermutigend; wenn es auch
nicht immer gelingt, die Hirnverletzten wieder voU erwerbsfähig zu machen,
der Deutschen Vereinigung für Krttppelfürsorge in Berlin. 886
so kOnnen sie doch dem Gemeinschaftsleben in den meisten Fällen wieder
angeführt werden.
Aussprache.
Dr. phil. u. med. W. Poppelreuter, beim Festungslazarett I in Cöln
berichtet über die von ihm eingerichtete Nervenstation für die aus der
chirurgischen Behandlung entlassenen Kopfverletzten. Die Station verfügt über
160 Betten und enthält außer den Krankenräumen noch Untersuchungs-, Unter¬
richts-, Arbeite- und Werkstättenräume. Die berufliche Ausbildung der Kopf-
schußinvaliden kommt zeitlich erst in zweiter Linie; voran steht die Behand¬
lung der Storungen, von denen nicht nur solche der Sprache, des Lesens,
, Schreibens und Rechnens, sondern auch die häufig vorkommende allgemeine
Herabsetzung des früheren Wissenstandes, - die Merkfähigkeitsschwäche, die
geistige Trägheit usw. in Betracht kommen. Es sind beiden Uebungs-
seh ulen verschiedene Klassen und Ausbildungskurse vorgesehen, denen die
Himverletzten je nach der Art ihrer Störung zugewiesen werden. Die unter-
richtliche Behandlung erfordert eine verhältnismäßig lange Dauer und viel
Lehrpersonal (12 Lehrer auf 62 Schüler); Mühe und Kosten werden aber reich¬
lich belohnt durch erfreuliche Erfolge. Ebenso wichtig wie die Unterrichts¬
schulen sind' auch die mit der Station verbundenen Werkstätten für die
Behandlung der Hirnverletzten. Im allgemeinen ist bei diesen die Arbeits¬
fähigkeit viel größer, als es der rein ärztliche Befund erwarten läßt; die stets
vorhandene Einbuße der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit bedingt
aber stets eine Abnahme der Konkurrenzfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt, da
der Hirnverletzte meist 8—4 mal mehr Zeit zu einer Arbeit braucht als ein
Normaler. Diese Abnahme oder Ausschaltung der Konkurrenzfähigkeit ist
deshalb besonders bei Abschätzung der Arbeitsfähigkeit zu beachten; gerade
die Hirnverletzten verlangen die weitgehendste Berücksichtigung in bezug auf
die Arbeitsbedingungen. Die Aufgabe der Versorgung der Hirnverletzten ist
daher eine ungemein schwierige; sie erfordert das Zusammenarbeiten von
Wissenschaft, Praxis und sozialer Für s orge.
Prof. Dr. Gutzmann-Zehlendorl hat- bis jetzt 200 derartige Kriegs¬
beschädigte mit Stimm- und Sprachstörungen behandelt. Auf Grund
der hierbei gemachten Beobachtungen warnt er im Gegensatz von dem Bericht¬
erstatter davor, mit der Behandlung psychischer Störungen möglichst früh zu
beginnen;' erst nach dem völligen Verschwinden der Ausfalls- und Beiz¬
erscheinungen sei mit der Uebungstherapie zu beginnen. Umgekehrt dürfe aber
auch nicht zu spät damit begonnen werden. Die Wiederherstellung der Sprache
sei nicht so aussichtslos, als vielfach angenommen werde, durch geeignete
Uebungsbehandlung kann, unterstützt durch mechanisch-physikalische Ein¬
wirkungen, selbst bei anscheinend hoffnungslosen Fällen die Stimme sogar bis
zur vollen Felddienstfähigkeit wieder hergestellt worden.
Prof. Dr. K ö n ig- Marburg ist der Ansicht,- daß namentlich bei den
leichteren Hirndefekten bessere Erfolge erzielt wurden, wie dies von dem
Berichterstatter angenommen wurde. Schwierig sei es, die Zeit zu bestimmen,
wenn bei diesen meist noch recht lange labilen Menschen mit einer Beschäfti¬
gung begonnen werden kann.
Prof. Dr. Goldstein-Frankfurt a. M. erklärt, daß er unter einer früh¬
zeitigen Behandlung auch erst eine solche verstehe, bei der eine Schädigung
der Verletzten durch Ermüdung usw. ausgeschlossen und die sonstigen Folgen
der Hirnverletzung völlig abgelaufen sind. Er bestreitet ferner, sich betreffs
der Erfolge der Behandlung pessimistisch geäußert zu haben; er sei in dieser Hin¬
sicht vielmehr sehr optimistisch gesinnt und von dem Vorredner wohl nur
mißverstanden.
Die Aussprache wird hiermit geschlossen.
Prof. Dr. Fritz Hartmann hat zu dem vorstehenden Gegenstand seine
Ansicht in Form einer längeren Abhandlung schriftlich niedergelegt, und an deren
Schluß bestimmte Richtlinien für vorläufige Uebungsbehand¬
lung von Gehirnkrüppeln aufgestellt.
10. Das Elsenbahner-Genesungsheim ln Wien — ein Beispiel der
Standesfürsorge für Kriegsverletzte. Ministerialsekretär Dr. G. Huber- Wien:
Eine möglichst individualisierende Behandlung ist am besten auf dem Wege
336 BerichtÜb« dlfr aaßferofdentüche Tagung*
der StA nd eB f ttr so r ge zu erreichen, wonach diedasMässsenproblem dee
Inyalidenschatzea durch Auflösung iu Standesprobleme förmticK abgebatit
und die Nachbehandlung wie Schulung der Verletzten von der Stelle besorgt
yfird, die anch seine spätere Wiederanstellung durchführen kann. Diesem
Zwecke dient in Oesterreich das auf Veranlassung des Eiseubahnminisbers er-
richtete Genesungsheim für kriegsverletzte Eisenbahner, dessen Einrichtung und
.Betrieb vom Redner geschildert werden. Bis 1. Januar 1916 sind hier 211 ver¬
letzte Eisenbahner aufgenommen und behandelt, davon sind bis jetzt 136 als
geheilt, und dienstfähig entlassen, uudr zwar 117 zur Verwendung in ihrem
.bisherigen und zwar nur 19 = 7 °/* zur Verwendung in einem anderen Dienst!;
als solcher eignete sich besonders der Statiens- und Werkstättendienst., Durch
Einsetzung eigener Fürsorgebeamten bei den Staatsbahn- - und Privatbahn¬
verwaltungen ist dafür gesorgt, daß möglichst alle. kriegsverletzten Eisen¬
bahner wieder in den Bahndienst gestellt- werden. Oboe den Wert .edler son¬
stigen Fürsorgeeinrichtungen schmälern zu wollen, ist Redner doch der An¬
sicht, daß eine Dezentralisation des Invalidenschutzes durch die Standesfürsorge
nur befürwortet werden kann; in Deutschland würde sie sich anch in Ver¬
bindung mit der staatlichen Unfallversicherung leicht durchführen lassen. Die
Stimmen für eine derartige Dezentralisation haben sich auch immer stärker
vermehrt; denn den Kriegsbeschädigten wird dadurch am besten ein ehikömm-
licher Erwerb sorgenloser Arbeit und Beschäftigung gesichert*
11. Die Handiibuhgsklasse als Teil der Erwerbsschule. Erziehungs¬
direktor Hans Würtz-Zehlendorf: Die Handübungschulen, die in erster. Linie
orthopädischen Zwecken dienen und daher eine beständige ärztliche Auf¬
sicht fordern, sind eines der lehrreichsten Eigengebilde auf dem Gebiete der
Kriegskrüppelfürsorge; denn hier wirken Orthopädie, Psychologie, Ethik und
Pädagogik einheitlich zusammen. Bei ihr muß die Eigenart jedes einzelnen Kriegs¬
beschädigten verständnisvoll erfaßt, auch müssen die ersten Versuche der Uebenden
mit besonderer Nachsicht bewertet werden; ÜDgeduld und Ucbe.reiltheit können
alle Erfolge in Frage stellen. Jedes „Ich kann nicht“ muß der taktvolle Er¬
zieher in eia freudiges „Ich will“ za verwandeln suchen; es geschieht dies am
besten durch möglichste Berücksichtigung aller etwaigen besonderen Neigungen
und Interessen der Ilandkriippel, durch vielseitige Abwechselung auch bei
einfacheren Arbeiten, durch Verwendung der besten Mittel bei den .Uebungen,
Pflege der guten Volks- und fleimatkunst, sowie durch eine geschickte und
den vorhandenen körperlichen Bedingungen angepaßte Reihenfolge. der . ein¬
zelnen Uebungen.
12. Das Streben nach Qualität nnd nach Geschmack bei den Berufs-
Übungen Kriegsbeschädigter und der Lazarettbesch&ftlgnng. Prof. Dr. Higo
Eberhardt, Architekt in Offenbach a. M.: Im Großherzogtum Hessen ist man
bemüht gewesen, zwischen der Uazarettboschäftigung Verwundeter wie Er¬
krankter und der Berufsübung Kriegsbeschädigter zu einer reinlichen, aber un¬
bedingt notwendigen Scheidung zu gelangen. Die „Lazarettbe.schäfti-
gung“ soll eine solide Liebhaberkunst sein, die namentlich die llerstelluQg
geschmackvoller Gegenstände zum Ziele hat und bei der Schönheitssinn, Heimat
und Volkskunst volle Berücksichtigung linden. Schlechte Vorlagen sind daher
auszuschalten. Die im Lazarett erlernte Kunstfertigkeit muß nicht nur die
Arbeit so freudig als möglich gestalten, sondern zur Linderung unseres Ge¬
schmackes beitragen und die künstlerische Entwicklung unseres Volkes- im
geistigen Sinne beeinflussen. Auch bei der späteren Erwerbsausbildung
ist auf Geschmack und Qualität zu sehen; besonders ist das Zeichnen au
fördern, weil es nicht nur die Iland übt, sondern auch das richtige Sehen und
Beobachten lehrt, das die Betreffenden befähigt, rasch und sicher das Charakte¬
ristische und Wesentliche zu erkennen. Ein auf diesen Grundsätzen geleitetes
Berufsübungslazarett wird die Kriegsbeschädigten ihrem Beruf als
brauchbare Arbeiter wiedergeben, die das Gefühl für gewissenhafte Arbeit,
gutes Material und Farbenwahl, sowie einen durch Zeichnen und Mustef-
anfertigen geschulten Sinn für zweckmäßige und geschmackvolle Formen
aufweisen. Sic werden sich dann als freie Männer fühlen, die nach erfüllter
Pflicht in des Königs Rock auch im Arbeitskittel ihren gestellten wirtschaft¬
lichen Arbeiten wieder voll gerecht werden können.
der Deutschen Vereinigungfür Krüppelfürsorge in Berlin. 887
' 18. De* Einhänder In der Schule, insbesondere des Schreiben mit
der linken Und. Zeichenlehrer Karl Schlesser-Halle a. 8.: Die Schönheit
der Schrift hängt ab von der Gleichmäßigkeit der Muskelbewegungen und
zwar nicht nur der Hand- und Fingermuskeln, sondern auch von den Unter¬
armmuskeln. Bei dem einarmigen Linkshänder müssen die Muskeln so
umgebildet und geübt werden, daß ihm die feinen Scbreibbewegungen leicht
und sicher möglich sind, was durch Grund- und Beihenübungen durch¬
aus möglich ist. Je länger diese Uebungen durchgeführt werden, desto besser
jst ihr Erfolg; 40 Unterrichtstunden genügen im allgemeinen, vorausgesetzt,
daß der Unterricht nicht durch häufiges Neueintreten und Wegbleibcn der
Xeuto. beeinträchtigt wird. Das für den Bechtsbänder übliche Schreibgerät
eignet sich auch für den Linkshänder; als Federhalter hat sich am besten ein
einfacher mittelstarker Korkhalter bewährt. Seine Forderungen faßt Bedner
in folgenden Sätzen zusammen:
. „1. Zusammenfassen aller Einhänder eines größeren Bezirks zu einer Schule.
2. Als besonderes Unterrichtsfach: Handfertigkeit, d. h. die planmäßige
Durchbildung der Arm- und Handmuskulatur.
3. Durchführung fester, geschlossener Kreise ohne Wechsel.
4 Alle Unterrichtsarbeit muß im Dienste praktischer Berufsverordnung
stehen."
14. Ueber die Bedeutung einarmiger Lehrmeister in der Einarmigen*
schule. Prof. Dr. Koepert-Dresden: Aufgabe der Emarmigenschule ist, den
Krieguverletzten zu zeigen, daß sie auch als Einarmige imstande sind, zu
arbeiten und sich ihr Brot zu verdienen, gleichgültig, ob sie Bechts- oder
Linkshänder sind, denn auch der Linkshänder holt den Vorsprung, den der
Rechtshänder ursprünglich vor ihm hat, bei der Ausbildung sehr bald ein. Ob
besondere Elnarmigenschulen, wie sie bereits in verschiedenen Orten (Heidel¬
berg, Dresden, Hamburg, Nürnberg, Halle a. 8. usw.) eingerichtet sind, zweck¬
mäßig sei, ist eine strittige Frage; jedenfalls muß ihr Ziel sein: die möglichst
vollkommene Ausbildung und Kräftigung der verbliebenen Hand wie die mög¬
lichste Erziehung zur Selbständigkeit des Einarmigen. Gerade in bezug auf
den letzten Punkt ist der einarmige Lehrer von nicht zu unterschätzender Be¬
deutung; vorausgesetzt, daß er durch eiserne Willenskraft wieder volle Arbeits¬
fähigkeit erlangt hat, seinen Platz voll ausfüllt und infolgedessen ans gewisser
Lebenserfahrung dem jungen Kriegsbeschädigten gute Ratschläge aus eigener
Erfahrung erteilen kann. Solche Männer sind im Deutschen Reiche reichlich
vorhanden. Namentlich ist der einarmige Lehrer für den Werkstätten-
Unterricht geeignet; als treuer Freund der Einarmigen bei dieser Arbeit
bat sich besonders der Schraubstock bewährt, dessen Wert durch Ausführung
verschiedener Arbeiten durch einen einarmigen Lehrer sichtbar gemacht wird
Aussprache zu den Vorträgen Nr. 0—13.
San.-Bat Dr. Schanz-Dresden: Man darf die Arbeitsfähigkeit der
.Einarmigen nicht überschätzen; in der Landwirtschaft werden sie voraussicht¬
lich dauernd lohnende Arbeit finden, in der Industrie laufen sie dagegen Gefahr,
ihre Arbeitsplätze zu verlieren, wenn genügend gesunde Arbeiter vorhanden sind.
Sie eignen sich hier besonders zur Bedienung von Spczialarbeitsmaschinen. Die
Einarmigonfürsorge muß sich deshalb mit der Industrie in Verbindung setzen,
damit hier die für Einarmige geeignete Arbeiten diesen auch Vorbehalten
.bleiben.
Dr. J. Freiherr von K ü n ß b e r g - Heidelberg warnt ebenfalls vor
einer Ueberschätzung der Arbeitsfähigkeit der Einarmigen; denn es gibt viele
Arbeiten, die ein Einarmiger auch mit Zuhilfenahme eines Kunstarmes nicht
ausführen kann. Er betont dann weiterhin die Unrichtigkeit der in weiten
Kreisen bestehenden Ansicht, daß ein Linkser dem Rechtser nahestehe; dieses
durchaus falsche Vorurteil müsse aufs Schärfste bekämpft werden, da es eine
-Schädigung der Linkser auf dem Arbeitsmarkt bedinge.
Mittelschullehrer A. Buchholz-Posen weist auf die Vorteile des
rhythmischen Taktschreibens hin, das er gleichsam militärisch nach
Befehl (Zählen) ausführen läßt; nach seinen Erfahrungen belebt es den Unter¬
richt, beseitigt schnell die Unsicherheit und das anfängliche Zittern der linken
Hand und ermöglicht eine geläufige sichere und flotte Handschrift.
338 Bericht über die Tagung der Deutschen Vereinigung für Krüppelfürsorge.
14. Die Bedeutung der Fortbildung»- und Fachschulen für die Krlegs-
beschSdlgtenfflrsorge. Reg.- und Gewerbeschulrat Prof. Dipl.-In£. Beehnt-
Potsdam faßt seine Ausführungen dahin zusammen, daß für die Kriegs¬
beschädigten Gelegenheit zu fachlichem Wissen und Können geboten werden
muß. Infolgedessen sind zur Unter rieh tserteiinng die bestehenden Fach- und
Fortbildungsschulen nach Möglichkeit nutzbar zu machen und deren Lehrer
in weitestgehendem Maße zur Mitwirkung bei der Beschulung Kriegsbeschädigter
heranzuziehen.
15. Ausbildung der vom Lande stammenden Kriegskrüppel ln der
Landwirtschaft* Berichterstatter Landesökonomierat Maler • Bode • Nürn¬
berg: Die Aufgabe der Krüppel muß es sein, jede Abwendung vom Lande
durch geeignete Maßnahmen entgegenzuwirken. Deshalb sind die Kriegs¬
beschädigten schon während der Läzarettbehandlung über die Vorzüge aes
Landaufenthaltes und der ländlichen Beschäftigungsmöglichkeit im Gegensatz
zu dem Aufenthalt in den Städten zu belehren und darch fachliche Berufsberater
(Lehrer an den landwirtschaftlichen Lehranstalten) aufzuklären. Zu ihrer Aus¬
bildung sind landwirtschaftliche Invalidenschulen nach Art der landwirtschaftlichen
Winter- und Ackerbauschulen einzurichten, in denen neben dem theoretischen
Unterricht auch Gelegenheit zu praktischer landwirtschaftlicher Betätigung
gegeben ist. Die in dieser Weise ausgebildeten ländlichen Kriegsbeschädigten
sollten in ihrem Wunsche nach eigenem Besitztum mit allen nur möglichen
Mitteln unterstützt werden; es sei deshalb auch Pflicht der Landwirte, bei der
Seßhaftmachung der Invaliden auf dem Lande tatkräftig mitzuwirken und
sie nach besten Kräften zu fördern.
16. Die geeignetsten Auabildungsverfabren für die verschiedenen
Erwerbsmöglichkeiten. der einzelnen Verletzungen. Kommerzienrat Krals-
Stuttgart spricht über die Erwerbsmöglichkeiten bei den typischen Verletzungen;
bei ihrer Auswahl für den Einzelnen bedarf es sorgfältiger Erwägungen und
eines Eindringens in die kleinsten Einzelheiten der Arbeitsweisen. Deshalb ist
ein wirklicher Erfolg nur bei einmütiger Zusammenarbeit berufener Vertreter
der gesamten deutschen Industrie zu erwarten. Redner nimmt auf ein von
ihm verfaßtes, in Kürze erscheinendes Handbuch: „Die Verwendungsmöglich¬
keiten der Kriegsbeschädigten in der Industrie, im Gewerbe, Handwerk, Land¬
wirtschaft und in den Staatsbetrieben“ Bezug, das die umfassendste Uebersicht
über alle Arbeits- und Verwendungsmöglichkeiten gibt. Danach stehen ihnen
Millionen von derartigen Gelegenheiten offen, so daß ein jeder Kriegsverletzter
die frohe Zuversicht haben kann, eine für ihn geeignete lohnende Arbeit
zu finden.
17. Lazarett, Erwerbsschule und Berufsberatung als organisches
Ganze. Inspektor Möhring-Nürnberg.
Vor allem gilt es, das Vertrauen der Kriegsverletzten durch richtige
Beratung zu gewinnen. Bei dieser Berufsberatung sollten nicht bloß Arbeit¬
geber, sondern auch Arbeitnehmer vertreten sein, damit der Invalide nicht ein¬
seitig über die für ihn in Betracht kommenden Verhältnisse aufgeklärt wird. Sein
gebrochenes Selbstvertrauen muß wieder entfacht und gekrättigt werden, was
am besten dadurch geschieht, daß in den Beschäftigungskursen auf seine per¬
sönliche Neigung eingegangen wird. Diese Ausbildung kann nur in Erwerbs¬
schulen stattfinden; Lazarett, Erwerbsschule und Berufsberatung müssen aber
ein organisches Ganze bilden, da sie nur dann die gefundene Berufsneigung so ge¬
stalten kann, daß die wirtschaftliche Zukunft des Kriegsverletzten gesichert ist.
Aussprache.
Stabsarzt Dr. Christian-Berlin: Der Berufsberater mnß nicht nur einen
genauen Ueberblick über die wirtschaftlichen Aussichten der verschiedenen
Rerufe, sondern auch ein Urteil über die Berufseignung des Verletzten
besitzen. Als Grundlage seiner Tätigkeit haben die Erfahrungen der
Arbeitspsychologen (Rubner, Taylor ubw.) zu dienen. Die Er¬
müdbarkeit, Eigenart des Gedächtnisses, Geistesgegenwart, Aufmerksamkeit und
Kombinationskraft nsw. des einzelnen Kriegsbeschädigten sind bei der Auswahl
eines für ihn geeigneten Berufes umsichtig in Betracht zu ziehen. Alle diese
Fragen bedürfen noch einer wissenschaftlichen Klärung, die möglichst rasch
Besprechungen. >
889
erfolg«! sollte, da ihre Ergebnisse sowohl für Arbeitnehmer und Arbeitgeber
als rar unsere ganze Volkswirtschaft von großer Bedeutung sind.
Schluß der Sitzung Nachmittags 4 Uhr.
Der Vorsitzende dankt allen Vortragenden und sonstigen Bednern
für ihre Mitwirkung sowie allen Teilnehmern für ihr Aushalten bis zum Schluß;
er schließt dann die Sitzung mit dem Wunsche, daß die Verhandlungen der
Kriegsinvalidenfürsorge zum Nutzen und den Kriegsbeschädigten zum Segen
gereichen mögen. _ Epd.
Besprechungen.
Prof. D'r. Erloh Harnaok, Geh. Med.-Bat in Halle a. 8 . : Die gerichtliche
Medizin mit Einschluss der gerichtlichen Psychiatrie und der
gerichtlichen Beurteilung von Versicherungs- und Unfallsachen. Für
Mediziner und Juristen, ln Gemeinschaft mit Prof. Dr. Haasler und
Prof. Dr. E. Siefert, Privatdozenten in Halle a. 8. Leipzig 1914. Verlag
der Akademischen Verlagsgesellschaft m. b. H. 8°; 448 S. Preis; 12 M.,
geb. 13,60 M.
Der inzwischen leider verstorbene Verfasser ist bei Herausgabe des vor¬
liegenden Buches von dem Wunsche geleitet gewesen, es so zu gestalten, daß
es sowohl von Medizinern, als von Juristen benutzt werden konnte, von den
ersteren namentlich zur Einführung in den gesamten Stoff und zur Unterrichtung
über die einschlägigen juristischen Fragen, von den letzteren zu ihrer Unter¬
weisung in gerichtlich-medizinischen Dingen. Er hat dabei das Ziel verfolgt,
du gegenseitige Verständnis, das oft keineswegs leichte, aber namentlich für
die Bechtsprechung und damit auch für das allgemeine Wohl so unbedingt not¬
wendige Zusammenarbeiten beider Teile zu fördern und zu erleichtern. Verfasser
hat es deshalb auch vermieden, allzusehr in die medizinischen Einzelheiten zu
gehen, desgleichen sind die medizinischen Kunstausdrücke möglichst durch
gemeinverständliche Bezeichnungen ersetzt oder erläutert. Die Darstellung ist
knapp gehalten, die Kasuistik unberücksichtigt gelassen und durchweg nur das
Wichtigste hervorgehoben, um den Umfang des Werkes nicht über eine gewisse
Grenze auszudehnen. Es hat deshalb mehr den Charakter eines Kompendiums,
als den eines ausführlichen Lehr- und Handbuches, und eignet sich gerade in
dieser Form für den Zweck, für den es Verfasser geschrieben hat; denn es
genügt trotzdem völlig, um einerseits den Arzt in das Studium der gerichtlichen
Medizin einzuführen und anderseits dem Juristen einen ausreichenden und für
ihn auch verständlichen Ueberblick über diese zu geben.
Nur der erste, aber hauptsächlichste Teil des Buches, die eigentliche
gerichtliche Medizin, ist vom Verfasser in fünf Abschnitten: I. Begattungs¬
und Zeugungsfähigkeit, II. gesetzwidrige Befriedigung des Geschlechtstriebes,
HL fragliche Schwangerschaft und Geburt, IV. die gewaltsamen Gesundheits¬
beschädigungen und der gewaltsame Tod (durch Verletzungen, Erstickungen
und durch Druck auf den Hals, durch Verbrennen, Verbrühen und Elektrizität,
durch Erfrieren, Verhungern, Vergiftung und psychische Insulte), Kindesmord
und Selbstmord sowie V. Zeichen des Todes, Leichenveränderungen und
Identifizierung von Leichen und Lebenden bearbeitet; während Abschnitt VI:
Gerichtliche Beurteilung von öffentlichen Versicherungs- und Unfallsachen (die
sozialen Gesetze: Kranken-, Unfall-, Invaliden-, Alters- und Angestellten¬
versicherung) von Prof. Dr. Haasler, und Abschnitt VII: Gerichtliche
Psychiatrie und Dispositionsfähigkeit (die klinischen Grundlagen der gericht¬
lichen Psychiatrie und ihre rechtlichen Grundlagen nach Strafrecht und bürger¬
lichem Becht) von Prof. Dr. E. Siefert unter Berücksichtigung der für den
ersten Teil maßgebenden Gesichtspunkten verfaßt sind.
Hoffentlich findet das Buch in den beteiligten Kreisen die freundliche
Aufnahme und weite Verbreitung, die es verdient, namentlich unter den Aerzten,
für deren Gebrauch es sich mit Bücksicht auf seinen Inhalt doch in erster
Linie eignet. Aber auch den Juristen wird ein eingehendes Studium des Werkes
von Nutzen sein und den Wünschen des Verfassers gemäß wesentlich dazu
beitragen, daß sich ihr Zusammenwirken mit dem Mediziner auf diesem so
wichtigen Gebiete immer verständnisvoller für die gegenseitigen Aufgaben und
damit auch segensreicher für die Allgemeinheit gestaltet. Bpd.
Besprechungen.
810
Dr. O. Kauftnunn, Dozent an der Universität Zürich: Handbuch dar
Unfallmedixin. III. neubearbeitete Auflage des Handbuchs der Unfall*
medizin. Band II: Unfallerkrankungen und Unfalltodesfälle.
Stuttgart 1915. Verlag von Ferdinand Enke. Gr. 8®, 613 S. Preis:
geh. 18,40 M., gebd. 20 M.
Während im ersten, bereits im Jahre 1907 erschienenen Bande außer
dem allgemeinen Teil die Unfallverletzungen behandelt sind, ist der jetzt
vorliegende zweite Band den Unfallerkrankungen und Unfalltodesfällen ge¬
widmet. Die Besprechung der Unfallerkrankungen nimmt den größten
Teil des Bandes ein. Sie beginnt mit einer Abhandlung über die Voraus¬
setzungen der Entschädigungen im allgemeinen und geht dann zur Erörterung
der einzelnen Erkrankungen, unter besonderer Berücksichtigung ihrer Ent¬
stehung oder Verschlimmerung durch Unfall über. Akute Infektionskrankheiten,
tierische Infektionskrankheiten, Osteomyelitis und Gelenkrheumatismus, tuber¬
kulöse Erkrankungen, Beziehung der Syphilis zu Unfällen, gewerbliche Ver¬
giftungen, Stoffwechsel-, Blut- und Lymphkrankheiten, Geschwülste, Gehirn-
und Geisteskrankheiten, Neurosen, Bückenmarkskrankheiten, Erkrankungen der
Atmungsorgane, des Herzens und der Gefäße, der Verdauungsorgane (Magen,
Darm, Leber, Pankreas und Bauchfell) und der Milz, die Unterleibsbrüche,
Erkrankungen der Nieren, der männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane,
Erkrankungen der Bewegungsorgane und der Haut sowie Erkrankungen aus
physikalischen Ursachen haben hier eine sachgemäße, klare, alle in Betracht
kommenden Gesichtspunkte voll beachtende Darstellung gefunden, der überall
eine reichhaltige Kasuistik beigegeben ist und bei der vor allem auch die
Gesetzgebung der deutschen, österreichischen und schweizerischen Arbeiter¬
und der privaten Unfallversicherung sowie die einschlägige Rechtsprechung
eingehend berücksichtigt ist. — Im zweiten Teil des Bandes sind in gleicher
Weise die Unfalltodesfälle behandelt. — Ein Anhang bringt Er¬
gänzungen und Zusätze zum ersten Bande, die sich hauptsächlich auf die
inzwischen erfolgten Aenderungen der Unfallgesetzgebung, namentlich im
Deutschen Reiche, beziehen. Den Schluß bildet ein ausführliches, beide Binde
umfassendes Sachregister.
Ebenso wie der erste Band der dritten Auflage des Kaufmannschen
Handbuches stellt auch die des zweiten Bandes eine völlige Neubearbeitung
dar, die sicherlich von allen denen, die mit Ungeduld auf die Vollendung des
Handbuches gewartet haben, um so freudiger begrüßt werden wird, als sie
durch die Vorzüglichkeit ihres Inhaltes in reichem Maße entschädigt werden.
_ Rpd.
Prot Dr. Brauor-Hamburg-Eppendorf, Generaloberarzt und beratender innerer
Kliniker: Die Erkennung und Verhütung des Fleckfiebers und Bfick-
fallfiebers nebst Vorschriften zur Bekämpfung derLäuseplage.
Von Regimentsarzt Dr. Julius Moreson. Mit 4 farbigen, 2 schwarzen und
1 Kurventafel sowie 12 Abbildungen im Text. Zweite ergänzte Auflage.
Würzburg 1916. Verlag von Kurt Kalitzsch. Gr. 8°; 43 8. Preis:
1,50 Mark.
Die neue Auflage der vorstehenden Abhandlungen, über die bei ihrem
ersten Erscheinen bereits an dieser Stelle berichtet ist (s. Nr. 14, Jahrg. 1915
dieser Zeitschrift, 8. 425), enthält manche wertvolle Ergänzungen, die sie als
Wegweiser für die Erkennung und Verhütung des Fleckfiebesr und Rückfall¬
fiebers sowie für die Bekämpfung der Läuseplage noch geeigneter als bisher
machen. Rpd.
Geh. Ober-Reg.-Rat Profi Dr. K. von Bnohka- Berlin, Ooh. Bog.-Bat
Dr. W. Kerp- Berlin und Ooh. Bog.-Bat Dr. Th. Paul -München:
Nahrungsmittelchemie. Leipzig 1914. Verlag der Akademischen Verlags-
gescllschaft m. b. H. Gr. 8 0 ; 579 S.
Das vorliegende Werk stellt eine Sammlung von Vorträgen dar, die von
den Verfassern auf dem von ihnen im März 1912 in Berlin veranstalteten ersten
Fortbildungskurse für Nahrungsmittelchemiker gehalten sind. Ihre Herausgabe,
die von Dr. W. Kerp bewirkt ist, wird sicherlich in Fachkreisen sehr freudig
begrüßt werden, und zwar nicht nur von den Kursusteünebmern, sondern vor
Besprechungen.
m
«llem tob denjenigen Fachgenossen, die an dem Kursus nicht teilgenomineo
haben; denn die Vorträge behandeln in umfassenden Ueberblicken sorgsam aas-
gewählte Fragen and Gebiete der Nahrangsmittelchemie and ihrer Grenz*
gebiete, die für die nahrangsmittelchemische Forschung and Praxis besonders
aktuell and wichtig sind. Ihr Inhalt bietet aber auch vielfach sowohl für den
ärztlichen Sachverständigen, als für den Medizinalbeamten sehr viel Wissens*
wertes; namentlich gilt dies betreffs der Vorträge über Lebensmittelgesetzgebung
and Lebensmittelbetriebe im Deutschen Reich (Geh Reg.-Rat Dr. P. Kerp-
Berlin); über biologische Eiweißdifferenzierang unter besonderer Berück¬
sichtigung der forensischen Blut- und Fleischuntersuchung (Geh. Reg.-Rat
Prof. Dr. Uhlenhuth -Straßburg i. Eis.), über nahrungsmittelchemische Tages¬
fragen (Geh. Reg.-Rat Dr. Kerp*Berlin) und neuere Erfahrungen aus der
nahrungsmittelchemischen Gerichtspraxis (von Reg.-Rat Prof. Dr. Juckenack-
Berlin), über Ueberwachung des Verkehrs mit Milch (Prof. Dr. H. Weigmann-
Kiel), über neue Gesetzgebung und Rechtsprechung betr. den Verkehr mit
Wein (Reg.-Rat Dr. Adolf Günther-Berlin), über Untersuchung und Begut¬
achtung von Wasser und Abwässer (Dr. L. Grauhat-Wiesbaden) sowie über
Fortschritte der gerichtlichen Chemie (Dr. G. Popp- Frankfurt a. M.). Um
denjenigen Kreisen, für die nur einzelne Vorträge Interesse bieten, diese Vor¬
träge zugänglich zu machen, hat die Verlagsbuchhandlung in entgegen¬
kommender Weise Sonderausgaben davon in Einzelheiten veranstaltet, wofür
ihr ein besonderer Dank gebührt Rpd.
Prof. Dr. mod. und phil. H. Orienbaoh: Die Physiologie und Hygiene
der Ernährung in populär-wissenschaftlicher Darstellung und die
Beschaffung von Nährwerten im Weltkriege. Dresden 1915. Verlag
von Holze und Pahl. 12°; 110 S. Preis: geh. 1,80 M., geh. 2,40 M.
Die Ernährungsfrage wird in dem vorliegenden Schriftchen in sechs
Abschnitten: Wesen der Ernährung, die für die Ernährung in Betracht
kommenden Stoffe, ihre Eigenschaften und ihre Verwendung, Einführung der
Nahrungsstoffe in den Körper, ihre Verarbeitung und Verwendung, Ernährungs¬
bedarf und. Ernährungskosten, Ausnutzung, Verdaulichkeit, Aufbewahrung und
Zubereitung der Nahrungsmittel sowie Beschaffung von Nährwerten im Kriege
allgemein verständlich, aber doch auf durchaus wissenschaftlicher Grundlage
unter voller Berücksichtigung der bei der Ernährung in Betracht kommenden
physiologischen und chemischen Vorgänge behandelt. Das Schriftchen verdient
S erade deshalb den Vorzug gegenüber vielen anderen, in denen der gleiche
egenstand allein oder hauptsächlich von der wirtschaftlichen Seite behandelt
ist. Mit Recht betont Verfasser am Schluß, daß wir kaum Ernährungssorgen
während des Krieges zu befürchten haben, wenn jeder Einzelne sich vornimmt,
an den Sparsamkeitsbestrebungen auf dem Gebiete der Ernährung teilzunehmen
und wenn namentlich die wohlhabenden Volksschichten diesem Grundsatz zu¬
gunsten der Nichtbemittelten huldigen. Rpd.
Dr. J. TUIumum, Privatdozent und Vorsteher des Nahrungsmitteluntersuchungs¬
amts und der chemischen Abteilung des städtischen hygienischen Instituts
in Frankfurt a. M.: Di» chemische Untersuchung von Wasser und
Abwasser. Mit 19 Abbildungen im Text. Halle a. S. 1915. Verlag von
Wilhelm Knapp. Gr. 8°; 259 S. Preis: 11,20 M., geb. 11,95 M.
Das Werk bildet den XVII. Band der von Patentanwalt L. M. Wehl-
gemuth-Berlin unter Mitwirkung zahlreicher Fachgenossen herausgegebenen
Laboratoriumsbüeher für die chemische und verwandte Industrie; es behandelt
einen Stoff, der auch für beamtete und nicht beamtete Aerzte, Bygieniker usw.
von großer Bedeutung ist, denn die Fragen der Wasserversorgung und
Abwässerbeseitigung haben sich immer mehr zu einem der wichtigsten Kapitel
der öffentlichen Gesundheitspflege entwickelt. ' Eine der Grundlagen für die
Beurteilung der Wasser und Abwasser bildet aber das Ergebnis ihrer chemischen
Untersuchung, deren Methodik Verfasser in klar und erschöpfender Weise auf
Grund jahrelanger eigener Erfahrungen sowie unter Berücksichtigung der
neuesten Forschungen schildert und im Anschluß daran jedesmal die Gesichts¬
punkte hervorhebt, die für die Beurteilung der festgestellten Befunde ma߬
gebend sind. In dem ersten Abschnitt Wasseruntersuchung wird, die Unter-
34a
Besprechungen.
Buchung auf die hygienische Beschaffenheit getrennt Ton der auf aggressive
und störende Stoffe (Sauerstoff, Kohlensäure, gelöste Metalle, Eisen, Mangaa
und Härtegrade) behandelt; den beamteten Arzt interessieren in diesem Teil
besonders die sachgemäßen Ausführungen über die Untersuchung des Wassers
an Ort und Stelle (Ortsbesichtigung, Probeentnahme, physikalische und quali¬
tative chemische Untersuchung). In dem zweiten der Darstellung der Abwasser¬
untersuchung gewidmeten Hauptabschnitt hat Verfasser auch die in gewerb¬
lichen Abwässern vorkommenden Stoße und Verunreinigungen in ausgiebiger
Weise berücksichtigt, entsprechend der hohen Bedeutung, die die Beseitigung
dieser Abwässer heute gewonnen hat. Im Anschluß daran werden die Unter¬
suchung und Bewertung des Schlammes, die Kontrolle von Kläranlagen sowie
die Reinigungsmöglichkeit gewerblicher Abwässer behandelt. Das aus der
Erfahrung geschriebene Buch eignet sich so recht zum praktischen Ratgeber
auf diesem wichtigen Gebiete und kann deshalb warm empfohlen werden.
Rpd.
Schriften des Vereins für Kommunalwirtschaft und Kommunalpolitik.
E. V. Herausgegeben von Generalsekretär Erwin Stein. Heft 1—6. Berlin-
Friedenau. Deutscher Kommunal-Verlag G. m. b. H. 1915 und 1916. Preis
für das Heft: 1,50 M., geb. 2,25 M.
Von dem Verein für Kommunalwirtschaft und Kommunalpolitik werden
seit vorigem Jahre Einzelschriften in Heften von 2—8 Bogen herausgegeben,
in denen wichtige Tagesfragen von hervorragenden Fachmännern behandelt
sind. Das Heft 1 bringt eine Denkschrift über die Arbeiten des Vereins;
in Heft 2 wird der öffentliche Betrieb und die Konzessionswirtschaft von
Emil Schifi-Berlin-Grunewald und Hans Ludewig -Spandau besprochen,
während Heft 3: „Oberschlesien heute und morgen" eine Schilderung
der Kommunalverhältnisse von Urbaneck, Amts- und Gemeindevorsteher in
Beuthen-Roßberg enthält. In den beiden folgenden Heften sind die Vorträge
wiedergegeben, die von dem Oberbürgermeister Koch-Kassel und Dr. Wilms-
Posen über die Kriegsmaßnahmen der Städte auf dem Gebiete
der Lebensmittelversorgung (Heft 4) sowie Landesrat Dr. Horion-
Düsseldorf und Bürgermeister Luppe-Frankfurt a. M. über Kriegs¬
beschädigtenfürsorge (Heft 5) auf der IV. Tagung des Vereins für
Kommunalwirtschaft und Kommunalpolitik gehalten haben und deren Inhalt
auch die Leser dieser Zeitschrift in hohem Grade interessieren dürfte. Heft 6
bringt eine Abhandlung von Reg.-Rat L. Buck-Düsseldorf über „Direkte
Reichssteuern oder direkte Reichskriegssteuern. Rpd.
Profi Dr. L. Langsteln, Privatdozent und Direktor des Kaiserin Auguste
Victoria-Hauses zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit in Charlotten¬
burg : Gesunde Kinder in den Spiel-, Schul- und Entwicklungsj&hren.
Leipzig 1916. Verlag von Max Hesse. 12°, 103 S. Preis: geb. 1,35 M.
Das Büchlein bildet den 22. Band der Hess eschen Bücherei des moder¬
nen Wissens; es ist seinem Zwecke entsprechend in einer für Laien verständ¬
lichen Weise geschrieben und gibt eine kurzgefaßte Zusammenstellung der nur
zweckmäßigen Ernährung und Pflege der über ein Jahr alten Kinder not¬
wendigen Maßnahmen. Verfasser betont mit Recht, daß bisher die schriftliche
Belehrung über diese Altersklassen im Vergleich mit der über das Säuglinga-
alter zu kurz gekommen ist, namentlich diejenige Uber das Spielalter der
Kinder; deshalb hat er diesem auch eingehendere Erörterungen gewidmet, als
dem Schulalter, da in dem ersteren die Pflege und Erziehung der Kinder aus¬
schließlich in den Händen der Eltern liegt, für die diese Abhandlung in erster
Linie bestimmt ist. Außerdem ist eine rationelle Pflege und Erziehung im
Kleinkinderalter besonders wichtig, denn Verstöße dagegen machen nicht nur
günstige Ergebnisse einer rationellen Säuglingspflege hinfällig, sondern be¬
wirken auch einen schlechten Gesundheitszustand der Schulrekruten, der sich
während der Schulzeit bitter rächt. Da das Büchlein lediglich dazu dienen
soll, gesunde Kinder gesund zu erhalten, so ist alles fortgeblieben, was dem
Laien einen Anhalt geben könnte, selbständig Krankheiten zu erkennen und su
behandeln. Es ist dies nicht als Mangel, sondern als großer Vorzug der Ab¬
handlung ansusehen, die ihrer klaren, kurzen.und sachgemäßen Darstellung
Tagesnachrichten.
843
wegen die größte Verbreitung in Familien und in allen denjenigen Kreisen ver¬
dient, denen die Fürsorge für die Entwicklung der über ein J,ahr alten Kinder
bis zur Beendigung des Schulalters obliegt. Bpd.
Tagesnachrichten.
Kriegsernährnngsamt. Die mannigfachen Mißstände, die sich leider in
den letzten Monaten immer mehr anf dem Qebiete der Ernährung unserer
Bevölkerung bemerkbar gemacht haben und die z. T. auf der Zersplitterung
der hier tätigen Kräfte beruhen, haben dazu geführt, daß der Bundesrat den
Beichskanzler ermächtigt, eine eigene, neue, ihm unmittelbar unterstellte
Behörde, das „Kriegsernährungsamt“ hat,-zu errichten. Der Präsident
dieser Behörde erhält das Verfügungsrecht über alle im Deutschen Beiche
vorhandenen Lebensmittel, Bohstoffe und andere Gegenstände, die zur Lebens¬
mittelversorgung notwendig sind, ferner über die Futtermittel und die zur
Viehversorgung nötigen Bohstoffe und Gegenstände. Das Verfügungsrecht
schließt die gesamte Verkehrs- und Verbrauchsregelung, damit erforderlichen¬
falls natürlich auch die Enteignung, die Begelung der Ein-, Aus- und Durch¬
fuhr, sowie der Preise ein. Der Präsident kann auch in dringenden Fällen die
Landesbehörden'unmittelbar mit Anweisungen versehen.
Ueber die Einrichtung und die Aufgaben der neuen Einrichtung
schreibt die Nordd. Allg. Ztg.“ folgendes:
„Die ausreichende Ernährung unserer Bevölkerung ist völlig
gesichert und wird, solange der Krieg auch dauern möge, durch keine noch
so rücksichtslosen Sperrmaßnahmen der feindlichen Staaten in Frage gestellt.
Die Notwendigkeit aber, unseren Verbrauch bei wesentlich verminderter Einfuhr
aus der schwachen Ernte des Jahres 1915 zu decken, hat bekanntlich im
einzelnen zu teilweise recht fühlbaren Knappheitserscheinungen
geführt. Seit Monaten ist die Beichsleitung im Verein mit den bundesstaat¬
lichen Begierungen und den Organen der Selbstverwaltung bemüht, die auf
den verschiedensten Gebieten entstehenden Schwierigkeiten zu bekämpfen und
die fortlaufende ausreichende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung
zu sichern. Mehr und mehr hat sich indes gezeigt, daß das System unserer
bundesstaatlichen Behördenorganisationen dem vollen Gelingen jener Bemühungen
bindernd im Wege steht. Beim Erlaß der die Versorgung grundsätzlich
regelnden Verordnungen, bei der Errichtung der mit Teilen der Ernährungs-
rerwaltung betrauten besonderen Organisationen, noch mehr aber bei der
Ueberwachung der Durchführung allgemeiner Vorschriften war bisher eine
größere Zahl von amtlichen Stellen beteiligt, die keiner zentralen Oberleitung
unterstanden und deren Zusammenwirken deshalb von gegenseitigen Verhand¬
lungen, Auseinandersetzungen und Zugeständnissen bedjpgt war. Dies tat der
notwendigen Einheitlichkeit und Schnelligkeit Abbruch. Der Bundesrat hat deshalb
in seiner Sitzung vom 22. Mai den Reichskanzler ermächtigt, eine eigene, neue, ihm
unmittelbar unterstellte Behörde, das „Kriegsernährungsamt“ zu errichten. Der
Präsident dieser Behörde erhält das Verfügungsrecht über alle im
Deutschen Beiche vorhandenen Lebensmittel, Bohstoffe und
andere Gegenstände, die zur Lebensmittelversorgung not¬
wendig sind, ferner über die Futtermittel und die zur Viehver-
sorgung nötigen Bohstoffe und Gegenstände. Das Verfügungs¬
recht schließt die gesamte Verkehrs- und Verbrauchsregelung (damit erforder¬
lichenfalls natürlich auch die Enteignung), die Begelung der Ein-, Aus- und
Durchfuhr sowie der Preise ein; zur Sicherung der Durchführung können
Zuwiderhandlungen mit Gefängnisstrafe bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe
bis zu 10000 M. bedroht werden. Der Präsident kann in dringenden Fällen
die Landesbehörden unmittelbar mit Anweisungen versehen. Die Verordnungen
des Bundesrats bleiben unberührt; in dringenden Fällen können aber — unter
unverzüglicher Vorlage an den Bundesrat — abweichende Bestimmungen ge¬
troffen werden. Im Kriegsernährungsamte werden bewährte Männer aus
den wichtigsten wirtschaftlichen Interessentehgruppen— der
Landwirtschaft, des Gewerbes und Handels, der Heeresverwaltung und der
Verbraucher — mitarbeiten; die Beschlußfassung wird aber aus¬
schließlich dem Vorsitzenden zustehen. In einem Beirat werden
Vertreter der Bundesregierungen, der behördlichen Kriegsstellen und der Kriegs-
844
Tagesnachrichten.
gesellsohaften Sitz and Stimme haben. Die Anordnungen der militärischen
Befehlshaber werden den Maßnahmen der zentralen Eraährungsbehörde ange¬
paßt. Der aas der Mitte des Reichstags berufene. Beirat für Volksern&hrang
bleibt neben der neugeschaffeaen Einrichtung bestehen. Bei dieser neuen,
straff organisierten Regelung wird es möglich sein, die imReiche
greif baren Nahrungs Vorräte vollständig zu erfassen und ihre
Verwertung und Verteilung ohne jede Verzögerung in der
z weckmäßigsten Weise durchzaführen. Einschränkungen, Anpassung
des Bedarfs, Verständnis für die Notwendigkeiten und Schwierigkeiten unserer
wirtschaftlichen Lage werden selbstverständlich auch weiter vonnöten sein.
Die Organisation kann nnr gewährleisten, daß innerhalb der Grenzen des
Möglichen das Aeußerste für die Befriedigung der Ansprüche des Bedarfs
geschieht. Die Vorarbeiten zur Einrichtung der neuen Behörde sind im vollen
Gange; der Zeitpunkt, an dem sie ihre Tätigkeit anfnimmt, wird durch den
Reichsanzeiger bekanntgegeben. Seine Majestät der Kaiser, der dop Fragen
der Volksernährung ganz besonderes Interesse entgegenbringt, bat sieh über
die neue Organisation vom Reichskanzler wiederholt ausführlichen Vortrag
halten lassen und Allerhöchst genehmigt, daß zum Präsidenten des Kriegs-
ernährungsamtes der Oberpräsident der Provinz Ostpreußen von Batocki
berufen wird. • .»
In einer Eingabe an den Reichskanzler (Reichsamt des Indern)
hatte der Verband der Aerzte Deutschlands gebeten, dio Aasführungs¬
bestimmungen der Verordnung vom 18. April 1916 über den Verkehr mit
Seife usw. (s. Beilage zu dieser Zeitschrift zu Nr. 10, S. 66) dahin abzuäudern;
„1. daß Aerzten, die mit infektiösen Kranken zu tun haben, auf begrün¬
deten Antrag hin, ein Ausweis erteilt wird, wonach Feinseife bis zu 800 g
monatlich gegen Vorlegung des Ausweises an sie abgegeben werden soll;
2. daß Aerzte auf Antrag einen weiteren Ausweis erhalten, wonach ihnen
über die in § 1, I vorgesehene Menge von 600 g anderer Seife oder Seifen-
pulver hinaus weitere 600 g monatlich für Berufszwecke verabfolgt werden
können;
8. daß auf Grund eines den Verwaltungen der Krankenanstalten
erteilten Ausweises der Bezug der ausschließlich für Anstaltszwecke nötigen
Mengen von Seife und anderen Waschmitteln ohne Begrenzung gestattet wird,
über deren Verbrauch von Seife und anderen Waschmitteln vierteljährlich der
zuständigen Behörde zu berichten ist;
4. daß nach der Bestandaufnahme eine Beschlagnahme von Seifen¬
vorräten der Krankenanstalten und Aerzte nicht stattfindet, daß aber die
größte Sparsamkeit im Verbrauch von Seife nnd anderen Waschmitteln sowohl
Aerzten wie Krankenanstalten zur Pflicht zu machen ist."
Darauf hat der Reichskanzler unter dem 14. Mai d. J. folgende Ant¬
wort erteilt:
„Die Annahme, daß den Aerzten nach den Ausführungsbestimmungen
zur Verordnung über den Verkehr mit Seife pp. nur ein Bezugsrecht auf 200 g
Feinseife zustehe, beruht auf einem Mißverständnis. Der Arzt ist iu der Lage,
auf die Brotkarte 100 g Feinseife und 600 g andere Seife zu beziehen. Darüber
hinaus kann die Ortsbehörde ihm durch Ausweis gestatten, weitere 200 g Fein¬
seife zu beziehen. Insgesamt kann also der Arzt 3G0 g Feinseife im Monat
sich verschaffen. Für Privatkrankenhäuser, die die Wäsche durch
eigene Angestellte in einer zu dem Krankenhaus gehörigen Waschanstalt
waschen lassen, besteht auf Grund der jetzigen Bestimmungen die Möglichkeit,
durch Bescheinigung der zuständigen Behörde die nötigen Waschmittel ztt
erhalten, da diese Waschanstalten den übrigen gleichzustcllen sind. Zu deo
anderen Reiniguugszwecken (Scheuerzwecken) wird auch der Arzt in der Haupt¬
sache zu fettlosen Scheuermitteln greifen müssen. Die herrschende Fettknäpp-
heit gestattet hier die weitere besondere Zuteilung von Waschmitteln nicht.
Ueber das Vorgehen bei einer etwaigen Bestandsaufnahme und Beschlagnahmt
vermag ich zurzeit keinerlei Zusagen zu machen. ’) ' ,
*) Nach einem vom Kriegsausschuß für pfanzlich.e uud tieri¬
sche Fette usw. herausgegebenen Merkblatt regelt sich der Sti'fe&Ttr-
Tagesnachrichten.
346
Am 21 . J o n i d. J. wird eine außerordentliche Sitzung der I. Ab¬
teilung des Königlich Sächsischen Landesgesnndheitsamtes unter Hinzu»
ziebung der außerordentlichen Mitglieder des Landesausschusses und je eines
weiteren Vertreters der Aerztekammern stattfinden. Als einziger Beratungs-
gegenstand ist »Die Regelung der Säuglings- und Kleinkinder-
fttrsorge im Königreich Sachsen" auf die Tagesordnung gestellt;
Berichterstatter sind Med.-Rat Prof. Dr. Kehrer-Dresden, Mitberichterstatter
San.-Rat Dr. Dippe-Leipzig. Als Grundlage für die Beratung ist im Ministerium
des Innern eine Denkschrift, die die Grundzüge für die zu beratende Regelung
enthält, ausgearbeitet und den ärztlichen Bezirksvereinen und Aerztekammern
zur Vorberatung zugestellt.
Im Großherzogtum Luxemburg ist durch Großherzoglichen Beschluß
vom 7. April 1916 die Impfung und Wiederimpfung neu geregelt. Sämtliche
Kinder sind im ersten Lebensjahr zu impfen und innerhalb des 11. Lebensjahres
wieder zu impfen. Die öffentlichen Impfungen erfolgen unter Aufsicht der
Sanitätsinspektoren durch Aerzte, die von der zuständigen Regierung auf den
Vorschlag des Medizinalkollegiums bestellt sind, sich genau an die gegebene
Anweisung zu halten haben und bei Vernachlässigung oder Vergehen im Dienste
nach Anhörung des Medizinalkollegiums ihres Amtes entsetzt werden können.
In jeder Gemeinde sind öffentliche Impftermine und in der Zeit vom 8. bis
11. Tage nach der Impfung Nachschautermine abzuhalten. Die Kosten haben
die Gemeinden zu tragen; für jede Impfung erhält der Arzt 0,76 Fr., noch¬
malige Impfungen im Nachschautermin bei erfolgloser Impfung sind kostenlos
auszuführen. Außerdem wird eine Reisevergiltung von 1 Fr. pro Kilometer bei
auswärtigen Impfterminen gewährt.
brauch der Aerzte, Hebammen und Pflegepersonen, Kranken*
anstalten usw. wie folgt: a) Seifenverbrauch der Aerztei
Hebammen und Pflegepersonen: Der Seifenbezug für den persön¬
lichen Verbrauch der obengenannten Personen auf Bezugsschein ist nicht
zulässig. Die genannten Personen haben ihren Seifenbedarf selbst zu beschaffen,
und zwar gegen Vorlegung der Brotkarte. Gegen entsprechenden Ausweis der
zuständigen Behörde wird denselben auf Brotkarte das gesetzlich vorgesehene
Znsatzquantum an Feinseife verabfolgt, b) Seifenbezug der Kranken:
Diese sind mit Seife ebenfalls nur auf Grund der Brotkarto zu versorgen.
Falls die Betreffenden nicht über Brotkarten verfügen, ist der Bezug auf Grund
des nach § 2 der Bandesratsverordnung von der zuständigen Ortsbehörde zu
erteilenden Ausweises zu bewirken. Es wird erforderlich sein, daß auch die¬
jenigen Seifenmengen, die zu therapeutischer Verwendung dienen, von dem
auf Brotkarten zu erhaltendenQaantum entnommen werden, c) Wäscherei¬
betriebe der Krankenanstalten: Der Wäschercibetrieb der Kranken¬
anstalten ist als technischer Betrieb zu betrachteu und wird durch Erteilung
von Ausweisen in die Lage versetzt, Seife einzukaufen. Sofern im Wäscberei-
betrieb weniger als 10 Personen beschäftigt sind, ist der Ausweis von der zu¬
ständigen Ortsbehörde zu beschaffen. Sind im Wäschereibetrieb mehr als
10 Personen beschäftigt, so ist ein monatlich zu stellender Antrag an den
Kriegsausschuß für pflanzliche und tierische Oele und Fette, Abteilung Seifen-
kontrolle, Berlin NW. 7, Unter den Linden 68 a, zu richten, der für das monatlich
zu beziehende 8eifenquantum einen Seifenbezugsschein ausstellt. Zu Scheuer¬
zwecken ist der Verbrauch von Seife und seifenhaltigen Waschmitteln aus¬
geschlossen. d) Seifenverbrauch für spezielle Zwecke: Sofern ein
Seifenverbrauch für spezielle Zwecke stattfindet, z. B. zur Reinigung empfind¬
licher Gegenstände, die dem ärztlichen Gebrauch dienen, kann auf besonders
begründeten Antrag an den Kriegsausschuß, Abteilung Seifenkontrolle, der
Bezug der hierfür erforderlichen Seifenmenge auf Bezugsschein vom Kriegs-
ausschuß gestattet werden. Es ist darauf zu achten, daß die äußerste Spar¬
samkeit im Gebrauche von Seife beobachtet wird, und daß in jedem Fall, in
welchem Seife durch ein fettfreies Ersatzmittel ersetzt werden kann, ein solches
zur Anwendung kommt. _
346
Tagesnachrichteii.
Die am 27. Mai d. J. erfolgte Enthttllang des Robert Koch-Denkmals
auf dem Laisenplatz in Berlin bat sich za einer ebenso ehrenden wie warmen
Huldigung des verstorbenen Meisters gestaltet. Als Vertreterin Ihrer
Majestät der Kaiserin war Ihre Königl. Hoheit die Frau Kron¬
prinzessin erschienen; desgleichen hatten sich der Reichskanzler sowie
die Spitzen der Staats- und städtischen Behörden, zahlreiche Vertreter der
medizinischen Wissenschaft usw. zur Enthüllung des Denkmals, das zu seinen
Füßen mit einer Fülle von dargebrachten Blumen und Kränzen bedeckt war,
eingefunden. Im Aufträge des Denkmalkomitees ergriff zunächst Herr Mini¬
sterialdirektor Prof. Dr. Kirchner das Wort und dankte allen denen, die in
so reichem Maße dazu beigetragen haben, dem Manen unseres großen Forschers
auf dem Gebiete der Seuchenbekämpfung ein würdiges, von der Hand eines
unserer ersten Künstler ausgeführtes Denkmal zu setzen. Die eigentliche
Gedächtnisrede wurde dann von dem Nachfolger Wirk]. Geh. Öb.-Med.-Rat Prof.
Dr. Gaffky gehalten, der als ältester Schüler und Nachfolger von Robert
Koch, wie kein anderer berufen war, ein treues Lebensbild von dem großen
Forscher zu geben. Mit Recht hob er in diesem hervor, daß man gerade jetzt,
wo Deutschland nach fast zweijährigem Kriege einer Welt von Feinden gegen¬
überstehe, mit besonderer Dankbarkeit die unsterblichen Verdienste Robert
Kochs gedenken müsse, denn nur ihm und seinen lehrreichen Forschungen
sei es zu danken, daß nicht bloß unsere Millionenheere, sondern auch unser
ganzes Volk von diesen schrecklichen Senchen verschont geblieben seien, die
sonst die unausbleiblichen Begleiter eines Krieges gewesen wären. Oberbürger¬
meister Wermuth übernahm dann mit warmen Worten des Dankes das
Denkmal in die Obhut der Stadt, die es ebenso stets in Ehren halten werde,
eingedenk der außerordentlichen Verdienste, die sich Robert Koch auch
durch Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens der Stadt erworben habe,
zu deren hervorragendsten Ehrenbürgern er gehört habe.
Touaillon hat RobertKochin einer talarartigen Gewandung sitzend
in einem ideal gestalteten Sessel dargestellt; vorzüglich ist ihm der Kopf ge¬
langen, der die charakterischen Züge des Forschers in treuer Aehnlicbkeit
wiedergibt.
Der am 1. und 2. Mai d. J. in Warschau abgehaltene Kongreß für
innere Medizin hat eine außerordentlich zahlreiche Beteiligung (1800TeUnehmer)
gefunden und ist nach jeder Richtung hin befriedigend verlaufen. General¬
stabsarzt und Feldsanitätschef Dr. v. Schjerning machte in seiner Ansprache
auch nähere Mitteilung über die Beteiligung der Aerzte usw. am
Kriege. Er sagte:
Mehr als 24000 Aerzte stehen in dem Dienste des Heeres, davon
*/s im Felde und */ 8 in der Heimat beschäftigt. 8000 Aerzte widmen sich
der Tätigkeit des Roten Kreuzes; daneben dienen 400 Aerzte der Zahn¬
heilkunde und 1800 Apotheker, ferner 92000 Sanitätsmannschaften und Militär¬
krankenwärter. Außerdem wird die Heeresverwaltung unterstützt in der Heimat
von 72000 Personen der freiwilligen Krankenpflege und von 22000 im
Etappengebiet, unter denen besonders rühmend 6800 Krankenschwestern hervor¬
zuheben sind. Tausende von Autos und Krankenwagen befördern die Verwundeten
und Kranken von der Trappe in die Kriegsiazarette, von wo sie 238 Lazarettzüge
in die Heimat bringen. Tausende von Einrichtungen zur Sterilisierung des
Wassers, zur Desinfektion und zum Röntgen sind bei unseren Truppen in
Gebrauch. 26 große Felddampfwäschereien dienen in der Etappe zur Reini¬
gung der Wäsche für unsere Feldlazarette. Hunderte von Einrichtungen zur
Bekämpfung der Seuchen sind getroffen, unter anderem auch an der Grenze
18 große Desinfektionsanstalten errichtet, von denen täglich 100000 Mann
mit ihren sämtlichen Sachen gereinigt und desinfiziert werden können. Täglich
gehen waggonweise von dem Hauptsanitätsdepot Verbandmittel und ärztliche
Utensilien an die Front, um das Verbrauchte zu ersetzen. Alle diese Einrich¬
tungen würden nichts nützen, wenn nicht der Geist der Vaterlandsliebe
Und treuester A u f Opferung, der Geist echter Wissenschaft¬
lichkeit und das Bewußtsein, daß es um die Existenz unseres Vaterlandes
geht, in den Herzen aller unserer Aerzte walten würde. Es ist
bezeichnend für unsere ärztliche Wissenschaft, daß wir und die Vertretung
T&gesnachrichten.
347
aller befreundeten Nationen and Heere sich hier versammelt haben, nm ihre
Erfahrungen anszataaschen and das Neueste and Beste ihren Heeren zuführen
za können. So werden sich neae Erfolge den alten anreihen zum Besten
unserer Völker and zum Wohle unserer Heere.
Am 13. and 14. Jani d. J. findet im Landhause der Provinz Branden¬
barg in Berlin die 8 . Konferenz für Trinkerfürsorge statt, für die folgende
Gegenstände auf die Tagesordnung gestellt sind: 1. Erfahrungen aus der
Praxis mit dem § 120 der Reicbsversicherungsordnung, insbesondere im Hinblick
aaf die gleiche Fürsorge für alkoholkranke Kriegsteilnehmer; Berichterstatter:
Landesrat Or. Schellmann-Düsseldorf. — 2. Einwirkung der Kriegszeit auf
die Trinkerfürsorge; Berichterstatter: Pfarrer S t ö r ui e r - Lüdenscheid. —
3. Fürsorge für Trinkerkranke; Berichterstatterin: Frau Liska Gerken-Leit-
gebel in Berlin.— 4. Erfahrungen mit der vorläufigen Berufsvormundschaft;
Dr. Polligkeit-Frankfart a.M. — 5. Die Normalfragebogen; Berichterstatter:
Direktor Dr. Hartwig-Lübeck. — 6. Stand der Trinkerfürsorge in der
Schweiz; Berichterstatter: Dr. Hercod-Lausanne.— 7. Welche alkoholgegne¬
rischen Maßnahmen der Behörden in der Kriegszeit haben sich bewährt und
in welchem Dmfange lassen sich diese in die Zeit nach dem Kriege übertragen ?
Berichterstatter: Prof. Dr. Trommershausen -Marburg a. L.
Auch in diesem Jahre wird eine Versammlung des Deutschen Vereins
für öffentliche Gesundheitspflege nicht stattfinden.
Zum Vorsitzenden der Kommission für die Tuberkulosefürsorge
im Mittelstände ist Staatsminister Dr. Graf von Posadowsky-Wehner,
z. Z. Elbing, Kreishaus, und gleichzeitig durch Präsidialbeschluß in das Prä¬
sidium des Deutschen Zentral-Komitee zur Bekämpfung der Tuberkulose gewählt.
Der Bericht Uber die Verhandlungen der 8. Konferenz der Zentral¬
stelle für Volkswohlfahrt in Berlin vom 26. bis 28. Oktober 1916 über die
Erhaltung und Mehrung der deutschen Volkskraft ist jetzt als
Heft der Schriften der Zentralstelle für Arbeits-Wohlfahrts- Einrichtungen
erschienen. Es umfaßt 291 Seiten und kann von Carl Heymanns Verlag
in Berlin zum Preise von 2,50 M. bezogen werden. Eine Besprechung der Ver¬
handlungen erübrigt sich, da über diese schon in Nr. 21 und 22 dieser Zeit¬
schrift, Jahrg. 1915, S. 643 und 673 eingehend berichtet ist.
Ehrentafel. Es haben weiterhin erhalten das
Eiserne Kreuz I.'Kasse:
Generalarzt Dr. Albrecht-Hannover.
Generalarzt Geh. Bat und Ober-Med.-Rat Prof. Dr. Ritter von Angerer-
Mttnchen.
Oberstabsarzt d. Res. Dr. Emil Lenz-Hamburg.
Unterarzt Kurt Tlfomalla, Sohn des Kreisarztes Med.-Rat Dr.
Thomalla -Ohlau (Schlesien).
Das Eiserne Kreuz II. Klasse:
Dr. Bosse, prakt. Arzt in Kosten, jetzt Kreisarzt in Konin (Russ. Polen).
Dr. Steffenhagen, prakt. Arzt in Berlin, jetzt Kreisarzt in Czenstochau
(Russ. Polen).
Ober-Med.-Rat Dr. Willemer in Lugwigslust (Mecklenb.-Schw.).
Außerdem haben erhalten: Das Kais er 1. 0 österreichische Ehren¬
zeichen I.K1. vom Roten Kreuz mit der Kriegsdekoration: Wirkl.
Geh. Ob.-Med.- und Ministerialdirektor Prof. Dr. Kirchner-Berlin in Anerken¬
nung besonderer Verdienste um die militärische Sanitätspflege im Kriege; — das
Ritterkreuz I. Klasse mit Schwertern des Großherzoglich
Badischen Zähringer Ordens: der Oberstabsarzt d. Res. Med.-Rat Dr.
Thomalla, Kreisarzt in Ohlau (Schlesien); das Großherzogi. Mecklen¬
burgische Militär-Verdienstkreuz am roten Bande: Med.-Rat
Dr. Stephan-Güstrow, OberMed.-Rat Dr. Wille me r - Ludwigslust, Med.-
818
Tagesnach richten.
Rat Dr. Wilhelmi, Kreisarzt in Schwerin, Prof. Gr. Franke, Prof. Dr.
Ehrlich and Geh. Med.-Rat Gr. Martins in Rostock.
Ehren-GedäohtnintafeL Für das Tater!and gefallen sind ferner:
Gr. Bertofsky-Prenzlau.
Oberarzt Gr. Robert Bidgenb ach -Heddersdorf bei Nenwied a. Rhein.
Assistenzarzt Gr. H. Fe Iber.
Stabsarzt d.Res. Gr. Franz Hoffmann -Mettlach (Rheinprovinz) (infolge
von Krankheit gestorben).
Marine-Generalarzt Gr. Hoffmann -Berlin.
Stabsarzt d. L. Gr. Hermann H e y e r - Darmstadt (infolge von Krankheit
gestorben).
Stabsarzt d. Res. Gr. Arthur Käppis-Hagen i. Westf. (gestorben
infolge von Blutvergiftung).
Assistenzarzt d. Res. Gr. Max Koppel- Gdsseldorf.
Gr. Anton Krinner ans Waldmünchen, Kreisarzt in Lenzypa (Russisch-
Polen).
Unterarzt Gr. Felix Leiser-Bonn.
Feldarzt .Prof. Gr. L tt h e - Königsberg i. Pr. (an Fleckfieber gestorben).
Oberstabsarzt d. Res. San.-Rat Gr. Eugen Mann- Liegnitz (infolge von
Krankheit gestorben).
Bataillonsarzt Gr. Fritz Mette-Berlin.
Stabsarzt Gr. Ernst Pöhn- Cassel.
Oberarzt d. Res. Gr. Rud. Praetorius-Herzfelde (Reg.-Bez. Potsdam).
Stabsarzt Gr. Emil Schulz.
Ober-General- nnd Korpsarzt Gr. Albert Schulze-Stettin.
Oberstabsarzt d. Res. ür. Ernst Winkler-Bremen.
Oberstabsarzt Gr. Georg Wolf.
Außerdem: Hanptmann Heimat Barnick, einziger Sohn des Geh. Med.-
Rats Gr. Barnick in Frankfurt a. Oder.
Cholera. In Oesterreich sind vom 2.-8. April 2 (1) und vom 9.—22.
April keine Erkrankungen (Todesfälle) amtlich gemeldet, in Bosnien und
der Herzegowina vom 9. bis 29. April: 322 (134), sämtlich in Gefangenen¬
lagern.
Fleckfleber. Im Geutschen Reich sind in den vier Wochen vom
23. April bis 20. Mai 1, 2, 0 und 23 Erkrankungen vorgekommen (24 unter
Kriegs- und 2 unter Zivilgefangenen); in Oesterreich vom 27. April bis
18. Mai: 583, 993 und 792, davon in Galizien und in der Bukowina:
455, 396 und 330; in Ungarn sind vom 8. bis 23. April; 27 Erkrankungen und
1 Todesfall ermittelt.
Pocken. Gie Zahl der Erkrankungen betrug im GeutBchen Reich
vom 23. April bis 20. Mai: 22, 16, 10 und 5; in Oesterreich vom 20. Fe¬
bruar bis 18. März: 1598, 1905, 1626 und 1407, davon in Galizien und in
der Bukowina 1482, 1789, 1517 und 1278.
Erkrankungen nnd Todesflllle an ansteckenden Krankheiten ln
Preußen. Nach dem Ministerialblatt für Medizinal.Angelegenheiten sind in der
Zeit vom 23. April bis 6. Mai 1916 erkrankt (gestorben) an Pest, Gelb¬
fieber, Fleckfieber, Cholera, Trichinose, Rotz, Aussatz:
— (—), — (—); Tollwut: — (—), 2 (—); Bifiverletzungen durch
toll wutverdäohtige Tiere: 8 (—), 7(— ); Milzbrand: 1 (—), 2 ( —);
Pocken: 17 (—),(—) (—); Unterleibstyphus: 136 (19), 243(14); Ruhr:
20(3), 20(4); Giphtherie: 1845 (153), 2039(139); Scharlach: 1285 (65),
1884 (56); Kindbettfieber: 65 (18), 57 (16); Genickstarre: 20 (12),
83 (6>; spinaler Kinderlähmung: — (—), 1 (—); Fleisch-, Fiscb-
Wurst- und Pilzvergiftung: 14 (—), 29 (—); Körnerkrankheit
(erkrankt): 47, 64; Tuberkulose(gestorben): 953, 1044.
Redakteur: Prof. Gr. Rapmund, Geh. Med.-Bat in Minden LW.
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1916
29. Jahrg.
Zeitschrift
für
MEDIZINALBEAMTE.
ZentralMatt
fflr das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie,
des staatlichen und privaten Versicherungswesens, sowie für das
Medizinal- und öffentliche Gesundheitswesen, einschließlich der
Hygiene und Bakteriologie.
Heraasgegeben
▼OB
Prof. Dr. OTTO RAPMUND,
Geh Med.-Rat In Minden I.W.
Offizielles Organ des Deutschen, Preussischen, Bayerischen, Sächsischen,
Württembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen, Thüringischen,
Braunschweigischen und Eisass • Lothringischen Medizinalbeamtenvereins.
Verlag von Fiseher’s med. Buehhandlg E Kornfeld,
Hcrxogl. Bayer. Hof- n. K. n. K. Kammar-BnchMLndlar.
Berlin W. 62, Keithstr. 5.
Anzeigen nehmen 41a Teriafflhandlnng sowie »De AnseifenonnahmeitoHen des. In«
and Auslandes entgegen.
Nr. 12.
Erochelnt am 5. and SO. Jeden Monat«.
20. Juni.
Vermeidbare Typhusfälle.
Von Dr. E. Richter, Reg.- and Geh. Med.-Rat in Dessau.
Wenn wir die Notwendigkeit vor uns sehen, nach dem
Kriege die Arbeits- und Erwerbsffthigkeit unseres Volkes zur
höchsten Leistung zu bringen, so liegt das Bestreben nahe,
auch auf dem Gebiete der Gesundheitspflege und Krankheits¬
verhütung bei gemeingefährlichen und übertragbaren Krank¬
heiten das Möglichste, was überhaupt erreichbar ist, zu leisten,
um die jetzt bestehenden gesetzlichen Bestimmungen und Vor¬
schriften daraufhin nachzuprüfen, ob sie noch nach den Er¬
fahrungen des Friedens und des Krieges in allen Punkten dem
genannten Ziele entsprechen, oder ob in der Art der Anord¬
nung oder der Ausführung der bestehenden Vorschriften Aende-
rungen oder Verbesserungen notwendig erscheinen.
Nachstehend soll diese Frage bezüglich des Unterleibstyphus
und des Paratyphus näher besprochen werden.
Der Typhus gehört nicht zu den gemeingefährlichen
Krankheiten des Reichsgesetzes vom 30. Juni 1900, sondern zu
den übertragbaren Krankheiten, deren Anzeigepflicht in
350
Br. E. Richter.
Preußen durch das Gesetz vom 28. August 1905 und in sämtlichen
anderen deutschen' Staaten entweder schon vorher oder später
durch Gesetze oder landespolizeiliche Verordnungen geregelt ist,
die alle bei fast gleichem Wortlaut mindestens denselben Inhalt
haben. Die Anzeigepflicht des Typhusverdachtes besteht
nicht allgemein, sie liegt in den meisten Bundesstaaten nur der
Polizeibehörde ob> sobald sie vom Ausbruch oder dem Verdachte
des Auftretens des Typhus Nachricht erhält; dann hat sie den
beamteten Arzt zu benachrichtigen. Beim Verdacht auf Typhus
hat die betreffende Polizeibehörde auch das Recht, eine Leichen¬
öffnung vornehmen zu lassen, wenn eine solche der beamtete
Arzt für erforderlich hält; sie soll jedoch nur stattfinden, wenn
die bakteriologische Untersuchung der Absonderungen und des
Blutes zur Feststellung nicht ausreicht oder nach Lage des Falles
nicht ausführbar ist.
Es ist nun den Kennern der Sache bekannt, daß meist
gerade die nicht erkannten Typhusfälle, deren Verlauf
den Verdacht dieser Krankheit beim Publikum nicht erweckt, die
Ursache verbreiteter weiterer Erkrankungen sind; es wäre da¬
her sehr wünschenswert, wenn wenigstens ein großer Teil der¬
selben zur Kenntnis der beamteten Aerzte käme und zu vor¬
beugenden Schritten Veranlassung gäbe. Die unerkannten
Veraachtsfälle verlaufen jedoch meist in folgender Weise: Es
hat jemand einen Wandeltyphus. Er hat leichte Durchfälle,
fröstelt, schleicht umher, ist appetitlos, schlummerig, unlustig
zur Arbeit; vom 11. oder 12. Tage an wird es langsam besser,
nach 3—4 Wochen fühlt sich der Kranke wieder gesund; es
ist ihm eben nach seiner und der Angehörigen Ansicht eine
Zeitlang nicht ganz recht gewesen; das ist nun wieder in
Ordnung.
Ja, welcher Laie soll denn in solchem Falle, wenn nicht
g erade typhöse Erkrankungen in der Familie oder sonst im
»rte vorgekommen sind oder nicht ein Hinweis auf die leicht¬
verlaufenden Typhen seitens eines Arztes oder sonstwie erfolgt
ist, überhaupt daran denken, einen Typhus vor sich zu haben,
und einen Arzt zu holen, falls es.sich nicht um einen Kassen¬
kranken handelt, der bekanntlich viel leichter den Arzt holt,
schon des Krankengeldes wegen? Ist dann aber auch der Arzt,
der bei fehlendem Typhus in der Umgegend nieht gleich an
diese Krankheit denken wird, sondern sich häufig mit der Bezeich¬
nung des gastrischen Fiebers begnügen wird, das leider oft noch
als besondere Krankheit eine Rolle spielt, gleich bereit und in
der Lage, die bakteriologische oder serologische Untersuchung
zur Bestätigung etwa auftauchenden Typhusverdachtes oder bei
scheinbar leichter Erkrankung die Ueberführung der Kranken
in ein Krankenhaus durchzusetzen?
Man sieht, es müssen schon eine ganze Reihe Umstände
Zusammenkommen, ehe der Arzt überhaupt einen verdächtigen
Typhus, der vereinzelt auftritt und vielleicht eine Massen-
erkrankung einleitet, erfährt. Zur Verhütung gehäufter Er*
Vermeidbare Typhusfälle.
361
krankungen kommt es aber hauptsächlich auf die Erkennung
der ersten Verdachtsfälle an. Gesteigert wird außerdem
die Gefahr für die Allgemeinheit, wenn sich Personen mit leichten
Typhuserkrankungen auf Reisen begeben und dadurch die auch
bei den leichtesten Fällen immer vorhandenen spezifischen Krank.-
heitskeime verschleppen, wie dies erfahrungsgemäß durch aus¬
ländische Wanderarbeiter geschieht, die eine stete wandelnde
Ansteckungsquelle bilden.
In seiner Eröffnungsrede bei der Versammlung der Leiter
der bakteriologischen Untersuchungsanstalten am 24. Januar
1914 im Königlichen Institut für Hygiene und Infektionskrank¬
heiten in Saarbrücken sagte Geheimrat Dr. Wodke über den
Typhus im dortigen Bekämpfüngsgebiet:
„Sofern es jetzt noch irgendwo za einer größeren Ansdchnang dos
Typhus durch Kontaktketten kommt, kann man ohne weiteres behaupten, daß
dort mindestens eine der Komponenten der Bekämpfungstechnik, Anzeigepflicht,
Absonderung, Desinfektion sich nicht auf der Höhe befindet. Eine weitere
Vervollkommnung nach dieser Richtung wird im Bekämpfungsgebiete immer¬
hin noch möglich sein, und gewährt die Aussicht, daß der Typhus zwar keines¬
wegs zum Verschwinden gebracht werden, aber doch noch etwas zurttck-
gedämmt werden kann, und daß seine Erkrankungs- und Sterbeziffer auf diesem
Wege noch um ein Weniges herunter zu drücken ist"
Das wird von einem Bezirk gesagt, in dem die Vor¬
kehrungen zur Bekämpfung des Typhus auf der Höhe stehen
und, was wissenschaftliches Aerztepersonal, Untersuchungs¬
anstalten und den Geldpunkt betrifft, auf das eingehendste und
sorgsamste geregelt sind; für uns andere, die wir außerhalb des
Bekämpfungsgebietes stehen, gilt aber dasselbe Ziel: Vervoll¬
kommnung in der Handhabung der bestehenden gesetzlichen
Bestimmungen und Bekämpfung der ersten Krankheitsfälle, auch
der bloßen Verdachtsfälle, sowie das ernsteste Bestreben, das
Schmerzenskind der Typhusbekämpfung, die seit ungefähr
15 Jahren in ihrer wahren Bedeutung erkannten Bazillen¬
träger, namentlich diejenigen, die eine allgemeine Gefahr
bilden, endlich durch feste allgemein gütige, vom Gesetz streng
geregelte Maßnahmen, soweit es möglich ist, unschädlich zu
machen.
Aus der vorher angeführten Niederschrift ist zu ersehen, daß
im Bekämpfungsgebiet im Südwesten Deutschlands 10,84 Proz.
der dortigen Typhuserkrankungen auf unmittelbaren Kontakt
mit Bazillenträgern zurückgeführt werden konnten; mit Recht
wird dort aber bemerkt, daß der Anteil der Bazillenträger an den
Typhuserkrankungen wesentlich steigt, wenn man, wie recht
und billig, die mittelbaren Berührungs-Ansteckungen zweiten,
dritten und weiteren Grades hinzurechnet, die doch alle auf
den ersten Fall zurückzuführen sind.
Sind wir denn nun in der Lage, die erfahrungsgemäß nur
in geringer Zahl zur Anzeige gekommenen Verdachtsfälle von
Typhus zur häufigeren Anzeige, wie bisher, gelangen zu lassen?
M. E. ist dies möglich und ausführbar durch die Vermittelung
der Vorstände der Krankenkassen, indem man ihnen klar
862
Dr. E. Richter.
macht, daß durch Ueberführung sämtlicher Verdachtsfftlle in
ein Krankenhaus, also durch sofortige Absonderung eines Krank¬
heitsverdächtigen, die Wahrscheinlichkeit fernerer Ausbreitung
und neuer Typhuserkrankungen beseitigt wird. Sie müssen
davon überzeugt werden, daß mit dieser Maßregel auch eine große
Ersparnis von Kranken- und Pflegegeld verbunden ist, selbst
wenn sich einmal der Verdacht auf Typhus nicht bestätigen
sollte; dann kommt doch nur das Kranken- und Pflege¬
geld für eine kurze Zeit, vielleicht für 10—12 Tage, in Betracht,
während bei Ausbreitung des Typhus durch einen unbeachteten
Krankheitsverdächtigen, selbst wenn sie nur auf eine bis zwei
Neuerkrankungen beschränkt bleibt, viel höhere Kosten ent¬
stehen. Man braucht ja nur 'zu bedenken, daß ein rich¬
tiger Typhus die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit des von
ihm Befallenen auf ungefähr drei Monate lahm legt, und
die Kosten zu vergleichen, die bei einem Typhusver¬
dächtigen, bei dem es sich meist nur um leichte kürzer
dauernde Zustände handelt, verursacht werden, gegenüber denen,
die bei einem richtigen Typhus zu zahlen sind, der vielleicht
auch noch mit hinzutretenden anderen Erscheinungen, wie
Lungenentzündung oder Darmblutung oder Durchliegen verläuft.
Bei der jetzt auch im großen Publikum abnehmenden Scheu
vor Uebergang in die Krankenhäuser und bei der gesetzlich
den Krankenkassen zustehenden Befugnis, Kranke in die
Krankenhäuser zu bringen, wenn es nötig erscheint, dürften der
Ausführung des vorstehenden Vorschlages wesentliche Bedenken
nicht entgegenstehen. Selbstverständlich müßte der Kassenvor¬
stand nur im Einverständnis mit den Kassenärzten handeln,
entweder direkt durch gemeinschaftliche Besprechung des ent¬
sprechenden Verhaltens bei typhusverdächtigen Personen, oder
durch Vermittelung der Oberversicherungsämter für größere
Bezirke. Die Kassenkranken, auch leichterer Art, kommen
schon des Krankengeldes wegen eher zum Kassenarzt, wie nicht
versicherte Leichtkranke; da aber ungefähr zwei Drittel der
Bewohner Deutschlands gegen Krankheit versichert sind, dürfte
die vorgeschlagene Maßregel eines gewissen Erfolges sicher sein.
Freilich bleibt bei dieser Handhabung der Behandlung
Typhusverdächtiger immer noch der Bruchteil unberücksichtigt,
der keiner Krankenkasse angehört; aber auch bei diesem dürfte
das Beispiel der Kassenmitglieder nicht ohne Wirkung sein,
obgleich leider noch immer die Teilnahmlosigkeit des Publikums
der Erkenntnis hindernd im Wege steht, daß die Behandlung eines
ansteckenden Typhuskranken oder auch nur eines Typhusver¬
dächtigen in einem Krankenhause mit geschultem und speziell auf
die Desinfektion am Krankenbett eingeübten Pflegepersonal ent¬
schieden sicherer die Hausgenossen vor Ansteckung schützt, als
die häusliche Pflege, zumal wenn sie nicht von Personen ausgeübt
wird, die mit der Desinfektion der Abgänge vertraut sind. Die
Liebe und verwandtschaftliche Teilnahme und Hilfsbereitschaft
kann die Ausbildung eines Desinfektors nicht ersetzen. Es kommt
hinzu, daß durch die Ausbildung der Desinfektoren auch den
Vermeidbare Typhusfälle.
363
Aerzten eine gewisse Verantwortung für Anordnung der Des¬
infektion abgenommen ist. Jedenfalls ist im allgemeinen an¬
zunehmen, daß in Fällen, wo die Pflege von Hausgenossen aus¬
geübt wird, die Desinfektion der Abgänge im Krankenzimmer
nicht mit der Sorgfalt ausgeübt wird, wie von einem ausgebil¬
deten gewissenhaften Desinfektor bezw. Pfleger oder Pflegerin.
Nun zu den Bazillenträgern: Im allgemeinen kann
man da sagen, daß leider die jetzige Gesetzgebung bezüglich
ihrer gesundheitspolizeilichen Behandlung etwas im Rückstände
ist, weil die großen Erfahrungen der letzten 10 Jahre in diesem
Punkte zur Zeit des Erlasses des Gesetzes zur Bekämpfung
übertragbarer Krankheiten noch nicht gemacht waren und des¬
halb nicht verwertet werden konnten. Die letzten energischeren
Verordnungen gegen die Bazillenträger in den Reichslanden,
die später genauer besprochen werden, sind endlich aus dem
Stadium der Ueberredung der Bazillenträger zur Handhabung
der Desinfektion ihres Körpers zum Schutz der Allgemeinheit
herausgetreten und bieten positive Vorschläge, die allerdings
vom bloß gesundheitlichen Standpunkte betrachtet, noch weit¬
gehender hätten sein können.
Die Frage, ob ein Typhusbazillenträger als krank anzu¬
sehen ist, kann nicht zweifelhaft sein. Nach Prigge behält
ein Teil der an Typhus Erkrankten typhöse Veränderungen
am Gallensystem über die scheinbare Genesung hinaus und wird
durch den Üebergang der Entzündung in ein chronisches Stadium
zu Dauerausscheidern. Es ist also eine Erkrankung der
Gallenwege als Rückstand vorheriger Typhuserkrankung vor¬
handen. Eine Zusammenstellung von Sektionsergebnissen von
Bindseil bei Dauerausscheidern ergab in den meisten Fällen
die Gallenblase als Wachstumsort der Bazillen. Meyer hat
1909 *) bei seinen Untersuchungen des Inhaltes operierter Gallen¬
blasen gefunden, daß bei einem großen Teil der Dauerausscheider
als Folge der Entzündung der Gallenblase ein schwerer lebens¬
gefährlicher Zustand, nämlich das Empyem oder ein solcher
Grad von akuter Gallenblasenentzündung entsteht, daß eine
Operation die einzige Aussicht auf Lebensrettung bietet.
Also ich wiederhole nochmals: Vom Standpunkt der
Aerzte und Medizinalbeamten sind die Dauerausscheider
als Personen mit kranker Gallenblase anzusehen,
die auf ihreUmgebung unter Umständen den Typhus
übertragen können.
Ich bin mir dabei wohl bewußt, daß die juristische Auf¬
fassung in diesem Punkte bei zu erlassenden gesetzlichen Be¬
stimmungen eine wesentlich andere sein kann.
Die arzneiliche Behandlung der Bazillenträger
ist, wie bekannt, bis jetzt sehr unbefriedigend gewesen, indem sie
höchstens zeitweilig ein Schwinden der Bazillen zur Folge gehabt
haben soll. Dabei bleibt immer noch der Zweifel, ob die Arznei
*) Siehe Klin. Jahrbuch; Bd. 22.
864
Dr. E. Richter.
gewirkt hat, oder ob man nicht gerade bei deren Anwendung,
den Zeitpunkt eines der bekannten Ausscheidungszeiten ge¬
troffen hat.
Wenn man aber die durch einen überstandenen Typhus
verbliebene katarrhalische entzündliche Störung der Gallenblase
und ihrer Ausführungswege als geeigneten Nährboden für das
Fortwuchern und Bleiben der Typhusbazillen ansieht, so liegt
es doch eigentlich nahe, dahin zu streben, den Nährboden so
zu verändern, daß die Bazillen auf ihm schlechter, oder gär
nicht mehr gedeihen, oder daß sie ihre ansteckenden Eigen¬
schaften ganz oder zum Teil verlieren. Der Versuch dazu
könnte mindestens gemacht werden durch systematische Be¬
handlung und Beobachtung einer Anzahl dahin gesendeter
Bazillenträger in Badeorten, die erfahrungsgemäß den Stoff¬
wechsel günstig beeinflussen. Es ist doch nicht unlogisch ge¬
dacht, durch Heilung und Herstellung der kranken Gallenwege
die Bazillen zum Schwinden zu bringen. Versuche sind meines
Wissens in dieser Richtung noch nicht gemacht, wenigstens
nicht mit der Absicht des Vertreibens der Bazillen.
Ich habe aus diesen Gründen entsprechende Anfragen an
sechs Kollegen in Badeorten, die großen Ruf für Heilung von
Stoffwechselkranken haben, geschrieben, auch nach einem be¬
rühmten Badeorte in Oesterreich. Die Antworten lauteten über¬
einstimmend dahin, daß zur ausgesprochenen Heilung von
Dauerausscheidern der Typhusbazillen überhaupt noch keine
Versuche gemacht seien. Aus einem der Antwortbriefe glaube
ioh sogar eine leise Abwehr gegen etwaige Uebersendung von
Dauerausscheidern in die Badeorte zwischen den Zeilen gelesen
zu haben.
Jedenfalls erscheint ein Versuch nach der genannten
Richtung hin doch wert, zur Ausführung zu kommen. Natürlich
wird er ziemlich kostspielig sein, indem die Bazillenträger für Zeit¬
verlust und etwaige Geschäftseinbuße, sowie für den Aufenthalt
im entsprechenden Badeorte entschädigt werden müßten. So¬
dann kommen noch die Kosten der ärztlichen Beobachtung,
und der bakteriologischen Untersuchungen sowie die Reise¬
kosten und dergl. hinzu.
Wenn ein praktischer Erfolg dabei herauskäme, d. h. die
Bazillenträger durch eine spezifische Kur geheilt werden könnten,
so kämen die Kosten überhaupt nicht in Frage gegenüber dem
Gewinne, den die Allgemeinheit davon hätte. Nach dem Be¬
richte von Uffelmann über die Fortschritte und Leistungen
der Hygiene im Jahre 1912 sind Erkrankungsfälle an Typhus
gesundheitspolizeilich gemeldet 12624, von denen 1889, also
14,9 °/ 0 verstorben sind. Die hohe Sterbezahl wird im genannten
Bericht durch die ausgedehntere Auffassung des Krankheits¬
begriffes „Typhus“ erklärt. Nun wird durchschnittlich die Zahl
der sich aus Typhusfällen entwickelnden Dauerausscheider auf
4—7 vom Hundert angegeben; es kämen also, wenn man auch
nicht die Höchstzahl rechnet, doch immerhin jährlich etwa
Vermeidbare Typhusfälle.
- 856
sechshundert heraus. Denkt man sich diese 10 Jahre lang
vermehrt, und nimmt als Absterbezahl ein Drittel an, so gibt
es in Deutschland immerhin einige tausend Dauerausscheider,
die ihre verhängnisvolle Wirkung in der Stille ausüben können,
wenn nicht Einhalt geboten wird. Es muß ja zugegeben werden,
daß die Gefahr der Dauerausscheider für das Publikum nach
Geschlecht, Lebensalter, Bildung, Gewöhnung an Reinlichkeit;
Berufstätigkeit und sonstiger Beschäftigung von fast gefahr¬
losem Dasein bis zu steter Gefahr sehr verschieden ist; gleich¬
wohl ist es nach Kenntnis der Sachlage endlich Zeit, aus der
bisherigen Bekämpfungsmethode der Dauerausscheider, die sich
— abgesehen von gewissen Maßregeln in Krankenanstalten.
eigentlich nur auf dem Gebiete der gütlichen Ueberredung
und Aufklärung bewegt, zu einer wirklich wirksamen Be¬
kämpfungsart zu gelangen, trotz aller nicht wegzuleugnenden
Bedenken, die auf juristischem und gesellschaftlichem Gebiete
liegen.
Im Jahrgang 1914 dieser Zeitschrift, Beilage zu Heft 23
sind die letzten Verordnungen des Königreiches Sachsen und
als damals der Zeit nach letzte die Waldeckschen Vorschriften
angeführt, die man an dieser Stelle nachlesen wolle. Seitdem
ist eine Verordnung des Bezirkspräsidenten in Lo¬
thringen vom 5. Oktober 1915 erlassen, die dem erstrebens¬
werten Ziele der Bekämpfung der Dauerbazillenträger einen
Schritt näher kommt. Sie findet sich Beilage zu Nr. 8 dieser
Zeitschrift, Jahrg. 1916, S. 23/24 und lautet :
„&) Die Anzeigepflicht der Typhusbazillenträger.
Auf Grund des Artikels 2 Ziffer 9 des Dekretes vom 22. Dezember 1789
sowie des Artikels 3 Ziffer 5 des Gesetzes vom 16./24. August 1790 verordne
ich was folgt:
§ 1. Jeder Wechsel der Wohnung und jeder Wechsel der Arbeitsstelle
sowie jeder Ersteintritt in eine solche seitens eines Typhusbazillenträgers ist
binnen drei Togen dem zuständigen Kreisärzte des Wohnortes oder der Arbeits¬
stelle anzuzeigen. Die Anzeige hat schriftlich nach nachstehendem Muster zu
geschehen, und muß die genaue Angabe von Wohnort, Straße, Hausnummer
oder die sonst übliche Bezeichnung der Wohnung enthalten, ln gleicher Weise
ist die Arbeitsstelle zu beschreiben.
§ 2. Die Anzeigeptlicht beginnt mit dem Tage der behördlichen Zu¬
stellung der Mitteilung an den Betreffenden, daß er auf die Liste der Typhus¬
träger gesetzt ist und erlischt mit dem Tage der Mitteilung über die erfolgte
Streichung.
§ 3. Zur Erstattung der Anzeige sind verpflichtet:
a) Die erwachsenen und in selbständigem Arbeitsveihältnisse befindlichen
Bazillenträger persönlich. Eheleute können sich vertreten, bei Behinderung
des einen Teils ist der andere zur Anzeige verpflichtet.
b) Die Eltern, Pflegeeltern, Vormünder oder der Haushaltungsvorstand für
Kinder und sonst unselbständige Mitglieder eines Haushaltes.
c) Die mit Führung der Aufnahmebücher betraute Person, für Insassen eines
Krankenhauses oder einer anderen Anstalt.
§ 4. Zuwiderhandlungen werden, sofern nicht nach den sonst bestehenden
Gesetzen eine höhere Strafe verwirkt ist, auf Grund des Artikels 471 Ziffer 15
des französischen Strafgesetzbuches bestraft.
§ 5. Die Verordnung tritt am 1. November 1915 in Kraft.
866
Dr. B. Richter.
Postkarte.
An den Herrn Kreisarzt za.
., den.1916.
1. Wohnung.
Name.Ort.Wohnung
verzogen nach
Ort.Wohnung.am
2. Arbeitsstelle.
arbeitet \ .. . •
ist in Stelle / 8611 . bei .
Name.Ort.Wohnung
früher bei
Name.Ort.Wobnung
Art des Geschlechts.
Unterschrift.
b) Vorschriften für Typhusbazillenträger.
1. Soweit es irgend möglich, soll stets derselbe Abort in der Wohnung
benutzt werden, weil der Ansteckungsstoff sich im Stuhl oder Urin befindet.
2. Der Abort ist stets peinlich sanber zu halten.
8. Auf dem Abort soll sich stets Papier befinden.
4. Nach jeder Stuhlentleerung, nach jeder Harnentleerung und vor jeder
Mahlzeit sind die Hände sorgfältig mit Wasser und Seife zu waschen. Es
empfiehlt sich, die Fingernägel kurz zu schneiden.
6. Der Bazillenträger soll ein Bett für sich allein und ein eigenes Hand¬
tuch benutzen.
6. Die gebrauchte Bett- und Leibwäsche ist gesondert von der Wäsche
der übrigen Wohnungsgenossen aufzubewabren und in Seifenwasser gut zu
kochen, bevor sie zusammen mit der übrigen Wäsche gewaschen wird.
7. Der Bazillenträger soll die Aufbereitung seinoe Bettes und das
hantieren mit der Wäsche nach Möglichkeit selbst besorgen. Wenn dies aus¬
nahmsweise durch eine andere Person geschieht, ist gewissenhaft darauf zu
achten, daß diese Person sich jedesmal nachher die Hände mit Wasser und
Seife wäscht.
8. Der Bazillenträger soll sich von der Herstellung und vom Verkauf
von Nahrungsmitteln unbedingt fern halten. Er soll auch die Speisebereitung
für seine Hausgenossen unterlassen.
9. Der bakteriologischen Anstalt iu Metz ist auf deren Ersuchen Stuhl
und Urin zur Untersuchung einzusenden.
10. Dem Kreisärzte ist Meldung zu machen
1. bei jedem Wohnungswechsel;
2. bei jedem Wechsel der Arbeitsstelle gemäß Bezirkspolizeiverordnung vom
6. Oktober 1916;
3. wenn die Abortgrube bis zu drei Vierteln gefüllt ist; rechtzeitige und
kostenlose Desinfektion wird veranlaßt werden/
In eine Kritik der Verordnung hier einzutreten, beab¬
sichtige ich nicht, obwohl auch sie die bei jetziger Lage der
Gesetzgebung unvermeidlichen schwachen Punkte hat. Der
hauptsächlichste davon ist, daß eine gesetzliche Bestimmung
nicht besteht, wonach nicht nur sämtliche anzeigepflichtige
Krankheitsfälle, sondern auch sämtliche Genesungsfälle in der
Form anzeigepflichtig gemacht werden, damit die Polizeibehörde
bezw. der Kreisarzt von allen Fällen, auch von den in der
privaten Praxis behandelten Fällen, Kenntnis erhält. Nur auf
dieser Grundlage läßt sieh die Angelegenheit der Bazillenträger
Vermeidbare Typbusfälle.
357
weiter ausbauen. Zum Schluß dieser Abhandlung werde ich
entsprechende Vorschläge machen und bemerke nur noch, daß
neuerdings auch von der Militärverwaltung sehr zweck¬
mäßige Vorschriften zur Behandlung von Typhusbazillenträgern
nach ihrer Genesung und Entlassung in die Heimat gegeben
sind, deren Beachtung den Zivilbehörden in den einzelnen
Bundesstaaten aufgegeben ist (siehe die Verordnung des Kriegs¬
ministers vom 6. April 1916 und die des preußischen Ministers
des Innern vom 21. Februar 1916; Beilage Rechtsprechung und
Medizinalgesetzgebung zu Nr. 6 und 10 dieser Zeitschrift,
Seite 27 und 57).
Daß neuerdings die Entdeckung gemacht ist, wonach es
Bazillenträger gibt, die nicht nur im Kot und Urin, sondern
im Munde Typhusbazillen beherbergen, soll nur der Vollständig¬
keit wegen erwähnt werden.
Ob die Typhusschutzimpfung, deren Nutzen in den
entsprechenden Berichten, namentlich in der Berliner klinischen
Wochenschrift in den Arbeiten von Goldächeider und Hüppe
als zweifellos wirksam für die ins Feld ziehenden Soldaten dar¬
gestellt wird, in Friedensverhältnissen stark in Anspruch ge¬
nommen werden wird, steht dahin. Wer vorsichtig ist, kann
den Typhuskranken daheim im Frieden aus dem Wege gehen,
was der Feldsoldat durchaus nicht immer kann, zumal er doch
fast niemals weiß, ob in den Quartieren, die er bezieht, nicht
vorher Typhuskranke gelegen haben. Gleichwohl verlangt
Hüppe auch im Felde als Voraussetzung für die Wirksamkeit
der Schutzimpfung hygienische Maßnahmen in bezug auf die
Umgebung des Lagers, Entwässerung, Entfernung der Abfall¬
stoffe und entsprechende Ernährung bis in die Schützengräben
hinein. In Friedenszeiten müßten entschieden auch die nötigen
Versuche und Untersuchungen von geeigneter Stelle gemacht
werden, ob die Typhusschutzimpfung etwa einen Einfluß auf
die Bazillenträger hat, insofern, als festgestellt wird, ob nach
der Impfung etwa die Bazillen schwinden, und wie lange sie
wegbleiben. Es müßte auch noch genauer festgestellt werden,
ob die verschiedenen Typhusstämme mehr oder weniger
empfindsam gegen die Schutzimpfung sich zeigen.
Alles in allem, der Kampf gegen die Wirksamkeit der
Typhusbazillenträger befindet sich bei der jetzigen Lage der
Gesetzgebung doch nur in den ersten Anfängen; er muß auf
eine feste gesetzliche Grundlage gestellt werden. Als solche
empfiehlt sich m. E. folgende:
1. Da Unterleibstyphus und Paratyphus zurzeit zu den
übertragbaren Krankheiten gezählt werden, deren Bekämpfung
und Verhütung den einzelnen Bundesstaaten obliegt, deren
Geneigtheit zu Geldopfern, die dabei unbedingt gefordert werden
müssen, doch nicht immer eine gleichmäßige sein wird, so
müßte zur Erzielung der Einheitlichkeit der Bekämpfung der
Typhus in die Reihe der Krankheiten versetzt werden, deren
868
Dr. E. Richter.
Bekämpfung und Abwendung vom Reich geordnet und ge¬
regelt wird.
Weiterhin müßte die Anzeigepflicht für alle Ge¬
nesungsfälle an Typhus eingeführt werden und zwar in der
Weise, daß jeder Arzt, der einen Typhuskranken privatim oder
in einem Krankenhause behandelt, verpflichtet wird, dessen
Genesung und Entlassung aus der Behandlung derselben
Stelle, wie die Erkrankung zu melden. Unter „Genesung“ ist
der Zeitpunkt zu verstehen, an dem der bisherige Typhuskranke
in seinen Beruf und seihe frühere Tätigkeit zurücktritt. Ob er
wirklich genesen, d. h. bazillenfrei ist, soll erst noch festgestellt
werden.
Jeder geheilte Typhuskranke wird in eine Liste einge¬
tragen und ihm ein Merkblatt für das Verhalten von
Bazillenträgern ausgehändigt. Es wird ihm außerdem die,
wenn nötig, polizeilich zwangsweise durchzuführende Verpflich¬
tung auferlegt, jeden Monat des ersten Vierteljahres nach seiner
Entlassung aus der Behandlung in festzustellenden Zwischen¬
räumen einmal Kot und Urin zur bakteriologischen
Untersuchung auf Typhusbazillen bereit zu stellen. Die
Abholung der zu untersuchenden Stoffe und deren Vorbe¬
reitung zur Verschickung an das nächste hygienische Unter¬
suchungsamt erfolgt durch einen dazu ausgebildeten Desin¬
fektor. Die Gefäße zur Versendung liefert durch Vermittelung
der Apotheke das Untersuchungsamt, mit dem entsprechende
Verträge abzuschließen sind. Natürlich müssen die schon be¬
kannten Typhusbazillenträger ebenso behandelt werden.
Ergibt die nach drei Monaten erfolgte dritte Untersuchung
der Abgänge, daß keine Bazillen mehr ausgeschieden werden,
so bekommt der Betreffende die Auflage, noch zweimal je nach
Ablauf von sechs Monaten Material zur bakteriologischen Unter¬
suchung in derselben Weise, wie früher, abzugeben. Er ist
jedoch zu verpflichten, etwaigen Wohnungswechsel der zu¬
ständigen Polizeiverwaltung anzuzeigen, die solche sodann dem
Kreisärzte des bisherigen Wohnsitzes, sowie auch dem für den
neuen Wohnsitz zuständigen Kreisärzte mitzuteilen hat, mög¬
lichst mit einem kurzen Bericht über Zeit der Erkrankung,
Beruf und das Ergebnis der bisherigen Untersuchungen.
Selbstverständlich sind diese Maßregeln mit dem nötigen
Takte und ohne jede unnötige Bloßstellung des Betreffenden
auszuführen.
Ergibt die also fünfte Untersuchung nach Ablauf von
15 Monaten Bazillenfreiheit, so ist der Betreffende nicht mehr
als Bazillenträger zu betrachten und sowohl aus der Beobach¬
tung zu entlassen, als von der Verpflichtung zu entbinden,
Kot und Urin zur Untersuchung einzusenden.
Die vorsichtige Benutzung der Abtritte, die Reinlichkeit,
die Waschungen der Hände nach jeder Stuhl- bezw. Urin¬
entleerung müssen gefordert werden; m. E. aber nicht in all¬
gemeinen Formen, die die Verhältnisse nicht genügend berück-
Vermeidbare Typhusf&lle.
359
sichtigen können. Hier muß vielmehr die Wirksamkeit des
Kreisarztes, der die Insassen seines Kreises in ihren Gewohn¬
heiten genau kennt, in Berücksichtigung ihrer Eigenart ein-
treten. Was nützen Vorschriften, die Benutzung des Wasser¬
spülklosetts und sonstiger Vorrichtungen im Auge haben und
auf den Groß- und MittelstäÜter zugeschnitten sind, dem bäuer¬
lichen Einwohner eines ost- oder westpreußischen Dorfes oder
einer Kleinstadt, die derartige Einrichtungen kaum dem Namen
nach kennen, ja, die vielleicht gewohnt sind, in der freien
Natur auf dem Felde oder in einer Hof- oder Gartenecke ihren
Kot und Urin abzusetzen? Hier hat also der Kreisarzt, dem
Begriffs-und Kenntnisvermögen der Kreisbewohner entsprechend,
die nötigen Maßregeln zu besprechen und anzuordnen.
Wo bei dauerndem Bestehen der Typhusbazillen-Absonde-
rung Berufswechsel in Frage kommt, muß dem Betreffenden
möglichste Erleichterung dazu von amtlicher Stelle gewährt
werden. Es braucht dies vielleicht nicht immer in einer Geld¬
leistung oder Unterstützung zu geschehen, sondern kann auch
in anderer Weise durch eine Anstellung oder dergl. ins Werk
gesetzt werden.
Die gefährlichen Berufe sind zunächst die, in denen
Bazillenträger mit Eß- und Trinkwaren, Milch, Back- und
und Konditoreiwaren, Gemüse jeder Art in Berührung kommen,
d. h. diese mit den Händen berühren müssen, also Bäcker,
Konditoren, Kellner und Kellnerinnen, Küchenarbeiterinnen und
Köchinnen, Gärtner und Gartenarbeiter, Brauknechte, Bedienstete
in Weinhandlungen, in zweiter Linie Menschen, die mit Dingen
handeln, die man an den Mund bringt, wie Kinderspielzeug,
Zigarrenspitzen und Pfeifen usw. Wer suchen will, wird leicht
noch die Reihen der angeführten Berufe vermehren können.
Die Berufe bieten verschiedene Gefahrenklassen. Während
z. B. ein reinlicher Kaufmann, ein Bankier oder ein Büroarbeiter,
falls er Typhusbazillenträger ist, höchstens einmal z. B. bei
Durchfall oder wenn er sonst durch Zufall sein Bett oder seine
Wäsche beschmutzt, seiner Waschfrau schädlich werden kann,
wenn sie die an der Wäsche klebenden Kotteile verstäubt und
einatmet, ist eine Kellnerin, die mit Typhusbazillen ver¬
unreinigten Händen ihren Gästen Bier, Wein oder Speisen
zuträgt, eine stete Gefahr für ihre Gäste, wenn diese nachher
zufälllig mit den Händen oder Lippen die Stellen des Geschirrs
berühren, wo sie angefaßt hat. Die Gäste brauchen sich dann
bloß mit der Hand Lippen und Mund zu wischen, oder Brot
anzufassen, das sie nachher verzehren, um sich bei einiger¬
maßen ungünstigem Zusammentreffen der Umstände auch einen
Typhus mit nach Haus nehmen. Nachforschung, woher? Er¬
folglos 1
Kommen wir einmal dahin, wie vorstehend angedeutet ist,
dann sind wir auch in der Lage, Typhusträger von gewissen
Stellungen, wenn nötig, zu entfernen, oder überhaupt gar nicht
in diese einrücken zu lassen.
860
Dr. E. Richter: Vermeidbare Typhosfälle.
Ich habe in einer früheren Arbeit erwähnt, daß eine
Schwester von der Tätigkeit in einem Feldlazarett zurück¬
gewiesen wurde, weil sie einmal Typhus gehabt hatte und den
Nachweis nicht erbringen konnte, daß sie bazillenfrei war. Die
logische Folge davon ist doch die, wenn wir die Zurückweisung
für richtig halten, daß in Zukunft Lazarette, Kranken¬
häuser jeder Art, Ausbildungsstätten für Pflegerinnen, Kran¬
kenpflegeschulen usw. von ihren Aerzten, Schwestern
und sonstigem Personal vor deren Eintritt die Beibringung eines
amtlichen Zeugnisses verlangen müßten, daß sie bazillenfrei
sind, damit sie für ihre Schutz- und Pflegebefohlenen nicht
eine stetige Gefahr bilden.
Außerdem müßte jeder neueingetretene Kranke auf seine
Eigenschaft als Typhusbazillenträger untersucht werden.
2. Wenn wir wissen, daß mit der Eigenschaft als Typhus¬
bazillenträger auch die Tatsache verbunden ist, daß die Gallen¬
wege der Betreffenden mehr oder weniger krank sind und
bleiben, so ist es notwendig, daß systematische Versuche
angestellt werden in den Bädern, die zur Heilung des Stoff¬
wechsels dienen, ob es nicht möglich ist, durch Aenderung des
Nährbodens der Typhusbazillen ihnen die Wachstums- und
Gedeihungsmöglichkeit zu entziehen. Es ist doch eigentlich
anzunehmen, daß mit der Heilung eines vom Typhus zurück¬
gebliebenen Krankheitszustandes auch die Bazillen schwinden
werden. Natürlich entstehen hier ziemliche Kosten 1. durch Ent¬
schädigung des Typhusträgers für entgangenen Geschäfts ver¬
dienst, 2. durch die Kosten des Aufenthaltes und der Kur in
einem Kurorte; aber wenn der Erfolg eintreten sollte, was
keineswegs ausgeschlossen ist, so kommen die Kosten dem
Nutzen der Kur für die Allgemeinheit gegenüber gar nicht in
Betracht.
Als Kurorte schweben mir vor: Karlsbad, Wiesbaden,
Homburg, Neuenahr und die ganze Zahl der Bäder, die jährlich
in ihren Anzeigen sich der Erfolge bei Stoffwechselerkrankungen
rühmen.
3. Es müssen auch systematische zahlreiche Untersuchungen
nach der Richtung hin angestellt werden, ob nicht die Typhus-
Schutzimpfung eine Einwirkung günstiger Art auf die Bazillen¬
träger ausübt, und das Schwinden bezw. Absterben der Bazillen
zur Folge hat. Bei der angenommenen Unschädlichkeit der
Schutzimpfung für die meisten Menschen und bei ihrem Zweck,
als Schutz zur Abwehr bzw. Ueberwindung der in den Körper
gelangenden typhösen Krankheitskeime, können ausgedehnte
Untersuchungen über die Wirkung der Schutzimpfung auf
bekannte Bazillenträger der Sache nur dienen. Die Versuche
müssen auch dahin ausgedehnt werden, ob der Schutz der
Impfung oder ihre Wirkung auf das Weiterbestehen der Bazillen
nur ungefähr sechs Monate dauert, wie es bei Gesunden jetzt
angenommen wird, oder ob sich die Wirkung, falls sie eintritt,
auf längere Zeiträume erstreckt.
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
361
4. Der Hinweis auf die Vorteile für die Krankenkassen,
die eine schnelle Ueberführung der typhusverdächtigen Kässen-
rnitglieder in Krankenhäuser für die Kassen selbst in Beziehung
auf den Geldpunkt und für die Allgemeinheit durch Ver¬
minderung der Ansteckungsgelegenheit bietet, könnte durch die
Oberversicherungsämter ganz allgemein geschehen, ebenso der
Hinweis an die Vorstände der Krankenkassen über entsprechende
Vereinbarungen mit den behandelnden Kassenärzten.
Wir haben es in den letzten Jahrzehnten erlebt, daß
Dinge, die erst als unausführbar galten, jetzt alltäglich sind,
Als z. B. in den Jahren kurz nach Erlaß des Impfgesetzes von
einem Kollegen in München der Vorschlag gemacht wurde, die
allgemeine Impfung mit Tierlymphe einzuführen, wurde ihm
unzweideutig dargelegt, daß er wohl eigentlich ins Irrenhaus
gehöre, und als die ersten tastenden Versuche für die jetzigen
Seuchengesetze gemacht, und in den Vereinen für öffentliche
Gesundheitspflege besprochen wurden — wer von den Aelteren
unter uns erinnert sich nicht der Entrüstung über den Eingriff
in die persönliche Freiheit der Kranken und Aerzte, den
die — Anzeigepflicht — bedeuten sollte 1 Wir haben im jetzigen
Kriege gesehen, was ein festes energisches Zugreifen ohne
Rücksicht auf den Geldpunkt in der Seuchenbekämpfung
zum Glück für uns bedeutet hat; — es ist keine schwere
Seuche im Lande zu größerer Ausdehnung gekommen. Die
im Kriege gewonnenen Erfahrungen sollten im Rahmen der
Friedensverhältnisse auch für uns maßgebend sein.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
A. Gerlohtliohe Medizin.
Neuere Erfahrungen über Kindesmord. Von Geh. Med.-Bat Prof. Dr.
Straß mann-Berlin. Zeitschrift für ärztliche Fortbildung; 1915, Nr. 24.
Beim Kindesmord handelt es sich fast immer um Personen, die bis dahin
gänzlich anbestraft sind and auch sonst, abgesehen von ihrem geschlechtlichen
Fehltritte, ein tadelloses Leben geführt haben, so daß sie in ihrer unglücklichen
Lage meist der Teilnahme wert erscheinen. Aerzte wie Gerichtsärzte nehmen
dagegen nicht selten von vornherein eine der Beschuldigten nicht günstige
Stellung ein, die zur unrichtigen Begutachtung des Falles führt, weil die Er¬
fahrungen an ärztlich geleiteten Geburten ohne weiteres auf die heimlich, ohne
sachverständigen Beistand erfolgenden übertragen werden. Man wird z. B. bei
heimlichen Geburten in hohem Grade mit der Möglichkeit einer Sturzgeburt,
einer Ohnmacht der Gebärenden, krankhaften Bewußtseinsstörungen, die zu
etwaigen Gewalttaten führen, rechnen müssen. Desgleichen sind manche
scheinbare Spuren äußerer Gewalt am Körper des Neugeborenen auf Wirkungen
des Geburtsvorganges zurückzufübren, z. B. Blutungen in die Nebennieren und
an anderen Stellen des Körpers, selbst Strangnarben durch Umschlingung der
Nabelschnur, natürliche Verknöcherungslücken und Spalten am Schädeldache
U8W., Erscheinungen, die auch bei ärztlich geleiteten Geburten beobachtet
werden. Zur auf klärenden Erläuterung werden von dem Verfasser 12 Fälle
aus seiner gerichtsärztlichen Tätigkeit mitgeteilt, darunter 2 Eimer- und
2 Klosettgeburten. Fünfmal war Schwächezustand nach der Geburt als Ursache
der Nichtversorgang der Neugeborenen angegeben, ln zwei Fällen hatten die
Beschuldigten Fremdkörper in den Mund des Kindes gesteckt; trotzdem erfolgte
ihre Freisprechung, weil die Geschworenen annahmen, daß dieses Hineinstecken
nicht eigentlich in der Absicht der Tötung, sondern nur in der Absicht geschehen
362
Kleinere Mitteilungen und Beferate aus Zeitschriften.
sei, das Schreien der heimlichen Geborenen und die Entdeckung der Geburt
zu verhindern. Bei einem Fall bot besonderes Interesse die Frage der Lebens¬
fähigkeit; es handelte sich hier um einen angeborenen Zwerchfellbruch, bei
dem sich Därme und Milz in der linken Brusthöhle befanden, die linke Lunge
ganz klein und apiastisch, die rechte luftleer war. Bpd.
Kriminelle Fruchtabtreibung mit besonderer Berücksichtigung der
Verhältnisse in Ostpreußen. Von Privatdozent Dr. Benthin. Deutsche
med. Wochenschrift; 1916, Nr. 18.
B. verfügt über ein Material von 7786 Aborten. Die Zahl der Ver¬
urteilungen wegen Abtreibung hat im ganzen Deutschen Reich von 1902 bis 1911
zugenommen; die absolute Zahl ist von 450 auf 800 gestiegen; ebenso offen¬
sichtlich ist der Anstieg bei Berechnung auf 100 000 Personen. Die Häufig¬
keit der kriminellen Aborte wird in Klinik und Praxis auf 12—13 # /o, iür
Halle auf 90°/o, für Moskau und Wilna auf 75°/o aller Aborte geschätzt. In
den großen Städten kommen artifizielle Aborte doppelt so häufig vor wie auf
dem Lande. In allen Ständen wird abgetrieben, von den Verheirateten nach B.’s
Feststellungen sogar mehr als von ledigen Personen. In mehr als der Hälfte
aller Fälle (61,7°/ 0 ) wurde die Abtreibung angeblich eigenhändig vorgenommen,
in 30,4 °/o (bezogen auf alle kriminellen Aborte in 14,8 °/o) hatte eine Hebamme
ihre Hand im Spiele, in 3 Fällen eine Pfuscherin, in 2 Fällen ein Arzt, in
3 Fällen der Bräutigam oder Ehemann. In Wirklichkeit ist der Prozentsatz,
in dem dritte Personen beteiligt sind, höher.
Morbidität und Mortalität der kriminellen Aborte sind recht hoch;
erstere beträgt 50°/o, letztere ll,4°/o. Jedenfalls sterben an den Folgen krimineller
Eingriffe viel mehr Frauen als im Kindbett bezw. am Kindbettfieber. Nach
komplizierten febrilen Aborten, die häufig kriminellen Ursprungs sind, bleiben
nur */* der Frauen beschwerdefrei. Nicht weniger als 22°/o von 60°/o
aller Frauen, die einen septischen Abort durchgemacht hatten und wieder
gesund geworden waren, abortierten! Physiologischerweise kommt für gewöhn¬
lich auf 8— 10 Geburten 1 Abort; hier ist das Verhältnis wie 5 zu 1 bezw. 2.
Interne Abtreibungsmittel oder äußerlich angewandte, wie Bäder, sind
an sich unschuldiger. Die größere Zahl der Schwercrkrankungen uud Todesfälle
ist instrumentcll bedingt; von 27 Todesfällen waren 8 mit Sicherheit auf die
Anwendung der Mutterspritze zurückzuführen. Die Abtreibungsmanöver sind
wegen der Infektions- und Verletzungsgefahr viel gefährlicher als innere
Abtreibungsmittel. Am ungünstigsten verlaufen die mit hämolytischen
Streptokokken infizierten Fälle; 80—90°/o dieser Aborte sind artifiziell erzengt.
An größeren Verletzungen sind nachgewiesen: Blasenverletzungcn (lmal durch
Mutterspritze), Perforation des Uterus und hinteren Scheidengewölbes, Ver¬
letzungen der Zervix, der Portio, der Arteria uterina. Die Gefahr der Ver¬
blutung tritt zurück; nur in 8—10°/o der Aborte sind lebensbedrohliche
Blutungen beobachtet
Ueber die Gründe der Fruchtabtreibung liegen B. in 503 Fällen
bestimmte Angaben vor. Es wurden beim Ansinnen, den Abort einzuleiten, geltend
gemacht in 30,4 °/o schlechte soziale Verhältnisse, in 28,8 # /o Kinderreichtum,
in 25,4 °/o Bequemlichkeitsgründe, in 4,9 °/o eigene Krankheit oder Krankheit
in der Familie, in 13,7 # /o Furcht vor Schande, in 1,3 °/« Furcht vor der Geburt
in 0,4 °/o Furcht vor kranker Nachkommenschaft.
Der Kampf gegen die Fruchtubtreibung kann nach B. nicht eher erfolg¬
versprechend geführt werden, als bis das Kurpfuscherverbot durch¬
geführt ist. Außerdem wird empfohlen: Die Anzeigcpfiicht für fieberhafte
„septische“ Aborte, das Verbot des Verkaufs auch zur Fruchtabtreibnng
geeigneter konzeptionsverhindernder Mittel (Mutterspritze, Intrauterinpessare),
die Beaufsichtigung des Hausierhandels und Inseratverbot ferner Hebung des
Hebammenstandes und Kontrolle der Privatentbindungsanstalten. „Auch hier
gilt cs zu handeln!“ Dr. B o e p k e - Melsungen.
Zur Kenntnis der Sektionsbefunde bei Pilzvergiftungen. Von Ass.-
Arzt I)r. Ernst Lyon- Berlin. Aus dem Pathol. Institut (Prof. Dr. L. P1 c k) und
der I. inneren Abteilung (Prof. Dr. Stadelmann) des städt Krankenhauses
im Friedricbshain (Berlin). Medizinische Klinik; 1916, Nr.9 und 10.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
363
Die Sektionsbefunde bei den Vergiftungen durch die einzelnen Pilzarten
stimmen keineswegs überein. Beider Fliegenpilz- (Amanita muscaria) Ver¬
giftung finden sich keinerlei Veränderungen, die auf Blutdissolution durch das
Pilzgift hinweisen, nur geringer Magen-Darmkatarrh und Verfettung der Organe.
Bei der Vergiftung mit dem Knollen blätterschwamm (Amanita phalloides
seu bulbosa) findet sich nach einigen Autoren ausgesprochene Haemolyse, nach
anderen nicht. Das Fehlen von Ikterus und Haemoglobinurie ist kein Beweis
für das Fehlen von Blutzerstörungen. Neben dem hämolytisch wirkenden
Phallin kommen wohl noch andere Alkaloide in Betracht. Es finden sich eine
Leberverfettung wie bei der Phosphorvergiftung, fettige Degeneration der
Nieren, des Herzmuskels und der Skelettmuskulatur, Ekchymosen in den serösen
Häuten und zahlreichen Organen, Schwellung der Pey er sehen Plaques, soli¬
tären Follikel und Mesenterialdrüsen. Die pathologisch - anatomischen Befunde
bei einer Kombination von Vergiftung mit Amanita phalloides und Russula
emetica (Speiteufel) und bei Intoxikation mit Russula emetica allein
stimmen ziemlich mit den bei Knollenblätterschwamm beschriebenen Verände¬
rungen überein. Ueber Vergiftungen aus der Gruppo Lactarius und von
Agaricus torminosus (Giftreizker) ist nichts Typisches bekannt.
Die durch die Morchel (Helvella exulenta) hervorgerufenen Vergiftungen
zeigen die Wirkung eines Blutgiftes. Die hämolytische Wirkung kommt der
Helvellasäure zu; daneben kommt noch ein Gift mit Wirkung auf das Zentral¬
nervensystem in Betracht. Nach Bostroem ist nur die Schwellung und
Hyperämie der Milz und Nieren besonders bemerkenswert, außerdem bestehen
Fettleber und geringer Ikterus. Ausführliche Befunde erhob durch histologi¬
sche Untersuchung Lövegren; n. a. fanden sich Symptome des Blutzerfalls,
während Haemoglobinurie fehlte. Nach Tierversuchen entsteht eine Haemo-
siderosis der Niere. Bei der Morchelvergiftung ist daher die Hämolyse mit
ihren klinischen und anatomischen Folgen sicher.
Verfasser berichtet über einen Fall von Pilzvergiftung, der erst durch
die Sektion aufgeklärt wurde. Es handelte sich um einen klinisch und patho¬
logisch genau beschriebenen Fall, der protrahiert mit starker Haemolyse ein¬
herging. Wie sich durch die Anamnese nachher feststellen ließ, hatten sich die
Erscheinungen akut an den Genuß von Pf eff erlin gen (Cantharellus cibarius)
angeschlossen. Es ergab sich bei der Sektion folgendes: Kolossale Haemoside-
rosis der Nieren, ausgedehnte Pigmentierung der Leber und Milz, Thrombose
der intrahepatischen Aeste der Lebervenen, des Milzvenenstammes, des Sinus
sagittalis sup. und der Pialvenen über der linken Großhirnkonvexität (mit aus¬
gedehnter Erweichung im 1. Hinterhauptlappen. Die Pigmentierung der Nieren
(Haemosiderosis), Leber und Milz und die Thrombosierung der Venen sind
Folgen der durch das Pilzgift bewirkten Haemolyse. Unter den bekannten
Pilzgiften dürfte wohl am ehesten das Morchelgift in Frage kommen.
Dr. L. Q u a d f 1 i e g - Gelsenkirchen.
Denkschrift über die Errichtung kriminalistischer Institute. Deutsche
Strafrechts -Zeitung; 1916, Sonderbeilage zu Nr. 1/2.
Die in Nr. 5 dieser Zeitschrift 8. 149 kurz erwähnte Denkschrift über
die Errichtung kriminalistischer Institute, die von Regierungsrat Dr. Lindenau,
Geh. Justizrat Prof. Dr. v. Liszt und Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Strassmann
vor kurzem dem preußischen Unterrichtsministerium eingereicht ist, liegt jetzt
im Wortlaute vor. Nach einem kurzen Ueberblick über die bisherige Ent¬
wicklung der Strafrechtswissenschaft und ihre Hilfswissenschaften: Ge¬
richtliche Chemie und Medizin, Kriminalpsychologie als Verhörlehre und Krimi¬
nalistik, wird die große Bedeutung dieser Nebenwissenschaften für die Beweis¬
lehre hervorgehoben und erwähnt, daß schon verschiedene Kulturstaaten (die
Schweiz, Oesterreich, Frankreich, Rußland und Italien, in neuester Zeit auch
Ungarn) dieser Forderung durch Errichtung kriminalistischer Institute, die
eine der Neuzeit entsprechende Reform des strafrechtlichen Unterrichts er¬
möglichen, Rechnung getragen haben. Sollen die Ergebnisse der Kriminalogie
und K riminali stik Gemeingut der Rechtspflege werden, so müssen die Grund¬
lagen bereits der studierenden Jugend übermittelt werden und die Universität
die Trägerin dieses Unterrichts sein. Eine unerträgliche Ueberlastung des
Studienganges ist davon nicht zu befürchten, der aus dem fesselndsten Lebens-
364
Kleinere Mitteilungen un Referate ans Zeitschriften.
g ebiete geschöpfte rein praktische Unterrichtsstoff wird vielmehr fttr die
tudenten eine willkommene Zukost zu den trockenen Rechtsdisziplinen bilden.
Der Wert der strafrechtlichen Hilfswissenschaften darf weiterhin nicht für den
zukünftigen angehenden Verwaltungsbeamten, für den Mediziner, besonders fÜT
den beamteten Arzt und Gerichtsarzt nicht unterschätzt werden. Aber auch
Uber das Universitätsstudium hinaus muß boi allen an der Strafrechtspflege
beteiligten Rechts- und Verwaltungsbehörden volles Verständnis für die Lehren
der Kriminalogie und Kriminalistik verlangt werden. Die Uebermittlung dieser
Kenntnis ist nur durch die Errichtung von Spezialanstalten möglich, deren
Lehrkörper zweckmäßigerweise jedoch nicht ausschließlich aus Universitäts¬
lehrern, sondern auch aus geeigneten Kräften der Staatsverwaltung, besonders
der Polizeiverwaltung, oder sonstigen Vertretern der Praxis zusammengesetzt
wird. Für den Anfang würde sich die Einrichtung von Spezialknrsen in solchen
Großstädten empfehlen, die in den Einrichtungen einer modern ausgestatteten
Kriminalpolizei und den Lehrkräften wie Lehrinstituten einer Universität alle
Elemente enthalten, aus denen sich die Kriminalkursc zusammensetzen. Als
Beispiel für die Art der Durchführung der geforderten Einrichtung werden der
Eingabe dann die Berliner Verhältnisse zugrunde gelegt; hier verfügt die
Kriminalpolizei in der Abteilung für den Erkennungsdienst über ein vorzüg¬
liches Lehrmaterial (Kriminalmuseum, Handschriftensammlung, kriminalisti¬
sche Bibliothek, Kriminalarchiv, Hilfsmittel der Personenidentifikation); auch
ein chemisches Laboratorium ist vorhanden. Weiterhin kommen in Berlin
das kriminalistische Institut der dortigen Universität und vor allem die Unter¬
richtsanstalt für Staatsarzneikunde mit dem damit räumlich verbundenen Leiohen-
schauhause mit ihrem außerordentlich reichen Material als heranzuziehende
Lehrinstitute in Betracht. Eine räumliche Vereinigung aller dieser Institute
sei vorläufig gar nicht erforderlich; es lasse sich auch ohnedem ein Kriminal¬
institut schaffen, und zwar zweckmäßig in Verbindung mit einer Universität,
da es vorwiegend Unterrichts- und Forschungszwecken dienen soll. Abgesehen
von seiner Aufgabe als Unterrichtsanstalt für Studierende ist das Institut
namentlich zur Abhaltung von Fortbildungskursen für Staatsanwälte, Richter,
Polizeibeamte, Gerichtsärzte usw. nutzbar zu machen. Die Unkosten würden
jährlich keineswegs sehr erheblich und auf nicht mehr als 20000 Mark zu
schätzen sein. Rpd.
B. Qerlohtllohe Psyohiatrie.
Neuere Erfahrungen Uber Familienmord in gerichtlich-psychiatrischer
Beziehung. Von F. Straßmann. Vierteljahrschrift für gerichtliche Medizin
und öffentliches Sanitätswesen; 3. Folge, I. Bd., 1. H., 1916.
Verfasser teilt zunächst einen Fall von einem sogenannten „Familien¬
mörder" mit, der durch eine Anzahl von Schüssen seine 75jährige Großmutter
und deren Schwester getötet sowie seinen ebenfalls 76jährigen Großvater
schwer verwundet hatte. Es handelte sich hier um einen 32 Jahre alten Haus¬
eigentümer, der von Mutter und Vater her erblich schwer belastet war, schon
immer Zeichen von krankhafter psychopathischer Anlage (Unstetheit, Berufs-
losigkeit, absonderliche Lebensweise, abnorme Entwicklung) gezeigt hatte, auf
deren Boden sich dann im Verlauf der letzten Jahre allmählich eine ausge¬
sprochene Geisteskrankheit (Paranoia) entwickelt hatte. Sie bildete die Ursache
seiner teils einen hypochondrischen, teils persekutorischen Charakter zeigenden
Wahnideen; namentlich wurde er von Verfolgungsideen beherrscht, die ihn
schließlich zu seiner verhängnisvollen Tat führten. Str. erklärte ihn daher
als zurechnungs- und verhandlungsunfähig; infolgedessen wurde das Strafver¬
fahren gegen den Angeklagten eingestellt und seine Unterbringung in eine
Irrenanstalt wegen gemeingefährlicher Geisteskrankheit veranlaßt; hier
wurde Dementia paranoides festgestellt. — Die beiden anderen mitgeteilten
Fälle betreffen sogenannten „erweiterten Selbstmord“, in dem das
ursprüngliche Motiv der Selbstmord bildet und die Tötung der anderen — in
der Regel kindlicher — Familienmitglieder durch Vater oder Mutter geschieht,
um sie nicht hilflos und allein zurückzulassen. In dem einen Fall handelte es
sich um eine zarte, geistig debile, in unglücklicher Ehe lebende Frau, der ihr
Ehemann am Tage der Tat Schläge mit einem Stuhl auf den Kopf und Körper
versetzt hatte, und die danach in ihrer Verzweiflung beschlossen hatte, Ult
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
865
ihrem Kinde (durch Oeffnung der Gasbähne) aus dem Leben zu scheiden, was
ihr jedoch nicht gelang. Bei dem anderen derartigen Fall waren die Ver¬
hältnisse fast die gleichen, nur war hier der mitvergiftete V/* Jahre alte Knabe
gestorben. Dem Verfasser wnrde infolgedessen die Frage vorgelegt, ob und
eventuell in wieviel Zeit nach dem Anfdrehen der Gashänne in der Küche der
Knabe an Gasvergiftung gestorben sei? In beiden Fällen ist es nicht zu einer
Verurteilung der Angeklagten gekommen. Bpd.
Zur Prophylaxe der Roheltsverbrechen und militärischen Vergehen
unter besonderer Berücksichtigung der Kriegszelt. Von Sanitätsrat Dr.
Bonne- Hamburg, Oberstabsarzt d. Bes.
Nach den Erfahrungen, die Heusch gemacht hat, sind am Kriegsgericht
47—67°/«, beim Standgericht 38—100°/«, bei den disziplinarisch erledigten
50—62°/o aller Fälle unter dem Einflüsse des Alkohols zustande gekommen;
davon entfallen 55—70 °/o, 50—80 °/o bzw. 60—81% auf Sonn- und Feiertage. Ver¬
fasser hat ebenfalls untersucht, inwieweit diese Roheits verbrechen und Widersetz¬
lichkeiten gegen die Staatsgewalt durch den Alkoholgenuß bedingt sind. Er hat
dabei wieder die von allen Psychiatern festgestellte Beobachtung gemacht, daß
sie viel öfter auf akute Alkoholvergiftung als auf chronischen Alkoholismus
zurttckzufflhren sind, und außerdem hauptsächlich zwei Umstände in Betracht
kommen: Die durch die alkoholische Vergiftung bewirkte Lähmung der durch
Erziehung, Elternhaus, Disziplin usw. erworbenen Hemmungen und die erhöhte
Suggestibilität, die durch Lähmung der Peripherie des Bewußtseins herboi-
geführt wird. Empflndungsreize wirken als auslösende Momente für die erhöhte
Aktivität; auch Erinnerungsbilder und sonstige Beize lösen im Zustaode be¬
ginnender Gehirnlähmung Tätlichkeiten, Abwehrakte usw. aus. Solche Ab¬
wehrakte scheinen zwar, namentlich für den Laien, in bewußtem Zustande und
in zweckmäßiger Weise vor sich zu gehen, in Wirklichkeit sind sie aber den
automatisch mit Schimpfen, Fluchen usw. einhergehenden Abwehrbewegungen
der Chloroformierten gleichzustellen.
Gleiche Mengen Alkohol wirken bekanntlich zu verschiedenen Zeiten
sehr ungleich auf denselben Menschen; um so gewissenhafter sind deshalb
Rauschzustände bei diesen Leuten, die jetzt für unser Vaterland gekämpft
und gedarbt haben und deren Nerven aufs schwerste erschüttert sind, zu be¬
urteilen: Eine auffallende Widerstandslosigkeit gegen Alkohol und jedes an¬
dere Narkotikum haben Verwundete.
Das beste Vorbeugungsmittel gegen militärische Vergehen, Widersetz¬
lichkeiten und Roheitsverbrechen wurde von der obersten Heeresleitung durch
das Alkoholverbot zur Zeit der Mobilmachung getroffen; leider ist dies in der
Folgezeit nicht in vollem Umfange aufrechterhalten. Ebenso wie wir gegen
die Infektionskrankheiten eine wirksame Prophylaxe treiben, ist nach Ansicht
des Verfassers auch eine solche gegen dje Boheitsverbrechen usw. weiterhin er¬
forderlich. Als Vorbeugungsmaßr egeln schlägt er vor:
1. Verbot des Branntweinverkaofs und Branntweinauschankes.
2. Verbot des Brauens oder eine wesentliche Erhöhung der Biersteuer
der über 1—1 ‘/» # /« Alkohol enthaltenden Biere.
3. Eine staatlich durebgeführte Polizeistunde.
4. Durchführung der Schließung der Animierkneipen und des unnach-
sichtlichen Verbotes des Ausschanks berauschender Getränke in den Bordellen.
5. Verkauf von Obst und alkoholfreien Getränken in sämtlichen Wirt¬
schaften und Hinweis darauf durch entsprechenden Anschlag.
6. Hohe Geldstrafe und im Wiederholungsfälle Gefängnisstrafe und
Konzessionsentziehung sind demjenigen Wirte aufzuerlegen, in dessen Lokale
eine Rauferei stattfand oder der Täter sich in den Zustand hineintrank, in
dem er im Wirtshause oder nach dessen Verlassen die Tat beging.
7. Aufklärung sämtlicher Soldaten vor ihrer Entlassung in die Heimat.
8. Systematische Belehrung der Schüler und Schülerinnen aller Schulen
über die Schädlichkeit der berauschenden Getränke.
Diese Vorbeugungsmaßregeln sind besonders erforderlich mit Rücksicht
auf die nach Beendigung des Krieges mit erschöpften und überreizten Nerven
ans dem Felde zurückkehrenden Krieger; werden sie schrankenlos wie bisher
366
Kleinere Mitteilungen and Referate atu Zeitschriften,
dem Genüsse der geistigen Getränke ansgesetzt, so iBt eine erschreckende Zu¬
nahme der Roheitsverbrechen and schwerer Körperverletzungen voranszusehen.
Aufklärungen und Warnungen sind zur wirksamen Bekämpfung des
Alkoholismus nicht ausreichend; hier müssen wirksamere Mittel getroffen und
die zu diesem Zwecke erlassenen Verordnungen streng ohne Rücksicht auf Ge¬
wohnheiten und Vorteile oder auf die Angriffe und Eingaben der Alkoholindustrie
mit der gleichen Schärfe und Gradheit durchgeführt werden, mit der China
den Opiumhandel unterdrückt hat. Rpd.
Die Anrechnung des Aufenthaltes In einer Irrenanstalt auf die
Strafzeit. Von Reichsgerichtsrat W. Rosen b e r g - Leipzig. Deutsche Straf¬
rechts-Zeitung; 1916, Heft 1/2.
Dem z. Z. für die Anrechnung des Aufenthaltes in einer Irrenanstalt
auf die Strafzeit maßgebende § 493 der Str.P. 0. hat trotz seiner klaren
Fassung zu manchen Zweifeln und Streitfragen Anlaß gegeben. Er schreibt
bekanntlich vor, daß diese Anrechnung erfolgen soll, wenn-ein Verurteilter,
nach Beginn der. Strafvollstreckung wegen Krankheit in eine von der Straf¬
anstalt abgetrennte Krankenanstalt gebracht ist. Die herrschende Ansicht
nimmt nun an, daß keine Anrechnung stattzutindeu hat, sobald der Straf¬
vollzug von der zuständigen Behörde unterbrochen wird. Rosenberg hält
diese Ansicht weder für berechtigt, noch im Einklang stehend mit dem Stand¬
punkt des Reichstagsabgeordneten Dr. Zinn, auf dessen Veranlassung seiner
Zeit die Vorschrift des § 493 der Straßprozeßordnung eingefügt ist. Er wollte
dadurch ein bisher im Deutschen Reiche nicht vorhandenes einheitliches Ver¬
fahren in diesen Fällen erreichen und zwar in der Richtung, daß eine An¬
rechnung des in der Anstalt zugebrachten Aufenthaltts auf die Strafzeit statt-
znfinden habe, da durch die (Jeberführung des Verurteilten in diese der
„Zustand der tatsächlichen Freiheitsentziehung“ fortbestehe.
Das jetzt übliche Verfahren der Nichtanrechnung entspricht auch nicht der
Billigkeit, weil sie von ganz zufälligen Umständen (z. B. von dem Vor¬
handensein einer besonderen Abteilung für Geisteskranke in einer Strafanstalt)
abhängig ist. Rosenberg ist deshalb für die Anrechnung, die bekanntlich
auch von dem Deutschen Medizinalbeamtenverein bei Beratung des Strafgesetz¬
entwurfs auf den Hauptversammlungen in Danzig und Heidelberg (1904 und
1906) als billig und notwendig befürwortet ist. Rpd.
O. S&ohveratändlgentätlgkelt ln Unfall- und Invalidität!- und
Krankenveralohernngsaaohen.
Badeunfall von Arbeitern Innerhalb des Betriebes können nicht
ohne weiteres als Betriebsunfälle angesehen werden. Entscheidung
des Reichsversicherungsamtes vom 11. Dezember 1915. •
Ein Arbeiter B. war beim Baden im Kondensationsbassin der Fabrik
verunglückt. Das Reichsversicherungsamt hat den Unfall mit folgenden
Gründen nicht als Betriebsunfall anerkannt:
Unfälle, von denen Arbeiter beim Baden betroffen werden, können als
Betriebsunfälle unter der Voraussetzung anerkannt werden, daß sich die Not¬
wendigkeit der körperlichen Reinigung aus der Natur des Betriebes ergibt und
daß die Reinigung in örtlichem und zeitlichem Zusammenhang mit dem Betrieb
unter Benutzung einer Betriebseinrichtung erfolgt. Zu diesen Voraussetzungen
tritt aber die weitere, daß die Reinigung in angemessener Weise erfolgt. Der
Arbeiter, der ein von vornherein mit besonderer Gefahr verbundenes Vollbad
nimmt, wo eine teilweise KörperreiniguDg vom Betriebsschinutz genügt hätte,
tritt aus dem versicherten Betriebe heraus. Dieser Fall ist hier gegeben, wo
ein zum Betriebe gehöriges Kondensationsbassin vom Arbeiter B. benutzt
worden ist. Daß die Benutzung eines solchen Bassins den Beteiligten als
gefährlich erscheinen mußte, kann keinem Zweifel unterliegen. Ein Zeuge hat
seine Mitarbeiter noch ausdrücklich vor der tieferen Stelle der Bassins gewarnt
und geraten, sich nur an der Stelle des Bassins abzuspülen, wo sie in dieses
hinuntergestiegen waren; er hat den Verunglückten und die beiden anderen
on neuem gewarnt, als sie plötzlich in dem Bassin — das ungefähr 15 Meter
lang ist — za schwimmen antingen. Wenn also wirklich, wie die Kläger be-
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
367
haupten, eine Reinigung zu jener Zeit unbedingt erforderlich gewesen wäre —
nach Angabe eines Zeugen war der Zweck des Badens nur auf Abkühlung
gerichtet — so wäre doch die Art der Reinigung weit über das gebotene Maß
hinausgegangen. Da der Arbeiter mithin bei einer eigenwirtschaftlichen Tätig¬
keit verunglückt ist, so konnte das Vorliegen eines Betriebsunfalles nicht
anerkannt werden.
(Sächsische Korrespondenz; Nachdruck nur mit deren Genehmignng gestattet.)
Unbefugtes Offenbaren der Krankheit eines Versicherten nnd ihrer
Ursachen fm Sinne des § 141 R.V.O. liegt durch die Mitteilung einer
Krankenkasse hierüber an die Landesversicherungsanstalt nicht vor.
Verfügung des Reichs Versicherungsamts vom 8.März 1916 an
den Vorstand der Landesversicberungsanstalt Oldenburg und den Vorständen
sämtlicher Landesversicherungsanstalten zur Kenntnisnahme mitgeteilt.
Das Reichsversichcrungsamt tritt dem Vorstand in der Auffassung bei,
daß es als ein unbefugtes Offenbaren der Krankheit eines Versicherten nnd
ihrer Ursachen im Sinne des § 141 der R.V. 0. nicht zu erachten ist, wenn
eine Krankenkasse einer Landesversicberungsanstalt hierüber eino Mitteilung
zugehen läßt. Wenngleich im Binzelfalle die ordentlichen Qerichte zu ent¬
scheiden haben, glaubt das R. V. A. gleichwohl im Hinblick auf die Bedeutung
dieser Rechtsfrage seine Ansicht hierzu äußern zu müssen.
Der den bisherigen Versicherungsgesetzen fremde § 141 ist dem § 300-
des Strafgesetzbuchs nacbgcbildet und bezweckt wie dieser den Schutz von
Privatgeheimnissen. Er soll, wie die Begründung zu § 164 des Entwurfs der
R. V. 0. ergibt, eine Lücke ausfülien, die sich in der Praxis mehrfach unliebsam
fühlbar gemacht hat. In der Tat kann eine Verbreitung von Mitteilungen
über den Gesundheitszustand eines Versicherten gegenüber nn berufenen dritten
Personen nachteilig werden, mag auch die Absicht einer Schädigung bei dem
Verbreiter der Nachricht fohlen. Anderseits ergeben die Verhandlungen der
Reichstagskommission über die Beratung der Reichsversicherungsordnung (Teil I
Seite 241 ff.), daß dem Gesetzgeber eine mißbräuchliche Ausdehnung der
Schweigepflicht ferngelegen bat. Die Grenze soll durch das Wort „unbefugt"
gezogen werden, das zwar nach den bei der Kommissionsberatung zutage
getretenen Ansichten verschiedener Deutung fähig, durch einen schärferen Ans-
drack aber kaum zu ersetzen ist. Von einem unbefugten Offenbaren kann hiernach
keinesfalls die Rede sein, wenn der Versicherte der Mitteilung zuge¬
stimmt hat, wie dies häufig der Fall ist, wenn eine Krankenkasse im Aufträge
des Versicherten bei der Landesversicberungsanstalt die Uebernahme eines
Heilverfahrens, z. B. die Unterbringung in einer Lungenheilstätte, anregt. Ein
unbefugtes Offenbaren ist aber aucn dann nicht gegeben, wenn entweder eine
gesetzliche Vorschrift von der Schweigepflicht entbindet (§ 1674 Abs. 1 Satz 2
der R.V.O.) oder sogar eine Anzeigepflicht festsetzt, wie dies durch das
Reichsgesetz, betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom
30. Juni 1900 und durch das preußische Gesetz vom 28. August 1906, betreffend
die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten geschehen ist. Berühren auch
diese seuchenpolizeilichen Gesetze die Träger der Arbeiterversicherung nicht
unmittelbar, so verdient doch hervorgehoben zu werden, daß der im Jahre 19 <9
erschienene Vorentwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch (Seite 730) über
den Rahmen jener Gesetze hinaus greifend ein unbefugtes Handeln auch dann
verneint, wenn das Schweigen im allgemeinen Staatsinteresse — etwa zur
Verhütung der sonst drohenden Verbreitung von ansteckenden Krankheiten —
gebrochen wird. Endlich gilt nach der von der Kommission ohne Widerspruch
entgegengenommenen Erklärung des Staatssekretärs des Innern (Kommissions¬
bericht Seite 244) eine Mitteilung auch dann als befugt, wenn sie unmittelbar
für die Zwecke des Gesetzes, insbesondere also in Ausführung amt¬
licher Aufgaben erfolgt.
Diese Voraussetzungen sind unbedenklich gegeben, soweit es sich um
Mitteilungen von Krankheitsfällen seitens der Krankenkassen an die
von den Landesversicherungsanstalten zu errichtenden Beratungsstellen
für Geschlechtskranke handelt. Denn der Zweck dieser Einrichtung, die fort¬
laufende Ueberwachung solcher Personen und die Herbeiführung ihrer recht-
368
Kleinere Mitteilungen and Beferate ans Zeitschriften.
zeitigen and gründlichen Heilung liegt gleichmäßig im Interesse der Träger der
Kranken- and der Invaliden- and Hinterbliebenenversicherang and dient somit
den Zwecken des Gesetzes. Aach geschieht.die Mitteilung in Erfüllung
amtlicher Aafgaben, da § 116 der B.V.O. die Organe der Versicherangsträgor
verpflichtet, einander Rechtshilfe nach Maßgabe des § 115 a. a. 0. za leisten. Unter
den Begriff der Rechtshilfe fallen aber auch Auskünfte über die persönlichen Ver¬
hütnisse der Versicherten, soweit sie dem ersuchten Versicherungsträger amtlich
bekannt geworden sind, also auch über Krankheiten and ihre Ursachen. Die
Versicherungsträger bedürfen dieser Mitteilung zur Durchführung ihrer Aufgaben
(za vergleichen der Kommentar von Hanow zum Ersten Buch der R. V.O.,
3. Auflage Anmerkung 3 zu § 141). Eines Ersuchens der Landesversicherungs¬
anstalt im Sinne des § 115 a. a. 0. im einzelnen Falle bedarf es nicht. Diesem
Erfordernis könnte auch in der Praxis nicht genügt werden, da ja die Namen
der Beteiligten der Landesversicherungsanstalt erst bekannt werden sollen. Die
Ermächtigung der Krankenkassen zur Auskunfterteilung über die vorkommenden
Erkrankungsfälle kann vielmehr auch auf einer allgemeinen Vereinbarung der
beteiligten Versicherongsträger beruhen. Infolgedessen kann dahingestellt
bleiben, ob die Krankenkassen auch befugt wären, den Landesversicherungs¬
anstalten unaufgefordert derartige Mitteilungen zukommen zu lassen. Aus
der Tatsache, daß eine entsprechende Vorschrift des Entwurfs der R. V. 0. (§ 128
Abs. 2), die sich an das frühere Recht (§ 144 des Gewerbe-Unfall-Versicherungs-
Gesetzes, § 172 des Invalidenversicherungsgesetzes) anlehnte, von der Kom¬
mission gestrichen worden ist, könnte die Unzulässigkeit freiwilliger Mitteilungen
nicht gefolgert werden. Denn die Vorschrift ist, wie der Kommissionsbericht
a. a. 0. Seite 211 ergibt, nur deshalb gestrichen worden, weil man den öffent¬
lichen Behörden eine so weitgehende Verpflichtung nicht auferlegen wollte,
während die Interessengemeinschaft der Versicherongsträger es erheischt, auch
unaufgefordert für die Gescbäfsführung wichtige Tatsachen sich gegenseitig
mitzuteilen. _ (Kompaß; 1916, Nr. 8.)
Unfall- und Invalidenversicherung tm Jahre 1915. Amtliche Nach¬
richten des Reichs-Versicherungsamts; 1916, Nr. 2.
Nach dem Geschäftsbericht des ReichsVersicherungsamts für das Jahr
1915 bestanden auf dem Gebiete der Unfallversicherung 117 Berufs-
genossenschaften und 563 Ausführungsbehörden mit insgesamt 6821789
Betrieben und rund 28 Millionen versicherten Personen. Nach einer
vorläufigen Ermittlung belief sich die Zahl aller im Jahre 1915 bei den Trägern
der Unfallversicherung angemeldeten Unfälle auf 599360, die der erstmalig
Entschädigten auf 106 527. Die im Jahre 1915 gezahlten Entschä¬
digungen (Renten usw.) betrugen nach einer vorläufigen Ermittlung
178818705 M., die an 1108825 Personen gezahlt wurden.
Die Frühbehandlung Unfallverletzter bildet nach wie vor den
Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit des R. V. A. Auch im Berichtsjahre
haben die Träger der Unfallversicherung in zahlreichen Fällen das Heilver¬
fahren innerhalb der Wartezeit übernommen.
Nach eingehenden Beratungen mit Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft
zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, Vertretern der ärztlichen Organi¬
sationen und der Krankenkassen wurden zur Durchführung der Bekämpfung
der Geschlechtskrankheiten in einer Versammlung von Vertretern der
Versicherungsanstalten und Sonderanstalten im Reichsversicherungsamt am
14. Dezember 1915 bestimmte Leitsätze angenommen.
Invaliden- nnd Hlnterbliebenenversicherung:
Die Gesamtzahl der bis zum 31. Dezember 1915 festgesetzten Renten
beträgt nach den vierteljährlichen Nachweisungen der Versicherungsträger
3416001. An Entschädigungen aus der Invaliden- und Hinterbliebenenver-
sicberung wurden im Jahre 1914 234004843 M. gezahlt. Der Gesamtbetrag
der bis Ende 1914 überhaupt gezahlten Entschädigungen belief sich auf
2929 827 753 M.
Die Einnahme aus dem Verkaufe von Beitragsmarken ist unter
dem Einflüsse des Krieges weiter zurückgegangen; sie betrug bei den 31 Ver¬
sicherungsanstalten 203558040 M. gegen 241904380 M. im Jahre 1914.
Nach der für das Jahr 1914 jetzt vorliegenden Statistik der Heil-
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
369
behandlung ist im Berichtsjahre von den Trägern der Invaliden* and
Hinterbliebenenversichernng von insgesamt 139098 Versicherten mit einem
Gesamtaufwand von 30273255 M. ein Heilverfahren gewährt worden. Seit
dem Jahre 1897, also in einem Zeitraum von 18 Jahren, wurden im ganzen
1 285 124 Versicherte, darunter 520894 wegen Lungen- oder Kehlkopf tuberkulöse
mit einem Gesamtaufwands von rund 300 Millionen Mark in Heilbehandlung
genommen.
Für allgemeine Maßnahmen zur Verhütung vorzeitiger
Invalidität sind von den Versicherungsträgern im Jahre 1914 9 352120 M.
ausgegeben, wovon 7 887 764 M. auf die durch den Krieg veranlaßten besonderen
Ausgaben entfallen.
Der Bau von privaten Lungenheilanstalten wurde von den Ver¬
sicherungsträgern durch Hergabe von Darlehen unterstützt, die sich Ende 1914
auf 16,4 Millionen Mark beliefen.
Eine Anzahl von Versicherungsanstalten hat damit begonnen, krebs-
kranke Versicherte mit radioaktiven Stoffen und Röntgenstrahlen behandeln
zu lassen.
In Invalidenheimen usw. sind im Berichtsjahre von 28 Versiche¬
rungsträgern insgesamt 5396 Versicherte untergebracht worden; 10 Ver¬
sichern ngsträger besaßen eigene Invalidenhäuser, in denen 542 Betten zur
Verfügung standen. 2 Häuser mit 180 Betten waren für Zwecke der Invaliden¬
hauspliege gemietet. Die Granderwerbs-, Bau- und Einrichtungskosten der
im Besitz der Versicherungsträger befindlichen 15 Invalidenheime betrugen bis
zum Schlüsse des Berichtsjahres 1313233 M. Zur Errichtung verschiedener
neuer Heilstätten wurde vom Reichsversicherungsamt beziehungsweise den zu¬
ständigen Landesversicherungsämtern die Genehmigung erteilt.
Der Gesamtbetrag der von den Versicherungsträgern bis Ende 1915
für gemeinnützige Zwecke (Bau von Familienwohnungen für Arbeiter,
Ledigenheimen, Kranken- und Invalidenhäusern usw ) aufgewendeten Mittel
beläuft sich auf 1412068252 M. Rpd.
D. Bakteriologie and Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten.
1. Pocken.
Echte Blattern und Varizellen. Von Dr. J. Friedberg, Oberbezirks¬
arzt in Brody. Eine differentialdiagnostische Studie auf Grund
einer längeren amtsärztlichen Kasuistik. Der Amtsarzt; 1916,
Nr. 1-8.
Nach Mitteilungen über das Vorkommen von Blattern und Windpocken
in seinem bis zur rassischen Grenze reichenden Amtsbezirke in Ostgalizien be¬
spricht Verfasser die Unterscheidungsmerkmale zwischen beiden Krankheiten.
Betreffs der Blattern ist bemerkenswert, daß der in Bevölkerung durch die Erst¬
und die Wiederimpfung der Zehnjährigen geschaffene Blatternschutz in den
Jahren 1900 bis 1914 nur 276 Blatternfälle, und zwar meist modifizierter Art,
auftreten ließ, „wenn man auch eine größere Zahl der Fälle annehmen muß,
da sich ein großer Teil leichter Krankheitsformen fast immer der Evidenz
entzieht." Verfasser sieht das Vorkommen der Blattern in Galizien wie in
ganz Oesterreich als so sporadisch an, daß heute die Generation der jüngeren
und sogar auch etwas älteren Aerzte Blattern nur aus den Handbüchern,
vielleicht Atlanten und Modellen kennt, da sie ihnen in der Praxis nie be¬
gegnen.— Zur Unterscheidung der beiden Krankheiten wird nichts Neues
beigebracht; das Heranziehen der Impfung der Kaninchenhornhaut mit dem
Inhalte der fraglichen Blattern scheint sogar noch kaum versucht worden zu
sein. Wohl aber wird mit Recht hervorgehoben, daß das erste Erscheinen der
Blattern in Form von Knötchen, der Windpocken dagegen von Flecken erfolgt,
sowie daß bei den Blattern der Ausschlag stets in gleichem Maße ausgebildet
an allen Teilen des Körpers sich findet, während bei den Windpocken aus¬
nahmslos verschiedene Stufen seiner Entwicklung angetroffen werden. — An¬
gesichts des neuerdings bei Flecktyphus angewandten Kunstgriffes, dessen
Ausschlag durch Stauung frühzeitiger und deutlicher hervortreten zu lassen,
empfiehlt Berichterstatter, auf Grund bereits vor Jahren an den Impfpockcn
bei Kälbern angestcllten Versuchen, dringend, dieses Verfahren in den ersten
870
Kleinere Mitteilungen and Befernte aas Zeitschriften.
Tagen einer blatternverdächtigen Erkrankung anzuwenden. Die yon den
Blatternknötchen zuerst befallene Haut der Stirn wie der Rückenfläche von
Vorderarm und Hand läßt sich durch Saugwirkung leicht in ausgiebige Stauung
versetzen. Am Kalbe machte diese bei 5 Minuten langer Dauer die Impf¬
pocken schon nach 8 mal 24 Stunden deutlich erkennbar. Dr. Bi sei-Halle.
Ueber Blattern und die Blatternepidemie in Neu-Sandec. Von
Beg.-A. Dr. Pilzer, Kommandant des Epidemie-Spitolcs Neu-Sandcc. Wiener
klinische Wochenschrift; 1916, Nr. 16 und 17.
In Tarnow bestand während der Invasion 1914/15 ein Blatternspital mit
über 500 Kranken. Nach dem Maidurchbruch wurden die Pocken auf dem
Wege Tarnow-Gorlice-Grybow nach Neu-Sandec verschleppt, wo die Epidemie
immer weiter um sich griff. Bis Ende 1915 waren 880 Kranke, 87 Todesfälle
gemeldet worden; die wirklichen Zahlen waren aber bedeutend größer. Die Stadt
hatte vorher nicht für Bereitstellung eines ausreichenden Isolierkrankenhauses
und für hygienische Zustände in den ärmeren Stadtteilen gesorgt; die Vernach¬
lässigung rächte sich. Ende Februar 1916 waren in der Woche noch
1500 Erkrankungen zur Anzeige gelangt. Es war daher von großer Wichtig¬
keit, daß die medizinische Fakultät der Universität Krakau die Vorträge auf
6 Wochen einstellte und nachdem den Medizinern die Impftechnik beigebracht
war, mit ihnen Impfkolonnen 6chuf, die in die weitesten Gegenden des Landes
zogen, um die noch nicht geimpfte Bevölkerung, die nach Millionen zählte,
zu impfen.
Der Erfolg ist nicht ausgeblieben; denn die Zahl der frisch erkrankten
Fälle nahm allmählich ab. Impfen, Isolieren, Beobachtung der Krankheits¬
und Ansteckungsverdächtigen und Desinfizieren werden nun mit großer Energie
durchgeführt. _ Dr. Mayer-8immern.
2. Aussatz.
Verbreitung des Aussatzes im Deutschen Reiche im Jahre 1915.
Veröffentlichungen dos Kaiserlichen Gesundheitsamts; 1916, Nr. 18.
Die Zahl der Aussatzkranken im Deutschen Reiche betrug am Schlüsse
des Jahres 1915: 31 (gegen 83 am Ende des Vorjahres); davon entfielen 26 (28)
auf Preußen und 5 (4) auf Hamburg. In Preußen sind im Jahre 1915
2 Kranke durch Tod in Abgang gekommen. Von den im Lepraheim im
Kreise Memel untergebrachten Aussätzigen wurde 1 widerruflich entlassen
und ein anderer bisher beurlaubter Kranker dort wieder aufgenommen. Zu er¬
wähnen ist ferner, daß in der oben mitgeteilten Krankenzahl 1 kriegsgefangener
Inder, bei dem im Gefangenenlager Zossen Lepra festgestellt wurde, nicht mit¬
enthalten ist. Eine zu Beginn des Jahres 1915 in Lübeck noch in Behand¬
lung gewesene Kranke ist Ende Januar in ihre Heimat nach Rußland ent¬
lassen worden. In Hamburg sind zu den 4 bei Beginn des Jahres 1915
vorhandenen Kranken 2 hinzugekommen, nämlich ein nach Hamburg zur Behand¬
lung zugereister Ausländer, der die Krankheit angeblich im März 1909 in
Sumatra erworben hatte, das Reichsgebiet aber noch im Laufe des Berichts¬
jahres wieder verließ, und ein seit 1909 in Hamburg wohnhafter Kaufmann,
der sich die Krankheit angeblich zuvor in Argentinien zugezogen hatte.
3. Cholera.
Zur Stahluntersuchung auf Cholera- und Typhusbazillen. Von Privat¬
dozent Dr. F. Verzar und cand. med. 0. Weszeczky. Deutsche med.
Wochenschrift; 1916, Nr. 16.
Im dem Laboratorium der Militärbeobachtungsstation in Debreczen
erwies es sich als ein sehr nützlicher Kunstgriff, den zu untersuchenden Stuhl
zuerst in Kochsalzlösung aufzuschwemmen und dann erst auf die Platte zu
impfen. Weitere Untersuchungen ergaben, daß es nicht erlaubt ist, nur jene
Peptonwässer nach Anreicherung auf Agar zu überimpfen, die im hängenden
Tropfen Choleravibrionen nachweisen lassen. Selbst bei Massenuntersuchungen
ist, wenn nur irgend möglich, eine Ueberimpfung auch nicht verdächtiger
Peptonwässer auf Agar angezeigt. Dr. Roepke-Melsungen.
371
Kleinere Mitteilungen and Beißrate aas Zeitschriften.
Blutnntersncliattgen bei' Cholera. Von Dr. Jobst-Heinrich ;Be n z l o r.
Beiträge zur Klinik der InfektionskrankhAitea-und zurlmmunitätsforschang.
Würzburg 1916. Verlag von C. Kabitzsch. IV. Bd., 2. H. Or.8°; 74 8.
Preis: 4M.
Nach den Untersuchungen des Verfassers zeigt das Blut im Prodromal¬
stadium im allgemeinen keine wesentlichen Aenderungen, beim KFank-
heitsausbruch stärkere Vermehrung der einkörnigen Zellen, Lymphozyten¬
sturz (Mononukleose) und leichte Dyperieukozytose; im Stadium algidum
Degenerationserscheinungen auch der regenerativen Formen, äußerst starke
Lymphopenie (richtiger Lymphozytopenie), zuweilen fast aplastiacber- Art,
hohe Mononukleose; im Reaktionsstadium: gleichzeitige Umkehr der
Lymphozyt- und Mononukleären-Kurve; in der Rekonvaleszenz: starke
Lymphozytose, Wiedererscheinen der Reizzellen und Ansteigen der Eosinophilen,
Rückgang der atypischen großen Mononukleären. Diagnostisch liegt das
Hauptgewicht auf der außerordentlich starken Lymphopenie während der
eigentlichen Krankheitsperiode. Rpd.
Beiträge zur Schutzimpfung gegen Cholera und Typhus. Von Dr.
W. Gaehtgeüs und Dr. E. B e c k e r - Hamburg. Ebenda.
Nach den Untersuchungen und Beobachtungen der Verfasser ist die
Schutzimpfung mit abgetöteten Cho 1 eraVibrionen ein durchaus ungefähr¬
licher Eingriff, der nur fn seltenen Fällen das Auftreten von Reiz¬
erscheinungen zur Folge hat. Dasselbe gilt von der Schutzimpfung mit vor¬
sichtig (bei 59° C.) abgetöteten T y p h u s bakterien. — Die Bildung von
Agglutininen erfolgt bei der Cho 1 eraVakzination scheinbar weniger
regelmäßig und ausgesprochen wie bei der Typhusschutzimpfung, bei der sie
nahezu regelmäßig und ausgiebig auftritt, aber ebenso wie die ausgiebige
Bildung von bakteriziden Antikörpern großen Schwankungen unter¬
liegt. Bakterizide Antikörper werden bei Cholera stets reichlich produziert.
Das Gehalt des Serums an Typhusantikörpern, die sich im Anschluß an die
Typhusimpfung gebildet haben, wird durch eine nachfolgende Cholera-
immunisierung nicht wesentlich beeinflußt. Der Grad der klinischen Reaktion
und der Antikörpererzengung ist bei beiden Schutzimpfungen abhängig von
der Individualität der geimpften Personen. Rpd.
Der heutige Stand der Schutzimpfungen gegen Cholera mit besonderer
Berücksichtigung der Erfahrungen aus den letzten Balkanfeldzügen. Von
Dr. Walter PIange-Dresden. Oeffentliche Gesundheitspflege; Jahrg. 1916,
Heft 4.
Auf Grund seiner Untersuchungen und Beobachtungen kommt Plan ge
zu folgenden Schlußsätzen:
,1. Als das in erster Linie wirksame Prinzip der Choleravibrionen müssen
nach unseren augenblicklichen Kenntnissen die Endotoxine angesehen werden;
eine aktive Schutzimpfung ist also theoretisch berechtigt.
2. Echt antiendotoxische Seren im strengsten Sinne der Toxin-Antitoxin¬
wirkung kennen wir nicht; die Frage einer passiven Immunisierung ist demnach
nicht spruchreif.
3. Die Epidemiologie der Cholera läßt ebenfalls eine aktive Schutzimpfung
angebracht erscheinen.
4. Der Beweis für das Vorhandensein einer negativen Phase hat im
Tierexperiment nicht einwandfrei erbracht werden können. Auf alle Fälle ist
jedoch bei der Schutzimpfung Vorsicht am Platze.
6. Durch die Praxis ist bewiesen worden, daß eine rechtzeitig im großen
Stile ausgeftthrte Choleraschutzimpfung Erfolg hat.
6. Als beste Methode ist zweimalige Impfung nach Ko Ile anzusehen.
7. Die Balkanfeldzüge, insbesondere die Erfahrungen der Griechen und
Rumänen, haben gezeigt, daß eine allgemeine Vakzination während und nach
einem Feldzuge in choleraverseuchten Ländern unbedingt anzuraten ist.“
Rpd.
872
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
Pemphigoides' Exanthem als Folgeerscheinung der Choleraschutc-
Impfung. Von Dr. Josef Simecek. Aus dem Epidemiespital in Troppau.
Wiener klinische Wochenschrift; 1916, Nr. 20.
Ein 47jähriger Kutscher, Potator, hatte die Schutzimpfung gegen Pocken,
gegen Typhus und die erste Schutzimpfung gegen Cholera ohne Beschwerden
vertragen; nach der zweiten Impfung gegen Cholera traten jedoch Schüttelfrost,
Fieber, Kopfschmerzen auf. Am Morgen nach unruhig verbrachter Nacht bekam er
auf Stirn und Nase einen Bläschenausschlag, außerdem wurde die Injektionsstelle
schmerzhaft; die Haut in ihrer Umgebung entzündete sich und bedeckte sich
mit kleinen Bläschen. Im Verlaufe desselben Tages verbreitete sich der Aus¬
schlag über den 8tamm. Die Blasen nahmen die Größe von Linsen- bis
Zwanzighellerstücken an; platzten zum Teil oder bedeckten sich mit bräun¬
lichen. Borken. Dr. Mayer- Simmern.
4. Typhus.
Der Einfluß der Typhus-Schutzimpfung auf das weiße Blutbild. Von
Dr. Franz 8ikert, z. Z. Vorstand der bakteriologischen Untersuchungsstelle
in Lüttich. Beiträge zur Klinik der Infektionskrankheiten* und zur Immunitäts¬
forschung. Würzburg; Verlag von Karl Kabitzsoh. IV. Bd., 2. Heft, 1916.
Eingebunden: 6 M.
Nach den Untersuchungsergebnissen des Verfassers ändert Bich das weiße
Blutbild durch die Typhus-Schutzimpfung in derselben Weise wie durch eine
echte Typhuserkrankung. Die Immunkörperbildung erfolgt nach anderen Ge¬
setzen als die Regeneration der weißen Blntzellen. Die Typhusschutzimpfung
ist in ihren Ergebnissen daher auch als experimentell für die Typhusforschung
zu verwerten. Rpd.
Urobllinurie bei Typhus abdominalis und ihre klinische Bedentnng.
Von Prof. Dr. Wilhelm Hildebrandt -Freiburgi.B. Münchener medizinische
Wochenschrift; 1916, Nr. 19.
Was für die Niere die Menge, das spezifische Gewicht und der Eiwei߬
gebalt bedeutet, ist für die Leber der Urobilingebalt des Urins. Systematische
Urobilinuntersuchungen durch den Verfasser haben ergeben, daß mit der Ent¬
fieberung die Urobilinurie sinkt; treten Rezidive auf, so steigt gegen das Ende
des Rezidives die Urobilinurie wieder auf den früheren Wert und sinkt erst
spät wieder langsam ab. Als Ursache der Urobilinurie bei Ileotyphus kommen
in Betracht: Gesteigerter Blutzerfall, Gallenstauung infolge Cholangitis, Blut¬
stauung (Stauungsleber infolge Komplikationen seitens des Herzens), paren¬
chymatöse Hepatitis. — Das Ende der Urobilinurie ist im Bette abzuwarten.
Urobilinurie als Symptom der parenchymatösen Hepatitis bildet eine Kontraindi¬
kation gegen die Anwendung von Chloroform; auch der Einfluß des Alkohols
ist besonders zu fürchten. _ Dr. Graß 1-Kempten.
Die Behandlung von Typhusbnzillenträgern mit Tierkohle. Von
Prof. Dr. K u h n, Leiter der bakteriologischen Untersuchungsanstalt in Stra߬
burg i. E. Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamt; 1916, Bd. I, H. 3.
Die von Kalberlach, Gdronne und W. Lenz empfohlenen Behand¬
lung von Typhusbazillenträgern mit Tierkohle in Verbindung mit Jodtinktur
oder Thymol (3 X tägl. nach dem Essen einen Kaffeelöffel Merck sehe Tier¬
kohle und nach jeder Mahlzeit 7 - 16 Tropfen Jodtinktur in Wasser oder je
1 g Thymol in Oblate) hat Verfasser bei 29 Dauerausscheidern nachgeprüft und
dabei die Nutzlosigkeit dieser Behandlung festgestellt. Die Erfolge der vor¬
genannten Autoren führt er darauf zurück, daß sie ihre Versuche nicht an
„Dauerausscheidern“, sondern an „Spätausscheidern“ angestellt haben,
die voraussichtlich auch ohne die Behandlung bazillenfrei geworden wären.
Rpd.
5. Paratyphus.
Zur Verbreitungsweise und bakteriologischen Diagnosik des Para-
typlius II- Bacillus. Aus dem Seuchenlaboratorium einer Armee (Leiter Prof.
Kleinere Mitteilungen und Beforate aus Zeitschriften. 373
Dt. Co n radi). Von Ass.-Arzt d. R. Dr. R. Bielin g. Deutsche med. Wochen¬
schrift; 1916, Nr. 18.
Der von Schottmüller zuerst beschriebene Paratypbas - A - Bacillus
war bisher nnr als Erreger sporadischer Dyphusfälle bekannt. Neuere Beob¬
achtungen lehren aber, daß ihm eine erhöhte Bedeutung für die Typhusepide¬
miologie und hinsichtlich seiner Verbreitungsweise zukommt. Zu diesem Zweck
ist. die biologische Differenzierung des Paratypbus A-Bacillus notwendig, um
ihn rascher und sicherer als bisher auffinden und identifizieren zu können.
B. empfiehlt die Beinzüchtung und Differenzierung von Paratyphus -A-
Bazillen unter Verwendung von Galaktose-Endo-Agar, weil damit die
Unterscheidung von den übrigen pathogenen Darmkeimen und Kolibakterien auf
einer Platte gelingt. 16 Standen nach der Beimpfung unterscheiden sich die
blassen bis zartrosa gefärbten Paratyphus-A-Kolonien deutlich von den tiefroten
Typhus-, Paratyphus B-, Ruhr- und Cholerakolonien. Erst nach mehr als
24 ständiger Bebrütung nimmt der Farbenunterschied mit der zunehmenden
Rötung der Paratyphus A-Kolonien ab, bleibt jedoch auch dann noch gut
erkennbar. Gegebenenfalls kann auch Xylose-Agar nach Art des Drigalski-
Conra di sehen Nährbodens Verwendung finden; Paratyphus A-Bazillen
wachsen als blaue Kolonien und unterscheiden sich hierdurch schon innerhalb
16 Stunden von den tiefroten Paratyphus B- und etwas schwächer roten
Typhuskolonien.
Zur weiteren Charakterisierung und Abgrenzung der Reinkultur gegen¬
über Paratyphus B- und Typhusbazillen empfiehlt es sich, neben der makro¬
skopischen Agglutination Kulturen in Galaktosemilch sowie in Neutralrötgelatine
und Neutralrotagar anzulegen. Das praktische Galaktosemileh-Verfahren
ist folgendes: Mischt man einen Teil mehrfach im Dampftopf sterilisierter*
Magermilch mit 1—2 Teilen steriler Nährbouillon, die 2—3"/« Galaktose ent¬
halt, und stellt dann schwach sauer ein, so tritt 18—24 Standen nach der
Beimpfung mit Typhus oder Paratyphus B- Bazillen Gerinnung ein, während
Paratyphus A-Stämme auch nach 40stündiger Bebrütung die Milch unver¬
ändert lassen.
Nach Beimpfung des Dextrose-Neutralrotagar mit Paratyphus A
kommt es, im Gegensatz zu Typhuskulturen, zur stark ausgesprochenen Gas¬
bildung, niemals aber zur Fluoreszenz und Entfärbung des Agars selbst wie
bei Paratyphus ß. Die 1 proz. Dextrose - Gelatine mit 0,5 % Zusatz alkoholisch
gesättigter Neutralrotlösung (Neutralrotgelatine) wird nach 24ständiger
Bebrütung bei 37* von Typhus infolge der Säuerung tiefrot gefärbt; Para¬
typhus A bildet außerdem Gas und einen fluoreszenten Kulturniederschlag in
der Reagensglaskuppe; Paratyphus B. reduziert und entfärbt dagegen die nur
vorübergehend tiefrote Gelatine oft schon innerhalb 24 Stunden bei starker
Fluoreszenz. Diese Methode kann allerdings nur gemeinsam mit den übrigen
Verwendung finden zur Charakterisierung innerhalb der Typhusgruppen.
Dr. R o e p k e - Melsungen.
6. Ruhr.
Ein Interessanter Fall von Dick- und Dünndarrndysenterle. Von
Dr. Wanda Chowaniec. Mitteilungen aus dem Militärbeobachtungsspital in
Beszter czebänya. Chefarzt Dr. Böla von Kozmutza). Wiener klinische
Wochenschrift; 1916, Nr. 19.
Der 26 Jahre alte Infanterist war am 15. August an Shiga-Ruhr erkrankt
und am 14. September der Krankheit erlegen. Bei der Obduktion fanden sich
außer Milzschwellung im ganzen D i c k d a r m, hauptsächlich aber im S. Roma-
num, dysenterische, schmutziggelbliche Geschwüre, teilweise hämorrhagisch ge¬
fleckt. Während im C o e c u m die Geschwüre spärlicher vorhanden waren und die
Appendix mit kleienförmigen Belägen bedeckt war, erstreckten sich die
Geschwüre in großer Intensität h°ch in den Dünndarm hinauf, und
zwar bis zur Höhe von 94 cm in das Ileum hinein, ln weiterer Ausdehnung
von 1 m zeigten Ileum und Jejunum gerötete und geschwollene Schleimhaut,
die mit kleienförmigen, schwer abwischbaren Belägen bedeckt war. Der Fall
ist deswegen selten, weil bisher Dysenterie im Dünndarm nur im 1., höchstens
im 2. Stadium der Ruhr beschrieben ist (Jochmann, Aschoff, Schmaus).
Dr. M a y e r - Siminern.
374
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
7. Diphtherie.
Ein sparsamer Blutsernmnührboden für die Diphtheriediagnose.
(Aus dem städtischen Untersuchungsamt in Charlottenburg). Von Dr.. Hans
Langer. Deutsche med. Wochenschrift; 1916, Nr. 17.
Für die bakteriologische Diphtheriediagnose ist der Löfflersche Blut-
serumnährboden nach wie vor unübertroffen. Es ist aber eine verhältnismäßig
hohe Nährbodenschicht zur Erzielung einwandfreier Löfflerplatten erforder¬
lich ; bei Glasschalen mit 8 cm Durchmesser werden etwa 15 ccm Scrumgemisch
(*/» Dammelserum -f- */* Bouillon) verbraucht. Um eine möglichst große Aus¬
nutzung der hervorragenden Löfflerplatten zu erreichen, wird folgende Modi¬
fikation in der Herstellung der Platten empfohlen: Die Petrischalen (8 cm
Durchmesser) werden mit etwa 10 ccm eines 2°/oigen Wasseragars (mit
0,5 Na CI, ohne Fleischwasser, ohne Pepton) gefüllt. Auf diese Agarplatte
wird nach Festwerden die Löfflersche Serummischung in dünner Schicht
aufgegossen, wozu etwa 5 ccm erforderlich sind. Die Platte wird nunmehr
in den Erstarrungsapparat eingesetzt und bei von 70 auf 90° steigender
Temperatur zum Erstarren gebracht. Die Erstarrung ist nach 3 Stunden
erreicht gegen 6 Stunden bei den üblichen L ö f f 1 e r platten. Nach dem
Erstarren muß wegen der Verflüssigung des Agars die Platte vorsichtig heraus¬
genommen werden; mit der Abkühlung wird der Agar wieder fest. So erhält
man eine Kulturplatte, deren Oberfläche eine einwandfreie Blutserumplatte
darstellt und die als Nährboden nicht nur eine völlige Gleichwertigkeit, sondern
bisweilen so^ar eine Ueberlegenheit in der Ueppigkeit des Wachstums zeigt.
Jedenfalls wird eine große Ersparnis und Streckung des Blutserumgemisches
erzielt. Als Vorteile der Modifikation ergeben sich also: eine schnellere Er¬
starrung und größere Unabhängigkeit von äußeren Schwankungen während der
Erstarrung, ferner eine gesteigerte Festigkeit und Elastizität sowie eine größere
Wirtschaftlichkeit und weitgehendere Ausnutzung des Blutserums bei wenigstens
gleichwertiger Nährbodenqualität. Dr. R o e p k e - Melsungen.
Klinische Erfahrungen Ober die Abtötung von Diphtheriebazillen
mit Jod-Spray. Von Dr. Martha Rüben, z. Z. Aerztin an einem Reserve¬
lazarett. Aus der Infektionsabteilung des Allgemeinen Krankenhauses Hamburg-
Barmbeck (Direktor: Prof. Dr. Rumpel). Zeitschrift für Hygiene und In¬
fektionskrankheiten ; Bd. 80, H. 2.
Verfasser versuchte nach dem Vorgang von Abel-Bergen, bei Diph¬
therie-Rekonvaleszenten den Hals und die Nasenhöhle mit Joddämpfen gleich¬
sam auszuräuchern, um die Diphtheriebazillen abzutöten. Die Technik besteht
darin, daß man aus Jodoform durch Erhitzen Joddämpfe frei macht und in die
Nasenlöcher einleitet (Näheres sieho Original). Von den behandelten 21 Fällen
wurden so 45o/ 0 bazillenfrei. Als frei galten die Patienten, bei denen die an
zwei aufeinander folgenden Tagen vorgenommene Abimpfung keine Diphtherie¬
bazillen mehr ergab. In 4 der behandelten Fälle fanden sich Nekrosen mit
Nebenerscheinungen: Rötung, Schwellung und Schmerzen der Schleimhaut.
Fast ausnahmslos trat ein heftiger Jodschnupfen auf mit starkem Tränen¬
träufeln. Meist klagten die Patienten auch über Appetitlosigkeit Die Ein¬
blasung der Joddämpfe erweckte den Eindruck einer schmerzhaften Erstickungs¬
und üebelkeit auslösenden Manipulation. Das Allgemeinbefinden war während
der Behandlung herabgesetzt. Auch ergaben sich technische Unannehmlich¬
keiten. Im Hinblick auf den verhältnismäßig geringen Erfolg nnd die unan¬
genehmen Nebenerscheinungen wird sich die Methodo für die Allgemeinein¬
führung kaum empfehlen. Dr. L. Quadflicg-Gclsenkirchen.
Diphtherie-Verbreitung durch das Kriegsgeld? Von G. Wollenberg-
Berlin. Der prakt. Desinfektor; 1916, Nr. 5.
Nach den Untersuchungen des Verfassers besteht kein Grund für die
Annahme, daß bei den jetzigen Diphtherie - Erkrankungen neue Infektionsquellen,
wie z. B. das Papiergeld, in besonderem Umfange beteiligt sind. Aber die
Möglichkeit, daß hier und da auch durch das Papiergeld eine Verbreitung der
Krankheit erfolgt, ist ohne weiteres zuzugeben. Dr. Wolf-Hanau.
Kleinere Mitteilangen and Bef ernte aas Zeitschriften.
375
E. Hygiene und öffentliohee Gesundheitswesen.
1. Trinkwasserversorgung.
Ueber einige handliche chemische Verfahren, kleine Mengen Trink«
wasser schnell za entkeimen. Von Prof. Dr. Weichardt and Dr. Wolff.
Aas der König!, bakteriologischen Untersachangsanstalt Erlangen. Oeffentlicbe
Gesundheitspflege; 1916, Heft 3 and 4.
Die Verfasser haben einige neuerdings angegebene Wassersterilisations¬
verfahren, die namentlich zur schnellen Sterilisation kleiner Mengen Wasser
empfohlen sind, nachgepriift und zwar das Verfahren mit Desazon, einen
von den Farbenfabriken vorm. Friedrich Bayer in Elberfeld hergestellten
hochwertigen Chlorkalkpräparate, 1 ) das Permanganatverfahren von
Triibsbach,*) das Huminverf ahren von Strell*) und das Tier kohle¬
verfahren von Kraus und Barborä.®) Nach dem Ergebnis ihrer Unter¬
suchungen hat sich das D e s a z o n verfahren als sehr beqaem and bakteriologisch
als zuverlässig erwiesen, ohne daß sich ein nennenswerter Einfluß aal Geschmack
und Aussehen des damit behandelten Wassers bemerkbar macht. Dagegen
waren die mit dem Permanganat verfahren erzielten Erfolge nicht be¬
friedigend; noch weniger befriedigend waren die Ergebnisse bei dem Tier¬
kohle verfahren. Diese beiden Verfahren bedürfen daher noch weiterer
Verbesserung, ehe ihre allgemeine Verwendung zur Trinkwassersterilisation
empfohlen werden kann; eine solche ist mit Bücksicht auf ihre Billigkeit
(7 Pfennig für einen Kubikmeter) sehr erwünscht, da das D e s a z o n verfahren
verhältnismäßig teuer ist (15 Pfennig für das Liter!). Bpd.
2. Abwässerbeseitigung.
Gutachten des Reichsgesnndbeitsamtes über das duldbare Maß der
Verunreinigung des Weserwassers durch Kali - Abwässer, ohne seine Ver¬
wendung zur Trinkwasserversorgung von Brunnen unmöglich zu machen.
Berichterstatter Geh. Ob.-Med.-Rat Prof. Dr. Abel-Jena. Arbeiten aus dem
Kaiserlichen Gesundheitsamte; 1916, Bd. L, H. 3.
Die Wasserversorgung der Stadt Bremen erfolgt durch filtriertes Weser¬
wasser und wird unter den obwaltenden Verhältnissen auch noch lange Zeit
in dieser Weise erfolgen müssen, da einer Grundwasserversorgung großo
Schwierigkeiten entgegenstehen. Das Wasser der Weser wird aber bekanntlich
durch die Abwässer der in den Flußgebieten ihrer Nebenflüsse Aller und Leine,
Fulda und Werra liegenden Schächte der Kaliindustrie verunreinigt, so daß sich der
Senat der Stadt Bremen veranlaßt sab, durch den Reichskanzler dem Reichsgesund-
’) Die von der Firma unter dem Namen Desazon in den Handel ge¬
brachten Päckchen enthalten je 10 weiße Röhrchen mit hochprozentigem Chlor¬
kalk und 10 braune mit hochprozentigem Wasserstoffhyperoxyd, dem sog.
„Ortizon“; der Inhalt von je ein Paar solcher Fläschchen genügt zur
Sterilisation von 1 Liter Wasser innerhalb 10—16 Minuten.
*) Bei dem Permanganat verfahren nach Triibsbach genügen 5 g
Kaliumpermanganat, dem 18,99 g Weinsäure oder 12,91 g Kaliumbisulfat und
11,87 g Weinsäure zugesetzt werden, um 100 Liter Wasser in 10—15 Minuten
zu sterilisieren; zur Entfernung des überschüssigen Kaliumpermanganats ist
nach dieser Zeitdauer ein Zusatz von 9,97 g schwefelsaurem Natrium
erforderlich.
*) Das H u m i n verfahren stellt ebenso wie das Tierkohle verfahren
eine Kombination der chemischen und mechanischen Methoden der Trinkwasser¬
sterilisation dar. Das dazu benutzte, von der Firma Wellensiek in Hannover
hergestellte „Humin“ wird aus Braunkohle durch Behandlung mit heißer
Natronlauge als schwarze, teigförmige Masse gewonnen, die im heißen Wasser
löslich ist und als kolloidale Lösung angesprochen werden muß. Zur Sterili¬
sation von 1 Liter Rohwasser genügen 6 ccm einer 10 °/o tigen Lösung, die mit
dem Wasser gründlich durchmischt werden müssen; der Mischung sind dann
2,5 ccm einer 14°/oprozcntigen Aluminiumsulfatlösung zuzusetzen. Bei dem
Tier ko hieverfahren wird ein Trichter, dessen Spitze mit Watte ausgestopft
Ist, ungefähr 1 cm hoch mit Tierkohle angefüllt und durch diesen so herge¬
stellten Filter das Wasser filtriert.
376
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
heitsamt die Frage zur Beantwortung vorznlegen, „inwieweit das "Weserwasser
mit Kali-Abwasser bereichert werden darf, ohne seine Verwendung zur Trink¬
wasserversorgung unmöglich za machen. Infolgedessen sind an bestimmten
Entnahmestellen durch Sachverständige Wasserproben aus der Weser ent¬
nommen (vom Juni 1913—1914 monatlich je zweimal) und namentlich auf ihren
Chlorgehalt und auf ihren Härtegrad untersucht. Auf Qrund dieser Unter-
suchungsergcbnisse und unter Würdigung der durch Kaliabwasser bedingten
Veränderungen der Trink- und Nutzwässer im allgemeinen, kommt der Bericht¬
erstatter zu dem Schluß, daß, solange der jetzige Zustand andauert, die Wasser¬
versorgung Bremens insofern gefährdet erscheint, als das Wasser der Weser
infolge der zunehmenden Zuleitung von Kaliabwässern in ihre Vorfluter un¬
brauchbar zu werden droht. Es muß deshalb der Gehalt des Weserwassers an
Kaliabwässer an der Entnahmestelle für die Wasserversorgung von Bremen so
niedrig gehalten werden, daß es selbst bei Niederwasser keinen aufdringlichen
Geschmack oder Nachgeschmack der Endlaugen zeigt, und daß seine Härte
nicht die Bereitung von Speisen, die Körperreinigung und das Waschen von
Bekleidungsgegenständen beeinträchtigt. Als Höchstgrenze, über die hinaus
das Weserwasser an der Entnahmestelle im Hinblick auf seine Verwendung
als Trinkwasser nicht mit Kaliabwasser angereichert sein darf, ist eine Gesamt¬
härte von 20 Härtegraden und ein Chlorgehalt von 250 mg im Liter anzusehen.
Bisher ist es zwar selbst beim niedrigsten Wasserstande unter dieser Höchstgrenze
geblieben, hat diese aber fast erreicht (20 Härtegrade und 235 mg bei 1,45
Pegelstand), während sie bei mittlerem Wasserstand darunter bleibt (12,5 und
113 mg*bei 2,9 Pegelstand). _ Rpd.
Die Ergebnisse von Rheinwasseruntersuchungen aus den Jahren
1907 bis 1913 auf der Strecke von Mannheim bis Worms. Aus dem Städti¬
schen Untersuchungsamt Mannheim. Von Direktor Dr. A. Cantzier, Vor¬
stand, und Dr. A. Splittgerber, Chemiker am Städtischen Untersuchungs-
amte. 1. Heft der Schriften des Vereins für Wasser- und Gaswirtscbaft E. V.,
herausgegeben von Generalsekretär Erwin Stein. Berlin 1916. Deutscher
Kommunal-Verlag; 8°, 55 S. Preis: geh. M. 2,—, geb. 2,80 Mk.
Nach einer ausführlichen Schilderung der Ergebnisse früherer ander¬
weitiger Untersuchungen des Rhein- und Neckarwassers besprechen die beiden
Verfasser in dieser Schrift unter Beifügung von erläuternden Karten und
Tabellen die Ergebnisse, die durch die regelmäßig seit dem Jahre 1907 fort¬
gesetzte Untersuchungen des Rheinwassers auf der Strecke von Remershof
oberhalb Mannheim bis nach Worms und des Neckarwassers kurz oberhalb
seiner Mündung in den Rhein erhalten worden sind, beleuchten sie wissen¬
schaftlich kritisch und zeigen in anschaulich gehaltener umfassender Dar¬
stellung, daß die Zusammensetzung des Rheinwassers seit langen Jahren sich
nicht geändert hat und daß die Abwässer, die in immerhin beträchtlichen
Mengen dem Rhein auf der Strecke von Mannheim bis Worms von beiden Ufer¬
seiten aus zugeführt werden, nur eine höchstens örtliche, keineswegs aber eine
dauernde Verschlechterung des Wassers mit sich gebracht haben. Eine solche
Verschlechterung ist auch für die Zukunft nicht zu befürchten, da gerade im
Laufe der letzten Jahre zahlreiche neue Verfahren zur Reinigung von Ab¬
wässern, besonders von solchen industrieller Herkunft bekannt geworden sind
und große Betriebe bestrebt sein werden, diese Verfahren auszunutzen. Not¬
wendig ist aber, daß die städtischen wie industriellen Abwässer möglichst weit
unterhalb bewohnter Stadtgebiete in die Vorfluter eingeleitet werden. Rpd.
3. Nahrungsmittelhygiene.
Verwendung von Phosphorsäuren bei der Herstellung von Brause¬
limonaden oder von Grundstoffen fiir die Zubereitung von Limonaden.
Gutachten der Königl. Wissenschaftlichen Deputation für das Medizinal wesen;
Berichterstatter: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Heffter, Reg. -Rat Prof. Dr.
Jackenack, Geh. Ober-Med.-Rat Dr. Finger.
Bisher haben in der Regel die organischen Säuren Wein- oder Zitronen¬
säure dazu als Zusatz gedient, um den mangelnden Gebalt An natürlichen
Fruchtsäften in Brauselimonaden zu ersetzen. Ein solcher Zusatz ist auch als
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
377
zulässig anerkannt; die freie Vereinigung deutscher Nahrungsmittel hat z. B.
für die Bearbeitung von Brauselimonaden den Grundsatz aufgestellt, daß darunter
Mischungen zu verstehen seien, die „neben oder ohne Zusatz von natürlichen
Frachtsäften, Zucker und kohlensäurehaltigern Wasser noch organische
Säuren oder Farbstoffe oder natürliche Aromastoffe enthalten." Da die Be¬
schaffung von Weinsäure und Zitronensäure zur Zeit schwierig und kostspielig
ist, entsteht die Frage, ob diese durch die billige Phosphorsäure ersetzt werden
dürfen oder ob dagegen gesundheitspolizeiliche Bedenken zu erheben sind. Die
Wissenschaftliche Deputation hat sich entschieden gegen eine derartige Ver¬
wendung der Phosphorsäure ausgesprochen. Ihre ätzende Wirkung komme
allerdings mit Rücksicht auf die große Verdünnung (’ 1 /io—*/■* Ä /o) nicht in
Betracht, wohl aber ihr Verhalten im Stoffwechsel. Während Wein- und
Zitronensäure vollständig oder bis auf geringe Spuren im Körper verbrennen,
wird die Phosphorsäure neutralisiert, so daß phosphorsaure Salze entstehen,
die in Form von sauren Salzen durch die Nieren ausgeschieden werden, so daß der
Harn eine stärkere saure Reaktion erhält und sein Ammoniakgehalt auf Kosten
des Harnstoffs zunimmt. Ob außerdem auch der Eiweißstoffwechsel nachteilig
beeinflußt wird, ist zwar noch nicht sicher entschieden, aber nicht unwahr¬
scheinlich; dagegen ist die Annahme einer besonderen Wirkung der Phosphor-
säure auf die Herztätigkeit nicht erwiesen. Jedenfalls bewirken aber die
Phosphorsäure und andere Mineralsänren infolge ihrer Unverbrennlichkeit im
Körper Veränderungen in den Ausscheidungsorganen, deren Tragweite nicht
übersehen werden kann. Die Verwendung von anorganischen Säuren wider¬
spricht überhaupt dem Begriff der normalen Beschaffenheit der künstlichen
Limonaden und ihrer Grundstoffe; sie darf deshalb nicht geduldet werden.
Dagegen würde der Verwendung von Gärungsmilchsäure,- die durch ihre leichte
Verbrennlichkeit den Fruchtsäften sehr nahe steht, nichts entgegenstehen; sie
ist ein einwandfreies Ersatzmittel und zu denselben billigen Preisen wie in
Friedenszeiten erhältlich.
Auf Grund dieser Gutachten hat der preuß. Minister des Innern die Ver¬
wendung von Phosphorsäuren und anderen Mineralsäuren zu Limonaden durch
Erlaß vom 16. April 1916 (s. Beilage zu Nr. 11, S. 68) als unzulässig erklärt.
_ Rpd.
Pilzvergiftungen im Deutschen Reiche im Jahre 1915.
Nach einer auf Zeitungsnachrichten und eigenen Ermittelungen beruhenden
Zusammenstellung, die der Gymnasialoberlehrer Dr. G. Di tt rieh -Breslau in
den Berichten der Deutschen botanischen Gesellschaft (Band XXXIII S. 608)
veröffentlicht, sind im Deutschen Reiche im Jahre 1916 248 Personen infolge
des Genusses schädlicher Pilze erkrankt und 85 von ihnen (darunter 52 Kinder)
verstorben. Bei der Zusammenstellung nicht berücksichtigt sind solche Fälle,
in denen verdorbene Pilze als Anlaß der Gesundheitsstörung angegeben
wurden, und ebenso Erkrankungen, bei denen Nachforschungen ergaben, daß
Pilze nicht mit Sicherheit als die Ursache der Erkrankung nachgewiesen
waren. In weitaus den meisten Fällen waren die Todesfälle auf den Genuß
des gefährlichsten aller Giftpilze, des Knollenblätterschwamms
(Amanita phalloides) zurückzuführen, der — worauf ganz besonders zu achten
ist — in einer grünen Spielart vorkommt und oft mit dem Grün¬
ling (Grünreizker, Tricholoma equestre) verwechselt wird. Nächst
dem Knollenblätterschwamm wurde der Giftreizker (Lactaria torminosa)
als Ursache der Vergiftungen angegeben. Für die Häufung der Vergiftungs¬
fälle im Jahre 1915 wird neben der Unkenntnis der wenigen dabei in Betracht
kommenden Pilzarten in erster Linie das günstige, ertragreiche Pilzjahr ver¬
antwortlich gemacht. Wo sich Angaben über die Herkunft der giftigen Pilze
fanden, war fast stets gesagt, sie seien von den Erkrankten selbst gesammelt
worden; einige Male hatte man die giftigen Pilze auf der Straße oder unter¬
wegs von unbekannten Leuten gekauft, und nur in einem Falle waren sie auf
dem öffentlichen Markte gehandelt worden. Nach wie vor sind die alten Behaup¬
tungen von allgemein gültigen Erkennungszeichen für eßbare oder giftige
(Vorhandensein von Milchsaft, klebrige Beschaffenheit des Hutes) und Prüfungs¬
mitteln (Braunfärbung eines silbernen Löffels, Verfärbung einer Ziebel) vielen
zum Verhängnis geworden. Entgegen dieser noch weit verbreiteten Anschauung
37S
Besprechungen.
muß immer wieder darauf bingewiesen werden, daß vor schädlichen Folgen
allein die genaue Kenntnis der besonderen Merkmale der einzelnen Giftpilze
schützt. Diese sind außer in den gebräuchlichen Pilzbüchern von Michael,
Gramberg u. a. auch in dem vom Kaiserlichen Gesundheitsamt heraus¬
gegebenen, 1 farbige Tafel enthaltenden Pilzmerkblatt (Ausgabe 1913,
Verlag von Julius Springer in Berlin W., Preis 15 Pfg.) aufgeführt.
(Veröffentlichungen des Beichsgesundfaeitsamtes; 1916, Nr. 16.)
4. Hebammenwesen.
Ein paar alte Wünsche für das Hcbamiucnwesen. Von Direktor
Dr. Bissmann, Direktor der Hebammcnscbule in Osnabrück. Gynäkologische
Bundschau; 1916, H. 1 und 2.
Verfasser macht mit Becbt auf die Unbilligkeit der Prüfungsvorschriften
für Hebammen aufmerksam, wonach bei Hebammenschülerinnen, die die Prüfung
nicht bestehen, eine Wiederholung der Prüfung ausgeschlossen ist. Er
schlägt vor, eine solche nach einer weiteren Lehrzeit von 3 oder 4‘/t Monaten
zu gestatten, und befürwortet auch für schwach begabte, langsam denkende,
aber sonst pflichteifrige und zuverlässige Uebammenschülcrinnen eine solche
Verlängerung. Er betont weiterhin die Notwendigkeit eines Beicbsgesetzes für
Wochenbettpflegcrinnen, indem er auf die große Kindersterblichkeit
und höhere Erkrankungsziffer der Mütter hinweist bei den Geburten, die von
Aerzteu geleitet und bei denen unter Ausschaltung der Hebammen die Wochen-
bettpflego in den Händen von Wochenbettpflegerinnen rnht. Nach seiner An¬
sicht sollten diese weder zu Hebammendiensten noch zu Diensten einer Säng-
lingspflegerin verwendet werden dürfen. Bpd.
Besprechungen.
Dr. M. T. Sohnirer-Wien, Herausgeber der klinisch-therapeutischen Wochen¬
schrift: Taschenbuch der Therapie mit besonderer Berücksichtigung der
Therapie in den Berliner, Wiener und anderen deutschen Kliniken. Zwölfte
Ausgabe. Würzburg 1916. Verlag von Curt Kabitzseb. Taschenbuchform.
476 S.; Preis: geb. 2,50 M.
Mit Rücksicht auf den jetzigen Krieg sind in der neuen Auflage des
Schnirersehen Taschenbuches besonders die wichtigsten feldärztlichen
Erfahrungen berücksichtigt und die Abschnitte über Cholera, Dysenterie,
Erfrierungen, Pediculosis, Tetanus, Typhus einer gründlichen Umarbeitung
unterzogen. Auch die wichtige Methode der perkutanen Tuberkulinanwendung
ist ausführlich geschildert und im therapeutischen Jahresbericht über 120 neue
therapeutische Anregungen und Vorschläge berichtet. Verfasser ist es dadurch
gelungen, das Taschenbuch auf der Höhe der Zeit zu erhalten und ihm infolge¬
dessen die bisherige weite Verbreitung zu sichern. Bpd.
Tagesnachrichten.
Aus dem Beiohetage. In seiner letzten Sitzung am 8. d. Mts. hat
der Reichstag das Gesetz betreffend Herabsetzung der Altersgrenze für die
Bezngsberechtigung der Altersrente vom 70. auf das 65. Lebensjahr in
der von dem Ausschuß vorgeschlagenen Fassung (s. Nr. 10 dieser Zeitschrift,
S. 811)') angenommen.
Im preusiliohen Herrenhaus« gelangte in der Sitzung vom 8. d. M.
der Antrag des Generaloberst Dr. Freiherrn v. Bissing, betr. eine stlrkere
Berücksichtigung der Sexualpädagogik an den Lehrerseminaren und Hoch¬
schulen, Aufnahme der Haut* und Geschlechtskrankheiten als Prüfung*-
gegenständ bei der ärztlichen Staatsprüfung, planmäßige Belehrung der Schüler
und Schülerinnen vor ihrer Entlassung aus der Schule über Geschlechtskrank¬
heiten usw. (s. Nr. 7 d. Zeitschrift, S. 2141, zur Beratung. Der Antrag wurde
von dem Berichterstatter, Generaloberarzt Prof. Dr. Neuber- Kiel, unter Hinweis
') Es ist hier irrtümlich Bezugsberechtigung der „Altersgrenze* statt
„Altersrente“ gedruckt.
Tagesnachrichten.
379
auf die darcb den Krieg bedingten Zunahme der Geschlechtskrankheiten warm
befürwortet Die nationalökonomische Bedeutung dieser Krankheiten werde
durch die Tatsache erörtert, daß in Preußen durch Geschlechtskrankheiten
jährlich das Volksvermögen um 150 Millionen Mark geschädigt wird, durch
den Typhus dagegen nur um 8 Millionen Mark. Aus den Lebensversicherungs¬
akten gehe hervor, daß von den sich Meldenden etwa 20 Prozent nn
Geschlehtskrankheiten gelitten haben. Ihre Prozentziffer sinkt mit der Größe
der Städte; von 1000 ausgehobenen Rekruten sind z. B. in Berlin etwa 41
geschlechtlich erkrankt befunden, in Bremen nur 10 und auf dem Lande liegen
die Verhältnisse noch viel günstiger. Von den Arten der Geschlechtskrank¬
heiten: die Gonorrhöe, die Syphilis und das weiche Geschwür kommt nur den
beiden erstgenannten eine wesentliche Bedeutung zn; sie können, recht¬
zeitig und richtig behandelt, geheilt werden, und zwar endgültig geheilt
werden. Daran fehlt es aber oft, weil häufig in falsch angebrachtem Scham¬
gefühl die Erkrankten sich nicht an einen tüchtigen Arzt wenden, sondern auf
Reklame oder Kurpfuscher hereinfallcn, um sodann, nicht allzu selten nach
längerem Kranksein, dauerndem Siechtum zu verfallen. So kann die
Gonorrhöe in einen chronischen und sehr schwer zu heilenden Zustand über¬
gehen, zu weiterer Erkrankung benachbarter Organe und schließlich zur
Sterilität führen. Dazu kommt, daß viele junge Männer, die erkrankt waren,
sich für gesund halten, es aber nicht sind, bona fide heiraten und ihre Frauen
infizieren, die dann an Unterleibsleiden erkranken, die Siechtum und gleichfalls
Sterilität zur Folge haben können. 11 Prozent aller Ehen in Deutschland sind
kinderlos; in der Hälfte davon muß diese Kinderlosigkeit auf die Rechnung
der Geschlechtskrankheiten geschrieben werden. Bei 30—40° ( o der vorhandenen
Blinden ist die Blindheit durch gonorrhoische Infektion bei der Geburt bedingt.
Die Syphilis ist eine womöglich noch schlimmere Krankheit als die Gonorrhöe.
Hier können sich nach jahrelanger scheinbarer Gesundheit schwere Spätfolgen
einstellen, die durch Herz-, Gefäß-, Gehirn-, Rückenmarkkrankheiten usw.
eventuell noch nach 20 bis 30 Jahren zum Tode führen; durch die Infektion
der Frauen werden ferner Frühgeburten, Totgeburten und alle möglichen
Frauenkrankheiten hervorgerufen. Gonorrhöe und Syphilis zusammen bedingen
für Deutschland eine jährliche Schädigung der Geburtenziffer um etwa 300000
Kinder und bilden somit die hauptsächlichsten Ursachen des Geburten¬
rückganges.
Die sexuelle Frage ist aber nicht nur eine Frage der Volksgesundheit,
sondern auch eine Volkserziebungsfrage. Der Sexualpädagogik fällt die
Aufgabe zu, die jungen Menschen zu einem gesunden und natürlichen Geschlechts¬
leben zu erziehen. Der Geschlechtstrieb ist ja durchaus nichts Gemeines und
Niedriges, im Gegenteil, er ist eine normale, gesunde, natürliche Betätigung,
freilich ein Gut, das nicht besuldelt und vergeudet werden darf. Das
aber geschieht in einer mit der Industrialisierung und Landflucht, mit dem
Wachstum der Städte zunehmenden, Moral und Gesundheit schädigenden Weise.
Die Ursachen der sexuellen Verwilderung liegen in dem allgemeinen
Genußtaumel und in dem dadurch bedingten Niedergang der Charakterbildung.
Die beste sexuelle Erziehung ist eine vernünftige allgemeine Erziehung auf
ethisch-religiöser Grundlage. Daran fehlt es in vielen Volkskreisen leider ganz
außerordentlich, nnd in der Richtung Anleitung zu geben, ist ein Hauptzweck
des Antrags Bissing. Die Sexualpädagogik soll eine Erziehung zur Kon¬
zentration des Willens und zur Beherrschung des Willens sein, zur Stärkung
des Geistes gegenüber den Naturtrieben. Der naturwissenschaftliche Unter¬
richt in den Volks-, Mittel- und Hochschulen bietet ebenso wie der Religions-,
Gescbichts- und Literaturunterricht genügend Gelegenheit, sexuelle Fragen zu
streifen und das Verständnis für den hohen Wert der Keuschheit und der
Selbstbeherrschung sinnlichen Trieben gegenüber zu fördern. Hinter dieser
sittlichen Pflege darf natürlich die körperliche Stählung in keiner Weise Zu¬
rückbleiben, sie ist vielmehr durch Turnen, Wandern, Bäder, Reinlichkeit, durch
jeden vernünftigen Sport, besonders auch im Anschluß an die deutschen Jugend¬
vereine . zu fördern, und zwar bei vernünftiger nicht zu opulenten Ernährung
und Verbot jeden Alkohol- und Tabakgenusses vor einem gewissen Lebensalter;
Kura vor der Entlassung aus den höheren und mittleren Schulen sowie für
Fortbildungsschüler und auch für Volksschüler sollten nach dem Vorgang der
Handelsschulen hygienische Belehrungen stattflnden; damit aber auch
380
Tagesnachrichten.
den Eltern das Verständnis für eine derartige Erziehnng nicht abgeht,
empfiehlt sich die Einrichtung von Elternabenden, um. den Eitern
durch Aerzte, Geistliche, Lehrer die Verpflichtung, Notwendigkeit und
Durchführbarkeit einer sexualpädagogischen Erziehung zum Bewußtsein zu
bringen. Deshalb muß auch die Sexualpädagogik baldigst in die staatliche
Ausbildung der seminaristischen und akademischen Lehramtskandidaten eingefftgt
werden, um in nicht allzu langer Zeit das erforderliche Lehrpersonal zur
Verfügung zu haben.
Für eine grundlegende Besserung der Verhältnisse sind allerdings
auch vorbeugende Maßnahmen auf anderen Gebieten erforderlich: gro߬
zügige Boden- und Heimpolitik, Förderung der Gartenstadtbewegung, innere
Kolonisation und damit Einschränkung der Landflucht, vor allem aber Ein¬
schränkung des Nachtlebens in den Großstädten. Der Kern unseres Volkes
ist gut; das haben die großen Taten, die unsere herrlichen Truppen während
des Krieges vollbrachten, bewiesen und gezeigt. Um so mehr haben Wir Ver¬
anlassung, unserer Jugend zu helfen und sie zu der Erkenntnis bringen, daß
die wahren Lebenswerte nicht im Sicbgehenlassen, nicht im Ausleben, nicht im
Genußleben liegen, sondern in der durch Erziehung und Stählung des Körpers
und Geistes zu erreichenden höchsten Pflichterfüllung gegen Gott and unsere
Mitmenschen.
Generaloberst Dr. Freiherr von Bissing betonte zunächst, daß er sich als
verantwortlicher Verwalter eines von uns eroberten Landes und durch die Be¬
ziehungen zu den an der Westfront kämpfenden Heeresteilen über die so be¬
dauerlichen und verheerenden Wirkungen der Geschlechtskrankheiten und deren
so notwendige Bekämpfung ein praktisches Urteil bilden konnte. Mit Rück¬
sicht auf ihre durch den Krieg und infolge des Krieges geförderten Verbreitung
und ihre unheilrolle Wirkung auch auf die Schlagfertigkeit des über alles
Lob erhabenen Heeres, mit Rücksicht auf ihre gefährliche einschleichende
Verseuchung der Familien in der Heimat sowie im Interesse der Einschränkung
des Geburtenrückganges darf man nicht einen Augenblick mehr zögern, an
die Lösung eines Problems heranzutreten, das der Krieg aufs neue aufgerollt
hat und das für die Kraftentfaltung und Krafterhaltung unseres Volkes so be¬
deutungsvoll ist. Durch den Antrag soll nicht allein der Kampf gegen die
Geschlechtskrankheiten kräftig gefördert, sondern auch die Erziehungsfrage,
die Aufklärung und Beeinflussung der Jugend zur Lösung gebracht werden.
Die bisherige Heimlichtuerei, die Schule und Haus gegenüber dem heran-
wachsenden Kinde mit allem Geschlechtlichen getrieben haben, hat sicherlich
das große sexuelle Elend mitverschuldet; deshalb muß mit ihr gebrochen
werden, aber nicht durch rückhaltlose offene Darlegung aller hier in Betracht
kommenden Verhältnisse, sondern durch vorsichtige Aufklärung und Belehrung,
die von besonders dazu ausgebildeten Lehrern erteilt werden muß,
damit das Einhalten richtiger Wege in der sexuellen Erziehung der Jugend
gewährleistet ist. Vor tiefeiogreifenden Maßregeln soll man nicht zurück¬
schrecken, um die an der Wurzel unserer Lebenskraft nagende Eirankheit in
ihren Ursachen zu bekämpfen. Der Seuchenherd liegt nicht etwa in dem
Okkupation- und Etappengebiet, sondern in der Heimat, was vielfache Be¬
obachtungen bei den aus dem Urlaub geschlechtskrank zurückgekehrten Sol¬
daten bestätigt haben. Deshalb gibt es kein Mäkeln und kein Zaudern, um
alles zu versuchen, diese verheerende Volkskrankheit und ihre Seuchenherd«
in unserm Heimatgebiete ebenso systematisch zu bekämpfen, wie dies bei den
anderen übertragbaren Krankheiten durch die Kunst der Aerzte und die Sorg¬
samkeit der deutschen Verwaltung bereits geschehen ist. Das Problem der
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten ist jedoch nicht zu lösen ohne die
religiös-sittliche Einwirkung. Die medizinische Wissenschaft, die
soziale Versicherung und die Volksgesundheitspflege arbeiten auf diesem Ge¬
biete zwar einander in die Hände, aber doch nur mit begrenzten Möglich¬
keiten. Alle ihre segensreichen Bemühungen sind mehr oder weniger macht¬
los, jedenfalls unzureichend ohne die Volkserziehung zur Volksgesundung.
Hier muß die religiös-sittliche Einwirkung ihre Schuldigkeit tun, aber nicht
allein oder für sich, sondern auf allen drei Gebieten muß ein Zusammenwirken
stattdnden und insbesondere vor der Ueberschätzung der Kräfte der einzelnen
Faktoren muß unbedingt gewarnt werden. Die Gesundheit der nach »»■«
folgenden Generation zu erhalten und zu festigen, ist eine Aufgabe, der wir
Tagesnachrichten.
381
uns, gerade in Rücksicht auf die schweren Blutopfer, die Deutschland gebracht
hat, unterziehen müssen. Zur Durchführung und Erfüllung dieser Aufgaben
soll der Antrag beitragen.
D. t. Trott zu Solz, Minister der geistlichen und Unterrichtsangelegen-
heiten, erklärt sich zunächst mit dem Wunsche, daß eine weitgehende Unter¬
stützung der Bestrebungen zur Bekämpfang der Geschlechtskrankheiten
erfolgen möge, einverstanden; das sei jedoch schon bisher geschehen und werde
auch künftig durch das Ministerium des Innern, zu dessen Geschäftsbereich
derartige. Unterstützungen gehören, erfolgen, wenn diese Gesellschaften wert¬
volle Dienste in dem Kampfe gegen die Geschlechtskrankheiten leisten und die
Behörden bei dieser Aufgabe unterstützen. Auch den Wunsch betreffs Auf¬
nahme der Haut-und Geschlechtskrankheiten als besonderes Prüfungsfach
bei der ärztlichen Staatsprüfung hält der Minister für berechtigt und
erklärt sich bereit, ihn bei den darüber zurzeit schwebenden Verhandlungen
zur Geltung zu bringen. Desgleichen wird er der von ihm ebenfalls als be¬
rechtigt anerkannten Forderung, daß bei der Lehrerausbildung auf die
Sexualpädagogik die gebührende Rücksicht genommen werde, im Rahmen
der hier ausgesprochenen Wünsche Folge geben nnd für eine stärkere Berück¬
sichtigung der Sexualpädagogik bei der Ausbildung und Prülung für das Lehr¬
amt Sorge tragen. Die Lehrer müssen immer mehr zu Erziehern der
Jugend gemacht werden, damit sie auch Einblick in deren körperliche Ent¬
wicklung haben, and mehr Einsicht erhalten von dem Einfluß, den diese Ent¬
wicklung auf Seele und Gemüt der Jugend ausübt. Sie sollen Verständnis
haben für die Freuden, für die Bedürfnisse der Jugend, aber auch für ihre Nöte
und die Gefahren, die ihre Entwicklung zur Reife begleiten. Dazu hat die
Schule die Mittel auf ethischem Gebiete. Ihr ist von jeher die sittlich-ethische
Einwirkung auf die ihr anvertraute Jugend oberster Grundsatz der Erziehung
gewesen, und auf diesem Wege wird sie beharren müssen. Je mehr der Wille
gestärkt, der Charakter gefestigt wird, um so mehr wird die Jugend vor Ver¬
irrungen auch in geschlechtlicher Hinsicht bewahrt werden. Nach, diesem
Ziele, nach der Festigung des Charakters und des Willens, strebt die Schul¬
verwaltung planmäßig hin. 8ie tut es auch durch eine stärkere Anspannung
des jugendlichen Körpers, indem sie ganz bewußt unter dem Gesichts¬
punkt, vor geschlechtlichen Verirrungen zu bewahren, Turnen, Bewegung im
Freien, Spiel und Sport fördert. Sie tut es vor allem aber in dem Unterricht
selbst, wozu dieser in den verschiedenen Lehrfächern, besonders im Religions-,
Geschichte- und naturwissenschaftlichen Unterricht mannigfache Gelegenheit
gibt. Darauf, daß diese Aufgabe von den Lehrern immer besser erfüllt wird,
wird das eifrige Bemühen der Schulverwaltung sein. Nicht Aufgabe der
8chule ist es dagegen, in dem Unterricht direkte sexuelleBelehrungen
zu geben; das könnte verhängnisvolle Folgen für das Erziehungswerk bringen.
.Anders liegt die Sache, wenn den Schülern der höheren Lehranstalten nach
Ablegung der Reifeprüfung vor ihrer Entlassung von berufener Seite eine Be¬
lehrung gegeben wird, in der sie vor den ihnen drohenden sittlichen Gefahren
gewarnt werden. Dabei ist aber die Zustimmung der Eltern nicht zu ent¬
behren; auch muß die Gewähr gegeben sein, daß der Belehrende mit Takt
zu verfahren und seine Hörer mit ethischer Ueberzeugungskraft zu belehren
vermag. Solche Versuche sind schon wiederholt mit gutem Erfolge gemacht
worden. Man soll sich jedoch von diesen Aufklärungen nicht zu viel ver¬
sprechen, denn auch unter den völlig Aufgeklärten, z. B. unter den Studenten
der Medizin, grassiert die Seuche nicht weniger als unter den Studenten der
anderen Fakultäten. Wollen wir eine wirkliche Besserung auf diesem Ge¬
biete, dann müssen Ethik, Moral und Religion mitwirken; ohne sie
geht es nicht. Gewiß muß von den berufenen Stellen alles Geeignete auf
polizeilichem, strafrechtlichem, hygienischem und sanitärem Gebiete geschehen;
aber damit allein ist es nicht getan. Wenn allgemein im Leben des Volkes,
namentlich auch in seinen gebildeten Kreisen, nicht auf eine größere Sitt¬
lichkeit hingestrebt wird, wenn es nicht gelingt, die in Religion.und Moral
beruhenden Kräfte zu beleben, das Verantwortungsgefühl des einzelnen gegen
sich selbst und gegen die Allgemeinheit zu stäzken und ihn von der Laxheit
der Auffassung in geschlechtlichen Dingen zu befreien, dann wird es nicht
möglich sein, dem Uebel, das an der Wurzel des Volkes nagt, wirklich Ab¬
bruch zu tun.
382
Tagesnachrichten.
Fürstbischof Dr. Bertram-Bres)an schließt sich im großen and ganzen den
Ausführungen der Vorredner an. Alle Faktoren, die zur Erziehung des Menschen
mitzuwirken haben, müssen hier Hand in Hand arbeiten, neben den Eltern die
Schule, die Kirche und auch die Vereine, die sich für Jugendliche besonders
eignen. Insbesondere hat die Kirche als Hüterin des christlichen Sitten¬
gesetzes die Menschheit zu sittlich-religiösem Denken und Handeln zu erziehen.
Mit Aufklärungen und mit Warnungen vor den Üblen Folgen allein ist oft
recht wenig getan. Aufklärung kann nützen, wenn sie zur rechten Zeit und
in recht diskreter Form dargeboten wird; Aufklärungen müssen schaden, wenn
sie zur Unzeit dargeboten werden, und ohne zarte Diskretion erfolgen. llednCr
befürwortet dann den von ihm gestellten Verbesserungsantrag, wonach dCr
Abs. lc (in dem ursprünglichen Antrag Ziffer 3) die Fassuug erhalten soll:
„eine zur Verhütung geschlechtlicher Verirrungen geeignete
sittlich festigende Beeinflussung der Schüler und Schülerinnen
aller Schulgattungen“. Außerdem bittet er in Abs. 1 d (früher Nr. 6) die
Erwähnung bestimmter Organisationen, die unterstützt werden sollen, zu
streichen.
Nach einem Schiaßworte des Berichterstatters Prof. Dr. Neubet - , in dem
er noch besonders hervorbebt, daß bei der Sexualpädagogik die Medizin
nicht vernachlässigt werden darf und sich für die Erteilung des betreffendeü
Unterrichts an höheren Schulen besonders der Arzt eigne, wird der Antrag
v. Bissing mit den vom Fürstbischof Dr, Bertram vorgeschlagenen
Aenderungen angenommen.
60jähriges Doktorjubiläum. Am 15. d. Mts. hat der Geh. Med.-Eat
Dr. Max Hirsch in Magdeburg sein 50jähriges Doktorjubiläum gefeiert. Er
ist, seit dem er im Jahre 1867 die ärztliche Prüfung in Halle a. S. bestanden hat,
stets ia seiner Heimatstadt als praktischer Arzt tätig gewesen. Im Jahre 1874
wurde er Mitglied des Medizinalkollegiums für die Provinz Sachsen und im
Jahre 1895 zum Regierungs- und Mcdizinalrat bei der Regierung in Magdeburg
ernannt. Gesundheitliche Verhältnisse zwangen ihn, aus dieser Stellung im
Jahre 1906 aaszuscheiden. Erfreulicherweise hat sich aber seitdem sein Ge¬
sundheitszustand so gebessert, daß er sein Jubiläum in voller körperlicher und
geistiger Frische feiern konnte. Möge ihm diese Frische noch viele Jahre
erhalten bleiben!
Die Vereinigung fllr Familien wohl im Regierungsbezirk Düsseldorf
hat vor kurzem unter dem Vorsitz des Regierungspräsidenten Dr. Kruse eine
Versammlung der Vorsitzenden aller Ausschüsse abgehalten. Nack
den Berichten über die bisherigen Arbeiten sind in den Ausschüssen mehr als
200 Mitglieder aus allen Berufsständen vereinigt, die an der großen Frage,
wie dem Geburtenrückgang im deutschen Volk entgegenzutreten sei, eifrig und
mit großem Sachverständnis arbeiten. Die Zuerkennung von Ehrengaben an
kinderreiche Mütter hat bei den bedachten Müttern das Bewußtsein geweckt
und gestärkt, daß sie durch die Pflege und Erziehung so zahlreicher Kinder
dem Vaterlande einen großen Dienst geleistet haben, und daß dieses Verdienst
anerkannt wird. Jedenfalls steht die erfreuliche Tatsache fest, daß es auch
in den minderbemittelten Schichten des Volkes und in einem großen indu¬
striellen Bezirk noch sehr zahlreiche Mütter gibt, die eine große Zahl von
Kindern erfolgreich groß ziehen. Die Vereinigung schöpft aus dieser Tatsache
die Gewißheit, daß eine befriedigende Lösung dieser wichtigen Lebensfrage des
deutschen Volkes keine Unmöglichkeit sei. Man war in der Versammlung der
Meinung, daß das Problem zwar im Grande ein sittliches und ethisches sei,
daß es aber praktisch nicht durch sittliche und religiöse Einflüsse allein ge¬
löst werden könne, sondern daß durchgreifende wirtschaftliche und soziale
Hilfe für die kinderreichen Familien notwendig sei. Die Wohnungsfrage, die
Lohn- und Gehaltsfrage und auch die Steuerfrage sind von den Ausschüssen
eingehend untersucht worden. Vorschläge und Gedanken werden demnächst in
Berichten und Anträgen greifbare Gestalt erhalten. Mit Befriedigung wurde
festgestellt, daß sich die Ueffentlichkeit, namentlich Presse, Parlament und
Regierung fortgesetzt mit der Frage der Erhaltung der Volkskraft durch Be¬
kämpfung des Geburtenrückgangs befassen. Besonders wurde noch betont, daß
Tagesnachrichten.
383
bei Torbandenen Stiftungen und bei Einrichtungen von Kinderheimen, Ferien¬
kolonien usw. schon heute Wert darauf gelegt werden sollte, kinderreiche
Familien regelmäßig vorznziehen. (Kölnische Zeitung vom 14. Juli 1916.)
In Gegenwart der hohen Protektorin Ihrer Königlichen Hoheit
der Herzogin Viktoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg
findet am Mittwoch, den 21. Juni 1916, vormittags 11 Uhr in Berlin
im Sitzungssaal des Herrenhauses die Griindungs-Versammlung von „Deutsch¬
lands Spende für Säuglings- nnd Kleinkinderschutz“ statt. Auf die Tages¬
ordnung sind gestellt: 1. Begrüßungsansprache des Vorsitzenden, Kabinets-
rat a. D. Dr. Dr. v. Behr-Pinnow; 2. Vortrag von Prof. Dr. Langstein:
„Die Aufgaben des Säuglings- und Kleinkinderschutzes im Deutschen Reiche;“
ö. Geschäftsbericht erstattet von Hof rat Meier.
Preisausschreiben fiiz künstliche Beine. Die Gesellschaft für Chirurgie-
Mechanik in Berlin hat auf der am 27. April im Kaiserin Friedrich-Haus zu
Berlin stattgehabten Hauptversammlung einstimmig beschlossen, 10000 Mark
als Preise für neue und beste Konstruktionen von künstlichen Beinen aus¬
zusetzen.
Ehrentafel. Es haben weiterhin erhalten das
Eiserne Kreuz I. Kasse:
Oberarzt d. Res. Dr. A g e r 1 e y - Augustenburg (Holstein).
Generaloberarzt Dr. Do ebb elin-Düsseldorf, Korpsarzt des IX. Armee¬
korps.
Generalarzt Dr. Haeckel -Stuttgart.
Stabsarzt d. Res. Dr. Benno Hailauer-Charlottenburg.
Oberarzt d. Res. Dr. Bruno H ä u s e r - Hohenstein (Ostpreußen).
Stabsarzt d. Res. Dr. Willers Jessen-Celle.
Assistenzarzt d. Res. Dr. Fritz L a q u e r - Frankfurt a. M.
Stabsarzt d. Res. Dr. Emil Löwisohn-Breslau.
Obergeneralarzt Dr. Reh-München.
Stabsarzt d. L. und Reg.-Arzt Dr. W. Relpen-Siegen.
Generalober- und Divisionsarzt Dr. Reischauer-Jauer (Schlesien).
Stabsarzt d. L. San.-Rat Ernst Rothschuh-Aachen.
Oberstabs- und Korpsarzt Dr. Schulz- Mühlheim a. Ruhr.
Stabsarzt d. L. Dr. Stolper-Schweidnitz.
General- und Korpsarzt Dr. Würdinger-München.
Das Eiserne Kreuz II. Klasse:
Stabs- und Reg.-Arzt Dr. Eduard Schmitt-Edesheim, staatsärztlich
geprüft.
Oberarzt d. Res. Dr. Stölting, Kreisassistenzarzt in Stade.
Stabs- und Bataillonsarzt d. Res. Dr. Ludwig Z o r n - Frankenthal (Pfalz)
staatsärztlich geprüft.
Außerdem haben erhalten: Den Bayerische Militär-Vedienst-
Orden IV. Klasse: die staatsärztl. geprüften Aerzte Stabs- u. Regimentsarzt
Dr. Eduard Schmitt-Edesheim (Pfalz) und Stabs- und Bataillonsarzt Dr.
Ludwig Zorn-Frankentbal (Pfalz); das König 1. Sächsische Kriegs¬
verdienstkreuz: Prof. Dr. Kruse-Leipzig; das Großherzoglich
Hessische Sanitätskreuz am Bande der Tapferkeitsmedaille:
Generaloberarzt und Reservelazarettdirektor Dr. Siegert, Stabs- und Chefarzt
Med.-Rat Prof. Dr. Walther, Oberstabsarzt San.-Rat Dr. Zinsser, sämt¬
lich in Gießen; das Bremische Hanseatenkreuz: Oberarzt d. Res.
Stölting, Kreisassistenzarzt in Stade.
Ehren-Ctod&ehtniatafiel. Für das Vaterland gefallen sind ferner:
Oberarzt d. Res. Dr. Paul Bert-Miltenberg (Unterfranken).
Dr. Erich Bosse-Kosten (Posen), Kreisarzt in Konin (Russ.-Polen;., an
Flecktyphus gestorben.
Oberarzt d. Res. Dr. G. Breitning-Lankwitz bei Berlin (an Fleck¬
typhus gestorben).
364
Tagesnachrichten.
Oberarzt d. Res. Dr. Wilh. B u 1 a c h -■Tübingen.
Oberstabsarzt Dr. Otto Barkhardt-Dresden.
Assistenzarzt d. L. und Bataillonsarzt Dr. Paul Eichwald-Hannover
Stabsarzt d. L. Dr. Rudolf Goering-Friedrichroda (Thüringen) (an
Herzschlag gestorben).
Oberarzt d. Res. Dr. Marian Gorski-Jaroslawitz (Posen).
Feld Unterarzt Erich Grahlmann-Esens (Ostfriesland).
Vertragsarzt Dr. Granau- Ktlhlow bei Neubrandenburg (infolge von
Krankheit gestorben).
Feldunterarzt W. Henrard.
Feldunterarzt Hans Hensel-Scblawa (Schlesien).
Oberstabsarzt d. L. San.-Rat Dr. Hiddemann-Hückeswagen (Reg.-Bez.
Düsseldorf).
Stabsarzt d. Res. Dr. Franz Hoffmann• Görlitz.
Stabsarzt d. Res. Dr. Walter K allem berge r - Klostcrreichenbach
(Württemberg).
Assistenzarzt Dr. H. Küstin.
Assistenzarzt d. Res. Dr. Lehmann, 74. Inf.-Regt.
Vertragsarzt Dr. Ludwig Lis sauer-Berlin-Neukölln.
Oberstabsarzt Dr. Arthur M a r t i n - Longeville bei Metz.
Marineassistenzarzt d. Res. Dr. Ludwig S c h a 11 e r - Stuttgart.
Marineunterarzt Dr. H. E. Schönitz-Berlin.
Oberarzt d. L. Dr. Emil Sch reib er-Darmstadt (in russischer Gefangen¬
schaft gestorben).
Stabsarzt d. Res. Dr. Paul Schulz-Bremen.
Feldunterarzt P. Wertheim.
Generaloberarzt Dr. Wichmann-Branitz (Oberschlesien) (infolge von
Krankheit gestorben).
Marineoberstabsarzt d. L. Dr. Ernst Win ekler- Bremen.
Cholera. Im Deutschen Reiche sind ebenso wie in Oesterreich
und Ungarn keine Erkrankungen an Cholera mehr vorgekommen und in
Bosnien und der Herzegowina nur eine Erkrankung in der Woche vom
14. bis 20. Mai.
Fleckfleber. Im Deutschen Reiche sind vom 21. Mai bis 3. Juni
3 und 4 Erkrankungen unter Kriegsgefangenen ermittelt, in Oesterreich vom
19. März bis 22. April: 731, 672, 677, 610 und 677 (davon in Galizien und
in der Bukowina: 440, 489, 431, 532 und 688), in Ungarn vom 24. April
bis 7. Mai 13 bezw. 15 Erkrankungen.
Pocken. In den drei Wochen vom 21. Mai bis 10. Juni sind im
Deutschen Reiche 6, 8 und 6 Erkrankungen festgestellt, in Oesterreich
in den Wochen vom 19. März bis 22. April: 1171, 934, 822, 600 und 408 Er*
krankungen (dsvon in Galizien und in der Bukowina: 1095, 846, 754,
521 und 332). _
Erkrankungen und Todesf&lle an ansteckenden Krankheiten in
Preuften. Nach dem Ministerialblatt für Medizinal-Angelegenheiten sind in der
Zeit vom 7. bis 27. Mai 1916 erkrankt (gestorben) an Pest, Gelbfieber,.
Fleckfieber, Cholera, Trichinose, Rotz, Aussatz, Tollwut,
Milzbrand: — (—), — (—), — (—); Bißverletzungen durch toll¬
wutverdächtige Tiere: 8 (—), 6 (—), 9 (—); Pocken: 13 (—), 4 (2),
3 (—); Unterleibstyphus: 124 (11), 147 (15), 132 (8); Ruhr: 18 (2),
26 (3), 29 (2); Diphtherie: 1960 (110), 1962(92), 2007 (125); Scharlach:
1349 (62), 1212(58), 1378 ( 56 ); Kindbe11fieber: 57 (13), 57 (19), 45(10);.
Genickstarre: 24 (8), 18 (7), 19 (9); Fleisch-, Fisch- undWurst,-
vergiftung: 1 (—), 66 <—), 11 (—); Körnerkrankheit (erkrankt):
79, 91, 127; Tuberkulose (gestorben): 894, 958, 900.
Redakteur: Prof. Dr. Rapmund, Geh. Med.-Rat in Minden i.W.
J. O. O. Brnna, Herxogl. Biehn, o. F. Sch.- L. Hofbnchdrmekxrel 1 b Miodev.
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29. Jahrg.
Zeitschrift
1916.
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zentralblatt
fflr das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie,
des staatlichen und privaten Versicherungswesens, sowie für das
Medizinal- und öffentliche Gesundheitswesen, einschließlich der
Hygiene und Bakteriologie.
Herausgegeben
TOD
Prof. Dr. OTTO RAPMUND,
Geh. Med.-Rat ln Minden I.W.
Offizielles Organ des Deutschen, Preussischen, Bayerischen, Sächsischen,
Wörttembergisohen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen, Thüringischen,
Braunschweigischen und Eisass-Lothringischen Medizinalbeamtenvereins.
Verlag von PiSeher’s med. Buehhandlg H. Kornfeld,
Hwsogi. Bayer. Hol- n. K. u. K. Kamnmr-Bnohlitartler.
Berlin W. 62, Keithstr. 5.
inislfoa nehmen 4h V eri»gehendlung sowie eile Anseifenemnehmesteilen des In-
nnd Ausland«! entgegen.
Nr. 13.
Erscheint am 5. und feO. Jeden Monate.
5. Juli.
Aus dem Hygienischen Institut der Universität Halle
(stellvertretender Direktor: Privatdozent Dr. W. Schürmann).
Ein Fall von Meningitis, herbeigeführt durch einen
milzbrandähnlichen Bacillus.
Von Privatdozent Dr. W. SchUrmann.
Am 20. Januar ds. Js. wurde aus Erfurt dem Untersuchungs¬
amt für ansteckende Krankheiten ein Lumbalpunktat zur Unter¬
suchung auf Meningokokken zugesandt. Das Ergebnis der
bakteriologischen Untersuchung ergab einen in die Gruppe des
Milzbranderregers gehörenden Bacillus, über den ich später ge¬
nauer berichten werde.
In der Literatur sind von verschiedenen Autoren dem Milzbrand sehr
nahe verwandte Bazillen beschrieben worden, so von H a r 11 e b und 81 n t z e r 1 ),
die einen Bacillus pseudanthracis (Burri)*) im amerikanischen Fleischmcbl
feststellten, der Eigenbewegung hatte, die hauptsächlich bei Züchtung in
Bouillon auftrat. In der Bouillon beobachteten sie diffuse Trübung mit späterer
Klärung und Häutohenbildung. Die Virulenz für Mäuse und Meerschweinchen
') Zentralblatt für Bakteriologie; 2. Abt, Bd. 23, 8. 81.
*) Hygienische Rundschau; 1904, H. 8.
386
Dr. W. Schürmann: Ein Fall von Meningitis,
war gering. Bei Brnttemperatnr zeigte sich ausgiebige Sporenbildung; im
übrigen waren alle Merkmale dem Milzbrandbacillus täuschend ähnlich.
Von H-neppe und Wood wurden aus dem Boden (Wasser und Erde)
Bazillen gezüchtet, die den Milzbrandbazillen zum Verwechseln gleichen. Sie
sind unbeweglich; mikroskopisch sind sie dem Bacillus subtilis ähnlicher.
Hueppe nennt seinen Bacillus „anthracoides“. — Weiter wurde von Mc. Far-
land 8 ) ein vollkommen apathogener Milzbrandbacillus auf einer Laboratoriums¬
platte nachgewiesen, den er als Bacillus anthracis similis bezeichnet. —
Zikes 4 ) züchtete aus Wasser einen milzbrandähnlichen Mikroorganismus, der
sich vom Milzbrandbacillus nur durch Apathogenität und Beweglichkeit unter¬
scheidet. Weiter hat Baumann 6 ) einen beweglichen milzbrandähnlichen
Bacillus aus dem Brunnenwasser gezüchtet, der auf Bouillon Häutchen bildete,
Gelatine verflüssigte und Milch koagulierte. Dieses Bakterium war nur für
Mäuse pathogen. — Ferner sind von Klein im Blut einer Kuh, die an Milz¬
brand gestorben sein sollte, milzbrandähnliche Bazillen gefunden, „Baz. sessilis“
genannt. — Von Kaesewurm*) ist ein Pseudomilzbrandbacillus beschrieben
worden, den er in Substraten tierischen Ursprungs, Blut, Milzsaft, Milch, auf
Heu, Fließpapierstückchen, Wollfäden usw. fand. Dieser Pseudo-Milzbrand-
b&cillus unterscheidet sich von dem echten Milzbrandbacillus durch den Mangel
an Pathogenität, durch Eigenbewegung, ferner durch Trübung der Bouillon,
Häutchenbildung und bandförmiges Wachstum in Nährgelatine unter energi¬
scher Verflüssigung derselben. Von dem Bacillus anthracoides Hueppe
und dem Bacillus Wahrlich unterscheidet er sich ebenfalls durch Eigen¬
bewegung, und von dem enteren noch dadurch, daß er nicht wie dieser end¬
ständige Sporen bildet. Er scheint dagegen mit dem von Burri 7 ) und Baas 8 )
beschriebenen Bacillus pseudanthracis identisch zu sein. — Der Vollständigkeit
halber sei noch an die Untersuchungen von Ottolenghi 9 ) erinnert, der in
3 Fällen milzbrandähnliche Stäbchen nachweisen konnte, die aber eher in die
Gruppe des Bacillus subtilis gehören. Von Canestrini wurden in kranken
Bienen und ihren Larven langsam bewegliche, Gelatine verflüssigende, für Meer¬
schweinchen und Mäuse nicht pathogene Bazillen festgestellt. Sie gehören
wahrscheinlich, wie der Bacillus der Aalseuche, in die Gruppe der Heubazillen.
Hierher gehört auch der von Klein beschriebene Bacillus leptosporus.
Bevor ich auf den bakteriologischen Teil eingehe, möchte
ich kurt die Krankengeschichte mitteilen:
Es handelt sich um das Kind Walter Bornberg, das
wegen starken Erbrechens in das Erfurter Krankenhaus ge¬
bracht war. Aus der Vorgeschichte ist zu erwähnen, daß es
im Sommer vorigen Jahres Krupp mit Tracheotomie im Kranken¬
haus durchgemacht hatte. Seit Anfang August 1914 hatte
das Kind in dem Erfurter Auguste Victoria-Stift gelebt. Es
ist dies eine sehr gut eingerichtete Erziehungs- und Pflege-
Anstalt, in der etwa 50 schulpflichtige und 40 nicht schul¬
pflichtige Kinder untergebracht sind. In den Monaten vor und
nach dem Tode des Kindes Bornberg war nur noch ein ein¬
ziger weiterer Fall von Meningitis mit tödlichem Ausgang unter
diesen Kindern vorgekommen, bei dem aber im Lumbalpunktat
echte Meningokokken nachgewiesen wurden. — Die Mutter
des Knaben Bornberg ist vor etwa vier Jahren an Lungen¬
tuberkulose gestorben. Der Vater ist Ziramermann und arbeitet
*) Zentralblatt für Bakteriologie; Orig.-Bd. 24, S. 566.
4 ) Zentralblatt für Bakteriologie; Bef, 1. Abt., Bd. 32, S. 389.
•) Hygienische Rundschau; 1905, S. 7.
6 ) Zeitschr. f. Fleisch- und Milchhygiene; 1904, 14. Jahrg., IL 5.
7 ) 1. c.
") Baas: Inauguraldissertation; Straßburg 1903.
•) Zentralblatt für Bakteriologie; Ref.-Bd. 34, S. 380.
herbeigeführt durch einen milzbrand&hnlichen Bacillus. 887
schon seit langer Zeit auf der Werft in Wilhelmshaven. Br
war zu Weihnachten beurlaubt und hatte seine beiden Kinder
vorübergehend in seine alte Wohnung genommen. Aber weder
hier noch in 2 Wohnungen, wo sich die Kinder sonst während
dieser Zeit vorübergehend aufgehalten haben, war Gelegenheit
zu einer Milzbrandübertragung. Der Ausbruch der Erkrankung
ist am 16. Januar d. J. plötzlich erfolgt. Das Kind hatte mit
den andern Kindern gespielt, war die letzten Tage munter und
bei Appetit gewesen. Fieber hatte es nicht gehabt, auch sonst
wurde nichts Auffälliges an dem Kinde bemerkt. Mitten im
Kreise seiner Gespielen hatte das Kind plötzlich aufgeschrieen,
war blaß geworden und hatte sich in Krämpfen gewälzt. Bald
trat heftiges Erbrechen dazu, worauf das Kind ins Krankenhaus
gebracht wurde. Hier wurde folgender Befund festgestellt:
Mittelkräftiges, 4'/* Jahre altes Kind von blasser Gesichtsfarbe, schwer¬
krankem Gesichtsausdrnck.
Bewußtsein völlig getrübt; das Kind zeigt für nichts Interesse; ist
auch völlig teilnahmlos bei Berührung und läßt bei schmerzhaften Berührungen
keine Aeußerungen hören.
Lebhafte Unruhe, Hin- und Herwälzen im Bett.
Körpertemperatur stark erhöht.
Kopf: Zuckungen im Facialisgebiet, auch Reizung des Trigeminus
(Knirschen der Zähne).
Die Pupillen sind verengt und die Augen stehen nach außen.
Zunge etwas belegt; Ohren starke Eiterung und übler Geruch.
Hals: Der Kopf ist tief ins Bett hineingewühlt, es besteht absolute
Nackensteifigkeit; versucht man dennoch den Kopf nach vorn au beugen,
so wird der ganze Körper mitgehoben und dabei die Beine im Knie gebeugt.
Ebenso Drehen des Kopfes unmöglich.
Wirbelsäule: Bei Druck auf die Proc. spin. nehmen Unruhe und
Jaktation zu.
Lunge: o. B., Respiration beschleunigt.
Herz: Aktion sehr beschleunigt, Spitzenstoß kräftig fühlbar.
P u 18: sehr frequent, klein.
Abdomen: etwas eingesunken, jedoch nicht sehr stark.
Die Harnentleerung geht unwillkürlich vor sieb, fast dauernd liegt das
Kind naß.
Extremitäten: Beine immer leicht im Knie gebeugt;
Sensibilität bei Berührung nicht erhöht, fast vermindert.
Reflexe: sehr gesteigert; schon bei Betupfen mit dem Finger ist der
Patellarreflex auslösbar.
Temperaturkurve siehe nachstehend.
Therapie: Lumbalpunktion. Von dem unter hohem Druck
(etwa 280 mm Wassersäule) stehenden Lumbalpunktat, das
bei seinem Austritt sehr intensiv trüb und fast eitrig aussah,
wurden etwa 40 ccm Flüssigkeit langsam abgelassen, bis der
Druok auf etwa 120 mm Wassersäule gesunken ist.
Weitere Verordnung: Eisbeutel auf den Kopf.
Nach der Lumbalpunktion war das Allgemeinbefinden
etwas gebessert; die Jaktationen ließen nach und traten nur
noch selten auf. Temperatur sank, Puls blieb jedoch hoch.
Am 18. Januar nachts war das Kind wieder unruhiger,
schrie viel, wälzte sich hin und her; dazu trat starkes Durst¬
gefühl, es trank sehr oft, brach aber die genossene Flüssigkeit
bald wieder aus.
388
Dr. W. Schürmann: Ein Fall von Meningitis,
In der Frühe war wieder ein
Höhersteigen der Temperatur zu
verzeichnen. Die Unruhe legte
sich bald, ebenso hörte das Er¬
brechen trotz reichlicher Flüssig¬
keitszufuhr auf. Der Puls war
immer noch frequent und kräftig.
Abends trat mit zunehmender
Temperatur abermals eine Ver¬
schlimmerung ein: Erbrechen,
hoher, kaum fühlbarer Puls, dazu
häufiges Aufschreien und stän¬
dige Jaktationen.
19. Januar 1916: Auch in
dieser Nacht wieder ständige Un¬
ruhe des Kindes, das sehr viel
trank, die Flüssigkeit aber wieder
erbrach. Gegen Mittag zeigte
sich Cheyne-Stokesches At-
mungsph änomen.
Um 3*/j Uhr nachmittags starb
das Kind.
Wie aus der Krankengeschichte hervorgeht, ist das Kind
unter ausgesprochenen Symptomen einer Genickstarre zugrunde
gegangen. Leider ist die Sektion verweigert worden. Das
von uns in Halle untersuchte Lumbalpunatat dieses Falles
hat folgendes ergeben:
Tuberkelbazillen konnten nicht nachgewiesen werden;
ebenso brachte das Kulturverfahren für Meningokokken ein
negatives Ergebnis. Dagegen fanden sich plumpe, ziemlich
lange Stäbchen, die schwache Eigenbewegung zeigten.
Auf den mit dem Material beschickten Agarplatten waren
Kolonien gewachsen, die sich von Milzbrandkolonien äußerlich
nicht unterschieden. Die typische Form des Medusenhauptes
mit lockigen aufgefaserten Randpartien war deutlich ausgebildet.
Eine weitere Prüfung der Einzelkolonie wurde in flüssigen
Nährböden vorgenommen. Bouillon wurde gleichmäßig ge¬
trübt. Es bildete sich nach dem Aufschütteln und weiterer
Bebrütung bei 37 0 C. auf der Oberfläche ein Häutchen. Mittel¬
ständige Sporen wurden gebildet. Milch wurde zur Gerinnung
gebracht, das Koagulum aber später nicht wieder aufgelöst.
Gasbildung fehlte.
Die in Bouillon gewachsenen Bazillen zeigten schwache
Eigenbewegung.
Die mit der Reinkultur geimpften Mäuse sind nach
48 Stunden gestorben; in ihrem Blute ließen sich die gleichen
Bazillen nachweisen.
Auf Grund unserer Untersuchung (siehe auoh die neben¬
stehende Uebersicht) wurde die Diagnose abgegeben:
Temperatur - Kurve.
*) 3X Erbrechen. *) Einlauf. 8 ) Lumbalpunktion. 4 ) Kampfer 4 X 1,0 g-
390
Dr. W. Schürmann: Ein Fall von Meningitis,
Tuberkelbazillen negativ.
Meningokokken negativ; dagegen milzbrand-
ähnliche Stäbchen.
Die Ermittelungen des zuständigen Kreisarztes konnten
nicht den geringsten Anhalt für die Möglichkeit einer Milz¬
brandinfektion bei dem Kinde Bornberg finden. Daß es sich
aber mit Sicherheit um eine durch einen milzbrandähnlichen
Bacillus herbeigeführte Meningitis hier handelte, . ergab ein¬
deutig die bakteriologische Diagnose.
Im übrigen sind in der Literatur Fälle von Meningitis
durch Infektion mit Milzbrandbazillen herbeigeführt bekannt.
Curschmann fand bei einer Milzbrandsepsis ohne nachweis¬
bare Eingangspforte als Ursache stark hervortretender Gehirn¬
erscheinungen massenhafte Blutungen in der Hirnrinde. Ein
weiterer Fall von Milzbrandmeningitis ist von Councilman W. T.,
Mallory F. B. und Wright J. H. beschrieben.
Weiter möchte ich einen bisher noch unveröffentlichten
Fall von Meningitis anthracis kurz mitteilen, den ich während
meiner Tätigkeit als Leiter des Untersuchungsamtes am Institut
zur Erforschung der Infektionskrankheiten in Bern Gelegenheit
hatte, bakteriologisch festzustellen. Es handelte sich um einen
Arbeiter einer Bürstenfabrik der Westschweiz, der sich beim
Hantieren mit Borsten am Finger ein Milzbrandkarbunkel zu¬
gezogen hatte. Durch Kratzen mit seinem infizierten Finger
setzte er sich zwei neue Milzbrandkarbunkel im Nacken, die
er weiter gar nicht beachtete. Nach 3 weiteren Tagen wurde
der Mann während der Arbeit plötzlich schwindelig, erholte
sich aber nach einigen Minuten. . Erst aitt nächsten Tage setzte
ein erneuter Schwindelanfall ein; es traten meningitische
Symptome hinzu. Das entnommene Lumbalpunktat fiel bei
der Entnahme durch seine dunkelrote (rostfarbene) Färbung
auf. Bakteriologisch wurden von uns morphologisch und
kulturell typische Milzbrandbazillen in Reinkultur nachgewiesen,
die sich auch für Mäuse und Meerschweinchen als pathogen
erwiesen. Der Kranke ist bald gestorben.
Was den Fall Bornberg weiter betrifft, so haben spätere
Ermittelungen des zuständigen Kreisarztes ergeben, daß der
Knabe kurz vor seiner Erkrankung sich mit Spielsachen
beschäftigt hatte, die vielleicht zu seiner Erkrankung bei¬
getragen haben konnten, z. B. mit 2 hölzernen Pferdchen (einem
braunen und einem weißen) mit Mähne und Schwanz aus
Borsten und Roßhaaren, die er Weihnachten 1915 erhalten
hatte, ferner mit einem mit Fell bekleideten kleinen Ziegen¬
bock und mit einer Kuh. Beim Spielen trug der Knabe ge¬
wöhnlich eine Lederschürze. Auf eine Anfrage des Kreis¬
arztes hin wurden diese Gegenstände dem Untersuchungs¬
amt für ansteckende Krankheiten hier zur Untersuchung auf
Milzbranderreger überwiesen; die Sachen waren noch nicht
desinfiziert. Es wurden mit sterilen Instrumenten aus den
beiden übersandten Lederschürzen, dann aus dem Ziegenfell
herbeigeftthrt durch eines tnilzbrand&hnlichen BacillnB. 891
und Kuhfell kleine Teile aus verschiedenen Stellen für die
Untersuchung herausgeschnitten. Außerdem wurde Schweif
und Mähne der Pferdchen abgeschnitten Und kulturell ver¬
arbeitet. Wir gingen bei unsern Untersuchungen so vor, daß
wir einen Teil der zu verwendenden Stückchen bezw. Borsten
(Schweif) für kurze Zeit in sterile Bouillon eintauchten, dann
aus dieser Bouillon, die vollkommen getrübt war, Agarplatten
und Bouillonkölbchen anlegten. Ein anderer Teil der Borsten
wurde im Erlenmeyer-Kölbchen längere Zeit (‘/ 8 Stunde) einer
Temperatur von 65° ausgesetzt, um die ßegleitbakterien, die
reichlich in den Schürzen und Pellen bezw. Borsten vorhanden
waren, abzutöten und möglichst bald eine Reinkultur der ge¬
suchten Erreger zu erhalten.
Unsere bakteriologische Untersuchung ergab folgendes:
In einer Schürze, im Kuhfell, im Schweif des weißen
Pferdes, im Schweif des braunen Pferdes (hier sehr reichlich)
wurden Bazillen nachgewiesen, die kulturell und mikroskopisch
dem echten Milzbrandbacillus außerordentlich ähnlich waren.
Lockenbildung war vorhanden, Sporen wurden gebildet.
Milch wurde koaguliert, das Koagulum aber nicht wieder auf¬
gelöst.
Die gezüchteten Bazillen unterschieden sich vom echten
Milzbrand dadurch, daß sie die Bouillun trübten; Häutchen¬
bildung wurde beobachtet. Auch zeigten die gezüchteten
Bazillen leichte Eigenbewegung. Gasbildung fehlte.
Auf Blutagarplatten wurde im. Gegensatz zu den mit
echtem Milzbrand beschickten Platten übereinstimmend bereits
nach 7 ständigem Wachstum Hämolysebildung beobachtet.
Die aus den verschiedenen Gegenständen gezüchteten
Bazillen verhielten sich gleichmäßig.
Von 8 subkutan mit dem Material geimpften Mäusen sind 3,
und zwar 2 nach Impfung mit Material aus der Lederschürze
und eine nach der Impfung mit dem Kuhstamm, verendet. Aus
einer mit Lederschürzen-Kultur geimpften Maus haben wir das
Ausgangsmaterial in Reinkultur gewonnen und mit den Organ¬
extrakten Präzipitationsversuche, jedoch mit für Milzbrand
negativem Ergebnis angestellt. Die Organe der übrigen Mäuse
waren steril. Auch an den Impfstellen (Maus) waren keine
milzbrandverdächtigen Erreger nachzuweisen.
Auf Grund unserer Untersuchungen komme ich zu dem
Schlüsse, daß es sich bei den gefundenen Bazillen nicht um
echten Milzbrand handelt, sondern um einen dem Milzbrand
außerordentlich nahestehenden Bacillus, der für weiße Mäuse,
nicht für Meerschweinchen virulent ist.
Die jetzige Untersuchung stimmt mit dem damals
erhobenen Befunde aus der Lumbalflüssigkeit „milzbrandähn¬
liches Stäbchen“ durchaus überein.
Da mich die aus diesem Palle gezüchteten Bazillen be¬
sonders interessierten, habe ich mich noch eingehend mit ihren
verschiedenen Wuchsformen beschäftigt.
892 Dr. W. Schümann: Bin Fall Ton Meningitis durch milzbrandähnl. Bacillus.
Die oberflächlich gewachsenen Kolonien des gezüchteten
Bacillus mit seiner haarlockenähnlichen Ausbreitung sind inner¬
halb der ersten 24 Stunden vom echten Milzbrandbacillus nicht
zu unterscheiden. Erst später, nach 48 ständigem Wachstum,
geht die für Milzbrand charakteristische Zeichnung des Kultur¬
randes mehr oder weniger verloren. Neben diesen Formen
waren aber auch Oberflächenkolonien zum Wachstum gelangt,
denen die heraldischen Formen fehlten, die als runde kompakte
Kolonien erschienen. Die Tiefenkolonien, die beim Milzbrand
als „wurzelähnlich“ beschrieben sind, werden beim Pseudomilz¬
brandbacillus am besten als strauchähnlich benannt. Hier
geht das dunklere Zentrum der tiefen Kolonie ohne ausge¬
sprochene Uebergänge in die Ausläufer über, die sich im Gegen¬
satz zu den knollenartigen Verdickungen, wie sie beim Milz¬
brandbacillus in den Ausläufern auftreten, astartig verzweigen
und sich zentrifugal zuspitzen.
ln den mit verdünnten Anilinfarben gefärbten Klatsch¬
präparaten waren zwei verschiedene Formen von Oberflächen¬
kolonien zu erkennen,
1. solche mit haarlockenähnlicher Struktur wie sie der Milz¬
brandbacillus aufweist,
2. solche mit unregelmäßiger Anordnung der Stäbchenreihen,
wie sie Kaesewurm 10 ) auch beim Pseudomilzbrand beob¬
achtet hat.
Diese Beobachtung mußte ich wiederholt machen. Es
mußte unbedingt auffallen, daß dieser gefundene Bacillus in
den Oberflächenkolonien typische Merkmale aufweist, wie sie
der echte Milzbrandbacillus besitzt, daß aber daneben auch
Kolonien vom Typus des Pseudomilzbrandbacillus Vorkommen.
Es wäre aus diesem Verhalten wohl der Schluß berechtigt,
daß es sich bei dem gefundenen Pseudomilzbrandbacillus um
einen umgeformten Milzbrandbacillus handelt.
ln Traubenzuckerbouillon wird kein Gas gebildet, ebenso
fehlt Indol und Farbstoffbildung; Lakmusraolke bleibt unver¬
ändert. Blutserum, ebenso Gelatine werden verflüssigt. Bouillon
wird unter Häutchenbildung gleichmäßig getrübt, im Gegen¬
satz zum Milzbrandbacillus, der nach Sobernheim“) die
Bouillon nicht gleichmäßig trübt, aber Flockenbildung erkennen
läßt, die „gewöhnlich von den tieferen Teilen der Flüssigkeit,
wobei die ausgesäten Bakterien infolge ihres Mangels an Eigen¬
bewegung niedersinken, ihren Ausgang nimmt.“ Die über¬
stehende Bouillon bleibt klar. Ebenso fehlt die Häutchen¬
bildung (Lehmann). 12 )
Wie die Infektion bei dem Kinde Bornberg zustande
gekommen ist, läßt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Ver¬
mutlich sind die Bazillen durch die Nase oder den Mund, sei
,0 ) 1. c.
") Handbuch der pathogenen Mikroorganismen. Kolle und Wasser¬
mann; 1913, Bd. 3.
Lehmann u Neumann; Bakteriologische Diagnostik; 1907, Bd.II.
Dr. Sorge: Aufgaben fttr den Kreisarzt während des Krieges. 893
es durch Verstaubung und Einatmung, sei es durch Ueber-
tragung mittels der Finger, in den Körper eingedrungen.
Gerade die Wohltätigkeitsanstalten, wie hier das Auguste
Viktoria-Stift, erhalten nicht selten allerlei Gegenstände ge¬
schenkt, die recht zweifelhafter Herkunft sind und die zuweilen
von Personen stammen, die nachweislich an übertragbaren
Krankheiten gestorben sind. Es werden auch neue Sachen
gespendet, die aus billigen Bezugsquellen stammen und daher
aus minderwertigen Stoffen zusammengesetzt sind.
Aus dem mitgeteilten Fall ist aufs neue die Lehre zu
ziehen, daß sich alle Wohltätigkeitsanstalten, Krankenhäuser,
Kinderbewahranstalten usw. allen Geschenken gegenüber sehr
mißtrauisch verhalten sollen, und daß sie unbedingt, das
heißt ausnahmslos eine gründliche Desinfektion der
geschenktenSpielsachen veranlassen sollen, wo es irgend
möglich erscheint.
Bei den in Gewerbebetrieben verarbeiteten tierischen Roh¬
materialien (Tierfelle, Roßhaare, Lumpen), auch bei Häuten und
Fellen, mit denen Spielsachen überzogen werden, müssen die¬
selben Desinfektionsmaßnahmen, wie sie bei milzbrandver¬
dächtigem Material in Frage kommen, ergriffen werden.
Zum Schluß erlaube ich mir noch Herrn Geh. Med.-Rat
Dr. Heydloff in Erfurt für seine freundliche Unterstützung,
sowie Herrn Medizinalpraktikanten Sinngrün für die Zusen¬
dung der Krankengeschichte meinen verbindlichsten Dank aus¬
zusprechen.
Literatur.
Außer der bereits erwähnten Literatur sind noch benutzt:
Bongert: Zeitschrift für Fleisch- und Milchhygiene; 1902, S. 193.
Friedberger u. Ungermann: Handbuch der Hygiene von Rubner,
v. G ruber und Ficker; 1913, Bd. 3, 2. Abt.
Kolle u. Hetsch: Die experimentelle Bakteriologie und die Infektions¬
krankheiten ; 1911, I. Bd.
Aufgaben für den Kreisarzt während des Krieges.
Von Kreiarzt Dr. Sorge in Lüchow.
Während der Dauer des jetzigen Krieges hat sich die
Tätigkeit des Kreisarztes Friedenszeiten gegenüber immer mehr
geändert. Die sonst die Haupttätigkeit des Gesundheitsbeamten
im Kreis bildenden Besichtigungen von Ortschaften und Schulen
sind in den Hintergrund und andere Aufgaben an ihre Stelle
getreten, von denen mir gegenwärtig besonders eine Erörte¬
rung der Frage, welche Aufgaben dem beamteten Arzt in dem
jetzt geführten Kampf um die zweckmäßigste Volksernährung
zufallen, nützlich und notwendig erscheint. Es ist mir auf-
gefalien, wie verhältnismäßig wenig bisher Aerzte und besonders
beamtete Aerzte in dieser Frage um die Erhaltung unserer
Volkskraft hervorgetreten sind. Je länger der Krieg dauert,
je schwerer die Opfer an Gut und Blut werden, desto mehr
erwächst für jeden der Daheimgebliebenen die Pflicht, dahin
394
Dr. Sorge.
zu wirken, Mittel und Wege zu suchen, daß unser Vaterland
durch den Krieg möglichst wenig geschwächt wird und sich
nach dem Krieg bald möglichst wieder erholen kann. In dieser
Hinsicht steht doch wohl zweifellos an erster Stelle die Sorge
um die körperliche und geistige Gesunderhaltung unseres gegen¬
wärtigen Menschenmateriales und die Sorge um einen gesunden,
kräftigen Nachwuchs. Daß in diesen Fragen auch die Stimme
des Arztes, des Kreisarztes als Gesundheitsbeamten zu Gehör
und Geltung kommen muß, wird um so mehr notwendig, je
mehr Nahrungsmittel vom Staat und von Behörden in Ver¬
waltung genommen werden.
Schon bei der Verteilung der einem Kreis zur Ver¬
fügung stehenden oder ihm zugewiesenen Nahrungsmittel
sollte die Ansicht des Kreisarztes eingeholt werden; denn es
darf, sollen die vorhandenen Lebensmittel sachgemäß unter
die Einwohner verteilt werden, die Aufteilung nicht schematisch
nach Kopfzahl erfolgen, sondern es sind dieser physiologisch¬
hygienische Gesichtspunkte zugrunde zu legen. Es ist doch
ohne weiteres einleuchtend, daß der körperlich schwer Arbeitende
eine andere Kostform beansprucht und ein anderes Nahrungs¬
bedürfnis hat, als eine Frau oder ein Mädchen, und diese wieder
ein anderes, als ein Kind oder gar der Säugling. Ebenso wie
in einzelnen Gegenden und Kreisen unseres Vaterlandes die
Lebens- und Ernährungsbedingungen ganz verschieden sind,
ebenso verschieden sind auch die Nahrungsmittelbedürfnisse
für einzelne Bevölkerungs-, Berufs- und Altersklassen. Nur
wenn wir diese Verschiedenheiten auch bei der Zuteilung von
Nahrungsmitteln berücksichtigen, wenn wir individualisieren,
werden wir einen möglichst zweckmäßigen Verbrauch der zur
Verfügung stehenden Mittel erwarten dürfen, werden wir den
größtmöglichsten Nutzwert erzielen können.
Im allgemeinen wird man bei der Verteilung mit drei
großen Gruppen auskommen, wenn man 1. körperlich schwer
Arbeitende, 2. Säuglinge und Kinder bis etwa zum 6. Lebens¬
jahre und 3. alle übrigen unterscheidet und jeder dieser drei
Gruppen eine bestimmte Menge der zur Verfügung stehenden
Nahrungsmittel zuteilt. Der ersten Gruppe würde z. B. eine
größere Menge Kohlehydrate und auch Fleisch zuzubilligen
sein, wie der dritten, während der zweiten Gruppe ein Vorzug
bei Bezug von Milch und Butter zuzugestehen wäre, während
Fleisch, wenn nötig, ganz wegfallen könnte und Kohlehydrate
in Form von Brot und Kartoffeln in mäßigen Mengen er¬
forderlich wären. Auf Einzelheiten möchte ich hier nicht ein-
gehen, hervorheben möchte ich aber, daß ich auch den Brust¬
kindern ihr Milchquantum zugewiesen wissen möchte in der
Erwägung, daß diese Milch die stillenden Mütter für sich ge¬
brauchen.
Dem zu erwartenden Eimvand gegenüber, daß eine der¬
artige Differenzierung zu umständlich, schwierig und zeitraubend
sei, halte ich entgegen, daß die Mehrarbeit nur einmal, bei der
Aufgaben für den Kreisarzt während des Krieges.
396
ersten Ausgabe der betr. Nahrungsmittelbücher, zu leisten ist
und daß diese Mehrarbeit gegenüber den dadurch zu gewinnenden
Vorteilen nicht ins Gewicht fällt; außerdem werden sich in
jedem Kreis sicher reichlich Hilfskräfte finden lassen, wenn
die. vorhandenen Bürokräfte nicht ausreichen. Wo ein Wille,
da ist auch ein Weg!
Die Bevölkerung würde zweckmäßig durch mündliche
Vorträge oder auch Aufsätze in der Zeitung über Sinn
und Zweck der behördlichen Anordnungen aufgeklärt. Greift
ein größeres Verständnis über die Lage unseres Nahrungs-
raittelmarktes Platz, dann wird auch ein ehrlicheres Befolgen
der Anordnungen zu beobachten sein.
Um zu sehen, ob mit der Versorgung der Bevölkerung
mit Nahrungsmitteln der richtige Weg eingeschlagen ist, werden
von dem Kreisarzt ferner Untersuchungen über den Er-
nährungs- und Gesundheitszustand der Kreis¬
einwohner vorzunehmen sein. Naturgemäß wird zuerst bei
den Kindern sich ein Mangel in der Ernährung bemerkbar
machen; es werden deshalb am wichtigsten Untersuchungen
(Wägungen) der Kinder in Bewahranstalten (Spielschulen) und
Volksschulen sein.
In etwas loserem Zusammenhang mit der Kriegsernährung
stehen zwei weitere Dinge, die aber m. E. während des Krieges
und auch nach demselben eine ganz besondere Aufmerksamkeit
vom Kreisarzt verlangen, ich meine die Fürsorge für die
Säuglinge und die Haltekinder.
Nach den Verlusten dieses Krieges ist es unsere ernsteste
Pflicht, dafür zu sorgen, daß die gezeugten Kinder lebend zur
Welt kommen, daß sie am Leben erhalten und unter möglichst
günstigen Bedingungen aufgezogen werden. In dieser Hinsicht
wird auch in rein ländlichen Kreisen viel und jedenfalls mehr,
als im allgemeinen angenommen wird, gefehlt. Gerade in länd¬
lichen Kreisen liegt die Wöchnerinnen- und Säuglings¬
pflege noch sehr im argen. Dankbar wird der große Segen
der Reichswochenhilfe anerkannt, ein Zeichen, wie nötig Hilfe
in dieser Hinsicht getan hat. Aber die vermehrte Arbeitslast,
die auf den Frauen liegt, läßt nur zu häufig die nötige Sorg¬
falt in der Pflege des Neugeborenen fast unmöglich werden;
dazu kommt, daß durch den Mangel an Aerzten oder auch
durch Mangel an Zeit sachgemäße Hilfe bei Erkrankungen nicht
zur rechten Zeit in Anspruch genommen wird. Hier sollten
m. E. Krankenhäuser sich der kranken kleinen Kinder besonders
annehmen; der Kreis sollte außerdem Mittel bereitstellen, um
kranken Säuglingen, wenn nötig, unentgeltlich Aufnahme in
Krankenanstalten zu verschaffen. Der Arzt weiß, wie schwer es
ist, beim Darmkatarrh der Säuglinge im Hause die zweckmäßige
Ernährung durchzusetzen; er weiß, daß alles auf die Ernährung
und sorgfältigste Pflege und Beobachtung ankommt; er steht oft
vor unüberwindlichen Schwierigkeiten, zumal, wenn er nicht
häufig nach dem Rechten sehen kann. In solchen Fällen wird
396
Bericht über die Generalversammlung des Deutschen
häufig die Behandlung und Pflege im Krankenhaus durch
zweckmäßige Ernährung und Pflege lebensrettend wirken. Hier
muß der Kreisarzt mit seinem Rat und durch seinen Einfluß helfend
eingreifen; dann wird es ihm auch gelingen, manches Menschen¬
leben dem Staat zu erhalten.
Ganz besonders gefährdet unter diesen kleinen Kindern
sind von alters her die sog. Halte- und Ziehkinder,
meist uneheliche Kinder, die von den Eltern der Mutter oder
von ganz fremden Frauen gegen Entgelt aufgenommen und
nur zu häufig nicht mit der nötigen Sorgfalt behandelt werden.
Es handelt sich hier vielfach auch um schon ältere Kinder,
deren Ernährung jetzt in den teueren Zeiten, in denen womöglich
auch das „Pflegegeld“ noch ausbleibt, so mangelhaft wird, daß
der Körper dabei nicht nur nichts zu seiner Weiterentwicklung
ansetzen kann, sondern langsam und dauernd in seinem Kräfte¬
zustand zurückgeht. Ich halte es für eine dringende Aufgabe
des Kreisarztes, jetzt im Kriege derartige Pflegestellen regel¬
mäßig zu besuchen und auf bessere Unterbringung des Pflege¬
kindes zu dringen, wenn sich gröbere Mängel finden. Wohl
geschieht in dieser Hinsicht in größeren städtischen Gemeinden
und in Industriegegenden schon viel, auch ruht die Arbeit
im Kriege nicht; auf dem Lande haben diese Fragen aber
bisher häufig nicht die Beachtung gefunden, die sie auch hier
durchaus verdienen und die wir in der Jetztzeit mit vermehrtem
Nachdruck fordern müssen. Ich bin mir wohl bewußt, daß von
der Theorie zur Praxis ein weiter, schwerer Schritt ist, auf der
anderen Seite glaube ich aber auch, daß die jetzige Zeit günstig
dafür ist, das Verständnis für derartige soziale Bestrebungen
in weiteren Kreisen zu wecken, und daß jetzt manche Hinder¬
nisse, die im Frieden praktischer sozialer Arbeit entgegenstehen,
leichter zu überwinden sein werden.
Aus Versammlungen und Vereinen.
Bericht über die Generalversammlung des Deutschen
Zentral-Komitees zur Bekämpfung der Tuberkulose, über
die Sitzung des Ausschusses und über die Versammlung
der Tuberkulose-Aorzte in Berlin am 19. Mal 191®.
A. Generalversammlung.
1. Eröffnung. Der stellvertretende Vorsitzende Exz. von Lerchenfeld
eröffnet die Sitznng und läßt sich ermächtigen, dem erkrankten Vorsitzenden,
Staatsminister Dr. Delbrück, die besten Wünsche der Versammlung zur
Genesung auszusprechen. Der Begrüßung der aus allen Gegenden Deutschlands
besonders zahlreich erschienenen Mitglieder folgt ein kurzer Ueberblick über
den Fortgang der Tuberkulosebekämpfung während des Krieges.
Es sei gelungen, die bisher bestehenden Tuberkuloseeinrichtungen, soweit sie durch
den Kriegsausbruch gestört waren, im Laute des letzten Jahres sämtlich wieder
in Betrieb zu setzen. In der langen Dauer des Krieges und in den dadurch
bedingten ungünstigen Wirkungen auf den allgemeinen Gesundheitszustand
liegt auch ein besonderer Anlaß, das Rüstzeug gegen die Tuberkulose dauernd
kampfbereit zu halten. Wie in dem Kampfe draußen die zähe Ausdauer der
Truppen, unterstützt durch die Ueberlegenheit unserer Technik, langsam aber
sicher von Erfolg zu Erfolg schreitet, so darf auch in dem Kampfe, den unsere
Zentral-Komitees zur Bekämpfung der Tuberkulose usw.
397
Vereinigung seit nunmehr zwanzig Jahren zielbewußt und mit sicht¬
barem Erfolge gegen die Tuberkulose führt, kein Nachlassen eintreten und
kein Mittel oder Weg unversucht bleiben, der uns dem endgültigen Siege näher
bringen kann. Der Erhaltung und Vermehrung unserer Volkskraft wird in der
Tuberkulosefürsorge durch vermehrte Bemühungen um die heranwachsende
Jugend Rechnung getragen. Die Tuberkulosefürsorge für den nicht ver¬
sicherten Mittelstand hat dank des besonderen Zuschusses, der seit
1914 durch den Beichshaushalt bewilligt wird, einen erfreulichen Aufschwung
genommen. Auch der Verband deutscher Beamtenvereine, der deutsche Lehrer¬
verein, der Verband mittlerer Post- und Telegraphenbeamten haben Organi¬
sationen für die Tuberkulosefürsorge in ihren Kreisen geschagen. Die Reichs-
Versicherungsanstalt für Angestellte gewährt in weitherzigster
Weise Heilverfahren in Fällen von Tuberkulose. Es bleibt zu wünschen, daß
auch die Lebensversicherungsgesellschaften im Interesse ihrer
zumeist dem Mittelstände angehörenden Versicherten tätigen Anteil nehmen.
Dringend erwünscht ist auch der weitere Ausbau der Fürsorge¬
stellen für Lungenkranke, zumal in ländlichen Bezirken, ferner eine
möglichst praktische Fürsorge für die lungenkranken Kriegsbeschä¬
digten in bezug auf Arbeitsvermittelung, Wohnungsfürsorge, Familien¬
fürsorge, gesundheitliche Ueberwachung, rechtzeitige Vermittelung von Heil-
stättenkuren und dergl. mehr. (Beifall).
Des Heimganges des Präsidialmitgliedes Staatsministers v. Podbielski
wird unter Betonung seiner Verdienste ehrend gedacht. Der Verstorbene hat
insbesondere seit 1915 als Vorsitzender der Mittelstandskommission die Tuber¬
kulosefürsorge für den Mittelstand warmherzig und erfolgreich gefördert.
2. Geschäftsbericht, erstattet vom Generalsekretär, Oberstabsarzt
Dr. Helm : Die Mitgliederzahl betrug am 1 . Januar 1915: 1466; während
des Berichtsjahres sind 52 Mitglieder ausgeschieden, 62 neu beigetreten, so daß
am Jahresende 1476 Mitglieder dem Zentralkomitee angehörten.
In der Zahl der Lungenheilstätten für Erwachsene und Kinder,
der Walderholungsstätten und Waldschulen, der Genesungs¬
heime und Pflegestätten sind wesentliche Veränderungen während des
letzten Jahres nicht eingetreten. Immerhin sind trotz des Krieges einige Neu¬
bauten und Erweiterungsbauten fertiggestellt und in Betrieb genommen worden;
z. B. das Tuberkulosekrankenhaus der Stadt Stettin, der Erweiterungsbau der
Heilstätte Holsterhausen für Lungenkranke des Mittelstandes, die zweite Kinder-
heilanstalt des Viktoriastiftes in Kreuznach mit 240 Betten für Sommer- und
Winterbetrieb, die Kinderheiistätte bei Scheidegg im bayrischen Allgäu für
Kinder beiderlei Geschlechts im Alter von 6—14 Jahren und eine neue Ab¬
teilung mit 70 Betten im St. Vincenz-Waisenhaus in Neunkirchen. Weitere
Anstalten sind im Bau befindlich und beweisen, daß trotz Krieg auf dem Ge¬
biete der Tuberkulosebekämpfung die im Frieden verfolgten Wege und Ziele
weiter ausgebaut und gefördert werden. Das Verzeichnis aller dieser Einrich¬
tungen ist nicht neu gedruckt, dafür aber dem Geschäftsbericht ein Verzeichnis
der an der Tuberkulosebekämpfung beteiligten Vereine angeschlossen. — Eine
große Anzahl von Heilstätten, Pflegeheimen und Walderholungsstätten sind
zurzeit für militärische Zwecke und zwar zur Unterbringung lungenkranker
Soldaten ganz oder teilweise in Anspruch genommen. Das wird verständlich,
wenn man berücksichtigt, ein wie großer Teil der männlichen Bevölkerung
jetzt unter den Waffen steht und in wie großzügiger Weise die Heeresver¬
waltung den während des Dienstes im Felde Erkrankten oder Krankbefundenen
Heilverfahren gewährt. Anderseits ist die Zahl der von Landesversicherungs¬
anstalten, Krankenkassen, Pensionskassen usw. gewährten Heilverfahren in
Lungenheilstätten entsprechend zurückgegangen, 3 p daß die Heilstätten für
militärische Zwecke bereitgestellt werden konnten.
Auch in den Fürsorgestellen gewinnt neben der Beratung der
Familienangehörigen von Kriegsteilnehmern die Fürsorge für die als lungen¬
krank vom Militär wieder Entlassenen ständig an Umfang und Bedeutung. In
der Tätigkeit, einer Verschlechterung der Gesundheitsverhältnisse unter den
Frauen und Kindern der zum Heeresdienst Eingezogenen und in den Familien
der vom Militär entlassenen Lungenkranken vorzubeugen, werden die Fürsorge-
steilen durch die Gemeindebehörden, die am Orte befindlichen Woblfahrtsvereine
398
Bericht über die Generalversammlung des Deutschen
und durch die Freigiebigkeit von besonderen Gönnern, nicht zuletzt aus den
Kreisen der Industrie und des Handels unterstützt. In weitgehendster Weise
helfen auch hier die Landesversichernngsanstalten mit.
Der Tuberkulose -Ausschuß der Abteilung Kriegswoh 1 fahrts¬
pflege des Zentralkomitees vom Roten Kreuz hat unter Aufwendung sehr
erheblicher Geldmittel lungenkranke Frauen und Kinder der zum Heeresdienst
Eingezogenen mit Kurbeihilfen und Freistellen in Heilstätten bedacht. Ferner
hat er durch Gewährung von Betriebsbeihilfen für Tuberkuloseeinrichtungen
und durch Vermittlung geeigneten Personals überall da zu helfen versucht,
wo der Betrieb ins Stocken zu kommen drohte. Der Tuberkulose - Ausschuß
erhielt zu diesen Aufgaben vom Deutschen Zentralkomitee zur Bekämpfung
der Tuberkulose auch im Jahre 1915 den Betrag von 30000 Hark, weitere
Mittel vom Zentralkomitee vom Roten Kreuz und den Landesversicherungs¬
anstalten Berlin und Brandenburg zur Verfügung gestellt. — Bei dem Reichs-
ausschnß für die Kriegsbeschädigten in Berlin ist ein Sonderaus¬
schuß für Lungenkranke gebildet; Vorsitzender dieser Gruppe ist Mi¬
nisterialdirektor Prof. Dr. Kirohner, Schriftführer Generalsekretär Dr. Helm.
Seine Aufgabe ist die Erörterung aller Fürsorgemaßnahmen für die wegen
Lungentuberkulose als Kriegsbeschädigte zur Entlassung kommenden Heeres¬
angehörigen, die Sorge für ihre Unterbringung in geeigneten Anstalten (Heil¬
stätten, Krankenhäusern oder Pflegeheimen), endlich die Maßnahmen zur Ver¬
hütung der Weiterverbreitung der Tuberkulose in den Familien der kriegs-
beschädigten Lungenkranken und dergl. mehr.
3. Kassenbericht. Die Einnahmen des Zentralkomitees, die sich aus
den Mitgliederbeiträgen, freiwilligen Spenden und Schenkungen, dem Reichs-
zuschnß und dem Lotterieerlös zusammensetzen, haben 631168,24 Mark be¬
tragen; darunter 47240 Mark Mitgliederbeiträge und Schenkungen, 110000 M.
Reichszuschuß einschließlich der für Zwecke der Tuberkulosefürsorge im Mittel¬
stand bewilligten 50 000 M., 20000 M. Zuschuß vom Reichsamt des Innern zur
besonderen Verwendung für die Kriegszeit und 125000 M. Ertrag aus der durch
AUerhösten Erlaß vom 17. Februar 1915 bewilligten Geldlotterie. Der Ein¬
nahme steht eine Gesamtausgabe von 544007,74 M. gegenüber. Für den Bau
oder die erstmalige Einrichtung von Heilstätten und anderen Tuberkulose¬
einrichtungen sind 82550 M. neu bewilligt worden. — Das Vermögen des
Deutschen Zentralkomitees betrug am 1. Januar 1916 434310,50 M. Der Vor¬
anschlag für das Jahr 1916 schließt in Einnahmen mit rund 370000 M., in
Ausgaben mit 321600 M. ab. Auf Grund der Rechnungslegung, die von den
Rechnungsprüfern für richtig befunden ist, wird Entlastung erteilt. Der Vor¬
anschlag für 1916 wird ohne Einspruch angenommen.
4. Aufgaben der Tuberkulosebekämpfung während des Krieges.
Berichterstatter: Ministerialdirektor Prof. Dr. Kirchner-Berlin:
Die heutige Versammlung soll erstens eine Kundgebung der Zentralstelle
der Deutschen Tuberkulosebekämpfung über das im Kriege auf diesem Gebiete
Geleistete sein. Zweitens sollen ihre Verhandlungen das Interesse der Oeffent-
lichkeit für die weiteren großen Aufgaben gegen den Erbfeind, die verheerendste
aller Volksseuchen, wachrufen. Vor dem Kriege war der Stand der Tuberkulose¬
bekämpfung geradezu glänzend; sie hat ein regelmäßiges Absinken der Sterb¬
lichkeit an dieser Krankheit zur Folge gehabt, in Preußen in den 30 Jahren
um mehr als die Hälfte.
Sehr zeitgemäß ist ein Blick auf die Tuberkulose in den einzelnen
Heeren. Für das deutsche Heer ist dies Bild recht günstig: denn dem
Heere sind die gewaltigen Fortschritte Deutschlands in der Seuchen- und
Tuberkulosebekämpfung, insbesondere der Aufschwung der Bakteriologie und
die Entdeckung des Krankheitserregers durch Robert Koch, die frühzeitige
Diagnosenstellung, die Erkenntnis der Heilbarkeit, die planmäßige Fürsorge
für die Lungenkranken durch Heilstätten, Walderholungsstätten und das Netz
der Fürsorgestellen und in allem der .Segen der einzig dastehenden deutschen
sozialen Versicherungsgesetzgebung zugute gekommen. Aeußerst ungünstig
lauten dagegen die Tuberkulosezahlen für die französische Armee, die im
Vergleich zur deutschen mehr als 6 mal so schwer von der Tuberkulose hehn-
gesucht wird. Wir merken das an den vielen lungenkranken französischen
Zentral - Komitees zur Bekämpfung der Tnberknlose usw. 399
Gefangenen in nnseren Gefangenenlagern; auch berichten unsere Feldgrauen,
daß in den französischen Schützengräben ein dauerndes Husten herrsche. In
den englischen Armeen steht es ebenfalls nicht gut, jedenfalls schlechter
als bei uns. Von der Tuberkulose in der russischen Armee weiß man nichts
Genaues, denn wie auch sonst lügt di% russische Statistik. Erfreulich ist für
uns, daß die österreichische Armee gleich die Stelle hinter der günstigen
deutschen Tuberkulosezahl einnimmt. Aber das alles darf nns nicht beruhigen
oder in Sicherheit wiegen. Wir dürfen auch während des Krieges in dem
Kampfe gegen die Tuberkulose nicht nachlassen, da uns sonst schwere Ge¬
fahren drohen; denn wir haben immer noch 1 Million Tuberkulöser in Deutsch¬
land. Erfreulicherweise sind wir in der Lage, in den deutschen Heilstätten
mehr als 10°/ 0 aller Tuberkulösen der Heilbehandlung zu unterziehen; es ist
dies eine ungeheure und von keinem Volke der Erde erreichte Leistung! Ferner
bestehen jetzt in Deutschland 1100 Fürsorge- und Auskunftsstellen, durch die
ein sehr erheblicher Prozentsatz der tuberkulösen Bevölkerung überwacht wird.
Beim Ausbruch des Krieges drohte allen diesen Einrichtungen eine große
Gefahr, die um so bedenklicher war, als eine Zunahme der Tuberkulose¬
erkrankungen durch den Krieg befürchtet werden mußte. Im Beginn des
Krieges mußten Lungenheilstätten und Auskunftsstellen geschlossen werden,
weil die Aerzte ins Feld zogen, die Kranken die Anstalten verließen und zum
Teil selbst in den Heeresdienst eintraten. Die Störungen in der Tuberkulose¬
bekämpfung, die der Kriegsausbruch mit sich brachte, waren indes nur vorüber¬
gehend. Schon im August 1914 wurde auf Anregung Ihrer Majestät der
Kaiserin anf die Wichtigkeit, die Tuberkulosefürsorgebestrebungen fortzu¬
führen, hingewiesen; es wurde ein Tuberkulose-Ausschuß begründet, der in
Zusammenwirken mit der Heeresverwaltung und dem Roten Kreuz die Tätig¬
keit der Heilstätten und der anderen Einrichtungen wieder in die alten be¬
währten Bahnen lenkte, eine großzügige Tuberkulosefürsorge für die Erkrankten
im Heere einrichtete usw. So ist es gelungen, die schädlichen Einwirkungen
des Krieges auf ein Mindestmaß zu beschränken. Immerhin ist im Jahre 1914,
seit vielen Jahren zum ersten Male, eine Zunahme der Tuberkulosesterblichkeit
festgestellt; sie ist aber nur gering, nämlich 13,87 auf 10000 Einwohner gegen
18,66 im Jahre 1913. Vergleicht man die Tuberkulose-Todesfälle in den ersten
Vierteljahren 1914, 1916 und 1916, so fällt auf, daß diese Zahl 1914 klein,
1916 etwas, aber wenig größer war, dagegen 1916 recht merklich ge¬
stiegen ist.
Neuerdings tauchen wieder Befürchtungen nach der Richtung anf, daß
infolge der durch die lange Dauer des Krieges verschlechterten Lebens-
bedingungen eines großen Teiles der Bevölkerung die Tuberkulose zunehmen
würde. Tatsächlich kann man nicht ohne einige Besorgnis den Folgen der
Milch- und Butterknappheit in den Großstädten und den sonstigen Ernährungs¬
schwierigkeiten entgegensehen. Sie können die Gesundheitsverhältnisse und
damit die Disposition für die Tuberkulose ungünstig beeinflussen, und sie
werden die Behandlung der Lungenkranken in den Heilstätten und Kranken¬
häusern zweifellos erschweren. Da gilt es, mit Ernst in die Zukunft zu blicken
und den Kampf gegen die Tuberkulose mit aller Kraft wieder aufzunehmen I
Ein Zufluß größerer Mittel ist daher auch dringend erwünscht.
Die Mittel zur Abhilfe liegen in erster Linie bei den Heilstätten
und den Auskunfts- bzw. Fürsorgestellen. Eine Vermehrung der Heilstätten
ist nicht erforderlich; es gehört aber zu ihren künftigen Aufgaben, die
klimatischen Faktoren, namentlich die Sonnenbehandlung, ausgiebiger auszu¬
nutzen und dabei auch die künstliche Höhensonne als Ersatz heranzuziehen.
Unbedingt notwendig ist, daß die Zahl der Auskunfts- und Fürsorge¬
stellen noch wesentlich weiter vermehrt wird. Jede Stadt, jeder Kreis muß
eine solche bekommen; Gemeinden und Kreise müssen in diesem Punkte noch
viel mehr leisten. Die nötigen Hilfskräfte für die Fürsorgestellen sollten in
Wohlfahrtsschulen nach dem Muster der in Cöln bestehenden ausge¬
bildet werden. Die Fürsorgerinnen hätten dann in Fürsorgeämtern mit¬
zuarbeiten und erziehlich auf die Bevölkerung einzuwirken. Seitens des
Preußischen Ministeriums des Innern steht nach dieser Richtung insofern eine
wesentliche Hilfe in Aussicht, als die Einrichtung von besonderen Schulen
zur Ausbildung von Fürsorgerinnen geplant ist.
400 Bcr. über die Gen.-Vers, des D. Zentralkomitees z. Bek. d. Tuberkulose.
Endlich fällt der Landwirtschaft die wichtige Aufgabe und Pflicht zn,
die Stadtbevölkerung reichlicher mit Milch zu versorgen. (Lebhafter Beifall.)
Generalarzt Dr. Schnitzen bestätigt die Ausführungen des Vortragenden
hinsichtlich der günstigen Tnberknlosezahlen bei der Armee. Die graphisch
dargestellte Tuberkulosekurve zeigt inf Oktober des ersten Kriegsjahres eine
Erhebung, die bedingt ist durch die neue Einstellung. Bei der Feldarmee ist
der Prozentsatz an Tuberkulose etwas höher als im fünfjährigen Friedens¬
durchschnitt. Das erklärt sich dadurch, daß das Feldheer größer ist and
höhere Altersklassen umgreift. Die noch höhere Tuberkuloseziffer beim
Besatzungsheer ist darauf zurückzuführen, daß es alle Eingestellten einbegreift,
auch die, die nach der Einstellung als tuberkulös erkannt'und wieder ausge¬
mustert wurden. Im Felde halten sich Leute, die erfolgreiche Heilstättenknren
durchgemacht haben, gut.
Der Vorsitzende dankt dem Vortragenden besonders dafür, daß er den
Dingen fest ins Auge gesehen und die Lage geschildert habe, wie sie
wirklich ist.
Im Anschluß hieran wird der Versammlung folgender von Kreisarzt
Dr. Dohrn-Hannover and Prof. Dr. Pannwitz-Hohenlychen gestellter Antrag
unterbreitet:
„Weitere Fortschritte in der Tuberkulosebekämpfung sind davon zu
erwarten, daß der Schwerpunkt der Tuberkulose-Ermittlung und Bekämpfung
noch mehr als bisher in das schulpflichtige Alter verlegt wird. Das
läßt sich aber nur dadurch ermöglichen, daß durch schulärztliche Unter¬
suchungen der Gesundheitszustand der Schuljugend überwacht und hierbei alle
Maßnahmen getroffen werden, welche der Bekämpfung der Tuberkulose dienen
können. Ein Schularztgesetz ist deshalb dringend erforderlich. Es
genügt nicht, wenn nur in den größeren Städten Schulärzte tätig sind. Die
Erfahrung hat gezeigt, daß auch das flache Land dringend eines geregelten
schulärztlichen Dienstes bedarf."
Zu dem Anträge wird bemerkt, daß die Begelung der Schularztirage
nicht durch Gesetz erfolgen kann, sondern auf dem Verordnungswege geschieht.
Einer einheitlichen Begelung stellen sich große Schwierigkeiten entgegen. Im
übrigen wurde die Anregung als dankenswert begrüßt.
B. Ausschuß-Sitzung.
1. Wahl. Für den verstorbenen Staatsminister v. Podbielski wird
der Staatsminister Dr. Graf von Posadowsky-Wehner in das Präsidium
des Zentralkomitees gewählt. Der Gewählte, Ehrenmitglied des Präsidiums,
hat den Vorsitz in der Kommission für die Tuberkulosefürsorge im Mittelstand
übernommen.
2. Anträge. Der satzungsgemäß dem Ausschuß vorgelegte Antrag auf
eineBeihilfe von 40000 Mark für die Prinzregent Luitpold-Kinder¬
heilstätte zu Scheidegg i. Allgäu wird einstimmig angenommen. Hof rat
Dr. May-München dankt im Namen des Bayerischen Landesverbandes zur
Bekämpfung der Tuberkulose und betont, daß die neue Heilstätte, die während
des Krieges als Lazarett belebt sei, besonders auch der Behandlung der
chirurgischen Tuberkulose des kindlichen Alters dienen und durch seine Lage
im Allgäu die Heliotherapie im vollsten Maße ermöglichen würde.
C. Versammlung der Tuberkulose-Aerzte.
Als fachwissenschaftliche Fortsetzung der Generalversammlung fand
nachmittags im Kaiserin-Friedrich-Hause unter dem Vorsitz des Ministerial¬
direktors Prof. Dr. Kirchner eine Aussprache der Tuberkulose-Aerzte über
die „Kriegsernährung der Lungenkranken in Heilstätten“ statt.
Ministerialdirektor Kirchner bezeichnet einleitend die Frage, wie bei
der gegenwärtigen Knappheit verschiedener Nahrungsmittel eine Schädigung
des Heilverlanfs bei Tuberkulose-Erkrankungen vermieden werden könne, als
sehr wichtig. Es steht fest, daß die Sterblichkeit an Tuberkulose im ersten
Kriegsjahre nicht zurückgegangen ist, sondern im Gegenteil um ein geringes
zugenommen bat. Diese Erscheinung verlangt um des Steigerungsbestrebens
willen ernsthafteste Aufmerksamkeit. Zu fürchten ist, daß im Jahre 1915
ebenfalls kein Stillstand eingetreten sein wird, sondern vielleicht ein weiteres
Kleinere Mitteilangen and Referate aas Zeitschriften.
40t
geringes Ansteigen. Ministerialdirektor Kirchner begründet diese Befürchtung
besonders mit der Milchknappheit. Abgesehen von der Sterblichkeit läge aber
aach für den Heilangsverlanf die Befürchtung nahe, daß infolge der Knapp¬
heit verschiedener Lebensmittel Hemmungen eintreten könnten.
Berichterstatter sind Dr. Schröder - Schömberg und- Dr. Libawsky-
Landeshat. Früher hat man bei der Behandlung von Tuberkulösen ganz
besonderen Wert auf Mästung des Kranken gelegt. Davon ist man mit der
Zeit mehr zurückgekommen und hat die Ueberernährung durch eine gute
Ernährung ersetzt. Jetzt müssen auch die Heilstätten die fett- und fleisch¬
losen Tage einhalten. Wie sich die Wirkungen dieser Schmälerung bei den
Kranken zeigen bzw. zeigen können, darüber wird eingehend berichtet. Ein
Qrund zu einer wirklichen Beunruhigung liegt nicht vor. Zunächst bat sich
gezeigt, daß die Einstellung der Ueberernährung, wo sie üblich war, keinerlei
Schädigungen im Gefolge hatte. Es ist daher sehr wohl möglich, daß diese
Methode der rücksichtslosesten Mästung überhaupt jetzt ihren Todesstoß
erhält. Die Gewichtszunahme ist in den Heilstätten im Jahre 1915 fast die
gleiche gewesen trotz der eingeschränkten Nahrungsmenge; allerdings war sie
geringer in den ersten Monaten von 1916. Entscheidend ist aber, daß dabei
die Heilungserfolge nicht ungünstiger geworden sind.
Für die nächste Zukunft verlangen die beiden Berichterstatter einen
gewissen Mindestsatz von Fett, Eiweiß uod Kohlehydraten für Tuberkulöse;
auch wird gewünscht, daß für die Heilstätten keine fleisch- und fettlosen Tage
gelten sollten. Diese Wünsche werden den zuständigen Stellen vorgelegt
werden. Es ist zu hoffen, daß es gelingen wird, die Heilungen tuberkulöser
Lungenkranker auch weiter ohne Schädigung durchzuführen.
Prof. Dr. B o e p k e - Melsungen.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
A. Bakteriologie and Bekämpfung der Abertragbaren Krankheiten.
1. Flecklieber.
Haut veränderungen bei Meerschweinchen - Flecktyphus. Aus dem
serotherapeuthischen Institut in Wien (Hofrat R. Paltauf). Von Otto Löwy.
Wiener klinische Wochenschrift; 1916, Nr. 18. Mit 3 Abbildungen.
Injiziert man einem Meerschweinchen intraperitoneal 3—6 ccm Blut eines
fiebernden Flecktyphuskranken, so tritt gewöhnlich nach einer Inkubation von
7 bis 20 Tagen ein Fieberanstieg oft bis über 40° auf. Das Fieber hält einige
Tage an, um dann zur Norm herabzusinken. Das Virus ist von Tier zu Tier
übertragbar.
Der bis jetzt unbekannte Erreger macht oft in verschiedenen Organen
Veränderungen in Form von Schwellung der Milz und der Lymphdrttsen; er
erzeugt Blutungen (Lunge, Harnblase), wie sie auch bei der menschlichen Er¬
krankung Vorkommen können. Unter 25 genau auf die makroskopischen Ver¬
änderungen untersuchten Tiere fanden sich 6mal mit Sicherheit Flecke von
verschiedener Größe, die erst nach Abpräparieren der Haut sichtbar wurden
und im wesentlichen den menschlichen Fleckfieberroseolen gleichen.
Dr. Mayer-Simmern.
Klinische und mikroskopische Untersuchungen über Fleckfleber.
Aus dem Epidemiespital des Alig. Landeskrankenhauses in Lemberg (Vorsteher:
Prim. Dr. Arnold). Von Reg.-Arzt Privatdozent Dr. Lipschütz. Wiener
klin. Wochenschrift; 1916, Nr. 18.
Auf Grund seiner in Przemysl und Lemberg gemachten Beobachtungen
bezeichnet Verfasser die Fieberkurven bei Flecktyphus als eine hohe Continua,
der ein mehrtägiges, oft hohes Initialfieber vorangeht; beide sind dnreh eine
charakteristische Senkungszacke getrennt. — Dem Auftreten des
eigentlichen Exanthems können Hautveränderungen vorausgehen, die sich
entweder als spärliche, zerstreut angeordnete, an Abdominalisroseolen erinnernde,
papulöse Effloreszenzen oder als hellrote, ziemlich scharf begrenzte, bis über
linsengroße in der Haut gelegene Flecke darstellen.
Lipschütz rechnet das Fleckfieber zu den akuten Exanthemen,
die durch Virusarten erzeugt werden, die entweder bakteriendichte Filler
402
Kleinere Mitteilungen and Beferateaus Zeitschriften.
passieren oder doch za diesen Erregern nahe Beziehungen aufweisen. In Ueber-
einstimmang mit v. Prowazek fand er bei einem Bruchteil der Leukozyten
im Blate Fleckfieberkranker Körperchen von etwa 0,3 jx Größe, die zahlreich,
zierlich, distinkt auf traten, eine prägnante Färbung ermöglichten und auf der
Höhe der Infektion am leichtesten nachweisbar waren.
_ Dr. Mayer -Simmern.
2. Epidemische Genickstarre.
Atypische und abortive Formen der epidemischen Meningitis beim
Erwachsenen. Von Prof. Dr. H. Schlesinger - Wien. Deutsche med. Wochen¬
schrift; 1916, Nr. 18.
Atypische Formen der epidemischen Meningitis sind beim Erwachsenen
relativ häufig. Die Kenntnis der sehr abwechslungsreichen klinischen Bilder
ist aus prophylaktisch-therapeutischen Gründen wichtig. Beachtenswert sigd
die Formen mit vorwiegend gastro-intestinalen Erscheinungen, mit initialer
Harnretention und mit schweren psychischen Störungen. Abortive leichteste
Fälle mit kurzdauerndem Fieber können sich gelegentlich durch ausgedehnten
Herpes, besonders der Schleimhäute verraten.
Bei der Infektion spielt die individuelle Prädisposition eine bedeutende
Bolle, desgleichen bei Entstehung der Alters-Meningitis. Die Tachykardie ist
bei der epidemischen Genickstarre eine sehr häufige Erscheinung, die oft
wochenlang das Fieber überdauert und erst mit dem Abklingen der meningealen
Erscheinungen verschwindet. Dr. B o e p k e - Melsungen.
Ueber eine unter dem Bilde des Meningismus verlaufende Allgemein¬
infektion mit Gramnegative Diplokokken. Von Bichard Stephan. Münchener
med. Wochenschrift; 1916, Nr. 19.
Akuter Beginn mit heftigem Kopfschmerz, hochgradige Empfindlichkeit
gegen Berührung und passive Bewegung, Herpes labialis, Schüttelfrost;
hämorrhagische Nephritis und als Zeichen des erhöhten Gehirndruckes und
der hinteren Wurzel reizung Nackensteifigkeit, relative und absolute Bradykardie.
In negativer Hinsicht: Fehlender Nachweis einer Typhus- und Meningokokken¬
infektion durch Kulturen und Beobachtung der Agglutinationskurve.
Als Ausgangsort der Bakteriämie wird die Schleimhaut der oberen Luft¬
wege bezeichnet. Therapeutisch wurde Urotropin mit großem Vorteil gegeben.
_ Dr. G r a ß 1 - Kempten.
3. Wochenbettfieber und Wochenbettfürsorge.
Die Behandlung der Placenta praevia durch den praktischen Arzt.
Von Dr. B i ß m a n n, Direktor der Hebammenschule in Osnabrück. Medizinische
Klinik; 1915, Nr. 25.
Auf Grund seiner langjährigen Erfahrungen kommt B. zu folgenden
Grundsätzen für die Behandlung der Placenta praevia: Die kombinierte Wen¬
dung nach Braxton Hicks gibt für die Mutter sehr gute Besultate und
kann bei abgestorbenen oder lebensunfähigen Kindern, ferner bei Placenta
E raevia centr., wenn es sich um invalide oder sehr ausgeblntete Patientinnen
andelt, in erster Linie empfohlen werden. Dem Kaiserschnitt fällt somit nur
ein sehr beschränktes Gebiet bei der Behandlung der Placenta praevia zu.
Die extraovuläre Metreuryse mit großem Ballon vermag aber, in ge¬
eigneten Fällen angewandt, wesentlich mehr Kinder zu retten als die kombi¬
nierte Wendung, und annähernd soviel wie der Kaiserschnitt. Diese Methode
kann deshalb warm empfohlen werden.
In der Nachgeburtperiode ist sofort das Aortenkompressorium anzu¬
wenden. Heiße Spülungen sind gänzlich zu verwerfen.
Neue Wege der Eklampstebehandlung. Von Dr. Paul Bißmann,
Direktor der Hebammenscbnle in Osnabrück. Zeitschrift für Geburtshilfe und
Gynäkologie; LXXVIII Bd.
Der Gebrauch von Morphium, von Chloral und von Kochsalzinfusionen
bei der Eklampsie empfiehlt sich nach Verfassers Ansicht durchaus nicht, da¬
gegen haben wir im Luminalnatrium ein Schlafmittel, das allen Ansprüchen
Kleinere Mitteilungen and Befernte aus Zeitschriften.
403
gerecht za werden scheint. Außer Lamin&l scheint in schwereren Fällen von
Eklampsie die sabkut&ne resp. intramuskuläre oder die rektale Anwendung
von Magnesiumsalzen günstig zu wirken; auch ein Aderlaß ist in gewissen
Fällen empfehlenswert Außerdem ist, wenigstens bei Geburtseklampsien, stets
eine möglichst schnelle Entbindung anzustreben.
4. Tuberkulose.
Vergleichende Tuberkulosesputumuntersuchungen vermittels der
Ziehl'Neelsenschen und der Kronbergerseben Tuberkelbazillenflrbnng.
(Aus der deutschen Heilstätte in Davos.) Von AssistenzarztDr. F. Lichtweiß.
Zeitschrift für Tuberkulose; Bd. 25, Heft 2.
Bei 200 Sputamuntersuchungen wurde die Karbolfuchsin-Jodmethode
nach Kronberger angewandt und mit der Ziehl-Neelsenschen Färbung
verglichen: in 17 % aller Z i e h 1 negativen Sputa wurden noch deutlich Bazillen
nach der Jodmethode nachgewiesen, außerdem noch in 8,5% mit Sicherheit
Sporen; bei 32% sind nach Kronberger auffallend viel mehr Bazillen zu
finden wie nach Ziehl. Danach steht die Ziehl-Nee Isen sehe Tuberkel¬
bazillenfärbung quantitativ und qualitativ hinter der Kronberger sehen
Karbolfuchsin- Jodmethode zurück. Die Einführung der letzteren empfiehlt sich
um so mehr, als sie einfach, streng spezifisch ist und als echte Struktur¬
färbung alle morphologischen Bestandteile zeigt, die für die pathogenen Säure¬
festen bezeichnend sind.
Die Technik der Kroqbergerschen Färbung ist folgende:
1 . Fixierung der beliebig dicken Sputumschicht auf dem Objektträge r
durch Lufttrocknung und nachfolgende vorsichtige Flammenerwärmung.
2 . Aufgießen der gebräuchlichen Karbolfuchsinlösung; gelindes Erwärmen
bis zur schwachen Dampfbildung. Präparat erkalten lassen.
3. Entfärben durch 15% Salpetersäure.
4. Abspülen mit 60°/» Alkohol.
&. Aufgießen von offizieller Jodtinktur, die mit dem vierfachen Volumen
60%igen Aikohols verdünnt ist. Wirkung: wenige Sekunden.
6 . Abspülen der Jodlösung mit starkem Wasserstrahl (sichere
Vermeidung von Niederschlägen durch Jodausfüllung), Trocknen über der
Flamme. _ Dr. R o e p k e - Melsungen.
Reinfektion und Immunität bei Tuberkulose. Von Prof. Dr. H. Selter-
Leipzig. Deutsche med. Wochenschrift; 1916, Nr. 10.
ln dem hygienischen Institut der Universität in Leipzig wurden zahl¬
reiche Untersuchungen über Reinfektion angestellt und als Infektions- und
Reinfektionswege bei Meerschweinchen die subkutane, intravenöse und
inhalatorische Einbringung von Tuberkelbazillen gewählt. Bei subkutaner
Reinfektion bestätigten sich die Beobachtungen von R ö m e r: Meerschweinchen,
die mit einer tödlichen Dosis von Tuberkelbazillen infiziert sind, zeigen nach
einiger Zeit eine veränderte Reaktionsfähigkeit der Haut, indem die später in
oder unter die Haut gebrachten Tuberkelbazillen je nach der Menge entweder
nicht zur Geltung kommen oder nach Entstehung einer Entzündung nach außen
geschafit werden, wonach der Entzündungsprozeß ausheilt; die zugehörigen Lymph*
drttsen bleiben meist unbeteiligt. Dagegen verhielten sich Meerschweinchen,
die so schwach mit älteren Bazillen infiziert waren, daß es zu einer sehr
langsam verlaufenden und anscheinend nicht tödlichen Tuberkulose kam, vier
Wochen nach der ersten Injektion r('‘infiziert fast wie nicht infizierte Tiere.
Die tuberkulösen Veränderungen an Drüsen und Organen waren bei ihnen
genau so stark wie bei den Kontrollieren; nur bei der subkutanen Reinfektion
machte sich an der Injektionsstelle eine gewisse Immunität bemerkbar.
Diese Beobachtungen berechtigen nicht dazu, die Rcinfektionsergebnisse
im Sinne von Römer und Much für die Menschen geltend zu machen. Man
könnte annehmen, daß die erste Infektion nur in einem geschwächten Organismus
Krankheitserscheinungen setzt, einen kräftigen aber nur umstimmt, ohne daß
es zu einer Entzündung (Tuberkelbildung) kommt. Wahrscheinlich dringen
die ersten Bazillen durch die Schleimhäute der Atmungswege ein, ohne an der
Durchgangsstelle Merkmale zu hinterlassen. Nachfolgende Infektionen führen
404
Kleinere Mitteilangen und Referate ans Zeitschriften.
dann in dem ongestimmten Körper zu lokalen Reaktionen an der Eintrittsstelle
(in Lnnge oder Bronchialdrüsen). Der kräftige Körper überwindet anch diese
örtlichen Enlzündnngserscheinnngen, indem er sie begrenzt nnd znr Latenz
bringt; allmählich kommt es dann zn einer Immunität, die die weiter vor*
dringenden Tuberkelbazillen spnrlos überwinden läßt. Von den in den Ent¬
zündungsherden (Lunge, Drüsen nsw.) lebend zurückbleibenden Tuberkelbazillen
können im disponierten (durch Masern, Keuchhusten usw. geschwächten) Körper
wahrscheinlich Autoinfektionen entstehen; manche Fälle tödlich verlaufender
Tuberkulose im Kindesalter, z. B. tuberkulöse Meningitis, sprechen dafür. Es
scheint aber nicht begründet, daß die im Mannesalter auftretende
Phthise vornehmlich Folge einer metastasierenden Auto¬
infektion sei und nur ausnahmsweise einer von außen kommenden An¬
steckung, wie Römer und Much behaupten.
Daß die Phthisis gewöhnlich erst im Uebergangsalter oder bei Er¬
wachsenen beobachtet wird, kann auf verschiedene Weise erklärt werden
(Nachlassen der in der Kindheit erworbenen Immunität, erhöhte Ansteckungs¬
möglichkeit verbunden mit Schädigung der Atmungsorgane im Berufsleben,
häufigere und andere Qelegenheit, Tuberkelbazillen aufzunehmen). Jedenfalls
ist eine wiederholte Reinfektion eher die Ursache für das
Zustandekommen der Phthise als eine Autoinfektion aus
alten tuberkulösen Herden des Körpers, die von der jugendlichen
Infektion zurückgeblieben sind.
Nach den Versuchen von Selter ist es möglich, auch bei Meer¬
schweinchen durch sehr kleine Bazillenmengen oder abgeschwächte Kulturen
eine heilbare Tuberkulose zu erzeugen. Es kann also beiMeerschweinchen
Ueberstehen und Ausheilung einer Tuberkuloseinfektion
beobachtet werden. Damit eröffnet sich der Weg für weitere Untersuchungen.
Dr. Roepke-Melsungen.
Zur Frage der Mobilisierung der Tuberkelbazillen durch Tuberkulin.
Von 8tabsarzt Prof. Dr. Möllers und Dr. A. Oehler. Deutsche med. Wochen¬
schrift; 1916, Nr. 15.
Im Tuberkulose-Laboratorium des Instituts „Robert Koch“ wurden die
einschlägigen Untersuchungen bei insgesamt 54 Patienten vorgenommen, von
denen 10 dem I., 5 dem II. und 7 dem III. Stadium der Lungentuberkulose
angehörten. Danach wird das Auftreten von Tuberkelbazillen im strömenden
Blut bei Phthisikern durch Einspritzung von Tuberkulin mit nachfolgender
Fieberreaktion weder verhindert noch begünstigt.
Die Annahme, daß das Tuberkulin die Eigenschaft habe, die im tuberku¬
lösen Menschen befindlichen Tuberkelbazillen „mobil“ zu machen und ihre Ver¬
breitung im Körper auf dem Wege der Blutbahn zu begünstigen, wird durch
die vorgenommenen Verimpfungen des Blutes auf Meerschweinchen nicht ge¬
stützt. Der Prozentsatz der positiven Blutbefunde ist im Gegenteil während
der Tuberkulinreaktion geringer gewesen als bei Blutentnahme zu reaktions¬
freier Zeit. Damit wird auch die Behauptung, daß durch Tuberkulincinspritzungen
virulente Tuberkolbazillen aus den erkrankten Organen in die Blutbahn ge¬
bracht werden und dadurch eine bedenkliche Schädigung der Patienten eintrilt,
als falsch erwiesen.
Für den Arzt, der mit Tuberkulin arbeitet, eriibriglon sich diese tier-
experimentellen Beweise tvergl. die Schiaßbetrachtungen im Baudelier-
Roepke sehen Lehrbuch der spezifischen Diagnostik und Therapie der Tuber¬
kulose). Es ist nunmehr zu erwarten, daß das „Märchen vom mobil gemachten
Tuberkelbacillus“, wie sich Robert Koch ausdrückte, nicht weitererzäblt wird.
_ Dr. Roepke- Melsnngen.
Mobilisation der Luugen als Grundlage der Tnberknlose-Hehandlung.
Von Stabsarzt Dr. E. Kuhn. Zeitschrift für Tuberkulose; Bd. 25, HeftS.
Die Mobilisationsbchandlnng in den Anfangsstadien ist auf Grund der
pathologischen Physiologie die unbedingt zu erstrebende, aussichtsreichste
Methode zur Behandlung der Lungentuberkulose. Am zweckmäßigsten erfolgt
sie durch die Anwendung der Sauginaske. Durch die dosierbar gesteigerte
Atemgymnastik vermittelst der Saugmaske ist zugleich eine Autoinokulations-
I
Kleiner« Mitteilungen and Beferate «u Zeitschriften. 405
tberapie (Ausschwemmung von Toxinen aas dem Krankheitsherd in den
allgemeinen Kreislauf) der Langentaberknlose möglich. Zar Beobachtung and
richtigen Dosierang der Aatoinokulation hat die Saogmaskenbehandlong be¬
sonders im Anfang anter Kontrolle der Temperatur au erfolgen.
Dr. Boepke-Melsangen.
Die Sanatorientnberkulosefrage. Von Dr. M. H o 1 m b o e - Kristiania,
Direktor des zivilen Medizinalwesens Norwegens. Zeitschrift für Tuberkulose;
Bd. 25, H. 3.
Verfasser gibt eine Uebersicht über die Entwicklung der Frage von der
Hospitalisierang der unbemittelten Schwindsüchtigen in Deutschland und den
skandinavischen Ländern. Anfangs wurden Heilstätten für die Kranken im
Anfangsstadium errichtet; es zeigte sich aber bald, daß auch etwas für die
mehr vorgeschrittenen, anheilbaren Fälle im eigenen Interesse und in dem der
Umgebung geschehen mußte. Hierbei machten sich zwei Richtungen geltend,
die eine, die Heilstätten für die Behandlung der heilbaren Fälle und Anstalten
für die Verpflegung von Unheilbaren getrennt voneinander verlangte, während
die andere Richtung das Aufgeben solcher Absonderung betrieb, ln Schweden
ist zum Teil die letztgenannte Richtung bestimmend geworden, in Deutschland,
Dänemark und Norwegen hat man im großen und ganzen an der Errichtung
gesonderter Heil- und Pflegeanstalten festgehalten, und zwar nach Verfassers
Ansicht mit Recht.
Eine wirkliche Heilanstalt für Lungentuberkulöse muß über alle Hilfs¬
mittel unserer Zeit verfügen, insbesondere über ein recht großes Gelände, eine
nach mehreren Richtungen kostspielige Ausstattung und einen durchgebildeten
Facharzt, der sich ganz der Tätigkeit innerhalb der Anstalt widmen kann;
dies ist auch aus disziplinären Gründen notwendig. Bei der Wahl des
Bauplatzes müssen auch die klimatischen Verhältnisse in Betracht gezogen
werden. Da die Heilstätten deshalb außerhalb der Städte angelegt werden
müssen, wird es fast immer notwendig, für das Personal Wohnungen zu bauen.
Alles das verteuert die Heilstätten, so daß jedes Krankenbett durch¬
schnittlich teurer ist als in einem Krankenhaus. Es ist daher schon aus
ökonomischen Gründen unzweckmäßig, einen Teil der teuren Heilstättenbetten
für Unheilbare zu verwenden. Ferner wird die Schwierigkeit hervorgehoben,
vorgeschrittene Kranke weit von ihrer Heimat weg zu bringen, und der depri¬
mierende Einfluß, dem das stete Zusammensein mit weit vorgeschrittenen und
sterbenden Kranken unvermeidlich verbunden ist. Alles dies spricht gegen
die Kombination von Heil- und Pflegeanstalten und für die Einrichtung von
gesonderten Heilstätten und Pflege- oder Invalidenheimen. Letztere dürfen
aber nicht den Eindruck von Verfallen des Todes machen; das läßt sich auch
nach den Erfahrungen mit den 50 norwegischen Pflegeheimen für Tuberkulöse
vermeiden.
Als Normalzahl der Betten einer Volksheilstätte hat die internationale
Tuberkulose-Vereinigung 100, als Maximum 200 und als Minimum 60 vor¬
geschlagen. Eine Heilstätte soll nicht so groß sein, daß der leitende Arzt
den Ueberblick über den Zustand jedes Kranken verliert, und anderseits nicht
so klein, daß die Arbeitskraft des Arztes nicht ausgenutzt wird. Bei Anstalten
von mehr als 50—60 Betten ist die Anstellung eines Hilfsarztes erforderlich.
Dr. R o e p k e - Melsungen.
Tuberkulose* und Heilmittelschwindel. Von Oberarzt Dr. Klare-
Walhof Elgershausen. Zeitschrift für Tuberkulose; Bd. 25, Heft 2.
K. gibt einen kleinen Ueberblick über die sog. „Heilmittel“, die den
Lungenkranken in gutbezahlten Anzeigen unserer leider vielfach feilen Tages¬
presse angeboten werden:
Tuberkulozyme (kupferhaltiges Salz) wird von P. Yonkermann & Co.
iu London angepriesen; die Kur kostet 50 M.
Dr. Richard Jeschke & Co. in Kötzschenbroda (früher Spiro-Spero
alias Weidhaas) empfehlen, ihre „verbesserte Methode“ mittels Inhalations¬
apparat, Atmungsstuhl und Tees.
Magalia ist die Medizin des Johann Wilhelm Krähe, die angeblich
Schwindsucht, Knochentuberkulose, Asthma u. u. vollständig heilt.
406
Kleinere Mitteilungen und Referate atu Zeitschriften.
Für Biomalz in der Taberkulosebeh&ndlung schreibt ein Dr. Camp¬
hausen, dessen Eigenart es ist, mehr als zweifelhafte Mittel zu empfehlen.
Von Tees werden unter marktschreierischer Reklame als Heilmittel
gegen Lungenkrankheiten in den Handel gebracht der Puhlmantee von der
Firma Puhlman & Co. in Berlin, der Johannis-Tee der Firma Brock¬
haus & Co., der Peuleke-Tee von Peuleke & Co. in Halle a. S., der
Samum-Tee von Mr. Leo Hauser in Tetscben a.!L, der Brustheiltee
und Dta-Balsam der Deutschen Gesellschaft für Pflanzenheilkunde in Berlin,
der Lieber sehe Brusttee (Lieber sehe Kräuter, Blankenheimer Tee, Aus¬
zehrungskräuter).
K. Haders Lungenheilmittel (Ha-Gerin) ist ein Geheimmittel,
das in unsachgemäßer Weise zusammengesetzt ist und leicht in Zersetzung
übergeht.
Antiterror kommt als „absolut sicheres“ Heilmittel gegen Tuberku¬
lose von Kaiserslautern aus durch die Antiterror-Werke in den Handel. Es
soll aus Gerbsäure, Tonerde, Aether, Chlorophil, Harz, Tannin, Kalium, Eisen
und Albumin bestehen. Zar Kur gehört außerdem noch ein Paket Tee.
K a 1 z i o 1 ist das Lungenmittel von Theo Thommen in Neu - Allschwill,
der die günstigen Urteile über den Gebrauch von Kalksalzen bei Tuberkulose
zur Reklame für sein Präparat verwendet. 200 Tabletten kosten ll,50 M,
100 Tabletten 6,50 M. Dr. R o e p k e - Melsungen.
B. Hygiene und. öffentlloheu Gesundheitswesen.
1. Nahrungsmittelhygiene.
Die polizeiliche Ueberwachung des Verkehrs mit Milch in großen
Städten Deutschlands. Von Dr. N ied erst ad t- Hamburg. Oeffontlicho
Gesundheitspflege; 1916, Nr. 4.
Verfasser bespricht zunächst die durch die Milch zu befürchtenden
Gesundheitsschädigungen sowie die zu ihrer Verhütung erforderlichen Ma߬
nahmen und die Notwendigkeit einer Ueberwachung des Milchverkehrs nament¬
lich in den Städten. Eine solche ist um so mehr geboten, als die Milch unser
wichtigstes Nahrungsmittel ist; denn der Wert des Milchverbranchs in Deutsch¬
land erreichte schon im Jahre 19( 6 die Höhe von 26,4 Milliarden Mark, gegen
eine Ausgabe von 22,5 Milliarden M. für Brotgetreide, 0,8 Milliarden für Kartoffeln
und 0,4 Milliarden für Zucker. Er schildert dann die zur Ueberwachung des Milch-
verkehrs bereits bestehenden landes- und ortspolizeilichen Verordnungen, die sich
durch große Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit der Einzelvorschriften aus¬
zeichnen. Eine roichsgesetzlicheRegelung des Milchverkehrs sei deshalb
unbedingt erforderlich; es genüge dazu aber schon eine gesetzliche Festlegung der
Grundzüge, so daß den landes- und ortspolizeilichen Vorschriften noch genügend
Raum zur Betätigung verbleiben, um das Gesetz den einzelnen Gegenden mehr
anzupassen. Die polizeilichen Verordnungen von Darmstadt und Danzig sowie
den preußischen Runderlaß von 1912 hält Verfusser für geeignet, als Grund¬
lage für ein solches Gesetz zu dienen, da sie wohl am meisten den neuzeit¬
lichen hygienischen Anforderungen entsprechen. Rpd.
Ueber die Leistungsfähigkeit des Lobeck sehen Milchsterillslerungs-
verfahrens (ßiorisation). Von K. E. F. 8 chmitz, z. Z. Stellv. Direktor des
Hygienischen Instituts Aus dem Hygienischen Institut der Universität Greifs¬
wald (Direktor: Prof. Dr. P. H. Röme r). Zeitschrift für Hygiene und Infektions¬
krankheiten ; Bd. 80, H. 2.
Das von Lo beck in Leipzig 1912 angegebene Bterilisierungs-(Biorisator-)
Verfahren besteht im wesentlichen darin, daß die fein versprühte Milch einer
plötzlichen Erhitzung auf etwa 75° und einer ebenso plötzlichen Abkühlung
unterworfen wird. Die genaue Apparatur und deren Handhabung sind im
Original nachzulesen. Als wesentliche Vorteile dieser Methode wurde an¬
gegeben, daß mit Ausnahme der widerstandsfähigen Sporen sämtliche Keime
abgetötet werden, ohne daß der Rohmilchcbarakter leidet. Die Prüfung des
Verfahrens ergab, daß die Milch nach der Biorisicrung durch Geruch und Ge¬
schmack keineswegs von der rohen Milch zu unterscheiden war. Mit den
Fermentreaktionen konnte ebenfalls in keinem Fülle ein Unterschied zwischen
roher und biorisiertcr Milch festgcstellt werden; auch das genuine Molken-
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
407
eiweiß war unverändert. Dagegen war das Labgerinnungsvermögen der biori-
sierten Milch etwas herabgesetzt, aber noch immer bedeutend besser als das
der gekochten Milch. Die bakterizide Kraft der rohen und biorisierten Milch
wurde nahezu gleich befanden; auch hatte die Höhe des antitoxischen Titers
eines zugesetzten Diphtherieantitoxins durch die Biorisation keine Abnahme
erlitten. Die gewöhnlichen Milchkeime wurden bis auf die Sporen vernichtet,
ebenso Krankheitserreger, einschließlich Tuberkelbazillen des bovinen Typus,
die in großen Mengen zugesetzt worden waren. Da die Sporen nicht abgetötet
werden, besteht die Gefahr der Peptonisierung. Will man dieser begegnen, so
kann man sie durch Einsaat von Milchsäure-Bakterien oder durch Kombination
mit dem Per hyd rose -Verfahren von Muck und Römer verhindern. Auch zur
Abtötung von Keimen in Impfstoffen (Cholera etc.) erwies sich das Verfahren
brauchbar; zur Sterilisierung von Serum ist der Apparat in seiner vorliegenden
Form noch nicht geeignet. Versuche zur Entkeimung von Trinkwasser haben
Aussicht auf Erfolg. Das Verfahren wird sich in erster Linie dazu eignen,
eine tuberkulöse Infektion durch die Milch bei Kälbern zu verhüten.
Dr. L. Quadflieg -Gelsenkirchen.
2. Blindenfürsorge.
Blindenwesen und Kriegsblindenfürsorge. Vortrag von Prof. Dr.
A. Bielschowsky, Direktor der Königl. Universitäts-Augenklinik in Marburg.
Berlin 1916. Verlag von Julius Springer. Kl. 8 °; 31 S. Preis: geb. 1 M.
Verfasser gibt zunächst einen kurzen Abriß des Blindenwesens und seiner
Entwicklung, die durch den Krieg zweifellos gefördert wird, da er die
Fachmänner vor einer Reihe neuer Aufgaben und Fragen gestellt und die
Mitwirkung weiter Kreise der Bevölkerung an dem großen Lebenswerke der
Blindenfürsorge geführt hat. Die Erblindungsgefahr ist im jetzigen Kriege
infolge der modernen Kriegsführung eine viel größere wie vor 100 Jahren. Die
Blindheit trifft hier junge, kräftige und bis dahin ganz gesunde Menschen völlig
unerwartet und bedingt deshalb bei allen eine schwere Gemütsdepression, die
erst beseitigt werden muß, ehe an eine Ausbildung herangegangen werden
kann. Das wirksamste Mittel gegen diese geistige Depression ist die Arbeit,
wie denn überhaupt die berufliche Ausbildung mit der allgemeinen Blinden¬
ausbildung Hand in Hand gehen muß. Der Unterricht muß aber von geschulten
Lehrkräften erteilt werden; auch sollte erst nach der vollendeten Ausbildung
der Kriegsblinde als Soldat entlassen werden. Für die Ausbildung empfiehlt
sich keine Zentralisation, da gerade bei Kriegsblinden eine weitgehende Indi¬
vidualisierung geboten ist. Je mehr ihre Eigenart berücksichtigt wird, je
mehr es der Lehrer versteht, sich ihr Vertrauen und ihre Zuneigung zu
gewinnen, desto sicherer und gedeihlicher wird sich ihre Berufserziehung
gestalten. Deshalb sollte die Ausbildung aueh nur in kleinen Gruppen
(4—5) von einigermaßen gleichartigen Leuten erfolgen. Die sogenannten eigent¬
lichen Blindenberufe kommen nur für einen kleinen Teil der Kriegsblinden
in Betracht, da sie einen zu langen Aufenthalt in der Anstalt erfordern. Viele
können mit gewissen Einschränkungen ihren früheren Beruf wieder aufnehmen,
andere einer ihren Neigungen und Fähigkeiten entsprechenden Tätigkeit
zugeführt werden. Wie Versuche ergeben haben, eignen sich die Blinden auch
zum Telefondienst; ein Blinder brachte es z. B. auf die Herstellung von
240 Gesprächsverbindungen, gegenüber durchschnittlich 150 bei den auf der
Post angestellten Telefonisten. Die Verwertbarkeit des sogenannten Optophons,
die den fehlenden Gesichtssinn durch das Gehör ersetzen soll, ist nach den auf
Anlaß des Verfassers angestellten Versuchen vorläufig noch höchst zweifelhaft.
Der für die Kriegsblindenfürsorge gesammelte, mehrere Millionen betragende
Betrag soll, abgesehen von Fällen wirklicher und unverschuldeter Not, namentlich
zur Unterstützung aller Bestrebungen, die die Ausbildung der Blinden sowie
die Erlangung von geeigneten Arbeitsstellen im Auge haben, benutzt werden.
Gerade die Erweiterung der Erwerbsmöglichkeiten für Blinde stellt den Beginn
einer neuen Epoche des gesamten Blindenwesens dar. Rpd.
Blindenanstalten und Blindenfürsorge in Preußen mit Berück¬
sichtigung der Kriegsbllnden-Fürsorge. Von Dr. R. Behla, Reg.- und
408
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
Geh. Med.-Rat, Berlin. Sonderabdrnck ans der Zeitschrift des Königl. Prenß.
Statistischen Landesamts; Jahrg. 1915.
Von sämtlichen am Volkszählangstage in Preußen ermittelten 20953
Blinden (10956 m. and 9497 w.) befanden sich 3891 (1949 m. and 1942 w.)
= 18,57°/o (17,79°/o m. und 19,43°/o w.) in Anstalten. Diese Verhältnis¬
ziffer ist je nach den einzelnen Provinzen verschieden; sie beträgt in Berlin
z. B. nur 10°/», in Schleswig-Holstein dagegen 20°/o. Aach in bezug auf die
Altersklassen macht sich ein großer Unterschied bei den in Anstalten
nntergebrachten Blinden bemerkbar; den höchsten Prozentsatz stellen die
schulpflichtigen Kinder von 5—10 (46,05°/#) und 10—15 Jahren (69,69 °/u),
nach die Altersklasse von 15—20 Jahren zeigt noch eine Verhältnisziffer
von 63,02°/«; dann fällt diese schnell aaf 30,45°/« (20.—25. Lebens¬
jahr) und hierauf allmählich bis auf 7,22°/o (über 80 Jahre) herab; diese
Ziffer ist aber immer noch höher als die für die Altersklassen von
0—5 Jahren, wo sie nur 5,46*/o beträgt. Zurzeit sind in Preußen 16 Blinden¬
anstalten vorhanden; die Zahl der darin untergebrachten schal pflichtigen
Kinder ist von Jahr zu Jahr gestiegen, von 1013 im Jahre 1912 auf 1198 im
Jahre 1914. Der Unterricht hat sich in diesen Anstalten immer mehr vervoll¬
kommnet; dasselbe gilt betreffs der Lehrmittel. Die meisten Anstalten ver¬
fügen auch über eine umfangreiche Bibliothek mit zahlreichen Büchern, die
Blinde lesen können. In den Anstalten bildet außer dem Schulunterricht der
Blinden im Lesen, Schreiben und Rechnen der Berufsunterricht eine
wichtige Rolle. In letzter Zeit hat man auch Blinde als Masseure ausgebildet.
Die Erwerbsaussichten sind aber keine günstigen für die in einem Berufe aus¬
gebildeten Blinden; ihr Verdienst bleibt sehr erheblich gegen die gesunden
gleichartigen Arbeiter zurück, so daß es nicht immer zum Lebensunterhalt
genügt. Deshalb bildet auch die Blindenfürsorge ein großes Arbeits¬
feld für die Nächstenliebe. Erfreulicherweise hat diese stets ein warmes
Herz für die Blinden gehabt, um deren Los nach jeder Richtung hin zu
lindern. Neben den Blindenanstalten sind fast in allen Bundesstaaten auch
Blindenheime sowie Vereine vorhanden, die sich die Blindenfürsorge zur Auf¬
gabe gemacht haben. In jüngster Zeit sind dazu noch die menschenfreundlichen
Bemühungen der Kriegsblindenfürsorge hinzugetreten. Die Zahl der
Kriegsblinden ist noch nicht bekannt; sie wird aber keine geringe sein; um so
erfreulicher ist es, daß die im März 1915 durch öffentlichen Aufruf veranlaßte
Sammlung eines Kapitals znr Unterstützung erblindeter Krieger fast
5 Millionen Mark eingebracht hat. Außer der mit diesem Kapital gebildeten
Kriegsblindenstiftung für Heer und Flotte, der noch l /aMill. M. von der
mit ihr vereinigten bisherigen Kriegsblindenstiftung der deutschen Gesellschaft
für künstlerische Volkserziehung zugeflossen sind, besteht noch ein Deutscher
Blindenverband. Daß ärztlicherseits das Beste zur Heilung der Kriegsblinden
geschieht, dafür bürgt der durch die Einrichtung der beratenden Hygieniker
und Spezialärzte verbesserte Stand unseres Militärsanitätswesens. Wo möglich
beginne man schon in den Lazaretten mit dem Unterricht im Lesen und
Schreiben der Brailleschen Punktschrift und mit leichten Handarbeiten.
Weiterhin empfiehlt sich die Unterbringung der Kriegsblinden in Blinden¬
anstalten oder wenigstens in Orten, wo solche vorhanden sind. Zu empfehlen
ist auch die Herausgabe eines amtlichen Merkblatts in Schwarz- und Punkt¬
druck, das über die für Kriegsblinde in Betracht kommenden Fragen über
Bentenansprüche usw. Auskunft gibt. Heeres- und Zivil Verwaltung sowie Fach¬
blindenlehrer müssen Hand in Hand gehen und für eine geregelte Blinden¬
fürsorge eintreten, die dem früheren Berufe der Kriegsblinden und der indi¬
viduellen Veranlagung eines jeden möglichst Rechnung trägt.
Die Frage, ob sich die Blindenzahl in Zukunft noch verringern lassen
wird, bejaht Verfasser, da die Blindheit zu den Uebeln gehört, die zum großen
Teil vermeidbar sind. Die genaue Erforschung der Ursachen der Blindheit ist
im Wachsen und damit auch die Möglichkeit ihrer Vermeidung. Allerdings
wird sich die angeborene Blindheit, die etwa 25°/o aller Fälle beträgt, kaum
aus der Welt schaffen lassen, wohl aber die durch Augenentzündung der
Neugeborenen, durch Granulöse, durch Infektionskrankheiten und Berufsver-
letzungen hervorgerufene. Rpd.'
Besprechungen.
409
Besprechungen.
Dr. Heinrich Jo&ohim, Sanitätsrat und Dr. Alfr. Korn, Justtzrat,
Berlin: Die prenssische Gebühren-Ordnung für approbierte Aerzte
und Zahnärzte vom 15. Mai 1896. Dritte gänzlich umgearbeitete Auf¬
lage. Berlin 1916. Verlag von Oscar Coblentz. Gr. 8°, 286 S. Preis:
geh. 10 M., gebd. 11 U.
Mit Recht bezeichnen die Verfasser die neue Auflage ihres Kommentars
der preußischen Gebührenordnung als eine gänzlich umgearbeitete; denn sie
stellt sich gegenüber der vorhergehenden als ein völlig neues Werk dar, bei
dem namentlich die inzwischen stark angewachsene Rechtsprechung nicht nur
eingehend berücksichtigt, sondern auch durch Abdruck des wesentlichen Teiles
der Urteile wiedergegeben ist. Außerdem ist der Inhalt der Gebührenordnung
durch zahlreiche Beispiele erläutert, um dem Arzte die Aufstellung seiner
Rechnungen zu erleichtern. Besonders wertvoll ist ein der Erläuterung der
Gebührenordnung vorangestellter rechtswissenschaftlicher Teil, in dem die ein¬
schlägigen Fragen (Honorarrechnung des Arztes, [Zahlungspflicht der Eltern,
des Ehemannes, der Ehefrau, der Krankenkassen und Armenverbände, des
Dienstherrn], die Höhe des ärztlichen Honorars und die Geltendmachung des
Honoraranspruches) vom juristischen Standpunkte aus klar und für den Arzt
berechnet besprochen sind. Außer der ärztlichen Gebührenordnung haben
auch die gesetzlichen Bestimmungen über die Gebühren für die Besorgung
amts- und gerichtsärztlicher Geschäfte in einem besonderen Abschnitt Berück¬
sichtigung und Erläuterung gefunden. — Eine nach dem Inhalt alphabetisch
geordnete Zusammenstellung der benutzten Gerichtsentscheidungen sowie ein
sorgfältiges Sachregister werden die Benutzung des selbst allen Ansprüchen
entsprechenden und deshalb warm zu empfehlenden Kommentars wesentlich
erleichtern. Rpd.
T&aohenbuoh des Feldarztuz IV. (a) und V. (b) Teil. München 1916.
J. F. Lehmanns Verlag.
m. Dr. H. Llpp, z. Z. Assistent im Reservelazarett in Hohenheim: Empfind¬
liche, einfache und rasch ausführbare Untersuchungsmethoden für
Lazarette, Laboratorien und prakt. Aerzte. 12°; 70 S. Preis: geb. 2 M.
Verfasser hat sich bemüht, unter Verwertung der alt bewährten Unter¬
suchungsmethoden auch die neuen, zum Teil noch wenig bekannten, soweit sie
sich als eindeutig bewährt haben, zur Darstellung zu bringen und dem Prak¬
tiker einen Fingerzeig zu geben, wie man mit möglichst einfachen Mitteln und
ebenso vortrefflichen wie billigen Apparaten sicher, zuverlässig und rasch
analysieren kann. Unter Einhaltung dieses Grundsatzes sind in sieben Ab¬
schnitten die Untersuchung von Harn, Sperma, Punktionsflüssigkeit, Sputum,
Mageninhalt, Stuhl und Blut kurz und sachgemäß behandelt; überall sind die
hauptsächlichsten und namentlich für den praktischen Arzt brauchbauten Unter-
Buchungsmethoden in klarer Weise geschildert, so daß sich das Büchlein schnell
in den beteiligten Kreisen ein bürgern wird.
b. Dr. Erioh Plath, Oberarzt und Dr. Avg. Dethleffken, Assistenzarzt
am Allgemeinen Krankenhaus Hamburg - Barmbeck: Die physikalische
Therapie im Feld- und Heimatlazarett. Mit 90 Abbildungen. München
1916. 12®; Preis: geb. 4 M.
Obwohl die physikalische Therapie bei der ärztlichen Behandlung der
verwundeten und erkrankten Krieger nach den bisherigen Erfahrungen sehr
wertvolle Dienste leisten kann, findet sie noch nicht in dem Maße Anwendung,
wie sie es verdient. Der Grund darin liegt zum Teil in der unzureichenden Aus¬
bildung der Aerzte auf diesem wichtigen Gebiete, zum Teil auch darin, daß
die zu ihrer Durchführung vielfach erforderlichen komplizierten Einrichtungen
zu kostspielig sind und daher ihre Anschaffung unterbleibt. Auf Grund ihrer
reichen Erfahrungen zeigen die Verfasser nun in dem vorliegenden, aus Vor¬
trägen, die sie im Barmbecker Krankenhaus gehalten haben, entstandenen
Taschenbuch, daß sich die physikalische Heilbehandlung auch in einfachen
Verhältnissen und ohne große Apparate durchführen läßt; das Taschenbuch
entspricht demzufolge so recht dem Bedürfnisse des praktischen Arztes und
zwar nicht nur in Kriegs-, sondern auch in Friedenszeiten. Sein Inhalt
zeichnet sich durch Ucbersichtlichkeit und Klarheit aus und ist vielfuch durch
Tagesn achrich ten.
410
zahlreiche vorzüglich ausgeführte Abbildungen erläutert; namentlich gilt dies
betreffs der verschiedenen, von den Verfassern benntzten kleineren Behandlunga-
apparaten, die hier zum Teil zuerst beschrieben sind und von der orthopädischen
Lehrwerkstätte des Landesausschusses für Kriegsbeschädigte in Hamburg-
Barmbeck bezogen werden können. Bpd.
Tagesnachrichten.
Auf dem Gebiete der Volksernährung sind vom Bundesrat in den letzten
Wochen eine erhebliche Anzahl von Bestimmungen nicht blos zur Sicherung
einer ausreichenden Ernährung, sondern auch behufs Beseitigung der bei dem
Lebensmittelverkchr in Erscheinung getretenen Mißstände getroffen. Abgesehen
von der bereits in der Nr. 11 dieser Zeitschrift (s. S. 343) erwähnten und in der
Beilage zur heutigen Nummer (S. 89 u. 90) abgedruckten Bekanntmachungen
über die Kriegsmaßnahmen zur Sicherung der Volksernährung
und über Errichtung eines Kriegsernährungsamtes vom 22. Mai d. J.,
ist der Verkehr mit Fleischwaren durch Bekanntmachung vom 22. Mai
1916 (s. Beilage S. 92) und die Bereitung von Backwaren durch Be¬
kanntmachung vom 26. Mai 1916 neu geregelt; dasselbe gilt betreffs des Ver¬
kehrs mit Brotgetreide und Menl aus der Ernte 1916, mit Hülsen¬
früchten, Buchweizen und Hirse (Verordnungen vom 29. Juni 1916),
betreffs des Verkehrs mit Verbrauchszucker (Verordnung vom 10. April
1916 nebst AusfQhrungsbestimmungen vom 24. Juni 1916), betreffs der Ver¬
wertung von Speiseresten und Küchenabfällen (Bekanntmachung
vom 26. Juni 1916) und der Verwertung von Tierkörpern und
Schlachtabfällen (Bekanntmachung vom 29. Juni 1916). Weiterhin hat
die Kartoffelversorgung für das kommende Jahr durch Bekanntmachung
vom 26. Juni 1916 eine Neuregelung erfahren: anstelle der bisherigen Reichs¬
stelle für Kartoffelversorgung ist die Reichskartoffelstelle getreten
(Bekanntmachung vom 22. Mai 1916) und eine Reichsstelle für Gemüse
und Obst durch Bekanntmachung vom 18. Mai 1916 eingerichtet, deren Auf¬
gabe es ist, die Erzeugung, Verwertung und Haltbarmachung von Gemüse und
Obst zu fördern. Vor allem ist man jetzt endlich dazu übergegangen, auch
gegen den Unfug des sogenannten Kettenhandels bei dem Verkehr
mit Nahrungs- und Futtermitteln sowie mit sogenannten Er¬
satzmitteln in energischer Weise zu bekämpfen. Durch Verordnung
vom 24. Juni 1916 über den Handel mit Lebens- und Futter¬
mitteln sowie zur Bekämpfung des Kettenhandels (siehe
Beilage zur heutigen Nummer dieser Zeitschrift, 8. 90) bedarf es einer be¬
sonderen behördlichen Enlaubnis zum Handel mit diesen Mitteln, die
zeitlich, örtlich und sachlich begrenzt sowie versagt und entzogen werden
kann, wenn Bedenken volkswirtschaftlicher Art oder persönliche oder sonstige
Gründe dafür vorliegen. Unlautere Machenschaften, insbesondere
Kettenhandel, durch den der Preis für Lebensmittel gesteigert wird, wird
mit Gefängnis bis zu einem Jahre und Geldstrafe bis 10000 Mark bestraft;
desgleichen sind öffentliche Aufforderungen zur Abgabe von Preis¬
angeboten auf Lebensmittel nur mit Genehmigung der zuständigen
Polizeibehörde zulässig und öffentliche Ankündigungen über Erwerb
oder Veräußerung von Lebensmitteln usw. verboten, soweit diese geeignet
sind, einen Irrtum über die geschäftlichen Verhältnisse der Anzeigenden usw.
zu erwecken. Das durch Verordnung vom 26. Juni 1916 erlassene Verbot
der Herstellung oder Feilhaltens und Verkaufs von fett¬
haltigen Zubereitungen sog. Ersatzstoffen für Butter oder
Schweineschmalz betrifft zwar nur einen kleinen Teil der sogenannten
Ersatzstoffe, erfreulicherweise ist es aber auf diesen nicht beschränkt, sondern
durch Bekanntmachung vom 26. Juni 1916') über irreführende Bezeich¬
nung von Nahrungs- und Genußmitteln wird auch das Anbieten,
Feilhalten und Verkaufen von Nahrungs- und Genußmitteln unter einer zur
Täuschung geeigneten Bezeichnung mit Gefängnis bis zu 6 Monaten und mit
Geldstrafe bis zu 1500 Mark bestraft.
*) Der Abdruck dieser Bekanntmachung wird in der Beilage zur nächsten
Nummer dieser Zeitschrift erfolgen.
Tagesnachrichten
411
Auszeichnung. Bei Gelegenheit des Leibniztages am 29. Jnni d. J.
hat die Königlich preußische Akademie der Wissenschaften den
Generalstabsarzt Prof. Dr. y. Scbjernlng die goldene Leibniz-Medaille
verliehen und damit zugleich seine Anerkennung für das gesamte militärische
8 anitätskorps ausgedrückt. _
Preisausschreiben. Die Adolf-Schwabacher Stiftung hat aus
ihren Mitteln einen Preis von 20000 Mark für eine medizinische
Leistung au s dem Gebiete der Volksernäh rung in Kriegszeiten
ausgeschrieben. Bewerbungen sind bis zum 1. Juli 1918 an das preußische
Kultusministerium zu richten.
ln Brüssel findet unter dem Ehrenvorsitze des Generalgouverneurs
in Belgien General v. Bissing vom 15. Juli bis 15. Oktober d. J. eine
Ausstellung für soziale Fürsorge statt, an der sich das Reichsversicherungsamt,
die Reichsversicherungsanstalt für Angestellte, das Deutsche Zentralkomitee zur
Bekämpfung der Tuberkulose und die Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung
der Geschlechtskrankheiten beteiligen werden. Die Ausstellung, deren Leitung
die Abteilung „Soziale Fürsorge“ des Belgischen Roten Kreuzes übernommen
hat, umfaßt folgende vier Gruppen: Organisierung und Ergebnisse der Reichs¬
versicherung, Arbeiterwohnungswesen, Volksseuchen (Tuberkulose, Geschlechts¬
krankheiten, Alkoholmißbrauch) und Unfall-(Kriegsbeschädigten-) Fürsorge. Das
Zentralbüro der Ausstellung befindet sich in Brüssel, Avenue Galilöe Nr. 14.
Am 8. und 4. d. Mts. hat in B e r 1 i n (großer Sitzungssaal des Reichstages)
eine außerordentliche Tagung der Zentralstelle für Yolkswohlfahrt in
Gemeinschaft mit dem Zentralverein für das Wohl der arbeitenden Klassen
stattgefunden, auf der die praktische Durchführung von Massenspeisungen
zur Verhandlung gekommen ist. Auf der Tagesordnung standen:
1 . Das Problem der Massenspeisung; Stadtrat a. D. Dr. Luther,
Geschäftsführer des Deutschen und Preußischen Städtetages, Berlin. 2. Zen¬
tralisation, Dezentralisation und die Beteiligung privater Vereine; Stadtrat
Prof. Dr. Philipp Stein, Berlin-Frankfurt a. M. 3. Einrichtung der Küchen;
Theodor Thomas, Frankfurt a. M. 4. Die Wirtschaftsführung; Baronin
Horn, München. 5. Die Abgrenzung des Besucherkreises; Oberbürgermeister
Koch, Cassel. 6. Die Anrechnung der Lebensmittelkarten; Dr. Cohn, Direktor
des Lebensmittelamtes, Straßburg i. E.
Die Tagung soll eine Aussprache über die für die praktische Durch¬
führung in Betracht kommenden Gesichtspunkte bringen, um den an der Er¬
richtung von Volksküchen beteiligten Kreisen Anregungen zu geben.
EhrentafeL Es haben weiterhin erhalten das
Eiserne Kreuz I. Kasse:
Stabsarzt d. Res. Prof. Dr. Hermann C o e n e n - Breslau.
Assistenzarzt d. Res. Dr. Hans Doering-Breslau.
Obergeneral- und Korpsarzt Dr. Georg Ey er ich-Würzburg.
Oberstabsarzt Dr. Hans Henning-Graudenz.
Generaloberarzt a. D. San.-Rat Dr. Hesselbach -Hamm i. W.
Generaloberarzt Prof. Dr. C. Hirsch-Göttingen.
Oberstabsarzt Dr. Gotthard Key 1-Berlin-Wilmersdorf.
Stabsarzt d. Res. Dr. Kittel-Ruß (Reg.-Bez. Gumbinnen).
Stabsarzt Dr. Ernst Köhn-Hamburg (inzwischen gefallen).
Stabsarzt d. Res. Dr. Georg Liersch-Kottbus.
Prof. Dr. Schiitenheim, beratender Arzt, Königsberg i. Pr.
Stabsarzt Dr. 8 chloßhauer -Hannover.
Generaloberarzt Dr. Wagner.
Das Eiserne Kreuz II. Klasse:
Stabsarzt d. L. Dr. Boy6, Bahnarzt in Kirchheimbolanden (Pfalz),
staatsärztlich geprüft.
Stabsarzt d. Res. Dr. Kurpjuweit, Kreisarzt in Swinemünde. Derselbe
hat auch das Ritterkreuz des Kaiserl. Oesterreichischcn
Franz Josef-Ordens am Kriegsbande erhalten.
412
Tagesnachrichten
Ehren- Oed&ohtnistafol. Für das Vaterland gefallen sind ferner:
Feldanterarzt Walter Ambrosius-Königsberg i. Pr. (in der Gefangen¬
schaft gestorben).
Assistenztarzt d. Bes. Dr. Bi 11 er-Dortmund.
Stabsarzt d. Bes. Beg.-Bat Dr. Wilhelm Buchholz-Berlin-Charlottenbnrg
(infolge von Krankheit gestorben), Mitglied d. Kaiserl. Gesundheitsamts.
Assistenzarzt d. Bes. Dr. Ludwig Cohn-Berlin.
Stabsarzt d. Bes. Prof. Dr. Walter D i p p e 1 1 - Greifswald.
Marine-Feldunterarzt Ferd. Droege-Wilhelmshaven.
Marinestabsarzt Florenz Gelhaar-Wilhelmshaven.
Feldarzt Dr. S. Grosser-Prenzlau (gestorben infolge von Krankheit).
Assistenzarzt Dr. v. K o c h - München.
Stabsarzt d. Bes. Dr. Ernst Köhn-Hamburg.
Oberarzt d. B. Dr. Budolf Kost-Bernhausen (Württemberg).
Stabsarzt d. Bes. Dr. Franz Kleiminger, Oberarzt an der Provinzial¬
irrenanstalt in Neustadt (Holstein).
Stabsarzt Dr. H. M ü 11 e r - Dresden.
Marineassistenzarzt Dr. Hellmut Müller.
Feldunterarzt Bichard Bemky- Allenstein (Ostpreußen).
Feldunterarzt Werner Bitter-Eschwege (Beg.-Bez. Cassel).
Oberarzt d. Bes. Dr. Theodor B i v e - Erlangen.
Feldunterarzt Walter Sand-Düsseldorf.
Med.-Bat Dr. Schmidt, Kreisarzt in Warendorf (Westfalen).
Marinestabsarzt d. Bes. Dr. Paul Schnitze-Neusalz a. 0. (Beg.-Bez.
Liegnitz) (auf S. M. 8 . Pommern).
Marineassistenzarzt d. Bes. Dr. F. Sturmhövel.
Feldarzt Dr. Arthur Schwarz-Berlin-Zehlendorf (in russischer Ge¬
fangenschaft gestorben).
Generaloberarzt Dr. Johannes Volkmann-Graudenz.
Assistenzarzt d. Bes. Dr. A. V o 1 p - Dresden.
Marineassistenzarzt d. Bes. Dr. Kurt W e i ß k o p;f.
Feldunterarzt Paul Wertheim-Gelnhausen.
Ferner haben den Heldentod gelitten: Oberleutnant z. S.•
Wilhelm P1 i n k e, Sohn des Med.-Bats Dr. P1 i n k e, Kreisarzt in Hannover.
Berichtigung: Dr. Erich Bosse aus Kosten (Posen), Kreisarzt in
Konin (Buss. Polen), ist nicht an Flecktyphus (wie in Nr. 12, 8 . 383 angegeben
ist) gestorben, sondern infolge eines Herzleidens.
Cholera-Erkrankungen sind in den letzten Wochen weder im Deutschen
Beich noch in Oesterreich gemeldet.
Fleckfleber-Erkrankungen sind imDeutschenBeich in den Wochen
vom 11. bis 24. Juni nur 1 und 4 (sämtlich unter Kriegsgefangenen in Ge¬
fangenenlagern), in Ungarn vom 8 . bis 24. Mai 4, 6 (2) und 13 ( 1 ) Er¬
krankungen (Todesfälle) gemeldet.
Pocken. Im Deutschen Beiche sind in den Wochen vom 11. bis
24. Juni 7 und 16 Pockenerkrankungen vorgekommen.
Erkrankungen und Todesfälle an ansteckenden Krankheiten ln
Preußen. Nach dem Ministerialblatt für Medizinal-Angelegenhaiten sind in der
Zeit vom 28. Mai bis 10. Juni 1916 erkrankt (gestorben) an Pest, Gelb¬
fieber, Fleckfieber, Cholera, Trichinose, Botz, Aussatz, Toll¬
wut: — (—), — (—); Bißverletzungen durch tollwutver¬
dächtige Tiere: 3 (—), 9 (—); Milzbrand: — (—), — ( 1 ); Pocken:
— (—), 2 (—); Unterleibstyphus: 146 ( 8 ), 159 (17); Buhr: 44 ( 2 ),
41 (10); Diphtherie: 1789 ( 86 ), 1921 (128); Scharlach: 1214 (51),
1611 (64); Kindbettfieber: 38 (15), 54 (10); Genickstarre: 22 (9),
17 (4); spinaler Kinderlähmung: 1 (—), 2(1); Fleisch-, Fisch-
und Wurstvergiftung: 12 (—), 12 (3); Körnerkrankhoit (erkrankt):
60, 108; Tuberkulose (gestorben): 806, 880.
Bedaktion: Prof. Dr. Bapmund, Geh. Med.-Bat in Minden i. W.
J. 0. 0. Brno«, Hersoffl. 8&chs. n. Füntl. Sch. - L. Hofbnchdrnckcrel ln Minden.
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H. Kftrnfeid
Vertag van PiscHer's medicm Suchhacdtuni
SSUÖertln TS^* 0*2.'ittr.b wtr$xia<**' ß
29. Jahrg.
1916
Zeitschrift
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zentralblatt
fQr das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie,
des staatlichen und privaten Versicherungswesens, sowie für das
Medizinal- und öffentliche Gesundheitswesen, einschließlich der
Hygiene und Bakteriologie.
Heraoagegeben
von
Prot Dr. OTTO RAPMUND,
Geh. Med.-Rat In Minden i. W.
Offizielles Organ des Deutschen, Preussischen, Bayerischen, Sächsischen,
WQrttembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen, Thüringischen,
Braunschweigischen und Eisass-Lothringischen Medizinalbeamtenvereins.
Verlag von Fiseher’s med. Bnehhandlg E Kornfeld,
Herxogl. Bayer. Hof- o. K. «. K. Kammer -BnchbftinlUr.
Berlin W. 62, Keithstr. 5.
Anzeigen nehmen 41a Yarlngahandlnng aowla alle Anielfextannabni erteilen daa la-
nd luludea entgegen.
Nf. 14 . I. u 4 IlMUa.
20. Juli.
Eine umschriebene Typhusepidemie infolge Milchinfektion
und Kontaktansteckung.
Von Medizin&Irat Dr. Grafil, Bezirksarzt in Kempten.
Am 13. Juli 1915 wurde der Gymnasiast B., Sohn eines
Badebesitzers, in das z. Z. von mir geleitete Distriktskranken¬
haus Kempten in stark benommenen Zustand und fast taub
verbracht. Am 16. Juli konnte Unterleibstyphus klinisch fest-
g esetzt werden. Die Erhebungen durch mich ergaben, daß der
rymnasiast B. bereits 3 Wochen schwer krank und angeb¬
lich ohne ärztliche Behandlung gewesen war. Weiter ergab
die Nachforschung, daß zu Frohnleichnara 1915 — ungefähr
also Juni 1915 — dessen Mutter Fieber, Kopfschmerzen, Schluck¬
beschwerden gehabt und in Behandlung eines Kurpfuschers
Ra. in Kempten gestanden hatte, der angeblich den Urin wieder¬
holt chemisch und mikroskopisch untersucht habe, ohne etwas
gefunden zu haben.
Die im bakteriologischen Institut München vorgenomraenen
Untersuchungen der Ausscheidungen fielen anfangs negativ aus
und erst in der 6. Woche positiv.
414 Dr. Graßl: Eine umschriebene Typhusepidemie
Am 31. Juli 1915 wurde durch Dr. R. Typhus-Verdacht
bei dem 4 Jahre alten Kind Vi. und dessen Mutter gemeldet. —
Die Untersuchung durch mich ergab das Schulbild des Unter¬
leibstyphus.
Die Familie B. und Vi. wohnen im K.-Viertel, einige
Straßen von einander entfernt. Es lag daher der Verdacht nahe,
daß eine gemeinsame Quelle für beide Familienerkrankungen
bestand. Die sorgfältige Aufnahme aller Verhältnisse ergab,
daß lediglich die Milch als beiden Familien gemeinsam zu
betrachten war. Beide erkrankte Familien bezogen ihre Milch
aus der Milchhandlung R. im K.-Viertel und haben die Ge¬
wohnheit, die Milch ungekocht zu sich zu nehmen.
Ara 26. Oktober 1915 nachts wurde ich zu Ki., wohnhaft
K.-Viertel, gerufen, deren Untersuchung Unterleibstyphus in
der 3. Woche ergab. Sie wurde in das städtische Krankenhaus
überführt. — Exitus. — Auch sie war Milchgast der Milch¬
handlung R.
Am 13. November 1915 meldete Dr. M. Typhusverdacht
bei dem Studenten Sch., wohnhaft K.-Viertel, an. — Die Er¬
hebung durch mich ergab, daß noch ein zweiter Student Wn.
in der gleichen Wohnung an Typhus erkrankt war. Die Haus¬
frau Ko. war Milchgast der Milchhandlung R. — Ueberführung
beider Kranken in aas Distriktskrankenhaus.
Die bisherigen Untersuchungen der Ausscheidungen der
Personen, die bei der Milchgewinnung und Milchverteilung in
Betracht kommen, ergaben keinen positiven Befund. Auf Grund
der epidemiologischen Ergebnisse wurde aber jetzt schon begut¬
achtet, daß mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlich¬
keit, die Infektion durch die Milch weiterverbreitet war, die
im Hause der Milchhandlung R. mit Bazillen infiziert war.
Die Milchgewinnungsstelle konnte nämlich deshalb als Ursprung
der Infektion ausfallen, weil der anfänglich liefernde Bauer
wegen der Belästigung durch die Kot- und Urinuntersuchung
die Lieferung aufgab und ein anderer Bauer sie übernahm, die
Infektion aber trotzdem weiterging.
Am 26. November 1916 meldete Dr. W. Typhus der
Wilhelmine Gr. im E.-Viertel und bemerkte hierzu: „Die
Schwester Josefine, die an Diphtherie erkrankt war, zeigte
nach Abklingen der diphtheritischen Erscheinungen noch fieber¬
hafte Gehirnerscheinungen, die bisher ärztlicherseits auf Septi-
kämie durch Mischinfektion zurückgeführt wurden, da für Typhus
trotz genauester Beobachtung keine Anhaltspunkte zu finden
waren. Plötzlicher Beginn mit Diphtherie, keine Roseolen,
keine abdominale Erscheinungen; nur zerebrale Erscheinungen
(Gehirntyphus?). Es erscheint wahrscheinlich, daß die Schwester
Josefine an larviertem Typhus, durch die Diphtherie verdeckt,
erkrankt war und die Infektionsquelle abgab.“ — Die Erkundi¬
gungen des Bezirksarztes ergaben das Resultat, daß Josefine Gr.
als Dienstmagd bei einem Kaufmann im K.-Viertel zur Zeit der
Infektion bedienstet gewesen war. Der Dienstherr gab an, daß
infolge UilcbhrfektiOd und KoataktanateckuBg. 415
er alle Sonntag Schlagsahne aus der Milch bereite, die man aus
der Rachen Milchhandlung beziehe. Josefine Gr. habe auoh
hiervon genossen, außerdem noch die Kinder, von denen jedoch
keines bisher erkrankt sei.
Die Erkrankung verlief bei Wilhelmine Gr. letal, ebenso
wie bei ihrer Mutter, die beide Töchter gepflegt hatte und eben¬
falls an Typhus erkrankt war.
Die systematischen Untersuchungen der Ausscheidungen
der Familienmitglieder des Dienstherrn der Wilhelme Gr. ergab
wochenlang keinen Befund; dann wurden im Urin des Lehr¬
lings A. Bazillen gefunden. A. hatte ebenfalls Sahne allsonn¬
täglich zu sich genommen; er wurde ins Distriktskrankenhaus
überführt und nach 7 Wochen nach Behandlung mit Urotropin
bazillenfrei entlassen.
Am 30. November 1915 kam der Kaufmann J., der mit
den beiden Studenten W. und Sch. die gleiche Wohnung hatte,
wegen Typhus ins Distriktskrankenhaus. Am 19. Dezember
1916 erkrankte die Wäscherin C. W. im Distriktskrankenhaus,
die nachweislich die Wäsche von W. und Sch. und J. gewaschen
hatte.
Am 1. Februar 1916 meldete Dr. M. Typhusverdacht bei
der Hausfrau Ko. Die Ko. ist die Schwiegertochter der Haus¬
frau der beiden Studenten W. und Sch. und des Kauf¬
manns J. In ihrer Wohnung verkehrten, wie ich mich persönlich
überzeugte, die Enkelkinder auch dann noch, als die Sperre
über die Wohnung verhängt war. Die Erkundigung bei der
erkrankten Frau Ko. ergab, daß ihr 4 Jahre altes Kind Marie
Ko. seit 3 Wochen an Gehirnhautentzündung krank war, starke
Diarrhoen und Fieber hatte, sehr unruhig und teilnahmslos war.
Der von mir sofort ausgesprochene Verdacht, daß das Kind
Typhus habe, wurde später bakteriologisch bestätigt; ebenso
war der Befund bei der Mutter positiv.
Das an „Gehirnhautentzündung" erkrankte Kind war von
der Berufsschwester L. Gr. gepflegt worden, die ahnungslos
keinerlei Vorkehrungen gegen die Infektion getroffen hatte und
infolgedessen später ebenso an Typhus erkrankte, wie die
gleichfalls pflegende Mutter E. der erkrankten Frau Ko.
Trotzdem wöchentlich 2 mal Kot und Urin der Angehörigen
der Milchlieferungsstelle R. eingeschickt worden waren, war es
bisher nicht gelungen, den epidemiologischen Verdacht, daß
dort die Infektionsquelle sein müsse, bakteriologisch zu be¬
stätigen, weshalb der Antrag des Bezirksarztes auf Schließung
des Milchgeschäftes von der politischen Behörde abgelehnt
wurde. Die Entnahme von Blut war verweigert worden.
Erst als auf Anraten der bakteriologischen Untersuchungsanstalt
München eine tägliche Einsendung stattfand, wurde auch der
bakteriologische Nachweis des Verdachts möglich und zwar
g leich bei 2 Mitgliedern der Familie R., worauf die Sperrung
es Milchgeschäftes erfolgte.
Am 2 t. Februar 1916 wurde von dem Hausarzt des
116 Dr. Graßl: Eine umschriebene Typhusepidemie
städtischen Krankenhauses ein Typhusfall gemeldet. Die Frau Bo.
befand sich bereits 4 Wocheix im städtischen Krankenhause,
ohne daß die Diagnose gestellt werden konnte; erst die
Darmblutung klärte das Bild. Ein Zusammenhang mit den
übrigen Fällen konnte nicht gefunden werden. Vielmehr wurde
angenommen, daß die Frau von ihrem aus der Front auf
Erholungsurlaub heimgekehrten Sohn, der längere Zeit an hef¬
tigen Verdauungsstörungen gelitten hatte, wahrscheinlich in¬
fiziert war.
Genetisch ergibt sich demnach folgendes Bild:
Klinisch war bemerkenswert, daß bei 2 Personen groß-
lappige Abschuppungen in der 5. und 6. Woche auftraten,
ähnlich wie es bei Scharlach der Fall ist. Ein Fall, der unter
dem ausgesprochenen Bilde des Morbus Werlofii in Beobachtung
des Berichterstatters kam, erregte den diagnostischen Zweifel
meiner Mitarbeiter lange und schwer; der Verlauf bestätigte
aber meine Diagnose. — Zu jener Zeit wurde von dem Arzte
des städtischen Krankenhauses ein Leichenschauschein aus¬
gestellt, dem gemäß ein junger, an Skorbut erkrankter Mann
an Darmblutungen gestorben war. Ich hege den Verdacht, daß
es sich auch bei ihm um larvierten Typhus gehandelt hat.
Für den Verwaltungsarzt ist die Schwierigkeit der
Diagnose in der Praxis sehr beachtenswert. Daß der Kur¬
pfuscher Ra. und ein wegen des Ohrleidens zugezogener Ohr¬
spezialist nicht zur Diagnose kamen, darf nicht wundernehmen.
Daß aber 3 tüchtige praktische Aerzte, obwohl sie Kenntnis von
dem Auftreten von Typhusfällen in Kempten hatten, nicht die
Diagnose stellen konnten, darunter einer nicht einmal nach
mehrwöchentlicher Beobachtung in einer Krankenanstalt, ist
prophylaktisch beachtenswert. Ein Arzt nahm Septikäiüie nach
Diphtherie an, ein anderer Gehirnhautentzündung und der
Krankenhausarzt kam überhaupt nicht zur exakten Diagnose.
Daraus geht wohl zweifellos hervor, daß die Unterdrückung
einer drohenden Typhusepidemie von manchen Zufälligkeiten
infolge Milchinfektion und Kontaktansteckung.
417
abhängig ist. — Später mußten wiederholt Fälle von Typhus¬
diagnose als anderweitige Krankheit von mir bezeiohnet werden.
In den von mir beobachteten Fällen eilte die klinische
Diagnose der bakteriologischen stets um Wochen voraus.
Gruber-Widal war einmal negativ, in den übrigen Fällen
mehr oder minder positiv. Der Bakteriennachweis gelang nie
vor der 3. Woche.
Das Gutachten, in dem ich auf die Quelle der An¬
steckung, nämlich die R.sche Milchhandlung hinwies, führte
die Gründe für diese epidemiologische Annahme auf. Das Auf¬
treten sämtlicher Primärinfektionen im K.-Viertel ließ auf eine
Quelle im K.-Viertel schließen.
Der Umstand, daß bei den Infizierten lediglich die Milch
gemeinsam war, deutete auf diese als Infektionsträger hin.
Die Art und Weise des Milchbetriebes erklärte auch das verlang¬
samte, verbröckelte Auftreten. Die Frau R. nahm die Milch von
Milchbauern am Ende der Stadt in einem geschlossenen Gefäß
entgegen und verhausierte sie sofort in den verschiedenen Haus¬
haltungen. Selbst wenn ein Bazillenträger mit ständiger Aus¬
scheidung angenommen wird, könnte es nur zufällig geschehen,
daß infolge der Milch Verteilung durch die Frau R. Keime in die
Milch gerieten; außerdem hatten sie, wenn sie hineingerieten,
nicht genügend Zeit, sich dort massenhaft zu entwickeln. Nur an
wenigen Tagen nahm die Frau R. den Rest der Milch mit in ihr
Geschäft hin und stellte sie dort auf. Dazu kommt die bekannte
Erfahrung, daß die Bazillenträger nur periodisch ausscheiden;
eine Erfahrung die auch hier wieder gemacht wurde und viele
Arbeit bis zum Nachweis verursachte.
In bezug auf die Wirksamkeit der medizinalpolizeilichen
Vorkehrungen glaube ich auch in dieser kleinen Epidemie die
alte Erfahrung wieder bestätigt zu finden, daß die Abschließung
i n der Familie in der Regel von wenig Erfolg begleitet ist, und
daß zu mindestens eine geschulte Berufskrankenpflegerin die
Voraussetzung des Gelingens ist. Dagegen glaube ich hier
wiederum der Abschließung der Familien von dem Vekehr
nach außen den Hauptanteil an den mit Erfolg begleiteten
Maßregeln zuschreiben zu dürfen. Das Betreten der infizierten
Wohnung bringt bei der mangelhaften Einsicht der Bevölke¬
rung die größte Gefahr. Um nicht mißverstanden zu werden,
füge ich an, daß ich unter Abschließung der Familie nicht die
Ausschließung gesunder Familienmitglieder von dem Erwerb
verstehe, wenn dieser Erwerb nichts mit Nahrungsmitteln zu
tun hat.
Was ich in einem früheren Artikel (s. Nr. 1 dieser Zeit¬
schrift', Jahrg. 1916) in bezug auf die Gefährlichkeit der Ver¬
bindung von Pflegerin und Köchin erwähnte, scheint mir auch
hier wieder zuzutreffen. In sämtlichen Familien mit Farailien-
kontaktepidemien, also bei Vi., bei Ko. Mutter und Großmutter,
bei Gr., also von 5 Familienepidemien 4 mal, war die Mutter
Köchin und Pflegerin zugleich.
418
Cr. Vollmer: Was wird ans dem weiblichen
Gerade solche engumschriebenen Epidemien lassen den
Zusammenhang in der Regel klarer erkennen als gröfiere;
aus diesem Grunde glaubte ich die Veröffentlichung wagen
zu dürfen.
Was wird aus dem weiblichen Lazarett-Pflege-Personal
nach dem Kriege?
Von Kreisarzt Dr. Vollmer, z. Z. Beserve-Lazarett-Delegierter der freiwilligen
Krankenpflege, Bad Krenznach.
Im Kreise Kreuznach sind bislang von ca. 150 Helferinnen
von dem Roten Kreuze 75 so eifrig gewesen, daß sie das
staatliche Examen als Krankenpflegerinnen haben ablegen
können; im benachbarten Fürstentum Birkenfeld sind eben¬
falls über 60 Helferinnen ausgebildet und nun bald imstande,
die staatliche Prüfung, die auch das Kriegsministerium
wünscht, zu bestellen; in anderen Bezirken wird die Zahl
ähnlich groß sein. Da erhebt sich wie von selbst die Frage:
Was wird aus allen diesen weiblichen Pflegekräften nach dem
Kriege? Kann nicht jetzt schon etwas geschehen, um sie später
nutzbringend und segensreich zu verwenden?
Diese Frage ist mir verschiedentlich gekommen; ich bin
ihr deshalb etwas nachgegangen. Es wird eine große Ver¬
suchung für die intelligenteren dieser Krankenpflegerinnen sein,
später, wenn ihr Vertrags Verhältnis mit den Lazaretten durch
deren Auflösung zu Ende ist, sich auf Grund ihres Zeugnisses
auf eigene Faust hin niederzulassen und nun ihren Beruf ausüben,
so gut es geht. Wenn sie mit Hilfe der Aerzte ihr Brot finden,
ist dies auch in der Ordnung. Wenn dies aber nicht der Fall
sein sollte, so könnte eine Schar von Kurpfuscherinnen er¬
wachsen, die den selbst nicht mit geringen Schwierigkeiten
kämpfenden, in ihre so lange verwaiste Praxis zurückkehrenden
Aerzten bedrohlich, zum mindesten lästig werden könnte, be¬
sonders, da bekanntlich auch das männliche Sanitätspersonal
nach dem Kriege zur Ausübung der Heilkunde und zur Kur¬
pfuscherei neigen wird.
In welchen zweckmäßigen Bahnen wird nun der ätrom der
Krankenpflegerinnen am besten geleitet? Ohne Frage ist die
Ausbildung der Hilfsschwestern und Helferinnen vom Roten
Kreuz, die die Prüfung als staatlich anerkannte Kranken¬
pflegerinnen bestanden haben, stellenweise eine recht gute
gewesen, sowohl wissenschaftlich an der Hand des vom
Ministerium des Innern herausgegebenen Lehrbuches für^staat¬
liche Krankenpflege (Berlin, Verlag von Hirschwald), als auch
praktisch an dem großen Krankenmaterial der vielen Lazarette
und Krankenhäuser während des Krieges; — sie ist derart, daß es
zweifelsfrei ein direkter Verlust und eine Vergeudung wäre, wenn
dieser Schatz von Kenntnissen und Erfahrungen unverwertet
bliebe. Er soll aber nicht gegen die Aerzteschaft sich kehren,
Ltzarett-PJIege»Peraonal nach dem Kriege i 419
bezw. gegen die staatlich geordnete Fürsorge für die Kranken,
sondern deren Zwecken und dem Wohle der Allgemeinheit'
dienen. Ein. Teil dieser im Kriege ausgebildeten Pflegerinhen
wird wohl nach dem Kriege heiraten; ein Teil in den ver¬
schiedenen Krankenpflegerorden und in den Roten Kreuz¬
organisationen sich betätigen können; ein Teil wird in anderer
Privatpflege Verwendung finden; einige werden sich als
'Massösen ausbilden lassen. Viele werden aber unbeschäftigt
bleiben. Was wird aus diesen?
In der Aerzteweit wird immer und immer wieder darüber
geklagt, daß der Hebammenstand der gebildeteren und ge¬
diegeneren Elemente vielfach entbehrt., ernster Menschen, denen
die Bedeutung der einzelnen und der vielen Geburten für das
Wohl des Vaterlandes klar ist. Ich will hier nicht eine im
allgemeinen vielleicht unberechtigte Klage gegen den Hebammen¬
stand erheben; ich kenne viele zuverlässige und auch treue
Hebammen in Stadt und Land, aber eine Hebung dieses Standes
auf eine höhere Stufe erscheint mir unbedingt erforderlich. —
Durch die Not der Zeit sind nun viele Mädchen und junge
Frauen, auch aus gebildeten Kreisen, Krankenpflegerinnen
geworden, die sonst nicht daran zu denken brauchten; das
Material zur Aufbesserung des Hebammenstandes im großen
Stile ist also jetzt vorhanden. Auf der breiten Unterlage ihrer
in der Kriegskrankenpflege erworbenen Kenntnisse von dem
Wesen der Krankheiten und Wunden, von dem Bau und der
Einrichtung des menschlichen Körpers würde auch ihre Aus¬
bildung zu Hebammeh verhältnismäßig leicht sein; in 6 Monaten
würde man eine Dame, die die Prüfung als staatliche Kranken¬
pflegerin bestanden hat, zu einer tüchtigen Hebamme ausbilden
können. Man sollte hier zugreifen. Man braucht den Zwang
ja nicht so weit auszudehnen, daß man etwa in Zukunft die
Annahme als Hebammenschülerin in eine Provinz-Hebammen-
Lehranstalt abhängig machte von der bestandenen Prüfung als
Krankenpflegerin, aber in größeren Städten wie Düsseldorf,
Elberfeld, Köln, Halle würde der Kursus als Hebammenschülerin
sich unmittelbar an die Lazarettpflege anschließen lassen nach
vorheriger Verständigung der ausbildenden Aerzte, so daß ganz
ausgezeichnete Kräfte an die Hebammenlehranstalten abgegeben
werden könnten. Jedenfalls sollte die Regierung
gerade jetzt, wo jede gut verlaufende Geburt ein
Gewinn für die Nation ist, die Gelegenheit, sich
hygienisch einwandfreie und gut vorgebildete
Hebammen sichern zu können, nicht vorübergehen
lassen. Es wäre dem Wohle der Mütter, der Kinder, des
Staates und der vielen Krankenpflegerinnen in gleicher Weise
gedient.
Für die besten so neugewonnenen Hebammen könnten
vielleicht auch gehobene Stellen neu beschafft werden. Die
Säuglingsfürsorge und die Fürsorge für den möglichst normalen
Verlauf einer jeden Geburt wird im Hinblick auf die notwendige
420 Dr. Vollmer: Was wird aas dem weibl. Lazarett-Personal nach dem Kriege.
und schnelle Erneuerung des durch den Krieg so gelichteten
Volkes ganz besondere Bedeutung gewinnen. Wie viele Kinder
sind sohon allein, infolge des Krieges weniger geboren; in
meinem Kreise ist z. B. die Geburtenzahl im Jahre 1915 um
400 geringer gewesen als im Jahre 1914, wo der Krieg erst
anfing. Wie nele Mütter und Kinder gehen leider immer noch
durch anormale Wochenbetten zugrunde 1 Die Tätigkeit des
Kreisarztes auf diesem Gebiete bleibt naturgemäß vorwiegend'
die des Statistikers und des die Aufsicht führenden Beamten;
eine Frau an seiner Seite, die hier besonders mitarbeiten könnte,
mit allen Aerzten und Hebammen in dauernder Fühlung bliebe,
könnte nach meiner Meinung nicht nur in dem Sinne einer
Führung von genauen Listen nach dem Westerburger System
wirken, sondern auch eine öftere Kontrolle über die Hebammen
durchsetzen. Sie könnte immer wieder die lässigen auf Rein¬
haltung ihrer selbst und der Utensilien hinweisen; sie könnte
da unter der Aufsicht des Kreisarztes großen Segen stiften,
dem zu einer wirksameren Beaufsichtigung der Hebammen,
abgesehen von der vorgeschriebenen regelmäßigen Ueber-
wachung, vielfach die Zeit fehlt. Es wären also derartige
gehobene Stellen für Kreishebammen oder wie man sie
nennen will, zu schaffen. Auf diese Weise könnte aus den
staatlich ausgebildeten Krankenschwestern eine wertvolle Schutz¬
truppe gegen den Geburtenrückgang gewonnen werden.
Es gibt aber noch andere Gebiete, auf denen ihre Tätig¬
keit sehr nutzbringend verwendet werden könnte, ln mancher
Gemeinde fehlt z. B. noch eine ausgebildete Gemeinde¬
schwester, die die zuverlässige Stütze für den Landarzt ist.
Das flache Land hat jetzt seine volle Bedeutung für die Er¬
haltung unser Volks- und Wehrkraft bewiesen, um so mehr ist
eine größere Fürsorge für die ländliche Bevölkerung angezeigt.
Die „Kreiskrankenpfl egerin“, die „Tuberkulose-
sohwester“, die „Wochenbettpflegerin“ ist in vielen
Ortschaften, wo sie dringend nötig war, noch ein frommer
Wunsch des Kreisarztes geblieben.
Die Säuglingsfürsorge wird ebenfalls einer wissen¬
schaftlich und praktischen Krankenpflegerin ein sehr weites und
dankbares Feld der Tätigkeit, besonders in dicht bewohnter
Industriegegend geben können. Für alle diese wichtigen Zweige
sozialer Hilfe würden wir somit das brauchbarste Personal
aus den zahlreichen Kriegspflegerinnen herleiten können.
Auf diese Weise würde den deutschen Frauen und Mädchen,
die in edler patriotischer Begeisterung sich am Anfänge des
Krieges zur Verfügung gestellt haben, und da der Krieg eine
ganz andere Dauer angenommen hat, in der Krankenpflege
gründlich ausgebildet und in den Geist der modernen Medizin
weiter eingeführt sind, wie dies bei nur kurzer Dauer des
Krieges möglich gewesen wäre, aus ihren erworbenen Kennt¬
nissen und Erfahrungen ein befriedigender Lebensberuf erwachsen
können. Die Pflegetätigkeit, die sich besonders für die Frau
Bericht über die Konferenz für Trinkerfürsorge. 421
eignet und die vielen während des Krieges lieb geworden ist,
könnten sie dann auch nach dem Frieden weiter ausüben und
an ihrem Teile dann mithelfen an dem Wiederaufbau der
deutschen Volksgesundheit. — Die Armee der Kaiserin, wie
man die Kriegspnegerinnen mit Recht genannt hat, wird dann
auch nach dem Kriege ihre Bedeutung behalten.
Aus Versammlungen und Vereinen.
Bericht Uber die in Berlin am 13. und 14. Juni abgehaltene
Konferenz ittr Trinkerfürsorge.
Die Konferenz, die im Landeshaose der Provinz Brandenburg stattfand,
war außerordentlich stark besucht; aus allen Teilen Deutschlands waren zahl¬
reiche Vertreter der Staats-, Kirchen- und Gemeindebehörden, Versicherungs¬
anstalten, Krankenkassen, Trinkerfürsorgestellen, Trinkerheilanstalten, Wohl¬
fahrtsvereinen usw. erschienen. Der Vorsitzende, Senatspräsident D. Dr.
von Strauß und Tourney gab in seiner Eröffnungs- und Begrüßungs¬
ansprache einen kurzen Deberblick über die bisherige Tätigkeit der Zentral¬
stelle für Trinkerfürsorge. In mehr als 200 deutschen Städten seien Tr in ker-
ffirsorgestellen errichtet und von diesen eine zum Teil umfangreiche and
erfolgreiche Arbeit geleistet. Der Krieg habe neue Arbeiten nötig gemacht
und nach dem Kriege werden sich weitere neue Aufgaben heraussteilen. Der
Wirkungskreis der schon bestehenden Trinkerfürsorgestellen müsse erweitert
und durch Gründung von weiteren Stellen allmähiig ein Netz über ganz
Deutschland gezogen werden. Diese Erfolge der Trinkerfürsorge seien
besonders durch das Zusammenwirken mit den Behörden, Versicherungsträgern
und sozialen Arbeitsgemeinschaften erreicht worden; auch die diesjährige
Konferenz gebe in ihrer Zusammensetzung ein Bild dieses Zusammenwirkens,
das für die weitere Entwicklung und Ausgestaltung der Arbeit die schönsten
Aussichten eröffne.
Es wurde hierauf in die Tagesordnung eingetreten.
1. Erfahrungen ans der Praxis mit dem § 120 der Reichsver¬
sicherungsordnung, insbesondere im Hinblick anf die gleiche Fürsorge
für alkoholkranke Kriegsteilnehmer. Der Berichterstatter, Landesrat Dr.
Schellmann- Düsseldorf, besprach zunächst kurz den Inhalt des betreffenden
Paragraphen, der bekanntlich sein Dasein den Bemühungen des Deutschen
Vereins gegen den Mißbrauch geistiger Getränke verdankt und an Stelle
von Barleistungen die Gewährung von Sachleistungen an Trank¬
süchtige zaläßt. Er zeigte dann an dem Ergebnis einer von ihm ver¬
anstalteten Bandfrage bei den Landesversicherangsanstalten und Krankenkassen,
daß die Zahl der Anwendungsfälle des Paragraphen im Verhältnis zu den großen
Zahlen der nach der B. V. 0. bewilligten Invaliden-, Alters- und Unfallrenten
sowie der Bezüge von Krankengeld verhältnismäßig noch gering ist. Dies sei
allerdings zum Teil auf die Kürze der Zeit zurückzuführen. Leider hätten aber
auch die Trinkerfürsorgestellen bisher zu wenig Anträge bei den Versiche-
rungsträgern gestellt; desgleichen seien die Armenvcrwaltungen in Verkennung
der Wichtigkeit der Frage wenig geneigt, diesen Weg zu beschreiten, und die
Versicherangsämter zu nachgiebig gegen die ausweichenden Wünsche der Trank-
süchtigen. Geklagt werde ferner über die Weitschweifigkeit des vorgeschriebenen
Verfahrens, wodurch häufig die ganze Maßnahme zwecklos gemacht werde.
Einstimmig werde dagegen die Befugnis za Sachleistungen an Trunksüchtige
statt Barleistungen günstig beurteilt. Vielfach werde die Sachleistung
durch Vermittlung der Trinkerfürsorgestelle ausgezahlt, eine für den Trinker,
seine Familie und das Volkswohl scgensvolle Maßnahme, die jedoch die volle
Hingabe des Fürsorgers erfordere. Da mit Sicherheit mit einer ganzen Beihe
von Trunksüchtigen unter den Kriegsteilnehmern gerechnet werden
müsse, sei dafür zu sorgen, daß für diese die gleichen Bestimmungen wie im
§ 120 der B. V. 0. und im § 45 des Privatangestellten-Versicherungsgesetzes
in das Mannschaftsversorgungsgesetz aufgenommen werden. Im Anschluß an
42*
Bericht über die Konferenz für Trinkerfürsorge.
die vorjährige Konferenz habe sich der Deutsche Verein gegen den Mißbrauch
geistiger Getränke za diesem Zwecke sowohl an den Reichskanzler als an den
Reichsausschuß für Kriegsbeschädigte gewandt und von beiden znstimmende
Aeußerungen erhalten. Jedenfalls habe sich im ganzen Deutschen Reiche mehr
oder weniger die Ueberzeugung Bahn gebrochen, daß auf diesem Wege zum
Vorteil der Kriegsbeschädigten vorgegangen werden müsse.
2. Einwirkung der Kriegszelt auf die Trinkerfürsorge. Bericht¬
erstatter: Pfarrer Stürmer - Lüdenscheid: Durch den Krieg ist die Trinker¬
fürsorge immer stärker in das Licht sozialpolitischen und nationalen Denkens
gerückt und zu einem besonders wichtigen Teil der großen Volksfürsorge ge¬
macht; sie darf deshalb nicht bloß Sache der christlichen Nächstenliebe sein,
sondern muß auch als eine unabweisliche Staatsangelegenheit erkannt werden.
Das Kriegsleben mit seiner straffen militärischen Disziplin hat auf die ein-
berufenen Trinker sehr verschieden eingewirkt; viele mußten als unbrauchbar
bald wieder entlassen werden, nicht wenige haben aber auch durch die An¬
forderungen des Krieges ihre Willenskraft wiedergefunden. Im Felde spielt
jedoch der Alkoholgenuß im großen und ganzen eine verhältnismäßig geringe
Rolle; weit ungünstiger hat dagegen in dieser Hinsicht der Krieg in der Heimat
gewirkt infolge Abwesenheit der Männer und Erzieher, des reichlichen Geldver¬
dienstes, namentlich der männlichen und weiblichen Jagend usw. und zwar be¬
sonders in den Industriebezirken. Infolge des großen Geldverdienstes und der
größeren Selbstständigkeit erliegen auch viele Frauen den Alkoholversuchungen.
Die seitens der Behörden und der Militärverwaltungen gegen den übermäßigen
Alkoholgenuß ergriffenen Maßnahmen haben viel Gutes gewirkt. Man hat weit
mehr als früher einsehen gelernt, daß es auch ohne Alkohol, und zwar viel
besser geht; demzufolge hat sich der Schnaps verbrauch erheblich verringert.
Redner wünscht deshalb für die Zeit des Uebergangs in den Friedenszustand:
Völliges Branntweinverbot, Beibehaltung der für die Jagend erlassenen Be¬
stimmungen, Einführung bezw. Beibehaltung einer frühen Polizeistunde und
andere zweckmäßige Maßnahmen.
8. Erfahrungen mit der vorläufigen Bernfsvormundschaft 1 b der
Trinkerfürsorge. Der Berichterstatter, Dr. Polllgkeit- Frankfurt a. M., stützt
seine Ausführungen namentlich auf das statistische Material der Frankfurter
„Trinkerhilfe“ seit 1909. Nach den hier gemachten Erfahrungen hat sich von
den Mitteln zur Heilung oder Unschädlichmachung von Gewohnheitstrinkern
die Bernfsvormundschaft einen festen Platz gesichert; ebenso habe sich die
Bestellung eines vorläufigen Vormundes in Verbindung mit der Aus¬
setzung des Entmündigungsverfahrens bewährt, jedoch nur in solchen Fällen, in
denen nicht schwerere, geistige Erkrankung Ursache oder Folge der Trunk¬
sucht ist. Für diese Fälle bietet nach erfolgter Entmündigung die Berufsvor¬
mundschaft die Handhabe zu einer Schutzaufsicht oder zur Unschädlichmachung
des Trinkers durch Unterbringung in einer Anstalt Die geisteskranken Trinker
bedürfen einer Sonderbehandlung, für die im freien Leben wie in der Anstalts¬
pflege noch neue Formen gesucht werden müssen.
4. Normalfragebogen. Direktor Dr. Hartwig-Lübeck berichtet über
die Erfahrungen die mit einem vielfach schon in Gebrauch befindlichen Normal¬
fragebogen für Trinkerfürsorgestellen gemacht sind; er schlägt verschiedene
Abänderungen zu diesem Fragebogen und seiner Verwendung vor.
5. Ueber die zwangsweise Unterbringung arbeitsscheuer Gewöhn*
heitstrinker in Westfalen während des Krieges berichtet Landesrat Krafi-
Münster i.W.: Das sog. Arbeitsscheuengesetz vom 23. Juli 1912 hat uns die Mög¬
lichkeit der Unterbringung arbeitsscheuer Leute unter Anwendung des Arbeits¬
zwanges gebracht; seine Bestimmungen reichen aber nicht aus, um alle Land¬
streicher zu fassen. Deshalb ist in Westfalen im Einvernehmen mit dem
stellvertretenden Generalkommando des VII. Armeekorps im Jahre 1915 die
Anordnung getroffen, daß alle auf der Landstraße, in Herbergen, Asylen oder
sonstigen Unterkunftsräumen betroffenen offenkundig arbeitsscheuen Personen
in polizeiliche Sicherheitshaft zu nehmen sind. Dasselbe gilt betreffs der in
den Städten befindlichen Arbeitsscheuen. Infolge dieser Anordnung sind über
200 arbeitsscheue Landstreicher und Stadtbummler der provinzialständisches
Arbeitskolonne zugeführt, wo sie nicht nur nutzbringende Arbeit leisten,
Bericht über die Konferenz für Trinkerfürsorge.
498
sondern anch an eine solche wieder gewohnt werden. Die als Kriegsmaßnahme
getroffene Anordnung hat sich vorzüglich bewährt nnd bildet namentlich ein
außerordentlich wirksames und wertvolles Mittel auf dem Gebiete der Trinker*
fürsorge. Es ist deshalb nur zu wünschen, daß sie auch nach dem Kriege in
irgendeiner Form dauernd beibehalten wird.
6. Welche alkoholgegnerischen Maßnahmen der Behörden in der
Kriegszelt haben sich bewährt, und in welchem Umfange lassen sich diese
ln die Zeit nach dem Kriege übertragen! Nach Ansicht des Bericht*
erstatte», Prof. Dr. Trommershausen-Marburg, haben sich von den seitens
der Behörden während des Krieges getroffenen alkoholgegnerischen Maßnahmen
das Alkoholverbot bei der Mobilmachung und die Beschränkung des
Wirtshausbesuches für Militärpersonen unbedingt bewährt und sind
deshalb auch nach dem Kriege beizubehalten. Ebenso ist die Ausdehnung des
Alkoholverbots in den Bahnhofswirtschaften auch auf die Zivilbevölkerung
für die Kriegszeit zu erstreben und die Beseitigung der Animierkneipen
auch für die Zeit nach dem Kriege streng durchzuführen. Für die weib¬
liche Bedienung in Wirtschaften sind einheitliche Vorschriften zu erlassen
und unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse allgemein und streng
durchzuführen. Personen, die in betrunkenem oder angetrunkenem Zustand an
öffentlichen Orten Aergernis erregen, sollten in Polizeihaft genommen, Trunken¬
bolde unter Schutzaufsicht gestellt und Trunksüchtige in eine Trinkerheilanstalt
gebracht werden. Trunkenheit sollte auch bei Zivilpersonen, die sich straf¬
bar gemacht haben, nicht als Milderungsgrund gelten. Das Verbot des
Alkoholausschanks an Militärpersonen und Militärpflichtige an Tagen
der Aushebung, Musterung, Kontrollversammlungen usw. ist ebenso beizu-
behalten, wie das Verbot des Alkoholausschanks, des Wirtshausbesuchs und
des Rauchens für Jugendliche; desgleichen ist der Alkoholansschank
bei öffentlichen Volksfesten, Tanzlustbarkeiten usw. einzuschränken. Weiterhin
empfiehlt sich eine planmäßig durchgeführte Belehrung der Jugend
und der Mannschaften in Heer und Marine über die Alkoholgefahren,
die durch die Errichtung möglichst alkoholfreier Soldatenheime, durch die
Darbietung billiger Ersatzgetränke usw. zu fördern ist. Anderseits ist die Her¬
stellung von alkoholischen Süßwaren, zum mindestens ihre Verab¬
reichung an Jugendliche, sowie der Verkauf von Alkoholika durch Automaten
auch in der Friedenszeit zu verbieten. Die während des Krieges durchgeführten
Beschränkungen der Branntweinerzeugung und damit auch des
Branntweingenusses sind im Interesse der Volksgesundheit nnd Volkswohlfahrt
auch nach dem Kriege in geeigneter Form beiznbehalten; der Reichsbranntwein¬
stelle und ihrem Beirat sollten deshalb auch Mitglieder angehören, die an der
Erzeugung, dem Handel und Verbrauch des Branntweins selbst nicht finanziell
beteiligt sind und sich nur von der Rücksicht auf das Allgemeinwohl
leiten lassen. Auch eine erhebliche Einschränkung bezüglich des Bieres
ist für die Zeit nach dem Kriege dringend notwendig und wünschenswert;
als wirksame Maßnahmen hierfür empfiehlt Vortragender: Erhöhung der Brau¬
steuer, Beschränkung der Zahl der Schankstätton und des Bierausschanks
(frühe Polizeistunde), Konzessionspflicht des Flaschenbierhandels, Verbot des
Flaschenbierverkaufs in Kolonialwarenhandlungen, Milchgeschäften usw. Zum
Schluß betont er das Bedürfnis und die Notwendigkeit einer Umgestaltung der
gesamten Alkoholgesetzgebung, die auf reichsgesetzlichem Wege vor¬
zunehmen sei.
Für die Teilnehmer der Konferenz hatte der Berliner Zentralverband zur
Bekämpfung des Alkoholismus an beiden Sitzungstagen Vortragsabende ver¬
anstaltet. Von den hier gehaltenen Vorträgen interessiert besonders der des
Geh. Med.-Rats Prof. Dr. Tuczeck-Marburg a. L. über „Erhaltung und
Mehrung unserer Volkskraft“. Zur Erhaltung unserer Volks- und Wehr¬
kraft bedürfen wir dauernd viele gesunde Menschen mit vielen gesunden
Kindern. Die Volksernährung hat sich dem Kriege soweit als möglich angepaßt,
auch für zweckmäßigen Mutter- und Säuglingsschutz ist Fürsorge getroffen.
Dasselbe gilt betreffs der Jugendwehr, die eine gleichmäßige Ausbildung aller
Anlagen sichert; dagegen bedürfen das Fortbildungswesen und die Tätigkeit
der Schulärzte noch eines weiteren Ausbaus. Auch für Volksnervenheilstätten,
Heilerziehungsanstalten und Fürsorge für jugendliche Schwachsinnige sollte
424
Kleinere Mitteilungen and Referate an* Zeitschriften.
noch mehr als bisher geschehen, ebenso wie fttr die Vorbeugung und Be¬
kämpfung der Volksseuchen, insbesondere der Tuberkulose und der Geschlechts¬
krankheiten, deren Bekämpfung jetzt nach einem einheitlichen und erfolg¬
versprechenden Feldzugsplan durchgeführt werden soll. Nicht minder wichtig
und bedeutungsvoll ist die Bekämpfung des Alkoholmißbrauches; Vermeidung
des regelmäßigen täglichen Alkoholgenusses, insbesondere Vermeidung geistiger
Getränke bei der Arbeit sowie alkoholfreie Jugenderziehung müsse gefordert
werden. Redner betont zum Schluß, daß die Ursachen des Geburtenrückgangs
teils psychologischer, teils wirtschaftlicher Natur sind. Zu seiner Bekämpfung
sind daher, soweit wirtschaftliche Ursachen in Frage kommen, auch soziale
Maßnahmen, insbesondere eine großzügige Wohnungsreform erforderlich.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
A. Oariohtliohe Mediain.
Ueber Schußverletzungen von Eingeweiden. Von Frof. Br. C. Ipsen.
Wissenschaftliche Aerztegesellschaft in Innsbruck. Sitzung vom 11. Februar 1916.
Wiener klin. Wochenschrift; 1916, Nr. 26.
Herz- und Lun gen schösse können gelegentlich schlitz- und rinnenförmige
Durchtrennungen erzeugen und Schnitt- und Stichwunden Vortäuschen, andere
Male infolge der Bewegungen der Organe umfängliche Zerstörungen mit weit
greifender Gewebszerreißung bedingen. Streifschüsse der Aorta und der Pul-
monalis erzeugen öfters eng aneinander gedrängte oberflächliche Risse, selbst
bei völliger Unversehrtheit der äußeren Schichten der Gefäßwandung. Bei
Schußverletzungen der Carotis und derSubelavia kann durch Ueberdehnung
der Gefäßwand infolge der Wirkung der Blutwelle von innen unter gleich¬
zeitigem Anspannen der Gefäßwandung durch das Geschoß eine quere Gafä߬
durchtrennung erzeugt werden, als ob ein scharfschneidendes Werkzeug das
Gefäßrohr durchtrennt hätte.
Am Magen und Darm kann die große Zahl schlitzförmiger Durch-
trennungen der Wandung auf eogem Raume zu irrtümlicher Deutung der Zahl
der etwa in Betracht kommenden Geschosse Anlaß geben. Es handelt sich hier
um Geschoßwirkung bei Längsfaltung des Darmrohrs im erschlafften oder halb-
leeren Zustande des Organs.
Für die Gestalt und das Aussehen der .Schußverletzungen der Leber ist
der Spannungszustand des Gewebes mit verantwortlich.
Von den Selbstbeschädigungen, die Ipsen besprach, ist der Fall
eines 23jährigen Mädchens besonders erwähnenswert, das im Herbete 1914 in
Nachahmung der Verlctzungsweise, der die Herzogin von Hohenberg am
28. Juni 1914 in Serajevo erlag, mit einer Flobertpistole von 5,6 mm Geschoß-
querschnitt sich einen Schuß in der rechten seitlichen Unterleibsgegend ober¬
halb des Hüftbeinkamms beibrachte und infolge Verblutung aus einem Durch¬
schuß der unteren Hohlvene in einer Viertelstunde starb.
Der Vortrag enthält auch über die Schußverletzungen des Gehirns, und
über die Handlungsfähigkeit von Schwerverletzten sehr interessante Angaben.
Dr. Mayor -Simmern.
B. Oerlohtllohe Payohiatrle
Der Krieg und die Reservekräfte des Nervensystems. Von Prof. Dr.
A. Pick-Prag. Sammlung zwangsloser Abhandlungen aus dem Gebiete der
Nerven- und Geisteskrankheiten. Halle a. Saale 1916. Verlag von C. Mar hold.
XI. Bd., 5. H. 8°; 27 S. Preis: 1 M.
Die Frage der Reserven des Nervenstystems hat jetzt durch den Krieg
wieder größere Bedeutung erhalten; Verfasser hat sich deshalb in der vorstehenden
Abhandlung die Aufgabe gestellt, die tieferen Grundlagen dieser Frage zu
prüfen und insbesondere nachzuforschen, ob auch hinsichtlich der Einzelfrage,
woher die ungeahnten und verborgenen Kräfte stammen und wie sie zur
Wirkung kommen, die Fortschritte der normalen und pathologischen Physiologie
und Psychologie eine ebenso befriedigende Deutung wie für manche andere
Fragen an der Hand zu geben vermögen. Daß der Affekt zu weit über
Kleinere Mitteilungen und Referate aas Zeitschriften.
425
das Maß des Normalen hinausgehenden Leistangen befähigt, ist eine ebenso
altbekannte Tatsache wie diejenige, daß namentlich die im Kriege fördernden
Affekte eine derartige Wirkung hervorrnfen. Mit Recht ist schon früher darauf
hingewiesen, daß für die Erzeugung des Mutes alles darauf ankommt, daß der
Organismus eine größere Kraftmenge (Arbeite Vorrat) auf bringt, als für seine
unmittelbaren Bedürfnisse erforderlich ist; der Mut kann somit als Ausdruck
von organischen Reservekräften gelten. Bei ihrer Aktivierung spielt auch der
bei großen Affekten eintretende Fortfall der in normalen Verhältnissen tätigen
Hemmungen eine bedeutsame Rolle. Psychische wie körperliche Momente
sind in gleicher Weise bei der gesteigerten Arbeit der Organe wirksam. Ein
kräftiges Nervensystem mit entsprechend geübten Organen hat jedenfalls im
gegebenen Momente mehr Reserven zur Verfügung alB ein von Haus aus
schwächlich veranlagtes, wenn sich auch nicht leugnen läßt, daß auch aus
einem defekten Nervensystem infolge der Labilität seiner Leistungsfähigkeit
und der Mangelhaftigkeit seiner Hemmungen gelegentlich, ja selbst für die
Dauer größere Reserven hervorgeholt werden können. Von weittragender
Bedeutung für die ganze Frage ist die von den allerverschiedensten Ursachen
abhängige Reizempfindlichkeit der Nervenzellen. Ein robustes Nerven¬
system reagiert weniger und schwächer auf feinere Reize, als ein schwächlicheres
und deshalb empfindlicheres. Alles, was die Konstitution erhält und hebt, wird
mittelbar auch die Reservekräfte des Nervensystems günstig beeinflussen.
Rhythmische Arbeit in mäßigem Tempo steigert den Affekt ohne wesentliche
Zunahme der Anstrengung (z. B. tonisierende Wirkung des musikalischen
Rhythmus). Auch das Bewußtsein der gemeinschaftlichen Arbeit ist eine
Quelle der psycho-physischen Kraftsteigerung; hierauf beruht der Kollektiv¬
mat, ebenso wie die Kollektivbegeisterung durch den dem Einzelnen aus
der allgemeinen Begeisterung zuströmenden Zufluß an Nervenenergie und Zuwachs
an Nervenspannkraft hervorgerufen wird. Intensive Affekte (Furcht, Wut,
Schmerz) sind nach C an non von einer verstärkten Adrenalinzufuhr ins Blut
und dem Freiwerden des in der Leber aufgespeicherten Glykogens begleitet.
Zucker und Zufuhr von Adrenalin erhöhen deshalb die Muskelleistung, während
Entfernung der Nebennieren und damit Aufhören der Adrenalinzufuhr eine
hochgradig schwächende Wirkung haben. Erhöhtes Lebensgefühl, ge¬
hobener Gefühlston haben einen günstigen Einfluß auf das vegetative Leben
des Organismus und bewirken ebenso wie sonstige Affekte und Reize ein
Freimachen der Reservekräfte des Nervensystems, eine Steigerung der Willens¬
kraft, Leistungsfähigkeit und des Mutes; Unglück, Mißerfolge, Panik
usw. rufen die gegenseitigen Wirkungen hervor. Rpd.
O. Bakteriologie und Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten.
1. Typhus.
Ein Fall von Meningitis typhosa. Von Assist. Dr. G. Umeck. Aus
dem Magdalenenspital in Triest (Dir.: Dr. M a r c o v i c h). Medizinische Klinik;
1916, Nr. 13.
Verfasser beschreibt die Krankheit eines dreijährigen Knaben, die unter
dem Bilde einer Basilarmeningitis verlief. Die richtige Diagnose konnte intra
vitam nur gestellt werden durch die serologisch-bakteriologische Untersuchung
des Blutserums und der Lumbalflüssigkeit. Das Serum ergab Agglutination
mit Typhusbazillen; in der eitrigen Lumbalflüssigkeit fanden sich Typhusbazillen
in Reinkultur. Die Autopsie zeigte: Eitrige Meningitis, leicht vergrößerte
Milz, Infiltration der Pey er sehen Plaques und der Follikel ohne Bildung von
Typhusgeschwüren und starke Infiltration der Mesenterialdrüsen. Dieser Fall
unterscheidet sich von anderen Fällen eitriger typhöser Meningitis insofern, als
der klinische Symptomenkomplex tatsächlich der einer basilaren Meningitis war,
ein äußerst seltenes Bild. Dr. L. Quadflieg-Gelsenkirchen.
Pathologische Reaktionen bei Typhnsgelmpften. Von R. Koch,
Sekundärarzt Aus der medizinischen Poliklinik der Universität Frankfurt a. M.
(Dir.: Prof. Dr. Strasburger [im Felde]). Mediz. Klinik; 1916, Nr. 14.
Es gelangten 2 Fälle pathologischer Reaktionen nach Typhus-Vakzination
zur Beobachtung. Der erste Fall betraf einen Arzt, der 1909 eine Diphtherie
496
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
mit postdiphtherisoher Gaumensegel- and Akkomodationslähmung, ferner —
Herzstörang darchgemacht hatte; 1916 bestanden die £rscheinangen einer
Herznearose. Die ersten zwei Typhös- and zwei Choleraschatzimpfangen ver¬
liefen ohne besondere Erscheinungen. Die dritte Typhasimpfang löste schwere
Symptome aas: Heftige Glieder and Kopfschmerzen, Schweißaasbrüche,
Temperaturerhöhungen etc.; eine Blatuntersuchang ergab daB Fehlen aller
Leukozyten. Nach 2 Tagen trat Besserung ein, die Leukozytenzahl war wieder
normal. Im Gegensatz za den voraufgegangenen Impfangen zeigte sich diesmal
keine Reaktion an der Einstichstelle. Der zweite Fall betraf einen Heizer mit
neurotischer Konstitution, der vor vier Jahren eine Blinddarmoperation darch¬
gemacht hatte und an einer kleinen epigastrischen Hernie litt. Die erste
Typhusimpfung vertrug er gut; kurz nach der zweiten stellten sich Erbrechen
(6 in einer Stande) und Darchfälle (7 in einer Stunde) ein, ferner gab er unan-
f enehmes Empfinden von Gefühllosigkeit in allen Gliedern an. Körpertemperatur:
9,5 Trotz des ev. Bestehens organischer Veränderungen im Abdomen infolge der
Hernie oder der Blinddarmoperation dürften die nach der Impfung aufgetretenen
Symptome kaum zufällig gewesen sein. Bei den beiden Patienten scheint es
sich um Ueberempfindlichkeit zu handeln. Die pathologischen Typhusimpfungs-
Beaktionen sind in 2 Gruppen za trennen: 1. Die wahrscheinlich nicht
spezifische Ueberempfindlicbkeitsreaktion, 2. die spezifische Infektionsreaktion.
Dr. L. Qu ad flieg- Gelsenkirchen. .
2. Bahr.
Die Rohr der Kinder ln Russisch-Polen. Von k. k. Assist.-Arzt Dr.
Emil Flasser, Abschnitts-Chefarzt, vorher Sekundärarzt der Prager Findel¬
anstalt, Abt. Prof. Alois Epstein. (Aas dem Marodenhaase des Abschnittes 8
der k. und k. Befestigungs-Baudirektion Iwangorod.) Medizinische Klinik;
1916, Nr. 18.
Im ganzen kamen 28 Ruhrfälle zur Beobachtung, davon nicht weniger
als 21 bei Kindern in den ersten 6 Lebensjahren. Die Vorliebe der Rahr für
das Kindesalter ist entweder darin begründet, daß der Darm des Kindes der
Infektion durch Ruhrbazillen besonders zugänglich ist, oder die Rohr verhält
sich in Russisch-Polen wie bei uns die Masern. Die Mütter haben vielfach
auch die Ansicht, daß jedes Kind die Ruhr durchmachen muß (daher absolut
keine Isolierung), am später davon verschont za bleiben (Immunität!), und
daß die Rahr in der Jagend leichter verläuft als im späten Alter, was
nach den gemachten Beobachtungen richtig za sein scheint. Bemerkenswert
aas dem Verlauf dieser Fälle ist, daß öfter ein ausgesprochenes Prodromal¬
stadium vorausging mit Erscheinungen seitens des Verdaaungstraktus oder des
Gehirns. Das Stadium der blutigen Stühle war dem bei Erwachsenen gleich,
aber meist von kurzer Dauer und milder. Oft boten die Darchfälle das Aas¬
sehen des typhösen Erbsensappenstahles, der dann daroh eine olivgrüne Farbe
ausgezeichnet war. Mit dem Aufhören der blutigen Stühle beginnt bei Säug¬
lingen und kleinen Kindern ein Stadium der postdysenterischen Ernährungs¬
störungen mit dem Symptomen des Magendarmkatarrhs, die za einem der
Dekomposition gleichenden Zastand führen können. In einem Falle schloß sich
an die Rahr eine Nephritis an, die za Tode führte; es scheint die Anschauung
berechtigt, daß die Kriegsnephritis oft eine Folgekrankbeit einer schweren
Darmerkrankung ist. Die Rahrbehandlang war diätetisch and medikamentös
(Opium). Besonders bemerkenswert ist die Indolenz der fast durchweg
analphabetischen Bevölkerung. Für die ärztliche Tätigkeit besteht nicht das
mindeste Verständnis; im allgemeinen behandeln Kurpfuscher nach mittelalter¬
lichen Methoden. Von einer öffentlichen Gesundheitspflege ist nirgends eine
Spur vorhanden; in dem ganzen Abschnitt gab es kein Haus, das auch nur
die primitivste Abortanlage aufzuweisen gehabt hätte.
Dr. L. Quadf 1 i e g • Gelsenkirchen.
3. Diphtherie.
Die Gramfestigkeit der DIphtheriebasHlen und der Pseudodiphtherie-
baxlllen als dUfereatlaldlaguostlsehes Merkmal. (Aus dem städtischen
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
427
Uatenucbung8amt Charlottenburg.) Von, H. Langer und H. Krüger.
Deutsche med. Wochenschrift; 1916, Nr. 24J
Die Gramfestigkeit der Pseudodiphtheriebazillen ist wesentlich stärker
als die der Diphtheriebazillen. Pseudodiphtheriebazillen setzen der Entfärbung
durch Alkohol einen außerordentlich (bis zu 2 Stunden) großen Widerstand
entgegen, während Diphtheriebazillen bereits nach 10 Minuten durch Alkohol
entfärbt werden. Hierin liegt ein spezifisches Unterscheidungsmerkmal. Es
gilt für jedes Wachstumsstadium der Bazillenkulturen, bedeutet daher eine
Erweiterung der färberischen Differenzierungsmöglichkeit. Folgende
Färbezeiten werden empfohlen: Anilinwasser• Gentianaviolett 2 Minuten,
Lugolsche Lösung 6 Minuten, absoluter Alkohol 16 Minuten, verdünntes
Fuchsin 1 Sekunde. Dr. B o e p k e - Melsungen,
Beitrag zur Behandlung der Diphtherie. Von Dr. F. Berg, Assistenz¬
arzt. (Aus der inneren Abteilung des Krankenhauses der Stadt Berlin-Lichten-
berg. Dir.: Prof. Dr. F. Blumenthal.) Medizinische Klinik; 1916, Nr. 12.
Die Bindung zwischen Toxin und einer gleichgroßen Menge Antitoxin
dauert 24 Stunden; daher muß das Antitoxin auch möglichst lange im Blute
kreisen. Um dieses zu erreichen, ist die gleichzeitige kombinierte Anwendung
d>er intravenösen und intramuskulären Seruminjektion zu empfehlen; erstere
S ewährleistet eine schnelle, letztere eine nachhaltige Wirkung. Diese Methode
at den Vorteil, daß Traeheotomieen jedenfalls selten — in 200 so behandelten
Fällen keine — notwendig werden. Ebenso hat Jochmann bei 5000 kombiniert
behandelten Fällen kein Weiterschreiten des diphtherischen Prozesses gesehen.
Natürlich muß dabei das Herz unter Kontrolle gehalten werden, was ev. nur
bei Krankenhausbehandlung möglich ist. Verfasser gab je 3000 I.-E. bei
leichten, bis zu je 10000 I -E. bei schweren toxischen Fällen intravenös und
muskulär. Um Kollaps zu vermeiden, wurde mit dem Serum gleichzeitig als
Stimulans Disotrin intravenös verabreicht. Es ist zu unterscheiden zwischen
einer frühzeitigen und späten Herzlähmung. Die Patienten erhielten 3 Tage
lang 3 X täglich soviel Tropfen Digalen per os als die Kinder Jahre zählten,
die Erwachsenen 3 X lö Tropfen täglich, bei bedrohlichen Herzerscheinungen
Digalen und Koffein subkutan, ferner bei Blutdrucksenkung Suprarenin Hoechst.
Seitdem ist kein Kind an frühzeitigem Herztod gestorben. Lokal wurde der
diphtherische Prozeß mit guter Wirkung mit Seruminhalationen (1000 I.-E.
auf 20ccm steril, physiol. Na CI-Lösung) behandelt; Kinder inhalierten diese
Lösung 10, Erwachsene 15 Minuten. Mit der Tracheotomie darf nicht zu lange
gewartet werden. Unter 207 Diphtheriefällen (Beobachtung 8—5 Wochen)
traten nur 2 postdiphtherische Lähmungen auf. Selbst wenn nach der Ent¬
lassung noch der eine oder andere Fall vorgekommen sein mag, ist die Zahl
der Lähmungen klein. Dr. L. Quadflieg-Gelsenkirchen.
D. Hygiene and öffentliohee Gesundheitswesen.
1. Säuglings- und Kleinkinderfürsorge.
Larosan und Säuglingsfürsorgestellen. Von Stadtarzt Dr. Oschmann-
Weißenfels. Zeitschrift für Säuglingsschutz; 1916, Nr. 5.
Die Domäne des Larosans ist jede Form der Ernährungsstörung, die
mit Durchfällen einhergeht und eignet sich daher zur Verwendung in vielen
Fällen, wo die Säuglingsfürsorgestellen therapeutisch eingreifen müssen.
__ Dr. Wolf-Hanau.
Säuglings* und Kleinkinderpflege lm Unterricht der weiblichen
Jagend. Von Dr. Lief mann-Freiburg i. B. Zeitschrift für Säuglingsschutz;
1916, Nr. 6.
1. Jedes heranwachsende deutsche Mädchen sollte Unterricht in Säug¬
lings- und Kinderpflege empfangen. Dieser Unterricht könnte, verbunden mit
einem hauswirtschaftlichen Lehrgang, als Fortbildungsschule für alle schul*
entlassenen Volksschülerinnen, als Frauenschule für die Absolventinnen der
höheren Mädchenschule (Studienanstalt) obligatorisch gemacht werden.
2. Der Unterricht soll sich in theoretischer Belehrung und praktische
Arbeit gliedern. Die praktischen Uebungen hätten sich über den ganzen Tag
428
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
2a erstrecken and wären in den Schulen anzugliedernden Krippen und Kinder¬
gärten abzahalten. Krankenanstalten sind nicht als Unterrichtsanstalten zu
verwenden.
3. Als Lehrer kommen für diesen Unterricht in Betracht: ein in der
Pädiatrie aasgebildeter und erfahrener Arzt (Aerztin), der möglichst zugleich
auch Schalarzt sein sollte and Krippe und Kindergarten ärztlich überwacht,
eine ansgebildete Säuglingspflegerin und eine Kindergärtnerin. Eine Besetzung
des Lehrkörpers durch Frauen erscheint wünschenswert.
4. Ziel des Unterrichts ist keine Berafsansbildnng in Säuglings- und
Kinderpflege, sondern nur solche Tatsachen und solche Fertigkeiten zu ver¬
mitteln, die jedes deutsche, in die Ehe tretende Mädchen als festen Bestand
ihres Wissens und Könnens mitbringen soll. Dr. Wolf-Hanau.
Anträge für das Einschreiten des Staats und des Reichs auf dem
Heblet der Säuglings- und MatterfOrsorge. Von Dr. von Behr-Pinnow.
Zeitschrift für Säuglingsschutz; 1916, Nr. 6.
Der Verfasser verlangt den Erlaß eines Kreisfürsorgegesetzes mit dem
Kreisfürsorgeamt unter einer Kreisfürsorgekommission und gibt
? genaue Richtlinien für die Tätigkeit dieses Amtes. Um einem solchen Kreis-
ürsorgeamt jedoch die nötige Kraft und Wirkung za verleihen, sind noch
einige weitere Gesetze za fordern und zwar für Preußen ein Gesetz betr.
die Einführung der Generalvormundschaft and ein Gesetz betr. die Haltekinder;
außerdem muß die in Stadt und Land schleunigst allgemein einzuführende pflicht¬
mäßige Fortbildungsschule vollenden und erweitern, was in der Volksschule
begonnen ist. Selbstverständlich ist der Unterricht in Haushaltkunde und
Kinderpflege auch in den höheren Mädchenschulen und Lyzeen aufzunehmen.
Des Unterrichts bedürfen auch diejenigen, die des Kindes Mutter in gesunden
und kranken Tagen vertreten müssen, die Kinderpflegerinnen, für Familie und
Anstalt. Hier muß natürlich eine längere Fachausbildung einsetzen. — Für
das ganze Reich sind zu fordern: Neuregelung der Bestimmungen über die
vom außerehelichen Erzeuger zu leistenden Unterhaltungsbeiträge; Reichs-
ammengesetz und Erweiterung der in Frage kommenden sozialpolitischen Gesetze
in bezug auf Wochengeld und Stillgeld, eventuell in Verbindung mit einer
allgemeinen Mutterschaftsversicherang. Dr. W o 1 f - Hanau.
Hrandzflge einer Neuregelung der Säuglings- und Klelnkinderfüraorge
im Königreiche Sachsen.
Zar Regelung der Säuglings- und Kleinkinderfürsorge im Königreiche
Sachsen ist vom König!. Ministerium des Innern eine Denkschrift ausge¬
arbeitet worden, die als Grundlage für die Beratungen in der diesjährigen
außerordentlichen Sitzung der I. Abteilung des Landes-Gesundheitsamtes zu
dienen bestimmt ist und nachstehende Grundzüge enthält:
Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß die Säuglingssterblichkeit in
den letzten Jahrzehnten bei uns wie in allen Kulturstaaten erheblich zurück¬
gegangen ist. Damit ist der Beweis erbracht, daß die zu diesem Zweck
ergriffenen Maßregeln von Erfolg begleitet waren und daß wir in der Be¬
kämpfung des Uebels auf dem richtigen Wege gewesen sind. Aber ebenso
liegt zutage, daß wir in Sachsen noch eine weitere Vervollkommnung der
bestehenden Zustände anstreben können und müssen. Denn die Ziffer der
Säuglingssterblichkeit beträgt noch immer 15,7 °/o und ist immer noch höher
als die Durcbschnittsziffer — 15,1 # /o — im Deutschen Reiche, während sie
außerhalb Deutschland zum Teil sogar weniger als die Hälfte beträgt. Und
wenn die skandinavischen Länder mit ihrer ganz besonders niedrigen Ziffer
von 6,8 *7© in Norwegen und 7,2 n /o in Schweden vielleicht wegen der klimatischen
Verhältnisse und der geringen Revölkerungsdichtigkeit nicht ohne weiteres
zum Vergleiche herangezogen werden können, so sind doch z. B. in Frankreich
(Ortschaften über 5000 Einwohner 1909: H,7°/o), Italien (1912: 12,8°/o) und
den Niederlanden (1912: 8,7°/o) die natürlichen Lebensbedingungen sicher nicht
günstiger als bei uns. Es ist deshalb auch von wissenschaftlicher Seite
wiederholt die Zuversicht ausgesprochen worden, daß wir bei zweckmäßigen
Einrichtungen und folgerichtiger Durchführung weitere erhebliche Erfolge
erwarten dürfen.
Kleinere Mitteilungen und Referate aas Zeitschriften.
429
Auch bei den neuerdings durch die Kreishauptmannschaften vorge¬
nommenen Erhebungen ist fast allenthalben der Wunsch nach Verbesserungen
und deren Notwendigkeit festgestellt worden, und zwar bezeichnenderweise am
lautesten und entschiedensten in denjenigen Orten und Bezirken, die auf dem
Gebiete der Säuglingspflege schon bisher mehr als anderwärts geleistet haben.
So wird z. B. auch bemerkt, daß gerade die Gemeinden, die bisher der Ein¬
führung Ton Stillprämien abgeneigt waren, nach der während des Krieges
erfolgten Einführung der Wochenhilfe vielfach anderen Sinnes geworden seien.
Die guten Erfolge, die in vielen Gemeinden erzielt worden sind, sind
zweifellos der Erkenntnis zu verdanken, daß es nicht genügt, kranke Kinder
zu heilen, sondern daß es darauf ankommt, gesunde Kinder gesund zu erhalten
und gegen Krankheiten widerstandsfähig zu machen. Wenn nun auch dieser
Gedanke Gemeingut aller derjenigen ist, die sich mit der Kinderfürsorge ein¬
gehend beschäftigt haben, so wird es doch darauf ankommen, die jungen Mütter
für diesen Gedanken zu gewinnen und die Gemeinden an die Pflicht zu
erinnern, sich der vorbeugenden Aufgabe der Kinderpflege noch mehr zu widmen
als bisher.
Unter den geäußerten Wünschen kommt zunächst die Schaffung einer
Landes-Zentralstelle in Frage, die die örtlichen Bestrebungen zusammenfaßt,
regelt und beeinflußt und die gegenwärtig zwar in den süddeutschen Staaten,
aber in Sachsen noch nicht besteht.
Allgemein wird das Verlangen nach einer stärkeren Beteili¬
gung des Staates an den Kosten der Säuglings- und Kleinkinder¬
fürsorge zur Geltung gebracht, wie es auch schon in den Verhandlungen
der Ersten Kammer vom 12. März 1914 von den drei Oberbürgermeistern
von Plauen, Chemnitz und Leipzig sehr nachdrücklich ausgesprochen
wurde. Tatsächlich ist bis jetzt mit staatlichen Unterstützungen nur ein
Anfang gemacht worden, indem außer den hierher zu rechnenden, in Kap. 58,
Tit. 3 h bisher mit 16000 Mark, neuerdings mit 18000 Mark eingestellten
Unterstützungen für Kinderhorte in den Jahren 1914 und 1915 aus Kap. 58,
Tit. 3 k des Staatshaushalts-Etats insgesamt je 9800 Mark Beihilfen zu Still¬
prämien bewilligt worden sind.
Die dauernde Festsetzung der jetzt nur für die Kriegszeit eingeführten
Reichswochenhilfe, die überall die günstigste Aufnahme und Wirkung
gehabt hat, wird allgemein gewünscht und wird daher auzuatreben sein, gehört
aber nicht zur Zuständigkeit der Landesgesetzgebung.
Ferner ist die Notwendigkeit einer größeren Einheitlichkeit und
Gleichmäßigkeit der Einrichtungen im ganzen Lande betont worden.
Um aber eine solche durchgreifende, über das ganze Land verbreitete
Fürsorge zu erzielen, wird es nötig sein, unter Weiterverwendung der zahl¬
reichen freiwilligen Kräfte namentlich aus den örtlichen Frauenvereinen, die
schon bisher in hingehender Arbeit vielfach Anerkennenswertes geleistet haben,
die Gesamtheit der Einrichtungen auf die feste und dauernde Grundlage des
Kommunalverbandes mit seinen berufsmäßigen und ehrenamtlichen
Organen zu stellen und ihn zum Träger der Fürsorge zu bestimmen, ln den
größeren Gemeinden können diese die Aufgabe übernehmen, die bei den vielen
kleineren und kleinsten Gemeinden deren Kräfte weitaus überschreiten würde.
Hier müssen, da wir auf die freiwillige Bildung von Gemeindeverbänden nicht
warten können, die Bezirks verbände eintreten, die sich auch schon bisher hier
und da freiwillig an der Fürsorge beteiligt haben. Da es zur Uebertragung
der Aufgabe an die Bezirks verbände eines Gesetzes bedarf, wird es sieb
empfehlen, die ganze Angelegenheit, namentlich auch das mit in Betracht
kommende Pflege (Zieh-) kinderwesen und die Berufsvormundschaft gesetzlich
zu regeln. Hierfür sowie für die Ausführungsverordnung werden folgende
Grundzfige
zur Besprechung gestellt:
1. Die Säuglings- und Kleinkinderfürsorge wird der Selbstver¬
waltung der Bezirksverbände und der bezirksfreien (exemten)
Städte übertragen, von denen jeder Bezirksverband und jede bezirksfreie
Stadt einen Fürsorgebezirk bilden.
Da größere Gemeinden, die hierzu in der Lage sind und zum Teil auch
schon Ersprießliches auf dem Gebiete der Fürsorge geleistet, unter Umständen
480
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
den Wunsch haben werden, auch künftig einen eigenen Fürsorgebezirk zu
bilden, wird man dies den Städten mit Revidierter Städteordnung allgemein,
sowie anderen Gemeinden mit mehr als 10000 Einwohnern gestatten können,
wenn und solange sie die gesetzlich vorgeschriebenen Leistangen aas eigenen
Mitteln übernehmen. Sie haben ihre Absicht vor dem Inkrafttreten des Gesetzes
«der spätestens ein Vierteljahr vor Beginn des Geschäftsjahres, mit welchem
sie aasscheiden wollen, dem Bezirksverbande anzazeigen. ln diesem Falle
findet § 23 des Bezirksverbandsgesetzes vom 21. April 1873 in dem Sinne auf
sie Anwendung, daß sie von den Bezirksanlagen, welche für diese Fürsorge
erhoben werden, befreit bleiben.
Mehrere Fürsorgebezirke können sich zar gemeinsamen Unterhaltung
einzelner oder sämtlicher Einrichtungen vereinigen.
2. Gegenstand der Fürsorge sind:
a) Säuglinge,
b) uneheliche Kinder und gegen Entgeld in Pflege gegebene Kinder (Pflege*
kinder) bis znm 6. Lebensjahre.
Die Fürsorge kann mit anderen verwandten Tätigkeiten, z. B. Schwangeren*
und Mutterschutz, Krüppelfürsorge, Tuberkulosebekämpfung und vor allem
auch mit der Wohnungsaufsicht und Wohnungspflege verbanden werden, da
die Beschaffenheit und Instandhaltung der Wohnung für das Gedeihen der
Kinder von allergrößter Bedeutung ist.
8. Die Aufgaben der Fürsorge sind:
a) die Belehrung und Beratung der Mütter, namentlich über die Notwendig¬
keit und die Voraussetzung der natürlichen Brusternährung,
b) die Beaufsichtigung der Kinder und
c) die wirtschaftliche Unterstützung von Matter und Kind.
Eine polizeiliche Mitwirkung findet nur bei der Regelung und Beauf¬
sichtigung des Pflegekinderwesens statt.
4. Für die Zwecke unter Ziffer 8a, b und c müssen in jedem Für*
sorgebezirke vorgenommen werden:
a) die Anstellung von Bezirkspflegerinnen,
b) die Errichtung und Unterhaltung von Mütterberatungsstellen,
c) die Verteilung von Merkblättern an Schwangere und Mütter,
d) die Gewährung von Stillbeihilfen,
e) die Beaufsichtigung der Pflegekinder,
f) die Einführung der Berufsvormundschaft.
Weitere Einrichtungen sind freigestellt. Insbesondere können
g) Vorträge und belehrende Unterweisungen für Hebammen, freiwillige
Helferinnen, 8chwangere, Mütter, Pflegemütter usw. über die Pflege und
Ernährung von Säuglingen und Kleinkindern veranstaltet,
h) Belohnungen für Hebammen, welche mit Erfolg die von ihnen entbundenen
Mütter zum Stillen bringen, gewährt,
i) Krippen, in denen die auf Arbeit gehenden Mütter ihre Kinder bis zum
dritten Lebensjahre unterbringen, Stillräume in größeren Betrieben, in
denen stillende Mütter arbeiten, endlich Säuglingsheime und Säuglings¬
krankenhäuser errichtet,
k) Wanderkörbe für Wöchnerinnen dargeliehen und
l) Milchküchen für stillende Mütter eingerichtet werden.
5. Für jeden Bezirk ist mindestens eine Bezirkspflegerin als
berufsmäßige Beamtin des Kommunalverbandes gegen angemessene Entschädi¬
gung anzustellen. Die Pflegerinnen haben die persönliche Aufsicht über die
im Fürsorgebezirke vorhandenen Säuglinge, sowie die unehelichen und Pflege¬
kinder unter sechs Jahren insbesondere durch Hausbesuche zu führen, hierbei
die Mütter und Pflegemütter, aber auch Schwangere zu verständigen und znm
Besuche der Mütterberatungsstellen anzuhalten. Sie können, soweit ihre Zeit
reicht, auch zu den Geschäften der Wohnungsaufsicht und Wohnungspflege,
der Krüppelfürsorge und der Tuberkulosebekämpfung verwendet werden.
Ueber ihre Vorbildung, wegen deren zufolge eines Berichts des
Landes-Gesundheitsamtes vom 11. Juli 1915, 220 1 L.G. A., die Ansichten zur
Zeit noch nicht völlig geklärt sind, trifft das Ministerium des Innern nach Ge¬
hör des Lfindesausscbusses (Ziffer 11) die nötigen Bestimmungen. Dabei wird
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 481
eine Lehr- und Uebungszeit in der praktischen Krankenpflege, wie sie die jetzt
zar Militärkrankenpflege herangezogenen and nach dem Kriege jedenfalls in
großer Zahl frei werdenden Pflegerinnen durchgemacht haben, jedenfalls als
eine vorteilhafte Grundlage anzusehen, außerdem aber auch noch eine mehr¬
monatige Dienstleistung in einem Säuglingsheim, einer Entbindungsanstalt oder
einem Säuglingskrankenhause, zu fordern sein. Za erwägen ist, ob den in einer
Fraaenschule oder in sozialen Frauenkursen vorgebildeten Bewerberinnen ge¬
wisse Vergünstigungen eingeräumt werden könnten.
6. Mütterberatungsstellen sind in der erforderlichen Anzahl
zu errichten und können auch zwischen verschiedenen Orten wechseln. Sie
sind ausnahmslos unter die Leitang eines Arztes oder einer Aerztin za
stellen, die von dem Kommunalverbande angemessen zu entschädigen sind, da
man ihnen nicht zumuten kann, daß sie eine Berufstätigkeit, die sie des Le¬
benserwerbes halber betreiben, in dem für die Säuglings- und Kleinkinderfür¬
sorge erforderlichen Umfange unentgeltlich leisten.
Im allgemeinen wird sich empfehlen, daß, wie z. B. in Hessen, sAmt¬
liche Aerzte, die sich innerhalb des Fürsorgebezirks hierzu bereit finden,
der Beihe nach in vielleicht einjährigem Wechsel zur Leitung der Beratungs¬
stellen herangezogen werden. Hierdurch wird am besten jede einseitige Beein¬
trächtigung der freien Praxis vermieden und werden Kenntnisse und Interesse
für die Sache in die weitesten Kreise hinausgetragen. Doch wird bei denjenigen
Beratungsstellen, wo bereits feste Anstellungsverhältnisse bestehen, eine ent¬
sprechende Umwandlung selbstverständlich nur mit aller Schonung vorgenommen
oder verlangt werden dürfen.
Am Dienste in den Beratungsstellen kann sich die Bezirkspflegerin be¬
teiligen und es können hierzu auch freiwillige Helferinnen herangezogen werden.
7. Stillbeihilfen sollen, sofern eine Reichswochenhilfe nicht auch
nach dem Kriege bestehen bleibt oder soweit sie Lücken auf weist, denjenigen
stillenden Müttern gegeben werden, die wegen des Stillens Einbuße an Arbeits¬
verdienst erleiden oder einer Unterstützung in Geld oder Lebensmitteln (Milch),
z. B. wegen Blutarmung, Schwächlichkeit, besonders bedürftig sind.
Dabei ist das Wort „Stillprämien" künftig ganz zu vermeiden.
Einmal als unnötiges Fremdwort, dann aber auch, weil die allgemeine An¬
schauung angestrebt werden muß, daß für jede Mutter, die dazu körperlich im¬
stande ist, das Stillen eine heilige Pflicht und nicht etwas ist, wofür sie noch
eine besondere Belohnung erwarten darf.
8. Was die Auf sicht über das Pflegekinde rwesen anlangt, wird
zu erwägen sein, ob eine polizeiliche Erlaubnis zum Halten von Pflegekindern
gegen Entgelt oder nur eine Meldepflicht gefordert werden soll mit der Be¬
fugnis der Polizeibehörde, unzuverlässigen oder hinsichtlich ihrer Person oder
ihrer WohnungsVerhältnisse ungeeigneten Personen die Annahme von Pflege¬
kindern zu verbieten. Beides würde, ohne gegen die Reichsgewerbeordnung
zu verstoßen, zulässig sein, da das Pflegekinderwesen zu den nach § 5 der
Gewerbeordnung der Landesgesetzgebung vorbehaltenen Gegenständen gehört
(vgl. Landmann, Gewerbeordnung, Anm. 5 zu § 6).
Die Wahrnehmung der polizeilichen Befugnisse wird in den Bezirksrer-
bänden dem Bezirksausschüsse, in Gemeinden, die eigene Fürsorgebezirke bilden,
der Gemeindebehörde (Stadtrat, Stadtgemeinderat, Gemeinderat) übertragen.
Vor der zu fassenden Entschließung werden in allen Fällen der Fttr-
sorgeausschuß und die Bezirkspflegerin zu hören sein.
Gegenüber dem Erziehungsberechtigten ist die Polizeibehörde nur befugt
einer übelen Behandlung der Kinder durch einstweilige Maßnahmen abzuhelfen
und hat im übrigen sich auf eine Anzeige an das Vormundschaftsgericht zu
beschränken und diesem die weitere Entschließung zu überlassen (vgl. Urteil
des Oberverwaltungsgerichtes vom 19. Oktober 1904, Jahrb. 6, S. 236).
9. Die gesetzliche (Berufs-) Vormundschaft ist für alle un¬
ehelichen, sowie für die in Pflege gegebenen oder einer besonderen Pflege be¬
dürftigen Kinder einzurichten. Der Vormund hat im Einvernehmen mit der
Bezirkspflegerin und dem Fürsorgeausschusse alle für das Wohl des bevor¬
mundeten Kindes erforderlichen Maßnahmen zu treffen und vor allem zu sorgen,
daß die nötigen Unterhaltsbeiträge der Unterhaltspflichtigen ausreichend
und rechtzeitig geleistet werden. Sehr erwünscht wäre es, wenn der Vormund
482
Kleber« Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
in der Lage wäre, schon vor der Gebart des Kbdes über die hier nötigen
Festsetzungen herbeizuführen, wie dies b Dänemark and Norwegen allgemeb
Rechtens ist (vgl. Bericht über den 111. Internationalen Kongreß für Säuglings-
schatz, Berlin 1912, 8. 801 flg.). Dies würde zar Sicherung von Matter and
Kbd ganz wesentlich beitragen and in wirksamer Wsise verhbdern, daß der
außereheliche Vater sich gerade im kritischen Zeitpunkte seben Verpflichtungen
entzieht.
Za der Bestellung des Vormandes wird der Fürsorgeaasschaß za
hören sein.
10. Zar Erledigung der Fürsorgegeschäfte ist für jeden Fürsorgebezirk
eb Fürsorgeausschuß za bilden, dem anzagehören haben
ein oder mehrere Aerzte, welche die Mütterberatungsstellen leiten,
ebe oder mehrere Bezirkspflegerinnen,
ein Vormundschaftsrichter,
ein oder mehrere Berufsvormünder,
ebe oder mehrere Hebammen,
ein oder mehrere Krankenkassenvertreter,
sonstige Personen (Geistliche, Lehrer, Mitglieder von Fraaenvereinen
a. dgl.), welche für das Fürsorgegeschäft Erfahrung oder Interesse
besitzen.
Die Mitglieder des Ausschusses werden jedesmal auf die Daner von
zwei Jahren vom Bezirksaasschasse, in den Gemeinden, welche einen eigenen
Fürsorgebezirk bilden, von der Gemeindebehörde gewählt, die anch den Vor¬
sitzenden des FürsorgeauBschusses and seine Stellvertreter za bestimmen haben.
Doch soll der Vorsitzende oder sein Stellvertreter in der Regel ein Arzt seb.
Der Fürsorgeaasschuß hat
a) die nötigen Einrichtungen ins Leben zu rufen and in Gang za halten;
b) sich über die dem Bezirksausschüsse oder der Gemeindebehörde znstehende
Anstellung der Bezirkspflegerinnen sowie über die Bestellung der die
Matterberatungsstellen leitenden Aerzte gutachtlich za äußern;
c) Stillbeihilfen für Mütter and Belohnungen für Hebammen (Ziffer 4 unter g)
festzusetzen und za bewilligen;
d) die gesamte Fürsorge für Säuglinge und Kleinkinder zu leiten und zu
beaufsichtigen.
Der Ausschuß hat vor Beginn des Geschäftsjahres einen Haushaltsplan
aafzustellen, welcher der Genehmigung der Bezirks- oder Gemeindevertretung
unterliegt. Ueber die genehmigten Mittel verfügt der Ausschuss selbstständig
hat jedoch der Bezirks- oder Gemeindevertretung hierüber Rechnung abzulegen.
11. Als Zentralstelle wird ein Landesaasschuss für Säuglings¬
and Kleinkinderfürsorge gebildet, welcher unter dem Vorsitze des
Ministers des Innern oder seines Stellvertreters und unter Teilnahme von
Räten und Hilfsarbeitern der beteiligten Ministerien (Ministerium des Innern
allgemein — der Finanzen, soweit es sich um Staatsbeihilfe handelt, des Kultus
and öffentlichen Unterrichtes bei Fragen, welche die Hochschulen betreffen, der
Justiz bei Vormundschaftsangelegenheiten) nach Bedarf zusammen berufen wird.
Dem Landesaasschusse gehören an:
der Präsident des Landes-Gesnndheitsamtes,
die Direktoren der Universitäts-Frauenklinik nnd der Frauenkliniken in
Dresden und Chemnitz,
die Direktoren der Universitäts-Kinderklinik in Leipzig und des städtischen
Säuglingsheims in Dresden,
ein vom Justizministerium bestimmter Vormundscbaftsrichter,
Vertreter der in Sachsen bestehenden Krankenkassenverbände,
15 Vertreter der Fürsorgeausschüsse, von denen die Kreisausschüsse auf
jedesmal 3 Jahre je 3 in der Weise wählen, daß hierunter je ein
Arzt und eine Bezirkspßegerin sein soll,
sonstige Personen beiderlei Geschlechtes, die von dem Ministerium des
Innern berufen werden, weil ihnen besondere Erfahrungen oder Leistun-
f en auf dem Gebiete der Säuglings- und Kleinkinderfürsorge zur
eite stehen.
Der LandesausBchuß ist ein beratendes Organ der Staatsregierung. Ins¬
besondere gehören zu seinen Aufgaben:
Kleinere Mitteilung«! and Referate aas Zeitschriften.
488
a) Ueberw&chnng der Säuglings- and Kleinkinderfürsorge im ganzen Lande,
b) Anregung and Begutachtung allgemeiner Anordnungen,
c) Verteilung der Staatsbehilfen und sonstigen Zuwendungen (z. B. aus
„Deutschlands Spende für Säuglings- und Kleinkinderschutz “ an die ein¬
zelnen Fürsorgebezirke,
d) Veranstaltung von Wanderlehrkursen und andere, sich auf das ganze
Land erstreckende Einrichtungen.
Die Teilnehmer an den Landesausschußsitzungen erhalten, soweit sie
nicht in Dresden wohnen, aus der Staatskasse eine Reiseentschädigung von
20 Mark.
12. Die durch die Einrichtungen im Fürsorgebezirke entstehenden
Kosten sind von diesem zu tragen. Doch qoll hierzu unter weiterer Aus¬
gestaltung der Einstellung in Kap. 68 Tit. 3 h und k des Staatshaushalts-Etats
eine Staatsbeihilfe gewährt werden, über deren Bemessung jedoch zunächst
noch mit dem Finanzministerium zu verhandeln sein wird.
(Sonderbeilage des Korrespondenzblattes der ärztlichen Kreis- und
Bezirksvereine im Königreich Sachsen; 1916, Nr. 10.)
Die Bewertung der Säuglingssterbllchkeltsziffern. Von Dr. Alexander
S z a n a, Chefarzt des staatlichen Kinderasyls in Budapest. Deutsche med.
Wochenschrift; 1916, Nr. 14.
Säuglingssterblichkeitsziffern können nur mit Heranziehung der Geburten¬
ziffer verwertet und bewertet werden. Will man die Säuglingssterblichkeits¬
verhältnisse verschiedener einzelner Epochen geographischer Einheiten ver¬
gleichen, so ist es notwendig, die Säuglingssterblichkeitsziffern solcher Epochen
zu vergleichen, wo noch die Geburtenziffer die gleiche war.
Ein Vergleichen und Bewerten der Säuglingssterblichkeitsziffern einzelner
Epochen oder verschiedener geographischer Einheiten mit gleichzeitiger Berück¬
sichtigung der Geburtenziffer ist möglich durch Betrachtung und Vergleichung
der Zahl derjenigen Säuglinge, die das erste Lebensjahr überleben, also in das
zweite Lebensjahr eingetreten sind.
Einen weiteren Einblick in die Bewertung der Verhältnisse, die durch
Geburten- und Sterbeziffern bedingt sind, gewinnt man, wenn man die sozial¬
biologische Oekonomie der Vermehrung betrachtet, also feststellt, wieviele Ge¬
burten und Todesfälle in der geographischen Einheit (Stadt oder Staat) statt¬
gefunden haben, bis in der geographischen Einheit die Zahl der Lebenden sich
um hundert vermehrte. Nach einer tabularischen Uebersicht ereigneten sich
im Durchschnitt der Jahre 1906—1910 in Dänemark 282 Geburten und Todes¬
fälle, bis die Nation sich um 100 Seelen vermehrte, in Deutschland 346, in
England 354, in Rußland 460, in Italien 468, in Oesterreich 492, in Ungarn
528, in Irland 694 und in Frankreich 5686. Auch danach ist Frankreich
das Land, das sich am meisten unökonomisch vermehrt und ausstirbt. In
Deutschland ereigneten sich Todes- und Geburtsfälle zusammen, bis sich
die Zahl der Einwohner um 100 vermehrte, in den Jahren 1901—1906: 374, 1909:
346, 1910 : 338, 1911: 406 (heißer Sommer), 1912: 341.
Dr. Roepke -Melsungen.
Die Kindersterblichkeit in Oesterreich und ihr Verhältnis znr
Säuglingssterblichkeit. Von Dr. Siegfried Rosenfeld-Wien. Oesterreichi-
sches Sanitätswesen; 1916, Nr. 9/12. Beiheft: Säuglingsschutz und Jugend¬
hygiene, Heft VII, X.
In der sehr fleißigen, 142 Seiten umfassenden Arbeit bespricht Verfasser
zunächst die Säuglingssterblichkeit als Auslcseerscheinnng sowie ihre Berech¬
nung und die dabei häufig gemachten Fehler; er hebt dabei mit Recht hervor,
daß eine richtige Berechnung der Säuglings- und Kindersterblichkeit von den
Geburtsjahren und nicht von den Kalenderjahren ausgehen sollte. In Oester¬
reich war eine solche Berechnung nach Geburtsjahren jedoch erst vom Jahre
1898 möglich ; deshalb hat Verfasser auch nur statistische Ergebnisse der Jahre
1898—1909 für seine Untersuchungen benutzt. Bei beiden Berechnungsarten
ergibt sich, daß sowohl bei den ehelichen als bei den unehelichen Kindern der
Anteil des weiblichen Geschlechts geringer ist, als der des männlichen
(am 1,26 bezw. 2,49 und 1,27 bezw. 1,56 °/ 0 ) und der Anteil der unehelichen
484 Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
Kinder großer als der der ehelichen (S,44 bezw. 3,21 and 8,05 bezw. 2,78*/,).
Weiterhin ergibt sich, daß die Sterblichkeit des Qebartsjahrganges von der des
Kalenderjahres in allen Kronländern erhebliche Unterschiede aafweist, die mit¬
unter so erheblich sind, daß die Berechnung der Sterblichkeit nach dem Kalender¬
jahr za falschen Ergebnissen führt and die daranf aafgebaute Untersuchung
des Verhältnisses von Säuglings- und Kindersterblichkeit wertlos macht. Die
Mehrsterblichkeit der männlichen Kinder in den ersten Lebensjahren hält
bei den ehelichen bis Ende des dritten, bei den unehelichen bis Ende des vierten
Lebensjahres an, erst dann macht sich eine Mehrsterblicbkeit beim weiblichen
Geschlecht bemerkbar. In den meisten Kronländern mit höherer Sterblichkeit
der Geburtsjahrgänge im ersten Lebensjahre folgt eine niedrigere im zweiten
Lebensjahre; während sich eine solche Abnahme im dritten bis fünften Lebens¬
jahr nicht mehr bemerkbar macht. Die Sterblichkeit der ein-undzwei-
jährigen Kinder geht also der der Säuglingssterblichkeit parallel. Daraus
ergibt sich, daß die Ursachen für die Erhöhung der Säuglingssterblichkeit auch
für die Sterblichkeit der ein- und zweijährigen Kinder fortwirken, während sie
bei den 8 — 5jährigen Kindern nicht mehr zur Geltung kommen. Das
parallele Verhalten der Sterblichkeit bei den Säuglingen und Einjährigen findet
sich überall, gleichgültig ob ob sich um industrielle oder am landwirtschaftliche
Bezirke handelt; dagegen finden sich in dieser Beziehung bei den drei- bis
fünfjährigen Kindern erhebliche Unterschiede. Geographisch ist die
Säuglingssterblichkeit nicht nur zwischen den einzelnen Kronländern,
sondern auch innerhalb dieser Gebiete eine sehr verschiedene; erhebliche
Unterschiede zeigen sich auch bei der Sterblichkeit der Einjährigen, and
zwar je nach der Nationalität and Beschäftigung der Bevölke¬
rung. Die Einjährigensterblichkeit der Deutschen ist z. B. überall geringer
als die der anderen Nationalitäten, die der Ruthenen größer als die der
Polen. Bei allen Kronländern ist sie ferner größer als die Sterblichkeit der
Kinder im Alter über zwei bis fünf Jahre, die in Ländern mit höherer Einjährigen¬
sterblichkeit, z. B. Galizien, Bukowina und Dalmatien, ebenfalls größer ist
Im allgemeinen ist die Sterblichkeit der Kinder über zwei bis fünf Jahre in
den Bezirken mit 50—70°/o landwirtschaftlicher Bevölkerung am
günstigsten, während sich die Einjährigensterblichkeit in Bezirken mit 70 bis
90°/o landwirtschaftlicher Bevölkerung fast immer höher stellt als in den
Bezirken mit mehr industrieller Bevölkerung. Weiterhin läßt sich feststellen,
daß die Kronländer in der Mitte des Staates, die eine verhältnismäßig geringe
Kindersterblichkeit haben, in den letzten Jahren nur eine geringe, die Kron¬
länder mit früher hoher Kindersterblichkeit dagegen eine höhere Abnahme
dieser Sterblichkeit aufweisen. Von den Todesursachen spielen die
Infektionskrankheiten, insbesondere Diphtherie, Keuchhusten, Blattern,
Scharlach und Masern bei den Kindern über 2—5 Jahre eine viel größere Rolle
als bei denen über 1— 2 Jahre. Allgemein gültige Regeln über Höhe und
Ursachen der Kindersterblichkeit lassen sich nicht aufstellen, insbesondere darf
man auf sie keine Schlüsse aus der Säuglingssterblichkeit ziehen, für die es
auch keine einheitliche Formel gibt Jedenfalls trifft die Annahme, daß die
erhaltene Brustnährung für die Sterblichkeit der Kinder im dritten bis fünften
Jahre von großer herabfolgender Bedeutung ist, in dieser Allgemeinheit keines¬
wegs überall zu. Dagegen erscheint die Annahme begründet, daß die Höhe
der Kindersterblichkeit wesentlich von der sozialen Lage der Bevölkerung, den
Ernährnngs- und hygienischen Verhältnissen abhängig ist. Auch die angeborene
Konstitution (Vorkommen von Tuberkulose ist von Einfluß; deshalb kann
die Kindersterblichkeit nur dann anf das möglichst geringste Maß gebracht
werden, wenn außer unmittelbar darauf hinzielenden Maßnahmen — wie
rationelle Erniihruug im Säuglings- und Kindesalter, Prophylaxe der Infektions¬
krankheiten usw. — auch solche allgemein hygienischer Natur getroffen werden.
Rpd.
Statistik des Kleinkinderalters. Von Dr. Hans Guradze, wissen¬
schaftlichen Assistenten am Statistischen Amt der Stadt Berlin. Stuttgart 1916.
Verlag von Ferd. Enke. Gr. 8®, 28 Seiten. Preis: 1 Mark.
Die vorstehende Abhandlung bildet einen Auszng aus einem in Aus¬
führung begriffenen, von Dr. Tugend reich -Berlin verfaßten Handbache der
Kleiaare Mitteilungen und Befer&te aus Zeitschriften.
486
Kleinkinderfürsorge, dessen Vollendung und Ausgabe sich durch den Krieg
verzögert hat. Bei der Bedeutung, die gerade die Fürsorge für das Klein¬
kinderalter infolge des Krieges gewonnen hat, und bei der Notwendigkeit ihres
weiteren Ausbaues, der sich besonders auf die Ergebnisse der Statistik stützen
muß, ist es deshalb nur dankbar zu begrüßen, daß diese umfassende
Statistik schon jetzt veröffentlicht ist. Die Abhandlung bringt zunächst
im ersten Abschnitt einen Ueberblick über den Bestand der Klein¬
kinder (Altersklassen über ein Jahr bis zum 6. Lebensjahr) auf
Qrund der preußischen Statistik und für die Volkszählungsjahre von
1890—1910. Danach hat sich die Zahl der Kleinkinder in Berlin uml5,71°/o
verringert (bei den männlichen um 15,23, bei den weiblichen um 16,06%),
während die Verminderung der Säuglinge 32°/o (31,68 bezw. 32,07%) beträgt.
In Charlottenburg stellt sich die Abnahme der Kleinkinder-und Säuglings-
zahl auf 28,8 und 41,3%, in Neukölln auf 18,17 und 36,21 °/o, in ganz
Preußen dagegen nur auf 5,36 und 12,08%; dieser Rückgang macht sich
aber besonders erst im letzten Jahrzehnt (1900—1910) bemerkbar. Dasselbe gilt
vom Deutschen Reich, wo er 4,63 °/o and 11,07 beträgt, bei dem männlichen
Geschlecht: 4,47 und 11,74°/o, bei dem weiblichen: 4,09 und 11,03°/„. Im zweiten
Abschnitt behandelt Verf. die Sterblichkeit der Kleinkinder und zwar
zunächst wiederum nach der Statistik für Berlin. Für ganz Preußen ist diese
während der Jahre 1901—1912 bei den männlichen hezw. weiblichen Alters¬
klassen von über 1—2 Jahren (auf 1000 Lebende der Altersklassen berechnet)
von 53,6 und 50,1 auf 30,2 und 28,8, Uber 2—3 Jahren von 20,7 und 20,0 auf
11,6 und 11,3, über 3—5 Jahre von 11,3 und 11,2 auf 6,5 und 6,4 gesunken.
Die Unterschiede zwischen der Sterblichkeit der ehelichen und unehelichen
Kinder werden von Jahr zu Jahr geringer; desgleichen macht sich die bei
den Säuglingen stetig beobachtete höhere Sommersterblichkeit jetzt nicht mehr
bemerkbar. Dagegen sind die Unterschiede der Sterblichkeit bei den Kleinkindern
nach sozialen Klassen berechnet außerordentlich hoch; sie betrugen z. B. in
Berlin bei dem Mittelstand 2—4 mal und bei den Minderbemittelten 9—10 mal
so viel als bei den Wohlhabenden. Auffallend hoch ist die Sterblichkeit bei
den Kleinkindern der Minderbemittelten an Masern, Keuchhusten und Tuberkulose.
_ Rpd.
2. Jugendfürsorge.
Jugendfürsorge und Lehrerschaft. Von Dr. Tb. Altschul, K. K.
Obersanitätsrat, und H. H e 11 e r, Erziehungsrat der deutschen Landeskommission
für Kinderschutz und Jugendfürsorge in Böhmen. Zeitschrift für Schulgesund¬
heitspflege; 1916, Nr. 1—4.
Die vorliegende Abhandlung stellt eine erweiterte Wiedergabe von Vor¬
trägen dar, die in der Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalt in Prag gehalten
wurden, und zwar beziehen sich die hier besprochenen Aufsätze auf die „Jugend¬
fürsorge vom ärztlichen Standpunkt“, deren Verfasser der erste der oben ge¬
nannten beiden Autoren ist. Daß es sich um etwas Besonderes, Gediegenes
und Wertvolles handelt, können wir von vornherein erwarten. Geleitet wird
Verfasser von folgendem Gedanken, den er, wie er am Schlüsse bemerkt, auch
bereits in einer Arbeit über die geistige Ermüdung der Schuljugend aus¬
gesprochen hat: „Die moderne Zeit braucht Kraftmenschen an Körper und
Geist, wir müssen daher die Jugend in strammer Arbeit erziehen und nicht aus
lauter Furcht vor Ermüdung ihr gar keine Kraftproben zumuten. Ein gesunder
Körper, ein gesunder Geist kann arbeiten und soll arbeiten, und wenn wir
unsere Jugend zu Arbeitsmenschen erziehen, dann nützen wir dem Vaterlande,
dann nützen wir dem Volke und der Jugend auch.“
Alt sc hui will die Lehrer als Bundesgenossen des Arztes; sie sind be¬
rufen, nicht nur Jugendbildner, sondern auch Volkserzieher zu werden, für die alle
Fragen der Jugendfürsorge bedeutungsvoll sind. Da die Schulkrankheiten zumeist
nicht durch die Schule entstehen, sondern ihr Grund vorwiegend in der vorschul¬
pflichtigen Zeit und oft genug schon bei der Geburt des Kindes gelegt wird, so
beginnt Verfasser mit dem „Mutterschutz" und der Säuglingsfürsorge.
Damit das Schulkind aus gutem Holze sei, soll der Lehrer alle Bestrebungen
zu fördern suchen, die auf Mutterschaftsfürsorge, Säuglingsfürsorge, Mütter¬
beratungsstellen usw. gerichtet sind. Die Wichtigkeit dieses Gegenstandes sucht
486
Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften.
Verfasser dnrch einige statistische Angaben über Säuglingssterblichkeit (bei
Flaschen* und Brustlandern) hervorzuheben. Die Gemeindepflege nach deut¬
schem Vorbilde erfährt eine besondere Wertschätzung und wird für Oesterreich
zur Nachahmung empfohlen.
Das zweite Gebiet ist die Fürsorge für das Torschulpflichtige
Kind. Die Sterblichkeit für diese Altersperiode ist zwar geringer als für das
Säuglingsalter, in besonderer Gefahr der Erkrankung an Rachitis, Skrofulöse,
Tuberkulose stehen aber die schlecht gehaltenen Proletarierkinder. Es gilt
durch Kinderkrippen und Kindergärten Besserung zu schaffen; in den
Kindergärten sollte aber auch wirklich ein Garten mit Gelegenheit zum Aufenthalt
im Freien vorhanden sein. Vernünftige Abhärtung ist anzubahnen. Leichte Leibes¬
übungen sind am Platze. Auf richtiges Atmen soll geachtet werden, überhaupt ist
mit der richtigen Stimmausbildung und Stimmhygiene im Kindergarten zu beginnen.
Die Schulkindergärten für die noch nicht „schulreifen" 6jährigen Kinder werden
als treffliche Einrichtungen erwähnt. Die Ernährung der Kinder im vorschul-
pfliebtigen Alter wird besprochen. Auf das Gebiß der Kinder, auch der Milch¬
zähne, ist Acht zu geben. Hinweise auf die Bedeutung und Erkennung der
Masern und des Keuchhustens für die Kindergärtnerin bei der Häufigkeit dieser
Erkrankungen in dieser Altersgruppe werden gegeben.
Das „Schulalter“ beansprucht nur die besondere Obsorge der Lehrer,
die dem Schularzt, als den berufenen Förderer der Schulhygiene, zur Seite
stehen sollen. Der Lehrer muß der psychopathisch - minderwertigen Kinder
sich besonders annehmen, muß die Ueberbürdungsfrage verstehen, mit den Hilfs¬
klassen Bescheid wissen, die Schulspeisungen fördern helfen und besonders der
Verwahrlosung der Jugend helfen entgegenzuarbeiten.
Das Entwicklungsalter, die Pubertät und die Fürsorge
für die schulentlassene Jugend erfordere die besondere Aufmerksam¬
keit. Berufswahl, Jugendheime und ähnliche Einrichtungen, Bekämpfung des
Alkoholismus, sexuelle Aufklärung, Bekämpfung des Kino • Unwesens und der
Schundliteratur sind es besonders, die Beachtung verdienen.
Einer besonderen Besprechung unterzieht dann Altschul noch die
körperliche Erziehung der Jugend, wobei neben Turnen und Jugend¬
spiel die Jugendwehr, das Wandervogel wesen wohlwollende Berücksichtigung
finden; zum Schluß kommt er noch auf das wichtige Gebiet der Tuberkulose
und Schule zu sprechen. _ Dr. S o 1 b r i g - Königsberg.
3. Sozial« Hygiene.
Die kommende Wohnungsnot. Von Dr. Buetz. Die Grenzboten; 1915,
IV. Quartal, S. 113.
Darüber, wie es mit den Wohnungsverbältnissen nach dem Krieg be¬
schaffen sein wird, sind die Meinungen, geteilt. Während die einen die Ansicht
vertreten, daß infolge des Bevölkerangsverlustes eine Wohnungsnot nicht zu
befürchten sei, sind andere pessimistisch gestimmt. Zu ihnen gehört Buetz,
der seinen Standpunkt bereits in der Fassung seines Themas zu erkennen gibt.
Er erinnert zunächst an den fast völligen Stillstand des Baumarktes während
des Krieges, wie sich aus den Nachweisen der Baustatistik ergibt. Dazu kommt,
daß bereits vor dem Kriege die Wohnungsverhältnisse mißliche waren. Nach
der Reichsstatistik war der Zugang an Kleinwohnungen mit 1 —3 Wohnräumen
io 17 von 39 Städten größer, dagegen in 22 Städten kleiner als im Jahre 1913.
Diese Zahlen erlangen nach den infolge des Krieges entstandenen Verhältnissen
eine geradezu erschreckende Bedeutung. Eine Nachfrage nach kleinen Woh¬
nungen macht sich heute schon mehr und mehr bemerkbar. Viele Familien
können die bisherigen teuren Wohnungen nicht mehr behalten; dazu kommen
die Flüchtlinge, die Ausländsdeutschen, die nicht mehr in ihre Heimat zurttck-
kebren wollen oder können. Was soll erst werden, wenn unsere Krieger zu¬
rückkehren y Die Kriegstrauuugen und die zu erwartende erhöhte Heirats¬
ziffer nach dem Krieg werden den Bedarf an kleinen Wohnungen steigern.
Erfreulicherweise beginnt man bereits mancherorts, die Frage des Klein Wohnungs¬
baues in den Bereich der Kriegsfürsorge aufzunehmen. So richtete der Gro߬
berliner Verein für Kleinwohnungswesen ein Kriegswohnungsnachweis für Be¬
dürftige ein und richtete eine Rundfrage an die Baugenossenschaften zwecks
Feststellung ihrer Leistungsfähigkeit. Leipzig bat die Errichtung von 727 Häusern
Tagesnachrichteil.
487
mit Kleinwohnungen beschlossen. Aktives Eingreifen in die Kleinwohnungs-
frage wird ferner ans Nürnberg, München, Lichtenberg, Hannover, Frankfurt
und Magdeburg berichtet. Die durch den Kriegszustand hervorgerufene Not¬
lage wird auch durch das preußische Wohnungsgesetz nicht mehr behoben
werden, selbst wenn sich die Parteien über dasselbe geeinigt haben, was so
rasch nicht zu erwarten ist. Außerdem bringt es überhaupt für das Kleinbau¬
wesen keine nennenswerten Vorteile. Eine durchgreifende Wohnungsreform
kann ohne eine Bodengrundreform und Regelung des Immobilarkredits (2. Hypo¬
thek) nicht durchgefttnrt werden. In der Regelung des Bebauungsplanes, sowie
in einer Fluchtliniengesetzgebung liegt ein wesentliches Moment zur Bekämpfung
der Bodenspekulation. Selbst wenn uns das Wohnungsgesetz sichtbare Besse¬
rungen bringen sollte, haben wir eine solche erst m Preußen und keine
Reichswohnungsreform. Verfasser zählt nun die einzelnen Landeswohnungs¬
gesetze auf und meint, keinem sei es gelungen, eine nennenswerte Besserung
herbeizuführen. Er irrt hier aber, wenn er auch das Großherzogtum Hessen
hinzurechnet. Es ist nicht richtig, daß hier das Gesetz von 1883 in Geltung
bleibt, es ist vielmehr ein neues Gesetz erlassen worden, das sehr segensreich
wirkt, weil hier Wohnungsaufsicht und Neuerrichtung von kleinen Wohnungen
Hand in Hand gehen. Geld wird nach dem Kriege für den Wohnungsbau um
so schwerer zur Verfügung stehen, weil die Industrien das mobile Kapital in
erster Linie an sich ziehen wird. Die Vorschläge zur Hebung der Wohnungs¬
not sind mannigfach. Vor allem kommt in Frage sofortige Erschließung Öffent¬
lichen Geländes für Bau und Verkehr zu billigen Preisen, Unterstützung der
Bauverbände und privater Bauherren, Gründung entsprechender Gesellschaften.
Was die gemeinnützige Bautätigkeit leisten kann, tritt besonders klar in
Frankfurt zutage; 1870 gab es hier 161 durch gemeinnützige Bautätigkeit
hergestellte Wohnungen, 1916 : 6809 Wohnungen (nicht Gebäude, wie Ver¬
fasser schreibt). Durch eine staatliche und städtische günstige Verkehrs¬
politik konnte erreicht werden, daß ein erweitertes „Außenwohnen“ der
Arbeiterfamilie zur Entlastung der Großstädte ermöglicht wird; auch auf den
Erbbau sollte mehr Rücksicht genommen werden.
Dr. W. H a n a u e r - Frankfurt a. M.
Tagesnachrichten.
Nach einem Beschluß des Reichsmilitärgerichts vom 18. April d. J. gehört
ein auf Grund vertraglicher Verpflichtung im Etappendienst tätiger Arzt
zwar zu den' im § 166 Mil. Str. G. B. verzeichneten Personen, ist aber trotz des
Tragens der Uniform nichtMilitärperson. Er kann sich daher gegenüber
einem Offizier, dem er dienstlich nicht unterstellt ist, der Beleidigung
eines Vorgesetzten (§ 91 Mil.Str.G.B.) nicht schuldig machen.
Ebensowenig kann Beleidigung „eines im Dienstrange höheren“ in dieser Vor¬
schrift in Frage kommen, da ein solcher Arzt keinen militärischen Dienstrang
hat (siehe auch den in der heutigen Beilage Rechtsprechung und Medizinal¬
gesetzgebung S. 104 abgedruckten Erlaß des Preußischen Kriegsministeriums
vom 4. Juni d. J. betr. die Stellung der vertraglich verpflichteten
Zivilärzte).
Das vom Reichstage angenommene Gesetz über die Kapitalabfindung
an Stelle von Kriegsversorgungen — Kapitalabfindungsgesetz — ist unter dem
3. Juni d. J. erlassen und in Nr. 164 des Reichsgesetzblattes mit den dazu ge¬
troffenen Ausführungsbestimmungen vom 8. Juli d. J. veröffentlicht.
Nach diesem Gesetze können Personen, die aus Anlaß des gegenwärtigen Krieges
auf Grund des Mannschaftsversorgungsgesetzes oder des Militärhinterbliebenen¬
gesetzes Anspruch auf Kriegsversorgung haben, auf ihren Antrag zum Erwerb
oder zur wirtschaftlichen Stärkung eigenen Grundbesitzes durch Zahlung eines
Kapitals abgefunden werden. Ueber den Antrag entscheidet die oberste
Militärverwaltungsbehörde (§ 1). Voraussetzung für die Kapitalabfindungen
sind nach § 2 des Gesetzes, daß 1. der Versorgungsberechtigte das 21. Lebens¬
jahr vollendet und das 66. Lebensjahr noch nicht zurückgelegt hat (nach dessen
Vollendung ist nur ausnahmsweise eine Abfindung zulässig), 2. der Versorgungs¬
anspruch anerkannt ist, 8. nach Art des Versorgungsgrades ein späterer
Wegfall der Kriegsversorgung nicht zu erwarten ist und 4. für eine
488
Tagenach richten
nützliche Verwendung de« Geldes Gewähr besteht Für die Berechnung der
Abflndung8summe wird das Lebensjahr zugrunde gelegt das der Antragsteller
in demjenigen Jahre vollendet, das auf den Tag der Antragstellung folgt (§ 4).
Die Abfindungssumme beträgt bei dem 21. Lebensjahre das 18 1 /» fache der Ver¬
sorgungsgebührnisse und ermäßigt bei jedem weiteren Lebensjahre um je */«»
so daß es beim 55. Lebensjahre nur noch das 8*/<fache beträgt Das Kapital¬
abfindungsgesetz ist für die Medizinal beamten insofern von Bedeutung,
als nach Ziffer 2 Abs. 1 der Ausführungen das Bezirkskommando, bei dem
der Antrag einzureichen ist und das diesen zunächst zu prüfen hat ob die
oben mitgeteilten Voraussetzungen des § 2 Nr. 1—3 des Gesetzes gegeben sind,
die Untersuchung des Antragstellers durch einen beamteten
Arzt zu veranlassen hat, der sich auch dahin zu äußern hat, ob vom
ärztlichen Standpunkte aus Bedenken gegen die Gewährung
der Kapitalabfindung bestehen, ob also nuch dem Gesundheitszustand
des Versorgungsberechtigten, insbesondere nach Art der Versorgungsgründe
(Kriegsbeschädigung) ein späterer Wegfall der Kriegsversorgung nicht zu
erwarten steht. Bestehen nach dem amtsärztlichen Zeugnisse Bedenken hin¬
sichtlich des Gesundheitszustandes des Antragstellers, die eine Ablehnung des
Antrages begründen, so hat dies das entscheidende Generalkommando aus Ziff. 2
Abs. 8 der Ausführungsbestimmungen dem Antragsteller mitzuteilen.
Dem Herausgeber der Deutschen medizinischen Wochenschrift ist auf ein
an das Reichsamt des Innern unter dem 29. Mai d. J. gerichtetes Schreiben,
in dem die Zuwahl von ärztlichen Sachverständigen ln den Beirat des
Kriegsernährungsamtes als dringend erwünscht befürwortet wurde, durch
Schreiben vom 27. Juni d. J. mitgeteilt worden, daß die Berufung von drei
ärztlichen Sachverständigen in den nächsten Tagen erfolgen werde. Dies ist in¬
zwischen geschehen; es sind die Herren Geh. Ob.-Med.-Rat Prof. Dr. Abel-Jena,
Geh. San.-Rat Dr. Stöter-Berlin, Vorsitzender des Ausschusses der Preußi¬
schen Aerztekammer, und Med.-Rat Dr. Alter, Direktor der Fürstl. Lippiscben
Heil- und Pflegeanstalt Lindenhaus bei Lemgo, berufen.
Von dem Kriegsernährungsamt ist die Einführung einer Reichsliefsch-
karte für den Monat September beschlossen. Bis dahin soll durch Uebergangs-
vorschrifteu auf eine einigermaßen gleichmäßige Deckung des Fleischbedarfs
aaeh Möglichkeit hingewirkt werden.
Die für den 21. Juni d. J. anberaumte Sitzung der I. Abteilung des
KOnlgl. Sächsischen Landesgesundheitsamtes, deren Tagesordnung in Nr. 11
dieser Zeitschrift S. 345 mitgeteilt ist, ist auf Sonnabend, den 6. Septem¬
ber d. J. verlegt _
Erhöhung der Post- und Telegraphengebtthren. Das neue Gesetz, betr.
eine mit den Post- und Telegraphengebühren zu erhebende
außerordentliche Reichsabgahe, vom 21. Juni 1916 tritt nach
Kaiserl. Verordnung an demselben Tage am 1. August d. J. in Kraft Da¬
nach beträgt die Reichsabgabe bei
1. Briefen im Ortsverkehr: 2*/* Pf-, im sonstigen Verkehr 5 Pf.,
2. Postkarten: 2'/« Pf-,
8. Paketen: bis zum Gewicht von 6 kg auf Entfernungen bis 76 Kilometer
einschl. 5 Pt, auf weitere Entfernungen 10 PL, beim Gewicht über 6 kg
10 bezw. 20 Pf.,
4. Briefen mit Wertangabe: auf Entfernungen bis 76 Kilometer einschl.
6 Pt, auf weitere Entfernungen 10 Pf.,
6. Postauftragsbriefen: 6 Pt.
6. Telegramme: für jedes Wort 2 Pf., aber mindestens 10 Pf. für jedes
Telegramm,
7. Rohrpostbriefen und Rohrpostkarten: 6 Pf.,
8. Anschlüsse an Orts-, Vororts- oder Bezirksfernsprech¬
netz: 10% der Pansch- oder Grundgebühr,
9. Ortsgesprächen von Teilnehmeranschlüssen gegen Grund-
Tagesnachrlchtai.
489
gebühr: Gesprächen in Vororte-, Bezirks- und Fernverkehr: 10 °/o von der
GebQhr für jedes Gespräch, anch wenn es dringend ist,
10. Fern-Sprechnehmeranschlttsse^ 10% der Gebühr für jeden
Nebenanschluß.
Befreit von der Beichsabgabe sind: Sendungen von Angehörigen des
Heeres und der Marine, Sendungen ins Ausland, soweit Verträge mit anderen
Staaten entgegenstehen, gewöhnliche Pakete, die nur Zeitungen oder Zeitschriften
enthalten, wie überhanpt alle Drucksachen, sowie Pressetelegramme.
Um den Geburtenrückgang in Frankreich wirksam zu bekämpfen, ist
jetzt der französischen Kammer ein Gesetzesvorschlag von den Abg. Bönazet
vorgelegt, nach dem der Staat jeder Mutter für jedes ihrer ersten beiden lebenden
Kinder je 600 Fr., für das dritte 1000, für das vierte 2000 und für jedes fol-
gebde Kind weitere 1000 Fr. zahlen und dieses Geld ausschließliches Eigen¬
tum der Mutter bleiben soll, gleichgültig ob sie verheiratet ist oder nicht.
Damit die Mütter ihren Kindern die notwendige Sorgfalt zuteil werden lasse,
soll ihnen daß Geld erst ein Jahr nach der betreffenden Entbindung ausgefolgt
werden. Auch für den Vater ist in dem Gesetzentwurf eine Prämie und zwar
in der Höhe von 2C00 Fr. vorgesehen, deren Auszahlung jedoch erst dann er¬
folgt, wenn er mindestens 4 lebende Kinder aufweisen kann, für deren Unter¬
halt er ununterbrochen seit ihrer Geburt gesorgt hat. Die zur Durchführung
des Vorschlages erforderlichen Geldmittel sollen durch Besteuerung der kinder¬
los gebliebenen Personen beiderlei Geschlechts und der Familien, die nur ein
Kind besitzen, beschafft werden. Bönazet glaubt, wenn die Kinder Eltern
einen Gewinn bringen, diese auch ein Interesse daran haben, mehrere Kinder
zu besitzen. Für aie Erhaltung der -Basse sei aber die Geburt von vier Kin¬
dern in jeder Familie erforderlich.
Preisausschreiben der Erich «Bathenau-Stiftung. Für medizinische,
auf eigenen Forschungen und Erfahrungen beruhende Arbeiten, durch welche
die Behandlung und insbesondere die Heilung der als Folgeerscheinungen des
akuten Gelenkrheumatismus auftretenden Herzkrankheiten gefördert wird,
ist aus den Erträgnissen der Stiftung ein Preis von 10 000 Mark verfügbar,
der ganz oder zur Hälfte zugesprochen werden kann. Sollte ein Mittel oder
ein Verfahren gefunden werden, das die Entstehung konsekutiver Herzkrank¬
heiten im Verlauf des akuten Gelenkrheumatismus völlig ausschließt oder die
Heilbarkeit solcher Herzkrankheiten sicher verbürgt, so kann dem Entdecker
eines derartigen Mittels oder Verfahrens nach eingehender, drei Jahre dauern¬
der Prüfung desselben an Stelle des ausgeschriebenen Preises der ganze Kapital¬
bestand der Stiftung im Betrage von 200000 Mark ausgeantwortet werden.
Die Zuwendung der Preise oder des Stiftungskapitals kann nur an deutsche
Beichsangehörige erfolgen. Bewerbungen sind bis 1. August 1917 an den
Dekan der Medizinischen Fakultät der Fried rieh-Wilhelms-
Universität, Berlin 0 2, zu richten.
Todesfall. Wie dem Herausgeber erst nachträglich bekannt wurde, ist
am 1. Juni d. J. der Geh. Med.-Bat Dr. Wledner-Kottbus nach kurzer Krank¬
heit an Blinddarmentzündung gestorben, nachdem ihm kurz vorher noch ver¬
gönnt war, am 16. Mai d. J., seinen 80. Geburtstag in geistiger und körper¬
licher Frische zu feiern. Mit ihm hat der Preußische Medizinalbeamtenverein
nicht nur einen Mitbegründer des Vereins, sondern auch dasjenige Mit¬
glied verloren, das an keiner seiner Hauptversammlungen gefehlt
hat. W. war deshalb eine der bekanntesten Persönlichkeiten de9 Vereins, der
sich bei seinen Kollegen infolge seiner mit Humor gepaarten Liebenswürdigkeit
einer außerordentlichen Beliebtheit erfreute. Er genoß aber auch das Ansehen
eines tüchtigen Arztes und Medizinalbeamten. Fast 40 Jahre ist er als solcher
im Staatsdienste gewesen, erst als Kreisphysikus der Kreise Hoyerswerda (1872 bis
1874), Creuzburg O.-Sch. (1879—1880), Königsberg i. d. Neumark (1880—1888) nnd
zuletzt als Kreisarzt des 8tadt- und Landkreises Kottbus (1888—1911), wo er
vom 1. April 1911 unter Verleihung des Boten Adlerordens IIL Klasse mit
der Schleife in den wohlverdienten Buhestand trat Am 28. März 1918 feierte
er sein öQjähriges Doktor-Jubiläum. Unsere damaligen Wünsche auf ein recht
440
Tagesnachrichtee.
langes Otiam com dignitate sind leider nicht in Erfüllong gegangen; tief be¬
trübt stehen wir an seinem Grabe und werden den Verstorbenen noch recht oft
und recht schmerzlich bei unseren künftigen Hauptversammlungen ver missen.
Sein Andenken wird allzeit in Ehren gehalten werden!
Ehrentafel. Es haben weiterhin erhalten das
Eiserne Kreuz I. Kasse:
Oberstabs- und Divisionsarzt Dr. W. Bock-Berlin.
Oberarzt d. Bes. Dr. Emil aus dem Bruch-Marl (Beg.-Bez. Münster).
Stabsarzt Dr. Goldammer-Berlin, z. Z. Sofia.
Stabsarzt d. Bes. Dr. Gustav Gundert-Stuttgart.
Stabsarzt Dr. Has, Kadettenhaus Oranienstein.
Oberstabsarzt Dr. P. Hocheisen-Ulm.
Geh. Med.-Bat Prof. Dr. Hoffmann-Düsseldorf.
Assistenzarzt d. Bes. Dr. Jarecki-Breslau.
Assistenzarzt d. Bes. Dr. August König-Charlottenburg.
Oberstabsarzt Dr. Mauersberg-Gnesen.
Stabsarzt Dr. P a u 1 i n - Germresheim (Pfalz).
Stabsarzt d. Bes. Dr. Peter mann-Bielefeld.
Stabsarzt d. Bes. Prof. Dr. Stursberg-Bonn.
Oberstabs- und Divisionsarzt Dr. Zernke.
Eiserne Kreuz 11. Klasse am weiß-schwarzen Bande: Prof. Dr. Hilde¬
brand, Kreisarzt und Chefarzt des Beservelazaretts in Marburg.
Eiserne Kreuz II. Klasse am schwarz-weißen Bande: Marine-Assistenz¬
arzt Herbert Spancken, auf S. M. S. Posen, Sohn des Geh. Med.-Bats Dr.
Spancken, Kreisarzt in Meschede (Beg.-Bez. Arnsberg).
Ehren - OedkohtnlatafeL Für das Vaterland gefallen oder gestorben
sind ferner:
Marinestabsarzt Dr. Ludwig B a a d e - München.
Oberstabsarzt d. Bes. Dr. Otto Burckhardt-Dresden (infolge von
Krankheit gestorben).
General- und Korpsarzt Dr. v. II borg-Berlin (infolge von Krankheit
gestorben).
Assistenzarzt d. Bes. Dr. Budolf K auf mann- Kastell (Unterfranken).
Assistenzarzt d. Bes. Dr. v. K o c h - Gottmannsgrün. »
Feldunterarzt V. Kruszka.
Stabsarzt d. Bes. Dr. Wilhelm Löhe- Bühlerthal (Baden).
Oberarzt Dr. Bolf Lutz-München.
Assistenzarzt d. Bes. Dr. D. N i c o 1 - Dietenhofen bei Nürnberg.
Stabsarzt d. Bes. Dr. Hugo Wilhelm Beye-Hamburg.
Assistenzarzt d. Bes. Dr. Bud. Bosenfeld-Breslau.
Generalarzt a. D. Dr. Bothamel, Garnisonarzt in Metz (infolge von
Krankheit gestorben).
Stabsarzt d. Bes. Dr. Philipp Schick-Bürbach (Beg.-Bez. Arnsberg).
Stabsarzt d. Bes. Dr. Scho tt-Karlsruhe.
Stabsarzt d. B. Dr. G. Steinmann-Niederschreiberhau (Bgbz. Liegnitz).
Marinestabsarzt d. Bes. Dr. 0. Voretzsch, Polizeiarzt in Hamburg.
Erkrankungen und Todesfälle an ansteckenden Krankheiten In
Preußen. Nach dem Ministerialblatt für Medizinal-Angelegenheiten sind in der
Zeit vom 11. bis 24. Juni 1916 erkrankt (gestorben) an Pest, Gelbfieber,
Fleckfieber, Cholera, Trichinose, Botz, Aussatz, Tollwut,
Milzbrand: — (—), — (—); Bißverletzungen durch tollwut-
verdächtige Tiere: 4 (—), 15 (—); Pocken: 4 (—), 24 (6); Unter¬
leibstyphus: 141 (9), 188 (15); Buhr: 80 (5), 41 (8); Diphtherie:
1640(108), 1687 (96); Scharlach: 1155 (54), 1199(54); Kindbettfieber:
58 (17), 56 (24); Genickstarre: 18 (8), 5 (6); spinaler Kinder¬
lähmung: — (—), 1 (—); Körnerkrankheit (erkrankt): 85, 78;
Tuberkulose (gestorben): 877, 800.
Bedaktion: Prof. Dr. Bapmund, Geh. Med.-Bat in Minden i. W.
J. O. 0. Buna, HartßfL Sieh*, i. TAntt. Seh.-L. Hofbvübdnokertl 1» Mlidßt.
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des staatlichen und privaten Versicherungswesens, sowie lür das
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Prol Dr. OTTO RAPMÜND,
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Offizielles Organ des Deutschen, Preussischen, Bayerischen, Sächsischen,
WOrttembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen, Thüringischen,
Braunschweigischen und Eisass - Lothringischen Medizinalbeamtenvereins.
Verlag von Fiseher’s med. Buehhandlg E Kornfeld,
HtnogL Bayer. Hof- n. K- vl K. g^mvniir.iiwfthhaiwiinr.
Berlin W. 62, Keithstr. 5.
ImiftB 4U »oyrie all«, Anselftnaon Ahmeatellea d«i Im-
mad Ausland«« *ntff«r«n.
Nr. 15.
Erscheint an 5. und SO. jeden Monats.
5. Äug.
Zur Ueberwachung des Nahrungsmittelverkehrs.
Von Kreisarzt Dr. 0 . Kurpjnweit-Swinemünde, z. Zt. als Stabsarzt im Felde.
Die Schwierigkeiten der Nahrungsmittelversorgung während
des gegenwärtigen Weltkrieges werden auch nach dem Kriege
noch eine gewisse Zeit bestehen, bis die Zufuhr aus dem Aus¬
lande wieder einsetzt und langsam den Bedarf deckt. Die
Nahrungsmittelindustrie muß daher noch weiter bemüht bleiben,
Ersatzstoffe für die menschliche Nahrung nutzbar zu machen.
Damit wird natürlicherweise auch die Nahrungsmittel Ver¬
fälschung, die ja bekanntlich alle Fortschritte der chemischen
Industrie mitmacht, weiter üppig wuchern.
Wie ein Blick in die Tageszeitungen lehrt, häufen sich
schon jetzt während des Krieges die gerichtlichen Verhand¬
lungen und Bestrafungen wegen Nahrungsmittelverfälschung.
Im Anzeigenteil aller Zeitungen werden täglich neue Ersatz¬
mittel angepriesen, die gewöhnlich nichts anderes, als grobe
Nahrungsmittelverfälschungen sind. Im Interesse des allgemeinen
Volkswohls ist daher eine noch strengere und wirksamere
Ueberwachung des Nahrungsmittelverkehrs und eine stärkere
442 I)r. 0. Korpjnweit.
Beteiligung der Kreisärzte geboten. Die Bevölkerung muß
unter allen Umständen nicht bloß gegen finanzielle, sondern
auch gegen gesundheitliche Schädigungen geschützt werden.
Das Arbeitsfeld des Kreisarztes auf dem Gebiet der
Nahrungsmittelhygiene ist bekanntlich in grundlegender Form
durch das Kreisarztgesetz 1 ) festgelegt. Danach hat er die für
die Ueberwachung des Verkehrs mit Nahrungsmitteln, Genu߬
mitteln und Gebrauchsgegenständen zuständigen Behörden zu
unterstützen, sowie Mißbräuche, Gesundheitsschädigungen zur
Anzeige zu bringen. Revisionen von Herstellungs- und Ver¬
kaufsräumen für Nahrungs- und Genußmittel soll der Kreisarzt
allerdings nicht aus eigener Initiative, sondern unter Mitwirkung
der Polizei vornehmen. Er muß sich jedoch vergewissern, ob die
vorgeschriebenen regelmäßigen Untersuchungen von Nahrungs¬
mitteln, Genußmitteln und Gebrauchsgegenständen erfolgen,
und die dazu erforderlichen Proben in zweckmäßiger Weise
entnommen werden. Auch hat er den Verkehr mit Milch und
den Betrieb der Mineralwasserfabriken zu beaufsichtigen.
Durch diese Bestimmungen wurde dem Kreisarzt ein weites
Arbeitsfeld zugeteilt. Aber nur langsam haben sich die ersten
Bemühungen und Bestrebungen der Kreisärzte auf diesem
Gebiet bemerkbar gemacht, wie man aus den Berichten über
das Gesundheitswesen des Preußischen Staates schließen kann.
Zunächst nahmen die Kreisärzte nur gelegentlich Be¬
sichtigungen der Nahrungsmittelbetriebe vor.*) Gewöhnlich
überließ man diese Arbeit und die Probeentnahme der Polizei
und den vorhandenen Nahrungsmitteluntersuchungsämtern.
Regelmäßige Untersuchungen wurden aus Furcht vor den
Unlersuchungskosten gescheut und unterlassen. Allmählich
machte sich jedoch das Bestreben bemerkbar, die Nahrungs¬
mittelbetriebe hygienisch einwandsfreier und ihre Beaufsichtigung
wirksamer zu gestalten. Es erschienen an einzelnen Orten
Polizeiverordnungen, die das Betasten von Lebensmitteln in den
Verkaufsräumen, sowie die Benutzung der Verkaufsräume als
Schlafräume verboten. Dank der gründlichen Untersuchungen
in einzelnen Regierungsbezirken 5 ) erkannte man ferner, daß
die Fleischereien und Molkereien recht häufig der Ort der
Nahrungsmittelverfälschungen waren. Infolgedessen wurden
gerade diese Betriebe bei den alle fünf Jahre wiederkehrenden
hygienischen Ortsbesichtigungen von den Kreisärzten besonders
eingehend gemustert. Auch auf die Ueberwachung der Wochen¬
märkte richtete die Polizei vielfach ihr Augenmerk.
Im Reg.-Bez. Münster stellte man fest, daß gerade das
Hackfleisch und die Würste von den Fleischern durch chemische
Zusätze verfälscht wurden, um eine frische Beschaffenheit der
Wurst und des Hackfleisches vorzutäuschen.
*) § 77—81 der Dienstanweisung vom 1. September 1909.
*) Das Gesundheitswesen des Preußischen Staates 1901.
*) Das Gesundheitswesen des Preußischen Staates 1903.
Zur Üeberwachang des Nahrangsmittelverkehrs. 448
In anderen Regierungsbezirken wie Potsdam, Frankfurt,
Schleswig, Düsseldorf wurde schärfer auf dem Qebiete der
Nahrungsmittelkontrolle vorgegangen, so daß in diesen 4 Be¬
zirken jährlich 13000 Proben mehr untersucht wurden als in
den gesamten übrigen Regierungsbezirken. .
Auch die Zahl der Untersuchungsanstalten nahm
zu; sie betrug im Jahre 1004 insgesamt 41, davon entfielen
auf den östlich der Elbe lieg'enden Teil der Monarchie 8, auf
den westlichen Teil dagegen 33.
Die Notwendigkeit eines weiteren Ausbaues der Nahrung»*
mitteikontrolle wurde somit immer mehr anerkannt und führte
zur Erweiterung der bisherigen polizeilichen Bestimmungen und
Polizeiverordnungen über den Verkehr mit Milch, über die
Beschaffenheit der Bierdruckapparate, über den Verkehr mit
Selterwasser usw.
Einen wesentlichen Fortschritt auf diesem Gebiete
brachte der Ministerial-Erlaß vom 20. September 1905,
durch den eine regelmäßige Nahrungsmittelüberwachung
für alle städtischen und ländliohen Gemeinden angeordnet
wurde. Die Polizeibehörden hatten jährlich eine bestimmte
Zahl von Proben zur Untersuchung einzusenden. Wo zuver¬
lässige Untersuchungsanstalten nicht vorhanden waren, sollten
sie geschaffen werden; bereits bestehende Anstalten sollten weiter
ausgebaut werden. Die Entnahme von Proben sollte tunlichst
durch geschulte Polizeiorgane stattfinden.
. Infolge dieses Erlasses erfuhr die Zahl der von Kommunal¬
verwaltungen und Landwirtschaftskammern errichteten Unter¬
suchungsämter einen erfreulichen Zuwachs und stieg im Jahre
1906 auf insgesamt 47, davon im Osten 11, im Westen 36.
Ihre Wirksamkeit sowie eine straffere Handhabung der Vor¬
schriften machte sich auch gleich insofern bemerkbar, als die
Zahl der Beanstandungen wesentlich zunahm ; im Regierungs¬
bezirk Frankfurt*) stieg sie auf 8,6°/ 0 bei der Entnahme
der Proben durch die Polizei und auf 18,4 °/ 0 bei der Entnahme
durch die Untersuchungsanstalt.
Bei diesen Beanstandungen hielt man es zunächst nicht
für empfehlenswert, gleich mit gerichtlichen Strafen gegen die
Nahrungsmittel Verfälscher vorzugehen, sondern man begnügte
sich vorläufig mit Verwarnungen. Im Wiederholungsfälle ging
man aber gegen die Nahrungsmittelfälscher recht energisch
vor, indem man ihre Bestrafung herbeiführte und Verur¬
teilungen in der Zeitung veröffentlichte. In Berlin wurden
sie an den Anschlagsäulen in dem Bezirk bekannt gemacht, in
dem der Betreffende wohnte.
Die Arbeit der Untersuchungsämter wuchs rasch, besonders
in den Industriegegenden, da gerade hier eine häufigere Ein¬
sendung von Nahrungsmittelproben sich, als notwendig erwies.
Ihre Unterhaltungskosten wurden dadurch etwas verringert, daß
4 ) Das Gesundheitswesen des Preußischen Staates 1906.
444
Dr. O. Kurpjuweit.
die) gerichtlich verhängten Geldstrafen nach dem Nahrungs¬
mittelgesetz vom 15. Mai 1879 dem Untersuchungsamt zufallen,
das die Untersuchung vorgenommen hat.
Je umfangreicher sich nun die Nahrungsmittelkontrolle ge¬
staltete, desto mehr stellte sich heraus, daß die Probeentnahme
durch Nahrungsmittelchemiker weit häufiger zu Beanstandungen
führte, als die durch Polizeibeamte. In Insterburg 6 ) ergaben
die Untersuchungen in Stadt und Land bei Entnahme der
Proben durch Polizeibeamte 16,9 bis 17,3 u / 0 , durch Chemiker
dagegen 33,9 bis 61,7 °/ 0 Beanstandungen. Man empfand
daher bald, daß die Polizeibeamten ohne eine besondere An¬
leitung nicht imstande waren, die Proben bei der Entnahme in
der richtigen Weise auszuwählen. Um diesem Mangel abzu-
helfen, richteten verschiedentlich Vorsteher von Untersuchungs¬
anstalten, z. B. in Reichenbach, Kottbus, Hannover und Kassel,
kurzfristige Kurse für Polizeibeamte ein. Außerdem beteiligten
sich die Vorsteher der Untersuchungsämter immer mehr
nicht nur an der Kontrolle der eigentlichen Nahrungsmittel¬
handlungen, sondern auch der Wochenmärkte, der Kolonial¬
warenhandlungen usw. Ferner wurden die Fleischerläden,
Fleischmärkte nach dem Ministerialerlaß vom 17. August 1907
durch die Polizeibehörden und die beamteten Tierärzte einer
regelmäßigen Revision unterzogen. Wo beamtete Tierärzte
nicht vorhanden waren, nahmen tierärztliche Fleischbeschauer
oder Laien-Fleischbeschauer diese Besichtigungen vor.
Weitere Fortschritte brachten auf dem Gebiete der
Nahrungsmittelhygiene Polizeiverordnungen, durch die z. B. die
gleichzeitige Benutzung von Schlafzimmern und Krankenzimmern
zur Aufbewahrung von Nahrungsmitteln, das Betasten und
unbeschützte Ausstellen von Nahrungsmitteln, das Mitbringen
von Hunden in Nahrungsmittelgeschäfte, die Verwendung be¬
schriebenen und bedruckten Papiers zum Einwickeln, das
Kneten von Brotteig mit den Füßen verboten, sowie die Be¬
förderung von Fleisch in zweckentsprechender Weise geregelt
wurde.
Die strenge Durchführung aller dieser Bestrebungen und
Vorschriften wurde leider durch die hohen Untersuchungskosten
etwas behindert; dasselbe galt auch betreffs der Probeentnahme
durch Chemiker der Untersuchungsämter, obwohl diese, um die
Kosten zu verringern, ihre Reisen als Weinkontrolleure, als
Revisoren von Drogenhandlungen, Selterwasserfabriken auch zur
Entnahme von Nahrungsmittelproben benutzten. 6 ) Blieb die
Entnahme der Proben lediglich Polizeibeamten überlassen, so
wurden von verschiedenen Untersuchungsämtern wenigstens
gedruckte Belehrungen über die hierbei zu beachtenden Vor¬
schriften verteilt.
Trotz aller dieser Belehrungen, trotz der Unterweisungs-
*) Das Gesundheitswesen des Preußischen Staates 1907.
Das Gesundheitswesen des Preußischen Staates 1908.
Zur Ueberwachung des N&hrangsmittelrerkehrs.
446
kurse für Poli^eibeamte und Gendarme maohte man aber immer
wieder die Beobachtung, daß die Probeentnahme durch Chemiker
am wirksamsten war. So wurden im Regierungsbezirk Frank*
furt bei der Probeentnahme durch Chemiker 14,2 °/ 0 , durch Polizei
dagegen nur 7°/ 0 der Proben beanstandet.
’ Bei den Besichtigungen, die in manchen Bezirken auch
auf Gast* und Schankwirtschaften ausgedehnt wurden, hörte man
nun oft die Ausrede, daß die Vorgefundenen schlechten oder
verfälschten Nahrungsmittel nur zum eigenen Gebrauoh dienen
oder nicht mehr verkauft werden sollten. Um diesem Ein wand zu
begegnen, wurde in verschiedenen Städten des Regierungsbezirks
Düsseldorf durch Polizeiverordnung bestimmt, daß in Verkaufs¬
räumen nur verkäufliche Waren vorrätig gehalten werden sollten.
Als recht wirksam gegen derartige Ausreden haben sich auch
Geheimankäufe durch Polizeibeamte in Zivil erwiesen, die natur¬
gemäß nur in größeren Städten vorgenommen werden können.
Da die Verkäufer nicht selten lediglich aus völliger Un¬
kenntnis der gesetzlichen Bestimmungen verfälschte Nahrungs¬
mittel feilbieten, hat man an einzelnen Orten, z. B. in Halber¬
stadt 7 ), bei den Untersuchungsämtern Sprechstunden zur Be¬
ratung von Gewerbetreibenden eingerichtet, oder, wie im
Reg.-Bezirk Minden 8 ), Merkblätter an diese verteilt.
Im Jahre 1910 konnte erfreulicherweise in dem Bericht
über das Gesundheitswesen in Preußen berichtet werden, daß
eine geregelte Nahrungsmittelkontrolle nunmehr über das
gesamte Staatsgebiet durchgeführt ist. Um diese einheitlicher
zu gestalten, wurden dann durch den Ministerial- Erlaß vom
2. März 1910 allgemeine Grundsätze aufgestellt und gleichzeitig
die Beaufsichtigung der Untersuchungsanstalten geregelt.
Eine Mitwirkung der Kreisärzte bei der Ueber*
wachung des Nahrungsmittelverkehrs hat sich bis jetzt allgemein
nur auf Besichtigungen von Nahrungsmittelhandlungen usw.
erstreckt, die gelegentlich von Ortsbesichtigungen, Gesundheits¬
kommissionssitzungen, bei Ermittlung übertragbarer Krankheiten
vorgenommenen wurden. Der Wunsch einzelner Kreisärzte,
sich noch weitgehender an der Ueberwachung des Nahrungs¬
mittelverkehrs zu beteiligen, ist nur an einigen Orten insofern
erfüllt worden, als z. B. im Reg.-Bez. Posen 9 ) in zwei Städten
der Kreisarzt sämtliche Nabrungs- und Genußmittelhandlungen
besichtigte. Mehrfach haben auch die Kreisärzte, z. B. im Reg.-
Bezirk Köslin, den Antrag gestellt, daß die Nahrungsmittel¬
untersuchungsanstalten ihnen alle Beanstandungen zwecks Be¬
sichtigung der Betriebe mitteilen sollten.
Die weitere und wirksamere Entwicklung der Ueberwachung
des Nahrungsmittelverkehrs hat naturgemäß auch eine Ver¬
mehrung der Untersuchungsanstalten zur Folge gehabt,
Dm Gesundheitswesen des Preußischen Staates 1909.
Dm Gesundheitswesen des Preußischen Staates 1910.
Dm Gesundheitswesen de» Preußische» Staates 1911.
446
Dr. 0. Kurpjuweit.
deren Gesamtzahl bis zum Jahre 1912 10 ) auf 86 gestiegen ist,
davon 21 im Osten und 65 im Westen der Monarchie. Weiterhin
sind gemäß dem bereits erwähnten Ministerial-Erlaß vom 3. März
1910 in vielen Reg.-Bezirken Polizeibeamte für die Probe¬
entnahme ausgebildet und auch praktische Untersuchungskurse
wiederholt in den Polizeischulen in Kottbus, Halberstadt, ferner
in den Untersuchungsämtern in Magdeburg, Kiel, Arnsberg,
Kassel abgehalten worden. Auch auf den Dienstversammlungen
der Gendarme im Regierungsbezirk Lüneburg hat der Vor¬
steher des Untersuchungsamts Vorträge über die einschlägigen
Gesetze, die zweckmäßige Auswahl, der Proben usw. gehalten.
Nach zwölfjähriger Wirksamkeit des Kreisarztgesetzes,
nach siebenjährigem Bestehen des wichtigen Ministerialerlasses
vom 20. September 1905 betr. Ueberwachung des Nahrungs¬
mittelverkehrs kann somit überall ein außerordentlicher Erfolg
der Bemühungen aller beteiligten Behörden festgestellt werden.
Immerhin besteht auch heute noch zwischen dem Osten mit
seinen mehr ländlichen Bezirken und zwischen dem industrie¬
reichen Westen ein wesentlicher Unterschied.
Die Zahl der Untersuchungsanstalten ist im Westen eine
wesentlich höhere und damit die Kontrolle eine wirksamere. Die
Untersuchungsanstalten liegen auch viel näher beieinander; ihre
Vorsteher und Assistenten können daher häufiger zur Probeent¬
nahme reisen, da die entstehenden Kosten bei den kürzeren Ent¬
fernungen keine so erheblichen, wie im Osten sind, wo mitunter
eine Provinz nur eine Untersuchungsanstalt hat. Desgleichen
werden von ihnen hier häufiger Vorträge zur Unterweisung
der Polizeiorgane über Nahrungsmittelverfälschüng und eine
zweckmäßige Probeentnahme gehalten. Außerdem besteht
im Westen weniger Scheu vor den Kosten für häufigere
Nahrungsmitteluntersuchungen in der Erkenntnis, daß eine Ver¬
sorgung mit unverfälschten Nahrungsmitteln für die volksreichen
Industriegegenden von größter Wichtigkeit ist. Wie für alle
sonstigen hygienischen Bestrebungen wird deshalb hier auch
für die Nahrungsraittelhygiene das erforderliche Geld leichter
aufgebracht.
Im Osten mußten sich dagegen größere Bezirke vereinen,
um Nahrungsraitteluntersuchungsämter zu ' gründen und zu
unterhalten; auch die Kostenfrage spielt eine sehr wichtige
Rolle, so daß es nicht zu verwundern ist, wenn hier eine
wirksame Ausgestaltung der Nahrungsmittel-Kontrolle viel später
als im Westen eingesetzt hat.
Im Regierungsbezirk Stettin wurden erst vom 1. Oktober
1908 ab regelmäßige Untersuchungen von Nahrungs- und Ge¬
nußmitteln durch die Auslandfleischbeschaustelle in Stettin
eingeführt. Zunächst war das Interesse für diese Einrichtung
ein recht erfreuliches; später war das Interesse ein geringeres,
,0 ) Das Gesund hdtaweaen des Preußisches Staates 1912.
Zur Ueberwachung des NahnugBmittelrerkehra. 447
wie auch die nachstehende Uebersicht für den Kreis Usedora-
Wollin ergibt:
Eingesandte Proben Bean-
Berichts¬
Nahrungs¬
mittel
Genu߬
Gebrauchs-
Stundungen
Bestra¬
jahr
insgesamt
mittel
gegenstände
0/o
fungen
1909
1169
1053
99
17
53
4,5
18
1910
768
705
47
16
16
2,0
8
1911
684
494
135
5
28
4,4
2
1912
679
608
64
19
47
6,»
24
1918
688
583
49
6
14
8
Bei den aus dem Kreis eingesandten Nahrungsmitteln hat
es sioh hauptsächlich um Milch gehandelt. Unter dem ersten
Einfluß der verschärften Nahrungsmittelkontrolle waren die
Milchverfälschungen für kurze Zeit zurückgegangen. Gerade
die Milch Versorgung spielt aber im Sommer auf den
Inseln Usedom-Wollin eine wichtige Rolle, denn die 14
Badeorte wurden vor dem Kriege jährlich von rund 140000
Badegästen, darunter sehr viele Kinder, besucht. Da nun
die häufigen Besichtigungen der Milchhandlungen neben groben
hygienischen Mißständen die Tatsache ergaben, daß die Miloh-
pantscherei noch weiter flott blühte, erschien es notwendig,
eine gründlichere Ueberwachung und eine zweckmäßigere Probe¬
entnahme in die Wege zu leiten. Ein Versuch, die Polizei¬
beamten zu einem Unterweisungskursus an das Untersuchungs¬
amt in Stettin zu senden, scheiterte an den Kosten. Dagegen
waren die Polizeibehörden bereit, je einen älteren Polizei¬
beamten, der ständig mit der Probeentnahme beauftragt war,
zu einer Unterweisung nach der Kreisstadt zu entsenden.
Infolgedessen habe ich im Frühjahr 1912 für Polizeibeamte und
Gend&rme einen kurzen Unterweisungskursus abgehalten.
Es wurden hierbei die gesetzlichen Bestimmungen, die wichtigsten
Nahrungsmittel Verfälschungen und die Art der Probeentnahme
besprochen. Einige Schwierigkeiten machte dabei die Be¬
schaffung geeigneter Proben von verfälschten Nahrungsmitteln
und gebräuchlicher Verfälschungsmittel zur Demonstration.
Der Erfolg dieser Unterweisung war jedoch unverkennbar;
denn die Zahl der Beanstandungen von entnommenen Nahrungs-
mittelproben stieg von 4,4 °/ 0 im Jahre 1911 auf 6,9 °/ 0 im Jahre
1912, und die Zahl der Bestrafungen von 2 auf 24. 19 Milch¬
händler wurden wegen Milchpantscherei gerichtlich bestraft,
ferner drei Fleischer, weil sie Präservesalz — Hydrinsalz — das
schweflige Säure enthält, zu Hackfleisch hinzugesetzt hatten.
Aul die Nahrungsmittelhändler machten diese zahlreichen
Bestrafungen einen großen Eindruck. Ebenso wie nach der
ersten Durchführung der Nahrungsmitteluntersuchungen im
Jahre 1909 sank im Jahre 1913 die Zahl der Beanstandungen
auf 2,1 °/ 0 und die Zahl der Bestrafungen auf 3.
Im Frühjahr 1914 wurde der Belehrungskursus wiederholt;
das Interesse der Polizeibeamten war auch hier wieder ein
recht reges. Der Einfluß dieser wiederholten Belehrung konnte
infolge des Kriegsausbruchs nicht mehr festgestellt werden.
448
Dr. 0. Kurpjuweit.
Immerhin kann aber schon nach dieser geringen Erfahrung
gesagt werden, daß für derartige Belehrungen ein dringendes
Bedürfnis vorliegt.
Wo die Abhaltung solcher Unterrichtskurse durch Chemiker
Schwierigkeiten maoht, sollten die Medizinalbeamten sich die
Mühe nicht verdrießen lassen und die Kurse abhalten. Sie
bekommen dadurch einen größeren Einfluß auf das so wichtige
Gebiet der Nahrungsmittelhygiene und erfahren dabei manches
über Nahrungsmittelverfälschung im Kreise, was ihnen sonst
unbekannt bleibt.
Auch bei dieser Unterweisung empfand ich es wieder nur
von neuem, daß es für den Medizinalbeamten sehr schwierig
ist, sioh über die gebräuchlichen Nahrungsmittel Verfälschungen
zu unterrichten und auf dem Laufenden zu halten. Die
ihnen zur Verfügung stehenden Zeitschriften bringen über
Nahrungsmittelverfälschungen sehr wenig. Es wäre daher
dringend erwünscht, daß bei den Fortbildungskursen für
Medizinalbeamte dieses Kapitel eingehender behandelt
wird. Ferner wäre es zweckmäßig, wenn von berufener Seite
jährlich ein Bericht über neue Nahrungsmittel Verfälschungen den
Medizinalbearaten zugänglich gemacht würde.
Es empfehlen sich ferner öffentliche Warnungen durch
die Zeitungen, wie sie so häufig auf Veranlassung des Polizei*
Präsidiums in Berlin über den Schwindel mit Geheimmitteln
erscheinen, zur Belehrung weiterer Kreise angebracht.
Neben dieser Erweiterung der belehrenden Tätigkeit der
Kreisärzte, die aus bereits erwähnten Gründen wohl nur für
den Osten in Betracht kommt, scheint mir aber auch sonst
eine stärkere Betätigung der Kreisärzte im gesamten
Staate bei der Ueberwacnung des Nahrungsmittelverkehrs sehr
erwünscht.
Ebenso wie für die Beurteilung eines Trinkwassers nicht
allein das Ergebnis der chemischen Untersuchung, sondern auch
das der örtlichen Besichtigung maßgebend ist, sollte man auch
bei der Nahrungsmittelkontrolle nicht ausschließlich Gewicht auf
die chemische Untersuchung der Probe, sondern auch auf die
örtliche Besichtigung der Nahrungsmittelbetriebe legen.
Zu diesem Zwecke müßte ein engerer Zusammenhang, ein
gedeihlicheres Zusammenarbeiten zwischen den Nahrungsmittel¬
untersuchungsämtern und den Kreisärzten eingeleitet werden.
Jede Beanstandung einer Probe wäre umgehend dem betreffenden
Kreisarzt mitzuteilen, damit dieser sofort eine Untersuchung
des betreffenden Nahrungsmittelbetriebes vornimmt. Nur auf
diese Weise kann eine wirksame Ueberwachung erreicht werden.
Ferner müßte ein jährlicher Bericht der zuständigen Nahrungs¬
mitteluntersuchungsanstalten über die im Bezirk festgestellten
Nahrungsmittelverfälschungen sämtlichen beteiligten Kreisärzten
zugänglich gemacht werden, damit diese über das, was ihren
Kreis auf diesem Gebiete angeht, das Erforderliche erfahren.
Der Kreisarzt müßte aber auoh selbst viel stärker als
Zur Ueberwachang des Nahrangsmittelverkehrs.
449
bisher an der Beaufsichtigung des Nahrungsmittelverkehrs be¬
teiligt werden. Die alle fünf Jahre wiederkehrende Besichtigung
von Fleischereien, Bäckereien bei den Ortsbesichtigungen genügt
nicht, um diese Betriebe wirksam zu überwachen. Bei den
Badeorten hat man allerdings gelegentlich der jährlichen Be¬
sichtigungen häufiger Gelegenheit, derartige Betriebe zu be¬
sichtigen; auch gelegentlich der Sitzungen der Gesundheits¬
kommissionen können Nahrungsmittelbetriebe besichtigt werden;
dies ist jedoch nicht immer ausreichend« Jedenfalls bedürfen
verdächtige Betriebe einer häufigeren Besichtigung, um zu ver¬
hüten, daß der alte Schlendrian nicht wieder eingerissen ist,
was besonders sehr häufig bei Fleischereien der Fall ist. Es
erscheint daher dringend erwünscht, daß die jährliche Be¬
sichtigungspflicht ebenso wie auf die Drogenhandlungen, Selter¬
wasserfabriken, Molkereien, auch auf alle Nahrungsmittelbetriebe
ausgedehnt wird. Das Arbeitsfeld des Kreisarztes würde dadurch
in vielen Kreisen eine oft wünschenswerte Erweiterung erfahren,
durch die er außerdem einen maßgebenden und nur im Interesse
des Allgemeinwohles liegenden Einfluß auf diesem Gebiete
erhalten würde.
In den Bezirken, in denen zahlreichere Untersuchungs¬
ämter vorhanden sind und die Arbeitslast der Kreisärzte an
und für sich sehr groß ist, könnte den NahrungBmittelchemikern
die Kontrolle allein überlassen werden, jedoch müßte dem
Kreisarzt auch hier der nötige Einfluß durch gelegentliche
Beteiligung bei derartigen Besichtigungen gewahrt bleiben.
Bei den Besichtigungen sind die begleitenden Polizeibeamten
zur Entnahme der erforderlichen Proben unter Aufsicht der
Kreisärzte oder Nahrungsmittelchemiker mit heranzuziehen; auf
diese Weise würde sich auch die Probeentnahme durch diese
Beamte wirksamer gestalten lassen.
Die Kosten der Besichtigungen fallen ebenso wie die für
Besichtigungen von Drogenhandlungen, Selterwasserfabriken
usw. der Polizei zur Last; sie werden nicht sehr erheblich sein,
wenn die Besichtigungen nach Möglichkeit gelegentlich oder
in Form von Rundreisen durch mehrere Polizeibezirke (Amts¬
bezirke) ausgeführt werden. Jedenfalls dürfte der zu erwartende
Fortschritt in der Verbesserung der Nahrungsmittel Versorgung
die aufgewandten Kosten durchaus lohnen.
Neben diesen Bestrebungen, den Käufer vor Schaden zu
schützen, sollte man sich aber auch bemühen, den Kaufmann
selbst vor Uebertretungen des Gesetzes zu bewahren. Nicht
selten werden Nahrungsmittel oder Genußmittel beanstandet,
die der betreffende Kaufmann als einwandsfrei vom Großhändler
oder von der Fabrik bezogen hat. Durch Belehrungen in
der Tagespresse über derartige Verfälschungen sowie durch
Merkblätter über die wichtigsten gesetzlichen und polizei¬
lichen Bestimmungen könnte dieser unter den Nahrungsmittel¬
händlern oft vorhandenen Unkenntnis entgegen getreten werden.
Kurz zusammengefaßt erscheinen mir daher folgende Maß-
450 Dr. med. Karl Opitz.
nahmen zur Verbesserung der Nahrungsmittelüberwachung
empfehlenswert:
1. Fortlaufende Unterrichtung der Kreisärzte über Nahrungs¬
mittelverfälschungen durch Kurse und Veröffentlichungen.
2. Engere Zusammenarbeit zwischen Nahrungsmittelunter¬
suchungsäratern und Kreisärzten.
8. Unterweisung der Polizeibeamten in der Probeentnahme
durch Nahrungsmittelchemiker oder, wenn das nicht möglich
ist, durch Kreisärzte.
4 . Häufigere Besichtigung aller Nahrungsmittelbetriebe
durch die Kreisärzte.
5. Aufklärung der Verkäufer und Käufer durch die Tages¬
presse über Nahrungsmittel Verfälschungen sowie Verteilung von
Merkblättern über die wichtigsten gesetzlichen Bestimmungen
an die Nahrungsmittelhändler.
Schädigung der Atmungsorgane durch gewerblichen Staub.
Von Dr. med. Karl Opitz, Kreisarzt in Peine.
Wie schädlich der in gewissen Gewerbebetrieben erzeugte
Staub auf die Atmungsorgane der dem Staub ausgesetzten
Arbeiter einwirkt, ist bekannt; dagegen ist die Frage, inwieweit
eine ungewöhnliche Staubentwicklung über die engere Arbeits¬
stätte hinaus die Gesundheit der Einwohner industrieller Ort¬
schaften schädigen kann, noch sehr umstritten. Es ist ja auf¬
fallend, daß nach den Angaben der Medizinalstatistischen
Nachrichten im Jahre 1912 die Todesfälle an nichttuberkulösen
Erkrankungen der Atmungsorgane einschließlich Lungenent¬
zündung in den beiden industriellen Regierungsbezirken Oppeln
und Arnsberg mit 2,9 und 2,6 auf je 1000 Einwohner berechnet,
besonders hoch und in dem landwirtschaftlichen Regierungs¬
bezirke Aurich mit 1,5 besonders niedrig waren; dagegen
erreichten sie auch in den vorwiegend ländlichen Bezirken
Gumbinnen und Hildesheim die Zahl 2,5 und standen in dem
ausschließlich großstädtischen Landespolizeibezirk Berlin nur
auf 1,8. Die zahlreichen, die Sterblichkeit an den genannten
Krankheiten beeinflussenden Faktoren, besonders die Witterungs¬
einflüsse, sind so unübersehbar, daß ein Vergleich verschiedener
Gegenden fast ausgeschlossen ist.
Wollte man den Beweis liefern, daß industrielle Staub¬
entwicklung auch größere Kreise der Bevölkerung schädigen
kann, so müßte man einen Versuch im großen machen, indem
man einen bestimmten, abgegrenzten Bezirk für eine gewisse
Zeit der Einwirkung ungewöhnlich großer Staubmengen aus¬
setzte; wenn sich dann zeigte, daß während der Versuchsdauer
die Sterblichkeit an nicht-tuberkulösen Erkrankungen der
Atmungsorgane höher wäre, als vor und nach dem Versuche,
so würde man die vorübergehende ungewöhnlich starke Staub¬
einwirkung als Ursache dieser Steigerung ansprechen können.
Indessen könnte immer noch der Einwand geltend gemacht
Schädigung der Atmungsorgane durch gewerblichen Staub. 401
werden, daß vielleicht zufällig während der Versuchszeit be¬
sonders ungünstige Witterungsverhältnisse geherrscht hätten;
dieser Einwand ließe sich aber entkräften, wenn gezeigt wird,
daß in den dem Versuche nicht unterworfenen Nachbarbezirken
solche ungewöhnliche Witterungseinflüsse nicht zur Geltung
gekommen sind.
Einen derartigen Versuch absichtlich anzustellen, ist
natürlich ausgeschlossen; der Zufall hat jedoch in der Stadt
Peine ein solches Experiment mit so klaren Verhältnissen ge¬
schaffen, wie sie wohl nur ganz ausnahmsweise wieder zu
beobachten sein würden.
Das frühere, kleine Landstädtchen Peine ist im Laufe
einiger Jahrzehnte durch das Wachsen seines Eisen Walzwerkes
zu einer lediglich von diesem abhängigen Industriestadt von
17 000 Einwohnern geworden. Das Walzwerk bezieht sein
Eisen aus der 7 km entfernten Ilseder Hütte. Im Jahre 1911
trat im Betriebe des Werks insofern eine umwälzende Aenderung
ein, als seitdem das Eisen nicht mehr in fester Form, sondern
flüssig in großen Behältern angeliefert wird. Mit diesem Wechsel
änderte sich auch die weitere Eisenverarbeitung wesentlich;
alsbald wurden die dem Werke benachbarten Teile der Stadt,
die natürlich auch vorher schon durch Rauch und Staub des
Werkes bis zu einem gewissen Grade belästigt worden waren,
zeitweise mit wahren Regenschauern feiner Staubkörnchen von
vorwiegend phosphor- und kohlensaurem Kalk überschüttet.
Es konnte nicht ausbleiben, daß zahlreiche Beschwerden über
diese erhebliche Belästigung einliefen. Daraufhin hat sich das
Walzwerk in anerkennenswerter Weise bemüht, die Unzuträg¬
lichkeiten möglichst zu verringern, und zwar durch Verbesserung
der Verarbeitungsmethoden und durch Errichtung sehr umfang¬
reicher und kostspieliger Entstaubungsanlagen. Immerhin ver¬
ging annähernd ein Jahr, bis die Versuche zur Abstellung der
Mißstände Erfolg hatten. Seitdem überschreitet die Staub¬
belästigung durch das Walzwerk die früheren Grenzen nicht mehr.
Wie verhielt sich nun der Gesundheitszustand der Stadt
Peine besonders bezüglich der Schädigung der Atmungsorgane
gegenüber dieser kurzdauernden außerordentlichen Staub¬
belästigung? Da eine Morbiditätsstatistik hier ebenso wenig
möglich ist, wie anderwärts, können nur die Sterbefälle an
nicht-tuberkulösen Erkrankungen der Atraungsorgane einschlie߬
lich der Lungenentzündung berücksichtigt werden; ihre Zahl
ist aus der Kurve I zu ersehen; es ist ersichtlich, daß in den der
Betriebsänderung folgenden vier Vierteljahren erheblich mehr
Personen an den fraglichen Krankheiten gestorben sind, als
je vorher oder nachher, nämlich 50 gegenüber 24—31 in
gleichen sonstigen Zeiträumen.
Um den oben bereits angeführten Einwand, daß nämlich
in der Zeit höherer Sterblichkeit vielleicht besonders ungünstige
Witterungseinflüsse im Spiele gewesen sein könnten, zu wider¬
legen, sind die Sterbefälle an den fraglichen Krankheiten in
Dr.Opit*: Schädigung der Atmtwgaorg**« durch gewerblichen Staub
Em« I.
Jahr: 1909 5910 1911
Quartal m, UIIV i n UI IV I II III JV
Zahl der Sterbefäüe an nicbt-tuberkulosen Erkrankungen Ser Atnumgsorgane
eiBschlieSiicfe der Luageneot 2 fiiuJnag In der Stadt Feine in absoluten Zahlen.
-......... JEintritt der ungewöhnlichen StaubbeiäsUgUftg.
Kurve II
Jahr: 1909 1910
Quartal: II III IV I II IÖ IV
Zahl der SterbefäUe an nicht-tuberkulösen Erkrankungen der Atmungsorgane
einschließlich dar Lnngeneutzfuidung in der Stadt Peine (—and in der
Stadt Büdesheim (-—), berechnet aal je 1000 Einwohner.---Eintritt
der ungewöhnlichen Staubbelästigung in Peine.
Karre irr
Zahl der Ster befalle an nicht-tuberkulfaen Erkrankungen der Athtangsörgaoe
eiöschlieölich der LmigsmectzÜndung in der Stadt. Peine {--—5 uni in den
sämtliche!» StSdteu dea Begieruogabezirks Hildes beim rtisuumen
berechnet aal je 1000 Einwohner. ——- - Eintritt der ungewöhnlichen 3taub-
beläaügung in Peine
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Kleiner« Mttteüuagea und Referate an« Zeitschriften.
458
der Stadt Peine mit denen der nftchstbenaohbarten Mittelstadt
Hildesheim und mit denen aus sämtlichen Städten des Re¬
gierungsbezirks Hildesheim verglichen worden; man kann wohl
annehmen, daß die Witterungs Verhältnisse in (Uesen Vergleichs¬
orten im allgemeinen nicht wesentlich von denen der Stadt
Peine abweichen; die Sterbefälle sind zur leichteren Ver¬
gleichung in den Kurven 11 und III nicht als absolute Zahlen,
sondern auf je 1000 Einwohner berechnet wiedergegeben. Aus
diesen beiden Kurven geht hervor, daß zwar im allgemeinen
die Sterblicheit an nicht-tuberkulösen Erkrankungen der
Atmungsorgane einschließlich der Lungenentzündung in der
Stadt Peine etwas niedriger ist als in der Stadt Hildesheim
oder in allen Städten des Regierungsbezirks Hildesheim zusammen¬
genommen, daß sie aber die genannten Vergleichsstädte eine
{ gewisse Zeit hindurch nicht unwesentlich übertrifft, und zwar
ediglich in dem Zeiträume, der der ganz imgewöhnlich starken
Staubbelästigung folgt.
Natürlich sind die Zahlen einer kleinen Stadt viel zu
gering, als daß sie in einer so schwierigen Frage unbedingte
Beweiskraft beanspruchen könnten; auch wird nicht verkannt,
daß sich wohl in mancher Richtung gewisse Einwände geltend
machen ließen; immerhin kann das m Peine unter ungewöhnlich
einfachen Verhältnissen gemachte unbeabsichtigte Experiment
zur Stütze ähnlicher Forschungsergebnisse dienen.
Kleinere Mitteilungen und Referate tue Zeitschriften.
A. Saohversft&ndigeatätlgkett auf mllltärüntliokem Gebiete.
Die Simulation tob Ohrenkrankheiten. Von Oberstabsarzt Prof.
Dr. O. A1 e z a n d e r, Chefarzt der VL Abteilung des Garnisonspitales 2. Wiener
klinische Wochenschrift; 1916, Nr. 18 und 19.
Herdweises Auftreten höherer Grade von Simulation hat Verfasser ein¬
mal bei 20 Rekruten ein- und desselben Regiments beobachtet. Sie stammten
sämtlich ans benachbart liegenden Dörfern in einem von Wien abgelegenen
Teile der österreichischen Monarchie and waren durch äußere Einflüsse gut
vorbereitete, verstockte Simulanten, die in einer anderen Anstalt mit größtem
Erfolge ihrer Simulation Glauben verschafft hatten. Die Leute wurden in
kleinen Gruppen in die einzelnen Zimmer der Abteilung verstreut und durch
das Pflegepersonal sorgfältig beobachtet Nachdem ermittelt war, daß de
flüsternd miteinander verkehrten und die Ueberführung eines der Simulanten
gelungen war, hatte Dr. A. mit den übrigen gewonnenes Spiel.
Auf die spezialärztliche Untersuchung bei jeder frischen Ver¬
letzung ist besonderes Gewicht zu legen; dies lehren auch die Erfahrungen
bei Eisenbahnunfällen. Manchmal war bei fehlendem ersten Befund eine
traumatische Ursache in Fällen angenommen, die nie von einer Verletzung
betroffen waren. Kriegsverletzte Invalide müssen möglichst bald spezialärzt-
licher Untersuchung zugeführt werden, sonst ist zu befürchten, daß gegen
Ende des Krieges therapeutische Institute eröffnet werden, die sich mit Inva¬
liden füllen, ohne daß vorher der Strom der Insassen im frischen Zustand der
Verletzung durch ein möglichst diagnostisches Filter gegangen ist, und die
unnötige Geldaufwendungen zur Folge haben.
Wertvolle Anhaltspunkte für die Annahme der Simulation oder Aggra¬
vation bietet oft schon die genaue Aufnahme der Anamnese. Ueberaus
komplizierte, in überflüssige Details aicn verlierende, weitschweifige an am¬
nestische Angaben, durch die der zu Untersuchende gewissermaßen eine aus-
Kleinere Mitteilungen and ftefereieaas Zeitschriften,
reichende Erklärung für sein Leiden rorzubringen sacht, werden den Verdacht
anf Vortäuschung wachrufen.
Manche Simulanten verweigern anamnestische Angäben. — Zu den
plumpsten Formen der ‘Simulation gehört das Vortäuschen von Eiterfluß ‘in der
Anamnese; fast unerklärlich ist es, daß die Aerzte in einem splehen Felle
Monate hindurch getäuscht werden konnten. Die Ursache liegt in der Uner¬
fahrenheit der Untersucher.
Der Gang der Untersuchung eines Simulanten soll sich in nichts
von dem wirklich Kranker unterscheiden. Der Arzt muß eine ausreichende
Kenntnis des normalen und pathologischen Trommelfellbildes besitzen; er
muß alle Einzelheiten der Fonktionsprtuung und zwar sowohl des, Kochlear-,
als des Vestibularapparates vollkommen beherrschen. Der Bestimmung der
Hörschärfe für Spracne kommt besondere Bedeutung zu. Bei der Funktions-
Prüfung mit Stimmgabeln ergänzen sich die Einzelbefunde bei wirklich Ohr¬
kranken einander logisch; bei Simulation widerspricht ein Befund dem anderen.
Auch bei größter Erfahrung trete der Untersucher unvoreingenommen
an die Prüfung heran. Nur bei Bewahrung völliger Buhe und kühler Ueber-
legnng ist man imstande, die Zeichen der Simulation richtig zu erfassen. Ver¬
hängnisvollen Irrtümern kann auch der Erfahrenste unterliegen, 'wenn er sich
durmi irgendwelche Umstände in Aflekt bringen läßt. Unbedingt au verwerfen
ist jede rohe oder brutale Behandlung des zu Untersuchenden.
Verfasser gibt eine, Reihe interessanter Photographien von Simu¬
lanten und Simulationsverdächtigen sowie viele außerordentlich bemerkenswerte
Krankengeschichten. ' Dr. Mayer-6imtnern.
Die militärärztlicbe Beurteilung leichter Uerzsttfrungen. Von Ober¬
stabsarzt Prof. Da, Determann-St,Blasien, Deutsche med. Wochenschrift;
1916, Nr. 23.
Zur militärärztlichen, diagnostischen und prognostischen Beurteilung
leichter Herzkrankheiten ist die Herausschälnng eines „objektiven Kernes*
sehr wichtig. Einzelne diagnostische Ermittelungen bedeuten aber nicht soviel
wie die Zusammenlegung aller, wie die sorgfältige Prüfung der Konstitution,
die Kenntnis der Vorgeschichte und Erlebnisse der Patienten, wie die Berück¬
sichtigung des Berufes und des Trainings. Durch eine längere Beobachtung,
gegebenenfalls, „mit awieohengesehalteten Kuren,, gelingt meist die richtige
Entscheidung.
, Die B.emessung der Di.enstf ähigkeit kann oft nicht so sehr von der Fest¬
stellung der Abwesenheit einer organischen Herzerkranknng abhängig gemacht
worden, als vom Allgemeinzustande nnd von der Herzleistnngsfähigkcit. Zürn
Beispiel wird einschwächliches, ungeübtes Herz durch den Kriegsdienst oft mehr
gefährdet, als eph kräftiges mit leichter Mitralinsuffizienz. Unbedingt nötig ist
znr Erreichung der Felddienstfähigkeit genügendes Training des schwachen
Herzens, besonders bei Jagendlichen. Za warnen ist vor Kriegsver'wendung
der Arteriosklerotiker mit Herzstörungen, der Herzhypertrophien auch ohne
Herzfehler, der Hypertoniker und der Mitralstenosen.
, Als Ursachen der Herzerkrankungen sind außer den Infektionskrank¬
heiten, Nierenerkrankungen und thyreotoxischen Einflüssen mehr als bisher die
allgemeine Arteriosklerose, schwere nervöse Erregungen, traumatische Einflüsse
(Vorschüttungen) und besonders Tabakmißbrauch in Betracht zu ziehen. Die
Ueberanstrengnog an sich scheint von gesunden Herzen bis zu einem hoben
Grade ohne Schaden ertragen za werden.
zam Teil beschränkt erklärt und 22% als dienstunfähig. Bei 32 waren Karen
vorgenommep. Die Zahl der Knegsverwendungsfähigcn wäre viel größer ge¬
wesen« wenn picht Nieren-, Blut-, Gefäßerkrankungen, Tuberkulose, Schwäch¬
lichkeit oft eine geringere Bewertung veranlaßt hätten.
,_ Dr. R o e p k e - Melsungen.
Meine bisherigen Erfahrungen über die Verwendung von Riesen-
magnetea behufs Extraktion von Geschoßsplittern. Von Prof. G. Sn 1 tan,
beratender Chirurg im Felde. Deutsche med. Wochenschrift; 1916, Nr..24.
Kleinere Mitteilungen und fieforaie »tu Zeitschriften.
466
Die Extraktion mit dem Magneten stellt sich als die schonendste Art
der ßplitterentfernnng dar. Die Eigenart des magnetischen Zuges bringt es
mit sich, daß der Splitter sich sofort stets in Längsrichtung von selbst ein*
stellt und daß deshalb die nicht za vermeidende Läsion, insbesondere der
Gehirnmasse, aaf das mindest mögliche Maß beschränkt and jedenfalls sehr
viel weniger Gewebe zerstört wird, als wenn man mit der Pinzette oder mit
dem Finger eingeht.
Der Elektromagnet mnß zweckentsprechend konstrniert sein (mit ver-
schiedenen den Wanden sich anpassenden Ansätzen: Sterilisierbarkeit der Teile,
die mit der Wände in Berührung kommen, leicht transportables Gestell, be-
qaeme Verstellung des Magneten in alle erforderliche Lagen, Abdeckung mit
sterilisiertem Leinentach asw.) and genügend stark sein. Der von der Firma
Schumann in Düsseldorf gebaute Magnet hebt eine Stahlkugel von 4 mm
Durchmesser aus einer Tiefe von 113 mm hoch; wird die Stahlkugel durch
ein Bleigewicht, das 60 mal so schwer ist als die Kugel selbst, beschwert,
dann wird sie von dem Magneten noch aus einer Tiefe von 26 mm angezogen.
Diese Leistung genügt für chirurgische Zwecke, wie es S. zunächst durch
Versuche am frischen Leichengehirn und dann in mehr als 30 Krankheitsfällen
mit bestem Erfolge festgestellt hat. Allerdings zieht der Magnet nur Eisen¬
teile an; es ist deshalb die Feststellung mittels Sideroskops nötig, ob der
Splitter aus Eisen besteht oder nicht. S. gibt einige Beispiele für die ge¬
lungene Extraktion von Splittern aus dem lebenden Gehirn und versichert, daß
mit dem Magneten niemals auch nur der geringste Schaden entstanden ist.
_ Dr. Roepke-Melsungen.
Behelfsprothesen. Von Oberstabsarzt Prof. Dr. H. Spitzy. Deutsche
med. Wochenschrift; 1916, Nr. 24.
Um in den Spitälern die Amputierten möglichst schnell auf die Beine
zu bringen, erhalten sie sofort nach Eintreffen und etwaiger Stumpfbehandlung
Gipsbehelfsprothesen oder ähnliche Behelfe aus Blech - Filzhülsen, Pappe
usw. Diese ermöglichen sofortiges, möglichst normales Gehen und erlösen von
den Krücken. Sie sind aber lediglich als Spitalsbehelf zu betrachten und werden
nach endgültiger Stumpfgestaltung mit einer Lederprothese vertauscht;
außerdem bekommt jeder Patient ein Kunstbein.
Die Lederbehelfsprothese ist absichtlich einfach gehalten, damit jeder
die Instandhaltung und Wiederherstellung wenigstens dieser einen Prothese
selbst besorgen kann. Er verläßt das Spital nicht früher, als bis er kleine
Ausbesserungen in Leder und Metall herstellen kann; er muß sie selbst im
Spital durchführen und kann sie dann auch zu Hause in jeder Schlosser- und
Schubmacherwerkstätte vornehmen. Alle Behelfs- und Dauerprothesen tragen
zur besseren Adaptierung einen Innenriemen der zur Festigung des Ganges
beiträgt
Die Behelfsprothesen haben normalisierte Teile, die fabrikmäßig her¬
gestellt werden und durch ihre Auswechselbarkeit die Herstellung und In¬
standhaltung wesentlich erleichtern. Die normalisierten Bestandteile werden
aus Bessemer Stahl gepreßt; das ganze Metallskelett für eine Oberschenkel¬
behelfsprothese kostet etwa 8 Mark. Statt des Fußplättchens kann auch ein
Holzfaß angepaßt werden. Der Patient trägt dann für Arbeiten, die er sonst
barfuß verrichten würde, die Prothese mit dem Fußplättchen und zu Re¬
präsentationszwecken Holzfaß mit Zellaloseumkleidung.
Die Befestigung der Behelfsprothese am Stampfe geschieht entweder
durch einen Beckengort mit Lederschlingen im Sinne der Marxschen Befesti¬
gung oder auch mittels eines Schultergurtes; letzteren haben sich die Verletzten
von selbst zurecht gemacht, wenn er nicht angebracht war.
Dr. Roepke- Melsungen.
B. Saohverst&ndigUntätigkeit ln Unfall- and Inwalldit&ta- and
Krankenversloherungssaohen.
Nach der Angewöhnungszelt ist der Verlust eines Auges, auch bei
einem Schmied mit 26 Proz. ausreichend entschädigt. Rekurs-Ent-'
Scheidung des Reichsversicherungsamts vom 16. Januar 1916.
466
Kleinere Mitteilangen and Referate aas Zeitschriften.
Wie das B.V.A., besonders in neuerer Zeit, mehrfach aasgesprochen hat,
kann auch bei Augenverletzungen and dadurch bedingtem teilweisen Verlast
des Sehvermögens die mit einer derartigen Körperschäaigung zusammenhängende
Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit immer nar von Fall za Fall geschätzt
werden. Der Kläger kann deshalb nicht znm Beweise dafür, daß ihm eine
Teilrente von für die Dauer zastände, auf ein in anderer Sache er¬
gangenes Urteil des R.V.A., in dem auch nach Erreichung des Dauerzustandes
beim Verlust eines Auges eine Teilrente von 33*/s °/o, für eine angemessene
Entschädigung erklärt worden ist, Bezug nehmen. Der erkennende 8- nat hatte,
unabhängig von Feststellungen und Entschädigungen in ähnlich liegenden
Fällen, zu prüfen, welche Beute dem Kläger aus Anlaß seines Unfalls vom
24. Dezember 1904 gebührt, nachdem unzweifelhaft der Dauerzustand ein¬
getreten ist. Insbesondere unter Berücksichtigung der sehr günstigen Arbeits¬
und Verdienstverhältnisse des Klägers hat der erkennende Senat keinen Anlaß
gehabt, im vorliegenden Falle eine Teilrente von 26% als eine nicht aus¬
reichende Entschädigung für die Zeit nach dem 81. Oktober 1918 anzusehen.
_ Kompaß; 1916, Nr. 11.
Dellriim tremens als Unfallfolge. Rekurs-Entscheidung des
ReichsversicherungsamtB vom 17. April 1914.
Am 9. November 1910 verunglückte der Kesselschmied R. dadurch, daß
ihm ein Kupfersplitter ins Auge flog und dieses an Star erkrankte. R. begab
sich in die Klinik des Dr. C., der ihn operierte. Zwei Tage nach der Operation
brach bei dem Verletzten Delirium tremens aus; er Btürzte sich in diesem An¬
fall aus einem Fenster der Klinik auf den Hol und zog sich tödliche Ver¬
letzungen zu. Die in Anspruch genommene Berufsgenossenschaft verneinte
ihre Entschädigungsverpflichtung, da der Tod R.s mit dem Betriebsunfall nicht
in ursächlichem Zusammenhang stehe. Das Reichsversicherungsamt vertrat da¬
gegen den gegenteiligen Standpunkt und ordnete die Entscbädigungsverpflich-
tung mit folgender Begründung an:
Der erkennende Senat hat kein Bedenken, dem von einer ersten Autorität
auf dem Gebiete der Augenheilkunde erstatteten in sich schlüssigen Gutachten
zu folgen und anzunehmen, daß der bei dem verstorbenen R. operierte Star
eine Unfallfolge gewesen ist. Nach diesem Gutachten bat die ärztliche Be¬
handlung anläßlich der Starbildung insofern an dem Ausbruch des Delirium
tremens und dadurch bei dem Tode mitgewirkt, als dem Verstorbenen
mit dem Eintritt in die Klinik der Alkoholgenuß völlig ent¬
zogen ist unddurch diese Entziehung in Verbindung vielleicht
mit den Nachwirkungen der Operation der Ausbruch des De¬
lirium tremens be gttn stigt, wenn nicht in dem Sinne allein
verursacht worden ist, daß der Verstorbene ohne die
Alkoholentziehung und Operation trotz des Alkoholmi߬
brauchs dem Delirium tremens überhaupt nicht verfallen
wäre. Diese Auffassung findet in vielfachen Erfahrungen über die Zu¬
sammenhänge und den Verlauf ähnlicher Fälle eine wesentliche Stütze, so
daß sie an sich gerechtfertigt erscheint. Immerhin würde dieser die Berufs-
genossenschaft zur Entschädigung verpflichtende Zusammenhang dann nicht
Festgestellt werden können, wenn anzunehmen wäre, daß dauernder Alkohol-
mißbrauch in dem Körper des Verletzten bereits derartige Veränderungen
hervorgerufen hatte, daß auch ohne die Alkoholentziehung oder die Operation
das Delirium tremens ungefähr zu derselben Zeit bei R. ausgebrochen wäre;
weil dann Alkoholentziehung und Operation in ihrer Bedeutung als mitwirkende
Bedingungen bei dem Verlauf der Dinge gegenüber der vorherrschenden Be¬
deutung des Alkoholmißbrauchs soweit zurück treten würden, daß sie nicht
mehr als wesentlich mitwirkende Ursachen im Rechtssinn angesehen werden
könnten. Für einen derartigen Grad des Alkoholmißbrauchs oder seiner
Wirkungen im Körper des Verstorbenen fehlt es indessen an jedem sicheren
Anhalt. Nach alledem war die beklagte Bernfsgenossenschaft bei gegebenem
Zusammenhang zwischen Tod und Unfall zur Zahlung der Hinterbliebenen¬
rente zu verurteilen.
(Sächsische Korrespondenz; Nachdruck nur mit deren Genehmigung gestattet.)
Kleiner« Mitteilung«* Und lieferet« ua Zeitschriften
467
Erstattung der Arztkostea seiten* der Krankenknssen an Freiwillige
Mitglieder. Entscheidung des Oberversicherungsamts Gröl*
Berlin vom 6. Norember 1916.
Der Kläger war unbestritten als freiwilliges Mitglied der beklagten
Ortskrankenkasse berechtigt, sich in die Behandlung des Arstes Dr. M. in
Berlin N. zu begeben, da es sich um einen dringenden Fall (Armbruch) im
Sinne des Gesetzes handelte (§ 868 R.V.O.). Auch hinsichtlich der Weiter«
behandlnng der am 9. September 1918 stattgehabten Verletzung durch den ge¬
nannten Arzt oder seinen Vertreter durfte der Kläger das Einverständnis der
Krankenkasse voraussetzen, da er — was die Kasse im Berufungsverfahren
auf seine ausdrückliche Angabe hin nicht mehr bestreitet — am zweiten oder
dritten Tage nach dem Unfall der Kasse von seiner Behandlung durch Dr. M.
Mitteilung machte und die Kasse ihn daraufhin nicht an einen anderen Amt
wies. Die Weiterbehandlung durch denselben Arnt lag auch im Interesse des
Behandlungsbedürftigen. Bei dieser Sachlage kann die Krankenkasse nach
§ 368 R.V.O. die Bezahlung des in Anspruch genommenen Arstes nicht ab«
lehnen, vielmehr hat sie das vom Erkrankten etwa schon verauslagte Amt«
honorar zu erstatten oder, soweit es noch nicht bezahlt ist, ihn von seiner
Verbindlichkeit dem Arzte gegenüber zu befreien, und zwar hinsichtlich aller
aus Anlaß der Krankenbehandlung notwendig gewordenen Kosten. Der Arzt
erwirbt auch unmittelbar gegen die Kasse einen Uonoraranspruch aus dem
Reehtsgrund auftragloser Geschäftsführung (vergl. Hahn, Kommentar zu
§ 268' R.V.O. Anmerkung e).
Hiernach ist von der Vorinstanz die Befreiung von der Verbindlichkeit
des Klägers zur Zahlung des Resthonorars von 42 M. zu Recht ausgesprochen
worden. Der Betrag wird der Höhe nach für angemessen erklärt. Ob dies
der Fall ist, kann aber hier dahingestellt bleiben, da es der Krankenkasse un¬
benommen ist, sich hierüber noch mit dem Arzte auseinaaderzusetzen, dem
gegenüber sie verbindlich ist. 1 ) __
Die Polizei Ist nicht befugt, die Befolgung von Unfallverhütungs-
Vorschriften einer Berufisgenesseasehaft zu erzwingen. UrteildesPreuß.
Oberverwaltungsgerichts (VIII. S.) vom 17.Dezember 1914.
Der Genossenschaftsvorstand ist befugt, für den Fall der Zuwiderhand¬
lung gegen die Vorschriften zur Verhütung von Unfällen Geldstrafen bis zu
1000 M. festzusetzen. Dagegen ist den Berufsgenossenschaften im Gesetze
nicht die Befugnis gegeben, die Befolgung der Unfallverhütungsvorschriften
und die Herstellung der darin geforderten Sicherheitseinrichtungen unmittelbar
zu erzwingen. Ebensowenig ist durch eine gesetzliche Bestimmung der Polizei¬
behörde die Befugnis oder Aufgabe zugewiesen, die Befolgung der Unfail-
verhütungsvorschriften dem Betriebsunternuhmer gegenüber durch ihre Zwangs¬
mittel durchzusetzen, noch den Borufsgenossenscbaften die Ermächtigung er¬
teilt, die Mitwirkung der Polizeibehörde zur Ausübung eines Zwanges auf die
Betriebsunternehmer in diesem Sinne zu fordern. Allerdings verpflichtet § 154
a. a. 0. die öffentlichen Behörden, „den im Vollzüge des Gesetzes ergehenden
Ersuchen der Genossenschafts- und Sektionsvorstände zu entsprechen," und
unter diesen Ersuchen sind nicht nur diejenigen zu verstehen, welche in den
Unfallversicherungsgesetzen und den zu ihnen erlassenen Verordnungen, Aus-
führungsbestimmuDgen usw. ausdrücklich vorgesehen sind, sondern jede In¬
anspruchnahme einer Behörde, die zur Durchführung der Unfallversicherungs¬
gesetze irgendwie erforderlich ist. Immer aber muß cs sich um eine vom
Gesetze selbst vorgesehene Art der Durchführung seiner Vorschriften handeln.
Das Gesetz sieht aber die Durchführung der Unfallverhütungsvorsehriften
mittels polizeilichen Zwanges nicht vor.
(Sächsische Korrespondenz; Nachdruck nur mit deren Genehmigung gestattet.)
*) Das Versicherungsamt hatte in seiner Vorentscheidung vom 7. No¬
vember 1914 den geforderten Gesamtbetrag von 69 M. als angemessen an¬
erkannt und gleichzeitig dahin entschieden, daß der Arzt bei seiner Kosten¬
rechnung nicht an die Mindestsätze der preußischen Gebührenordnung gebunden
sei, da er den Kranken nicht als Kassenkranken, sondern als Privatbanken
behandelt habe.
458
Kleinere Mitteilungen ul Beiernt« nun Zeitschriften.
• ■ Bericht 4er AngesteHtenversicherung Bber die Gesell lfli»jab re 1918.
1914 und 1915.
Die Reichsversicberungsanstalt für Angestellte (R. (. A.) ist am 22. März
1912 errichtet worden and hat am 1. Januar 1918 inren eigentlichen Geschäfts¬
betrieb in vollem Umfange anfgenommen. Bis Ende 1916 gehörten außer den
Mitgliedern des Diruktonnms der R. f. A. 18 eiatsmäßige höhere Beamte,
57 kommissarische Hilfsarbeiter, 2 beratende Aerzte nnd 2 Hilfsärzte an.
Bis znm Schlüsse des Jahres 1918 waren bei der R. f. A. 1685097 Auf-
nnhmekarten eingereicht. Im Jahre 1914 kamen 228628 and im Jahre
1916 weitere 216035 Aafnahmekarten hinzu.
Ruhegeld ist im Jahre 1918 nicht gewährt worden, Hinter*
bliebenenrente in 8 Fällen, Ruhegeld und Hinterbliebenenrente im Jahre
1914 in einigen Fällen; im Jahre 1916 wurden Ruhegeld 4mal, Hinterbliebenen¬
renten 10mal bewilligt. Mit derHeilfürBorge wurde im April 1913 begonnen.
Von den im März 1913 bestellten Vertrauensärzten hatten bis zum
Schlosse dieses Jahres 1177 die vertrauensärztliche Tätigkeit ausgettbt. Die
Zahl der bis zum 81. Dezember 1918 eingegangenen Anträge au? Einleitung
von Heilverfahren belief sich auf 10464, von denen bis zum Schlüsse des
Jahres 6892, d. i. 76,63 Ä /o, der erledigten Fälle genehmigt wurden. Von den
ia Jahre 1914 eingegangenen 20 187 Anträgen solcher Art wurden 11021, d. i.
78,7 °/», der erledigten Fälle bewilligt und von den 15079 im Jahre 1915 ein¬
gegangenen 7482, d. i. 60,63 */o der erledigten Fälle. Von diesen 7482 znletzt
genehmigten Heilverfahren betrafen 867 Fälle von Zahnheilverfabren, 82 die
Gewährung anderer Heilmittel and 6683 ständige Heilverfahren, daronter 2175,
d. i. 88,29 */o, solche in Lungenheilstätten.
Durch die Kaiserliche Verordnung vom 16. November 1912 wurde gemäft
§ 168 V. G. f. A. ein Schiedsgericht in Berlin für das gesamte Reichsgebiet
und nach der Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 7. Juli 1918 das Ober¬
schiedsgericht für die Angestelltenversicherung errichtet.
Die Gesamteinnahme an Beiträgen belief sich im Jahre 1918 auf
138128831,77 M., im Jahre 1914 auf 180724 834,32 M. und im Jahre 1916 auf
108909869,99 M. Für Heilverfahren wurden in den drei Berichtsjahren
11380260,26 M., 20818 330,41 M. und 24416518,82 M. verwandt. Für Ruhe¬
geld und- Renten betrug die Gesamtausgabe im Jahre 1916 6682,79 M.
(Veröffentlichung des Gesundheitsamtes; 1916, Nr. 26).
0. Itktsrlologii nd Bsklapftang dar Abertragbaron Krukliltsa.
1. Fleckfieber.
Zur Therapie des Fleckflebers. Von C. Hirsch-Göttingen. Deutsche
med. Wochenschrift; 1916, Nr. 20.
H. behandelt die Fleckfieberkranken mit häufigen kleinen Chinindonen
(0,2—0,20 Chinin, mar. 5 6 mal in 24 Std.); ferner erhält der Kranke anfangs
Digitalis oder ein Digitalispräparat (Digipuratnm), bis er etwa 1,0 g Fol.
digit. titrat. eingenommen hat. Dann werden auch bei guter Herztätigkeit täg¬
lich 2 mal 2 Spritzen 01. campbor. fort, intramuskulär gleichzeitig mit der
Qhiniudarreichnng gegeben, bei Herzschwäche Kompher und Koffein. Wenn
es die Witterang erlaubt, kommen die Kranken im Bett ins Freie; bei der
Freiluftbehandlung erscheint gerade die Lnftwirkung von Bedeutung. Die
Ergebnisse dieser Therapie sind befriedigend. Dr. R o e p k e • Melsungen.
2. Genickstarre.
Zur Lehre von Wesen, Verbreitung nnd Bekämpfung der Meningo¬
kokken - Meningitis. Von Privatdoz. Dr. Oeorg B. G r ud e r - Straßburg 1. B.,
Oberarzt der Res. und Abteilungsarzt im 12. bayer. Feldart.-Regt. Aus der
Königl. bayer. militärärztl. Akademie in Mttnchen. Zeitschrift für Hygiene and
Infektionskrankheiten ; Bd. 80, il. 2.
Die Meningitis epidemica oder, wie Verfasser vorschlägt, Mening. meningo-
coccica ist eine Infektionskrankheit; die Infektion erfolgt vom Rachen aus.
Kitt gewisser Bruchteil der gesunden Menschen trägt den Meningococcus ge¬
wissermaßen als Saprophyten im Schleime des Rachens; jedoch ist zuzugeben,
daß zu den Zeiten, in denen gehäufte Meningitisfälle anftreten, dieser Bruchteil
Kleinere Mitteilung« und Referate aus Zeitschrift«.
4M
höher sein mag. Auf Grmad der Untersuchungen von 10000 nicht erkrankten
Soldaten hat G. Mayer den Satz aufgestellt, daß „dor Mcetogoeeccas in der
Racbenschleimhaat ubiquitär" sei Die Meningitisfälle treten mit geringen
Ausnahmen im frühesten Frühjahr, späten Herbst und Winter auf, eine
nur Zeit der Racheakatarrfae; zu diesen Zeiten werden die Meoingokokken
virulent im Gegensatz zur wärmeren Jahreszeit. Auch Traumen steigern
gelegentlich die Virulenz bczw. geben die Veranlassung zum Auabrueh
einer Meningitis epid. Die Meningokokkenträger sind nicht anders aal»
zufassen und zu behandeln wie die Träger von Pneumokokken. Dafür spricht
nach die Zeit und Periodizität der Erkrankungen an Pneumonie and Meningitis,
ferner die Bevorzugung der jüngeren Altersklassen. Die kruppöse Pncwnonio
Inh wohl z weckmäßig als fort geleitete Entzündung aufzufnasen, v#n der an«,
dann auf metaatalischem Wege die übrigen Pnenmokokkenhcrde im Organismus
also nach Pneumokokkenmeningitiden, entstehen. Die Meningokokken-Menin-
gitis ist schon von vornherein eine Metastase. Die Meningococqaemiß spielt
eine größere Bolle als man früher nun ahm. Zu erwähnen Ist auch aas Vor*
kommen der Meningokokken in den Metastasenorten. Der Meningocoqcus lüf
ein Giftbildner, wodurch sich verschiedene pathologische Befunde erklären; er
Ist ein obligater Parasit des B&chenschleimes vieler Menschen. Für das Zu*
standekommen der Krankheit müssen verschiedene Faktoren zusammen wirken;
z. B. körperliche Disposition uod Schädigung durch das Arbaitsmiliea, du
die Tröpfcheninfektion befördert. Die Meningitis kann nicht ohne weiteres zu
den kontagiösen Erkrankungen gerechnet werden. Die Maßnahmen gegen die
Verbreitung der Meningokokken-Meningitis bestehen darin, daß man der Ver*
breituDg der Keime dnreh Husten, Spucken, Schnäuzen, Nießen und Pneten ! und
damit der Entstehung von Hals*, Bachen* und Nasenentsündusgen vorbengt.
Daraus ergibt sich besonders für Kasernen:
1. Allzu enge Belegung ist zn vermeidon; die Mannschaften sind so zu
legen, daß sie sich nicht anhuston müssen. Gute Lüftung, vernünftige Heizung,
peinliche Sauberkeit der Bäume, Vermeidung aller staub» und rauchentwieketadee
Tätigkeiten (Verbot des trockenen Kehrensl) sind'in selchen Blumen selbst»
verständlich. 1
i. Man sorge für gute persönliche Hygiene der Insassen, Pflege dfes
Körpers und Mundes etc., Schonung der Stimme, Bekämpfung des Tabak»
Schnupfens, Vermeidung allzuvielen Nikotin* und Alkoholgenasses. Bei stark«
Anstrengungen muß anderseits auf genügend Zeit zur körperlichen Buhe ge»
sehen werden, die aber nicht in engen, rauchigen Lokalen gesucht werden darf.
Die Aufspürung von Meningokokkenträgern und ihre Isolierung sind
sehr wenig zweckentsprechend, ebensowenig große Desinfektionsmaßnahm«,
Absperrung von Kasernen und WohnungBkomplexen. Verfasser will die
Meningokokken-Meningitis nicht epidemica auch nicht übertragbar nennen,
wenigstens nicht in dem Sinne, daß sie besonders kontagiös sei und daß jeder
Meningokokkenträger eine Meningitisgefabr für jeden Nebenmenschen bedeute
oder daß ein Meningitiskranker eine Gefahr sowohl für die ihn behandelnde und
pflegende, als ihn sonst umgebende Menschheit darstelle. Genickstarre bezeichnet
nur wieder ein Symptom, der beste Name ist Meningitis meniogococcicb.
(Die Ausführungen dürft« auf Grund der Erfahrungen bei den groß«
Bpidemi« kaum allgemeine Annahme finden. Bef.)
Dr. L. Quadflieg-Gebenkirohen.
3. Geschlechtskrankheiten und Bekämpfung der Prostitution.
Zar Reform der Prostituierteniiberwachung. Von Prof. Dr. Blaschko-
Berlin. Deutsche Strafrechts-Zeitung; 1916, Heft 1/2. ,
Verfasser befürwortet seinen schon früher gemachten Vorschlag, den
Kuppeleiparagraphen (§ 180) folgende Fassung zu geben: „Wer eine weibliche
Person zur Ausübung käuflicher Unzucht verleitet, anwirbt oder anhält, wer
sich zur Vermittlung käuflicher Unzucht anbietet, wird wegen Kuppelei mit
Gefängnb nicht unter .... bestraft. Desgleichen stimmt er der von Beg.-Rat
Dr. Linden au statt § 861 Nr. 6 des Str.G.B. vorgeschlagenen Straf¬
bestimmung zu, wonach mit Gefängnis bestraft wird, wer öffentlich in eintfr
Weise, die geeignet ist, das Sittlichkeitsgefühl zu verletz«, zur Unzucht auf¬
fordert oder sich anbietet." Mit Hilfe dieser Bestimmungen sei die Polizei ip
460
Kleinere Mitteilungen and Referate am Zeitschriften.
der Lege, gegen die Gesamtheit der sieh prostituierenden Dirnen voran gehen,
also nach gegen die sogenannten geheimen Prostituierten, die, weil unkontrollier¬
bar, in benag auf die Verbreitung der Geschlechtskrankheiten die Hauptgefahr
bilden. Die von Linden au als Nebenstrafe empfohlene Dauerüberwachung
der Prostituierten läßt sieh nach 61.8 Ansicht auch auf anderem Wege erreichen
and zwar darch strenge ärztliche Ueberwachung und sofortige Zwangsbehand¬
lung ineinem Krankenhanse. Von den üblichen Geld- und Freiheitsstrafen wegen
gewerbsmäßiger Unzucht sollte man möglichst absehen und nur sichernde Ma߬
nahmen (ärztliche Ueberwachung, Zwangsbehandlung, Schadenersatzleistung bei
Ansteckung) fest setzen, za deren Durchführung allerdings in jedem Orte ein
Gesundheitsamt erforderlich sei. Nur für jugendliche Prostituierte sei Zwangs-
fdrsorge angezeigt, die hier als Daaermaßnahme die grüßte Aussicht auf
Erfolg hat. » _ Rpd.
Prostitutionspolitik nach dem Kriege. Von Dr. Güth, Kommunal-
inspektor und Leiter der Berliner Sittenpolizei. Oeffentliche Gesundheitspflege;
1916, Heft B.
G. bespricht die zurzeit in bezug auf die Bekämpfung der Kuppelei und
dos Prostitutionswesen geltenden Bestimmungen, sowie die in dem Entwurf zu
einer neuen Strafgesetzgebung getroffenen Strafbestimmungen und erörtert dann
in eingehender Weise die Vorzüge und Nachteile der Kasernierung und der
8traßenprostitution, wobei als Beispiel für das Kasernierungssystem namentlich
auf die Bremer Verhältnisse und alB Beispiel für die Straßenprostitution auf
die Erfolge der Berliner Prostitutionsüberwachung Bezug genommen wird. Das
Bremer System eignet sich nooh Ansicht des Verfassers wohl in ordnungs-,
anstands- und gesundheitspolizeilicher Hinsicht für kleine und mittlere, aber
nicht für große Städte. Jedenfalls bedarf die Prostitutionspolitik einer Um¬
gestaltung nach folgenden Richtungen: Der bisherige § 361 6 des Str. G. B. ist
un Sinne des § 805 4 des Vorentwurfes zu ändern und damit die Straflosigkeit
der Gewerbsunzucht an und für sich einzuführen. Iu gleicher Weise iBt durch
Ersatz der bisherigen Kuppelei-Paragraphen (180 Str. G.) im Sinne des § 251
den Vorentwurfes Straflosigkeit der einfachen Wohnungskuppelei vor-
Zusehen. Weiterhin sind reichsseitig allgemeine, für alle Bundesstaaten ma߬
gebende und landesrechtlich einzuführende Vorschriften zu erlassen, nach denen
die Sittenpolizei überall die gesundheitspolizeiliche Seite ihrer Tätigkeit in den
Vordergrund zu stellen und gleichzeitig sich zu einer Zentralstelle für das
seelische Rettungswerk Gefallener zu machen hat, der die Bekämpfung der
durch die Dirnen hervorgerufenen Störungen der öffentlichen Ordnung und
Sittlichkeit zwar daneben, — wenn auch nicht weniger nachdrücklich — obliegt.
Diese Vorschriften müßten den Polizeibehörden freie Hand lassen in der Wohl
des Reglementierungssystems zwischen Straßenprostitution uud Kasernierung
oder aber in der Anwendung beider Formen nebeneinander. Im übrigen müßten
sie bindende Anweisungen enthalten üben ambulatorische Außenbehandlung
geeigneter geschlechtskranker Mädchen und Einrichtung öffentlicher ärztlicher
Sprechstunden hierzu, Nachbehandlung im Anschluß an voraufgegangene
klinische Behandlung, hygienische Aufklärung der Prostituierten - der nicht
eingeschriebenen wie der eingeschriebenen — durch gemeinverständliche Merk¬
blätter usw., mikroskopische Gonorrboekontrolle, Spirocbätennachweis in nötigen
Fällen, Einstellung venerologischer Spezialärzte in der Reihe der Sittenpolizei¬
ärzte, ferner über Sonderverfahren mit minderjährigen Prostituierten, unter
AngliederuDg einer durch Schwestern oder sonstige geeignete weibliche
Personen verkörperte Hilfsstelle für Frauen an die Sittenpolizei mit werk¬
tätigem Anschluß an die vorhandenen retterischen Körperschaften. Rpd.
4. Tetanus.
lieber Tetanus • Schutzimpfung. Von Reg.-Arzt Priratdozent Dr.
E. Löwenstein-Wien, Leiter des Feldlaboratoriums Nr. 12. Wiener klin.
Wochenschrift; 1916, Nr. 17.
Die Frage, ob eine einzige prophylaktische Injektion von Tetanustoxfn
genügt, den Verletzten vor Tetanuserkrankung zu schützen, wird vom Ver-
Kleinere Mitteilungen und Referate aas Zeitschriften. 461
fasser verneint. Jeder Verletzte sollte zweimal mit Tetanassernm gespritet
werden nnd zwar am 8. und am 8. Tage nach der. Verletzung.
Oie Inkubationszeiten bei 96 Tetaausfällen betragen: in 6 Fallen bis
zu 5 Tage, in 43 Fällen 5—10 Tage, in 25 Fällen 10—16 Tage,» in, 14 Fällen
16—20 Tage, in 6 Fällen über 20 Tage.
Oer durch die prophylaktische Seraminjektion erreichte Schatz beträgt
höchstens 5—6 Tage. Um den Organismus während der ganzen Inkubations¬
zeit bis za 18 Tagen lückenlos mit Antitoxin za versorgen, empfiehlt daher
der Verfasser die erste Seraminjektion erst am 8., die zweite 4 Tage später
Torzunehmen. _ Dr. M a y e r - Simmera.
5. Milzbrand.
Beitrag zu der Lehre von der Milrhraddmeningltls. Von Dr. Ernst
von Czyhlarz, Primararzt nnd Privatdozent. Aas der III. med. Abteilang
des Kaiser Franz Joseph-Spitals in Wien. Wiener klinische Wochenschrift;
1916, Nr. 25.
In dem von ihm bearbeiteten Teile des Handbaches der ärztlichen 8ach :
▼erständigentätigkeit von Di tt rieh sagt Kolisko: „Es gibt Milzbrandfälle,
welche ungewöhnlich Tasch und unerwartet, ja selbst ohne daß der Betreffende
oder seine Umgebung eine Ahnung von der schweren Infektion gehabt batten,
znm Tode führen und erst durch die Obduktion die eigentliche Ursache des
Todes als eine Milzbrandinfektion nachgewiesen wird. In solchen rapid ver¬
laufenden Fällen findet man als die Ursache des plötzlichen Todes eine
Intrameningealhaemorrhagie.“ Dem Autor gelang es nicht, in der Literatur
einen Fall von Milzbrandmeningitis ohne tödlichen Ausgang ausfindig^ za
machen. Er selbst batte dagegen Gelegenheit, eine rasch in Heilung aas¬
gehende Form der Milzbrandmeningitis zu beobachten und zwei andere
wurden ihm mitgeteilt. In dem einen Falle handelte es sich um einen
Pferdewärter, der unter schwersten meningitisartigen Erscheinungen — vor
allem anter überaus heftigen Kopfschmerzen — erkrankte. Eine auffallend rasche
Besserung und Heilung trat nach der Lumbalpunktion ein, wobei in.der
blutig gefärbten Flüssigkeit Milzbrandbazillen nachgewiesen wurden.
In dem Falle des Verfassers handelte es sich um eine 24jährige Hilf s-
arbeiterin, die vor 3 Tagen unter Erbrechen, heftigem Kopfschmerz und
Schüttelfrost erkrankt war. Bei der Aufnahme war sie tief benommen. Es
bestand Nackenstarre, Lähmung der linken oberen Extremität, des linken Mund-
facialis und der linken unteren Extremität. Die Lumbalpunktion ergab eine
hämorrhagische Flüssigkeit, die große, G r a m - positive mildbrandartige Stäbchen
enthielt; bei der Züchtung wurde eine Reinkultur von Milzbrandbazillen ge¬
wonnen. Die Wasscrmannsche Reaktion mit dem Venenblute der Patientin
war negativ, die mit dem Liquor ebsp. stark positiv. Am dritten Tage nach
der Punktion war das Sensorium frei, der Kopfschmerz geschwunden. Die
Wassermannsche Reaktion blieb dauernd negativ, eine hubseitige Lähmung
blieb auch nach Wiedereintritt guten Befindens zurück.
(Ueber die Infektionsquelle enthält leider der Aufsatz keine Angaben.)
Dr. Mayer-Simmern.
D. Hygiene and 6ffentUohez Oeeandhelteweeen.
1. Gewerbehygiene.
Hautschädigungen durch Kalkstickstoff.' Von Reg.- und Med.-Rat
Dr. K o e 1 s c h - München. Zentralblatt für Gewerbehygiene; 1916, Nr. 5.
Der relativ hohe Kalziumgehalt des Kalkstickstoffes legt von vornherein die
Vermutung nahe, daß dieser Verätzungen zu erzeugen vermag. Mehr noch als bei
den pflanzlichen Lebewesen macht sich die Aetzwirkung am Menschen geltend,
der mit dem feinpulverigen, daher leicht verstaubbarea Kalkstickstoff bei der
Herstellung oder Verwendung zu arbeiten hat.
Schutzvorschriften für die landwirtschaftlichen Verbraucher hat die
Verkaufsveroiuigung für Stickstoffdünger, G. m. b. H. in Form eines Merkblattes
zosammengestellt. Es sind recht weitgehende Maßregeln, die die Verkaufsyer-
einigung empfiehlt; im Hinblick aaf manche ländliche bezw. kleinbäuerliche
Verhältnisse mag ihre Durchführbarkeit and Durchführung mit Recht an-
468 Kleinere HRteilnngen ud Beiente aas Zeitschriften.
gemreüelt werden. Immerhin sind aic geeignet, die Aufmerksamkeit der Ver¬
braucher za erregen ud diese zur Vorsicht na ermahnen; dadurch werden
sicher manche Verätzungen vermieden werden, die sonst eine Wochen- and
monatelange Brwerbsbescaräaking zur Folge gehabt hätten.
Dr. Wo 1 f - Haaan.
Einiges über di« Beschäftigung von Arbeiterinnen und jugendlichen
Arbeitern während des Krieges. Von Gewerbeassessor Kö rner-Potsdam.
Zentralblatt für Gewerbebygiene; 1916, Nr. 5.
Aach bei den außergewöhnlichen Verhältnissen der Kriegszeit scheinen
die Forderungen unserer Arbeiterechutzgesetzgebung so weit durebgefflhrt
zu sein, als es mit den Interessen der Landesverteidigung vereinbar ist. Gewiß
sind bei der Beschäftigung von Frauen und jugendlichen Arbeitern auch manche
Uuznträglichkeiten vorgekommen; im allgemeinen werden aber dank der lang*
jährigen Hebung und der offensichtlichen Erfolge unseres Arbeiterscbutzes durch
Schaffung hoher, luftiger und möglichst staubfreier Arbeitsräume, durch weit*
gebende Verwendung maschineller Einrichtungen, durch Schutz gegen Unfall-
gefafar nnd giftige 8toffe nsw. schwere Nachteile für die Gesundheit
der besonders schatzbedürftigen Arbcitcrartcn verhindert. Trotzdem maß
etwaigen Bestrebungen, die Branchbarkeit der weiblichen Arbeit auch nach
Friedensschi aß als billige Arbeitskraft zu verwenden, cntgcgcngchalten werden,
daß der jetzige Umfang der Frauenarbeit vom volkswirtschaftlichen Standpunkt
aus durchaus nicht zu billigen ist. Falls es notwendig werden sollte, wird
man sogar eine Verschärfung unserer Arbeiterschutzgesetzgebung nicht scheuen
dürfen, um die große Zahl der Frauen, die die Not der Kriegszeit zur Fabrik¬
arbeit gezwungen bat, ihren wichtigen Aufgaben in Haus and Familie wieder
zuzofünren. Dr. W o 1 f - Hanau.
2. Nahrungnxaittelhygiene.
Me Resorbierbarkeit der Nährhefe. Von Max Rubner. Münchener
med. Wochenschrift; 1916, Nr. 18.
Die grüne Pflanze ist die eigentliche Maschine zur Gewinnung von
Nahrung und Energie, alle anderen Bestrebungen sind vorläufig aussichtslos.
Auch die Nährhefe hat eine Vermehrung der Nahrungsmittel nicht gebracht.
Die Von der Nährhefe zum Aufbau verwendeten Nährstoffe werden auf dem
Acker viel zweckmäßiger verwendet als durch den Umsatz mittels Hefe.
Praktische Ernährung ist nicht nnr im Stoffwecbselproblem, sondern im Problem
der Nahrungsmittel, ein diätetisches Problem. Wir sind noch lange nicht so
weit, um mit der Lösung des Stoffwechselproblemes zufrieden zu sein. Die
Hefe zeichnet sich durch erheblichen N-Gcbalt ans, der wesentlich auf Eiweiß-
stoffen und Nnkleinverbindungen za beziehen ist. Die Zellcnmembran ist sehr
dünn; man nimmt an, daß sie aus Zellulose besteht. Versuche mit Hefen*
verfütterung au Hunden, die noch dazu die nötige Menge Fleisch erhielten,
ergaben schon am zweiten Tage einen dünnen, gasigen Kot; die Fleischver-
fütteruDg hat gewissermaßen die Resorption der Hefe mit besorgt. Das Ge*
Samtresultat der Resorption der Hefe ist aber nicht ungünstig; trotzdem sind
die in den Reklameschriften enthaltenen Urteile mit Mißtrauen anfznnebmen,
da sie stets eine Verwechslung des Nährstoffwertes mit der diätetischen Be¬
deutung enthalten. Die Hefe kann nie die Bolle des Fleisches übernehmen;
sie iat weder Fleisch noch Pflanzenfleiscb, denn letzteres gibt cs bis jetzt
überhanpt nicht. _ Dr. G r a ß 1 - Kempten.
3. Schulhygiene.
Frellufkerzlehuug. Voa Margarete Weinberg. Halbmonatsschrift
für soziale Hygieae und praktische Medizin; 1916, Jahrgang 84, Nr. 10.
Den Ursprung der Freiluftschule bildet das Sanatorium; schon vor
12 Jahren wandte die Stadt Charlottenburg diese Erziehungsmethoden an.
Verfasserin schildert den Stundenplan einer englischen Schule, wo die Kinder
fast den gesamten Unterricht im Freien genießen. Sie erwähnt dann die
Freiinftklasse, wo der Unterricht in einer Klasse gegeben wird, die an einer
L ä ngn a ei te ganz edfan ist. Ein weitem Typus für Frailuftersiehang ist die
Besprechungen.
4M
Spielplatzklasse, wo die Kinder bei günstiger Witterung auf dem SpMplats
unterrichtet werden. Die Kinder sollen an gute Lnft gewohnt and ihnen
gegen verdorbene Lnft Widerwillen eingeflößt werden; außerdem sollen sie nr
Reintiehkeit and zar Körperpflege angehalten werden.
Dr. Hof f mann-Berlin.
4. Jugendfürsorge.
Die Erziehung der Jagend zar Wehrtiichtlgkelt. Von Schularzt Dr.
Wimmenaaer-Mannheim. Zeitschrift für Schulgeeundheitspflege; 1916, Nr.6.
Verfasser kritisiert den Aufsatz von Thiele über „Aerztliche Beob¬
achtungen an Teilnehmern eines Armeegepäckmarsches“, in dem dieser der-
S leieben Unternehmungen fär unbedenklich hält, obwohl nach dem Ergebnis
er Untersuchungen eine große Anzahl der Teilnehmer allerlei Stoffwechsel*
Veränderungen aufzuweisen hatte. Wimmenauer warnt davor, solche Ex¬
perimente mit unserer Jugend zu wiederholen. Er will überhaupt nicht
dergleichen militärisch gerichtete Leibesübungen bei unserer Schuljugend ein¬
geführt wissen, wendet sich aber vor allem entschieden dagegen, den Turn¬
unterricht etwa auf Kosten eines halbtheorctischen militärischen Dienstunterrichts
zu beeinträchtigen. Die Entfaltung der jugendlichen Kräfte soll man nach
ihm sich in den Formen auswirken lassen, die ihr angemessen und natürlich sind.
Wie die Sachen jetzt liegen, glaubt Referent, wird eine irgenwie ge¬
artete körperliche Ausbildung unserer Schuljugend im Sinne einer gewissen
Vorbereitung zum Militärdienst künftig eingeführt werden. Ernstliebe Bedenken
dagegen dürften auch seitens der Schulhygiene kaum za erheben sein, sofern
dem Sebalarzt die nötige Mitwirkung zuteil wird.
_Dr. Selbrig-Königsberg.
fl. Krankenftlnwrge.
Ledigenheim Charlottenburg. Halbmonatsschrift fflr soziale Hygiene
und praktische Medizin; 1916, Jahrg. 24, Nr. 10.
Aus dem Bericht über das Geschäftsjahr des Ledigenheims Charlotten*
bürg interessiert, daß von den Ledigen, die das Heim benutzten, 877 im- Älter
uater 20 Jahren, 693 im Alter von 21 — 40 Jahren, 316 im Alter von 41. bis
50 Jahren, 99 im Alter von 51—60 Jahren, 48 im Alter von 61—70 Jahren und
24 im Alter von über 70 Jahren .standen. Dr. Hof f mann-Berlin.
Besprechungen.
Prüf. Sr. X. v. Buebka, Geh. Ober-Reg.-Rat und Vorstand der Kaiserlichen
Technischen Prüfnngsstelle in Berlin: Das Lebensmittelgewerbe. Eia
Handbuch für Nahrungsmittelchemiker, Vertreter voa Gewerbe and Handel,
Apotheker, Aerzte, Tierärzte, Verwaltuegsbeamte und Richter. 1. Band.
Leipzig 1913/15. Lex. 8“; 891 8. Preis: 38 M., geb. 40 M.
In dem unter Mitwirkung zahlreicher Mitarbeiter verfaßten Handbaeh
haben sich der Herausgeber und die Bearbeiter der einzelnes Abschnitte die
Aufgabe gestellt, die zur Erzeugong unserer Lebensmittel dienenden Rohstoffe,
deren Menge und technische Verarbeitung, auch die Bin- und Ausfuhr dor
Rohstoffe und der fertigen Erzeugnisse eingehend zu berücksichtigen. Gleich-
neitig sind aber auch alle für die Feststellung der stofflichen Bcschaflenheit
der Lebensmittel in Betracht kommenden Fragen, ferner die auf die Ueber-
wachung des Verkehrs mit Lebensmitteln bezüglichen gesetzlichen Bestim¬
mungen, nach die des Auslandes, soweit dies für den Inlands«erkefar von
Wichtigkeit ist, sowie endlich die Rechtsprechung in Lebensmittelfragen eia*
gehend in die Darstellung cinbezogen worden. Es sollte aof diese Weise ein
möglichst vollständiges Bild des gesamten LebensmittelgeweTbes und aDev
darauf bezüglichen, die Erzeugung und den Vertrieb der Lebensmittel
betreffenden Fragen vom Standpunkte der Lebensmittelgesetzgebnng ans ge*
geben werden. Diese Anfgabe ist, soweit sich nach dem bisher vollständig
erschienenen ersten Bande beurteilen läßt, in vorzüglicher Weise gelöst. Gerade
jetzt, wo infolge des Krieges die Nahrungsmittelfälschang und die Herstellung
minderwertiger Ersatznährstoffe einen ganz außerordentlichen Umfang ge-
464
Besprechungen.
nommea hat,' hat ‘ein derartiges Werk einen doppelten- Wert und wird
deshalb auch Ton den in Betracht kommenden Kreisen mit großer Freude
begrüßt werden. Der erste Band bringt zunächst als Einleitung zwei Ab¬
handlungen über menschliche Nahrang (Prof. Dr. Kreutz, Privatdozent in
Straßbarg L Eis.) and über Nahrangsmittelverkehr im allgemeinen (Prof. Dr.
v. B n c h k a), von denen namentlich die letztere, in der auch die Gesetzgebung
eingehend berücksichtigt ist, die Leser dieser Zeitschrift interessieren dürfte.
Es folgen dann die Abschnitte Uber alkaloidhaltige Nabrungs* and
Genaßmittel — Kaffee und Kafffee-Ersatzstoffe sowie Tee (Dr. A. Haster-
1 ik• München), Kakao und Schokolade (Prof. Dr. A. Kreutz) und Tabak
(Dr. H. W i 11 e - Merseburg) (Abschnitt I) —, über Essig (Dr. H. Witte-Merse¬
burg) (Abschnitt II), über Proteinhaltige Nahrungsmittel. — Fleisch
and Fleischwaren sowie Eier (Prof. Dr. A. Re in sch-Altona) (Abschnitt III),
über Speisefette and Oele (Dr. K. Fis eher-Bentheim) (Abschnitt IV) and
über Trinkbranntweine and Liköre (Dr. W. Bremer) (Abschnitt V). In allen
diesen Abschnitten wird überall zunächst eine Schilderung der betreffenden
Lebensmittel, ihr Vorkommen and ihre Herstellung sowie die Beaufsichtigung
des Verkehrs damit gegeben; es folgt dann eine Darstellung ihre chemische
Zusammensetzung, an die sich noch solche der Untersuchungsmethoden (Probe¬
entnahme, Sinnenprüfnng, mikroskopische und chemische Untersuchung) an-
schließt. Hierauf folgen Anhaltspunkte für ihre Beurteilung unter Berück¬
sichtigung der Rechtsprechung sowie eine Besprechung der Verfälschungen
und der Ersatzstoffe. Die sachgemäße, klare und alle einschlägigen Punkte
berücksichtigende Darstellung der einzelnen Abschnitte zeigt, daß ihre
Verfasser, die sowohl durch ihre bisherige wissenschaftliche Tätigkeit, und
vor allem durch ihre berufliche Erfahrung die eingehendste Vertrautheit
mit den von ihnen bearbeiteten Sondergebieten besitzen, ein Werk geschaffen
haben, das als zuverlässiger Ratgeber niemals im Stich lassen und sich als
solches nicht nur bei chemischen, sondern auch bei wirtschaftlichen und
S oaetzliehea Fragen auf dem Gebiete des Lebensmittelgewerbes bewähren wird.
[Qge es deshalb eine recht weitgehende Verbreitung finden. Rpd..
Zwsitsi und dritten Jah roa-gupplomoat 1910/1611 (Baad XXHI)
«ad 1911/19 (Band XXIV) zu Bayern Grossem Koawarnatloan-
1 Lexikon, sechste, gänzlich neubearbeitete und vermehrte Auflage. 1006 bezw.
1020 Seiten Text mit 994 bezw. 1160 Abbildungen, Karten nnd Plänen im
Text und auf 90 bezw. 110 Bildertafeln (darunter 9 bezw. 7 Farbendrucktafeln
und 7 bezw. 14 selbständige Kartenbeilagen) sowie 3 bezw. 8 Textbeilagen.
In Halbleder gebunden je 10 Mark oder in Prachtband je 12 Mark. Ver¬
lag des Bibliographischen Instituts in Leipzig nnd Wien. 1914 u. 1916.
Das Bestreben des Verlags von Meyers Großem Konversations-Lexikon,
diesee bedeutende Werk auch weiter mit der unaufhaltsam vorwärts drängenden
Zeit Schritt halten zu lassen, kommt durch die Herausgabe von zwei neuen
Bänden, des zweiten und dritten Jahres-Snpplements (Band XXILI), zum
Ausdruck, dessen vielseitiger Inhalt einmal vieles inzwischen Veraltete ergänzt,
richtigstellt und fortführt, sodann aber auch durch eine beträchtliche Reihe
völlig neuer Artikel überrascht. Im zweiten Jahres-Supplement finden wir
z. B. höchst lehrreiche Beiträge znr Fortführung der Staatengeschichte und
ihrer wirtschaftlichen Beziehungen, gehaltvolle Uebersichtsartikel über die Er¬
forschung der fremden Erdteile, Einzelartikel über die Besitzveränderungen der
M&ohte und ihren Kolonien,- über die Entwicklung der Großstädte Berlin,
London, Neuyork, Paris, Wien, ferner die trefflichen Berichte über die Literatur
der verschiedenen, Länder, desgleichen solche über die Fortschritte der Chemie,
der chemischen Technologie und Metallurgie, der Physik und Technik, der
Medizin und Bakteriologie usw. In dem ebenso vortrefflich bearbeiteten
dritten Jahres-Supplement (Band XXIV) interessieren die Leser dieser Zeit¬
schrift die zahlreichen, sich mit der Arbeiterfrage befassenden Abhandlungen
über: „Arbeiterversicherung“, „Arbeitsmarkt“, „Arbeitsnachweis“, „Minimal¬
lohn“, „Reichsarbeitsblatt“, „Sehieds- und Einignngsämter“, „Versicherung im
Deutschen Reich“, „Sozialpolitische Gesetzgebung“ u. a. und vor allem die Ab¬
handlungen über die sozialen Fragen: „Mittelstandsbewegung“, „Kriegs¬
wirtschaft“ (Krieg und Volkswohlfahrt), „Moralstatistik“, „Alkohol!tmus und
Tagten ächrichten.
4M
8chule“, -Schulspeisungen 14 , „KfalderheÖÄt&tten‘, ^Kinderleseh&llen 44 , „Kinder*
Volksküchen 44 , „Sterblichkeit im Beruf“*' „Bevölkerungsbewegung“ ^Geburten-
rttckgang!), „Einfamilienhaus* u. a. Kein Besitzer des Leilkonö sollte sieh
die Anschaffung der Bände entgehen lassen, die übrigens auch- als selbständige
Werke Von großem Nützen und praktischer Bedeutung sind.
Dr; Boepke-Melsungen. '
Tagesnachrichten.
Der Vorstand des Kriegsernährungsamtes hat im Verein mit den
Vorständen zahlreicher großer wirtschaftlicher Verbände Unter dem 1. d. Mts.
folgenden Aufruf au die Verteidiger des Vaterlandes im Inlande
erlassen, der hoffentlich' überall volle Zustimmung und Beachtung linden wird:
„Zwei volle Kriegsjahre mit all ihren Schrecken und Nöten haben die
Deutschen nunmehr ertragen müssen.' Ungeheure Opfer sind ihm aufgelegt
Worden. Sie wurden dargebracht, weil die Abwehr des Angriffes einer Ueber¬
zahl von Feinden auf den Bestand des Beiches und die Freiheit der nationalen
und wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands sie forderten. Der unvergleich¬
liche Todesmut unseres Meeres hat sich als unüberwindlich erwiesen.
Von wichtigen Zufuhrstraßen des Weltverkehrs abgeschnitten und auf
den Ertrag der eigenen Scholle angewiesen, hat das deutsche Volk das
zweite schwere Kriegsjahr zu überstehen vermocht, indem es tapfer und
entsagungsvoll seine Friedensgewohnheiten änderte und durch .Einschränkungen,
ja durch Entbehrungen die schwere Mißernte des letzten Jahres auszugleichen
wußte. 'Der Höhepunkt der an die Entsagungsfähigkeit des Volkes gestellten
Anforderungen traf zusammen mit den gewaltigsten militärischen Anstren¬
gungen, die je ein Volk bei der Abwehr einer Unzahl von Feinden zu
leisten hatte.
Neben dem wütenden Kampf gegen die lebendige Wehr, die Heimat und
Herd des deutschen Volkes schützt, führt der Feind einen schmählichen
Krieg gegen Frauen Und Kinder. Was die Waffengewalt auf dem
Schlachtfelde nicht vermag, das soll der Hunger erzwingen. Wir sollen mürbe
gemacht, der zähe Widerstand unserer Heere in der Heimat gebrochen
werden.
Das wird ihnen nicht gelingen. Auf den heimischen Fluren reift
uns eine Ernte entgegen, die reicheren Ertrag verspricht, als die vorjährige.
.Sie wird uns die Sicherheit bieten, daß bei richtiger, die Mängel der bisherigen
Regelung .vermeidender Verteilung die Hingabe der Opferwilligkeit unseres
Volkes keine seine Kräfte übersteigende Belastungsprobe erfahren wird.
Das Kriegsernährungsamt wird alles daran setzen, - daß die
Nahrungsmittel gerecht und gleichmäßig verteilt werden und daß die Preise
nicht über die durch die Kriegsverhältnisse gebotene. Grenze hinausgehen.
Soweit sich ohne Gefährdung der Bedarfssicherung eine Senkung des Preis?
Standes der Nahrungsmittel ermöglichen läßt, wird darauf hingewirkt werden.
Auch bei Durchführung dieser Grundsätze muß sich das deutsche Volk Be¬
schränkungen auferlegen. Sie sind aber gering -anzuschlageu gegenüber dep
Entbehrungen und Opfern, die unser Heer seit zwei Jahren willig trägt.
Unermeßlichen Dank schulden wir in der Heimat den Tapferen da
draußen, die .unsere Grenzen, schützen, Ihr. Vorbild soll uns leiten bei der
Anpassung an die Kriegsernährungsverhältnisse. So erfüllen wir einen Teil
unserer Dankespflichten und bekunden den unerschütterlichen Siegeswillen des
deutschen Volkes durch die Tat.
Errichtung eines Kriegswucheramtes. Der preußische Minister des
Innern hat die Errichtung einer besonderen Zentrale zur Bekämpfung des
Wuchers und sonstiger unlauterer Gebahrungen im Verkehr mit Gegenständen
des täglichen Bedarfs verfügt, die dem Königlichen. Polizeipräsic
dium in Berlin angegliedert wird und die Bezeichnung „Kriegs-
wucheramt“ führt. Das Amt wird seine Tätigkeit am 15. August auf¬
nehmen. Es soll mit den Polizeibehörden und den Behörden der Staatsanwalt-
4M IigMMUfihtili
schalt im gaüida Lude in Verbindung treten und nametttlich auf ein enges
Zusammenarbeiten zwischen Polizei, Staatsanwaltsehait und Gericht hin wirken.
Deshalb sind ihm sowohl Verwaltungsbeamte, wie Beamte der Staatsanwalt*
Schaft zugeteilt. Die oberste Leitung des Kriegawucheramtes liegt-in
der Hand des Polizeipräsidenten Ton Berlin; als Beamte werden auch Sach*
verständige aus den. verschiedenen Wirtschaftszweigen vom Minister des
des Innern zu ständigen Mitgliedern des Kriegswucheramtes bestellt werden,
damit in der wichtigen Tätigkeit des Amtes die praktischen Erfahrungen an*
erkannter Sachverständiger gebührend zum Ausdruck kommen. Außerdem
wird dem Kriegswucheramte, um eine ständige Fühlung mit den verschiedenen
Erwerbszweigen und mit der Oeffentlichkeit zu erhalten, ein beratender
Ausschuß beigegeben, in den Vertreter der Landwirtschaft, der Industrie,
des Bandwerks und der Verbraucher, sowie im öffentlichen Leben stehende
Männer durch den Minister des Innern berufen werden.
Das Kriegswacheramt soll die Bekämpfung des Kriegswuchers
und ähnlicher Unlauterkeiten einheitlich leiten und möglichst wirksam
gestalten; namentlich hat es seine Aufmerksamkeit anf die Verfolgung von
Ueberschreitungen der Höchstpreise und übermäßigen Preissteigerungen, Zurück*
haltung von Waren, Kettenhandel, den Schwindel mit Ersatzmitteln
und weiteren derartigen Mißständen zu lenken. Seine Zuständigkeit erstreckt
sich jedoch nur auf Gegenstände des täglichen Bedarfs, besonders auf
Lebens- und Futtermittel aller Art, rohe Naturerzeugnisse, Heiz* und
Leuchtstoffe, Waschmittel, Kleidungs- und Schuhwaren. Der Minister des
Innern hat dem Kriegswucheramt umfassende Befugnis gegenüber den Polizei¬
behörden und andern Preisprüfungsstellen beigelegt. Eine größere Zahl eigener
Exekutivbeamten ermöglicht es dem Kriegswncheramt, in wichtigeren Wncher-
fällen ohne Zeitverlust Ermittelungen im ganzen Lande mit Unterstützung
der Polizei anzustellen. Ueber das Zusammenwirken zwischen den Behörden
der Staatsanwaltschaft und dem Kriegswucheramt hat der Justizminister nähere
Anordnungen erlassen.
Man kann die Errichtung des Kriegswucheramtes nur mit Freuden be-
f 'rüßen; sie entspricht den vielfach auch aus den Kreisen der Medizinalbeamtea
aut gewordenen Wünschen.
Im Medizinalamt der Stadt Berlin ist eine Zentralhilfhstelle
für Krankenernlhrnng unter Leitung des Stadtmedizinalrats Dr. Weber er¬
richtet. Hier sollen alle Sonderbewilligungen von Nahrungsmitteln, die von
den Aerzten auf besonderen, im Medizinalamt zur Verfügung gestellten Attest¬
formularen für ihre Kranken beantragt werden, nach vorangehender vertrauens¬
ärztlicher Begutachtung bearbeitet werden. Ein besonderes Merkblatt für
Aerzte, das jedem Attestformular beigegeben wird, unterrichtet diese über alle
Einzelheiten. Statt Bewilligung von Sonaerzulagen auf ärztliche Bescheinigung
kann auch die Gewährung von Mittagessen beantragt werden, das von der Küche
eines städtischen Krankenhauses in drei verschiedenen Formen gegen Erstattung
der Selbstkosten verabfolgt wird. In erster Linie würde hierbei die Bewilli¬
gung von Milch, Mehl statt Brot, Hafergries, Reis, Gries und ähnlichen Roh¬
stoffen in Betracht kommen; es können aber auch Bntterzulagen, insbesondere
für Zuckerkranke, und in begrenzten Fällen Bier und Fleischzulagen gewährt
werden.
Weiterhin hat der Berliner Kriegsausschuß für Volksernflhrung in seiner
Sitzung am 21. v. M. unter Vorsitz von Ministerialdirektor Dr. Kirchner
beschlossen, neben den städtischen Krankenhäusern Berlins auch die übrigen
Groß - Berliner Krankenanstalten zur Verabfolgung von Krankenkost her-
anzuziehen. Mit Rücksicht auf deren zum Teil ungünstige Lage sollen aber
noch andere Diätabgabestellen eingerichtet werden. Außerdem soll die Schaffung
ähnlicher Organisationen in anderen Städten in die Wege geleitet werden. Die
vorbereitenden Schritte dazu haben Ministerialdirektor Dr. Kirchner, Stadt¬
medizinalrat Dr. Webir, Prof. Dr. L. Kuttner und San.-Rat Dr, Moll über-
nommen.
Die JnbUftMMwtlftuff 4 n PniUukmt Medlzlnalbs— teuTsreins ist
tm dem Ter zwei Jahren verstorbenen Geh. MecL-RatDr. Finger in Münster*
borg (Schlesien) in seinem Testament mit einem VermSchtnis von 8000 Mark
bedacht worden, zn dessen Auszahlung sich seine Witwe in hochherziger Weise
schon jetzt mit Rücksicht aal den edlen und segensreichen Zweck der Stiftung
bereit erklärt hat, obwohl ihr die Nutznießung des Kapitals bis zn ihrem
Tode zustaad. Der verstorbene Kollege hat seinerzeit die Grundnag der Stif¬
tung mit großer Freude begrüßt und diese sieht nur damals, sondern auch
später wiederholt durch namhafte Beiträge unterstützt. Die vorzeitige Aus¬
zahlung des Vermächtnisses ist der beste Beweis, daß auch seine hochverehrte
Frau Gemahlin der Stiftung ein gleiches warmherziges Interesse entgegen¬
bringt, wofür wir ihr um so dankbarer sein müssen, als es der Stiftung da-
durcn ermöglicht wird, die infolge des .Krieges in erhöhtem. Maße an sie heran¬
tretenden Unterstützungsgesuche noch mär als bisher berücksichtigen zu
können. Ihr sowohl, als vor allem dem Stifter selbst der herzlichste und tief¬
gefühlteste Dank! Sein Andenken wird von den Mitgliedern der preußischen
Medizinalbeamten und namentlich ven den Mitgliedern der Jubiläumtiftung
allezeit in hoben Ehren gehalten werden!
Der Deutsche Verein für PsycMntrie wird am 21. und 28. Sep¬
tember d. J. eine Kriegetagung in München abbaltea. Zn Verhandlungen
kamen: 1. Erfahrungen aus dem Kriege über die Aetiologie psychopathologi-
scher Zustände, Berichterstatter: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Bonhoeffer-Berlin.
2. Dienstbrauchbarkeit der Psychopathen; Berichterstatter: Privatdozent Dr.
Wilmanns -Heidelberg. 8. Frage der Dienstbeschädigung bei den Psychosen;
Berichterstatter: Geh. Med.-Bat Prof. Dr. Meyer-Königsberg i. Pr. Am
22. September wird eine gemeinschaftliche Sitzung mit der Gesell¬
schaft Deutscher Nervenärzte stattfinden, auf der die Professoren
Dr. Oppenheim-Berlin, Dr. Nonne-Hamburg und Dr. Gaupp-Brlangen
ttbor Neurosen nach Kriegsverletzungen berichten werden. Es wird gebeten,
eigene Erfahrungen nicht in Form von Vorträgen, sondern in der Besprechung
der erstatteten Berichte mitzuteilen.
Ehrentafel. Es haben weiterhin erhalten das
Biserae Kreuz LKasse:
Oberarzt d. Bes. Dr. Boerst-Seden (Werra) (Reg.-Bez. Kassel).
Oberstabsarzt d. L. San.-Rat Dr. Karl Frank-Berlin.
Generalober- und Korpsarzt Dr. Hahn-Freiburg i. Breisgau.
Generalarzt d. L. Prof. Dr. Hofmeister-Stuttgart.
Generalober- und Armeearzt Dr. Merkel-Köln a. Bh.
Stabsarzt d. Bes. Dr. Neddersen -Aurich (Ostfriesland).
Oberstabsarzt Dr. Bosenbaum) Kreisarzt in Strelno (Posen).
Assistenzarzt d. Bes. Dr. Berthold 81ah r-Lübeck.
Oberstabs- und Divisionsarzt Dr. v. Zander-Perleberg (Reg.-Bez.
Potsdam).
Ferner haben erhalten:
Den Bayerischen Militär-Verdienstorden IV.Klasse mit
Krone und Schwertern: Oberttabsarzt d. Bes. Dr. Bauh, Bezirksarzt
in Erding. _
Ehre« - OodlohtnlztafoL Für das Vaterland gefallen oder gestorben
sind ferner:
Feldunteravzt Fr. Bob rer-Erlangen.
. Stabsarzt Dr. Emden-Darmstadt.
Stabsarzt d. Bes. Dr. Hnbert Er misch, Oberarzt an der Provinzial-
Heil ans t< Treptow (Reg.-Bez. 8tettin).
Stabsarzt d. L. San.-Rat Dr. Fichtel-Hannover (infolge von Krankheit
gestorben).
Assistenzarzt d. Bes. Dr. Furtmayr.
Oberarzt d. L. Dr. Paul Germ er-Magdeburg.
Oberarzt Dr. Ludwig Hagenau-Straßburg l Eis.
468
Ti) }giiw bikh t M.
'Oberstabsarzt Dr.Hochefseh-Mätbach (Württemberg).
Oberarzt d. Res. Dr. Pani H ö n s c h - Ostrowo (Reg.-Bez. Posen) (infolge
▼on Krankheit gestorben).
Feldunterarzt Felix Leyser-Mühlhausen (Thüringen). '
Stabsarzt d. L. Dr. Max Liebers, Oberarzt an der Heilanstalt Dösen
. bei Leipzig und Gerichtsassistenzarzt.
Stabsarzt d. Res. Dr. Anton Lurz•Geroldshausen (Untorfranken).
Feldarzt Dr. Wilh. Emil Nickstaedt-Dortmund.
Truppenarzt Dr. Paul Hermann Paetzold- Dresden.
Feldunterarzt E. Priemer.
Felduntorarzt B. Rem Ley.
Stabsarzt d. Bes. Dr. Gottfried B o t h • Bad Reichenhall.
Reg.-Arzt d. L. Dr. Sailer, Stadtarzt in Murrhardt (Württemberg).
Unterarzt C. ▼. Scheidt-Elsdorf (Rheinland).
Stabsarzt d. Bes. Prof. Dr. Friedrich Schenk-Marburg (infolge von
Krankheit gestorben).
8tabsarzt Dr. 0. Schräder -Düsseldorf.
Generaloberarzt z. D. Dr. Karl Wilh. Trenkler-Dresden.
Generaloberarzt a. D. Dr. Bernhard Wende, Lagerarzt am Kriegs¬
gefangenenlager bei Zerbst (infolge von Krankheit gestorben).
Assistenzarzt Dr. Alfred Zahn-Genf (infolge von Krankheit gestorben).
Weiterhin ist auf dem Felde der Ehre gefallen: Einj.-GefreiterStüd. med.
Hermann Schmidt, Sohn des Bezirksarztes Dr. Schmidt in Oelsnitz
(Königr. Sachsen).
In den letzten vier Wochen ist in Deutschland keine und in
Oesterreich nur eine Cholera-Erkrankung vorgekommen.
Fleckfieber-Erkrankungen. Im Deutschen-Reich ist in den Wochen
vom 25. Juni bis 8. Juli und 9.—15. Juli je 1 Fall unter Kriegsgefangenen'vor¬
gekommen; in Oesterreich sind in den 4 Wochen vom 27. April bis 24. Mal
419, 366, 366 und 440 Erkrankungen gemeldet, davon 294, 310, 297 und 410
in Galizien; in Ungarn betrug ihre Zahl vom 29. Mai bis 11. Juni: 9, vom
12.—18. Juni: 6 und vom 26. Juni bis 2. Juli: 1.
Pocken. Im Deutschenßeich sind in den fünf Wochen vom 26. Juni
bis 29. Juli 6, 3, 7, 2 und 5 Erkrankungen gemeldet; außerdem sind 53 bzw. 26
Erkrankungen unter den wolhynischen Rückwanderern in Heilsberg (Reg.-Bez.
Königsberg) festgestellt; in Oesterreich betrug die Zahl der Cholerafälle
in den 4 Wochen vom 28. April bis 20. Mai: 187, 274, 287, und 284, davon
116, 198, 202 und 146 in Galizien.
Erkrankungen und Todesfälle. an ansteckenden Krankkelten ln
Preuften* Nach dem Ministerialblatt für Medizinal-Angelegenheiten sind in der
Zeit vom 25. Juni bis 15. Juli 1916 erkrankt (gestorben) an Pest, Gelb¬
fieber, Cholera, Trichinose, Botz, Tollwut: — (—G, — (—), — (—);
Bißverletzungen durch tollwutverdächtige Tiere: 12 (—),
6(—), 12(1); Fleisch-, Fisch-und Wurstvergiftung: 4(—), 20(9),
71 (—); Aussatz: —(1), — (—), — (-); Malaria: — (—), - (—),!<-);
Milzbrand: 2 (-), 1J (-), — (—); Pocken: 12 (—), 7 (1), 10 (1);
Fleckfieber: — (—), 2 (—), — (—); Bückfallfieber: — (—), 1 (—),
— (—); Paratyphus: — (—),' 6 (—), 13 (—); Unterleibstyphus:
149 (14), 198 (18), 199 (14); Ruhr: 49 (9), 49 (4), 65 (11); Diphtherie:
1596 (94), 1741 (128), 1694(96); Scharlach: 1309 (48), 1889(67), 1201 (61);
Kindbettfieber: 53(12), 47 (10), 44(16); Genickstarre: 20(8), 6(2),
10 (5); spinaler Kinderlähmung: — (—), 1 (—) 1 (—); Körner¬
krankheit (erkrankt): 65, 75,124; Tuberkulose (gest): 690, 784, 701.
Redaktion: Prof. Dx. Rapmund, Geh. Med.-Rat in Minden i. W.
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Zeitschrift —
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MEDIZINALBEAMTE.
Zentralblatt
für das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie,
des staatlichen und privaten Versicherungswesens, sowie für das
Medizinal- und öffentliche Gesundheitswesen, einschließlich der
Hygiene und Bakteriologie.
Her&usgegeben
Ton
Prot Dr. OTTO RAPMUND,
Geh. Med.-Rat In Minden t.W.
Offizielles Organ des Deutschen, Preussischen, Bayerischen, Sächsischen,
Wörttembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen, Thüringischen,
Braunschweigischen und Eisass-Lothringischen Medizinalbeamtenvereins.
Verlag von Fiseher’s med. Bnehhandlg R Kornfeld«
HeraogL Bayer. Hof* jl K. tu K. >-
Berlin W. 62, Keithstr. 5.
Audfsi mthmtn Ale Tttiefflhandlunf »otrie alle Anseifenatm ahmtet eilen da« Iv
and luU&dei «atfefea,
Nr. 16.
Bneheint
S. ud HO. Jeden Mannte.
20. Aug.
Beitrag zum Auftreten der Pocken.
Von Bezirksarzt Dr. Kindler aas Flöha (Königreich Sachsen).
Nach einem Berichte des Reichsgesundheitsarates an den
Reichskanzler sind in einigen Gebieten des Reichs Pocken in einer
gewissen Häufung aufgetreten und infolgedessen die Verwaltung
und Medizinalbehörden auf besondere Wachsamkeit gegenüber
dieser Krankheit hingewiesen worden. Die Ausbreitung der
Krankheit soll darauf zurückzuführen sein, daß die ersten Er¬
krankungen von den Aerzten nicht richtig erkannt und deshalb
nicht zur Anzeige gebracht sind. Hierzu vermag ich selbst
einen lehrreichen Beitrag zu liefern, der diese Annahme voll
bestätigt.
In Z. erkrankte ein noch nicht geimpftes Kind von
1‘/* Jahren, dessen Vater im Felde stand, auf Urlaub nach
Hause gekommen war und vorher ungewaschene Strümpfe nach
Hause geschickt haben soll, an einem Hautausschlag, der zu¬
nächst nur den Eindruck von Spitzpocken machte. Dem be¬
handelnden Arzte fiel aber auf, daß das Kind stark fieberte
und daß sich im Gesicht ein besonders starker, zusammen-
470
l)r. Klndler.
fließender Aussohlag bemerkbar machte. Er schöpfte deshalb
Verdacht auf echte Focken und erstattete pflichtgemäß Anzeige.
Das sich bei der hierauf vorgenommenen amtlichen Untersuchung
bietende Bild konnte an dem Vorliegen von echten Pocken
kaum einen Zweifel lassen. Deshalb wurden sofort die nötigen
Anordnungen, wie Ueberführung in das Krankenhaus, Impfung
der Umgegend, Ueberwachung usw., durchgeführt. Das Kind
starb im Krankenhause. In der Stadt kam hierauf eine weitere
Erkrankung nicht mehr vor. Der Vater des Kindes konnte
persönlich nicht als Ueberträger des Pockengiftes in Frage
kommen, da er erst wenige Tage vor der Erkrankung des
Kindes aus dem Felde zurückgekommen war. Es blieb höch¬
stens die Annahme übrig, daß mit der schmutzigen Wäsche
allenfalls Pockengift in das Haus gelangt sein könnte.
Nach etwa 3 Wochen erkrankte in dem der Stadt Z. benach¬
barten K. eine hochschwangere 30 jährige Frau unter Erschei¬
nungen, die auf die schwerste Form der Pocken (hämorrha¬
gische) hindeuteten. Derselbe behandelnde Arzt, durch die
vorhergegangene Pockenerkrankung aufmerksam geworden, er¬
kannte sofort den Ernst der Sachlage, erstattete ebenso schnell
Anzeige, konnte aber nicht verhindern, daß die Kranke schon
am nächsten Tage nach eingetretener Frühgeburt unter dem
typischen Bilde von hämorrhagischen Pocken, noch ehe es
überhaupt zur Ausbildung von Pusteln gekommen war, ver¬
starb. Die vorgenommene Leichenöffnung ergab keinen Anhalt
für Annahme einer anderen Todesart als Pocken. Der Weg
der Ansteckung war hier klar nachzuweisen, indem eine Frau,
die das vorher in Z. gestorbene Kind gepflegt hatte, ohne
selbst zu erkranken, die Schwägerin und Hausgenossin der
jetzt Gestorbenen war; sie scheint die Pockenerreger an ihren
Kleidern in das Haus gebracht zu haben. Nach Durchführung
der entsprechenden Maßnahmen kam auch in diesem Orte kein
weiterer Pockenfall vor.
Wesentlich ungünstiger gestaltete sich dagegen ein Pocken-
äusbruch in dem Orte W., der zwar auch der Stadt Z. benach¬
bart, aber nach einer anderen Richtung liegt. Hier erkrankten,
wie sich erst nachträglich herausgestellt hat, fast zu gleicher
Zeit wie in Z. nacheinander 9 Personen, die alle miteinander
mehr oder weniger verwandt und verschwägert waren und
engeren Verkehr gepflogen hatten. Die Erkrankungen verliefen
unter Erscheinungen, die dem behandelnden Arzte, diesmal
jedoch einem anderen, nur als Spitzpocken imponierten, weil
der Verlauf meist ein sehr leichter und kurz dauernder war.
Auffällig war jedoch, daß nur Erwachsene erkrankten, daß sich
auch bei ihnen höheres Fieber bemerkbar machte und daß eine
der Personen starb, ohne daß sich der Arzt über die eigent¬
liche Todesursache recht klar war. Erst bei dem B. Erkran¬
kungsfalle, einem 54jährigen Manne, erschien der Ausschlag so
stark, daß ihm nunmehr der Verdacht auf echte Pocken auf-
stieg. Demgemäß kamen die Pockenerkrankungen erst jetzt,
Beitrag znm Auftreten der bocken. 4^1
ungefähr 6 Wochen nach dem Auftreten des ersten Falles zue
amtlichen Kenntnis. Die Untersuchung des betreffenden Kranken
ergab das Vorliegen eines schweren Pockenfalles, der bald naoh
Ueberführuug des Kranken in das Krankenhaus tödlich endete.
Ein kurz darauf ganz bestimmt nur als Spitzpocken bezeichneter
Fall hatte sich bis zur amtlichen Untersuchung ebenfalls zum
mittelschweren Pockenfall ausgewachsen. Zwei weitere Per¬
sonen, die nach Feststellung des ersten Pockenfalles frisch
geimpft worden waren, aber die Ansteckungskeime sicher schon
in sich aufgenommen hatten, erkrankten wieder nur sehr leicht.
Ueber den Ursprung der Erkrankungen in W. ist ziem* 1
liehe Klarheit geschaffen worden. Es sind nämlich von einem
in Rußland Gefallenen Kleider und Wäsche an die Angehörigen
in W. geschickt worden, die vielleicht vorher nicht desinfiziert
worden sind. Kurze Zeit darauf erkrankte der Schwiegervater
des Gefallenen, der das Paket geöffnet und sich weiter mit ihm
beschäftigt hatte, als erster, und an ihn reihten sich dann
die übrigen Erkrankungsfälle zeitlich in genauer Folge an.
Wegen der sehr späten Erkennung des Ernstes der Lage und
der daraus sich ergebenden Unterlassung der Anzeige konnten
die nötigen Abwehrmaßnahmen erst sehr spät einsetzen; trotz¬
dem kann die kleine Epidemie, «nachdem nunmehr 5 Wochen
lang kein neuer Fall aufgetreten ist, schon als erloschen be*:
trachtet werden.
Aus dieser Epidemie ergeben sich einige beherzigenswerte
Lehren. Zunächst besteht die Schwierigkeit des Erkennens
der Krankheit. Es soll nicht verkannt werden, daß der zuerst
genannte Arzt insofern leichteres Spiel hatte, als schon der
erste Fall ein annähernd typisches Bild von echten Pocken bei
einem noch nicht geimpften Kinde bot. Schwieriger war es
für den zweiten Arzt, die Lage zu erkennen, weil zunächst ein
Schulfall von Pocken nicht vorlag. Weitaus die größte Zahl
der jetzt lebenden Aerzte hat wohl überhaupt echte Pocken
kaum je gesehen, so daß sie beim Auftreten ganz leichter
Pockenfälle meist nicht sofort auf den Ernst der Sache auf¬
merksam werden und nur Spitzpocken anzunehmen geneigt
sind. Sie müßten aber wohl stutzig werden, wenn solche bei
erwachsenen Personen unter Erscheinungen, die den Spitz¬
pocken nicht eigentümlich zu sein pflegen, auftreten. Es be¬
steht ferner die sehr große Gefahr, daß ein recht erheblicbei:
Teil der ganz leichten Pockenfälle gar nicht in ärztliche Be¬
handlung und damit auch kaum zur Anzeige kommt. Wenn
sich nun selbst für die Aerzte die Unterscheidung zwischen
Spitzpocken und echten Pocken bei leichten Fällen schwierig
gestalten kann, so braucht man sich nicht zu wundern, daß
sich ganze Epidemien auch unter der durch die allgemeine
Impfung geschützten Bevölkerung Deutschlands entwickeln
können. Um diesem Mißstand zu steuern, ergibt sich die Not¬
wendigkeit, die Anzeigepflicht auch auf die Spitz¬
pocken mindestens während der Kriegszeit auszn-
t)r. E. Richter.
m
dehnen. Diese Maßregel ist auf meine Anregung hin von der
Verwaltungsbehörde auch sofort für den in Frage stehenden
Medizinalbezirk angeordnet worden.
* Die Epidemie lehrt weiter, daß der Impfschutz der Be¬
völkerung Zwar ein guter, aber kein vollständiger ist. Es er¬
wies sich, daß abgesehen von dem ersten Fall, der ein noch
nicht geimpftes Kind betraf, von der Krankheit nur ältere Per¬
sonen betroffen worden sind, deren Impfschutz weit, in 5 Fällen
Sogar sehr weit zurücklag; Der Verlauf ist bei 3 von diesen
sehr schwer und tödlich gewesen, bei den übrigen sehr leicht
bis mittelschwer je nach der Länge des zurückliegenden Impf¬
schutzes. Es ist deshalb dringend erwünscht, daß bei dem
Auftreten von Pocken die Bevölkerung über die drohende Ge¬
fahr aufgeklärt und sofort für allgemeine öffentliche Impfungen
Sorge getragen wird, um jedermann Gelegenheit zu geben,
Seinen Impfschutz zu erneuern. In dem Orte W. haben sich
zu den angesetzten Impfterminen 370 Personen, d. i. 1 Fünftel
der ganzen Bewohnerschaft, eingefunden.
Endlich scheint mir die Epidemie den Wert der Abwehr-
tnaßnahmen klar erwiesen zu haben; denn trotzdem daß in den
beiden ersten Orten je 1 schwerer und schwerster Fall vor¬
gekommen war, ist ihnen doch kein weiterer gefolgt, weil so¬
fort Anzeige erstattet und deshalb sofort mit den Abwehr¬
maßnahmen eingesetzt werden konnte. Umgekehrt konnte sich
in W. die Epidemie leicht ausbreiten, weil wegen Verkennens
der Sachlage keine Anzeige erstattet wurde und deshalb die
Abwehrmaßnahmen zu spät kamen. Geichwohl ist nicht zu
verkennen, daß auch hier ihre Wirksamkeit sofort nach An¬
ordnung und Durchführung eingesetzt hat, so daß die Epidemie
recht rasch erlosch.
Zum Geburtenrückgang in Deutschland.
Von Dr. E. Richter, Reg.- and Geh. Med.-Rat in Dessau.
Die Sorgen und Bedenken über den Geburtenrückgang in
Deutschland wollen mit Recht nicht verstummen und ebenso¬
wenig die daraus gefolgerten trüben Voraussetzungen für die
Wehrkraft und Stärke unseres Vaterlandes. Wenn wir aber
an eine göttliche Vorsehung glauben, kann uns doch, wie wir
alle fest annehmen, der Sieg wahrlich nicht zufallen, damit wir
nach dem Kriege durch dauernden langsameren oder schnelleren
Geburtenrückgang dem Völkertode, wie unser französischer
Nachbar, verfallen, der sich im Rückgänge seiner Volksbedeutung
seit den Freiheitskriegen, also seit hundert Jahren befindet,
trotz der künstlichen Glanzperiode unter Louis Napoleon.
Die Frage des Geburtenrückganges hat wohl zuerst, aller¬
dings nur theoretisch, der englische Kaplan Thomas Malthus
schon im Jahre 1798 mit seinen Veröffentlichungen ins Leben
g erufen, in denen er die Zunahme der Bevölkerung als eine
Gefahr betrachtete, da nach seiner Annahme die Erde mit ihren
Zorn Geburtenrückgang in Deutschland.
473
Erträgen nicht mehr imstande sein würde, eine vermehrte
Bevölkerung zu ernähren, und deshalb eine Uebervölkerung zu
erwarten sei. Die Zeit und die Erfahrung hat seinen Anschau*
ungen nicht Hecht gegeben, denn durch geeignete und verbesserte
Kultur ist die Fruchtbarkeit der Erde gegen Irüher vielfach erheb¬
lich gesteigert worden. Dagegen hat sich die Neigung zur
absichtlichen Beschränkung der Kinderzahl oft fälschlich
der Malthusschen Theorie zu ihrer Rechtfertigung bedient
Jedenfalls sehen wir jetzt aus eigener Anschauung, daß trotz der
seit 1798 unendlich vermehrten Einwohnerzahl Europas und
trotz der ungeheuren Menge von Nahrungsmitteln, die durch
die kriegführenden Mächte gegenseitig vernichtet wird, zwar
notwendige Sparsamkeit im Verbrauche der Nahrungsmittel
und genaue Regelung ihrer Verwendung geübt werden muß, aber,
abgesehen von einigen außerdeutschen Ländern, in denen nach
Zeitungsnachrichten Hungersnot herrschen soll, die Zahl der Be¬
völkerung wenigstens in Deutschland der malthusianischen Ansicht
nicht Recht gegeben hat. Wohl aber sehen wir die den Volkswirten
bekannte Erscheinung, daß mit Zunahme des Reichtums und der
Mittel, sich ein bequemeres, sogenanntes angenehmeres Leben zu
schaffen, statt der Zunahme der sehr wohl zu ernährenden Familie
die Zahl der Ehen sich mindert, und die weniger guten Eigen¬
schaften der Menschen, Geiz, Genußsucht, Eigensucht, Neigung
zur Bequemlichkeit, und wie wir jetzt zu unserem tiefsten Be¬
dauern sehen müssen, Wucher, unredliches Geschäftsgebahren
sich in einem Teile der Bevölkerung gesteigert haben; wir sehen,
wie mit der gesteigerten Genußsucht und der überstiegenen
Wertschätzung der äußerlichen Dinge die bewußte Absicht der
Förderung des Geburtenrückganges in unserem Volke besteht,
und die Leute, die viele Kinder mit gutem Willen ernähren
könnten, um äußerer Dinge willen sich auf eine möglichst kleine
Zahl beschränken. Man konnte nur den Kopf schütteln und
sich wundern, wenn z. B. ehrbare Familienväter und Mütter
vor dem Kriege es für notwendig hielten, mit heißem Bemühen
im Schweiße ihres Angesichtes als gebildete Menschen Tango
tanzen zu lernen. Wie mögen sich jetzt dieselben Personen,
die Männer vielleicht teilweis im Schützengraben, wohl in Er¬
innerung ihrer Tanzstudien Vorkommen? —
Wir sehen ferner, daß eine Anzahl Männer, die wohl in
der Lage und im Alter wären, eine Familie zu gründen, sich
vor den damit verbundenen Lasten und Ausgaben fürchten,
damit nur genug für sie übrig bleibt, abgesehen von denen,
denen ihre „Verhältnisse“ nicht gestatten, in ein eheliches
Verhältnis einzutreten. Natürlich sind dies bei weitem nicht
alle, denn es gibt außer den angeführten Gründen noch ehren¬
hafte Gründe genug, die dem Manne eine Eheschließung nicht
wünschenswert erscheinen lassen.
Die Gründe des Geburtenrückganges liegen also nicht in
einer Verminderung der Kraft und Gesundheit der im fort¬
pflanzungsfähigem Alter stehenden männlichen Personen, von
m
Dr. B. Siebter.
denen doch meist der Anstoß zu einer Ehescheidung ausgeht.
Die Untersuchungen des Generalstabsarztes v. Schjerning
und des Generalarztes Nagel beweisen sogar, daß die Kraft
und Gesundheit, sowie die durchschnittliche Körpergröße der
Militärtauglichen in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat.
Die Mittel, die von der Gesetzgebung bis jetzt gegen den
Rückgang der Geburten vorgeschlagen und ausgeführt sind,
wie Unterdrückung der entsprechenden Anzeigen zur Er¬
leichterung der Abtreibung und Bestrafung der Schuldigen bei
deren Ausübung, sowie Bekämpfung des Alkoholismus, der
Geschlechtskrankheiten, ebenso der au! sittlichem und religiösem
Gebiete geführte Kampf dagegen haben leider einen sichtbaren
und nachweisbaren Erfolg noch nicht aufzuweisen.
Der Ueberschuß von Lebenden gegen die Sterbezahl
beträgt zur Zeit allerdings in Deutschland jährlich immer noch
800000 Menschen. Er beruht aber weniger auf dem Ueberschuß
an Neugeborenen, sondern darauf, daß die allgemeine Lebens¬
dauer infolge der Wirkung der Gesundheitspflege bedeutend
— mindestens 5—7 Jahre — zugenommen hat. Dies Verhältnis
wird sich noch bessern, wenn erst die Maßregeln zur Schonung
der Mütter und die Säuglingspflege aus den Anfangsstadien, in
denen sie sich noch befinden, heraus sind, und die Wohnungs¬
frage befriedigend gelöst ist. Nach einem Vortrage des Kammer-
herm Dr. von Behr-Pinnow bei der Eröffnung der Deutschen
Gesellschaft für Säuglingspflege und Kleinkinderschutz am
21. Juni d. J. sterben jährlich noch 250000 Kinder infolge
ungeeigneter Pflege, die bei sachgemäßem Verhalten der Mütter
und Pflegerinnen hätten am Leben bleiben können.
Die Erscheinung des Geburtenrückganges beschränkt sich
aber nicht nur auf Deutschland, wo die Geburtenzahl, auf
1000 Einwohner berechnet, von 42,6 im Jahre 1876 auf
29,5 Kinder im Jahre 1911 gesunken ist, sondern betrifft alle
europäischen Völker und Nordamerika mit Ausnahme Rußlands.
Am größten ist der Rückgang der Geburtenziffer in Frankreich.
Es ist der steigenden Kultur und den gesteigerten An¬
sprüchen an die Lebensführung zu verdanken, daß wir uns
zurzeit noch sehr weit von dem idealen Standpunkt befinden,
daß im Staate die Nahrungs- und Erwerbsverhältnisse sich so
stellen, daß jeder, der erwachsen und arbeitsfähig ist, bei Fleiß
und Mäßigkeit in der Lage ist, eine Ehe zu schließen und eine
Familie zu gründen, wie es im Altertum im jüdischen Volke
§ esetzliche Vorschrift war. Jedenfalls sollte das Streben jeder
taatsVerwaltung dahin gerichtet sein, diese eigentlich natür¬
lichen Verhältnisse herbeizuführen.
Wie sich aber in früheren Zeiten starker Geburten¬
abnahme und starker Abnahme der Bevölkerungszahl die dem
deutschen Volke inne wohnende Lebenskraft und natürliche
Stärke selbst geholfen hat, wird diese auch bei der jetzigen
Geburtenabnahme und den Kriegsverlusten ihre wohltätige
völkervermehrende Wirkung entfalten. Wenn wir an der Hand
Zum Geburtenrückgang in Deutschland.
476
dar Geschichte die Zeiten betrachten, m denen das deutsche
Volk durch die verheerenden Pestzüge des Mittelalters* durch
die inneren Volksfehden, durch den langwierigen dreißigjährigen
und den siebenjährigen Krieg, in den letzten hundert Jahren
durch die Freiheitskriege und die Kriege von 1866 und 1870/71
außerordentlich vermindert war, also naturgemäß auch weniger
Geburten erfolgten, wenn wir ferner bedenken, in welchen
Nahrungs- und Wohnungsnöten wenigstens nach dem 30jährigen
und siebenjährigen Kriege, sowie in und nach dem Freiheits¬
kriege die Bevölkerung Deutschlands lebte, so muß man
erstaunen über die unerschöpfliche Lebens- und Volkskraft, aus
der nach diesen volksvermindernden Vorgängen in kurzer Zeit
eine riesige Vermehrung von Menschen stattfand, eine Ver¬
mehrung, die Deutschland seinerzeit die Bezeichnung der
„Kinderstube Europas“ eintrug. Wer alte Urkunden und
Kirchenbücher aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges und
kurz nach demselben durchliest, wird erstaunt sein über die
Zunahme neuer Namen besonders in den Dorfgemeinden, wo
die ausgestorbenen Bauerngüter und kleineren Wirtschaften
durch ausgediente Soldaten vom Lande, die mit ihren sogenanten
„Ersparnissen“ — wohl teilweis auch durch Plünderung er¬
worben — sich ankauften, heirateten und eine Familie
g ründeten, in der der Kindersegen als wohltätige HHfe bei
ewirtschaftung des Eigentums betrachtet wurde.
Meist blieben damals auch die Kinder auf dem Lande,
denn die Abwanderung in die Städte war den Söhnen der freien
Bauern durch das Zunftwesen sehr erschwert, und die Hörigen
bedurften der oft verweigerten Erlaubnis der Burgherrn zum
Wechsel des Wohnortes. So kam es, daß, wie auch jetzt noch,
die ländliche Bevölkerung die der Städte an Zahl übertraf,
und zwar nicht bloß an Zahl, sondern auch meist an körperlicher
Kraft gegenüber den in den engen Straßen des Mittelalters
erwachsenen Städtern. _ :
Die älteren unter uns kennen aus eigener Anschauung
die Zunahme der Bevölkerung nach dem Kriege 187Ö/71.
Nachdem die Gründung des Deutschen Reiches so viele .be¬
stehende unnötige und kleinliche Schranken des politischen
Lebens beseitigt hatte, betrug sie beispielsweise in den Jahren
1885—1896 elf Millionen. "
Man kann die nach jedem volksvermindemden Ereignis,
wie Pest und lange Kriegsnot eintretende Volks vermehrurig,
die ohne besondere Hilfen, wie die Geschichte lehrt, jedesmal
eingesetzt hat, als eine Art Selbsthilfe betrachten, die sich
aus der unverwüstlichen Lebenskraft des deutschen Volkes
entwickelte.
Wenn wir nun diese Selbsthilfe durch Maßnahmen unter¬
stützen, die sie wirksamer machen, so wird auch der Erfolg
nicht ausbleiben. Diese Unterstützung ist in hohem Maße durch
die Beschlüsse des Reichstages gegeben. Insbesondere kommt
hier das von ihm angenommene Ansiedelungsgesetz der
476 Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
Kriegsbeschädigten in Betracht, bei dessen Beratung ara
10. April d. J. der Abgeordnete Dr. P aas che folgendes
sagte:
.Wir sehen in dem Gesetz einen hochbedeutenden Schritt sozialer Für¬
sorge für unsere Kriegsinvaliden und Kriegswitwen. Wir begrüßen darin auch
den Anfang einer allgemeinen sozialen Bewegung, die darauf hinarbeitet,
diejenigen, die nicht mehr imstande sind, aus eigener Kraft voll das zu
erwerben, was sie für sich und die Ihrigen brauchen, aus den engen Wohn¬
stätten der Großstadt möglichst hinauszuführen in die gesunde Luft des
Landes, und sie in den Stand zu setzen, sich dort auf kleinem Besitz, auf
eigener Scholle einen Teil des Lebensunterhaltes zu erarbeiten. Dort werden
sie das Bewußtsein haben, nicht als müssige und mürrische Rentenempfänger
in den Großstädten ein nutzloses Dasein zu fristen, sondern könnten immer
noch mit eigenen Händen auf eigener Scholle geringe Arbeit verrichten und
mit Hilfe der Frau eine gesunde Nachkommenschaft großziehen."
Soll durch dieses Gesetz auch zunächst nur den Kriegs¬
beschädigten geholfen werden, so eröffnet doch der Schlußsatz
eine glänzende Aussicht für die Volks Vermehrung. Die kriegs-
beschädigten Ansiedler befinden sich alle im zeugungsfähigen
Alter, ohne Hilfe der Frau können sie ihre Scholle nicht be¬
bauen, etwaige Kinder sind ihnen eine willkommene Hilfe bei
der Arbeit. Also auch für spätere Zeiten ist der Plan der
Siedelung der ehemaligen Krieger einer der großartigsten, und
in seiner späteren Wirkung hoffnungsvoll und erfreulich.
Machen weiterhin in dem zu erhoffenden größeren
Deutschland ländliche Siedler deutscher Nation, die jetzt im
Auslande sich befinden, sich neu ansässig, so haben wir alle
Hoffnung, daß das Land, wie es früher gewesen ist, das Sammel¬
becken für nationale Volkskraft bleibt und immer mehr sich
dazu entwickelt, seinen Ueberschuß in die Städte und Kolonien
abzugeben. Die Sage des Altertums vom Riesen Antäus, der
durch Berührung der Mutter Erde im Kampfe immer neue Kraft
schöpfte, gilt auch für uns Deutsche; denn durch immer ein¬
dringlichere Berührung und Beziehung zur Mutter Erde und
ihre Bebauung gewinnt der einzelne und somit das ganze Volk
neue Kraft, Mut und Selbstbewußtsein.
Mit diesen Eigenschaften ausgerüstet, wird in Deutschland
eine fromme, kräftige und kampftüchtige, zahlreiche, schollen¬
treue Nachkommenschaft heran wachsen, die imstande ist, das
jetzt so schwer Errungene fest in der Hand zu behalten und
weiter auszubauen, sowie den Geburtenrückgang aufzuhalten und
auszugleichen.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
A. Oeriohtllche Medizin.
Die Mitwirkung des Zyanaiulds. Von Reg.- und Med.-Rat Dr.Koe lach-
München. Zentralblatt für Gewerbehygiene; 1916, Nr. 6.
1. Das Zyanamid wirkte im Tierversuch giftig, und zwar subkutan in
Mengen von etwa 10 mg nuf 50 g Körpergewicht keim Frosch; 1 g auf 1000 g
Körpergewicht beim Kaninchen tödlich; bei innerlicher Verabreichung wirkten
beim Kaninchen 0,75—1 g pro 1000 g Körpergewicht tödlich nach etwa
10 Stunden und mehr, 1,5 g nach etwa 4—5 Stunden. Die Vergiftung*-
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
477
ersoheinungen bestehen hauptsächlich in Atmungs- und Zirkulationsstörungen
(vergl. Ziff. 4).
2. Mengen von etwa 0,2 g auf 1000 g Körpergewicht per os machten
beim Kaninchen keinerlei bemerkbare Veränderungen. Auch beim Menschen
machen die bei der industriellen oder landwirtschaftlichen Tätigkeit (Arbeit
mit Kalkstickstoff mit ca. 67 °/o Zyanamidgehalt) aufgenommenen Zyanamid¬
mengen keine krankmachenden Erscheinungen. Eine kumulierende Wirkung ist
nicht beobachtet.
3. Deutliche Vergiftungserscheinungen treten jedoch beim Warmblüter
bezw. Menschen sofort auf, wenn bei oder nach Aufnahme selbst kleiner
Zyanamidmengen auch nur kleine Alkoholmengen einverleibt werden.
4. Unter den hier auf tretenden Symptomen erscheint besonders auffällig
der Blutandrang zum Kopf bezw. zur oberen Körperhälfte, der auf euer
spezifischen vasomotorischen Wirkung beruht. Inwieweit außerdem eine direkte
Beeinflussung des Atemzentrums oder des respiratorischen Gaswechsels eintritt,
bleibt offen. Eine gewisse Aehnlichkeit des Symptombildes mit der Zyan-
Vergiftung besteht.
6. Die Zyanamidwirkung charakterisiert sich jedoch als eine Vergiftung
eigener Art; sie ist nicht etwa auf die im Körper aus dem Z. sich all¬
mählich bildenden und nach und nach zur Wirkung kommenden Zyanide
zur&ckzuführen, sondern auf das eingeführte Zyanamid selbst, wie dies auch
Coester und Stritt bereits früher betont haben. Dr. Wolf-Hanau.
Ein Fall von Bromoformvergiftung. Von Dr. B. Rattner-Wildau.
Deutsche medizinische Wochenschrift; 1916, Nr. 28.
Ein 4jähriger Knabe hatte aus einer Flasche mit Bromoform getrunken,
das ihm zwecks Bekämpfung des Keuchhustens verordnet war. Die Menge des
genossenen Bromoforms betrug etwa 1 ccm, das ist die doppelte Höchst¬
gabe für Erwachsene und ungefähr die sechsfache Höchstgabe für vierjährige
Kinder.
Kurz nach dem Genuß fiel das Kind um und wurde beinahe bewußtlos,
zyanotisch; Puls kaum fühlbar, beschleunigt. Nach Kampferspritze und kalter
Uebergießung Aufwachen, Verwirrtheit. Nach einer zweiten Kampferspritze
und starkem Kaffee Rückkehr des Bewußtseins und voller, langsamer Puls.
Nach */* Stunde war der Knabe orientiert, jedoch nicht imstande, das Gleich¬
gewicht zu halten. Nach einiger Zeit starkes Erbrechen und 8 Stunden später
vollständige Genesung. Dr. Roepke-Melsungen.
B. Gerlohtllohe Pnyohlatrio.
Vom Inzest. Von Dr. Max Marcuse-Berlin. Juristisch-psychiatrische
Grenzfragen. Verlag von Carl Marhold-Halle a. S. X. Bd., Heft 3 und 4.
8°, 84 Seiten. Preis 2 M.
Nach wie vor besteht nach den soziologischen und prähistorischen
Forschungen die Ansicht, daß die ursprüngliche Form der Sexualbeziehungen
inzestuöser Natur gewesen ist; geschlechliche Verbindungen unter Bluts¬
verwandten waren im Altertum nicht nur nicht verboten, sondern wurden
geradezu gern eingegangen, ja mit Hinblick auf göttliche Vorbilder direkt
geboten. Die Inzestabneigung ist auf jeden Fall ein Kulturprodukt;
die vielfach verbreitete Ansicht, daß sie durch gesundheitliche Rücksichten,
durch die Schädlichkeit der Blutsverwandtenehe für die Nachkommenschaft,
hervorgerufen sei, aber keineswegs zutreffend. Wenn es auch feststeht, daß
Blutsverwandtschaft der Eltern in Wirklichkeit oft Entartung und Krankheit
der Kinder und Kindeskinder zur Folge hat, so liegt die Ursache dafür doch
hauptsächlich in der psychopathischen Veranlagung der betreffenden Bluts¬
verwandten ; eine Heirat zwischen ihnen ist deshalb weniger der Grund für die
Minderwertigkeit der Nachkommen, als ein Zeichen für die Minderwertigkeit
der Zeugenden. Die Inzestscheu hat sich infolge der sexuellen Abneigung
zwischen Nächstverwandten entwickelt, die durch die Gewohnheit des dauern¬
den Zusammenlebens itt der Kindheit und Jugend bedingt wird. Das beständige
Beieinandersein von Kindheit an läßt eben sexuelle Reize und Wünsche zuein-
478 Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
ander nicht anfkommen. Auch der Gedanke der „Familienreinheit“ spielt dabei
eine Rolle.
Der Begriff and die Vorstellung der sog. Blutschande ist erst relativ
jungen Datums, die Abscheu vor ihr hat sich allmählich durch Sitte, Wirt*
Schafts- und Gesellschaftsformen durch Erziehung und Vernunft herausgebildet
und su ihrem Verbot wie zu ihrer strafrechtlichen Ahndung geführt. Aus der
Genese der Inzestscheu ergeben sich auch die meisten Hinweise für die Ur¬
sachen des Inzestes selbst, soweit dieser nicht auf krankhafter Anlage
beruht. Inzestuöse Handlangen zwischen Kindern werden meist nur bei un¬
beaufsichtigten Kindern beobachtet; sie stellen sich in der Regel als mehr
oder weniger harmlose Symptome dar, in der Minderzahl der Fälle sind sie
Zeichen einer groben Vernachlässigung, einer psychopathischen Veranlagung
öder einer psychischen Erkrankung. Begünstigt werden derartige FäUe
durch schlechte Wohnungsverhältnisse, die überhaupt für die große
Mehrzahl der Fälle von Blutschande auch zwischen Erwachsenen ausschlag¬
gebend sind. Wohnungselend ruft außerordentlich häufig blutschänderische
Beziehungen zwischen Vater und Tochter sowie zwischen den Geschwistern
hervor; auch die Fälle, wo die Mutter ihren Sohn zum blutschänderischen
Geschlechtsverkehr veranlaßt, sind nicht selten; auffallend ist überhaupt,
daß der aktive Anteil des weiblichen Geschlechtes bei der Blut¬
schande verhältnismäßig groß ist. Bei den dem Verfasser bekannten, nur
zum kleinsten Teil forensisch gewordenen Fällen war z. B. in annährend der
Hälfte die weibliche Partei der schuldige Teil. Außer Wohnungselend
treiben auch andere ungünstige wirtschaftliche Nöte häufiger zum
Inzest. Bei verhältnismäßig vielen Blutschändern besteht ferner eine mora¬
lische Anästhesie, d. h. eine völlige Verständnislosigkeit für das Un¬
natürliche und Verbrecherische ihrer Handlungsweise, bedingt durch die
Naivität weiter Volkskreise unserem Sittlichkeitskodex gegenüber. Auch
sexuelle Not kommt als Ursache der nicht auf pathologischer Anlage be¬
ruhenden Fälle in Betracht, seltener das Abwechselungsbedürfnis —
bei Perversen und Uebersättigung am Normalen — und gelegentlich auch der
Aberglaube.
Unter den pathologischen Ursachen der Blutschande spielen die
S sychischen Störungen die Hauptrolle und zwar an erster Stelle die
urch den A1 koho 1 hervorgerufenen, ferner geistige Schwäche, krank¬
hafte Steigerung des Geschlechtstriebes, Eifersucht (des
Vaters auf den Bräutigam, der Mutter auf die Braut des Sohnes, der Schwieger¬
mutter auf die Schwiegertochter usw.). Bisweilen liegt der inzestuösen Liebe
der Eltern zu den Kindern eine Art Autoerotik zu Grunde; in anderen
Fällen entsteht der Inzest aus der Lust am Verbotenen, vereinzelt
herrscht anscheinend ein sadistisches Motiv vor (bei Wüstlingen, die in
der Blutschande das Nonplusultra der sexuellen Genüsse erblicken). Homo¬
sexuelle inzestartige Handlungen sind besonders zwischen gleich geschlecht¬
lichen Geschwistern weiblichen Geschlechts in besser gestellten Familien nicht
selten. — Für die in der Psychiatrie allgemein vorherrschenden Ansicht, wo¬
nach die sexuelle Hinneigung zu nahen Blutsverwandten als Zeichen psycho¬
pathischer Konstitution anzusehen ist, spricht die scheinbare Erfahrung, daß der
Inzest in einer großen Zahl der forensisch werdenden Fälle von oder an
psychisch oder abnorm befundenen Personen begangen sind. Nach Ansicht
des Verfassers kann jedoch nicht jede inzestuöse Neigung als eine psycho¬
pathische angesehen werden; denn in den meisten zur Kenntnis gelang
Fällen von Blutschande handelt es sich um sexuelle Perversitäten und
enden
nicht
um sexueUe, durch pathologische Störungen bedingte Perversionen.
Was das Vorkommen und die Verbreitung des Inzestes betrifft,
so sind im Deutschen Reich von 1895—1906 jährlich 381—534 Per¬
sonen = 1,0 bezw. 1,3 auf 100000 strafmündige Zivilpersonen verurteilt;
davon entfielen nach dem Beruf 33°/o auf Land- und Forstwirtschaft
und 38*/« auf Handel und Industrie. Am häufigsten wurde Blutschande in
Baden und einzelnen Teilen von Bayern beobachtet, selten dagegen in den
Provinzen Pommern, Schleswig und Hannover, in Mecklenburg-Schwerin, Olden¬
burg, Lübeck und Hamburg. Auffallend ist der sehr geringe Anteil der
Juden an dem lnzeetdelikt; in der Kriminalstatistik ist nicht ein einziger
Kleinere Mitteilungen und Referate aui Zeitschriften.
17»
Jude als Blutschänder aufgeführt. Die Kriminalstatistik ist allerdings nicht
maßgebend für die Häufigkeit des Deliktes, da die Tielen Fälle eben nicht
forensisch werden.
Die strafrechtliche Behandlung der Blutschande ist in den modernen
8taaten sehr verschieden. In Belgien und Portugal wird z. B. der Inzest
Überhaupt nicht, in Italien nur bei öffentlichem Skandal und in Frankreich
nur eine solche der Aszedenten gegen ihre minderjährigen Deszedenten bestraft.
In Holland ist die Unzucht der Eltern mit ihren unmündigen Kindern verboten,
in Rußland wird nicht nur die Blutschande zwischen Verwandten in auf* und
absteigender Linie (mit 10jährigem Gefängnis und Verbannung nach Sibirien),
Bondern auch diejenige zwischen Seitenverwandten, Verschwägerten zweiten und
dritten Grades (mit 6- bezw. 3 jährigem Gefängnis und Verbannung nach Sibirien
bezw. Tomsk) geahndet. China belegt die Blutschande mit der höchsten Strafe,
der Todesstrafe. Zivilrechtlich ist die Ehe zwischen Verwandten soweit
verboten, als der Sezualverkehr zwischen diesen strafrechtlich als Blutschande
angesehen wird. Im Deutschen Reich ist der § 1810 des B.G.B. maß-
f ebend, der die Ehe zwischen Verwandten in grader Linie, zwischen voll- und
albbörtigen Geschwistern, sowie zwischen Verschwägerten in grader Linie
verbietet. Strafrechtlich wird nach § 173 Str.G.B. der Beischlaf zwischen
Verwandten auf- und absteigender Linie (bei den ersteren mit Zuchthaus bis
zu 6 Jahren, bei den letzteren mit Gefängnis bis zu 2 Jahren), zwischen Ver¬
schwägerten auf- und absteigender Linie sowie zwischen Geschwistern (mit
Gefängnis bis zu 2 Jahren) bestraft; außerdem kann auf Verlust der bürger¬
lichen Ehrenrechte erkannt werden.
Bei Beurteilung der Frage, ob denn der sogenannte Inzest überhaupt
und insbesondere im Sinne des § 173 Str.G.B. als strafwürdig betrachtet
werden darf und seine Sonderbehandlung im Strafgesetzbuch berechtigt
ist, kommt es nach dem Verfasser allein darauf an, ob es sich bei dem
Inzest wirklich nur um Unmoral handelt, wie von verschiedener Seite an¬
genommen wird, oder ob nicht dabei auch fremde Interessen, vor allem die des
Staates verletzt werden. Nach seiner Ansicht sind die nachteiligen Folgen des
Inzests in bezug auf die Gefährdung der Nachkommenschaft und damit der
Volksgesandbeit und des Volksvermögens nicht größer, sondern eher geringer, als
die durch den Geschlechtsverkehr von Tuberkulösen, Syphilitischen, Alkoholikern
und Geisteskranken bedingten Gefahren für die Nachkommenschaft; es liegt
somit kein dringender Grund vor, gegen jene strafrechtlich einzuschreiten,
wenn man einen solchen Schutz gegen diese nicht für nötig hält. Auch in
dem Verlangen nach Schutz des Familienlebens kann Verfasser keine berech¬
tigte Begründung einer strafrechtlichen Ahndung des Inzestes erblicken; denn
ganz abgesehen davon, daß diese Strafverfolgungen den Familienfrieden zer¬
stören und das Familienleben vergiften, sei es auch ein erfolgloses und un¬
vernünftiges Beginnen, die Familienreinheit durch Strafe aufrechterhalten zu
wollen. Der Gesetzgeber habe vielmehr in erster Linie zum Schutze der ver¬
meintlich bedrohten Sittlichkeit die Bestrafung des Inzestes für nötig erachtet;
tatsächlich sei auch die geschlechtliche Sittlichkeit als eine der Bedingungen
für die soziale Ordnung rechtsschutzbedürftig und rechtsschutzwürdig; aber
doch nur insoweit, als sie und damit das besondere Interesse der Gesamtheit
bedroht sei. M. verneint jedoch eine derartige Bedrohung; er weist außer¬
dem darauf hin, daß nach den bisherigen Erfahrungen die Strafverfolgung
des Inzestes nur in einem verschwindenden Prozentsatz der Fälle eintreten
kann und daß die im Vor- und Hauptverfahren notwendigen abscheulichen
Nachforschungen und Erhebungen um so mehr eine Ausmerzung des § 173
rechtfertigen, als dieser bekanntlich auch nicht selten zu den widerlichsten
Denunziationen Anlaß gibt. Da es beim Inzest sich regelmäßig um unmorali¬
sche Unreife, jugendliche Verwahrlosung, Alkoholismus, Geisteskrankheit, Not
und Elend handele, sei nicht strafrechtliche Ahndung, sondern soziale Für¬
sorge angezeigt, also Ausbau unseres sozialen Für- und Vorsorgesystems und
der sonstigen sichernden Maßnahmen statt strafrechtlicher Maßnahmen; ist der
Inzest mit Notzucht, Mißbrauch eines Treuverhältnisses, Verführung usw.
verbunden, dann bietet das Strafgesetzbuch eine hinreichende Handhabe für
seine angemessene Ahndung. Rpd.
480
Kleinere Mitteilungen and Belerate aas Zeitschriften.
O. Bakteriologie and Bekimpfang dortbortragbuon Krankkoitoa
1. Oholera.
Weitere Erfahrungen und Stadien über den Wert nnd die Wirkungs¬
dauer der Choleraschntsimpfang. Von Stabsarzt Prof. Dr. J. K a up - München,
z. Z. Hygienereferent beim k. and k. Armeeoberkommando, und Pharmazeut-
kadett Josef Kretschmer. Münchener medizinische Wochenschrift; 1916.
Feldärztliche Beilage za Nr. 30.
Aaf Grund der von den Verfassern festgestellten Ergebnisse ihrer bei der
österreichisch-ungarischen Armee gemachten statistisch-epidemiologischen Be¬
obachtangen sowie ihrer serologischen Untersuchungen kommen sie za folgenden
Schiaßsätzen:
1. Als Folge der Choleraschatzimpfang wird auffallend rasch ein ver¬
hältnismäßig hoher Grad von Immunität erreicht Bei schnell ansteigenden
Erkrankangsziffern in einem Trappenteil oder Kriegsgefangenentransport waren
wenige Tage (5—8) nach der letzten Impfung die Erkrankungen wie ab¬
geschnitten. Die serologische Untersuchung (Bakterizidie und Agglutination)
geimpfter Personen bestätigt das schnelle Auftreten von Antikörpern wenige
Tage nach der Impfung. Das Maximum an Bakterizidie scheint bereits etwa
10 Tage nach vollzogener 2 maliger Impfung erreicht za sein (Unterschied
gegenüber Ko Ile und namentlich Ungerman n).
2. 2—3 Wochen bis etwa 2‘/* Monate nach der Impfung kamen anch
bei starker Verseachungsgefahr nach einer Reihe von Erfahrungen Erkrankungen
nur bei etwa 1—5 Proz. der gefährdeten Personen vor. Bei einzelnen Individuen
erfolgt die Bildung von Immunkörpern entweder überhaupt nicht oder tritt
nar in unzureichendem Maße ein oder hört bald wieder auf. Durch die sero¬
logischen Untersuchungen sind beträchtliche individuelle Schwankungen nach¬
weisbar.
3. Der Krankheitsverlaaf ist bei den schutzgeimpften Erkrankten ein
auffallend milder; die Mortalität schwankte zwischen 0 und 24 Proz., während
die Mortalität bei ungeimpften Personen eine Höhe von 22—60 Proz. erreichte.
4. Die Dauer der Schutzimpfnng ist geringer, als bisher angenommen
wurde — statt 1 Jahr und darüber nur etwa 3 bis 4 Monate. Wiederholte
Wahrnehmungen bestätigen immer wieder diese praktische Erfahrung. Gefähr¬
dete Truppenaörper werden nach diesen Erfahrungen bei den österreichisch¬
ungarischen Armeen bereits nach 3 Monaten wiedergeimpft. Serologische
Untersuchungen an wenigen, normal ernährten und körperlich wenig bean¬
spruchten Sanitätssoldaten ließen zumeist länger als 3 Monate nach der
Impfung einen anscheinend genügenden Immunstoffgehalt bei Geimpften er¬
kennen. Nur ausgedehnte Untersuchungen bei Front- und Etappensoldaten
könnten die Zusammenhänge zwischen praktischer Erfahrung und serologischem
Befund klären, namentlich auch] feststellen, inwiefern ungenügende Ernährung,
Strapazen, leichtere Erkrankungen (namentlich Magendarmkatarrhe) auf die
Dauer der Antikörpererzeugung einen Einfluß ausüben.
5. Zur Wiederimpfung scheint eine einmalige Impfung zu genügen.
Die Verwendung von 2 ccm Impfstoff dürfte ratsamer sein, als die von 1 ccm.
Die einmalige Wiederimpfung mit einer größeren Impfstoffmenge bedeutet
einen wesentlichen Zeitgewinn.
6. Die von den Verfassern gemachten praktischen Erfahrungen und sero¬
logischen Untersuchungen können als Bestätigung der Ansicht Wasser¬
manns und Sommerfelds angesehen werden, daß die Choleraschutzimpfung
die natürliche Ansteckungsmöglichkeit durch Erhöhung der spezifisch bakteri¬
ziden Kräfte des Blutes vermindert.
7. Bei den österreichisch-ungarischen Armeen kam es nur zu Kriegs¬
beginn zu einer stärkeren Verbreitung der Cholera. Im Jahre 1915 erkrankten
kaum 0,2 Proz. des gesamten Verpflegsstandes. Die Mehrerkrankungen während
des Sommers waren trotz des Vormarsches in völlig verseuchte Gegenden (Ost¬
galizien, Podolien, Wolhynien und später Serbien) nur unbedeutend, während
unter der Zivilbevölkerung dieser Gebiete zahlreiche Erkrankungen mit hoher
Mortalität (im Mittel 60 Proz.) vorkamen. Zurzeit sind die Armeen auf dem
russischen und italienischen Kriegsschauplätze seit Herbst 1915 cholerafrei;
es treten nur im verseuchten Albanien vereinzelte Erkrankungen auf. Bpd.
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 481
2. Fleckfieber.
Beiträge znr Frage ron der Beteiligung der Kopflaus an der Fleck*
fieberverbreitung. Von Prof. Dr. Bruno Hey mann, Abteilungsvorsteher am
Institut. (Aus dem Hygienischen Institut der Königl. Universität Berlin.
Dir.: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. C. Flügge.) Medizinische Klinik; 1916, Nr. 18
und 19.
An der Uebertragung des Fleckfiebers durch Kleiderläuse kann kein
Zweifel mehr bestehen; von Manchen werden auch die Kopfläuse als Ueber-
träger angesprochen. Die Richtigkeit dieser Annahme vorausgesetzt, würde
sich die Folgerung ergeben, ihre Bekämpfung weit energischer zu handhaben
als bisher. Die Kopf- und Kleiderläuse sind nahe Verwandte, ohne aber
identisch zu sein, wie ihr genaueres Studium einwandfrei ergeben hat. Aller¬
dings können sich bei sehr starker Verlausung die Unterschiede gelegentlich
verwischen; auch ist an die Möglichkeit der Bastardbildung zwischen Kopf-
und Kleiderlaus zu denken (Hase). Versuche über die Infektiosität aer
Faeces von Kopfläusen liegen anscheinend nicht vor, dagegen wohl solche, die
mit Darminhalt von Läusen bezw. mit zerriebenen Kopfläusen und Eiern
angestellt wurden. Zwar hat sich die Möglichkeit der Infektion ergeben,
während anderseits die negativen Versuche dafür sprechen, daß diesem
Infektionsweg kaum eine Bedeutung bei der Verbreitung des Fleckfiebers zu¬
kommt. Auch über die Infektiosität des Stiches von Kopfläusen, die an Fleck¬
fieberkranken Blut gesogen, liegen Versuche vor. Die daraus gezogene positive
Schlußfolgung ist aber nicht ganz stichhaltig. Der eine von Anderson und
Goldberger als positiv gedeutete Versuch ist dann als sichere Tatsache in die
Literatur übergegangen. Wenn die Beteiligung der Kopflaus an der Ver¬
breitung des Fleckfiebers die gleiche wäre wie die der Kleiderlaus, so müßte
sich die Erkrankung unterschiedslos über die Verbreitungsgebiete beider
Parasiten erstrecken; das ist aber nicht der Fall. Die Krankheit verschont
die tropischen Gebiete, auch pflegt das Fleckfieber da zu fehlen, wo die Be¬
völkerung auf höherer Kulturstufe steht; höchstens beschränkt sie sich hier
auf engbegrenzte Gebiete und bestimmte Bevölkerungskategorien, die der
Reinlichkeit und Körperpflege nur wenig Beachtung schenken. Ferner lehrt
die Erfahrung, daß das Fleckfieber überall eng an das Vorkommen der Kleider¬
läuse gebunden ist, während die epidemiologischen Tatsachen nicht für eine
Abhängigkeit des Fleckfiebers von der Verbreitung der Kopfläuse sprechen.
Hey mann faßt daher seine Ergebnisse im folgenden Satz zusammen:
»Experimentelle Beweise für die Beteiligung der Kopfläuse
an der Fleckfiebererkrankung liegen bisher nicht vor; die
epidemiologischen Erfahrungen sprechen dagegen. Trotzdem
ist natürlich der Bekämpfung der Kopfläuse völlige Beachtung zu schenken.
Dr. L. Quadflieg-Gelsenkirchen.
3. Ruhr.
Vier weitere Fälle von natürlich erworbener bazillärer Dysenterie
beim Hunde nebst Beobachtungen über Bazlllenträgertum. (Aus dem
deutschen Institut für Hygiene für Bakteriologie in Schanghai). Von Privat*
dozent H. Dold. Deutsche med. Wochenschrift; 1916, Nr. 17.
Dold hat gemeinsam mit Fischer den ersten bekannt gewordenen
Fall von natürlich erworbener echter bazillärer Dysenterie des Hundes klinisch,
bakteriologisch und pathologisch-anatomisch untersucht. Jetzt berichtet er,
daß von 7 an Diarrhöen leidenden Hunden 4 eine Infektion mit Dysenterie¬
bazillen aufwiesen und zwar 2mal mit Typus Flexner, lmal mit Typus Y
und 1 mal mit Typus Shiga-Kruse. In allen 4 Fällen bot auch das Eigen¬
serum der Hunde deutliche Agglutination noch in Verdünnungen von 1:300
bis 1: 100. Danach scheint in Schanghai die bazilläre Dysenterie des Hundes
keine Seltenheit zu sein.
Verfasser macht ferner Beobachtungen, die das Vorkommen eines
Dysenteriebazillenträgertums beim Hunde beweisen. Ein gesunder Hund erhielt
eine Kultur Dysenteriebazillen mit dem üblichen Futter vermischt, erkrankte
nicht, schied aber seitdem (seit 3 Monaten) Dysenteriebazillen in den festen
Faeces aus. Außerdem ließen die frischen Endoplatten, die von dem Hunde
488 Kleinere Mitteilungen und feeierate aus Zeitschriften.
beleckt waren, dreizehn Tage Dysenteriebazillen nachweisen. Während dieset
ganzen Zeit konnte der Hund also durch einfaches Lecken, die häufigste
Betätigungsart des Hundes, den Menschen und seine Umgebung infizieren.
Diese von der Mundhöhle und der Zunge ausgehende Infektionsgefahr bean¬
sprucht unsere volle Beachtung. Dr. R o e p k e - Melsungen.
4. Tuberkulose.
Infektionsversuche mit kleinen Tnberkelbazillenmengen mit beson-
sonderer Berücksichtigung des Inhalatlonsweges. Von Prof. Dr. H. 8 e 11 e r -
Leipzig. Deutsche mediz. Wochenschrift; 1916, Nr. 20.
Für die experimentelle Tuberkuloseforschung ist quantitatives Arbeiten
die erste Vorbedingung, zumal wenn als Versuchstier das so Oberaus empfind*
liehe Meerschweinchon benutzt wird. S. hat zu den Inhalationsversuchen bei
Meerschweinchen etwa 100 Bazillen von 4 Wochen alten Agarkulturen benutzt
und ist dabei zu folgenden Schlüssen gekommen:
Vereinzelte Bazillen können von der Haut oder Lunge aus gelegentlich
schwere fortschreitende Tuberkulose erzeugen. Gewöhnlich tun sie es aber
nicht, sondern erzeugen nur örtliche Herde, aber nicht immer an den Ein*
gangspforten, die anscheinend ausheilen. Frühzeitig und regelmäßig bemerkt
man eine Milzschwellung, ein Zeichen, daß zuerst das Blut infiziert wird; von
hier aus erfolgt vielleicht die Infektion der Lunge. Die Lymphdrüsen können
dabei anscheinend übergangen werden. Es ist möglich, daß die Bazillen gleich
nach der Infektion von den Leukozyten aufgenommen werden und nun entweder
unmittelbar oder durch die Lymphdrüsen hindurch ins Blut gelangen.
Die Infektion durch die Einatmung ist fast genau so empfindlich wie
die von der Haut aus. Aeltere Kulturen wirken wie wenige Bazillen oder
noch schwächer. Es kommt auch hier zu keiner allgemeinen Infektion, sondern
nur zu örtlichen Herden in Lunge und Milz, die vielleicht ausheilen.
Auf Grund dieser Inhalationsversuche bekennt sich Selter zu der
Theorie der sekundären Infektion der Lungen vom Blutweg aus. Weitere
Untersuchungen müssen Klarheit bringen. Dr. Roepke*Melsungen.
Zur Frage der Einteilung der Lungentuberkuloseformen. Von
D. 0. Kuthy*Budapest. Vortrag im Kgl. Aerzteverein in Budapest. Tuber*
kulose; 1916, Nr. 1.
Eine Klassifikation der Lungentuberkulose auf ätiologischer Grundlage
(humane und bovine, reine und Misch-Infektion) stößt noch auf manche
Schwierigkeiten und ist dem Praktiker, zum Teil aus technischen Gründen, un¬
möglich. Der Einteilungsversuch auf pathologisch-anatomisch-histologischer
Grundlage bietet manches praktisch Verwertbare. Dabei sind die „topischen"
Eigenschaften der Erkrankung (Lokalisation und Ausbreitung) für die Prog¬
nose des Einzelfalles weniger wichtig als die „qualitativen" Eigenschaften
des Leidens (exsudative und produktive Entzündung, Schnelligkeit der Aus¬
breitung, toxische Einflüsse) und der Grad der defensiven Kraft des Körpers,
der rechtzeitigen heilsamen Fibrose. Die bisherigen klinischen Einteilungen
lösen die Frage nur in großen Umrissen. Kuthy versucht deshalb eine
Klassifikation auf kombiniert pathologisch-anatomisch-klinischer Grundlage mit
steter Rücksicht auf die Prognose und unterscheidet fünf prognostische Typen
mit Unterabteilungen je nach dem physikalischen Befand.
_ Dr. Roepke- Melsungen.
Alkohol and Tuberkulose. Von Sanitätsrat Dr. LilienthaL Halb¬
monatsschrift für soziale Hygiene und praktische Medizin; 1916, Jahrgang 24,
Nr. 18.
Der Kampf gegen die Tuberkulose hat erhebliche Fortschritte gemacht,
auch der Kampf gegen den Alkohol ist nicht ohne Erfolg geführt worden.
Der Ansicht, daß der Alkoholismus eine der llauptursachen der Tuberkulose
sei, tritt Orth entgegen, auch auf Grund von Tierexperimenten. Wenn jetzt
im Kriege der Soldat vor Alkoholmißbrauch gewarnt werde, so geschehe dies
mit Recht; aber der Soldat habe so viele und triftige Gründe, den Alkohol zu
meideu, daß man nicht nötig habe, ihm mit unsicheren und unbewiesenes
kleinere Mitteilungen and Dekrete non Sjetootriftan.
488
Grfinden zu kommen. Auch die Angabe, daß der Alkoholismus durch Herab¬
setzung des Körperwiderstandee für Tuberkulose empfänglich mache, bestreitet
Orth. Ja, er meint, viel eher könne man den Alkohol als Schutzmittel gegen
die Tuberkulose ansehen, eine Behanptung, die wiederum vom statistischen
Amte als nicht gerechtfertigt angesehen wird.
Statistiken — so führt Orth an — zeigen, daß ein wesentlicher Unter¬
schied in der Schwere der Tuberkulose-Erkrankung zugunsten der Alkoholiker
bestehe. Die Tuberkulosesterblichkeit habe sich von Jahr zu Jahr vermindert,
während der Alkoholverbrauch nicht wesentlich abgenommen habe. In bezug
auf die Schwindsucht schade der Alkohol nichts; die Alkoholiker seien sogar
der Tuberkulose gegenüber günstiger gestellt als die Nüchternen.
Dr. Hoff mann-Berlin.
Tuberkulose und Prostitution. Von Prof. Dr. F. Köhler. Tuberku-
losis; 1916, Vol. 1B, Nr. 1.
Die Beziehungen zwischen Tuberkulose und Prostitution und die Fragen
der Prophylaxe und Behandlung tuberkulöser Prostituierter sind noch uner-
erörtert; Statistiken fehlen ganz. Zweifellos ist das grundsätzlich unsolide,
ungeordnete, körperlich und geistig zerrüttende Leben der Prostituierten eine
gedeihliche Grundlage für das Einnisten der Tuberkelbazillen in dem weib¬
lichen Organismus. Die Prostituierte wird auch selbst kaum mit irgendeinem
nennenswerten Erfolg zu einer Abwehr der Tuberkulosegefahr aufgerufen
werden können. Anderseits bedeutet die tuberkulöse Prostituierte eine gesell¬
schaftliche Gefahr.
Um dem Uebel zu steuern, wird die Bordellüberwachung auf die Hygiene
der Wohnung zu achten haben. Die Polizeiärzte werden nicht nur auf bo*
S innende Lungentuberkulose bei Bordellmädchen, sondern auch auf tuberkulöse
enitalaffektionen fahnden müssen. Würden mit den Genitaluntersuchungen
der Prostituierten Lungenuntersuchungen verbunden, so würde bald ein brauch¬
bares Material über die Verbreitung der Tuberkulose unter ihnen, besonders
aus den Großstädten, Zusammenkommen.
Tuberkulöse Prostitnierte sind unverzüglich der Erankenhausbehandlung
zuzuführen. Im Anschluß an die Station für geschlechtskranke Prostituierte
wäre eine solche für Tuberkulöse einzurichten mit Gelegenheit zu Liegekuren
und internistischer Behandlung. Sind Tuberkulosekrankenhäuser weitab von
der Stadt vorhanden, so empfiehlt sich, in diesen eine Sonderabteilung einzu¬
richten. Tuberkulöse Prostituierte in Lungenheilstätten unterzubringen, be¬
gegnet ebenso großen Bedenken, wie die Einrichtung von Sonderheilstätten.
Die Fürsorge für geheilte tuberkulöse Prostituierte sollte Gegenstand
der gemeinsamen Arbeit von Fürsorgestelle und Sittenpolizei sein. Auch Sitt-
lichkeits- und Erziehungsvereinen könnte eine angemessene Beteiligung auf
diesem Gebiete erzieherischer Fürsorge eingeräumt werden.
_ Dr. Boepke-Melsungen.
Ueber Lungentuberkulose vom mllitärärztllchen Standpunkt am.
Von Prof. Dr. Albert Fränkel. Münchener Med. Wochenschrift; 1916, Nr. 81.'
Die Klagen über die unrichtige Auswahl der Heilstättenpatienten wollen
nicht verstummen; die Diagnose „Tuberkulose“ wird viel zu häufig gestellt. Von
den unter Fränkels Leitung stehenden, als tuberkulös eingewiesenen Soldaten
erwiesen sich nur 40°/o als wirklich tuberkulös; 20°/o fehlte überhaupt nichts.
Das Tuberkulin hat auch als Diagnostikum versagt. Zur objektiven Diagnose
trägt außer dem physikalischen Lokalbefund am meisten die Röntgenuntersuchung
bei, besonders bei geschlossener Tuberkulose. Bei der Bewertung der Ver¬
schattung bedarf es großer Vorsicht. Als pathognomisch gilt, wenn von der
Lungenwurzel aus derbe Schattenkörper in die Lunge ziehen und wenn sich
in der Lunge die für Tuberkulose charakteristischen klein- nnd großfleckigen
Trübungen und homogenen Verschattungen finden. Die Prognosestellung ist
bisher eine ärztliche Kunst gewesen, die durch Uebung zu erwerben war, dio
aber nicht gelehrt werden konnte. Fränkel sucht diese Kunst zu objektivieren
und dadurch als Lehrgegenstand erkennbar zu machen. Er stellt 8 Formen
4§4 Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
der Tuberkulose auf: zirrhotische, knotische und pneumonische. Die Art
des Prozesses ist maßgebender für die Einweisung in eine Heilanstalt als die
Ausdehnung. Die zirrnotischen und zirrhotisch-knotigen Formen sind thera¬
peutisch beeinflußbar und heilbar, selbst wenn sie lappenförmig und doppelseitig
auftreten. Die knotig-mehrlappigen und die darüber hinausgehenden Prozesse
sind ungünstig und rechtfertigen die Einweisung nicht mehr. Fieber, Blut¬
husten, starker lokaler Katarrh, Abmagerung sind starke Begleiterscheinungen
der bösartigen Form; bei der gutartigen Form kommen sie nur zeitweilig vor;
sie sind Zeichen der Aktivierung. Das Auftreten auch nur eines Symptomes
macht den Kranken anstaltsbedürftig. Wie bei den Lupuserkrankungen ist
auch bei Tuberkulöse die Funktionsprüfung vorzunebmen. Fiebernde Kranke
der Liegekur zu unterwerfen, hat uns Dettweiler gelehrt. Die Ausdehnung
der Liegekur auf alle Tuberkulöse ist ein schwerer Irrtum. Die Erfahrung
lehrt, daß Tuberkulose ohne Schaden Arbeiten verrichten können; besonders
die Kriegserfahrungen sprechen hierfür. Unter bestimmten Voraussetzungen
sind sie sogar felddiensttauglich.
Fränkel empfiehlt zur Begutachtung der Tuberkulösen in den Heil¬
stätten die Beurteilung durch eine Aerztekommission.
Dr. G r a ß 1 - Kempten.
Die Bedeutung der psychischen Momente für den Verlauf der
Lungentuberkulose. Von Dr. Strandgaard-Kopenhagen. Zeitschrift für
Tuberkulose; Bd. 26, Heft 6.
Psychische Momente spielen für den Verlauf der Lungentuberkulose
eine ziemlich große Bolle; besonders können Liebeskummer, eheliche Sorgen
und ähnliche drückende Gemütsbewegungen den Gesundheitszustand ernstlich
verschlimmern. Mit dem Wegfall der deprimierenden Ursache hat sich, wie
durch Krankengeschichten bewiesen wird, der Zustand gebessert.
Dr. Roepke-Melsungen.
Zur Behandlung der Lungentuberkulose mit ultraviolettem Lieht.
Von Dr. M. Gutstein-Berlin. Beiträge zur Klinik der Tuberkulose.
Bd. 86, H. 8.
Nach den Erfahrungen in der Friedrichstadt-Klinik für Lungenkranke
in Berlin — es werden 28 Krankengeschichten veröffentlicht — ist das Quarz-
lampenlicht imstande, die Lungentuberkulose in günstiger Weise zu beeinflussen.
Verfasser glaubt bei kritischer Betrachtung seiner zum Teil recht guten
Erfolge, „dem ultravioletten Licht eine günstige Einwirkung auf manche
Fälle von Lungentuberkulose nicht absprechen zu können.“ Die von Krüger
angegebenen äußerst günstigen Erfolge werden abgelehnt. Nachteile sind in
keinem Falle beobachtet worden.
Hinsichtlich des Verhaltens des Blutes bei bestrahlten Lungentuberkulosen
und Nichtlungenkranken ist eine Veränderung des Blutbildes nach der
Richtung zu bemerken, daß in der größeren Zahl der Fälle eine Vermehrung
der Lymphozyten, in einem kleineren Teil nach anfänglicher Zunahme eine
Verminderung der Lymphozyten eintritt; der Grund hierfür war nicht
erkennbar.
U. E. berechtigen die Erfolge nicht, die Bestrahlung mit Quarzlampen¬
licht zu einer „Behandlungsmethode der Lungentuberkulose* zu machen.
Dr. Boepke-Melsungen.
Ueber die Bedeutung des Klimas für die Behandlung der Tuberka*
lose. Von Dr. G. Schröder-Schömberg. Tuberculosis; Vol. 16, Nr. 2.
In der Bewertung des Klimas für die Tuberkulosebehandlung standen
sich 2 Gruppen scharf gegenüber; die eine sah alles Heil in einem besonderen
Klima, in erster Linie in dem Klima hoher Lagen, während die andere jede
Beeinflussung durch ein Klima leugnete. Beide Gruppen irren; auch hier führt
die mittlere Linie zum wahren Endziel. In der Folgezeit ist die Klimatologie
in bezug auf die Tuberkulosetherapie nicht wesentlich durch neue Forschungs¬
ergebnisse bereichert. Es ist daher nötig, für die Fortentwicklung der Forschung
auf diesem Gebiete Richtlinien zu geben; als solche kommen in Betracht:
Kleinere Mitteilungen and Referate aus Zeitschriften. 485
Erstens: Sind die Ergebnisse der Wetterkunde noch mehr für die Tuber¬
kulosetherapie zu verwerten. Der Einfluß der Witterungselemente auf Tuber¬
kulosekranke und die Erscheinungen des Leidens ist eingehender als bisher zu
erforschen. Darum sollte mit jeder Tuberkulosestation eine meteorologische
verbunden sein und hygienische Meteorologie getrieben werden.
Zweitens: Von großer Bedeutung ist die Erforschung des Lichtklimas
in den verschiedensten llühenlagen, an der See usw. in der Form, wie es
Domo für Davos durchführte, ln Deutschland sind solche Stationen an der
Seeküste und in Potsdam in Betrieb. Es wäre zweckmäßig, wenn die licht¬
klimatischen Stationen an Orten errichtet würden, an denen Tuberkulosekranke
behandelt werden.
Drittens: Die Klimaphysiologie ist weiter auszubauen; ihre Ergeb¬
nisse sind für die Pathologie der Tuberkulose nutzbar zu machen.
Viertens: Die Durchführung solcher Beobachtungen hat nach einheit¬
lichem Plane in verschiedenen Ländern und an Plätzen mit den verschieden¬
artigsten Klimaformen zu erfolgen. Nur dadurch kann die Klimaforschung in
ihrer Bedeutung für die Tuberkuloselehre nutzbringend gestaltet werden.
_ Dr. R o e p k e - Melsungen.
Genügt die heutige Fürsorge für unsere unbemittelten Lungenkranken
den an sie gestellten Anforderungen. Von Dr. E. Hartmann-Waldbreit*
bach. Zeitschrift für Tuberkulose; Bd. 25, Heft 6.
Nichttuberkulöse und Fälle von inaktiver Tuberkulose, die einer Heil¬
stättenkur nicht bedürfen, sind baldigst aus den Lungenheilstätten zu entfernen
und, falls ihre Behandlung wegen andere Beschwerden nötig ist, in geeignete
Anstalten (Erholungsheime, Nervenheilstätten u. dergl.) zu überweisen, die für
solche Kranke freizugeben sind. Dagegen sind auch vorgeschrittene Fälle von
Tuberkulose in Lungenheilstätten aufzunchmen unter Verlängerung der Kur¬
zeit, wenn dadurch Aussicht auf Wiedererlangung der Arbeitszeit besteht*
Weitvorgeschritteue Fälle, die in absehbarer Zeit nicht wieder arbeitsfähig
werden, oder bei denen das Ableben bald zu erwarten ist, sind in Kranken¬
häusern oder Invalidenheimen unterzubringen, bei offener Tuberkulose nötigenfalls
unter Anwendung von Zwangsmaßnahmen.
Letzteres ist leichter gesagt als getan; im übrigen sind die Vorschläge
recht alt. Durch ihre Wiederholung wird das Heilstättenwesen kaum befähigt
werden, der Tuberkulosenot im erforderlichen Maße zu steuern. Dies um so
weniger, als Verfasser das wertvollste Mittel, um die Heilstättenbehandlung
auf die unbedingt notwendigen Fälle zu beschränken, d. h. die methodische
Tuberkulinprüfung nicht anerkennt. Dr. Roepke-Melsungen.
5. Geschlechtskrankheiten und Bekämpfung der Prostitution.
Die Heranziehung der Wasscrmannschen Reaktion, Spinalpunklion
und Kutanreaktion für die Behandlung der Spätsyphilis. Von Prof.
C. Bruhns. (Aus der dermatologischen Abteilung des Charlottenburger
städtischen Krankenhauses). Medizinische Klinik; 1916, Nr. 11.
Die Kutanreaktion ist in viel höherem Grade eine rein diagnostische
Probe als die Wassermannsche Reaktion und die Untersuchung des Spinal-
punktates. Sie ist nur verwendbar zar Sicherung der Diagnose bei manifesten
Erscheinungen, nicht aber, um bei sonst latenter Lues an sich Aufschluß über
die Notwendigkeit einer weiteren Behandlung zu geben. Sie wird auch nicht
durch die Therapie aus dem positiven in den negativen Befund übergeführt.
Bei Fällen mit manifesten Erscheinungen kann kein Zweifel bestehen, ob man
therapeutisch Vorgehen soll; auch nur ein sicher syphilitisches Symptom
bedingt Behandlung. Bei zweifelhaften klinischen Erscheinungen muß fest¬
gestellt werden, ob Lues vorliegt oder nicht. Hierher gehören unklare Haut-,
Schleimhaut- und Nerven-Ersclieinungen, aber auch Symptome von seiten innerer
Organe. Ist die Wassermannsche Reaktion positiv, so muß behandelt
werden, ist sie in solchen Fällen negativ, so kann die Kutanreaktion (Luetin-
und Pallidin-Reaktion) noch Aufschluß geben. Sie stützt wesentlich die
Diagnosenstellung bei tertiären Hauterscheinungen, Schleimhaut- und Knochen¬
syphilis, vielleicht auch manchmal bei syphilitischen inneren Organerkrankungen.
4 §6
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
Es zeigte sich in ttber 200 Fällen, daß bei tertiärer Syphilis fast immer, bei
primärer und sekundärer verhältnismäßig selten, bei Nichtsyphilitischen in
ganz seltenen Ansnahmen die Kntanreaktion positiv ansfiel. Die Pallidin-
Reaktion kann im Tertiärstadiom auch bei negativem Wassermann positiven
Ansfall geben. Für die Anzeige einer ev. Behandlung bei latenter Syphilis
ist sie ohne Bedeutung, da sie einerseits öfter nicht angeht, wenn die Wasser¬
mann sehe Reaktion positiv ist, und anderseits in Fällen von manifester
tertiäror Lues auch nach der Kur und trotz Verschwindens der Erscheinungen
positiv bleibt. Häufig findet sich im Spätstadium Pnpillenstarre, die fast immer
ein syphilitisches Symptom ist; man muß aber berücksichtigen, daß Pupillen¬
starre gelegentlich als Vorläufer von Syringomyelie auf tritt und vorübergehend
auch bei chronischem Alkoholismus und Schädeltraumen vorkommt. Sie be¬
deutet bei Syphilis aber nicht immer einen frischen oder der Behandlung
bedürftigen Prozeß, sondern kann auch das Residuum eines schon abgelaufenen
Vorganges sein. Findet man bei Pupillenstarre positive Wasser mann sehe
ReaJrtion, so wird natürlich die Behandlung eingeleitet; manchmal ist sie
dabei aber negativ, dann muß die Spinalpunktion zur Entscheidung benutzt
werden. Diese kann zur diagnostischen Aufklärung und zur Indikationsstellung
für eine ev. einzuleitende Therapie herangezogen werden. Sehr oft wird die
Spinalpunktion bei isolierter Pupillenstarre notwendig sein. Ist eine der
8 Reaktionen (ausgesprochene Lymphozytose, deutlich positiv Nonne-Apelt,
positive Wassermann sehe Reaktion) oder mehrere zugleich positiv, so wird
man therapeutisch Vorgehen. In etwa 83°/o solcher Fälle von Pupillenstarre
bei Syphilitischen wurde das Spinalpunktat gesund befunden, dann braucht
man nicht zu behandeln. Es scheint aber, daß die Reaktion manchmal positiv
bleiben kann, trotzdem der klinische Prozeß des Zentralnervensystems
nicht fortzuschreiten braucht. Hier gibt weitere Kontrolle des Kranken die
Richtschnur des Handelns. Bestehen Zweifel, ob es sich um eine Neurasthenie
oder eine beginnende Erkrankung des Zentralnervensystems handelt, so kann
die Spinalpunktion ebenfalls gute Dienste leisten. Im Spätstadium der Syphilis
ohne klinische Erscheinungen kommt der Kutanreaktion die geringste Bedeutung
zU; hier ist die Wassermann sehe Reaktion unser wesentlichstes
diagnostisches Hilfsmittel. Findet man sie bei der ersten Untersuchung positiv,
so ist Behandlung angezeigt. Es gibt aber Fälle, die nach wiederholten gründ¬
lichen Kuren immer wieder positive Wassermann sehe Reaktion geben. Ist
man in der Lage, dann eine Spinalpunktion vorzunehmen und fällt die Unter¬
suchung negativ aus, so kann man von einer weiteren Behandlung absehen,
muß aber den Patienten weiter beobachten. Ist die Wassermann sehe
Reaktion im 8pätstadinm negativ, so liegt kein Qrund zu neuen Kuren vor.
Man sollte jedoch bei einer sicheren Späterscheinung der ersten Kur in einem
Abstande von ca. 3—4 Monaten immer eine zweite nachschicken, auch wenn
Wassermann dann negativ ausfällt. Oft wird die Wasser mann sehe
Reaktion bei Spätlues erst wieder nach einer Reihe von Jahren positiv. Mit
den Differenzen im Ausfall der Reaktion verschiedener Extrakte müssen wir
uns abfinden; sie sind jedenfalls durch Vervollkommnung der Technik geringer
geworden. Auch soll in keinem Laboratorium auf die Anstellung der Original¬
methode verzichtet, die Modifikationen nur daneben angewandt werden. Die
schwach positiven Reaktionen sind zwar für den Kliniker wichtig; sie genügen
aber nicht, um einem Gesunden beim Fehlen klinischer Symptome eine Lues
zu vindizieren. Ist die Wassermann sehe Reaktion im Blut negativ, so soll
die Spinalreaktion ausgeführt werden 1. zur Entscheidung der Frage, ob man
nach vorangegangener reichlicher Behandlung beim Fehlen weiterer Symptome
und auch bei negativ gewordener Wasser mann scher Reaktion des Blutes
mit der Fortsetzung der allgemeinen Behandlung aufhören kann, also zum
Schlüsse der zunächst für nötig befundenen Behandlungsperiode, sowie 2. bei
andauernder positiver Wassermannscher Reaktion in der Spätlatenz. Bei
negativem Liquorbefund kann man dann eine Erkrankung des Zentralnerven¬
systems mit größter Wahrscheinlichkeit ausschließcn und die Behandlung aus¬
setzen. Bei der Behandlung der metasyphilitischen Erscheinungen, der Tabes,
der Paralyse und der Gefäßerkrankungen sind die klinischen Symptome schon
für die Behandlung maßgebend. Dr. L. Quad flieg-Qelsenkirchen.
Kleinere Mitteilungen und Keleräte ans Zeitschriften. 487
Harnröhrensekret- nnd Flockenuntersuchung im Anschluß an Intra*
venöse Arthigoniniektion znr' Feststellung der Oonorrboebellung. (Ans
der Abteilung für Haut- and Geschlechtskranke des Reservelazaretts Bruchsal.)
Von leitenden Arzt Dr. 0. Gans. Deutsche med. Wochenschrift; 1916, Nr. 16.
Bruck und Sommer haben intravenöse Arthigon-lnjektionen empfohlen,
um aus dem danach auftretenden Fieber Schlüsse fiir die Frage der Gonorrboo-
heilung und des Ehekonsenses zu ziehen. Verfasser hat das Verfahren an
200 Fällen von akuter und chronischer Gonorrhoe mit und ohne Komplikationen
nachgepriift und zwischen Fällen unterschieden, die nach intravenöser
diagnostischer Arthigoninjektion 1. keine Reaktion und keine Gonokokken mehr
zeigten (geheilte Fälle), 2. Reaktion, aber keine Gonokokken, 8. Reaktion und
Gonokokken und endlich 4. keine Reaktion, aber doch Gonokokken hatten.
Von den 200 untersuchten Fällen blieben 94 = 47°/o nach einer durch¬
schnittlich 14 tägigen Beobachtung negativen Gonokokkenbefundes auch nach
Arthigoninjektion ohne Temperaturerhöhung und dauernd gonokokkenfrei, bo
daß sie entlassen werden konnten. Temperatursteigerungen Uber 1,5° ohne
Gonokokkenbefund zeigten 8°/o der Fälle; auch diese wurden entlassen.
Gonokokken und Temperatursteigerangen fanden sich in 18,5 °/o, Gonokokken
ohne Temperatursteigerungen hingegen bei 26,5 °/o der Fälle. Mit anderen
Worten: Während nach der diagnostischen Arthigoninjektion der Gonokokken¬
nachweis in 100 °/o der noch nicht geheilten Fälle gelang, zeigten nur 41,1 °/o
die nach Brack und Sommer zu erwartende Temperatursteigerun^.
Das Verfahren war folgendes: Wenn die wöchentlich 2—3malige Unter¬
suchung des Äusflasses bezw. der Flocken auf Gonokokken etwa 2 Wochen
negativ geblieben ist, wird die Therapie ausgesetzt, dagegen werden die
täglichen turnerischen Uebungen mit verstärkten Anforderungen fbrtgesetzt.
Nach 2—3 Tagen erhält der Patient 0,06 ccm Arthigon intravenös, wonach bei
noch nicht geheilten Fällen manchmal schon am nächsten Tage im Ausfluß
oder in den Flocken Gonokokken sich vorfinden. Ist ein positives Ergebnis
nicht erzielt, wird die intravenöse Injektion mit 0,1 ccm Arthigon wiederholt
und meist gleichzeitig zur lokalen Reizung eine Einspritzung einer Lösung
(Argentum nitricum 0,6, Perbydrol 2,0, Aqua dest. ad 100,0) in die Harnröhre
gemacht und dort 10 Minuten belassen. Die Sekret- oder Flockenuntersuchung
wird bei negativem Befund 3 Tage fortlaufend durchgeführt. So ausgefübrt
bilden die intravenösen Arthigoninjektionen von 0,05—0,1 ccm eine zuver¬
lässige Methode zur Fortsetzung der Heilung von Tripperkranken, auch
dann, wenn es sich bei Komplikationen um die Untersuchung des Prostata- und
Samenblasensekrets auf Gonokokken handelt. Dr. Roepke-Melsungen.
Ueber die Ausscheidung des Salvarsans nach intravenöser Injektion
konzentrierter Lösungen. (Aus der Akademischen Klinik der Hautkrankheiten
in Düsseldorf.) Von Prof. Dr. Karl Stern. Deutsche Med. Wochenschrift;
1916, Nr. 14.
Die Ausscheidung des Salvarsans nach Anwendung der konzentrierten
Lösungen in Form der Injektionen ist erheblich langsamer als nach der
Infusion verdünnter Lösungen. Da die Meinung erfahrener Autoren dahin
geht, daß nicht so sehr die Dauer der Arsenrestausscheidung für den Heilerfolg
in Betracht komme, als vielmehr der Umstand, wie lange das Salvarsan als
Ganzes im Blute bezw. in den Gewebssäften vorhanden sei, bo zeigen die
SternBchen Untersuchungsergebnisse die Ueberlegenheit der konzentrierten
Lösungen gegenüber den verdünnten. Die Anwendung der Injektion ist be¬
sonders für den praktischen Arzt wesentlich leichter als die Infusion; sie
erfordert nicht das umständliche Instrumentarium wie die Infusion, ist ohne
Assistenz auszuführen, eignet sich für die Klinik wie für die Sprechstunde,
für Neosalvarsan wie für Salvarsannatrium. Grund genug, um den Injek¬
tionen konzentrierter Lösungen in den Kreisen der für die Bekämpfung
der Syphilis unentbehrlichen praktischen Aerzte Freunde zu erwerben.
Der Umstand, daß zur Lösung des Salvarsans nur 2—5 g abgekochten
Leitangswassers benötigt werden, scheidet auch den „Wasserfehler“ völlig aus.
Ein Reagenzglas zum Auf kochen des Wassers, ein weiteres zum Auskochen der
Kanüle stellten mit der Spritze, in der die gebrauchsfertige Lösung hergestellt
wird, das ganze Instrumentarium dar. Die Vereinfachung durch die Salvarsan-
488 Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
-Injektion ist fttr die wirksame Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten in
und nach dem Kriege besonders wertvoll. Dr. Roepke-Melsungen.
Wirkt die gleichzeitige Anwendung ron Salrarsan und Quecksilber
summierend. Von Dr. W. Treupel, 1. Assistent der Universitäts-Hautklinik
in Jena. Deutsche medizinische Wochenschrift; 1916, Nr. 29.
Eine summierende Wirkung bei gleichzeitiger Salvarsan - Qaecksilbcr-
Behanälung findet nicht statt. Das bedeutet aber nicht den Verzicht auf Hg
bei der Durchschnittsbehandlung, sondern weist nur auf eine andere Kur¬
anordnung hin. Der sicherste Weg zur Vermeidung schwerer Nebenwirkungen
des Salvarsans ist, abgesehen von der strengen Beobachtung schon feststehender
Gegenanzeigen, die Verwendung kleiner Anfangsgaben und die allmähliche
Steigerung der Gaben bei Frauen bis Dosis 4, bei Männern bis Dosis 6. Durch¬
schnittsgaben bis zu Dosis 8 sind ungenügend wirksam und, allein verabreicht,
nicht unbedenklich. Dr. Boepke- Melsungen.
6. Desinfektion.
Ueber die Desinfektion phthisisclien Auswurfsmittels der Phenol-
dirivate Phobrol, Grotan und Sagrotan, insbesondere bei gleichzeitiger
Anwendung von Antiformin. Von Dr. Fritz Kirstein, Vorsteher des Königl.
*Medizinaluntersuchungsamtes in Stettin. Veröffentlichungen aus dem Gebiete
der Medizinal Verwaltung. Verlag von Richard Schötz. Berlin 1916. Jahr¬
gang 1916, V. Bd, 7. H. Preis: 1,80 M.
K. teilt zunächst die Ergebnisse der bisherigen Versuche mit den oben¬
genannten Mitteln mit und berichtet dann über seine eigenen damit gemachten
Versuche, bei denen ihm vor allem der Gedanke geleitet hat, ihre Wirksam¬
keit durch gleichzeitige Verwendung schleimlösender Mittel noch zu erhöhen
und dadurch auch eine Abkürzung der Desinfektionsdaucr zu erreichen. Er
ist auf Grund dieser Versuche zu folgendem Schlußergebnis gekommen:
8—8°/«ige Phobrol- und 5—10°/uige Grotanlösungen mit40°/oigen
Antiformin lösungen hergestellt, vermögen selbst nach 12 stiind. Einwirkungs¬
zeit tuberkulöses Sputum nicht zu desinfizieren; ebenso erwiesen sich 2°/oige
Grotan- und 5—10 u /oige Sagrotanlösungen ohne Antiformin auch nach
128tündiger Einwirkung ohne jegliche desinfizierende Wirkung. Beide Mittel
sind also ungeeignet für die Sputumdesinfektion. Dagegen sind 5°/oige
Phobrol lösungen im stände, nach I2stündiger Einwirkungszeit
tuberkulöses Sputum sicher zu sterilisieren, vielfach erwiesen
sich schon 3°/oige als wirksam. Dabei hat das Phobrol 1 ) den Vorzug der
fast völligen Geruchlosigkeit und sehr geringen Giftigkeit; sein einziger Nach¬
teil ist nur der etwas hohe Preis, der sich aber für Krankenanstalten und Be¬
hörden bei Abnahme von wenigstens 5—10 kg auf 6 M. fttr 1 kg ermäßigt.
Das Mittel empfiehlt sich besonders fttr die Desinfektion des Sputums der in
ihrer Familie lebenden Tuberkulösen; seine Verteilung an diese geschieht am
besten durch die Fttrsorgestellen in fertiger Lösung (3 Literflaschen mit 6°/o iger
Lösung). Da eine 12stündige Einwirkung erforderlich ist, muß der Kranke
entweder 2 Speiflaschen besitzen, die er abwechselnd benutzt, oder neben einer
Speiflasche (für Benutzung am Tage) noch einen Speibecher (fttr Benutzung
bei Nacht). 200 ccm-Lösung genügen für den Tag. Wäsche wird am besten
24 Stunden in 2—3°/« Phobrollösung eingesteckt. Jedenfalls ist nach Ansicht
des Verfassers Phobrol das beste der bis jetzt bekannten chemi¬
schen Mittel zur Desinfektion des phthisischen Auswurfs.
__ Rpd.
D. Hygiene and öffentliches Gesundheitswesen.
1. Nahrungsmittelhygiene.
Gemüsenahrnng nnd Gemüsekiiche (Kriegsküche). Von Dr. Wilhelm
Sternberg-Berlin. Berliner Klinik. Berlin 1916. Verlag von Fischers
medizinische Buchhandlung. XXVII. Jahrg., Heft 81. 8°;32S. Preis: 0,60 M.
*) Der wirksame Bestandteil des von der Firma Hoffmann-La Roche
in Grenzach (Baden) bezogenen Phobrol ist Chlor-m-Kresol.
Kleinere Mitteillingen and Referate aas Zeitschriften. 489
Für den Natzwert der Nahrang kommen der Preis(Markt- and Geldwert),
der Gesandheits- (Heil* and Nähr-) wert and schließlich der Genaßwert in
Betracht, von denen der letztere meist unterschätzt, von manchen sogar ganz
übersehen wird, obwohl der Wert einer Nahrung in erster Linie von ihrem
Genußwert abhängig ist, denn im Falle ihrer Ekclhaftigkeit wird eben die
Aufnahme verweigert. Das Merkmal der jetzigen Kriegskttche ist Einschränkung
der teueren animalischen Nahrungsmitteln (Fett- und Eiweiß) und Bevorzugung
der wesentlich billigeren vegetabilischen (Kohlenhydraten); der Verbrauch von
Zacker muß also gesteigert, der Zucker nicht nur Genuß-, sondern auch Volks¬
ernährungsmittel werden; desgleichen müssen Gemüse reichlicher genossen
werden. Die Gemüsenahrung hat aber außer den Vorzug der großen Billig¬
keit auch den Vorzug des Heilwertes, namentlich bei solchen Krankheiten,
die darch übertriebene Fleischkost hervorgerufen oder begünstigt werden,
z. B. manche Magen-, Herz- und Nervenkrankheiten, auch Stoffwechselkrank¬
heiten wie Gicht, Steinkrankheit und Diabetes. Dazu kommt, daß sowohl der
Nutz- und Nährwert als der Genuß wert der Gemüsenahrung ein recht
erheblicher ist. Auch die Verdaulichkeit der Gemüsenahrung ist, abge¬
sehen von den Hülsenfrüchten, im allgemeinen eine leichtere als die der Fleisch¬
nahrung und vor allem als die des Fettes. Die Gemüsenahrung erfordert
jedoch in bezug auf die praktische Technik der Küche erhöhte Anforderungen,
damit den berechtigten Ansprüchen in bezug auf alle Speisen: Schmackhaftig¬
keit, Appetitlichkeit, Abwechselung usw., nach Möglichkeit genügt wird. Daß
dies bei der Gemüsenahrung im vollen Umfange erreicht werden kann, und
daß sich auch aus Gemüse und Obst schmackhafte, abwechselnsreiche und
nahrhafte Speisen herstellen lassen, wird vom Verfasser in überzeugender Weise
ansgeführt. Die Gemüseküche ist jedenfalls in mancher Beziehung eine recht
dankbare Küche, die während der Kriegszeit mehr Anerkennung als früher
gefunden hat. In volkswirtschaftlicher wie in gesundheitlicher Hinsicht kann
nur gewünscht werden, daß sie auch nach dem Kriege diese Anerkennung
behält and die Fleischküche nicht wieder in dem Maße wie früher bevor¬
zugt wird. _ Rpd.
2. Gewerbehygiene.
Veber eine Zelluloidexplosion und deren Ursachen und Folgen sowie
die Aufgaben der Aerzte bei Katastrophen im allgemeinen. Von Professor
Dr. Zangger-Zürich. Zeutralblatt für Gewerbehygiene; 1916, Nr. 5—6.
Der Verfasser gibt nach der Beschreibung der Explosion die Schutz¬
maßnahmen und die Aufgaben der Aerzte, die er in 3 Gruppen teilt:
1. Die Maßnahmen bei der Rettung der Bedrohten und Gefährdeten unter
möglichst geringen Schädigungen, wie die Rettung der Eingeklemmten, Ver¬
schütteten usw.
2. Die Beurteilung der noch bestehenden Gefahren (wie z. B. nach
Explosion die Gasvergiftung), in engem Zusammenhang damit die Gefahren
für die Rettungsmannschaft und die Schutzmaßnahmen gegenüber Verun¬
glückungen unter der Rettungsmannschaft.
3. Die Mithilfe bei den Feststellungen: Feststellung der naturwissen¬
schaftlichen Kausalzusammenhänge, die zur Vermeidung der Gefahren be¬
sondere Anhaltspunkte geben, Feststellung der rechtlich-kausal wichtigen
Zusammenhänge in bezug auf Verschuldung und Haftung, sowie Feststellung
des Kausalzusammenhanges zwischen dem unglücklichen Erfolg, z. B. den
Tötungen, den Verletzungen, mit bestimmten Entschlüssen und Maßnahmen
einzelner verantwortlicher Individuen; ebenso wichtig und eigenartig ist die
Festlegung des Kausalzusammenhanges für die Versicherungen und im Hinne
der sozialen Gesetzgebung. Dr. Wolf-Hanau.
Die Gewerbeinspektion im Felde. Von Dr. A. Bender. Zentralblatt
für Gewerbehygiene; 1916, Nr. 6.
Der Verfasser gibt ein Bild davon, in welcher Weise sich die Tätigkeit
der Gewerbeaufsichtsbeamten im Kriege gestaltet hat.
Von besonderem Werte wird sich eine regere Fühlung mit den Ver¬
tretungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer erweisen, damit mehr als bisher
490 Kleinere Mitteilungen and Befer&te aas Zeitschriften.
das Wesen der Gewerbeaufsicht weiteren Kreisen bekannt nnd hierdurch
manche Verkennung der Beamten und ihrer Arbeitsziele bei der Durchführung
der Kinder* und Heimarbeit vermieden wird, da hier eine Einwirkung auf die
wirtschaftliche Lage und die gesamte Lebenshaltung der Schutzbedürftigen
geboten ist. Dr. Wolf* Hanau.
3. Säuglingsfürsorge.
Zur Frage der „Kriegsneugeborenen“. Von Dr. A. G. Kettner-
Charlottenburg, von Prof. Dr. L. Langstein, von Prof. Dr. B. Bendix*
Berlin, von Dr. Misch*Charlottenburg und von E. Dietrich-Berlin. Zeit¬
schrift für Säuglingsschutz; 1916, Nr. 6.
Kettner ist der Ansicht, daß er nachgewiesen hat, daß und warum es
sich hier um eine neue Abart von Säuglingen handelt, die wir vor dem Kriege
nicht gekannt haben (Kriegsneugeborene).
Langstein lehnt diese neue Art ab; auch die Erfahrungen von
Bendix und Misch widersprechen den Ergebnissen Kettners.
Zum Schluß gibt Dietrich das übereinstimmende Urteil zahlreicher
Kinderärzte, Fürsorgeärzte und Medizinalbeamte wieder, die ebenfalls eine be¬
sondere Art von Kriegsnengeborenen nicht gesehen haben. Dr. Wolf- Hanau.
4. Schulgesundheitspflege.
Die Körperkonstitution der ostpreußischen Stadt- und Landschul¬
kinder. Ein Beitrag zur sozialen Anthropologie. Von Prof. Dr.K.Kiss-
k a 11 - Königsberg. Deutsche med. Wochenschrift; 1916, Nr. 25.
Messungen in zahlreichen Städten haben ergeben, daß in Schulen, die
von Kindern bemittelter Stände besucht werden, Körperlänge und Gewicht
wesentlich größer waren, als in Volksschulen. Verfasser hat solche Unter¬
suchungen in Königsberg vorgenommen und bestätigt gefunden, daß die
aus bemittelten Familien stammenden Gymnasiasten im gleichen Alter
größer und schwerer sind als die Volksschüler. Er hat weiterhin auch
Messungen der Landbevölkerung machen lassen mit dem Ergebnis, daß die
gut ernährten Landkinder nicht die gleichen Maße aufweisen wie die Stadt¬
kinder aus wohlhabenden Kreisen, sondern durchweg geringere Größe und
geringeres Gewicht. Man kann deshalb annehmen, daß zwischen den Gym¬
nasiasten und den Landkindern Bassenunterschiede maßgebend sind.
Ferner sind noch Unterarmumfang und Druckkraft (rechts gemessen
mit dem C o 11 i n sehen Dynamometer) bei Gymnasiasten, Stadtvolksschülern
Und Landschulkindern bestimmt worden. Die Zahlenwerte ergeben, daß die
größte Druckkraft die Gymnasiasten besitzen, ihnen folgen die Landschulkinder,
wie es nach der übrigen körperlichen Entwicklung zu erwarten war; erst
in einem deutlichen Abstand folgen die Stadtvolksschulkinder, so daß sich nach
dieser Methode ihre Unterlegenheit unter den gleich großen und gleich schweren
Landschulkindern ergibt. Man darf daraus schließen, daß die Stadtvolksschul¬
kinder in ihrer körperlichen Entwicklung zurückgeblieben sind, und daß diese
ihre Minderwertigkeit auf schlechtere soziale Verhältnisse zurückzuführen ist.
Im übrigen ist gerade das Klima Ostpreußens wegen seines großen
Einflusses auf den Nahrungsbedarf geeignet, ein kräftiges Geschlecht zu schäften.
Die relativ niedrige Tuberkulosesterblichkeit Königsbergs, im Gegen¬
satz zu den Binnenstädten, dürfte durch die Abhärtung infolge der ständigen
wehenden Winde bedingt sein; allerdings hat sie nicht in dem Maße abge¬
nommen, wie in den reicheren deutschen Städten. Ueber die Gründe der auf¬
fallend hohen Säuglingssterblichkeit Ostpreußens sind wir durch
wissenschaftliche Arbeiten sehr wenig unterrichtet. Bemerkenswert ist aber,
daß sie in dem heißen Sommer 1911 keine derartige Steigerung zeigte wie im
übrigen Deutschland, da die Temperatur in Ostpreußen nicht besonders hoch war.
_ Dr. It o e p k e - Melsungen.
5. Krankenfürsorge.
Die Krankenhauspflege als Leistung der sozialen Krankenver¬
sicherung. Von Dr. Wille, stellvertretender Vorsitzender der städtischen
Kleinere Mitteilungen and Beieinte aas Zeitschriften. 491
Versicherungsabteilung, München. Halbmonatsschrift für soziale Hygiene and
praktische Medizin; 1916, Jahrg. 24, Nr. 14 and 15.
Unter den Leistungen der sozialen Versicherung hat die Krankenhaus-
pflege sehr an Bedeutung gewonnen. Das Krankenyersicherungsgesetz erkannte
den Krankenkassen das Recht zu, an Stelle der ärztlichen Behandlung usw.
den Versicherten Kur und Verpflegung in einem Krankenhaase zu gewähren.
Die Wahl zwischen diesen beiden Leistungsarten blieb den Krankenkassen
überlassen. Einen anderen Standpunkt vertrat der oberste Verwaltungsgerichts¬
hof, der die Gewährung der Krankenhauspflege als eine Verpflichtung der
Krankenkassen ansah, sobald die Art der Krankheit diese Pflege erfordert.
Die Reichsversicherungsordnung hat dagegen die Anträge abgelehnt, welche
bezweckten, die Krankenhausplege zur pflichtmäßigen Leistung der Kranken¬
kassen zu erheben. Die Einführung der Krankenhauspflege als Pflichtleistung
würde allerdings eine starke Mehrbelastung der Kassen nicht bedeuten, wenn
sie auf die Fälle beschränkt würde, wo nach ärztlichem Gutachten die
Krankenhauspflege notwendig ist. Wird Krankenhauspflege durch die Kassen
abgelehnt, so kann indessen die Krankenkasse durch die Aufsichtsbehörde zur
Gewährung der Krankenhauspflege angehalten werden, natürlich nur unter
bestimmten Voraussetzungen. Auf diese Weise ist der Rechtsanspruch auf
Krankenhausbehandlung, wenn er auch juristisch nicht besteht, für den Ver¬
sicherten doch erreichbar, wo diese Behandlung notwendig ist.
Dr. Hoffmann-Berlin.
Kriegslazarette ehemals und heute. Von Architekt Fritz Doggen¬
berger. Halbmonatsschrift für soziale Hygiene und praktische Medizin;
Jahrgang 24, Nr. 7 und 8.
St.-Lazarus-Häuser hießen die Hospitäler, in denen die Aussätzigen
untergebracht wurden; hieraus ist das Wort „ Lazarett“ geworden, besonders
im Gebrauch für Soldaten-Hospitäler; auch die Cbaritö ist zunächst als mili¬
tärisches Lazarett errichtet. Im dreißigjährigen Kriege waren die sogenannten
Feldscherer tätig; es kamen aber schon Pflegerinnen vor. Die Verminderung
der Bevölkerung Deutschlands während des dreißigjährigen Krieges war
hauptsächlich auf die Seuchen zurückzuführen. Durch die 1724 gegründete
Aerzte-Schule erwarb sich Friedrich Wilhelm II. von Preußen ein großes Ver¬
dienst um die Ausbildung des Heilpersonals. Schon 1787 wurden Grundsätze
für den Bau von Krankenhäusern aufgestellt, die jetzt noch maßgebend sind:
w Danach sollen die Krankenhäuser womöglich frei und erhaben liegen, mit reiner
Luft umgeben und nicht weit vom fließenden Wasser entfernt sein.“ — Bekannt¬
lich haben die Epidemien oft die größten Erfolge einer siegreichen Armee zunichte
gemacht. Larrey, der Kriegschirurg Napoleons I., war schon von der Not¬
wendigkeit durchdrungen, Verwundete und Kranke möglichst schnell vom Kriegs¬
schauplatz zu entfernen; da man damals feste Verbände noch nicht kannte, wurden
meistens die Amputationen am Fundorte natürlich ohne Narkose vorgenommen,
und es kam nicht selten vor, daß die Amputierten geheilt zu Hause ankamen.
1814 und 1815 ging man dazu Uber, die Kranken und Verwundeten in eine
Gruppe kleiner Häuser zu verteilen (Pavillonsystem); jetzt sank die Sterb¬
lichkeitsziffer beträchtlich, auf etwa 40 Verwundete und Kranke kam ein
Todesfall, während in früheren Kriegen von 9 Verwundeten einer, und von 18
bis 20 Kranken einer starb. Aus diesen Erfahrungen heraus errichteten die
Amerikaner im Bürgerkriege 1861 bis 1865 Barackenlazarette; auch 1870/71
zeigte sich, daß kleine luftige Baracken oder Zelte manchmal geräumigen
8chlössern mit weiten Sälen vorzuziehen sind. 1870/71 war der erste Krieg,
in dem die Verluste durch Krankheiten bei dem deutschen Heere geringer
waren, als die Verluste an Verwundeten. Jetzt hat man auf diesen Erfahrungen
weiter gebaut; die Feldlazarette benutzen meist vorhandene Gebäude, auf den
Truppen - Hauptverbandplätzen spielen jedoch Zelt# eine große Rolle. Vor
allen Dingen muß aber der Transport in die Heimat beschleunigt werden. Die
Verwundetensterblicbkeit beträgt jetzt im deutschen Feldheere weniger als
1 */ 2 °/o. Dr. Hoffmann -Berlin.
492
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
6. KriegsbeschädigtenfOrsorge.
Krlegsbeschädigtenftirsorge. Aerztliche Mitteilangen aas and für Baden;
1916, Nr. 18.
Der Landesaasschaß der Kriegsbeschädigten!Qrsorge im
Großherzogtom Baden hat an die dortigen ärztlichen Vereine deB Landes ein
von ihm aasgearbeitetes Merkblatt nebst ärztlichesZeagnis zar Ver¬
breitung an die Vereinsmitglieder zageschickt, die sich aach für weitere Kreise
empfiehlt and deshalb an dieser Stelle zam Abdrack gebracht ist.
Merkblatt.
Die Kriegsteilnehmer, die den Arzt am Ausstellung eines Zeugnisses
zwecks Einleitang eines Heilverfahrens angehen werden, setzen sich aas vier
Grappen zusammen:
1. aas Rentenempfängern, die wegen unheilbaren schweren Leidens aas dem
Heeresverbande entlassen wurden;
2. ans Rentenempfängern, bei denen das Heilverfahren während der Lazarett-
behandlnng aas irgendwelchen Ursachen nicht zam Abschluß gekommen ist;
8. aus Rentenempfängern, bei denen das Heilverfahren während der Dienst¬
zeit zwar abgeschlossen wurde, sich jedoch eine Verschlimmerung des
Leidens nach ihrer Entlassung aus dem Militärdienst einstellte;
4. aus Kriegsteilnehmern, die ohne Versorgung entlassen wurden und erst
nach ihrer Entlassung offensichtlich erkrankten und die ihr Leiden zu
Recht oder zu Unrecht auf die Schädigung des Feldzuges zurückführen.
1. Die erste Gruppe wird nicht groß sein. Sie besteht vorwiegend aus
Kranken mit schweren Rückenmarks- und Schädelschüssen, mit Lungentuberku¬
lose asw. ohne Aussicht auf Besserung.
Der Landesausschuß der Kriegsbcschädigtenfürsorge bringt ihrer sach¬
gemäßen Versorgung das wärmste Interesse entgegen und ist für ärztliche
Vorschläge in dieser Richtung dankbar. Er ist bereit, alleinstehende Sieche
auf seine Kosten im Bedarfsfälle in Krankenanstalten unterzubringen oder,
falls sie Angehörige besitzen, diese durch Gewährung von Unterstützungen
und ärztlichen Hilfsmitteln in den Stand zu setzen, den Kranken in der
Familie zu verpflegen. Der Landestuberkuloseausschuß ist bereit, sich der
Lungenkranken anzunehmen und die Gefahr der Ansteckung ihrer Angehörigen
darch entsprechende Maßnahmen wirksam zu bekämpfen.
2. Auch die zweite Gruppe wird vermutlich ebenfalls nicht groß sein.
Durch Verfügung des Kriegsministeriums vom 4. April 1915 darf eine
Entlassung als dienstunbrauchbar nicht statt finden, bevor nicht durch geeignete
Behandlung versucht wird, den höchstmöglichen Grad der Wiederherstellung
der Gebrauchsfähigkeit der verstümmelten oder sonst beschädigten Glieder
oder der Leistungsfähigkeit des Kranken zu erreichen. Immerhin ist infolge
der besonderen Verhältnisse der ärztlichen Versorgung während des Feldzuges
anzunchmcn, daß Fälle Vorkommen werden, wo diese kriegsministerielle Be¬
stimmung nicht streng eingehaltcn worden ist.
Es wird - sich dabei vorwiegend um folgende Kranke handeln:
a) Verletzte, bei denen durch fachärztlich vorzunehmende blutige Eingriffe,
besonders durch plastische Operationen an Sehnen und Nerven die Ge-
brauchsfähigkeit der Glieder wesentlich gesteigert werden kann;
b) innerlich Kranke, besonders Tuberkulöse, die durch ein Heilverfahren in
ihrem subjektiven und objektiven Befinden wesentlich gehoben werden
können;
c) Kranke mit hysterischen Störungen (z. B. beiderseitige Ertaubung, Stumm¬
heit, allgemeines Muskelzittern, Lähmungen usw.i, die durch zweck¬
entsprechende Behandlung von ihren Leiden befreit werden können.
In diesen Fällen trägt grundsätzlich die Militärverwaltung die Kosten
des Heilverfahrens.
3. Die dritte Grippe von Rentenempfängern wird umfangreicher sein
und im Laufe der Jahre noch erheblich wachsen, da es im Wesen vieler Kriegs¬
schädigungen begründet liegt, daß nach anfänglichen Besserungen Rückfälle
und Verschlimmerungen eintreten.
Sie wird sich voraussichtlich hauptsächlich aus folgenden Kranken
zusammensetzen:
Kleinere Mitteilungen and Referate aus Zeitschriften.
498
a) Verletzte, bei denen nach anfänglicher Heilung Fisteln zum Durchbruch
kommen, Amputierte mit wunden und scbmerzhalten Stümpfen, Verwundete,
die von nicht entfernten Gescboßsplittern Schmerzen verspüren, Scbädel-
verletzte, bei denen sich als Folge von Karbenbildung usw. Gehirn¬
störungen (epileptische Anfälle, Kopfschmerzen, Benommenheit) einstellen;
b) innerlich Kranke, die an einem Rückfall in ihr früheres Leiden (z. B.
akuter Gelenkrheumatismus, Ischias, Herz- und Nierenleiden, Tuberkulose
der Lunge) erkranken und eines Heilverfahrens bedürftig werden.
In diesen Fällen trägt die Militärverwaltung die Kosten des Heil¬
verfahrens, falls die Krankheit eine Folge der im Kriege erlittenen DienBt-
beschädigung ist und nur durch angemessene Behandlung in einem Lazarett,
einer Lungenheilstätte oder durch Badekur eine Heilung oder erhebliche Besse¬
rang zu erhoffen ist.
4. Die vierte Gruppe endlich wird sich aus Kriegsteilnehmern zusammen¬
setzen, die ohne Versorgung entlassen sind und an den verschiedensten Be¬
schwerden erkrankten, die sie zum Teil mit Recht, häufiger auch mit Unrecht
mit den Schädigungen des Feldzuges in Verbindung bringen. Es ist zu er¬
warten, daß bei der in Laienkreisen weitverbreiteten Neigung, die verschieden¬
artigsten Störungen mit irgendwelchen, zum Teil fernliegenden Schädigungen
in ursprüngliche Beziehung zu setzen, die Zahl dieser Kranken gleichfalls
nicht gering sein wird.
Die Behandlung dieser Fälle gehört nicht zu den eigentlichen Aufgaben
des Landesausschusses der Kriegsbeschädigten-Fürsorge. Er muß sich daher
Vorbehalten, die Ansprüche des Erkrankten auf ein Heilverfahren zu prüfen,
und falls ein innerer Zusammenhang zwischen den Kriegsschädigungen und den
bestehenden Leiden angenommen werden darf, ein Heilverfahren auf seine
Kosten durcbznführen oder den Kranken mit seinen Ansprüchen an die Militär¬
verwaltung oder andere Stellen zu verweisen.
Der Landesausschuß der Kriegsbeschädigtenfürsorge ist bestrebt, allen
Ansprüchen der Kriegsbeschädigten auf ein Heilverfahren nachzukommen, so¬
weit sie gerecht sind und das Heilverfahren zu einer Heilung oder Besserung
der Beschwerden wirklich erforderlich ist.
Auf der anderen Seite ist jedoch der Landesausschuß mit Rücksicht auf
die große Zahl der voraussichtlich notwendig werdenden Heilverfahren und die
dafür verfügbaren Mittel genötigt, alle überflüssigen und vermeidbaren Kuren
abzulehnen.
Um die anspruchsberechtigten Kriegsteilnehmer von den übrigen zu
sondern und den Behandlungsbedürftigen das erforderliche Heilverfahren im
vollen Umfange zukommen zu lassen, ist der Landesausschuß auf die opfer¬
willige Mitarbeit derAerzte angewiesen. Diese werden in richtiger Würdi¬
gung der Aufgaben der Kriegsbeschädigtenfürsorge und der zur Verfügung stehen¬
den Mittel gewiß bereit sein, in jedem einzelnen Falle durch Ausstellung eines
klaren, kurzen und doch erschöpfenden Zeugnisses über den Gesundheitszustand
des Antragstellers den Landesausschuß in die Lage zu.setzen, die Berechtigung
des Gesuches einer Nachprüfung zu unterziehen.
Der Landesausscbuß sieht davon ab, das Zeugnis derAerzte an einen
bestimmten, vorgedruckten Fragebogen zu binden, da die auftauchenden Fragen
so mannigfaltig sein werden, daß ein Fragebogen, der ihnen gerecht werden
wollte, sehr umfangreich und umständlich sein müßte. Es kann jedoch erwartet
werden, daß der Arzt auch ohne nähere Anweisung alle Punkte, die für die
Beurteilung des Leidens des Kriegsbeschädigten und der ärztlichen Heil¬
vorschläge erforderlich sind, aus eigenem Ermessen berührt, sich dadurch weitere
Rückfragen erspart und das Heilverfahren für den Kriegsbeschädigten nicht
unnötig verzögert.
Obwohl der Landesausschuß den Aerzten soweit völlige Freiheit in der
Form des Zeugnisses läßt, so legt er doch den^Wert darauf, daß sein
Inhalt lückenlos ist. Das Zeugnis muß berücksichtigen
a) die Vorgeschichte des Leidens. Wann und wie äußerte sich das Leiden
vor, während und nach dem Feldzuge Y Wann, wo und wie wurden bisher
Heilverfahren durchgeführt, auf wessen Kosten und mit welchem Erfolge 'i
b) den gegenwärtigen Befand. Bei örtlichen Leiden ist eine genaue Schilde-
494
Kleinere Mitteilungen und Beferate aus Zeitschriften.
rang der krankhaften Veränderung notwendig, bei allgemeinen Leiden
eine eingehende Darstellung der ärztlichen Untersuchung (Perkussion,
Auskultation, Sputnmuntersnchnng, Urinuntersuchung, Temperatur-
Messnngen nsw.),
c) die Beurteilung des Zustandes. Was für ein Leiden liegt vor? In welcher
Beziehung steht es zu den Kriegsschädigungen (vergl. Ziffer 1—4)?
Ist eine etwaige Lungenerkrankung tuberkulöser Natur?
d) die Wirkung des Leidens auf die Erwerbsfähigkeit. Steht der Kranke in
Arbeit und mit welchem Erfolge?
e) Vorschläge zur Behandlung. Ist von einem Heilverfahren zu erwarten
völlige Heilung, oder wesentliche Besserung, oder wenigstens Linderung
der Schmerzen?
Welche Kranken- oder Heilanstalt, welches Bad, welcher Erholungs¬
aufenthalt oder Luftkurort kommt in Frage ? Bei voraussichtlich gleichem
Erfolge sind die dem Wohnorte des Kranken am nächsten gelegenen Orte
zu bevorzugen;
f) voraussichtliche Dauer des Heilverfahrens;
g) ist der Kranke mit der Durchführung des vorgeschlagenen Heilverfahrens
einverstanden ?
h) verpflichtet sich der Kranke solange in der Heilanstalt, dem Badeort usw.
zu bleiben, als es der Arzt für nötig hält?
i) ist nach ärztlichem Gutachten eine Reisebegleitung erforderlich?
k) leidet der Kranke oder seine Familie an ansteckenden Krankheiten?
Oder an Zuständen, welche für andere im Verkehr schwer erträglich sind
(starker Husten, Auswurf, Ausdünstungen und dergleichen)?
l) sind die Zähne in Ordung, d. h. genügend Zähne zum Kauen vorhanden
und keine Eiterungen oder Schmerzen zu befürchten'?
Von dem Inhalt des Zeugnisses und den gemachten Behandlungs¬
vorschlägen wird gebeten, dem Kranken keine Mitteilung zu machen,
sondern es in einem verschlossenen Umschlag dem Landesausschuß der
Kriegsbeschädigtenfürsorge, Abteilung Heilfürsorge in Karlsruhe, — Kaiser-
alleo 8 — einzusenden.
a. Fragen zur Ansiedlung Kriegsbeschädigter. Von Hans Würtz-
Zehlendorf. b. Kriegsinvaliden als Siedler. Von Hans Ostwald-Zehlendorf.
Zeitschrift für Krüppelfürsorge; 1916, Nr. 9.
a. W. beschäftigt sich eingehend mit der Siedlungsfrage und will nament¬
lich die Stellungnahme zu folgenden Fragen anregen:
1. Was versteht man unter einem siedlungsberechtigten Kriegsbeschä¬
digten?
2. Unter Siedlungen für Kriegsbeschädigte?
b. 0. hält es für das Richtigste, Kriegsinvaliden anzusiedeln im Interesse
ihrer Gesundheit, ihrer wiedererwachenden Arbeitsfähigkeit, ihrer moralischen
und wirtschaftlichen Wiederaufrichtung; dasselbe gilt auch für die Kriegerwitwen.
Dr. Wolf- Hanau.
Ein Vorschlag snr Lösung des Problems der „willkürlich beweg¬
lichen künstlichen Hand“. Von Oberstabsarzt Dr. Pochhammer-Berlin.
Deutsche med. Wochenschrift; 1916, Nr. 19.
Es wird vorgeschlagen, durch Kreuzung eines Teiles der Muskel-
und Sehnenenden bei der Stumpfplastik an Stelle „beweglicher Kraftwülste*
(SAuerbruch) bewegliche Tast- und Greifwülste am Stumpfende bei
Armampntierten zu bilden. Diese ermöglichen eine „spontane Greiffähigkeit*
des Armstumpfes und lassen sich zur Herstellung einer „willkürlich beweg¬
lichen künstlichen Hand* nutzbar machen. Dr. R o e p k e - Melsungen.
7. Soziale Hygiene.
Die Erhaltung der Volkskraft. Von Geh. Sanitätsrat Dr. W. Lublinski.
Halbmonatschrift für soziale Hygiene und praktische Medizin; 1916, Jahr¬
gang 24, Nr. 9.
Es soll nicht nur auf die Volksvermehrung Wert gelegt werdern, sondern
Besprechungen.
495
auch auf die Erhaltung der Volkskraft. Wenn nach dieser Richtung hin auch
schon durch Mutterschutz, Säuglingspflege, Krippen usw. viel getan ist, so
bleibt doch noch ein reiches Arbeitsfeld. Im Gewerbe gibt es einen Kinder¬
schutz, aber nicht in der Landwirtschaft. Die Kinder, die mit Erwachsenen
Zusammenarbeiten, leiden oft Einbuße an ihrer Moral; Beweis: die Zunahme
der verurteilten Jugendlichen. Gerade jetzt, wo in vielen Familien <der Vater
fehlt, sollte die Erhaltung der Volkskraft eine große Rolle spielen.
Dr. Hoffmann-Berlin.
Krieg und Geburtenrückgang. Von Obersanitätsrat Dr. Alt schul*
Prag. Das Oesterreichische Sanitätswesen; 1916, Nr. 9—12.
Als Gesamtergebnis konnte die höchst wichtige Tatsache festgestellt
werden, daß das Gedeihen der Kinder um so besser und die Gewichtszunahme
um so konstanter und größer waren, je jünger das Kind beim Eintritt in die
Kriegspatenschaft war, je früher also Mutterberatung, ärztliche Aufsicht
und Ordination eingesetzt hatten. Eines steht und geht wohl aus den Darstellungen
hervor, nämlich, daß die Kriegspatenschaft nicht eine einfache Armenunter¬
stützung ist, sondern eine systematisch betriebene hygienische Institution, die
hoffentlich nicht nur die Kriegszeit überdauern, sondern sich zu einer bleibenden
und sich immer erweiternden Einrichtung gestalten wird. Wenn man schon in
nächster Zeit darangehen wird und man wird darangehen müssen, Institute
der Säuglingsfürsorge, namentlich der offenen Säuglingsfürsorge, ins Leben zu
rufen, dann kann man auch auf die bei kriegspatenschaftlicher Fürsorge
gemachten Erfahrungen, auf ihre Einrichtung und Methodik zurückgreifen.
Und der größte Erfolg der Kriegspatenschaft wird es sein, wenn zur Gründung
gleicher und ähnlicher Einrichtungen in anderen Stadt- und Landbezirken
Oesterreichs Anlaß gegeben wird. Dr. Wolf-Hanau.
Besprechungen.
Dr. Hans Salomon ■ Weimar: Taschenbuch mit Anleitung für die
klinisch-chemischen und bakteriologischen Untersuchungen
von Harn, Auswurf, Mageninhalt, Erbrochenem, Darment¬
leerungen, Blut. Für Studierende, Krankenschwestern, Laboratoriums¬
gehilfinnen, Sanitätsmannschaften. Weimar 1916. P ans es Verlag G. m. b. H.
Gr. 12°, S. 79, Preis: geb. 1 Mk.
Das Büchlein behandelt in gedrängter Form die wichtigsten klinisch-
chemischen Untersuchungsmethoden, wie sie heute in jedem Krankenhause und
von jedem Arzte vorgenommen werden. Neben den neueren Untersuchungs¬
methoden haben auch die alten erprobten volle Berücksichtigung gefunden. Die
Darstellung ist mit Rücksicht auf den Kreis für den die Beschreibung be¬
stimmt ist, gemeinverständlich gehalten, der wissenschaftliche Standpunkt dabei
jedoch streng gewahrt. Um den Preis möglichst billig zu stellen, ist leider auf
Abbildungen verzichtet; es ist dies ein Mangel, der sich gerade gegenüber
Krankenschwestern, Helferinnen, Laboratoriumsgehilfen usw., denen das Hand¬
buch in erster Linie als Berater dienen soll, recht fühlbar machen wird, ganz
abgesehen davon, daß es uns überhaupt bedenklich erscheint, nicht völlig als
Laboratoriumsgehilfen ausgebildete Krankenpflegern, Sanitätsmannscbaften usw.
mit derartigen Untersuchungen zu betrauen. Rpd.
Dr. Raimund dränier: Lehrbuch für Heilgehilfen und Masseure,
Krankenpfleger und Bademeister. Achte Auflage; bearbeitet von
Generaloberarzt Dr. HAttig, Kreisarzt in Berlin. Mit 90 Abbildungen.
Berlin 1916. Verlagsbuchhandlung von Richard Schoetz. Gr. 8°; 242 S.
Preis: geb. 6,50 M.
Das von dem verstorbenen Geh. Med.-Rat Dr. Granier, Kreiserzt in
Berlin, im amtlichen Aufträge verfaßte Lehrbuch für Heilgehilfen usw. liegt
jetzt in neuer Auflage vor, die von dem Kreisarzt Dr. Hüttig bearbeitet
ist. Die bewährte Anordnung des Stoffes ist unverändert geblieben, auch der
Inhalt hat keine erheblichen Aenderungen erfahren, nur bei dem Abschnitt
„Desinfizieren und Sterilisieren" ist eine Beschreibung des für die Fleckfieber-
496
Besprechungen.
bek&mpfung so wichtigen Entlausungsyerfahren beigefügt worden. Das Lehr¬
buch braucht den Wettbewerb mit den in neuerer Zeit zahlreich erschienenen
ähnlichen Lehrbüchern nicht za scheuen und wird sich sicherlich ebenso wie
bisher in seiner neuen Ausgabe einer großen Beliebtheit in den beteiligten
Kreisen erfreuen. Seine Verbreitung dürfte jedoch voraussichtlich eine noch
größere sein, wenn es künftigbin nach Titel und Inhalt nicht mehr in erster
Linie für „Heilgehilfen und Masseure“, sondern für „Krankenpfleger“ be¬
stimmt wird. ßpd.
Prot Dr. Pool Friedrioh Blohter-Berlin: Gesundheitspflege der Nieren
und Harnorgane. Mit 11 Abbildungen. Leipzig 1916. Max Hesses
Verlag. Kl. 8®, 111 8. Preis: geb. 1,86 M.
Die vorliegende Schrift bildet den 16. Bd. der in Max Hesses Verlag
erscheinenden und im Aufträge des Verbandes der Aerzte Deutschlands zur
Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen herausgegebenen Sammlung gemein¬
verständlicher Darstellungen aus dem Qebietc der Gesundheitspflege. Erhaltung
der Volk8gesundheit durch Verhütung der Krankheit ist der Zweck dieser
Bücherei modernen Wissens; die Bücher haben den Charakter von Hausbüchern und
sind deshalb in einer für das Laienpublikum geeigneten Form geschrieben, das
auf diese Weise eine einwandfreie und maßgebende Schilderung der wissen¬
schaftlichen Forschungsergebnisse erhält. Das Riehtersehe Büchlein bringt
zunächst kurze, klar gehaltene anatomische und physiologische Vorbemerkungen
über die Harnorgane (I), dann folgen zwei Abschnitte über allgemeine Gesund¬
heitspflege der Nieren (II) und der harnabführenden Organe — Harnblase und
Harnröhre — (III); die sich hieran anschließenden Vorschriften zur Verhütung
der wichtigsten Krankheiten der Harnorgane (IV) und Harnröhrenkrankheiten (V)
bilden den größeren, wichtigsten und wertvollsten Teil des für seinen Zweck
vorzüglich geeigneten Handbuches. Rpd.
Dr. mod. Eiaonotadt-Berlin: Beiträge zu den Krankheiten der Post¬
beamten. Fünfter TeiL Berlin 1916. Verlag: Deutscher Postverband,
Berlin Nr. 18. 4«, 168 8.
Die vorliegende Arbeit bringt nicht nur die statistischen Ergebnisse der
8terbekarten des Verbandes mittlerer Reichs-Post- und Telcgraphen-Reamten
aus den Jahren 1909—1913 und führt damit die wissenschaftliche Ausnutzung
der Sterbekarten von 1903—1908 weiter, sondern sie erhält auch sonst wertvolle
Abhandlungen über die zeitgemäße Frage „Kinderarmut und Beamtenstand“,
über die Tuberkulosesterblichkeit der Lehrer, der mittleren Postbeamten
und der Post- und Telegraphenbeamten, sowie über die steigende Sterb¬
lichkeit der mittleren Postbeamten hervorzuheben, die um so auffallender
ist, als ihr ein sichtlicher Rückgang der Tuberkulose gegenübersteht. Dies
zeigt auch, welchen Wert für die wirtschaftliche Lage der Beamten wahrheits¬
gemäße Aufzeichnungen bositzen; denn die genaue Ausfüllung der Sterbekarten
ermöglicht, den Krankheitsursachen nachzuforschen und Wege zur Krankheits¬
verhütung za linden. Die schon früher vom Verfasser nachdrücklich betonte
Forderung der Frühe he wird auch diesmal von ihm auf Grund des Materials
aus dem Zeitabschnitt 1909—1913 aufrecht erhalten. Für Aerzte und Be¬
völkerungspolitiker, für Versicherungsmedizin und soziale Hygiene bringt die
Arbeit zahlreiche Lehren und Anregungen. Rpd.
Prof. Dr. mod. O. Baohem in Bonn: Deutsche Enatzpräparate fflr
pharmazeutische Spezialitäten des feindlichen Auslandes. Bonn 1916.
Verlag von A. Marcus & E. Webers Verlag (Dr. jur. Albert Ahn).
12®, 28 Seiten; Preis: 0,60 M.
In dem Schriftchen wird an der Hand zahlreicher Beispiele gezeigt,
daß wir für die meisten vor dem Kriege aus dem Aaslande, besonders
aus Frankreich und England, bezogenen pharmazeutischen Spezialitäten im
lnlande hinreichenden Ersatz besitzen. Es wird ferner die Zusammensetzung
der wichtigsten Präparate mitgcteilt, bezw. ein der Originalvoracbrift nahe¬
kommendes Rezept genannt. Der Arzt kann hiernach also mit Leichtigkeit
die Verordnung einer ausländischen Spezialität umgehen. Das kleine handliche
Tagesnachrichten. 4/9?
Format erleichtert die bequeme Einlage in jedes Rezeptbuch oder jeden ärzt>
liehen Kalender. Rpd. *
F. Sauerbruoh, ord. Professor der Chirurgie in Zürich: Die willkürlich
bewegliche künstliche Hand. Eine Anleitung für Chirurgien und Techniker.
Mit 104 Textfiguren. Berlin 1916. Verlag von Julius Springer. Gr. 8°;
143 S. Preis: 7 M., gebunden 8,40 M.
Die vorliegenden unter Mitwirkung von den Oberarzt d. L. A. Stadler,
Chefarzt des Vereinslazaretts Siegen, verfaßte und mit anatomischen Beiträgen
von Prof. G. R u g e und W. F e 1 i x in Zürich versehene Arbeit bringt den Beweis,
daß die Muskelkraft eines Amputationsstumpfes erfolgreich für nahezu gleich¬
wertige Leistung der physiologischen Tätigkeit des Armes herangezogen werden
kann. Das gesteckte Ziel: die Herstellung einer willkürlich bewegbaren,
künstlichen Hand, ist allerdings bisher infolge technischer Schwierigkeiten noch
nicht erreicht, seine Erreichung aber durch die dem Buche in ihren Hauptzügen
sichergestellten anatomischen-physiologischen und klinischen Grundlagen wesent¬
lich näher gerückt, sowie dank der unter Leitung des Direktors der Diplomwerke
bei der Firma Siemens-Schuckert, Prof. Reichel, nach gründlichen
Vorstudien und mit großem Eifer betriebenen Arbeiten erheblich gefördert.
Die ebenso vorzüglichen wie sachgemäßen Ausführungen des Verfassers sind
so recht geeignet, um Anregung zu neuen und weiteren Arbeiten zu geben;
deshalb wird auch seine Schrift sowohl dem Chirurgen, als dem Techniker in
hohem Grade willkommen sein. Rpd.
Verelnsiohriften de« Verein« für Wa««er- und Gaswirtsohaft.
Herausgegeben von Generalsekretretär Erwin Stein.
Von den jetzt im Deutschen Kommunal-Verlag, Berlin-Friedenau,
erschienenen Schriften des Vereins für Wasser- und Gaswirtschaft:
Denkschrift über die Arbeiten des Vereins; Heft 2, Kl. 8°, 30 S.
Preis: geh. 0,75, geb. 1,50 M.;
Die Schwefelmengung des Leuchtgases von Dr. Otto Pfeiffer,
Chemiker des städtischen Gas- und Wasserwerkes in Magdeburg; Heft 3,
Kl. 8°, 32 S. Preis: geh. 1,50, geb. 2,25 M.;
Die Haftung der Gemeinden für die Betriebsleiter und sonstigen
Angestellten an den Gemeindeanstalten ; von Amtsgerichtsrat
Meene in Bad Oeynhausen, Heft 4, Kl. 8°, 19 8. Preis: geh. 1 M.,
geb. 1,50 M.
interessiert die Leser dieser Zeitschrift namentlich die zuletzt genannte Schrift,
die eine vortreffliche verwaltungsrechtliche Betrachtung der Frage zur Recht¬
sprechung des Reichsgerichts darstellt und demzufolge auch für Aerzte, soweit
sie an kommunalen Anstalten als Aerzte angestellt sind, von großem
Wert ist. _ Bpd. •
Tagesnachrichten.
Zur Sicherung der Volksernährung sind in letzter Zeit wieder ver¬
schiedene Verordnungen erlassen; durch die die Verarbeitung von Obst und
Gemüse (Verordnungen vom 5. August d. J.), die Sicherstellung der Kar¬
toffelversorgung (Verordnung vom 2. August d. J.) und der Verkehr
mit Eiern (Verordnung vom 12. August d. J.) geregelt ist. Ebenso haben die
Verordnungen über Oelfrüchte und daraus gewonnene Produkte (unter dem
26. Juni d. J.) über Hülsenfrüchte und Brotgetreide (unter dem 29. Juni
d. J.) eine Neufassung erhalten. Ferner ist durch Verordnung vom 3. August
d. J. die Vornahme einer allgemeinen Bestandsaufnahme der wich¬
tigsten Lebensmittel angeordnet, die sich bei Haushaltungen von weniger
als 30 Mitgliedern nur auf Fleischdauerwaren, Fleischkonserven und Eier, bei
solchen mit mehr zu verpflegenden Personen (darunter auch Anstalten aller
Art, Krankenanstalten, Irrenanstalten, Erholungsheime usw.), dagegen auch auf
alle anderen Lebensmittel (Reis, Hülsenfrüchte, Gemüsekonserven, Zucker, Dörr¬
gemüse, Marmelade, Kaffee, Tee, Butter, Schmalz usw.) erstreckt (s. S. 127 der
heutigen Beilage). Außerdem ist eine Verordnung (vom 3. August d. J.) über
den Verkehr mit Gummisauger erlassen (s. S. 129 der heutigen Beilage).
498
* i * t *
Tagosnacbrlchten.
Das Deutsche Zentralkomitee für ärztliche Studienreisen
veraBstaltet im Anschluß an die Tagung der Zentralstelle für
Balneologie, die im September d. Js. in Rostock stattfindet, eine
Studienreise nach den Bädern in Mecklenburg und Fürstentum Lübeck sowie
nach Lübeck, Travemünde und der Holsteinischen Schweiz. Die Reise soll am
2. September in Warnemünde beginnen und am 7. September in Plön
enden. Preis für die ganze Reise einschließlich Eisenbahn- und Dampferfahrten,
Nachtquartier und Verpflegung (mit Ausnahme der Getränke und Trink-
? ;elder): 100 M. Anfragen und Meldungen sind an das Deutsche Zentralkomitee
ür ärztliche Studienreisen Berlin W. 9, Potsdamerstraße 184 b, zu richten.
Der IV. Deutsche Kongreß für Krflppelfürsorge findet am 21. August
d. J. in Küln im Gürzenichsaale statt.
Tagesordnung:
Sonntag, den 20. August, 8 ühr abends: Zwanglose Zusammen¬
kunft im Gürzenich-Restaurant (Martinstr.).
Montag, den 21. August, 9 Uhr vormittags: Sitzung des ge-
schäftsftthrenden Vorstandes und Kongreßausschusses im Isabellensaal des
Gürzenichs. 9*/• Uhr vormittags: Sitzung des Ausschusses im Isabellen¬
saal des Gürzenichs.
10 Ubr vormittags: Kongreß Sitzung im großen Saale des Gür¬
zenich: Begrüßungsansprache des Vorsitzenden Prof. Dr. Krautwig. —
1. Die vaterländische und sittliche Bedeutung der Krüppelfürsorge: Wirkl.
Geh. Ober-Med.-Kat. Prof. Dr. Dietrich-Berlin; — 2. Der Arzt in der
KrüMielfürsorge: Prof. Dr. Biesalski-Berlin; — 3. Die soziale Bedeutung
der Krüppelfürsorge und ihr Einfluß auf die Rasse: Dr. Peter Bade-Han¬
nover; — 4. Körperliche Mängel am Seelenleben: Prof. D. Aschaffenburg-
Cöln; — 5. Die erzieherische Bedeutung der Arbeit in der Krüppelfürsorge:
Rektor Schlüter-Bigge; — 6. Die Krüppelfürsorge im Lichte der Kultur.
(Mit Lichtbildern und Filmvorführung): Erziehungsdirektor Hans Würtz-
Berlin-Zehlendorf. — Wahl des nächsten Kongreßortes und des Vorsitzenden.
Nachmittags 4 Uhr: Besichtigung des städtischen Krüppelheims,
Stiftung Dr. Dormagen und des Guffanti-Hauses ln Cöln-Merheim, Lachemer-
weg. — 1. Praktische Lebrprobe: Schreibunterricht der Krüppelkinder: Lehrer
Thomö-Cöln; — 2. Angliederung landwirtschaftlicher Betriebe an Krüppel¬
heime und ähnliche Anstalten: Dr. von Kahlden-Cöln (Generalsekretär des
Rheinischen Bauernvereins).
Abends 8 Uhr: Zwanglose Zusammenkunft auf der Garten-Terrasse
des Opernhauses Rudolphplatz. (Zu erreichen mit Straßenbahnlinie 18 ab Dom.)
Da Auswärtige, wenn es gewünscht wird, sich über ihre Person aus-
weisen müssen, so empfiehlt es sich, einen Paß oder Unverdächtigkeitsbescbei-
nigung der Polizeibehörde des Wohnortes nebst Bild und Namensunterschrift
mitzuführen. Der Verkehrs-Verein (Bischofsgartenstr. 16) vermittelt den Kon¬
greßteilnehmern auf Wunsch geeignete Wohnungen. Weitere Auskünfte
werden durch das Büro Cöln, Stadthaus, Zimmer 111, erteilt.
Im unmittelbaren Anschluß an den vorstehenden Kongreß finden noch
folgende Tagungen statt:
a. Aerstltche Tagung.
Tagesordnung:
Dienstag, den 22. August 1916, 9 Uhr: 1. Ansprache des Vor¬
sitzenden; Geheimrat Prof. Dr. Hering. — 2. Begrüßung durch Herrn Ober¬
bürgermeister Wallraf. — 3. Eröffnungsrede; Generalarzt Dr. Schnitzen. —
4. Diabetes; Berichterstatter: k. k. Hof rat Prof. Dr. vonNoorden - Frankfurt. —
6. Magen-Darmerkrankungen; Berichterstatter: Stabsarzt Geheimrat Prof. Dr.
Schmidt-Halle. — 6. Epilepsie; Berichterstatter: Generalarzt Geheimrat
Prof. Dr. T i 1 m a n n, Geheimrat Prof. Dr. Sommer- Gießen.
b. Tagung für Kriegsbeschädigtenfürsorge.
Tagesordnung:
Dienstag, den 22. Augustl916, abends 8 1 /* Uhr: BegrüSungs-
abend im großen Saale des Gürzenich.
Mittwoch,d e n 2 8. Augustl916,vormittags9Uhr:l. Organi¬
sation und bisherige Arbeit der bürgerlichen Kriegsbeschädigtenfürsorge;
Tagesnachrichten.
496
Landesdirektor von Winterfeldt, Vorsitzender des Reichsamsschussee der
Kriegsbeschädigtenfürsorge in Berlin. — 2. Die bürgerliche Kriegbeschädigten-
fürsorge and die Gesetzgebung; Dr. Schwerer, Ob.-Reg.-Bat im Staatsmini-
steriam des Innern in München. — 8. Landwirtschaft and Kriegsbeschädigten*
fttrsorge; Direktor a. D. Prof. y. Strebei in Stuttgart. — 4. Ländliche Sied¬
lang ; Regierungspräsident yon Schwerin in Frankfurt a. 0. — 5. Städtische
Siedlung; Wirklicher Geheimer Rat Dr. Dernburg in Berlin.
Donnerstag, den 24. August 1916, yormittags 9 Uhr: 1. Die
ärztliche Fürsorge für die Kriegsyerstümmelten; Med.-Rat Oberstabsarzt Dr.
Rebentisch in Ofienbach a. M. — 2. Die ärztliche Fürsorge für die Kriegs¬
kranken; Wirkl. Geh. Ob.-Med.-Rat Dr. Dietrich in Berlin. — 3. Die Hinter¬
bliebenenfürsorge; Bürgermeister yon Holländer in Mannheim. — 4. und
5. Die Kriegsbeschädigtenfürsorge in der Industrie; Httttendirektor Probst
in Düsseldorf und Generalkommissionsyorsitzender Legion, M. d. R., in Berlin.
Nachmittags 6 Uhr: Für den engeren Kreis der Interessenten:
Aussprache über die Erfahrungen, die in der Praxis mit den Prothesen ge¬
macht worden sind, im Anschluß an die Berichte der Herren Prof. Dr. Biesalski
in Berlin, k. k. Generalstabsarzt Prof. Dr. Dollinger in Budapest, Senats¬
präsident im Reichsversicherungsamt Dr.-Ing. h. c. Hartmann in Berlin,
Landesrat Dr. Horion in Düsseldorf und k. k. Oberstabsarzt Prof. Dr. Spitzy
in Wien.
Freitag, den 26. August 1916, yormittags 9 Uhr: 1. Die
Unterbringung der Kriegsbeschädigten im öffentlichen Dienst; Bürgermeister
Dr. Luppe in Frankfurt a. M. — 2. Die Verwendungsmöglichkeit der Kriegs¬
beschädigten im Handel (Redner noch unbestimmt). — 3. Die Verwendungs¬
möglichkeit der Kriegsbeschädigten im Handwerk (Redner noch unbestimmt). —
4. Der Arbeitsnachweis für Kriegsbeschädigte; Rechtsrat Dr. Fischer in
Nürnberg. — 5. Die Mitarbeit der Frau in der Kriegsbeschädigtenfürsorge;
Freifrau yon Bissing in Berlin. — 6. Die Fürsorge für die Familien der
Kriegsbeschädigten; Pastor Kießling in Hamburg.
Alle Sitzungen finden im Gürzenich statt. Ein im Gürzenich
eingerichtetes Kongreßbüro erteilt in allen die Tagung betreffenden Fragen
Auskunft und stellt Ausweiskarten aus, die zum freien Eintritt in die öffent¬
lichen Sammlungen berechtigen. Der Cölner Verkehrsyerein (Bischofsearten 19
am Domhof) yermittelt auf Wunsch Wohnungen und gibt empfehlenswerte
Gasthöfe an.
EhrentafeL Es haben weiterhin erhalten das
Eiserne Kreuz I. Kasse:
Stabsarzt Dr. Aumann-Coblenz.
Assistenzarzt d. Res. Dr. Felix C o h n - Hamburg.
Stabsarzt d. L. Dr. Mölleney-Altendorf (Reg.-Bez. Arnsberg).
Stabsarzt d. Res. Dr. Moltricht, Schularzt in Hamburg.
Feldarzt Dr. Hermann St öl ting- Santiago (Chile).
Stabsarzt d. Res. und Reg.-Arzt Dr. Max T r a p p e - Breslau.
Stabsarzt d. Res. Dr. Trenkner, kommiss. Physikus in Schlotheim
(Schwarzburg-Rudolstadt).
Generaloberarzt Dr. Wendel-Ludwigsburg (Württemberg).
Großherzogi. Hessisches Militärsanitätskreuz am Bande
der Tapferkeitsmedaille: Prof. Dr. Jesioneck, Med.-Rat Dr.
Oswald, Direktor der Landes-Irrenanstalt, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Poppert,
Prof. Dr. Soetbeer, Prof. Dr. V oit, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Vossius
und Med.-Rat Kreisarzt Dr. Walger, sämtlich in Gießen.
Ehren-Gedkohtnlntafel. 1 ) Für das Vaterland gefaUen oder gestorben
sind ferner:
Stabsarzt d. Res. Dr. Johann Dickert, Chefarzt an der Provinzial-
Heil- und Pflegeanstalt in Schleswig.
Assistenzarzt d. Res. Dr. Josef Ehrenwall-Frankfurt a. M.
Stabsarzt d. L. Dr. Hans Erhardt-Breslau.
Oberstabsarzt d. L. Dr. E. H ä h n 1 e - Reutlingen (infolge yon Krankheit
gestorben).
500
. Sprechsaal.
Oberarzt d. Res. Dr. Günther von Halfern-Heidelberg (gestorben
infolge von Krankheit).
Oberarzt Dr. Johannes Heinze (gestorben in Tscheplau (Kreis Glogan)
infolge von Krankheit).
Assistenzarzt d. Res. Dr. Hillmann-Heiligenstadt (Reg.-Bez. Erfurt)
(gestorben infolge von Blutvergiftung).
Stabsarzt d. Res. Dr. Hohnfeldt (infolge von Krankheit gestorben).
Assistenzarzt Dr. Hans Kirsch ne r-Nürnberg.
Feldarzt San.-Rat Dr. Karl K o 1 b e - Bommern a. Ruhr (Reg.-Bez. Arns¬
berg).
Assistenzarzt d. L. Dr. Ernst Maas-Stettin (gestorben infolge von
Krankheit).
Assistenzarzt d. Res. Dr. Neddersen.
Stabsarzt d. L. Dr. V. Olszewski-Rosdzin (Oberschlesien) (gestorben
infolge von Krankheit).
Oberarzt d. Res. Dr. Paul Przewodnik, Oberarzt an der Provinzial-
Heil- und Pflegeanstalt in Lüben (Reg.-Bez. Liegnitz).
Assistenzarzt Dr. Gerhard Rocholl.
Bataillonsarzt Dr. M. W e y 1.
Außerdem ist auf dem Felde der Ehre gefallen: Stud. med.
Georg Riedel, Leutnant d. Res. im Inf.-Reg. Nr. 180, Inhaber des Eisernen
Kreuzes I. und II. Klasse und des Ritterkreuzes des Württembergischen
Militärverdienstordens, Sohn des Med.-Rats Dr. Riedel, Physikus in Lübeck.
Berichtigung: Der in Nr. 15 gemeldete Tod des Oberstabsarztes
Dr. Hoch eisen-Marbach hat sich erfreulicherweise nicht bewahrheitet; der
Kollege ist von einem Hals- und Lungenschuß wieder geheilt und bereits wieder
ins Feld zurückgekehrt. _
Cholera: In Ungarn ist vom 8. bis 15. Juli 1 (1) Fall festgestellt.
Fleckfleber: Im- Deutschen Reich ist nur in der Woche vom
80. Juli bis 8. August eine Erkrankung bei einem Kriegsgefangenenlager vor¬
gekommen; in Ungarn sind vom 3. bis 9. Juli 4 Erkrankungen amtlich
gemeldet.
Pocken: Die Zahl der Pockenerkrankungen im Deutschen Reich
betrug vom 80. Juli bis 6. August: 5 (außer 18 Erkrankungen unter den wol-
hynischen Rückwanderern in Heilsberg (Reg.-Bez. Königsberg).
Erkrankungen und Todesfälle an ansteckenden Krankheiten In
Preußen. Nach dem Ministerialblatt für Medizinal-Angelegenheiten sind in der
Zeit vom 16. bis 22. Juli 1916 erkrankt (gestorben) an Pest, Gelbfieber,
Cholera, Trichinose, Aussatz, Malaria, Fleckfieber, Rückfall¬
fieber, Paratyphus: — (—); Bißverletznngen durch tollwut¬
verdächtige Tiere: 4 (—); Tollwut: 2 (—); Rotz: 1 (—); Milz¬
brand: 1 (1); Pocken: 28 (—); Unterleibstyphus: 222 (19); Ruhr:
65 (5); Diphtherie: 1480(80); Scharlach: 1126(47); Kindbettfieber:
46 (18); Genickstarre: 6 (—); spinaler Kinderlähmung: 1 (—);
Fleisch-, Fisch- und Wurstvergiftung: 137 (—); Körner¬
krankheit (erkrankt): 52; Tuberkulose (gest.): 658.
Spreohnanl.
Anfrage des Med.-Rats Dr. G. in M.: Sind die von Angehörigen
von Kriegsteilnehmern verlangten kreisärztlichen Krankheits¬
atteste, die zur Begründung eines Antrages auf Beurlaubung des
betreffenden Kriegsteilnehmers dienen sollen, bezüglich der Stempelpflicht ebenso
zu behandeln wie Militärdienstreklamationsatteste, also stcmpelfreiV
Antwort: Ja, da es sich um eine auf die Heeresergäuzung und die
Befreiung von dem Heeresdienst usw. bezügliche amtliche Urkunde handelt,
die nach § 4c des Stempelgesetzes stempelfrei ist.
Redaktion: Prof. Dr. R a p m u n d, Geh. Med.-Rat in Minden i. W.
J. C. C. Urans» Heraofl. Sicht, n. V. 8oh.*L. Hofbnchdrackerei ln Minden.
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29. Jahrg.
Zeitschrift
1916.
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zentralblatt
für das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie,
des staatlichen und privaten Versicherungswesens, sowie für das
Medizinal- und öffentliche Gesundheitswesen, einschließlich der
Hygiene und Bakteriologie.
Heraasgegeben
von
Prot Dr. OTTO RAPMÜND,
Geh. Med.-Rat In Minden I.W.
Offizielles Organ des Deutschen, Preussischen, Bayerischen, Sächsischen,
Württembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen, Thüringischen,
Braunschweigischen und Eisass-Lothringischen Medizinalbeamtenvereins.
Verlag von Fiseher’s med. Bnehhandlg R Kornfeld,
Htraogl. Bayir. Hof* u. Ke u. K. Kammfff-BnohftliHllGf*
Berlin W.62, Keithstr. 6.
AanlfiB «thmtn 4U Tnlf 1 handhuif xnrle alle inidfena|inabDe«telleB de« Ia*
«Ad AoaUndaa eatfegen.
Nr. 17.
Br« eh eint
S. ul SO. Jeden Monate.
5. Sept.
Neue Aufgaben für die deutschen Aerzte.
Von Dr. DSllner, Kreisassistenzarzt in Marburg und Bataillonsarzt
beim Landsturm • Bataillon Gotha XI./24.
An keinem Gebiet unseres öffentlichen Lebens geht die
eiserne Zeit vorbei, ohne ihm neue Aufgaben zu stellen. Auch die
Heilkunde ist mächtig ins Treiben der Zeit hineingezogen, nicht
nur als Helferin in und nach dem Kampfe gegen den Feind
und gegen die unvermeidlichen Seuchen, sondern vor allem
auch im Heimatgebiet als die Wahrerin unserer Volksgesund¬
heit und als Hüterin und Stärkerin der zukünftigen Volkskraft.
Keiner dieser Aufgaben hätte sie aber gerecht werden können,
weder der Unterstützung des Heeres noch der Wacht über
Gegenwart und Zukunft unseres Volkes, wenn sie als Wissen¬
schaft in den Fehler verfallen wäre, dem leider eine stets
zunehmende Zahl ihrer Schüler in den letzten 2 Jahrzehnten
erlegen ist: der Zerspezialisierung. Mit Recht ertönte schon
die berufenste Stimme, die als eine der zukünftigen Aufgaben
der Medizin das Beherrschen des Gesamtgebietes durch alle
Aerzte im Interesse des Vaterlandes forderte. Es war der
(02
Dr. Döllner.
preußische Ministerialdirektor Prof. Dr. Kirchner, der endlich
einmal mit herzerfrischender Deutlichkeit der Medizinerwelt —
und auch der Spezialitäten lüsternen Laienöffentlichkeit —diese
eigentlich so natürliche Mahnung zurief: Zurück zum Arzt, der
gesamten Heilkunde Doktor I —
Es soll hier nicht untersucht werden, welches Maß von
Schuld dem Publikum und welches den Aerzten an den
bisherigen unbestreitbaren Auswüchsen des Spezialisierens Und
Zerspezialisierens zufällt; auch sollen nicht die Schäden, die
schon im Frieden daraus erwachsen, durch Einzelfälle beleuchtet
werden. Die Kriegszeit aber gebietet, auf den unhaltbaren
Zustand hinzuweisen, daß z. B. ein Anatom, der 20 Jahre nur
Laboratoriumsarbeiten gemacht und während dieser Zeit nie
einen Kranken untersucht und behandelt, nie geimpft hat,
plötzlich als Stabsarzt mit einem Bataillon ins Feld rücken
muß, oder ein Gynäkologe oder Pharmokologe 11 Oder gar ein
Spezialist für Kinderkrankheiten, für Stoffwechselkrankheiten!
Man wende nicht ein, daß jeder auch im Kriege in seiner
Spezialität zu beschäftigen sei; denn erstens beruft das Heer
seine Militärärzte nicht als Gynäkologen oder Kinderärzte,
zweitens wird auch nicht der andere Wehrpflichtige nach seiner
Spezialität im Zivilleben beschäftigt und selbst wenn das Militär
(und es geschieht ja auch) spezialistische Stationen einrichtet,
so kann es doch nicht alle Spezialisten unterbringen, während
anderseits besonders Truppenärzte nötig sind. Der militärpflichtige
Arzt hat einfach auf die Stelle zu gehen, die ihm zugewiesen
der durchschnittlichen Ge samt höhe derMedizin zu halten,
wird; damit erwächst ihm aber auch die Pflicht, sich beständig auf
so. daß er jede ihm zufallende Stelle gewissenhaft und ganz aus¬
füllen kann. Greift demnach nicht im Frieden schon die Zivil¬
verwaltung zu Maßnahmen, welche ihr die Sicherheit bieten,
daß im Falle öffentlichen Notstandes auch jeder nächste Spezial¬
arzt mit Erfolg zur Hilfeleistung herangezogen werden kann,
so wird um so sicherer die Militärbehörde aus diesem
Kriege ihre Nutzanwendungen ziehen. Sie wird jedenfalls schon
im Frieden die Aerzte viel öfter zu Uebungen bezw. ärztlichen
Dienstleistungen heranziehen und hierbei an erster Stelle darauf
Bedacht nehmen, daß die Spezialisten gerade zu den allgemeinen
medizinischen Funktionen verwendet werden: also als Truppen¬
ärzte und auf Stationen, die ihrem Spezialfach nicht angehören.
Bei den weiten Perspektiven, die dieser Weltkrieg hin¬
sichtlich der Zukunft unseres Volkes und Reiches eröffnet hat,
insbesondere bei der Wichtigkeit der Vermehrung, Erhaltung
und Verbesserung des Menschenraateriales, kann aber kein
Zweifel obwalten, daß angesichts dieser gewaltigen Auf¬
gaben auch die Zivilverwaltung das Recht hat, an die
Aerztewelt andere und größere Anforderungen im
Interesse der Gesamtheit zu stellen, wie bisher.
Sie muß und wird zunächst verlangen, daß jeder Arzt alle
Disziplinen der Medizin, über deren Kenntnis er sich im Staats-
Nene Aufgaben für die deutschen Aerzte.
508
exaraen ausweisen mußte, auch dauernd wirklich be¬
herrscht; denn verliert er diese Kenntnisse, so ist er eben
nicht mehr die seiner Zeit approbierte Person und läuft somit
Gefahr, die ihm unter anderen Verhältnissen verliehene Appro¬
bation zu verlieren. Einen Vorgang ähnlicher Art haben wir
bereits in einer Entscheidung des preußischen Oberverwaltungs¬
gerichts hinsichtlich der Hebammen. Es wird also bei der
nicht zu umgehenden Neuordnung des Aerzte wesens der Staat
wohl den Aerztekammem die Pflicht auferlegen, die Aerzte in
einem bestimmten Umlauf zu regelmäßigen Wiederholungs¬
kursen (natürlich unter entsprechenden Entschädigungen) ein¬
zuberufen. Es wird dies ja Geld kosten, aber diese Summen
werden nach dem Kriege, als ein Teilbeitrag der Friedens¬
und Kriegsrüstung, bewilligt werden. Da der Wert des Menschen¬
materiales jetzt voll erkannt ist, werden die Summen für dessen
Leistungsfähigkeit gewiß in Zukunft mindestens ebenso bereit¬
gestellt werden, wie dies bisher für Beschaffung des toten
Materiales der Fall war. Ich denke dabei nicht nur an das
lebende Material für Kriegszwecke, sondern viel, viel mehr an das
lebende Material für die Zwecke einer hoffentlich nie mehr
gestörten glücklichen Friedensarbeit.
Für die gewaltigen Aufgaben, die in der Zukunft des
deutschen Volkes harren, wird es jedoch nicht genügen, daß
seine Aerzte mit dem ganzen Rüstzeug zum Heilen bereits
ausgebrochener Krankheitsfälle dauernd und gleich gut ver¬
traut sind. Es wird auch nicht genügen, daß einzelne und
zwar nur die beamteten Aerzte, auch den Kampf gegen ganze
Krankheitskomplexe führen und in Gemeinschaft mit staatlichen
und städtischen Behörden die Vorbeugung organisieren. Außer
der Hygiene muß vielmehr auch die Rassenzucht im Sinne
der Eugenese, die Pflege des zu erwartenden, des werdenden,
des fertigen und wirkenden Staatsbürgers zu den Aufgaben des
einzelnen Arztes hinzutreten. Es muß also. sowohl die Aus¬
bildung, wie der Kreis öffentlicher Pflichten, aber auch der
Kreis öffentlicher Rechte des deutschen Arztes auf eine gane
andere Grundlage gestellt werden als bisher.
Um die Erweiterung der ärztlichen Pflichten und
Rechte vorneweg zu nehmen, möchte ich uur andeuten, daß
Schwangerschafts-, Wochen-, Säuglings- und Schulpflege in den
Pflichtenkreis der Aerzte aufzunenmen sind, daß anderseits ein
bestimmtes Mindesteinkommen und eine bestimmte Mindest¬
versorgung für Alter und Arbeitsunfähigkeit seitens des Staates
zu gewährleisten sind und daß dem Arztestand endlich das
Recht erteilt wird, ethisch minderwertige Subjekte dauernd
von sich zu stoßen. Ersteres ließe sich in Form einer bei
der Aerztekamraer zu errichtenden, staatlich unterstützten,
Pensionskasse erreichen, letzteres ist den Rechtsanwälten bereits
zuerkannt und durch entsprechende Ergänzung der bisherigen
gesetzlichen Bestimmungen über ärztliche Standespflichten usw.
unschwer durchführbar.
604
Dr. Döllner.
Was nun die Ausbildung für den neuen, weit über den
bisherigen Krankenbehandler hinausgehenden Wirkungskreis
angeht, so läßt sich ein gut Teil schon innerhalb der zweifellos
zu Recht bestehenden Sonderfächer wie: Geburtshilfe und
Frauenheilkunde, Kinderheilkunde, Hygiene etc. unterbringen,
wenn sie nur etwas weitherziger gefaßt werden als bisher.
Ein Fach ist aber vor allen anderen berufen, sich selbst
zu erweitern und die zerspezialisierten Hilfsmittel der anderen
Sonderzweige wieder zu sammeln und somit dieser Verzettelung
entgegenzuwirken. Es ist jenes Fach, das unter dem Titel der
„Versicherungskunde“ ein viel zu engiimgrenztes Feld des
öffentlichen Für- und Vorsorgewesens bearbeitet.
Wie gemäß meinen Ausführungen der Zerspezialisierung
in der Krankenbehandlung entgegengearbeitet werden muß, so
muß auch diesem Auseinanderfallen in den hygienischen, eugeni-
schen und charitativen Bestrebungen und Organisationen ent¬
gegengearbeitet werden. Deshalb sollte schon dem werdenden
Arzt, als dem berufensten Träger und Vorkämpfer dieser Be¬
strebungen, im Unterricht gezeigt werden, welche Mittel
und Organisationen ihm späterhin für die Bestrebungen der
Erhaltung und Stärkung des Volkskörpers als Ganzes zur Ver¬
fügung stehen — nicht nur wie bisher, die staatlichen Ver¬
sicherungen für die erwerbstätigen Stände! Wie viele Studenten
verlassen jetzt die Hochschule ohne jede Kenntnis über den
Hochstand der deutschen Tuberkulosebekämpfung, oder über
die Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten,
die Organisationen zur Bekämpfung des Alkoholmißbrauches
oder über Kurpfuschereibekämpfung, oder über die Existenz
der Gesundheitskommissionen oder über Schularztwesen! Wie
bald stellt ihnen dann die Praxis Aufgaben aus diesen Gebieten,
über die sie sich dann erst mühsam Selbstunterrichten undzureoht-
finden müssen — oder auch nie zurechtfinden. Aus den letzteren
entstehen dann nicht selten Aerzte, die sich ständig zurück¬
gesetzt fühlen und unbequem für ihre Kollegen wie für die
Behörden werden.
Es muß also ein neuer Aerztestand auf breiterer und
freierer Grundlage erzogen werden, dem auch die Geheimnisse
der öffentlichen gesundheitlichen Maßregeln und den hieran
mitarbeitenden Behörden und freiwilligen Organisationen, jene
Geheimnisse, mit denen sich bis jetzt vielfach nur der beamtete
Arzt beschäftigt, schon im akademischen Unterricht erschlossen
werden. Aus diesem Grunde muß auch jenes Fach, das —
wie gesagt — sich bis jetzt auf die Versicherungskunde be¬
schränkt, ausgebaut werden zur Staatsarzneikunde.
Diese „Staatsarzneikunde“ darf aber nicht zu innig mit
der „Gerichtlichen Medizin“ verquickt werden: denn letztere
ist nur ein Teil, wenn auch ein sehr wichtiger von dem, was
man wortgemäß unter „Staatsarzneikunde“ verstehen müßte.
Der zweite gleichwichtige Teil läßt sich etwa als „Verwaltungs¬
medizin“ bezeichnen; bis jetzt war es aber gebräuchlich, den
Neue Aufgaben für die deutschen Aerxte.
606
1. Teil als „ Staatsarzneikünde“ zu betiteln. Man muß sich nur
immer gegenwärtig halten, daß — wie auch das soziale Ver¬
sicherungswesen der Verwaltung angegliedert ist — die ärzt¬
liche Gutachtertätigkeit bei den sozialen Versicherungsgerichts¬
höfen zum Gebiete dieser engeren Staatsarzneikunde gezogen
wird, während sie streng genommen ins Gebiet der gericht¬
lichen Medizin gehört, die sich doch nicht allein mit strafrecht¬
lichen Fragen zu befassen hat. 1 )
Die Aufgabe der Staatsarzneikunde.bezw. Ver¬
waltungsmedizin (in Gegenüberstellung zur gerichtlichen
Medizin) besteht in der Darstellung:
1. der Interessen, die der Staat im Krieg und Frieden an
seinem Menschenmaterial hat,
2. der Gefahren, die diesem wertvollsten Material des Staates
seitens der gesamten Umwelt drohen,
3. der vorhandenen, zu beschaffenden Mittel zur Erhaltung,
Vermehrung und Verbesserung des Menschenmateriäls im
Kampfe gegen die Gefahren der Umwelt und der An¬
wendungsweise dieser Mittel,
4. im Aufsuchen neuer Wege und Mittel zu 3.
Aus dieser Aufgabe erhellt dreierlei: Einmal, daß der
Student der Medizin, dem dieses Fach vorgetragen werden soll,
bereits die Reife seiner Fachwissenschaft besitzen muß (also im
letzten Semester oder im Praktikantenjahre steht), daß der
fertige Arzt dauernd auf der Höhe dieses Wissenszweiges —
also in den obenbewegten Wiederholungkursen — gehalten
werden muß, sowie endlich, daß diese angewandte öffentliche
Medizin — wenn auch wohl in abgekürzter Form — den zu¬
künftigen Verwaltungsbeamten, Geistlichen, Lehrern vertraut
gemacht werden muß.
Wie im praktischen Leben an der Lösung aller hier in
Betracht kommenden Fragen der Mediziner allein nichts er¬
reichen kann, so können auch die berufenen ausführenden
Organe der Behörden den neuen gewaltigen Aufgaben nur ge¬
recht werden, wenn sie schon während des vorbereitenden
Studiums sich in den Gegenstand vertieft und eine gründliche
Kenntnis von Ziel und Mitteln erworben haben. In dieser Vor¬
bereitungszeit muß der Mediziner der Lehrer sein und bei der
Ausführung muß er der Berater und Mitarbeiter sein.
Wird so der deutsche Arzt der Zukunft, der über alle
Zweige der Krankenbehandlung wenigstens auf dem Laufenden
ist, über den Krankenbehandler hinausgehoben zum öffentlichen
Fürsorger der Volkskraft und Volksgesundheit und wird er
*) Es besteht bis jetzt ein Institut für Staatsarzneikunde, und zwar in
Berlin, das die gerichtliche Medizin pflegt. Es wird aber leider wohl nur yon
beamteten Aerzten und solchen, die es werden wollen, besucht. In Marburg
wurden bis zum Kriegsausbruch Vorlesungen aus dem Gebiete der Staatsarznei-
künde im engeren Sinne gehalten, gemeinsam für Mediziner und Juristen.
506 Außerordentliche Tagung des Deutschen Kongresses
nicht als Berater, sondern als stinhnberechtigter Mitwirker
hineingestellt in einen Kreis gut vorgebildeter Organe für
öffentliche und private Fürsorge, so eröffnet sich ihm die
herrlichste Perspektive, ein Haupttrttger der Zukunft unseres
Volkes au werden.
Aus Versammlungen und Vereinen.
Ausserordentliche Tagung des Deutschen Kongresses für
Innere Medizin in Warschau am 1. und ft. Mal 1916.
Berichterstatter: Kreisarzt Dr. Rehberg, z. Zk in Warschau.
Erste Sitzung am l.Mai d. J., vormittags.
Nach den Begrüßungsansprachen Sr. Exzellenz des General-Gouverneurs
von Warschau, Gen. d. Inf. v. Beseler, und Sr. Exzellenz des Generalstabs¬
arztes der Armee, Chef des Feld-Sanitätswesens Prof. Dr. v. Schjerning
(Vgl. Nr. 11 dieser Zeitschrift vom 5. Juni 1916) begrüßte der Vorsitzende,
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. His-Berlin die erschienenen Vertreter des'Sanitäts¬
wesens der verbündeten Armeen und eröffnete dann die Beratung.
I. Schutz des Heeres gegen Cholera. Berichterstatter: Oberstabsarzt
Prof. Dr. Hoffmann (Berlin):
Im Jahre 1904 trat die Cholera in Rußland am Schwarzen Meer in
stärkerer Ausdehnung auf und verbreitete sich von hier besonders über Baku
nach der unteren Wolga hin. Seitdem ist sie in Rußland nie mehr völlig
erloschen und bedrohte wiederholt die deutschen Grenzen. Kurz vor Ausbruch
des Krieges herrschte sie namentlich in den an Oesterreich grenzenden Gouver¬
nements Wolhynien und Podolien; aber auch auf dem Balkan, in Konstantinopel
und Adrianopel, waren Fälle vorgekommen. Während der ersten Kriegsmonate
breitete sich die Seuche schnell aus; im August 1914 trat sie in Warschau
auf und im September 1914 zählte das serbische Heer bereits 12000 Cholera¬
fälle. Auch in Oesterreich kam es schon im ersten Kriegsjahr infolge von
Einschleppung, in Galizien durch russische Truppen, in vielen anderen Kron-
ländern durch russische Gefangene zu sehr zahlreichen Erkrankungen auch
unter der einheimischen Bevölkerung.
Anders in Deutschland. Nach den günstigen Erfahrungen, die während
des Balkankrieges namentlich Griechenland mit der Schutzimpfung gemacht
hatte (die Krankenziffer hatte trotz drohender Seuchengefahr in der griechischen
Armee nur 1,9 °/o betragen), war bei den meisten deutschen Truppenteilen des
Ostheeres die Cholera-Schutzimpfung bereits im Oktober 1914 durchgeführt und
beendet, als im November 1914 hier die ersten Fälle auftraten. Diesem Um¬
stände ist es in erster Linie zu verdanken, daß bei den Truppen, die im
nächsten Sommer in stark cholcraverseuchten Gebieten vorrückten, die Gesamt¬
morbidität unter 0,52 "/o blieb und die Mortalität anstatt 50'/« wie früher nur
10—20 °/o, bei vorschriftsmäßiger Impfung 10,2 °/o betrug. Ebenso günstig
wirkte die Dnrchimpfung in den verseuchten Ortschaften Galiziens, Russisch-Polens
und Wolhyniens, wo sie von besonderen Truppenärzten durchgeführt wurde.
Aber auch unter der Zivilbevölkerung Deutschlands traten nur 78 Fälle auf,
während im Kriege 1866 allein über 1ÖOOOO Menschen an der vom Heere ein¬
geschleppten Cholera starben. Der Impfschutz hält etwa # /4 Jahr an, die
Impfungen wurden nach etwa 6 Monaten wiederholt; die nach den neueren
Verfahren hergcstellten Impfstoffe verursachten auch bei der Wiederholung
keine Reaktion. Neben der Schutzimpfung wurden allgemeine Vorbeugungs¬
maßnahmen, namentlich hinsichtlich der Trinkwasserversorgung, der Beseitigung
der Entleerungen, der Fliegenbekämpfung strenge durchgefübrt. Dm die Ein¬
schleppung ins Heimatgebiet zu verhüten, wurden ferner alle von der Front
kommenden Kranken, Deutsche wie Russen, einer Desinfektion und Quarantäne
unterworfen. Von diesen gingen weitere Ansteckungen nicht aus, sondern die
wenigen Fälle unter der Zivilbevölkerung Deutschlands sind auf dem Wasser¬
wege eingeschleppt worden. Eine besondere Beachtung verdienen gesunde
Bazillenträger, von denen unter 600 gesunden Insassen eines Kriegsgefangenen¬
lagers 5 gefunden wurden.
für innere Medien in Warschau.
007
Anssprache.
Schemensky (Frankfurt a. M.) betont die günstigen Erfolge der Bptt-
behandlnng gegenüber der Lagerung auf der Erde.
Marcovici (Prag) machte gute Erfahrungen mit Darreichung von
Alphen (Salol-Knoblauch).
Adler (Prag) empfiehlt Magenwaschungen mit Tierkohleaufschwem¬
mungen.
Nach Pal tauf (Wien) schwanken die Angaben über die Sterblichkeits-
zifter bei Cholera erheblich, namentlich deshalb, weil entweder nur die klinisch
sicheren Fälle oder auch alle abortiv verlaufenden Erkrankungen der Berechnung
zugrunde gelegt werden.
Ungermann (Gr. Lichterfelde) konnte Meerschweinchen durch Impf-
stoffverfütterung so immunisieren, daß sie noch 3 Wochen nach der letzten
Impfstoffgabe gegen peritoneale Infektion geschützt waren; er glaubt, daß
vielleicht auch beim Menschen auf diesem bequemeren Wege sich ein Impf¬
schutz erzielen lassen wird. Die Höhe der Bakteriolysine wird beim Menschen
etwa 3 Monate nach stattgehabter Impfung erreicht; jedoch scheint die
Sensibilisierung vielfach an eine sichtbare Bakterizidie des Blutes nicht ge¬
bunden zu sein: es erwiesen sich z. B. Meerschweinchen nach der Impfung
gegen tödliche Bakteriendosen auch dann geschützt, wenn Bakteriolysine im
Blut nicht gefunden wurden.
Eaup (München), Medizinal-Beferent der k. und k. österr.-ung. Armee,
berichtet über die sehr günstigen Erfahrungen, die in der österr.-ungarischen
Armee mit der Choleraimpfung gemacht worden sind. Die Morbidität betrug
bei durchgeimpften Truppen im choleradurchseuchten Operationsgebiet nur
1—5°/o bei einer Mortalität von 0—207», während diese bei Ungeimpften
40—60 # /o erreichte. Nach K. hält der Impfschutz nur 3—4 Monnte vor; die
Impfung ist also bereits nach 3 Monaten zu wiederholen. Es genügt jedoch
dann die einmalige Injektion von 2 ccm Impfstoff.
II. Herzkrankheiten bei Kriegsteilnehmern. Prof. Dr. Wenkebach
(Wien):
Sehr häufig sind im Felde Fälle von reiner Hypertrophie des linken
Ventrikels, die auf körperliche Ueberanstrengungen zurückzuführen sind.
Endocarditis ist selten. Arteriosklerose, namentlich der Aorta, wurde oft
gefunden; ihre Häufigkeit erklärt sich aus den Kriegsstrapazen, dann aber
durch den im Felde oft übermäßig gesteigerten Kaffee- und Tabakgenuß.
Erhebliche Herzerweiterungen fanden sich besonders nach Infektionskrankheiten,
vor allem nach Typhus. Klappenfehler ertrugen die Anforderungen des Feld¬
dienstes oft auffallend gut, teilweise verschlechterten sie sich aber auch. Ein
großer Teil der von der Front Zurückkehrenden klagte über zweifelhafte Herz¬
beschwerden, denen eine wirkliche Erkrankung aber nicht zugrunde lag; es
handelte sich um Leute, die nach unzweckmäßiger sitzender Lebensweise im
Frieden, infolge von Nervosität, schwächlichem Körperbau oder ungeeigneter
Herzanlage (sog. Pendelherz: ungünstige Lagerung bei Tiefstand des Zwerg¬
fells) den Strapazen des Felddienstes nicht gewachsen waren und sich allmäh¬
lich erst daran gewöhnen mußten. Um den unnötigen Abschub brauchbarer
Leute nach der Heimat zu verhindern, ist die Errichtung von besonderen Herz¬
stationen im Etappengebiet erforderlich. Im allgemeinen unterscheiden sich
Entstehung, Verlauf und Behandlung der Herzkrankheiten im Felde nicht von
dem, was in Friedenszeiten darüber bekannt ist.
Aussprache.
▼. Romberg (München) weist auf die nachteiligen Folgen hin, die die
Diagnose eines Herzleidens für den Untersuchten oft insofern hat, als er dann
dauernd den Begriff eines unheilbaren Leidens damit verbindet. Er betont,
daß sehr weitgehende Ueberanstrengungen zwar eine hochgradige Herzerweite¬
rung zur Folge haben können, daß sie zu dauernden Herzstörungen aber nnr
dann führen, wenn sie ein organisch oder funktionell nicht mehr gesundes Herz
treffen. Die Diagnose ist schwierig, weil die physikalischen Untersuchungs¬
methoden oft nicht ausreichen und auch die Röntgenuntersuchung keine zu
Vergleichen verwertbaren absoluten Maße ergibt.
608
Außerordentliche Tagung des Deutschen Kongresses
Hoffmann (Düsseldorf) betont die Schwierigkeit der Diagnose besonders
bei den funktionellen Herzerkrankungen; selbst die Tachykardie ist kein
sicheres Symptom derselben, da sie auch bei Störungen, die nicht vom Herzen
ausgehen, gefunden wird. Vier Fünftel der Fftlle von funktionellen Störungen
hält H. für heilbar; auch er erörtert die Nachteile, die die fälschlich gestellte
Diagnose eines Herzfehlers für den Verlauf der Heilung hat.
Meyer (Straßburg i. E.) fand namentlich im Beginn des Krieges bei
hochgradig Erschöpften oft Pulsverlangsamungen von 30—40 Schlägen mit
niedrigen Blutdruckwerten. Sehr selten war krankhafte Herzvergrößerung.
Die Angaben darüber lauten je nach den verschiedenen Untersuchungsmethoden
so verschieden, weil einheitliche Maße für die Bezeichnung der Herzgröße noch
nicht aufgesteilt werden können.
Oerhardt (Würzburg): Neben den physikalischen Untersuchungsmethoden
darf die Funktionsprüfung des Herzens sowie die Untersuchung des ganzen
Körpers im Buhezustand und nach anschließender Uebung nicht vernachlässigt
werden. Er unterstreicht die nachteiligen Folgen einer übereilten Diagnose und
weist auf die Beziehungen vieler Herzbeschwerden zur Hyperthyreoidie hin.
B. Kaufmann (Wien) stellte vergleichende Untersuchungen an bei
1000 Soldaten, die noch nicht im Felde waren, und 860, die schon von dort
zurück kamen. Das Böntgenbild ergab in der niedrigsten Altersklasse eine
Herzdiagonale von über 12 cm unter den ersten bei 37 °/ 0 , unter den letzteren bei
67°/«. Ueber 13 cm Herzdiagonale fand sich bei 8% der einrückenden und
21% der zurückkehrenden Mannschaften. Die weitere Beobachtung dieser
Herzvergrößerungen, die mehr auf Infektionskrankheiten (Typhus und Buhr)
als auf körperliche Anstrengungen zurückzuführen waren, ergab, daß sie bei
geeigneter Behandlung in wenigen Wochen ganz oder teilweise zurückgingen.
D i e 11 e n (Straßburg i. Eis.) will die im Felde auftretenden Herzvergröße¬
rungen z. T. als eine Art Herzerstarkung infolge dauernder Uebung auffassen;
aucn bei Soldaten des 2. Dienstjahres haben schon im Frieden die Untersuchungen
etwas größere Herzmaße ergeben, als der Norm entsprechen.
Steyrer (Insbruck): Die in Tirol so häufigen Kröpfe haben bei Kriegs¬
teilnehmern selten zu Kreislaufstörungen geführt. Er sieht als eine sehr häufige
Ursache derselben im Felde den übermäßigen und z. T. ungewohnten Tabak¬
genuß an. Bei allen funktionellen Herzstörungen spielt der Wille, gesund zu
werden, für den Erfolg der Behandlung eine ausschlaggebende Bolle.
Zondek (Berlin) fand in Gemeinschaft mit Kam in er nach Lungen¬
schüssen häufig Atemnot, Herzklopfen und Stiche in der Herzgegend, Beschwerden,
die auf Verwachsungen des Herzbeutels mit dem Zwerchfell zurückzuführen
waren.
Len hoff (Berlin) hat bei funktionellen Herzstörungen günstige Erfolge
mit der Behandlung in Lazaretten dicht hinter der Front gehabt und empfiehlt
diese allgemein, weil dadurch Aufregungen durch die häuslichen Verhältnisse
in der Heimat ausgeschaltet werden.
Goldscheider (Berlin) befürwortet gleichfalls die Behandlung in den
Etappen-Lazaretten und rät, den Untersuchten die Diagnose nie mitzuteilen.
Er schreibt der nervösen Disposition bei der Entstehung der mit Tachykardie
verbundenen Herzstörungen eine wesentliche Bolle zu.
Schütze (Bad Kosen) berichtet über seine Erfahrungen bei der Be¬
handlung herzkranker Kriegsteilnehmer.
Lichtwitz (Göttingen) hat auf seiner Herzkranken-Abteilung unter
Leitung von Offizieren und Akademikern Uebungskurse eingeführt, die mit den
Leichtlranken Märsche, Turnspiele und Schwimmübungen unternehmen und
auch eine geeignete psychische Behandlung bei ihnen durchführen.
Schulzen (Berlin), Gen.-Arzt, Chef der Med.-Abt. des Kriegsmini¬
steriums: Ein für die spätere Versorgung Herzkranker wichtiges Ergebnis
hatten Untersuchungen der beratenden inneren Mediziner in den Heimatlazaretten,
die dort bis 25% der angeblich Herzkranken als dienstfähig bezeichnen
konnten. Von der Errichtung besonderer, nur für Herzkranke bestimmter
Lazarette ist abgesehen worden, um nicht in dem nach dort überwiesenen
Kranken von vornherein die Meinung anfkommen zu lassen, daß er an einem
Herzfehler leide.
für innere Medizin in Warschau.
509
Zweite Sitzung am 1. Mai d. J. nachmittags.
III. Fleokfleber.
a. Generaloberst Prof. Dr. Brauer (Hamburg), erster Berichterstatter:
Das Fleckfieber ist eine epidemisch und endemisch auftretende* Infektions¬
krankheit mit scharf umschriebenem, selbständigem Krankheitsbild. Nach einer
Inkubation von 10—12tägiger, selten ßwöchiger Dauer folgt meist ohne
Prodromalerscheinungen, in der Hälfte der Fälle mit Schüttelfrost ein influenza-
artiges Krankheitsstadium, dem sich der eigentliche Status typhosus
mit einem sehr charakteristischen Exanthem und besonders schwerer Einwirkung
auf Herz und Nervensystem anschließt. Während selten ganz leichte Erkran¬
kungen mit nur 1—3tägiger Fieberdauer ablaufen können, kommt es gewöhnlich
durch Schädigung des Herzmuskels zu Bradykardie und Arythmie besonders in
der Bekonvaleszenz; die Nervenstörungen bestehen in Schlaflosigkeit, geistiger
Stumpfheit oder feinschlägigem Schüttelkrampf, ähnlich den Zitterzuständen
bei multipler Sklerose und Paralysis agitans. Das Blutbild zeigt keine
typischen Veränderungen. Dem Exanthem liegt als anatomischer Prozeß zu¬
grunde, die von Fraenkel an den Kapillaren gefundene Periarteriitis nodosa,
bestehend in knötchenförmiger umschriebener Wucherung der Bindegewebs-
elemente. Durch Stenosierung oder Thrombenbildung in den Gefäßen führen
diese oft gehäuft sitzenden Knötchen zu Blutungen in den Roseolen (Petechien
bei schwerem Verlauf) und zu Zirkulationsstörungen; auf diese Weise be¬
dingen sie auch eine der häufigsten Nachkrankheiten des Fleckfiebers,
die besonders an den Füßen auftretende Gangrän. Nach Ablassen des Exanthems
kommt es zu einer kleienförmigen Schuppung der Haut, die besonders aln
sog. Radiergummi-Phänomen in auffälliger Weise in Erscheinung tritt. Misch¬
infektionen mit Typhus, Rekurrens und Influenza kommen vor.
Die üebertragung erfolgt allein durch die Kleiderläuse. Die
Epidemien treten meist sehr schnell, explosionsartig auf. In Serbien war die
Durchseuchung bereits abgeklungen; als die verbündeten Truppen einrückten,
bestand nur noch eine milae Epidemie in den abgelegenen Gebirgsdörfern und
Tälern, namentlich unter den Kindern. Von dort fanden nur vereinzelt Ein¬
schleppungen in die Armeen teils durch Heeresangehörige, teils durch Pelz¬
werk statt.
b. Oberstabsarzt Prof. Dr. Jürgens (Berlin), zweiter Berichterstatter:
Während früher das Fleckfieber furchtbare Opfer unerbittlich forderte, be¬
herrschen wir heute diese unheimliche Seuche; auf Grund der Erkenntnis, daß
allein durch die Laus die Üebertragung des Fleckfiebers ver¬
mittelt wird und eine solche unmittelbar von Mensch zu
Mensch nicht stattfindet. Die Entwicklung des Erregers und dieser
selbst ist uns noch unbekannt; man weiß aber, daß nur der fieberhaft kranke
Mensch, nicht der im Inkubationsstadium oder in der Rekonvaleszenz befind¬
liche, die Laus infizieren kann. Wahrscheinlich muß also im menschlichen
Blut nach der Infektion durch die Laus bis zum Ausbruch der Erkrankung
der Erreger eine gewisse Entwicklung durchmachen; seine Weiterentwicklung
kann er aber dann nur in der Laus, und zwar auch erst wieder in
einigen Tagen, vollenden; denn auch die Laus wird erst einige Tage nach dem
infizierenden Biß am kranken Menschen ansteckungsfähig, und verliert diese
Infektiosität ebenfalls wieder in einigen Tagen. Nur von der Laus aus
kann der Krankheitskeim, auf einem gewissen Reifestadium angelangt, das
menschliche Blut infizieren.
Die gewöhnliche Form der Üebertragung ist derLäusebiß; fraglich
ist, ob auch die Infektion von der Laus aus in anderer Weise, z. B. durch
Verreiben der infektiösen Laus am menschlichen Körper erfolgen kann. Sicher
ist, daß auch Eier von Läusen, deren Infektion von den Muttertieren aus er¬
folgt ist, die Ansteckung vermitteln können. Jederlnfektionsweg aber
führt nur über die Laus; Fleckfieber gibt es nur da, wo es
Fleckfieberläuse gibt. Fleckfieberkranke und Gesunde, läusefrei in
einer Baracke untergebracht, setzten keine Infektionen untereinander, während
draußen die Epidemie weiter wütete. Auch die Häufung der Epidemien im
Winter und Vorfrühling hängt mit den Lebensbedingungen der Läuse zusammen.
Das Krankheitsbild ist sehr eintönig. Der Ausschlag fehlt sehr
selten, Fieber nie. Einmaliges Ueberstehen der Krankheit hinterläßt'einen sehr
510 Außerordentlich* Tagung den Deutschen Kongressen für innere Medisin.
sicheren Impfschutz. Das Fleckfieber befällt den Menschen ohne Bficksicht
auf das Alter in gleicher Weise. Die Bösartigkeit der einzelnen
Epidemien weist jedoch große Schwankungen auf, die nicht auf verschiedene
Giftigkeit der Erreger, sondern auf besondere äußere Verhältnisse, z. B. in
Serbien auf Entkräftung der Bevölkerung, in einem anderen Falle auf Kom¬
plikation durch eine Diphtherie - Epidemie zurückzuführen ist.
c. Der dritte Berichterstatter, Prof. Dr. Hase (Jena), berichtet über die
Biologie der Kleiderlaus: Die Laus lebt von warmem, strömendem Blut.
Der Saugakt dauert oft stundenlang; während dieser Zeit sind die Tiere gegen
Abschneiden der Fühler und Beine unempfindlich. Ist die Laus hungrig, so
sucht sie den Menschen; da sie, namentlich im Jugendzustande, sehr beweglich
ist, vermag sie verhältnismäßig weite Entfernungen zurückzulegen. Vor Gegen¬
ständen, die sich ihr dabei in den Weg stellen, macht sie nicht Umwege,
sondern klettert an ihnen hoch. Diese Eigentümlichkeiten in ihrer Lebensweise
sowie ihre außerordentliche Vermehrungsfähigkeit sind ihrer Uebertragung auf
den Menschen sehr förderlich.
Zur Vertilgung der Läuse und ihrer Eier ist Hitze am wirk¬
samsten. Kälte ertragen sie bis zu — 6 0 3 bis 4 Tage lang. In 5 proz.
Formol werden Nissen selbst in 24 Stunden nicht abgetötet. Um Läuse sicher
zu vernichten, müssen heiße Formalindämpfe mindestens 1 Stunde lang
einwirken; ebenso lange ist die Einwirkung von 3—5proz. Kreso 1 seifen-
lösung erforderlich. Ihre Stiche werden nicht immer gespürt, besonders tritt
bei längerem Behaftetsein mit Läusen eine weitgehende Gewöhnung an Läuse-
bisse ein. Als höchste Zahl wurden bei einem gefangenen Bussen 3800 Läuse
bei einer Reinigung abgelesen.
Aussprache.
Munk (Berlin) verneint das Vorkommen sog. abortiver Formen von
Fleckfieber. Bei einem sehr großen Material fand er immer eine Fieberperiode
von annähernd gleicher Dauer, selbst bei Kindern, wenn auch das Fieber selbst
niedrig und der Krankheitsverlauf dementsprechend ein leichter war. Die von
Fränkel beschriebenen periarteriitischcn Wandveranderungen
der Gefäße finden sich in allen Organen; sie bedingen lokale Zirkulations¬
störungen, während die allgemeine Blutdrucksenkung zu der charakteristischen
Zyanose führt. Krampfzustände in den Muskeln führen zuweilen zu
eigenartigen Sprachstörungen, Trismus und Kontrakturen anderer Muskelgruppen.
Töpfer fand unabhängig von R o c h a - Lima in Läusen, die er durch
tagelanges Saugenlassen an Kranken unter einem festgeklebten Uhrschälchen
infizirt hatte, vom 4. Tage ab vereinzelt, vom 7.-8. Tage ab fast allgemein
bakterienähnliche Körperchen, die in mehr als 600 gesunden Länsea
niemals vorhanden waren. Mit solchen infizierten Läusen konnte bei Meer¬
schweinchen eine fieberhafte Infektion hervorgerufen werden, wie sie sonst
nach Verimpfung von Fleckiieberkrankenblut eintritt.
Rocha (Lima) berichtet über seine Versuche und die in der Deutschen
Pathologischen Gesellschaft bereits vorgetragenen Ergebnisse; sie hatten zur
Entdeckung von bestimmten Mikroorganismen in infizierten Läusen ge¬
führt, die mit der Fleckfieberätiologie in engster Beziehung stehen.
Stempel (Münster) konnte nach guter Konservierung in nach Giemsa
gefärbten Serienschnitten braun gefärbte, spindelförmige 2 |i große Ge¬
bilde, die kernähnliche Einschlüsse zeigten, in dem Darminnalt einiger Fieck-
fieberläuse und intrazellular in Vakuolen von Fleckfieberleukozythen nachwetsen.
Er hält sie für Protozoen und nicht für Zerfallsprodukte von Blut¬
körperchen.
Matthes (Königsberg) berichtet über therapeutische Versuche mit
Optochin und Rekonvaleszentenserum; sie hatten beide ein negatives Ergebnis.
Nordt (Bialystok) warnt gleichfalls vor Optochin, hat jedoch von
Urotropin in großen Dosen und Rekonvaleszentenserum (60—80 ccm intra¬
venöse) günstige Erfolge gesehen, ebenso wie
Rösler (Troppan), der 5—10 ccm des auf der Fieberhöhe entnommenen
Serums demselben Kranken täglich intravenös injiziert.
Bezüglich der Diagnose berichten über günstige Erfahrungen mit der
Weil-Felixschen Reaktion Elias (Wien) und Besserer (München);
nach Paneth erreichte sie ebenso wie die Gruber-Widalsche Reaktion
Außerordentliche Tagung für prakt.Durchführung tot» Massenspeisungen. 511
ihren Höhepunkt 10—12 Tage nach Beginn der Erkrankung während der
Entfieberung, die Plotz-Olitzky-Baehrsehe Reaktion dagegen ent in
der dritten Woche nach der Entfieberung.
Mein icke (Worms) spricht über das Verhalten der G ruber- Widal-
schen Reaktion bei Fleckfieber.
Rostoski (Dresden) fand besonders wertvoll für die Diagnose die
Blutstauung nach Dietsch, namentlich auch bei abgelaufenen Fällen,
da Pigmentflecken unter der Staubinde wieder ihre bläuliche Farbe annebmen.
Er beobachtete ferner Par- und Anaesthesien an den Händen noch monate¬
lang nach Ueberstehen der Krankheit.
Luksch (Prag) empfahl bereits vor 10 Jahren die Leukozyten¬
zählung zur Sicherung der Differentialdiagnose gegen Typhus.
Kyrie (Wien) und Morawitz (Wien) haben eine diagnostische
Methode auf Grund derFränkelsehen Befunde an den Kapillaren
ausgearbeitet: Die Roseola wird unter An heben einer leichten Hautfalte mittels
eines Scherenschlages exzidiert; binnen 48 Stunden werden Schnitte hergestellt,
die die herdförmigen Wandläsionen der Kapillaren und Präkapillaren der Haut
mit perivaskulären Anhäufungen von großen, plasmareichen Zellen mit großem,
meist rundem Kern und halbmondförmigen, wandständigen hyalinen Thromben
zeigen.
v. Jaksch (Prag) hebt besonders die Fälle mit Zirkulations¬
störungen an der Nase und die ohne Exanthem hervor.
Grober (Jena) fand am 2.—3. Tage nach dem plötzlichen Fieberanstieg
oft ein mehrtägiges Sinken der Temperatur und vom 10. Tage ab Atem¬
pausen, während deren im Urin Zucker auf trat; G. schließt bei diesen Fällen
auf lokale Veränderungen am Boden des IV. Ventrikels.
Z ü 1 z e r (Berlin) beobachtete auch bei anscheinend Gesunden in der nächsten
Umgebung Fleckfieberkranker eine Vergrößerung von Milz und Leber,
bei denen später, ohne daß sie manifest erkrankten, ein Exanthem ohne Fieber
auftrat, ln Läusen, die von diesen Kranken stammten, wurden abnorme Ein¬
schlüsse gefunden. Unter Chinin verkleinerten sich Milz- und Leber¬
schwellung, auch trat das Exanthem schneller in Erscheinung. Vielleicht
handelt es sich hier um Zwischenträger, die die Krankheit weiter verbreiten.
Schittenhelm (Kiel) fand das Blutbild bei Fleckfieber in folgender
Weise verändert: Normale oder erhöhte Gesamtzahl der Leukozyten; Eosinophile
sind anfangs vermindert, dann vermehrt. Die Zahl der Polymorphkernigen
steigt anfangs und sinkt dann langsam, während zugleich die Zahl der
Lymphozyten in die Höhe geht. Epidemien umfassen in der Zivilbevölkerung
bis zu 60 # /o Kranke im Alter von 12—20 Jahren.
Hel ly (Würzburg) hält das sog. Bosnische Fieber, das nur bei
Männern vorkommt und mit hochgradiger Bronchitis bezw. Bronchopneumonie
einhergeht, nicht für identisch mit Fleckfieber.
Pal tauf (Wien) spricht über Mischinfektionen; Detre (Pest)
über Uebertragungsweise des Fleckfiebers und Bekämpfungsmaßnahmen
in Ungarn.
Knack (Hamburg) zeigt einen Schutzmantel für Aerzte, der so
geschlossen wird, daß auf ihm nach dem Körper zu kriechende Läuse stets
auf einem Filzstreifen festgehalten und getötet werden.
(Schluß folgt.)
Bericht über die am 3. und 4. Juli d* J. in Berlin
abgehaltene ausserordentliche Tagnng für praktische
Durchführung von JHassenspeisungen.
Die von der Zentralstelle für Volkswohlfahrt in Gemeinschaft
mit dem Zentralverein für dasWohl der arbeitenden Klassen
imReichstagssitzungssaal abgehaltenen Tagung über praktische Durch¬
führung von Massenspeisungen war außerordentlich stark besucht; fast alle
Reichsämter sowie die Staatsregierungen der einzelnen Bundesstaaten hatten
Vertreter entsandt. Den Vorsitz führte der Staatsminister a. D. v. Möller,
als Vorsitzender der Zentralstelle für Volkswohlfahrt, die am Schluß der Tagung
512
Bericht über die außerordentliche Tagung für praktische
mit der Bekanntgabe der Verhandlungen und der weiteren Verbreitung von
Erfahrungen beauftragt wurde. Diesem Aufträge entsprechend hat sie die
Drucklegung der Verhandlungen in anerkennenswerter Weise sehr beschleunigt,
so daß dieser Bericht 1 ) den nachstehenden Ausführungen zugrunde gelegt
werden konnte.
Erster Sitzungstag, Montag den 3. Juli.
1. Das Problem der Massenspeisungen. Berichterstatter Stadtrat a. D.
Dr. Luther, Geschäftsführer des Deutschen und Preußischen Städtetages in
Berlin: Man unterscheidet drei Arten von Massenspeisungen: die des Groß*
Verbrauchers (Krankenanstalten, Kasernen usw.), die privatwirtschaftliche (Volks¬
küchen, Mittelstandskttchen usw.) und die gemeinwirtschaftliche. Von diesen
drei Arten kommt hier hauptsächlich die gemeinwirtschaftliche in Be¬
tracht; sie bildet ebenso wie nnsere jetzige ganze Nabrungsmittelversorgung
durch Brot-, Fleisch-, Butter- usw. Karten eine Gemeinwirtschaft, die den
Charakter des Staatssozialismus trägt und bei der es nicht so sehr auf den
Geldwert, sondern auf die Vorratswirtschaft ankommt. Den Cal wer sehen
Gedanken, sämtliche Klassen der Bevölkerung durch Massenspeisung (nach
drei.verschiedenen Klassen) zu ernähren, hält Redner für unrichtig, ebenso wie
die Annahme, daß sich in Zusammenhang mit der Massenspeispng die Erzeugung
von Nahrungsmitteln steigern würde. Massenspeisungen können nach seiner
Richtung nur Hilfseinrichtungen sein, die neben der sonstigen Art der
Volksernährung eintreten und durch die eine bessere Ausnutzung der
Nahrungsmittel, also eine Einschränkung ihres Verbrauchs erreicht wird.
Eine solche wird aber nur dann bei den Massenspeisungen erzielt werden,
wenn für die Teilnehmer eine Anrechnung der Nahrungsmittelkarte
erfolgt, damit sie den Nichtteilnehmern die Nahrungsmittel nicht wegkaufen
können; wenn ferner möglichst einfach und sparsam (Verwendung von Abfällen)
gekocht wird (Eintopfgericht), und endlich auch die Gewähr besteht, daß alle
in der Massenspeisung fertiggestellten Speisemengen auch wirklich abgesetzt
werden. Jedenfalls paßt sich die Massenspeisung als Hilfsmaßregel durchaus
unserem jetzigen Nahrungsmittelsystem an; seine Wirkung im Sinne der
Vorratsstreckung und Nabrungsmittelersparnis ist aber nicht so groß, wie von
vielen Seiten angenommen wird. Dagegen hat sie den Vorzug, daß sie den
unteren und mittleren Volksschichten den Bedarf ihrer augenblicklich sehr
schwer und nur mit sehr gesteigerten Kosten zu beschaffenden Nahrung
wesentlich erleichtert, ein Vorzug, der die durch die Massenspeisung drohenden
Gefahr einer Auflösung des Familienlebens mehr als aufwiegt, besonders dann,
wenn sie sich in den naturgegebenen Grenzen hält und nicht über das natür¬
liche Maß in der Ausgestaltung hinausgeht. Sic muß eben eine sozial- und
kriegspolitische Hilfsmaßregel bleiben und demzufolge auch nicht nach dem all¬
gemeinen Schema, sondern nach den örtlichen Bedürfnissen aufgebaut werden,
ihre Einrichtungen müssen so beschaffen sein, daß sie eine beruhigende Wirkung
auf die Bevölkerung ausüben; sie dürfen also niemals versagen; gerade deshalb
müssen sie tunlichst schlicht gehalten werden, weil immer mit der Möglichkeit
gerechnet werden muß, daß die Massenspeisung nicht annähernd in dem Umfange
benutzt wird, als man ursprünglich erwartet hat. Eine Volksküche in der Friedens¬
zeit ist nicht zu vergleichen mit einer Massenspeisung in Kriegszeiten, durch die
ein ungemein großer Teil der Bevölkerung gespeist werden soll; nach dieser
Richtung hin stellt die Massenspeisung eine ganz neue Aufgabe dar, bei deren
Lösung man sich am besten unter Verwertung kluger Anregungen und guter
Erfahrungen den besonderen Erfordernissen des Einzclfalles so viel als möglich
anpaßt.
2. Einrichtung und Rechnungsführung. Der Berichterstatter Theodor
Thomas-Frankfurt a. M. stützt seine Ausführungen auf die reichen Er¬
fahrungen, die die gut geleitete Wohlfahrtsgesellschaft in seinem Heimats¬
orte auf dem Gebiete der Massenspeisung gemacht hat. Er legt be¬
sonderen Wert auf die ehrenamtliche Bedienung in den Volks¬
speiseanstalten, die von einem wohltuenden Einfluß sowohl in bezug auf das
M Der Bericht ist in (,'arl Hey man ns Verlag in Berlin erschienen;
Preis: 3 Mark.
Durchführung ton Masseuspeisungen.
61$
Benehmen der Gäste, als in bezug auf die Kontrolle sei; er ist weiterhin der
Ansicht, daß die Massenspeisungseinrichtungen auch im Frieden nicht so leicht
Terschwinden würden und daß man deshalb bei ihrer Herstellung und Organi¬
sation darauf von vornherein Bedacht nehmen müsse. Vor allem müsse man
dafür sorgen, daß der Uebergang von dem Familientisch zur öffentlichen Speisung
dem einzelnen möglichst leicht wird, und daß die Lebensmittel unter Ausschaltung
von Provinzial- und Kommunalverbänden unmittelbar von einer staatlichen
Zentralstelle bezogen werden können. Küchen und Eßsäle sind schlicht, aber
freundlich einzurichten, damit sie einen ebenso wohltuenden als erzieherischen
Einfluß, auf die Gäste ausüben; ihre Einrichtung muß auch solid und dauerhaft
sein, damit ihr wenigstens vorläufiges Weiterbestehen nach dem Kriege ge¬
sichert ist. Kochwagen sind nach Ansicht des Berichterstatters nicht
empfehlenswert, sondern Bezirksküchen mit Ausnutzung von Hilfsmaschinen
vorzuziehen; ihre Höchstleistung soll jedoch 2000 Portionen nicht übersteigen; die
Verwendung von Kochwagen kommt nur für abgelegene Kolonien, Kinderspiel¬
plätzen, Walderholungsstätten usw. in Frage. Als Vorteile der Bezirks¬
küche werden von Th. bezeichnet: Bessere Ausnutzung der Lebens- und Ersatz¬
mittel, große Betriebssicherheit, geringere Unkosten, Abgabe jed^s Gerichts für
sich und familiäre Behandlung der Gäste in Speisesälen durch ehrenamtliche
Bedienung, kein Anschein öffentlicher Wohltätigkeit. Voraussetzung ist ehren¬
amtliche Leitung 'der Küche, Zahlung- der wirklichen Herstellungskosten durch
Außenstehende, Ermäßigung für Kriegerfamilien, Einheitsküche, Ausgabe von
Wochenabonnements, keine Beschränkung für den Bezug von Essen nach dem
Grade des Einkommens; teilweise Anrechnung der Lebensmittelscheine. Be¬
sonderer Wert ist außerdem auf die Errichtung geeigneter Abteilungen
für unterernährte Kinder zu legen. Die Art der Einrichtung darf nicht
den kaufmännischen, sondern den hygienischen Standpunkt vertreten;
der Arzt, die erfahrene Köchin und der erfahrene Kaufmann müsse an der
Spitze jeder Organisation für Massenspeisung stehen, dann bietet diese die beste
Gewähr, daß in dem Betrieb alles am Schnürchen geht. '
• 8. Geber Wirtschaftsführung bei Massenspeisung berichtet FraH
Baronin Horn-München auf Grund ihrer bei den Volkskreisen in München
gemachten Erfahrungen. Auch bei Massenbetrieb ist die Gefahr des Vergeudens
vorhanden und deshalb eine rationelle Wirtschaftsführung in bezog auf
Einkauf, Berechnung der Kosten für die einzelnen Gerichte und sparsamer
Verbrauch der Nahrungsmittel durch ihre möglichst vollständige Ausnutzung
erforderlich. Die Kost muß schmackhaft, nahrhaft und preiswert sein; sie
darf auch einer gewissen Abwechselung nicht ermangeln. Sie soll nicht nur
eine augenblickliche Sättigung vermitteln, sondern als Hauptmahlzeit zugleich
einen Teil derjenigen Nährwerte erhalten, die erforderlich sind, um einer Unter¬
ernährung möglichst vorzubeugen. In München werden ®/4—1 Liter verabreicht,
die im Durchschnitt 40 g Eiweis und 10—12 g Fett = 300 Kalorien sowie
700 Kalorien an Kohlenhydraten (Kartoffeln, Hülsenfrüchten usw.), also zu¬
sammen 1000 Kalorien enthalten; der sonstige Nahrungsbedarf muß durch Brot
und die übrigen Mahlzeiten gedeckt werden. Die von der jeweiligen Marktlage
abhängige Kostordnung hat den Ernährungsgewohnheiten der Bevölkerung
Bechnung zu tragen und ist am besten für sämtliche Abgabestellen einheitlich
zu gestalten. Seefische, Polenta und zusammengekochte Gerichte werden z. B.
in den Münchener Volksküchen mit geradezu unparlamentarischen Ausdrücken
belegt; hier werden der süddeutschen Sitte gemäß Suppe und ein Gericht ver¬
abfolgt, während in Norddeutschland das Eintopfgericht bevorzugt wird. Da
aber die gesonderte Verabreichung von zwei Gerichten selbstverständlich viel
kostspieliger ist, muß sowohl im Hinblick auf die Vereinfachung in der Zu¬
bereitung und die bessere Ausnutzung des Bohmaterials, als in bezug auf die
raschere Erledigung der Abgabe das Eintopfgericht als die zweckmäßigste
Art der Beköstigung erachtet werden. Unerläßlich ist die Zentralisierung
des Einkaufs und die Verteilung des Bohmaterials an die einzelnen Küchen;
der Zentralstelle muß auch die Einstellung des erforderlichen Personals obliegen,
ebenso wie für die Wirtschaftsführung sämtlicher Küchen eine Oberleitung
erforderlich ist. Die Zentralleitnng kann ehrenamtlich sein, für die Küchen ist
im allgemeinen die Anstellung bezahlter Kräfte vorzuziehen, da nur solche ihre
ganze Kraft einsetzen und alle Arbeiten verrichten werden.
614 Außerordentliche Tagung für prakt. Durchführung von Massenspeisungen.
ln der sich anschließenden, gemeinsam über alle drei Vorträge statt-
flndenden
Anssprache
berichtet zunächst Stadtrat Dofleln-Berlin über die Massenspeisungen in Berlin.
Küchen für weniger als 15—20000 Personen haben sich hier nicht als praktisch
erwiesen; es werden hier solche bis za 40000 Portionen vorgesehen, jedoch
mit verschiedenen Ausgabestellen für 8000—4000 Personen. Es wird außerdem
hauptsächlich auf das Abholen des Essens gerechnet, um den Grundsatz der
Familienspeisung mit der Massenversorgung nach Möglichkeit zu vereinigen.
Auf die ehrenamtliche Mitarbeit der Frauen und Mädchen legt
Redner besonderen Wert; sie hat sich in Berlin so außerordentlich bewährt,
daß er sie nicht missen möchte.
Prof. Dr. Franke-Berlin betont die Notwendigkeit der praktischen
und theoretischen Ausbildung der Leiterinnen für Massen¬
speisungen; mit Hilfe der Hamburger Kriegshilfe sei ein derartiger dreimonatiger
Kursus eingerichtet, zu der allerdings nur solche Frauen und junge Mädchen
aufgefordert und zugelassen werden, die bereits praktische Erfahrungen in
Küche und Haushalt gesammelt haben. Der Wert und die große Bedeutung
der ehrenamtlichen Mitwirkung von Frauen usw. wird auch von diesem
Redner besonders hervorgehoben.
Dr. Polllgkeit-Frankfurt a. M. lehnt ebenso wie Stadtrat Luther die
von Calver für alle Städte über 5000 Einwohner geforderte obligatorische
Massenspeisung als undurchführbar ab. Die Massenspeisung gestaltet sich
überhaupt in den einzelnen Orten sehr verschieden, in Hamburg macht z. B.
, /e der Bevölkerung davon Gebrauch, in Frankfurt a. M. dagegen nur >/so; sie
kann deshalb nur als ein Teil der Lebensmittelversorgung angesehen werden,
für die aber in gleicher Weise wie bei der sonstigen Ernährung die Frage
der Sicherung der Lebensmittel den Hauptschwerpunkt bildet, ln
Qebereinstimmung mit dem Berichterstatter Thomas fordert daher auch
Polligkeit, daß von öffentlicher Stelle aus die Bereitstellung der haupt¬
sächlich für die Massenspeisung in Betracht kommenden Lebensmittel
sichergestellt wird. Außerdem müsse für ausreichende Speisung der
Kinder gesorgt werden, da bei ihnen die Gefahr der Unterernährung am
größten ist.
Stadtschulrat August Müller-Nürnberg: In Fürth bildet die Massen¬
speisung (9000 Personen täglich) einen Teil der allgemeinen Fürsorge
für Kriegerfamilien, Familien der Arbeitslosen, Armen usw. Das Essen wird
aus den Volksküchen abgeholt; es war leider in der ersten Zeit zu wenig
abwechselungsreich und zu flüssig, ein Mißstand, der jetzt gehoben ist unter
gleichzeitiger Berücksichtigung der heimischen Gewohnheit und Geschmacks¬
richtung. Die Speisemenge beträgt nur 5 /s Liter, der Preis dafür 20 Pfg.
Kranke erhalten auf ärztliche Bescheinigung Anweisung auf Naturalien:
Reis, Zucker, Milch, Brot usw.
Oberbürgermeister Cnno-Hagen i. W. berichtet über die Massenspeisung
in Hagen i. W., wo die neueingerichteten Kriegsküchen ebenfalls einen Bestand¬
teil der allgemeinen Kriegsfürsorge bilden. Er ist ein Gegner der Massenein¬
nahmen von Speisen in den Küchen selbst und gibt der Abholung unbedingt
den Vorzug. Für die Leitung der Küchen haben sich die hauswirtschaftlich
geschulten technischen Lehrerinnen außerordentlich bewährt.
Bürgermeister Günther-Forst berichtet über die in dieser Mittelstadt
(87000 Einwohner) mit den Massenspeisungen gemachten Erfahrungen. Es
werden hier bis zu 6000 Portionen täglich ausgegeben, also fast */ 7 der Be¬
völkerung auf diese Weise ernährt. Die Herstellung einer Portion (ungefähr
>/« Liter) kostet nur 12—14 Pfg., ein so billiger Preis, der nur durch die
ehrenamtliche Tätigkeit aller Mitwirkenden und durch die frühzeitige reichliche
Versorgung mit Lebensmitteln möglich ist.
Stadtrat Dr. Boldt-Dortmund: Die Zahl der Kriegsküchen ist in Dort¬
mund allmählich auf 16 vermehrt, die jetzt täglich 20000 Personen mit Mittag¬
essen versorgen, das abgeholt wird. Abgesehen von groben Arbeiten werden
alle sonstigen Arbeiten, auch die Kartenausgabe usw., von etwa 200 Damen
ehrenamtlich verrichtet; die Leitung liegt auch hier in den Händen der technischen
Hauptlehrerinnen der Haushaltsschulen. Gerade diese ehrenamtliche Mit-
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
615
Wirkung der Frauen ist in psychologischer wie sozialer Hinsicht nicht zu
unterschätzen; sie wird von den Familien der Krieger usw. sehr dankbar
anerkannt und sollte deshalb überall so weit als möglich ausgedehnt werden.
Stadtrat ,Dr. Proske-Katibor warnt vor einer Vorwegberück¬
sichtigung deV Gemeinden mit Massenspeisungen seitens der staatlichen
Zentralstelle, da sie leicht zu einer ungerechten Verteilung der Lebensmittel
führen könne. — Frau Meißner-Berlin sieht in der von verschiedenen Rednern
warm empfohlenen Bevorzugung ehrenamtlicher Kräfte eine schwere Benach¬
teiligung für den weiblichen Arbeitsmarkt, der sich sowieso von Monat zu
Monat verschlechtere.
Nach einer Mitteilung des Bürgermeisters Dr. Frommholdt-Stade machen
dort nicht weniger als 26°/o der Bevölkerung von der Massenspeisung Gebrauch.
Diese starke Inanspruchnahme erklärt sich einmal daraus, daß nur ein ein¬
heitliches Essen für alle Schichten der Bevölkerung hergestellt wird, daß
dieses verhältnismäßig billig ist (10 Pfg. für Bedürftige und 26 Pfg. für alle
anderen) und daß sowohl für die Leitung, als für die sonstigen Arbeiten
ehrenamtliche Kräfte tätig sind. Jeder Deutsche hat Recht auf ein
warmes Mittagessen; dieser Anspruch kann aber nur durch
die Massenspeisungsanstalt befriedigt werden; die Massen¬
speisung ist deshalb nach Ansicht des Redners nicht nur ein Hilfsmittel, sondern
es liegt in ihr auch ein Teil der Lösung der Ernährungsfrage überhaupt. Eine
Bevorzugung der Massenspeiseanstalten seitens der Reichszentralanstalten bei
Verteilung der Nahrungsmittel hält er nicht für nötig; es genügt völlig, wenn
die betreffende Gemeinde das Recht hat, von den ihr zugeteilten Nahrungs¬
mitteln den für diese Anstalten erforderlichen Teil vorwegznnehmen.
Nachdem Frau Wolf-Frankfurt a. M. noch die Errichtung von Kranken¬
küchen warm empfohlen hat, wird die Besprechung und damit die erste
Sitzung geschlossen. Rpd.
(Schluß folgt.)
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
A. Baohverstindlgent&tigkelt auf mlllt&r&rztllohem Gebiete.
Die Objektivierung nervöser Beschwerden im Kriege. Von Dr. Kurt
Singer-Berlin. Würzburger Abhandlungen aus dem Gesamtgebiet der prak¬
tischen Medizin; XVI. Bd., 1. Heft. Würzburg 1916. Verlag von KurtK a b i tzs c h.
Preis: 0,86 M.
Uebertreibungen nervöser Störungen sind nach dem Verfasser etwas sehr
häufiges; sie werden sowohl unter dem Drucke bestimmt gerichteter Wunschvorr *
Stellungen, als auch durch Hinausschraubung wirklich vorhandener Beschwerden
über das übliche Maß hervorgerufen. Uebergänge zwischen Uebertreibung und
Vortäuschung sind etwas sehr Gewöhnliches; ihre Grenzen lassen sich nicht
immer genau bestimmen. Neben der Betrachtung des ganzen psychischen Ich, der
ganzen Persönlichkeit mit allen ihren Wünschen und Neigungen, ihrem Vorleben
und der Art ihrer Krankheitsschilderung stehen uns jedoch Methoden zur Ver¬
fügung, um die nervösen Beschwerden auch objektiv als vorhanden oder nicht
vorhanden nachzuweisen. Diese Methoden beziehen sich zum Teil auf die
genaue Untersuchung an dem angeblich erkrankten Organe selbst, wobei selbst¬
verständlich durch vorherige genaueste spezialistische Untersuchung (Augen¬
spiegel, Kehlkopf, Ohr, Röntgen usw.) das Bestehen oder Nichtbestehen son¬
stiger organischer Veränderungen fcstzustellen ist. Sensibilitäts-Untersuchung,
Intelligenz-Prüfung, Romberg, Elektrizität usw. werden Vortäuschung nicht
selten erkennen oder mindestens die Neigung der Betreffenden zum bewußte^
Uebertreiben klarstellen lassen; sie sind auch häufig therapeutisch angewandt
von gutem Erfolg, namentlich wenn es gelingt, dem Kranken auf diesem Wege
klar zu machen, was krank und was kopiert ist. Schreck, Angst, Erschütterung
beim Anblick zerrissener oder verletzter Kameraden sind nach Verfassers Be¬
obachtung meist der unmittelbare Anlaß der neuropsychischen Erkrankung;
mitunter hatten körperliche Traumen, Wegschleudern durch den Druck von
Granaten oder Verschüttung mitgewirkt. Die Art des Unfalls oder der son¬
stigen auslösenden Ursache gibt dem Bild oft eine ganz bestimmte Färbung
616
Kleinere Mitteilungen und Referate atu Zeitschriften.
nnd, kann ebenfalls bei der Frage der Uebertreibnng mit verwertet werden.
So konnten Uebertreibnngen oder Falschangaben bei angeblich Herz-, Ischias-,
Lumbago-Kranken, bei Gelähmten nnd über Kopfschmerz Klagenden viel¬
fach beqnem nachgewiesen werden. 8. betont jedoch, daß die plötzliche Ver¬
sagung eines Mannes in bezog auf die Nerven, der bis dahin scheinbar ganz
gesund gewesen ist and auch seinen Bienst tadellos versehen hat, keineswegs
immer zn dem Schloß auf Uebertreibnng oder Vortäuschung berechtigen;
denn viele Soldaten unterdrücken tatsächlich manche Beschwerden und ver¬
schweigen auch krankhafte Erscheinungen, um ihren Dienstpflichten nach-
kommen zu können. Manche Degenerierte und Schwachsinnige, die im Eifer der
ersten Kriegsleidenschaft ihre Kräfte besonders anspannten und überschätzten,
sind z. B. später, namentlich seit Einsetzen des Stellungskrieges kläglich mit
ihren Nerven znsammengebrochen. Die Zähl der Dissimulanten ist nach Ver¬
fassers Ansicht auf diesem Gebiete mindestens ebenso groß wie die der schwer
Aggravierenden. Psychologische Uebertreibnngen können durch Behandlung
gebessert und durch Ignorieren oft am besten geheilt werden; bewußte Ueber-
treibung muß auf gedeckt und ebenso wie wirkliche Vortäuschung, die übrigens
sehr selten beobachtet war, bestraft werden. Bpd.
Ueber akute Nierenerkrankungen bei Kriegsteilnehmern. Von Ober¬
arzt d. B. Dr. P. Jungmann. Deutsche med. Wochenschrift; 1916, Nr. 32.
Das Auftreten akuter Nierenerkrankungen bei Kriegsteilnehmern erregt
das besondere ärztliche Interesse wegen der großen Zahl der Nephritiden, die
in den Berichten aus früheren Kriegen nirgends erwähnt sind. Man hat vor
allem die Schädlichkeiten des Schützengrabenlebens, die häufigen Durch¬
nässungen, den dauernden Aufenthalt in feuchten Unterständen und starke
Abkühlungen für ihre Entstehung verantwortlich gemacht und schlechtweg
von „Schützengrabennephritis“ gesprochen. Auch die Ernährung, die zur Läuse-
bekämpfung angewandten Naphthalin- und Kresolpräparate, die Schutzimpfungen
gegen Typhus und Cholera, sowie die Ruhr wurden angeschuldigt; daneben
besteht immer der Gedanke, die Kriegsnephritis in Beziehung zu einer Infektions¬
krankheit zu setzen.
Die Beobachtungen, über die J. im einzelnen berichtet, sind in einem
Kriegslazarett des Ostheeres vom Aujgust 1916 bis Januar 1916 gemacht. 8ie
lehren, daß es sich um eine einheitliche Erkrankung handelt; denn trotz
wechselnder Schwere sind Beginn und Symptome während des Verlaufs im
wesentlichen stets die gleichen. Anderseits bieten Entstehungsweise und Ver>
lauf Besonderheiten, die bei anderen akuten hämorrhagischea Nephritiden ver-
* mißt werden. Charakteristisch sind für die Kriegsnephritis der plötzliche Be-
S inn des Fiebers, die Milzschwellung, die anfängliche Blutdrucksenkung und
ie anderen Zeichen der universellen Kapillarschädigungen; sie deuten darauf
hin, daß nicht die Niere allein der Sitz der Krankheit ist, sondern daß von
Anfang an der ganze Körper betroffen wird. Die Auffassung, daß letzten
Endes eine Infektion die Ursache der Kriegsnephritis ist, wird ferner ge¬
stützt durch ihre Verbreitungsweise (das Auftreten nach etwa 8 Kriegsmonaten
zuerst allein auf dem östlichen Kriegsschauplatz, erst später im Westen) und
die pathologisch-anatomischen Befunde.
Ueber die Art der Infektion ist bisher noch nichts Bestimmtes zu sagen.
Die bakteriologische und mikroskopische Blutuntersuchung während der Fieber¬
tage und bei fieberfreien Fällen ist stets ergebnislos gewesen. Solange dieser
Nachweis aber nicht erbracht und durch den Tierversuch die Uebertragbarkeit
der Krankheit nicht erwiesen ist, fehlt der wichtigste unter den angeführten
Gründen.
Die Kriegsnephritis ist trotz Beseitigung mancher Ursachen, die für ihre
Entstehung verantwortlich gemacht sind, nicht erloschen. Die Erkältung wird
sich allerdings unter den Kriegsbedingangen nie ausschalten lassen; sie kann
jedoch höchstens ein Ililfsfaktor sein. Erst wenn die Annahme einer infektiösen
Ursache sich bestätigt, werden sichere Grundlagen zu ihrer Bekämpfung ge¬
funden werden. _ Dr. R o e p k e - Melsungen.
Kleinere Mitteilungen und Referate aas Zeitschriften.
517
Uober das pathologisch • anatomische Bild der „Kriegsnephritis“.
Von Stabsarzt Dr. G. Herxheimer. Deutsche med. Wochenschrift; 1916,
Nr. 31 and 32.
Die „Kriegsnephritis" ist eine Nieren- and besonders Glomeruluserkrankung
von einfacher Glomeralas-Kapillarschädigang bis za schwerer Glomerulo-
Nephritis. Aetiologisch sind wahrscheinlich Toxine von Kokken anzaschuldigen,
die wohl darch die oberen Luftwege — Bronchitis, Tracheitis, Laryngitis —
aufgenommen werden. Hierbei kommt disponierenden Momenten, in erster
Linie Durchnässung and Erkältung, sodann auch individuellen Verhältnissen
der Nierendurchblatang, evtl, aaf Grand früherer Erkrankungen, große Be¬
deutung zu. Dr. R o e p k e - Melsungen.
B. Hygiene und öffentliches Gesundheitswesen.
1. Säuglingsfürsorge.
Das ABC der Mutter, heraasgegeben von der Gesellschaft für Gemein¬
wohl in Kassel. Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. L. Brauer. Würzburg
1916. Verlag von Curt Kabitzsch. Gr. 8°; 20 Seiten. Preis: 30 Pfg.
Das Schriftchen enthält in knapper, übersichtlicher Form alles, was
über praktische Säuglingsfürsorge zu sagen ist; auch die Preise der zur Pflege
nötigen Gebrauchsgegenstände sind angegeben, damit selbst die Frauen aus
dem Volke sehen können, daß mit geringen Mitteln manches angeschafft werden
kann, was das Gedeihen ihrer Säuglinge gewährleistet. Die Einrichtung des
Inhalts ist so getroffen, daß jeder sofort, gleichsam mit einem Griff die ge¬
wünschte Belehrung finden kann und nicht erst viele Seiten nachzuschlagen
braucht. Gerade mit Rücksicht darauf verdient die Schrift die weiteste Ver¬
breitung, die durch die Verlagsbuchhandlung in entgegenkommender Weise
dadurch erleichtert wird, daß sich der Preis bei Abnahme einer größeren An¬
zahl die Schrift nicht unerheblich ermäßigt. Rpd.
2. Schulhygiene.
Schulorganisatorischer Vorschlag zur Minderung der Kindersterb¬
lichkeit an akuten Infektionskrankheiten. Von Dr. M. Pfandler -München.
Münchener med. Wochenschrift; 1916, Nr. 82.
Pfandler faßt seine Gedanken also zusammen: Masern und Keuch¬
husten sind fast nur (Diphtherie und Scharlach hauptsächlich) im vor schul¬
pflichtigen Alter lebensgefährlich. Gelänge es aber bei gleibleibender Gesamt¬
häufigkeit dieser Krankheiten den Ansteckungstermin nur bis in das 6. Lebens¬
jahr aufzuschieben, so würde die Masern- und die Keuchhustensterblichkeit
je um rund 60 Prozent und beispielsweise in München jährlich allein
die Zahl der an Masern- und Keuchbustentodesfällen etwa um 860 ver¬
mindert werden. Der überwiegende Teil der Masern- und Keuchhustensterbe¬
fälle geht darauf zurück, daß Kinder, die die Krankheit in der Schule oder
Spielschule erworben haben und selbst ohne Gefährdung überstehen, ihre
jüngeren Geschwister (Wohnungsgenossen) infizieren. Rigoroseste Vorkehrungen
zur Verhütung von Masern- und Keuchhustenverbreitung in der Schale sind in
größeren Gemeinden nicht ohne schwere Störung des Unterrichtsbetriebes und
Beeinträchtigung des Lehrerfolges allgemein durchführbar; sie bringen über¬
dies den Schulkindern selbst kaum Nutzen. Es empfiehlt sich aber dort, wo
Parallelklassen entstehen, die Scheidung der Gesamtjahrgänge nach dem Vor¬
handensein oder . Fehlen gefährdeter (jüngerer) Geschwister und Wobnungs-
genossen vorzunehmen und Vorkehrungen gegen die Verbreitung von Masern
und Keuchhusten in der einen Kategorie von Klassen zu unterlassen, in der
andern mit erhöhter Schärfe zu treffen. Als Schutzmaßnahmen kommen
namentlich das System der kurzfristigen Schulschließungen und die Kontrolle
vor Unterrichtsbeginn in Betracht.
(Referent möchte auf die Gefahr der Deklassierung der Kinder aus
großen Familien hinweisen, die durch die Verwirklichung dieses Gedankens ein-
treten würde.) Dr. G r a ß 1 - Kempten.
518 Kleben Mitteilungen and Referate atu Zeitschriften.
3. Soziale Hygiene.
Gründe and Bedeutung des Geburtenrückganges Vom Standpunkte
der öffentlichen Gesundheitspflege. Was kann der Arzt und die Medizinal*
Verwaltung tan, um diesem Uebel zu begegnen 1 Von Kreisassistenzarst
Dr. H. v. H5vell-Berlin. Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizb und
Öffentliches Sanitätswesen. Dritte Folge. 51. Bd., H. 2. Jahrg. 1916.
Die Abnahme der Geburten ist im Deutschen Beich und in Preußen
nicht in dem „Nichtkönnen", d. h. in einer Abnahme der Fortpflanznngs-
fähigkeit beider Geschlechter begründet, sondern fast ausschließlich in dem
„Nichtwollen", also in der Abnahme des Zeugungswillens, die
ohne Zweifel auch in allen anderen Kulturstaaten die Hauptrolle bei dem
rapiden Sturz der Geburtenziffer bildet. Die Gründe für diese Minderung des
Zeugungswillens sind nicht allem egoistischer, sondern auch materialistischer
und wirtschaftlicher Art; sie sind Folgeerscheinungen unserer Kultur und
unseres Wirtschaftslebens. Die legalen und illegalen Mittel, die zum Hintan¬
halten des unerwünschten Kindersegens benutzt werden, sind freiwillige Ent¬
haltsamkeit vom Geschlechtsverkehr (in der Ehe sehr unwahrscheinlich),
Präventiwerkehr (am häufigsten), künstliche Unterbrechung der Schwanger¬
schaft (in ständiger Zunahme begriffen) und operative Unbrauchbarmachung
(kommt für den Geburtenrückgang kaum in Betracht). Die Frage, ob die Be¬
schränkung der Geburtenzahl eine Verbesserung der Qualität des Menschen¬
materials mit sich bringt und der Verlust an Zahl durch die Zunahme an
Wertigkeit erhöht wird, verneint Verfasser; hohe Säuglingssterblichkeit geht
auch nicht immer mit hoher Geburtenziffer Hand in Hand, jedenfalls kann sie
bei dieser durch entsprechende Säuglingsfürsorge herabgesetzt werden, während
anderseits die letztere nicht allein imstande ist, die Schäden des Geburten¬
rückgangs illusorisch zu machen. Das Ein- und Zweikindersystem ist auch an
sich vom Standpunkt der öffentlichen Gesundheitspflege ebenso unerwünscht,
wie die gewaltsame Zurückdrängung der Fortpflanzungstätigkeit, die gewohn¬
heitsmäßige Ausübung des Präventivverkehrs eine gesundheitliche Schädigung
unseres Volkskörpers bedeutet. Abhilfe ist deshalb dringend nötig. Zu den
hierfür in Betracht kommenden Mitteln gehören: Strengere Beaufsichtigung
der Personen, die das Heilgewerbe ohne staatliche Anerkennung ausüben, sowie
der staatlich geprüften Heilgehilfen, Massöre. Krankenpfleger usw., Unter¬
drückung bezw. Erschwerung des Handels mit empfängnisverhütenden Mitteln,
Neuordnung des Hebammenwesens, Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten
und des Prostitutionswesens, Ausdehnung der Säuglingsfürsorge, gesetzliche
Regelung des Ammenwesens, sorgfältige Ueberwachung des Haltekinderwesens,
der Privatkrankenanstalten und des Badewesens. Rpd.
Staatliche MUtterfürsorge und der Krieg. Von Dr. med. Alf. Fischer-
Karlsruhe. Berlin 1915. Verlag von Julius Springer. 8°; 24 8. Preis: 0,40M.
Die Fürsorge für Schwangere und Gebärende ist leider in der neuen
Reichsversicherungsordnung nicht genügend berücksichtigt; nach den von dem
Verfasser angestellten Umfragen haben nur verhältnismäßig wenige Kassen die
fakultative Wochenbettunterstützung der nicht versicherungspflichtigen Ehe¬
frauen satzungsgemäß eingeführt, so daß für diese riesige Schar von Frauen
aus den minderbemittelten Kreisen im Falle der Schwangerschaft viel zu wenig
gesorgt ist. Durch die Agitationsarbeit der Propagandagesellschaft für Mutter¬
versicherung (Sitz Karlsruhe) hat sich erfreulicherweise eine Reihe von
Krankenkassen anregen lassen, die Mütterfürsorge auch auf die versicherungsfreien
Ehefrauen ihrer Mitglieder auszudehnen; einen allgemeinen großen Fortschritt
bedeutet weiterhin die durch Beschluß des Bundesrats erlassene Verordnung
vom 3. Dezember 1914 Uber die Wöchnerinnenunterstützungen während des
Krieges, besonders nachdem sie durch Bekanntmachung vom 23. April 1915
eine erhebliche Erweiterung erfahren hat. F. fordert, daß diese vortreffliche
Einrichtung auch nach dem Friedensschlnß nicht nur erhalten bleiben, sondern
zu einer gesetzlichen Mutterschaftsversicherung ausgebaut werden muß. Rpd.
Die Massenspeisnngen der Hambnrglschen KrtegskSchen. Von
Oberstabsarzt Dr. Moritz Fürst - Hamburg, z. Zt. Chefarzt in Güstrow. Deutsche
med. Wochenschrift; 1916, Nr. 24.
Kleben Mitteilungen und Referate ane Zeitschriften.
619
In Hamburg wird jetzt in 79 Küchen für ungefähr 116 000' Menschen
täglich gekocht. Alle Küchen haben naeh allwöchentlich bestimmten Küchen-
zetteln (mit genauer Angabe der Zutaten für je 60 Personen) zu kochen und
die Speisen in gleicher Menge (für Erwachsene 1 Liter), zu gleicher Zeit und
zum gleichen Preise abzugeben. Das Essen wird meist abgeholt, kann aber
auch an Ort und Stelle verzehrt werden. Die Abgabe erfolgt an jeden ohne
Prüfung der Bedürftigkeit. Seit Eintritt der Fleischknappheit wird nur zwei¬
mal wöchentlich frisches Fleisch, einmal Fleischkonserven gegeben, die Fleisch¬
menge beträgt 60 g auf den Liter. Die fleischfreien Tage dürfen nach der
Möglich keit der Fleischbeschaffung verlegt werden. Die Marken werden schon
am vorhergehenden Tage ausgegeben. Der Preis beträgt 20 Pfg. für die
Portion, der Zuschuß von der Hamburger Kriegshilfe z. Zt. 18 Pfg. und
2 Pfg. für Unkosten.
Ein solcher Zuschuß, monatlich etwa 160000 M. in Hamburg, ist nötig,
um einen großzügigen Betrieb in den Kriegsküchen zu sichern. Weitere Vor¬
bedingungen dafür sind: Zusammenarbeiten ehrenamtlicher Organe mit den
Vertrauensleuten der Arbeitervereinigangen und Gewerkschaften, ehrenamtliche
Beteiligung von Männern und Frauen in allen Küchen, einheitliche Leitung
und straffe Zentralisation, fast tägliche genaue Kontrolle der Küche durch die
Zentralleitung, unbedingtes Vertrauen zu den ehrenamtlichen Leitern, richtige
Verteilung der Kriegsküchen über die Stadt, Möglichkeit den Betrieb zu er¬
weitern. Die allerwichtigste Aufgabe aber ist es, daß in allen Küchen wirklich
gut gekocht wird und jede Küche bestrebt ist, dem Geschmacke ihrer Bezieher
und Besucher nach Möglichkeit entgegenzukommen. Dr. Boepke -Melsungen.
4. Statistik.
Die Bewegung der Bevölkerung ln Preußen ln den Jahren 1918
und 1914. Statistische Korrespondenz.
Im Jahre 1913 sind in Preußen 1 209600 Geburten (einschl. 86970Tot¬
geburten), 666 490 Sterbefälle und 328 709 Eheschließungen erfolgt; der Ge¬
burtenüberschuß betrug sonach 563 010 oder 13,3 auf das Tausend der mittleren
Bevölkerung. Im Jahre 1914 stellen sich diese Ziffern auf 1 202 528 Geburten,
802 776 Sterbefälle (mit 35 948 Totgeburten) und 286 197 Eheschließungen; die
Geburtenzahl ist demnach gegen das Vorjahr um 6972 zurückgegangen, die
Zahl der Todesfälle um 146 286 gestiegen und der Geburtenüberschuß dem¬
entsprechend um 163 258, und zwar von 553 010 auf 399 752 gesunken.
Eine bemerkenswerte, in fast allen europäischen Staaten wiederkehrende Er¬
scheinung der Jahre 1909 bis 1912 ist die abnehmende Geburtenzahl
bei steigender Ehefrequenz. Während sich nämlich im Durchschnitt des Jahr¬
zehnts 1904—1913 die Geburtenzahl auf 1 270253, die Zahl der Sterbefälle
auf 711 629, der Geburtenüberschuß sonach auf 558 624 belief, betrug die Ge¬
burtenzahl im Jahre 1918 bereits 60 753 unter dem zehnjährigen Durchschnitt,
1914 aber sogar 67725. Die Zahl der Todesfälle stand 1913 um 55139 unter,
dagegen 1914 um 91147 über dem zehnjährigen Durchschnitt. Die Zahl der
Eheschließungen stellte sich 1913 auf 11676 überund im Jahre 1914 auf
25 836 unter dem zehnjährigen Durchschnitt 1904 bis 1913. Es ist also klar,
daß die eheliche Fruchtbarkeit in einer nicht unerheblichen Abnahme begriffen
ist, wie sich aus den nachstehenden Uebersichten ergibt:
Geburten
Sterbefälle
Geburten¬
Ehe¬
einschl. Totgeborene
überschuß
schließungen
1904 ....
1 304 936
742 420
562 508
294 732
1905 ....
1280283
765 256
615 027
299 988
1906 ....
1 309 140
713 083
596 057
309 922
1907 ....
1 298 508
719 736
578772
313039
1908 ....
1308 504
733 047
575 457
311181
1909 ....
1 287 234
705 877
581357
807 904
1910 ....
1256794
675 237
581 557
310415
1911 ....
1225 300
732 826
492 474
321151
1912.
1 222 333
672 306
550 027
328 340
1913 ....
1209 600
656 490
553 010
323 709
1914 ....
1 202 528
802 776
399 752
286 197
520
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
oder auf 1000 der mittleren Bevölkerung berechnet:
Geburten Sterbefälle Gebarten¬
einschi. Totgeborene Oberschaß
1904 .... 35,8 20,3 15,5
1905 .... 34,5 20,7 13,8
1906 .... 84,8 19,0 15,8
1907 .... 34,0 18,8 15,2
1908 .... 33,7 18,9 14,8
1909 .... 32,7 17,9 14,8
1910 .... 31,5 16,9 14,6
1911 .... 30,3 18,1 12,2
1912 .... 29,8 16,4 13,4
1913 .... 29,0 15,8 13,2
1914 .... 28,5 19,0 9,5
Die Geburtenziffer hat sich somit
Ehe¬
schließungen
16,2 .
16,2
16.5
16.4
16,0.-
15.6
15,6
15,9
16,0 .
15.5
18 , 6 ,
von
Sterbezifer aber nur um 6°/o verringert,
Geburtenüberschusses fast 39,0 # /o beträgt.
1904-1914 um 20*/#, die
während die Verringerung des
Rpd.
Bericht Ober die medizinische Statistik des Uamburgischeu Staates
für das Jahr 1914. Mit fünf Abbildungen im Text und sechs Tafeln. Ham¬
burg 1916. Verlag von Leopold Voß. 4°; 90 S. . ,
Der die Geburten, Sterbefälle, Erkrankungen an übertragbaren Krank¬
heiten, die Krankenbewegung in den Armenkreisen, die Heilanstalten und die
Hedizinalpersonen umfassende Bericht bringt wieder manche auch außerhalb Ham¬
burgs interessierende Angaben. Dabin dürfte z. B. gehören, daß sich das durch¬
schnittliche jährliche Einkommen in Hamburg in den 10 Jahren von 1903 bis
1912 um nicht weniger als 30 •/« gehoben hat (von 732,08 auf 950,16 M.), die Ge¬
samtzahl der Geburten dagegen von 26,80 auf 21,52 °/<x> gesunken ist. Von den
geborenen Kindern waren 3,6°/o totgebor^n und zwar bei Kopflagen 2,5 */o,
bei den Gesichtslagen 19,0, bei den Beckenendlagen 24,0 und bei den Querlagen
41,4 °/o. Bei 6,3 °/o der Geburten waren geburtshilfliche Operationen erforder¬
lich; von den betreffenden Müttern Bind 3,2 */# gestorben, von den Kindern
19,0°/« totgeboren.. Die Sterblichkeit ist im Jahre 1914 (12,9 •/ oo) etwas
höher als im Vorjahre (12,6°/«o) und im Stadtgebiet höher als im übrigen
Gebiet (13,1 gegen 10,8 °/oo) sowie im Monat Oktober am niedrigsten (0,9 °/*°),
in den Monaten Januar—April am höchsten (l,2°/«o). Die Säuglingssterb¬
lichkeit (12,7 */•) ist ebenfalls etwas höher als im Vorjahre (12, 0®/o), als
wesentlich niedriger als in den Jahren 1910 und 1911 (15,6 und 15,7 °/o). Von
den einzelnen Stadtgebieten hatten die wohlhabenden (Rotberbaum und Harves-
hude mit 3004 und 4563 M. Einkommensteuer auf den Kopf) die niedrigsten
Geburts-Sterbeziffern (8,6 und 11,1 °/oo) bezw. 9,9 und 8,4 °/*o) und die ärmsten
(Bill war der Ausschlag und Barmbeck mit 446 und 495 M. auf den Kopf) die
höchsten (25,8 und 29,2 bezw. 19,1 und 16,6 4 /«o)* Die Tuberkulosesterb¬
lichkeit ist von 21,0 u /ooo im Jahre 1895 auf ll,l°/ooo im Jahre 1914 gesunken;
(in den beiden vorgenannten wohlhabendsten Bezirken auf 3,9 und 4,9°/o«o gegen
22,9 °/ ono in dem engbebauten und weniger wohlhabenden Bezirk Altstadt-Nord).
Nach den Einkommensteuer Verhältnissen stellt sich die Tuherkulosesterblichkeit
wie folgt: bei den Einwohnern mit einem Einkommen von 900—1200 M. : 28,4,
1200—2000 M.: 25,0, 2000-3500 M.: 19,0, 3500—5000: 13,3, 5000—10 000 M.:
13,2, 10 000—25 000 M.: 3,3 und über 25 000 M.: 4,8 auf 10 000 Lebende. Es ergibt
sich daraus, daß in den reichsten Familien 6 mal weniger Personen an Tuberkulose
sterben als in den ärmsten. Von den Infektionskrankheiten sind Pocken
nur vereinzelt (11) aufgetreten, auch die Typhuserkrankungen sind verhältnis¬
mäßig selten gewesen (223 mit 26 = 11,2 "/o Todesfällen) oder 1,8 bezw. 0,2
auf 10000 Einwohner; stärker verbreitet waren dagegen S cha r 1 a c h (2615 Er¬
krankungen mit 117 s 4,5 °/o Todesfällen), Masern (2431 mit 104 = 4,3 %
Todesfällen), Diphtherie (4444 mit 368 = 8,3°/» Todesfällen). Rpd.
Geburtenhäufigkeit und Säuglingssterblichkeit in den deutschen
Großstädten mit mehr als 200 000 Einwohnern In den Jahren 1914 nnd 1915.
Veröffentlichungen des Reichsgesundheitsamts; 1916, Nr. 24.
Zur Ergänzung der Bearbeitung der Wochenausweise über die Bevölke-
Kleinere Mitteilungen and Beferate ans Zeitschriften.
68t
rungsvorgänge in den deutschen Großstädten mit mehr als 200000 Bin*
wohnern während der Zeit Tom 4. April 1915 bis 1. Januar 1916 (s. diese Zeit¬
schrift J&hrg. 1915, Nr. 23, S. 721 nnd Jahrg. 1916, Nr. 9, S. 245) sind jetzt
im Beichsernährungsamt die vorläufigen und endgültigen Angaben über die
Zahl der Lebendgeborenen und der Sterbefälle im 1. Lebensjahr in diesen
Städten für das Jahr 1915 denen für das vorausgegangene Jahr gegenübergestellt.
Danach hat sich nach den Monatsergebnissen die Zahl der Lebendge¬
borenen in der Gesamtheit der 26 größten deutschen Städte von 66 032 im
1. Viertel des Jahres 1914 auf 42723 im letzten Viertel des Jahres 1915 ver¬
mindert. Diese Verminderung war in den einzelnen Vierteln des Jahres 1914
nur unbedeutend; im 1. Viertel des Jahres 1915 folgte, entsprechend den regel¬
mäßigen monatlichen Schwankungen der Geburtenhäufigkeit im Deutschen Beiche,
wiederum ein Anstieg der Zahl der Lebendgeborenen, nämlich von 61259 im
letzten Vierteljahre 1914 auf 65 399 im 1. Vierteljahre 1915, so daß nahezu
die Höhe derjenigen für das 1. Vierteljahr 1914 erreicht wurde. Die Ein¬
wirkung des Krieges auf die Geburtenhäufigkeit, die aus natür¬
lichen Gründen erst vom Monat Mai 1915 in Erscheinung treten konnte, machte
sich bereits in bedeutendem Maße im 2. Vierteljahre 1915 geltend, in welchem
nur noch 52899 Lebendgeborene in der Gesamtheit der untersuchten Gro߬
städte aufgezeichnet worden sind, ln den beiden nachfolgenden Vierteljahren
hielt zwar der Geburtenrückgang weiter an, doch machte sich darin eine Ver¬
langsamung deutlich bemerkbar. An dieser Verminderung nahmen alle
Städte, wenn auch in verschiedenem Grade, teil, doch läßt die Betrachtung
der örtlichen Unterschiede zwischen den Vierteljahrsangaben
der beiden Vergleiohsjahre erkennen, daß die Zahl der Lebendgeborenen in
einigen Städten in dem 1. Vierteljahre 1915 noch größer war als in dem ent¬
sprechenden Zeiträume des Vorjahrs.
Infolge der bedeutsamen Abnahme der Zahl der Lebendgeborenen in den
letzten drei Vierteljahren des Jahres 1915 mußte sich auch die Zahl der
Sterbefälle im 1. Lebensjahre vermindern. Der Vergleich der Viertel¬
jahrsangaben über die letztere Zahl für das Jahr 1914 mit denen für das Jahr
1915 zeigt auch, daß die Zahl der Sterbefälle im 1. Lebensjahr in der Gesamt¬
heit der 26 größten Städte im Jahre 1915 von Vierteljahr zu Vierteljahr be¬
ständig abgenommen hat, und zwar von 8761 im 1. Vierteljahr auf 5568 im
letzten Vierteljahre. Dieser Verlauf wich in auffallender Weise von dem jahres¬
zeitlichen Verlauf der gleichen Angaben für das Vorjahr ab, in welchem der
Sommergipfel der Säuglingssterblichkeit im 3. Vierteljahre mit 14074 Sterbe¬
fällen im 1. Lebensjahre sich deutlich von den Angaben für die übrigen Viertel¬
jahre, die sich nur zwischen 8000 und 8600 bewegten, abhob. Da der üb¬
liche Sommergipfel der Säuglingssterblichkeit im Jahre 1915
überhaupt nicht in Erscheinung getreten ist, so ist es erklärlich
daß bei dem angestellten zeitlichen Vergleiche das Maximum der Abnahme
der Zahl der Sterbefälle im 1. Lebensjahr auf das 3. Vierteljahr entfallen mußte.
Der Umstand, daß von der Abnahme der Gesamtzahl der Sterbefälle im 1. Lebens¬
jahr im Jahre 1915 gegenüber 1914 um 10 493 allein 7137 auf das 3. Viertel¬
jahr entfielen, läßt erkennen, daß die Abnahme der Zahl dieser Sterbefälle im
Jahre 1915 nicht nur auf die Verminderung der dem Sterben ausgesetzten
Säuglinge, sondern auch auf das Ausbleiben des Sommergipfels der Säuglings¬
sterblichkeit in diesem Jahre zurückzuführen ist. Da das Ausbleiben des
Sommergipfels im Jahre 1915 durch die günstigen Temperaturver¬
hältnisse in den Sommermonaten bedingt war, so kann man hieraus folgern,
daß dieser Umstand von entscheidendem Einfluß auf die Gestaltung der Säuglings¬
sterblichkeit überhaupt im Deutschen Beiche im Jahre 1915 gewesen ist. Für
die Bichtigkeit dieser Schlußfolgerung spricht die Tatsache, daß die starke
Abnahme der Zahl der Sterbefälle im 1. Lebensjahr im 3. Vierteljahre 1915
f egenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahrs sich für alle untersuchten
tädte nachweisen läßt, so daß nur ein gemeinsamer Umstand, nämlich die
günstigen Temperaturverhältnisse in den Sommermonaten des Jahres 1915, als
Ursache hierfür angesehen werden kann. Dagegen sind die Verschieden¬
heiten dieser Abnahme in den einzelnen Städten auf örtliche Ein¬
flüsse in erster Linie wohl auf die verschiedene Abnahme der Geburtenhäufig¬
keit und den verschiedenen Stand der Säuglingsfürsorge, zurückzuführen.
522
Kleinere Mitteilungen and Bef erste aas Zeitschriften.
Aas dem Vergleich der Jahresergebnisse der Statistik der Lebend-
geborenen und der Sterbefälle im 1. Lebensjahre ist zu ersehen, daß die Zahl
der Lebendgeborenen in der Gesamtheit der 26 Großstädte im Jahre 1916
um 49 749 niedriger als im Vorjahre war, also um 19,8V» oder nahezu ein
Fünftel.
Am größten war diese prozentuale Abnahme in Chemnitz mit 27,2°/«,
in Nürnberg mit 27,1, in Neukölln mit 24,8, in Duisburg mit 28,7 und in
Hamburg mit 28,6°/o- Weit unter dem Durchschnitt verblieb dagegen
diese Abnahme in Dortmund mit 14,4 V», in Mannheim mit 14,2, in Berlin-
Schöneberg mit 13,1 und in Kiel mit 7,6 %.
Dieser Abnahme der Zahl der Lebendgeborenen stand eine solche der
Sterbefälle im 1. Lebensjahr um 10351 gegenüber, der es hauptsächlich
zu verdanken ist, daß die Zahl der das 1. Lebensjahr überlebenden
Kinder im Jahre 1916 nur um etwas mehr als ein Fünftel weniger
ab genommen hat alB die Zahl der Lebendgeborenen.
Um die Abnahme der Zahl der Sterbefälle im 1. Lebensjahr im Jahre 1916
gegenüber 1914 mit der Abnahme der Zahl der Lebendgeborenen vergleichen za
können, ist die prozentuale Abnahme der absoluten Zahl der
Sterbefälle im 1. Lebensjahre berechnet, die für die Gesamtheit der
26 Großstädte im Jahre 1916 nicht unbeträchtlich größer war als die der
Zahl der Lebend geborenen und 26,8 °/o beträgt. Die Grenzwerte bewegen
sioh zwischen 27,2 und 7,6 °/o; es zeigt sich außerdem dabei, daß die. Stadt
mit der größten prozentualen Abnahme der Zahl der Lebendgeborenen (Chem¬
nitz) mit 42,1% auch die größte prozentuale Abnahme der Sterbefälle im
1. Lebensjahr und die Stadt mit der geringsten prozentualen Abnahme der
Zahl der Lebendgeborenen auch die geringste prozentuale Abnahme der Zahl
der Sterbefälle im 1. Lebensjahr aufzuweisen hat (Kiel mit 12,7%). Dieser
Parallelismus läßt sich auch in anderen Städten verfolgen. Wird die Zahl der
Sterbefälle im 1. Lebensjahr auf je 100 Lebendgeborene einer vergleichenden
Berechnung zugrunde gelegt, so hat sich die eigentliche Säuglings¬
sterbeziffer von 15,3 im Jahre 1916 auf 14,0 im Jahre 1916, d. h. um
1,3 auf je 100 Lebendgeborene, vermindert. Eine derartig niedrige
Säuglingssterbeziffer, wie die des Kriegsjahres 1916, wurde
bisher noch in keinem Jahr im Deutschen Beiche beobachtet.
Nur einige wenige kleine Gebietsteile hatten in den letzten vorausgegangenen
Jahren eine noch niedrigere Säuglingssterbeziffer aufzuweisen. Die räum-
lichen Unterschiede der Säuglingssterbeziffer im Jahre 1916 lassen jedoch
erkennen, daß in einigen Städten die Säuglingssterblichkeit auch in diesem
Jahre beträchtlich hoebgewesen ist und sich gegenüber dem Vorjahr nur wenig
verändert hat. Dies war der Fall in Königsberg, wo die höchste Säuglings¬
sterbeziffer mit 19,6 verzeichnet wurde, ferner in Magdeburg und Danzig, wo
die Säuglingssterbeziffer■ im Jahre 1916 19,2 betrug. Dagegen ist die Zahl
der Städte mit einer Säuglingssterbeziffer unter 12,0 von 2 (Frankfurt a. M.
und Bremen) im Jahre 1914 auf 7 (Hamburg, Dresden, Frankfurt a. M., Düssel¬
dorf, Hannover, Stuttgart und Bremen) im Jahre 1916 gestiegen. Nur in einer
einzigen Stadt, nämlich in München, war die Säuglingssterbeziffer im Jahre 1915
etwas größer als im Vorjahre. Da diese Stadt die einzige ist, in welcher auch
im Jahre 1914 der Sommergipfel der Säuglingssterblichkeit nicht in Erscheinung
trat, so haben dort die günstigen Temperaturverhältnisse in den Sommermonaten
des Jahres 1916 auch keinen Rückgang der Säuglingssterblichkeit bewirken
können. Auch diese Tatsache beweist, daß der Rückgang der Säuglings¬
sterblichkeit in den übrigen Städten im Jahre 1915 in erster Linie den gün¬
stigen Temperaturverhältnissen in den Sommermonaten dieses Jahres zu ver¬
danken ist. _ Bpd.
5. Oeffeutliches Gesundheitswesen im allgemeinen.
Gegen die Zersplitterung der Gesundheitsfürsorge. Von Kreisarzt
Dr. Louis Ascher in Berlin, z. Z. im Felde. Deutsche med. Wochenschrift;
1916, Nr. 24.
Die durch die Entwicklung bedingte Zersplitterung in Tuberkulose-,
Säuglings- usw. bis zur Wohnungsfürsorge ist eine ungeheuerliche Verschwen¬
dung. von Kraft und Zeit. Alle diese Zweige der Gesunhheitsfürsorge haben
Kleinere Mitteilungen and Referate atu Zeitschriften.
633
das Gemeinsame, daß sie in der Wohnung des Fürsorgebedürftigen su beginnen
'Und zu enden hat, daß die Kreise der Schutzbedürftigen <ue der Minder¬
bemittelten sind, daß die ganze Familie erfaßt und mit den einfachen Regeln
-der Gesundheitspflege aller Zweige vertraut gemacht werden muß.
In den rheinischen Kreisen führen die Säuglingsfürsorgerinnen auch die
-Tuberkulosefürsorge aus. Im Kreise Hamm i. W. wird die gesamte Gesund¬
heitsfürsorge von einem Amte (Fürsorgeamt) und mit denselben Kräften aus-
geübt. Zu solcher Zusammenlegung drängt die jetzige Zeit. Es sollten schon
jetzt Fürsorgerinnen oder Fürsorger mit den einfachen Gesundheitsregeln aller
Zweige vertraut gemacht werden und einen umschriebenen Bezirk zur Bearbei¬
tung (Bezirksschwestern, Bezirkspfleger) übernehmen mit voll oder teilweis
besoldeten oder unbesoldeten Hilfskräften. Voraussetzung ist entsprechende
Unterweisung und Beaufsichtigung auch hinsichtlich der Erfolge, Besuch der
ärztlichen Beratungsstunden mit den Pflegebefohlenen. Ferner wäre es ange¬
bracht, die Beamten der Krankenkasse in näherer Fühlung zur Gesundheits¬
fürsorge zu bringen und Vertreter der Krankenkassen ebenso wie die der
Alters- und Invaliditäts- und Angestelltenversicherung in die Fürsorgeaasschüsse
und städtischen Gesundheitskommissionen aufzunehmen. „Die Zeit drängt zu
Taten und zur besten Ausnutzung der Kräfte.“ Dr. E o e p k e - Melsungen.
6. Apothekenwesen und Arzneiversorgung.
Die Kriegspreise der Arzneimittel. (Aus dem Pharmakologischen
Institut der Universität in Königsberg). Von Hermann Fühner. Deutsche
med. Wochenschrift; 1916, Nr. 25.
In Deutschland haben wir bisher kein wichtiges Arzneimittel zu ent¬
behren; für jedes zur Neige gehende ausländische Produkt sind Ersatzmittel
schon vorhanden oder zu schaffen. Die Preise der aus dem Ausland bezogenen
Arzneimittel sind gegenüber Friedenszeiten gestiegen; immerhin sind die
deutschen Kriegs-Arzneipreise gegenüber denen des Auslandes außerordentlich
mäßig. Einer Zusammenstellung ist zu entnehmen, daß im April 1916 in
Deutschland (England), auf 1 Kilogramm und Mark berechnet, kosteten:
Acid. acetylosalicyl. 7,20 (117), Acid. salicyl. 3,95 (51,80), Atropin, sulfur. 2700
S , Chinin, hydrochlor. 94 (180), Cocain, hydrochlor. 210 (1025),
col. carbon. 20 (190), Kal. bromat 3,30 (57,50), 'Kal. permangan. 1,70
(19,70), Phenacetin 8,30 (163), Phenolphthalein 20 (139) usw.
Es ist ratsam, die Verordnung ausländischer Arzneistoffe einzuschränken
und für sie inländische natürliche oder — oft besser — künstliche zu ver¬
wenden. Sparsamkeit ist in erster Linie in Salben anzuempfehlen, wie über¬
haupt sparsames Verschreiben aller Arzneimittel am Platze ist. Die Kranken¬
kassen sollten ein Verzeichnis der zu vermeidenden Arzneimittel zugleich mit
Vorschlägen von Ersatzmitteln bekanntgeben. Dagegen ist das Bestreben der
Kassen, „arzneilose Tage“ einzuführen, durchaus zu verwerfen und von den
Aerzten als ein unsinniges Verlangen aufs entschiedenste abzulehnen.
Dr. Roepke-Melsungen.
Verfälschung von Medikamenten in Rußland. Halbmonatsschrift für
soziale Hygiene und praktische Medizin; 1916, 24. Jahrg., Nr. 10.
Bei der rassischen Armee sollen Medikamente nicht nur ungenügend
vorhanden, sondern auch schlecht und unerhört teuer sein; außerdem sollen
sehr viel Verfälschungen vorgekommen sein. In Chinin ist z. B. bis zu 45 °/o Mehl
gefunden worden, in Jodoform war bis 35°/o Gips und im Salol 75 # /o Wasser
enthalten. Dem Aussprach eines russischen Generals, daß „einen verwundeten
Krieger mit schlechten und gefährlichen Medikamenten zu versorgen schamlos und
gemein sei,“ können wir ohne weiteres beistimmen. Dr. Hof f mann-Berlin.
Parglyzerln und Perkaglyzerln als Ersatzmittel des Glyzerins in
der Dermatologie. Von Prof. Dr. Wechselmann-Berlin. Deutsche mediz.
Wochenschrift; 1916, Nr. 17.
Als vortrefflicher Ersatz für Glyzerin ist von Prof. Neuberg in der
Chemischen Abteilung des Kaiser Wilhelm-Instituts für experimentelle Therapie
in Dahlem das Parglyzerin und Perkaglyzerin dargestellt. Die organischen
Substanzen werden von der Chemischen Fabrik Winkel a. Rh. in den Handel
Tageenaofamhten.
m
«
gebracht.' In den chemischen und physikalischen Eigenschaften dem Glyzerin
sehr nahe stehend, sind sie äußerlich kaum vom Glycerinum verum zu unter¬
scheiden und besitzen neutralen Charakter, typische Schlüpfrigkeit und starke
wasserentziehende Kraft. Die Präparate sind wasserklar und farblos bezw.
gelb, völlig ungiftig und besitzen gesüßt einen angenehmen limonadenartigen
Geschmack. Für dermatologische Zwecke kann das Perkaglyzerin die mannig¬
fachste Anwendung finden, so als Zusatz zum Waschwasser, als Schüttelmixtur,
Unnascher Zinkleim, ferner mit Lanolin oder Vaselin oder Eucerin zu hervor¬
ragenden Salbengrundlagen. Perkaglyzerin ist auch vorzüglich brauchbar
als Gleitmittel für Katheter, Bougies und Zystoskope. Bougies und Weich¬
gummikatheter lassen sich in einer Mischung von Parglyzerin mit Wasser sehr
gut kochen; sie bleiben dabei weich und glatt. Die Präparate bewähren sich mit
und ohne Wasser sehr gut anstelle der Glyzerinklistfere.
_ Dr. Boepke-Melsungen.
Seifenersatz. Oppenheimer-München .empfiehlt bei der Säuglings¬
pflege statt Seifen Bolussalbe. Die Köpfe der Kinder werden mit einer Gallerte
gewaschen, die jeweils am Abend zuvor in der Weise hergestellt wird, daß
10 g Soda und 10 g feingeschnittene Seife mit 1 1 Wasser aufgekocht wird.
Für ein Kind braucht man täglich 15 g von dem Bolus-Sodapulver, was eine
Ausgabe von 0,3 Pfg. gleich kommt. Das Pulver wie Seife auf einen Wasch¬
lappen genommen. Dr. Graß 1-Kempten.
Tagesnachrichten.
Erreger des Flecktyphus. Nach einer von der Wiener klinischen
Wochenschrift gebrachten Abhandlung hat der Bakteriologe Dr. Eugen Csernel-
Budapest den lange gesuchten Erreger des Flecktyphus nach langwierigen
Versuchen gefunden. Es gelang ihm, auf geeignetem Nährboden in Form von
mit Menschenblut vermischtem Glyzerinagar den Erreger nachzuweisen; er läßt
sich mit Karbolfuchsin leicht färben und wird dadurch im Mikroskop deut¬
lich sichtbar.
Todesfälle. Am 28. August d. J. ist in Obersalzberg bei Berchtes¬
gaden der Reg.- und Geh. Med.-Rat Dr. Erich Richter in Dessau im Alter
von 74 Jahren infolge eines Schlaganfalls plötzlich verschieden. Noch vor
wenigen Monaten war es ihm vergönnt, in voller körperlicher und geistiger
Frische sein ßOjähriges Doktorjubiläum zu feiern (s. Nr. 7 dieser Zeischrift,
S. 215); unser damals geäußerter Wunsch, es möchten im noch viele Jahre in
gleicher Frische vergönnt sein, ist leider nicht in Erfüllung gegangen. In
dem Verstorbenen hat der Deutsche Mcdizinalbeamtenverein eines
seiner ältesten und treuesten Mitglieder verloren; seit Gründung des Ver¬
eins hat er dessen Vorstande angehört und auf keiner der Vereins Versammlungen
wie Vorstandssitzungen gefehlt. Infolge seines umfassenden Wirkens wie in¬
folge seines außerordentlich liebenswürdigen, mit frischem Humor gepaarten
Wesens erfreute er sich der größten Achtung und Beliebtheit nicht bloß bei
seinen ärztlichen Kollegen, insbesondere bei den beamteten, sondern auch in
weitesten Kreisen der Bevölkerung seines engeren Heimatstaates, in dem er
35 Jahre lang als Medizinalbeamter — erst als Kreisarzt (1881—1904) und
dann als Regierungs- und Medizinalrat bei der herzoglichen Regierung in
Dessau — tätig gewesen ist. Gerade in der letzten Stellung hat er äußerst
segensreich gewirkt und sich um die Entwicklung und Förderung des öffent¬
lichen Gesundheitswesens in Anhalt hervorragende und bleibende Verdienste
erworben. Dem Herausgeber war der Dahingeschiedene seit der Studienzeit
ein alter lieber Freund und Mitarbeiter dieser Zeitschrift, die noch vor kurzem
zwei Abhandlungen aus seiner Feder gebracht hat. Sein Andenken wird dauernd
in Ehren gehalten werden!
Am 24. August d. J. ist der Geh. Med.-Rat Dr. Dütschke, Reg.- und
Med.-Ilat in Stettin infolge eines Schlaganfalls plötzlich verstorben. Mit ihm
ist ein Modizinalbeamter im tatkräftigsten Mannesalter (57 Jahre) aus dem
Leben geschieden, der sich in allen seinen verschiedenen amtlichen Stellungen
— 1889—1901 Kreisarzt in Aurich, 1901—1903 ständiger Hilfsarbeiter bei aer
Todesnachrichten ■
685
Königl. Regie rang in Arnsberg, 1908 Reg.* und Medizinalrat in Erfurt and
von 1911' ab in der gleichen Stellung bei der Königl. Regierung in Stettib —
den Ruf eines sehr bofähigten, tüchtigen nnd tatkräftigen Medizinalbeamten
erworben and sich auch vielfach litterarisch betätigt hat. Der Preußische
Medizinalbeamtenverein hat in ihm ein langjähriges und anf seinen Verhand¬
lungen nur selten fehlendes Mitglied, die Zeitschrift für Medizinalbeamten einen
treuen Mitarbeiter verloren. Seit Beginn des Krieges hat der Verstorbene als
Provinzialinspekteur des Roten Kreuzes und Führer eines Lazarettzuges
für die Provinz Pommern eine außerordentlich segensreiche Tätigkeit entfaltet;
den damit verbundenen Ueberanstrengungen ist er nunmehr zum Opfer gefallen,
nachdem er den großen Schmerz gehabt hat, zwei von seinen drei Söhnen auf
dem Felde der Ehre zu verlieren. Friede seiner Asche, Ehre seinem Andenken 1
Ehrentafel. Es haben weiterhin erhalten:
Das Eiserne Kreuz I. Kasse:
Stabsarzt d. L. Dr. Martin Baltzer* Stettin.
Stabsarzt d. Res. Dr. H. Boedicker-Berlin.
Stabsarzt Dr. Otto Haist-Ulm.
Oberstabsarzt d. Res. Dr. Kocb-Wiesbaden.
General- und Korpsarzt Dr. Sönning-Nürnberg.
Stabsarzt d. Res. Dr. Stalling-Oldenburg (Großherzogtum).
Oberarzt Prof. Dr. Stieda-Halle a. Saale.
Das Eiserne Kreuz II. Klasse am schwarz-weißen Bande:
Stabsarzt d. L. Med.-Rat Dr. Floeck, Kreisarzt in Montabaur, z. Z.
Chefarzt des Reservelazaretts in Wetzlar.
Das Eiserne Kreuz II. Klasse am weiß-schwarzen Bande:
Geh. Med.-Rat Dr. Nie per, Kreisarzt in Goslar.
Außerdem haben erhalten:
Die Krone zum Ritterkreuz I. Klasse des Königlich
Sächsischen Albrechtsordens: Oberstabsarzt d. Res. Dr. Holz, Be¬
zirksarzt in Leipzig.
Berichtigung: Das Großherzoglich Hessische Militär¬
sanitätskreuz ist nicht dem Kreisarzt Med.-Rat Dr. Wal ger in Gießen
(8. Nr. 16, S. 499 dieser Zeitschrift), sondern dem Med.-Rat Dr. Wagner, Ober¬
arzt an der Landesirrenanstalt in Gießen verlieben.
Ehren - OedAohtnlat&feL Für das Vaterland gefallen oder gestorben
sind ferner:
Oberstabsarzt d. Res. Dr. Kurt Berneaud-Frankfurt a. M.
Feldhilfsarzt Dr. Bieber.
Zivilarzt A. Dietsch-Thüngersheim (Unterfranken).
Assistenzarzt d. Res. Dr. Ernst Dobroschke-Ratibor (Oberschlesien).
Oberstabsarzt d. Res. Dr. Dütschke, Reg.- und Med.-Rat in Stettin
(gestorben infolge von Krankheit).
Assistenzarzt d. Res. Dr. Ernst Hauschild-Crimmitschau (Sachsen).
Stabsarzt Dr. Bernhard v. Kamptz -Marburg a. L.
Generaloberarzt Dr. Langheld-Darmstadt.
Stabsarzt a. Dr. Walter M a 11 h e s - Blankenburg i. Harz.
Stabsarzt d. L. Dr. Gustav Rosenfeldt-Marienwerder.
Oberstabs- und Divisionsarzt Dr. M. Rosenthal-Münster i. W.
Feldunterarzt G. Schneid er-Breslau.
Generaloberarzt Dr. 0. Stobaeus, Chefarzt des Reservelazaretts in
Kissingen (gestorben infolge von Krankheit).
Feldarzt Dr. F. Schulze-Weimar.
Vertragsarzt Dr. Julius Wolff, leitender Arzt des Reservelazaretts in
Birkenwerder bei Berlin (infolge von Krankheit gestorben).
Assistenzarzt Dr. F. Wolff-Lüdenscheid.(Westfalen).
Berichtigung: Feldunterarzt Richard Remkj-Allenstein (s. Ehren¬
gedächtnistafel la Nr. 13 der Zeitschrift) ist nicht gefallen, sondern in
Gefangenschaft gewesen, aus der er inzwischen zurückgekehrt ist.
MB
BpreohnaaV
t. Natih Muer Ton der Berliner AerztetKorrespondemz. gebrachten
Zusammenstellung der Verlust*. an Aerzten im deutschen Heere einschl. der
Marine sind nach den bisherigen 600 amtlichen Verlustlisten 842 Aerzte ge¬
fallen, 186 ah Krankheiten gestorben, also zusammen 528 Aerzte; außerdem
Sind 653 leicht verwundet, 166 in Gefangenschaft geraten und 87 Termißt
Das- Zahl der Gefallenen und- infolge des Feldzuges an Krankheiten verstorbenen
Aerzte' ist jedoch nach der in der Zeitschrift für Medizinalbeamte fortlaufend
gegebenen Mitteilungen erheblich höher und beträgt zurzeit bereits 747.
Cholera: In Ungarn sind in den beiden Wochen vom 17. bis 30. Juli
nur je ein Cholerafall, in Bosnien und der Herzegowina Tom 1. bis
22;Jiili: 4 (1) Erkrankungen (Todesfälle) gemeldet.
Fleckfleber: Im Deutschen Eeich sind nur in den Wochen vom
6. bis 12. und 20. bis 26. August je 2 Erkrankungen (darunter je 1 bei einem
Kriegsgefangenen), in Ungarn vom 10. bis 16. Juli 16, vom 17. bis 28. Juli
2 Erkrankungen amtlich festgestellt.
Pocken: Im Deutschen Reich sind in den drei Wochen vom 6. bis
26. August 1, 5 und — Erkrankungen vorgekommen; außerdem 4 unter den
wolhynischen Rückwanderern in Ostpreußen. I» Oesterreich betrug die
Zahl der Pockenerkrankungen in den fünf Wochen vom 21. Mai bis 24. Juni
210, 187, 135, 88 und 76, davon 160, 137, 109, 38 und 39 in Galizien, in
Bosnien und der Herzegowina vom 7. Mai bis 17. Juni 8, 6, 6, 2, 2 und
3 Pockenerkrankungen.
Erkrankungen und Todesfälle an ansteckenden Krankheiten In
Preußen. Nach dem Ministerialblatt für Medizinal*Angelegenheiten sind in der
Zeit vom 23. Juli bis 12. Angust 1916 erkrankt (gestorben) an Pest, Gelb*
lieber, Cholera, Trichinose, Aussatz, Malaria, Fleckfieber,
Rückfallfieber, Paratyphus, Rotz: — (—), — (—), — (—); Biß-
Terletzungen durch tollwutverdächtige Tiere: 6 (—), 6 (—),
14 (—); Tollwut: — (—), 1 (—), 1 (—); Milzbrand: 1 (—), — (—),
1 (—); Pocken: 10 (2), 6 (1), 8 (—); Unterleibstyphus: 821 (21),
280 (24), 816 (14); Ruhr: 99 (18), 142 (10), 240 (16); Diphtherie:
1449 (83), 1390 (72), 1609 (83); 8charlach: 1084 (43), 978 (66), 1044 (48);
Kindbettfieber: 66 (14), 64 (18), 48 (11); Genickstarre: 8 (1), 4 (3),
6 (2); spinaler Kinderlähmung: 1 (—), — (—), 2 (—); Fleisch-,
Fisch* und Wurstvergiftung: 7 (—), 196 (1), 5 (—); Körner¬
krankheit (erkrankt): 89, 87, 60; Tuberkulose (gest.): 682, 671, 665 .
Spreohnaal.
Anfrage des Bezirksamtes Br. E. B. in V.: Darf 5proz. weiße
Präzipitätsalbe in Drogerien als Ungeziefermittel oder als kosmetisches
Mittel verkauft werden?
Antwort: Da die Verwendung von weißer Präzipitätsalbe als kosmeti-
sches Mittel nach den §§ 1 und 3 des Gesetzes vom 6. Juli 1887, betr. die Ver¬
wendung gesundheitsschädlicher Farben bei der Herstellung von Nahrungsmitteln,
Genußmitteln und Gebranchsgegenständen, verboten ist, ist auch ihr Feilhalten
und Verkauf als solches unzulässig (s. auch Urteil des preuß. Kammergerichts
[Str.-S.] vom 8. Juni 1916, in dem der Verkauf von quecksilberhaltigen .Cream
für Sommersprossen" als unstatthaft bezeichnet wird). Dagegen ist ihr Feilhalten
und Verkauf als „Ungeziefermittel" ebenso freigegeben, wie derjenige
von grauer Quecksilbersalbe; sie fällt leider auch nicht unter die gesetzlichen
Bestimmungen über den Giftverkehr, weil in dem der Giftpolizeiverordnung (in
Preußen vom 22. Februar 1906, in Bayern vom 13. Februar 1906) beigegebenea
und nach § 1 dieser Verordnung für den Begriff „Gift" maßgebenden Ver¬
zeichnis in Abteilung 1 nur die „Quecksilberpräparate", aber keine „Quecksilber¬
zubereitungen" aufgeführt sind. Die Verwendung der weißen Präzipitätsalbe
als „Ungeziefermittel" dürfte jedoch zu bezweifeln und deshalb von dem
Drogenhändler der Nachweis einer derartigen Verwendung zu erbringen sein.
Geschäfts* and Kassenbericht de» Deutschen Medizinalbeamtenvereins. 627
ßeschäfls- und Kassenbericht des Deutschen Medizinal¬
beamtenvereins für die Jahre 1913, 1914 und 1915:
Mit Rücksicht darauf, daß infolge des Krieges leider auch
in dem laufenden Jahre eine Hauptversammlung des Deutschen
Medizinalbeamtenvereins nicht abgehalten werden kann, hat der
Vorstand beschlossen, wenigstens den für die Jahre 1913
bis 1915 fälligen Geschäfts- und Kassenbericht zu veröffent¬
lichen. Danach ist die Mitgliederzahl von 1608 im Sep¬
tember 1913 auf 1603 im Jahre 1914 und auf 1552 im Jahre
1915 gesunken. Diese Abnahme hat sich leider auch im laufen¬
den Jahre fortgesetzt, so daß die Zahl der Mitglieder zurzeit
(1. August d. J.) nur noch 1470 beträgt. Ausgetreten sind
in den Berichtsjahren: 16 (1914), 19 (1915) und 59 (1916), zu¬
sammen 94 Mitglieder; verstorben sind: 43 (1913 u. 1914),
39 (1915) und 25 (1916), zusammen 106 Mitglieder; neu einge¬
treten sind dagegen nur: 54 (1913 u. 1914), 7 (1915) u. 4 (1916),
zusammen 65 Mitglieder. Von den Verstorbenen sind 16 auf dem
Felde der Ehre gefallen oder während ihrer Tätigkeit
im Militärdienst verstorben (die Namen dieser Mitglieder
sind nachstehend fett gedrückt); darunter leider auch der
langjährige Schrift- und Kassenführer des Vereins, Med.-Rat
Dr. Flinzer, Bezirksarzt in Döbeln. Sein Andenken wird
ebenso wie das Andenken der übrigen Verstorbenen, stets in
Ehren gehalten werden 1 Die Namen der verstorbenen Mit¬
glieder sind:
1. Dr. Adler, Geh. Med.-Bat, Kreisarzt a. D. in Brieg i. Schlesien (1914).
2. - An er, Med.-Rat, Bezirksarzt a. D. in München (1916).
3. - Bartels, Med.-Rat, Kreisarzt in Hasnm i. Holstein (1915).
4. - Behrendt, Med.-Rat, Kreisarzt in Tilsit i. Ostpreußen (1916).
5. - Beinhaner, Geh. Med.-Rat, Kreisarzt in Höchst a. Main (1915).
6. - Bergmann, Bezirksarzt in Zusmarshansen i. Bayern (1914).
7. - Böhm, Med.-Rat, Bszirksarzt a. D. in Angsbnrg (1914).
8. • Bosse, prakt. Arzt in Kosten (Posen); während seiner Tätigkeit als
Kreisarzt in Rassisch-Polen gestorben (1916).
9. - Brink, Med.-Rat, Bezirksarzt in Frankenbergi. Kgr. Sachsen (1914).
10. - Br ahn, Med.-Rat, Kreisarzt in Segeberg i. Holstein (1916).
11. • Brümmer, Geh. Med.-Rat und Mitglied des Medizinal-Kollegioms
in Münster i. W. (1915).
12. - Cold, Geh. Med.-Rat, Kreisarzt in Meldorf i. Holstein (1915).
13. - Derbe, Kreisarzt in Allenstein (1913).
14. - Dietz, Med.-Rat, Kreisarzt in Barr i. Eis.-Lothringen (1915).
15. - Doebert, Kreisarzt in Beeskow (Brandenburg); gefallen (1916).
16. - Eder, Bezirksarzt a. D. in Grafenau i. Niederbayern (1915).
17. - Erdner, Geh. Med.-Rat, Kreisarzt a. D. in Görlitz (1915).
18. - Esch-Waltrup, Geh.Med -Rat, Kreisarzt a.D. in CÖln a. Rh. (1915).
19. - Dr. v. Esmarch, Prof., Geb. Med.-Rat, Direktor des Hygienischen
Instituts in Göttingen (1915).
20. • Falkenbach, Geh. Med.-Rat, Kreisarzt a. D. in Mayen (Rhein¬
land) (1914).
21. - Fehrs, Kreisarzt in Czarnikau (Posen) ; als Kreisarzt in Russisch-
Polen an Flecktyphus gestorben (1916).
22. - Felgenträger, Kreisarzt in Heiligenstadt (Reg.-Bez. Erfurt); infolge .
einer während seines Militärdienstes zugezogenen Krankheit
(Flecktyphus) gestorben (1915).
23. - Finger, Geh. Med.-Rat, Kreisarzt in Münsterberg i.SchL (1914).
528
' v -Geschäfte- and Kafcsenbericht
24; IW. Flemming, Med.-Bat, Bezirksamt in Aamai, Sachsen-Weimar (4015).
• 25. - Fllnzer, Med.-Bat, Bezirksarzt in Döbeln in Sachsen; infolge einer
im Felde ’zugezogenen Krankheit gestorben (1915).
26. • Franken, Geh. Med.-Bat und Professor, Halle a. 8. (1916).
27. - Franz, Kais erl. Bog.- Rat bei der Reichsversicherungsanstalt für
Angestellte in Charlottenbnrg (1914).
28. - Frey er, Geh. Med.-Rat, Kreisarzt a.D. und Mitglied des Provinzial-
■ Medizinalkollegiums in Stettin. >
29. • Fritzsch, Prof., Geh. Ob.-Med.-Rat in Hamburg, früh, in Bonn (1915).
30. •- Fromm, Kreisarzt in Frankfurt; infolge einer Sn Felde zugezogenen
Krankheit gestorben (1915).
81. • Fuchs, Bezirksarzt a. D. in Dingolfingen i. Niederbayern (1915).
82. - Gros, Bezirksarzt in Schwabmünchen i. Schwaben (1915).
v' 88. - Gr ttb, Bezirksarzt a.D. u. Bahnarzt in Freising i.Oberbayern (1915).
84. • Gerlach, Kreisarzt in Hfeld i. Hannover (1914).
85. • Gleitsmann, Geh.Med.-Rat u. Kreisarzt a. D. in Wiesbaden (1914).
36. - v. Grashey, Geh. Rat, Min.-Rat a. D. in München (1914).
87. - Haberkorn, Geh. Med.-Rat, Kreisarzt a. D. in Gießen (1915).
38. • Halling, Geh. Med.,Rat, Kreisarzt in Glückstadt i. Holstein (1915).
39. • Hartwig, San.-Rat, Kreisarzt a. D. in Corbach i. Waldeck (1914).
40. - Hassenstein, Med.-Rat, Kreisarzt a. D. in Kreuznach (1914).
41. - Heiß, Adolf, Krankenhausarzt in Starnberg (Oberbayern), staats¬
ärztlich approbiert (1915).
42. • Horn, Geh. Med.-Rat, Kreisarzt in Tondern, während seiner Tätig-
• keit im Militärdienst gestorben (1916).
43. - Hüpeden, Geh. Med.-Rat, Mitglied des Provinzial - Medizinal-
* Kollegiums in Hannover (1914).
44. - Kämm, Med.-Rat, Bezirksarzt a.D. in Bruchsal i. Baden (1914).
45. • Karrer, Med.- Rat, Direktor der Kreisirrenanstalt in Klingenmünster
i. Pfalz (1916).
46. - Kern, Med.-Rat, Oberamtsarzt in Künzelsau i. Württemberg (1915).
47. - Ketterl, Peter, in Cham (Oberpfalz), staatsärztl. approb. (1915).
48. - K1 e h e, Geh. Med.-Rat, Bezirksarzt a. D. in Freiburg i. Breisg. (1915).
49. • Klöppel, San.-Rat, Physikus in Blankenburg a. Harz (1914).
50. - v. Kobylecki, Geh. Med.-Rat, Kreisarzt a.D. in Berlin (1914).
51. • Krlnner, prakt. Arzt in Waldmünchen (Oberpfalz), während seiner
Tätigkeit als Kreisarzt in Rassisch - Polen gestorben (1916).
52. - Lacher, Hofrat, prakt. Arzt in Berchtesgaden (Bayern), staats¬
ärztlich approbiert (1914).
58. - Lamber t, Geh. Med.-Rat, Kreisarzt a. D. in Melsungen (Reg.-Bez.
Kassel) (1914).
54. • Leere, Gerichtsarzt in Essen a. Ruhr (1915).
55. - Leonhard, Kreisarzt in Daun (Rheinland); in Feindesland an Fleck¬
typhus gestorben (1916).
56. - Leubuscher, Prof., Reg.- u. Geh. Med.-Rat in Meiningen (1916).
57. * Lesenberg, Obermedizinalrat, Physikus a. D. in Rostock (1916).
58. • Lim per, Geh. Med.-Rat, Kreisarzt a. D. in Gelsenkirchen (1918).
59. • Loeffler, Geh. Ob.-Med.-Rat, Direktor des Instituts für Infektions¬
krankheiten Robert Koch in Berlin; infolge einer im Felde
zugezogenen Krankheit gestorben (1915).
60. - Löscher, Physikns in Remptendorf i. Reuß ä. L. (1916).
61. • Longard, San.-Rat, Gerichtsarzt a D. und Direktor des Ffirstl.
Carl - Landeshospital in Sigmaringen (1914).
62. - Maire, prakt. Arzt in Fürstenberg a. Oder, (Brandenburg), staats¬
ärztlich approbiert (1916).
63. - Martini, Med.-Rat, Gerichtsarzt in Breslau (1914).
64. • Matt he s, Geb. Med.-Rat, Kreisarzt in Breslau (1916).
65. - Mayer, Oberamtsarzt in Tettnang i. Württemberg (1916).
66. - Mayer, Wilh., prakt. Arzt in München, staatsärztl. approb. (1914).
67. - Müller, Geh. Med.-Rat, Kreisarzt a. D. in Könitz (Westpreußen»;
während seiner Tätigkeit im Militärdienst gestorben (1916).
68. - Müller, Hngo, Kreisarzt in Strasburg i. Westpr.; gefallen (1914).
69. - Müller, Hngo, Kreisarzt in Berent (Ostpreußen), gefallen (1915).
dea Dentsohen Medizinal beamten Vereins.
629
70; Dr. Müller, Med.-Rat, Kreisarzt dea X. Bezirks in Berlin (19141;
71. • Müller, Med.-Rat, Kreiaarzt in Gehren i. Schwarzborg-Sondera¬
hausen (1914).
72. - 'Neumann, Med.-Bat, Kreisarzt in Leobschütz L Schlesien (1916).
78. - Nitka, Bezirkaarzt in Mannheim (1914). ■
74. - Nothaas, Bezirksarzt in Günzbnrg i. Schwaben (1915).
76. - Philipp, Geh. Med.-Rat, Reg.-u. Med.-Rat a. D. in Liegnitz (1916).
76. • Rank, Obermedizinalrat in Friedrichshafen (Württemberg), früher
Direktor der Landesirrenanstalt in Weissenan (1916).
77. - Ranch, Bezirksarzt in Allstedt i.Sachsen-Weimar (1916).
78. - Ranhat, prakt. Arzt in Eberswalde (Reg.-Bez. Potsdam), staatsärzt¬
lich approbiert, gefallen (1916).
79. - Reinkober, Geh. Med.-Rat, Kreisarzt a.D. in Trebnitz i. Schl. (1916).
80. - Rheinen, Geh. Med.-Rat, Kreisarzt in Herford; im militärischen
Heimatsdienst gestorben (1916).
81. - Ritter, Geh. Ob.-Med.-Rat,Landphysikus a.D. in Oldenburg (Groß-
herzogtnm) (1914).
82. - Rittmayer, Bezirksarzt in Mainburg i. Niederbayem (1914).
83. - Roehler, Med.-Rat, Bezirksamt in Apolda i.Thüringen (1914).
84. - Roggen b a u ,• Ob.-Med.-Rat in Strelitz (1916).
85. - Roller, Med.-Rat, Kreisarzt i. Trier (1914).
86. - Schmidt, Med.-Rat, Kreisarzt in Warendorf (Westfalen), als Kreis¬
arzt in Russisch - Polen gestorben (1916).
87. - Schmidt, Kreisarzt in Pieschen i. Posen (1915).
88. - Schmitt, Josef, Bezirksarzt in Füssen i. Schwaben (1914).
89. • Schnelle, Geh. Med.-Rat, Kreisarzt a. D. in Hildesheim (1914).
90. - Schöppner, Bezirksarzt in Friedberg i. Oberbayern (1914).
91. • Schucbhardt, Prof., Geh. Med.-Rat, Mitglied der Medizinal-
Kommission und Direktor der Staatsirrenanstalt in Gelsheim bei
Rostock (1914).
92. - Schulz, Matthias, Geh. Med.-Rat, Kreisarzt und Direktor der
Königl. Impfanstalt in Berlin (1916).
93. - Schweitzer, Kreisarzt in Kattowitz i. Schlesien (1914).
94. - Springfeld, Geh. Med.-Rat, Reg.- u. Med.-Rat in Osnabrück (1915).
96. - Stof er, Med .-Rat, Bezirksarzt in Kehl i. Baden (1914);
96. - Süßkind, Med.-Rat, Oberamtsarzt in Schwäb.-Hall i. Württ. (1915).
97. - Tenholt, Geh. Med.-Rat, Reg.- u. Med.-Rat a! D. in Münster i. W.,
früher in Arnsberg (1915).
98. • Thiele, Med.-Rat, Kreisarzt a. D. in Cochem i. Rheinland (1914).
99. - To ebben, Geh. Med.-Rat, Kreisarzt in Recklinghausen (1914).
100. - ütz, Reg.- u. Med.-Rat in Augsburg (1914).
101. - Walcher, Geh. Med.-Rat, Kreisarzt in Erstein i. Els.-Lothr. (1915).
102. <- Wallichs, Geh. Sän.-Rat, Kreisphysikus &. D;-in Altona (1916).
103. - Wege, Med.-Rat, Kreisarzt in Gummersbach (1916).
104. - Werner, Bez.-Arzt in Gerolshofen (1916).
105. - Wiedner, Geh.-Med.-Rat, Kreisarzt a. D. in Kottbus (1916).
106. - Wilcke, Kreisarzt in Könitz i. Westpreußen (1915).
Die Einnahmen stellen sich wie folgt:
Bestand.
Mitgliederbeiträge ....
Zinsen u. sonstige Einnahmen
1913
4733,64 M.
10316,00 .
238,62 „
1914
2676,57 M.
10306,00 „
231,27 „
1915
4077,94 M.
10158,00 „
262,66 „
Zusammen:
15288,26 M.
13218,84 M.
14498,59 M.
Die Ausgaben betragen für
Zeitschrift und Drucksachen 9551,05 M.
7709,80 M.
7170,00 M.
Versammlung.
1009,26 „
—
—
Reisekosten, Bureauaufwand
und sonstige Ausgaben .
2061,38 „
1426,10 „
484,30 ff
Zusammen:
12611,69 M.
9136,90 M.
7654,80 M.
Mö Geschäfts- and Kassenbericht des Preuß. Medizinalbeamtenvereins.
* Das- Vermögen des Vereins betrug demnach am Jahres¬
schluß 1913: 2676,57 M., 1914: 4077,94 und 1915: 6844,29 M.
Von diesem Betrage sind 3950 M. (Nennwert 4000 M.) in Kriegs¬
anleihe belegt, der Rest bar oder als Bankguthaben vorhanden.
Das$u kommen noch 240 M. rückständige Beiträge von Mit¬
gliedern, die im Felde stehen.
Die Rechnungen und Belege sind ebenso wie die
Kasse von zwei Vereinsmitgliedern geprüft und richtig
befunden.
Minden i. W., den 15. August 1916.
Der Vorstand des Deutschen Medizinalbeamtenvereins.
I. A.:
Prof. Dr. Rapmund, Geh. Med.-Rat,
Vorsitzender.
Geschäfts- und Kassenbericht des PreuBischen Medizinal-
beamtenVereins für das Jahr 1915. *)
Die Mitgllederzahl betrug am Ende des Jahres 1914 864;
davon sind im Laufe des Jahres 20 gestorben, 19 end¬
gültig oder einstweilen (während des Krieges) ausgetreten;
neuaufgenommen sind infolge des Krieges nur wenige Mit¬
glieder (6), so daß die Zahl der Mitglieder am Schluß des
Jahres auf 831 gesunken war. Sie hat seitdem durch Tod (15)
und Austritt (18) eine weitere Abnahme, dagegen nur 2 Zu¬
gänge erfahren und beträgt daher zurzeit (1. August 1916) nur
noch 800.
Die Namen der Verstorbenen sind aus dem vor¬
stehenden Geschäftsbericht des Deutschen Medizinalbearaten-
vereins ersichtlich.
Die Einnahmen stellen sich wie folgt:
Mitgliederbeiträge für 1916 bezahlt: 11340 M.
aasstehend: 1360 „
Beste aas 1914: 30 „
12720,00 M.
Zinsen and sonstige Einnahmen . . 481,04 ,
Zusammen: 18 201,04 M.
Die Ausgaben betragen. . 11498,33 »
Bleibt ein Ueberschuß von 1707,71 M.
Durch diesen Ueberschuß erhöht sich das bisherige
YereinsTermögen (5796 M. nach Abzug von 46 Mark nieder¬
geschlagener Reste) auf 7003,71 Mark; davon sind 4385 Mark
’) Da auch in diesem Jahre wegen des Krieges eine Versammlung nicht
abgehalten werden kann, hat der Vorstand beschlossen, den für 1916 fälligen
Geschäfts- and Kassenbericht in der Zeitschrift für Medizinal beamte za ver¬
öffentlichen, nachdem die Abrechnung von zwei Mitgliedern des Verein» geprüft ist.
Geschäftsbericht über die jubiläumsstif tnng d. Preuß: MecUBeateieneereins 581
(Nennwert 4500 M.) in Kriegsanleihe angelegt, 1507,50 Mark
noch ausstehende Beträge (darunter 157,60 M. aus dem Jahre
1914) und 1111,21 Mark bei der Sparkasse bezw. ' frei der
Bank zinsbar belegt
Die Abrechnung nebst allen Rechnungen und Belegen
ist ebenso wie die Kasse von zwei Vereinsmitgliedem ge prüf
und richtig befunden.
Minden i. W., den 15. August 1916. ,
Oer Vorstand des Preußischen Medizinalbeamtenvereins.
1 . 1 :
Prof. Dr. R a p m u n d, Geh. Med. - Rat,
Vorsitzender.
Geschäftsbericht über die Jubiläumsstiftung des PretiSischen
Medizinalbeamtenvereins für das Jahr 1915.
Ebenso wie bisher haben auch im Berichtsjahre die Herren
Regierungs- und Medizinalräte der Stiftung ein reges Interesse
zugewandt, wofür ihnen der Vorstand seinen herzlichsten Dank
ausspricht mit der Bitte, auch fernerhin der Stiftung ihr Wohl¬
wollen zu widmen. Durch ihre treue Mitarbeit hat sich die
Mitgliederzahl um 22 erhöht und beträgt jetzt 331 gegen
309 im Vorjahre.
Am 7. Mai 1915 hatte sich der Vorsitzende der Stiftung
im Aufträge des Vorstandes an die Medizinalbeamten gewandt
mit der herzlichen Bitte, durch Gewährung eines einmaligen
außerordentlichen Beitrages die Mittel der Stiftung zu
erhöhen, damit sie ihrer Aufgabe einer Unterstützung bedürf¬
tiger Kollegen und ihrer Hinterbliebenen mehr als bisher ge¬
wachsen bliebe. Sein Aufruf an die Opferwilligkeit der Kollegen
hat, obwohl diese von vielen Seiten in der Kriegszeit in An¬
spruch genommen ist, das sehr erfreuliche Ergebnis gehabt,!
daß neben den Jahresbeiträgen von rund 2987 M. an
außerordentlichen Beiträgen rund 3542 M. der Stiftung zu-'
geflossen sind. Für diese große Opferwilligkeit spricht der
Vorstand allen Spendern seinen wärmsten Dank aus.
Die Jahresrechnung 1 ) schließt ab, wie folgt:
a. Einnahme.
Bestand aas dem Vorjahre. 1661,24 M.
Jahresbeiträge für 1915 . 2987,15 „
Einmalige Beiträge. 3542,05 ' „
Zinseneinnahme. 1352,46 „
Zusammen 9542,90 M.
*) Die Jahresrechnnng ist inzwischen yon den Mitgliedern Geh.
Med.-Rat Dr. Nünninghoff, Kreisarzt in Bielefeld, and Kreisarzt Dr. L o e r
in Paderborn geprüft and als richtig befanden worden.
582 Geschäftsbericht Uber die Jubiläumsstiftung 4. Preuß. Med.-Beamtenvereins.
- ' b. Ausgabe.
Gewährte Unterstützungen. 900,00 M.
Kapitalanlage .. 7716,00 „
Porto, Schreibgebtthren, Drucksachen nsw. . . 54,05 „
Zusammen 8670,05 M.
Bleibt Kassenbestand . 872,85 M.
Das Vermögen der Stiftung betrug am 31. De¬
zember 1915:
1. Zinstragende Wertpapiere:
a. aus dem Vorjahre übernommen:
3‘/*°/o Preußische Staatsanleihe .... 10000,00 M.
4°/o „ „ .... 14000,00 „
4 # / # Deutsche Reichsanleihe. 2000,00 „
5% „ „ . ..... 1000,00 *
4°/o Westfälische Provinzialanleihe . . 4000,00 „
4% Pommersche Provinzialanleihe . . . 1000,00 „
b. im Berichtsjahre beschafft und angekauft:
5°/o Deutsche Reichsanleihe. 8000,00 „
2. Kassenbestand. 872,85 „
Zusammen 40872,85 M.
Vermögensbestand am 31. Dezem ber 1914: 88,661,24 M.
Mithin mehr: 7211,61 M.
24000 M. 3V* bezw. 4°/ 0 Preußische Staatsanleihe sind auf
den Namen des Preußischen Medizinalbeamtenyereins in das
Staatsschuldbuch, 2000 M. 4 °/ 0 und 1000 M. 6 p / 0 Deutsche Reichs¬
anleihe desgleichen in das Reichsschuldbuch eingetragen.
5000 M. 4 °/ 0 Provinzialanleihe sind bei der Rheinisch-Westfäli¬
schen Diskonto-Gesellschaft in Gütersloh hinterlegt. Der Zins¬
ertrag der Wertpapiere, von denen bei 7000 M. 6°/ 0 Reichs¬
anleihe der Zinsgenuß erst am 1. Oktober 1916 beginnt, beträgt
1640 Mark gegen 1240 Mark im Vorjahre.
Unterstützungen sind ebenso wie im Vorjahre im
Betrage von 900 M. gewährt, und zwar an 3 Witwen von Medi¬
zinalbeamten mit je 300 M. Für das laufende Jahr ist aber
bereits im ersten Vierteljahr eine Ausgabe in der gleichen Höhe
entstanden; desgleichen sind seit dem noch verschiedene be¬
gründete Anträge auf Unterstützung eingegangen, so daß sich
m dem neuen Geschäftsjahre die Ausgaben für Unter¬
stützungen sehr erheblich steigern werden.
Minden i. W., den 1. September 1916.
Der Vorstand der Jubiläumsstiftung.
I. A.:
Geh. Med.-Rat Geh. Med.-Rat
Prof. Dr. Rapmund- Minden i.W., Kreisarzt Dr. Schifiter*
Vorsitzender. Gütersloh,
Schrift- u. Kassenführer.
Redakteur: Prof. Dr. Rapmund, Geh. Med.-Rat in Minden i.W.
J. O. O. Bram«, Heraogl. 8Kalif. •. F. Sek.-L. HofbaeUmebfral I» Kindes*.
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1916
29. Jahrg.
Zeitschrift
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zentralblatt
für das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie,
des staatlichen und privaten Versicherungswesens, sowie für das
Medizinal- und Öffentliche Gesundheitswesen, einschließlich der
Hygiene und Bakteriologie.
fler&nsgegeben
TOB
Prot Dr. OTTO RAPMÜND,
Geh Med.-Rat ln Minden l. W.
Offizielles Organ des Deutschen, Preussischen, Bayerischen, Sächsischen,
Württembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen, Thüringischen,
Braunschweigischen und Eisass • Lothringischen Medizinalbeamtenvereins.
Verlag von Fischer’s med. Buehhandlg E Kornleld,
HtrmogL Bayer. Hot- tl &• u. K. Kammer-Buchhändler.
Berlin W. 02, Keithstr. 5.
A» teigen BihBAB 41« ▼orUffsbondluiif »owle alle Anieifen Annahmestellen des 1b-
ud iaiUadAi A&tfefso.
Nr. 18.
Erscheint mm 5. und 80. Jeden Monat«.
20. Sept.
Unzureichende Gesetzgebung.
Von Geb. Med.-Rat Dr. M. Räuber, Regierungs- nnd Medizinalrat in Erfurt.
Ein altes Sprichtwort sagt: „Die Gesetze sind dazu da,
um umgangen zu werden.“ So widersinnig dies klingt, so kann
man in bezug auf unseren Arzneimittelverkehr nur sagen, daß
es eine Klasse von Personen gibt, die sich die Umgehung der
gesetzlichen Bestimmungen zu nutze machen und Spezialisten
darin geworden sind. Täglich kommen neue Arzneimittel auf
den Markt und werden anstandslos angekündigt, gleichviel, ob
sie starkwirkende Mittel enthalten oder nicht, ln unserer
Geheimmittelliste stehen sie nicht, aber diese ist jetzt ma߬
gebend, während früher nach den Polizeiverordnungen von
1888 die Ankündigung von Heilmitteln, deren Zusammensetzung
nicht bekannt gegeben und ersichtlich war, verboten war.
Das war eine ganz gute Bestimmung. Freilich hatte sie auch
Nachteile, da die Zusammensetzung in ganz kleiner Schrift
abgedruckt wurde und das Publikum darüber hinweglas, auch
eine ganze Anzahl Mittel, die man treffen wollte, nicht ge¬
troffen wurde.
534
Dr. H. Räuber.
Jetzt kann man Ankündigungen nur beanstanden auf
Grund prahlerischer, über den wahren Wert hinausgehender
Reklame, auf Grund des Betrugsparagraphen und des Gesetzes
über den unlauteren Wettbewerb.
Wie schwierig dies ist, habe ich 1914 in Heft 12 dieser
Zeitschrift auseinandergesetzt. Nachträglich sei hier noch be¬
richtet, daß meinem Antrag auf Bestrafung des Redakteurs wegen
Anpreisens von Boraniumbeeren von der Staatsanwaltschaft
keine Folge gegeben, vielmehr das Verfahren eingestellt wurde,
weil ursprünglich das Vorverfahren gegen einen nicht in Be¬
tracht kommenden Redakteur gerichtet und gegen den verant¬
wortlichen Redakteur die Sache verjährt war.
Daß die Kaiserliche Verordnung vom 22. Oktober 1901
sich häufig umgehen läßt, ist ja bekannt. Sie bringt uns eine
Liste der den Apotheken vorbehaltenen Mittel, also eine negative
Liste, statt einer positiven der dem freien Verkehr überlassenen
Mittel; die in der jetzigen Verordnung aufgeführten Ausnahmen
sind nur verschwindend klein.
Werden die Mittel nicht als Heilmittel, sondern als Vor¬
beugungsmittel, Stärkungsmittel, Desinfektionsmittel, kosmetische
Mittel feilgehalten und verkauft, so sind sie im allgemeinen
frei; gewisse kosmetische Mittel sind sogar gemäß § 1 der
Verordnung als Heilmittel freigegeben. Das erscheint wider¬
sinnig; man kann es daher verstehen, wenn die Gerichte eine
ganz unsichere und schwankende Rechtsprechung einnehmen.
Freilich erkennen diese mitunter ganz klar, daß eine Umgehung
des Gesetzes beabsichtigt ist und vorliegt und daß das Mittel
seiner ganzen Beschaffenheit und Wirkung nach nichts anderes
als ein Heilmittel ist, nur als solches angesehen werden kann
und daß seine Abgabe unter allen Umständen strafbar ist.
Um über die einzelnen Mittel hinsichtlich ihrer Frei Ver¬
käuflichkeit und Nichtfrei Verkäuflichkeit entscheiden zu können,
muß man die ganzen Gerichtsentscheidungen studieren und
Listen der freigegebenen und nicht freigegebenen Arzneimittel
aufstellen. Ich habe mich bemüht, solche Aufstellungen in
meinem Buch „Medizinalwesen in Preußen“ zu machen und
durch Nachträge auf dem Laufenden zu erhalten; die Mühlen
der Gerichte mahlen aber langsam und ehe gerichtliche Ent¬
scheidungen ergehen, hat der Fabrikant sein Geschäft gemacht.
Dieser Uebelstand ist ja bekannt; es liegt deshalb ein dringendes
Bedürfnis vor, die Kaiserliche Verordnung zu ändern.
Im Nachstehenden möchte ich ein Beispiel bringen, das
für eine Uebervorteilung des Publikums und eine im großen
Maßstabe versuchte und betriebene Umgehung des Gesetzes
charakteristisch ist und das deshalb besondere Beachtung ver¬
dient, weil bei der Strafanzeige die Polizei- und Gerichts¬
behörden nicht, wie erwartet, eingriffen, und sich nur sehr
ungern mit diesem heiklen und zum Teil nicht genügend be¬
kannten Teile der Gesetzgebung befaßten.
Unzureichende Gesetzgebung.
685
In einem kleinen Orte N. des Regierungsbezirks Erfurt,
der mit einer konzessionierten Apotheke versehen ist, kam der
eine dort ansässige Arzt darauf, der Apotheke eine Konkurrenz
zu schaffen, indem er seinen Schwager im Jahre 1912 veran-
laflte, in diesem Ort eine Drogerie zu errichten, angeblich, weil
der Apothekenbesitzer nicht sehr entgegenkommend gegen ihn
gewesen war und seine Patienten öfters hatte warten lassen,
nach einer anderen Lesart, weil der Apothekenbesitzer seine
Apotheke dem späteren Drogisten nicht hatte verkaufen wollen.
Jedenfalls war die Absicht einer Konkurrenz unverkennbar und
wurde auch vor Gericht zugegeben; es wurde auch erreicht,
daß der Apothekenbesitzer seine Apotheke verkaufte und den
Ort verließ.
Der Plan war ganz gut ausgedacht, nun galt es, dem
Gesetz ein Schnippchen zu schlagen. Der Arzt, mehrfacher
Kassenarzt, verschrieb für mindestens 5 Krankenkassen Rezepte
und schickte die Kranken in die Drogerie zur Anfertigung der
Rezepte, während die Apotheke so gut wie boykottiert wurde.
Da der Drogist geprüfter Apotheker war, so wußte er, daß er
nur solche Arzneimittel verabfolgen durfte, die dem freien
Verkehr überlassen sind. Nun wurden massenweise verordnet
stets auf Rezept mit Aufdruck „ärztliche Verordnung“ mit
Datum, Namen des Kranken und der Krankenkasse, Gebrauchs¬
anweisung, Unterschrift des Arztes: Pepsinwein, 01. Ricini,
Spir. aromaticus, Sir. Ribi nigri, Unguentum leniens, Sir. simplex,
Tr. Episcopalis, Mel foeniculi, Mel rosatum, Sanguis uvarura,
Aqua foeniculi, Linimentum ammoniatum u. a. m. Die Kaiser¬
liche Verordnung läßt ja eine ganze Anzahl von Mitteln frei
und von diesem Umstande wurde Gebrauch gemacht. Diese
Mittel wurden aber nicht etwa als Handverkaufsartikel, sondern
weil auf Rezept verschrieben, genau als Rezept nach der Arzneitaxe
berechnet, genau nach Einzelpreisen, mit dem Namen des
Rezeptars und der Gesamtsumme auf dem Rezept versehen.
Es kam auch nicht darauf an, daß die Taxe überschritten
wurde, denn diese ist ja nur für Apotheker da, nicht aber für
einen Drogisten, auch wenn er als Apotheker geprüft ist und
mit der Taxierung Bescheid weiß. So wurde u. a Linimentum
ammoniatum 150,0, das im Handverkauf des Apothekenbesitzers
0,60 M. kostet, wiederholt mit 1,55 M. berechnet und die Arzneitaxe
um 0,65 M. überschritten. Aqua foeniculi 200,0 Augenwasser, das
im Handverkauf für 0,35 M. abgegeben wird, wurde mit 1,60 M.
berechnet und hierbei die Taxe um 1,05 M. überschritten. So
kommen, wenn man die für solche Rezepte berechneten Summen
zusammenzählt, erheblich höhere Zahlen heraus als bei Bezug
aus einer Apotheke, in der auch die auf Rezept verschriebenen
Handverkaufsartikel für Kassenmitglieder nach der billigen
Handverkaufsliste berechnet werden.
Aber man ging noch weiter: Mittel, von denen es zweifel¬
haft war, ob sie auf Rezept abgegeben werden durften, wurden
mit einem kleinen Vermerk versehen, um nicht als Heilmittel
636
Dr. H. Räuber.
angesehen zu werden. So wurde der Zusatz „tonic.“ bei
Tr. ferri aromatica und bei Emulsio Jecoris aselli 200,0, 3 mal
täglich 1 Kaffeelöffel, gemacht, „zur Desinfektion“ bei Karbol¬
glyzerin 3 °/ 0 , „Ohrtropfen“ bei Sol. Natr. carbon. 1 : 60, „Des¬
infektionsmittel“ bei Unguentum Amyloformii und bei Pasta
aseptica F. M., „Destilliert“ bei Choleratropfenoder Tr. anti-
diatrhoica F. M., „zur Erfrischung“ bei Mentholschnupfpulver.
Man ging sogar noch einen Schritt weiter: Rezepte, die
ganz offenbar nur den Apotheken vorbehaltene Arzneien ent¬
hielten, wurden einfach abgeändert und zwar meist in so ver¬
steckbar und vorsichtiger Weise durch Veränderung der Buch¬
staben mit Bleifederschrift oder Tinte, daß es mitunter sehr
schwer hielt, das ursprünglich verschriebene Mittel zu erkennen
und herauszubringen. Trotzdem gelang dies doch in vielen
Fällen. So wurde gemacht aus:
Natr. salicyl: Acid. salicyl.
V&solimentom jodati: 01. olivar. viridi.
Sir. Rhei: Sir. Rib. nigr.
Pil. contra tussim F. M.: Droginalpastillen.
Brusttee: Herba Galeopsidis.
Unguentum boricum und U. Plumbi: Unguentum leniens.
Mixtura Pepsini F. M. d. I. 2stdl. 1 Eßlöffel (1,0 > M.): Vini Pepsini
(2,05 M ).
Infus, lax&ns F. M. d. I 2stdl. 1 Eßlöffel: Ol. Ricini 200,0.
Mixtura vinosa F. M. d. I (0,95 M.): Vini Pepsini (2,05 M.).
Unleserlich: Bismuth subnitr., 12 Pulver (1,35 M).
Mixtura acidi hydr. F. M. wurde einfach gestrichen.
Linimentum Chloroformii F. M. d. I.: Liuim. ammoniat.
Decoct. cort. Chalisayae F. M. d. I (0,84 M.): Vini Pepsini 200 (2,05 M )
Sol. Kali chlorici *°/ 60 o zum Qurgeln: Kali chlor. 50,0.
Unguentum Kalii jodati: Unguentum Adipis lanae.
Mixt stib. solv. F. M. d. I (0,90 M.): Mel foeniculi (2,05 M.).
Decot. cort. Condurango (0,95 M.): Vini Pepsini (2,05 M.).
Emulsio Ricinosa F. M. d. I \ . Ol. Ricini 200,0 und
Tr. Opii 2,0 / : Tr. Opii einfach gestrichen.
Coffeini 0,5 t. d. N. VIII: Novaspirin.
Vini ferri comp sacch.: Tr. aromatica.
Collemplastrum Capsici: Collcmpl. Picis Burgund
Mixtura acid. bydr. F. M. d. I (0,70 M.): Vini Pepsini (2,05 M.).
Liquor pectoralis F. M. d. I (0,85 M.): Mel foeniculi (1,60 M ).
Unleserliche Lösung 0,5, 200 Augentr.: Aqua foeniculi.
Ol. Chloroformii: Spir. aromaticus.
Sol. Alcoli 1 /*°/o, 500,0: Liqu. Aluminis acetici 500,0.
Aber auch andere Mittel wurden abgegeben, so Bioglobin
in großer Menge, Novaspirin und Bismuth subDitr. in Pulvern,
Laxinkonfekt und Laxinfruchtbonbons, Vinum Rhei, Stoman-
tabletten, Mentholdragues, Lichen island., Unguentum Wolff,
Kali chlor, Liquor Plumbi subacetici, Sol. Hydrargyri oxycyanati
1 : 600, Nural.
Die Namen einer Reihe von Mitteln blieben anfangs im
dunkeln gehüllt. Später habe ich ermittelt, daß von diesem
Bisanna, ein Gallensteimittel, aus Rhiz. Rhei, Tub. Jalap., Natr.
carbon. äa 4,0 Sacch. alb. 80,0 Essentia aromatica q. s. ut.. f.
mod. special. Sirup 145 besteht.
Unzureichende Gesetzgebung.
637
Sicherlich war das Geschäft ein einträgliches und wohl
geeignet, der Apotheke eine empfindliche Konkurrenz zu machen
und ihre Lebensfähigkeit in Frage zu stellen, einträglich auch
insofern, als bei der Preisberechnung die für Apotheken billigeren
Taxvorschriften nicht beachtet wurden.
Das Einschreiten der Behörden. Am 1. August
1913 machte der Apothekenbesitzer in N. Anzeige bei der
Staatsanwaltschaft, daß der Drogist D. in N. fortgesetzt Rezepte
nach Verordnung seines Schwagers anfertige, die er auch
wie ein Apotheker mit Signatur versehe, und zwar auch
Mischungen, die auf der Signatur anders bezeichnet seien als
in der Flasche vorhanden. Diese bis dahin nicht erwiesene
Annahme erklärte sich nach dem Vorstehenden unschwer wohl
aus dem Umstande, daß die Rezepte abgeändert und ganz
andere Arzneien als verschrieben abgegeben wurden. Der
Apotheker beantragte Haussuchung und Beschlagnahme der
Rechnungen und Rezepte.
In der Tat, aus einer solchen Maßregel hätte sich sofort
und vollständig das ganze Beweismaterial gegen den Drogisten
und seine Handlungsweise ergeben. Aber hiervon geschah nichts.
Der Staatsanwalt gab die Sache an den Amtsanwalt, dieser
dem Amtsvorsteher zur Vernehmung des angeschuldigten
Drogisten ab, und diese Vernehmung geschah noch, ehe der
Regierungspräsident von der Anzeige Kenntnis erhielt. Die
beim Regierungspräsidenten ein gelaufene Anzeige hatte zur
Folge, daß der Kreisarzt auf schleunige Revision und Haus¬
suchung hingewiesen wurde, die er beim Amtsanwalt beantragen
und mit Hilfe eines pharmazeutischen Revisors baldmöglichst
vornehmen sollte. Der Kreisarzt aber, der den Drogisten aus
der Drogerie her wohl nicht genügend kannte, nahm die
Revision erst am 10. Oktober 1913 vor und zwar unter Zu¬
ziehung eines für diesen Zweck ungeeigneten Apothekers,
nachdem ein pharmazeutischer Revisor seine Beteiligung wegen
Bekanntschaft mit dem Drogisten abgelehnt hatte. Die Revision
brachte nichts Wesentliches zutage, von einer Haussuchung
usw. wurde überhaupt Abstand genommen und auf die An¬
fertigung von Rezepten legte die Revisionskommission im Gegen¬
satz zu Ziff. 8 Abs. 5 der Anweisung zur Besichtigung der
Drogenhandlungen vom 22. Dezember 1902 keinen besonderen
Wert. Nur ein paar Rezepte führte sie in ihrem Protokoll
an sowie einige Arzneimittel und Gifte. In der vorhergegangenen
Vernehmung hatte der Drogist geäußert, daß alle für die Kassen
an gefertigten Rezepte nur freigegebene Mittel enthielten.
Somit wäre das ganze Verfahren gegen den Drogisten aus¬
sichtslos gewesen, ja der Kreisarzt hatte die feste Ueberzeugung
geäußert, daß gegen den Drogisten nichts zu machen sei, wenn
sich nicht mehr Material gefunden hätte. Dies fand sich jedoch,
so daß der Regierungs- und Medizinalrat nach Anfrage des Amts¬
anwalts ein Gutachten an das ersuchende Amtsgericht erstatten
konnte, nachdem unter großen Schwierigkeiten mehr Material,
688
Dr. H. Räuber.
insbesondere die für die Kassen angefertigten Rezepte nach
und nach zusammengeholt waren.
In einem ausführlichen Gutachten wurde auf Grund der
Einsicht von vielen hunderten Rezepten unter ausführlicher
Begründung und Belegung zahlreicher Reichsgerichtsentschei¬
dungen dargelegt, daß es sich um verschiedene Verfehlungen
handelte:
1. gegen die Polizei Verordnung vom 22. Februar 1906
über den Handel mit Giften;
2. gegen die Kaiserliche Verordnung vom 22. Oktober 1901;
3. gegen § 147,1 G.0. in Verbindung mit § 466 Ilb
Allg. Landrechts betr. Führung einer Apotheke ohne Konzession
hierzu;
4. gegen die §§ 263, 267 und 268 Str.G.B. und § 49
Str. G. B. Betrug und Urkundenfälschung.
Auch das Gewerbsmäßige in der Handlungsweise und die
gewinnbringende Absicht wurden näher dargelegt, auch daß
alle Mittel, weil auf Rezept für Kranke verordnet, nach der
Art ihrer Verschreibung als Heilmittel anzusehen seien.
Bezüglich des Punktes 3 wurde auf das Urteil des Land¬
gerichts Lyck vom 30. Juli 1901 (Zeitschrift für Medizinalbeamte;
1901, Nr. 22, S. 724) und das Erkenntnis des Oberlandesgerichts
Hamburg vom 27. Februar 1911 (ebenda; 1911, Beilage Recht¬
sprechung usw. zu Nr. 11, S. 71) hingewiesen und betont, daß
die ganze Tätigkeit des Drogisten als eine Ausübung des Apo¬
thekengewerbes angesehen werden müßte, weil er die Rezepte
aufgelöst, die Mengen der Bestandteile festgestellt und abge¬
wogen, Salben, Lösungen zubereitet, abgeteilte Pulver dispensiert
und nach der Arzneitaxe den Preis des Mittels, die Dispensations¬
gebühr, die Zubereitung einer Mehrheit von Pulvern, den Preis
des Glases oder der Schachtel vermerkt und die Arzneibehälter
mit Gebrauchsanweisung versehen hätte.
Betreffs des Punktes 4 nahm ich bezug auf die Reichs¬
gerichtsentscheidungen vom 12. Oktober 1888 und 3. Nov. 1913
(Zeitschrift f. Med.-Beamte; 1890, S. 12 und 1913, Beilage Recht¬
sprechung usw. zu Nr. 24, S. 279).
Aber was geschah hierauf?
Der Erste Staatsanwalt konnte den Tatbestand des
Betruges und der Urkundenfälschung nicht erkennen und
stellte das Verfahren dieserhalb ein. Urkundenfälschung liege
nicht vor. ln der Begründung heißt es:
„Der Arzt Q. bat behauptet, daß die Aenderungen auf den Rezepten
größtenteils von ihm eigenhändig vorgenommen sind. Bei einigen anderen
Rezepten hat der beschuldigte P. mit ausdrücklicher Zustimmung G.s die
Aendernng vorgenommen. Nur bei einem Rezept steht fest, daß der Zusatz
„zur Desinfektion“ ohne G.s ausdrückliche Genehmigung gemacht ist. Der
Zusatz entsprach aber G.s Absichten, sollte gar nicht die Verschreibung G_s
ändern und war nach dessen Ansicht selbstverständlich. Zu diesem Falle bat
also dem Beschuldigten die rechtswidrige Absicht gefehlt. Bei den übrigen
Aenderungen war er entweder nicht der Täter oder er war zur Aendernng
befugt.“
Unzureichende Gesetzgebung.
539
Gegen diesen Bescheid des Ersten Staatsanwalts wurde
gemäß § 170 Str.Pr.O. Beschwerde bei dem Oberstaats¬
anwalt eingelegt. Es wurde hierbei außerdem darauf hin¬
gewiesen, daß bei Abgabe der abgeänderten Mittel erheblich
höhere Preise erzielt wurden, als bei Abgabe der ursprünglich
verschriebenen Mittel. Auch erschien es ausgeschlossen, daß
der Beschuldigte ein für allemal Vollmacht gehabt habe, jedes
Rezept nach seinem Belieben in wesentlicher Form zu ändern.
Im übrigen würde aber mindestens — eine solche Vollmacht
vorausgesetzt — ein Betrug gegenüber dem jeweiligen Kranken
in Frage kommen.
Der Oberstaatsanwalt wies die Beschwerde als unbegründet
zurück. Es heißt in dem Schreiben:
„Zum Tatbestände der Urkundenfälschung wird eine rechtswidrige Ab¬
sicht erfordert. Eine solche ist aber nicht nachzuweisen, da die Aenderungen
auf den Rezepten entweder von dem Aussteller, nämlich dem Arzt G. selbst,
oder von dem Beschuldigten, jedoch in ausdrücklichem oder vermutendem
Einverständnis mit G. erfolgt sind. Auch der Tatbestand des Betruges kann
nicht in Frage kommen, da kein Irrtum aber das gelieferte Mittel oder die
Höhe des Preises erregt worden ist.“
Hiergegen wurde eine neue Eingabe an das Oberlandes¬
gericht gemacht und die Angelegenheit ausführlich dargelegt
und begründet. Insbesondere wurde auch darauf hingewiesen,
daß das Vermögen der Kranken bezw. der Krankenkassen da¬
durch geschädigt wurde, daß sie in vielen Fällen höhere Preise
zahlen mußten, als wenn ihnen das vom Arzt ursprünglich ver-
ordnete Mittel verabreicht worden wäre. In dem Kranken bzw.
bei den Krankenkassen wurde dadurch, daß die Rezepte später
heimlich abgeändert wurden und ihnen damit vorgespiegelt
wurde, sie erhielten wirklich das ihnen in ihrer Gegenwart
verordnete Mittel, eine irrige Vorstellung von Tatumständen
erregt bezw. unterhalten, denn sie sind über die vorzunehraen-
den Aenderungen offenbar niemals befragt worden. Auf Ein¬
sichtnahme der Rezepte und einzuholende Gutachten von
Schreibsachverständigen wurde ebenfalls hingewiesen.
Die öffentliche Anklage wegen Betrugs und Urkunden¬
fälschung wurde aber nicht erhoben. Der Antrag wurde vom
Oberlandesgericht am 27. Mai 1914 aus folgenden Gründen
als unzulässig verworfen:
„Die Königliche Regierung in Erfurt ist im vorliegenden Falle nicht
als Verletzter im Sinne des § 170 Str. P.O. anzusehen. Als Verletzter kann
nur der gelten, dessen Rechtssphäre verletzt ist; eine bloße Interessenverletzung
genügt nicht. Das Delikt muß eine individuelle Beziehung zu der Person des
Antragstellers haben. Dies ist aber bei den dem Angeklagten zur Last ge¬
legten Betrugsfällen und Urkundenfälschungen gegenüber der Person des An¬
tragstellers nicht der Fall."
Die Behauptungen des Drogisten und des Arztes, daß die
Aenderungen im Einverständnis und im Aufträge des Arztes
vorgenommen seien, muß sehr auffallend erscheinen; denn es
hat» doch keinen Sinn, so viele Rezepte über nicht freigegebene
Arzneien zu verschreiben, um sie nachträglich in harmlose,
ganz anders wirkende, aber teuere Mittel umzuändern; ander-
640
Dr. H. Räuber.
seits bekamen die Kunden nicht die ihnen verschriebene
Arznei, au! die sie Anspruch hatten, sondern ganz etwas anderes.
Die Kranken wurden also getäuscht. Daß der Drogist an die
Arzneitaxe nicht gebunden sei, sondern Preise nehmen könne,
wie er wolle, hat dieser selbst zugegeben, und zwar mit einer
gewissen Berechtigung, denn die Arzneitaxe ist bekanntlich nur
für Inhaber einer Apotheke maßgebend.
Auffallend mußte es bei dieser Sachlage erscheinen, daß
unsere Justizbehörden einen Verstoß gegen § 147, 1 G.O.:
Führung einer Apotheke ohne Konzession, nicht annahmen;
wenn ferner eine Anklage wegen Urkundenfälschung und Betrug
abgelehnt wurde, so blieb nur noch die Hoffnung, daß wenigstens
die Uebertretungen der Giftpolizeiverordnung und
der Kaiserlichen Verordnung geahndet werden
würden.
Wie weit dem Amtsanwalt die Durcharbeitung des
ausführlich begründeten Gutachtens, das mit 11 Paketen von
über 700 geordneten Rezepten versehen war, möglich war, kann
hier nicht beurteilt werden, der Erfolg war jedenfalls der, daß
er eines Tages (6. März 1914) das Verfahren einstellte und ohne
weiteres abzuwarten, die Rezepte den Krankenkassen zurückgab.
Gegen diese Einstellung wurde seitens des Regierungspräsidenten
Beschwerde erhoben mit dem Erfolge, daß das Verfahren wieder
aufgenommen wurde.
Aber Monat auf Monat verging und bei dem Nichtein¬
greifen der Gerichtsbehörden sah sich der Regierungspräsident
veranlaßt, auf dem Verwaltungswege einzuschreiten und die
Untersagung des Handels mit Drogen und chemi¬
schen Präparaten, die zu Heilzwecken dienen, auf Grund
des § 35 G. 0. und des Handels mit Giften anzuordnen.
Dies traf den Drogisten Nun verlegte er sich aufs Bitten
und gab Irrtümer zu, beschwerte sich aber über die Anordnung
des Regierungspräsidenten beim Oberpräsidenten ohne Erfolg.
Er stellte jetzt den Verkauf von Giften ein; die Drogerie mit
dem Handel mit Arzneimitteln übernahm nun seine Frau.
Inzwischen hatte jedoch der Staatsanwalt auf Veranlassung
des Regierungspräsidenten das Verfahren wegen Uebertretung
der Kaiserlichen Verordnung und der Giftpolizeiverordnung
wieder aufnehmen lassen, nachdem der mittlerweile in den
Krieg gezogene Amtsanwalt durch einen anderen ersetzt war,
der mit der Durchsicht der außer Ordnung gekommenen Re¬
zepten zweifelsohne wohl seine Schwierigkeiten gehabt haben
mag. In der Schöffengerichtssitzung vom 27. Nov. 1914
waren nur 10 Punkte zur Anklage gestellt, die übrigen wegen
Verjährung und aus anderen Gründen abgesetzt.
Die Uebertretungen bezogen sich auf die Abgabe von
1. Kali chloricum, 2. Bleiessig, 3. Bioglobin, 4. Nural, 5. Liq.
ferri mangan sacch., 0. Collemplastrum Picis Burgund., 7. Cholera¬
tropfen, 8. Sol. Natr. carbon. (Ohrtropfen), 9. Blutreinigungstee,
10. Brusttee.
Unzureichende Gesetzgebung.
541
Das Schöffengericht sprach den Angeklagten wegen 6., 7.,
9., 10. frei und verurteilte ihn wegen der übrigen 6 Punkte zu
je 20 M. = 120 M. und die anteiligen Kosten.
Bei der Gerichtsverhandlung hatte der Verteidiger zunächst
versucht, mich als „befangen“, weil Beamter des Regierungs¬
präsidenten abzulehnen. Bei der Freisprechung nahm das Ge¬
richt die Aussage des Angeklagten, daß statt Collemplastrura
P. B. tatsächlich nur Heftpflaster ohne Kautschuk, statt Blut¬
reinigungstee nur Faulbaumrinde, statt Brusttee nur Herba
Galeopsidis, statt der gebräuchlichen Choleratropfen ein Destillat
aus verschiedenen Tinkturen, wofür auch eine entsprechende
gedruckte Ankündigung vorgezeigt wurde, abgegeben sei, als
richtig an und ebenso, daß der verschwägerte Arzt bei dem
Verhältnis, das zwischen den beiden bestand, wohl auch nichts
anderes bei seiner Verschreibung hätte verstanden wissen wollen.
Deshalb hatte es auch von dessen Vernehmung Abstand ge¬
nommen.
Gegen das schöffengerichtliche Urteil legte der Angeklagte
Berufung ein. Die Strafkammersitzung des Landgerichts am
12. März 1915 wurde vertagt, weil das Gericht den schon seit
längerer Zeit im Felde befindlichen Arzt vernehmen wollte;
zwei später anberaumte Termine wurden aus unbekannten
Gründen aufgehoben, bis der Drogist etwa im August 1915
ebenfalls zu den Fahnen einberufen wurde.
Der Wunsch des Regierungspräsidenten einen Antrag auf
Unterbrechung der Verjährung zu stellen, wurde anfangs vom
Ersten Staatsanwalt abgelehnt, sodann aber einer noch¬
maligen Vorstellung des Regierungspräsidenten mit Hinweis
auf den Justizministerial-Erlaß vom 27. Dezember 1911 (Justiz-
Min.-Bl. S. 452 — Folge gegeben und ein Termin zur Haupt¬
verhandlung auf den 17. Dezember 1915 angesetzt. Aber die
Sache mußte nochmals vertagt werden, weil der Angeklagte
dem Vernehmen nach von der Truppe keinen Urlaub erhalten
hatte.
Schließlich erschien der Allerhöchste Gnadenerlaß vom
27. Januar 1916, so daß nunmehr auf Unterbrechung der Ver¬
jährung nicht mehr bestanden werden konnte und das Ver¬
fahren am 3. März 1916 eingestellt wurde.
Nebenbei sei noch bemerkt, daß bei einer anfangs Januar
1914 auf Veranlassung des Amtsrichters abgehaltenen Haus¬
suchung in der Drogenhandlung zwar allerlei beanstandet und
gefunden, daß aber der Drogist nur wegen Feilhaltens und
Verkaufs von Capsicumpflaster in den Monaten Oktober, No¬
vember und Dezember zu 5 M. Geldstrafe und die Kosten ver¬
urteilt wurde.
Das Verfahren auf Untersagung des Handels
mit Drogen und chemischen Präparaten, die zu Heil¬
zwecken dienen, hatte ebenfalls nicht ganz den gewünschten
Erfolg.
Auf eine Verfügung des Amts Vorstehers vom 10. Juni
542
Außerordentliche Tagung dee Deutschen Kongresses
1914 in diesem Sinne, sowie auf Entziehung der Giftkonzession
legte der Drogist Beschwerde beim Oberprftsidenten und später
beim Minister ein. Zunächst übertrug er das Geschäft seiner
Ehefrau, gegen die nun ebenfalls die Aufforderung zur Ein¬
stellung dieses Handels erging. Gegen die polizeilichen An¬
ordnungen wurde Widersprach erhoben. Da eine Revision am
25. Januar 1915 ergab, daß eine Einstellung des Betriebes
nicht stattgefunden hatte, sollte nunmehr Klage auf Untersagung
des Betriebes beim Kreisausschuß erhoben werden; hierzu ist
es aber nicht gekommen. Der Kreisausschuß wollte erst den
Ausgang des gerichtlichen Verfahrens ab warten, und schlie߬
lich hatte nach Fortgang des Drogisten die Ehefrau den Handel
mit allen Drogen und chemischen Präparaten, die zu Heil¬
zwecken dienen, eingestellt.
Nach der Revision am 25. Januar 1915, bei welcher nooh
allerlei Arzneimittel und Gifte gefunden wurden, wurde aller¬
dings beim Amtsgericht Strafantrag wegen Feilhaltens von
Giften gestellt, aber eine weitere Verfolgung der Angelegenheit
war nicht möglich. Die Giftkonzession hatte der Drogist an¬
geblich verbrannt.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich zur Genüge, wie schwer
es mitunter hält, einer Handlungsweise, wie geschildert, recht¬
zeitig zu begegnen und die zweifellos strafbaren Handlungen
genügend zu ahnden. Bedauerlich ist es, daß bei der ge¬
schilderten Handlungsweise recht große Kreise von Kranken¬
kassen geschädigt wurden. Diese, die mit Vorliebe möglichst
niedrige Arzneipreise erstreben und sich infolgedessen gerne
den Drogisten zuwenden, hatten in diesem Falle bei dem
Drogisten ihren Mann gefunden, der ihnen gehörige Preise
machte; sie haben sich aber, obwohl geschädigt, nicht gemeldet.
Meines Wissens hat nur eine Kasse die Bezahlung von Rech¬
nungen abgelehnt, weil sie mit dem am Ort wohnenden
Apotheker Abmachungen getroffen hatte und ihr die wunder¬
lichen Rezepte aufgefallen waren.
Aus Versammlungen und Vereinen.
AmsMerordentliche Tagung des Deutschen Kongresses für
innere Medizin in Warschau am I. und ft, Mai 1916.
Berichterstatter: Kreisarzt Dr. Rehberg, z. Zt. in Warschau.
(Schluß.)
Dritte Sitzung am 2.Mai d. J., vormittags.
IV. Bauchtjphus Im Kriege.
a. Da der erste Berichterstatter, Generalarzt Geheimrat Prof. Dr.
v. Krehl* Heidelberg, am Erscheinen verhindert war, wird sein Referat vor¬
gelesen. Es behandelt im wesentlichen die klinische Verlaufsweise
des Tjphns im Felde. Durch die schweren nervösen nnd seelischen Erschütte¬
rungen des Menschen, durch körperliche Ueberanstrengnngen, Verletzungen,
durch die von Grund auf veränderte Lebens- und Ernährungsweise wird trotz
der weitgehenden Ausgleicbungsfähigkeit der Körpcrzellen die Reaktion des
menschlichen Körpers auf äußere Einflüsse im Kriege ganz allgemein in hohem
Maße beeinflußt. Alle Infektionskrankheiten bieten daher eine solche Fülle
für innere Medizin in Warschau.
643
von verschiedenen Verlaufsarten dar, wie sie im Frieden nicht bekannt waren.
Besonders scheint bei fieberhaften Erkrankungen die Beteiligung der Milz viel
häufiger zu sein, als im Frieden. Auch beim Typhus ist ihre Schwellung
erheblicher, als man es früher zu sehen gewohnt war, während dem Härtegrad
eine wesentliche Bedeutung für die Diagnose nicht zukommt. Eine mäßige
Milzschwellung findet sich oft schon bei mehrfach Schutzgeimpften, auch der
Agglutinationstiter ist bei diesen vielfach erhöht, so daß die Diagnose des
Typhus im Felde, wo er jetzt nur bei Geimpften vorkommt, sehr erschwert
und oft nur dadurch ermöglicht ist, daß die besten Diagnostiker dort zur Ver¬
fügung stehen. Bazillen im Blut wurden bei schwer Erkrankten von An¬
fang an bis weit in die Krankheit hinein gefunden, einerlei, ob es sich um
Geimpfte oder Nichtgeimpfte handelte. Agglutination fehlt selten und nur bei
leichten Fällen. Die Dauer der Erkrankung beträgt 4—8 Tage bis zuvielen
Monaten, so daß man bei letzteren von chronischem Verlauf sprechen muß.
Rezidive waren häutiger als im Frieden. Es blieb nicht selten auch nach
der klinischen Heilung eine Milzschwellung zurück. Eine häutige N a c h -
krankheit waren Schädigungen des Herzmuskels. Die Diät soll darauf
hinstreben, starke Gewichtsverluste zu vermeiden, und deshalb aus Milch, Eiern,
Mehlspeisen, Butter, Zucker und Wein bestehen. Ueber spezifische Heilmittel
(Impfung mit abgeschwächten oder abgetöteten Bazillen, mit Rekonvaleszenten¬
serum, Behandlung mit Albamosen) läßt sich ein abschließendes Urteil noch
nicht abgeben.
b. Generalarzt Dr. H ü n e r m a n n, Armeearzt einer Armee, zweiter
Berichterstatter, behandelt besonders den Einfluß der Schutzimpfung auf
Verhütung und Verlaufsweise des Unterleibstyphus auf Grund des riesigen
Materials, das durch die Durchimpfung zuerst der von Typhus bedrohten oder
bereits befallenen Truppen, später des gesamten Feldheeres, der Besatzungs¬
truppen, Ersatzmannscbaften in der Heimat und des Sanitätspersonals ge¬
wonnen wurde. Die Schutzimpfung wurde durcbgefübrt mit dem Kolle-
Pfeiffersehen Impfstoff und nach 6 Monaten wiederholt. Bei vielen Millionen
von Impfungen wurden sehr selten Schädigungen, nie ein Todesfall beobachtet.
Die Wirkung äußert sich im Anstieg des Agglutinationstiters, in einer mikro¬
skopischen Veränderung des Blutbildes und in häutigem Auftreten einer mehrere
Wochen anhaltenden Milzschwellnng ähnlich wie bei der Typhuserkrankung
selbst. Die Gruber-Widalsche Reaktion verliert daher bei Geimpften für
die Diagnose ihre Bedeutung; ebenso gelingt die Züchtung von Bazillen auB
dem Blut bei diesen schwerer. — Der Erfolg der Schutzimpfung war
offensichtlich; dafür sprechen folgende Tatsachen: Die Zahl der Erkrankungen
sank sofort nach Durchführung der Schutzimpfung; der stärkste Zugang an
Typhus (Dezember 1914) war immer noch 14 mal kleiner, als der von Oktober
1870. Im Dezember 1915 hatten Armeen von der Kopfstärke einer Großstadt
bereits keinen einzigen Typhusfall mehr. — Gut durchgeimpfte Truppenteile
blieben beim Beziehen verseuchter Frontabschnitte frei von Typhus. Vom
Sanitätspersonal erkrankten bei 1000 Typhuserkrankungen nicht halb so viel
Menschen als im Frieden Im Sommer 1915 blieben trotz Auftreten von Ruhr
die Truppen frei von Typhus. Ganz leichte Typhusfälle waren die Regel,
namentlich bei Truppenteilen, die einer Wiederimpfung unterworfen waren,
auch wenn am gleichen Orte unter der Zivilbevölkerung die schwersten Epi¬
demien herrschten. — Die Sterblichkeit sank von 9,6% bei sicher Nicht¬
geimpften auf 6,6% bei Kranken mit 2 Injektionen (einmalige Impfung) und
auf V5,6 % bei Wiedergeimpften. Günstig scheint die Impfung auf den Verlauf
auch dann noch einzuwirken, wenn sie erst im Vorstadium der Erkrankung
ausgeführt wird. Die Dauer des Impfschutzes wird auf etwa V* Jahr
angenommen.
c. Generalarzt Geh. Rat Prof. Dr. Stintsing (Jena), dritter Bericht¬
erstatter, bespricht dann die Klinik der Paratyphuserkrankungen, die
meist durch den Par.-Bac. B, seltener Par.-Bac. A hervorgerufen werden.
Klinisch war die Diagnose sehr erschwert; oft gingen die Fälle unter der
Bezeichnung Typhus, Ruhr, Darmkatarrh, Influenza und dergl. zu. Meist ver¬
laufen die Erkrankungen unter dem Bilde eines mittelscbweren Typhus; nur
gelangen die Paratyphusbazillen schneller ins Blut, die Inkubation ist deshalb
kürzer, Beginn und Verlauf akuter als beim Typhus. Epidemien kamen nicht
644
Außerordentliche Tagung des Deutschen Kongresses
vor, nur vereinzelne Fälle, die meist nicht von infizierten Nahrungsmitteln,
sondern in der Hegel von Bazillen ausacheidenden Personen ausgingen; das
Küchen personal wird daher immer in erster Linie auf Ausscheidung von Bazillen
untersucht. Eine Häufung der Erkrankungen brachten die heißen Sommer*
monate Juni bis August 1915. Der Ausgang ist günstiger als beim Typhus;
die Mortalität betrug bei Paratyphus B-Baz. 1,2 °/ 0 , bei Paratyphus A- Bazillen
etwas mehr. St. befürwortet auch die allgemeine Durchimpfung gegen Para-
typbus A und B.
Aussprache.
Dr. Schnitzen, Gen.-Arzt, Chef der Med.-Abt. des Kriegsministeriums
teilt mit, daß man von der allgemeinen Aussonderung der Dauerausscheider
von Par. Bac. B Abstand genommen habe, weil sie wegen ihrer großen Anzahl
praktisch nicht durchführbar sei.
Oberstabsarzt Dr. Kaup (Wien): Die Schutzimpfung gegen Typhus
hatte auch in der österr.-ung. Armee günstige Erfolge, jedoch nicht in dem
Maße, wie die gegen Cholera. Die Erkrankungsziffer wurde herabgesetzt, vor
allem aber war der klinische Verlauf milder. So wurde eine schwere Er¬
krankung festgestellt bei 44°/,. von Nichtgeimpften, 20®/ 0 bei einmal und 11"/,
bei 2mal Geimpften. Ueberhaupt betrug bei allen Armeen die Sterblichkeit
vor der Durchimpfung 13—16 # / 0 , nach derselben 6 — 6 °/ 0 , bei einzelnen Armeen
2—8 °/ Q . Auch die Impfung schon Erkrankter scheint den Verlauf noch günstig
zu beeinflussen. Der Impfschutz erreicht einige Wochen nach der Impfung
seinen Höhepunkt und erlischt 7 8 Monate danach. Dio Wiederimpfung wird
in der k. u. k. Armee nach 7 Monaten vorgenommen. Die Erkranknngszifler
ist unter dem Einfluß der Schutzimpfung erheblich zurückgegangen und betrug
im letzten Vierteljahr 0,25 °/ 0 des Verpflegungsstandes.
Prof. Dr. Krause (Bonn): Dauernde Bazillen-Ausscheidung
fand sich bei 4,1 °/ 0 der abgelaufenen Typhusfälle und zwar im Stuhl besonders
dann, wenn die Erkrankten gleichzeitig an Gallenblasenlciden, chronischen
Darmgeschwüren oder Blinddarmentzündung litten, im Urin oft bei Nieren¬
beckenentzündung. Von Nachkrankheiten sind besonders zu erwähnen
Herzstörungen, die auf Schädigungen des Herzmuskels beruhten, meist mit
Tachycardie einhergingen und bei geeigneter Behandlung eine günstige Pro¬
gnose boten — ferner durch Typhusbazillen hervorgerufene Knochenmarkent¬
zündungen, bei deren Diagnose sich die Röntgenuntersuchung als wertvolles
Hilfsmittel bewährte.
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Goldscheider (Berlin): Die Sterblichkeit
ist seit der Impfung von 12®/o bei 2—3 mal Geimpften auf 2,8 °,o bei wieder¬
holt Geimpften gesunken. Wichtig ist die Kenntnis der noch sehr häufigen
leichten Fälle, die ähnlich der Influenza verlaufen; letztere zeigt aber
höchstens schnell verlaufende Milzschwellungen, bei Typhus sind diese dagegen
hochgradiger und von längerer Dauer. Freilich scheint die Milz bei mehrfach
Geimpften die Fähigkeit zu erlangen, bei verschiedenen anderen Infektions¬
krankheiten schneller anzuschwellen.
Dr. Luk sch (Tcschen): Besonders günstig wirkt die Impfung bei
Bazillenträgern; so wurden von 42 Bazillenträgern bei Typhus und Ruhr da¬
durch 36 geheilt. Nach seinen Untersuchungen ist der Impfschutz bereits
6 Monate nach der Typhus-Scliutzimpfung wieder geschwunden.
Prof. Dr. Jürgens (Berlin): Paratyphus ist klinisch von Typhus
nicht zu unterscheiden; nur die perakute Form der paratyphösen Darmerkran-
kung bildet ein selbständiges Krankheitsbild.
Dr. Munk (Berlin): Die Schutzimpfung gestaltet den Verlauf des
Typhus milder; bei Nichtgeimpften waren 67 °/o schwere und 12 "/o leichte, bei
Geimpften 24°/« schwere und 38"/o leichte Fälle. Eine Folge der Schutz¬
impfung ist ferner der Belten positive Befund von Typhusbazillen im Blut.
Dr. Friedberger (Greifswald) betont als wichtiges diagnostisches
Merkmal, daß bei Geimpften die frühere Impfstelle sich rötet und druck-
emlindlich wird, wenn sie an Typhus erkranken. Dieses Symptom ist jetzt
um so wertvoller, als die serologische und z. T. auch die klinische Diagnose
(Milzvergrößerung, Leukozytenzabl) nach der Schutzimpfung oft im Stich läßt.
Prof. Dr. v. Drigalski (z. Zt. Brüssel) empfiehlt, die Daueraas¬
scheider einer Diät mit reichlicher Mehl- und Fettzufuhr zu unterstehe!.
für innere Medizin in Warschau.
546
Diese Nährungsmittel geben einen Stuhl, der sich für Typhusbazillen als Nähr¬
boden nicht eignet und ihr Wachstum im Darm behindert.
Prof. Dr. Schittenheim (Kiel): Bei einem Armeekorps, von dem die
eine Division gegen Typhus gut durchgeimpft war, die andere nicht, stammten
fast alle Typhuszugänge von der schlecht geimpften Division. S. wiederrät
bei Typhus die intravenöse Serumbehandlung mit hohen Dosen bei frischen,
hochfieberhaften Fällen; dagegen scheinen kleine, um je */ioo ccm steigende
Dosen (0,01, 0,03 u. s. f.) nach 3—4 wöchiger Fieberdauer gegeben, die Ent¬
fieberung zu begünstigen.
Prof. Dr. Benario (Frankfurt a. M.) betont demgegenüber, daß große
Dosen Typhus-Impfstoff vielfach zweifellos günstig wirken.
Dr. Li pp mann (Frankfurt a. M): Im Inkubatiousstadium aus¬
geführt beschleunigt die Typhusimpfung den Ausbruch der Erkrankung, ohne
auf den Verlauf ungünstig einzuwirken. Gegen die Impfung auch solcher
Personen bestehen also keine Bedenken.
Prof. Dr. Conradi (Dresden) konnte mit Hilfe seiner Galle-Anreiche¬
rungsmethode aus den Boseoien noch Typhusbazillen züchten, wenn der Nach¬
weis im Blut versagte.
Prof. Dr. Singer (Wien) erinnert daran, daß er bereits 1896 die Züch¬
tung der Bazillen aus dem Roseoleninhalt empfohlen habe.
Dr. Unterberg (Pest) beobachtete Fälle mit Milz- und Leberschwellung,
Entzündungserscheinungen in der Gallenblasengegend und Roseolen, häufig auch
noch andere Typhussymptome. Das Krankheitsbild konnte aber durch Bazillen¬
nachweis nicht geklärt werden.
Y. Ruhr (Dysenterie).
a. Erster Berichterstatter Prof. Dr. Matthes (Königsberg): Die
Aetiologie der Ruhr im Felde ist keine einheitliche; anfangs wurden über¬
haupt keine Bazillen gefunden, dann Pseudodysenteriebazillen und zuletzt auch
echte Ruhrstämme. Die Hauptschuld an dem Versagen der bakteriologischen
Diagnose trug die weite Entfernung der Untersuchungsstationen; das Material
enthielt infolge der langen Versanddauer keine kultivierbaren Ruhrbazillen
mehr. Das klinische Bild war gleichfalls ein recht verschiedenes. Anfangs
verliefen die Erkrankungen als leichte Diarrhoen, die meist auf Erkältungen,
Diätfehler, Uebermüdung und dgl. zorückgeführt wurden. Die Kranken blieben
meist bei der Truppe. Nichtsdestoweniger kann die infektiöse Natur auch bei
diesem leichten Verlauf nicht zweifelhaft sein, da es sich meist um Massen¬
erkrankungen handelte und in den Lazaretten diese auch auf Schwestern und
andere Krankenpflegepersonen übertragen wurden; außerdem hatte Verlegung
durchseuchter Truppenteile oft dieselbe günstige Wirkung wie im Frieden,
wenn Uebungsplätze gewechselt werden, weil dadurch Brutstätten der Seuchen,
besonders infektiöse Lagerstätten von Abfallstoffen, ausgeschaltet wurden.
Später, namentlich bei direkter Züchtung vom Krankenbett, wurden öfter
positive Bazillenbefnnde erhoben, jedoch ohne direkte Beziehung zur Schwere
des KrankheitsVerlaufes. Fieber ist bei leichten Fällen meist nur anfangs
vorhanden; die länger dauernden zeigen eine sehr wechselnde Temperaturkurve
mit unregelmäßigen Anstieg und Abfall. Der erkrankte Dickdarm ist spastisch
kontrahiert und als solcher auch vielfach zu tasten. Von ihm geht der
charakteristische Schmerz in der Magengrube aus, der auch noch in der
Rekonvaleszenz durch Druck an dieser Stelle bervorgerufen werden kann.
Direkt sichtbar ist rektoskopisch die Mastdarmscbleimhaut, die anfangs glasig
geschwollen, wie mit Flüssigkeit durchtränkt erscheint, später blutrot gefärbt
und mit blutigem Schleim bedeckt ist. Vom 8. Tage ab treten auf ihr
Geschwüre auf; diese heilen von oben nach unten fortschreitend ab; ihre
Beobachtung ergibt, wio schon Singer (Wien) betonte, für die Feststellung
der Heilung sicherere Anhaltspunkte als die bakteriologische Untersuchung. Die
Stühle sind anfangs Gährungsstüble oder grün gefärbt wie bei Dünndarm¬
katarrhen. Milzschwellung ist selten; Diazoreaksion ist stets positiv. Rück¬
fälle sind häufig, namentlich bei Diätfehlern oder Kälteeinflüssen. Als Be¬
handlung genügt in leichten Fällen Bettruhe und Diät. Gut vertragen
wurden u. a. Weißkäse, Yogkurtmilch, Bananenmehl, Molke, Hafergrütze und
dergl. Von Medikamenten bewährten sich zur Reinigang des Darmes Rizinusöl,
als Adstringentlon und zur Bindung der Gifte Tierkohle, Bolusal, Ratanhia.
646
Außerordentliche Tagung des Deutschen Kongresses
und Catecbu«Abkochungen, Calciumtannin, Dermatol, Jodtinktur (20 Tropfen
auf 200 ccm Wasser), auch zusammen mit Papaverin; am wirksamsten waren
Darmausspülnngen, auch Bleibeeinläufe mit 10°/o Dermatolaasschüttelungen.
Es erwies sich als zweckmäßig, mit den Mitteln öfter zu wechseln, da die
verschiedenen Krankheitszustände auf die einzelnen Mittel ungleich reagieren.
Die Serumbehandlung hatte Erfolge, wenn mindestens 100 ccm 8erum intravenös
injiziert wurden; auch Injektionen von einfachem Pferdeserum hatten gleich
gute Erfolge.
b. Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Kruse (Leipzig) besprach als zweiter
Berichterstatter besonders das bakteriologische und epidemiologisehe
Verhalten der Ruhr im Felde. Der Verlauf der Ruhr war in diesem Kriege
milder als in früheren Kriegen, weil sehr häufig Pseudodysenteriebazillen die
Erreger waren. Bakteriologisch konnte der Nachweis oft nicht geführt
werden, weil die Bazillen sehr schnell durch andere Keime überwuchert werden
und daher nur Untersuchung der frischen Entleerungen zum Ziel führt.
Trotzdem kann an der infektiösen Natur der Erkrankungen kein Zweifel sein.
Bei fehlendem Bazillennachweis ist Pseudoruhr nur dann auszuschließen und
echte Ruhr anzunehmen, wenn Ruhrbazillen bei mindestens ßOfacher Verdünnung
vom Blutserum agglutiniert werden. Die Annahme, daß auch Kolibazillen
und Streptokokken Ruhr verursachen können, ist unbegründet. Die einzelnen
Gruppen der echten Ruhrstämme von einander zu unterscheiden ist oft deshalb
schwer, weil sie eine gewisse Veränderlichkeit zeigen.
Epidemiologisch spielt die Hauptrolle die Uebertragung von
Person zu Person oder die Berührung mit infektiösen Abfallstoffen, seltener
die Aufnahme der Keime mit dem Wasser oder der Nahrung; auch die Bazillen¬
träger haben nicht die Bedeutung wie beim Typhus. Sehr begünstigt wird
das Auftreten der Ruhr, namentlich wenn Pseudodysenteriebazillen die Erreger
sind, durch Hitze. Von der Serumbehandlung hat K. weniger günstige Erfolge
gesehen.
Aussprache.
Prof. Dr. Schittenhelm (Kiel) beobachtete bei einer Armee eine
Sterblichkeit von 4,47 "/o; besonders bemerkenswert waren Fälle von Spättod.
Bei der Behandlung bewährten sich Seruminjektionen von 80—100 ccm.
Oberarzt Dr. Ziem an n (Berlin) empfiehlt Karlsbader Salz zusammen
mit Wismut, Dr. Rah ns (Salzburg) Einläufe mit salpetersaurem Silber.
Prof. Dr. Schüller (Wien) weist auf die nach Ueberstehen der Krank¬
heit oft noch lange bleibenden Schmerzen in den Tibien bin, für die sich ein
lokaler Befund nie erheben ließ. Sie finden sich oft bei Erkrankungen, die mit
Nierenentzündung oder Milzschwellung einhergehen.
Geb. Med.-Rat Prof. Dr. His (Berlin) ließ in der 2. Masurenschlacht
eine infizierte Truppe, von der eine Anzahl von Mannschaffen erkrankte und
zu 8,8 "/o Ruhrbazillen auf wies, in dem Kampfraum und sorgte nur für
Isolierung der Erkrankten in einem abgesonderten Dorfe; nach 8 Tagen war
die Epidemie vorüber.
Dr. Go tschl ich (Saarbrücken) beobachtete mit Bör ns tein eine Ruhr-
epidemio mit 10 "/o Sterblichkeit. Die gefundenen Ruhrbazillen wurden von
I'seudodysenterie-Serum (Flexner) in hohem Maße mitagglutiniert, ebenso
zeigte das Patientenserum eine hohe Mitagglutination für F1 ex n er baxillen.
Es handelte sich um eine Variationserscheinung, die nach mehrmonatiger Fort¬
züchtung der Stämme schwand.
Prof. Dr. F. Pick (Prag) hatte bei einer Gruppe ruhrkranker Soldaten
10—25°/o positive Bazillenbefunde. Als die Krankheit durch Brotverkauf in
die Zivilbevölkerung verschleppt war, fanden sich hier in 7ö # /o der Fälle der
K r u 8 e -, in 4"/» der Flexner bacillus, und zwar zuweilen beide Stämme in
einer Familie.
Dr. M. Kaufmann (Halle a. S.) berichtet, daß nach Beobachtungen
von Ohrt. Schmidt (Halle) die Ruhr in 6*/o der Fälle chronisch wird. Die
chronischen Formen gehen mit hochgradiger Erschöpfung einher und lassen
sich klinisch einteilen in eine chronisch-katarrhalische, oft rezidivierende Dick¬
darmerkrankung, eine dyspaptisebe mit fehlendem Magensaft und vorwiegender
Beteiligung des Dünndarms und eine spastische Form; bei letzterer fehlen die
für innere Medium in Warschau.
547
Durchfälle; im Röntgenbild sieht man Aussparungen, Defekte, ja bis handbreite
Unterbrechungen des Darmschattens.
Prof. Dr. Kruse (Bonn) betont im Schlußwort, daß die Angaben
yon Schmidt Ober 5 # /o chronischer Rnhrfälle hoch sind, da ihre Häufigkeit
sonst nur auf 3°/« geschätzt wird; seine Mitteilungen verdienen daher um so
mehr Beachtung.
Vierte Sitzung am 2. Mai d. J. nachmittags.
TI. Nierenentzündungen im Felde.
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Hirsch (Göttingen): Im gegenwärtigen Kriege
ist nach Berichten deutscher, österreichisch-ungarischer und englischer Aerzte
die Nierenentzündung sehr häufig, relativ häufiger als z. B. 1870/71, wenngleich
eine Anzahl der jetzt beobachteten Erkrankungen auch schon bei der Einstellung
in den Kriegsdienst in latenter Form bestand. Besonders beteiligt sind die
älteren Jahrgänge von 35—40 Jahren, ferner ist die Krankheit an der Ostfront
häufiger als an der Westfront und überall am meisten verbreitet unter der
fechtenden Truppe, also bei der Infanterie, weniger z. B. bei den Pionieren
oder der Artillerie. Ursächlich kommen für die meisten Fälle Erkältungen
und Durchnässungen in Betracht; so häufen sich die Erkrankungen namentlich
in den nassen und kalten Monaten Oktober bis Dezember, und März und April.
Ferner wirken im Bewegungskrieg große Marschleistungen und Schlafen auf
kalter Erde, im Stellungskrieg Feuchtigkeit der Schützengräben, Schlafen in
nassen Unterständen schädigend auf die Nieren ein. Eine weitere Ursache
bilden Infektionen: Angina, Furunkel, Streptokokkenerkrankungen, Typhus und
Ruhr. Dagegen scheinen Schutzimpfungen, Einwirkung chemischer Läusemittel,
rheumatische Erkrankungen nicht in Frage zu kommen. Wichtiger ist lange
fortgesetzte einseitige Ernährung, z. B. auch zu lange durchgeführte Schleim¬
diät bei Ruhrerkrankungen.
Klinisch zeigt der Verlauf der Krankheit oft Fiebersteigerungen, be¬
sonders bei Beginn und Steigerung der Nierensymptome. Sehr oft und schnell
treten Oedeme im Unterhautzellgewebe, in der Bauch- und Brusthöhle auf.
Die Harnmenge ist anfangs vermindert und enthält in 50°/o der Fälle Blut¬
beimengungen; der EiweiSgehalt ist hoch und übersteigt oft 6 — 8°/oo. Mehr¬
fach wurde auch Milzschwellung gefunden. Der Blutdruck war erhöht, betrug
140 — 180 mm Quecksilber; war er von vornherein höher als 200 oder blieb er
nach Rückgang der anderen Krankheitserscheinungen hoch, so bandelte es sich
in der Regel um ältere Nierenerkrankungen, die ein akutes Rezidiv durch¬
machten. Augenhintergrundsveränderungen im Sinne der bekannten Retinitis-
albuminurica fanden sich nie. Typisch für die Kriegsnephritis sind: Hochgradige
Oedementwickelung und die Neigung zu Rezidiven; es handelt sich um eine
Erkrankung der Glomeruli mit Epitheldesquamation auch der Tabuli, anatomisch
demnach um einen Prozeß, der keine Besonderheiten bietet. Er führt zu einer
Zurückhaltung von Stickstoff, weniger von Salz und Flüssigkeiten im Körper.
Die Diät hat demnach Fleisch, Salz und zuviel Flüssigkeit zu vermeiden,
anderseits ist sie auch nicht schematisch monatelang auf Milch oder Schleim¬
suppen zu beschränken. Ebenso zwecklos ist es demnach, Heilwässer in großer
Menge zu verordnen oder die Kranken in sog. Nierenheilbäder zu schicken;
Bettruhe ist bei Eiweiß- und ßlutbeimenguog im Urin die Hauptforderung der
Behandlung. Der weitere Verlauf und Endausgang sind günstig; die Sterb¬
lichkeit beträgt noch nicht l°/o.
Aussprache.
Prof. Dr. Bruns (Marburg) fand im Stadium der Oedeme bei etwa der
Hälfte der Fälle Erhöhung des Reststickstoffs von 150—187 mg auf 100 ccm
Blut; die Kochsalzaussrheidung war im ganzen leidlich: von 5 g des Nahrungs¬
kochsalzes wurden ca. 2,7 g wieder ausgeschieden. Es fanden sich demnach
dieselben Werte wie bei der im Frieden beobachteten Glomerulonephritis.
Dr. Jungmann (Berlin) faßt das Leiden gleichfalls als Glomerulo¬
nephritis auf; er schreibt infektiösen Ursachen eine wesentliche Bedeutung
zn, weil das Leiden oft gehäuft auftritt, häufig mit Fieber und Iufektionsmilz
(Follikelschwellung) verläuft und Herzmuskeldegeneration zur Folge hat.
Geh. Rat Prof. Dr. S t i n t z i n g (Jena) hebt die Häufung derErkrankungen
548 Außerordentliche Tagung des Deutschen Kongresses für innere Medizin.
in den Monaten November bis März und ihren Zusammenhang mit Erkältungen
hervor; diese im Verein mit Infektionen bilden die Ursache der Kriegsnephritis.
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Gold scheid er (Berlin) konnte in 25°/» der
beobachteten Fälle eine Erkältung nicht als Ursache nachweisen; bei ge¬
häuftem Auftreten ist als solche eine Infektion anzunehmen. Zar Ver¬
hütung der Erkrankungen empfiehlt er Hygiene der Schützengräben, warme
Unterstände, warme Kleidung, unter Umständen Totalexstirpation der Gaumen¬
mandeln. Er befürwortet Vermeidung von Transport im akuten Stadium und
Behandlung in der Etappe. Die Sterblichkeit hat er auf 1,3 v /o berechnet
Prof. Dr. Alfr. Müller (Tübingen) berichtet über eine neue Methode,
durch die er die Haut des lebenden Menschen durchsichtig machen kann und
die Kapillaren derselben direkt untersuchen kann; diese wiesen bei chronischer
Nephritis starke Schlängelung und Anastomosenbildung auf Er empfiehlt, in
dieser Weise auch bei akuter Nephritis Untersuchungen anzustellen.
Prof. Dr. Matth es (Königsberg i. Pr.) bestätigt die auch von anderer
Seite gemachte Beobachtung, daß Offiziere nur selten an akuter Nephritis
erkranken.
Prof. Dr. Rumpel (Hamburg) stellte nach einem Armeegepäckmarsch
bei 24°/o der Teilnehmer Eiweiß im Urin fest, in 80®/» hyaline und granulierte
Zylinder und bei */< der letzten Fälle auch rote Blutkörperchen. Die Benzidin¬
probe auf Blutgehalt war in 85®/o der Gesamtzahl positiv. Die körperliche
Ueberanstrengung führt durch Zerfall roter Blutkörperchen zum Freiwerden
von Hämoglobin (Hätnoglobinaemie), das durch die Nieren ausgeschieden wird
(Hämoglobinurie). Nach dem Marsch enthielt der Urin bei 20 ®/» der Fälle
auch Aceton und Acetessigsäure
Prof. Dr. N e i 8 s e r und Dr. W. R e i m a n n (Stettin) schildern eingehend
das klinische Bild der Kriegsnephritis von den leichten bis zu den schwersten
hämorrhagischen Formen. Sie fanden bei allen eine Retention von Chlor und
Wasser, nicht des Stickstoffs im Körper. In der Niere scheint es im Beginn
der Erkrankung durch Kontraktion der Gefäße zu einer Ischaemie, danach
durch Lähmung der Gefäße zur Stauung und Hyperaemie zu kommen.
Prof. Dr Straßburger (Frankfurt a. M.) sieht in toxischer Schädigung
der Hautgefäße und Nieren die Hauptursacbe; deshalb tritt die Kriegsnephritis
auch so häufig im Gefolge infektiöser Darmerkrankungen auf.
Prof. Dr. Rostoski (Dresden) fand bei 50°/» der Erkrankungen Typhus¬
bazillen im Urin.
Prof. Dr. J. Ci tron (Berlin) betont gleichfalls die infektiös eNatur
der Kriegs-Nierenentzündung. Er konnte bei den meisten Erkrankungen nach¬
weisen, daß sie 5—14 Tage vorher eine fieberhafte Erkrankung durchgemacht
hatten und fand bei 89,3 °/o der Fälle eine Streptokokkentonsillitis. Durch
Herausnahme derMandcln ließ sich in sehr vielen Fällen eine auffallende
Besserung erzielen. Auch Läuseekzeme und daran anschließende Furunkel
scheinen ätiologisch in Betracht zu kommen. Auffallend war der günstige
Verlauf auch bei schweren Fällen.
Dr. F. Munk (Berlin) führt als di ff er entialdiagnos tisch wichtig
den Befund von doppeltbrechenden Lipoiden im Urin von Kriegs-Nephritikern
an, der sich bei der großen weißen Niere, die klinisch ein ähnliches Krankheits¬
bild bietet, nie findet.
Prof. Dr. Volhard (Mannheim): Bei der akuten Erkrankung kommt
es durch Schwellung des Parenchyms zu einer Kompression der Nierengefäße
und dadurch zu eiuer allgemeinen Blatdrucksteigerung. Der Blutamlauf in
den Glomeruli kann so behindert werden, daß sie völlig blutleer werden. Die
Heilung besteht in Wiederherstellung des normalen Blutumlaufes in den Glo¬
meruli. Das Leiden ist sehr leicht heilbar, solange die Veränderungen in den
Nieren noch rückbildungsfäbig sind. Die Bebandung muß daher so schnell
als möglich und zwar am zweckmäßigsten in Sonderlazaretten für Nieren¬
kranke eingeleitet werden.
l)r. Knack (Hamburg) konnte Unterschiede hinsichtlich der Truppen¬
gattung. des Alters und der Jahreszeit nicht festslellen. Er fand den Rest¬
stickstoff mäßig erhöht, ebenso die Retention von Kochsalz wenig gesteigert,
erheblich dagegen die Wasserausscheidung gestört. Die endgültige Heilung
erfolgte nach 6—7 Monaten.
Außerordentliche Tagung für prakt. Durchführung von Massenspeisungen. 549
Dr. C. Kays er (Berlin) beobachtete 50 Fälle, die ganz unter dem Bilde
einer Scharlachnephritis verliefen; als Infektionsvermittler kamen vielleicht
Läuse in Frage. Die Kranken zeigten in der S. Beobachtungswoche eine
kleienartige Schuppung auf Stirn- und Kopfhaut und in der 7. Woche auch
eine lamellöse Schuppung an den Händen, die der bei Scharlach sehr ähnelte.
Dr. Porges (Wien) züchtete aus dem steril gewonnenen Drin durch
Uebergießen mit Bouillon häufig Streptokokken. Die Behandlung bestand
in 2—3 Wochen fortgesetzter salz- und sticksoffarmer Diät (täglich: 500 g
Kartoffel, 200 g Brot, 60 g Reis oder Gries, 80 g Fett, Tee, Fruchtsäftfe).
Zwei Wochen danach waren die Oedeme, nach 6—8 Wochen die anderen
Krankheitserscheinungen bis auf Spuren von Eiweiß zurückgegangen.
Prof. Dr. Schittenhelm (Kiel) faßt als Besonderheiten der
Kriegsnephritis folgende Befunde zusammen: Milzschwellnng in 6°/o der Fälle,
Eosinophilie bei etwa 10%>, Lipoide im Drin bei ungefähr V, der Fälle. —
Die Sterblichkeit betrug 0,7 °/u, zu völliger Heilung kamen 80 # /o. Vom
35. Lebensjahr ab tritt die Krankheit häufiger auf; relativ am stärksten be¬
troffen ist das 41. Lebensjahr.
Bericht über die am 3. and 4. Jali d. J. in Berlin
abgehaltene ausserordentliche Tagung für praktische
Durchführung von Jüassenspeisungen.
(Schluß.)
Zweiter Sitzungstag, Dienstag, den 4. Juli d. J.
4. Die praktische Durchführung der Massenspeisung in Hamburg.
Dr. O. Lohse- Hamburg betont zunächst, daß man in seiner Heimatstadt auf
dem Standpunkt stehe, die Bedeutung der Massenspeisung dürfe sich nicht auf
das wirtschaftliche Gebiet beschränken, sondern müsse sich in sehr starkem
Maße auch auf das volkshygienische Gebiet erstrecken. Es handele sich
also nicht nur darum, die vorhandenen Lebensmittel sparsam auszunutzen,
sondern vor allem darum, der Masse der Bevölkerung trotz der starken Preis¬
steigerung der notwendigen Lebensmittel und der Lebensmittelknappheit eine
einigermaßen ausreichende Ernährung zu sichern. In Hamburg, wo
Kriegsküchen seit den ersten Tagen des Krieges bestehen und deren Zahl
allmählich auf 80 gestiegen ist, haben sie sich durchaus bewährt; es werden
dort einschließlich der Schulkinder in Schulküchen täglich etwa 165000 Personen
gespeist; das Essen wird in Mengen von 1 Liter für 20 Pfg. und */e Liter für
10 Pfg. abgegeben; die Selbstkosten betragen aber 40 Pfg., so daß die Ham-
burgische Staatskriegshilfe 20 Pfg. für jedes Liter Essen zuschießen muß (bis
jetzt etwa 650000 M.). Die Abgabe erfolgt zurzeit an jeden ohne Prüfung
der Bedürftigkeit. Das Essen wird abgeholt; nur unverheiratete Personen
können es an Ort und Stelle einnehmen. Auf Grand fast zweijähriger Er¬
fahrungen bei den Hamburger Küchen haben sich nach Ansicht des Redners
folgende Punkte als wünschenswert herausgestellt:
„1. Die Leitung der Küchen muß zentralisiert, der Betrieb einheitlich
geregelt sein. Die einzelnen Küchen sind dauernd zu überwachen.
2. Die Küchen sind über die Stadt derart zu verteilen, daß von jedem
Punkte aus eine Küche leicht zu erreichen ist. Fahrbare Küchen sind nicht
zu empfehlen.
8. Die Küchen müssen unter eigener Verwaltung stehen, unter voll¬
ständigem Ausschuß unterstützungsbedürftiger Wirtschaften und Mittagstische,
möglichst auch solcher Anstalten, die gewohnt sind, mit selbst kleinem Vor¬
teile zu arbeiten.
4. Es ist nahrhaftes und schmackhaftes Essen unter Berücksichtigung
der örtlichen Gewohnheiten zu verabreichen. Während der Essenausgabe hat
strenge Ordnung zu herrschen (Markenausgabe am vorhergehenden Tage). An
Sonntagen ist nicht zu kochen.
5. Der gemeinsame Mittagstisch ist nur für alleinstehende Personen und
Arbeiter mit kurzer Mittagspause bestimmt Familien müssen das Essen abholen.
6. Bei der Teuerung können die Küchen ein nahrhaftes Essen zu einem
erschwingbaren Preise nicht ohne größeren Zuschuß der Gemeinde liefern.
7. Die Lebensmittelzentrale der Küchen muß rein kaufmännisch ver¬
waltet werden und über große Mittel frei verfügen können.
56C
Bericht über die außerordentliche Tagung für praktische
8. Die Stadtgemeinde muß die Massenküchen bei der Verteilung der
Vorräte und beschlagnahmten Lebensmittel bevorzugen. Dagegen sind die
Warenbezugskarten der Eüchenbesucher entsprechend zu entwerten."
5. Die Abgrenzung des Besucherkreises bei den Hassenspefsungbn
wurde von Stadtrat Matthes-Dresden besprochen. Er hatte dabei anschließlich
die Verhältnisse der Großstädte im Auge, für die überhaupt die Massenspeisung
hauptsächlich in Betracht kommt. Ihre Durchführung alsZwangsspeisnng
ist als undurchführbar, ungerecht und unzweckmäßig allseitig anerkannt; das¬
selbe gilt auch für die Zwangsspeisen einzelner Schichten der Bevölkerung
oder einzelner Stadtteile. Dagegen ist ihre zwangslose Durchführung für
möglichst große Kreise anzustreben, die jedoch ohne Abgrenzung des Besucber-
kreises nicht möglich ist. Schon die Beschaffung der Hauptnahrungsmittel wie
die Beschaffung der übrigen Kocheinrichtungen nötigt zur möglichsten Be¬
schränkung; durch die Selbstbeköstigung der Familien mit höherem Einkommen
werden außerdem die teueren und nur in geringer Menge vorhandenen Nahrungs¬
mittel besser ausgenutzt, als bei ihrer Verwendung zur Massenspeisung. Für
die Abgrenzung des Besucherkreises kann aber weder die Höhe des Einkommens
noch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsklasse maßgebend sein;
denn bei der Knappheit der Hauptnahrungsmittel und bei der Schwierigkeit
ihrer Beschaffenheit finden sich in allen Ständen und Kreisen Familien, die
schließlich mit Becht Anspruch auf die Massenspeisungseinrichtungen haben.
Die öffentliche Speisung soll daher an sich jedermann zugänglich sein;
einem Mißbrauch ist nur vorzubeugen durch gewisse Bedingungen bei der An¬
meldung: teilweise Anrechnung der Nahrungsmittelkarten, vorherige Lösung der
Speisekarte auf mehrere Tage usw., möglichst scharfe Beaufsichtigung unter
Mitwirkung der vorhandenen Wohltätigkeitsvereine, bei denen die wirklich be¬
dürftigen Familien am besten bekannt sind.
6. Die Frage betreffs der Anrechnung von Lebensmittelkarten wird
von dem Berichterstatter, Oberbürgermeister Dr. Dehne-Plauen, unbedingt be¬
jaht, da sonst einer der Hauptzwecke der Massenspeisungen und Sparsamkeit im
Verbrauch von Nahrungsmittel durch deren Dehnung und Streckung fast
völlig verloren gehen würde. Insbesondere ist eine solche Anrechnung bei Fleisch,
Kartoffeln, Fett, Butter, Gries, Reis, Graupen und Teigwaren erforderlich,
während sie sich bei Brot und Mehl erübrigt, weil Mehl nur verhältnismäßig
wenig verbraucht wird und den Gemeindeverbänden meist genügend zur Ver¬
fügung steht, um damit auch die Kriegsküchen zu versorgen. Schwierig ist
allerdings die Frage zu beantworten, in welche Höbe und in welcher Welse
soll die Anrechnung erfolgen ? Redner ist nicht in der Lage, eine bestimmte
Antwort über die beste Form dieser Anrechnung zu geben, dazu hätte es einer
zuvorigen Umfrage durch Deutschland bedurft. Jedenfalls sei aber bei allen
Verfahren darauf zu achten, daß man stets zugunsten des Karteninhabers nach
unten abrunden solle und die Abtrennung oder Entwertung der Karten nicht bei
der Speiseausgabe erfolgen dürfe.
7. Zentralisation, Dezentralisation und Beteiligung privater Ter*
eine bei der Massenspeisnng. Berichterstatter: Stadrat Prof. Dr. Stein*
Frankfurt a. M.: Die Massenspeisung bildet ein untrennbares Glied unserer ge¬
samten Lebensmittelversorgung, sie trägt jetzt nicht mehr den Charakter einer
Wohlfabrtseinrichtung, sondern gehört zu den Pflichtaufgaben der Gemein¬
den. Sie soll nicht nur der Bevölkerung ausreichende Nahrung in besserer Zu¬
bereitung liefern, sondern auch zur Streckung der Lebensmittelvorräte und zur
Schonung des Lebensmittelmarktes beitragen, der sowohl durch die Angstkäufe
der einzelnen, als durch die Massenankäufe der Heeresverwaltung übermäßig
verteuert wird. Das erste Gebot für die Organisation der Massenspeisungen
ist Zentralisierung der Leitung, die vor allem die Vorratsbeschafiung
in der Hand haben und beim Einkauf darauf Bedacht nehmen muß, daß sie
dadurch nicht die Lebensmittelbeschaffang anderer erschwert und verteuert;
sie darf also nur dann kaufen, wenn die kleinen Käufer nicht kaufen oder
noch nicht kaufen. Die Einrichtung von Massenspeisungen soll außerdem nicht
unter dem bestehenden Einfluß der Mode und des Schlagwortes „Massen-
Speisungen 14 erfolgen, sondern nur dann, wenn die örtlichen, sachlichen und
persönlichen Voraussetzungen und Bedingungen dafür gegeben sind; sie ist
Durchführung von Massenspeisungen.
551
also lediglich eine Frage des Ortes, die yon den örtlichen verantwortlichen
Stellen zu entscheiden ist. Durch die Massenspeisungen darf weiterhin den
von ihnen Qebrauch machenden Bevölkerungsschichten nicht ein Mehr an
Nahrungsmitteln zugeführt werden, deshalb Anrechnung der dabei ver¬
brauchten Nahrungsmittel, soweit diese kontingentiert sind, auf die Lebens¬
mittelkarte, jedoch nicht in kleinlicher Weise. Im Gegensatz zu der
straffen Zentralisierung von Leitung und Einkauf, muß selbstverständlich der
Ausgabedienst möglichst dezentralisiert sein. Bei dem verabfolgten
Essen kommt es nicht nur auf den Nährwert, sondern vor allem auch auf die
Schmackhaftigkeit an; deshalb sind dezentralisierte Küchen mit Ab¬
gabestellen vorzuziehen, da in ihnen dem Geschmack der Bevölkerung mehr
Kechnung getragen wird und auch der Schaden nicht so groß ist, wenn einmal
eine Speise mißglückt. Das System der Zentralküche mit örtlich verteilten
festen Abgabestellen oder unter Benutzung von fahrbaren Küchen ist deshalb
nur als Notbehelf zu empfehlen. —• Die Frage, ob Gemeinde- oder Ver¬
einsbetrieb den Vorzug verdient, ist keine grundsätzliche, sondern eine
Tatfrage. Von grundsätzlicher Bedeutung ist dagegen, daß die Leitung selbst¬
ständig und rasch entscheiden kann, sowie von bureaukratiscben Hemmungen und
Rücksichten frei ist. Die Geschäftsführung muß jedenfalls, auch wenn die
Speisen unter Verlust abgegeben werden, nach kaufmännischen Hegeln
buchhaltungsmäßig genau erfolgen. Desgleichen darf die Speisung, einerlei
von wem sie ausgeht, ob sie mit oder ohne Zuschüsse erfolgt, keinerlei
Wohltätigkeitscharakter tragen. Liegt die Massenspeisung in der
Hand privater Vereine, so ist ein Zusammenarbeiten mit der Gemeindebehörde
notwendig.
Aussprache.
Der Vorsitzende eröffnet die nunmehr beginnende Besprechung der
Vorträge des zweiten Sitzungstages mit einigen einleitenden Worten, in denen
er aus den bisherigen Verhandlungen den Schluß zieht, daß die Frage über die
Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit noch keineswegs entschieden sein dürfte.
Namentlich scheine es den weitesten Kreisen an Erfahrungen zu fehlen, wie
es gemacht werden solle. Er bittet deshalb um Mitteilungen in dieser
Hinsicht und ersucht, alle derartigen beachtenswerten Erfahrungen auch später
der Zentralstelle für Volks Wohlfahrt zur Verfügung zu stellen, damit diese für
ihr weiteres Bekanntwerden durch Veröffentlichung in ihren Organen: „Con-
cordia“ oder „Korrespondenz für Kriegswohlfahrtspflege“ sorgen könne.
Gleichzeitig bittet er, sich in der Aussprache auch über diesen Vorschlag zu
äußern.
Stadtrat Paul • Magdeburg betont, daß die Frage, ob und in welchem
Umfange die Massenspeisung einzurichten ist, nach den örtlichen Verhält¬
nissen in den einzelnen Gemeinden entschieden werden muß. Jedenfalls ist
sie aber auf das unbedingt notwendige Maß und die Hauptmahl¬
zeit zu beschränken; die Beschaffung der übrigen Mahlzeiten muß Sache der
einzelnen Haushaltungen bleiben. Sie hat ferner besonders dann einznsetzen,
wenn die wichtigsten Nahrungsmittel knapp werden und eine Unterernährung
droht; desgleichen ist sie nicht nur auf Arme und Kriegerfamilien zu be¬
schränken, sondern auch dem wenig bemittelten Mittelstand, dem großen
Heer der Festbesoldeten das Recht der Speiseentnahme zum Selbstkostenpreis
einzuräumen. Die Lebensmittelkarten müssen zum Teil angorechnet
werden, ohne Rücksicht darauf, ob die Massenspeisung dadurch unpopulär wird
oder nicht. Die Forderung, daß aus den den Kommunalverbänden zu¬
gewiesenen Lebensmitteln in Zeiten ordnungsmäßiger Versorgung die nötige
Reserve an Kartoffeln, Mehl, Qülscnfrüchten usw. für die Massenspeisung zu¬
rückgestellt wird, ist nach Ansicht des Redners ebenso richtig als berechtigt;
dagegen teilt er nicht das absprechende Urteil über die fahrbaren Küchen,
die bei ungünstiger Lage der Zentralküche sehr wohl ausgleichend wirken können.
Frau Baronin Horn - München weist auf die Notwendigkeit hin, aach für
zweckmäßige Abfallverwertung der organisierten Massenspeisungen zu
sorgen; in Cöln habe man z. B. zweckmäßig eine Trockenanstalt für Abfälle
eingerichtet, um diese dadurch zu Futterzwecken nutzbar zu machen. Sie hält
weiterhin die Sonntagsspeisung für ein zurzeit nicht zu vermeidendes Uebel
und spricht sich nochmals gegen die ausschließliche oder fast ausschließliche
552
Bericht über die außerordentliche Tagung für praktische
Verwendung von ehrenamtlichen Kräften aus, namentlich in leitenden
und verantwortlichen Stellen. In diese dürften nur dafür befähigte Personen
gesetzt werden unter Ausschaltung von jedem Dilettantismus; ihr Gehalt spiele
bei den enormen Snmmen, die der Betrieb verlange, keine Rollo. Der richtige
Mensch an die richtige Stelle, gleichgültig, ob ehrenamtlich oder ob bezahlt.
Dr. med. Bornstein - Leipzig berichtet über die Leipziger Massenspeisungen,
die teils durch bereits vorhandene oder neu eingerichtete Speiseanstalten (Volks*
küchen), teils durch Gastwirtschaften erfolgt, mit denen entsprechende Verträge
abgeschlossen sind. Die ersteren liefern täglich bis 20 000, die letzteren bis
6000 Portionen, die für 25 Pf., an Fleischtagen für 30 Pf. abgegeben werden.
Das Verfahren hat sich bewährt; seine Einrichtung kann schnell und ohne
Schwierigkeit bewirkt werden. Redner wendet sich dann sehr scharf gegen
die innerhalb der einzelnen Bundesstaaten und Kreise überlassenen Ausfuhr*
Verbote, die nach Ansicht der Mitglieder des Reichsgerichts keine gesetzliche
Grundlage hätten, so daß etwaige Uebertretungen nicht bestraft werden könnten.
Innerhalb des eigenen Vaterlandes dürfe es derartige Drahtverhaue nicht geben!
Schließlich spricht er sich noch warm für Krankenküchen und bessere
Fürsorge für die Ernährung der Schwangeren aus.
Bürgermeister Winter-Könnern beklagt sich ebenfalls über die vieler¬
orts getroffenen Absperrungsmaßregeln und berichtet dann über die von ihm
als Vertreter einer kleinen Stadt und eines großen ländlichen Kommunalver*
bandes gemachten Erfahrungen. Hier hat sich die Bildung eines Zweck¬
verbandes als praktisch erwiesen namentlich mit Rücksicht auf den un¬
mittelbaren Bezug der Lebensmittel von der Zentral-Einkaufsgenossenschaft.
Er betont, daß zu der schwerarbeitenden Bevölkerung auch die Land¬
arbeiter gehörten; im übrigen betrachtet er die Massenspeisung nur als ein
Kriegshilfsmittel, von dem nur aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen
und nicht aus Bequemlichkeitsgründen Gebrauch gemacht werden dürfte.
Stadtrat Marek-Breslau berichtet über die Breslauer Massenspeisungen,
die nicht von der Gemeinde, sondern durch den nationalen Frauendienst
besorgt werden. Es sind hier die vorhandenen Speisungsanstalten mit Vorteil
benutzt; abgesehen von den Speisungen für Schulkinder werden Speisen nur
gegen Entgelt abgegeben und zwar in den großen Küchen für die breitesten
Volksschichten '/2 Liter zu 5 Pfg., in den diesen angegliederten Küchen für
besser gestellte Arbeiter Portionen zu 30 Pfg. Außerdem gibt es noch eine
sogenannte Mittelstandsküche, von der für 50 Pfg. ein recht schmack¬
haftes Essen geliefert wird, und eine sogenannte 70 Pfg.-Kttche, in der außer
Suppe eine gute kräftige Mahlzeit an Jedermann ohne Prüfung seiner finanziellen
Verhältnisse abgegeben wird. Bei den beiden lezteren Küchen wird nichts
zugesetzt, während die übrigen einen Zuschuß von 100®/« auf die Portion
erfordern. Für kranke Personen ist eine aus privaten Mitteln errichtete und von
der Stadt unterstützte Krankenküche vorgesehen, die jedoch Essen nur
gegen ärztliche Bescheinigung abgibt. Eine Anrechnung der Leben's-
mittelkarten wird von dem Redner ebenfalls als gerecht und notwendig
gefordert.
Frau Peltzer-Stolberg (Rheinland) teilt die von ihr als Mitleiterin einer
Volksküche in ihrer Heimatstadt gemachten Erfahrungen mit. Die Küche ist
vom vaterländischen Frauenverein eingerichtet, gibt jetzt etwa
1000 Portionen zu 10 Pfg. ab, deren Selbstkostenpreis je 16—17 Pfg. beträgt;
die Mehrkosten werden durch wohltätige Zuwendungen gedeckt. Rednerin
betrachtet die Einrichtung auch nur für ein vorübergehendes Aushilfsmittel,
das nach dem Kriege wegfallen muß; daher sei der Haushaltungsunter¬
richt besser und obligatorisch zu gestalten, denn gerade die jetzt gemachten
Erfahrungen haben gelehrt, daß die Volksküchen besonders von solchen Frauen
benutzt werden, die keinen ordnungsmäßigen Ilausbalt führen können.
Frau Herrmann-Hamburg: Die Leistung der Küchen kann im Bedarfs¬
fälle durch eine Abendausgabe oder durch eine doppelte Mittagsausgabe
verdoppelt werden. Die Ansicht, daß die Dezentralisierung der Küchen
zu große Kosten verursache, habe sich in Hamburg als unzutreffend erwiesen.
Notwendig sei eine Kontrolle, daß an Familien nicht mehr Eßportionen gegeben
werden, als Personen dazu gehörten, da sonst die Gefahr bestehe, daß das
Essen an Hunde, Schweine usw. verfüttert werde. An der Spitze jeder Küche
Durchführung von Massenspeisungen.
553
müsse nicht nur eine tüchtige, sondern auch gebildete Dame stehen, gleich-
giltig, ob bezahlt oder ehrenamtlich; denn der Verkehr mit dem Publikum
erfordere Herzensgüte und Bildung.
Herr Thomas-Frankfurt a. M. spricht sich für Einführung von Wochen¬
abonnements aus; dann sei auch die Anrechnung der Lebensmittelkarten
leicht durchführbar. Er warnt vor zu großer Benutzung von Trocken*
gemüse; frisches Gemüse verdiene den Vorzug und lasse sich auch bis zum
Frühjahr aufbewahren. Wünschenswert sei die regelmäßige Uebersicht
über den Lebensmittelmarkt im Beich. Die Versorgung der Kranken
werde am besten wie in Berlin durch die Küchen der überall vorhandenen
Krankenstellen besorgt.
Bürgermeister Dr. Frommhold-Stade widerspricht der Ansicht, daß die
Massenspeisung nur ein Problem der Großstadt sei; sie könne vielmehr für alle
Gemeinden in Betracht kommen, denn die Ansicht, daß die Ernährungsverhält¬
nisse in den kleinen Städten günstiger als in den Großstädten sind, sei durch¬
aus unzutreffend.
Frau Bürgermeister Stosberg-Lennep berichtet über die dortigen Ver¬
hältnisse, die ähnlich sind, wie die von Frau Peltzer aus Stolberg mitgeteilten.
Der Frauenverein bat hier nur noch insofern eine neue Einrichtung getroffen:
die Verabfolgung einer Abendsuppe für kleine Kinder (*/* Liter Milch
mit guter Einlage für 10 Pfg.), die sich sehr gut bewährt hat. Die Einführung
von Wochenkarten hat sich ebenfalls als sehr praktisch erwiesen; sie er¬
leichtert sehr die notwendige teilweise Anrechnung der Lebensmittelkarten.
Sonntags wird nicht gekocht, damit die Frauen gezwungen sind, wenigstens
einmal in der Woche für ihre Familie selbst zu kochen
Dr. jur. W. Grube-Berlin, Vertreter des Verbandes Deutscher Kauf¬
männischer Genossenschaften, insbesondere der Lebensmittelkleinhändler, bittet
diese mehr als bisher beim Bezug der Waren für die Massenspeisnngen zu
beteiligen, da sie schon an und für sich durch Krieg sehr geschädigt seien.
Eine solche Beteiligung wird sich besonders dann ermöglichen lassen, wenn
sich die Kleinhändler zu Einkaufs-Genossenschaften vereinigt haben.
Frau v. Stark-Potsdam empfiehlt Schulspeisungen unter Verab¬
folgung von ganzen Portionen, da die Kinder mit Rücksicht auf ihr Wachs¬
tum mehr Nahrung bedürfen, als vielfach angenommen wird. Statt maschineller
Einrichtungen sollte bei den Massenspeisungen mehr Frauenarbeit herangezogen
werden.
Direktor Adolphs-Köln: Maßgebend muß bei den Massenspeisungen die
rationelle Ausnutzung der Lebensmittel sein. Ob fahrbare Küchen, Zentral¬
küchen, Zentralisation oder Dezentralisation hängt lediglich von den jeweiligen ört¬
lichen Verhältnissen ab. Vor allem muß man bei der Einrichtung der Massen¬
speisungen außerordentlich vorsichtig zu Werke gehen und dafür sorgen, daß
sie niemals versagen. Ein reichlicher Vorrat von Lebensmitteln muß unbedingt
vorhanden sein; bei Ueberschwemmung des Marktes mit Gemüse und Obst
sind Dörranstalten von großem Nutzen.
Frau Goldstein• Darmstadt: Ein Abzug VQn Lebensmittelkarten ist bei
Wochenabonnements leicht durchführbar, bei einmaligen schwierig, aber auch
durchführbar und berechtigt. Angemessen erscheint die Hälfte der Tages-
bezw. Wochenrationen.
Nachdem dann noch Stadtrat Licht-Schöneberg ebenfalls die Anrechnung
der Lebensmittelkarte als eine unbedingte Forderung der Gerechtigkeit be¬
zeichnet und vor der Einführung des Wochenabonnements gewarnt bat, wird
die Ansprache beendet.
Der Vorsitzende schließt hierauf die Verhandlungen mit dem Aus¬
druck der Genugtuung über die wertvollen Anregungen, die sie für die Frage
der Massenspeisung gebracht haben. Er spricht den Wunsch aus, daß manche
der Kriegseinrichtnngen, die sich jetzt so glänzend bewährt haben, mit in die
Friedenszeit hinübergenommen werden möchten, daß vor allem die Ge¬
wohnheit zur Genügsamkeit, zu der wir jetzt alle gekommen seien, uns auch
nach dem Kriege erhalten bleiben möge und daß mit dem abscheulichen
Protzentum, das wir in Deutschland mit dem Genuß von Fleisch und Fett be¬
trieben haben, für alle Zeiten aufgeräumt werden möchte. Rpd.
554
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus. Zeitschriften.
Ae B&o hver ständig ent&tigk eit in Unfall- und Invalidität»- und
Kr&nkenversioherungssaohen.
Unfälle durch Vergiftung mit Dinitrobenzol. Von Prof. Dr. Fritz
Reuter, Landgerichtsarzt in Wien. Vierteljahrsschrift für gerichtliche
Medizin und öffentliches Sanitätswesen. Dritte Folge. Jahrg. 1916, 62. Bd., 1. H.
Verfasser berichtet über drei von ihm beobachteten Betriebsunfälle durch
Vergiftung mit Dinitrobenzol; sie betrafen eine Arbeiterin und einen Arbeiter,
die beim Brechen und Mahlen von Dinitrobenzol in einer Leimfabrik beschäftigt
waren, und einen Arbeiter, dem die Reinigung der Mühle oblag. £iner von
den Arbeitern erlag der Vergiftung. Die bei den Vergifteten beobachteten Krank*
beitserscheinungen waren: Zyanose des Gesichts, Kopfschmerzen, Mattigkeit,
Brechreiz und leichter Ikterus. Während diese Erscheinungen in den beiden günstig
verlaufenden Fällen nach mehreren Wochen zurückgingen, verschlimmerte sich
der Zustand des verstorbenen Arbeiters in kürzester Zeit; es trat heftiges
Erbrechen und Benommenheit auf, der Puls wurde klein und frequent; schon
18 Stunden nach dem Aussetzen der Betriebsarbeit trat der Tod im tiefen Koma
ein. An der Leiche wurden festgestellt: Leichte ikterische Verfärbung der
Haut, grauviolette Totenflecke, gelbgrünliche Verfärbung der Fingernägel (durch
Berührung mit Dinitrobenzol), auffallend dunkles, leicht ins bräunliche ver¬
färbtes, größtenteils flüssiges Blut, hämorrhagische Anschoppung der beiden
unteren Lungenlappen, aspirierter Mageninhalt in den Bronchien, postmortale
Erweichung des unteren Anteiles der Speiseröhre, fettig entartetes Herz, hämorrha¬
gischer Inhalt im Magen, blutreiche und von Blutungen durchsetzte Magen¬
schleimhaut, leichte katarrhalische Erscheinungen im Darm, besonders am oberen
Dünndarm, bei hyperämischen und von kleinen Blutungen durchsetzter Schleim¬
haut in den oberen Darmabschnitten; keine entzündlichen Erscheinungen in
den Nieren; im Mageninhalt nur geringe Mengen von Dinitrobenzol, im Hirn über¬
haupt kein Dinitrobenzol nachweisbar. Die Vergiftungen waren zweifellos ent¬
standen durch Einatmung des giftigen Staubes, durch Gelangen der im Mund und
Rachen sich festsetzenden Dinitrobenzolteilchen bei der Einnahme von Nahrungs¬
mitteln in den Magen sowie durch die Haut. Die klinischen Erscheinungen
und der Obduktionsbefund bestätigen die von anderer Seite gemachten Beob¬
achtungen und festgestellten Versuchsergebnisse (Straßmann, Schroeder
und Strecker), daß bei der Einwirkung des Dinitrobenzols das Blut, ähnlich
wie bei einer Nitrobenzolvergiftung, seine Fähigkeit verliert, Sauerstoff aufzu¬
nehmen und sein O-Gehalt daher verringert wird. Die Folge davon sind:
Zyanose des Gesichts, Blutfärbung der Lungen- und anderer Schleimhäute
sowie Ikterus. Daneben kommt auch eine lähmende Wirkung auf das Zentral¬
nervensystem in Betracht. Rpd.
Ueber diagnostische Bedeutung des Blutdrucks bei Unfallneurosen.
Von Oberarzt Dr. P. Horn-Bonn. Deutsche medizinische Wochenschrift;
1916, Nr. 24 und 25.
Bei Unfallneurosen kommen auffallend oft Steigerungen des
systolischen Blutdrucks vor, abnorme arterielle Senkungen nur aus¬
nahmsweise. Vor allem zeigen die Schreckneurosen und die Neurosen nach
lokaler Verletzung, letztere besonders im Stadium der Rentenkampfneurose,
erhöhte arterielle Werte; bei Kommotionsncurosen zerebralen und spinalen
Typs ist ihre Häufigkeit erheblich geringer.
Auch Steigerungen des diastolischen Blutdrucks und
erhöhte Pulsdruckamplituden sind bei Unfallneurosen, insbesondere bei Schreck¬
neurosen festzustellen. Dagegen kommt den Blutdruckqnotionten eine differential-
diagnostische Bedeutung hei den Unfallneurosen nicht zu. Die arteriellen
Blutdruckwerte zeigen starke Abhängigkeit von seelischen und körperlichen
Einwirkungen (Blutdrucklahilität), während der diastolische Blutdruck im
allgemeinen konstanter bleibt.
Diagnostische Bedeutung können aber abnorme Blutdruckwerte nur dann
beanspruchen, wenn die „normalen“ Grenzen nicht zu eng gezogen sind. Werte
von 60—90 mm Hg nach Riva-Rocci für den diastolischen Blntdruck, von
110-140 mm Hg (bei Leuten über 40 Jahren bis zu 160 mm) für den
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
66 5
systolischen Blutdruck und von 26—60 mm Hg für die Pulsdruckamplitude
können im allgemeinen als pathologisch nicht bezeichnet werden.
Abnorme Blut- und Pulsdruckwerte können bei unkomplizierten
Fällen als wichtiges, der willkürlichen Beeinflussung durch den Kranken meist
entzogenes „objektives" Symptom der Unfallneurosen bewertet und diagnostisch
verwertet werden.
Bei Komplikationen von Unfallneurosen mit Arteriosklerose, Nierenleiden
und Herzfehlern müssen die jeweiligen Begleiterscheinungen (sonstige
kardiovaskuläre Störungen, ihre Labilität und Abhängigkeit von nervösen
Einflüssen) den Ausschlag geben, ob die Blutdruckanomalie als nervöse Er¬
scheinung oder als Symptom der organischen Veränderung anzusehen ist.
Steigerungen des Blutdrucks können in der Aetiologie der
Arteriosklerose im allgemeinen nicht als ursächlicher, sondern nur als
disponierender oder begünstigender Umstand betrachtet werden. Jedenfalls
führen Unfallneurosen trotz des häufigen Vorkommens von
Blutdruckanomalien nur in Ausnahmefällen zu arteriosklero¬
tische Veränderungen; für diese sind in der Regel toxisch-infektiöse
Ursachen sowie Ernährungsstörungen verantwortlich zu. machen.
Dr. R o e p k e - Melsungen.
Tabes und Unfall. Von Dr. Friedrich L epp mann -Berlin. Viertel¬
jahrsschrift für gerichtliche Medizin und öffentliches Sanitätswesen. Dritte
Folge. Jahrg. 1916, 62. Bd., 1. H.
Dem Verfasser stand für seine Ausführungen ein verhältnismäßig reiches
Material zur Verfügung: 41 Fälle und zwar 15 aus eigener Sachverständigentätig¬
keit, 13 als Mitgutachter und 13 aus den Akten der Landesversicherungsanstalt
Berlin. Sie werden von ihm zum größten Teil ausführlich mitgeteilt, soweit sie
für die Beantwortung der von ihm behandelten Fragen über die Entstehung von
Tabes infolge Unfalls bei vorhandener Syphilis, über den Einfluß des Unfalls auf
den Verlauf bestehender Tabes, über die Verwechselung von Tabes und Paralyse
als Fehlerquelle von Unfallgutachten sowie über perverse Unfallfolgen neben
Tabes von besonderen Wert erscheinen. Die Frage, ob es beim Menschen eine
nicht syphilitische Tabes, also auch eine „rein" traumatische Tabes gibt, ist
bekanntlich noch immer unentschieden; Verfasser will die Möglichkeit einer
solchen Unfallfolge, z. B. nach Wirbelverletzung mit nachfolgender eitriger
Wirbelosteomyelitis und Sepsis, nicht völlig verneinen; er selbst hat aber keinen
derartigen Fall beobachtet. In keinem seiner Fälle von Tabes und Unfall
konnte Syphilis ausgeschlossen oder unbedenklich behauptet werden, daß das
Rückenmark erst durch den Unfall dem Syphilisgifte zugänglich gemacht wäre.
Je sorgfältiger die einzelnen Fälle aufgeklärt werden konnten, um so regel¬
mäßiger ergaben sich Bedenken gegen die Annahme nicht nur der rein
traumatischen, sondern auch der traumatisch-syphilitischen Tabes; nur in
einem Falle traumatisch-syphilitischer Tabes überwogen die positiven Beweise
für einen ursächlichen Zusammenhang gegenüber den negativen. Jedenfalls ist
aber eine durch körperliche Verletzung mit verursachte Tabes eine so seltene
Ausnahme, daß sie nur auf Grund besonders zwingender Beweise im Einzel¬
falle angenommen werden darf. Auch die Annahme der Verschlimmerung
einer vorhandenen Tabes durch Unfall ist nur dann gerechtfertigt, wenn
eine solche Verschlimmerung nach Zeit oder Art dem regelmäßigen Verlaufe
der Tabes nicht entspricht und sich dem Unfall unmittelbar angeschlossen
hat; also plötzliche Zunahme der Ataxie (z. B. infolge längerer durch die
Unfallverletzung bedingten Bettruhe), Entwicklung von Krankheitserscheinungen,
die mit der Art des Unfalls in Beziehung stehen und nicht zum Bilde der
Tabes gehören (z. B. Sehnervenschwund nach Kopfverletzung), Entstehung von
Knochenbrüchen und Gelenkerkrankungen im Anschluß an oft geringe Ver¬
letzungen. Erfahrungsgemäß besteht auch die Möglichkeit, der Entwicklung
von progressiver Paralyse bei Tabes nach Verletzungen oder Erschütterungen
des Kopfes; nur soll man sich hüten, jede seelische Störung oder gar jede
nervöse Erregung bei Tabikern für eine Paralyse anzusehen und darüber
womöglich die Tabes selbst zu übersehen. Gerade diese Fehldiagnose ist bei
der Unfallbegutacbtung der Tabes die häufigste und folgenschwerste. Der
gegenwärtige Stand der Nervenheilkunde schützt uns vor derartigen Fehl-
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tvvj^;ut-.vt'.'.tu* J;uv2.^t-x. .ft i^rräin^^ die
J>rvfU*iit5^ ,t zw*tJ^juifvru »uai. w-. c.* VrUtrrii^ *->l *«l **t kickt
yvftt t'/jjuvi iow^./.tu'/a. ii Zit:u:r zi itn ;*5T:xt5ci »ckwer
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A-Ji MuJu/XklAt wun. ♦ • tv'ti.' w*'.u trr irzi^tir u::rv?:kx-tiiTc
»K.t*: •>!* ( r>j\ t-,' A • vi . „f,tjf TtL Orr i iik; cen»gfa^ige
Af>w< t *A.'*uv*u vtt u ;t v w-r;*t ch*l tit-s Urluufleii werde*
itv.Mtt wa- > •• 'au E.:.Mtitztug :er £rwt:r»ffku^kei; uk
L K.isu. J.-; u.v.iy.J'rtftL^ c-f ur*^ i^xieLuBgea
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Oa: •;•:»• JrttftiLJUf: L ickr .öckc&k&fl kt ud
Vur uiar/i »jttr ';uü j *y Vori^v:!* d‘-- Orders Tvi dem Unfall im
••’jth 1 *fyi, duii der ‘^tT^hta r daraii« rte^i rar ein fchwmcies Abbild des
7 itkJi' hij'X» u erh«:;en kur,rj. ]fi -taJa n /-...eii y-t es eiie besondere Aufgabe
t\i • Ou»;a:h’i:f>! dv: der l',W‘ t r h ’jfuäKme sich ergebenden, oft geringfügigen
^oxtiven Aijh;*i!>j/iifjkfe ent sprechend zu *. erwerten, wie dies von dem Verfasser
iu d< r/i von ihm mitt'" teilten fall ge-cheLen i-'t. Ka hardelte sich hier um den
*•« Ih^tmord <'irje« *dilo>»herh, den er - 3 Jahr nach einen Unfall (Bruch des linken
1 < ff'-n- und '-prijngbejfji? «owje Bruch und Verschiebung des horizontalen Astes
d<'« n-< ht>'n rchienbeineh infolge -rurze^ von einer Leiter; begangen hatte. Die
HmU'rUb bencn führten den IhnTmord auf die geistige Depression zurück,
die «ich nach der schweren Verletzung bei dem Betreffenden eingestellt habe
und beanspruchten lliriterbli^benenrente. Verfasser konnte auf Grund gering-
fiigiger, aber tatsächlicher Anhaltspunkte, die ihm die Zeugenaussagen, nament¬
lich die der Khefrau, boten, sein Gutachten dahin abgeben, daß die bei dem
.G’lbatrnordcr vorhandene psychische Eigenart und die dadurch bewirkten
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
557
Störungen depressiver Art schon vor dem Unfall bestanden hätten und deshalb
nicht mit Gewißheit oder einigermaßen hoher Wahrscheinlichkeit ein ursäch¬
licher Zusammenhang des Selbstmordes mit dem Unfall angenommen werden
könnte. _. Rpd.
Unmöglichkeit einer genauen Abschätzung der Beschleunigung des
Todes bei der Verschlimmerung eines Krebsleidens durch Unfall. Rekurs-
Entscheidung des Reichsversicherungsamts vom 29. April 1916.
Der Arbeiter G. R. hatte sich bis znm 4. Juli 1918 ganz gesund und
arbeitsfähig gefühlt. An diesem Tage hatte er mit einem Stempel einen Stoß
gegen die Magengegend erhalten, der ihn wegen furchtbarer Schmerzen zu
einer 20—30 Minuten dauernden Arbeitsnnterbrechung nötigte. R. konnte noch
bis zum 23. August 1918 Weiterarbeiten; dann mußte er jedoch wegen Appetit¬
losigkeit, Abmagerung usw. den Arzt aufsuchen, der ihn am 22. September 1913
in das Knappschaftslazarett überwies, wo er am 3. Oktober operiert wurde.
Am 21. Oktober konnte er als gebessert entlassen werden, starb aber schon
am 7. November 1913 an einem Krebs der Bauchspeicheldrüse. Der Anspruch
seiner Hinterbliebenen auf Unfallentschädigung wurde in den beiden ersten
Instanzen abgewiesen, weil die befragten Aerzte aus dem Ergebnis der Leichen¬
öffnung den Schluß zogen, daß der Krebs nur sehr langsam gewachsen und
wahrscheinlich schon bei der Verletzung vorhanden war. Der Unfall könne
allerdings möglicherweise das Wachstum der Krebsgeschwulst etwas gefördert
haben, ln der Regel rechne man bei den Krebsen der Bauchspeicheldrüsen
mit einer Lebensdauer des Patienten von 6—8 Monaten nach dem Auftreten
der ersten Symptome. Der Unfall habe im Falle des R. vielleicht komplizierend
gewirkt und eine Verkürzung der Lebensdauer um 2—4 Monate verursacht.
Bei dem durch das Krebsleiden sowieso dem Tod verfallenen R. könne die
durch den Unfall möglicherweise bedingte Verkürzung der Lebensdauer um nur
2—4 Monate nicht einer wesentlichen Verschlimmerung gleich erachtet werden.
Zur Beurteilung des von den Hinterbliebenen dagegen eingelegten
Rekurses befragte das Reichsversicherungsamt den als Autorität auf dem
Gebiete der Krebsforschung allseits anerkannten Professor Dr. von Cz., um
welchen Zeitraum nach seiner Ansicht der Tod des R. durch den Unfall wahr¬
scheinlich beschleunigt worden ist. Der Sachverständige erklärte, man sei
vollkommen auf willkürliche Schätzungen angewiesen. Es sei wohl richtig, daß
die durchschnittliche Lebensdauer nach dem ersten Auftreten der Erscheinungen
bei Krebs der Bauchspeicheldrüsen 6—8 Monate betragen möge, aber die
Krebsfälle seien so verschieden in ihrem zeitlichen Verlauf, daß kein Mensch
sagen könne, wie lauge R. ohne den Unfall noch gelebt hätte; er glaube, daß
1 Jahr möglicher Lebensdauer nach Beginn der ersten Symptome hoch gerechnet
ist und komme somit auf etwa 8 Monate, um die vielleicht das Leben des R.
durch den Unfall verkürzt wurde. Das Reichsversicherungsamt schloß
sich diesem Obergutachten an. Wenn der Senat auch die Möglichkeit als
gegeben erachtet hätte, daß der Tod des R. durch den Unfall im gewissen
Grade beschleunigt worden sei, so sei doch keine ausreichende Unterlage für
die Annahme gegeben, daß es sich hierbei um einen längeren Zeitraum handelte.
Nach dem ärztlichen Gutachten lasse sich die Zeitspanne, auf deren Durchleben
R. ohne den Stoß gegen den Leib noch hätte rechnen können, keineswegs mit
auch nur einiger Sicherheit bestimmen. Nach allem sei eine hinreichende
Wahrscheinlichkeit dafür, daß der Unfall den tödlichen Ausgang der Krankheit
wesentlich beschleunigt habe, nicht begründet. Der Rekurs wurde daher
zurückgewiesen. (Kompaß; 1916, Nr. 14.)
B. Bakteriologie and Bekämpfung der flbertragbaren Krankheiten.
1. Cholera.
Cholera nnd Paratyphus B. (Aus der Med. Universitäts- Poliklinik
Halle a. 8 ) Von Dr. H. Jastro wi tz. Deutsche medizinische Wochenschrift;
1916, Nr. 32.
Da die Gastroenteritis paratyphosa sehr häufig unter dem Bilde der
Cholera nostras auftritt, die von der Cholera asiatica klinisch nicht zu differen¬
zieren ist, vermag nur die bakteriologische Untersuchung ätiologisch aufzu-
558 Kleinere Mitteilungen und Beferate aus Zeitschriften.
klären. Aber auch dafür liegen gelegentlich komplizierte Verhältnisse vor, so
daß die Klärnng des Krankheitsbildes in der Richtung des Paratyphus oder
das Vorhandensein der epidemiologisch viel wichtigeren Choleravibrionen nicht
gelingt oder daß nach Sicherstellung der letzteren ein gleichzeitiges Besteben
einer typhösen Erkrankung als „Choleratyphoid“ anzunehmen ist. J. gibt einen
Fall bekannt, der lediglich als schwere, durch Paratyphus B hervorgerufene
Gastroenteritis mit nachfolgendem typhösen Stadium erschien, während die
bakteriologische Untersuchung Choleravibrionen ergab. Nach den Einzelheiten
des Falles handelte es sich um eine primäre Cholera und um keinen Bazillen¬
träger, auch nicht um eine nachträgliche Paratyphusinfektion.
Das Zusammentreffen von Paratyphus und Cholera ist bisher nur einmal
beschrieben von Macini, der am 16. Tage das Einsetzen der Cholera beob¬
achtete. Im vorliegenden Falle ist das gleichzeitige Einsetzen beider Er¬
krankungen besonders bemerkenswert.
Die richtige und schnelle Diagnose solcher Fälle ist nur möglich, wenn
in choleraverseuchten bezw. -bedrohten Ortschaften der Stuhl jedes unter
akuten Gastrointestinalerscheinungen Erkrankten auf das Vorhandensein von
Choleravibrionen untersucht wird. Die Cboleradiarrhoe ist an sich, namentlich
aber bei Vakzinierten, eine häufige Form des Morbus asiaticus; ferner können
Mischinfektionen und dysenterieähnliche Formen andere Krankheitsbilder Vor¬
täuschen. Es ist daher nur durch systematische bakteriologische Kontrolle
der Neuaufgenommenen Fehldiagnosen und einer Verbreitung der Cholera
wirksam vorzubeugen. Dr. Roepke-Melsungen.
Zur Behandlung der Cholera. Von Stabsarzt Prof. Dr. Arneth in
Münster, z. Z. im Felde. Deutsche medizinische Wochenschrift; 1916, Nr. 31.
Bei der Prüfung von Behandlungsmethoden der Cholera ist zuvor zu
prüfen, wie der Epidemiecharakter hinsichtlich seiner Schwere und
in welchem Zeitpunkte der Epidemie der behaudelte Fall gelegen war. Da
die Behandlung so früh wie nur irgend möglich beginnen soll, ist die Ver¬
schiebung des Schwerpunktes der Cholerabehandlung in das allererste
Stadium zur Prophylaxe oder Milderung des schweren Choleraanfalles das
Hauptziel der Behandlung.
Im Bolus alba und in der Tierkohle besitzen wir zwei Mittel, die, ohne
selbst in größten Mengen schädlich zu wirken, durch Fixations- bezw. Absorp¬
tionswirkung sowohl eine Entwicklungshemmung der Cholerabazillen, als auch
eine Unschädlichmachung der Endotoxine im Darme bewerkstelligen. Diese
Wirkung, die den wichtigsten kausalen Indikationen bei der Cholera genügt,
kann sich aber nur zu Beginn der Erkrankung als segensreich entwickeln;
deshalb ist der geeignetste und aussichtsreichste Zeitpunkt für die Behand¬
lung der Aufenthalt des Kranken bei der Truppe unmittelbar nach Eintritt
der ersten Symptome. Es ist dringend zu raten, in Cholera- (und rühr-) ver¬
seuchten Gegenden jeden heftigeren verdächtigen Durchfall so¬
fort mit großen Dosen Bolus alba zu behandeln und, falls anstelle der vor¬
geschriebenen Behandlung in Isolierkrankenstuben ein Transport notwendig
wird, auch noch in der Feldflasche eine genügende Menge Bolus alba in Tee
aufgeschwemmt (vor dem Trinken Schütteln!) mitzugeben. Zweimal 400 g
ist als tägliche Grenzgabe nach oben anzusehen. Mit Abführmitteln ist die
Entfernung der Cholerabazillen und ihrer Gifte aus dem Darm nicht zu erzielen.
Zur Beseitigung der Giftwirkung der bereits resorbierten Endotoxine
stehen besondere Mittel nicht zur Verfügung außer der Schutzwirkung einer
vorausgegangenen Choleraimpfung.
Als weitere Maßnahmen kommen in Betracht die Kochsalz-Infusionen
(subkutan und intravenös 2—4 Liter täglich, mehrere Tage lang) zur Be¬
kämpfung des Wasserverlustes. Verfasser empfiehlt, zur 0,6°/oigen Na Cl-
Lösung zurückzukehren, von dieser subkutan einen Liter unter den Schlüssel¬
beinen oder am Oberschenkel zu injizieren, dies häutiger zu wiederholen und bei
darniederlicgender Resorption mit leichter Massage nachzuhelfen. Die In¬
jektion der 4 > /s"/ v igen chemisch reinen sterilen Traubenzuckerlösung bietet
keinen Vorzug; sie sollte nur intravenös einverleibt werden, da ihre subkutane
Injektion heftige Schmerzen und lokale Reizerscheinungen macht.
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
B59
Sehr wichtig ist die Zafährang von Wärme durch heiße Umschläge
(keine heißen Bäder), heiße Krüge and Flaschen, Einleiten heißer Loft unter
die Bettdecke, Einreiben mit Flüssigkeiten (Kölnisch Wasser, Bum, Kognak,
Alkohol, Essigwasser asw.), sowie in der Darreichang von medikamentösen
Analeptiicis wie Koffein, Digipurat, Digifolin, Strophantin, Kampferöl subkutan
und intravenös, Suprarenineinspritzungen, Kampferäthermischungen usw.; in
extremen Fällen sind auch intrakardiale Injektionen angezeigt, um über die
schwersten Zustände von Herzschwäche hinüberzukommen.
_ Dr. R o e p k e - Melsungen.
2. Fleckfieber.
Züchtung des Bacterinm typhi • exanthematici nach Plotz, Olitzky
und Baehr. Von Assistenzarzt Dr. L. Paareth, derz. Kommandant eines
bakteriolog. Laboratoriums im Felde. Medizinische Klinik; 1916, Nr. 24.
Verfasser beschreibt das von Plotz, Olitzky und Baehr ausge¬
arbeitete Kulturverfahren bei Fleckfieber, ohne näher auf die Aetiologie der
Erkrankung einzugehen. Die Nährbodenbereitung, die Anlegung der Blut¬
kulturen und die Anstellung der Agglutinationsproben werden in der Arbeit
klar und ausführlich angegeben. P. hat im ganzen bei 5 Fleckfieberfällen
Blutkulturen angelegt und zweimal Bakterienkolonien erhalten. Die anaeroben
Kolonien werden nach 5—21 Tagen sichtbar, haben die Gestalt eines scharf¬
kantigen Triangels oder Ypsilons und zeigen wie das umgebende Praezipitat
bräunliche Färbung; die Bakterien sind kleine polymorphe Kurzstäbchen und
färben sich nach Gram. Zur völligen Sicherung der Bakteriendiagnosc muß
positive Agglutination mit Tierimmun- oder Rekonvaleszentenserum gefordert
werden. Für die praktische Diagnostik ist das Verfahren zu umständlich und
langwierig, wohl aber dürfte sich die Agglutinationsprobe mit den Plotz,
Olitzky und Baehr sehen Bakterien nützlich erweisen besonders für die
Diagnose abgelaufener Fälle. Die damit gemachten Erfahrungen stimmen mit
denen der amerikanischen Forscher darin überein, daß die Fleckfieber-Rekon¬
valeszenten in ihrer großen Majorität monatelang positive Agglutination zeigen.
Dr. L. Quadflieg -Gelsenkirchen.
AetiologischeUntersuchungen bei Fleckfleber. VonDr. Eugen Csernel.
Ministerial - Bakteriologe. Vorläufige Mitteilung aus der Zentral-Untersuchungs-
Station des kgl. ung. Ministeriums des Innern (Vorstand: Privatdozent Dr.
Karl Kaiser). Wiener klinische Wochenschrift; 1916, Nr. 35.
Die Untersuchungen beruhen auf der bakteriologischen Blutuntersuchnng
von 60 Flecktyphusfällen, die in den letzten 2 Jahren auf der Abteilung des
Dr. Furka im St Geliert Spital in Budapest behandelt wurden.
Die meisten früheren Untersacher hatten Kokken gesehen, die oft den
Eindruck eines Diplobacillus machten Bei der Prüfung der von Fuerth
gegebenen Photogramme sieht man aber, daß die als kleine Diplobazillen be¬
schriebenen Stäbchen oft als große, plumpe Bazillen Vorkommen können, sogar
auch als lange Fäden, wie sie Thoinot und Calmette schon 1892 ge¬
sehen haben.
Plotz schildert die Krankheitserreger als kleine, plumpe Bazillen mit
bipolarer Färbung, die anfangs alle obligat anaerob sind.
Die Erscheinungsformen des von dem Verfasser aus dem durch Aderlaß
gewonnenen Blute gezüchteten Bacillus vereinigen nun die von den meisten
Untersuchern gefundenen morphologischen Eigentümlichkeiten. Die Variabilität
des Bacillus erklärt das Rätsel, der sich widersprechenden Befunde; die ver¬
schiedenen Formen treffen in einem Bacillus zusammen. Durch die Anaphylaxie,
durch die Agglutinationsproben (1 : 60 bis 1500), durch Komplementablenkungs¬
proben und in Tierversuchen bat sich der Bacillus als der Erreger des Fleck¬
typhus bestätigt.
Die Tierversuche wurden nur an Meerschweinchen ausgeführt. Das
Impfen mit Bazillen ergab insofern ein ähnliches Resultat, wie das mit Exan-
thematikusblut, als die Hälfte der Tiere refraktär blieb, die andere eine einige
Tage lang anhaltende Temperatursteigerung auf 88,5 bis 89,2° zeigte. Znm
Diagnostizieren zweifelhafter Fälle ist die anaphylaktische Probe sehr geeignet.
r<
560
Kleinere Mitteilungen and Relerate aas Zeitschriften.
Zam Auffinden in Sekreten scheint sich die Eigenschaft des Bacillus zu eignen,
daß er auf einem mit Natriumsulfit entfärbten Fnchsinagar in roten Kolonien
wächst. Dr. Mayer- Simmern.
3. Diphtherie.
Die Verbreitung und Bekämpfung der Diphtherie. Von W. Kruse
Münchener medizinische Wochenschrift; 1916, Nr. 35.
Das Jahr 1895 bedeutet einen ähnlichen Wendepunkt in der Diphtherie
wie das Jahr 1800 bei der Pockenerkrankung. Die Diphtherie wird noch viel
zu sehr unterschätzt; 12000 Diphtherietodesfälle hat Deutschland alljährlich.
Die Hauptsache ist eine möglichst frühzeitige Seruminjektion. Die Bazillenträger
außerhalb der Anstalt zu isolieren, ist praktisch undurchführbar. Der Schulschluß
ist nicht einmal zweckmäßig. Manche Epidemie, die angeblich durch Behand¬
lung der Bazillenträger erloschen ist, wäre auch ohne diese zu Ende gekommen
(besonders bei Beginn des Sommers gehen die Diptherieepidemien erfahrungs¬
gemäß von selbst oft zurück. Ref.). Dr. G r a ß 1 - Kempten.
4. Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten und der Prostitution.
Die Prostitution jugendlicher Mädchen in München im Kriegsjahr
1915. Von Landgerichtsrat Rupprecht. Münchener med. Wochenschrift;
1916, Nr. 32.
Die befürchtete Zunahme der Prostitution durch den Krieg ist nicht
eingetreten, namentlich nicht die der Jugendlichen. Die Einrede, daß der Krieg
die Ursache der Prostitution gewesen sei, findet man überraschend selten, ge¬
wöhnlich werden die bekannten Ursachen angegeben. Dr. G r a ß 1 - Kempten.
5. Tetanus.
Zur Frage des Blutbefundes bei Tetanus. (Aus der medizinischen
Universitätsklinik in Halle a. S.) Von Dr. Grote, Assistenzarzt. Deutsche
med. Wochenschrift; 1916, Nr. 81.
Wir finden beim Tetanus im allgemeinen eine Leukozytose von
vorwiegend neutrophilem Charakter. Schon zu Beginn der Krank¬
heit werden Leukozyten werte von 10 000 und darüber nicht selten gefunden.
Die neutrophilen Leukozyten vermehren sich bis zu 80% der Gesamtzahl und
zwar unter gleichzeitiger Verminderung der Lymphzellcn des Blutes. Die
übrigen Kategorien der weißen Blutkörperchen zeigen kein charakteristisches
Verhalten. Die Vermehrung der Neutrophilen ist im wesentlichen abhängig
von dem gleichzeitigen Krampfzustand der Muskulatur. Je heftiger die Krämpfe
waren, um so höhere Werte erreichte die Leukozytose. Sie hält während
der titanischen Erscheinungen an und überdauert diese in der Regel um
einige Zeit.
Bei intralumbaler Injektion des Heilserums kann die Leukozytenzahl im
Blute absinken unter gleichzeitiger Ansammlung der weißen Blutkörperchen
im Liquor cerebrospinalis. Während der Muskelkrämpfe läßt sich weniger
Glykogen in den Leukozyten nachweisen als in der Rekonvaleszenz. Parallel
gehend hierzu rufen die Muskelkräfte eine Hypoglykämie hervor.
Dr. Roepke-Melsungen.
Der gegenwärtige Stand der Tetannstherapie. Von Dr. Fr. 8. Kaiser,
z. Z. ordinierender Arzt am Reservelazarett zu Blankenburg a. H. Würzburger
Abhandlungen aus dem Gesamtgebiet der praktischen Medizin XVI. B., 2. H.
Wttrzburg 1916. Verlag von Curt Kabitzsch. Preis: 0,85 M.
Prophylaktisch ist bei allen auf Tetanusinfektion verdächtigen
Wunden für eine energische Wundrevision mit Freilegung aller Buchten und
Winkel, für Entfernung aller Fremdkörper und nekrotischer Gewebsfetzen sowie
für guten Abfluß der Wundsekrete zu sorgen. Frakturen sind gut zu fixieren,
Amputationen nur im Notfälle auszufübren. Ausspülung der Wunde mit
Wasserstoffsuperoxyd und täglicher Verbandwechsel; außerdem so frühzeitig
als möglich Einspritzung von mindestens 20 A. E. Tetanusserum. Beim Ausbruch
der Tetanuserkrankung ist eine „Ueberschwemmung“ des Körpers mit großen
Besprechungen.
561
Serumdosen angezeigt (bis zu 12 Tagen hintereinander täglich 600—700 A. E.
entweder intralumbal je 100—200, oder intravenös zu 200—300 A. E.). Als
Schlaf-Beruhigungsmittel kommen in Betracht Morphium (bis 6 X 0,02 g täg¬
lich), Chlorbydrat (bis zu 10 g täglich); recht gut wirken auch 4,0—6,0 g Chloral-
hydrat mit 0,05—0,06 g Morphium täglich, Lnminal oder Luminalnatrium
He 0,2—0,4 g, bis 1,6 g täglich), heiße Bäder (40—42° C.) von 20—25 Minuten
Dauer, ln Bezug auf die Pflege sind erforderlich dauernde Bewachung der
Kranken, Fernhaltung jeglicher äußerer Beize, Sorge für ausreichende Ernährung,
reichliche Flüssigkeitszufuhr sowie Entleerung von Blase und Darm. Rpd.
6. Weilsche Krankheit.
Beiträge zur Frage der sogenannten Weilschen Krankheit (an¬
steckende Gelbsucht). Von Stabsarzt Dr. Goebel, kommandiert zum be¬
ratenden Hygieniker. Aus dem Laboratorium des beratenden Hygienikers der
. . . Armee (Oberstabsarzt Prof. Dr. Uhlenhuth). Medizinische Klinik;
1916, Nr. 15.
Es werden die Erkrankungen zweier Laboratoriumsdiener beschrieben,
die ohne Ikterus verliefen, durch den Tierversuch aber als Weil sehe Krank¬
heit sichergestellt wurden. Die geimpften Meerschweinchen wurden gelb, in
ihrer Leber fanden sich zahlreiche Spirochäten. Der eine Fall ist auch noch in¬
sofern interessant, als im Beginn der 3. Woche eine Iritis anftrat. Inzwischen
sind derartige Iritiden mehrfach zur Beobachtung gekommen; sie treten beider¬
seits auf, bilden sich meist jedoch schnell zurück. Die Infektion der beiden
Kranken ist bei der Arbeit im Laboratorium mit Virus-Material erfolgt, ohne
daß der genaue Infektionsweg mit Sicherheit naebgewiesen werden konnte. Es
steht jedoch fest, daß spirochätenhaltiges Meerschweinchen-Virus eine Infektion
des Menschen hervorrufen kann; ob durch Hautschrunden, blutsaugende Insekten
oder von der Schleimhaut des Rachens aus durch verschmutzte Nahrungsmittel
die Infektion zustande kommt, muß erst aufgeklärt werden. Es sei noch erwähnt,
daß 2 Meerschweinchen im Seuchenstall ebenfalls spontan an typischem Ikterus
infektiosus erkrankt waren. In allen zweifelhaften Fällen empfiehlt sich der
Tierversuch (defibriniertes Blut) zur Sicherung der Diagnose. Auch ohne daß
bei den erkrankten Menschen Ikterus auf trat, ergab die Verimpfung des Blutes
auf Meerschweinchen bei diesen Ikterus mit Spirochätenbefnnd in der Leber.
Dr. L. Quadflieg -Gelsenkirchen.
Zur Weilschen Krankheit. Von Oberstabsarzt Dr. Krumbein und
Dr. Frieling. Deutsche med. Wochenschrift; 1916, Nr. 19.
Während Uhlenhuth und Fromme berichteten, daß Hunde nach
Einspritzungen größerer Mengen Meerschweinchenvirus keine Krankheits¬
erscheinungen gezeigt haben, kommen die Verfasser zu dem Ergebnis, daß
Hunde unter dem Bilde des Weil sehen Icterus infectiosus erkranken können.
Auch ist die Uebertragung der Weil sehen Krankheit von Hund auf Mensch
möglich. In den beobachteten 2 Fällen ist die Uebertragung wahrscheinlich
indirekt durch Hundeflöhe oder Mücken, weniger wahrscheinlich durch Blut¬
kontaktinfektion erfolgt; auch Ungeziefer als infizierender Zwischenträger
kommt in Betracht.
Die Inkubationszeit der menschlichen Weilschen Krankheit scheint
lang (3 Wochen) zu sein. Bei der Behandlung wirkt die reichliche Zufuhr
von Kochsalzlösungen günstig. Dr. R o e p k e - Melsungen.
Besprechungen.
Habs Oeith, Präparator des pathologischen Instituts in München: Kurze
Anleitung zur Herstellung pathologisch-histologischer Präparate
und Zusammenstellung der gebräuchlichsten Färbemethoden. München
1916. J. F. Lehmanns Verlag. Kl. 8°; 48 8 Preis: geb. 1,50 M.
Verfasser gibt eine kurze, die gebräuchlichsten Methoden berücksich¬
tigende Anweisung zur Herstellung pathologisch-histologischer Präparate, zur
Färbung dieser Präparate und zur Färbung von Bakterien usw., sowie zur
562
Tageenacbrichten
Herstellung: der erforderlichen Farblösungen. 8ie eignet sich zum praktischen
Gebranch nicht nur für Anfänger, für die sie in erster Linie bestimmt ist, sondern
wird anch sonst bei derartigen Laboratorinmsarbeiten von Nutzen sein. Rpd.
Dr. M. Vaerting : Mutterpflichten gegen die Ungeborenen. Eine Mahnnng
zur Bevölkerungserneuerung nach dem Kriege. Berlin 1915. Concordia,
Deutsche Verlags-Anstalt. 12*; 74 S. Preis: 75 Pfg.
Die vorliegende Schrift will in 7 Abschnitten (Vorbereitung des weib¬
lichen Körpers auf die Mutterschaft — Gute Väter — Wert der Liebe für
die Kindererzeugung — Bestes Altersverbältnis der Eltern — Vor der Ver¬
einigung — Verhaltungsmaßregeln während der Schwangerschaft — Zwischen
den Gebarten) den Eltern die Wege weisen, körperlich und geistig möglichst
tüchtige and leistungsfähige Kinder za erzeugen. Sie richtet sich vor allem
au die Mütter, weil diesen von der Natur die Haupttätigkeit bei der Erschaffung
des Kindes zugeteilt ist und sie deshalb das größte natürliche Interesse daran
haben, daß ihr im Kinde das mütterliche Meisterwerk gelingt. Ein körperlich
und geistig tüchtiges Kind ist für sie der schönste Lohn für die schweren und
mühseligen Mutterschaflsleistungen. Die aus den neuesten biologischen
Forschungen des Verfassers geschöpften Ratschläge verdienen daher um so mehr
die größte Beachtung und weiteste Verbreitung, als die Sorge für einen tüch¬
tigen Nachwus gerade jetzt eine der wichtigsten Lebensfragen für das deutsche
Volk bildet. Rpd.
Tagesnachrichten.
Nach dem Ministerialblatt für Medizinalangelegenheiten (Nr. 87 d. J.,
S. 814) haben in Preußen die für Kreisärzte vorgeschrlebene Prüfung in
den Jahren 1910—1915 bestanden mit dem Ergebnis:
sehr gut
gut
genügend
zusammen
1910 . .
8
20
15
88
1911 . .
2
16
7
25
1912 . .
1
15
8
24
1918 . .
. 2
24
11
87
1914 . .
—
16
4
19
1915 . .
1
6
2
9
Summa
: 9
96
47
152
Durchschnittlich jährlich
: 1,5
16
7,8
25,8
= 6,0 o/ 0
68,0%
81,0%
100%
Es geht daraus hervor, daß die Zahl der Aerzte, die sich der kreisärzt¬
lichen Prüfung unterzogen und diese bestanden haben, infolge des Krieges eine
sehr erhebliche Abnahme erfahren hat, und zwar gegenüber dem letzten
Friedensjahre (1913) um 50«/ t bezw. um 75°/ 0 (1915).
Auf der am 27. August d. J. in Leipzig abgehaltenen Sitzung des
Geschäftsausschusses des Deutschen Aerstevereinsbundes gelangte die Mit¬
wirkung des Aerztevereinsbundes an der Ergänzungsansbildnng der not-
geprüften Aerzte zur Erörterung. Die Besprechung dieses Gegenstandes
der Tagesordnung, an der auch Vertreter der Preußischen Staatsregierung
(die Herren Ministerialdirektor Prof. Dr. Kirchner, Wirkl. Geh. Ob.-Med.-Rat
Prof. Dr. Dietrich und Prof. Dr. A d a m - Berlin) teilnahmen, führte zu der
einstimmigen Ansicht, daß den notapprobierten Aerzten nach Beendigung des
Krieges Gelegenheit zur Fortbildung gegeben werden müsse. Am geeignetstes
werden hierzu seminaristische Kurse von einer dreimonatigen Dauer
angesehen. Die Kurse sollen nur an solchen Orten stattfinden, in denen die
verschiedensten Fächer ausreichend vertreten sind und das genügende Lehr¬
material vorhanden ist, wie in Akademien für praktische Medizin in den Haupt¬
stellen der ärztlichen Fortbildung und in Universitäten. Den Lehrern ist eia
angemessenes Honorar zu gewähren. Die Kurse sollen für die Teilnehmer un-
Tagesnachrichteii.
563
entgeltlich sein, und da es im Interesse der Allgemeinheit liegt, daß mög-
licht viele notapprobierte Aerzte von der ihnen gebotenen Gelegenheit Gebrancb
machen, so ist zu wünschen, daß die Teilnehmer dieser Kurse ein Stipendium
erhalten, aus dem sie den Lebensunterhalt der Fortbildungszeit bestreiten
können. Die Teilnehmer der Kurse dürfen während der Fortbildungszeit sich
nicht als Arzt niederlassen. Es soll versucht werden, daß Reich und Einzel¬
staaten sich bei der Aufbringung der Kosten beteiligen. Der Geschäftsaus¬
schuß hält es für wünschenswert, daß der Aerztevereinsbund und andere ärzt¬
liche Körperschaften einen Beitrag zu diesen Kosten gewähren. In den zur
weiteren Ausarbeitung der Angelegenheit beabsichtigten Ausschuß sollen zwei
Vertreter des Geschäftsausschusses entsandt werden. Der Gescbäftsausschuß
hält es für notwendig, daß auch ein Vertreter des Leipziger Verbandes in
diesen Ausschuß zugezogen wird.
Betreffs der Beteiligung der Aerzte an den FBrsorgebestrebungeu wurde
weiterhin folgender Beschluß gefaßt:
„Der Geschäftsausschuß bittet alle dem Bunde angeschlossenen Vereine,
die bereits eingeleiteten oder erst noch geplanten Fürsorgebestrebungen auf¬
merksam im Auge zu behalten und an ihrer Durchführung tatkräftig mitzu¬
arbeiten. Im besonderen sollen die zuständigen Aerztevereine sich allenthalben
einen maßgebenden Einfluß auf die Einrichtung und den Betrieb der Fürsorge¬
rn^ Beratungsstellen sichern, sollen die leitenden Aerzte dazu erwählen, und
sollen bei der Anstellung und Ueberwachung aller Hilfskräfte (Fürsorge¬
schwestern, Bezirksfürsorgerin, -pflegerin usw.) maßgebend mitwirken.
Es muß immer und immer wieder mit allem Nachdruck betont werden,
daß die Fürsorgebestrebungen nur dann einen Erfolg haben und ihren Zweck
erreichen können, wenn sie ohne jede Schädigung der Aerzte an Ansehen und
Erwerb durchgefübrt werden, und wenn es gelingt, auf dieser Grundlage alle
Aerzte zur Mitarbeit zu gewinnen.“
Ehrentafel. Es haben weiterhin erhalten:
Das Eiserne Kreuz I. Kasse:
Stabsarzt d. Res. Dr. Otto Braun-Weida (Thüringen).
Stabsarzt Dr. Clausnitzer-Leipzig.
Stabsarzt d. Res. Dr. Wilhelm Christ-Kempten (Bayern).
Stabsarzt d. Res. Dr. Arnold F u c h s - Breslau.
Oberstabsarzt Dr. Haugg-München.
Oberarzt d. Res. Dr. Guido Hausknecht-Neustadt a. Aich (Mittel-
franken).
Stabsarzt d. L. Dr. Theodor H o 1 m - Röhlinghausen (Reg.-Bez. Arnsberg).
Oberstabsarzt d. L. San.-Rat Dr. Richard Jahn-Wriezen (Reg.-Bez.
Potsdam).
Assistenzarzt Dr. E. Jantke -Glogau.
Oberstabsarzt d. Res. Dr. Oswald Kloberg-Leipzig-Lindenau.
Stabsarzt Dr. G. Lange (Inf.-Reg. 128).
Stabsarzt d. Res. Dr. Fritz L o m m e 1 - Buer-Resse (Reg.-Bez. Münster).
Generaloberarzt Dr. Anselm Mayr-Ansbach.
Generalarzt Dr. Paalzow-Berlin.
Feldunterarzt Alfred Peter.
Oberarzt d. Res. Dr. Erwin S c h m i d t - Karlsruhe (inzwischen gefallen).
Assistenzarzt d. Res. Dr. Berthold Stabr-Marienburg i. Westpr.
Stabsarzt d. L. Med.-Rat Dr. Stengel^ Bezirksarzt in Lahr i. Baden.
Oberstabsarzt d. L. San.-Rat Dr. Wolf-Zabem (Eis.).
Das Eiserne Kreuz II. Klasse:
Med.-Rat Dr. Kluge, Kreisarzt in Wolmirstädt, z. Z. Reservelazarett¬
direktor in Quedlinburg; hat außerdem das Herzogliche
Anhaitinische Friedrichskreuz erhalten.
Stabsarzt d. Res. und Bataillonsarzt a. D. Med.-Rat Dr. Peren, Kreis¬
arzt in Aachen.
Dr. Max Wunsch, Kreisarzt in Litauen.
556
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
diagnosen, da er die Erkennung der Tabes schon in ihren Frühstadien ermög¬
licht (lichtstarre Popillen, R o m b e r g sches Schwanken, Fehlen der Kniereflexe,
sowie subjektive Beschwerden wie durchschießende Schmerzen in den Gliedern,
plötzliche Magenschmerzen mit Erbrechen, auffällige Veränderungen der
geschlechtlichen Erregbarkeit, Doppelsehen usw.) Je früher aber die Tabes
auf Grund sorgfältiger Beobachtungen und Untersuchungen, auch der Be-
rührungs-, Schmerz- und Druckempfindlichkeit, des Lagegelühls an den Zehen,
der Zielbewegungen bei geschlossenen Augen usw., festgestellt wird, desto
gerechter und zutreffender wird die Beurteilung, namentlich in bezug auf
Ihren ursächlichen Zusammenhang mit dem Unfall, ausfallen. Rpd.
lieber die Frage des Zusammenhanges zwischen Unfall nnd Selbst¬
mord. Von Prof. Dr. W. Weygandt-Hamburg-Friedrichsberg. Vierteljahrs¬
schrift für gerichtliche Medizin und öffentliches Sanitätswesen. Dritte Folge;
Jahrg. 1916, 62. Bd., 1. H.
Die Frage des ursächlichen Zusammenhanges zwischen Unfall und
Selbstmord ist namentlich in versicherungsrechtlicher Hinsicht von großer Be¬
deutung und hier wiederum verschiedentlich zu behandeln, je nachdem es sich
um Privatversicherung oder staatliche Unfallversicherung bandelt. Im ersteren
Falle muß der Nachweis des willensfreien Zustandes mit überzeugender Schärfe
geführt sein, während bei der letzteren das Bestreben besteht, in zweifelhaften
Fällen zugunsten des Versicherten zu entscheiden, und schon eine Herabsetzung
der psychisch normalen Verfassung als ausreichend erachtet wird. Der ärzt¬
liche Sachverständige darf sich aber auch in diesen Fällen nicht verleiten
lassen, die Grenzen zwischen schwerer geistiger Störung und einer leichteren
Abweichung von der Norm oder zwischen Unzurechnungsfähigkeit und Willens¬
unfreiheit einerseits und verminderter Zurechnungsfähigkeit oder auch be¬
schränkter Geschäftsfähigkeit anderseits völlig zu verwischen und in dubio pro
aegroto sive mortuo einzutreten. Wenn auch erfahrungsgemäß in der über¬
wiegenden Mehrzahl der Fälle bei Selbstmördern ein psychisch abnormer
Geisteszustand vor der Tat vorliegt, so ist es nach Ansicht des Verfassers
bedenklich, einen physiologischen Selbstmord zu leugnen, zumal ein gewisses
Maß von bestimmter geistiger und moralischer Eigenschaften wie Mangel an
Ausdauer, Standfestigkeit und Selbstüberwindung, erhöhte Reizbarkeit, Stim¬
mungslabilität usw. noch als in den Bereich der physiologischen Breite gehörig
bezeichnet werden muß. Nicht jeder Selbstmord kann ohne weiteres als eine
psychopathologische Handlung angesehen werden. Schwierig ist allerdings die
Beurteilung in zweifelhaften Fällen, weil die Uebergänge von dem nur leicht
vom völlig normalen abweichenden Zustande zu dem psychisch schwer
gestörten und völlig willensunfreien durchaus fließend und kontinuierlich ist
Am einfachsten wäre es deshalb, wenn der ärztliche Sachverständige schätzungs¬
weise den Grad der Abweichung von der Norm abgeben könnte; geringfügige
Abweichungen von 5—10 "/o werden dann ebenso unbeachtlich behandelt werden
können, wie sie bei der prozentualen Einschätzung der Erwerbsfäbigkeit unbe¬
rücksichtigt bleiben. Die ärztliche Prüfung der ursächlichen Beziehungen
zwischen Unfall und Selbstmord stößt außerdem insofern noch besonders auf
Schwierigkeiten, als die Beweisaufnahme gewöhnlich sehr lückenhaft ist und
Vor allem über das psychische Vorleben des Selbstmörders vor dem Unfall im
Stich läßt, so daß der Gutachter daraus meist nur ein schwaches Abbild des
Tatsächlichen erhalten kann. In solchen Fällen ist es eine besondere Aufgabe
des Gutachters, die aus der Beweisaufnahme sich ergebenden, oft geringfügigen
positiven Anhaltspunkte entsprechend zu verwerten, wie dies von dem Verfasser
in dem von ihm mitgeteilten Fall geschehen ist. Es handelte sich hier um den
Selbstmord eines Schlossers, den er 2 /s Jahr nach einen Unfall (Bruch des linken
Fersen- nnd Sprungbeins sowie Bruch nnd Verschiebung des horizontalen Astes
des rechten Schienbeines infolge Sturzes von einer Leiter) begangen batte. Die
Hinterbliebenen führten den Selbstmord auf die geistige Depression zurück,
die sich nach der schweren Verletzung bei dem Betreffenden eingestellt habe
und beanspruchten Hinterbliebenenrente. Verfasser konnte auf Grund gering*
fügiger, aber tatsächlicher Anhaltspunkte, die ihm die Zeugenaussagen, nament¬
lich die der Ehefrau, boten, sein Gutachten dabin abgeben, daß die bei dem
Selbstmörder vorhandene psychische Eigenart und die dadurch bewirkten
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
557
Störungen depressiver Art schon vor dem Unfall bestanden hätten und deshalb
nicht mit Gewißheit oder einigermaßen hoher Wahrscheinlichkeit ein ursäch¬
licher Zusammenhang des Selbstmordes mit dem Unfall angenommen werden
könnte. _ Rpd.
Unmöglichkeit einer genauen Abschätzung der Beschleunigung des
Todes bei der Verschlimmerung eines Krebsleidens durch Unfall, Rekurs-
Entscheidung des Reichs Versicherungsamts vom 29. April 1916.
Der Arbeiter G. R. hatte sich bis zum 4. Juli 1918 ganz gesund und
arbeitsfähig gefühlt. An diesem Tage batte er mit einem Stempel einen Stoß
gegen die Magengegend erhalten, der ihn wegen furchtbarer Schmerzen zu
einer 20—30 Minuten dauernden Arbeitsnnterbrechung nötigte. R. konnte noch
bis zum 23. August 1913 Weiterarbeiten; dann mußte er jedoch wegen Appetit¬
losigkeit, Abmagerung usw. den Arzt aufsuchen, der ihn am 22. September 1913
in das Knappschaftslazarett überwies, wo er am 3. Oktoter operiert wurde.
Am 21. Oktober konnte er als gebessert entlassen werden, starb aber schon
am 7. November 1913 an einem Krebs der Bauchspeicheldrüse. Der Anspruch
seiner Hinterbliebenen auf Unfallentschädigung wurde in den beiden ersten
Instanzen abgewiesen, weil die befragten Aerzte aus dem Ergebnis der Leichen¬
öffnung den Schluß zogen, daß der Krebs nur sehr langsam gewachsen und
wahrscheinlich schon bei der Verletzung vorhanden war. Der Unfall könne
allerdings möglicherweise das Wachstum der Krebsgeschwulst etwas gefördert
haben. In der Regel rechne man bei den Krebsen der Bauchspeicheldrüsen
mit einer Lebensdauer des Patienten von 6—8 Monaten nach dem Auftreten
der ersten Symptome. Der Unfall habe im Falle des R. vielleicht komplizierend
gewirkt und eine Verkürzung der Lebensdauer um 2—4 Monate verursacht.
Bei dem dnreh das Krebsleiden sowieso dem Tod verfallenen R. könne die
durch den Unfall möglicherweise bedingte Verkürzung der Lebensdauer um nur
2—4 Monate nicht einer wesentlichen Verschlimmerung gleich erachtet werden.
Zur Beurteilung des von den Hinterbliebenen dagegen eingelegten
Rekurses befragte das Reichsversicherungsamt. den als Autorität auf dem
Gebiete der Krebsforschung allseits anerkannten Professor Dr. von Cz., um
welchen Zeitraum nach seiner Ansicht der Tod des R. durch den Unfall wahr¬
scheinlich beschleunigt worden ist. Der Sachverständige erklärte, man sei
vollkommen auf willkürliche Schätzungen angewiesen. Es sei wohl richtig, daß
die durchschnittliche Lebensdauer nach dem ersten Auftreten der Erscheinungen
bei Krebs der Bauchspeicheldrüsen 6—8 Monate betragen möge, aber die
Krebsfälle seien so verschieden in ihrem zeitlichen Verlauf, daß kein Mensch
sagen könne, wie lauge R. ohne den Unfall noch gelebt hätte; er glaube, daß
1 Jahr möglicher Lebensdauer nach Beginn der ersten Symptome hoch gerechnet
ist und komme somit auf etwa 8 Monate, um die vielleicht das Leben des R.
dnreh den Unfall verkürzt wurde. Das Reichsversicherungsamt schloß
sich diesem Obergntachten an. Wenn der Senat auch die Möglichkeit als
gegeben erachtet hätte, daß der Tod des R. durch den Unfall im gewissen
Grade beschleunigt worden sei, so sei doch keine ausreichende Unterlage für
die Annahme gegeben, daß es sich hierbei um einen längeren Zeitraum handelte.
Nach dem ärztlichen Gutachten lasse sich die Zeitspanne, auf deren Durchleben
R. ohne den Stoß gegen den Leib noch hätte rechnen können, keineswegs mit
auch nur einiger Sicherheit bestimmen. Nach allem sei eine hinreichende
Wahrscheinlichkeit dafür, daß der Unfall den tödlichen Ausgang der Krankheit
wesentlich beschleunigt habe, nicht begründet. Der Rekurs wurde daher
zurückgewiesen. (Kompaß; 1916, Nr. 14.)
B. Bakteriologie and Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten.
1. Cholera.
Cholera und Paratyphus B. (Ans der Med. Universität» - Poliklinik
Halle a. 8 ) Von Dr. H. Jastro witz. Deutsche medizinische Wochenschrift;
1916, Nr. 32.
Da die Gastroenteritis paratyphosa sehr häufig unter dem Bilde der
Cholera nostras auftritt, die von der Cholera asiatica klinisch nicht zu differen¬
zieren ist, vermag nur die bakteriologische Untersuchung ätiologisch aufzu-
564
Tagesnachrichten.
Außerdem haben erhalten:
Bas Großherzoglich Hessische Militär-Sanitätskreuz
am Kriegesbande: Geh Ober-Med.-Rat Dr. Ra 1 ser- Darmstadt und
Med.-Rat Dr. Schwan, Kreisarzt in Dieburg.
Ehren-Oed&ohtniatafel. Für das Vaterland gefallen oder gestorben
sind ferner:
Stabsarzt d. Res. und Reg.-Arzt Dr. Hans Butter-Dresden (infolge
von Krankheit gestorben).
Feldarzt Dr. R. C oh n - Charlottenburg (infolge von Krankheit gestorben).
Feldunterarzt R D e m m e - Hamburg.
Stabsarzt d. Res. Dr. Maximilian Frey-Saarbrücken.
Feldunterarzt H. H i 11 - Kulkwitz.
Oberarzt Dr. Adolf Kühn- Hirschberg i. Schles.
Oberarzt d. L. Dr. Guido Müll er-Jückelberg (infolge von Krankheit
gestorben).
Assistenzarzt d. Res. Dr. G. Rörig (infolge von Krankheit gestorben.
Assistenzarzt d. Res Dr. H. Sal ich -Berlin.
Oberarzt d. Res. Dr. Schmidt-Karlsruhe.
Stabsarzt d. Res. Dr. Otto Sehr ad er-Loslau (Oberschlesien) (infolge
von Krankkheit gestorben).
Assistenzarzt Dr. Schroeder.
Feldunterarzt W. Stroof-Lindenthal bei Cöln a Rh.
Feldarzt Dr. Karl T1 a c h - Ratibor.
Stabsarzt d. Res. und Bataillonsarzt Dr. Martin Weyl- Berlin.
Außerdem ist gefallen: Leutnant Fritz Thümmler, Sohn des Med.-Rats
Dr. Thümmler, Üerichtsarzt in Leipzig.
Cholera. In Bosnien und in der Herzegowina sind vom 23. bis
31. Juli: 12 Erkrankungen (mit 5 Todesfällen), in der Türkei vom 14. Mai
bis 7. Juli: &147 (2698) vorgekommen, darunter 145 (76) in KonBtantinopel.
Fleckfieber. Im Deutschen Reiche ist in der Woche vom 3. bis
9. September: 1 Erkrankung (bei einem Kriegsgefangenen) amtlich gemeldet; in
Oesterreich vom 21. Mai bis 27. Juni: 627, 418, 440, 274 und 131, davon
in Galizien 507, 397, 438, 238 und 126; in Ungarn vom 24. Juli bis
13. August: 3, 2 und 3, in Bosnien und in der Herzegowina vom 7. Mai
bis 17. Juni: 46, 20, 7, 9, 16 und 4.
Pocken. Im Deutschen Reiche sind in der Woche vom 3. bis
9. September 5 Erkrankungen festgestellt, außerdem nachträglich 21 abgelaufene
pockenverdächtige Fälle.
Erkrankungen und Todesfälle an ansteckenden Krankheiten in
Preußen. Nach dem Ministerialblatt für Medizinal-Angelegenheiten sind in der
Zeit vom 18. bis 26. August 1916 erkrankt (gestorben) an Pest, Gelb¬
fieber, Cholera, Trichinose, Aussatz, Malaria, Fleckfieber,
Rückfallfieber, Paratyphus, Rotz: — (—), — (—); Bißver¬
letzungen durch tollwutverdächtige Tiere: 12 (—), 15 (—);
Tollwut: — (—), — (1); Milzbrand: 1 (—), — (—); Pocken: 9 (—),
10 (—); Unterleibstyphus: 222 (28), 303 (22); Ruhr: 329 (26), 691 (16);
Diphtherie: 1501 (77), 1869 (99); Scharlach: 966 (58), 1204 (57);
Kindbettfieber: 54 (18), 48 (16); Genickstarre: 18 (5), 2 (5);
spinaler Kinderlähmung: 7 (—), 3 (—); Fleisch-, Fisch- und
Wurstvergiftung: 13(2), 17 (—); Körnerkrankheit (erkrankt):
32, 114; Tuberkulose (gest.): 676, 682.
Redaktion: Prof. Dr. Rapmnnd, Geh. Med.-Rat in Minden i.W.
J. 0. C. Bronn, Herzogi. flieht, u. Fürst!. Seh.-L. Hofbachdnickerei ln Minden.
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29. Jahrg.
1916.
Zeitschrift
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zentralblatt
ffflr das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie,
des staatlichen und privaten Versicherungswesens, sowie für das
Medizinal- und öffentliche Gesundheitswesen, einschließlich der
Hygiene und Bakteriologie.
Herausgegeben
▼on
Prot Dr. OTTO RAPMUND,
Geh. Med.-Rat In Minden I. W.
Offizielles Organ des Deutschen, Preussischen, Bayerischen, Sächsischen,
Württembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen, Thüringischen,
Braunschweigischen und Eisass-Lothringischen Medizinalbeamtenvereins.
Verlag von Fiseher’s med. Bttehhandlg R Kornfeld,
HarsogL Bayer. Hoi- n. K. xl JL Kammer-Buchhtadler.
Berlin W. 62, Keithstr. 5.
Aiielfea othmin die VafUgshandlung «owie eile AnxelfeneiiDehmeatellen des Ia»
«ad Aaalende« eatgefeiu
Nr. 19.
Ersehelnt
5. und SO. Jedem Monate.
5. Okt.
Mitteilung.
Der für diese Nummer der Zeitschrift bestimmte Original¬
artikel ist von dem zuständigen Sanitätsamte beanstandet; um
die dadurch bewirkte verspätete Herausgabe der Nummer nicht
noch länger zu verzögern, erscheint diese deshalb ausnahmsweise
ohne einen Originalartikel und in etwas geringerem Umfange.
Der Herausgeber.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
A. Qeriohtlioh# Medizin.
Der Tod durch Elektrizität. Von Fritz Lesser. Zentralblatt für
Gewerbehygiene; 1916, Nr. 8.
Backy faßt den menschlichen Körper als Leitungsnetz auf; offenbar
ist diese Ansicht richtig; es wäre deshalb zu wünschen, daß sich ein Experimen¬
tator fände, der sie aufnähme. Er würde zunächst zu ergründen haben,
welchen Weg unter bestimmten Voraussetzungen der Strom und seine stärkeren
Verzweigungen nehmen werden und wo auf diesen Rahmen stärkere Widerstände
sich finden. Dort wird man dann die Todesursache zu suchen haben, da an diesen
Stellen die Umsetzung der Stromarbeit hauptsächlich statttinden wird. Eine
Erschwerung liegt in der Berücksichtigung des Wechselstromes, weil bei diesem
566
Kleinere Mitteilungen Und Referate ans Zeitschriften.
nicht; wie beim Gleichstrom, der Widerstand allein, sondern die Impedanz
(Widerstand und Selbstinduktion) in die Betrachtung einzubeziehen sein wird.
Gerade die Ermittelung der Einwirkung des Wechselstromes, und zwar des
zurzeit hauptsächlich verwendeten Ein- oder Dreiphasenstromes, von hoher
Spannung und der Frequenz 50, bei dem die meisten Unfälle Vorkommen, wurde
praktisch von der größten Bedeutung sein. Dr. Wolf-Hanau.
B. Saohverttindlgent&tigkelt auf mllit&rirztlichem Gebiete.
Zur Frage der Wundbehandlung, insbesondere der Ueberbfiutung
großer Wundflüchen. Von Oberarzt Dr. Spiegel. Aus der Chirurgischen
Abteilung des Städtischen Krankenhauses Berlin-Lichtenberg. (Leitender Arzt:
i. V. Prof. Dr. Köhler.) Medizinische Klinik; 1916, Nr. 16.
Der auf allen Fronten entstandene Schützengrabenkrieg bringt es mit
sich, daß Verwundungen durch Minen- und Granatsplitter weit häufiger Vor¬
kommen, als Schußverletzungen durch Infanteriegeschosse. Bei solchen Granat¬
splitterverletzungen kommt es fast immer zu größeren Zerstörungen und
Substanzverlusten, deren Ausheilung äußerst langwierig und undankbar ist;
namentlich macht die Ueberhäutung der dabei meist vorhandenen größeren Wund¬
flächen Schwierigkeiten, besonders wenn'diese, wie in der Mehrzahl der Fälle,
nicht auf operativem Wege zu erreichen ist. Der Chirurg ist dann auf nicht
operative Verfahren, insbesondere auf die Salbenbehandlung angewiesen. Ver¬
fasser hat mit den hauptsächlich hierfür in Betracht kommenden Mitteln
(Höllensteinstift, Jodoform, Leukozon, 8 u /oige Scharlachrotsalbe, 2°/oige Pelli¬
dolsalbe, Granugenol und Winters Kombustinsalbe) Versuche angestellt und
die besten Erfolge mit der W i n te r sehen Ko m b u s t i n salb e erzielt,
die infolge ihrer Zusammensetzung *) gegenüber den sonst gebräuchlichen Mitteln
große Vorteile bietet und die mit jenen verbundenen Nachteile vermeidet
Durch ihre pastenartige Konsistenz ist sie sehr sparsam sowohl im Verbrauch
der Salbenmenge, als auch der Verbandstoffe, die sie nicht durchfettet und da¬
durch auch eine Verklebung mit der Wundfläche unmöglich macht. Ihre stark
8ekretionsbesehränkende Eigenschaft ermöglicht es, den Verband drei bis vier
Tage und länger liegen zu lassen. Reizerscheinungen werden selbst bei
wochenlang fortgesetztem Gebrauch weder auf der Wundfläche noch der ge¬
sunden Haut beobachtet. Die Ueberhäutung geht bei sachgemäßer Anwendung
auffällig rasch vonstatten und zeichnet sich gegenüber dem Gebrauch anderer
Salben dadurch aus, daß nicht nur vom Rande aus sich Epithelhalbinseln auf die
Wundfläche schieben, sondern bei oberflächlichen Verletzungen, besonders Aetz-
oder Brandwunden ersten bis zweiten Grades, auch in der Mitte der Wundfläche
schnell fortschreitende Epithelinseln entstehen. Die Salbe besitzt außerdem den
Vorzug, daß sie verhältnismäßig billig ist. Verfasser ist es bei einer großen
Anzahl verwundeter Soldaten und anderer Personen gelungen, durchweg gute Er¬
folge, besonders bei Verbrennungen, zu erzielen und selbst riesige Wundflächen,
z. B. eine Granatsplitterverletzung, die den Verlust der Haut der Rückseite des
Oberschenkels von den Glutäen bis dicht unterhalb der Kniekehle zur Folge
batte, ohne Hinterlassung von Bewegungsstörungen zu überhäuten. Unterstützt
wurde diese Behandlung in besonders schweren Fällen noch durch Verbindung mit
Teilbädern (Dauer-, Seifen- und Salzbädern) Lichtbügel und Heißluft (Fön).
_ Rpd.
O. laktirlologl# ondBik&apftmf dar übertragbaren Krankheiten.
1. Bekämpfung übertragbarer Krankheiten im aUgemeinen.
Bericht über die Tätigkeit der öffentlichen bakteriologisch-
diagnostischen Untersiicliungsanstalt am pathologisch anatomischen Institut
in Prag. Von Obersanitätsrat Prof. Dr. Ghon und Dr. Roman. Das
österreichische Sanitätswesen; 1916, Nr. 13—17.
*) Die Salbe besteht aus Alaun-, Wismut- und Zinkverbindungen 24 °f 0 ,
Perubalsam 0,9 %, Borsäure 0,1%, Aniylum 25%, gewachste gelbe Vaseline
50% und wird von F. Winter jr., rheinische Fabrik, Fäbrbriike i. 8., her-
gestellt. Der Preis der Salbe beträgt 6 Mark für eine 300 g-Büchse, die sich
besonders für Krankenhäuser usw. eignet.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 667
Der Bericht umfaßt die Tätigkeit wahrend der Zeit vom 1. Juli 1914
bis 30. Juni 1916 (6764 Eingänge) und enthält: 1. eine Zusammenstellung der
Untersuchungen nach ihrer Herkunft und nach ihren wichtigsten Ergebnissen,
sowie 2. allgemeine und besonders wissenschaftliche Erörterungen über
a) Mikrococcus meningitis cerebrospinalis, b) die Dysenteriegruppe, c) die
Typhus-Koligruppe, d) den Choleravibrio, e) Fleckfieberinfektionen und f) einige
Infektionen anderer Aetiologie. Dr. Wolf- Witzenhausen.
2. Typhus.
Ueber die diagnostische Bedeutung der Widalschen Reaktion und
des Nachweises der Typhusbazillen im Blute und Kote. Bekannt¬
machung des Königlichen Landes-Qesundheitsamtes. Korre¬
spondenzblatt der ärztlichen Kreis- und Bezirks-Vereine im Königreiche Sachsen;
1916, Nr. 16.
Da die Erfahrungen der letzten Monate gezeigt haben, daß, über die
Bedeutung und den Wert der Wi dal sehen Probe bei Unterleibstyphus wider¬
sprechende Meinungen verbreitet sind, hält es das Königliche Landes-Gesund-
heitsamt für angezeigt, den Aerzten des Landes folgende Gesichtspunkte
bekanntzugeben und zur Berücksichtigung zu empfehlen:
1. Die Widalsche Reaktion ist nicht das Typhusdiagnosti-
kum schlechthin, das mit Sicherheit das Bestehen oder das Nichtvorhanden¬
sein einer typhösen Erkrankung anzeigt. Sie ist nur ein Hilfsmittel für die
Sicherstellung der Typhusdiagnose; ihr Ausfall darf für die Diagnose nur unter
Berücksichtigung der Höhe des Agglutinationstiters, der Vorgeschichte des
Krankheitsfalles, seiner Dauer und der klinischen Erscheinungen verwertet
werden.
2. Sie läßt beim Typhuskranken erst dann ein positives Ergebnis er¬
warten, wenn er sich in der zweiten Krankheitswoche befindet.
3. Ein negativer Ausfall der Reaktion spricht bei vorhandenem
Typhusverdachte nicht gegen das Bestehen eines Typhus. Es empfiehlt sich
die Reaktion zu wiederholen.
4. Ein positiver Ausfall ist, wenn er bei einer Serumverdünnung von
mindestens 1:80 erzielt wurde, für die Sicherstellung der Typhusdiagnose von
großer Bedeutung. Es ist dabei aber immer zu berücksichtigen, daß der be¬
treffende Kranke frühes eine typhöse Erkrankung durchgemacht haben kann
und daß infolgedessen sein Blut eine positive Reaktion gibt. Ferner ist nicht
außer acht zu lassen, daß in seltenen Fällen auch bei anderen Erkrankungen,
so besonders bei Fällen von Gelbsucht, die Reaktion positiv ausfallen kann.
5. Bei Personen, bei denen eine regelrechte Schutzimpfung gegen Typhus
vorgenommen ist, pflegt die Reaktion in der Regel noch längere Zeit —
mindestens 3 bis 5 Monate lang — positiv auszuf&llen.
6. Das Bestehen eines Typhus wird sicher durch den
Nachweis der Typhusbazillen im Blute erwiesen, der bei Per¬
sonen, die nicht gegen Typhus schutzgeimpft worden sind, bereits in der ersten
Krankheitswoche, bei schutzgeimpften Personen etwas später erbracht werden
kann. Zu diesem Nachweise ist es nötig, 6 bis 10 ccm Blut in sterilisierter
Rindergalle an eine der im Lande bestehenden bakteriologischen Untersuchungs¬
stellen einzusenden. Galleröhrchen werden von den erwähnten Anstalten auf
Wunsch abgegeben.
7. Der Nachweis von Typhusbazillen im Stuhle gelingt meist
erst, wenn Geschwüre im Darme sich gebildet haben, also frühestens am Ende
der zweiten Krankheitswoche. Er ist mit Vorsicht zu bewerten, da Typhus¬
bazillen im Stuhle ohne das Bestehen einer Typhuserkrankung bei Bazillen¬
trägern gefunden werden.
Zur Diagnostik des Abdominaltyphus bei Geimpften. Von Oberarzt
Dr. Rob. Löwy. Aus dem k. und k. Epidemiespital der Quartiermeister-
Abteilung Nr. 9. Wiener klinische Wochenschrift: 1916, Nr. 31.
Der Verlauf des Typhus hat sich unter dem Einfluß der Schutzimpfungen
der zweiten Hälfte des Jahres 1915 wesentlich geändert. Bei den abortiven
Formen, die jetzt beobachtet werden, treten nach einer vorübergehenden
568 Kleinere Mitteilungen and Referate aus Zeitschriften.
Temperatursteigerung von 4—8 Tagen und mit späterhin noch auftretenden
abendlichen Steigerungen wieder normale Temperaturen auf. Es gibt sogar
nach wiederholter Impfung nicht selten Typhen mit ganz kurzem Fieberverlauf,
mit charakteristischer Zunge und Milztumor mit negativem bakteriolo¬
gischem und serologischem Befund. Das meist konstante Symptom
ist immer noch der Milztumor; der Wert dieses Symptoms sinkt nur durch den
Umstand, daß noch 10 Wochen nach der letzten Impfung in 7°/o der Fälle
Milzvergrößerung beobachtet worden ist (Qoldscheider, Kemmerer,
Woltering), und daß man ziemlich häufig bei Soldaten mit ausgebreiteten
Exkoriationen nach starker Verlausung eine deutliche Milzvergrößerung findet.
Da in jenen leichten Fällen sowohl die bakteriologische, als die sero¬
logische Untersnchnng versagt, muß man annehmen, daß hier der Abdominal¬
typhus nur eine lokale Darmerkrankung darstellt.
Unter gewissen Einschränkungen kann sonst die Gruber-Widalsche
Reaktion auch bei Geimpften als diagnostisches Behelf bewertet werden.
Unmittelbar nach der Impfung ist auch das Ansteigen des Agglutinationstiters
nicht beweisend; selbst in der 3. und 4. Woche muß die Reaktion wegen
der leichten Beeinflußbarkeit durch biologische Vorgänge mit Vorsicht be¬
wertet werden.
Fällt der Erkrankungstag innerhalb der ersten 8 Monate der letzten
Impfung, so ist von besonderer diagnostischer Bedeutung für eine typhöse
Erkrankung das meist steile, und hohe Ansteigen der Aggluti-
nationskurve. * _ Dr. Mayer-Simmern.
Ein Fall von Kombination eines Bauchtyphns mit Fleckflfeber. Von
Dr. S. Feig, Arzt der I. medizinischen Abteilung (Prof. M. Sternberg) im
k. und k. Krankenhause Wieden, z. Zt Landsturm-Arzt im Isolierspital des
k. und k. Kriegsgefangenenlagers Kleinmüncben bei Linz. Medizinische Klinik;
1916, Nr. 21.
Es wird ein Fall von Bauchtyphus, kombiniert mit Fleckfieber, be¬
schrieben. Am 4. Beobachtungstage war der ganze Körper mit einem Exanthem
übersät, an Brust und Bauch stand die Roseola besonders dicht. Das ganze Bild
sprach für Fleckfieber. Die Stnhluntersuchung ergab dagegen Typhusbazillen;
auch die Agglutination fiel positiv aus. Der Kranke war nicht gegen Typhus
geimpft und hatte vorher auch keinen Typhus durchgerpacht. Das Exanthem
wurde am 9. Tage haemorrhagisch. Nach dem ganzen Aussehen und Verlauf
war Abdominaltyphus mit haemorrhagischer Diathese nicht anzunehmen. Der
Temperaturabfall erfolgte kritisch. Das ist dadurch zu erklären, daß das
Fleckfieber wahrscheinlich etwas später als der Paratyphus auftrat, diesen
überdauerte und so dessen Sepsis maskierte.
Dr L. Quadflieg-Gelsenkirchen.
3. Paratyphus.
Zur Kenntnis des Paratyphus A. Von Dr. F. L'oewenthal. (Ans
der Direktorialabteilnng des Allgemein städtischen Krankenhauses Nürnberg,
Prof. Dr. J. Müller.) Medizinische Klinik; 1916, Nr. 20.
Nach einem kurzen Ueberblick über die Paratyphus A- Literatur wird
eine Paratyphus A-Infektion beschrieben, die bei einem Soldaten von der
Ostfront zur Beobachtung gelangte, der mit der Diagnose: „lungenkrank“ ein-
goliefert war. Das Krankheitsbild war wochenlang beherrscht von einer
Bronchitis diflusa. Die klinischen Erscheinungen der Paratyphus A-Infektion
sind die bekannten. Bemerkenswert ist das Aussehen der Roseolen, die im
Zentrum kleine bis stecknadelkopfgroße weißliche Herde und Bläschen auf¬
weisen, so daß die Roseola gleichsam eine Spitze erhält, ferner der Meningismus
und die Rigidität der Muskeln. Aus der Blutgalle-Kultur wurden Paratypbus-
bazillcn des Typhus A gezüchtet. Dr. L. Q u a d f 1 i e g - Gelsenkirchen.
Atypischer Parntyphus A mit letalem Ausgang. Von Dr. R. Frenzel,
Assistenzarzt d. Res. Deutsche med. Wochenschrift; 1916, Nr. 82.
Der ira Januar d. J. beobachtete Fall von Paratyphus A endete letal
und bot sowuhl klinisch, wie pathologisch-anatomisch Besonderheiten. Klinisch
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 569
beherrschte eine aknte hämorrhagische Nephritis das schwere Krankheitsbild.
In beiden Nieren lagen zwei verschiedenartige Prozesse vor: eine embolische
Nephritis entstanden dnrch Bazillenembolien und eine Glomerulonephritis älteren
und frischeren Stadiums. F. sieht den Fall als einen „Nephroparatyphus A“
an, entsprechend dem sog, „Nephrotyphus“, dem analogen klinischen Krank¬
heitsbild beim Typhus abdominalis. Da der Paratyphus A dem Typhus sehr
nahe verwandt ist und erheblich näher stebt, als dem Paratyphus B, so ist sein
Auftreten in einer dem Nephrotyphus entsprechenden Variation durchaus nicht
überraschend.
Im weiteren Verlauf standen Blutungen in die Haut, aus dem Zahnfleisch
und aus der Nase, mithin die Erscheinungen einer hämorrhagischen Diathese
im Vordergründe; in den letzten Tagen vor dem Tode machten s^ch
auch psychische Störungen bemerkbar. Obwohl man bisher noch keinen
hämorrhagischen Paratypbus A beobachtet hat, so sind doch im Bilde des
Paratyphus B, besonders der gastroenteritischen Verlaufsform, Hämorrhagien
keine Neuigkeit.
Bei Züchtung der Paratyphus A-Stämme trat die Koagulation der Lack-
musmannitunutroselösung (Barsiekow) durchweg erst im Laufe des zweiten
Tages nach Beginn der Bebrütung ein im Gegensatz zu Paratyphus B-Stämmen,
wo sie schon nach 15 Minuten Brutschrank vollständig ist. Sämtliche mit
Paratyphus A - Bazillen beschickten Nährböden dieser Art waren nach 24 Stunden
zwar gerötet, aber noch vollständig klar. Die gleiche Beobachtung ist bei
einem sicheren Paratyphus A-Herd in Wolhynien gemacht.
Dr. Roepke-Melsungen.
4. Fleischvergiftung.
Kasuistischer Beitrag zu Botulismuserkrankungen. Von Stabsarzt
Dozent Dr. Josef Novotny und Karl Ringel. Aus dem k. und k. Reserve¬
spital Valgevo. Wiener klin. Wochenschrift; 1916, Nr. 36.
Die -bisher im Verlaufe des K r ieges aus verschiedenen Kriegsschau¬
plätzen veröffentlichten Berichte erhalten wenig von Fleischvergiftungs-
erkraqkungen.
Am 15. Mai 1916 wurde unter Choleraverdacht in das Krankenhaus
Valjevo ein Infanterist eingeliefert, der vor 2 Tagen an Diarrhoen, Erbrechen,
Krämpfen und Schwindel erkrankt war. Boi der Einlieferung bestanden
Blepharopton, beiderseits Sehstörungen mit Doppeitschen, leichter Strabismus
convergens, Pupillencrweiterung, starkes Ileozoekalgurren; Blaufärbung und
Kälte der Hände und unteren Gliedmaßen, krampfhafte Kontraktionen der
Muskeln, so daß Finger und Zehen überstreckt gehalten werden, wellenförmige
Kontraktionen der Wadenmuskeln, choleraähnliche Stühle und unstillbarer
Brechreiz. Die bakteriologische Untersuchung deä^Blutes, sowie die Blutproben
auf Widal und Agglutination gegen Paratyphus B fielen negativ aus. Der
Stuhl enthielt weder Cholera-, noch Ruhr-, noch Paratyphus B-Bazillen. Trotz
der Aehnlichkeit mit dem Bilde der Cholera halten die Verfasser die Diagnose
Botulismus für gesichert. Heilung unter Digalen-Na-Cl.-Injektionen und An¬
wendung eines inneren Mittels (welches? ist nicht angegeben).
v Dr. M a y e r - Simmern.
5. Malignes Oedem.
lieber malignes Oedem. Von Prof. Dr. Eugen Fr ä n k e 1 - Hamburg-
Eppendorf. Beiträge zur Klinik der Infektionskrankheiten und zur Immunitäts¬
forschung. Würzburg 1916. Verlag von Curt Kabitzsch. IV. Bd., 2. Heft.
Preis des Einzelheftes (Gr. 8 0 ; 80 S.): 6 Mark.
Unter den durch Anaerobien beim Menschen verursachten Wundinfektions¬
krankheiten nimmt bei Friedens- wie Kriegsverletzungen der Tetanus unzweifel¬
haft die bei weitem erste Stelle ein; in zweiter Linie dürfte nach den im
jetzigen Krieg gesammelten Erfahrungen die als Gasbrand, Gasphlegmone
bekannte Krankheit kommen, während das sog. maligne Oedem zu den seltensten
Wundinfektionskrankheiten gehört, die ebenfalls durch einen von Koch mit dem
Namen „Bacillus des malignen Oedems“ bezeichneten Bazill hervorgerufen
wird. Verfasser hat Gelegenheit gehabt zur Untersuchung eines derartigen,
670
Kleinere Mitteilungen and Beferate ans Zeitschriften.
tödlich verlaufenen Falles, der ihn za weiteren eingehenden bakteriologischen
Untersuchungen veranlaßt hat. Danach ist als Charakteristikum des Oedem-
bacillus anzusehen seine Befähigung, bei Mensch und Tier die Ausschwitzung
eines meist rötlich gefärbten, bisweilen aber auch vollkommen wasser¬
klaren, rein serösen, stets geruchlosen Serams im Unterhaut- bezw. Zwischen -
muskelgewebe zu erzeugen. Bei den durch ihn hervorgerufenen Veränderungen
handelt es sich um eine wässerige Transsudation eines serös-sanguinulenten
Flüssigkeit in die Gewebe, während eigentlich entzündliche Prozesse, ebenso
wie bei der Gasgangraen, durchaus in den Hintergrund treten. Ob als Ursache
des malignen Oedems lediglich der von Koch als Erreger der Krankheit fest¬
gestellte Bazill zu gelten hat, ist noch nicht einwandsfrei erwiesen; vielleicht
haben auch andere Anaerobien die Fähigkeit, malignes Oedem zu erzeugen.
Soviel steht aber fest, daß weder eine Immunität gegen die Krankheit besteht,
wie sie Brieger und Ehrlich angenommen haben, noch die weitere Annahme
zutrifft, daß zur Ansiedlung des Erregers im menschlichen Körper erst dessen
Befallenwerden von gewissen Infektionskrankheiten wie Typhus oder Diphtherie
erforderlich ist. Besonders günstig für das Eindringen des Oedembazills sind
jedenfalls Schußvcrletzungen, wie denn überhaupt die Haut in der Mehzahl
der Fälle die Eintrittspforte für den Bazill bildet. In selteneren Fällen kann
er auch von inneren Organen (z. B. vom Uterus, von der Mundhöhle oder
vom Darm aus) in den Körper gelangen. Eine spezifische Therapie der Krank¬
heit gibt es bis jetzt noch nicht; ihre Prognose ist schlecht und viel ungünstiger
als bei der Gasphlegmone. _ Bpd.
6. Gasödem.
Zur Aetlologic, Pathogenese und Prophylaxe des Gasödeius. Von
Dr. Ernst Fränkel, Dr. Ludwig Frankenthal und DK Harry Koenigs-
feld. Medizinische Klinik; 1916, Nr. 26 und 27.
Seit Winter 1914/16 traten eine Reihe von putriden Wundinfektionen
auf, die z. T. mit Gas-, z. T. mit Oedembildung einhergingen. Etwa 40 Fälle
wurden pathologisch-anatomisch durchuntersucht, desgleichen einige verwundete
und unter ähnlichen Erscheinungen verendete Pferde. Der erhobene Befund
war der gleiche. Der Krankheitsprozeß ging meist aus von einer Granat¬
oder Minensprengung und blieb fast immer auf einen bestimmten Körperabschnitt
beschränkt. Im Unterbautgewebe und in der Muskulatur fanden sich mehr
weniger Gas und Oedembildung; die Gasbildung nahm zu mit der Zeit,
die zwischen Tod und Sektion verstrich. Das Oedem war teils rein gelb, teils
haemorrhagisch und fand sich vorwiegend im Unterhautgewebe in der näheren
und weiteren Umgebung der Wunde. Die Muskulatur zeigte mehr weniger
zundrige Beschaffenheit und seröse fibrinöse Exsudation im Zwischenmuskel¬
gewebe. Fast stets war allgemeine Anaemic vorhanden, oft ein leichter
haematogener Ikterus, einmal Haemoglobinurie, häufig subepikardiale und
subpleurale Haemorrhagien. Die inneren Organe zeigten meist nichts be¬
sonderes.
In 78 Fällen von Gasphlegmone (Gasödem) wurden auch bakteriologische
Untersuchungen angestellt, die die Einheitlichkeit der Veränderungen bewiesen.
Den gleichen Befund lieferten 2 Untersuchungen von durch Granatverlctzung
erkrankten Pferden.
1. In der Wunde selbst fanden sich neben Staphylokokken, Streptokokken,
Bacterium coli, Proteus, Pyocyaneus oder tetanusähnlichen Stäbchen konstant
ziemlich kurze, plumpe, an den Enden leicht abgerundete Stäbchen, die sich
teils in Diploform, teils in kurzen Ketten von 4—6 Gliedern lagerten, gelegent¬
lich Fadenbildung zeigten.
2. Im Oedem waren in einiger Entfernung von der Wunde nur die
Stäbchen in spärlicher Menge nachweisbar. Je weiter das Oedem von der
Wunde entfernt war, desto weniger Bazillen darin.
3. In der Muskulatur fanden sich die Stäbchen in weit größeren Mengen,
auch noch in makroskopisch und biologisch gesunden Partien und recht weit
von der Wnnde entfernt.
4. In den inneren Organen ließen sich bei frischen Sektionen die Stäbchen
nur in seltenen Fällen finden.
Gegenüber der Gramfärbung zeigten die Stäbchen ein wechselndes Verhalten,
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
B71
grampositiv mit allen Uebergängen bis za gramnegativ. Aach die Sporen*
Bildung war wechselnd. Die Sporen waren oval, mittel- bis endständig, einige¬
mal anch 2 Sporen in einem Bacillus. Die Beweglichkeit im hängenden Tropfen
fehlte in der großen Mehrzahl. In anaeroben Agar- und Traubenzucker-Agar¬
kulturen erfolgte die Gasbildung schnell and sehr reichlich; in Bouillonkulturen
trat rasch Trübung und Schaumbildung ein; war bei der Verimpfung Blut¬
beimengung vorhanden, so trat Haemolyse und Reduktion des gelösten Blut¬
farbstoffs auf. In Gelatine fand sich bei längerer Beobachtung meist Ver¬
flüssigung. Aerobe Aussaat blieb in der Regel steril.
Venenpanktionen ergaben beim Lebenden im allgemeinen ein negatives
Resultat, nur eine Kultur lieferte ein positives Ergebnis ohne Ausbildung. In
geringer Menge brauchen die Bazillen auch in Traubenzuckeragar kein Gas zu
Bilden. Der Transport der Bazillen scheint also nur sehr selten auf dem
Blutwege stattzufinden. Die Befunde in den inneren Organen berechtigen zu
dom ScBluß, daß erst unter den Bedingungen der Agonie und post mortem die
Verbreitung der Bazillen aus der Umgebung der Wunde (auf dem Blutwege etc.)
in die inneren Organe stnttfindet. Auch im Wundsekret von Leuten, die nicht
an Oasphlegmone erkrankt waren, fanden sich neben anderen Keimen die Gas¬
bazillen. Es ist daher anzunehmen, daß das ausschlaggebende Moment für das
Zustandekommen der Infektion die Herstellung anaerober Wachstumsbedin-
gongen für die Bazillen ist. Aus Granatsplittern und Tucbfetzen, die sich in
Wanden fanden, ebenso aus Erdproben des Kampfgebietes ließen sich die Gas¬
bazillen kulturell züchten; sie sind ßäarebildner und gehören wohl zur Gruppe
der Battersäurebazillen.
Auch der Tierversuch wurde zu bakteriologischen und serologischen
Untersuchangen herangezogen. Die Agglutination ist zur Diagnose der Er¬
krankung wegen des schnellen Verlaufes und der mangelhaften Agglutinin-
bildung ungeeignet. Kulturen auf dem von v. üibler angegebenen Gehirn¬
nährboden ergaBen übereinstimmend, daß der Hirnbrei nicht geschwärzt wurde.
Milch wurde stets zur Gerinnung gebracht. In beiden Nährböden wurde
Schaum (Gas-) bildung beobachtet. Die Stämme waren für sämtliche Versuchs¬
tiere (Pferd, Rind, Kaninchen, Meerschweinchen, Ratten, Mäuse) pathogen. Die
Gasbildung zeigte sich im Tierversuch verschieden; sie war um so
stärker, je schwächer die verwandten Kulturen waren (Behandlung bei 50°).
Durch aktive Immunisierung eines Pferdes gelang es, ein Schutzserum herzu¬
stellen, daß Meerschweinchen gegen die 10- und 50fache tödliche Dosis
schützte. Es sind Versuche im Gange, ein Pferd gleichzeitig gegen Tetanus
und Gasphlegmone zu immunisieren, so daß Verwundete vielleicht mit einer
einzigen Serum-Einspritzung gegen Tetanus und Gasphlegmone geschützt
werden können. Dr. Quadflieg-Gelsenkirchen.
Zar Frage der Aetlologie und Prophylaxe der Gasödeme. (Auf
Grund gemeinsamer Untersuchangen mit Dr. E. Frankel, Dr. Koenigs-
feld und Dr. Frankenthal). Von L. Aschoff. Deutsche med. Wochen¬
schrift; 1916, Nr. 17.
Unabhängig voneinander durchgeführte Untersuchungen ergeben, daß in
allen genau genug geprüften Fällen weder der Welch -Fraenkelsehe Gas¬
bacillus, nocB der Fraenkelsche Oedembacillus vorlag, sondern der Gas¬
ödembacillus folgende kulturellen und sonstigen Eigenschaften zeigte:
Morphologisch: plumpe Stäbchen, z. T. Diplokokkenformen, z. T.
Ketten, gelegentlich Fadenbildung.
Gram-Färbung: positiv, wechselnd bis negativ.
Beweglichkeit: meist nur vereinzelte Exemplare, gelegentlich aber
lebhaft.
Geißeln: vorhanden. Sporenbildung: wechselnd in ihren Be¬
dingungen, aber immer vorhanden.
Kulturell: anaerobes Wachstum, Gasbildung in Agar, Vergährung des
Traubenzuckeragars, Milchgerinnung von wechselnder Stärke; Hirnnährböden
werden nicht geschwärzt; Gelatine wird meist verflüssigt; Kulturen sind meist
geballt und aufgefasert, bei Wachstum in Agar scharf abgegrenzt, wenn
"Gasbildung.
Geruch: beim Tier geruchlos im Oedem, auf Zackernährböden saurer
Geruch (Buttersäure), sonst fader (fäulnisartiger) Geruch in Kulturen.
672
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Tierversuch: pathogen für Mensch, Pferd, Rind, Kaninchen, Meer¬
schweinchen, Ratte, Maus.
Nach diesen Eigenschaften ist der Gasödembacillus am nächsten
dem Ghon-Sachsschen Oedembacillus verwandt. Jedenfalls spielt
er (echter Kochseber Bacillus des malignen Oedems?) eine ausschlaggebende
Rolle bei der Entstehung von menschlichen Wundinfektionen, die pathologisch-
anatomisch alle CJebergänge von Gasphlegmono zum malignen Oedem erkennen
lassen. Ein nahezn identischer Bacillus wurde bei spontan verletzten und an
gashaltigem Oedem erkrankten Pferden gefunden.
Der beim Menschen gefundene Erreger vermag das Bild des gashaltigen
Oedems bei Pferd und Rind in gleicher Weise zu erzeugen, steht also in bezug
auf die Pathogenität zwischen dem Bacillus des malignen Oedems beim
Pferde und dem des Rauschbrandes des Rindes. Der Grad der Verwandt¬
schaft zwischen dem „echten“ Oedembacillus und dem Rauschbrand¬
bacillus bezw. ihre Variationsbreiten und ihre etwaigen Uebergänge bedürfen
noch weiterer Untersuchungen, besonders in Rücksicht auf die Gewinnung
einheitlich wirksamer Schutzsera. Gegen die Infektion mit dem oben be¬
schriebenen Gasödembacillus wurde durch Behandlung eines Pferdes und eines
Rindes mit Tarrozzibonillonkulturen ein beim Tierexperiment relativ gut wirk¬
sames Schutzserum gewonnen. Dr. R o e p k e - Melsungen.
Experimentell-therapeutische Studien aus .der Gruppe der Gasbrand¬
erreger. Von A. v. Wassermann. Aus dem Kaiser-Wilhelm-Institut für
experimentelle Terapie, Berlin-Dahlem). Medizinische Klinik; 1916, Nr. 17.
Die Erreger des Gasbrandes beim Menschen und des Rauschbrandes bei
den Tieren sind wahrscheinlich so nahe verwandt wie Menschen- und
Rindertuberkelbazillen. Sie finden sich in seit langem gedüngter Erde,
sind strenge Anaerobier und im eigentlichen Sinne keine Parasiten, sondern
Sapropbyten, Fäulniskeime. Die Saprophyten sind im Darm von Mensch und
Tier weit verbreitet und gelangen mit den Abgängen in die Außenwelt. In
gesundem, gut durchblutetem Gewebe können sie nicht Fuß fassen; je mehr
das Wundgewebe zerstört ist und der Nekrose zugeführt wird, um so größer
die Erkrankungsmöglichkeit (Granatverletzungen!). Der Krankheitsprozeß be¬
schränkt sich dann aber nicht auf das geschädigte Gewebe, sondern erfaßt
auch rapid die gesunde Umgebung. Der Ursache des Fortschreitens auf das
gesunde Gewebe ist Verfasser in interessanten Experimenten, die er mit Rausch¬
brand an Meerschweinchen vornahm, naebgegangen. Dabei hat sich die Tat¬
sache ergeben, daß die Oedemilüssigkeit den Bakterien den Boden vorbereitet;
sie enthält Fermente, die unbedingt zum Zustandekommen der Krankheit
erforderlich sind. Lebensfähige Sporen können allein noch nicht die Krankheit
erzeugen. Anderseits hat auch sterile Oedemilüssigkeit allein auf Meer¬
schweinchen keine pathogene Wirkung. Werden dagegen sterile Oedemflüssig-
keit und Sporen zusammen verimpft, so entsteht die typische Erkrankung.
Beim Trauma bilden nun zunächst die Gashranderreger in dem geschädigten
Gewebe die Stoffe, die dann das Fortschreiten auf das gesnnde Gewebe
bedingen. Aus den Experimenten ergiebt sich weiter, daß es bei den Tieren
gar nicht zum Rauschbrand kommt bezw. daß er lokal bleibt, wenn man in die
Wunde Carboveul (adsorbierende Kohle) bringt und dann mit virulenter
Oedemflüssigkeit impft. Die Wirkung des Carboveuls ist nicht spezifisch,
auch andere adsorbierende Substanzen (kolloidale Kieselsäure etc.) wirken im
gleichen Sinne, doch hat sich das Carboveul (Chemische Fabrik zu Aussig a. E.)
erheblich überlegen gezeigt. Jodzusatz zum Carboveul bietet keine bessere
Wirkung. Demnach ist bei den Gasbrandinfektionen der Adsorptionstherapie
ein klassisches Feld der Betätigung gegeben.
Therapeutisch könnte man zunächst an die Anwendung spezifischen
Serums denken, eines Antiaggressins im Sinne Bails, was wohl am besten
lokal in die Wunde gebracht würde. Weniger in Frage käme die subkutane
oder intravenöse Anwendung. Die Herstellung genügender Mengen dürfte auf
Schwierigkeiten stoßen, für die meisten Fälle Serum auch kaum nötig*
sein. Für die Prophylaxe des Gasbrandes scheint es gerechtfertigt, stark zer¬
setzte und verunreinigte Wunden möglichst sofort und sorgfältigst mit sterilen
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften. 573
adsorbierenden Mitteln aaszafüllen. Dazu eignen sich sowohl Carbovenl als
andere indifferente Kolloide, Bolas etc. Es kommt auf die adsorbierende Kraft
des Mittels and besonders aaf die sorgfältige Errichtung einer adsorbierenden
Grenzschicht, einer richtigen „Brandmauer“ gegen das gesunde Gewebe an.
Jede Lücke muß aasgefüllt werden. Für die Therapie des bereits aus-
S esprocbenen progredienten Gasbrandes ist oberster Grundsatz, daß gesundes
ewebe von den Gasbranderregern allein nicht angegriffen werden kann, und
daß in der Oedemflüssigkeit des Herdes die chemischen Stoße enthalten sind,
die zunächst auf das gesunde Gewebe einwirken müssen. Jeder Eingriff,
der die Einwirkung des Oedems verhindert, ist angezeigt; Entfernung der Oedem¬
flüssigkeit durch Inzisionen, Bi er sehe Stauung etc. Es muß den Chirurgen
überlassen bleiben, diese Forschungsergebnisse in der Praxis nutzbringend zu
verwerten. Dr. L. Quadflieg -Gelsenkirchen.
Ueber Gasphlegmone. Von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. E. Payr -Leipzig,
Generalarzt ä la suite, beratender Chirurg. Med. Klinik; 1916, Nr. 17.
Die Arbeit ist eine Erwiderung auf die vorstehenden Ausführungen
Biers. Payr erhebt folgende Einwände: 1. Gasphlegmonen gehen auch von
Wunden aus, die den Muskel überhaupt nicht betroffen haben; 2. es gibt Fälle,
in denen trotz tiefer Muskelwanden, ja komplizierter Frakturen die Gas¬
phlegmone auf Haut- und Snbkutangcwebe beschränkt bleiben kann und sich
nicht nach der Tiefe ausbreitet; 3. das Röntgenbild zeigt in einer ganzen
Anzahl von Fällen trotz des Vorhandenseins von Granatsplittern in der Tiefe
der Muskulatur nur epifascial gelegene Gasbildung; 4. es gibt zweifellos eine
Gasinfektion der großen Gelenke, ohne daß die Granatsplitter beim Eindringen
Mnskelsubstanz verletzt hätten. Ein Beweis dafür sind Infektionen des Knie-,
Sprunggelenks und der Bursa praepatellaris. Sicher ist der Muskel für die
Gasinfektion ganz besonders praedestiniert. Klinisch besteht eine Scheidung
von epi- und subfascialer Form. Allerdings können die Zahlverhältnisse sehr
wechseln; einmal überwiegen die bösartigen subfascialen, einmal die epifascialen
Formen; es scheint dies mit den Jahreszeiten und Witterungsverhältnissen
zusammenzuhängen. Auch die Bodenbeschaffenheit des Kampfgeländes scheint
von besonderer Bedeutung, so daß man nicht überall die gleichen Formen
sieht. Es gilt wohl nahezu bei allen Chirurgen als unumstößlicher Grundsatz,
daß bei Gasphlegmonen sobald als möglich operativ eingegrifien werden soll.
Das noch unveröflentlichte Hyperaemieverfahren Biers kann Gutes leisten; es
steht aber wegen.seiner technischen Erfordernisse einstweilen nur Bier zur
Verfügung. Für alle andern, die nicht über diese Mittel verfügen, bleibt das
souveräne Mittel das Messer: Freilegen des Krankheitsherdes, Entfernung der
eiogedrungenen Fremdkörper verhüten am sichersten die Allgemeininfektion.
Es ist interessant, daß eine durch anaerobe Bakterien bedingte Wundinfektion
geheilt werden kann ohne freie Zufuhr des atmosphaerischen Sauerstoffs.
Dr. L. Q u a d f 1 i e g - Gelsenkirchen.
Die Gasphlegmone im wesentlichen eine Muskelerkrankung. Von
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. August Bier, Marinegeneralarzt 4 la suite, z. Z. im
Felde. Medizinische Klinik; 1916, Nr. 14.
Payr unterscheidet eine gutartige oberflächliche (epifasciale) von einer
bösartigen tiefen Form, die sich in den Muskelzwischenräumen ausbreiten soll.
Nach Bier ist diese Ansicht nicht richtig und die Qasphlegmone fast stets
eine Muskclerkrankung (nicht der Scheiden und Zwischenräume) und zwar eine
faulige Gärung des Muskels. Aus dieser fauligen Gärung stammt das Gas,
das sich dann in den Bindegcwebsräumen ausbreitet. Die sogenannten
„Schaumorgane“ entstehen erst nach dem Tode. Die bakteriologischen Befunde
R. Pfeiffers bestätigen die Ansicht Biers. Er fand als Erreger meist den
Fränkelsehen Bacillus in Rein- oder fast Reinkultur im erkrankten Muskel.
Etwas vom Schußkanal entfernt war das oedematöse und mit Gas durchsetzte
Unterhautzellgewebe steril oder der Fränkelsche Bacillus war nur durch
das Kulturverfahren zu züchten. Gegen diese Ansicht scheint die Gas¬
phlegmone anderer Gewebe zu sprechen. Diese Fälle erscheinen Verfasser
nicht alle einwandfrei. Es ist wohl nicht denkbar, daß während des Lebens
eine Gasphlegmone der Lunge (wegen des Sauerstoffreichtums) sich entwickelt.
674
Tagesnachrichten.
Die Gaspfle^monen des Gehirns sind sehr seltene Ausnahmen. Auch der operative
Erfolg scheint für die Ansicht Payrs zu sprechen; demgegenüber betont aber
Bier, daß er noch nie eine Gasphlegmone ohne Erkrankung des Muskels
f eschen hat. Auf Grund der schweren Formen und der operativen Erfolge
errschen noch verkehrte Anschauungen über die Bösartigkeit der Erkrankung.
Bier hat die Gasphlegmone der Glieder fast ausnahmslos ohne jede operative
Behandlung durch ein konservatives Verfahren geheilt, worüber noch Mitteilungen
erscheinen werden. Dr. L. Quadflieg-Gelsenkirchen.
Zur Verhütung der Gasphlegmone und anderer Folgezustände schwerer
Verwundungen. Von Stabsarzt Dr. Lonhard. Deutsche med. Wochenschrift;
1916, Nr. 19.
L. empfiehlt die grundsätzliche operative Behandlung und möglichste
Ausschneidung jeder Granatwunde, soweit dem Verletzten Operation und Nar¬
kose zugemutet werden können. In Grenzfällen der Operationsfähigkeit ist die
Herzkrait durch Herzmittel und besonders durch Sauerstoffüberdruckatmung
für die Operation vorzubereiten und durch öftere Wiederholung in der Nach¬
behandlung zu erhalten. Die Grenzen der aussichtslosen Fälle können dadurch
enger gezogen werden.
Die offene Wundbehandlung ist grundsätzlich bei allen größeren und
tiefgreifenden Wunden anzuwenden, bei denen die Gefahr der Nachblutung be¬
steht, Eiterung zu erwarten oder eingetreten ist, z. B. auch bei trepanierten
Scbädelschüssen.
Gelenksteckscbüsse sind stets gründlich operativ zu behandeln. Die
primäre operative Behandlung der Handgelenk-, Knie- und Fußgelenkschttsgp
nat sich stets auf alles irgendwie krankhaft veränderte Gewebe zu erstrecken.
Tamponade ist, wo irgend möglich, zu vermeiden. Offene Wundbehandlung,
möglichst im gefensterten Gypsverband, ist von anfang an durebzuführen.
Bei schweren Schultcrgelenk-, Oberarm- und Oberschenkelschußbrüchen
ist die offene Wundbehandlung stets, bei Unterschenkelschußbrüchen tunlichst
mit Suspension des Gliedes und Gewichtszugstreckverband anzuwenden. Bei
den Schultergelenkschußbrüchen soll in vertikaler oder horizontaler Richtung
ein Gewichtszugverband angelegt werden, selbst bei den zunächst konservativ
zu behandelnden Gewehrschußbrüchen, weil infolge Aufhebung des intrakapsu-
lären Druckes Nekrose der Knochensplitter und Vereiterung des Gelenks ver¬
mieden werden kann. _ Dr. Bo epke-Melsungen.
7. Tuberkulose.
Ueber das Fränkel • Albrechtsche Schema zur Einteilung der
chronischen Lungentuberkulose. Von Dr. W. Büttner-Wobst -Heidelberg.
Münchener medizinische Wochenschrift; 1916, Nr. 32.
Albrecht unterschied:
1. die indurierenden, zirrhotischen, abhcilenden Prozesse;
2. die knotigen, bronchial nnd peribronchial fortschreitenden Prozesse,
bei denen im Vordergrund des Bildes neben der käsigen Bronchiolitis die
echte tuberkulöse Granulombildung, das überwiegend interstitielle Knötchen¬
wachstum steht, während die Flächenexsudation im Alveolarraum sich eng auf
die nächste Umgebung der Knötchen beschränkt;
3. die käsigen, pneumonischen Prozesse, bei denen das verkäsende
Exsudat auf die freie Oberfläche von Bronchiolen und Lungonalveolen voll¬
kommen das Bild beherrscht.
Die Zirrhose ist ein altes Leiden und hat das charakteristische Bild
des Aspekts: Nachschleppen und Einziehung, für sich. Länger dauerndes Fieber
fehlt. Die physikalischen Erscheinungen über die erkrankten Lungenpartien sind:
Verschärftes Vesikularatmen, verkürzter Klopfschall, tieferstehende obere Lungen¬
grenzen und höher stehende, schlecht verschiebliche untere Lungengrenzen,
abgeschwächter Stimmfremitus und fehlende oder fein- und mittelblosige Rassel¬
geräusche, nie klingenden Charakters. Die knotige Form hat akuten oder
subakuten Beginn. Die Einziehung fehlt. Die physikalischen Erscheinungen
sind Schallkürzung bis Dämpfung, verstärkter Stimmfrernitus, meist abge¬
schwächtes Atmungsgeräusch mit bronchialem Beiklang bis Rronchialatmen,
Kleinere Mitteilungen nnd Referate aas Zeitschriften. 675
Rasselgeräusche verschieden, anch klingenden Charakters. Meist Snbfebrilität.
Die pneumonische Form ist das schwerere Krankheitsbild: rascher
Kräfteverfall unter hohem Fieber, ausgedehntere Dämpfungsbezirke mit meist
vielem eitrigem Sputum.
Die zirrhotische Form charakterisiert sich im Röntgenbild durch Ein¬
gesunkensein der erkrankten Partien, d. h. durch enge Interkostalräume, steil
stehende Rippen, oder durch Verziehung der Weichteile bei wenig nach¬
giebigem Thorax, beides Kompensationserscheinungen der Lunge, ebenso wie
das in älteren Fällen selten fehlende Emphysem. Die Lungenzeichnung weist
meist strangförmige Schattengebnngen auf, die sich häufig direkt vom Hilus
aus strahlenförmig nach der kranken Spitze zu ziehen. — Das Schattenbild der
knotigen Form zeigt herdförmige Schattengebungen, die die mehr flächenartige
Verschattung größerer Partien als Uebergang zur dritten Form meist er¬
kennen lassen.
Ausschlaggebend für die Prognose ist die Art des Prozesses, erst in
zweiter Linie die Ausdehnung. Anstaltsfähig sind die zirrhotische Form und die
zirrhotisch-knotige Form. Die zirrhotische Form ist abfer nur dann anstalts¬
bedürftig, wenn Zeichen der „Aktivierung“ (Katarrh, Gewichtsabnahme, Blut¬
husten usw.) bestehen. Knotige Prozesse gestatten nur in Ausnahmefällen die
Heilstättenbehandlung; die pneumonischen gehören ins Krankenhaus.
Die Beurteilung der Einweisung in eine Heilanstalt soll erst nach
Beobachtung in einem Krankenhaus nach einigen Tagen stattfinden.
. _ Dr. G r a ß 1 - Kempten.
Temperaturmessung und Lungentuberkulose. Von Dr. Hermann
T a c h a u - Heidelberg. Münchener medizinische Wochenschrift; 1916, Nr. 32.
Lediglich die Schnelligkeit und Vollständigkeit des Temperaturabfalles
kann als maßgebend herangezogen werden. Kehrt die Temperatur nach
‘/i ständiger Ruhe wieder zum Ausgangspunkt vor den Spaziergang zurück, so
ist diese normal, im anderen Fall pathologisch. Der Einfluß, den eine tuber¬
kulöse Lungenerkrankung auf das Temperaturzentrum ausübt, entspricht keines¬
wegs der Ausdehnung und der Schwere des Prozesses. Als diagnostische
Methode ist die Bewegungsreaktion nicht brauchbar. Dr. G r a ß 1 - Kempten.
Lnngenschüsse und [Lungentuberkulose. Von Dr. G. Frischbier,
ärztlicher Direktor der Lungenheilstätte Beelitz, Militärabteilung. Zeitschrift
für Tuberkulose; Bd. 26, Heft 1.
Die Ansichten über die Prognose der Lungenschüsse sind geteilt* jedoch
mehren sich die Stimmen derer, die vor einer allzu günstigen Prognose warnen,
da, abgesehen von einer relativ großen Zahl der auf dem Schlachtfelde
ihrer Verwudung erliegenden Fälle, im weiteren Verlaufe häufig genug Kom¬
plikationen eintreten, die auch noch längere Zeit nach der Verwundung unter
Umständen zum Tode führen können oder den Heilungsverlauf erschweren und
verzögern.
Das Zusammentreffen von Lungenschuß und Lungentuberkulose sowie
die Aktivierung eines abgelaufenen, tuberkulösen Lungenprozesses durch die
Schußverletzung ist selten. Obwohl F. bei 31 Lungenschüssen in 12 Fällen
tuberkulöse Veränderungen nachweisen konnte, war nur in 5 Fällen das tuber¬
kulöse Lungenleiden wieder aktiv geworden.
Das Auftreten einer ersten, primären Lungentuberkulose im Anschluß
an einon Lungenschuß ist bei völlig Gesunden nicht erwiesen; wohl aber kann
dadurch eine bis dahin völlig latente Lungentüberkulose aktiv werden.
Dr. Roepke-Melsungen.
Ueber Heilnng vorgeschrittener Lungentuberkulose und posttuber¬
kulöse Bronchiektasie. Von K. Turban. Zeitschrift für Tuberkulose;
Bd. 26, Heft 1.
Beim Zustandekommen der Heilung vorgeschrittener Lungentuberkulose
spielt neben der Abstoßung verkästen und erweichten Gewebes und neben der
mit starken Schrumpfungserscheinungen einhergehenden Bindegewebsbildung die
Resorption eine wichtigere Rolle, als im allgemeinen angenommen wird. Für
676 Kleinere Mitteilungen iind Referate ans Zeitschriften.
die Resorption kommen besonders die peripher an die spezifischen Gebilde
angelagerten „paratuberkulösen“ Schichten in Betracht, die einen mehr oder
weniger erheblichen Bestandteil der pathologischen Veränderung bilden, ln
diesen kann es zu einer Restitutio ad integrum kommen, die die Aufhellung
mancher Dämpfungen und Röntgenschatten sowie die Wiederkehr annähernd
normaler Atmungsgeräusche über tuberkulösen Lungenberden erklärt.
Da die Literatur über Heilung vorgeschrittener Lungentuberkulose
bis jetzt nur sehr spärlich und in bezug auf die Beobachtungen am Lebenden
unvollständig ist, gibt Turban eine Reihe von Fällen mit sehr langdauernder
Beobachtung bekannt. Besonderes Interesse beansprucht dabei die Heilung von
Kavernen ohne Anwendung der heutigentags geübten chirurgischen Methoden.
Man spricht von Ausheilung einer Kaverne, wenn sie zwar bestehen bleibt,
aber ihren tuberkulösen Charakter verliert, indem sich in ihrer Wand alles
tuberkulöse Gewebe in Bindegewebe umwandelt, sich eine mehr oder weniger
derbe Kapsel mit glatter, glänzender Innenwand bildet und die Tuberkelbazillen
verschwinden. Man findet solche Höhlen, die harmlos und symptomlos bleiben,
in fibröses, fibrös durchsetztes oder emphysematoses Lungengewebe eingebettet.
Auch läßt sich die vollständige Umwandlung kleiner Kavernen in Bindegewebs-
oder Kalkknoten unter günstigen Umständen, so bei kleinem, grazilem Thorax,
im Röntgenbilde verfolgen. Selbst größere Ilöhlen, etwa bis zum Volumen
einer Haselnuß und darüber, heilen nicht selten vollkommen aus.
Einen regelmäßigen Bestandteil der Sektionsbilder von geheilter vor¬
geschrittener Lungentuberkulose stellt die Erweiterung der Bronchen
dar. Sie lokalisiert sich hauptsächlich in den oberen Lungenparticn, betrifft
mehr die mittleren und feinen Bronchen bis in die Bronchiolen hinein. Die
meist zylindrischen „posttuberkulösen“ Bronchiektasien durchziehen das Gebiet
der Narben und seiner Umgebung; ihre Wände sind teils verdickt, teils
atrophisch, die Schleimhaut glatt oder gewulstet, ohne Ulzerationen, manchmal
im Zustande des Katarrhs; im letzteren Fall kann Sekret vorhanden sein, das
sich nicht dreifach schichtet. Elastische Fasern und Tuberkelbazillen fehlen,
Mischbakterien sind vorübergehend oder dauernd angesiedelt; Husten fehlt
oder ist sehr gering. Jedenfalls ist bei chronischer Lungentuberkulose die
Bronchialerweiterung eine natürliche und notwendige Folge
von Heilungsvorgängen, eine Feststellung von L. v. Schrötter, die
in den Lehrbüchern fehlt. Anderseits kann die posttuberkulöse Bronchiektasic
in ihren schweren Formen unter quälender Dyspnoe, starkem Husten und reich¬
lichem Auswurf zum Tode führen; eine ernste Krankheit hat die andere abgelöst.
Bei differentialdiagnostischen Zweifeln, ob nur Bronchiektasie oder ein
aktiver tuberkulöser Prozeß vorliegt, soll letzterer nur auf Grund sorgfältigster
Beobachtungen ausgeschlossen werden. Das Verschwinden der Rasselgeräusche
ist nicht, wie vielfach angenommen wird, ein Hauptkriterium für die Aus¬
heilung einer Lungentuberkulose anzusehen. Für posttuberkulöse Bronchiektasie
spricht die Ermittelung der vorausgegangenen Tuberkulose, die vorwiegende
Lokalisation in den oberen und obersten Lungenteilen, das fehlende oder
geringe, nur bei interkurrenten Katarrhen reichlichere, aber nicht dreifach sich
schichtende Sekret, die Gutartigkeit des Verlaufs und die Konstanz des aus¬
kultatorischen Befundes; sie gibt mehr physikalische und perkussorische
Veränderungen und weniger Krankheitserscheinungen als die gewöhnliche
Bronchiektasie.
Eine weitere pathologische Veränderung bei der Heilung vorgeschrittener
Lungentuberkulose ist das Emphysem, cs bildet sich mit der Bronchiektasie
in verschiedener In- und Extensität in der Umgebung der Narbe aus.
Eine weitere Folgeerscheinung, die sich bei vorgeschrittenen Tuberkulose¬
fällen im Heilungszustand unangenehm bemerkbar machen kann, ist die
Neurasthenie. Durch die Toxine der Tuberkulose werden Disponierte und
Belastete stärker betroffen. Muskelermüdbarkeit, Morgenmüdigkeit, Willens¬
schwäche, hypochondrische Ueberängstlichkeit sind die Zeichen.
Nach dem Zuruhekommen einer vorgeschrittenen Erkrankung kann man
erst dann von Heilung sprechen, wenn der Rekonvaleszent mehrere Jahre
hindurch gesund geblieben ist, keine auf die Lunge zu beziehende Zwischen¬
fälle — außer harmlosen Katarrhen der Luftwege — mehr durchgemacbt hat,
keine Tuberkelbazillen und keine elastischen Fasern, auch nicht bei inter-
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
577
kurrenten Katarrhen, mehr absondert, im physikalischen und im Röntgenbefunde
Heilungssymptome darbietet und beim Vergleich mit den Befunden am Ende
seiner Krankheit nirgends neue Herde erkennen läßt. Das Vorhandensein yon
Aktivitätszeichen, ebenso eine positive Uerdreaktion nach subkutaner Tuber*
kulininjektion sprechen gegen Heilung; Kutan- und Ophthalmoreaktion können
für die Diagnose der Heilung nicht verwendet werden. Das Vorhandensein
von Bronchiektasie und Emphysem darf nicht hindern, die Heilung der
„ Tuberkulose anzuerkennen. Prognostisch haben diese Folgezustände bei mäßiger
Ausdehnung keine oder nur geringe Bedeutung; bei erheblicher Ausdehnung
schaffen sie eine Disposition zu posttuberkulösen Mischinfektionen und gefähr¬
lichen Pneumonien.
Selbst bei sehr ausgedehnten Narben und großen Organverschiebungen
kann sich die Lungen- und Herzfunktion an die veränderten Verhältnisse
anpassen. Trotz aller Einschränkungen werden nicht wenige, die eine vor¬
geschrittene Lungentuberkulose überstanden haben, wieder brauchbare Mitglieder
der menschlichen Gesellschaft. Die nach der Heilung hervorgebrachte Nach¬
kommenschaft der Geheilten ist zweifellos zur Tuberkulose disponiert; aber
wenn sie erkrankt, verläuft die Tuberkulose nach Turbans langjährigen
Beobachtungen fast ausnahmslos günstig und leichter als bei den Eltern. 4
' Dr. R o e p k e - Melsungen.
Zweck und Einrichtung von Tuberkulose-Sprechstunden ln Reserve¬
lazaretten; Erfahrungen über Lungentuberkulose nach Kriegsdienst. Von
Stabsarzt d. Res. Dr. H. Silber gl ei t - Ingolstadt. Zeitschrift für Tuber¬
kulose ; Bd. 25, Heft 4.
Der im Reservelazarett Ingolstadt einmal wöchentlich zur festgesetzten
Zeit eingerichteten Tuberkulösen-SprechBtunde kann jeder Truppenarzt und
jeder Arzt einer anderen Lazarettabteilung Soldaten zwecks Klärung der
Lungendiagnose zusenden. Die überwiesenen Kranken sollen einige Tage
vorher die Temperaturen täglich 2—3 mal gemessen haben. In der Sprechstunde
steht die klinische Untersuchung im Vordergründe. Das Sputum wird, wenn das
noch nicht geschehen ist, untersucht. Röntgendurchleuchtung steht zur Ver¬
fügung. Klinisch geklärte Fälle und Fiebernde werden durch Lazarettaufnahme
von der Truppe oder von- anderen Krankenstationen entfernt. Die nicht¬
infektiösen oder tuberkuloseverdächtigen Fälle werden so oft wie nötig wieder
bestellt und beobachtet. Wenn die Erfahrungen auch noch nicht sehr reichliche
sind, so läßt sich doch schon jetzt sagen, daß die Einrichtung^von Lungen¬
sprechstunden in größeren Garnisonen für die Entdeckung etwaiger in der
Ausbildungszeit manifest werdender Tuberkulose sehr wichtig ist. Jede offene
Lungentuberkulose, die herausgefunden und abgesondert wird, hätte bei der
engen Belegung für die Nachbarn schädlich werden können. Die Lungen¬
sprechstunde gestattet ferner, bei Bestimmung der Dienstfähigkeit zunächst
nicht gar zu ängstlich zu sein. Die vorübergehende Einstellung von latenten
Lungentuberkulosen, die vom Aushebungsarzte nicht erkannt werden konnten,
führen zu keiner Schädignng des Eingestellten. Die Beobachtung während der
militärischen Ausbildungszeit muß unter Mitwirkung der in der Garnison ein¬
gerichteten Lungensprechstunde entscheiden und führt gegebenenfalls zur Ein¬
leitung der Lungenfürsorge. <
Nach den Erfahrungen des Verfassers erklärt sich die häufiger beob¬
achtete starke Ausdehnung der Lungentuberkulose bei vorher gesunden
Soldaten nach Kriegsdienst nicht durch den Kriegsdienst allein, sondern durch
die Art des Beginnes der Tuberkulose mit einer akuten Lungenentzündung
oder Lungenblutung. Die Annahme, daß die pneumonische Form der Lungen¬
phthise eine durch den Kriegsdienst besonders gern entstehende Form der
Lungentuberkulose sei, ist nicht berechtigt; sie müßte sonst besonders häufig
bei den Soldaten auftreten, die schon früher tuberkulös erkrankt waren. Dies
ist aber nicht der Fall. Die betreffenden Krankenblätter sprechen auch von
fibrinöser Pneumonie: Beginn mit Schüttelfrost, Bestehen bleiben der Infiltration
nach Ablauf der akuten Lungenentzündung, Anhalten des hektischen Fiebers,
Nachweis des Tuberkelbacillus im Sputum.
Den Aerzten erwächst daher- die Aufgabe, Lungenentzündungen ihre
besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden, genügende Rekonvaleszentenzeit zu
678 Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
gewähren, jede nicht typisch ablanfende Lungenentzündung auf Tuberkulose¬
verdacht hin anznsehen. Soweit aas dem Material des Verfassers ersichtlich,
ist die Zahl der darch den Krieg entstandenen Tuberkulosen gering; sie gibt
in keiner Weise zu Besorgnis Anlaß, zumal die Fürsorge für Lungentuberkulose
in Deutschland gut aasgebaat ist. Dr. R o e p k e - Melsungen.
Klinische Bemerkungen zur ambulatorischen Tuberkulintherapie.
Von A. G ö t z L Das österreichische Sanitätswesen; XXVII. Jahrg., Nr. 45.
Nach den Erfahrungen einer dreijährigen Fürsorgetätigkeit ist die
ambulatorische Behandlung Tuberkulöser mit spezifisch wirkenden Mitteln nicht
nur berechtigt, sondern sie bildet ein wichtiges und unentbehrliches Glied in
der Reihe jener Maßnahmen, die in den Rahmen einer kassenärztlichen
Fürsorge fallen. Die Durchführung dieser Therapie bietet unter der Voraus¬
setzung einer genügenden Intelligenz der Kranken und aller gebotenen Vor¬
sichtsmaßregeln (Beobachtung der Temperatur, gelegentlicher Reaktionen usw.)
keine wesentlichen Schwierigkeiten; diese sind hier, wie auch sonst, vor¬
nehmlich in der Indikationsstellung zur Einleitung der Behandlung und in der
Beurteilung des Enderfolges gelegen.
G. läßt die Frage, ob durch die spezifische Behandlung Dauer-
heilungen zu erzielen waren, für die Mehrzahl der Behandelten wegen der
noch zu kurzen Beobachtungszeit in der Schwebe, hält aber bei einer kleinen
Gruppe dieses Ziel für erreicht. Viel deutlicher wird der Wert der spezifischen
Behandlung, sobald Erwerb und Erhaltung der Arbeitsfähigkeit der Kranken
als Maßstab für das Urteil herangezogen wird. Die ambulatorische spezifische
Behandlung bietet jedenfalls die Möglichkeit, ökonomische und soziale Werte
zu erhalten, die sonst mehr oder weniger rasch dem Untergänge preisgegeben
wären; sic muß schon aus diesem Grunde als ein wichtiger Faktor in der Be¬
kämpfung der sozialen Krankheit Tuberkulose angesehen werden. Eine
tabellarische Zusammenstellung der Krankengeschichten der Behandelten stützt
die Ausführungen. Dr. R o e p k e - Melsungen.
Grundlagen und Ergebnisse ambulatorischer Tuberkulinbehandlung.
Von M. Laub. Das österreichische Sanitätswesen; XXVII. Jahrg., Nr. 46.
In der Fürsorgestelle wurde bei 20(1 Patienten die Behandlung
durchgeführt mit Kochschem Alttnberkulin, das L. für das wirksamste and
zur ambulatorischen Behandlung besonders geeignet hält. Selbst in den ver¬
einzelten Fällen, die eine Tuberkulinüberempfindlichkeit zeigten und subfebrile
Temperaturen aufwiesen, hat sich die fortgesetzte Behandlung mit kleinsten
Alttuberkulin-Dosen von 'lioot—'/ioo mg sehr bewährt, während das Tuberku-
lomuzin von W e 1 e m i n s k i häufiger lokale Reaktionen, oft verbunden niit
Schüttelfrost und Temperatursteigerung auf 40", auslöste.
Von den 206 abgeschlossenen Fällen wurden 103 = 60°/o wesentlich
gebessert; es kam zu einer erheblichen Besserung und Hebung dos Allgemein¬
befindens, zum Schwinden der subjektiven Beschwerden und zu einer bedeutenden
Rückbildung der physikalischen Erscheinungen, so daß man sie auch als im
klinischen Sinno geheilt betrachten konnte. 79 Fälle » 38,35 °/o wurden ge¬
bessert; die subjektiven Beschwerden, Fieber, Nachtschweiße waren beseitigt,
Husten und Hpntum sehr wenig geworden oder fehlten ganz, das Allgemein¬
befinden war gut, das Körpergewicht gehoben, der physikalische Befund stationär
oder wenig zurückgebildet. Nur 24 Tuberkulose = 11,65°/« waren trotz der
spezifischen Behandlung im ganzen unverändert geblieben; sie verhielten sich ihr
gegenüber ebenso refraktär wie gegenüber der hygienisch-diätetischen Behandlung.
Zusammenfassend berichtet Raub, daß unter dem Einfluß des Tuber¬
kulins nicht bloß die Erwerbstätigkeit seiner unter nicht besonders günstigen
sozialen Verhältnissen lebenden Kranken erhalten geblieben ist, sondern auch
der Gesundheitszustand wesentlich gebessert und gekräftigt wurde. Neben
dem .Schwinden subjektiver Beschwerden waren auch objektive Besserungen so
einwandfrei nachzuweisen, daß in der ambulatorischen Tuberkulintherapie eine
wichtige Maßnahme zur Bekämpfung der Tuberkulose erblickt werden mnß.
Tabellarische Uebersichten geben über das Stadium der Tuberkulose, über
Körpergewicht, Dauer und Erfolg der Behandlung bei den 200 Fällen ein¬
gehende Angaben. Dr. B o e p k c-Melsungen.
Kleinere Mitteilungen and Beferate aoa Zeitschriften.« 679
Geschlecht and Taberkalosesterbllchkeit. Von J. Orth. Zeitschrift
für Tuberkulose; Bd. 25, Heft 4.
Die Forschungen Orths über die Beziehungen des Alkoholismus zur
Tuberkulose haben die merkwürdige Tatsache ergeben, daß die Uebersterblich-
keit der Männer an Tuberkulose, die früher schon mit dem 3. Lebensjahrzehnt
begann, in den letzten Jahren erst im 5. Jahrzehnt, also jenseits des 40. Lebens¬
jahres hervortritt. Das veranlaßt« den Verfasser, den Taberknlosesterblichkeits-
verhältnissen der Geschlechter näher nachzugehen.
An der seit langen Jahren in absteigender Bichtung sich bewegenden
Taberkulosesterblichkeit sind beide Geschlechter beteiligt, aber in ungleichem
Maße. Während der statistisch bearbeiteten 20 Jahre von 1894 bis 1913 beträgt
nach der Berechnung auf 10000 Lebende die Abnahme der Tuberkulosetodes¬
fälle 10,24 = 42,86 °/o, die Abnahme bei den Männern 45,14 °/o, die bei den
Franen 40,26 "/o. Die Verschiedenheit zwischen beiden Geschlechtern hat sich
immer mehr verwischt, die Uebersterblichkeit der Männer ist nur noch gering
(1911 = 1,09, 1913 = 1,12 auf 10000 Lebende).
Aach wenn man den Anteil der Tuberkulose an der Gesamtsterblichkeit
eines jeden Geschlechtes verfolgt, ist die Abnahme der Männersterblichkeit
größer als die der Frauen; der Unterschied ist größer als bei der vorigen
Berechnungsart. Bis zum Jahre 1904 ist die prozentuale Sterblichkeit aer
Frauen geringer als die der Männer, vom Jahre 1905 aber ist sie mit Ausnahme
des Jahres 1908 regelmäßig größer als die der Männer. Der Unterschied
zwischen 1894 und 1913 beträgt 0,58. Als Ursache sind die günstigeren
Arbeitsbedingungen anzusehen, die zweifellos für Männer eine überwiegende
Bedeutung haben. Der Gewerbehygiene muß also in erster Linie die
Besserung bei den Männern za verdanken sein. Dagegen bat sich ein regel¬
mäßiger, innerer Zusammenhang zwischen Influenza- and Taberkalosesterblich-
keit nicht nachweisen lassen.
Die Gescblechtersterblichkeit an Tuberkulose in verschiedenen Lebens¬
altern zeigt wesentliche Verschiedenheiten; auch in. diesen sind in letzter
Zeit bemerkenswerte Aenderungen eingetreten. In den ersten 5 Lebensjahren
war die Sterbeziffer der Knaben stets größer als diejenige der Mädchen; vom
5. Lebensjahre an starben verhältnismäßig mehr Mädchen als Knaben, zweifellos
infolge der höheren Empfindlichkeit der Mädchen während der Geschlechts-
entwicklungszeit und der mit dieser zusammenhängenden besonderen körper¬
lichen Umwälzungen. Von der Geschlechtsreife aufwärts, also vom 20. Lebens¬
jahr an, ist die Abnahme in der Altersstufe 20—40 keine gleichmäßige. Der
Umschwung des Verhältnisses in der Männer- und Frauensterblichkeit ist
zum wesentlichsten Teil bedingt worden durch die verstärkte Abnahme
der Männersterblichkeit in der Altersstufe über 25 bis 30 Jahre, während die
prozentuale mittlere Sterblichkeit der Frauen, die in den Altersklassen 20—40
stets größer war als die der Männer, in den Altersstufen 25—30 und 30—40 mehr
abgenommen hat. Jenseits des 40. Lebensjahres übertrifft die Männersterblichkeit
an Tuberkulose diejenige der Frauensterblichkeit weit und hat sich auch bis jetzt
dauernd höher erhalten. Aber auch in diesen höheren Altersklassen ist die Ab¬
nahme der Tuberkulosesterblichkeit bei den Männern eine weit größere als bei den
Frauen. Die Abnahme ist am stärksten für beide Geschlechter in dem 7. Lebens¬
jahrzehnt, in dem auch die Sterblichkeit überhaupt am größten ist. Für die
prozentuale Beteiligung der Tuberkulösen an den Todesfällen ist das 6. Jahr¬
zehnt das durch die größte Abnahme ausgezeichnete. Für das erhebliche
Ueberwiegen der Tuberkulose der Männer in den höheren Altersklassen hat
man dem Alkohol die Schuld geben wollen, nach Orth mit Unrecht. Vielmehr
laßt die Vergleichung der Sterbefälle an Delirium tremens und an Tuberkulose
in Preußen den Schluß zu, daß die starke Abnahme der Tuberkulosesterblich¬
keit bei alten Männern mit der Zunahme des Alkoholismus in ursächlicher
Beziehung steht. Da der Alkoholismus den Ablauf der Tuberkulose nach
Orths Feststellungen günstig beeinflußt, könnte durch ihn sehr wohl auch
eine Abnahme der Tuberkulosetodesfälle herbeigeführt werden.
Eine recht übersichtliche Darstellung der Verhältnisse vom Jahre 1893
und dem Jahre 1913 geben zwei Kurventafeln, von denen die erste die Sterbe¬
ziffern im Verhältnis zu 10000 Lebenden, die zweite diejenigen zu 100 Ge¬
storbenen der gleichen Altersklasse und des gleichen Geschlechtes wiedergibt.
58Ö Kleinere Mitteilungen and Beferate aas Zeitschriften.
Beide zeigen Uebereiastimmangen, aber auch große Verschiedenheiten, die zn
ergründen heute noch nicht möglich ist. „Aber wenn die Tatsachen erst einmal
festgestellt sind, wird man aach hoffen dürfen, allmählich zu einer Erklärung
dieser Tatsachen zu gelangen. Dr. B o e p k e - Melsungen.
Der Typus der Tuberkelbazillen bei menschlicher Tuberkulose. Von
Stabsarzt Prof. Dr. B. Möllers. Deutsche med. Wochenschrift ; 1916, Nr. 33.
Bis zum 1. Januar 1914 waren in den verschiedenen Weltteilen 20&1 Fälle
menschlicher Tuberkulose auf den Tuberkelbazillentypus in einwandfreier Weise
untersucht, davon durch den Verfasser im Institut für Infektionskrankheiten
Bobert Koch in Berlin insgesamt 114 Fälle von Tuberkulose der Lungen und
Bronchialdrüsen, der Knochen und Gelenke, der Hals- und Achseldrüsen, der
Abdominal- und Urogenitalorgane, der Haut und Schleimhäute und generalisierten
Tuberkulose einschließlich tuberkulöser Meningitis.
Von den aus der Gesamtzahl gewonnenen Beinkulturen gehörten 1848
dem humanen und 189 dem bovinen Typus an, während in 14 Fällen
bei demselben Menschen humane und bovine Tuberkelbazillen nachweisbar
waren. Im einzelnen zeigten von ♦
972 Fällen von Tuberk. der Lungen u. Bronchialdrüsen 966 hum., & bov., 2 gern-
163
ff
ff
„ „ Knochen und Gelenke
159
ff
4 „
—
yt
306
ff
p
generalisierter Tuberkulose
270
P
30 „
6
P
68
p
p
Meningitis tuberculosa
54
P
4 .
—
P
228
ff
ff
Tuberkulose der Hals- u. Achseldrüsen 172
P
56 „
—
fr
170
n
p
„ „ Abdominalorgane
107
P
58 „
&
H
39
p
p
„ „ Urogenitalorgane
38
P
1 „
—
P
81
*
p
Lupus
66
P
14 „
1
P
25
y»
ff
Tuberculosis verrucosa cutis
18
1»
12 *
—
ft
9
_ p
p
Schleimhauttub. (Mund u. Conjunktiva) 4
P
5 *
—
P _
2051
1848 hum., 189 bov., 14 gern.
Bei Trennung nach dem Lebensalter der untersuchten Fälle entfaUen auf
Kinder unter 5 Jahren 415 humane, 93 bovine Typen und 6 Mischinfektionen,
Jugendl. von 5—16 „ 244 „ 58 „ * , 1
Erwachsene über 16 „ 1132 „ 37 „ „ „ 7 „
Der Prozentsatz, der bovinen Typen fällt also bei den drei Altersklassen
von 18,09 ®/o auf 15,84 °/o und 3,14 °/o ; er beträgt überhaupt 9,21 °/o. Es würde
jedoch ein Trugschluß sein, anzunehmen, daß fast der zehnte Teil aller mensch¬
lichen Tuberkulosefälle auf einer Infektion mit Perlsuchtbazillen beruhte. Der
verhältnismäßig hohe Prozentsatz bowiner Infektionen erklärt sich aus der Art
des vorzugsweise untersuchten Materials und der durch den Verdauungstrakt
infizierten Fälle. Von 817 Untersuchungen bei Kindern wurden allein 278 Fälle
von Tuberkulose des Ernährungstraktus untersucht, die den höchsten Prozent¬
satz von allen bovinen Infektionen machen. Bei der tuberkulösen Erkrankung
der Lungen und Bronchialdrüsen, der häutigsten und gefährlichsten
Form der menschlichen Tuberkulose, fanden sich die bovinen Bazillen
nur in 0,5 °/o, bei den viel selteneren anderen Tuberkuloseformen in 16,8 # /o aller
untersuchten Fälle. Bei Zugrundelegung gleicher Prozentsätze würde sich
ein boviner Anteil von etwa l,8°/o bei allen menschlichen
Tuberkulose fällen ergeben.
Die erdrückende Mehrheit des bovinen Anteils entfällt auf die sicheren
oder doch höchst wahrscheinlichen Fälle sog. Fütterungstuberkulose;
d. s. 114 Fälle von Tuberkulose der Abdominalorgane, Hals- und Achseldrüsen.
Auch für die übrigen bovinen Infektionen ist der Verdauungsweg als Eintritts¬
pforte des bovinen Virus nicht ausgeschlossen. Ferner ist bemerkenswert, daß
von 189 Perlsuchtinfektionen weitaus die meisten, nämlicb
151, Jugendliche unter 16 Jahren betreffen; die Perlsucht¬
infektion ist also in erster Linie eine Erkrankung des Kindesalters.
Das wahllose Durchuntersuchen eines großen Kinderleichenmaterials in
Deutschland, Norwegen und Englaud wirft ein Licht auf dos verschieden
häutige Vorkommen von Kindertuberkulose in diesen drei Ländern.
Die Vergleichung der Zahlen ergibt, daß in England die Kinder in einem
erheblich höheren Grade an Tuberkulose leiden als in den beiden anderen
Kleinere Mitteilongen ond Beferate aus Zeitschriften.
581
Ländern ond daß in England die Tuberkulose des Kindesalters in dem hohen
Prozentsatz von 18,1 °/o der tuberkulösen Fälle und 8,8 °/o aller untersuchten
Fälle durch bovine Bazillen bedingt wird.
Danach ist die Grundlehre Robert Kochs als richtig bewiesen, daß
die Erreger der menschlichen und tierischen Tuberkulose von einander ver¬
schieden sind und daß im Kampfe gegen die Tuberkulose das Hauptgewicht
auf die Verhütung der Uebertragung von Mensch zu Mensch,
besonders in der Familie, zu legen ist. Aber auch die Rindertuberkulose
bedeutet eine nicht zu unterschätzende Gefahr, da sie zumal im Kindesalter,
eine zumeist unter dem Bilde der Nahrungsinfektion verlaufende, bisweilen
auch zum Tode führende Tuberkulose hervorzurufen imstande ist. Es sind
daher auch alle Maßnahmen zu unterstützen, die die Beschaffung einwandfreier
Milch und die Verhütung der Uebertragung einwandfreier Bazillen durch die
Milch perlsüchtiger Kühe bezwecken. Dr. Roepke-Melsungen.
Ueber die ätiologischen Beziehungen des Alkoholismus zur Tuber¬
kulose. Sitzungsbericht der Akademie der Wissenschaften io Paris, ref. von
Dr. L. Kathreiner. Münchener med. Wochenschrift; 1916, Nr. 35.
A. Chanveau berichtete am 5. Juni 1916 in der Akademie der Wissen¬
schaften in Turin über den Zusammenhang zwischen Alkoholismus und Tuber¬
kulose und führte aus, daß nicht der Alkohol als solcher, sondern die Häufig¬
keit der Infektion in den Alkoholausschankstätten die Gefahr bedeute. Auch
Landonzy sprach sich am 13. Juni 1916 ähnlich aus. Chanveau verlangte
als notwendige Maßregel zur Tuberkulosebekämpfung die Einschränkung und
hygienische Ueberwachung der Kneipen. (Referent hat vor Jahren diese An¬
sicht so formuliert: Es sterben ebenso viele Leute neben dem Maßkrug als im
Maßkrug). Dr. G r a ß 1 - Kempten.
D. Hygiene and öffentliches Gesundheitswesen.
1. Krankenfürsorge.
Das städtische Tuberkulose • Krankenhaus. Von Dr. H. ß r a e u n i n g -
Stettin. Tuberculosis 1916. Vol. 15, Nr. 4.
Das städtische Tuberkulose - Krankenhaus soll die Vorteile der allge¬
meinen Krankenhäuser mit denen der Heilstätten in sich vereinigen und von
der Gemeinde, event. mit Hilfe der Landesversicherungsanstalt und privater
Wohltäter und Vereine, errichtet werden. Sein Bau ist nicht kostspieliger, als
der eines allgemeinen Krankenhauses. An Stelle eines notwendig werdenden
neuen allgemeinen Krankenhauses empfiehlt sich die Errichtung des Tuber¬
kulose-Krankenhauses, um die übrigen Krankenhäuser zu entlasten.
Mit den allgemeinen Krankenhäusern hat das Tuberkulosekrankenhaus
folgendes gemeinsam: die Nähe zur Stadt, aber im Freien am besten im Nadel¬
wald gelegen; die vollkommene Teilung in voneinander getrennten Stationen
für Schwerkranke und Leichtkranke, offene und geschlossene Tuberkulose,
Beobachtungsfälle, Männer und Frauen; dabei verfügt jede Station über die
nötigen Nebenräume wie Reinigungsbad, Tageraum, Speisesaal, Stationsküche,
Klosetts usw.; das Vorhandensein von Untersuchungs- und Operationsräumen,
Laboratorien, medizinischen Bädern, Sektionsraum und Leichenkammer.
Gemeinsam mit der Heilstätte hat das Tuberkulose-Krankenhaus die
Lage im Walde; die Liegehallen mit soviel Liegeplätzen als Kranke auf¬
genommen werden können; die Beschränkung der Höchstbettenzahl auf 6 in
einem Zimmer, daneben Zimmer mit 1, 2 und 3 Betten; einen großen Garten,
Spielplätze, behagliche Speisezimmer, Krankenbibliothek usw.
Diese von N e i s s e r 1903 gegebenen Grundidee bedeutet eine Zentrali¬
sierung der Anstaltsbehandlung aller Tuberkulösen eines Gemeinwesens.
In der Zentralisierung der Tuberkulosebekämpfung ging Stettin noch weiter,
indem der ärztliche Leiter der Fürsorgestelle für Lungenkranke zum Chefarzt
des Tuberkulose - Krankenhauses und der Walderholungsstätte ernannt wurde.
Das trotz Krieg pünktlich am 1. Juli 1915 fertiggestellte Tuberkulose-
Krankenhaus der Stadt Stettin zeigt in der Gesamtanordnung vorn das Ver¬
waltungsgebäude mit den ärztlichen Laboratorien, Untersuchungszimmern,
Büros usw., dann rechts und links davon, durch Flure mit dem Verwaltungs-
582
Kleinere Mitteilungen and Beferate aas Zeitschriften.
gebäade verbanden, die Räame zar Aufnahme der Kranken und hinter dem
Verwaltungsgebäude den Wirtschaftsbetrieb. Die bebaute Fläche beträgt
3,9 ha, weitere 18,8 ha Land im Umkreis der bebauten Fläche sind als Garten
gepachtet und umzännt.
Das Verwaltungsgebäude enthält im Erdgeschoß: Wartezimmer für
Männer und Frauen, Vor- und Arbeitszimmer des Direktors, Untersuchungs-,
Operations-, Röntgenzimmer, Dunkelkammer, Laboratorium, Aerztebibliothek,
Apotheke, Büros; im ersten Obergeschoß: Wohnungen der Assistenzärzte, der
Schwestern, des Verwaltungsinspektors; im zweiten Obergeschoß: Wohnungen
für Dienstmädchen.
Jeder Krankenhausbau besteht aus Kellern und drei Stockwerken; jedes
Stockwerk hat zwei Stationen, jede Station 26 Betten, so daß das ganze Haus
6 Stationen mit zusammen 156 Betten hat, außer den für Geisteskranke und
Infektionsfälle vorgesehenen Betten. Alle Krankenzimmer liegen nach Süden,
keine hat mehr als 6 Betten, ln drei nach Norden angebauten Flügeln liegen
die Nebenräume (Küche, Speisesaal, Bad, Klosett usw.). Im Erdgeschoß ist
für jede Station ein Zimmer zum Wechseln und Reinigen der Stiefeln ein¬
gerichtet mit verschließbarem Schubfach für jeden Kranken, das durch die
Zentralheizung zum Trocknen der Stiefel geheizt werden kann. Im Keller¬
geschoß hat jede Station ein Waschzimmer, das durch einen bespülbaren Schacht
mit der Station verbunden ist, während der Wäscheschacht in einem mit Des¬
infektionsflüssigkeit zu füllenden Trog mündet. Die Liegehallen sind im
Osten und Westen an das Krankenhaus angebaut in drei Stockwerken, so daß
sie in gleicher Höhe mit den Stationen liegen, die Aufsicht erleichtern und den
Schwerkranken das Erreichen der Liegehallen bequem machen. Die 26 Liege¬
stühle stehen in zwei Reihen hintereinander, die zweite Reihe etwas höher;
auf dem Dache der westlichen Liegehalle befindet sich ein Sonnenbad. Im
Keller liegen ferner, durch den Personenaufzug bequem zu erreichen, Dusche¬
räume, Räume für Inhalatorien, künstliche Höhensonne; abgetrennter Sektions-
raum und Leichenkammer. Die beiden Obergeschosse weichen vom Erdgeschoß
insofern ab, als die Schuhräume zu Zimmern für Pflegerinnen, Wärter and
Stationsmädchen eingerichtet sind. Vor der Mitte der Südfront sind Baikone
und eine mit Glas gedeckte Liegehalle vorgesehen, hinter ihnen liegen Einzel¬
zimmer für Schwerkranke oder Patienten I. und II. Klasse; die Türen sind hier
so breit, daß das Bett bequem hinausgefahren werden kann.
Alle den Wirtschaftsbetrieb dienenden Häuser sind um einen Hof an¬
geordnet, dem Krankenhausbau am nächsten die Bauptkochkücbe, die Wasch¬
küche and das Desinfektionshaus, am entferntesten Maschinenbaus und Werk¬
stätten. Hier befinden sich auch die Wohnungen der verheirateten Angestellten.
Maschinen ersetzen nach Möglichkeit Menschenkräfte. Ein Desinfektionsapparat
desinfiziert Sputa und Speisereste.
Das Krankenhaus ist eine geschlossene Anstalt. Die Kranken III. Klasse
tragen Anstaltskleidung und dürfen das Grundstück nicht verlassen. Das ge¬
samte Anstaltsgelände beträgt 227 000 qm.
Die Kosten betragen für Geländeerwerb 31439 M., für Baukosten mit
Vorarbeiten 996016 M., für Inventar 184 000 M., zusammen 1211514 M. Da
die Anstalt (mit Betten für Geistes- und ansteckende Kranke) 164 Betten hat,
kostet das Bett einschließlich Grunderwerb und Inventar 7387 M. Nach voll¬
ständigem Ausbau auf 328 Betten wird sich das Bett auf rund 5500 M. stellen
mit Grunderwerb und Inventar, also billiger als beim Bau eines allgemeinen
Krankenhauses. Es kann daher den Städten, deren Krankenhäuser voll belegt
sind, auch in Rücksicht auf die Kosten nur geraten werden, für die verstreut
liegenden Tuberkulösen ein Tuberkulose - Krankenhaus zu bauen.
_ _ Dr. R o e p k e - Melsungen.
2. 8ozinle Hygiene.
Die sündllcbe Ammen-Mlethe. Von J. G. Jördensen, Pfarrer zu
Gailsdorf. Voigtland 1709. Abdruck bei Conrad Paris; Berlin N. 58, 1914.
Aus dem kleinen Büchlein können wir manches lernen. Der Verfasser
bringt vor, daß man schon damals die Ersatzprodukte der Muttermilch „die
Kuhmilch und durch Feuer bereitete Tränke“ kennt; als Normalzeit der Brust¬
darreichung bezeichnet er zwei Jahre; er schildert die Gewohnheiten der da-
Keinere Mitteilungen und Beterate aus Zeitschriften.
688
maligen Frauen der Oberstände, die fast nie mehr ihren Kindern die Brust
reichen und geht mit diesen Frauen scharf ins Gericht. 12 Entschuldigungen
der damaligen Franen für die Verweigerung der Brust hebt er besonders hervor
' und widerlegt sie mit religiösen und medizinischen Gründen. Die angeblichen
Gründe der Brustverweigerung muten uns ganz modern an; sie sind die nämlichen,
die auch heute noch angeführt werden. Er führt Beispiele aus der Geschichte an,
die für die Darreichung der eigenen Mutterbrust sprechen. Auch die Tatsache,
daß manchmal die Brust versagt, kennt er und betont, daß durch Geschicklich¬
keit und Fleiß dieser Mangel oft gehoben werden kann. „Selig sind die Brüste,
die du gesogen hast", gilt ihn als Höchstes. So unscheinbar das Büchlein ist,
so belehrend ist es. Dr. G r a ß 1 - Kempten.
Mangelhafte Ernährung als Ursache von Sexualstörungen bei Frauen.
Von Dr. Josef von Jaworski, Frauenarzt in Warschau. Aus dem Kranken¬
hause zum hl. Bock in Warschau. Wiener klinische Wochenschrift; 1916, Nr. 34.
Verfasser berichtet über Reservistenfrauen, die dem großstädtischen
Proletariat Warschaus angehören, und unter den schwersten materiellen
Verhältnissen in Not, psychischer Depression und in der Sorge um das Be¬
finden ihrer Familienmitglieder leben. Die tägliche Nahrung dieser Frauen
bestand aus Kartoffeln, selten aus Grütze, Kohl; Schmalz, auch Zucker fehlte
nahezu ganz. Bei diesen Frauen konnte der Autor nach weisen: 1. Gänzliches
Aufhören der Menstruation, meist seit 4 Monaten; 2. eine bedeutende Zu¬
sammenziehung der Gebärmutter, die die physiologische Schrumpfung, die
nach der Geburt oder beim Stillen eintritt, wesentlich übertrifft; 3. eine Rück¬
bildung der Zeugungsorgane als Zeichen des frühzeitigen Klimakteriums; 4. das
Verschwinden des Geschlechtstriebes.
Der Zusammenhang einer mangelhaften Ernährung mit manchen
Sexualstörungen der Frauen wurde durch die Untersuchungen russischer Autoren
festgestellt, ln Bezirken mit unfruchtbarem Boden und Mangel an Getreide
erscheint die Menstruation viel später als sonst; während schwerer Arbeit
im Felde bleiben die Menses einige Monate völlig aus (Ott, Zbankow).
Zu der langdauernden und ungenügenden Zwangsernährung kommen
als weitere ätiologische Momente — neben Kummer und Sorgen — noch sehr
ungünstige Wohnungsverhältnisse hinzu. Die Wohnungen sind schmutzig, eng
und feucht. Dr. Mayer-Simmern.
Die Bedeutung der Konstitutionsanomalien und der Konstitutions¬
krankheiten für den Gynaekologen. Probevortrag, gehalten zur Erlangung
der Venia legendi. Von Dr. Josef Novak. Wiener klinische Wochenschrift;
1916, Nr. 34.
Ebenso wie die in dieser Zeitschrift Nr. 17 erschienene Arbeit Döllners:
„Neue Aufgaben für die deutschen Aerzte warnt der Verfasser vor dem Ver¬
fallen in einseitiges Spezialistentum. Die Kenntnis der Konstitutionsanomalien
bietet wirksame Anhaltspunkte zu einer zielbewußten Familien- und Rassen¬
hygiene. Der Gynaekologe, der ebenso wie jeder andere Spezialist leicht Ge¬
fahr läuft, bei Vertiefung in sein Spezialfach den Blick für das Ganze zu ver¬
lieren, wird durch die Konstitutionslehre immer wieder auf die Tatsache hin¬
gewiesen, daß wir nicht Krankheiten, sondern kranke Menschen zu behandeln
haben, von denen jeder eine konstitutionell bedingte, durch äußere Einflüsse
modellierte Individualität besitzt. Der Autor schildert zunächst die as theni-
8eben Individuen, bei denen die Wurzel des Uebels in der Psyche sitzt;
die Kranken sind leicht ermüdbar, widerstandslos gegenüber den vielfachen
Ansprüchen des Lebens, meist deprimiert und von hypochondrischen Vor¬
stellungen geplagt. Die völlige Verkennung der asthenischen Konstitution
und die dadurch bedingte Polypragmasie der Gynaekologie war es, die dem
Ansehen des Faches eine Zeitlang sehr geschadet und zu manchen scharfen
satirischen Ausfällen besonders der Internen und Neurologen herausgefordert
hat. Verfasser bespricht dann den Infantilismus, das Stehenbleiben auf
einer Entwicklungsstufe, die ein normales Individuum dieses Alters bereits
zurückgelegt hat. Die Psyche dieser Frauen kann ohne Abweichung erscheinen,
doch kann auch hier ein kindisches Wesen, eine Unfertigkeit des Charakters,
Neigung zu Phantastereien und hysterischen Störungen eine Entwicklungs-
584
Bericht über die außerordentliche Tagung fttr praktische
hemmung der Psyche verraten. Bei Erwähnung des Status thymo-
lymphaticus gedenkt der Verfasser der auffallend geringen Widerstands¬
fähigkeit gegenüber verschiedenen Schädigungen. Plötzliche, völlig unvermutete
Todesfälle bei kurzer Narkose, geringfügigen operativen Eingriffen, bei allem
Anschein nach nicht schweren Infektionskrankheiten sind sehr häufig auf diese
Konstitutionsanomalie zurückzuführen. Mit einer FunktionBänderung der inner¬
sekretorischen Drüsen hängt auch der Eunuchoidismus zusammen, der
vorübergehend — vor der Pubertät — oder dauernd einen Zustand schaffen
kann, welcher mit dem Kastrationstypus eine große Aehnlichkeit hat. Wesentlich
ist auch die Kenntnis des Mb. Basedor, des Kretinismus, des Myxoedems, der
Akromegalie, der hypophysären Fettsucht, des hypophysären Kiesen- und
Zwergwuchses und des Mb. Addisonii für den Spezialarzt.
_ Dr. Mayer-Simmem.
Ueber den Einfluß des Krieges auf die erblich-organische Höher¬
entwicklung in Europa. Von Dr. Vaerting-Berlin. Archiv für Soziale
Hygiene; Bd. 11, Heft 4.
Kein Rassenbiologe zweifelt heute wohl kaum an dem kontraselek-
torischen Prinzip des Krieges hinsichtlich der Individualauslese; dagegen gehen
die Meinungen auseinander bezüglich der Gruppenauslese. Der heutige Krieg
richtet unter den biologischen Erbgütern aller beteiligten Völker solche Ver¬
wüstungen an, daß die Theorie von den förderlichen Wirkungen der Gruppen¬
auslese kaum diesen Krieg überdauern wird, der für Europa die Gefahr einer
ganz anders gerichteten biologischen Gruppenauslese mit sich bringt. Mehr
als Sieg oder Niederlage scheint heute über die Zukunft der Völker Krieg
oder Frieden zu entscheiden. Dr. Wolf-Hanau.
Aus der „Deutschen Gesellschaft für Bovölkerungspolltik“.
Im Augast-Heft der Mitteilungen sind zwei Abhandlungen enthalten,
die auch die Verwaltungsärzte angeht.
Zunächst die Frage der Präventivmittel: Der verstorbene Geh.
Med.-Rat frof. Dr. N e i s s e r erwähnt in seinem Referate, daß 50 °/o der kinder¬
losen Ehen durch Tripper herbeigeführt sind, daß in Deutschland jährlich 200000
Befruchtungen infolge Tripper unmöglich werden, daß bis zu 6 °/» der Schwanger¬
schaften Erkrankungen bei Syphilisfamilien verkommen können. Er empfiehlt
warm den Verkehr mit Präventivmittel und sucht die Einwendungen zu
widerlegen. In bezug auf die Hebammen fordert er jedoch strengste Ueber-
wachung; denn diese führten durch gewissen- und mittellose Einbringung der
Schutzmittel nicht selten Aborten herbei, leisten dadurch Vorschub. Die Kreis¬
ärzte werden deshalb aufgefordert, die Hebammen strenger zu überwachen; sie
müßten höhere Befugnisse in der Ueberwachung der Hebammen haben. „Es
hängt wesentlich von dem energischen Wollen und der unabsichtlichen Strenge
der Aufsichtsbehörden ab, diese eine nicht kleine Quelle der Abtreibungen zu
verstopfen.“
Gegen diese dem Hebammenstande und dem Verwaltungsbeamten hier
gemachten Vorwürfe des Verfassers muß Stellung genommen werden. Er über¬
treibt zweifellos die Häufigkeit der Kindsabtreibungen durch die Hebammen,
sei es auf fahrlässigem, sei es auf absichtlichem Wege. Er generalisiert einzelne
Vorkommnisse und beschuldigt den ganzen Stand, ohno auch nur den Schatten
eines Beweises für seine schwere Anschuldigung zu erheben. Verfasser hätte
gut getan, dem eigenen Stande, nämlich dem der Aerzte, die gleiche Vorschrift
zu geben; dann könnte man auch mit seinem Vorwurf gegen die Hebammen
sich ablinden. Dio Kreis- und Bezirksärzte brauchen jedenfalls gegen die
Hebammen nicht scharf gemacht zu werden; sic wissen, daß der Stand im
allgemeinen den Anforderungen genügt und kennen die reuigen Schafe darunter.
Die Anträge der Gesellschaft selbst an den Bundesrat lauten:
1. Es möge nicht allein jedes unaufgefordert an das Publikum sich
herandrängende ; Anbieten und Anpreisen durch Kataloge, Drucksachen,
Hausieren usw., sondern auch das Feilhalten und der Vertrieb von solchen
Gegenständen, die zur Beseitigung der Schwangerschaft oder zur Verhütung
der Empfängnis geeignet sind, beschränkt oder untersagt werden. Ebenso sind
Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften.
685
auch alle für das Laienpublikum bestimmte Schriften and Bücher, in denen
sich Beschreibungen der antikonzeptionellen nnd znr Unterbrechung der
Schwangerschaft geeigneten Methoden und Mittel finden, zu verbieten.
2. Es möge dem § 184 des St.G.B. ein Absatz 3 angehängt werden,
etwa folgenden Wortlantes: Nicht als ungünstig gelten diejenigen Mittel, die,
ohne die Empfängnis zu verhüten, zum persönlichen Schutz der Gesundheit
dienen; es sei denn, daß ihre öffentliche Anpreisung und Ausstellung in einer
anstößigen und den Anstand gröblich verletzenden Weise vor sich geht.
8. Wird das Gesetz wider Körperverletzung auch auf die Ansteckung
auszudehnen beantragt.
Hierzu möchte ich bemerken, daß das Verbot dqr „aufklärenden"
Schriften offenbar das wirksamste wäre, daß aber gerade dieses am wenigsten
zu erwarten ist, da das Verbot der Schriften der Kurpfuscher ein Teil des
Pfuscherwesens selbst ist und das Pfuschertum in Deutschland nicht verboten
werden wird.
Das Merkmal der „Unsittlichkeit“, das als vorhanden angenommen wird,
wenn das Mittel zur Verhütung der Konzeption, als nicht vorhanden, wenn es
zum außerehelichen Geschlechtsgebrauch verwendet wird, ist medizinischen und
nicht moralischen Ursprungs.
Ferner ist das Zölibat derLehrerinnen eingehend besprochen und
namentlich darauf hingewiesen, daß die verheirateten Lehrerinnen die Schritt-
macherinnen des Zwei- und Einkindersyptems auch auf dem Lande sein würden
und dadurch der Nation mehr schaden als nützen. Dr. G r a ß 1 - Kempten.
Die planmäßige periodische Untersuchung anscheinend Gesunder.
Von Sanitätsrat Dr. Sonnenberger-Worms. Halbmonatsschrift für soziale
Hygiene und praktische Medizin; 1916, Nr. 17.
Die planmäßige periodische Untersuchung anscheinend Gesunder ist von
sozial- und individual-hygienischer Bedeutung. Planmäßig hat sie bis jetrt
nur die LebensversicheruDgsmedizin in Angriff genommen; jetzt kommt die
Untersuchung der Säuglinge und Schulkinder hinzu. In Amerika hat man
bereits ein eignes Institut errichtet, das Lebensverlängerungs-Institut; die
Arbeiten dieses Instituts haben Florschtttz und Gottstein zu weiteren
Publikationen angeregt. Die planmäßige Durchuntersuchung sämtlicher An¬
gehörigen eines bestimmten Lebensabschnittes bringt erst Licht über die Aus¬
dehnung von Krankheitsanlagen und deren späteren Weiterentwicklung. Diese
jetzt empfohlene Methode wird erst über die näheren Verhältnisse der Tuber¬
kulose-Durchseuchung Aufschluß bringen, wird über planmäßige Vermeidung
von Erkrankungen durch vorbeugende Kuren aufklären, wird die Volksgesund¬
heit stärken und kräftigen, weil sie die Möglichkeit gibt, alle Untersuchten
bei den ersten Abweichungen vom Normalen der ärztlichen Fürsorge und evtl.
Behandlung zu überweisen.
Wir wissen, daß die Sterblichkeit um so geringer ist, je früher Patienten
dem Krankenhause überwiesen werden.
Für die Erhaltung der Volksgesundheit bedarf es der periodischen
Massenuntersuchung der Gesunden, besonders nach dem Kriege, weil da
vor allem es wichtig ist, Menschenleben zu schonen und zu kräftigen.
Dr. Hoffmann -Berlin.
3. Hebammenwesen.
Die Aussichten der Hebammenreform nach Friedensscbluß. Von
Dr. Rißmann, Direktor der Hebammenschule in Osnabrück. Der Frauen¬
arzt; 1916, Heft 6 und 8.
Die Not des Krieges hat allen Bestrebungen, die gegen den Geburten¬
rückgang in Deutschland gerichtet sind, frischen und starken Zuwachs ge¬
bracht. Nicht selten ist dabei auch einer Reform des Hebammenwesens das
Wort geredet. Nach den bisherigen Erfahrungen darf man aber in dieser
Hinsicht nicht zu optimistisch sein, obwohl der Mutterschutz mindestens ebenso
wichtig ist als der Säuglings- u. Kinderschutz, diesen sogar eigentlich vorausgehen
686
Tagesnachrichten.
maß. Dnrch eine geschickte aasgedehnte Propaganda ist in den letzten Jahren
sehr viel auf dem Qebiete des Bäuglingsschutzea erreicht worden; Verfasser
beabsichtigt in gleicher Weise nach Friedensschiaß auch im Interesse des
Matterschatzes and der damit eng zusammen hängenden Hebammenreform vor-
zagehen. Er will mit Beihilfe von Kollegen eine ganz große Versammlung
der Frauenvereine Berlins zusammenrufen, am die Wichtigkeit einer Beform
des Hebammenwesens der deutschen Frauenwelt and damit einem breiteren
Pablikam klar za legen. Eine solche Versammlung werde auch den Plänen
eines Beichsgesetzes für Hebammenschwestern kräftige Unter¬
stützung gewähren. Erfreulicher Weise ist in den beteiligten Kreisen immer
mehr die Notwendigkeit einer Mitwirkung der Hebammen bei der Bekämpfung
der Säuglingssterblichkeit anerkannt; dazu ist aber nach Verfassers Ansicht
eine bessere Vorbildung und eine längere Ausbildung (einjährige
Lehrzeit oder Hinzufügung eines praktischen Vierteljahrs) erforderlich;
außerdem sollten die Hebammen auch Hebammenschwestern genannt
werden und im Berufe eine den Schwestern ähnliche Tracht zu tragen
berechtigt sein. Auch an die Vorbildung der Heb am m en lehr er müßten
höhere Anforderungen (mindestens eine 3—5 jähr. Arbeitszeit an einer Hebammen¬
schale) gestellt werden. Verfasser wünscht ferner noch 1. Vergrößerung der
Hebammenschalen durch geburtshilfliche Polikliniken, Mütter- und Kinder-
beratangsstellen und Säuglingsabteilung; 2. Ausbau des Bezirkshebammenwesens
auch nach der Bichtung hin, daß die Hebamme den Kreisarzt in den „Für-
sorgeämtern“ in weitgehender Weise unterstützen soll, und Beseitigung der
schrankenlosen Hebammenkonkurrenz, sowie 3. Erlaß eines Gesetzes für Wochen¬
bettpflegerinnen.
In einem Nachwort wendet sich Verfasser dann gegen die von Prof.
Dr. Langstein auf der Gründerversammlung „der Spende Deutschlands für
Säuglings- und Kinderschatz“ vertretenen Ansicht, daß auch auf dem Lande
„durch den Besuch und den Bat ausgebildcter Fürsorgerinnen eine wirksame
Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit möglich sei.“ Er steht mit Becht auf
den auch von dem Beferenten und sicherlich auch von vielen beamteten und
nicht beamteten Aerzten geteilten Standpunkt, daß dasselbe Ziel durch eine
zeitgemäße Beform des Hebammenwesens und durch eine ausgiebige Heran¬
ziehung entsprechend ausgebildeter und finanziell besser gestellter Hebammen
viel einfacher und billiger zu erreichen ist, als durch Anstellung von besonderen
Säuglingsfürsorgerinnen. Bpd.
Tagesnachrichten.
Herabsetzung der Kriegsbesoldung für Offiziere usw. und Militlr-
ärzte. Nach der im Armee-Verordnungsblatt veröffentlichten Kaiserlichen
Kabinettsorder und dem sich darauf beziehenden Erlaß des Preußischen
Kriegsministeriums vom 19. September 1916 sind vom 1. Oktober 1916
ab folgende Aenderungen eingetreten:
Die monatliche Dienstzulage wird ermäßigt: für den Kriegsminister
und die Armee-Oberbefehlshaber um je 1000 M., für kommandierende Generale
und Offiziere in Stellen mit gleichen Gebührnissen um je 050 M., die monatliche
Feldbesoldung für Divisionskommandeure und Offiziere in Stellen mit
gleichen Gebührnissen um je 150 M., jedoch bleiben die bisherigen Gebührnisse
bei den Generalen, die vor dem 1. Oktober 1916 mit den vorbezcichneten Steiles
bereits beliehen sind, von den vorstehenden Festsetzungen unberührt.
Hauptleute oder Rittmeister usw. sowie Stabsärzte erhalten bei
Formationen mit mobiler Besoldung ein monatliches Gehalt von 510 M„ bei
Formationen mit immobiler Besoldung ein monatliches Gehalt von 450 M.
Neben diesem Gehalt beziehen diejenigen, die die dienstgradmäßigen Gebühr¬
nisse bereits erhalten oder in diese bis zum 30. September 1916 einschließlich
einrücken — gleichgültig, ob sie Anspruch auf die mobile oder immobile Be¬
soldung haben — den Unterschied zwischen ihrer bisherigen und der neufest¬
gesetzten Besoldung mit 145 M. als Monatszulage.
Oberleutnants usw. sowie Oberärzte, Assistenzärzte, Feld¬
hilfsärzte erhalten bei Formationen mit mobiler Besoldung ein monat-
Tagesnachrichten.
587
liches Gehalt von 250 M., bei Formationen mit immobiler Besoldung
ein monatliches Gehalt von 220 M. Neben diesem Gehalt beziehen — gleich¬
gültig, ob sie Anspruch auf die mobile oder immobile Besoldung haben — alle
diejenigen, die diesen Dienstgrad bereits besitzen oder bis zum 30. Sep¬
tember einschl. erlangen, sowie solche Assistenzärzte, Feld¬
hilfsärzte, die zwar erst vom 1. Oktober 1916 einschließlich ab hierzu be¬
fördert oder ernannt werden, aber verheiratet sind, eine Monatszulage
von 60 M.
Für den Bezug der verringerten Gebührnisse ist der Tag maßgebend’
an dem die die Beförderung usw. aussprechende Allerhöchste Kabinetsorder
oder die sonst in Betracht kommende Verfügung erlassen worden ist.
Die Monatszulagen von 145 oder 60 M. zählen mit dem Gehalt zur
Eriegsbesoldung; sie sind nicht nach Tagen, sondern in vollen Monatssätzen
nach den allgemeinen Bestimmungen der §§ 8, 53 und 71 der Kriegsbesoldungs¬
vorschrift monatlich im voraus zu zahlen.
Nach den Grundsätzen für Verheiratete sind auch abzufinden:
a) unverheiratete Leutnants, Assistenzärzte usw., die den Unterhalt
bedürftiger Angehöriger, nämlich von Verwandten der ansteigenden Linie,
Geschwistern, Geschwisterkindern oder Pflegekindern ganz oder überwiegend
bestreiten,
b) verheiratet gewesene Leutnants, Assistenzärzte usw. unter den Voraus¬
setzungen zu a) oder sofern sie eheliche oder legitimierte Abkömmlinge haben.
Die Monatszulage von 60M. ist auch solchen Leutnants, Assi stenzärzten
zu gewähren, die erst nach ihrer Beförderung sich verheiraten oder bedürftigen
Angehörigen den Unterhalt gewähren. Sie wird zuständig mit dem Ersten und
endigt mit dem Letzten des Monats, in dem die Voraussetzungen für die
Gewährung eintreten oder wegfallen.
Der vom Reichstag eingesetzte Sonderausschuß für Bevölkerungs¬
politik hat beschlossen, durch einen Unterausschuß einen Arbeitsplan ent¬
werfen zu lassen, ln diesen Unterausschuß wurden gewählt die Abgeordneten
Dr. van Calker (natl.), Dr. Faßbender (Ztr.), Dr. Quarck (Soz.),
Dr. Struve (Vp.), Dr. Werner (Deutsche Fraktion). Der Ausschuß will die
ihm obliegende Arbeit sehr tatkräftig betreiben und dazu, wenn dies nötig
und möglich ist, auch über die gegenwärtige Tagung des Reichstages hinaus
versammelt bleiben. Die Beratungen sollen mit einer Prüfung darüber be¬
ginnen, wie die Geschlechtskrankheiten einzudämmen sind. Bericht¬
erstatter für das Plenum ist Abg. Dr. Struve (Vp.).
Ehrentafel. Es haben weiterhin erhalten:
Das Eiserne Kreuz I. Kasse:
Stabsarzt d. Res. und Regimentsarzt Dr. Althoff-Recklinghausen.
-Oberarzt d. Res. und Bataillonsarzt Dr. Heinrich Becker-Siegburg
(Rheinprovinz).
Generalober- und Divisionsarzt Dr. E b e r t z - Mörchingen (Lothringen).
Oberstabs- und Divisionsarzt Dr. H i n t z e - Sprottau.
Oberstabsarzt d. L. und Reg.-Arzt San.-Rat Dr. Heinr. Holtermann-
Neustadt (Mecklenburg-Schwerin).
Oberstabsarzt d. L. San.-Rat Dr. Richard Jahn-Wriezen (Reg.-Bez.
Potsdam).
Stabsarzt d. Res. und Reg.-Arzt Dr. Koebisch, Besitzer des Sanatoriums
Friedrichshöhe in Oberniga (Reg.-Bez. Breslau).
Assistenzarzt d. Res. und Abteilungsarzt Dr. Alfred Sartorius-
München.
Oberarzt d. Res. Dr. Schaef er-Ballenstedt im Harz.
Oberstabsarzt Dr. Schloßberger-Stnttgart.
Landsturmpfl. Arzt Dr. Ludwig Stambach-Pützchen bei Bonn.
Generaioberarzt d. L. Prof. Dr. T i e t z e - Breslau.
Das Eiserne Kreuz II. Klasse am schwarz-weißen Bande:
Dr. Wollenweber in Dortmund; Führer eines Lazarettzuges.
588
Tagesnachrichten.
Ehren - Oed&ohtnistafel. Für das Taterland gefallen oder gestorben:
Oberarzt d. Bes. Or. Otto Barth- Stuttgart.
Stabsarzt d. L. Dr. M. Braasewetter (früher in Madrid).
Stabsarzt d. Bes. Dr. Ernst Fritsche-EHenbarg.
Feldhilfsarzt OttoFritzsche -Oberschiemma bei Schwarzenberg (König¬
reich Sachsen).
Oberarzt Dr. Alfred Henkel- Straßbnrg i. Eis.
Assistenzarzt d. Bes. Dr. F. H o f f - Magdeburg.
Stabsarzt d. Bes. Dr. Wilhelm Lab an n-Schenefeld (Schleswig-Holstein).
Stabsarzt d. Bes. Dr. Sander-Schweinfurt.
Assistenzarzt d. Bes. Dr. Schiffmann -Stralsund.
Med.-Bat Dr. Schow, Kreisarzt in Tondern, zuletzt Kreisarzt in Bnss.-Polen.
Leutnant d. Bes. Dr. med. Hans Schulze-Göttingen.
Stabsarzt d. L. Dr. Martin Segal-Vitz (Beg.-Bez. Frankfurt).
Oberstabsarzt d. L. und Beg.-Arzt Dr. Stoll, Oberamtsarzt in Tübingen.
Stabsarzt d. Bes. Dr. Heinrich Tillmann-Crefeld.
Landsturmpflichtiger Arzt Dr. Eduard Trautwein-Kreuznach.
Abteilungsarzt Dr. Ludwig Wechselmann-Kattowitz (Oberschlesien)
(gestorben infolge eines Unfalls).
Abteilungsarzt Dr. Heinr. W i g e 1 s - Worms (infolge von Krankheit gest).
Ferner ist auf dem Felde der Ehre gefallen: Yizefeldwebel Schlüter,
stud. med., Sohn des Geh. Med.-Bats Dr. Schlüter, Kreisarzt in Gütersloh.
ln der Ehrengedächtnistafel in Nr. 18 der Zeitschrift, S. 564 muß es statt
„Dr. Maximilian Frey- Saarbrücken“ heißen: „Dr. JuliusFey“- Saarbrücken.
Cholera: Bosnien und Herzegowina sind seit Mitte August
ebenso cholerafrei, wie Oesterreich und Ungarn. In der Türkei ist da¬
gegen die Seuche in Samsun (Kleinasien) wieder heftiger aufgetreten.
Fleckfieber: In Ungarn sind in den Wochen vom 14. August bis
8. September 1, 8 und 1 Erkrankungen amtlich gemeldet.
Pocken: Im Deutschen Beiche sind in den Wochen vom 10. bis
23. September 10 und 1 sowie 6 Erkrankungen nachträglich gemeldet.
Erkrankungen and Todesfälle an ansteckenden Krankheiten ln
Preußen. Nach dem Ministerialblatt für Medizinal-Angelegenheiten sind in der
Zeit vom 27. August bis 9. September 1916 erkrankt (gestorben) an Pest,
Gelbfieber, Cholera, Trichinose, Aussatz, Malaria, Fleck¬
fieber, Bückfallfieber, Paratyphus, Botz: — (—), — (—); Bi߬
verletzungen durch tollwutverdäcbtige Tiere: 10 (—), 3 (—);
Tollwut: 1 (—), — (—); Milzbrand: 1 (—), 1 (—); Pocken: 6 (—),
8 (1); Unterleibstyphus: 830 (25), 827 (21); Buhr: 661 (58), 725(65);
Diphtherie: 1732 (95), 1909 (101); Scharlach: 1188 (69), 1332 (56);
Kindbettfieber: 53 (14), 46 (18); Genickstarre: 5 (3), 6 (2);
spinaler Kinderlähmung: 7 (—), 3 (—); Fleisch-, Fisch- und
Wurstvergiftung: 1 (—), 66 (—); Pilzvergiftung: 3 (—), — (—);
Körnerkrankheit (erkrankt): 68,70; Tuberkulose (gest.): 616,617.
Mitteilung für die Medizinalbeamten.
Entsprechend zahlreichen Wünschen aus den Kreisen der Medizinalbeamten
haben sich Herausgeber und Verlagsbuchhandlung entschlossen, den Kalender
für Medizinalbeamte wieder erscheinen zu lassen. Der neae
Jahrgang 1917 wird Mitte Dezember d. J. zur Ausgabe gelangen; die
Unterzeichnete Verlagsbuchhandlung nimmt schon jetzt Bestellungen
entgegen.
Die Verlagsbuchhandlung. Der Herausgeber.
Bedaktion: Prof. Dr. Bapmuiyl, Geh. Med.-Bat in Minden i. W.
J. G. 0. Bruns, Herzogi. Büchs, n. F&rstl. Sch.-L. Hofbuchdrnckcrei In Minden.
29. Jahrgang; Nr. 20.
Ausgegeben am 20. Oktober 1916.
ZEITSCHRIFT
FÜR
MEDIZINALBEAMTE.
Zentralblatt
für das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie,
des staatlichen und privaten Versicherungswesens, sowie für das
Medizinal» und öffentliche Gesundheitswesen, einschließlich der
Hygiene und Bakteriologie.
Herausgegeben
Von
Prof. Dr. Otto Rapmund,
Geh. Med.-Rat in Minden i. W.
Offizielles Organ des Deutschen, Preussischen, Bayerischen, Sächsischen,
Württembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen, Thüringischen
Braunschweigischen und Eisass-Lothringischen Medizinalbeamtenvereins.
Eine Beilage:
Rechtsprechung und Medizinalgesetzgebung.
Bezugspreis für das Jahr: 15 Mark.
Verlag von FISCHER’S MEDICIN. BUCHHANDLUNG H. KORNFELD,
tterzofll. Bayer, itof- und K. u. K. Kammer-Buchhändler
Berlin W. 62, Keithstr. 5.
Geschäftsstelle u. Versand für die Mitglieder des Medizinalbeamtenvereins
durch J C C BRUNS, Hof-Buchdruckerei, MINDEN i Westf
Anzeigen -Annahme nnd verantwortlich für den Anzeigenteil: Gelsdorf & Co., G. m. b. H., Eberswalde (Mark.)
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29. Jahrg.
1916.
Zeitschrift
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zentralblatt
för das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie,
des staatlichen und privaten Versicherungswesens, sowie för das
Medizinal- und öffentliche Gesundheitswesen, einschließlich der
Hygiene und Bakteriologie.
Heransgegeben
▼on
. Prot Dr. OTTO RAPMOND,
Geh. Med.-Rat ln Minden l. W.
Offizielles Organ des Deutschen, Preussischen, Bayerischen, Sächsischen,
WQrttembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen, Thüringischen,
Braunschweigischen und Eisass-Lothringischen Medizinalbeamtenvereins.
Verlag von Fiseher’s med. Buehhandlg E Kornfeld,
HeraogL Beyer. Hof- a.L«.K. Kemmer-Bmaatodl»
Berlin W. 62, Keithstr. 5.
iueifea nah man 41a VaiUfahAndliinf sowie alla Ajiadfanannahmeatallen das I»*
•ad ▲asUadas antfegaa.
Nr. 20.
Knehetat am k. ud BO. Jeden Kennte.
20. Okt.
Zur Kasuistik des Erhängungstodes.
Von Med.-Bat Dr. Langermann ? Kreisarzt in Bensheim, zurzeit Ober-Stabsarzt
bei einem Reservelazarett.
Bekanntlich erfolgt der Selbstmord durch Erhängen meist
in der Weise, daß der Selbstmordkandidat sich eine mit ihren
Enden irgendwie befestigte Schlinge um den Hals legt und
dann die Schwere des Körpers wirken läßt, wodurch der Hals
von dem Strangwerkzeug eingeschnürt wird. Da diese Schlinge
fast immer aus anatomischen Gründen oberhalb des Kehlkopfes
zwischen diesem und dem Zungenbein zu liegen kommt, so
erfolgt der Verschluß der Respirationswege an dieser Stelle
nicht durch die Kompression des Kehlkopfes und der Trachea,
sondern so, daß der Zungengrund und der weiche Gaumen nach
oben gezerrt, gegen die Wirbelsäule gedrückt und so der Nasen¬
rachenraum verschlossen wird, wie sich dies auch experimentell
und an Gefrierschnitten von typisch Erhängten nachweisen läßt.
Der Luftabschluß bedingt dann durch Aufhebung des respira¬
torischen Gaswechsels den Erstickungstod. Daß aber auch
durch eine solche auf diese Art bewerkstelligte Einschnürung
590
Dr. Langerma&o.
des Halses die großen Halsgefäße, besonders die Karotiden und
Jugularvenen, eine Kompression erfahren, muß schon aus
deren anatomischen Lage geschlossen werden, aber viel
mehr noch aus der manchmal der Strangfurche entsprechend
zu findenden Ruptur der Intima und aus einwandfrei fest¬
gestelltem Selbstmord durch Erhängen bei tracheotomierten
Personen, bei denen der Strang oberhalb der Kanüle la^. Be¬
weisend hierfür ist auch der Versuch, daß man bei iw typischer
Weise suspendierten Leichen erwachsener Personen nicht im
stände ist, Flüssigkeiten durch die Karotiden durchzutreibeti.
Meist werden aber auch die Arteriae vertebrales komprimiert
und zwar an der Stelle, wo sie nur von Weichteilen um¬
geben sind, also oberhalb des Epistropheus. Es wird somit
die Blutzufuhr zum Vorder- und zum Nachhirn mit dem ver¬
längerten Mark unterbrochen. Früher nahm man nun als
wesentlichen mitbestimmenden Faktor beim Zustandekommen
des Erhängungstodes noch die Möglichkeit einer Kompression
der Nervi vagi an, die mit der Carotis und Jugularis interna
in einer Scheide liegen. Bekanntlich bewirkt ja die Durch¬
schneidung wie auch ein Zusammendrücken beider Nervi vagi
neben der Herabsetzung der Atmung eine Vermehrung des
Herzschlags mit Schwäche der Herztätigkeit. Der Herzstill¬
stand sollte hierdurch erklärt werden. In einzelnen Fällen, zumal
bei Sturz aus großer Höhe in eine um den Hals angelegte
Schlinge, kann auch eine Zerrung und Blutung in das ver¬
längerte Werk einsetzen und so den Tod bewirken, wie sich
dies aus Sektionsergebnissen nachweisen läßt.
Die Strangfurche verläuft meistens nun so, daß sie
quer über den Vorderhals zwischen Kehlkopf und Zungenbein
unter den Warzenfortsätzen ziemlich steil nach den Nacken zu
aufsteigt und sich dort zum Knoten oder einer Schlinge in
einem Winkel vereinigt. Man spricht dann vom typischen
Erhängungstod. Ebenso häufig findet man aber auch den asyme-
trischen Verlauf der Strangmarke, indem die Enden nicht im
Nacken, sondern seitlich von diesem liegen, so z. B. hinter einem
Ohr, vor dem Ohr oder unter dem Ohrläppchen, am Kinn oder
unmittelbar unter diesem (atypischer Erhängungstod). Die Strang¬
furche ist entweder lederartig (pergamentartig) vertrocknet,
braungelb bis braunrot verfärbt infolge von starker Kom¬
pression und Abschürfung der Oberhaut, sowie infolge von Ein¬
trocknen der Haut nach dem Tode, oder sie zeigt sich als
bläulicher, vertiefter, oder als flacher, weißlicher Hautstreifen
(weiche Strangmarke). Ein dünner, festgedrehter Strick, der tief
einschneidet, wird natürlich die Strangmarke weit deutlicher
markieren, wie ein dicker, weichgedrehter oder ein breites Band.
Auch die Zeit der einwirkenden Kraft spielt mit, insofern als
Leichen, die lange gehängt haben, die Furche besser sehen
lassen, als solche, die nur kurz in dieser Lage verblieben.
Es tritt nun bei typisch Erhängten Bewußtlosigkeit sofort
oder in wenigen Augenblicken ein, wie sich dies aus den Aus-
2ur Kasuistik des Erhängungstodes.
591
sagen von Geretteten und aus dem Umstand schließen läßt,
daß es last nie vorkotnmt, daß ein Selbstmörder seinen Kopf
noch aus der Schlinge zieht, obwohl er nach der Lage des
Körpers (Selbstmord im Stehen, in sitzender oder liegender
Stellung) sehr gut die Gelegenheit dazu hatte. Weiterhin
machen sich nachgewiesenermaßen bei vom Erhängungstod zu¬
fällig Geretteten olt reflektorische und psychische Störungen
mit Amnesie geltend, die nur darauf schließen lassen, daß bei
der Suspension das Gehirn am meisten und zuerst infolge des
durch die Kompression der Gefäße bedingten Blutabschlusses
geschädigt wird. Daß dagegen der Luftabschluß durch die
Tamponade des Nasenrachenraums nicht gleich tödlich wirken
kann, wird durch die Tatsache illustriert, daß der Herzschlag
bei Erhängten meist noch minutenlang andauert. Dagegen
spielt die Vagusreizung durch das Strangwerkzeug beim Er¬
hängungstod nach den neueren Untersuchungen keine einflu߬
reiche Rolle. Ebenso findet man gewöhnlich bei Erhängten
keine Verletzung der oberen Halswirbelsäule und des ver¬
längerten Markes mit seinen lebenswichtigen Zentren; denn
nach dem anatomischen Bilde ist es nicht leicht möglich, daß
etwa die festen Bänder, die den Zahn des Epistropheus an den
Atlas binden, bei typischer Suspension, wo die Schwere des
Körpers allein wirkt, und wo der Kopf nach vorne oder seitlich
gesunken ist, reißen und der Zahn irgendwelche tiefe Schädi¬
gungen hervorrufen kann. Dazu kommt noch, daß das ver¬
längerte Mark, von sulzigem Gewebe umgeben, gut gepolstert
in einem weiten Wirbelkanal liegt und so auch einem erheb¬
lichen Druck genügend ausweichen kann.
Daß aber trotzdem beim Selbstmord durch Erhängen, wo
keine abnorme Kraftwirkung fetattfand, gerade diese letztere
Möglichkeit bei der Erörterung der Todesursachen in Betracht
kam, soll nachfolgender Fall beweisen, den ich vor Beginn des
Krieges gelegentlich einer gerichtlichen Leichenschau zu sehen
bekam. Eine Sektion konnte leider aus äußeren Gründen nicht
angeschlossen werden.
Ich lasse zunächst das Protokoll der äußeren Be¬
sichtigung folgen:
1. Die übergebene männliche Leiche des hier bekannten P. St. ist 182 cm
lang and zeigt kräftigen Knochenbau und mäßigen Ernährungszustand.
2. Die Farbe der Leiche ist im allgemeinen graugclb, nur der Rücken
und die Qesäßgegend sind blaßblaurot verfärbt. Auf starkem Druck schwindet
diese Verfärbung; Einschnitte hierin ergeben keinerlei ausgetretenes Blut.
3. Die Totenstarre ist in den Kiefer- und Halsgelenken gelöst, während
sie in den anderen Gelenken noch vorhanden ist. Verwesungsgeruch ist
angedeutet.
4 . Der Kopf ist nach hinten gebeugt. Die Stirn, beide Ohren und der
behaarte Kopfschädcl sind bläulich verfärbt. Gesicht und Schädel sind sonst
unverletzt.
5. Die Augenlider sind schlitzförmig verzogen und stehen halb offen.
Die oberen Lider sind platt gedrückt. Die Hornhäute sind getrübt, die Papillen
mittel- and gleichweit, die Augäpfel weich und maisch. Die Blutgefäße der
Augenbindehiiute siud gefüllt und springen stark vor.
6. Die Oeffnungen der Nase und der Ohren sind frei von Fremdkörpern.
592 .
Br. Langermann.
7. Oer Mond steht sehr weit offen, die Zange liegt znrückgesunken.
Der Oberkiefer mit zwei schadhaften Zähnen springt stark vor, während der
Unterkiefer znrückgesunken ist. '
8. Bie Strangfurche verläuft nicht regelmäßig am den Hals, sondern
setzt in der Mitte des Nackens 2 cm anter der Haargrenze an, verläuft dann
beiderseits unterhalb der Ohrläppchen and steigt über beide Jochbogen in die
Höhe, um dann wagerecbt über beide oberen Augenhöhlenränder bis zur Stirn¬
mitte zu verlaufen, wo sich eine Unterbrechung findet. Biese Strangmarke ist
im Nacken und zu beiden Seiten des Halses 1 cm breit, 0,5 cm tief, lederartig,
gelblich gefärbt und zeigt auf dem Grande teilweise den Abdruck eines gut
gedrehten Strickes, wie er aach als Strangwerkzeug in Betracht kam, während
sie nach dem Gesicht zu ziemlich oberflächlich liegt, nor 0,6 cm breit, blaß-
bläulich aussieht und keine sichtbaren Blatungen auf dem Grande oder an den
Bändern aufweist.
9. Auf der Kinnmitte, dem Unterkieferrand entsprechend, findet sich eine
dreizipfelige, etwa markstückgroße, oberflächliche Hautabschürfung mit einzelnen
abwischbaren Blutkrusten in der Umgebung. Der Grand dieser Hautverletzung
ist dunkelrot gefärbt, eingetrocknet und zeigt keinerlei Bluterguß in der Tiefe.
Bie Umgebung ist nicht gerötet; keinerlei Blutung innerhalb der Bänder.
10. Ber Hals ist ziemlich frei beweglich, zeigt keinerlei Brüche der
Halswirbel oder des Kehlkopfs und Zungenbeins, auch sonst keinerlei Ver¬
letzungen.
11. Bie Brust ist gut gewölbt und unverletzt.
12. Ber Bücken zeigt keine Besonderheiten. Bie Aftergegend ist leicht
mit Kot beschmutzt.
13. In beiden Leistengegenden findet sich ein doppelseitiger, naßgroßer,
reponiblcr Leistcnbruch, der durch ein Bruchband gut zurückgehalten wird.
14. An beiden Waden, die leicht blaurot gefärbt sind, finden sich einzelne
stecknadelkopfgroße Ekcbymoscn. Auf dem linken Handrücken findet sich
eine runde, pfennigstückgroße, rotbraun gefärbte Stelle mit Abschürfung der
Oberbaut and eingetrocknetem Grunde. Bie Finger sind leicht zar Faust
gekrallt, nicht beschmatzt und weisen keine Verletzungen auf.
Das vorläufige Gutachten lautete dahin, daß der
Tod des Mannes infolge von Selbstmord durch Erhängen ein¬
getreten ist. Die Vorgefundenen Hautabschürfungen dürften durch
Widerschlagen des Körpers wider Baumstämme hervorgerufen
worden sein. Sonst fehlten Zeichen von verbrecherischer Ein¬
wirkung fremder Personen.
Durch Zeugenaussagen ließ sich folgendes feststellen:
Der Erhängte hatte 2 Tage vorher seine Wohnung verlassen, angeblich,
um sich in dem nahen Städtchen ein neues Bruchband zu kaufen. Von allen
Zeugen wurde er als ein tiefsinniger, stiller Mann geschildert, dessen Schwer¬
mut durch den vor 1 '/* Jahren erfolgten Tod seiner Frau noch zugenommen
batte, und dem man diesen Selbstmord getrost Zutrauen konnte. Als der
Mann am Abend spät nicht nach Hause zuriiekkehrte, auch des andern Morgens
nichts von sich sehen ließ, wurde von dem Sohne nach ihm gefahndet. In¬
zwischen hatten jedoch 2 Studenten die Leiche an einen Baum hängend, die
Füße knapp auf den Boden reichend, im Walde in der Nähe eines Aasflngs-
tarins autgefunden und den Turmwächter benachrichtigt, der die Leiche ab-
schnitt und den Angehörigen übergab. Der Kopf habe dabei stark nach hinten
gebeugt gestanden; wie der Strick dabei gelegen habe, konnte nicht fest¬
gestellt werden. Die Wertsachen fanden sich bei dem Verlebten unbeschädigt.
Da für das Gericht Selbstmord durch Erhängen als Todes¬
ursache, zumal auch noch nach Ausweis Vorgefundener Schrift¬
stücke allein in Betracht kam, wurde von einer Sektion Ab¬
stand genommen.
Zar Kosaiatik des Erbängangstodes.
593
Daß es sich im vorliegenden Palle um einen reinen
Selbstmord bei einem Mann handelt, der sich in der Depression
befand, Und daß eine kriminelle Handlung anderer Personen
völlig auszuschließen war, bedarf wohl keines weiteren Beweises.
Die Hautabschürfungen am Kinn und an der einen Hand dürften
durch Anschlägen an harte Gegenstände infolge des Todes¬
kampfes entstanden sein. An dem Palle interessiert besonders,
daß die Strangmarke nicht typisch zirkulär um den Hals
lag, sondern vom Nacken unterhalb beider Ohrläppchen
nach der Stimmitte verlief, um dort zu verschwinden. Die
Luftzufuhr zu den Lungen und die Blutzirkulation nach
dem Gehirn konnten ungehindert von statten gehen; denn die
zurückgesunkene fyinge, die wohl erst sekundär post mortem
sich so eingestellt haben mag, kann keinesfalls die Luftzufuhr
so erheblich abschließen, daß Erstickung eintritt. Wenn viel¬
leicht auch die Arteriae vertebrales im Naken komprimiert
wurden, so erhielt doch das Gehirn genügend Blut durch die
Karotiden. Ein Abschluß der Blutzirkulation dorthin und eine
sofort hierdurch einsetzende Bewußtlosigkeit sind somit nicht
anzunehmen. Auch kommt nach der ganzen Lage des Strang¬
werkzeuges eine Kompression der Nervi vagi nicht in Präge.
Shock-Wirkung, soweit man unter einer solchen eine durch
Reizwirkung auf periphere Nerven zustande gekommene Lähmung
der Atmung und des Herzens versteht, ist ebenfalls auszu¬
schließen. Alle Faktoren, die für den Mechanismus des Er-
hängungstodes sonst in Betracht kommen, fallen also hier aus.
Tatsächlich handelt es sich ja auch nicht um ein typisches Er¬
hängen, wie man es nach dem Sprachgebrauch versteht, sondern
um eine Suspension, wobei der Strick nicht auf den Hals direkt
einwirkt, sondern nur den Kopf nach hinten zerrt und dann
die ganze Schwere des Körpers wirken läßt. Daß in einer
solchen Lage des Kopfes das verlängerte Mark einer vermehrten
Schädigung durch die obersten Halswirbel ausgesetzt ist und
eine Reizung desselben, ja vielleicht auch Blutung in das Ge¬
webe eintreten kann, ist klar. Wenn man auch bei der Deutung
der eigentlichen Todesursache nur auf Vermutungen angewiesen
ist, da der Beweis durch die Autopsie fehlt, so kann man eine
solche mit Ausschluß aller anderen nur in eine Läsion des ver¬
längerten Marks mit seinen lebenswichtigen Organen und gleich
darauf einsetzenden Herz- und Atemstillstand erklären. Der
Mechanismus des Selbsterhängens dürfte so zu deuten sein, daß
der in seelischer Depression befindliche Mann, der den Vorsatz
zum Selbstmord fest gefaßt hatte, und bei dem wohl Hemmungen
kaum in Betracht kamen, sich den festgedrehten Strick um den
Hals legte und zwar so, daß die Schlinge nach vorne lag.
Beim Herunterspringen rutschte der vordere Teil der weit ge¬
haltenen Schlinge, die nach dem Kinn zu lag, ab und blieb,
wobei wahrscheinlich das Gesicht nach oben gewandt war, erst
wieder an den Augenbögen hängen. Da es sich um einen
dünnen, einschnürenden Strick mit gut laufender Schlinge
594
Dr. Langermann: Zar Kasaistik des Erh&ngungstodes.
handelte, so fand er an dieser Stelle genügend Halt. Zugleich
wurde der Kopf durch die Schwere des Körpers weiter nach
hinten gebeugt; der Zahn des zweiten Halswirbels löste sich
aus der Bandumhüllung und bohrte sich in die Medulla ein.
Bewußtlosigkeit und Tod waren die Folge.
Ich habe nach ähnlichen Aufzeichnungen die einschlägige
Literatur, soweit sie zur Verfügung stand, durchgesehen und
keinen Fall gefunden, bei dem die Strangmarke so abnorm ver¬
lief und bei dem man bei der Deutung der Todesursche auf eine
Verletzung der Halswirbelsäule angewiesen war. Hofmann,
Lehrbuch der gerichtlichen Medizin 1903, ebenso das Lehrbuch
von Kratter 1912, die gerichtsärztliche und polizeiärztliche
Technik von Lochte 1914, Medizin und Strafrecht von Stra߬
mann 1911, desgleichen Puppe, Atlas und Qrundriß der
gerichtlichen Medizin und Schmidtmann, Handbuch der
gerichtlichen Medizin, erwähnen keine derartigen Beispiele vom
Erhängungstod. Auch in dem reichhaltigen Material der Viertel¬
jahrschrift für gerichtliche Medizin fehlen hierüber kasuistische
Beiträge. Gumprecht (Bd. 41, 1910) nimmt zwar eine Ver¬
letzung des verlängerten Markes durch die Quetschung bei der
Suspension an; spätere Versuche erwiesen aber wieder die
Haltlosigkeit einer solchen Annahme. In Casper-Liman,
Handbuch der gerichtlichen Medizin 1882, werden allerdings einige
Selbstmordfälle erwähnt, wo keine Strangfurche um den Hals zu
sehen war, weil das Erhängen mittelst eines Handtuches oder durch
einen alten weichen Strick erfolgte. Dort ist auch über einen
Fall berichtet, wo beim Fehlen jeglicher Strangraarke der Tod
infolge von Herabspringen in einen festgeschnallten Lederriemen
durch Zerreißung der Halswirbelsäule entstanden war. In der
Z. f. Med.-B., 1915 Nr. 10, teilte Kollege Keferstein ein Bei¬
spiel vom Erhängungstod mit, der mit dem hier besprochenen
eine gewisse Aehnlichkeit hatte, wo der Strick durch den
Mund um den Nacken lag und die Leiche am Bettpfosten hing.
Bei der Leichenschau nahm man erst Selbstmord durch Er¬
hängen ohne nachweisbare verbrecherische Einwirkung fremder
Personen an. Eine 3 Jahre später erfolgte Sektion rückte die
Frage des kriminellen Einwirkens anderer Personen näher.
Trotz der abnormen Lage des Strickes wurde aber die Mög¬
lichkeit des Todes durch Luftabschluß zugestanden, insofern als
Zunge und Gaumenbögen gegen die hintere Rachenwand gepreßt
worden seien und so die Erstickung herbeigeführt hätten. Der
Angeklagte gestand dann auch bei der Gerichtsverhandlung,
daß er den Toten zuerst gewürgt und dann aufgehängt hätte,
wobei er in der Eile nicht darauf achtete, ob der Strick richtig
um den Hals lag. — Wie gesagt, scheint der von mir be¬
schriebene Fall der einzige seither in der Literatur verzeichnete
und wegen der seltenen und eigenartigen Begleitumstände de.
Interesses aller Medizinalbeamten und Gerichtsärzte wert au sein
Dr. mcd. et phil. K&ongicsscr: Ucbcr die Giftigkeit der Afoiisbeeren. 595
Ueber die Giftigkeit der Aronsbeeren (Arum maculatum).
Von Dr. med. et phil. Frlederich Kannglesser, Privatdozent der Oiftkande
an der Universität za Neuchätel.
Der Aronsstab (auch Zehrkraut, im holländischen u. a.
duivelsstokje, berstebezien und doodkeers, im französischen
neben anderen Bezeichnungen auch picetin (etym. v. piquer)
und im neugriechischen Spaxovtfa genannt] gilt allgemein als
eine sehr giftige Pflanze. Literarisch fand ich insbesondere
über die Beeren nur das folgende und zwar bei Ch. Cornevin:
des plantes veneneuses etc., Paris 1893, S. 66: „Bei kleinen
Kindern, die Beeren gegessen hatten, sah man: Diarrhoe,
Krämpfe, heftiges Brennen im Pharynx und Epigastrium. Pro¬
gnose ernst. Tod etwa 15 Stunden nach Genuß.“ Ich selbst
aß von einem Standort am Isarbachtal des nördlichen Taunus
bei Braunfels fünf reife mittelgroße Aronsbeeren samt den fein
zerkauten Kernen ohne außer einem alsbald einsetzenden nur
ein paar Stunden anhaltenden Brennen in der Mundhöhle irgend
weitere Beschwerden zu bekommen, also ziemlich unbeschadet.
Das wunderte mich um so mehr, als ich im Jahr zuvor eine
dickere Aronsbeere von einem höher gelegenen Westerwald¬
standort oberhalb von Beilstein nicht so relativ symptomlos
verzehrt hatte. 1 ) loh machte mich auf den Weg dorthin und
sah an demselben Staudort das schon damals vereinsamt stehende
Exemplar am Fuß einer Buche wieder mit seinen scharlachrot
glänzenden Beeren von weitem die Aufmerksamkeit auf sich
lenkend. Es war am 7. September 1916 und um 1 Uhr 50 Min.
p. m. aß ich fünf dieser über 1 cm dicken Beeren samt den
lad schmeckenden fein zerkauten Kernen. Der Geschmack der
Beeren ist nicht, wie ich früher auf Grund des Experiments
mit nur einer einzigen Beere, die vielleicht über- oder noch
nicht ganz reif war, vermerkte, widerlich süß, sondern sehr
angenehm süß. Wenn Vergiftungen trotzdem seltener Vor¬
kommen, als z. B. mit den ebenfalls sehr süß schmeckenden
Tollkirschen, so ist dies auch darauf zurückzuführen, daß die
Atropa' viel verbreiteter und in größeren Mengen vorkommt,
als das mehr zerstreut auftretende Arum maculatum. Auch geht
aus meinen Experimenten hervor, daß der Giftgehalt der Arons¬
beeren je nach Standort innerhalb beträchtlicher Grenzen
schwankt. Schon etwa 1 l i Minute nach Genuß der Westerwald¬
beeren trat ein intensives Brennen in der Mundhöhle, auf der
Zungenspitze und noch mehr am Rachenbogen ein, das vom
Verzehren weiterer Beeren abschreckt. Obwohl ich den Mund
alsbald mit Wasser ausspülte, hielt bei den Westerwaldbeeren
dieses Brennen, das auch vorübergehend auf den Lippen be¬
merkbar wurde, tagelang, wenn auch an Stärke abnehmend,
an, um schließlich ein Gefühl auf der Zunge zurückzulassen,
p. 827.
>) Vgl. Berichte der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft; 1915,
596 Dr. med. et plül. Kanngiesser: Ueber die Giltigkeit der Aronsbeeren.
wie wenn man sich an zu heißer Suppe verbrannt hat. Diese
Parftsthesie ging jedoch im Lauf der zweiten Woche vorüber.
Das Prickeln unter der Haut, das nach Genuß der einen
Beere nur an einem Tag sich bemerklich machte, setzte eine
Stunde und fünfunddreißig Minuten — so lange dauerte also
die Inkubation bis zum Beginn der Resorptionserscheinungen —
nach Genuß der fünf Beeren ein und dauert zurzeit, wo ich
den Druck dieser Zeilen durchsehe, am 9. Oktober, wenn auch
stark gemindert und nur hin und wieder auftretend, noch an. Eis
befiel zuerst den linken Zeigefinger, die linke Hand, dann das
linke Bein und 2 Stunden nach Genuß der Beeren auch die
rechte Körperhälfte, auch hier zunächst an der Hand auftretend.
Dieses Prickeln, das an das Kriebeln der Mutterkornvergiftung
erinnert, huschte unheimlich bald da, bald dort auftretend über
das gesamte Körpertegument und befiel mit Vorliebe Finger,
Handrücken, Zehen, Fußsohle, Nasenspitze, Gegend der Augen¬
brauen und behaarte Kopfhaut. In letzterem Falle löste es ein
Gefühl aus, als ob die Haare sich an den betroffenen Stellen
aufrichten resp. bewegen würden, ln der Bettwärme steigerte
sich dies Brennen oft zu Juckreiz und behinderte das Ein¬
schlafen. Eine Besserung zeigte sich erst am 11. September
und (nach erneuter Verschlimmerung) seit dem 20. September.
Das Prickeln (das sich auch in dem äußeren Gehörgang, in der
Mundhöhle und im orificium urethrae bemerklich gemacht hatte)
pflegt flüchtig und rasch aufzutreten, ganz kurz anzuhalten
und rasch zu verschwinden. Diese Formikationen wurden von
mir je nach Zeit verschieden empfunden: als ob Luftbläschen
unter der Haut im Blut zirkulierten und nicht heraus könnten,
als ob Ungeziefer über die Haut lief, als ob Filarien die Haut
durchwanderten, als ob ein warmer Lufthauch über sie ströme,
als ob mir mit Hilfe des Sonnenlichts und einer Lupe die Haut
versengt würde, als ob die Glieder „eingeschlafen“ gewesen
wären, als ob ich mit feinen Nädelchen gestochen würde
resp. auf Nädelchen ginge und (besonders im Gesicht) als
ob ich mit Federn oder Spinngewebe in Berührung käme.
An den Zähnen hatte ich zuweilen das Empfinden als ob Kälte
über diese hinflösse und in den Gelenken traten hin und wieder
gichtige Beschwerden auf. So wie das Schwindligsein das
klinische Bild der Intoxikation beherrschte, als ich zehn Toll¬
kirschen gegessen hatte,') so beherrschte dieses unheimliche
„Nesseln“ diese Intoxikation nach Genuß der fünf Aronsbeeren,
deren Gift erheblich länger im Körper wirkt oder verweilt, als
das Tollkirschengift resp. das Atropin.
An weiteren Symptomen beobachtete ich an mir bei dieser
Vergiftung mit Beeren von Arum maculatum das folgende:
Noch am Tage des Genusses der Beeren (am 7. September)
9 07 und 9'* p. ra. nach vorausgegangenen Bauchschmerzen starke
diarrhöische Entleerungen: d. h. etwa 7'/, Stunden nach Genuß
*) Vgl. Münchener med. Wochenschrift; 1911, Nr. 47.
Dr. Holacker: Fruchtabtreibnng durch Gebärmutterauskratzung. 697
der Beeren. 1 ) Um 11 Uhr nachts Zuckungen in Fußzehen,
Zunge und Augenlidern. Am 8. September vormittags leichtes
„Brennen“ im Thorax und leichtes Beklemmungseefühl über
dem Brustkasten und in der Herzgegend, das bis in den 10. Sep¬
tember hinein andauerte. Um 9 Uhr p. m. leichte Vertigo. Am
9. September 2 Uhr nachts Schwindel und Uebelkeit. Später
ein süßlicher Geschmack in der Mundhöhle (durch Elimination
des Giftes?), Zuckungen in den unteren Extremitäten, desgl.
kurz andauernd Wadenkrämpfe links. Am 10. September morgens
beim Aufstehen Gefühl, als ob die mittleren rechten Zehen
plantarwärts gekrümmt seien und als ob die Hände dick wären.
An diesem Tag wurde die Parae 3 thesie des Hautprickelns am
lästigsten empfunden. Ferner: Spannungsgefühl der Gesichtshaut
(Anflug von Trismus?) und etwas Schwerfälligkeit beim Gehen.
Nachdem am 11. Sept. scheinbar Besserung eingetreten war, ver¬
schlimmerte sich das Befinden im Laufe der Nacht. Die nächsten
beiden Tage etwas Schwindel und Schwäche, Kopf eingenommen.
Am 14. Sept. Besserung, doch hält das Kriebeln an, ist am
16. wieder recht intensiv und läßt erst am 20. September 1916,
also fast 2 Wochen nach Beginn, an Stärke merklich nach. Trotz¬
dem noch weitere Rezidive in den Nächten vom 2Ö./26. Sep¬
tember, vom 1./2. und vom 8./9. Oktober. Entweder scheint
das Gift nur langsam oder schubweise den Körper zu verlassen
oder es handelt sich um Nachklänge der Hautreizung ähnlich
dem zurückbleibenden Juckreiz nach abgelaufener Milben- und
Primel-Krätze.
•Ueber weitere Selbstexperimente mit anderen Beeren vgl.
das Verzeichnis der Arbeiten von F. Kanngiesser in den
Universitätsbibliotheken der Schweiz.
Fruchtabtreibung durch Gebärmutterauskratzung.
Von Medizinalrat Dr. Hofacker, Kreisarzt in Düsseldorf.
Ein Strafprozeß wegen Abtreibung, in dem ich als Sach¬
verständiger tätig war, zeigte, wie raffiniert eine Abtreibung
ins Werk gesetzt wurde, wie Aerzte dabei unbewußt als Helfers¬
helfer mitwirkten und wie schnell, um nicht zu sagen, wie
leichtfertig die Auskratzung der Gebärmutter als notwendig er¬
achtet wurde.
Die Geschichte trug sich folgendermaßen zu:
Das Dienstmädchen A. hatte geschlechtlichen Verkehr mit ihrem Dienst¬
herrn, dem Zahnarzt B. and teilte diesem im Januar 1915 mit, daß sie sich
von ihm schwanger fühle. B. erklärte, das müsse unbedingt beseitigt werden
und riet dem Mädchen, zu dem prakt. Arzte C. zu gehen, ihm über Beschwerden
im Unterleib zu klagen, dann würde dieser etwas an ihr tun, wodurch die
Schwangerschaft unterbrochen würde. Das Mädchen folgte dem Bäte, der
Arzt fand aber nichts, was ihn zu einem Eingriff veranlassen könnte. Auf
das Drängen ihres Herrn wiederholte das Mädchen ihre Besuche bei dem
') Drastischer wirkten bei mir fünf Seidelbastbeeren, wo die profusen
Darchfälle schon 2 Stunden nach Genuß begannen: vgl. Daphne Mezereum.
Oesterr. Aerzte-Ztg.; 1914, Nr. 16.
598 Dr. Hofacker: Frachtabtreibnog durch Gcbärmutteraaskratzung.
Arzte, jedoch ohne etwas za erreichen. Nan verfiel B. aaf ein Anderes Mittel,
er forderte die A. aaf, sich in der Apotheke Blategel za holen and diese in
die Scheide einznftthren. Da das Mädchen in der Apotheke keine Blategel be¬
kommen konnte, holte B. sie selbst in einer anderen Apotheke, gab sie aber
wohlgemerkt der A. nicht selbst, sondern forderte sie aaf, das Gefäß mit den
Tieren aas der Tasche seines Ueberziehers za nehmen and die Blutegel so
wie ihr gesagt, cinzaführen. Dies tat die A. am Vormittag des 16. März.
Bald kam Blat, and jetzt schickte B. das Mädchen wieder znm Arzt C. in der
Voraussetzung, non würde dieser eingreifen. Darin täuschte er sich nicht;
als C. die Blatang feststellte, ging er sofort mit der A. in ein Krankenhaus
and machte hier mit dem Krankenhaasarzt D. eine Ausschabung der Gebär¬
mutter.
Wie die Sache viel später, erst nach Monaten vor den
Strafrichter kam, braucht hier nicht erzählt zu werden. Be¬
schuldigt wurden das Dienstmädchen A. und der Zahnarzt B.;
gegen diesen konnte aber das Verfahren nicht durchgeführt wer¬
den, weil er mittlerweile eingezogen und im Felde war. So wurde
nur gegen die A. verhandelt. Vor der Strafkammer sagte der
Arzt C. als Zeuge u. a. aus, er wisse sich nicht mehr zu er¬
innern, ob er oder der Krankenhausarzt D. die Operation ge¬
macht habe. Derartige Operationen seien so häufig, daß man
sich nach so langer Zeit der Einzelheiten nicht mehr entsinnen
könne. Auch wußte er nicht, ob bei der Operation Reste einer
Frucht oder eines Eies entfernt worden waren, ln dem Nar¬
kosenbuch des Krankenhauses war nur verzeichnet: „Curettage
wegen Abort.“ Der Krankenhausarzt war nicht vorgeladen.
Die Angeklagte A. wurde zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt.
Dies in kurzem der Hergang. Die sich sofort aufdrängende
Frage, wann, wo und wie die Frucht entfernt wurde, kann' man
nur beantworten: am Vormittage des 6. März, im Krankenhaus
und durch die Ausschabung des Uterus. Das Einführen eines
Blutegels in die Scheide kann man nicht als sicheres Abtrei¬
bungsmittel bezeichnen; daß der Zahnarzt B. diese Meinung
gehabt hätte, erscheint mir sehr unwahrscheinlich. Selbst wenn
man annehmen wollte, der Blutegel habe die ihm gestellte Auf¬
gabe richtig erfaßt und sich genau am Muttermund festgesogen,
so ist es doch sehr fraglich, ob dieser Reiz genügt hätte, um
den Uterus zu so starken Kontraktionen anzuregen, daß schon
nach kaum 2 Stunden eine heftige Blutung aus seinem Inneren
erfolgte und damit die Ausstoßung des Eies eingeleitet wurde.
Demgemäß erklärte ich auch vor Gericht, daß das Verfahren
des B. nur die Absicht gehabt haben konnte, an irgendeine
Stelle der inneren Geschlechtsteile eine Blutung hervorzurufen,
um dadurch den Arzt zu täuschen und ihm zu einem Eingriff
zu veranlassen, der die Schwangerschaft beseitigte.
War in vorliegendem Falle aber ein sofortiger Eingriff
wirklich angezeigt? Sehr stark und gefahrdrohend konnte die
Blutung bei dem Mädchen nicht gewesen sein, sonst hätte es
den Arzt in der Sprechstunde nicht aufsuchen können. Aber
selbst wenn die Blutung in dem Augenblick, wo der Arzt das
Mädchen sah, heftig war, mußte dann sofort zur Kürette ge¬
griffen werden? War nicht auch dann „abwarten“ die erste
Bericht über den Kongreß der Kriegsboschädigtenfürsorge. 599
Regel? Verlaufen doch eine Unzahl von Aborten zwar mit
starker Blutung, aber ohne ärztliches Eingreifen und ohne
Schaden für die Schwangere.
Selbstverständlich konnte der Arzt nicht im geringsten
ahnen, daß er getäuscht werden sollte, und auch nicht daran
denken, festzustellen, ob die Blutung etwa nicht aus der Gebär¬
mutter stamme, zumal das Mädchen ihn vorher öfters wegen
Unterleibsbeschwerden konsultiert hatte. Er war im guten
Glauben, ein Abort sei im Gange; hieran zu zweifeln, hatte
auch der Krankenhausarzt keinen Anlaß. Jedoch habe ich die
Ueberzeugung, daß in diesem Falle eine Auskratzung nicht
sofort nötig war und daß der Arzt nicht das Werkzeug zu
einem kriminellen Abort geworden wäre, wenn er die Indi¬
kation strenger gefaßt hätte. Es scheint — unter den prak¬
tischen Aerzten vielleicht noch mehr als unter Frauenärzten —
sich der Grundsatz eingebürgert zu haben: hier Gebärmutter¬
blutung, also Auskratzung. Leider ist dieser Grundsatz auch
im Publikum allzusehr bekannt geworden; mancher Arzt
wird davon zu erzählen wissen, daß, wenn er zunächst mit der
Auskratzung zögerte, die Patientin sehr bald einen anderen fand,
der sie ohne Bedenken vornahm. Näher auf diese Frage ein¬
zugehen, ist hier nicht der Ort und nicht meines Amtes. Ich
hielt es aber für meine Pflicht, an diesem Falle zu zeigen, wie
durch eine allzu schnell ausgeführte Auskratzung ein ge¬
wollter krimineller Abort zu Ende geführt und wie die Neigung
mancher Aerzte, bei einer Blutung sofort eine Auskratzung vor¬
zunehmen, zum Zweck einer Fruchtabtreibung [mißbraucht
werden kann.
Aus Versammlungen und Vereinen.
Bericht ttber den vom 21.-Ü6. Ansaat 1916 im Gürzenich
zn Gttln abgehaltenen Kongreß über Kriegabeachädlgten-
fürsorge.
A. Deutsche Vereinigung für Krüppelfürsorge,
I. Kongreßtag.
1. lieber die vaterländische nnd sittliche Bedeutung der KrUppel«
flirsorge. Berichterstatter Geh. Ob.-Med.-Rat Dr. Krohue-Berlin erinnerte daran,
daß bis vor kurzem noch fast nichts für diese unglücklichen Menschen ge¬
schehen sei; dann seien einige wenige Krüppelhäuser, die anfangs lediglich
zur Unterbringung hilfloser Krüppel bestimmt waren, geschaffen worden; in
den letzten 25 Jahren aber habe sich mit den Fortschritten der Orthopädie
die Zahl der Anstalten verzehnfacht, die der Betten verzwanzigfacht, so daß
im Jahre 19t3 55 Anstalten mit 5000 Betten vorhanden waren; aber die Zahl der
Krüppel müsse in Deutschland vor dem Kriege auf 100000 geschätzt werden,
von denen die Hälfte anstaltsbedürftig sei; daher müsse noch viel geschehen,
um das Ziel zu erreichen, soweit als möglich alle Krüppel so weit zu bringen,
daß sie arbeitsfähig werden oder doch wenigstens keiner Pflege dritter Per¬
sonen mehr bedürfen. Die sittliche Bedeutung der Krüppelfürsorge bestehe
darin, daß der Krüppel aus seinem freudelosen Dasein genommen wird und
den Segen der Arbeit kennen lernt.
2. (Jeher die Tätigkeit des Arztes in der KrüppelfUrsorge. Bericht¬
erstatter Prof. Dr. Biesalski-Berlin sprach davon, daß sich früher die Sorge
für die Krüppel ausschließlich in Händen von Laien, insbesondere von Geist¬
lichen befunden habe, die in erster Linie um die sittliche Förderung ihrer
600
Bericht über den Kongreß
Zöglinge bemüht waren; jetzt wirke in den modernen Anstalten der ortho¬
pädisch geschalte Arzt neben dem Seelsorger and dem Lehrer in gemeinsamer
Arbeit. Die hauptsächlichsten Ursachen des Krüppeltums seien die englische
Krankheit and die Knochentaberkalose, die nach modernen Grandsätzen be¬
kämpft werden müßten. Bei der Beschaffung von Ersatzgliedern sei in jedem
Falle Individualisierung nötig; im übrigen hänge der Erfolg der Krüppel-
behandlung in hohem Grade von seiner eigenen seelischen Leistungsfähigkeit ab.
In der Besprechung dieser Vorträge wies Beigeordneter Schäfer-
Trier an der Hand eines selbst erlebten Falles auf die Unvernunft der Eltern
hin, die oft jede Fürsorge unmöglich macht.
3. Die soziale Bedentung der KrBppelfürsorge und Ihr Einfluß anf
die Basse. Berichterstatter Dr. Peter Bade • Hannover: Die ärztliche Ent-
krüppelung macht den Krüppel für einen Beruf körperlich leistungsfähiger.
Die Schulbildung in den Krüppelheimen sprgt’dafür, daß der Krüppel, der
wegen seines Leidens sonst keine Ausbildung genießen kann, diese erhält.
Durch die Ausbildung für den Beruf wird denjenigen Krüppeln, die auf keine
andere Weise eine Berufsausbildung bekommen können, die Möglichkeit ge¬
geben, sich selbständig zu machen; durch Aussonderung der siechen Krüppel
wird die Gesellschaft von einem ihre Tätigkeit störenden Element befreit und
dieses nach Möglichkeit in den Krüppelsiechenhäusern nutzbringend verwandt.
Die Krüppelfürsorge übt auf die Rassenbildnng keinen verschlechternden Ein-
fluß aus. Durch die jahrelange Arbeit der Krüppelfürsorge im Frieden ist die
Grundlage auch für die Kriegsfürsorge geschaffen.
4. Veber den Einfluß körperlicher Mängel anf das Seelenleben.
Berichterstatter Prof. Dr. Aschaffenburg-Cöln: Er erblickt die seelische Ab¬
sonderlichkeit des Krüppels in seiner dauernden Zurückstellung vor gesunden
Kindern. Krüppel sind vielfach Gegenstand des Spottes; ihnen das seelische
Gleichgewicht zurückzugeben, sei nur dadurch möglich, wenn in ihnen die Er¬
kenntnis geweckt werden könne, daß sie brauchbare Menschen seien. In der
Leistung vollwertiger Arbeit finde der Krüppel die innere Sicherheit wieder, die
ihm seine Umgebung geraubt habe. Wer aber für sein Vaterland seine Gesundheit
geopfert habe, brauche nicht des Mitleides, sondern der Hilfe, nicht des Ge¬
fühles, sondern der Taten. Nur wenn die Kriegsbeschädigten den Weg ins
Leben gebahnt bekommen, können sie sich mit uns wieder des Lebens freuen.
5. Die erzieherische Bedeutung der Arbeit bei der Kriippelfürsorge.
Berichterstatter Rektor Schlüter«Bigge: An der Hand von gutgewählten Bei¬
spielen schildert er, daß durch die Arbeit die körperliche Entwicklung und
damit auch die Verstandesbildung gefördert wird, wobei sich die Begriffe von
Form, Größe und Zahl spielend vermitteln. Auch der Wille wird durch die
Arbeit gestärkt, was bei dem Willensschwächen Krüppel von größter Be¬
deutung ist.
6. Die Krüppelfürsorge im Lichte der Kultur. Berichterstatter Br-
Ziehungsdirektor Hans Würtz- Berlin -Zehlendorf schilderte an der Hand von
Lichtbildern den Werdegang der Krüppelfürsorge. Im Gegensatz zur Kriegs¬
invalidenfürsorge, die im Altertum hervorragend entwickelt war, kannte man
eine Krüppelfürsorge früher kaum. Erst unter Friedrich dem Großen und
Friedrich Wilhelm 1., der durch Gründung eines Invalidenheimes den Grund¬
stock zu der heutigen modernen Invalidenfürsorge bildete, wurden die Krüppel
menschlicher behandelt. Unserer Zeit sei es Vorbehalten, in vorbildlicher
Weise für Friedens- und Kriegskrüppel zu sorgen.
Am Nachmittage fand eine Besichtigung des Cölner Krüppelheims,
Stiftung Dr. Dormagen in Cöln-Merheim,statt. Hierbei sprach Dr. v.Kahlden-
Cöln über die Angliederung landwirtschaftlicher Betriebe an Krüppelheime und
ähnliche Anstalten. Er betonte dabei, daß die Vielseitigkeit der Landwirt¬
schaft zu einer solchen Angliederung außerordentlich passend sei; der zum
Handwerker ausgebildcte Krüppel könne auf dem Lande unter wesentlich ver¬
einfachten Lebensbedingungen seinen Beruf selbständig ausüben.
Hieran schloß sich eine Lehrprobe in der Krüppelschule an, bei der ins¬
besondere die systematische Durcharbeit des Schreibenlernens durch Lehrer
Thomö gezeigt wurde.
über Kriegsbeschädigtenfürsorge.
eoi
B. Tagung dar Akademie ffir praktische Medizin.
II. Kongreßtag.
Zar Verhandlung kamen die durch den Krieg beeinflußten Krankheiten,
die bisher noch nicht Gegenstand ausführlicher Besprechungen waren.
1. Ueber die Beziehungen zwischen Krieg und Zuckerkrankheit.
Berichterstatter k. k. Hofrat Professor Dr. von Noorden-Frankfurt: Ueber diese
Beziehungen war bislang nichts bekannt. Bedner unterscheidet nach seinen Er¬
fahrungen mehrere Gruppen von Zuckerkranken: 1. solche, die bereits bei Ausbruch
des Krieges an leichter Zuckerkrankheit litten, die durch die Strapazen des Feld¬
zuges in die schwere Form überging; 2. solche, die an leichtester Zuckerkrank¬
heit litten, bei denen es zwar auch zu einer gesteigerten Zuckerausscheidung
kam, die aber bei geeigneter Diät sofort wieder zurückging; 3. solche, die zucker¬
krank waren, die aber durch andere mit der Krankheit in Beziehung stehende
Leiden (Herzschwäche usw.) dienstunfähig wurden; 4. solche, die angeblich erst
im Felde zuckerkrank wurden. Man wird das Vorliegen von Dienstbeschädi¬
gung annehmen müssen in den Fällen, die nachweisbar völlig gesund aus¬
gerückt sind, und bei denen die schwere Form der Erkrankung festgestellt
wird. Meist handelt es sich dabei um Menschen, bei denen eine angeborene
Anlage zur Krankheit vorlag. Die Zuckerkrankheit schließt sich zeitlich
häutig an eine überstandene Influenza, Mandelentzündung oder an eine mit Aus¬
schlag verbundene Infektionskrankheit an. Von allgemeinerem Interesse sind
die von der Stadt Frankfurt auf Prof, von Noordens Anregung hin ge¬
troffenen Erleichterungen der Lebensmittelversorgung für Diabetiker. Diese
erhalten dort wöchentlich auf ärztliche Verordnung bis zu 10 Eiern, bis zu
600 g Butter, bis zu 250 g frisches Fleisch und täglich bis zu 800 g Rahm.
An der Aussprache beteiligten sich besonders Prof. Dr. Hochhaus - Cöln
und Prof. Dr. M o r i t z - Cöln. Beide halten die Zuckerkrankheit für eine seltene
Erscheinung im Feldzuge; sie sahen gute Erfolge bei der Kartoffelkur, bei
der getrocknete Kartoffeln in Verbindung mit Fett und Eiern gegeben werden.
2. Ueber die Magen- und Darmkrankheiten der Kriegsteilnehmer.
Berichterstatter Stabsarzt Geheimrat Prof. Dr. Schmidt-Halle: Von den In¬
fektionen der Verdauungswege führt die Ruhr am häufigsten zu lange dau¬
ernden Schädigungen, 5 Prozent der Ruhrfälle treten in ein chronisches Stadium.
Während des Bewegungskrieges, wo die Verpflegung Schwierigkeiten bot,
wurden häufig Fälle von Störung der Magensaftabsonderung beobachtet. Auf¬
fällig gering ist die Zahl von Blinddarmentzündungen; ebenso selten sind
Erkältungen und Lungenentzündungen im Felde. In vielen Fällen von Ver¬
dauungsstörungen hat Redner eine Erkrankung der Bauchdecken nachzuweisen
vermocht. Zur Feststellung, daß die Beschwerden auf Störungen in der Bauch¬
decke zurückzuführen sind, kann die Untersuchung im Stehen beitragen, wobei
die Bauchdecken besonders angespannt werden. Der Zivilbevölkerung hat
bislang die veränderte' Ernährung nichts geschadet. Von besonderer Wichtig¬
keit ist hier die Tatsache, daß bei der überwiegenden Mehrzahl der Menschen
eine vollständige Anpaßung des Darmes an das Kriegsbrot eingetreten ist,
über dessen schwere Verdaulichkeit anfangs viel geklagt wurde; Viele Fälle
von Darmträgheit sind sogar durch den Genuß des gröberen Brotes gehoben.
Die Frage, ob die Einschränkung in der Lebensmittelversorgung zu einer Unter¬
ernährung der Bevölkerung geführt hat, kann verneint werden, wie dies bei
jugendlichen Personen durch vergleichende Gewichtsbestimmungen bewiesen
ist; auch die Ergebnisse der letzten Musterung haben dies gezeigt. Nur bei
älteren Personen mit reichlichem Fettansatz ist öfter ein Rückgang des Körper¬
gewichts beobachtet, der völlig unbedenklich und nicht als Folge von Unter¬
ernährung anzusehen ist.
3. Die Epilepsie. Berichterstatter Geheimrat Prof. Dr. Sommer-Gießen
und Generalarzt Prof. Dr. Tilmann-Cöln: Ersterer beschrieb an der Hand von
Beispielen vom Standpunkte des Nervenarztes die verschiedenen Arten der
Epileptiker und Epileptoiden, deren Zustand durch gelegentliche Ohnmächten,
Schwindelaniälle usw. gekennzeichnet ist. Bei der Entscheidung der Frage, ob
eine Epilepsie im Felde erworben ist, leistet neben sorgfältiger Anamnese die
Schädeluntersachung und die Untersuchung auf überstandene Kinderlähmung
C02 Bericht über den Kongreß
gute Dienste. Häufig trifft Epilepsie mit Hysterie zusammen, wobei schwer
zu deutende Mischformen auftreten. Bei der Entscheidung, ob eine Epilepsie
bei fehlender Kopfverletzung auf den Krieg ursächlich znr&ckzuführen ist,
muß man auf epilepsieähnliche Erscheinungen schon vor dem Kriege fahnden,
die dem Kranken selbst völlig entgangen sein können. Die häufigste Form
der Kricgsepilepsio sei durch Schädelschüsse bedingt; sie könne oft erst lange
Zeit nach erfolgter Heilung der Verletzung in die Erscheinung treten. Nach
dem zweiten Berichterstatter ist diese Form der Epilepsie auf Reizung
der Gehirnrinde zurückzuführen, die von den Knochen, von den Hirnhäuten
oder vom Oehirn selbst ausgehen kann. Oft ist die Reizung Folge eines Blut*
ergusses, olt auch die Folge abnormen Druckes eines Fremdkörpers; wodurch
der einzelne Fall hervorgerufen wird, ist noch nicht bekannt. Redner tritt
warm für operative Behandlung ein, die um so aussichtsreicher sei, je frischer
die Epilepsie ist. Jeder Kranke, bei dem noch ein erhöhter Hirndruck bestehe,
sei in Gefahr, epileptisch zu werden; deshalb soll man mit den plastischen
Deckungen von Schädeldefekten nicht zu früh bei der Hand sein. Die Epilepsie
trete gewöhnlich innerhalb eines Zeitraumes von 16 Monaten nach der Ver¬
letzung auf, oft aber auch erst später. Dr. Poppel reute r habe bei 14 bis
17 Prozent Schädelverletzter schwerere epileptische Erscheinungen, leichtere
und leichteste bei der Mehrzahl von Schädelschüssen beobachtet. Es sei daher
unbedingt nötig, die Kranken lange Zeit unter ärztlicher Beobachtung zu belassen.
4. Bazillenträger und Dauerausscheider. Berichterstatter Prof. Dr.
Küster -Cöln: Nachdem zunächst, der bekannte Unterschied zwischen diesen
beiden Gruppen erörtert wurde, bezeichnete der Berichterstatter als für unsere
Gegend in Betracht kommende Bakterien arten die Typhusbazillen, die Para-
typhuskeime, die Diphtheriebazillen und die Erreger der epidemischen Genick¬
starre, die im Munde, im Nasenrachenraum oder in den tieferen Verdaunngs-
wegen (Gallenblase) haften können. Beim Typhus betrage die Zahl der Dauer¬
ausscheider 2—5 Proz., in der gesunden Umgebung von Diphihcriekranken
finde man bis zu 80. Proz. Bazillenträger; die Gefahr, die sie für ihre Mit¬
menschen ausmachten, rechtfertige ein energisches Vorgehen. Prof. Küster
hat vier Behandlungsarten mit größerem oder geringerem Erfolg eingcschlagen:
eine serologische, die sich auf die Möglichkeit gründet, Antikörper bis an den
Sitz der Erkrankung heranzubringen, eine biologische durch Yoghurt, eine
chemotherapeutische durch verschiedene Medikamente und endlich die chirurgi¬
sche (Dränage oder Entfernung der Gallenblase). Es müsse noch weiteren
Untersuchungen Vorbehalten sein, ob es nicht noch möglich sei, auf einem ein¬
facheren oder sichereren Wege zum Ziele zu gelangen.
C. Sitzung des Relcbsausschusses der KrlegsbeschädlotenfDrsorge
vom 24. bis 26. August.
HI. Kongreßtag.
1. Organisation und bisherige Arbeit der bürgerlichen Kriegs-
beschfidigtenfürsorge. Berichterstatter Landesdirektor v. Wintcrfeldt- Berlin:
Die zunächst nach Kriegsausbruch überall in Deutschland tatkräftig ein¬
setzende Hilfstätigkeit für Kriegsbeschädigte war anfangs uicht einheitlich ge¬
regelt. Zuerst brachte die Provinz Westfalen Ordnung in die Fürsorge, ihr
folgte Brandenburg; dann nahmen die Ministerien des Innern in den Einzel¬
staaten die Grundregelung in die Hand. Infolgedessen wurde das gesamte Vater¬
land mit einem Netz von Fürsorge stellen überzogen, die in engem Zusammen¬
hang mit der Heeresverwaltung und den Gesundheitsämtern ihre Tätigkeit
ausüben. Während die militärische Fürsorge sich auf die körperliche Wieder¬
herstellung und gegebenenfalls auf die Lieferung von Ersatzgliedern erstreckt,
liegt der bürgerlichen Fürsorge die Berufsberatung der Kriegsbeschädigten ob,
ihre Unterbringung in geeignete Arbeitsstellen und die Regelung aller damit
zusammenhängender Fragen. Der Zusammenschluß sämtlicher Fürsorgeorgani¬
sationen erfolgte am 16. September 1915 in Berlin durch Gründung des Reichs-
aussebusses der Kriegsbesthädigtenfiirsorge, in dem alle Bundesstaaten ver¬
treten sind. Ihm sind 10 Sonderausschüsse nachgeordnet, in denen Vertreter
aller in Frage kommender Organisationen mitwirken. Die jetzige Organisation
ist imstande, alle sie bet redenden Fragen sachgemäß zu erledigen.
der Kriegsbescbädigtenfürsorge.
603
2. Die bürgerliche Kriegsbescbädigtenfürsorge and die Gesetz¬
gebung. Berichterstatter Ob.- Reg.- Bat Dr. Schweyer - München: Aufgabe der
bürgerlichen Kriegsbeschädigtenfürsorge sei es, die Erkenntnis der gesetzlichen
Fürsorge zu pflegen. Nach einer Besprechung der geltenden gesetzlichen Vor¬
schriften betont der Redner insbesondere, daß die Verstümmelungszulago unter
leichteren Voraussetzungen als bisher gewährt werden müsse, insbesondere auch
bei groben Verunstaltungen des Gesichtes, bei schweren Scbadelverletzungen,
überhaupt in allen Fällen schwere! Gesundheitsstörungen. Das Rechtsmittel-
verfahren bedürfe einer grundsätzlichen Aenderung; zur Zeit entscheiden die
Gerichte nur über die Höbe der Rente, nicht über ihre Voraussetzung. Der
ursächliche Zusammenhang zwischen Beschädigung und Kriegsdienst dürfe
nicht vor dem Militärverwaltungsgericht, sondern müsse von Spruchbehörden
entschieden werden, die an die Ober Versicherungsämter angegliedert wären;
dann könnten die Gerichte ganz ausscheiden. Die Ansprüche der durch Flieger¬
angriffe zu Schaden gekommenen bürgerlichen Bevölkerung harren noch der
gesetzlichen Regelung, für die allerdings alle Grundlagen fehlen.
In der Besprechung über beide Vorträge wünscht Reichstagsabgeordneter
Wels- Berlin besonders in den Fürsorgestellen eine stärkere Heranziehung
der Arbeitervertreter, die namentlich in Berufsberatungen unentbehrlich sind.
Generalarzt Schulzen-Berlin sprach die Anerkennung der Heeressanitäls-
Verwaltung für die allenthalben bestehende förderliche Zusammenarbeit der
Kriegsbeschädigtenfürsorge mit der Militärbehörde aus. Beide strebten dem
gleichen Ziele zu, den Kriegsbeschädigten wieder für die werktätige Arbeit
zu gewinnen. Reicbstagsabgeordneter M e y e r - Herford bezeichnete es als
wünschenswert, den Wirkungskreis des Reichsausschusses auch auf die Hinter¬
bliebenenfürsorge auszudehnen.
3. Landwirtschaft und Kriegsbeschädigtenfürsorge. Berichterstatter
Direktor a. D. Prof. Dr. Strobel -Stuttgart: Die beträchtliche Abwanderung
vom Lande in die Stadt macht es der Landwirtschaft zur doppelten Pflicht,
für die Kriegsbeschädigten nach Kräften zu sorgen, um ihnen die Möglichkeit
zu bieten, auch künftig in der Landwirtschaft tätig sein zu können. Die Ver¬
wendungsmöglichkeiten gestalten sich verschieden bei Gutsbesitzern, Pächtern,
Bauern, Beamten, Knechten und Tagelöhnern, je nach Art ihrer Schädigung,
Vorbildung und Familienverhältnisse. Leuten in dienender Stellung soll Er¬
leichterung bei der Arbeit verschafft, oder ein kleines Anwesen gegeben werden.
Auch der Gemeindedienst, die Tätigkeit im Vereins- oder Genossenschaftswesen
oder in Handelsunternehmen kommen in Frage.
4. Ländliche Siedelung. Berichterstatter Reg.-Präsident r. Schwerin-
Frankfurt a. 0.: Vom Reicbsausschuß sind die Bestrebungen, den heimkebrenden ,
Kriegern ein besseres Heim zu schaffen, lebhaft unterstützt worden. Die Mög¬
lichkeit der Schaffung eines eigenen Heimes und einer eigenen Existenz bietet
dem Kriegsbeschädigten das Kapitalabfindungsgesetz, das im einzelnen be¬
sprochen wird. Dieses Gesetz fördert die ländliche Siedelung, kann für die
gesamte Lage der Landwirtschaft von großer Bedeutung werden und der Ab¬
wanderung vom Lande, dem Geburtenrückgang und dem Sinken der Militär¬
tauglichkeit entgegenwirken. Auch im Interesse der vermehrten Erzeugung
von Nahrungsmitteln ist ein weiteres Anwachsen der ländlichen Ansiedelung
von Kriegsbeschädigten zu begrüßen, die dann mit dazu beitragen, unser Vater¬
land noch in weiterem Umfange als bisher von der Einfuhr von Lebensmitteln
aus dem Auslande unabhängig zu machen.
5. Städtische Siedelung. Berichterstatter Wirklicher Geh. Rat Dr.
Dernburg- Berlin: Die städtische Siedelung muß sich den Vorgefundenen Wohn-
formen und vorhandenen Gelegenheiten anpassen; die Forderungen einer die
Volkskraft fördernden Wobnungsreform müssen aber mit Rücksicht auf die
Ansiedelung der Kriegsbeschädigten wiederholt werden; weiträumige Bebau¬
ungspläne, strengere Bauordnung im Sinne von Licht und Luft, Kinderspiel¬
plätze und vor allem eine Wohnungsinspektion durch die Selbstverwaltungs-
organe sind dringend erforderlich; die gemeinnützigen Wohnungsbauvereine
müssen gefördert werden. Zur städtischen Siedelung gehören auch die vor¬
städtischen, sofern der Erwerbsschwerpunkt ihrer Bewohner in der Stadt liegt.
Auch nach dieser Richtung hin hat der Reichsausschuß Leitsätze aufgestellt
Bericht ftber den Kongreß
604
über wünschenswerte gesetzliche Maßnahmen, wie Reichswohnungsgesetz, Be¬
schaffung von Bauland, verminderte Anforderung an die Ausbildung von Straßen.
Die Zusammensetzung von Kriegsbeschädigten in besonderen Kolonien ist un¬
zweckmäßig. Dem Kriegsbeschädigten müsse alles, was Kleinhaus und Vor¬
stadtlage und technische Fortschritte bieten, zugute kommen.
In der Besprechung trat Geheim rat Ermann-Münster für die Krieger¬
heimstättenbewegung ein; Präsident von der Borgh-Berlin wies daraufhin,
daß auf dem Gebiete der Kriegsbeschädigtenfürsorge in Ansiedelungsfragea
nur tatsächlich erreichbare Ziele verfolgt werden sollten. Präsident Petersen-
Fraukfurt a. 0. besprach in kurzen Zügen die Vorzüge der preußischen Renten¬
gesetzgebung und die bisher damit erzielten Erfolge. Oberstabsarzt Dr. Helm-
Berlin begrüßte namens des Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose
das Zusammenarbeiten mit der bürgerlichen Kriegsbeschädigtenfürsorge.
IV. Kongreßtag.
2. Tag der Tagung des Beichsausschusses für Kriegsbesch&digtenfürsorge.
1. Die ärztliche Fürsorge für die Kriegsverstümmelten. Bericht¬
erstatter Med.-Bat Oberstabsarzt Dr. Rebentisch - Offenbach a. Main: Für diese
Fürsorge kommen hauptsächlich in Frage die Amputierten, die Erblindeten, die
Ertaubten, sowie diejenigen mit Sprachstörungen und hochgradig gelähmten
und versteiften Gliedern, von ärztlichen Sonderfächern in erster Linie die Chirur¬
gie und Orthopädie, die Augen- und Ohrenheilkunde und die Neurologie.
Schweres Siechtum ist nur bei schweren Kopf- und Wirbelsäulenverletzungen
zu erwarten; leichteren Fällen kann durch operative Maßnahmen abgeholfen
werden. Die Röntgenstrahlen haben Außerordentliches geleistet. Bei schweren
Augenstörungen ist Ausnutzung etwa vorhandener Beste der Sehfähigkeit, bei
Erblindung sorgsame Ausbildung der übrigen Sinne für eine spätere Tätigkeit
erforderlich; die Zahl dieser schweren Fälle ist gering. Noch seltener ist
völlige Ertaubung; meist verblieben Gehörreste, die benutzt werden können.
Bei Amputierten ist die gute Herrichtung eines brauchbaren Stumpfes äußerst
wichtig. Bei der Auswahl des Ersatzgliedes müssen Arzt und Techniker Hand
in Hand arbeiten. Der Verletzte muß sich schon im Lazarett davon über¬
zeugen, daß er mit und ohne Ersatzglied manche Arbeit verrichten kann; er
muß schon vor der Entlassung Lebens- und Arbeitsmut wieder gewonnen haben.
Schließlich ist eine wichtige ärztliche Arbeit, die Verbindung zwischen mili¬
tärischer und bürgerlicher Fürsorge herzustellen. Wie bei der Durchführung
unserer sozialen Gesetze, so ist auch für die Kriegsbeschädigtenfürsorge eine
tatkräftige Mitarbeit des Arztes unbedingt erforderlich.
2. Die ärztliche Fürsorge für die Kriegskranken. Berichterstatter
Wirkl. Geh. Ob.- Med.- Bat Prof. Dr. Dietrich • Berlin: Unter Kriegskranken
sind alle diejenigen zu verstehen, die nicht zu den äußerlich Kranken, Er¬
blindeten und Ertaubten gehören. Die bürgerliche Fürsorge erstreckt sich nur
auf diejenigen Kriegsbeschädigten, die mit Anspruch auf Militärversorgung aus
dem Heeresdienst entlassen sind; sie bat sich unmittelbar an die militärische
Fürsorge anzuschließen. Die ärztliche Fürsorge gliedert sich in die Heilbehand¬
lung und in die Mitwirkung bei der sozialen Fürsorge. Die größte Gruppe
von innerlich kranken Kriegsbeschädigten bilden diejenigen, die durch die
Kriegsanstrengungen oder durch das Ueberstehen einer schweren Krankheit
erschöpft sind. Von ihnen sind abzusondern diejenigen, die eine tatsächliche
Erkrankung des Herzens zeigen; die übrigen müssen individuell mit Buhe,
Diät, klinischen Kuren usw. behandelt werden. Sehr häufig sind Störungen
der Verdauungsorgane, die vielfach zu Bückfällen neigen; auch die Er¬
krankungen der Atmungswerkzeuge, sowie die Erkrankung der Kreislaufs¬
organe sind nicht selten (Herzerweiterung infolge langer Märsche usw.). Der
bürgerlichen Fürsorge liegt es ob, hier die nötigen Nachkuren in Bädern zu
vermitteln. Auch die Erkrankungen der Harnorgane haben, je länger der
Krieg dauert, zugenommen; noch mehr aber die Erkrankungen des Nervensystems,
insbesondere Erschütterungen des ganzen Nervensystems und Störungen der
Sinnesorgane und der Psyche. Auch rheumatische Erkrankungen sind sehr
häufig. Bei der ärztlichen Fürsorge kommen in Betracht: die Fortsetzung der
militärischen Heilbehandlung, die dauernde gesundheitliche Ueberwachnng der
invaliden, Wiederaufnahme des Heilverfahrens, Unterbringung in einlnvalidcn-
über Kriegsbeachädigtenfürsorge.
605
heim, Mitwirkung bei der Beschaffung der bürgerlichen Invalidenrente. Die
Organe der bürgerlichen Kriegsbeschädigtenfürsorge werden gnt daran tun,
sich bei Zeiten mit den znst&ndigen Aerztevereinen in Verbindung za setzen,
damit es nicht an geeigneten Aerzten fehlt, wenn die große Menge der Kriegs¬
beschädigten der bürgerlichen Fürsorge übergeben wird.
8. Die Hinterbliebenenfürsorge. Berichterstatter Bürgermeister
von Hollander-Mannheim: Nach einem Deberblick über die derzeitig gesetzlichen
Bestimmungen, die im Militärbinterbliebenengesetz vom 17. Mai 1907 und in dem
neuen Kapitalabfindungsgesetz vom 3. Juli 1916 enthalten sind, betonte der
Redner den Satz, daß die Verpflichtung des Reiches, für die Hinterbliebenen
zu sorgen, nicht als Verpflichtung zum Schadenersatz aufgefaßt werden dürft.
Sie ist vielmehr Ehrenpflicht des Volkes gegenüber den gefallenen Helden.
Die bisherigen Bestimmungen seien ungenügend, weil die Renten nur den
- Unterhalt einer gewöhnlichen Tagelöhnerfämilie gewähren; sie müßten jedoch
nach der bisherigen sozialen Lage des Gefallenen entsprechend dem früheren
Einkommen abgestuft werden, um den Kindern eine Erziehung zu gewähren,
die den Verhältnissen des Vaters entsprechen würde. Keine Gesetzgebung wird
aber allen Einzelfällen gerecht werden können; denn das Gesetz kann nur den
Regelfall im Auge haben. Die ausreichende Versorgung und Beratung der
Witwen und Waisen muß daher von privater Seite betrieben werden. Diesen
Ausgleich will die Nationalstiftung für die Hinterbliebenen der im Kriege
Gefallenen gewähren. Die Mittel dieser Stiftung werden den einzelnen Landes¬
ausschüssen nach Maßgabe der Beiträge zur Verfügung gestellt; die Haupt¬
fürsorge wird aber in allen Fällen durch die lokalen Fürsorgcstellen erledigt
werden müssen. Diese werden dafür sorgen müssen, daß die Waisen in erster
Linie der Erziehung der Matter oder anderer Familienpflege anvertraut werden,
während die Unterbringung in Anstalten die Ausnahme bilden muß. Besondere
Kriegs Waisenhäuser sind grundsätzlich zu verwerfen; die bisherigen Waisen¬
häuser genügen.
In der Besprechung führt Landesrat Dr. H o r i o n - Düsseldorf aus, daß
die Kriegskranken nicht nur in der öffentlichen Meinung, sondern auch nach
den Vorschriften des Munnschaftsversorgungsgesetzes schlechter gestellt seien
als die Verwundeten, weil die Verstümmlungszulage auf sie nicht anwend¬
bar ist.
Oberstabsarzt Dr. Helm-Berlin bittet, soweit es sich um Fürsorge für
kriegsbeschädigte Lungenkranke handelt, die Erfahrungen und die Einrichtungen
des Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose auszunutzen.
Dr. v. Gerhardt-Frankfurt a. Main besprach das Seelenleben der
Kriegsblinden und vor allem die seelische Depression, die bei ihnen stets
eintritt.
Beigeordneter Dr. Borgmann-Wiesbaden bittet, die Fürsorge auch
auf die ohne Rentenversorgung entlassenen kranken Soldaten auszudehnen.
Regierungsrat Dr. Leidig-Berlin hält die sofortige reichsrechtliche
Regelung der Hinterbliebenenfürsorge für notwendig, ^ährend Geh. Regierangs-
rat Schmedding-Münster dafür eintritt, daß namentlich auf dem Lande
Kriegsbeschädigten- und Hinterbliebenenfürsorge zusammengefaßt werden
müßten, da sich sonst nicht die genügende Zahl geeigneter Persönlichkeiten
finden ließe.
4. Die Stellungnahme der Industrie zur Kriegsbeschädigtenfürsorge
vom Standpunkte der Arbeitgeber. Berichterstatter Hüttendirektor Probst-
Düsseldorf: Redner geht von den Richtlinien aus, die er auf der Ausstellung
für Kriegsfürsorge für die Gruppe Industrie aufgestellt hat. Früher lag die
Herstellung der Prothesen ausschließlich in den Händen der Orthopädie- .
mechaniker, jetzt stellt auch die Industrie gewissermaßen fabrikmäßig künst¬
liche Glieder her. Die Fabrikation vergrößerte sich allmählich, neu aufge¬
nommen wurde die Fabrikation von Zubehörteilen, Arbeitshilfen und Hilfs¬
apparaten. Bahnbrechend wirkte der Verein deutscher Ingenieure. Nachdem
bereits in Magdeburg ein Preisausschreiben für Ersatzglieder stattgefunden
hatte, erließ er ein abermaliges Preisausschreiben, in dem bestimmte tech¬
nische Forderungen gestellt warden. Der Erfolg entsprach in technischer
Beziehung nicht den gehegten Erwartungen. Im Februar 1916 wurde dann
606
Bericht über den Kongreß
vom Verein deutscher Ingenieure eine allgemeine Prüfstelle für Ersatzglieder
geschaffen. Redner schildert eingehend die Arbeit dieser Prüfstelle und die
aus diesen Arbeiten sich praktisch ergebenden Folgerungen. Der Grund,
weshalb die Amputierten ihre Ersatzglieder bisher noch zu wenig in der Berufs¬
tätigkeit gebrauchen, liegt darin, daß die Ersatzglieder zum Teil hierfür noch
nicht dauerhaft genug sind und bei der Auswahl der Ersatzglieder oft noch
nicht individuell genug vorgegangen wird.
6. Die Stellungnahme der Industrie zur Kriegsbeschädigtenfiirsorge
vom Standpunkte des Arbeitnehmers. Berichterstatter Generalkommissions-
vttsitzender Reichstagsabgeordneter Legien-Berlin: Nicht nur aur Dankespfiicht,
sondern auch aus volkswirtschaftlichen und ethischen Gründen ist die Kriegs¬
beschädigtenfürsorge geboten. Volkswirtschaftlich wegen der Verwertung der
Arbeitskraft und Erhöhung der Kaufkraft, ethisch, weil sonst der allein auf die
Rente angewiesene Kriegsbeschädigte der Anteilnahme am geistigen Leben des
Volkes entzogen wird. Zur Betätigung in letzterer Hinsicht müssen die
Kriegsbeschädigten ihren Berufsorganisationen zugeführt und ihnen aus dieser
Zugehörigkeit Schwierigkeiten nicht gemacht werden. Keinesfalls aber darf
eine Anrechnung der Rente auf den Arbeitsverdienst in Frage kommen; viel¬
mehr muß die Arbeitsleistung vollwertig bezahlt werden, damit die Kriegs¬
beschädigten nicht als Lohndrücker, sondern als gleichwertige Arbeitsgenossen
im Erwerbsleben gelten. Die Berufsberatung ist außerordentlich wertvoll, um
die Beschädigten auf den richtigen Platz zu stellen. Ihre Mitglieder müssen
frei von den Berufsorganisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer gewählt
werden. Die beste Fürsorgeorganisation bilden die Arbeitsgemeinschaften, die
auf Verträgen beruhen, die von Unternehmern und Arbeitervereinigungen ein¬
gegangen sind.
In der Besprechung gab Reichstagsabgeordneter Giesbert eine von
sämtlichen Gewerkschaften gefaßte Entschließung bekannt, worin eine reichs¬
gesetzliche Regelung der Kriegsbeschädigtenorganisationen und die Ausdehnung
der Fürsorge auf die ohne Militärversorgung Entlassenen gefordert wird.
Fräulein Daniel-Cöln befürwortet eine besondere Ausbildung für die
Berufsberatung an Handelsschulen und landwirtschaftlichen Schulen in der
Form von mehrwöchentlichen Kursen.
Am Nachmittag fand für den engeren Kreis der Interessenten noch eine
Sitzung statt, in der die Erfahrungen, die in der Praxis mit den Prothesen
gemacht sind, besprochen wurden. Es erstatteten Berichte:
1. Landesrat Dr. Horion-Düsseldorf: Ueber 388 Amputierte sind in der
Rheinprovinz Erhebungen gemacht. Von diesen sind 339 in einem Berufe
untergebracht, in 44 Fällen schwebt das Verfahren noch, 6 waren ohne Be¬
schäftigung, weil sie die ihnen von der Berufsfürsorge gebotene Hilfe abgelehnt
haben. Kein Fall brauchte als hoffnungslos angesehen werden; ein großer Teil
der Amputierten mußte allerdings den bisherigen Beruf aufgeben und vielfach
einen sogenannten Invalidenposten, der mit einer Hand zu versehen ist,
annehmen. Am günstigsten ist hier das Verhältnis bei den Landwirten, von
denen die Hälfte in dem bisherigen Berufe geblieben ist, am ungünstigsten
bei den Handwerkern. Weiter ist bemerkenswert, daß ein großer Teil der
gelieferten Prothesen zur praktischen Arbeit nicht benutzt werden kann, wobei
allerdings zu bedenken ist, daß die von der Statistik erfaßten Fälle vielfach
aus der ersten Zeit der Fürsorge stammen, und daß die modernen Fortschritte
in der Prothesenherstellung dabei noch nicht berücksichtigt sind. Zu verlangen
sei, daß jeder für den nach seinem früheren Berufe körperliche Arbeit über¬
haupt in Frage komme, nicht eher aus dem Lazarett entlassen werden dürfe,
bis er wieder körperlich arbeiten gelernt Labe.
2. I)le Prüfstelle für Ersatzglieder. Berichterstatter Dr. ing. Hart-
mann-Charlottenburg: Die Prüfstelle hat es sich zur Aufgabe gemacht, die
typischen Ersatzarmc und -Beine auf ihre Verwendbarkeit und Dauerhaftigkeit
zu prüfen. Ferner bat sie die Normalisierung der Befestigung der Armansalz-
stücke bearbeitet. An die Üeffentlichkeit wendet sie sich mit Merkblättern,
von denen bisher drei erschienen sind.
An der Aussprache beteiligten sich Oberstabsarzt Dr. Wullstein-
Bochum, der über seine Erfahrungen in Bochum berichtete, iSan -Rat Dr. Buch-
über Kriegsbeschädigtenfürsorge. , 60.7-
b i n d e r - Leipzig, der die Frage besprach, in welchen Fällen den Kriegs¬
beschädigten die Operation nach Sanerbrnch za raten sei. San.-Bat Dr.
Schwarz-Dresden betonte deniWert der Stampfbehandlnng and Dr. Ach-
Aagsbarg wies darauf hin, daß eine große Zahl von Stellen vorhanden sei,
bei denen Ampntierte einen Kunstarm nicht unbedingt nötig haben.
V. Kbngreßtag.
S. Verhandlungstag des Beichsausschusses der Kriegsbeschädigtenfürsorge.
1. Unterbringung der Kriegsbeschädigten im öffentlichen Dienst.
Berichterstatter Bürgermeister Dr. Luppe - Frankfurt a. Main: Alle Kriegs¬
beschädigten neigen za der Ansicht, daß Beich, Staat und Gemeinden in der
Lage und verpflichtet seien, sie anzustellen. Vor allem geht das Drängen
nach Unterbeamtenstellen und leichten Posten; Behörden und öffentliche Be¬
triebe sind aber nar beschränkt aufnahmefähig. Die Schwierigkeiten bei der
Aufnahme sind folgende: 1. Sie haben die selbstverständliche Pflicht, alle früher
bei ihnen beschäftigten Kriegsbeschädigten in erster Linie wieder einzastellen,
2. sie müssen die leichteren Stellen, wie in Friedenszeiten, in erster Linie für
ihre sonstigen invalide oder minder arbeitsfähig gewordenen Angestellten frei¬
halten, 3. die Zahl der zivilversorgungsberechtigten Kapitulanten, die für viele
Stellen in erster Linie zu berücksichiigen sind, wird eine sehr große sein, für
die Inhaber von Anstellungsscheiuen besteht daher wenig Aussicht auf dessen
Verwendung; 4. viele Behörden und Betriebe werden nach Beendigung des
Krieges genötigt sein, an Beamtenstellen zu sparen.
Soweit aber Stellen frei werden, müssen natürlich Kriegsbeschädigte in
erster Linie berücksichtigt werden, zumal viele Beschädigungen keine erheb¬
liche Behinderung für den öffentlichen Dienst darstellen. Soweit für den
Beamtendienst besondere Kenntnisse erforderlich sind, wird den Kriegs¬
beschädigten durch allgemeine Ausbildungskurse und durch praktische Aus¬
bildung bei Behörden zu helfen sein; in den Anforderungen bei Prüfungen wird
allgemein eine Erleichterung eintreten müssen. Keine Behörde darf aber einen
Kriegsbeschädigten einstellen, ohne durch die zuständige Fürsorgestelle fest¬
stellen zu lassen, ob der Kriegsbeschädigte nicht besser in seinem bisherigen
Berufe verbleibt
2. Unterbringung der Kriegsbeschädigten im Handel. Berichterstatter
Handelskammervorsitzender Kommerzienrat Soennecken - Bonn: Solche kriegs-
beschädigten Kaufleute, die fachlich vorgebildet sind und vor ihrer Einberufung
zur Fahne in Stellung waren, müssen später zweifellos wieder in ihre Stellung
einrücken; dagegen müsse verlangt werden, daß bisher nicht kaufmännisch
vorgebildete Kriegsbeschädigte bei ihrer Umlernung für den Handelsstand eine
gründliche Ausbildung erfahren, damit nicht lediglich das kaufmännische
Proletariat vermehrt wird. Für kriegsbeschädigte Nichtfachleute bietet sich
jedoch nach gründlicher Ausbildung sowohl im Bürohilfsdienst, wie auch zur
Erledigung der gewöhnlichen wie der höheren kaufmännischen Arbeiten
Gelegenheit. Eine systematische Uebersicht über die Art der Kriegsbeschädi-
gungen und die Art der Verwundungsmöglichkeiten in den verschiedenen
Handelszweigen wird vom Vortragenden zum praktischen Gebrauch an Kriegs¬
beratungsstellen in Kriegsfürsorgezeitschriften veröffentlicht werden. Auch
Taube und Stumme, selbst Blinde können im Handel Beschäftigung finden.
3. KrlegsbeschädigtenfUrsorge vom Standpunkte der kaufmännischen
Angestellten. Berichterstatter Kaufmann Döhring-Hamburg, Vorsitzender des
Deutsch-Nationalen Handlungsgehilfenvereins: Nach einem Ueberbliek über die
Lage des kaufmännischen Arbeitsmarktes während des Krieges und seine voraus¬
sichtliche Gestaltung nach Friedensschluß forderte auch dieser Redner eine
durchgreifende Durchbildung der dem Kaufmannstande sich zuwendenden
Kriegsbeschädigten, die nicht in einem kurzen Kurse erlangt werden könne.
Gewünscht sei deshalb die Einführung eines behördlichen Genehmigungszwanges
für kaufmännische Pressen und Fortbildungsanstalten. Bedenklich sei auch
die Ucberflutung des kaufmännischen Arbeitsmarktes mit weiblichen, nicht
vollausgebildeten Kräften.
608
Bericht über den Kongreß
i
4. Kriegsbeschädigten Fürsorge lm Handwerk« Berichterstatter Land¬
tagsabgeordneter Bäckerobenneister Biener-Chemnitz: Die Fürsorge für kriegs-
beschädigte Handwerker hat in erster Linie eine geeignete Unterbringung in
dem von ihnen erlernten Handwerke ins Auge zu fassen. Dazu sind erforderlich:
Bekämpfung der Arbeitsentwöhnung, Verhütung der Zulassung zu den unge¬
lernten Berufen, die Mitwirkung der Presse. Innungen und ßerufsverbände
von Meistern und Gesellen müssen prüfen, wieviele Kriegsbeschädigte wieder
die Arbeit im Handwerk aufnehmen können. Weitgehende Mitarbeit der Für¬
sorgestellen, der ärztlichen Berater, sowie der Gewerbefach- und Fortbildungs¬
schulen ist erwünscht. Werkstättenschulen sind geeignete Arbeitsstellen, in
denen Kriegsbeschädigte über die Anwendung von Prothesen unterrichtet und
geübt werden können. Die Handwerks- und Gewerbekammern müssen Kriegs¬
beschädigten die Gesellen- und Meisterprüfung unter erleichterten gewerblichen
Leistungen ermöglichen.
5. Ueber den Arbeitsnachweis für Kriegsbeschädigte. Berichterstatter
Rechtskundiger Magistratsrat Dr. Fischer-Nürnberg: Für die Arbeitsnach¬
weise muß erster Grundsatz sein, die Kriegsbeschädigten ihrem alten Berufe
zurückzugeben. Dieses gelte auch gegenüber den Bestrebungen, Kriegsbe¬
schädigte der Landwirtschaft zuzuführen. Redner ging im einzelnen die Auf¬
gaben der Arbeitsnachweise durch bei ihrem Streben, Kriegsbeschädigten
möglichst in dauernden Stellungen Arbeit zu verschaffen.
In der Aussprache wurde mehrfach davor gewarnt, die Kriegsbeschädig¬
ten überfüllten Berufen (Privatangestellte) zuzufübren; das müsse zu Ent¬
täuschungen führen. Reichstagsabgeordneter Giebel forderte eine reichsgesetz¬
liche Regelung eines Rechtsanspruches der am Kriege teilnehmenden Angestellten,
in die vor ihrer Einstellung innegehabten Stellen wieder einzutreten, unter
Berechnung der inzwischen etwa fällig gewordenen Gehaltsaufstaffelung, wie
dies in Oesterreichschon Tatsache geworden sei.
6. Die Arbeit der Frauen in der Kriegsbeschädigtenfürsorge. Bericht¬
erstatter Freifrau von Bissing: Die Frauen dürfen nicht nur gefühlsfreundlich
teilnehmen oder bemitleiden, sondern müssen tatkräftig eingreifen. Die wich¬
tigste Arbeit der Fürsorgerin wird die Belehrung der Angehörigen sein. Ein¬
blick in die Heilanstalt und Werkstätte ist für die Frauen notwendig, damit
sie alles aus eigener Anschauung kennen lernen. Mit warmherzigem Emptinden
schliderte die Rednerin die einzelnen Zweige der Frauenfürsorge gegenüber
den Kriegsbeschädigten als Helferin, Gattin und Erzieherin der Kinder.
7. Die Fürsorge für die Familien der Kriegsbeschädigten. Bericht¬
erstatter Pastor Kießling-Hamburg: Die Fürsorge entspricht im allgemeinen der
Hinterbliebenenfürsorge; sie ist um so notwendiger, als die Versorgungsansprüche
des Kriegsteilnehmers auf die Größe der Familie keine Rücksicht nehmen. Ihr
Ziel müsse sein, die Familien in den Stand zu setzen, aus eigener Kraft zu
bestehen. Die Familienfürsorge muß mit der Kriegsbescbädigtenfürsorge eng©
Fühlung nehmen; ihre Organisation sei schon jetzt wünschenswert. Hierzu seien
besondere Ausschüsse erforderlich; jedenfalls dürfe nach dem Kriege dieser
Zweig der Fürsorge uicht der öffentlichen Armenpflege zugewiesen werden.
Wortmeldungen für die Aussprache lagen nicht vor.
D. Sondertagungen anläßlich der Ausstellung für Krlegsheschädigtenfärsorge
in com.
Am 19. August 1916:
I. Tagung der deutschen Gewerhvereine.
Der Verbandsvorsitzende Hartmann-Berlin und der Leiter des rheinisch¬
westfälischen Gaues Czieslick erörterten die Aufgaben des Verbandes auf dem
Gebiete der Sozialversicherung unter besonderer Berücksichtigung der Kriegs-
beschädigtenfürsorge. Es wurde eine Entschließung angenommen des Inhalts,
daß der Bezirkstag den in der Kriegsbeschädigtenfürsorge wirkenden Körper¬
schaften und dem Tätigkeitsausschuß der Rheinprovinz Anerkennung ausspriebt
und sich zur Mitarbeit bereit erklärt in der Erwartung, daß auch Arbeitnehmer
überall vollberechtigt zugezogen werden.
über Kriegsbeschädigtenfürsorge.
609
Am 20. August:
11. Tagung des Kriegsansschnsses der vereinigten kaufmfinnisch-
tecbnlschen Verbinde COlna.
Die Krlegsbeschädigtenfürsorge und die Privatangestellten. Bericht*
erstatter Dr. Höfle-Berlin: Die Zahl der kriegsbescbädigten Angestellten, die
ihren Bern! nicht mehr ansüben können, wird voraussichtlich nicht übermäßig
groß sein, weil bei ihnen die geistige Tätigkeit ausschlaggebend ist. Neben
den auch für andere Kriegsbeschädigte geltenden Grundsätzen der Umbildung
in gegebenen Fällen besteht die besondere Bedeutung der Kriegsbeschädigten¬
fürsorge für die Angestellten darin, daß eine große Zahl Kriegsbeschädigter
anderer Berufe Unterkommen in den Stellungen der Privatangestellten suchen.
Weiter kommt in Betracht der Ersastz der Kriegsbeschädigten durch Frauen¬
arbeit; sodann besteht die Gefahr der Gehaltsdrückung durch Anrechnung der
Bente. Für eine möglichst gute Ausbildung ist Sorge zu tragen. Vertreter
der Angestelltenorganisationen müssen in den Ortsausschüssen zur Berufs¬
beratung herangezogen werden. Die sogenannten Pressen und Schnellkurse
verdienen besondere Beachtung. Die Frauenarbeit darf nicht zur Lohndrückerei
führen. Für die Bemessung des Gehaltes darf nur die Leistungsfähigkeit
auch bei Kriegsbeschädigten ausschlaggebend sein. Die Gefahr der Anrech¬
nung der Bente ist beim Angestellten größer als in anderen Berufen.
Diese Ausführungen wurden in der Aussprache von sämtlichen Bednera
noch unterstrichen.
Am 22. August:
UI. Tagung der KriegsblindenfUrsorge in der Rheinprovinz,
veranstaltet von der Kricgsbescbädigtcnfürsorge der Provinzialverwaltung
unter Mitwirkung des Vereines der Fürsorge für die Blinden der Rheinprovinz.
1. Die Augenbeschädigungcn im Kriege und ihre Folgen. Bericht¬
erstatter Prof. Dr. Stargard-Bonn: Die Zahl der Kriegsverletzungen am Seh¬
vermögen ist verhältnismäßig hoch, wovon ein gut Teil der Schuld der von
den Engländern beliebten Verwendung von Infanteriegescbossen mit Explosiv¬
stoffen zuzumessen ist. Redner schildert dann die ilauptfälle von Augen-
verletzungcn und ihre Heilmittel, deren einfachstes der Magnet ist. Mit ihm
gelingt es in Friedenszeiten nur in etwa 8 Prozent aller Fälle nicht, den ein¬
gedrungenen Splitter zu entfernen; infolge der größer« n Durchschlagskraft der
Geschosse und der ausgedehnteren Zersplitterungen ist dieser Prozentsatz im
Kriege viermal höher. Außer den Augenschüssen kommen auch sonst noch
Beeinträchtigungen und Schädigungen des Sehvermögens vor als Nebenwirkung
von Krankheiten und Unfällen. Bei einer sehr großen Zahl ist cs möglich,
wenn die Sehnerven nicht gänzlich vernichtet sind, ausgezeichnete Heilerfolge
zu erzielen, deren Steigerung noch stetig fortschreitet.
2. Neue optische Heilmittel für die Behandlung der Angenbeschä¬
digten. Berichterstatter Dr. Kuflfler, Leiter der Augenklinik der allgemeinen
städtischen Krankenanstalten in Düsseldorf: Redner behandelt unter Zuhilfe¬
nahme von Lichtbildern alle neuen optischen Hilfsmittel iiir die Behandlung
der Augenbeschädigten, die es ermöglichen sollen, diese Beschädigten ihrem
Berufe zu erhalten.
3. Das rheinische Blindenbildnngs- und Versorgungswesen und die
Kriegsblinden. Berichterstatter Schulrat Baldus, Direktor der Rheinischen
Provinzialblindenanstalt in Düren: Auch bei dem Kriegsblinden spielt die Mög¬
lichkeit der seelischen Aufrichtung eine große Rolle; er muß mit allen Kräften
dabin gebracht werden, seine körperlichen und geistigen Kräfte neuerdings zu
betätigen und weiterzubilden. Wie das zu geschehen hat, wurde in Licht¬
bildern vorgeführt.
4. Der ausgebildete Blinde im Erwerbsleben. Berichterstatter Augen¬
arzt Dr. Stutzer-Bonn: Der ausgebildete Blinde kommt jetzt auch in Frage
als Industriearbeiter, Kaufmann, Handwerker und als Akademiker, der seinen
Beruf praktisch ausüben soll, ln Marburg wird im nächsten Winter ein aka¬
demisches Blindenheim eröffnet, das auch erblindeten Akademikern die Mög¬
lichkeit der Fortsetzung und Vollendung ihrer Studien bieten soll. Der Verein
der blinden Akademiker schafft dort die wichtigste Vorbedingung für das
610 Bericht über den Kongreß
Hochschulstudium Blinder in einer Bibliothek für wissenschaftliche Fachliteratur
in Blindenschrift.
An die Vorträge schloß sich eine rege Anssprache in der besonders her-
vorgehoben wurde, daß die Kriegsblinden bei ihrer Beschäftigung zwar die ihnen
schuldige Rücksicht verlangen, aber ganze Arbeit leisten wollen und auch können.
IV. Tagung des Cölner Bezirksvereins deutscher Ingenieure.
Veber die Schaffung und Benutzung von Ersatzgliedmaßen für Kriegs¬
beschädigte. Berichterstatter Oberingenieur Neumann - Cöln: Der Verein
-deutscher Ingenieure hatte durch Preisausschreiben zur Schaffung solcher Ersatz¬
glieder Anregung gegeben, wofür ihm vom Kriegsministerium 20000 M. zur
Verfügung gestellt waren. Bei dieser Prüfung wurde der Jagenberg- und der
Rota-Ersatzarm mit je 2000 M., weitere Erfindungen mit Preisen von 400 bis
1600 M. ausgezeichnet. Die Verwendungsfähigkeit dieser Ersatzglieder wird
im Lichtbildervortrage gezeigt bei allen möglichen Arbeiten in industriellen,
gewerblichen, landwirtschaftlichen usw. Betrieben. Auch der Träger des von
der Gemeinnützigen Gesellschaft des Vereines deutscher Ingenieure hiergestellten
beiderseitigen Carnes-Arms, der nur noch den rechten Armstumpf bis über das
Ellenbogengelenk und den linken Oberarmstumpf besitzt, zeigte, wie er sich
-mit Hilfe des doppelten Ersatzarmes selbst an- und auskleiden, rasieren, käm¬
men usw. und alle möglichen Arbeiten verrichten kann.
Danach fand ein Lichtbildervortra^ über Siedlungen unter besonderer
Berücksichtigung der Bauten von Einfamilienhäusern statt.
Am 23. August:
V. Tagung der Provinzialabteilung des deutschen Vereine für ländliche
Heimats- und Wohlfahrtspflege.
1. Ueber die Fürsorge für Kriegsbeschädigte. Berichterstatter Oeko-
nomierat Dr. Reinhardt : Die Beschäftigung Gliederverlctzter sei in der Land¬
wirtschaft eine so verschiedene und vielseitige, daß ganz besondere Verhält¬
nisse vorliegen müßten, wenn sie hier nicht untergebracht werden könnten.
Anders sei es bei den innerlich Kranken; hier müßten noch besondere Einrich¬
tungen getroffen werden und die Gesetzgebung zu Hilfe gerufen werden, um
auch diese vor Borgen zu schützen. Der Berufsflucht müsse ebenso wie der
Landflucht entgegengetreten werden. Das Zusammenarbeiten in einem Berufe,
besonders im Gartenbau und in der Landwirtschaft, hätte sich geradezu als
Heilmittel bewährt.
2. Ueber die Beschäftigung Leicht* und Schwerverletzter. Bericht¬
erstatter Dr. Radicke • Görden: Redner schildert an der Hand von Vorstellung
Verletzter und von Lichtbildern, wie auch Schwerverletzte mit dem besten Er¬
folge im landwirtschaftlichen Lazarett eingestellt werden, um dann bis zu
50 Prozent ihrer früheren Arbeitsfähigkeit wieder zu erlangen.
Die nächsten Vorträge haben kein ärztliches Interesse.
VI. Tagung des Kartells der christlichen Gewerkschaften.
Unser Wirken für die Kriegsbeschädigten. Berichterstatter Georg
Streeter- Berlin, Vertreter des Gesamtverbandes der christlichen Gewerk¬
schaften im Hauptausschuß für Kriegsbeschädigtenfürsorge: Bei der Beurtei¬
lung der Rentenbezüge muß jedes parteipolitische Getriebe ausgeschalten werden.
Es sei erfreulich, daß sich bei der Kriegsbeschädigtenfürsorge Arbeitgeber und
-nehmer zusammengefunden hätten. Redner schildert dann eingehend die Tätig¬
keit des lleichsausschusses, erläutert das Kapitalabflndnngsgesetz und fordert
eine gesetzliche Neuregelung der Rentenversorgung der Kriegsbeschädigten
nach sozialen Gesichtspunkten. Die Fürsorge muß auch auf die ohne Ver¬
sorgung entlassenen Kriegsbeschädigten und im Kriege Erkrankten ausgedehnt
werden.
VII. Tagung des Reichsverbandes des privaten Vereine für Kriegsfürsorge.
1. Ueber den gewerblichen Mittelstand und die Kriegsfürsorge.
Berichterstatter Freiherr v. Steinäcker-Berlin: Für den gewerblichen Mittelstand
kommen bei der Wiederanfrichtung des Betriebes die Kriegshilfskassen in Frage
zur Sicherstellung der Existenz. Sie sollten auch denen, die ohne gesund¬
heitlich und körperlich geschädigt zu sein, wirtschaftlichen Schaden infolge
des Krieges erlitten haben, Hilfe gewähren durch Gewährung von Darlehen
über Kriegsbeschädigtenfürsorge.
611
bis za 3000 M. gegen sichere Bürgschaft and Zinsen. Da das nicht aasreicht,
will der Beichsverband u. a. anstreben, daß statt dessen zwar noch kleinere
Sammen, aber ohne Rückgabezwang gegeben werden sollen.
2. lieber die Bedeutung des Beichsyerbandes für die Kriegsfürsorge
der Arbeitgeber. Berichterstatter Herr Kaestner* Wiesbaden; Vortrag and
Aassprache haben kein ärztliches Interesse.
Am 26. Aagust:
VIII. Tagung des Westdeutschen Handwerks,
veranstaltet von den rheinischen Handwerkskammern.
1. lieber das Handwerk and die Kriegsbeschädigtenfürsorge. Bericht¬
erstatter Dr. Wilden, Syndikus der Düsseldorfer Handwerkskammer: Die Zahl
der kriegsbeschädigten Handwerker sei ungeheuer groß; sie strebten durchweg
nach einem „Postchen“ oder „ Aemtchen“, weil sie in ihrem Berufe nur unter
schwierigen Verhältnissen weiter beschäftigt werden könnten. Trotzdem müsse
man hierauf in erster Linie bedacht sein und zu diesem Zwecke dahin streben,
daß der durch den Krieg beschädigte Handwerker möglichst zur Selbstständig¬
keit gebracht werde, um dadurch den Schwierigkeiten der abhängigen Hand¬
werker entgegenzutreten. Deshalb müßten für sie Meisterkurse abgchalten und
gewisse Erleichterungen bei der Abschlußprüfung gewährt werden. Auch die
Verbindung von Handwerk und Landwirtschaft biete für die Beschädigten eine
Entwicklungsmöglichkeit; deshalb müßten sie auf dem Lande angesiedelt werden.
2. lieber die Kapitalabfindung für Kriegsrentenemfänger. Bericht¬
erstatter Sekretär der Cölner Handwerkskammer Sommerhäuser: Auch für die
kriegsbeschädigten Handwerker ist diese Maßnahme geeignet, namentlich um
zur Wiedererstarkung des Wirtschaftslebens beizutragen.
3. Ueber die Kriegshilfskasse in der Rheinprovinz. Berichterstatter
Geschäftsführer des Rheinischen Handwerksbundes Thomas-Essen: Der Vor¬
trag hat kein ärztliches Interesse.
IX. Tagung des Verbandes der deutschen gemeinnützigen und
unparteiischen Rechtsauskunftsstellen.
1. Die Lehren der Krlegsverletztenfiirsorge für die Fürsorge der
Friedens- insbesondere der Unfallverletzten. Berichterstatter Magistratsrat
Lange • Neukölln: Fußend auf den Erfahrungen, die bei der Kriegsbeschädi^ten-
ftlrsorge gemacht sind, müssen die Unfallversicherungen weit mehr als bisher
ihre Aufmerksamkeit der Arbeitsfürsorge zuwenden und auch für die Friedens¬
verletzten die Berufsberatung, die Berufsausbildung und die Arbeitsvermittelung
für Unfallverletzte als neue Arbeitsgebiete einführen. Zu dieser sozialen Arbeit
müssen auch die Versicherten herangezogen werden. Gestreift wurde die Frage
der Ansiedlung und Abfindung Unfallverletzter; auch die rechtlichen und wirt¬
schaftlichen Fragen dieses neuen Tätigkeitsfeldes der Berufsgenossenschaften
wurden erörtert.
2. Ueber die Rechtsauskunftsstelle und die soziale Fürsorge lür die
Kriegshinterbliebenen. Berichterstatter Prof. Dr. Franke-Berlin: Die Kriegs¬
hinterbliebenen bedürfen der Hilfe der Rechtsauskunftstelle zur Geltendmachung
ihrer Ansprüche, zur Erlangung von Beihilfen aus den privaten Sammlungen
und Stiftungen, die zu diesem Zwecke zur Verfügung stehen, zur Regelung
von Familien- und Erbschaftsangelegenheiten, zur Ordnung geschäftlicher Ver¬
hältnisse, zur Unterstützung bei der Schaffung neuer wirtschaftlicher Grund¬
lagen für den Unterhalt der Familie. Ebenso wichtig ist die Fürsorge dafür,
daß die Geldmittel ihre richtige Verwendung finden, die Witwen geeignete
Berufstätigkeit finden und vor ungeeigneter Beschäftigung gewarnt werden,
und daß ihnen auch in der Heranbildung ihrer Kinder der nötige Beistand
zuteil wird.
3. Die Ausgestaltung der Zivilrechtspilege mit Rücksicht auf die
Kriegsverhältnisse. Berichterstatter Assessor Dr. Hüttner-Essen n. Ruhr:
Redner tritt dafür ein, daß die Rechtsauskunftsstellen, um den Prozesse!! vor-
zubeugen, das Publikum in Recbtskenntnissen, staatsbürgerlichem Unterricht,
Pflege und Stärkung des Gemeinsinnes belehren. Jedem Prozesse müsse ein
Schlichtungs- oder Güteverfahren vorausgehen bei gemeindeamtlichen Schlich-
612
Kleinere Mitteilungen and Bef ernte aus Zeitschriften.
tungsimtern mit Zwangsverfahren. Auch die Dauer der Prozesse könoe durch
ein strafferes richterliches Prozeßleitungsrecht abgekürzt werden. Die Zeit¬
lage sei für solche Aenderungen des Prozeßrechtes sehr günstig.
4. Die außergerichtlichen SQhneverfabren in Privatklagesachen.
Berichterstatter Stadtsekretär Laube-Bielefeld: Redner empfiehlt zur Abstellung
der beim Schiedsgerichtsverfahren hervorgetretenen Mängel die Weiterver-
breitung der in Bielefeld getroffenen Einrichtung, daß Waisenratsmitglieder
uneigennützig Sühnevermittlungen übernehmen; das sei ein völlig kostenloser
Weg, der die Gerichte entlasten und den Parteien dienen würde.
5. lieber die Kriegsarbeit der Zentralstellen znr Bekämpfung der
Schwindelfinnen. Berichterstatter Stadtrat Dr. Link-Ltibeck: Die Verhältnisse
der Kriegszeit haben die Tätigkeit von Schwindelfirmen begünstigt, die die
Dnerfahrenheit der Kriegerfrauen und -Witwen ausbeuten. Die Zentralstelle
zur Bekämpfung der Schwindelfirmen ist diesem gemeingefährlichen Unwesen
entgegengetreten unter dankenswerter Unterstützung der stellvertretenden
Generalkommandos. Wenn aber mit Aufhören des Kriegszustandes die Verbote
der letzteren hinfällig werden, wenn ein gesteigerter Warenbedarf und ein
gesteigertes Kreditbedürfnis zutage treten, dann werden sich die Schwindel¬
firmen wieder rühren und die wirtschaftliche Erholung erheblich erschweren,
falls ihnen nicht mit allem Nachdruck entgegengetreten wird. Das Interesse
einer gesunden Volkswirtschaft läßt daher eide nachdrückliche Bekämpfung
der Scnwindelfirmen für die Zeit nach dem Kriege ganz besonders geboten
erscheinen. Zu wünschen sei, daß die Zentralstelle in ihrer Arbeit durch
örtliche Bezirksstellen unterstützt werde, die sich schon an manchen Orten
bewährt haben.
An die Vorträge schloß sich eine Aussprache, in der im wesentlichen den
Ausführungen des Redners beigestimmt wurde. Dr. Ritter-Minden.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
A. liohvint&ndigentltlgkelt ln Unfall- und Invalldltits- und
KrankenversiohernngMM&ohen.
Ungefährliche nicht mit starken Schmerzen verbundene Operationen
ohne Narkose (z. B. Iridektomie) liegen im Rahmen des Heilverfahrens
nnd sind bei unbegründeter Verweigerung ihrer Dnldnng durch Versagen
der Unfallrente nach § 606 R.V.O. erzwingbar. Rekurs-Entscheidung
des Reichsversickerungsamts vom 3. Mai 1916.
Durch die rechtskräftige Entscheidung des Überversicherungsamts vom
10. März 1914 ist der Endbescheid vom 6. Januar 1914, durch den der Klager
zwecks Vornahme einer Augenoperation (Iridektomie) in die städtische Augen¬
klinik in Essen eingewiesen ist, bestätigt worden. Bei dieser Entscheidung ist
das Oberversicherungsamt von dem anerkannten Grundsatz, daß kein Verletzter
zur Duldung eines Eingriffes in den Bestand oder die Unversehrtheit des
Körpers verpflichtet ist, ansgegangen, ist aber im Anschluß an die ärztliche
Beurteilung zu der Ueberzeugung gelangt, daß die in Bede stehende Operation
einen diesem Grundsatz widersprechenden Eingriff nicht, dar-tclle, da sie weder
gefährlich noch mit starken Schmerzen verbunden sei, lind der Eingriff auch
keine allgemeine Narkose erforderlich mache. Es fragt. sich, ob die Rechts¬
kraft dieser Entscheidung für das gegenwärtige Verfahren, das die Benten-
entziehung gemäß § 606 der R.V.O. zuin Gegenstände hat, als bindend anzn-
sehen ist und eine erneute Prüfung der Frage, ob der Kläger zur Duldung der
Operation verpflichtet ist, ausscbließt. Bei Prüfung dieser Frage kann es
dahingestellt bleiben, ob die Wirkung der Rechtskraft auch auf eine solche
Entscheidung ausgedehnt werden kann, die in Abweichung von jenem Grund¬
satz eine andere grundsätzliche Ansicht ausspricht. In einem solchen Falle
wäre zu erwägen, ob in der Berechtigung des Verletzten, jene eigentlichen
Operationen abzulehnen, nicht ein unantastbares persönliches Recht erblickt
werden muß, das selbst durch rechtskräftige Entscheidung nicht beseitigt
werden kann. Indessen eine solche grundsätzliche Abweichung ist in der vor¬
liegenden Entscheidung gar nicht ausgesprochen; vielmehr hat das Ober-
versicherungBamt in Anerkennung jenes Grundsatzes aus Gründen rein tat*
Kleinere Mitteilungen und Referate atu Zeitschriften.
613
sächlicher Natur angenommen, daß der hier in Frage kommende Eingriff sich
bei seiner Geringfügigkeit im Rahmen der im Wege des Heilverfahrens zuver¬
lässigerweise zu erzwingenden Maßnahmen halte. Deshalb konnte dieser Ent¬
scheidung jedenfalls die Wirkung der Rechtskraft nicht versagt werden.
Denn eine Nachprüfung dieser rein tatsächlichen Verhältnisse würde mit der
Rechtskraft der bereits vorliegenden Entscheidung unvereinbar sein. Im gegen¬
wärtigen Verfahren war sonach zu prüfen, ob die nach § 606 der R. V. ü. zur
Versagung der Entschädigung erforderlichen Voraussetzungen vorliegen. Diese
Frage war zu bejahen. Der Kläger hat für die Nichtbefolgung der das Heil¬
verfahren betreffenden Anordnung einen gesetzlichen oder sonst triftigen Grund
nicht beigebracht, während aus den Gutachten des Dr. H. in Essen vom 13. Sept.
und 5. November 1913 zu entnehmen ist, daß durch das Verfahren mit Wahr¬
scheinlichkeit infolge Verbesserung des Sehvermögens, Vermeidung künftiger
neuer Entzündungen und dauernder Beruhigung des Auges ein günstiger, die
Erwerbsfähigkeit wesentlich erhöhender Erfolg herbeigeführt werden würde.
Auch ist der Kläger auf die als Folge der Weigerung berechtigterweise ein¬
tretende Versagung des Schadenersatzes in dem Bescheide vom 13. November
1913 hingewiesen worden. Die Entziehung der Rente auf die Dauer eines
Jahres erscheint daher gerechtfertigt. (Kompaß; 1916, Nr. 17.)
B. Bakteriologie and Bek&mpfang der übertragbaren Krankheiten.
1. Pocken.
Erfahrungen mit der experimentellen Pockendiagnose nach Paul.
(Aus dem Kgl. Institut für Infektionskrankheiten „Robert Koch“.) Von
Dr. H. A. Gins. Deutsche med. Wochenschrift; 1916, Nr. 37.
Das von Paul-Wien 1915 mitgeteilte Verfahren zur Unterscheidung
der echten Pocken von Windpocken beruht auf der Hückelschen Beobachtung,
daß eigenartige Veränderungen der mit Variolavirus geimpften Kaninchen¬
hornhaut nach dem Einlegen in Sublimatalkohol erkennbar werden, die der
Feststellung am lebenden Tier häufig entgehen.
Der Tierversuch ist folgender: Das aus einer eröffneten Pockenpustel
austretende Sekret wird auf einem Objektträger aufgefangen und angetrocknet
(lufttrocken ohne Flamme), dann vor der Verimpfung mit 1—2 Tropfen
50°/oigen Glyzerins gut vermischt und mit einer möglichst feinen Nadel auf
d:e kokainisierten Hornhäute gebracht. Zu diesem Zweck wird auf der Horn¬
haut ein Gitterwerk von Kratzern angelegt, so daß kleine Vierecke von etwa
1 mm Seitenlange entstehen, und der Pustelinhalt mit einem kleinen Metall¬
spatel auf das eröffnete Hornhautepithel eingerieben. Während die traumatischen
Erscheinungen nach 24 Stunden an der Hornhaut verschwunden sind und die
negative Hornhaut nach 48 Stunden wieder wie normal aussieht, lassen sich
bei der Anwesenheit von Variolavirus mit Hilfe einer 6—8 fachen Lupenver-
größerung Veränderungen erkennen. Diese werden deutlicher und charakteristisch,
wenn die Hornhaut des nach Schlachten des Kaninchens herausgenommenen
Auges in Sublimatalkohol gelegt ist. Unmittelbar nach dem Einlegen beginnt*
die Hornhaut sich schwach milchig zu trüben, und bereits 2—5 Minuten nach
dem Einlegen treten im Verlauf der Kratzer und zwischen ihnen runde, intensiv
milchweiß gefärbte Partien auf, die den Ansiedelungen des Variolavirus ent¬
sprechen. Immer sind sie kreisrund, in der Mitte am intensivsten weiß, an
den Rändern allmählich ins normale Gewebe übergehend; ihre Größe ('/*—2 mm
Durchmesser) schwankt, ebenso ihre Zahl (vereinzelt bis zu einem Dutzend
und mehr).
Bei Verimpfung anderer Materialien sind diese Erscheinungen niemals
beobachtet. Pustelinhalt von Varizellen läßt die Hornhaut ganz unverändert.
Uebung im Beobachten und Deuten, namentlich bei etwas verwischtem Ausfall
des Tierversuches, ist notwendig.
Verfasser hat mehr als 150 Proben von Pustclinhalt verimpft, 100 davon
mit besonders dünner und spitzer Stahlnadel und danach bei 51 Fällen von
klinischer Pockendiagnose und 49 Fällen von Windpocken oder anderen Haut¬
affektionen folgende Ergebnisse erzielt: in den klinischen Pockenfällen war der
Tierversuch 37 mal positiv, 2 mal zweifelhaft, 12 mal negativ, in den Wind¬
pockenfällen 48 mal negativ, drei zweifelhaft, drei positiv. Es hat also die
614
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
Diagnose der Kaninchenhornhaut mit der klinischen Diagnose übereingestimmt
in 80 °/o der Fälle, unentschieden mußte sie bleiben in 5 ü /o und war entgegen¬
gesetzt der klinischen Diagnose in 15°/o der Fälle. Besonders bemerkenswert
erscheint dabei, daß kein einziger sicherer Fall von Windpocken bei Kindern
einen positiven Tierversuch ergab. Daraus schließt Verfasser, daß die Ver¬
änderung der Hornhaut für Pocken spezifisch ist. Anderseits
betont er ausdrücklich, daß gelegentlich bei einwandfreien schweren
Pockenfällen ein negativer Tierversuch vorkommt, der bisher
nicht aufzuklären ist. Es läßt Bich daher aus den bisherigen Ergebnissen
entnehmen, daß 1. der positive Tierversuch nach der Panischen Methode
für Pocken beweisend ist, 2. der negative Tierversuch den klinisch
begründeten Pockenverdacht nicht erschüttern soll. Die Diagnose läßt sich
in den meisten Fällen bereits nach 48 Stunden sichern.
Mit der genannten Einschränkung ist die Methode des experimentellen
Pockennachweises durch das Pa ul sehe Verfahren in medizinalpolizeilicher
Hinsicht von erheblicher Bedeutung; sie erscheint berufen, eine empfindliche
Lücke in unseren diagnostischen Hilfsmitteln, bei Pocken zu schließen. Das
Ministerium des Innern bekundete daher auch sein Interesse durch die An¬
weisung an die Kreisärzte, von jedem Fall von Pocken, Pockenverdacht und
Windpocken umgehend Pustelinhalt, auf Objektträger angetrocknet, an das
Institut einzusenden. Dr. R o e p k e - Melsungen.
Ein Beitrag zur Beurteilung der Bauer des Pockeninipfschutzes.
Von Dr. H. A. Gins, Hilfsarbeiter im Ministerium des Innern. Deutsche
med. Wochenschrift; 1916, Nr. 38.
Der durch Impfung und Wiederimpfung bei der preußischen Bevölkerung
erzielte Pockenschutz ist bis zum 40. Lebensjahr wirksam; er nimmt etwa
vom 80. Lebensjahr an allmählich ab. Jenseits des 40. Lebensjahres muß bei
etwa einem Drittel der Einwohner noch ein deutlicher, wenn auch verminderter
Impfschutz angenommen werden. Eine Impfung der Erwachsenen um das
40. Jahr erscheint wünschenswert und geeignet, die Mehrzahl der Pockenfälle
bei älteren Erwachsenen zu vermeiden.
Diese Ergebnisse, die im Oktoberheft der Vierteljahrschrift für gericht¬
liche Medizin ausführlich besprochen sind, sollen den Praktiker über die Frage
der Dauer des Pockenschutzes unterrichten, zugleich aber anregen, daß anlä߬
lich der regelmäßigen Wiederimpfungstermine und der außerordentlichen
Impfungen bei Pockengefahr über die Art des Impferfolges weiteres Material
gesammelt wird, damit die obigen Ergebnisse nachgeprüft und weiter geklärt
werden können. Dr. Roepke-Melsungen.
2. Fleckfieber.
Zur Aetlologie des Fleckflebers. Von Stabsarzt Dr. H. Töpfer und
H. 8cbüßler f. Deutsche med. Wochenschrift; 1916, Nr. 88.
In den Kleiderläusen von Fleckfi e berkranken im vorgeschrittenen Stadium
oder von Rekonvaleszenten lassen sich regelmäßig ganz bestimmte bakterien¬
artige Gebilde nachweisen, deren Form, Lagerung und massenhaftes Auftreten
so charakteristisch ist, daß eine Verwechslung mit anderen Parasiten in der
Laus ausgeschlossen ist.
Genau dieselben Körperchen findet man in Läusen, die Oesanden abge¬
nommen und für mehrere Tage an Fleckfieberkranke angesetzt wurden. Zahl¬
reiche Kontrolläuse blieben steril.
An dieselben Patienten, an denen sich Liiuse während der Krankheit
infiziert hatten, wurden andere Läuse nach der Entfieberung angesetzt. In
diesen ließen sich die charakteristischen Flecktieberparasiten nicht nachweisen.
Das Fleckfiebervirus kreist hauptsächlich auf der Höhe des Exanthem¬
stadiums im Blut. Nach der Entfieberung scheint der Mensch nach den
bisherigen Untersuchungen nicht mehr Virusträger zu sein.
Auf die Eier und Nachkommenschaft infizierter Läuse geht das Virus
wahrscheinlich nicht über.
Beim Meerschweinchen lassen sich mit dem Darminbalt infizierter Läuse
Keinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 615
unter Abkürzung der Inkubationszeit dieselben Fiebererscheinungen hervorrufen
wie mit Patientenblut.
Eine Züchtung und Anreicherung des Virus gelang bisher nur im Darm¬
kanal der Kleiderlaus. _ Dr. Roepke-Melsungen.
*3. Epidemische Genickstarre.
Histologische und histologisch - bakteriologische Befunde beim
petechialen Exanthem der epidemischen Genickstarre. Von Prof. Dr.
L. Pick, Stabsarzt d. Res. Deutsche mcd. Wochenschrift; 1916, Nr. 33.
Das petechiale Exanthem bei epidemischer Genickstarre zeigt gegenüber
dem mikroskopischen Bild der Fleckfieberroseola genügende Unterschiede. Im
Vordergründe seiner Histologie stehen entzündlich exsudative Vorgänge: neben
der Extravasation roter Blutkörperchen reichliche Leukozytenauswanderung;
indes ist das Gesamtbild kein einheitliches.
Die Petechien der inneren Organe können nach epidemischer Genickstarre
gleichfalls Entzündungsherdchen enthalten oder sich mehr in Form reiner
Ekchymosen darstellen. In 2 Fällen gelang dem Verfasser der färberische
Nachweis der Meniogokokken in den Arteriolen und Kapillaren des petechialen
Exanthems, weniger häufig und spärlicher in den zirkumvaskulären Infiltraten.
Die Vernichtung der Meningokokken erfolgt dnreh leukozytäre Phagozytose
und zwar schnell und zum größten Teil bereits innerhalb der Blutbahn. Dadurch
erhält die aus den Kultnrergebnissen am Lebenden und an der Leiche bereits
sichergestellte Meningokokken-Septikämie eine greifbare morphologische Grund¬
lage. Auch wird durch den intravaskulären Meningokokken-Nachweis der
Schluß wahrscheinlich, daß das petechiale Exanthem und die Petechien der
inneren Organe bei epidemischer Genickstarre durch die Lokalisation der
Meningokokken entstehen. _ Dr. Roepke-Melsungen.
4. Geschlechtskrankheiten und Bekämpfung der Prostitution.
Die Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten und ihre Folgen. Von
Dr. Prinz in g und Dr. Herzfeld. Zeitschrift für Bahnärzte; 1916, Nr. 9.
P. stellt folgende Forderungen auf:
1. Untersuchung der Eisenbahnbeamten in den besetzten Ländern vor
der Entlassung durch Militärärzte.
2. Ueberweisung der Geschlechtskranken in Militärlazarette.
3. Eintrag der Untersuchung in das Anstellungsdekret.
4. Untersuchung der Zurückgekehrten durch die Bahnärzte.
&. Uebernahme der Kosten der bei diesen notwendig werdenden Wasser-
mannschen Untersuchungen auf die Eisenbahnverwaltung.
H. verlangt: An Geschlechtskrankheiten leidende Beamten sind bis zu
ihrei vollständigen Wiederherstellung abzulehnen, erkrankte Beamte sind aus
dem Dienste bis zu gleichem Zeitpunkte fernzuhalten. Personen, die in früheren
Jahren syphilitisch erkrankt waren, dürfen erst dann wieder in den Dienst
eingestellt werden, wenn nach Ablauf von 3 Jahren nach angeblicher Heilung
der Wassermann mehrmals negativ ausgefallen ist. Dr. Wolf-Hanau.
Ist eine Anzeigepflicht der Geschlechtskrankheiten anzustreben?
Von Prof. A. Blaschko. Mitteilungen der D. Gesellschaft zur Bekämpfung
der Geschlechtskrankheiten; Bd. 14, Nr. 3—4.
Die Anzeigepflicht — wenigstens eine allgemeine Anzeigepflicht, wie sie
jetzt von den verschiedensten Seiten gefordert wird — ist eine stumpfe Walle.
Ob nicht unter besonderen Umständen, in ganz besonderen Fällen, eine be¬
schränkte Anzeigepflicht auch für die Geschlechtskrankheiten zweckmäßig sein
kann, ist eine ganz andere Frage. Dr. Wolf- Hanau.
5. Schwarzwasserfieber.
Zur Theorie des Schwarzwasserflebers. Von Priv.-Doz. Dr. K. Hintze,
Hygienisches Institut der Universität Leipzig. Deutsche med. Wochenschrift;
1916, Nr. 39.
Das in malariaverseuchten Ländern auftretende Krankheitsbild des
616
Kleinere Mitteilangen and Befer&te aas Zeitschriften.
Schwarzwasserfiebers ist darch eine nnter Fiebererscheinungen sich entwickelnde
Hämoglobinurie gekennzeichnet. Die Hämoglobinurie in anserm Klima hat
verschiedene Ursachen. Auch die als Schwarzwasserfieber bezeichnete and
meist im Anschluß an Malaria vorkommende Form hat keine einheitliche
Aetiologie. Za ihrer Erklärung sind mehrere Theorien aufgestellt. Nach
Verfasser ist eine der Ursachen möglicherweise in dem Einfluß der strahlenden
Energie za suchen, wobei das in den roten Blutkörperchen vorhandene Chinin
und die durch die Malariaplasmodien erzeugten Abbauprodukte des Hämoglobins
als sensibilisierende Substanzen dienen. Hintze regt daher an, bei Schwarz¬
wasserfieberkandidaten Versuche anzustellen, ob ihr Blut gegen Bestrahlung
empfindlicher ist als das gesunder Individuen. Dr. B o e p k e - Melsungen.
6. Desinfektion.
Hartmanns „Unlformal“ - Desinfektor. Von DipL-Ing. G. Kruger-
Berlin. Der praktische Desinfektor; 1916, Nr. 9.
Der beschriebene Apparat ermöglicht ohne Anwendung des verminderten
Luftdruckes bei Temperaturen von 60° C. leicht empfindliche Gegenstände mit
derselben Sicherheit und Schonung zu entkeimen, wie es bisher in V&kuum-
apparaten mit strömenden Formalinwasserdämpfen der Fall war. Die Luft¬
pumpe, der Kondensator, die vielen verbindenden Bohrleitungen, die an
Vakuumapparaten bekannt sind, fallen bei diesem Apparat weg, somit auch
im Betriebe alle jene Betriebsschwierigkeiten und Betriebsstörungen, die jedem
Vakuumapparate anhaften. Der Anschaffungspreis ist nahezu auf die Hälfte
verringert, ebenso die Unkosten, die jede einzelne Desinfektion bedingt. Soll
eine Formalin-Desinfektion vorgenommen werden, so werden die Gegenstände
vorschriftsmäßig im herausgezogenen Wagengestell der Desinfektionskammer
locker geschichtet bezw. aufgehängt. Der Doppelmantel der Kammer, der die
Unveränderlichkeit der Temperatur während der Desinfektion bewirkt, wird
bis zum Ueberlauf mit Wasser angefüllt. Dann wird das Feuer auf dem Bost
entzündet oder die Heizung angestellt. Meistens sind aber diese Apparate mit
Unterfeuerung ausgerüstet des ungewöhnlich geringen Verbrauchs an Heiz¬
material wegen. Nachdem die Kammer geschlossen ist, beginnt die Ver¬
trocknung der Gegenstände im Innern. Der auf Desinfektionstemperatur ge¬
brachte Wassermantel entzieht den Objekten soviel Feuchtigkeit, wie es die
Temperatur von 60° C. bedingt. Die Dämpfe selbst werden abgeleitet. Auf
diese Weise wird künstlich die Aufnahmefähigkeit der Desinfektions-Objekte für
Feuchtigkeit vorbereitet. Währenddessen ist der neben der Desinfektionskammer
stehende Formalinentwickler mit 4 Liter Formaldehyd von 40°/o und 4 Liter
Wasser gefüllt. Zeigen die beiden Türthermometer an der Desinfektionskammer
ca. 35® 0., so wird der Formalinverdampfer geheizt, und die entstehenden
Dämpfe werden in die vorgewärmte Kammer geleitet. Sobald die im Verdampfer
befindliche, für jede Desinfektion stets gleiche Menge Formalinflifesigkeit ver¬
dampft ist, wird das Ventil in der Zuleitung vomVerdampfer zur Kammer
sowohl, wie das Entlüftungsventil des Desinfektionsapparates geschlossen.
Die Beendigung der Verdampfung im Formalinverdampfer wird selbst¬
tätig durch ein Signalrohr angezeigt. Es vollzieht sich nunmehr die überaus
wichtige Sättigung des vorgetrockneten Desinfektionsgutes mit den eingeleiteten
nassen konzentrierten Formalindämpfen. Während der Desinfektionszeit, die
auf etwa 2 Stunden bemessen ist, zeigt das Thermometer in der Umlaufleitung
des Wassermantels stets 60° C. Die Regelung der Heizung geschieht selbst¬
tätig durch den darin eingebauten Regulator, der gleichzeitig die Luftklappe
der Feuerung automatisch betätigt. Die eigentliche Desinfektion beginnt bei
Abstellung des Formalin-Verdampfers. Nach Beendigung der Desinfektion,
d. h. 2 bis 3 Stunden nach Abstellung des Formalin-Verdampfers, wird ver¬
fahren wie bei der Dampfdesinfektion. Die Gegenstände werden nach Heraus¬
nahme an der Luft kräftig geschüttelt und nusgebreitet. Die Desinfektions¬
kammer selbst wird nicht entlüftet wegen der geringen Kondensation der
Dämpfe im Apparat. Die gewöhnliche Dampfdesinfektion im „Uniformal“-
Desinfektor ist um so einfacher, als der Apparat infolge der guten Wärme¬
speicherung im Wassermantel einen besonderen Dampfkessel zum Betriebe, wie
er bei fast allen Dampfdesinfektionsapparaten dieser Größe angebracht ist,
nicht notwendig hat. Die Dampfmenge, die bei der Desinfektion verbraucht
Kleinere Mitteilungen und Beferate aus Zeitschriften. 6lt
wird, ist so gering, daß die Unterfeuerung des ca. 4 cbm großen Apparates
vollständig ausreichend ist, um den Dampf zu erzeugen. Eine sinnreiche
gesetzlich geschützte Einrichtung gestattet, daß der Wassermantel nicht nur
als Wärmeschutz, sondern auch als Dampfentwickler benutzt wird, der die fttr
die Desinfektion notwendige Dampfmengo liefert.
Die Handhabung des Apparates bei der Dampfdesinfektion ist genau
so, wie sie von den Hennebergschen Dampf-Desinfektionsapparaten bekannt
ist, und unterscheidet sich vorteilhaft nnr dadurch, daß bedeutend weniger
Heizmaterial aufgewendet zu werden braucht. Die Ventilation nach beendigter
Entkeimung ist infolge der ansreichenden Wärmespeicherung besonders wirksam.
Somit können die desinfizierten Gegenstände am Schlüsse vollständig lufttrocken
dem Apparat entnommen werden. Dr. Wolf- Hanau.
O. Hygiene and öffentllohee Gesundheitswesen.
1. Gewerbehygiene.
Die Einwirkung der gesetzlichen Schutzmaßnahmen auf die Gesund¬
heitsverhältnisse der Zinkhiittenarbeiter. Von Beg.- nnd Gewerberat
Dr. Fischer -Potsdam. Zentralblatt für Gewerbehygiene; 1916, Nr. 8.
Im Laufe der Jahre hat sich ein auffallender und erfreulicher Wandel
zum Besseren in den Arbeitsverhältnissen der Zinkhütten vollzogen. An die
Stelle der „Hütten“ sind mehr und mehr gewaltige, hohe und luftige Arbeits¬
stätten getreten, im Innern für das Auge durchdringlich bis in die fernsten
Winkel. — Qualm, Banch und Stanb, die ehemaligen ständigen und heim¬
tückischen Gefährten des schwer arbeitenden Hüttenarbeiters sind aus den
neuzeitlichen Arbeitsräumen hinausgewiesen und in Fesseln geschlagen. Aber
auch der Zinkhüttenarbeiter selbst ist ein ganz anderer geworden, als er vor
einem halben Jahrhundert nach den damaligen Aufzeichnungen gewesen ist.
Unter gesetzlicher Obhut tätig und besonders geschirmt durch die un¬
ablässiger, systematischer, wissenschaftlicher Forschung zu verdankenden Fort¬
schritte der Technik und Hygiene, steht er, den Gefahren erfolgreich trotzend,
an seinem Platze. Der schwierigste Weg in der Entwicklung der Hygiene des
Zinkhüttenbetricbes ist überwunden; er hat gezeigt, wie wir der weiteren,
noch zu bekämpfenden Schwierigkeiten Herr zu werden vermögen. Ohne den
Selbstschutz der Arbeiter ist jedoch kein erfolgreicher Arbeiterschutz denkbar.
Dr. Wolf-Hanau.
Explosion einer Azetylenverdichtungsanlage. Von Gewerbeinspektor
A. Bleyl-Chemnitz. Zentralblatt für Gewerbebygiene; 1916, Nr. 9.
Um derartige Unfälle zu vermeiden, ist vorgeschlagen:
a) tunlichst reines Karbid zu verwenden;
• b) die auf der Gasometerglocke aufzulegenden Beschwerungsgewicbte gegen
das Herabfallen zu sichern;
c) die Entwickler in einem besonderen Baum aufzostellen, damit der die
Entwicklung vornehmende Arbeiter durch den Gang des Kompressors nicht
gestört und von seiner Arbeit nicht abgelenkt wird.
Dr. Wolf- Hanau.
2. Säuglings- und KleinkinderfOrsorge.
Jugendpflege. Von E. B. Halbmonatsschrift für soziale Hygiene und
praktische Medizin; 1916, Nr. 19.
Verfasser bespricht den Verhandlungsbericht der deutschen Zentrale für
Jugendfürsorge. Der Schwerpunkt wird auf Aufklärung der Mutter gelegt,
die in der Erziehung des Kindes ihre liebste und höchste Pflicht zu sehen hat.
Außerdem wird die Wohnungsreform betont. Bei der Lage der Kleinkinder
ist Sicherung des Schutzes und der Entwicklung ihrer geistigen und sittlichen
Kräfte, sowie Sicherung ihrer gesunden körperlichen Entwicklung za erstreben.
An die Sänglingsfürsorge muß sich die Kleinkinderfürsorge anschließen.
Dr. Hoffmann -Berlin.
eis
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
3. Schulhygiene. *
Der Keimgehalt der Schalluft mit besonderer BerBckslchtigung der
DorfscknlverhältniBsc. Von A. Pietsch. Zeitschrift für Schulgesundheits¬
pflege; 1916, Nr. 6.
Verfasser stellt die Ergebnisse früherer Untersacher eigenen Unter¬
suchungen in einer Dorfschulklasse gegenüber und stellt im allgemeinen fest,
daß der Gehalt an Keimen in der Schulluft ein sehr hoher ist, daß unter den
Keimen die indifferenten überwiegen, aber auch Krankheitserreger zu linden
sind. Die Verhältnisse in der untersuchten Dorfschule weichen nicht wesentlich
von anderen Untersuchungsergebnissen ab. Im besonderen zeigte sich aber,
daß durch das Chorsprechen der Keimgehalt der Schulluft erhöht wird, die
Art und der Grad der Reinigung, insbesondere der Subsellien und der Möbel
den Keimgebalt beeinflußt und die Winterventilation nicht imstande ist, die
Luft von den in der Pause aufgewirbelten Keimen schneller zu reinigen, im
Gegenteil eher in entgegengesetzter Richtung sich bemerkbar macht. Praktisch
folgert Verfasser, daß die Bekämpfung des Staubes die beiden Quellen, nämlich
den Staub und den kindlichen Körper zu berücksichtigen hat.
Dr. 8 o 1 b r i g - Königsberg i. Pr.
Fünf Jahre ohrenärztlicher Beobachtungen ln den Volksschulen
Augsburgs. Von Stadtarzt Dr. B a c h a u e r - Augsburg. Zeitschrift für Schul¬
gesundheitspflege, der Schularzt; 1916, Nr. 5 und 6.
Das Ergebnis eines reichen Untersuchungsmaterials wird hier ausführ¬
licher dargetan, beziehen sich doch die Untersuchungen auf insgesamt 30559
Schulkinder.
Nasen-, Rachen- und Kehlkopfkrankheiten wurden in zusammen 6121
Fällen, Ohrenerkrankungen in 1660 Fällen festgestellt. Unter den ersteren
Erkrankungen überwogen bei weitem die Hypertrophien der Gaumenmandeln
(3561 Fälle = 11,7 Proz.). Adenoide Wucherungen kamen in 1414 Fällen
vor. Im übrigen kamen die verschiedensten Erkrankungsformen zur Beobachtung.
Bei den eigentlichen Ohrerkrankungen waren besonders häufig: Chronischer
Mittelohrkatarrh (371 Fälle), Ohrenschmalzanhäufung (336 Fälle), chronische
Mittelohreiterungen und Residuen solcher (im ganzen 542 Fälle), Tabenkatarrh
(235 Fälle) u. a.
Die vorliegenden Ergebnisse beweisen recht nachdrücklich, wie wichtig
die Untersuchung der Schulkiuder auf das Bestehen von Ohren-, Nasen- und
Keblkopferkrankungen durch Fachärzte ist, weisen aber auch ebenso eindringlich
darauf hin, daß bei den so häufigen Erkrankungen dieser Organe eine sach¬
gemäße Behandlung im Kindesalter ein dringendes Erfordernis ist.
Dr. Solbrig-Königsberg i. Pr.
4. Kriegsbeschädlgteufürsorge.
Der Arzt als sozialer Helfer; Arbeitsbehandlung, Unterricht und
soziale Förderung In Lazaretten. Von Dr. Werner Hartwig, Stabsarzt
beim Reservelazarett in Paderborn. Fürsorge für Kriegsbeschädigte und Kriegs¬
teilnehmer; Heft 3. Stuttgart 1915. Verlag von J. Heß. 16 Seiten.
Preis: 0,60 M.
Während die rein ärztliche Arbeit in den Heiraatlazaretten die funktionelle
Ertüchtigung der Verwundeten durch sorgfältige Nachbehandlung und Nach¬
operationen zum Ziele hat, sind dem Arzt durch die weitere Fürsorge für die
aus dem Heeresdienst ausscheidenden Kriegsinvaliden neue, nicht minder
wichtige und dankbare Aufgaben erwachsen, die auch die sozialo Heilung des
Kriegsbeschädigten erreichen sollen. Nach dem Vorgänge im Kreise Paderborn
befürwortet der Verfasser Erteilung von theoretischen Unterricht in rein
gewerblichen und fachlichen Lehrgegenständen, denen zweckmäßig ein Elementar-
kursus in allgemeiner Bildung vorausgeht, ferner praktische Ausbildung und
Uebung in Lazarettwerkstätten und Handwerkerschulen, die in den Heilplan
des Lazarotts aufzunehmen und genau so zwangsweise durchzuführen sind wie
die medikornecbanischen Hebungen. Daran können sich, ärztlich verordnet,
nuch Arbeiten gegen Verdienst anschließen, die sich in diesem Rahmen mit
der militärischen Disziplin wohl vereinen lassen. Eine solche Kriegsinvaliden-
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 619
fiirsorge&bteilung soll jedem größeren Lazarett angegliedert werden und in
enger Fühlung mit den Fürsorgeausschüssen arbeiten. Formulare über Arbeits¬
nachweis, Lazarettkopftafeln mit den ausführlichen ärztlichen Verordnungen
und eine Zusammenstellung der im Kreise Paderborn getroffenen sozialen Heil-
eiurichtungen zeigen, wie sich im einzelnen die Durchführung der sozialen
Fürsorge durch den Arzt zu gestalten hat. Dr. Rehberg-Herzberg a. E.
KriegsinvalidenfUrsorge. Darstellung der in Nürnberg getroffenen
Maßnahmen, Mit 15 Abbildungen und 6 Schriftproben. Würzburg 1915.
Verlag von Curt K a b i tz s c h. 8 48 Seiten. Preis: 0,50 M.
Beratungsausschüsse, in denen Vertreter der Industrie, des Handels, der
Arbeiter- und Angestelltenverbände ehrenamtlich tätig sind, sind jedem Lazarett
zugeteilt, beraten mit dem Arzt über die Fürsorgemaßnahmen und leiten die
dem Orthopädischen Lazarett angegliederten Werkstätten. Durch Fragebogen,
die frühzeitig in den Lazaretten ausgefüllt werden, wird Zahl und Art der für
die Fürsorge in Betracht Kommenden ermittelt. Sie zerfallen in 2 Gruppen:
solche, die früher selbständig und vermögend waren und meist nur einer ge¬
ringen Beihilfe zur Gründung einer Existenz bedürfen, zweitens solche, die
durch Arbeit ihren Erwerb verdienen müssen. Bei diesen bezweckt die Fürsorge
1. die Ausbildung tunlichst im früheren Berufe, die sich nach dem Bericht
des leitenden Arztes fast stets erreichen läßt, unter Umständen durch
Anlernen zu einer Spezialarbeit oder veredelte Ausbildung zu einer höheren
Stufe des Berufes;
2. durch Umlernen oder Neulernen eines Berufes und zwar: praktisch in
Werkstätten, theoretisch in den Fachschulen;
3. Arbeitsbeschaffung, tunlichst beim früheren Arbeitgeber, wenn nötig unter
Benutzung von Sondermaschinen’ zu denen Mittel beigesteuert werden;
4. Unterstützung auch in späteren Zeiten, namentlich bei Arbeitslosigkeit.
Für Sonderzwecke müssen zu der vom Reich gewährten Kriegs- und
Invalidenrente Mittel beigesteuert werden. Alle Fürsorgebestrebungen sind in
einem Ortsausschuß zusammengefaßt, der sich in den Vollzugs-, Finanzaus¬
schuß, den Ausschuß für Berufsberatung, -Ausbildung und Stellenbeschaffung
gliedert. In besonderen Kapiteln werden ferner von den betreffenden Fach¬
männern behandelt: die ärztliche Arbeit im orthopädischen Lazarett, Bau, Ein¬
richtung, geschäftliche Organisation und die ünterrichtserteilung in diesem
sowie die Fortbildung der Kriegsbeschädigten in der Landesgewerbeanstalt.
Abbildungen und Schriftproben illustrieren die Arbeit in den Werkstätten und
die Fortschritte der Zöglinge. Dr. Rehberg-Herzberg a. E.
Ueber chirurgische und allgemeine Kriegsbeschädigtenfürsorge. Von
Prof. Dr v Fritz König, Geh. Med.-Rat Generaloberarzt, z. Z. chirurgischer und
orthopädischer Beirat im Reservelazarett zu Marburg. Berlin 1916. Verlag
von Julius Springer. 28 Seiten; Preis: 0,80 M.
Der eigene Wille des Verletzten, gesund zu werden, ist der beste Bundes¬
genosse im Kampf gegen das Krüppelelend. Die Hemmungen, die diesen Trieb
niederhaltcn, sind Zufriedenheit mit der gewährten Rente und Unkenntnis der
Wege, die zur Wiedererlangung der Leistungsfähigkeit führen. Gegen sie hat
die Kriegsbeschädigtenfürsorge einzusetzen und zwar 1. als ärztliche Behand¬
lung nicht nur eine Heilung der W r unde, sondern auch die Wiederherstellung
der Funktion anzustreben. Ausgehend von den Erfahrungen des Friedens wird
auf dieses Ziel hingearbeitet, namentlich auf dem Gebiete der Frakturbehand¬
lung durch frühzeitige Bewegungsübungen in abnehmbaren Schienen- oder
Streckverbänden, unterstützt durch Bäder, Behandlung der offenen Wunden
an freier Luft unter Bestrahlung mit Sonnen- oder künstlichem Quarzlampen¬
licht. Daran schließen sich schon im Bett Handfertigkeitsübungen (Flechten,
Schnitzen, Knüpfen), spater Uebungen an Apparaten und Turnen an. Herz-,
Lungen- und Hirnverletzungen verlangen eine längere Ruhebehandlung. Bei
Amputation ist schon durch die Operation der späteren Funktion Rechnung
zu tragen; später erfolgt bald eine methodische Stumpfbehandlung. Sobald
eine gewisse Tragfähigkeit erreicht ist, beginnt die Prothesenschule: Anweisung
im Gebrauch von Behelfsprothesen, die allmählich komplizierter werden.
Hand in Hand damit geht 2. die allgemeine Fürsorge in Verbindung mit
620 Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
dem Ortsausschuß und zwar bezweckt diese, unter Wahrung der militärischen
Disziplin, die Beschäftigung und Anregung der Verwundeten, Ausbildung durch
Kommandierung zum Unterricht im Zeichnen, Schreiben, Rechnen und in der
Buchführung, in landwirtschaftlichen und gewerblichen Arbeiten und schließlich
in der Berufsberatung und Unterbringung in sicherer Berufsstellung tunlichst auf
dem früheren Arbeitsgebiet des Beschädigten. Dr. Rehberg -Herzberg a.E.
Die Hand und Ihr Ersatz. Von Prof. Dr. Bonnet, Vorstand der
anatomischen Anstalt in Bonn. 26. Vaterländischer und Kriegs vortrag, gehalten
am 10. und 20. März 1915. 18 Abbildungen, 29 Seiten. Leipzig und Hamburg
1915. Verlag von Leopold Voß. Preis: geh. 0,60 M.
Die menschliche Hand, in ihrem komplizierten Bau und Mechanismus das
Werkzeug der Werkzeuge, ist schwer als solche nachzubilden; wohl aber ist
ihr Ersatz in anderer Weise möglich. Wie sie sich allmählich in einer langen
Entwicklungsreihe aus dem einfachen Stützorgan der Tiere herausgebildet hat,
so lassen sich auch noch verbliebene Reste der Hände, die von der modernen
Chirurgie soweit als möglich erhalten werden, durch Uebung noch soweit aua-
bilden, daß sie zu ungeahnten Verrichtungen fähig werden. In eigenen Ver¬
suchen zeigt der Verfasser, wie man mit einzelnen Fingern und Fingergliedern
schreiben und zeichnen kann und auch lernen kann, mit nur einer Hand alle
gewöhnlichen Verrichtungen des täglichen Lebens und die meisten beruflichen
Arbeiten auszufiihren. Selbst der Verlust des ganzen rechten Armes hat einen
Willensstärken Mann (Graf Zichy) nicht gehindert, ein Sports- und Waidmann
zu werden, und ein Arbeiter mit Verlust des rechten Armes bis zur Hälfte
des Oberarmes und teilweisen Verlust des linken Vorderarmes ist seit 25 Jahren
als Wegebauarbeiter angestellt (F. in Friedrichsfelde, Kr. Oppeln). Noch voll¬
kommener wird der Fortfall dieser Gliedabschnitte durch Prothesen ausge-
f liehen, wie an treffenden Beispielen aus der Geschichte (Götz von Ber¬
ichin gen, Thomas Sch weiller aus Scbwäbisch-Hall) und der Gegenwart
(Schmiedemeister Natius aus Godesberg, Höftmannsche Prothesen) gezeigt
wird. In besonderen Handwerksabteilungen sollen derartig Verkrüppelte unter¬
wiesen werden und zwar besonders von Leidensgenossen, die bereits einge¬
arbeitet sind und ihre eigene Erfahrung und gutes Beispiel in den Dienst
dieser Unglücklichen stellen. Dr. Rehberg-Herzberg a. E.
Werkstätten für ErwerbsbescUränkte (Unfallverletzte, Invalide,
Kriegsbeschädigte). Von Paul Lohmar, Verwaltungsdirektor, Syndikus der
Rheinischen Vereinigung bernfsgenossenschaftlicher Verwaltungen Cöln a. Rh.
Verlag von Richard Schotz. Berlin 1916. 32 Seiten. Preis: 0,60 M.
Der Verfasser tritt dafür ein, die jetzt im Anschluß an die Verwundeten¬
lazarette vielfach errichteten Werstätten auch im Frieden als dauernde Ein¬
richtungen der Reichsversicherung (Unfall-, Invaliden-, Angestelltenversicherung)
bestehen zu lassen. Dieser Endzweck soll schon bei ihrer Gründung berück¬
sichtigt und dabei nach folgenden Gesichtspunkten vorgegangen werden:
1. Während oder unmittelbar anschließend an das Heilverfahren soll in
geeigneten Fällen bei Unfallverletzten und Kranken auf Anordnung des Arztes
unter Leitung eines Fachmannes die Beschäftigung auf gewerblichen und land¬
wirtschaftlichen Arbeiten (Arbeitstherapie) tunlichst anf dem Gelände des
Krankenhauses in den Heilplan aufgenommen werden. Diese ergänzt unmittel¬
bar die Heilmaßnahmen, z. ß. die medikomechanischen, mittelbar aber befördert
sie die Heilung durch Hebung des Allgemeinbefindens, Bewahrung vor Müßig¬
gang nsw. Sie dient so der Heilung an sich (Heilbeschäftigung) und erleichtert
den Uebergang zur Arbeit (Arbeitsgewöhnung). Die gewerbliche Arbeit
kann in Werkstätten für Holz- und Metallbearbeitung erfolgen. Zweckmäßig
ist ferner die Einrichtung einer orthopädischen Werkstätte und die Bildung
einer Sportabteilung.
2. Ausbild ungs- und Anlernlings Werkstätten dienen zur Aus- bezw. Um¬
bildung für einen Beruf oder Anlernung bis dahin ungelernter Arbeiter für
besondere Aufgaben, die sie noch leisten können. Sie sind an Fach- oder
Fortbildungsschulen oder auch an die oben genannten Heilwerkstätten aniu-
gliodern und beschränken sich in letztem Falle auf ein oder wenige Ficker
so, daß in einem größeren Bezirk (z. B. Provinz) alle Berufaarten vertreten
Kleinere Mitteilangen and Referate ans Zeitschriften. 621
sind. Die letzte Zeit der Ausbildung bezw. Anlernang kann auch bei einem
Handwerksmeister oder in einer Fabrik erfolgen, am den Eintritt ins praktische
Leben zu erleichtern.
3. Für solche Beschädigte, die im Erwerbsleben nicht mehr selbständig
vorwärts kommen, wird die Gründung von Beschäftignngswerkstätten, am
besten in Verbindung mit Invalidenbeimen, vorgeschlagen. Ein Teil dieser
nicht Ganzinvaliden kann aach in den Heil* bezw. Lehrwerkstätten dauernd
verbleiben. Dr. Rehberg-Herzberg a. E.
Die staatliche Krlegslnvaliden-Fürsorge. Von Prof. Dr. A. K ö h 1 e r,
Generalarzt a. D., z. Z. Reservelazarettdirektor und fach ärztlicher Beirat für
Chirurgie beim III. Armeekorps. Leipzig 1916. Verlag von Georg Thieme.
148 Seiten. Preis: geheftet 2,80 M.
Nach einem kurzen Ueberblick über die geschichtliche Entwicklung der
Veteranenfürsorge vom Altertum bis zur Jetztzeit, bespricht der Verfasser
den Stand der Kriegswohlfahrtspflege, wie sie, verbreitet durch die Wohlfahrts¬
gesetze des Friedens, in Deutschland vom Staate, unterstützt durch Kommunen
und Private, dnrcbgeführt wird. In erschöpfender Weise wird das Gebiet der
staatlichen Fürsorge behandelt und gezeigt, daß ihr Bereich viel weiter geht,
als vielfach bekannt ist. Solange der Kriegsbeschädigte noch Soldat und seine
spätere Verwendung noch möglich ist, unterliegt er unbedingt der Fürsorge
des Staates; diese bleibt aber zunächst auch dann noch in vollem Umfange
bestehen, wenn er für den Heeresdienst nicht mehr in Frage kommt. Der
Verfasser zeigt, wie- dann der Staat vor allem die Wiederherstellung der
Erwerbsfähigkeit durch geeignete Nachbehandlung in Lazaretten, Arbeiten
unter ärztlicher Aufsicht, Einrichtung von Lazarettwerkstätten, Gewährung
von besonderen Kuren, Ersatzgliedern zu erreichen sucht, und wie dann erst
die dauernde Versorgung einsetzt durch Gewährung der Kriegsbeschädigten¬
rente, von Verstiimmelnngszulagen, durch Unterbringung in öffentlichen An¬
stalten, Invalidenheimen usw. Daneben haben sich besondere Verwaltungs¬
zweige (Bisenbahnverwaltung), Kommunen und Private ebenfalls opferfreudig
* in den Dienst der Sache gestellt. Nicht nur durch materielle Vergünstigungen
wird die Aufnahme der Arbeit gefördert, sondern es sind auch Einrichtungen
geschaffen, durch die Ausbildung oder Umbildung für die meisten Berufe
erleichtert und der Eintritt in diese durch Berufsberatung und Arbeitsnachweis
vermittelt wird. Die Organisation der Kriegsinvalidenfürsorge, die jetzt bis in
die kleinsten Kommunalbezirke hi~einreicht, wird ausführlich erörtert und
gezeigt, wie deren Segnungen dem einzelnen zugänglich sind. Ein besonderes
Kapitel beschäftigt sich mit der Frage, in welcher Weise sich die Invaliden¬
versicherung an der Versorgung der Kriegsbeschädigten mit beteiligt.
Die Schrift bringt außer einem ausführlichen Literaturverzeichnis die
wichtigsten einschlägigen Bestimmungen des Kriegsministeriums und einzelner
Generalkommandos, besonders des III. Armeekorps; die klare Umgrenzung der
Fürsorgepflicht des Staates und die kritische Würdigung einzelner, von
Hilfsvereinen usw. ausgehenden Fürsorgebestrebungen machen sie zu einem
zuverlässigen Berater für alle, die sich in den Dienst der Kriegswohlfahrts¬
pflege stellen wollen. Dr. Rehberg-Herzberg a. E.
Praktische Ergebnisse und Erfahrungen bei der Berufsberatung der
Kriegsbeschädigten. Von Generalinspektor Derdock-Saarbrücken. Con-
kordia; 1916, Nr. 16.
Verfasser tritt für die Beratung durch ein Kollegium ein, wenn auch
die Einzelberatung gewisse Vorzüge hat. Teilnahme an Lehrkursen und Ein¬
richtung von Lazarettwerkstätten sind für manchen Kriegsbeschädigten von
größter Bedeutung, wie die Erfahrung gelehrt hat. Vor allen Dingen kommt
es darauf an, die Beratenden durch ruhige Besprechung und sachliche Auf¬
klärung zu überzeugen, daß nur in Ausnahmefällen ein Berufswechsel not¬
wendig ist. Eine der wichtigsten Faktoren der erfolgreichen Berufsberatung
>t der Berufsberater selbst. Aueh die Frage, ob es sich nicht empfehle,
wenigstens für größere Bezirke einen Berufsberater (ev. Kollegium) im Haupt¬
amte anzustellen, verdient Beachtung. Wichtig ist ferner, daß große und
einflußreiche Kreise der Praxis gewonnen werden, nämlich die Kreise der
622 Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Betriebsleiter, Aufsichtspersonen und Werkmeister einerseits, anderseits die
Kreise der Arbeiter als Kollegen und Genossen der Kriegsbeschädigten. Schlie߬
lich sei noch auf die hervorragende Bedeutung einer gut organisierten Arbeits¬
vermittlung bin gewiesen. Dr. W o 1 f - Hanau.
Zur Frage der Berufsausbildung Kriegsbeschädigter. Von Prof.
Reg.- und Gewerbeschulrat Böhm- Potsdam. Zentralblatt für Gewerbehygiene;
1916, Nr. 7.
Die Aufgabe der Kriegsbeschädigtenfürsorge läßt sich unschwer in vier
auch zeitlich aufeinander folgende Abschnitte gliedern: 1. Heilbehanlung.
2. Berufsberatung, 3. die Berufsausbildung und 4. Arbeitsvermittelung, dierzu
tritt noch zuweilen die sogenannte „ergänzende Fürsorge“, die überall da
einsetzt, wo aus besonderen Gründen eine weitergehende Unterstützung des
Kriegsbeschädigten oder seine Familie notwendig wird, ln der Ausbildung
sind im allgemeinen zwei Hauptabschnitte zu unterscheiden: die vorbereitende
Ausbildung und die Berufsausbildung im engsten Sinne des Wortes. Neben der
praktischen Arbeit können Wissenskurse eingerichtet werden. Eine Zusammen¬
fassung der Arbeitsnachweise, wie sie da und dort angestrebt wird, erscheint
nicht wünschenswert. Dr. Wolf- Hanau.
5. Soziale Hygiene.
Die Einwirkung der kommunalen Kriegsfürsorge auf die Volks-
gesundhelt. Von Stadtrat Dr. A. Gottstein-Charlottenburg. Deutsche
med. Wochenschrift; 1916, Nr. 37.
Die Kriegsverhältnisse veranlaßten die Gemeinden, Einrichtungen zur
Behandlung der Angehörigen von Kriegsteilnehmern im Krankheitsfalle zu
treffen. Es ist anzunehmen, daß der Wegfall der Sorge um die Aufbringung
der Kosten zum frühzeitigen Aufsuchen des Arztes führt und die Widerstände
gegen die Ueberführung ins Krankenhaus und gegen die Vornahme zweck¬
mäßiger operativer Eingriffe beseitigt. Es fragt sich nun, ob bezw. welche
ursächlichen Beziehungen zwischen der Besserung der Volksgesundheit und
der Erleichterung der Gelegenheit zu frühzeitiger sachverständiger Hilfe
bestehen r
Gottstein will die Aufmerksamkeit der Aerzte auf diese Zusammen¬
hänge hinlenken und zu gemeinsamer Arbeit anregen, da die Fragestellung
von großem Interesse für die Einschätzung des ärztlichen Berufes und Standes
im Dienste der Volksgesundbeit ist. Die gesammelten Erfahrungen würden
auch Bedeutung gewinnen für die Entscheidung der Frage, ob die Ver¬
sicherungspflicht auf die Angehörigen der Kassenmitglieder aus sozialhygienischen
Gründen auszudehnen ist. _ Dr. R o e p k e - Melsungen.
Die Entwicklung der Bevölkerung ln Portugal im 1. Jahrzehnt
dieses Jahrhunderts. Von Dr. E. Roes le-Berlin. Archiv für soziale Hygiene;
Band 11, Heft 4.
Die Eigenart der Bevölkerungsentwicklung kennzeichnet sich in der Zunahme
des Geburtenüberschusses bei gleichzeitig ansteigenden Wanderungsverlustes;
auch hier zeigt sich also, daß eine hohe Geburtenziffer nicht ohne weiteres
eine große Bevölkerungszunahme zur Folge bat, wenn es nicht gelingt, durch
Hebung des kulturellen Niveaus der Bevölkerung die hohe Sterblichkeit herab¬
zudrücken und durch Schaffung hinreichender Erwerbsmöglichkeiten die heran-
wachsenden Generationen uogeschwächt im Lande zu erhalten.
Dr. W o 1 f - Hanau.
6. Oeffentliches Gesundheitswesen im allgemeinen.
Gegen die Zersplitterung der Gesundheitsfürsorge. Von Dr.Sieve-
k i n g, Physikus und Stadtarzt in Hamburg. Deutsche med. Wochenschrift:
1916, Nr. 33.
Die Zersplitterung in der Gesundheitsfürsorge läßt sich nicht so ein¬
fach beheben, wie Ascher meint und vorgeschlagen hat.') Daß die rer-
') 8iehe Referat darüber in Nr. 17 dieser Zeitschrift; 1916, 8. 522.
Tagesnacbrichten.
623
schiedenen Fttrsorgezweige von einem Mittelpunkte aus (Fürsorgeamt)
geleitet werden sollen, ist richtig; aber die Leitung von denselben Kräften
ist nur iu einem ländlichen Kreise oder in einer kleineren Stadt, nicht in einem
größeren Gemeinwesen möglich. Eier müssen sich die einzelnen Fürsorgen
spezialisieren. Deshalb hält es 8. auch nicht für richtig, die Kontrolleure
der Krankenkassen damit zu betrauen. Die Krankenkassen Vorstände sollen
selbstredend mit Sitz und Stimme in den Fürsorgestellen vertreten sein;
Beamte der Krankenkassen haben sich z. B. in den Hamburger Tuberkulose-
Fürsorgestellen so bewährt, daß jeder einzelnen ein solcher zugeteilt ist.
In Hamburg sucht man der Zersplitterung dadurch vorzübeugen, daß
etwa alle halbe Jahre ‘Säuglingspflegerinnen, Tuberkulosefürsorgeschwestern,
Ungezieferschwestern, Trinkerfürsorgerinnen, Assistentinnen der Gewerbe¬
inspektion (Kleinkindt rschutz), Gemeindeschwestern zusammengeladen worden,
damit alle Fürsorgerinnen voneinander Bescheid wissen und sich womöglich
persönlich kennen lernen. Der Kreis kann ohne Schwierigkeit erweitert werden.
Jeder Arzt, der kommen will, ist willkommen. Es werden kurze, zusammen¬
hängende Berichte über einzelne Fürsorgezweige aus der Versammlung heraus
erstattet und in einem Sammelbericht alle Fürsorgezweige geschildert. Daran
schließt sich eine freie Aussprache, die nicht nur Kenntnisse, sondern auch
gegenseitiges Verstehen und Vertrauen vermittelt. Alle Spezialfürsorgeblätter
werden sämtlichen Fürsorgeorganen möglichst vollzählig und regelmäßig zu¬
gestellt. Dr. R o e p k e - Melsungen.
Tagesnachrichten.
Die III. Preußische Landeskonferenz für Säuglingsschutz findet am
Montag, den 30. Oktober 1916, vormittags pünktlich 10 Uhr, in
Berlin — Plenarsitzungssaal des Herrenhauses — statt.
Tagesordnung: Eröffnung der Konferenz und Begrüßungsansprachen.
— I. Vorschläge für ein Kreisfürsorgegesetz. Vortragende: Kabinetsrat Dr.
jur. et Dr. med. h. c. v. Behr-Pinnow, Berlin und Med.-Rat. Dr. Berger,
Kreisarzt in Crefeld. — II. Die Organisation der Säuglingsfürsorge in einer Pro¬
vinz. Vortragende: Oberpräsidialrat Brey er, Magdeburg (Ueber die Fürsorge¬
organisation in der Provinz Sachsen) und Geh. Med.-Rät Dr. Den ecke, Reg-
und Med -Rat in Magdeburg (Oeber die ärztliche und pflegerische Organisation
in der Provinz Sachsen).
Im Anschluß an die Tagung findet die Mitgliederversammlung der
Preußischen Landeszentrale für Säuglingsschutz. (Tagesordnung: 1. Jahres¬
und Rechnungsbericht, 2. Bericht der Rechnungsrevisoren und Entlastung des
Ausschusses, 3. Wahlen, 4. Verschiedenes), sowie eine Sitzung des großen
Ausschusses statt. (Tagesordnung: 1. Wahlen, 2. Verschiedenes).
Zur Teilnahme an der Tagung sind alle Persönlichkeiten, die sich mit
der Mutter- und Säuglingsfürsorge befassen, berechtigt; der Eintritt ist kosten¬
los. Anträge auf Verabfolgung von Eintrittskarten sind an die Geschäftsstelle
der Preußischen Landeszentrale für Säuglingsschutz, Charlottenburg, Mollwitz-
Privatstraße zu richten.
Die Teilnahme an der Ausschußsitzung und der Mitgliederversammlung
ist nur den Mitgliedern gestattet.
Ehrent&feL Es haben weiterhin erhalten:
Das Eiserne Kreuz I. Klasse:
Assistenzarzt d. Res. Dr. Max B r o m m e r - Erlangen.
Oberstabsarzt d. L. Dr. Friedrich G ä r t n e r - Karlsruhe.
Stabsarzt d. Res. Dr. Julius Jolowicz-Pamburg.
Oberstabsarzt Dr. Junius-Bonn.
Stabsarzt d. Res. Dr. Ludwig K au m heim er- München. _
Oberstabsarzt d. L. Dr. Erwin Sauberzweig-Balingen (Württemberg).
Stabsarzt d. Res. und Reg.-Arzt Dr. Sinz-Waldsee (Württemberg).
Oberstabsarzt d. Res. Dr. Wölf-Tübingen, beratender Hygieniker.
624
Tagesnachrichten.
Das Eiserne Krenz II..Klasse:
Oberarzt d. Res. a. o. Prof. Dr. Martin Nippe-Erlangen.
Ehren- Oedäohtnlstafel. Für das Vaterland gefallen oder gestorben
sind ferner:
Assistenzarzt Dr. Arfken.
Oberstabsarzt d. Res. Dr. Beyer, Reg.-Arzt des 2. Ulanen-Reg. Nr. 18
(gestorben infolge von Krankheit).
Stabsarzt d. Res. Dr. Karl Gebhardt - Konstanz.
Stabsarzt d. Res Dr. Karl Gräff-Freiburg i. Breisgan.
Assistenzarzt d. L. Dr Max Grün die r-Bichl (Oberbayern).
Oberarzt Dr A. Hennel
Ferner ist auf dem Felde der Ehre gefallen: Leutnant Otto Riedel,
Sohn des Med.-Rats Dr. Riedel, Physikns in Lübeck, der damit leider einen
zweiten Sohn im Felde verloren hat.
Erkrankungen nnd Todesfälle an ansteckenden Krankheiten In
Preußen. Nach dem Ministerialblatt fttr Medizinal-Angelegenheiten sind in der
Zeit vom 10. bis 16. September 1916 erkrankt (gestorben) an Pest, Gelb¬
fieber, Cholera, Trichinose, Aussatz, Malaria, Fleckfiober,
Rückfallfieber, Paratyphus, Rotz, Tollwut: — (—); Bißver¬
letzungen durch to 11 wu tverd äcb tige Tiere: 7 (—); Milz¬
brand: 8 (—); Pocken: 6 (1); Unterleibstyphus: 831 (19); Ruhr:
632 (57); Diphtherie: 2062 (108); Scharlach: 1098 (51); Kindbett¬
fieber: 62 (16); Genickstarre: 3 (9); spinaler Kinderlähmung:
3 (1); Fleisch-, Fisch - und Wurstvergiftung: 89 (—); Körner¬
krankheit (erkrankt): 99; Tuberkulose (gestorben): 612.
Mitteilung für die Medizinalbenmten.
Entsprechend zahlreichen Wünschen aus den Kreisen der Medizinalbcamten
haben sich Herausgeber und Verlagsbuchhandlung entschlossen, den Kalender
fttr Medizinalbeamte wieder erscheinen zu lassen. Der neue
Jahrgang 1917 wird Mitte Dezember d. J. zur Ausgabe gelangen; die
Unterzeichnete Verlagsbuchhandlung nimmt schon jetzt Bestellungen
entgegen.
Die Verlagsbuchhandlung. Der Herausgeber.
Fischers med. Buchhandlung H. Kornfeld,
Berlin V. 62, KelthstraDe 5.
Für die Mitglieder der Deutschen Medizinalbeaniten und für die
sonstigen Bezieher der Zeitschrift.
Auf Veranlassung eines Rundscnreibens des Postzeitungsamtes werden
die Postbezieber der Zeitschrift erneut gebeten, sich beim Ausbleiben oder
bei verspäteter Lieferung einer Nummer stets zunächst an den Brief¬
träger oder die zuständige Bestell• Postanstalt und erst, wenn Nach¬
lieferung und Aufklärung nicht in angemessener Frist erfolgen sollte, sich
unter Angabe der bereits unternommenen Schritte (die Mitglieder des
Deutschen Med izi nal beam ten vereins an die Expedition der
Zeitschrift [Hofbuchdruckerei J. C. C Br uns -Minden in Westfalen], die
sonstigen Poslbezieher an den Verlag (Fischers medizinische Buch¬
handlung, H. Kornfeld, Berlin W. 62, Keithstraße 5) zu wenden.
Verlag und Schriftleitung.
Redaktion: Prof. Dr. R a p m u n d, Geh. Med.-Rat in Minden i. W.
J. 0. C. Brnns, Henofl. Sieht, n. F&ntl. Sch.-L. Hofbachdrackerci In Mlodtt.
Wertes. «lesWs fiehfei 4er ^richWchM 'tymmm
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Hyfjienft und Bakteriologie,
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Dr. Kahäfraum, öorlstz
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zu BenrtoFl bei Coülenz. $jg
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29. Jahrg.
1916
Zeitschrift
MEDIZIN ALBEAMTE.
% —»4 • ■ —
Zentralblatt
für das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie,,
des staatlichen und privaten Versicherungswesens, sowie für das
Medizinal- und öffentliche Gesundheitswesen, einschließlich der:
Hygiene und Bakteriologie.
Herausgegeben
von
Prot Dr. OTTO RAPMÜND,
Geh. Med.-Rat In Minden I. W.
Offizielles Organ des Deutschen, Preussischen, Bayerischen, Sächsischen,
Wörttembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen, Thüringischen,
Braunschweigischen und Eisass • Lothringischen Medizinalbeamtenvereins. '
Verlag von Fiseher’s med. Buehhandlg E Kornfeld,
HarsogL Basrar. Hof- u. K. tl K. Kammer-BiiolilUtoUac.
Berlin W. 62, Keithstr. 5.
Ajax elfen nehmen die TevUfihendlnnf sowie alle Anselfenennshmestellen des la^
nnd Anslendes «ntfefsn.
Nr. 21.
Erscheint am 5. und £0. jeden Monats.
5. Nov.
Hygienische Streiflichter aus der Rheinpfalz. 1 )
Von Obermedizinalrat Dr. Demuth, Reg.- und Med.-Rat in Speyer.
Will man die hygienischen Zustände eines Landes erkennen
und begreifen, so dürfen vor allem auch die Lage und Beschaffen¬
heit dieses Landes, seine Vergangenheit und Werdegang, seine
Geschichte und der Charakter seiner Bewohner nicht ganz
ungewürdigt bleiben. Von diesen Faktoren hängen eben die
hygienischen Verhältnisse, die hygienischen Vor- und Nachteile
gegenüber anderen Ländern oder Provinzen des gleichen Landes
ganz wesentlich ab, oft fast mehr als von dem jeweiligen
Stande der hygienischen Wissenschaften und dem Bemühen
der Behörden und Aerzte, diesen in ihrer Anwendung auf die
Praxis gerecht zu werden. Selbst die schönsten und voll¬
kommensten, auf den wissenschaftlichen Errungenschaften auf¬
gebauten Gesetze und Verordnungen können jenen manchmal
') Vortrag, gehalten bei der Landesversammlung des bayerischen
Medizinalbcamtenvereins in Neustadt a. H. am 12. Juli 1914.
626
Br. Denrath.
übermächtigen Faktoren gegenüber sich nicht immer oder nur
langsam die nötige Geltung verschaffen.
Dies gilt besonders von einem Lanclesteile, der wie die
Rheinpfalz, wenn auch historisch und tatsächlich schon lange
mit dem Mutterlande verbunden, doch vielfach seinen besonderen
Werdegang hat und räumlich von diesem getrennt ist, eingekeilt
zwischen verschiedene und verschiedenartige Gebietsteile unseres
großen deutschen Vaterlandes, und im Laufe der Zeit nach
vielen Kriegsläuften durchflutet wurde von mancherlei Völker¬
schaften, von deren Anschauungen, Sitten und Gewohnheiten
er nicht unberührt bleiben konnte. So wirkte, um nur eines
anzuführen, die Jahrhunderte lang dauernde unmittelbare Nach¬
barschaft der französischen, jetzt eisaß - lothringischen Grenze,
der Zusammenhang und Verkehr mit den Bewohnern dieser
Länder und deren allbekannten Gepflogenheiten, z. B. in bezug
auf Beseitigung der Abfallstoffe und Abwasser, auch jetzt noch
in nicht sehr vorteilhafter Weise nach, wie wir dies besonders
bei der gemeinsamen Bekämpfung des endemischen Typhus im
Südwesten des Reiches zur Genüge kennen gelernt haben.
Dazu kommt, daß das Gebiet der Rheinpfalz, wie es sich seit
nahezu einem Jahrhundert als einheitliche Provinz Bayerns
darstellt, vor dieser Zeit und vor der vorübergehenden fran¬
zösischen Herrschaft in nicht weniger als 45 kleine, zum Teil
recht kleine Herrschaftsgebiete zerfiel, und daß somit früher
von einer einheitlichen Verwaltung, besonders auch in medizinal¬
polizeilicher Hinsicht bis zum Beginn des vorigen Jahrhunderts
nicht die Rede sein konnte.
Landschaftlich zerfällt die Pfalz in zwei ziemlich scharf
abgegrenzte Gebiete, die Vorderpfalz und den Westrich. Als
Vorderpfalz wird bezeichnet das östliche Vorland des Haardt¬
gebirges und der Vogesen bis zum Rhein, dessen äußerste
Niederungen noch innerhalb des Ueberschwemmungsgebietes
des Rheines liegen, das übrigens durch die in den letzten
Jahrzehnten vorgenommenen Korrektionen des Flußlaufes gan*
wesentlich ganz eingeengt wurde. Das bis vor 3 Jahrzehnten
noch hier herrschende Malariafieber meist tertianen Typus ist,
das sei hier nebenbei bemerkt, jetzt ganz daraus verschwunden.
Fast durchweg eben, mit nur kleinen Erhebungen, ist
dieser Teil ein fruchtbares, leicht zu bebauendes Acker- und
Wiesenland. Die sich anschließende Hügelkette, das vordere
Haardtgebirge genannt, stellt das eigentliche Weinland dar;
hier ist das Gebiet der sonnigen Pfalz. Das 1500 qkm große
Gebiet der Vorderpfalz beträgt räumlich fast genau nur den
vierten Teil des 5928 qkm großen Gesamtgebietes der Rhein¬
pfalz, ist aber dicht bevölkert und fast von der Hälfte der
Gesamtbevölkerung bewohnt. Es kommen hier rund 300 Be¬
wohner auf den qkm, in der Hinterpfalz nur 100, in der Gesamt¬
pfalz durchschnittlich jetzt 156.
Das Land westlich vom Haardtgebirge, allgemein der
Westrich pder die Hinterpfalz genannt, ist in der Hauptsache
Hygienische Streiflichter aus der ( Rheinpfalz. 6Ö7
ein vielfach zerklüftetes und zerrissenes Sandsteingebirge, mit
meist tief eingeschnittenen Tälern, von steilen Hängen begrenzt.
Eine einzige breitere Ausbuchtung zwischen St. Ingbert einer¬
seits und Göllheim anderseits, bei Landstuhl ein ausgedehntes
Tiefmoor bildend, scheidet das eigentliche Haardtgebirge. mit
seinen Ausläufern von dem mehr nördlichen Donnersberggebiete
und dem nordwestlichen Hügelande an Lauter und Glan.
Die höchste Erhebung der Pfalz, die Porphyrgruppe des
Donnersberg, ist 688 m t das Tiefland der Vorderpfalz geht bis
zu 90 m herab. Der mittlere Höhenzug von der Grenze des
Haardtgebirges und westlich von der Haardt ist spärlich bewohnt
und stark bewaldet. An Wald ist überhaupt die Pfalz sehr-
reich; er bedeckt fast */ 5 des Gebietes. Weiter nach Westen
wird die Bevölkerung wieder ziemlich dicht; auch ist der Boden
hier recht fruchtbar, aber bei der Lage, vielfach an Hängen
und bergig, mühsam zu bebauen und weniger ertragsreich als
das Land in der Vorderpfalz.
Mit dem Boden wechseln natürlich auch die klimatischen
Verhältnisse. Die Blütezeit der Pflanzen beginnt in der
Rheinebene und am vorderen Haardtgebirge 14 Tage früher als
in den Tälern bei Zweibrücken und hier wieder fast 8 Tage
früher als in Kaiserslautern oder in der Nordpfalz.
Nach 30jährigem, Durchschnitte schwankt die mittlere
Temperatur ih der Vprderpfalz zwischen 9,5 und 9,9 (Speyer,
Landau, Grünstadt) und im Westrich zwischen 8,7 und 8,9
(Kusel, Kaiserslautern, Zweibrücken). Die mittleren Maxima
steigen im wärmsten Monate Juli bis 25,3 (Speyer) und 23,8
(Kusel); die mittleren Minima gehen bis — 3,3 (Kusel) und
— 2,0 (Speyer). Die Niederschläge sind am niedrigsten in
der Vorderpfalz (560,2 mm in Grünstadt, 654,2 mm in Speyer),
am höchsten in der Hinterpfalz (912,9 mm in Zweibrücken).
In diesem Ländchen nun, begrenzt im Osten vom Rhein,
im Süden, Westen und Norden von Elsaß-Lothringen, Preußen,
Hessen, siedeln zurzeit nahezu eine Million Einwohner
(Volkszählung 1910 = 937085). Eine Zählung von 1802 hatte
für das jetzige Gebiet der Rheinpfalz 330797 ergeben. Im
Laufe eines Jahrhunderts hat sich also die Bevölkerung um
das Dreifache vermehrt, trotz Krieg und damaligen bösartigen
Seuchen und trotz ausgedehnter Auswanderungen (allein in
den Jahren 1847—1855 = 80000; 1827—1880 nach Ausgleich
der nicht großen Einwanderung noch ein Verlust von 234980
Personen). In gleicher Zeit wuchs Gesamtbayernnicht ganz um
das Doppelte. Die Siedelungsdichtigkeit ist in der Pfalz
eine viel größere als in Bayern; hier (1905) 86 Einwohner
auf den Quadratkilometer Landes, in der Pfalz (1910) 156
durchschnittlich, in der Vorderpfalz sogar 300.
Es ist von vornherein ersichtlich, daß diese Bevölkerungs¬
dichtigkeit nicht ohne Einfluß auf die Verbreitung ansteckender
Krankheiten sein konnte, insbesondere auf das Vorkommen des
früher so stark verbreiteten Typhus.
628
Dt. Demnth.
Die Bevölkerung, wenn auch, so weit eingesessen, in
Vorder- und Hinterpfalz etwas verschieden geartet, zeigt im
ganzen eine große geistige Regsamkeit, mit wenigstens in der
Vorderpfalz meist lebhaftem Temperament und ist bei aller
entgegenkommenden Freundlichkeit etwas stark selbstbewußt,
in einem großen Teil der Hinterpfalz mit einem Einschlag von
größerer Bedächtigkeit und scheinbar oft etwas geistiger Lang¬
samkeit, überall aber von zähem Festhalten am Althergebrachten,
sei es in guten oder schlechten Einrichtungen. Daß irgendwo
etwas besser oder zweckmäßiger als bei ihnen bestellt ist,
halten sie nicht für möglich, geben es wenigstens nicht leicht
zu. So werden z. B. noch so schlechte Brunneneinrichtungen,
weil althergebracht, bis aufs äußerste verteidigt. „Das Wasser“,
geschöpft oft aus dem offenen Schalenbrunnen, so traülich in
der Nähe vbn schlecht verwahrten Mist- und Abortgruben oder
undichten Abwässergräben liegend, „wie könne das schädlich
wirken; es sei vielmehr ein wahres Heilwasser; von dem habe
der Groß- und Urgroßvater getrunkeu, und die seien immer
gesund gewesen und alt geworden.“
Verbesserungsvorschlägen, besonders wenn sie von Be¬
hörden kommen, oder gar behördlichen Anordnungen wird somit
oft lange und hartnäckig Widerstand geleistet. Immerhin aber
ist die Bevölkerung Belehrungen nicht unzugänglich, besonders
wenn man es versteht, sich in ihren Gedankengang einzuleben
und Gewolltes und Notwendiges schließlich als von ihnen selbst
Gedachtes zu suggerieren.
Entsprechend der Fruchtbarkeit des Landes war die Be¬
völkerung lange Zeit eine vorwiegend ackerbautreibende und
ländliche. Noch im Jahre 1840 waren mehr als */„ genau
68,37°/ 0 der Bevölkerung ausschließlich eine landwirtschaft¬
liche. Die Städte waren klein und in ihrem ganzen Gepräge
nicht viel anders als größere Landgemeinden. Mit der Zunahme
der Bevölkerung wurde das anders; der Aufschwung der In¬
dustrie in den letzten 4 Dezennien hat hier große Wandlung
vollbracht. Im Jahre 1882 war die landwirtschaftliche Be¬
völkerung auf unter die Hälfte (46,77 °/ 0 ) zurückgegangen, 1907
auf weniger als V, (32,15 °/ 0 ).
Auch das konnte nicht ohne Einfluß auf den Gang und
die Ausbreitung der Krankheiten, wie auch auf den sanitären
Zustand des Landes im allgemeinen bleiben. Insbesondere
konnte die Zunahme der Bevölkerung überhaupt und vorab die
Zunahme der industriellen Bevölkerung nicht ohne Einfluß
bleiben auf die Höhe verschiedener Krankheitsgruppen, so' be¬
sonders der Tuberkulose, wie wir weiterhin sbhen werden.
Zur Verdreifachung der Einwohnerzahl im Laufe
eines Jahrhunderts trotz großer Auswanderung trugen im
Wesentlichen drei Umstände bei: Verhältnismäßig große
Geburtenzahl, geringe allgemeine Sterblichkeit
und besonders auch geringe Kindersterblichkeit. Bis
vor nicht langer Zeit bewegte sich die jährliche Geburten-
Hygienische Streiflichter ans der Eheinpfalz.
629
zahl mit Ausnahme eines Tiefstandes um die Mitte des vorigen
Jahrhunderts zwischen rund 37 und 45°/ 0 . Der Tiefstand um¬
faßte die Zeit von 1851 bis. 1856 mit Zahlen von 35,88, 32,11,
33,43, 30,13, 33,19, 34,47 °/ 00 . Es war das die Zeit, wo Tausende
im besten Mannesalter vom Vaterlande sich verabschiedeten
und wo auf die Zurückgebliebenen, Mißernten, politische und
soziale Verstimmungen in gleicherweise entmutigend eingewirkt
hatten. Dann aber ging es rasch wieder aufwärts. Die höchsten
Zahlen wurden in den 1870 er Jahren erreicht, in der Zeit des
nationalen und teilweise des industriellen Aufschwunges; 1870:
4l,52 # / 0 , 1871 begreiflicherweise nur 36,23, dann aber 1872:
43,42, 1873: 43,27, 1874: 44,31, 1875: 44,61, 1876: 45,15. Von
da ab kam wieder stetes, anfangs schnelleres, dann langsameres
Pallen; 1886: 37,3, 1895: 36,9, 1906: 35,6, 1907: 34,3, 1908:
34,0, 1909: 33,0 1910: 32,0 1911: 29,7, 1912: 29,7, 1913 : 28,6 # /oo-
Mit einigen Schwankungen waren wenigstens die Durch¬
schnittszahlen von denen im jenseitigen Bayern nicht allzu
verschieden, wie dies besonders beim Vergleich der Zahlen im
letzten Jahrzehnt zu ersehen ist:
1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909
Pfalz . . . 37,5 37,7 87,7 37,0 36,7 85,9 35,6 84,8 34,0 33,0
Qes&mtbayem 87,9 38,3 87,9 86,7 85,7 84,6 34,6 85,0 34,0 32,2
1910 1911 1912 1913
Pfalz . . . 82,0 29,7 29,7 26,6
Ges&mtbayern 81,0 — — —
Trotz des langsamen Herabgehens der Geburten in den'
letzten Jahren, hatte aber die Pfalz in einzelnen Bezirken
noch recht stattliche Geburtenzahlen, besonders in Industrie¬
gegenden. So war nach fünfjährigem Durchschnitte (1900—1904)
die Zahl der Lebendgeborenen im Bezirk Ludwigshafen: 46,5 °/ 00 ,
in den Bezirken St. Ingbert: 44,0, in Pirmasens: 42,7°/ 00 ,
während in anderen Bezirken schon starker Rückgang in der
gleichen Zeit erfolgt war (Landau: 29,5; Dürkheim: 27,5°/ 00 ).
1912 betrugen die Zahlen auch in Ludwigshafen nurmehr 32,0,
in Pirmasens 32,0, in St. Ingbert 35,9 °/ 00 , immerhin noch die
höchsten im Kreise bei einem Duchschnitte von 29,7 °/ 00 , während
sie in dem genannten Landau noch weiter auf 23,9 und Dürk¬
heim auf23,0°/ 00 gesunken waren.
Was nun die allgemeine Sterblichkeit betrifft, so
war diese durchschnittlich in der Pfalz nicht übermäßig hoch
und anscheinend immer kleiner als in Gesamtbayern. Sie betrug
einschließlich Totgeburten in der Zeit von 1835—1860 in der
Pfalz durchschnittlich jährlich 26 °/ 00 , in Gesamtbayern während
dieser Zeit 29°/ 00 , 1847—1866 in der Pfalz: 24,9°/ 00 , in Gesamt¬
bayern: 28,8 °/ 00 , in der Pfalz weiterhin 1857—1866: 24,3 °/ 00 ,
1867—1876: 27,8 °/ 00 * Di® höhere Zahl dieses Jahrzehnts ist
wesentlich bedingt durch die Kriegsjahre (1870 letztes Viertel¬
jahr: 30,38 V und 1871: 31,47 °/ 00 ). 1877—1883 war die Sterb¬
lichkeitsziffer in der Pfalz: 25,4°/ 00 , 1886—1890: 22,37°/ 00 .
630
Dr. Demuth.
Für die neuere Zeit hatte die Pfalz verglichen mit Bayern
(s. auch graphische Darstellung I auf S. 631) folgende Sterbe¬
ziffern (ausschließlich Totgeborene):
1890 1891 1892 1893 1894 1895 1896 1897 1898 1899
Pfalz . . . 22,4 21,7 21,2 22,7 20,1 20,5 19,0 19,6 19,4 1 8,9
Gesamtbayern 27,3 27,4 27,2 27,8 25,0 27,8 23,0 24,5 23,8 24,2
1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909
Pfalz . . . 19,9 18,7 19,0 18,9 18,8 18,6 18,0 17,0 17,0 16,0
Gesamtbajern 25,3 23,2 22,6 23,6 22,5 22,5 21,3 21,0 21,0 20,0
1910 1911 1912 1913
Pfalz . .. . 15,0 16,5 13,5 13,4
Gesamtbayern 19,Q 20,5 — —
Auf das stetige Herabgehen der Sterblichkeitsziffer brauche
ich nicht näher einzugehen; es gilt dies ja nicht nur für die
Pfalz und für Bayern, sondern auch mehr oder minder für alle
Kulturländer und ist die Folge der zunehmenden besseren
Lebenshaltung, der Besserung aer Lebensbedingungen, nicht
zum mindestens Folge des Fortschrittes der Hygiene und auch
der Segnungen der sozialen Gesetzgebung. Wenn aber, wie
aus den Zahlen und der Kurventafel ersichtlich ist, die Sterb¬
lichkeit in der Pfalz stets niederer bleibt als in Gesamtbayern
so dürfte dies doch noch besondere im Lande selbst und den
Gepflogenheiten seiner Bewohner liegende Ursachen haben.
Zum Teile allerdings muß diese Erscheinung dadurch erklärt
werden, daß, wie wir dies gleich nachher sehen werden, bei
uns in der Pfalz die Kindersterblichkeit gegenüber Bayern stets
eine niedrigere gewesen ist.
Es genügt dies aber nicht» um die Differenz durchweg zu
erklären. Die günstige allgemeine Sterbeziffer bei uns dürfte
vielmehr weiterhin zu suchen sein in der Gunst des Landes,
den guten klimatischen Verhältnissen mit genügenden, aber
nicht übermäßigen Niederschlägen und geringeren Temperatur¬
schwankungen, in dem reichen ertragsfähigen Boden und damit
vor allem in einer genügend reichlichen und dabei meist vor¬
wiegend vegetabilischen Ernährungsweise. Gerade in dem
letzteren Punkte möchte ich ein besonderes Moment der Zäh-
lebigkeit unserer Bevölkerung erblicken. Die Ernährung des
pfälzischen Volkes muß in der Vorderpfalz wie im Westrich
durchweg als eine gute und sicherlich trotz der hervorgehobenen
vorwiegend vegetabilischen Ernährungsweise als wenigstens
physiologisch genügend bezeichnet werden. Der Fleischgebrauch
tritt nicht so sehr in den Vordergrund. Die Durchschnittszahlen
des Fleischverbrauches sind niedriger als in Bayern; 1907
kamen im Durchschnitt jährlich auf den Kopf in der Pfalz
38,19 kg, in Bayern 47,50 kg. Wenn man, wie ich es vor
Jahrzehnten oft genug getan habe, die Nahrung der pfälzischen
Bevölkerung, besonders der arbeitenden, ländlichen wie
städtischen, untersucht, so findet man fast durchweg genügenden
Kalorienwert. Ich fand Brutto-Kalorienwerte sogar bis zu
4006 (Netto 3712); nur selten und ausnahmsweise sanken diese
Hygienische Streiflichter aus der RMnpfalz
I. Allgemeine StBrbilchJcQlt in der Pfalz und ln Gesamtbayers
Es starben auf je 1000 Einwohner:
11. RindBrsterbilciikeitlin der Pfalz, in Gesarotbayem nnd Is Deutschland.
Cs starben von je too Lebendoeboreneii Im ersten Lebensjahre:
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3
M
632
Dx. Demuth.
Werte auf 2474 (bezw. 2293) Kalorien. Die prozentuale Be¬
teiligung des Eiweißes im Kaloriengehalt der Nahrung schwankte
dabei Netto zwischen 13,1 und 18,3*70, hierbei ist der An¬
teil an animalischem Eiweiß, Milch und Käse ausgenommen,
meist nicht hoch. Die Fälle mit zu geringen Eiweißmengen,
unter 90 g brutto (netto 75) waren selten; nicht häufig auch
die Fälle, wo die Nahrung weit über 100 g hinaus an
Eiweiß enthielt; es dürfte diese Beobachtung, und dafür bin
ich bereits auf der Naturforscherversammlung in Nürnberg 1893
in einem Vortrage über den Eiweißbedarf des Menschen auf
Grund dieser Erfahrungen eingetreten, recht wohl dafür ver¬
wertet werden können, daß an der früher von V o i t ange¬
nommenen und lange zum Teil in mißverständlicher Auffassung
von Voits Lehren als notwendig gehaltenen Eiweißmenge von
durchschnittlich 118 g nicht festzuhalten sei, unter der Voraus¬
setzung, daß der resorbierbare Gesamtkalorienwert nicht wesent¬
lich oder dauernd unter 3000 sinkt. Bei dieser vorwiegend
vegetabilischen und durchschnittlich nicht allzu eiweißreichen
Nahrung sieht man die Bevölkerung der Pfalz nicht nur gesund,
sondern auch arbeitstüchtig und arbeitslustig; arbeitstüchtig
und arbeitslustig ist und war aber von je die pfälzische Be¬
völkerung. Fröhliche Pfalz! Fröhlich nicht nur bei Festen,
sondern auch fröhlich bei der Arbeit.
Allzu großer Wert auf die animalische Nahrung wird
eigentlich nur noch von einem Teil der Industriebevölkerung
gelegt, vielfach aus mißverständlicher Wertschätzung und mi߬
verständlicher oft unbegreiflicher Nachahmungssucht der Lebens¬
weise Bessergestellter, zum Teil auch aus Mangel an Zeit für
das Kochgeschäft, Bequemlichkeit und Unerfahrenheit mancher
Hausfrauen, zumal die Zubereitung einer nahrhaften vorwiegend
vegetabilischen Kost mehr Mühe, Sorgfalt und Zci\ erfordert,
während manche Fleischnahrung schon gebrauchsfertig bezogen
werden kann. Doch ist auch hier schon Wandlung zum Besseren
geschehen, da die Frauen nicht mehr in gleichem Maße wie
früher zur Arbeit und zum Verdienst außer dem Hause heran¬
gezogen zu werden brauchen und die in zunehmender Weise
überall einsetzenden Kochkurse die Kenntnisse über gute Koch¬
weise und rationelle Ernährung zu verbreiten wissen. Ein
Uebriges tun auch nach dieser Richtung die hohen Fleischpreise,
während der Bezug von in der Pfalz reichlich und vorzüglich
wachsenden vegetabilischen Nahrungsmitteln sehr erleichtert
ist; ich darf hier nicht die billigen, vorzüglichen Pfälzer Kar-
. toffeln vergessen, die für viele einfache Landleute tagelang ohne
Abwechslung mit teuerem Fleisch, unter Hinzufügung von selbst¬
produzierter Milch oder Käse, eine ausreichende und bekömmliche
Ernährungsweise bilden, während man anderseits beobachten
muß, daß in Familien mit nicht hohem Einkommen, bei der
bevorzugten vorwiegenden Fleischnahrung auf die Dauer nicht
die genügende Kalorienmenge dem Körper zugeführt wird.
Gerade dieser Umstand, die Tatsache des Mißverhältnisses
Hygienische Streiflichter atu' der Bheinpfalz.
683
zwischen genügenden Einkommen und den hohen Pleischpreisen
veranlaßt mich, es laut zu betonen, daß der größte Teil
der pfälzischen Bevölkerung sich in genügender
Weise mit vorwiegend vegetabilischer Nahrung
ernährt und ernähren kann und dabei gesund und
leistungsfähig bleibt.
Dazu kommt, obgleich vielfach die entgegengesetzte An¬
nahme verbreitet ist, daß die pfälzische Bevölkerung im allge¬
meinen, was den Alkoholgenuß betrifft, eine nüchterne ist
und Alkoholmißbrauch nicht allzu oft beobachtet wird.
Der Durchschnitt der Bevölkerung huldigt zwar häufig genug
einem regelmäßigen, aber nur mäßigen Alkoholgenuß im Gebrauch
eines guten, der Gesundheit zuträglichen Weines; dies gilt
nicht nur von der Hinterpfalz, sondern auch von der Vorder¬
pfalz, der Region der ausgedehnten Weingefilde. Nur ausnahms¬
weise sieht man hier, so vielleicht bei der reinen Winzer¬
bevölkerung, den Quantitäten huldigen, allerdings bei einem
Weine, der als „Haustrunk“ für diese Zwecke besonders her¬
gerichtet, nicht allzu alkoholreich ist und der getrunken wird
während anstrengender Arbeit, in Sonne, Luft und Licht. So
kommt es, daß auch der Nachteil der hier beliebten Quantitäten
nicht so augenfällig wird, wie dies seinerzeit .verschiedene
Statistiken pfälzischer Aerzte (Kaufmann, Schäfer) nachzu¬
weisen versuchten.
Die Ab st in enzbe wegungen finden somit auch in der
Pfalz keinen besonderen Boden; es bedarf auch dessen nicht.
Die Hygiene braucht nach meiner Meinung und nach meinen
Erfahrungen bei dem normalen Menschen, normal an Geist und
Körper, die Abstinenz nicht zu predigen, umsomehr aber die
Temperenz; dieser huldigt der Pfälzer jedoch schon von jeher
in der gesunden Auffassung, daß ein Gläschen guten Weines,
auch regelmäßig getrunken, der Gesundheit keinen Abtrag
bringe, sondern diese nur fördere. Also in der Gunst des
Klimas, der Fruchtbarkeit des Bodens und somit einer ermög¬
lichten guten und im allgemeinen richtigen Ernährungsweise
sowie in dem mäßigen, wenn auch manchmal regelmäßigen,
dem Körper in seiner geringen Menge nicht zum schädigenden
Ballast werdenden gesunden alkoholischen Getränkes und be¬
sonders auch in der Regsamkeit der Bewohner möchte ich im
allgemeinen die Gründe einer stetig geringeren Sterblichkeit
bei uns suchen.
Was nun die Kindersterblichkeit betrifft, so kann
auch diese in der Pfalz nicht als hoch bezeichnet werden; sie
ist insbesondere wesentlich niederer als in den anderen
bayerischen Regierungsbezirken. Die Zahl der Kinder, die, auf
je 1000 Einwohner berechnet, das erste Lebensjahr überlebten,
schwankte in der Pfalz in dem Zeitraum von 1835—1904
zwischen 31 und 34. Zum Vergleich führe ich die diesbezüg¬
lichen Zahlen für die jenseitigen Kreise Bayerns an:
634
Dr. Demuth.
Oberbayern .... 20—26- Mittelfranken . . . 22—30
Niederbayern . . . 21—28 Unterfranken . . . 24—82
Oberpfalz .... 28—31 Schwaben .... 22—29
Oberfranken . . . 24—31
Es starben von je 100 Lebendgeborenen im ersten Lebens¬
jahre in der Zeit von 1876—1885 in der Pfalz durchschnittlich
17,7 mit Schwankungen von 12,8 bis 24,6, und in Gesamtbayern
in der gleichen Zeit durchschnittlich 29,3 mit Schwankungen
bis zu 48,4. Für die Zeit von 1886 bis 1906 betrugen die
Schwankungen in der Pfalz zwischen 12,3 und 24,7, während
in Qesaratbayern diese Schwankung bis 45,8 hinaufging.
Was die neuere Zeit betrifft, so starben von je 100 Lebend¬
geborenen im ersten Lebensjahre (siehe auch graphische Dar¬
stellung II auf S. 631):
1890
1891
1892
1898
1894
1895
1896
1897
Pfalz ....
18,8
17,4
17,5
17,9
15,9
18,2
15,8
18,0
Gesamtbayern .
27,4
27,4
27,4
26,9
26,6
27,8
23,2
26,4
1898
1899
1900
1901
1902
1903
1904
1905
Pfalz ....
18,4
16,8
18,0
15,9
16,9
16,7
16,9
16,6
Gesamtbayern .
25,9
25,1
27,8
23,9
23,3
25,0
23,9
24,1
Deutsches Beich
—
—
—
20,7
18,3
20,4
19,6
20,5
1906
1907
1908
1909
1910
1911
1912
1913
Pfalz . . . .
16,6
15,6
15,9
14,7
13,9
16,9
18,5
13,4
Gesamtbayern .
22,7
22,0
21,7
21,7
20,2
—
,-
—
Deutsches Beich
18,5
17,6
17,8
17,0
16,2
—
—
—
Die Pfalz hat also weit zurück eine verhältnismäßig
niedrigere Sterblichkeit, so weit zurück, als dies zu verfolgen mir
möglich war. Die Kindersterblichkeit ist hier fortgesetzt nicht
bloß niedriger als in Gesamtbayern, sondern auch, wie wir dies
beim Vergleich in den Jahren 1901 bis 1910 ersehen, auch
ständig günstiger als in ganz Deutschland. Das muß seine
besonderen Gründe haben. Der Hauptgrund ist darin
zu erblicken, daß in der Pfalz mehr wie sonst die Uebung
besteht, die Kinder an der Mutter Brust zu nähren.
Wir haben mit kleinen Schwankungen fast überall über 90°/o,
nirgends unter 84,5°/ 0 Brustkinder; in einigen Bezirken sind
es fast alle — Kirchheimbolanden: 97,69°/ 0 , Rockenhausen
sogar 98,4 °/ 0 . Vielfach allerdings ist solche Ernährung nur
für kürzere Zeit möglich; als Ersatznahrung ist dann aber meist
Kuh- oder auch Ziegenmilch üblich, die wenigstens in den länd¬
lichen Bezirken, mehr in der Hinter- wie in der Vorderpfalz,
in guter Qualität leicht zu beschaffen ist.
Die niedrigste Kindersterblicheit unter den pfälzischen Be¬
zirken haben wir in der Hinterpfalz, so z. B. in Kirchheimbolanden
(1913: 10,7 °/ 0 ) und Rockenhausen (1913: 10,8°/o)> selbst in den
Industriestädten der Hinterpfalz ist die Sterblichkeit geringer
(St. Ingbert 1913: 12,12°/ 0 , Pirmasens: 13,8°/ 0 ) als selbst in
ländlichen Bezirken der Vorderpfalz (Germersheim: 15,5 # / 0 ).
In der Vorderpfalz ist die Kindersterblichkeit fast durch¬
weg größer, besonders in den größtenteils in oder an den Rhein-
Hygienische Streiflichter aas der Eheinpfalz. 685
niederungen gelegenen Bezirken Germersheim, Speyer, Ludwigs¬
hafen, Frankenthal. Hier summieren sich mit der wärmeren
Lage und den im Sommer häufig genug recht schwülen Tagen
die Nachteile der Industriestädte: erschwertere Beschaffung
guter Milch und vielfach beengte Wohnungen. So darf es
nicht Wunder nehmen, daß diese Bezirke fortgesetzt den
höchsten Prozentsatz der Kindersterblichkeit in der Pfalz
zeigen: Speyer im fünfjährigen Durchschnitt 1900—1904 noch
den höchsten mit 25°/ 0 , auch 1912 noch den höchsten mit
17,75 °/ 0 , und Ludwigshafen (1900—1904 noch 22,2 °/ 0 ) 1913 mit
Frankenthal (1900 — 1904: 18,4°/ 0 ) den höchsten mit jetzt 16,3°/ 0
und dies, obwohl man nicht sagen kann, daß hier die Still¬
fähigkeit der Frauen wesentlich geringer ist als durchschnittlich
im Westrich; betrug diese doch für Ludwigshafen im Jahre
1913: 95,0 °/ 0 . Germersheim hat zwar gleichfalls eine hohe
Kindersterblichkeit (1900—1904: 19,3 °/ 0 , 1913: 15,5 °/ 0 ), die sich
jedoch den vorgenannten Bezirken gegenüber etwas niedriger
stellt; der Bezirk liegt unter ähnlichen klimatischen Verhält¬
nissen wie die vorgenannten Bezirke; er hat keine wesentliche
Industrie, meist ländliche Verhältnisse mit erleichtertem Milch¬
bezug, Stillfähigkeit der Frauen (1913: 97 °/ 0 ). Hier kann nur
die weniger günstige klimatische Lage und damit die leichtere
Verderblichkeit der Milch als ein die Kindersterblichkeit un¬
günstig beeinflussender Faktor wirken, zumal die übrige Pflege
der Kinder keine von den im ganzen guten Pflegegewohnheiten
in der Pfalz abweichende ist.
Wir sehen also, daß die Höhe der Kindersterblichkeit in
der Pfalz im wesentlichen beeinflußt ist einmal durch die Höhe
der Stillfähigkeit der Frauen, dann aber auch durch die er¬
leichterte Möglichkeit der Beschaffung und Erhaltung einer
guten Kindermilch. Aus diesen Erfahrungen heraus erwuchs für
uns das Bestreben in der Säuglingsfürsorge, die ja auch in
der Pfalz recht intensiv in all ihren Formen, hier mehr, dort
weniger ausgeübt wird, auch die Einrichtung von Milch¬
kühen zu betreiben zur erfolgreichen weiteren Verminderung
der Kindersterblichkeit, hauptsächlich in der Vorderpfalz und in
den Industriebezirken der Pfalz. Gern geben wir der bayerischen
Zentrale für Säuglingsfürsorge zu, daß es vor allem darauf an¬
kommt, die Frauen zum Stillen ihrer Kinder zu erziehen; dies
geschieht jedoch bei uns schon ausgiebig; denn höher hinauf
als bis zu 97 und 98°/ 0 Stillfähigkeit werden wir die Frauen
kaum bringen. Deshalb gilt es, auch für die Kinder zu sorgen,
die nicht oder nicht lange genug an der Mutterbrust ernährt
werden können. Das ist der Grund, warum wir in der Pfalz
soviel Wert auf die Errichtung von Milchküchen legen; wir
hoffen, daß dies auch in Zukunft geschehen kann und hoffen
weiter, daß auch die bayerische Zentrale für Säuglingsfürsorge
diese Notwendigkeit für uns in der Pfalz anerkennen möge.
Es war mir bis jetzt möglich, einige Lichtseiten in
den gesundheitlichen Verhältnissen und Ergebnissen der Pfalz
636
Dr. Demuth.
vor Augen zu führen; allein wir haben hier nicht nur Licht,
wir haben auch Schatten. Wenn auch die allgemeine Sterb¬
lichkeit und insbesondere die Kindersterblichkeit bei uns nicht
ungünstig und fortgesetzt niederer ist als in Gesamtbayern,
so ist dies anderseits nicht in gleicher Weise der Pall bezüg¬
lich der Infektionskrankheiten und insbesondere bezüglich
zweier Infektionskrankheiten, deren Vorkommen in der Pfalz
ich kurz vorzuführen gedenke und die vielfach als Gradmesser
guter oder schlechter hygienischer Verhältnisse und Einrich¬
tungen angesehen zu werden pflegen. Ich meine die Tuber¬
kulose und den Typhus; beide Krankheiten sind in der
Pfalz stark verbreitet gewesen und sind es zum Teil auch jetzt
noch, ja das Vorkommen des Typhus mußte bei uns geradezu
als endemisch bezeichnet werden.
Bezüglich der Tuberkulose ist zu bemerken, daß sie
bis in die jüngste Zeit, trotz erfreulichen Rückgangs, wie über¬
all so auch in der Pfalz, noch häufiger vorkommt als in
Gesamtbayern und damit auch in Gesamtdeutschland. Das
Jahr 1888 zeigt uns in der Pfalz eine Sterblichkeit
von 37 und in Gesamtbayern von 33 und in Deutsch¬
land von 31 auf je 10000 Einwohner. Bis zum Jahre 1906
sind diese Zahlen zurückgegangen in der Pfalz auf 29,5, in
Gesamtbayern auf 26,6 und in ganz Deutschland auf 19.
Zwischen Bayern und der Pfalz war also eine Spannung von
4 bezw. 2,9 auf 10000 Einwohner, zwischen Gesamtdeutschland
und Pfalz sogar eine Spannung von 6 bezw. 10,5. Im Jahre
1910 betrugen die Zahlen für die Pfalz: 23,1 und für Gesamt¬
bayern: 22,3; die Spannung betrug also nur noch 0,8 °/ 000 . In
der Pfalz ist die Sterblichkeit bis zum Jahre 1913 noch weiter
zurückgegangen auf 18,8 °/ooo*
Folgendes sind die vergleichenden Ziffern zwischen Pfalz
und Gesamtbayern (s. auch die graphische Darstellung III auf
S. 637):
1888
1889
1890
1891
1892
1893
1894
1896
Pfalz . . .
37,1
39,9
39,30
86,95
33,12
34,87
84,24
35,87
Gesamtbayern
83,4
31,64
88,68
32,91
80,97
81,45
81,16
31,18
1896
1897
1898
1899
1900
1901
1902
1903
Pfalz . . .
81,91
83,28
30,19
29,9
80,76
81,24
81,13
30,6
Gesamtbayern
29,62
80,23
28,14
28,4
28,87
28,70
27,9
27,8
1904
1905
1906
1907
1908
1909
1910
1911
Pfalz . . .
30,24
29,78
29,66
26,1
25,4
24,4
28,1
22,2
Gesamtbayern
27,31
28,42
26,66
26,0
24,8
23,4
22,8
—
1912 1913
Pfalz ... 20,6 18,8
Gesamtbayern — —
Die hauptsächliche Ursache des lange Zeit hindurch über¬
wiegenden Vorkommens der Tuberkulose in der Pfalz gegenüber
Gesamtbayern ist m. E. zu suchen in der stärkeren industriellen
Entwicklung und dem verhältnismäßig rasch erfolgten Uebe»
gang von einem vorwiegend agrarischen zu einem Industrie-
Hygienische Streiflichter ans der Eheinpfalr.
Vas Je iSööö Einwohnern starben an Tuberkulose in der Pfalz und ln
Gesamtbajern In den «Jahren 1888 bis 1813:
IV. iTyphus - Sterblichkeit ln der Pfalz auf je lOQiOöO Einwohner
für die Zeit von 1878 bis 1913.
638 . . i : - 1. £>r. Itemuth.
YOlke, Sowie in der daraus resultierenden rasch zunehmenden
Wohnungsdichtigkeit, da die Errichtung von Wohnungen nicht
gleichen Schritt halten konnte mit der großen, in den Industrie¬
zentren sich sammelnden Arbeiterbevölkerung. Die Wohnungs¬
schäden mußten sich um so mehr zeigen, als zur Zeit der
stärksten Entwicklung der Industrie in der Pfalz infolge der
lange noch geltenden freieren französischen Gesetzgebung noch
keine Bauordnung wie in Bayern bestand — wir erhielten eine
solche erst im Jahre 1901 — und auch keine eigentliche
Wohnungsauf sicht, die erst jetzt auch bei uns in segensreicher
Weise gehandhabt wird. Solange die agrarische Bevölkerung,
wie ich dies bereits eingangs bemerkt habe, in der Mehrzahl war,
konnte nur ausnahmsweise von einer starken Wohnungsdichtig¬
keit gesprochen werden; die Wohnungsverhältnisse waren ira
allgemeinen gut und wenigstens räumlich genügend, wenn sie
auch sonst oft manches zu wünschen übrig ließen. Demgemäß
ist und war das Vorkommen der Tuberkulose am stärksten in
den größeren Industriestädten Frankenthal, Pirmasens, Ludwigs¬
hafen, St. Ingbert, auch in Speyer und fernerhin in ; einigen
wenn auch mehr ländlichen Bezirken mit starker Steinhauer¬
industrie wie Dürkheim (Grethen, Hardenburg), Rockenhausen
und Kusel.
War nun auch vorher schon allgemein ein geringer Rück¬
gang erfolgt infolge Besserung der allgemeinen Verhältnisse
besonders der zunehmenden Wohnungsfürsorge und als Wirkung
der sozialen Gesetzgebung, so erfolgte doch der stärkere Rück¬
gang der Tuberkulose erst von der Zeit ab, als man begann,
in zielbewußter Weise den neuzeitlichen Kampf auch gegen
diese Krankheit allgemein aufzunehmen. Dieser Kampf ist in
der Pfalz durch das Zusammenwirken der Aerzte, der privaten
und der Amtsärzte, in zunehmender Weise ein allgemeiner ge¬
worden ; es gibt nur noch vereinzelte Teile der Pfalz, wo nicht
in rühriger Weise die Tuberkulose-Fürsorge betrieben wird.
Durch Vorträge der Aerzte und Aufklärung über das Wesen,
die Natur und die Verhütung der Krankheit sowie durch
Demonstrationen in einem Wandermuseum, bei dem die Aerzte
bereitwillig sich zur Verfügung stellten, ist auch die Bevölke¬
rung zur Mitwirkung in diesem Kampfe aufgerüttelt. Es ist eine
prächtige Lungenheilstätte entstanden; es sind Fürsorgestellen,
eine Walderholungstätte, Isolierabteilungen in den Kranken¬
häusern errichtet; auch die Kinderheilstätte in Dürkheim, die
Genesungsheime in Landstuhl und Waldhaus bei Edenkoben
und die Ferienheime für die Volksschüler darf man mit Bezug
auf ihre prophylaktische Wirkung hierher rechnen. Auch den
einzelnen Wohnungen wurde nach Schaffung der Fürsorge¬
stellen mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Der Einrichtungen
sind noch lange nicht genug; aber wir dürfen wohl hoffen, daß
schon infolge des bis jetzt Geschehenen und Möglichen die
Sterblichkeitsziffern, die trotz ihres Rückganges noch kein Ruhmes¬
blatt für die Pfalz bedeuten, weiterhin stetig zurückgehen
Hygienische Streiflichter aas der ßheinpfalz.
669
werden, besonders wenn der bisher entfaltete Eifer der Aerzte
und Behörden in den Bekämpfungsmaßnahmen nicht nach-
lassen wird.
Die andere Infektionskrankheit, über die ich noch einige
Worte sprechen möchte, ist der Typhus, der in der Pfalz
von jeher sehr verbreitet gewesen zu sein scheint. Nach den
älteren, allerdings bezüglich der Diagnose der Erkrankung nicht
ganz einwandfreien Aufzeichnungen starben in den 1860er und
zu Anfang der 1870er Jahre, also in der Zeit vor und nach dem
großen Kriege jährlich 447 d. h. 72 von je 10000 Einwohnern
in der Pfalz an Typhus, in den Jahren 1872/75 waren es
jährlich 61,8°/ 000 . Zuverlässigere Angaben über Morbilität und
Mortalität sind erst seit 1875 vorhanden, nachdem seit diesem
Jahre auf Anregung des damaligen Kreismedizinalrates der
Pfalz mit Hilfe der Bezirksärzte und dem Vereine der pfälzi¬
schen Aerzte soviel wie möglich — vor dem Jahre 1891 be¬
stand ja keine Anzeigepflicht der einzelnen Erkrankungen —
dem Vorkommen des Typhus nachgegangen worden ist. Die
Zahlen für die einzelnen Jahrgänge seit dieser Zeit sind in der
nachstehenden Tabelle (s. S. 640) enthalten; siehe außerdem die
graphische Darstellung auf S. 637.
An Maßnahmen zur Bekämpfung dieser Krankheit
hat es bei uns wohl nie gefehlt. Bezüglich der Art der Be¬
kämpfung sind aber zwei Zeiträume zu unterscheiden, die durch
das Jahr 1903 voneinander getrennt sind.
Die Maßregeln, die in den Jahren 1875 bis 1903 zur
Bekämpfung des Typhus getroffen wurden, beruhten großen¬
teils und anfangs ausschließlich auf der herrschenden lokalisti-
schen, durch die Pettcnkofersehe Schule vertretenen Auf¬
fassung über die Epidemiologie der 'Krankheit. Zwar ist in
der Pfalz in Wort und Schrift schon frühzeitig die Ansicht ge¬
äußert worden, daß durch jene Anschauung allein die Ver¬
breitung des Typhus bei uns sich nicht erklären lasse; ins¬
besondere wurde an der Hand von Epidemien zu Ende der
1880er Jahre ziemlich scharf dafür eingetreten, daß der Typhus
in nicht wenigen Fällen auch durch Kontakt sich zu über¬
tragen scheine. Aber die Annahme, daß das Typhusgift nicht
oder wenigstens nur ausnahmsweise reif und zur Ansteckung
tüchtig den erkrankten Mensch verlasse und so zur unmittel¬
baren Ansteckung Anlaß gebe, daß es vielmehr eine ektogene
Umwandlung zur virulenten Reife durchmachen müsse, war
doch so stark verbreitet und eingewurzelt, daß sie durch¬
greifende Maßnahmen im jetzigen Sinne nicht aufkommen ließ.
Die Maßnahmen waren daher auch in erster Linie auf möglichste
Verbesserung der Wohnungen, der Abort- und Abwasserverhält-
nisse, auf die Sorge für gutes Trink- und Nutzwasser gerichtet;
nach dieser Richtung war in der Pfalz bereits vor dem
Jahre 1903 so manches geschehen. Schon unter diesen all¬
gemeinen Assanierungsbestrebungen allein, in Verbindung mit
640
Dr. Denrath.
V: TyphuS'Erkrankungeh In der Pfalz während der Jahre 1876—1913.
Jahr
Angezeigt bezw.
bekannt gewordene
Typhus-Erkrankungen
Auf je 100000 Einwohner in der Pfalz.
sind erkrankt
sind gestorben
1876
421
66
88,0i
1877
560
87
36,0
1878
657
103
25,0
• 1876/80:
32,9
1879
767
114
38,0
1880
833
122
29,0J
1881
546
80
23,Ol
1882
414
62
23,0
1883
622
92
26,0
•1881/85:
22,9
1884
606
89
24,0
1885
510
75
19,0J
1886
736
106
19,0]
1887
761
109
18,5
1888
539
77
14,0
1886/90 :
15,6
1889
733
106
17,0
1890
560
78
10, lJ
1891
567
78
13,9]
1892
1017
189
18,5
1893
720
99
18,6
•1891/95:
14,9
1894
547
75
13,9
1895
505
65
11,5J
1896
312
40
9,2]
l
1897
1898
297
572
38
73
7.5
8.6
1896/1900
t - O A
1899
363
47
6,5
1900
872
45
7,6J
1
1901
296
37
7,6]
1902
197
24
7,0
1903
881
46
6,2
• 1901/05:
6,6
1904
924
104
6,7
1905
677
65
4,9J
1906
385
45
3,8i
1907
253
28
’ 3,2
1908
234
26
3,1
1906/10:
3,0
1909
138
15
1,9
1910
153
16
1,»J
1911
202
21
2,t
|
1912
174
18
1,5
J1911/13:
1,8
1913 j
140
15
1,9
dem gleichzeitigen Einfluß der Besserung aller Lebens Verhält¬
nisse und der gesamten Lebenshaltung während de^ letzten
Viertels des vorigen Jahrhunderts und mit dem auch nach
dieser Richtung nicht gering anzuschlagenden Einflüsse der
sozialen Gesetzgebung und der Krankenfürsorge mit der er¬
leichterten Möglichkeit der Unterbringung der Erkrankten in
f ut eingerichtete Krankenhäuser hatte, wie dies auch die
ahlen der Morbilität und Mortalität in der Uebersicht zeigen,
der Typhus in der Pfalz bereits vor dem Jahre 1903 einen,
wenn auch nicht immer stetigen, doch schon ziemlich starken
Rückgang erfahren, ohne besondere polizeiliche Maßnahmen ira
engeren Sinne. Soweit derartige Maßnahmen überhaupt an-
geordne wtaren> waren sie bei der unsicheren und noch ge-
Hygienische Streiflichter ans der Rheinpfalz.
641
ringen Kenntnis von dem wirklichen Wesen des Ansteckungs¬
stoffes und weiterhin auch nach der Entdeckung des E b e r t h -
sehen Bacillus mangels genaueren Einblickes in seine Biologie
und besonders in sein Verhalten in epidemiologischer Beziehung
keineswegs systematisch, zielbewußt und durchgreifend. So
wagten sich lange Zeit Vorschriften über die Absonderung der
Typhuskranken entsprechend der herrschenden Ansicht über
die Nichtkontagiosität der Erkrankungen nur schüchtern an
das Tageslicht. Sah man doch in damaliger Zeit nicht selten
sogar in Krankenhäusern und Kliniken die an Typhus Er¬
krankten mit anderen Kranken im gleichen Raume untergebracht.
Etwa geübte Desinfektionsmaßnahraen waren jedenfalls äußerst
unvollkommen. Eine Vernichtung des Typhusgiftes an der
Quelle, am Orte seiner Entstehung konnte übrigens schon
um deswillen nicht durchgeführt werden, weil man diese
Quellen anderswo wähnte, als wo sie allein waren: beim
infizierten Menschen und dessen Abgängen. Immerhin waren
die damaligen Assanierungsbestrebungen und Verbesserungen
der gesundheitlichen Verhältnisse überhaupt größtenteils auf
das Bestreben zurückzuführen, das Typhusgift wenigstens von
Menschen fernzuhalten.
Im Laufe der Zeit hatte sich übrigens auch bei unseren
Aerzten die Erkenntnis der von Robert Koch als richtig er¬
kannten Tatsache durchgerungen, daß nur im Menschen das
Typhusgift gedeihe und zwar bis zur virulenten Reife ohne
noch weiterhin eines ektogenen Reifungsprozesses zu bedürfen,
und daß nur vom Menschen'die Verbreitung des Typhus aus¬
gehe, sei es durch unmittelbaren Kontakt, sei es mittelbar erst
auf dem Umwege durch infizierte Nahrungsmittel, Wasser, Milch,
Gebrauchsgegenstände usw. Als daher im Jahre 1903 die
Typhusbekämpfung in der Pfalz durch den Anschluß an
die gemeinsame Bekämpfung im Südwesten des Reichs
in eine Phase trat, in der nicht nur die allgemeinen Assanierungs¬
bestrebungen betrieben wurden, sondern vor allem auch und in
erster Linie das Typhusgift am Orte seiner Entstehung vernichtet
werden sollte — wesentlich nach Bestimmungen wie sie jetzt
für das ganze Königreich gelten und auf die ich daher auch, weil
bekannt, nicht näher hier einzugehen brauche, — gab es unter den
Aerzten der Pfalz nur noch wenige eingefleischte Vertreter der
älteren Pettenkofersehen Anschauungen über die Epidemio¬
logie der Erkrankung. Die angeordnete moderne Bekämpfungs¬
weise, deren Angriffspunkt also in erster Linie der infizierte
Mensch ist, seine Umgebung und alles, wohin auf irgendeine
Weise die nur vom Menschen herrührenden Krankheitserreger
gelangen, fand somit, trotz einiger Schwierigkeiten in der
Durchführung im ganzen rasch Anklang bei den Aerzten.
Die sich ergebenden Schwierigkeiten lagen nur noch bei
einem Teile der Bevölkerung, besonders auf dem Lande, wo
man früher, was medizinalpolizeiliche Angelegenheiten betrifft,
mehr an ein Gehenlassen oder wenigstens an eine sehr gelinde
642
Df. Denrath.
Handhabung gewöhnt war, i .id wo man gegenüber den jetat
durchgreifenden, manchmal recht tatkräftig betriebenen Ma߬
nahmen hie und da störrisch und ungehalten wurde und diese
Maßnahmen anfänglich nur ungern über sich ergehen ließ. Es
dauerte aber nicht lange, bis man, die Segnungen des Ver¬
fahrens anerkennend, willig entgegenkam.
Schwierigkeiten, die sich anfangs durch eine nicht immer
vorhandene Uebereinstimmung in den Ansichten des behandelnden
Arztes, des Amtsarztes und der Aerzte der Station ergaben,
waren bald beseitigt, hauptsächlich mit Hilfe des in der Pfalz
sehr entwickelten ärztlichen Vereinslebens. Ohne Frage ist der
auf solche Weise erfolgten gegenseitigen Aussprache und Auf¬
klärung die eifrige Mitarbeit der Aerzte und damit ein großer
Teil der erzielten Erfolge zu danken.
Wie sind nun in der Pfalz die Erfolge der systema¬
tischen gemeinsamen Typhusbekämpfung seit dem
Jahre 1903?
Der Hauptei folg liegt nach meiner Ansicht darin, daß die
jetzt geübte Typhusbekämpfung ganz wesentlich dazu bei¬
getragen hat, das schon vorher begonnene Werk der all¬
gemeinen Besserung der hy gienischen Verhältnisse
der Pfalz mit größerer Geschwindigkeit vorwärts zu bringen.
Das nach erfolgter Anzeige der Erkrankung oder des Krank¬
heitsverdachtes vorgeschriebene Ermittelungsverfahren an Ort
und Stelle brachte dem Amtsärzte vielfach Kenntnis von
hygienischen Mißständen der verschiedensten Art, die vorher
nicht oder vielfach erst zu spät bekannt geworden sind, deren
Beseitigung unter dem Hochdrucke der getroffenen Anord¬
nungen jetzt viel leichter möglich war als früher, und zu deren
Abstellung die maßgebenden Persönlichkeiten in den einzelnen
Orten und Private, wenn auch vielfach nach anfänglichem
Widerstreben, sich jetzt leichter bewegen ließen.
So ist, was früher besonders im argen lag, allmählich,
wenn auch noch lange nicht in genügender Weise eine Besse¬
rung in der Behandlung der menschlichen Abfälle und der Ab¬
wässer zustande gekommen; es wird zunächst jetzt mehr Sorg
falt auf Verwahrung der Dung- und Abortgruben verwendet.
Geht es auch noch langsam mit der Durchführung der Kanali¬
sation der Städte und mit der Klärung der Abwässer, so ist doch in
dieser Zeit viel geschehen; die erste derartige städtische An¬
lage (Schwemmkanalisation mit Klärung durch Emscher Brunnen)
ist in Frankenthal durchgeführt; in Ludwigshafen, Speyer,
Neustadt sind solche Anlagen in greifbare Nähe gerückt; auch
Kaiserslautern, Dürkheim, Zweibrücken werden folgen. Landau,
das eine gute einheitliche Abwasserkanalisation schon seit zwei
Dezennien hat, ist ebenfalls im Begriffe, eine Schwemmkanali¬
sation mit Klärung einzurichten. Allerdings, weil lauter Millionen¬
projekte, gedeihen diese etwas langsam, und es ist dies viel¬
leicht noch nicht einmal so sehr zu bedauern, zumal die Frage
der Klärverfahren verhältnismäßig zu wenig abgeschlossen ist
Hygienische Streiflichter ans der Rheinpfalz.
643
und wir uns diesbezüglich in einer Periode der Entwicklung
befinden. Für 'einfache Abwasserkanalisation verschiedener
kleiner Städte und Orte war von 1903 bis 1911 schon die
Summe von 914054 M. aufgewendet worden.
Am größten waren die Fortschritte in der Wasser¬
versorgung während der Zeit der Typhusbekämpfung. Die
erste zentrale Wasserleitung in der Pfalz überhaupt wurde in
Neustadt schon im Jahre 1869 errichtet; die übrigen folgten
in der Zeit von 1879 ab. Im Jahre 1900 waren im ganzen 124
vorhanden. Von da ab mehrten sie sich etwas rascher; immer¬
hin bestanden bis zum Jahre 1903, in dem die gemeinsame
Typhusbekämpfung begann, im ganzen erst in 175 = 24,07 °/ 0
der 708 Gemeinden der Pfalz zentrale Wasserversorgungen.
Seit dieser Zeit sind bis 1. April 1914 242 weitere errichtet
worden, so daß jetzt 417 in Tätigkeit sind; rechnen wir dazu,
daß 69 in Vorbereitung oder Ausführung sind, so dürfen wir
. sagen, daß in absehbarer Zeit 486 zentrale Wasserleitungen
vorhanden und dann 68,6 °/ 0 d. h. mehr als */ s der Ort¬
schaften der Pfalz in dieser Weise mit Wasser versorgt sein
werden. Der Kostenaufwand dafür betrug von 1903 bis 1. De¬
zember 1911 7094093 M. und dürfte bis jetzt rund 9 Millionen
betragen.
Ich muß es mir versagen, im einzelnen auf weitere Er¬
rungenschaften im Sanitätswesen als Frucht unserer Typhus¬
bekämpfung hier näher einzugehen. Hervorheben aber muß
ich, daß während dieser Zeit aas Desinfektionswesen bei
uns so ziemlich ausgebaut wurde. Schon bevor die neueren
bayerischen Verordnungen über die Bekämpfung der übertrag¬
baren Krankheiten und das Desinfektionswesen gekommen
waren, hatte sich die Bevölkerung daran gewöhnt, außer bei
Typhus freiwillig Desinfektion auch bei solchen Krankheiten
vornehmen zu lassen, wo bis dahin die Desinfektion noch nicht
vorgeschrieben war. Infolgedessen war auch die Einführung
der neuen Verordnungen bei uns eine erleichterte.
Eine hochwichtige Errungenschaft der Typhusbekämpfung
muß ich noch besonders erwähnen: die ursprünglich nur
für diesen Zweck 1903 eingerichtete bakteriologische
Untersuchungsstation in Landau. Sie brachte und bringt
den Aerzten stets Beihilfe und Aufklärung nicht nur in der
bakteriologischen, sondern gar oft auch in der pathologisch¬
anatomischen Diagnosestellung auch bei anderen Krankheiten.
Durch dieses Entgegenkommen trug sie dazu bei, selbst die
weniger willigen Äerzte der Pfalz nicht allein für die Ziele der
Typhusbekämpfung, sondern auch für sanitäre Betätigung im
allgemeinen zu gewinnen. Daß sie uns weiterhin erhalten
blieb für die Zwecke aller übertragbaren Krankheiten, weiß die
gesamte Aerzteschaft der Pfalz, ich kann sagen, weiß die ganze
Pfalz der Königl. Staatsregierung großen Dank. Das brachte
die Aerztekammer, brachte der Verein der Pfälzischen Aerzta
644
Dr. Denrath.
und besonders auch der Landrat der Pf als werktätig in seiner
letzten Tagung zum Ausdruck. ^
Betrachtet man die Erfolge mit Bezug auf den Rück¬
gang der Typhuserkrankungen in dem Zeitraum von 1903
bezw. 1904 bis jetzt (siehe auch graphische Darstellung IV auf
S. 637 und Tabelle V auf S. 740), so kann man diese als bedeutend
bezeichnen. Die Zahl der Typhuserkrankungen ist von 924 im
Jahre 1904 d. h. 104 auf je 100000 Einwohner auf 140 = 15
im Jahre 1913 zurückgegangen. Der Rückgang erfolgte dabei
weniger sprungweise wie früher, sondern mehr stetig und gleich¬
mäßig. Diese Abnahme tritt besonders deutlich bei den Todes¬
fällen zutage. Das Jahr 1904 hatte no'ch eine Sterblichkeit
von 7,4 °/ 0000 ; das Jahr 1913 nur mehr eine solche von l,9°/ooo«-
Diese Zahlen beruhen nicht mehr auf Zufall, zumal bei dem
geübten Ermittelungsverfahren nicht so leicht wie^vor 1913 so
manche Erkrankungsfälle unbekannt bleiben konnten.
Der Rückgang des Typhus zeigt sich aber nicht nur in
der Zahl der Erkrankungen und damit der Todesfälle, sondern
auch, und das ist ganz wesentlich, in der Zahl der befallenen
Ortschaften. Von 1875 bis 1903 waren von den 708 Ort¬
schaften der Pfalz nur 62 ist 8,8 °/ 0 freigeblieben, befallen also
91,2 °/ 0 . Da konnte, da mußte man allerdings von endemischem
Typhus in der Pfalz sprechen. Die Erfahrung hat uns jedoch
seit dieser Zeit gelehrt und klar vor Augen geführt, daß diese
Endemie nicht so sehr, wie früher angenommen, in der Be¬
schaffenheit der Gegend und der Oertlichkeit, sondern zumeist
in dem Zustande einzelner Menschen lag, der Bazillenträger,
deren Dasein man jetzt erst kennen lernte. Im Jahre 1904
waren von Typhus befallen noch 185 Orte = 26,1 °/ 0 ; im Jahre
1913 waren es nur mehr 51 = 7 °/ 0 der Ortschaften. Die Typhus-
träger, deren wir zur Zeit (Ende Juni) in der Pfalz 106 in
54 Ortschaften (hiervon allein 26 in den Anstalten Klingen¬
münster und Frankenthal) kennen und so weit wie möglich über¬
wachen, sind tatsächlich noch im wesentlichen die Ausgangs¬
punkte neuer Typhuserkrankungen und gelegentlicher Epidemien.
Der Kampf gegen den Typhus spitzt sich bei uns jetzt zu zum
Kampf gegen die Typhusträger; erst wenn wir dieser Herr
werden, wird der endemische Typhus bei uns ganz verschwunden
sein. Am besten können wir dies an unseren großen Kreis¬
anstalten sehen: In Frankenthal und Klingenmünster hat früher
fortgesetzt der Typhus geherrscht; diese Anstalten hiervon
frei zu machen und hiervon frei zu halten, ist unter der Herr¬
schaft der lokalistischen Anschauungen, die den Ausgangs¬
punkt der Erkrankungen in dem Boden, dem Untergründe des
Gebäudes, im Gebäude selbst, in Zwischenfüllungen suchten,
trotz oft recht kostspieliger Maßnahmen nicht gelungen. Erst
seitdem die Ansteckungsquellen sich in den chronischen Bazillen¬
trägern fanden, und seitdem diese in Isolierhäusern abgesondert,
und auch alle neuaufgenommenen Pfleglinge auf Basillenfreiheit
bakteriologisch untersucht werden, haben wir wohl noch in
Hygienische Streiflichter ans der Rheinpfalz.
645
diesen Anstalten Bazillenträger, aber keine Typhuserkrankungen
mehr; wir hoffen bei scharfer Ueberwachung und Isolierung
dieser Bazillenträger auch in Zukunft von Erkrankungen ver¬
schont zu bleiben.
In der vorstehenden Schilderung konnte ich einige Licht¬
punkte in den hygienischen Verhältnissen der Pfalz zeigen;
anderseits mußte ich aber auch auf so manchen dunklen Schatten
hinweisen. Immerhin konnte und durfte ich zeigen, daß gerade
unser tiefster Schatten, der endemische Typhus, als wir ihn
nur einmal fest ins Auge fassen konnten, nicht nur sehr viel
heller geworden ist, sondern aus ihm auch Licht für unsere
gesamten hygienischen Verhältnisse erwachsen ist. Wir haben
gelernt, daß, besonders wenn wir auch die Unterstützung unserer
Aerzte haben — und ich darf wohl sagen, wir hatten diese und
haben sie noch trotz vorübergehenden Nachlasses in der Bereit¬
willigkeit zur Mitwirkung infolge von außen in die vorher fest¬
geschlossenen Reihen der Aerzte getragenen Zwiespalts und
hierdurch entstandener Verbitterung, — auch bei einer Be¬
völkerung sich viel erreichen läßt, die von Natur aus und
gemäß ihres Werdeganges in vermeintlichem Freiheitsdrange
von ihren nicht immer hygienischen Gepflogenheiten nicht
gerne abläßt und noch so zweckmäßigen Anordnungen, wenn
sie ihren überlieferten und gewohnheitsmäßigen Ansichten nicht
entsprechen, nicht gerne nachkommen, ihnen vielmehr oft hart¬
näckigen Widerstand zu leisten suchen.
Diesen Widerstand zu beseitigen, erfordert große Liebe
zur Sache, sehr viel Geduld und fortgesetzte Belehrung und
Aufklärung der Bevölkerung. Nicht leicht ist die Aufgabe, vor
die sich hier unsere berufenen Amtsärzte gestellt sehen.
Nur bei voller Konzentration können und konnten sie diese
erfüllen. Nicht mehr, wie bisher vielfach geschehen, auch
geschehen mußte, zur Erhöhung ihres bis vor kurzem allerdings
kärglichen, und wie manche sagen, auch jetzt noch nicht
entsprechenden amtlichen Einkommens konnten sie sich der
Menschheit zur Verfügung stellen, auch zur Behandlung vor¬
handener Erkrankungen, sondern sie sollten und mußten sich
bereit halten, fast einzig und allein für die übrigens viel höhere
Aufgabe der Beseitigung und Verhütung der drohenden Gesund¬
heitsstörungen. Um unter den gegebenen Verhältnissen dies zu
erreichen, war,vor allem, oft unter großem Zeitaufwand auch
zur Belehrung und Aufklärung zu schreiten. Die Amts¬
ärzte müssen sich als hygienische Berater und Freunde des
Volkes fühlen und nicht in erster Linie als unentwegte polizei¬
liche Vollzieher und Ueberwacher von wenn auch noch so
guten und notwendigen hygienischen Vorschriften. Gerade die
niemals ermüdende und mit Geduld immer wieder einsetzende
Belehrung und Aufklärung des Volkes ist in den Vordergrund
der Tätigkeit des modernen Amtsarztes zu stellen; auf ihr
beruht ein gut Teil des Erfolges und damit der Gesundheit und
Zukunft unseres Volkes,
646
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
Diese Erwägung und zum Teil die Beobachtung, mit welch
großer Begeisterung vor Jahren die Belehrung durch die Aerete
in dem Tuberkulosewandermuseum von unserer Bevölkerung
aufgenommen wurde, und welchen Nutzen dies für die gerade
einsetzende moderne Bekämpfung der Tuberkulose gebracht hatte,
zeitigte auch den Gedanken, die Errichtung einer Abteilung
für Gesundheitspflege in dem in Dürkheim in Aussicht ge¬
nommenen Museumsbau der naturwissenschaftlichen Gesellschaft
der Pfalz, der Pollichia für unsere von ähnlichen Bildungs¬
stätten der gemeinsamen Heimat ferne liegende Pfalz, ins Auge
zu fassen, also eines stationären Gesundheitsmuseums,
in dem auch zeitweise auf klärende hygienische Vorträge mit
Demonstrationen abzuhalten wären. Für die Verwirklichung
dieser Absicht erbitten wir daher auch an dieser Stelle das
Wohlwollen der Königl. Staatsregierung.
Um aber die Belehrung und Aufklärung erfolgreicher zu
gestalten, sollte in zielbewußter Weise diese schon viel früher
bei unserem Nachwuchse einsetzen. An sämtlichen Mittel¬
schulen, an den Fortbildungschulen, wenn möglich auch schon
an den oberen Klassen der Volksschule sollten, aneegliedert
vielleicht an die auch bei uns in zunehmender Weise ent¬
stehenden Schularztstellen, zur Erteilung des Unterrichts
in der Hygiene Aerzte auf gestellt werden, in ähnlicher Weise
wie zur Erteilung des Religionsunterrichts Religionslehrer be¬
stellt sind, so daß auf diese Weise auch alle diejenigen, die
später in Staat und Gemeinde führende und lehrende Stellungen
einnehmen, eine möglichst gute Kenntnis erhielten in hygieni¬
schen Dingen. Kurz, nach jeder Richtung müßte Kenntnis
von hygienischem Wissen gebracht und unser privates und
öffentliches Leben hiervon durchdrungen werden. Immer seltener
würden dann auch die Fälle, wo, um in hygienischen Dingen
etwas zu erreichen, zuvor ein mehr oder minder hartnäckiger
Kampf gegen Unwissenheit und Vorurteil geführt werden muß.
Erst dann werden wir zu dem Ziele kommen, das uns
vorgesteckt bleibt und von dem wir, wenn auch in starkem
Anmarsche begriffen, einstweilen noch weit entfernt sind;
dieses Ziel ist die Verwirklichung des hygienischen Zeitalters,
das kommen wird und kommen muß, und das allein erst die
Menschheit zu der gesundheitlichen und damit zur sittlichen
und sozialen Höhe bringen kann, zu der sie berufen ist.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
A. Gerlohtliohe Psyohiatrl«.
Zar forensisch-psychiatrischen Beurteilung tob Eheangelegenheltei-
Von Prof. Dr. Weber-Chemnitz. (Aus der Stadt. Nervenheilanstalt ChemniU - 1
AerztLiehe Sachverständigen-Zeitung; 19)6, Nr. 14.
An der Band eines Falles, in dem Verfasser in einer Ehescheid nngskligf
ein Gutachten darüber abzugeben hatte, ob einer Ehefraa ohne gesundheitliche!
Schaden die Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft zngematet werde»
. Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
647
könne, erörtert Weber die Aufgaben, die dem ärztlichen Sachverständigen
hierbei znfallen. Er betont, daß dieser seine Aufgabe, wenn er wirklich
dem Richter eine Hilfe sein soll, nicht so engherzig lediglich auf die Unter¬
suchung typischer Krankheitpzustände beschränken darf, sondern auch die
Gebiete der normalen Psychologie des täglichen Lebens mit in den Kreis seiner
Begutachtungen ziehen kann. Ziemlich einfach liegt es, wenn Geisteskrank¬
heit als Ehescheidungsgrnnd angegeben wird (§ 1569 B. G. B.). Es ist aber
zu beachten, daß die Bestimmungen die Ehescheidung nur für sehr sichere
Formen der Geistesstörung unter ganz besonderen Umständen gestatten. Eine
besondere Zurückhaltung soll sich der psychiatrische Gutachter auferlegen,
wenn es sich um Fälle aus § 1568 B. G. B. (Zerrüttung des ehelichen Ver¬
hältnisses) handelt. Namentlich spielt die Hysterie hier eine Rolle; denn der
hysterische Geisteszustand ist hervorragend geeignet, ein Benehmen hervorzu-
rufen, das die Ehe zerrüttet, ohne daß man den Träger eines solchen
Geisteszustandes für diese Handlungen verantwortlich machen kann. Hier ist.
es geboten, nur nach Prüfung der gesamten psychischen Persönlichkeit zu
entscheiden und niemals die Handlungen selbst, die zur Zerrüttung führen, als
ausschließlichen Beweis für die hysterische Grundlage zu betrachten. Mit der
Zubilligung des § 51 St.G. B. soll der Sachverständige bei Hysterie recht vor¬
sichtig sein. Es ist somit oft geraten, die Klage auf Ehescheidung aus
§ 156t* einzuleiten, ohne daß der Nervenarzt sein Gutachten abgibt; denn,
wenn dieser erst einmal gehört ist, treten Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit
auf, die ein geschickter Rechtsanwalt auf greifen wird, um eine Ehescheidung
wegen zerrüttender Handlungen seiner Partei, also zu deren eigenen Verschulden
möglichst zu verhindern. Im Wesen der Ehe kann es aber nicht liegen, wenn
Gatten, die sich fortgesetzt befehden, dauernd zusammengekettet sind.
Dr. Solbrig-Königsberg i. Pr.
B. Saohverständigentitigkeit auf milltärärztllohem Gebiet«.
Die Prognose und die Entschädigung der Kriegsneurosen. Von
Sanitätsrat Dr. E. Beyer, Chefarzt des Vereinslazaretts Roderbirken. (Ans
dem Reservelazarett Ohligs). Aerztliche Sachverständigen-Zeitung; 1916,
Nr. 16.
Auf Grund eines über 1000 Krankheitsfälle, die überwiegend Soldaten
betrafen, betragenden Materials kommt Verfasser zu folgenden Folgerungen:
1. Die Prognose der Kriegsneurosen ist im allgemeinen günstig und im
Einzelfall davon abhängig, wie weit es möglich ist, die ungünstigen Einflüsse
zu beseitigen und günstige Einflüsse wirksam zu machen.
2. Bei nervenkranken Kriegsbeschädigten, die vielfach für den eigent¬
lichen Heeresdienst nicht mehr brauchbar sind, ist zu erstreben, sie als arbeits¬
verwendungsfähig oder D. U. ihrer Berufsarbeit wieder zuzuführen.
8. Bei dienstunbrauchbaren Nervenkranken kann volle Erwerbsfähigkeit
vorhanden sein. Kleine Renten unter 20 Prozent sind in der Regel zu ver¬
meiden. Bei mehr als zwei Drittel Erwerbsbeschränkung ist die Vollrente
meistens nicht zu umgehen.
4. Die Nachuntersuchungen der Nervenkranken sind nicht zu früh anzn-
setzen; bei der Bestimmung des Termins ist auch auf Jahreszeit und Berufs-
Verhältnisse Rücksicht zu nehmen. Dr. Solbrig -Königsberg i. Pr.
C. Hygiene und öffentliches Gesundheitswesen.
1. Gewerbehygiene.
Verwendung von Azetylen zur Dlchteprttfung von Rohrleitungen.
Von Gewerbeassessor Dipl-Ing. K1 e b e - Bayreuth. Zentralblatt für Gewerbe¬
hygiene; 1916, Nr. 10.
Es muß als Mangel empfunden werden, daß weder die behördlichen
Verordnungen, noch die berufsgenossenschaftlichen Unfall Verhütungsvorschriften
ein Verbot der Verwendung von Azetylen zu oben erwähntem Zwecke ent-
648 Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
halten. Ein gewerbeaafsichtliohes Verbot läßt sich jedoch ohne weiteres auf
§ 120 a der Gewerbeordnung stützen. Da im übrigen, wie . aas den im be¬
schriebenen Falle erwachsenen Gerichtsakten hervorging, die Berufsgenossen-
schaft der Gas- and Wasserwerke den oben eingenommenen Standpunkt voll¬
kommen teilt, steht za erwarten, daß deren Unfallverhütungsvorschriften bei
ihrer nächsten Ueberarbeitang eine Verschärfung in diesem Sinne erfahren
werden. __ Dr. W o 1 f - Hanau.
2. Säuglingsfürsorge.
Gesetzlicher Säuglings« and Mutterschutz ln Norwegen. Von
G. Herzfelder-Wien. Zeitschrift für Bevölkerungspolitik and Säaglings-
fürsorge; Bd. 9, H. 1.
Die am 1. Januar 1916 in Kraft getretenen Gesetze geben ein Bild
umfassender Vorsorge für die Erhaltung and Aufzucht des kindlichen Nach¬
wuchses. Es verdient besonders bemerkt zu werden, daß durch sie zum
ersten Male eine Wöchnerinnen- und StillunterBtützung unabhängig von jeder
Krankenversicherung auf gesetzlicher Grundlage eingeführt wird.
Dr. Wolf-Hanau.
3. Kriegsbeschädigtanfürsorge.
Die Ansiedlung der Kriegsbeschädigten. Beiträge zur Invaliden-
„ fürsorge. Von Dr. Keup-Frankfurt a. 0., Ober-Reg.-Rat Alfred Mayer-
Frankfurt a. 0. und Magistratsrat Paul W Ölbling-Berlin. Schriften zur
Förderung der inneren Kolonisation; Heft 18. Verlag Deutsche Landbuch¬
handlang G. m. b. H. Berlin 1915. 58 Seiten. Preis: 1 Mark.
Die Schrift gilt dem Kriegsinvaliden, der nach Abschluß der ärztlichen
Behandlung dem Landwirtberuf zugefübrt werden kann, und behandelt
ausführlich die Verwaltungsmaßnahmen, durch die sich dieses Ziel erreichen
läßt. Es wird sich ermöglichen lassen, jeden Kriegsinvaliden, der vom Lande
stammt, sich zur Ansiedelung bereit erklärt hat und geeignet ist, dem Lande
wieder zuzuführen. Bewährt hat sich die Form des preußischen Rentengutes,
deren Einführung auch den anderen Bundesstaaten anzuraten ist. Notwendig
ist zur Aufbringung des Anzahlungs- und ersten Betriebskapitals die
Kapitalisierung eines Teils der Invalidenrente; dieses Kapital wäre als
„Invaliden-Ansiedelungsfonds“ von den Provinzial-Rentenbanken leicht mit zu
verwalten. Die Gefahr, es zu verlieren, wäre durch sorgfältige Auswahl
der Bewerber unter ganz besonderer Berücksichtigung der Familienverhältnisse
sehr gemindert; schwieriger ist die Beschaffung von genügend Siedelungsland,
das sich aber durch Zusammenarbeit der Verwaltungskörper — einer zu
bildenden Kreisinvalidenkommission, Provinzialinvalidenkommission beim Ober-
Präsidium und der Auseinandersetzungsbehörden (Generalkommissionen) — und
geeignete gesetzliche Maßnahmen, besonders Erschwerung des gewerbsmäßigen
Gttterbandcls zugunsten des Staates, gewinnen ließe. Die Unterbringung unserer
verwundeten Helden wäre für sie von so großem Segen, für unsere Volkswirt¬
schaft, für die Erzielung eines ausreichenden gesunden Nachwuchses von so
großer Bedeutung, daß den Bestrebungen der Gesellschaft zur Förderung der
inneren Kolonisation ein voller Erfolg zu wünschen ist.
Dr. Rehberg-Herzberg a. E.
4. Sozial« Hygiene.
Die Umwertung des BevSlkerungsproblems — ein tragender Gedanke
Im neuen Deutschland. Von Prof. Dr. Schloßmann-Düsseldorf. Zeit¬
schrift für Bevölkernngspolitik und Sänglingsfürsorge; 1916, Bd. 9, Nr. 1.
In erster Linie müssen wir den erlittenen Menschenverlust nach Möglich¬
keit wieder cinholen und aus uns heraus unsere Volkszahl mehren. Die gegen¬
wärtige Last, die durch Aufziehen zahlreicher Kinder den Familien auferlegt
wird, muß vom Staate aus gemildert werden, da die Aufziehung von Kindern
eine Leistung für die Allgemeinheit ist. Die Besteuerung und das Gebalt
müssen unter Berücksichtigung der Köpfe, die mit dem Einkommen zu ernähren
sind, festgesetzt werden. Wer durch Aufzucht von Kindern für die Zukunft
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
649
des Volkes etwas leistet, dem werden die Anslagen von der heutigen Volks¬
gemeinschaft ersetzt. Sehr wichtig ist die Wieder-Ansässigmachung großer
Volksteile. Lebenserhaltung and, was noch wichtiger ist, Lebensgestaltang
der Säuglinge ist von grundlegender Bedeutung; es müssen aber gewisse
allgemein gültige Mindestforderungen erfüllt werden, für die natürlich das
nötige Geld vorhanden sein maß. Dr. W o 1 f - Hanau.
Periodische ärztliche Untersuchung und Lebensversicherung. Von
San.-Rat Dr. Lilienthal. Halbmonatsschrift für soziale Hygiene und prak¬
tische Medizin; Jahrgang 24, Nr. 19, 14. September 1916.
Rothe hat in der Zeitschrift für Versicherungswesen das obige Thema
behandelt, er will die Frage prüfen, ob durch ärztliche Vorbeugung die Sterb¬
lichkeit herabgemindert und durch fortlaufende ärztliche Untersuchungen eine
ärztliche Vorbeugung in dem Sinne gewährleistet wird, daß schon im Keime
vorhandene Krankheiten nicht zum Ausbruch kommen. Bei rechtzeitiger
Erkennung der Krankheiten werden viel geringere Kosten entstehen, als bei
vorgeschrittenen Leiden, diese aber trotzdem eine unvergleichlich größere
Aussicht auf Heilerfolg gewährleisten als große Ausgaben bei vorgeschrittenen
Krankheitszuständen. Für die ärztliche Untersuchung würde ein 2- bis
3jähriger Turnus ausreichend sein. Oie Ersparnis aus der zu erwartenden
Mindersterblichkeit wird weit mehr als die Kosten der ärztlichen Untersuchung
decken. Or. Hoffmann -Berlin.
5. Begräbniswesen.
Die Prinzipien des Bestattungswesens und das Schicksal der Leichen
auf den europäischen Schlachtfeldern. Von Or. Wilhelm Müller, Ab-
teilungs- und Konsiliararzt für Lungenkrankheiten im Militärbeobachtungs-
hospital Nr. 1 in Troppau. Oeffentliche Gesundheitspflege; 1916, Heft 7.
Das Be8tattungswesen der gefallenen Menschen und Tiere bildet eine
wichtige Rolle in der Hygiene der Schlachtfelder. Mit Rücksicht auf diese ist
eine möglichst rasche, prompte und typische Leichenzersetzung (Skelettierung)
anzustreben unter tunlichster Vermeidung der sogenannten atypischen post¬
mortalen Dekomposition: völlige Konservierung, stinkende Fäulnis, Fettwachs¬
bildung und Mumifizierung. Für die postmortale Dekomposition, d. h. für den
Abbau des Organismus kommen als physikalische und biologische Voraus¬
setzungen in erster Linie in Betracht: Anwesenheit von Sauerstoff, Wasser
und aeroben Mikroorganismen sowie eine bestimmte Temperatur und die Mög¬
lichkeit unbehinderten Abgangs der Verwesungsgase. Sind diese Voraus¬
setzungen ausreichend gegeben, so ist auf eine typische Verwesung zu rechnen,
fehlt die eine oder die andere oder überwiegen einzelne, so wird stinkende
Fäulnis, Konservierung oder sonstige atypische Verwesung in Erscheinung
treten. Sauerstoff und Wasser beherrschen den Vorgang der Zersetzung und
bestimmen im Verein mit der Temperatur den Ablauf der postmortalen Ver¬
änderungen. Maßgebend für die Zersetzung ist deshalb vor allem die
physikalische Beschaffenheit des Erdbodens, sein Porenvolumen und seine
Durchlässigkeit; Boden aus Bodengemischen mit 0,3—4 mm Korngröße ist der
geeignetste. Begünstigt wird die Verwesung ferner durch Baumwurzeln,
namentlich Koniferenwurzeln, die das im Erdboden befindliche überschüssige
Wasser aufsaugen und dadurch einen häufigen Wechsel zwischen Trocken und
Naß hervorrufen, der die Zersetzung fördert. Lehm- und Tonboden ist dagegen zu
vermeiden; er führt ebenso wie hoher Grundwasserstand zu stinkender Fäulnis
und Fettwachsbildung. Ebenso stört die Bekleidung der Leichen die Zersetzung.
Wenn es die Verhältnisse gestatten, sind deshalb nach dem Verfasser für das
Bestattungswesen auf den Schlachtfeldern folgende Vorschriften einzuhalten:
„t. Die Regel auf dem Schlachtfeld ist das Massengrab. Einzel¬
bestattungen kommen natürlich ebenfalls sehr häufig vor, namontlich im
Stellungskrieg.
2. Bei der Anlage der Massengräber achte man darauf, daß die obersten
Schichten nicht höher unter das Niveau des Erdbodens zu liegen kommen als
1,80 bis 2 m. Möglichst flächenbafte Verteilung sowie Isolierung der
650
' Besprechungen.
einzelnen Leichen durch reichliche Zwischenlagen von Erde ermöglichen auch
den zentral gelegenen Partien des Massengrabes den Prozeß der typischen
postmortalen Dekomposition. Liegt hingegen Leiche dicht neben Leiche inner*
halb voluminöser kompakter Massen, so sind die dem Kern nabe gelegenen
Körper sowohl der Sauerstoffzirkulation, als auch der Möglichkeit des Ab*
strömens der Dekompositionsgase beraubt. Die Folgen davon sind atypische
Dekompositionsprodukte wie Adipocirebildung und stinkende Fäulnis, zum
mindesten aber hochgradige Verzögerung der Dekomposition.
3. Man wähle in jedem Falle Bodenarten .von genügender
Permeabilität für Luft und Wasser, also Band* und kiesreichen
Boden, wurzelreichen Waldboden, humushaltigen Acker-,
Wiesen- und Feldboden, Weinberge und Heideboden.
4. Zu vermeiden sind lehm- und tonreiche und sehr feinsandige
(unter 0,8 mm) Böden. Auch Sumpf-, Torf- und Moorböden eignen
sich schlecht für den Prozeß der typischen postmortalen Dekomposition.
5. An und für sich einwandfreier Boden verliert seine guten Eigen¬
schaften bei hohem GrundwaBserstand, hier kann keine typische Ver¬
wesung erfolgen; außerdem ist dabei die Gefahr der Tfinkwasserinfektion
gegeben.
6. Infolge der dekompositionshemmenden Wirkung der Kleider sind
diese bis auf die Unterkleider, wenn möglich, zu entfernen.
7. Alle konservierenden Beimengungen sind zu unterlassen, sofern nicht
nachweislich stark infektiöse Leichen bestattet werden.
8. Nie sollen Gräber in der Nähe von Quellen liegen.
9. In allen Fällen eignet sich Holzkohle als Beimischung zu den Leichen
sehr wohl, weil sie die Dekompositionsgase absorbiert und gleichzeitig in
hohem Maße desodoriert." Rpd.
Tagesnachrichten.
Des Kaisers Fürsorge für die Zukunft des Volkes. Seine Majestät
der Kaiser hat aus Anlaß des Geburtstages Ihrer Majestät der Kaiserin an
den Minister des Innern nachstehende Allerhöchste Erlasse gerichtet:
a. Den Geburtstag Ihrer Majestät der Kaiserin und Königin, meiner Ge¬
mahlin, begehe ich in diesem Jahre mit besonderer Dankbarkeit gegen Gott
den Herrn, dessen Gnade uns durch die bisherige Bewahrung unserer im Felde
stehenden Söhne das Glück unseres Hauses ungeschmälert erhalten hat. Ihrer
Majestät ist es vergönnt gewesen, unter Ihrem Schutz treue Männer und
Frauen aus allen Kreisen unseres Volkes zu opferwilliger und erfolgreicher
Arbeit im Dienste der durch den Krieg erwachsenen Nöte zu vereinen. Es liegt
mir am Herzen, allen diesen in der Heimat treu arbeitenden Kräften für ihr
selbstloses Wirken mein warmes Interesse und meinen besonderen kaiserlichen
Dank auszusprechen. Ich tue es in dem zuversichtlichen Vertrauen, daß sie
nach dem Vorbild unserer heldenmütigen Kämpfer an der Front in ihrer treuen
Arbeit durchhalten werden, bis nach endgültigem Siege unserer Waffen uns«
Vaterland seine ganze Kraft der Heilung der im Kriege geschlagenen Wunden
zuwenden kann. Mit warmer und inniger Anteilnahme gedenke ich am heutigen
Tage auch aller derer, die nach Gottes Willen ein teueres Familienglied dem
Vaterland haben opfern müssen und von denen viele überdies schweren wirt¬
schaftlichen Sorgen gegenübersteben. Die unter Ihrem Vorsitz arbeitende
Nationalstiftung für die Hinterbliebenen der im Kriege Gefallenen hat mit den
ihr zugeflossenen reichen Gaben schon manche Tränen trocknen dürfen, sie
wird, wie ich hoffe, ihre Fürsorge für die Hinterbliebenen unserer Helden
immer weiter ausdehnen können. Als Zeichen meiner persönlichen warmen
Anteilnahme an dieser Ehren- und Herzenspflicht des deutschen Volkes habe
ich der Nationalstiftung eine erneute Zuwendung von 100000
Mark zugedacht und meine Schatulle mit der Zuweisung dieser Somme in
deutscher Kriegsanleihe beauftragt.
Großes Hauptquartier, ad.^Oktober 1916.
Wilhelm, I. B.
Tagesnachrichten.
661
b. Das unter dem Protektorat Ihrer Majestät der Kaiserin and Königin
im Segen wirkende Kaiserin Auguste Viktoria-Hans beabsichtigt
eine vermehrte Ausbildung von Säuglingspflegerinnen für
Kreise, Gemeinden und Familien und eine Erweiterung der Zentral¬
stelle für Säuglingsschutz, um die dringend erforderliche Belehrung
über Ernährung und Pflege des Kindes in die weitesten Kreise unseres Volkes
zu tragen. Die Bekämpfung der noch immer hohen Säuglingssterblichkeit ge¬
winnt im Zusammenhänge mit dem zunehmenden Geburtenrückgang und den
schweren Opfern des Krieges für die Zukunft des deutschen Volkes eine Be¬
deutung, die das warme Interesse und die tatkräftige Mitarbeit aller Vater¬
landsfreunde beansprucht. Es ist Mir daher eine besondere Freude, anläßlich
des Geburtstages Ihrer Majestät der Kaiserin und Königin die Durchführung
des Planes ermöglichen und die erforderlichen Bau- und Einrichtungskosten
sowie einen widerruflichen Jahreszuschuß von 60000 M. aus der Mir
zur Verfügung gestellten „Kaiser Wilhelm-Spende deutscher Frauen“ bewilligen
zu können. Wenn Ich für die Erhaltung der künftigen Träger deutscher Volks¬
kraft und deutschen Familienglücks gerade die Spende der deutschen Frauen
heranziehe, so glaubo Ich damit zugleich den Wünschen der freundlichen
Spenderinnen in besonderem Maße zu entsprechen.
Ich ersuche Sie, im Einvernehmen mit dem Minister der öffentlichen
Arbeiten die Pläne und Anschläge für den Neubau einer Prüfung zu unter¬
ziehen und Mir alsdann mit einer Begutachtung zur Genehmigung vorzulegen.
Der Bau ist mit seiner inneren Einrichtung und Ausstattung dem Ernst der
Zeit entsprechend, einfach zu halten. Ich behalte Mir die Ernennung eines
Kommissars vor, welcher an den Beratungen des Kuratoriums teilnehmen und
Mich über den Fortgang der Arbeit auf dem Laufenden halten soll. Auch
werde Ich mit der Ueberwachung der Bauausführung einen Baubeamten betrauen.
Dem Kuratorium wollen Sie von Meiner Entschließung zum bevor¬
stehenden Geburtstage Ihrer Majestät Kenntnis geben.
Großes Hauptquartier, 20. Oktober 1916.
Wilhelm R.
Förderung der Volksernährung durch den König von Bayern. Seine
Majestät der König von Bayern hat kürzlich nachstehendes Hand¬
schreiben an den Staatsminister Freiherrn von Soden gerichtet: „Mit
lebhaftem Interesse verfolge Ich alle Maßnahmen und Einrichtungen auf dem
unter den gegebenen Verhältnissen so wichtigen Gebiete der Volksernährung.
Unter den Vorschlägen, durch die besonders in den Städten die Lage der von
Ernährungsschwierigkeiten bedrängten Bevölkerungskreise erleichtert werden
soll, erscheint Mir der Gedanke, in großzügiger Weise Volksküchen und
ähnliche öffentliche Speiseanstalten einzurichten, vorzugsweise
Berücksichtigung und nachdrücklicher Unterstützung wert. Mit Befriedigung
höre Ich, daß eine weitere Ausgestaltung und Einführung derartiger Einrich¬
tungen in den Städten des Landes tatkräftig in Angriff genommen werden soll.
Ich finde Mich deshalb bewogen, der Förderung solcher Unterneh¬
mungen die Summe von 200000 Mark aus den zu Meiner Verfügung stehenden
Mitteln zuzuwenden. Möge es der zielbewnßten und unverdrossenen Arbeit
der staatlichen und der gemeindlichen Stellen gelingen, im Volke die Erkenntnis
zu stärken, daß für seinen Ernährungsstand ausreichend gesorgt ist. Ich ver¬
traue darauf, daß alle Volkskreise in ihrer während des ganzen Krieges
bewährten Opferfreudigkeit ausharren, getragen von dem Bewußtsein, daß sie
hierdurch zu Hause mitwirken an dem siegreichen Kampfe gegen unsere Feinde,
und daß die in der Heimat gebrachten Opfer weit zurückstehen hinter den
nngleich größeren Mühen und Dragsalen unserer heldenhaften Kämpfer auf den
Kriegsschauplätzen.“
Ans dem Beiehetage. Seit Wiederbeginn des Reichstages hat sich
dessen Reichshaltsausschuß nach Erledigung verschiedener Fragen der äußeren
und inneren Politik vorwiegend mit der wichtigen Frage der Volksernährnng
beschäftigt. Das Ergebnis seiner Beratungen sowie der Beratungen des
Reichstages selbst kann dahin zusammengefaßt werden, daß trotz mancher
652
Tagesnachrichten.
zutage getretenen Mäogcl in der Organisation and mancher sich nicht als
praktisch and wirksam erwiesenen Anordnungen der Zentralinstanz wie der
nachgeordneten Behörden, nnscre Ernährung infolge der guten Ernte an
Getreide und der Hebung des Viehstandes doch als völlig gesichert anzu¬
sehen ist, und nur die Kartoffelversorgung insofern Schwierigkeiten
macht, als eine für die Winterversorgung ausreichende Anlieferung infolge
verspäteter Ernte, Mangels an Arbeitskräften und ungünstiger Witterung noch
nicht erfolgt ist. Auch ist die Kartoffelernte scheinbar geringer ausgefallen
als man erwartet hatte, so daß der ursprünglich für den Kopf in Aussicht
genommene tägliche Durchschnittsverbrauch (l*/s Pfund) vorläufig auf 1 Pfund
herabgesetzt ist und nur für die Schwerarbeiter auch fernerhin wie bisher
2 Pfund beträgt. Da aber erfreulicherweise die Verwendung der Kartoffeln
zur Gewinnung ron Spiritus und Stärke sehr erheblich eingeschränkt ist und aller
Wahrscheinlichkeit noch große Mengen von Kartoffeln zurückgehalten werden,
steht nach Abschluß der zurzeit stattfindenden Bestandsaufnahme zu erwarten,
daß demnächst doch wieder eine Erhöhung des Durchschnittsverbrauchs ermög¬
licht wird, was namentlich mit Bücksicht auf die ärmere Bevölkerung dringend
erwünscht ist. Eingehend wurden im Beichshaltsausschuß und Reichstag auch
dieEleisch-, Milch-, Fett-, Eier-, Obst- und Zuckorversorgung,
sowie die dabei zutage getretenen Mißstände und die Mittel zu ihrer Abstellung
besprochen. Der Viehbestand hat seit der am 15. April d. J. erfolgten Be¬
standaufnahme bis zu der am 1. September d. J. stattgefundenen nicht unerheb¬
lich zugenommen, bei den Schweinen um 29,4% und bei dem Rindvieh um
2,1 %, so daß namentlich mit Rücksicht auf die außerordentlich gute diesjährige
Futterernte hoffentlich in bezug auf die Fleisch-, Milch- und Fettversorgung
eine Besserung zu erwarten steht. Bemerkenswert ist, daß nach den vom Staats¬
minister Dr. Helferich am 20. Oktober im Reicbshaltsausschuß gemachten
Mitteilungen die Sterblichkeit der Bevölkerung in Städten mit 15000
Einwohnern und darüber nicht wesentlich zugenommen hat, denn sie betrug
einschließlich Militärpersonen 1911: 16,3, 1912: 14,6, 1913: 14,0,
1914: 16,1, 1916: 19,7 und 1916 (1. Halbjahr): 17,0 auf 1000 Lebende. Dabei
hat sich namentlich der Prozentsatz der gestorbenen Säuglinge unter sämt¬
lichen Sterbefällen nicht unerheblich verringert: von 29,7 (1911) auf 24,6 (1912),
24,8 (1913), 22,7 (1914), 13,4 (1915) und 11,5 (1916), so daß von einer un¬
günstigen Einwirkung der Ernährungsverhältnisse auf die Säuglingssterblichkeit
nicht die Rede sein kann.
Mit Recht wurde im Reichshaltsausschuß und im Reichstag der leider noch
immer stark vertretene Wucher mit Lebensmitteln und der Schwindel
mit sogenannten Ersatzmitteln verurteilt und die strengsten Maßregeln dagegen
verlangt. Ob sie einen nennenswerten Erfolg haben werden, ist nach den bis¬
herigen Erfahrungen kaum zu erwarten, wenn nicht gegen diese nichtswürdigen,
einen Schandfleck des deutschen Volkes bildenden Personen mit ganz anderen
Maßregeln und weit härteren Strafen als bisher eingeschritten wird.
Die Frage der Volksernäbrnng ist in jüngster Zeit auch von den Be¬
hörden eingehend beraten. Nachdem bereits am 11. Oktober d. J. im preaßi-
sehen Ministerium des Innern eine dienstliche Versammlung der preußischen
Regierungspräsidenten unter Teilnahme des Landwirtschaftsministers, des
Handels- und Finanzministers, sowie von Vertretern des Kriegsministeriums
pnd verschiedener Reichsämter, von mehreren Oberpräsidenten und des Präsi¬
denten des Kriegsernährungsamtes stattgefnnden hatte, in der besonders die
Vcrbranchsregclung und Kartoffelversorgung einer eingehenden Beratung unter¬
zogen wurden, ist dann am 21. Oktober d. J. im Bundesratssaale des Reichs
tnges unter Vorsitz des Stellvertreters des Reichskanzlers, Staatsministers
Dr. Uelfferich, eine Konferenz der Minister der bundesstaatlichen Re¬
gierungen über die Frage der Volksernährung abgehalten worden. An
der Konferenz nahmen außer den in Berlin ansässigen Bundesratsbevollmäch¬
tigten die für die Ernährungsfragen zuständigen Staatsminister der Bundes¬
staaten teil. Nach einer Besprechung des allgemeinen Standes der Ernährungs¬
frage wurden insbesondere erörtert: die militärischen Anforderungen
auf dem Gebiete der Nahrungsmittel, die Maßnahmen für die ausreichesde
Ernährung der Schwerarbeiter, die Fragen der Nahrungsmittel*
Tagesnachrichten.
653
einfahr, der KartoffÖlversorgung sowie der Fett- und Milch¬
versorgung. Die Zusammenkunft hat in vertrauensvoller Aussprache dazu
beigetragen, die Fühlung zwischen der Berliner Zentralinstanz für die Er-
nährungsfragen und den maßgebenden Persönlichkeiten der einzelstaatlichen
Regierangen zu erneuern und enger za gestalten sowie die Einheitlichkeit in der
Durchführung der für die Volksernäbrung notwendigen Maßnahmen zu sichern.
Das Beichsamt des Innern hat entschieden, daß die nach den Bekannt¬
machungen des Reichskanzlers vom 3. Dezember 1914 und 28. Januar 1915 zu
gewährende Wochenhilfe von täglich 1 M. für den Sonntag nicht zu gewähren
ist, wenn die Wöchnerin für die sechs Arbeitstage der Woche 7 oder mehr
Mark von ihrer Krankenkasse erhält.
Der vom Reichstag gebildete Ausschuß für Bevölkerungspraxis hat
beschlossen, eine Zusammenstellung der Verhandlungen und Verordnungen des
Kriegsministeriums und der verschiedenen Armeekommandos und stellvertreten¬
den Generalkommandos über Geschlechtskrankheiten von der Reichsleitung zu
erbitten. Daraufhin wurde eine Resolution angenommen, wonach unbeschadet einer
allgemeinen Aenderung und Ergänzang des § 800 Str.G. B. ein Bruch des ärztlichen
Schweigens im allgemeinen Staatsinteresse und gegenüber den zur öffentlichen
Fürsorge berufenen Behörden nicht als unbefugt zu erachten sei. Weiter soll eine
Ergänzung des Str. G. B. verlangt werden, dahin gehend, daß jeder im Bewußt¬
sein eigener Krankheit vollzogene Geschlechtsverkehr bestraft wird. In das Reichs¬
seuchengesetz sollen wirksame Vorschriften zur Ueberwachung und Bekämpfung
der Geschlechtskrankheiten auf genommen werden. Den Kreisen und niederen Ver¬
waltungsbezirken sollen Mindestleistungen auf dem Gebiete der öffentlichen Ge¬
sundheitsfragen vorgeschrieben, die Krankenkasseneinrichtungen zur Bekämpfung
der geschlechtlichen Erkrankungen nachhaltig unterstützt und die Lebensver¬
sicherungsgesellschaften nach amerikanischem Beispiel zum Kampfe gegen die
Geschlechtskrankheiten herangezogen werden. Baut- und Geschlechtskrankheiten
sollen überall ein Pflichtfach bei der ärztlichen Staatsprüfung sein. Nicht-
approbierten Personen soll die Behandlung Geschlechtskranker, approbierten
Aerzten das fortgesetzte öffentliche Sichanbieten zur Behandlung Geschlechts¬
kranker und jeglicher Art von Fernbehandlung verboten werden. Die Straf¬
vorschriften gegen Kuppelei sollen für Zuwiderhandlungen gegen hygienische
und Ordnungsvorschriften ergänzt und in allen Schulen Belehrungen über die
Geschlechtskrankheiten eingeführt werden. — Nach einstimmigem Beschluß des
Ausschusses sollen seine Beratungen auch während der Vertagung des Reichs¬
tages fortgesetzt werden. _
In der Wohnungskommission des Reichstages hat der Ab¬
geordnete Mumm (Deutsche Fraktion) den Antrag gestellt, den Bandesrat um
Einstellung von 40000 M. in den Reichshaushaltsetat zur Errichtung einer
Beratungsstelle für den Kleinwohnungs- und Kleinhausbau zu ersuchen.
Außerdem hat derselbe Abgeordnete eine Resolution vorgeschlagen, wonach
eine Reichswohnungsversiclierung geschaffen werden soll. Im Anschluß an
die Invaliden- und Angestelltenversicherung sollen vom dritten Kinde ab
Wohnrenten an die Versicherten und Zusatzrenten für jedes weitere Kind ge¬
währt werden, und zwar, sofern die Kinder bei den Eltern wohnen, bis zum
vollendeten 18. Lebensjahr. An den Pflichtbeiträgen sollen gegebenenfalls auch
die verheirateten kinderlosen Versicherten und die Arbeitsgeber beteiligt
werden. Die angesammelten Kapitalien sollen im Interesse des Kleinwohnnngs-
und Kleinhausbaues, sowie der Heimstättengründung verwertet werden.
Auf eine Anfrage des Leipziger Verbandes über die Beförderung zu
Feldhllfsärzten ist von dem preußischen Kriegsministerium (Medizinal-Abteilang)
unter dem 14. Oktober d. J. der Bescheid erteilt, daß die für die Beförderung
zum Feldhilfsarzt vorgeschriebene 6monatige Dienstzeit im Feldheere sowohl
im Heeressanitätsdienst, als auch im Waffendienste abgeleistet sein darf.
Dasselbe Ministerium hat betreffs der Besoldung der Ober* und Assistenz¬
ärzte ln Stabsarzt* usw. stellen (s. Nr. 19 dieser Zeitschrift S. 586) durch
664
Verfügung vom 16. Oktober d. J. bestimmt, daß anch die Oberärzte and
Assistenzärzte, die mit den unter lfdr. Nr. 17 der Gebtthrnisnacbweisnag
Nr. 1 aufgeführten Stabsarzt- usw. -stellen belieben sind, die monatliche
Feldbesoldung von 370 M. über den 1. Oktober 1916 hinaus unverändert weiter
beziehen. Ebenso ist seit dem 1. Oktober 1916 an der Kriegsbesoldung
der als ordinierende Aerzte bei den Etappen- usw. Lazaretten
verwendeten Oberärzte und Assistenzärzte nichts geändert worden.
Die neunte Konferenz der Zentralstelle für Volkswohlfahrt findet
am 16. nnd 17. November d. J. in Berlin im Saal A des Architekten¬
hauses (Wilhelmstraße 92/93) statt. Die Verhandlungen beginnen am 16. No¬
vember, vormittags 9‘/» Uhr. Das Thema der Hauptkonferenz lautet: „Zwang
und Freiheit in der Jugendpflege“.
Ehront&foL Es haben weiterhin erhalten:
Das Eiserne Kreuz I. Klasse:
Stabsarzt d. Bes. Dr. Hermann Aub-Mfinchen.
Assistenzarzt d. Bes. Dr. Ernst Erlenmeyer -Bendorf a. Rhein bei
Koblenz (inzwischen gefallen).
Oberstabsarzt Dr. Friedrich Gärtner-Karlsruhe (inzwischen gefallen).
Stabsarzt und Reg.-Arzt Dr. Götz-Stuttgart.
Stabsarzt d. L. Dr. Walter Hafemann-Soldin (Reg.-Bez. Frankfurt).
Oberstabs- und Divisionsarzt Dr. Helm- Colmar i. Eis.
Oberstabsarzt Dr. H ö 1 k e r - Potsdam.
Stabsarzt Dr. K o e r b e r - Stuttgart.
Oberstabs- und Divisionsarzt Dr. La ckn er-Königsberg i. Pr.
8tabsarzt d. Res. Dr. L a n g e • Herford.
Oberstabsarzt d. Res. Dr. Max M u 1 z e r - Memmingen.
Stabsarzt d. Res. Dr. Munt er-Bad Wildungen.
Stabsarzt Dr. Ottmar R a 11 - Ravensburg (Württemberg).
Stabsarzt d. L. Dr. A. Rothmund-Mannheim.
Oberstabsarzt d. L. Dr. v. Stuben rauch-München.
Oberstabsarzt Dr. Treger-Burg bei Magdeburg.
Generalarzt Dr. C. W i 11 e - Altona.
Das Eiserne Kreuz II. Klasse am weiß-schwarzen Bande:
Dr. Otto Rothmaler-Gerbstedt (Reg.-Bez. Merseburg), (Mitglied des
preuß. Medizinalbeamtenvereins).
Ferner ist verliehen: Der Bayerische Militär-Verdienstorden
IV. Klasse mit Schwertern: dem Stabsarzt d. L. Dr. Steudemann,
Polizeiarzt in München.
Außerdem hat erhalten: Das Eiserne Kreuz II. Klasse: Cand.
math. Reinhold Straßmann, Unteroffizier bei einer Maschinengewehrabteilung,
Sohn des Geh. Med.-Rats Dr. Straßmann in Berlin.
Ehren - GedAohtnlntafoL Für das Vaterland gefallen oder gestorben
sind ferner:
Oberarzt d. Res. Dr. Walter B a a d e r - Oldenburg (Großherzogtum).
Stabsarzt d. L. Dr. Karl Bruch-Mainz (infolge von Krankheit ge¬
storben).
Oberarzt d. Res. Dr. F. W. Buddenberg-Lauenburg a. Elbe.
Bataillonsarzt Dr. Ewald Drunpig-Gransee (Reg.-Bez. Potsdam).
Assistenzarzt d. Res. Dr. E. Erlenmeyer -Bendorf a. Rh. bei Koblenz.
Stabsarzt d. Res. Dr. Ernst Fischer-Altenburg (infolge von Krankheit
gestorben).
Oberstabsarzt Dr. Friedrich G ä r t n e r - Karlsruhe
Feldunterarzt Dr. W. Gellhorn-München.
Stabsarzt d. L. Dr. J. Goebel-Goeda bei Bautzen (infolge von Krank¬
heit gestorben).
Stabsarzt d. Res. Dr. Karl G raeff-Waldkirch (Baden).
Feldunterarzt A. G r a m m s - Berlin-Friedenau.
Tagesnachrichten.
655
Med.-Rat Dr. Grether-Lörrach in Baden (durch Fliegerbombe schwer
verletzt and* bald darauf gestorben).
Marineassistenzarzt P. Heidsieck-Heepen bei Bielefeld.
Marineassistenzarzt K. Heilig* Ostrach (Hohenzollern).
Oberarzt d Res. Dr. Alfred Henkel-Hambarg.
Unterarzt Dr. Albert Kaiser-Neaalm.
Stabsarzt d. Res. Dr. Otto K e i 1 p f 1 u g - Charlottenburg.
Oberarzt d. Res. Dr. Paal Klein Wächter -Schmölln (S.-Altenburg).
Stabsarzt d. Res. Dr. W. K o 11 e - Blankenburg a. Harz.
Oberarzt d. Res. Dr. P. L o r e n z - Breslau.
Vertrags-Zivilarzt Dr. Wilhelm Ludwig-Posen (infolge von Krankheit
gestorben).
Feldhilfsarzt L. Mühlenbeck.
Assistenzarzt d. Res. Dr. Rudolf M ü 11 e r - Chemnitz.
Marineassistenzarzt H. Müller-Staßfurt (Anhalt).
Geh. Med.-Rat Dr. Nünninghoff. Kreisarzt in Bielefeld, Chefarzt eines
dortigen Vereinslazaretts (infolge von Krankheit gestorben).
Stabsarzt d. Res. Prof. Dr. Piper-Berlin.
Feldunterarzt F. Pohlmann.
Marinestabsarzt d. Res. Dr. Paul Schultze-Drebkau (Reg.-Bez.
Frankfurt).
Assistenzarzt d. Res. Dr. F. Selchow-Barth bei Stralsund.
Marineassistenzarzt d. Res. Dr. Fritz Sturmhöfel-Schwarzort bei
Memel.
Marineassistenzarzt Dr. W e i ß ko p f.
Ferner ist auf dem Felde der Ehre gefallen: Primaner Ulrich Fischer,
Kriegsfreiwilliger im Art.-Reg. Nr. 69, Sonn des Kreisarztes Dr. Fischer in
Schrimm (Reg.-Bez. Posen).
Nachruf. Unter den vorstehend für das Vaterland verstorbenen Aerzten
befindet sich leider wieder ein langjähriges Mitglied dps Preußischen Medizinal¬
beamtenvereins, Geh. Med.-Rat Dr. Nünninghoff, Kreisarzt in Bielefeld, der
dem Verein im Jahre 1884 (also ein Jahr nach dessen Gründung) beigetreten
ist, nur selten auf einer Versammlung gefehlt und sehr häufig, besonders
in den letzten Jahren, das Amt des Kassenrevisors übernommen hat Der
Verstorbene war ein äußerst tüchtiger Medizinalbeamter, der sich während
seiner 23jährigen amtlichen Tätigkeit am die Förderung des öffentlichen
Gesundheitswesen in seinem großen Wirkungkreise außerordentliche Verdienste
erworben hat. Er genoß deshalb auch die größte Achtung und das vollste
Vertrauen sowohl bei allen Behörden, als bei seinen Berufsgenossen und der
Bevölkerung seines Kreises. Trotz der großen Arbeitslast, die seine amtliche
Tätigkeit mit sich brachte, hat er immer noch Zeit gefunden, auch auf anderen
Gebieten eine segensreiche Tätigkeit zu entfalten, namentlich als langjähriger
Vorsitzender des heimischen Kriegervereins und als Provinzialinspekteur des
Roten Kreuzes. Seit Beginn des Krieges hat er die verantwortungs- und urteils¬
volle Stellung des Chefarztes bei dem großen, für fast 2000 Verwundete ein¬
gerichteten Provinzial-Vercinslazarett vom Roten Kreuz in Bethel bei Bielefeld
übernommen und sich auch hier durch seine hervorragende Tätigkeit aus¬
gezeichnet, die noch vor kurzem durch Verleihung des Eisernen Kreuzes
II. Klasse und der Roten Kreuz-Medaille II. Klasse die wohlverdiente An¬
erkennung gefunden hat. Nun ist er unter dieser Arbeitslast zusammen-
gebrochen; vor mehreren Wochen wurde er von einem schweren Schlaganfall
betroffen und ist an dessen Folgen am 22. Oktober d. J. im Alter von 63 Jahren
verstorben. Tief betrübt und schmerzerfüllt stehen wir an seiner Bahre; sein
Andenken wird in Ehren erhalten bleiben 1
Cholera: In Oesterreich-Ungarn wurden vom 4. bis 11. September
4 Erkrankungen (in Kroatien und Slavonien) festgestellt; in der Türkei
vom 8. Juli bis 27. August: 8689 (4461), davon 117 (51) in Konstantinopel.
Pocken: Im Deutschen Reiche sind vom 24. Sentember bis 21. Ok¬
tober 2, —, 4 und 2 Erkrankungen amtlich gemeldet; in Oesterreich vom
656 Sprechsaal.
25. Juni bis 22. Juli: 66, 63, 67 und 45; in Bosnien und der Herzegowina
vom 25. bis 30. Juni: 6.
Flccfcfleber: Im Deutschen Reiche sind in der Zeit vom 24. Sep¬
tember bis 21. Oktober nur 12 Fälle von Flecktieber bei einem vom Osten in
Straßburg i. Eis. eingetroffenen Arbeitertrupp vorgekommen; in Oesterreich
sind vom 25. Juni bis 22. Juli 169, 194, 139 und 180 Erkrankungen ermittelt
davon 146, 180, 120 und 119 in Galizien. In Ungarn sind in der Zeit vom
18. September bis 1. Oktober nur 4 Erkrankungen festgestellt.
Erkrankungen nnd Todesfälle an ansteckenden Krankheiten in
Preußen. Nach dem Ministerialblatt für Medizinal-Angelegenheiten sind in der
Zeit vom 17. 8eptember bis 7. Oktober 1916 erkrankt (gestorben) an Pest,
Gelbfieber, Cholera, Trichinose, Aussatz, Malaria, Fleck¬
fieber, Rückfallfieber, Paratyphus, Botz, Tollwut: — (—),
— (—), — (—); Bißverletzungen durch tollwutverdächtige
Tiere: 6 (—), 16 (—), 14 (—); Milzbrand: 1 (—), 2 (2), 1 ( —); Pocken:
10 (—), — (—), 6 (—); Unterleibstyphus: 329 (18>, 392 (28), 346 (30);
Buhr: 767 (90), 560 (85), 512 (60); Diphtherie: 2182 (110), 2238 (120),
2076 (125); 8charlach: 1191 (59), 1187 (61), 1081 (46); Kindbettfieber:
67 (16), 62 (14), 61 (12); Genickstarre: 2 (8), 7 (6), 7 (3); spinaler
Kinderlähmung: 17 (—), 3 (—), 1 (—); Fleisch-, Fisch-und Wurst¬
vergiftung: 11 (1), 18 (2), 19 (1); Körnerkrankheit (erkrankt): 102,
33, 35; Tuberkulose (gestorben): 610, 628, 601.
Spnohsssl.
Anfrage des Dr. B. in M.: Darf ein ärztlich verschriebenes Schnupf¬
pulver mit Cocain (1:10) von Apothekern ohne jedesmalige erneute
ärztliche Verordnung beliebig oft verabfolgt werden, oder ist seine wieder¬
holte Abgabe nach § 4 und § 9 der Vorschriften vom 22. Juni 1896, betr. die
Abgabe stark wirkender Arzneimittel, nur auf eine erneute schriftliche ärztliche
Anweisung gestattet?
Antwort: Aerztlich verordnete Schnupfpulver mit Cocain (1 : 10) sollen
jedenfalls zu Heilzwecken dienen und dürfen deshalb nach § 1 der oben¬
genannten Vorschriften auch nur auf ärztliche- Verordnung abgegeben werden.
Desgleichen ist ihre wiederholte Abgabe nach § 4 dieser Vorschriften nur auf
erneute ärztliche Verordnung zulässig, da sie als Mittel zur „Einatmung*
anzasehen und demzufolge nach § 11 der Vorschriften hinsichtlich der Zu¬
lässigkeit ihrer wiederholten Abgabe den Arzneien für den inneren Gebrauch
gleicbzustellen sind.
Mitteilung für die Medizinalbeamten.
Entsprechend zahlreichen Wünschen aus den Kreisen der Medizinal beamten
haben sich Herausgeber und Verlagsbuchhandlung entschlossen, den Kalender
für Medizinalbeamte wieder erscheinen zu lassen. Der neue
Jahrgang 1917 wird Mitte Dezember d. J. zur Ausgabe gelangen; die
Unterzeichnete Verlagsbuchhandlung nimmt schon Jetzt Bestellungen
entgegen.
Die Verlagsbuchhandlung. Der Herausgeber.
Fbcktr's and. Buchhandlung I. Kernlsld,
Berlin V. 62, kaithstraßs 5.
Redaktion: Prof. Dr. Rapmund, Geh. Med.-Rat in Minden LW.
J. 0. 0. Bruns, Herxofl. Siebs, u. Fürst!. 8ch.-L. Hofbuchdruckerdi in lflidM.
«iss gesamte MeHÜto; «)
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1 .? i. ^t«-< i.l':« v .'»>.?. vi< «fckj=?
1916
29 . Jahrg.
Zeitschrift
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zenlralblatt
fflr das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie,
des staatlichen und privaten Versicherungswesens, sowie fflr das
Medizinal- und öffentliche Gesundheitswesen, einschließlich der
Hygiene und Gakteriologie.
Heraasgegeben
von
Prot Dr. OTTO RAPMÜND,
Geh. Med.-Rat In Minden i. W
Offizielles Organ des Deutschen, Preussischen, Bayerischen, Sächsischen,
WGrttembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen, Thüringischen,
Braunschweigischen und Eisass-Lothringischen Medizinalbeamtenvereins.
Verlag von Fiseher’s med. Bnehhandlg H. Kornfeld,
HenogL Bayer. Hof* n. &. o. K. Kamm<ir-B.'nht»In<ü«r.
Berlin W. 62, Keithstr. 5.
Aaieffii iihnin 41 « Teriafikandluf sowie nll« iaselfOOiiuiahneitdloB dos 1 b-
ud luIaadN «tfefOB,
Nr. 22.
Erscheint am 5. and tO. J<
20. No v.
lieber die Bedeutung der Kgl. bakteriologischen Unter¬
suchungsstation Landau für die Bekämpfung der Infektions¬
krankheiten im Regierungsbezirk Pfalz. 1 )
Von Stabsarzt Dr. Otto Mayer, Leiter der Station.
Die kgl. bakteriologische Untersuchungsstation Landau
wurde im August 1903 zur Bekämpfung des Typhus im Re¬
gierungsbezirk Pfalz errichtet und gehört zu den der Typhus¬
bekämpfung im Südwesten des Reiches dienenden Untersuchungs¬
anstalten; die hygienische Untersuchungsstelle der kgl.
bayerischen 3. Division ist mit ihr verbunden. Eine bis 1910
in Kaiserslautern angegliederte Außenstation, die mit 3 Aerzten
und 2 Dienern besetzt war, wurde infolge des Rückganges der
Typhuserkrankungen aufgelassen.
Der Typhusbekämpfung war in der Pfalz in früheren
Jahren gut vorgearbeitet, da der Vorgänger des gegenwärtigen
Kreismedizinalrates, Ober-Med.-Rat Dr. Karsch, sich seit 1875
*) Vortrag, gehalten aaf der 11. Landesversammlang des bayerischen
Medizinalbeamtenvereins in Neustadt a. Hardt am 12. Jali 1914.
658 Dr. Mayer: Ueber die Bedeutung der Kgl. bakt. Untersuchungsstation
nicht nur über die Todes-, sondern auch über die Krankheits¬
fälle von Typhus hatte berichten lassen. An der Hand dieser
Berichte hatte er eine für die damaligen Verhältnisse sehr
genaue Statistik angelegt. Auch leichte Fälle von Typhus
waren schon in ihr auf genommen und vereinzelt für die Weiter¬
verbreitung des Typhus verantwortlich gemacht.
Der jetzige Kreismedizinalrat, Ober-Med.-Rat Dr. Demuth,
hat als Bezirksarzt in Frankenthal schon sehr frühzeitig dem
direkten und indirekten Kontakt bei Typhus das Wort geredet
und die Bodenverhältnisse nur als begünstigende Begleitumstände
(Unreinlichkeit als Begünstigung des Kontaktes) gelten lassen.
Als Kreismedizinalrat nahm er die Bestrebungen Karschs zur
Bekämpfung des Typhus tatkräftig auf und widmete namentlich
der Verbesserung der Wasserverhältnisse in der Pfalz sein ganz
besonderes Augenmerk.
In der Zeit vor der bakteriologischen Mithilfe entstanden
aber natürlich dadurch Lücken in der Typhusbekämpfung, daß
man bei der Ermittlung der Erkrankungen lediglich auf klinische
Merkmale angewiesen war, die vorübergehenden und dauernden
Typhusbazillenausscheider der Feststellung entgingen und die
Aufhebung von Isolierungsmaßnahmen zu früh, nämlich mit
dem Zeitpunkt der klinischen Genesung aufhörte.
Die Vorarbeit der pfälzischen Medizinalbeamten und Aerzte
gewährten aber der Untersuchungsstation Landau für die Be¬
kämpfung nach Kochschen Grundsätzen vor den übrigen
Bekämpfungsgebieten im Süd westen des Reiches den Vorteil,
daß man infolge der sorgfältigen Statistik gleich anfangs an
den richtigen Stellen wirksam einsetzen konnte.
Im einzelnen traten an die Untersuchungsstation folgende
Aufgaben heran.
Zunächst mußten die neuen Gesichtspunkte der Ueber-
tragung des Typhus in Aerzte und Laienkreisen verbreitet
werden? Bei der Errichtung der Station galt die Ansicht, daß
das Fortkriechen des endemischen Typhus auf der Wirksamkeit
von unerkannten, sehr leicht verlaufenden Typhusfällen, von
vorübergehenden nichtkranken Bazillenträgern und von einer
ziemlich lange dauernden Ausscheidung von Typhusbazillen
bei Rekonvaleszenten beruhe.
Bald kam aber ein neues Moment hinzu, die Feststellung
sogenannter Dauerausscheider von Typhusbazillen. In
dieser Frage konnte die Anstalt schon Anfang 1904 teils in
den Heil- und Pflegeanstalten der Pfalz, teils im Öffentlichen
Verkehr Material sammeln, indem Typhusbazillenträger fest¬
gestellt wurden, die die Typhusbakterien vor vielen Jahren in
sich aufgenommen und virulent erhalten hatten.
Die Station Landau und ihre Außenstation in Kaisers¬
lautern gehörten mit zu den ersten, die auf die grundlegende
Bedeutung dieser Dauerausscheider für die Typhusverbreitung
aufmerksam machten, anfangs nicht ohne Widerspruch aus dem
eigenen Kreise der Bekämpfungsstationen. Georg Mayer hat
Landau für die Bekämpfung der Infektionskrankheiten im Bgbz. Pfalz. 659
während seiner Tätigkeit in Kaiserslautern zuerst au! die Be¬
deutung einer schubweise erfolgenden Ausscheidung bei Typhus-
bazil len-Dauerträgern hingewiesen.
Eine weitere Aufgabe der Station war eine umfassendere
Organisierung des Desinfektionswesens:
1903 waren in der Pfalz zwar einzelne private Desinfektions¬
anstalten; öffentliche Desinfektoren im Haupt- oder Nebenberuf
kannte man jedoch noch nicht. Bei Gelegenheit einer durch
Milchinfektion entstandenen Typhusepidemie in Kaiserslautern
hielt ich im November 1903 die ersten Ausbildungskurse für
Desinfektoren in der Pfalz ab und organisierte das Desinfektions¬
wesen in Kaiserslautern mit Hilfe des sehr rührigen jetzigen
Führers der dortigen freiwilligen Sanitätskolonne. Im Anschlüsse
daran wurden planmäßig Ausbildungskurse für Desinfektoren
eingerichtet. So wurden z. B. im Jahre 1912 in neun Aus-
bildungs- und Wiederholungskursen 24 Desinfektoren neu aus¬
gebildet und 54 nachgeprüft; im Jahre 1913 fanden 7 Kurse
statt, in denen die Neuausbildung von 34 und eine Nachprüfung
von 104 Desinfektoren erfolgte.
Der Ausbau des Desinfektionswesens ist nunmehr so gut
wie vollendet. Nachdem in den letzten 2 Jahren gemeinsam
mit den Herren Bezirksärzten in den einzelnen Bezirksämtern
die Einteilung in Desinfektionsbezirke zum Teil neu geregelt,
zum Teil umgearbeitet worden ist, alte Desinfektionsapparate
sogen. Pastillenapparate ausgemustert und auf Beschaffung
vollständiger Ausrüstung für jeden einzelnen Desinfektor hin¬
gearbeitet wurde, bestehen jetzt in der Pfalz 189 Desinfektions¬
bezirke.
Dem Gesichtspunkte der Einheitlichkeit in der Ausbildung
wurde auch die Beschaffung der Ausrüstnng unterworfen. Des¬
halb sind in der Pfalz nach und nach 142 Formalinlampen nach
System Dieudonne-Lang, 18 nach Flügge, 5 Torrens-
und 12 Lingner-Apparate beschafft worden. 9 Aeskulap-
und 3 Scheringlampen sind zur Ausmusterung beantragt und
werden demnächst durch D i e ud o n n 6 -Apparate ersetzt werden.
Ferner sind noch 34 Dampfdesinfektionsapparate und ein Vakuum-
Formalin-Dampfdesinfektionsapparat vorhanden.
Der Gang der Untersuchungen auf Typhus gestaltete
sich derart, daß sich die Station an dem Ermittlungsverfahren
in jedem einzelnen Falle beteiligte und zwar meist durch Ent¬
sendung eines Beamten an Ort und Stelle, der den Amtsarzt
bei der Ermittlung durch Aktenmaterial aus der Station und
durch Entnahme von Untersuchungsstoffen unterstützte. Dieses
Verfahren macht es häufig möglich, die Beziehungen zwischen
den Typhusfällen in den einzelnen Bezirksämtern oder in den
verschiedenen Bekämpfungsgebieten im Südwesten des Reiches
. schon bei der ersten Ermittlung festzustellen. Sehr oft leitet
die Spur zu einem der Station bekannten Dauerausscheider
von Typhusbazillen oder es wird ein neuer Typhusbazillen-
Dauerträger festgestellt.
660 Dr. Mayer: Ueber die Bedeutung der Kgl. bakt. Untereuchungsstation
Als Ermittlungsbogen dient das Formblatt des kgl.
bayerischen Staatsministeriums des Innern, an das, wenn es sich
um Epidemien oder endemische Durchseuchung handelt, ein
den besonderen Verhältnissen der Typhusbekämpfung in der
Pfalz angepaßter Abschnitt angefügt wird (siehe Anlagen 1 u. 2).
Die fortlaufende Untersuchung der Kranken wird
bis zur bakteriologischen Genesung oder der Herausbildung
zum Dauerträger von Typhusbazillen durchgeführt.
Zur Feststellung der bakteriologischen Genesung
beschränke ich mich, wenn es irgendwie zu erreichen ist, nicht
auf 3 Schlußuntersuchungen im Verlaufe von 14 Tagen bis
3 Wochen, vom 10. Tage nach der Entfieberung gerechnet,
sondern lasse mindestens 6 mal untersuchen. Diese Vermehrung
der Schlußuntersuchungen gründet auf der Erfahrung, daß bei
einer Anzahl von Personen, die auf Grund von 3 Schlußunter¬
suchungen als bakteriologisch genesen aus der Beobachtung
entlassen worden waren, bei gelegentlichen Nachkontrollen
noch Typhusbazillen im Stuhl oder Urin gefunden worden sind.
Es waren also durch eine zu kurze Untersuchungsreihe Dauer¬
träger von Typhusbazillen bei der ersten Ermittlung ent¬
gangen.
Ein wichtiger Teil der Tätigkeit der Station ist die
ständige Ueberwachung der Dauerausscheider von
Typhusbazillen. Sie wird in der Pfalz auf der Grundlage
des Artikels 67 Abs. 2 des bayerischen Polizeistrafgesetzbuches
folgendermaßen durchgeführt:
1. Id der Beb&usaog jedes Daaerträgers von Typhusbazillen muß eine ein¬
wandfrei zementierte, von der Dunggrube getrennte Abortgrube vorhanden
sein. (Gegenwärtig wird kontrolliert, ob diese Forderung bei allen zur¬
zeit in Beobachtung befindlichen Typbusbazillen - Dauerträgern durch-
geführt ist.)
2. Im Abort muß Klosettpapier vorrätig sein.
3. Der Typhusbazillenträger wird angewiesen, seine Hände nach jeder Stabl¬
und Urinentleerung mit Seife und Wasser gründlich zu reinigen.
4. Die Wäsche muß getrennt von der anderer Personen auf bewahrt und
gewaschen werden.
5. Die Abortgrube ist vor jeder Entleerung durch den amtlichen Desinfektor
zu desinfizieren.
6. Die Beschäftigung im Nahrungsmittelbetrieben und das Vermieten von
Zimmern ist untersagt
7. Alle 8 Wochen ist eine Stuhl- und Urinprobe an die Untersuchungsstatioa
einzusenden.
8. Ein Aufenthaltswechsel unterliegt polizeilicher Kontrolle.
Von fortlaufenden Desinfektionsmaßnahmen wird deshalb
abgesehen, weil sie erfahrungsgemäß doch nicht dauernd durch¬
geführt werden, während eine Erziehung zur Reinlichkeit
erreichbar ist und die Durchführung von Reinlichkeitsmafi-
nahmen überwacht werden kann.
Die achtwöchentliche Einforderung von Stuhl- und Urin¬
proben verfolgt nicht den Zweck, festzustellen, daß die Dauer¬
träger immer noch Typhusbazillen ausscheiden, sondern soll
sie und ihre Umgebung darauf aufmerksam machen, daß die
Infektionsgefahr fortlaufend gleichmäßig groß ist.
Landau für die Bekämpfung der Infektionskrankheiten im Bgbz. Pfalz. 661
Bis jetzt wurden in der Pfalz 106 Dauerausscheider von
Typhusbazillen festgestellt. Eine Anzahl von ihnen ist erst
ermittelt worden, als sie das zweite Mal eine Infektion in ihrer
Umgebung veranlaßt hatten, einige noch später.
So wurde z. B. bei zwei Typhusfällen in Ludwigshafen eine Infektions¬
quelle zunächst nicht ermittelt. Ein Jahr darauf wurde in Impflingen bei
Landau ein Typhusfall bei einer Dienstmagd gemeldet. Es konnte festgestellt
werden, daß sie bis 3 Wochen vor der Erkrankung ihre an Gallensteinen
leidende verheiratete Schwester in Ludwigshafen gepflegt hatte, die dann durch
die bakteriologische Untersuchung des Stuhls als chronische Typhusbazilien-
Trägerin ermittelt wurde. Diese wohnte im gleichem Hause mit den im Jahre
vorher an Typhus erkrankten oben genannten 2 Personen, benutzte den gleichen
Abort wie sie und muß demnach auch für diese Fälle die Infektionsquelle
abgegeben haben.
Eine Zimmervermieterin in Neustadt a. H. infizierte jahrelang jeden
Mieter. Sie wurde bei der vorletzten und letzten Infektion, die in ihrem Hause
vorgekommen war, bakteriologisch untersucht. Erst bei der letzten Infektion
gelang der Nachweis, daß sie Dauerausscheiderin von Typhusbazillen ist.
In Pirmasens starb die Frau ein e s Metzgers an Typhus. Die Umgebung
wurde bakteriologisch durchuntersuchti darunter auch die Haushälterin des
Metzgers. Ein Bazillenträger wurde nicht gefunden. Ein Jahr später erkrankte
im gleichen Geschäft ein 17jähriger Bursche und die Dienstmagd des Bruders
des Metzgers. Diesmal wurde bei der Umgebungsuntersuchung die Haushälterin
als chronische Bazillenträgerin festgestellt. Interessant ist, daß sowohl der
Metzgerbursche wie die Dienstmagd zu Dauerausscheidern von Typhusbazillen
wurden. Bei dem vor der Typhuserkrankung vollkommen gesunden Burschen
entwickelte sich ein Gallensteinleiden, das nach ungefähr einem Jahre zur
Operation führte. Es wurde mit der Gallenblase ein taubeneigroßer, an
der Oberfläche mit Cbolestearin überzogener Gallenstein herausgenommen. Die
Typhusbazillenausscheidung hörte kurze Zeit nach der Operation auf, stellte
sich aber nach einigen Wochen wieder ein.
Ein Beispiel, wie die gegenseitige Verbindung zwischen
den einzelnen Typhusbekämpfungsstationen im Südwesten des
Reiches zur Auffindung von Typhusbazillenträgern führt, ist
folgender Fall:
In Bexbach erkrankte ein schulpflichtiger Knabe an Typhus. Die Inku¬
bationszeit wies auf eine Infektion in Saarbrücken hin, wo der Knabe die
Schule besucht und bei seiner Großmutter gewohnt hatte. Das Institut für
Hygiene in Saarbrücken wurde um Untersuchung der Stuhlentleerungen dieser
Frau gebeten und stellte fest, daß sie als chronische Typhusbazillen-Trägerin
die Infektionsquelle gewesen war.
Schon aus diesen wenigen Beispielen läßt sich der Wert
ausgedehnter Ermittlungen und fortlaufender Listenführung
ermessen.
Daß die chronischen Bazillenträger zuweilen erst festgestellt
werden, nachdem sie wiederholt Infektionen in ihrer Umgebung
gesetzt haben, beruht auf der häufig nur schubweise erfolgenden
Ausscheidung von Typhusbazillen, zwischen der Pausen von
beträchtlicher Länge bestehen können.
Der Schwerpunkt der Umgebungsuntersuchungen
wird deshalb von uns jetzt auf besonders verdächtige
Personen verlegt. Als solche betrachten wir in erster Linie
Personen mit Lebererkrankungen und Gallensteinleiden. Werden
derartige Kranke in der Umgebung von Typhuskranken er¬
mittelt, so begnüge ich mich bei ihnen nicht mit einer Unter-
662 Dr. Mayer: Ueber die Bedeutung der Kgl. bakt Untersnchaog 89 tatioD
Buchung von Stuhl und Urin, sondern lasse die Untersuchungen
öfter in Zwischenräumen von 8 zu 8 Tagen wiederholen, damit
die Feststellung eines chronischen Bazillenträgertums womöglich
schon im ersten Ermittlungsverfahren erfolgen kann.
Eine neue Art der Ermittlung von Typhusbazilien-
Dauerausscheidern führte ich durch Untersuchung des bei
Operationen in Krankenhäusern entnommenen Gallen¬
blaseninhalts ein. Von ungefähr 90 Fällen wurden bei
10 °/ 0 Typhus- oder Paratyphusbazillen nachgewiesen, ein Beweis,
wie oft in endemisch von Typhus befallenen Gegenden Typhus¬
oder Paratyphusinfektion bei chronischer Entzündung der
Gallenwege gefunden werden kann. Bei einem Teil dieser Fälle
wurden trotz Herausnahme der Gallenblase einige Zeit nach
der Operation wieder Typhusbazillen nachgewiesen.
Bei Krankheitsverdächtigen und sicheren Typhuskranken
wird die fortlaufende Desinfektion am Krankenbett in der Be¬
hausung durchgeführt, wenn die Ueberführung in ein Kranken¬
haus, die in jedem Falle angestrebt wird, nicht durchführbar ist.
Die Absonderung Typhuskranker in Krankenhäusern,
verbunden mit einer sofortigen Ausführung der Schlußdesinfektion
in der Wohnung und der Durchsuchung der Umgebung der
Kranken nach Infektionsquellen, hat sich als das wirksamste
Mittel der Einschränkung der Kontaktinfektionen von seiten
kranker Personen ergeben. In den letzten Jahren ist die Zahl
der in Krankenhausbehandlung überführten Typhuskranken in
der Pfalz auf 57—63°/ 0 gestiegen.
Kann eine Ueberführung in ein Krankenhaus aus irgend¬
welchen Gründen nicht erreicht werden, so wird darauf ge¬
drungen, daß Pflege und fortlaufende Desinfektion
durch Berufskrankenpflegepersonal erfolgen.
Die auch für das rechtsrheinische Bayern vorgeschriebene
Abhaltung von Kursen zur Ausbildung von Krankenschwestern
und Krankenwärtern in der fortlaufenden Desinfektion am
Krankenbett hat für die Pfalz die Station Landau übernommen.
Bis jetzt wurden drei Kurse abgehalten, in denen 35 Kranken¬
schwestern und 4 Krankenwärter ausgebildet wurden.
Die Desinfektion des Abortes, der Abortgrube, Dungstätten,
der Abwasserrinnen im Hofe und auf der Straße (20 Meter auf¬
wärts "und abwärts vom Typhushause) wird durch die amtlichen
Desinfektoren durchgeführt; sie besorgen auch die Beschaffung
von Desinfektionsmitteln.
Die Grundsätze der fortlaufenden Desinfektion usf. sowie
Ausführungsbestimmungen hierfür sind in die amtlichen Vor¬
schriften aufgenommen, die jedem Haushaltungsvorstand gegen
Unterschrift ausgehändigt werden (siehe Anlagen 3, 4 und 5i.
Der ganze große Ermittlungs- und Untersuchungsapparat
könnte in Anbetracht der immer weiter herabgehenden Zahl
der Typhuserkrankungen auf den ersten Blick als zu kostspielig
und übertrieben erscheinen. Man muß aber dabei bedenken,
daß der Rückgang der Typhuserkrankungen einzig und allein
' Landau für die Bekämpfung der Infektionskrankheiten im Rgbz. Pfalz. 663
auf dem Niederhalten der Infektionsherde, insbesondere der
Dauerausscheider von Typhusbazillen beruht.
Bei der geringsten Lücke entstehen auch bei uns noch
Epidemien. Bei mehreren Typhusepidemien der letzten Jahre
konnte eine Typhusbazillendauerträgerin als Ursache ermittelt
werden. In einem Falle war es eine bisher unbekannte Dauer¬
trägerin, in einem anderen einige nicht als Typhus erkannte
Erkrankungen, die von einer chronischen Typhusbazillenträgerin
veranlaßt waren usf.
Die Epidemien konnten durch energisches Eingreifen fast
unmittelbar, nachdem die amtlichen Maßnahmen eingesetzt
hatten, zum Stillstand gebracht werden. Meistens wurde sogar
ein Dauererfolg erzielt, indem auch in der Hauptjahreszeit für
Typhus, die ungefähr von der 35. Jahreswoche ab beginnt, im
Jahre nach der Epidemie keine Typhusfälle in diesen Ortschaften
auftraten.
Das beste Beispiel, daß es gelingt, bei Beachtung aller
Vorsichtsmaßnahmen den Typhus dauernd zu bannen, bietet
die Heil- und Pflegeanstalt Frankenthal; sie ist von früherer
starker Durchseuchung jetzt in eine völlig typhusfreie Anstalt
umgewandelt worden. Die neue Heil- und Pflegeanstalt Hom¬
burg konnte bis jetzt typhusfrei erhalten werden.
In diesen beiden Anstalten wurde außer Durchunter¬
suchungen und Untersuchungen bei allen Neuaufnahmen neuer¬
dings auch mit der Typhusschutzimpfung begonnen, von der
man sich für geschlossene Anstalten Erfolge erwarten darf.
Würde der ständige Wachtdienst an irgend einer Stelle
dauernd ausgesetzt werden, so ist zu befürchten, daß auch die
Typhusausbreitung bald wieder im Zunehmen begriffen wäre.
Neben dieser Kleinarbeit, die sich um die Person des
Typhuskranken und seine Umgebung dreht und die immer den
größten Teil der Arbeit und Zeit in den Untersuchungsstationen
in Anspruch nehmen wird, wurden aber auch die größeren
hygienischen Gesichtspunkte nicht außer Acht gelassen.
So wurden die großzügigen Sanierungspläne des Herrn
Kreismedizinalrates bezüglich der Versorgung möglichst vieler
Ortschaften mit Wasserleitungen durch Untersuchungen
und Ermittlungen an Ort und Stelle unterstützt. Von den
708 Ortschaften der Pfalz besitzen jetzt 417 = 58,9°/ 0 Wasser¬
leitungen. Seit dem Beginn der verstärkten Typhusbekämpfung v
wurden davon gebaut 242 = 58 °/ 0 ; 4 sind noch in Ausführung
und 64 in Vorbereitung.
Ebenso beteiligte sich die Station an der Begutachtung
von neuen Kanalisationsanlagen und bei der Verbesserung
schon bestehender.
Dem Ausbau des Dampfdesinfektionswesens wurde
besonderes Augenmerk geschenkt. Es ist mir gelungen, einen
neuen Typ von Desinfektionsapparaten auszuarbeiten, bei dem
außer der Dampfdesinfektion auch noch die Desinfektion von
Lederwaren und sonstigen empfindlichen Gegenständen durch
664 Dr. Mayer: Ueber die Bedeutung der Kgl. bakt. Untersuchnngsatation
•
Einleitung von Formalindampf ohne Luftverdünnung bei
56 0 Celsius mit gleicher Tiefenwirkung gewährleistet ist wie bei
den viel teuereren und schwer bedienbaren Vakuum-Apparaten.
Die Ueberwachung der Reinheit der Flußläufe und
Bäche wird gemeinsam mit den Kulturbauämtern und dem
Fischerei-Sachverständigen der kgl. Regierung der Pfalz durch¬
geführt.
Der Verkehr mit Nahrungsmitteln wird ebenfalls,
soweit es sich um bakteriologische Untersuchungen und
hygienische Gutachten handelt, überwacht.
Als Erfolg aller dieser Maßnahmen hat sich ein Rück¬
gang der Typhuserkrankungen seit Beginn der Stations¬
tätigkeit auf den 5. Teil ergeben; denn von den 708 Ortschaften
der Pfalz werden alljährlich nur mehr ungefähr 50 von Typhus
betroffen gegenüber ehemals 120. Die Pfalz steht mit diesem
Bekämpfungserfolg unter den Typhusuntersuchungsstationen im
Süd westen des Reiches an erster Stelle, da anderwärts der
Rückgang des Typhus nur auf ein Drittel der früheren Krank¬
heitsfälle erfolgt ist.
Die Tätigkeit der Station bewegte sich aber nicht aus¬
schließlich in der Richtung der Typhusbekämpfung. Schon
von der Gründung an wurden ebenso wie in den anderen
Stationen zur Typhusbekämpfung die bakteriologischen Unter¬
suchungen über die auf Typhus hinaus auch auf solche zur
Feststellung anderer Infektionskrankheiten ausge¬
dehnt, pathologisch-anatomische Schnittpräparate
angefertigt und Sektionen vorgenommen.
Diese Ausdehnung der Untersuchungen ergab sich von
selbst durch die stetige Fühlung mit den praktischen Aerzten.
Es war Grundsatz, den Aerzten bei allen Untersuchungen,
die mit Sicherheit nur in einem Laboratorium ausgeführt
werden können, an die Hand zu gehen. Die Untersuchungen
wurden deshalb von jeher kostenlos ausgeführt.
Das große Verständnis, das die pfälzischen Aerzte der
modernen Feststellung von Infektionskrankheiten und deren
Bekämpfung entgegenbrachten, sowie das sich immer mehr
steigernde Bedürfnis nach bakteriologischen Diagnosen aus dem
inneren Drang der Aerzte nach Sicherung klinisch zweifelhafter
Fälle, prägt sich in der folgenden Zusammenstellung über die
Zahl der Untersuchungen auf nicht-typhusverdächtige Infek¬
tionskrankheiten in den einzelnen Jahren seit Bestehen der
Station aus:
Es wurden ausgeführt auf nicht typhöse Infektions¬
krankheiten folgende Zahl von Untersuchungen:
1904 : 571. 1905 : 763. 1906 : 771.
1907: 1442 (and 1095 bei einer Epidemie von Meningitis cerebrospinalis
epidemica).
1908: 1050. Wechsel in der Leitung der Aaßenstation Kaiserslautern.
1909: 1032. Erster Wechsel in der Leitang der Station Landen.
1910: 753. Aaflagsnng der Station Kaiserslautern.
1911: 1285.
Landau für die Bek&mpfang der Infektionskrankheiten im Rgbz. Pfalz. 665
1912: 1703. Zweiter Wechsel in der Leitung der Station Landau, aber
Besetzung mit einem Leiter, der in der Pfalz yon 4jähriger Tätigkeit als
Hilfsarzt der Außenstation Kaiserslautern bekannt war.
1918: 4868.
1914: Schon im ersten Halbjahr 4466.
Diese Uebersicht zeigt auch, daß der vielfache Wechsel
in den inneren Verhältnissen der Station nicht ohne merkbaren
Einfluß blieb. Die Untersuchungszahl wurde bei Leiterwechsel
bezw. beim Auflassen der Station Kaiserslautern im allgemeinen
ungünstig beeinflußt. Dies ist eine Naturnotwendigkeit, da es
sich ja bei dem Verhältnis zwischen Untersuchungsstation und
Aerzten bei allen Erkrankungen, bei denen nicht unmittelbar
ein Untersuchungszwang besteht, um eine Vertrauenssache
handelt.
Nach der Uebernahme der Leitung der Station am 1. April
1912 führte ich bis gegen Ende 1912 eine innere Neuorgani¬
sation durch, indem eine Hilfsarztstelle aufgelassen und für sie
eine Präparator- und zweite Dienerstelle geschaffen wurde.
Teils 1912, zum größten Teil aber 1913 erfolgte dann
auch in der äußeren Tätigkeit eine Aenderung. Diese wurde
eingeleitet durch einen Auftrag der kgl. Regierung der Pfalz
an sämtliche Distriktspolizeibehörden, kgl. Bezirksärzte und
Ortspolizeibehörden der Pfalz, sich im Interesse der Einheit¬
lichkeit der Typhusbekämpfung zur bakteriologischen Unter¬
suchung von Trink-und Nutzwasser, Abwasser, Jauche, Staub,
Erde, Nahrungsmitteln usf. der bakteriologischen Untersuchungs¬
station Landau zu bedienen.
Eingeschaltet maß hier werden, daß in der Zwischenzeit im Jahre 1911
von der Untersnchangsanstalt in Wttrzburg für die Pfalz 188 Dntersnchangen
aasgeführt warden. Die Zahl der in Würzburg im Jahre 1912 für den Kreis
Pfalz gemachten Untersuchungen war aber nur mehr 8, hauptsächlich wohl
wegen der weiten Entfernung von Würzburg und weil die Anstalt in Landau
sich allen Anforderungen gewachsen zeigte.
Weiter wurde i. J. 1913 durch die Station Landau die
Abgabe der Versandgefäße an die Apotheken und die regel¬
mäßige Ergänzung des Bestandes durch Vereinbarungen geregelt.
Auch die Neueinteilung der Pfalz in Desinfektionsbezirke
fand im gleichen Jahre — wie eingangs schon erwähnt — statt.
Auf Veranlassung des kgl. bayer. Staatsministeriums des
Innern wurde durch Verfügung der kgl. Regierung der Pfalz
vom 4. Oktober 1913 die Tätigkeit der kgl. bakteriologischen
Untersuchungsstation Landau über die Typhusbekämpfung hin¬
aus auch amtlicherseits auf die Untersuchungen bei allen ande¬
ren im Regierungsbezirk Pfalz vorkoramenden Infektionskrank¬
heiten ausgedehnt und die Befugnis erteilt, dass die Beamten
der Station in gleicher Weise wie bei Typhus Ermittlungen an
Ort und Stelle vornehmen und Bekämpfungsvorschläge machen
dürfen.
Um die unmittelbare bakteriologische Mitwirkung hiebei
zu erleichtern, wurde seitens der kgl. Regierung bestimmt, daß
von jeder einlaufenden Anzeige einer ansteckenden Krankheit
666 Dr. Mayer: Ueber die Bedeutung der Kgl. b&kt. Unteraacbungsstation
mit Ausnahme von Masern und Scharlach der Untersuchungs¬
station in Landau unverzüglich eine Abschrift einzusenden ist.
Die Station hat außerdem von allen hygienischen Neue¬
rungen auf dem Gebiete der Wasserversorgung und Abwasser¬
beseitigung und von den Maßnahmen zur Reinhaltung der
öffentlichen Gewässer Kenntnis zu erhalten. Sie beteiligt sich,
wenn irgend möglich, an den von den kgl. Kulturbauämtern
anberaumten Terminen zur öffentlichen Wasserschau.
Um die in den letzten Jahren so hoch an gewachsene
Zahl der nicht auf Typhus bezüglichen Untersuchungen weiter¬
hin unentgeltlich durchführen zu können, wurde seitens des
Landrates der Pfalz ein jährlicher Zuschuß von 7000 M. be¬
willigt. Nur für die Untersuchungen auf Wassermann sehe
Reaktion werden 3 M., für pathologisch-anatomische Schnitt¬
präparate 3—6 M. berechnet.
Es werden also jetzt die gesamten Untersuchungen auf
Verhütung von Infektionskrankheiten im Regierungsbezirk Pfalz
von einer in diesem Kreise gelegenen eigenen Untersuchungs¬
station vorgenommen, nachdem wegen der räumlichen Tren¬
nung vom rechtsrheinischen Bayern und aus Mangel einer
nahegelegenen bayerischen Hochschule schon eine eigene Unter¬
suchungsanstalt für Nahrungs- und Genußmittel in der Kreis¬
hauptstadt Speyer errichtet worden war.
Die Lebensfähigkeit einer eigenen bakteriologischen Unter¬
suchungsanstalt für die Pfalz ist durch die obigen Zahlen und
namentlich durch die alljährliche Steigerung der allgemeinen
Inanspruchnahme erwiesen (s. Anlage 6).
Die schon berührten räumlichen Verhältnisse spielen hier¬
für wohl die ausschlaggebende Rolle; in ihnen ist auch der
Zusammenschluß der pfälzischen Aerzte zu einem großen Verein
zu suchen. Das Vereinsorgan, das Vereinsblatt der pfälzischen
Aerzte, bietet eine wertvolle Handhabe, um, abgesehen von
allgemeinen Zusammenkünften und Besprechungen bei Dienst¬
reisen (i. J. 1913/14 wurden 120 örtliche Ermittlungen aus¬
geführt) eine ständige Verbindung zwischen den Aerzten und
der Station herzustellen.
Von ärztlichen Zusammenkünften sind besonders die von
Herrn Obermedizinalrat Dr. Demuth eingerichteten Fort¬
bildungsvorträge zu nennen, die stets eine große Anzahl
der pfälzischen Aerzte vereinigt und es möglich gemacht haben,
Fragen der Seuchenbekämpfung in persönlicher Aussprache
zu erledigen.
Die Mittel für Unterhaltung der Station wurden bisher
ausschließlich vom Reiche und Staate geliefert. Für das Jahr
1914/15 sind insgesamt 37301 M. angefordert, von denen aber
nur 15658,83 M. für den Laboratoriumsbetrieb, die Beschaffung
der Versandgefäße und der Außendienst in Betracht kommen,
während der übrige Teil auf die Gehälter des Personals ent¬
fällt. ln Zukunft kommen noch die oben erwähnten 7000 M.
Landau für die Bekämpfung der Infektionskrankheiten im Rgbz. Pfalz. 667
aus Kreismitteln hinzu, von denen aber auch ein Teil für‘Be¬
soldung einer Laborantin verwendet werden muß.
Der Vergleich der Landauer Anstalt mit den anderen
größeren Untersuchungsanstalten (siehe Anlage 6) ergibt, daß
sie schon nach der absoluten Zahl der Untersuchungen zu den
größeren gehört; noch mehr ergibt sich dies aus der Inanspruch¬
nahme im Verhältnis zur Einwohnerzahl der Pfalz (rund 1 Million
Einwohner) und der Beteiligung der Aerzte (65°/ 0 der pfälzischen
Aerzteschaft).
Mit diesem kurzen Ueberblick über den Werdegang und
die gegenwärtige Organisation der kgl. bakteriologischen Unter¬
suchungsstation Landau glaube ich gezeigt zu haben, daß sie
den Erwartungen entsprochen hat, die die kgl. Staatsministerien,
die kgT. Regierung der Pfalz, der Landrat der Pfalz und die
pfälzischen Aerzte in sie gesetzt haben.
Anlage 1.
Formblatt 1
za Ziff. 2 der Regierungs-Entschließung vom 4. Oktober 1913 (Kr.-A.-Bl. 8.167)
' für die
Niederschrift der Ermittelungen usw. bei gemeingefährlichen Krankheiten,
dann bei Typhus, übertragbarer Ruhr, Fleisch-, Fisch-, Wurstvergiftung
(Paratyphus) sowie bei Verdacht einer solchen Krankheit.
Vorbemerkung: Wenn sich das Ermittelungsverfahren anf eine Mehrzahl
von Fällen erstreckt, ist das Ergebnis tunlichst in einem Formblatte
niederznlegen. Soweit der Vordruck in einzelnen Ziffern nicht zutrifft,
ist er zu durchstreichen.
I.
Ergebnis der Ermittelungen.
Nr. des Ein- und Auslauf buchs
des Bezirksarztes.
1. Ort und Tag der Anzeigeerstattung.
Name des Anzeigenden:..
Krankheit, um die es sich handelt:.
2. Ort und Tag der Ermittelungen:.
Anwesend waren: der behandelnde Arzt: .
als Vertreter der Orts-, Distriktspolizeibehörde:.
der von der K. Regierung der Pfalz entsandte besondere Sachver¬
ständige :.
3. Des Krankheitsverdächtigen, Erkrankten, Gestorbenen
Vor- und Familienname:.
Geschlecht:.
Alter:...
Familienstand:.
Beruf oder Gewerbe:.
Stelle der Beschäftigung:.
Wohnung (Straße, Hausnummer) 1 ):
bei Kindern, Ehefrauen, Dienstboten Name des Haushaltungsvorstandes:
bei Kindern ferner die von ihnen besuchte Anstalt (Schule, Schulklasse,
Kinderbewahranstalt, Krippenanstalt u. dgl): .
4. Beginn der Krankheit:.
Bettlägerig seit:.
J ) Wenn sich die Ermittelung auf eine Mehrzahljvon Fällen erstreckt,
empfiehlt es sich für kleine Ortschaften oder für Ortsteile, eine einfache Plan¬
pause beizulegen, in der die betroffenen Häuser einzuzeichnen sind.
668 Dr. Mayer: Ueber die Bedeutung der Kgl. bokt. Untersucbungsatation
5. Der Kranke befindet sich in der . . . Woche der Krankheft, im Bückfall
einer voransgeg&ngenen schweren, sicheren, verdächtigen Krankheit, die er
in der Zeit vom.bis.
in.durchgemacht hat.
6. Die bestehende Krankheit ist leicht, schwer, mittelschwer.
7. Behandelnder Arzt ist:.
seit .
8. Der Kranke ist ortsansässig: ..
Der Kranke ist zngezogen seit:.von (Ort, Gemeinde,
Bezirksamt):.
Der Kranke ist zugereist seit:.von (Ort, Gemeinde,
Bezirksamt):.
In seinem früheren Aufenthaltsorte befand er sich seit:.
Er wohnte bei (Wohnung, Straße, Hausnummer):.
und war in den letzten Wochen vor der Erkrankung beschäftigt bei: . .
9. Wo hat der Kranke vermutlich den Ansteckungsstoff aufgenommen ? . . .
Insbesondere:
a) Haben schon früher Familien- oder Haushaltungsmitglieder des Kranken
gleiche Krankheiten durchgemacht und wann?.
Befinden sich im Haushalte bereits früher festgestellte Keimträger und
welche P.
b) Befinden sich im Haushalt oder bei Verwandten, Bekannten, auf der
Arbeitsstätte, bei den Verkäufern von Nahrungs- oder Genußmitteln, im
gleichen Orte *) kranke Personen i .
Möglichst genaue Bezeichnung der Krankheit oder des Krankheitsver¬
dachts :.'.
Ist die Krankheit bei diesen Personen bereits abgelaufen oder besteht sie
noch fort ?.
c) War der Kranke während der Inkubationszeit außerhalb seines Wohnorts
und wo beschäftigt?.
Befanden sich dort kranke oder krankheitsverdächtige Personen oder fest¬
gestellte Keimträger ?.
Sind die Krankheiten dieser Personen bereits abgelaufen oder bestehen sie
noch fort? . . .
d) Wurden Nahrungsmittel, Wäschestücke u. dgl. in letzter Zeit von aus¬
wärts geschickt?.».
Welche?.
Woher ?.
Sind beim Absender etwa ähnliche Erkrankungen festzustellen .f . . . .
e) Ist das Fleisch von kranken, notgeschlachteten Tieren genossen worden?
in rohem, gekochten Zustande ?.
An welcher Krankheit hat das Tier gelitten?.
Hat Fleischbeschau stattgefunden ?.
Durch wen ?.
Ist das Fleisch für Genußzwecke tauglich, untauglich, bedingt tauglich,
minderwertig erklärt worden?.
10- Lassen sich auf Grund von Krankenkassenlisten, Schullisten sichere, ver¬
dächtige Erkrankungen (Todesfälle) feststellen und welche ?.
oder sind nach diesen Listen oder den Standesamtsregistern überhaupt in
den letzten Monaten Häufungen von Erkrankungen, Todesfällen aufge¬
treten ?.
Was war ihre vermutliche Ursache?..
11. Sind bei der Ermittelung Proben zur bakteriologischen Feststellung be¬
stehender oder abgelaufener, sicherer oder verdächtiger Krankheiten oder
zur Feststellung von Keimträgern in der Umgebung des Kranken entnommen
worden?.
von wieviel Personen?.
*) Kommt nur für kleine Ortschaften in Betracht.
Landau für die Bekämpfung der Infektionskrankheiten im Rgbz. Pfalz. 669
Besteht Sicherheit, daß weitere Proben von dem Kranken, seiner Umgebung
oder sonstigen Personen entnommen und zur bakteriologischen Untersuchung
eingesendet werden ?.
12. In der Wohnung des Kranken befinden sich außer ihm Und dem Haus-
haltungsvorstande
.Kinder im Alter Ton.bis.Jahren,
.Erwachsene, darunter.Familienmitglieder,
.Dienstboten, .... Kostgänger, . . . . Schlafgänger,
.Besuche,
Gesamtsumme:.
Besuchen die Kinder eine Anstalt (Schule, Kinderbewahranstalt, Krippen¬
anstalt) und welche (Schulklasse) P..
18. Die Wohnung hat Wohnräume.Schlafräume.
mit .... Betten.
Eine Absonderung läßt sich durchführen, nicht durchführen.
In der Wohnung wird betrieben (Angabe des Gewerbes u. s. w.) . . . .
In dem gleichen Hause wohnen noch selbständige Mieter:
Verzeichnis der Mieter.
Nummer
Vor- und Familiennamen des
selbständigen Mieters
(Haushaltungsvorstands)
Beruf
oder
Gewerbe
Personenzahl
beim Mieter
(einschL des
Mieters)
1
2
3
usw.
14. Die Wäsche des Kranken —gewaschen von:.
15. Ort und Beschaffenheit der Wasserversorgung des Kranken:.
16. Wie werden die Ausscheidungen (Kot, Harn), Abfallstoffe, Abwasser be¬
seitigt? Gelangen sie in einen Wasserlauf P
a) in der Wohnung des Kranken:.
b) an der vermutlichen Ansteckungsstelle.
Wieviel Personen sind an beiden Stellen auf den gleichen Abort ange¬
wiesen? .
Sind Kinderaborte vorhanden P.
Wie sind die Aborte beschaffen P.
17. Sonstige bemerkenswerte, in Ziff. 1—16 nicht berührte Verhältnisse:
II.
Nur bei epidemischem und endemischem Herrschen (Vorhandensein chronischer Keim¬
träger am Ort) von Typhus und übertragbarer Rohr anszufQllen. Bel wiederholten
Untersuchungen kann auf früher ausgefüllte Formblätter Besag genommen werden und
brauchen nur Abweichungen von früheren Ermittelungen Erwähnung su finden.
18. In welchen Jahren (innerhalb der letzten 10 Jahre) Bind daselbst Er¬
krankungen der gleichen Art vorgekommen ? ZahlP.
19. Angabe der Ortsteile und Häuser (Bezeichnung nach Straße, Hausnummer,
oder sonst wie) in denen die Krankheit a) epidemisch, b) endemisch
(chronische Keimträger) herrscht. Besteht in den betroffenen Häusern ein
Nahrungsmittelgeschäft? Art desselben:.
20. Aeußerung (Beschreibung und Urteil) über die Art der Wasserversorgung
des Ortes; insbesondere Art und Beschaffenheit der Brunnen:.
21. Aeußerung (Beschreibung und Urteil) über die Art der Beseitigung der
Abfallstoffe. Schwemmkanalisation. Kanalisation. Sind die Abortgruben
von den Dunggruben getrennt? Kläranlagen. Sind die Abortgruben ein¬
wandfrei zementiert? Art der Entleerung derselben, pneumatische Ent¬
leerung, untertags oder .während der Nacht. Sind die Dungstätten ein¬
wandfrei zementiert ev. wieviele P Kann Jauche in die Straßenrinnen fließen ?
Beschaffenheit der Straßenrinnen. Art der Beseitigung des Hausmülls: . .
670 Dr. Mayer: Üeber die Bedeutung der Kgl. bakt. Untersuchungsstation
22. Art der Milchversorgung des Ortes:.
Ist eine Sammelmolkerei im Ort oder in nächster Nähe?
Firma, Straße, Hausnummer?.
Zahl, Narte und Wohnort der Anlieferer:.
23. Acußerung über das Krankenbeförderungswesen des Ortes:.
24. Beschaffenheit der Schulräume und Schulaborte:.
26. Beschaffenheit der Aborte des Bahnhofs (Beschmutzung der Pissoirs und
Abortsitze)?:.
26. Beschaffenheit der Aborte in den öffentlichen Wirtschaften:.
27. Leichenwesen (Leichenhalle, Zwang zu deren Benützung oder Aufbahrung
im Hause):.
Leichenschau (Name und Stand):.
28. Sonstige allgemeine Bemerkungen:.
HI.
Bereits durchgefOhrte oder vom Bezirksarzte vorläufig angeordnete Schutz¬
maßnahmen.
wird
1. Der Kranke -7— in die Krankenanstalt in.
ist
in eine andere Wohnung zu.
werden
am .überführt
wurden
Die Ueberführungsmittel wer( | en vorschriftsmäßig desinfiziert.
2. Die Absonderung ist im Hause des Kranken durchgeführt, angeordnet worden.
Genaue Beschreibung der Absonderung:.
3. Der Kranke wird gepflegt von.
Berufsmäßiger Krankenpfleger wird eingestellt.
4. Die laufende Desinfektion ist am.angeordnet
worden, wird ausgeführt von dem Desinfektor.
Krankenpfleger.. Haushaltungsvorstande.
Familienmitglied.und überwacht von.
5. Die ordnungsgemäße Ausführung der laufenden und der Schlußdesinfektion
ist gesichert, unsicher weil.
ist
6. Der Haushaltungsvorstand, die Familienmitglieder, das Pflegepersonal
über die Ansteckungsgefahr noch nicht belehrt worden, belehrt worden
von ... .
Das Typhus-, Ruhrmerkblatt ist dem Haushaltungsvorstande.
.am.ausgehändigt worden.
7. Sonstige Schutzmaßnahmen:
8. Die angeordneten Schutzmaßnahmen (Absonderung, Desinfektion, Pflege . . .)
wurden dem Haushaltungsvorstande.
mündlich, durch Uebergabe einer Niederschrift eröffnet.
IV.
An das K. Bezirksamt.
An den Stadtmagistrat.
mit folgenden Anträgen:
den
19
Der K. Bezirksarzt:
Verfügungen des Bezirksamts
Stadtmagistrats
V.
Landau für die Bekämpfung der Infektionskrankheiten im Rgbz. Pfalz.. 671
Vorgelegt
dem Landeskommissar für die Typhusbekämpfung in der Pfalz zu Speyer
(Regierungsgebäude)
(wenn es sich um Typhus, übertragbare Ruhr, Fleisch-, Fisch- oder
Wurstvergiftung handelt, sonst)
der E. Regierung der Pfalz, Kammer des Innern, in Speyer.
(Berichtliche Zusätze, soweit sie noch veranlaßt sind):.
. ., den . .
Bezirksamt
Stadtmagistrat
nähme
An die K. bakteriologische Untersuchnngsstation in Landau zur Kenntnis-
) .
Speyer,.19 . .
K. Regierung der Pfalz, Kammer des Innern:
Der Landeskommissar für die Typhusbekämpfung in der Pfalz:
Anlage 11.
Formblatt II
zu Ziff.3 der Regierungs-Entschließung vom 4. Oktober 1913 (K.-A.-Bl. S. 167 ff.)
für die
Berichte an die K. Regierung der Pfalz, Kammer des Innern oder den
Landeskommissar für die Typhusbekümpfung in der Pfalz Uber den
Verlauf von gemeingefährlichen Krankheiten, sowie von Erkrankungen
an Typhus, übertragbarer Ruhr, Fleisch-, Fisch- und Wurstvergiftung
(Paratyphus).
672 -Dr. Mayer: Deber die Bedeutung der Kgl. bakt. Untersuchungsstation
an Kranken:
tic
a
s
5
CD
M
03
03
6
03
N
fl
Ui
03
SP
Name
des
znge-
zogenen
Arztes.
Besondere
Bemerkungen
über die Quelle der An¬
steckung, ob, wann und
woher der Erkrankte zu¬
gereist ist, über die Ver¬
bringung des Kranken
in ein Krankenhaus,
über die Lage seiner
Wohnung zu den Woh¬
nungen, in denen die
Krankheit bereits auf¬
getreten ist. 1 )
in
Abgänge von Kranken:
Vor- and Familienname,
Geschlecht, Alter,
Familienstand
Nr.
durch
Ge¬
nesung *)
durch
Tod
IV
Sonstige
Bemerkungen:
über spätere
Schutzma߬
nahmen,
später festge¬
stellte
Ansteckungs-
quellen,
Ergebnis bak¬
teriologischer
Untersuchungen
usw.
2
usw.
Nr.
Vorgelegt
dem Landeskommissar für die Typhus-
bekämpfung in der Pfalz
zu Speyer (Regierungsgebäude)
(wenn es sich um Typhus, übertragbarer Ruhr,
Fleisch-, Fisch- oder W urstvergiftung handelt, sonst):
der K. Regierung der Pfalz, Kammer
des Innern,
zu Speyer.
.. den .... 191 .
K. Bezirksamt.
Stadtmagistrat.
Nr.
Au die
K. Bakteriologische Untersuchungsstation
zu Landau
zur Kenntnisnahme und Wiedereinsendung mit der Niederschrift tiber das Er¬
gebnis der Ermittelungen.
Speyer, den.191 .
K. Regierung der Pfalz, Kammer des Innern:
Der Landeskommissar für die Typhusbekämpfung in der Pfalz:
') Für kleinere Ortschaften oder für Ortsteile ist, wenn sich die Krank¬
heit weiter verbreitet, eine einfache Planpause beizulegen, in der die betroffenen
Häuser einzuzeichnen sind.
*) Fälle der Genesung sind erst bei Aufhebung der Schutzmaßnahmen
(der Absonderung) cinzutragen.
Landau für die Bek&mpfang der Infektionskrankheiten im Rgbz. Pfalz. 673
Anlage 8.
Formblatt
für Anordnung des Bezirksamtes an das Bürgermeisteramt.
No. . . . .191 .
K. Bezirksamt.
An das
Bürgermeisteramt.
Betreff:
Die Bek&mpfang übertragbarer Krankheiten.
Mit 1 Formblatt.
Der Arzt.in.
die K. bakteriologische Dntersnchnngsstation Land an, der Haushaltungs-
rorstand (eine sonstige Person) *)..
machte die Anzeige, daß in der Familie des *).
in..
d . . . . jährige.
an Typhös übertragbarer Bahr anter typhas-rahr-verdächtigen Erscheinungen 1 )
erkrankt ist.
Qemäß Art. 67 Abs. 2 Pol.-Str.-G.-B. n. Min.-Bek. vom 9. Mai 1911 —
G.-V.-Bl. S. 426 ff. — wird hiermit folgende
Anordnung
zur Verhütung weiterer Erkrankungen erlassen:
1. Das Bürgermeisteramt hat dafür Sorge zn tragen, daß der Kranke
oder Kran kheitsverdächtige ohne Verzug abgesondert wird, am besten durch
Ueberführung in ein Krankenhaus (§ 10 der Min.-Bek. vom 9. Mai 1911).
Ist die Ueberführung in ein Krankenhaus undurchführbar, so ist die
fortlaufende Desinfektion am Krankenbett sofort vom Bürgermeisteramt an¬
zuordnen, falls dies nicht schon vorläufig durch den K. Bezirksarzt bei der
Ortsbesichtigung geschehen ist (§ 11 a. a. 0.).
Durch Streitigkeiten über die Kostenfrage dürfen die notwendigen Des¬
infektionsmaßnahmen unter keinen Umständen aufgehalten werden.
Die Kosten werden am besten von der Gemeinde übernommen, da es
sich um Maßnahmen im Interesse des allgemeinen öffentlichen Wohles handelt.
. 2. Die Pflege des in seiner Behausung gebliebenen Kranken ist, wenn
irgend möglich, berufsmäßigen Krankenpflegern zu übertragen, ebenso die
fortlaufende Desinfektion am Krankenbett. Ist berufsmäßiges Krankenpflege-
personal nicht zu erhalten, so maß die fortlaufende Desinfektion am Kranken¬
bett von dem privaten Pflegepersonal gemäß der anliegenden Anweisung aus¬
geführt werden. Der Haushaitangsvorstand ist für richtige Ausführung ver¬
antwortlich. Es sei aber darauf aufmerksam gemacht, daß erfahrungsgemäß
die fortlaufende Desinfektion am Krankenbett nur dann sichere Aussicht auf
wirksame Durchführung hat, wenn sie durch Personal ausgeführt wird, das in
der Desinfektion besonders geschalt ist (Krankenpfleger, Desinfektoren). Der
Desinfektor hat jedoch mit der fortlaufenden Desinfektion am Krankenbett nur
dann zu tun, wenn er vom behandelnden Arzt zagezogen wird.
8. Im Falle der Ueberführung in ein Krankenhaus, der Entfernung aus
der Wohnung oder des Ablebens ist die Schiaßdesinfektion sofort ohne weiteres
anzaordnea. Im Falle der Genesung wird der Termin der Schlußdesinfektion
vom K. Bezirksarzt dem Desinfektor direkt mitgeteilt (§ 20 a. a. 0.).
4. Das Bürgermeisteramt hat sofort die zur Ausfüllung des amtlichen
Anzeigeformalars (Formblatt zur Anzeige übertragbarer Krankheiten) nötigen
Erhebungen za betätigen und ein ausgefüiites Anzeigeformular dem K. Be¬
zirksamt, ein zweites der K. bakt. Untersuchungsstation in Landau zu über¬
senden.
Letzteres gilt auch für jene Fälle, in welchen die Anzeige von der K.
') Das Nichtzutreffende durchstreichen I
674 Dr. Mayer: Deber die Bedeutung der Kgl. bakt. Untersuchungsstation
bakt. Untersachnngsstation Landau dem K. Bezirksamt übermittelt wurde vor
Einlauf der Anzeige einer anderen Stolle.
5. Dem Haushaltungsvorstand ist die anliegende bürgermeisteramtliche
Anordnung gegen vorzulegenden Nachweis (Anhängeblatt bei letzterer!) aus¬
händigen zu lassen.
6. Der Desinfektor hat in jedem Falle — also auch dann, wenn er zur
fortlaufenden Desinfektion am Krankenbett nicht beigezogen wird, — den Abort,
die Abort- und Dunggrube, bei Aborten, welche außerhalb des Hauses gelegen
sind, den Weg vom Hause zum Abort, schadhafte Stellen in der Pflasterung
des Hofes, in denen sich Wasser und Jauche ansammeln kann, Abwasserrinnea
im Hofe und die Straßenrinnen 10 m auf- und abwärts vom Hause bei Begina
der Erkrankung und mindestens einmal wöchentlich während der Dauer der
Erkrankung sowie bei der Schlußdesinfektion ausgiebig mit Kalkmilch zu des¬
infizieren.
Zu diesem Zwecke hat der Desinfektor aus der nächsten Apotheke
2 Liter käufliche Kresolseifenlösung, V* Liter Formalin und 10 kg Kalk zu
beschaffen. Was hiervon übrig bleibt, ist dem Haushaltungsvorstand für die
Ansführung der fortlaufenden Desinfektion am Krankenbett zu übergeben.
Anlage 4.
Formblatt
für Anordnung des Bürgermeisteramtes an den flaushaltsvoratand uw.
Nr.
Bürgermeisteramt.
An
in.
Betreff:
Die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten.
Der Arzt.in.
die K. bakter. Untersuchungsstation Landau, der Haushaltungsvorstand (eine
sonstige Person) 1 ).
machte die Anzeige, daß in der Familie des 1 ).
in . ..d.jährige . . .
an Typhus übertragbarer Ruhr unter typhus-ruhr-verdächtigen Erscheinungen, l )
erkrankt ist
Gemäß Art. 67 Abs. 2 des Polizeistrafgesetzbuches wird hiermit folgende
Anordnung,
zur Verhütung weiterer Erkrankungen erlassen.
1. Soferne nicht die sofortige Ueberführung des Kranken in ein Kranken¬
haus erfolgt, ist er sofort möglichst sicher von den Wohnräumen der Familie,
insbesondere von der Küche, von den Geschäftsräumen (Wirtschaft, Laden)
und Lebensmittelniederlagen (Milch, Butter, Gemüse, Fleisch) abgesondert
unterzubringen.
2. Wenn irgendmöglich, ist, soferne der Kranke im Hause bleibt, berufs¬
mäßiges Krankenpflegepersonal beizuziehen.
3. Für den ersten Bedarf ist an Desinfektionsmitteln nötig:
2 Liter Kresolseifenlösung, */> Liter Formalin, 10 kg Kalk. Diese Des¬
infektionsmittel sind nach dem im Verlaufe der Krankheit allmählich eintretenden
Aufbrauch der angegebenen Menge entsprechend zu ergänzen.
4. Vor dem Krankenzimmer ist sofort ein Eimer oder Topf mit Kalk¬
milch aufzustellen, aus dem alle Ausscheidungen des Kranken (ßtuhlgang.
Urin, Auswurf, Erbrochenes) mit einer gleichen Menge Kalkmilch gemischt
werden müssen. Die so desinfizierten Ausscheidungen müssen 2 Stunden stehen
*) Das Nichtzutreffende durchstreichen!
Landau für die Bekämpfang der Infektionskrankheiten im Rgbz Pfalz. 675
t
bleiben, ehe sie in den Abort entleert werden dürfen. Kommen Entleerungen
des Kranken auf den Boden, so ist sofort Kalkmilch oder Kresolwasser (s. unten)
darauf zu gießen und 2 Stunden stehen zu lassen, ehe die Ausleerungen weg¬
geputzt werden dürfen.
Kalkmilch: In ein Gefäß legt man 2 kg frischgebrannten Kalk
(Aetzkalk) und besprengt diesen solange mit Wasser, bis der Kalk nach Auf¬
brausen zu Kalkpul rer zerfallen ist; hierzu werden 6 Liter Wasser gegossen.
Vor Gebrauch ist die Mischung mit einem Stock, der stets im Gefäß vorhanden
sein muß, umzurühren. Die Kalkmilch muß stets zugedeckt sein, da sie am
Licht bald anwirksam wird.
Wenn frisch gebrannter Kalk nicht vorhanden ist, kann man Kalk aus
der Tiefe (nicht Oberfläche) einer Kalkgrube verwenden. Es werden alsdann
zu 2 kg solcher Kalkmasse 6 Liter Wasser angegossen. Vor Gebrauch um¬
rühren! Zudecken!
5. Im Abort ist ein Eimer mit der gleichen Masse aufzustellen. Aus
diesem sind nach jeder Benutzung des Abortes, gleichviel durch wen, ungefähr
3 Schöpflöffel Kalkmilch in den Aborttrichter zu gießen; auch sind das Sitz¬
brett und sonstige Holzteile des Abortes öfter mit Kresolwasser zu reinigen.
Kresolwasser: Es werden 50 ccm käufliche Kresolseifenlösung auf
ein Liter Wasser oder (zur Herstellung größerer Mengen) */• Liter Kresol-
seifenlösung auf 10 Liter Wasser genommen.
6. Im Hausgang neben der Tür des Krankenzimmers ist eine Bütte mit
Kresolwasser aufzustellen, in welche alle vom Kranken benützten oder bei
seiner Pflege gebrauchten waschbaren Kleidungsstücke und alle Wäschestücke
vollständig unterzutanchen und 12 Stunden zu belassen sind.
Alsdann können sie wie unverdächtige Wäsche weiter behandelt werden.
7. Im Krankenzimmer ist eine Waschschüssel mit Kresolwasser aufzu¬
stellen (50 ccm Kresolseifenlösung auf 1 Liter Wasser). In dieser hat sich
jede Person, welche das Zimmer betreten hat, vor dem Verlassen des Zimmers
die Hände gründlich zu reinigen. Das Pflegepersonal muß im Krankenzimmer
waschbare Ueberkleider (Aermelschürze) anlegen. Vor dem Verlassen des
Zimmers sind die Ueberkleider abznlegen.
8. Vor der Türe des Krankenzimmers ist eine Fußmatte oder Aehnliches
anzubringen, welche stets mit Kresolwasser getränkt sein muß. Jede Person,
welche aas Zimmer verlassen hat, muß sich auf dieser Matte die Schuhe
gründlich reinigen.
9. Die vom Kranken benutzten Spucknäpfe müssen zur Hälfte mit Kresol¬
wasser gefüllt sein.
Das vom Kranken benutzte Waschwasser ist mit 50 ccm käuflicher
Kresolseifenlösung zu versetzen, ehe es weggegossen werden darf. Jedem Bad
ist nach Gebrauch soviel Kalkmilch znzusetzen, daß rotes in das Wasser
f etauchtes Lakmuspapier kräftig und dauernd blau gefärbt erscheint. Die
[alkmilch ist in diesem Falle vorher durch ein Tuch durchzuseien, damit
Ventile nicht verstopft werden können. Das desinfizierte Badewasser darf erst
nach 2stündigem Stehen abgelassen werden.
10. Eß- und Trinkgeschirre, welche im Krankenzimmer benutzt wurden,
sind folgendermaßen zu behandeln: Auskochbare Gegenstände sind in kaltes
Wasser, dem etwas Soda zngesetzt ist, zu legen. Das Wasser ist zum Sieden
zu erhitzen und muß mindestens '/* Stande im Kochen erhalten werden. Auf
dem Boden des Auskochgefäßes ist ein Lattenrost oder Aehnliches anzubringen,
damit Gläser beim Kochen nicht zerspringen.
Die nicht auskochbaren Messer nnd Gabeln sind eine Stunde lang in
1 °/o tiges Formalinwasser (30 ccm käufliches Formalin auf 1 Liter Wasser) zu
legen und dann gründlich abzureiben.
11.. Ausleerungen eines Kranken — oder Krankheitsverdächtigen — dürfen
nicht auf offene Dungstätten, auf die Straße, in den Stall oder in die Nähe
eines Brunnens gelangen. Ist die Dungstätte mit der Abortgrube verbunden,
so sind die Ausleerungen des Kranken usw. in einem tiefen Loche an einer
abgelegenen Stelle* des Gartens, an der Gemüse nicht verunreinigt werden kann,
zu vergraben, nachdem sie vorher nach obiger Anweisung desinfiziert worden sind.
676 Dr. Mayer: Ueber die Bedeutung der Kgl. b&kt. Unterauchungsstation
12. Das Betreten des Krankenzimmers ist allen Personen, die nicht
direkt mit der Pflege, Behandlung oder Ueberwachung des Kranken zu tun
haben, verboten.
13. Die fortlaufende Desinfektion ist in dieser Weise bis zur Anordnung
der Schlußdesinfektion, deren Termin, falls die Krankheit in Genesung fiber¬
gegangen ist, vom K. Bezirksarzt dem Desinfektor direkt bekannt gegeben
wird, durchzuführen.
14. Sobald dem Genesenen erlaubt ist, seine Wohnung zu Spaziergängen
zu verlassen, bat er bis zur Feststellung seiner völligen Genesung durch amt¬
liche bakteriologische Untersuchung das Betreten anderer Wohnungen oder
Gebäude insbesondere von Öffentlichen Lokalen, Verkaufsläden, Versammlungs¬
lokalen sowie jede Berührang mit Personen, welche nicht zu seiner Pflege,
Behandlung oder Ueberwachung berufen sind, zu vermeiden. Auch darf er
seine Notdurft nicht außerhalb der Wohnung verrichten.
16. Eltern und Pflegeeltern sind gehalten, Bänder, Pflege- und Kostkinder
gemäß Ziffer 14 zu überwachen.
16. Von den Kranken und sämtlichen Familien, in kleineren Häusern
Hausgenossen, ist sofort dem Desinfektor eine Stuhl- und Urinprobe in den
vom Desinfektor überbrachten Gefäßen bereitzustellen. Die weitere Einsendung
von Untersuchungen» terial richtet sich nach dem vom K. Bezirksarzt auf ge¬
stellten Ablieferungsplan.
17. Die anhängenden Anklebezet el sind an der Krankenzimmer- und an
der Aborttüre anzubringen. Handelt es sich nicht um Typhus, sondern um
fibertragbare Ruhr, dann ist das Wort „Typhus“ auf dem einen Zettel zu
durchstreichen und „Ruhr“ darüber zu schreiben. Die Zettel müssen bis zur
Schlußdesinfektion angeheftet bleiben und werden erst dann vom amtlichen
Desinfektor abgenommen.
Zuwiderhandlungen gegen Vorstehendes können mit Geldstrafe bis zu
90 Mark oder mit Haft bis zu 4 Wochen bestraft werden.
(Unterschrift des Bürgermeisters:)
An die Außenseite der Krankenzimmertüre kleben!
Hier Tuphuskranker!
Besuch verboten!
An die Aborttüre kleben!
Nach Jeder Benützung
drei Schöpflöffel Kalkmilch
nachgießen!
Betreff:
Die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten.
Ich bestätige hiermit, daß mir heute die bürgermeisteramtliche
Anordnung vom.1. J. ausgehändigt und ihrem
wesentlichen Inhalt nach eröffnet wurde. *
(Haushaltungsvorstand:)
Dem K. Bezirksamt.vorgelegt.
., den.191 . .
Das Bürgermeisteramt:
Landau für die Bekämpfung der Infektionskrankheiten im Rgbz. Pfalz. 677
Anlage 5.
Formblatt
für Einsendung von Stuhl und Urin zur bakteriologischen Untersuchung.
Der Kgl. Bezirksarzt in. .19
Kgl. Bakterlol. Untersuchungsstation
Landau.
An den Desinfektor.
in.
Gemäß Anordnung des Kgl. Bezirksarztes in.
vom.19 . . ist von folgenden Personen in den
mitgesandten Gefäßen zu den unten bezeichneten Terminen Stuhl und
Urin einzusenden:
Dieses Schriftstock kann dem Bürgermeisteramt als Ausweis über die
Tätigkeit des Desinfektors vorgelegt werden.
Anlage 6.
Ueberslcht
über die Tätigkeit der Kgl. bakteriologischen Untersuchungsstation Landau.
I.
Zahl aller im Jahre 1911 ausgeführten Untersuchungen
» » n n 1M2 „ *
ff ff ff ft AvlO Jf ff
Zahl aller in der Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 1914
ausgeführten Untersuchungen:
1. Vierteljahr 1914 . 7604
2. „ 1914 .. 6626
Voraussicht!. Gesamtzahl der Untersuchungen für 1914
12647
18260
21111
14229
rd. 28000
II.
Zahl der zum Nachweise des Typhus ausgeführten
Untersuchungen:
1. Vierteljahr 1914.3916
2. „ 1914 . 3477
Anderweitige nicht zum Nachweis des Typhus aus*
geführte Untersuchungen:
a) Diphtherie: 1. Vierteljahr 1914 . . 782
„ 2. „ 1914. . 666 = 1347 (237 pos. = 17,6 °/o)
b) Geschlechtskrankheiten:
1. Vierteljahr 1914.103 (Wassern. B.:
36,9 °/o pos.)
2. Vierteljahr 1914 . 127 = 280 (Gonok.: 89,6°/®
positiv)
678
Dr. Rißmann.
c) Rohr: 1. Vierteljahr 1914 .... 848
„ 2. Vierteljahr 1914 . . . . 420 = . 768 (Gruber-Widal R.:
7,4°/« pos.)
d) Tuberkulose': 1. Vierteljahr 1914 . 401
„ • 2. Vierteljahr 1914 . 521 = 922 (192 pos. = 20,8 •/*)
e) Varia: 1. Vierteljahr 1914 .... 262
„ 2. Vierteljahr 1914 : . . . 490 = 742
f) Wasser (Keimzahl und chemisch):
1. Vierteljahr 1914.162
2. Vierteljahr 1914.!295 = 467
g) Hygienische Untersuchungsstelle:
1. Vierteljahr 1914.1640
2. Vierteljahr 1914 . 730 = 2370 6 836
14 229
lieber die Zentralisation der gesamten Fürsorge¬
bestrebungen.
Von Dr. Bifimann • Osnabrück.
Im „Aerztlichen Vereinsblatte“ vom 16. Oktober habe ich
in aller Kürze darauf hingewiesen, daß bei den Fürsorgeein¬
richtungen eine beklagenswerte Vergeudung von Menschenkraft
und Geld schon betrieben ist und scheinbar andauernd ausgeübt
werden soll. Ich habe daran erinnert, daß Ascher in Hamm
Vorzügliches durch seine „Fürsorgeämter“ in Hamm geleistet
hat, daß ich auf dem III. Internationalen Säuglingskongreß in
Berlin den Plan einer „Zentrale für Volkswohl“ gab und daß
neuerdings Sieveking in der „Deutschen med. Wochenschrift“
die scheinbar sehr guten Hamburger Einrichtungen schilderte.
Alles geschah leider ohne durchgreifenden Erfolg! Ich halte
es deshalb für zeitgemäß, auf einige Hauptfehler hinzuweisen
und das gerade in dieser Zeitschrift, well Ich den Kreis-
(Bezirks-) Arzt für'den geborenen Fürsorgearzt halte, nament¬
lich ln kleineren Städten und auf dem Lande. Besteht ein
Fürsorgeausschuß, so übertrage man dem Kreisärzte den Vorsitz
im Ausschüsse, dem natürlich auch die einzelnen Fürsorgeärzte
angehören. Gewiß hat Langerhans (Celle) Recht, wenn er
auf der außerordentlichen Tagung der „Vereinigung zur För¬
derung des Hebammenwesens“ in Hannover darauf hinwies, daß
der schon jetzt mit Arbeit überhäufte beamtete Arzt zu diesem
Zwecke Hilfskräfte haben müsse. Hilfskräfte betone ich, nicht
etwa nur eine Hilfskraft, die' mit großem Gehalte neu anzu¬
stellen wäre und dann wieder eine Reihe von weiteren Hilfs¬
kräften teilweise oder ganz unter ihrem Befehle hätte. Die
Hilfskräfte müssen unter sich koordiniert sein. Nur
so ist es möglich, an bestehende bewährte Einrichtungen
anzuknüpfen und sie auszubauen. Dadurch werdeu Unsummen
zu sparen sein; es werden Reibungen und Streit vermieden und
Arbeitsfreudigkeit nicht gehemmt, sondern durch die über¬
tragene Verantwortlichkeit gehoben werden. Das ist doppelt
wichtig zu betonen, weil es sich hauptsächlich um w e i b 1 i c h e
Ueber die Zentralisation der gesamten FUrsorgebeetrebnngen.
679
Hilfskräfte des Kreisarztes handeln dürfte. Schon allein aus
diesem Grunde verwerfe ich die geplanten Fürsorgeeinrichtungen
des Königsreiches Sachsen. Welche Hilfskräfte sind nun schon
jetzt vorhanden und bieten sich den Augen aller dar, sofern
sie vorurteilsfrei suchen? Es sind Krankenschwestern
und Hebammen, die künftig zweckmäßiger Hebammen¬
schwestern genannt werden. Nur wenn die Kräfte dieser
Personen nicht mehr ausreichen und das wird häufig genug
der Fall sein — regelmäßig sicher in größeren Städten — darf
man zur Anstellung weiterer Hilfskräfte schreiten, die aber, wie
gesagt, der Kranken- und Hebammenschwester nicht über¬
geordnet werden dürfen. Wie die Arbeit zwischen Kranken¬
schwestern, Hebamraenschwestem und weiteren Hilfskräften
zu verteilen sein wird, darüber maße ich mir gar kein Urteil
an, das zu bestimmen, ist Sache des Kreisarztes, es hat rein
lokale Bedeutung.
Aber natürlich erscheint mir, wie ich in aller Bescheiden¬
heit anführen möchte, daß man der Krankenschwester die Tuber¬
kulosefürsorge, der Hebaramenschwester die Mutter- und Säug¬
lingsfürsorge und außerdem, wenn die Gemeinden klein und die
Häuser weit auseinander liegen — noch die Alkoholfürsorge
und die Wohnungsfürsorge überträgt. Ob das möglich ist, ent¬
scheidet der betreffende Kreisarzt. Ganz energisch bestreite
ich, daß diejenigen Recht haben, die behaupten, aus Gründen
der Infektionsgefahr dürfe man die Wohnungsfürsorge der Heb¬
ammenschwester nicht übertragen, während eine „ Bezirksfür¬
sorgerin“ sowohl Tuberkulose- wie Wohnungs-, Säuglings- und
Kinderfürsorge ohne Bedenken soll ausüben können. Besonders
am Herzen liegt mir, daß auch die Alkoholfürsorge endlich auf
dem Lande und in kleinen Städten ausgeübt wird; in Hannover
habe ich auf unserer Tagung die Hebammenschwester unter
Umständen für geeignet dazu erklärt. Nachträglich finde ich,
daß der Zentralausschuß für Trinkerfürsorge in Baden 1916 in
„Neue Wege“ folgendes ausführt:
„Die organisierte Fürsorge in kleinen Städten nnd auf dem Lande kann
man nicht so regeln wie in größeren Städten; es wäre wohl ratsamer, (ver¬
schiedene andere Zweige der privaten Wohlfahrtspflege, wie Säuglingsschatz
und derartige, mit der Trinkerfürsorge zu vereinigen, weil sie doch in einzelnen
Fällen häufig in Frage käme."
Man kann u. a. sogar mit Recht sagen, daß in Trinker¬
familien fast regelmäßig andere Zweige der Fürsorgetätigkeit
in Frage kommen. Pastor Pfeiffer-Berlin führte auf der
Kriegstagung Deutscher Berufsvormünder in Leipzig aus, daß
nach dem Bürgerlichen Gesetzbuche ein Gemeindewaisenrat der
gegebene Rahmen sei, in den sich alle Fürsorge für Säuglinge,
Kleinkinder und - uneheliche Minderjährige einzufügen hat. Auf
dem Lande empfiehlt Pfeiffer die Ausbildung der Hebammen
zu dem Berufe von Pflegerinnen, die dem Waisenrat unter¬
stehen. Ob das möglich ist, mag der Kreisarzt entscheiden;
mir wiirs plausibel scheinen. Hoffen wir doch nicht auf
eine sog. Hebammenreforrn nach dem Kriege, wenn
wir nicht die Berufstätigkeit der Hebammen-
680 Dr. Rißmann: Ueber die Zentralisation der gesamten Fttrsorgebestrebnngen.
Schwestern vergrößern, namentlich in kleinen
Städten und auf dem Lande!
Ich komme schließlich noch auf eine andere Art der Geld¬
vergeudung auf dem Gebiete der Fürsorgebestrebungen, das ist
die ganz unnötig komplizierte Vor- und Ausbildung, die man
für „Fürsorgerinnen“ in der Theorie aufgestellt hat. Ich führe
das für ein Gebiet aus, wo ich mich als einigermaßen sachver¬
ständig betrachten darf. Eine tüchtige Hebammenschülerin
braucht heutzutage nicht noch in ein Säuglingsheim oder in
das Kaiserin Auguste Victoriahaus, um dort Säuglingsfürsorge
betreiben zu können. Aber man scheint von den Kinderärzten
die hohen Verdienste der deutschen Medizinalbeamten (Wegner,
Dörfler u. v. a.) nicht zu kennen oder ganz vergessen zu
haben. Haben diese Aerzte nicht mit schlecht vorgebil¬
deten Hebammen allein ganz Vorzügliches in der Säuglings¬
fürsorge geleistet?! Schickt man uns erst gescheitere Schüle¬
rinnen, verlängert man die Kurse auf ein Jahr, so mache ich
mich anheischig, die Schülerinnen für alle Fürsorgetätigkeiten
auszubilden, die für sie auf dem Lande oder in kleineren Städten
überhaupt in Frage kommen können. Die Kreisärzte mögen
das Programm dazu aufstellen! Ueberhaupt hat eine
wirklich tüchtige Hebammenschwester das beste
Fundament für alle Arten der Fürsorgetätigkeiten
und nicht die Säuglingsschwester, die von Mutter¬
fürsorge nichts versteht. Vor einer Reihe von Jahren
glaubte man in Preußen die Hebammenschwestern sogar in der
Krüppelfürsorge verwenden zu können. Ich kenne keinen Grund
dafür, daß das jetzt nicht möglich wäre, hauptsächlich deshalb
nicht, weil doch inzwischen die Ausbildungszeit auf 9 Monate
verlängert wurde.
Es liegt im Interesse des Volkswohles, daß wir nach
dem Kriege hygienische Fürsorge in größtem Stile treiben;
es sind auch die Bestrebungen zu billigen, die man heutzutage
gern mit dem Worte „Bevölkerungspolitik“ bezeichnet, aber
ohne die Kreisärzte schweben alle diese Bestrebungen in der
Luft. Die Kreisärzte mögen deshalb sorgen, daß bei diesen an
sich anerkennenswerten Bestrebungen nicht Geld und Menschen¬
kraft verschleudert und eine einseitige Politik verfolgt werden.
Nachtrag: Inzwischen hat Deneke-Magdeburg eine
kleine Schrift veröffentlicht: „Die Aerzte, Fürsorgeschwestern etc.
im Dienste des Säuglingsschutzes in der Provinz Sachsen.*
Also leider „nur“ im Dienste des Säuglingsschutzes! Wenn
damit wenigstens der Mutterschutz zu gleicher Zeit betrieben
würde! Wir Hebammenlehrer müssen diese Pläne schon des¬
halb ablehnen, weil wir in Hannover die These annahmen:
„Eine Unterstellung der Hebammen unter andere weibliche
Fürsorgepersonen darf nicht erfolgen.“ Eine ausführliche Kritik
der Schrift behalte ich mir für die hoffentlich am 1. Januar 191'
erscheinende „Beilage zur Medizinal-Beamten-Zeitung“ vor.
Bericht über die Versamml. der Vereinig, zur Förderung des Hebammenwesens. 681
Heute will ich nur stark bezweifeln, daß es in Preußen noch
viele Hebammenschulen gibt, die ihren Schülerinnen „nur Ge¬
legenheit geben, die Säuglinge in den ersten 2—3 Lebenswochen
zu beobachten.“
Aus Versammlungen und Vereinen.
Vorläufiger Bericht über die ausserordentliche
Versammlung der Vereinigung zur Forderung des
Hebammenwesens am 91. Oktober d. J. in Hannover.
Die außerordentliche Tagung war gut besucht; als Vertreter der Medi¬
zinalabteilung des Preußischen Ministeriums des Innern war Geh. Ob.-Med.-Rat
Dr. K r o h n e • Berlin, als Vertreter des Deutschen Medizinalbeamten Vereins
Geh. Med.-Rat Dr. Lange rh ans -Celle und als Vertreter des Geschäftsaus¬
schasses des Deutschen Aerztevereinsbundes Generalsekretär He r z au erschienen.
Der Hauptberatungsgegenstand der Sitzung bildete die Mitwirkung der Heb*
ammen in der Säuglingsfiirsorge. Den Teilnehmern waren die Leitsätze
der drei Berichterstatter: Kehr er-Dresden, Mann-Paderborn und Ri߬
mann-Osnabrück nebst Begründung schon vorher zugestellt; sie werden ebenso
wie ein ausführlicher Bericht über die Versammlung in der voraussichtlich am
1. Januar 1917 zu dieser Zeitschrift unter dem Titel „Hebammenwesen, Mutter¬
schutz und Säuglingspflege“ erscheinenden Sonderbeilage veröffentlicht werden.
Deshalb sollen jetzt hier nur die nach längerer Erörterung neuaufgestellten
und einstimmig angenommenen Leitsätze angeführt werden, für die auch die
Vertreter des Deutschen Medizinalbeamtenvereins und des Deutschen Aerzte-
vereinsbundes stimmten. Sie lauten:
„1. Die seit Jahren erstrebte Hebammenreform ist zurzeit noch dringender
notwendig, um nach dem Friedensschluß eine zweckmäßige Bevölkerungspolitik
in die Wege zu leiten.
Dazu bedarf es:
a) einer wirtschaftlichen Besserstellung der Hebammen;
b) einer besseren Vorbildung und sorgfältigeren Auswahl der Schülerinnen;
c) einer längeren und gründlicheren Ausbildung in den Hebammenschulen,
auch in der Säuglingsfürsorge durch geeignete Erweiterungen.
2. Die Hebamme ist berufen in der Säuglingsfürsorge mitzuwirken.
Eine Unterstellung der Hebammen unter andere weib¬
liche Fürsorgepersonen darf nicht erfolgen.“
Dr. Rißmann -Osnabrück.
III. Preußische Landeskonferenz für Sfluglingsschutz in
Berlin am Sonnabend, den 30. Oktober d. J.
Dil Landeskonferenz fand im Plenarsitzungssaal des Herrenhauses in
Berlin unter dem Vorsitz von Kabinettsrat Kammerherrn Dr. v. B e h r - Pinnow
und unter Beteiligung der Reichs- und Staatsbehörden, der Städte, zahlreicher
Organisationen und Einzelteilnehmer statt.
I. Vorschläge für ein Kreisfürsorgegesetz.
a. Der erste Berichterstatter, Kabinettsrat Dr. v. Behr-Pinnow, wies zu¬
nächst darauf hin, daß die Bestrebungen der sozialen Hygiene, namentlich auf dem
Gebiete der Mutter-, Säuglings- und Kleinkinderfiirsorge sowie der Tuberkulose¬
bekämpfung einen erheblichen Umfang gewonnen haben dank der Tätigkeit und des
gemeinsamen Arbeitens der Kommunen und Privaten sowie dank der Anregungen
und Hilfen der Staatsregierung. Eine umfassende Durchführung, die besonders
für die ländlichen Verhältnisse dringend nötig ist, läßt sich aber auf diesem
Wege nicht erreichen. Es treten vielfach stärkere Hinderungsgründe, Mangel an
Mitteln, weite Entfernungen u. a. in den Weg, so daß eine allgemeine Einführung
ohne staatlichen Zwang und staatliche Unterstützung nicht zu erhoffen ist. Darum
wird der Erlaß eines Kreisfttrsorgegesetzes vorgeschlagen, das die
Einrichtung eines Kreisfürsorgeamtes vorschreibt. Dieses Amt soll unter
Leitung eines Kreisfürsorgearztes stehen und nur sozialhygienische
682 I1L Preußische Landeskonferenz für Säuglingsschntz in Berlin.
Arbeiten betreiben, die private und sonstige Kräfte nicht ausfübren können.
Es soll anregen, zusammenfassen, beaufsichtigen und unterstützen. Neben den
obligatorischen Aufgaben der Säuglings- und Tuberkulosefürsorge ist noch
unbedingt die Wohnungsfrage zu betreiben. Für die Durchführung der sozial*
hygienischen Arbeiten ist die Ausbildung und Heranziehung von geeigneten
weiblichen Kräften von größter Bedeutung. Wir bedürfen der Kreisfür¬
sorgerinnen, die nicht örtliche Krankenpflege und ähnliche Aufgaben zu
übernehmen haben, sondern Gesundheitspflege treiben sollen, im negativen Sinne
Abwehr von Erkrankungen und sonstigen gesundheitlichen Schädigungen, im posi¬
tiven Sinne Anleitung zum vernunftgemäßen Leben in Ernährung und Körper¬
pflege, Bekleidung und Behausung usw. Zu solchen Stellungen werden nur
besonders geeignete Persönlichkeiten mit staatlichen Krankenpflegerinnenexamen
in einem mindestens einjährigen Kursus ausgebildet werden können. Wenn die
Fürsorgerinnen eine Zeitlang in der Praxis gearbeitet haben, werden besonders
Befähigte von ihnen zu einem weiteren Kursus zugelassen werden können, in
dem sogenannte Kreispflegerinnen ausgebildet werden, d. h. Persönlichkeiten,
die im Kreisfürsorgeamt unter dem Fürsorgearzt organisierend und namentlich
die Tätigkeit der Fürsorgerinnen kontrollierend und begutachtend wirken.
b» Der zweite Berichterstatter, Kreisarzt Med.-Rat Dr. Berger -Crefdd,
führte etwa folgendes aus: Die deutschen Säuglinge müssen als Teile des
deutschen Volks Verbundes in synthetischer Landesarbeit behandelt werden.
Richtige Säuglingsfürsorge wird gekennzeichnet durch Mütterberatungs¬
stellen und häusliche Fürsorge jeder Art. Leiter der Mütterberatungsstellen
müssen Aerzte sein, denen Fürsorgerinnen für Hausbesuche zur Seite stehen.
Alle weiteren Fürsorgemaßnahmen müssen sich nach Bedarf angliedern. Dahin
gehören Förderung des Stillens, Milchküchen, Verbesserung des Hebammen¬
wesens, Fürsorge für Schwangere, Mütter, Wöchnerinnen. Unsere Arbeit hat
sich.weiter auf das heranwachsende weibliche Geschlecht zu erstrecken. Die
Fürsorge fürdiegefährdeten, Zieh - und unehelichenKinder ist
einheitlich zu regeln. Für gesundheitlich gefährdete und kranke Kinder sind
besonders Einrichtungen notwendig. Durch gesundheitliche Schulung wird die
Mitarbeit des ganzen Volkes erreicht. In der Fürsorge für kleine Kinder hat
die Säuglingsfürsorge ihre Fortsetzung zu finden. Die gesamten Bestrebungen
sind kreisweise zusammenzufassen in einem Kreisfürsorgeamt, an dessen
Spitze der Landrat steht. Die gesamte Fürsorge liegt am zweckmäßigsten in
der Hand des Kreiskommunalarztes, unter dem die Fürsorgerinnen
arbeiten; ihm muß außerdem noch die Tuberkulosebekämpfung obliegen. Die
Anstellung eines Kreiskommunalarztes ist in jedem Kreise durchführbar. Die
Zusammenfassung der Säuglingss- und Kleinkinderfürsorge und weiter der
Tuberkulosenfürsorge in dem Kreisfürsorgeamt ist notwendig, weil so allein
von einem Mittelpunkt aus ersprießlich gearbeitet werden kann. Dem Fürsorge¬
amt, das möglichst zu einem Wohlfahrtsamt zu erweitern ist, liegt die fort¬
laufende Fürsorge für alle Altersklassen ob.
II» Die Organisation der SäuglingsfDrsorge in einer Provinz»
a. Der erste Berichterstatter, Oberpräsidialrat Breyer- Magdeburg,
schildert die Fürsorgeorganisation in der Provinz Sachsen. Die
„Uauptstellc für Säuglingsschutz in Magdeburg wurde im Jahre 1910 ge¬
gründet; sie sollte an Stelle der bisherigen vereinzelten privaten Fürsorge eine
allgemeine und organisierte Bekämpfung der erschreckend zunehmenden Säug¬
lingssterblichkeit setzen. Die llauptstelle brachte es schon im ersten Jahre
aut annähernd 1000 Mitglieder mit über 11000 Jahresbeiträgen und erhielt
auch sonst ansehnliche Zuwendungen. Ihre Tätigkeit erstrebte vor allem Auf¬
klärung über die Notwendigkeit intensiver Säuglingsfürsorge durch Veröffent¬
lichung von geeigneten Schriften und Flngblättern, durch Versammlungen.
Vorträge und eine Wanderausstellung, ferner Belehrung der Mütter; Förde¬
rung des Selbststillens, Anregung von behördlichen Maßnahmen, Rege¬
lung des Verhältnisses zu den Aerzten der Provinz und Beschaffung von Pflege-
personen.
Nicht minder wichtig war die Organisationsarbeit der Hauptstelle :
Einrichtung von Krcisstellcn in allen Kreisen und von Ortsstellen in allen
Städten über lOOuO Seelen unter möglichster Eingliederung vorhandener Orga-
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
683
nisationen. Träger der Organisation sind die Kreise oder Städte selbst oder
besonders geschaffene Vereine, bezw. bereits bestehende. Den Mittelpunkt der
Tätigkeit bilden in allen Fällen der Landrat oder Bürgermeister mit dem
Kreisarzt, einigen anderen Aerzten, einem Geistlichen, Standesbeamten, einer
Hebamme und geeigneten Frauen. Unter den Kreisstellen steben auf dem
Lande und in den kleinen Städten Ortsstellen. Die Kosten tragen außer der
Hauptstelle die Kommunen und Vereine. Von den 70 Landkreisen und Städten
über 10000 Seelen haben bereits 66 Säuglingspflegeeinrichtungen irgendwelcher
Art. Trotzdem muß nach dem Kriege viel schneller und kräftiger organisiert
werden, und zwar mit gesetzlichem Zwang. Es bedarf eines amtlichen Büros,
eines gesetzlichen Rahmens und einer festen finanziellen Grundlage. Die Stadt-
und Landkreise sind die gegebenen Träger; die Exemtion der kreisangehörigen
Städte über 10 000 Einwohner kommt sehr in Frage. Die Säuglingspflege muß
künftig die erste und wichtigste Abteilung des zu gründenden Kreis- oder
Stadt-Wohlfahrts- oder Fürsorgeamtes sein; weitere Abteilungen für andere
Fürsorgezweige wären anzugliedern.
b. Den gleichen Gegenstand, insbesondere »die ärztliche und
pflegerische Organisation in der Provinz Sachsen" behandelte
Reg.- und Geh. Med.- Rat Dr. Denecke - Magdeburg. Bei der Hauptstelle für
Säuglingsschutz besteht satzungsgemäß eine dreigliedrige Aerztekommission,
die die gesundheitlichen Schutzmaßregeln anregt und prüft, die in Versamm¬
lungen und Vereinen aufklärende Vorträge hält und bei geplanten Neueinrich¬
tungen sachverständigen Rat erteilt, wenn nötig nach Entsendung an Ort und
Stelle. Im Vorstand der Kreis- und Ortsstellen ist immer der Kreisarzt
und mindestens ein Arzt ehrenamtlich vertreten. Der Leiter der Säug¬
lingsfürsorgestelle ist ein vom Kreis oder von der Gemeinde vertraglich
gegen Entgelt verpflichteter Arzt. Erkrankte Säuglinge werden von der Für¬
sorgestelle unmittelbar einem Arzt überwiesen. Die pflegerische Organisation
setzt ein mit der Beratung in den Fürsorgestellen. Die Fürsorgeschwestern
mit zweijähriger Ausbildung überwachen das Gedeihen der vorgestellten Säug-
linge durch Hausbesuche; sie erhalten außerdem einen Fürsorgebezirk, halten
aufklärende Wandervorträge und beaufsichtigen die Säuglingsfürsorgerinnen.
Ein Teil der Hebammen erhält in den Gemeinden der Landkreise kleine
Fürsorgebezirke als Säuglingsfürsorgerinnen im Nebenamt; sie erhalten dafür
ein Entgelt, ebenso wie die übrigen Hebammen, die die Stillkontrolle in der
bisherigen Weise durch Förderung des Selbststillens und der Verlängerung der
Stilldauer ausüben. Für die nicht von Hebammen versorgten Bezirke werden
gut vorgebildete Säuglingsfürsorgerinnen im Hauptamt angestellt. Nach dem
Kriege soll die Wöcnnerinnenpflege in die Organisation eingegliedert werden.
Dr. Rott-Berlin.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
A. Gerichtliche Hedisln.
Die Frage der Zulässigkeit der Unterbrechung der Schwangerschaft
vom Standpunkte der ärztlichen Wissenschaft nnd Berufsehre. Verhand¬
lungen der erweiterten Wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen
vom 13. und 14. März d. J. Veröffentlichungon aus dem Gebiete der Medizinal¬
verwaltung. Verlag von Richard Schoetz in Berlin. 1916. V. B., 8. H.
Preis: 3 Mark.
Die Notwendigkeit, die vorstehende Frage einer eingehenden Erörterung
in der erweiterten Wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen zu
unterziehen, wird von der Zentralinstanz durch die nachstehende, den Einzel¬
berichten vorangestellte Vorbemerkung wie folgt begründet:
„Bei Prüfung der Ursachen des zunehmenden Geburtenrückganges hat
sich unter anderem ergeben, daß die seit Jahren zu beobachtende Häufung von
Abtreibungen der Leibesfrucht einen nicht geringen Anteil an der bedrohlichen
Verminderung unserer Geburtenziffern hat. Anläßlich der hierüber angestellten
besonderen Erhebungen ist die Begleiterscheinung zutage getreten, daß die
Zahl der von Aerzten vorgenommenen Unterbrechungen einer Schwangerschaft
einen Umfang angenommen hat, der zu ernsten Bedenken Anlaß gibt. Ab¬
gesehen -von mehr vereinzelten Fällen, in denen Aerzte derartige Schwanger-
684 Kleinere Mitteilungen and Beferate ans Zeitschriften.
sch&ftsanterbrechnngen aas verwerflichen, unter die Bestimmungen des Straf¬
gesetzbaches fallenden Motiven oder infolge einer zu weitgehenden Nach¬
giebigkeit gegenüber dem Ansinnen unverständiger schwangerer Personen vor¬
nehmen, scheint hierbei in der Hauptsache der Umstand maßgebend zu sein,
daß sich seit Jahren im Aerzte9tande eine gewisse Umwertung und Ver¬
schiebung der früher in der ärztlichen Wissenschaft und Praxis geltenden An¬
schauungen über die Zulässigkeit der Unterbrechung einer Schwangerschaft
entwickelt hat.
Es scheint daher vom Standpunkte des StaatswohleB, wie von dem der
Interessen des Aerztestandes dringend notwendig, die Frage eingehend zu
prüfen, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Arzt berechtigt ist, eine
bestehende Schwangerschaft zu unterbrechen.“
Von den drei bestellten Berichterstattern führte der erste, Geh. San.-Rat
Dr. Bar lach- Ncumünster, aus, daß die Zahl der durch Aerzte bewirkte
Unterbrechungen zwar gegenüber den anderweitig durch Kurpfuscher, Freunde
der Schwangeren usw. verschwindend gering sei, in den letzten Jahren aber so
zagenommen habe, daß sie zu Bedenken Veranlassung geben müsse. Diese
Zunahme sei auf eine wesentliche Erweiterung der medizinischen Indikation
und der erst neuerdings hinzugetretenen sozialen Indikation, sowie auf eine
Verbindung beider znrückzuführen. Während früher die Grenzen der medi¬
zinischen Indikation sehr eng gezogen waren und eine erhebliche
gegenwärtige Gefahr für die Mutter verlangten, wird jetzt nicht bloß die
gegenwärtige, sondern auch die kommende Gefahr als berechtigte Indicatio
anerkannt, vorausgesetzt, daß die Gefahr eine schwere und sicher zu erwartende
ist. Der Grundsatz, daß große Gefahr für Leben und Gesundheit der Mutter
bestehen muß oder mit Sicherheit zu erwarten. ist, gilt zwar auch für die
erweitertelndikation; in welchen Fällen aber eine 8chwangerschaf tsuoter-
brechung angezeigt ist, welche Krankheiten usw. sie bedingen, darüber bestehen
bei dem heutigen Stande der medizinischen Wissenschaft große Meinungsver¬
schiedenheiten und werden auch immer weiter bestehen, da sich in dieser
Hinsicht feste Regeln nicht aufstellen lassen. Um so mehr ist bei Stellung
der Indikation von seiten des betreffenden Arztes die größte Vorsicht nötig
und deshalb auch sowohl vom wissenschaftlichen Standpunkte aus, als mit
Rücksicht auf die Bernfsehre des Arztes ein Konsilium von zwei Aersten
geboten, über dessen Ergebnis eine Verhandlung aufgenommen werden
muß, die entweder dem Vorsitzenden der zuständigen Aerztekammer oder
dem Kreisarzt zur Aufbewahrung einzusenden ist. Die erst neuerdings in
Erscheinung getretene soziale Indikation der Schwangerschaftsunter¬
brechungen hat wesentlich dazu beigetragen, daß Fruchtabtreibungea
milder nicht bloß in Laien-, sondern auch in juristischen und medizinischen
Kreisen beurteilt und nicht mehr als Verbrechen, sondern höchstens als kleines
Vergehen angesehen werden, bei dem man sich nicht abfassen lassen dürfe. Mit
Recht betont der Berichterstatter, obwohl er selbst zu Milde geneigt ist, daß
vom Standpunkte der ärztlichen Wissenschaft und der ärztlichen Bernfsehre
jede derartige Indikation für ebenso unzulässig angesehen werden müsse, als
nach dem jetzigen Rechtsstand punkte. Daselbe gilt nach seiner Ansicht von
dem der immer mehr sich verbreitenden kombinierten medizinisch¬
sozialen Indikation, in der eine große Gefahr sowohl für den 8taat and
die Familie, als für die Aerzteschaft liegt. Auch eine ougenische Indi¬
kation kann Berichterstatter nicht anerkennen. Die Forderung, Schwanger¬
schaften infolge von Notzucht künstlich unterbrechen zu dürfen, entspreche
zwar einen schönen menschlichen Mitgefühl, habe aber mit Wissenschaft als
Indikation nichts zu schaffen und sei auch vom Standpunkte der Bernfsehre so
lange unzulässig, als sie der Staat nicht erlaubt habe.
Der zweite Berichterstatter, Geh. Med.-Rat Prof. I>r. E. Bumm - Berlin,
betonte zunächst, daß das Recht des Arztes zur Schwangerschaftsunterbrechung
unbestritten und auch von der Rechtsprechung anerkannt sei, vorausgesetzt,
daß eine solche zur Rettung der Matter aus Lebensgefahr oder zu ihrem
Schutze gegen schwere Gesundheitsschädigung vorgenoramen werde. Dieses
Recht beruhe nicht auf gesetzliche Bestimmungen, sondern auf dem Berufs¬
recht, das dem Arzt die Befugnis gibt, sich in seiner Berufstätigkeit aller
wissenschaftlich anerkannten Mittel und Eingriffe zu bedienen. Die Fälle, wo
Keinere Mitteilangen and Beler&te non Zeitschriften.
685
eine solche Lebensgefahr für die Mutter vorliegt, sind jedoch selten, viel
häufiger dagegen diejenigen, wo es sich um Erkrankungen der Mutter
handelt, die durch die Schwangerschaft veranlaßt oder von ihr ungünstig be¬
einflußt werden und bei denen iie Einleitung des Abortus Heilung oder Besse¬
rung verspricht. Die Schwangerschaftsunterbrechung ist aber nur dann be¬
rechtigt, wenn es zum Schutz gegen schwere Gesundheitschädigung an¬
gezeigt ist und nicht zur Beseitigung von Beschwerden, die mehr oder weniger
bei jeder Schwangerschaft bestehen. Ausgeschlossen müssen die sogenannten
sozialen und rassehygienischen Indikationen bleiben; auch die
Bechtsprechung läßt nur eine Unterbrechung der Schwangerschaft aus medizini¬
schen Gründen zu. Daß im Laufe des letzten Jahrganges die Schwangerschafts¬
unterbrechungen eine wesentliche Zunahme erfahren haben und sich bei den
Aerzten eine größere Neigung zu ihrer Vornahme auch bei nicht drohender
schwerer Gesundheitsschädigung geltend gemacht hat, unterliegt nach An¬
sicht des Berichterstatters keinem Zweifel; in der Berliner Universitäts-Frauen¬
klinik hat sich z. B. die Zahl der Aborte im Vergleich zu der der Geburten
verdoppelt und ist von 10 auf 20 °/ 0 gestiegen, so daß von & Schwangerschaften
eine mit Abortus endigt, also auf 4 normale Geburten 1 Abortus fällt, ln
kleineren Städten und auf dem Lande dürfte sich allerdings diese Verhältnis¬
ziffer günstiger stellen, immerhin wird auch hier mit einer Zunahme der Aborte
zu rechnen und deshalb die Annahme von 15 °/o für das ganze Beich, d. h. auf jede
6. Geburt eine Fehlgeburt, nicht zu hoch gegriffen sein; für 1918 würden sich
danach bei 1900000 Geburten rund 30U 000 Fehlgeburten ergeben. Von diesen
Fehlgeburten sind nach dem Ergebnis der Nachforschungen, die Berichterstatter
bei den die Universitätsklinik wegen Abortus aufsuchenden Frauen angestellt
hat, etwa zwei Drittel künstlich herbeigeführt (für Berlin 89%)- Inwieweit
die Aerzte an der Vornahme von Schwangerschaftsunterbrechungen beteiligt
sind, ist schwer festznstellen; ihre Beteiligung ist aber jedenfalls gering im Ver¬
hältnis zu der ungeheueren Zahl der von den Frauen selbst, von berufsmäßigen
Abtreiberinnen und Hebammen bewirkten. Immerhin zeigen die Erfahrungen an
der Berliner Frauenklinik, daß es manche Aerzte mit der Indikation znm Abortus
wenig ernst nehmen, denn bei 202 von Oktober 1910 bis Ende 1915 dieser Klinik
von Aerzten behufs Einleitung einer künstlichen Fehlgeburt zugeschickten
Schwangeren mußte diese 143 mal, also in fast 75 */• der Fälle als nicht er¬
forderlich abgelehnt werden. Es ergibt sich daraus die Notwendigkeit einer
Kontrolle über die ärztliche Vornahme des künstlichen
Abortes, die nach Berichterstatters Ansicht am sichersten durch die gesetz¬
liche Einführung der Anzeigepflicht für jeden derartigen ärztlichen Ein¬
griff erreicht wird; für dte Anzeige müßte ein bestimmtes Formular vor¬
geschrieben werden. Berichterstatter verspricht sich von dieser Maßnahme
mehr Erfolg als von der Forderung eines ärztlichen Konsiliums in jedem Einzel¬
falle ; denn zwei gleichgestimmte Seelen würden sich immer finden.
Der dritte Berichterstatter, Geh. Ob.-Med.-Bat Dr. K r o h n e - Berlin, teilt
mit, daß sich nach dem Ergebnis der von der Zentralinstanz im Jahre 1913
veranlaßten Bandfrage über den Umfang und Ursachen des Geburtenrückganges
und über die Zanahme der Fehlgeburten deutlich eine solche Zunahme erkennen
läßt; danach treten nicht nur zahlreiche Frauen in steigendem Maße an Aerzte
mit dem Ansinnen heran, eine vorzeitige Unterbrechung ihrer Schwangerschaft
vorzunehmen, sondern auch die Neigung der Aerzte, solchen Wünschen ohne
zwingenden Grund stattzngeben, hat in erheblichem Grade zngenommen. Die
Ansicht der Aerzte über die Frage, unter welchen Umständen eine Schwanger¬
schaftsunterbrechung angezeigt sei, bat eben eine bedenkliche Wandlung
erfahren, wie sich auch aus dem ausgedehnten Schriftwechsel ergibt, den
Berichterstatter über diesen wichtigen Gegenstand mit zahlreichen Professoren
der Frauenheilkunde usw. geführt hat und den er auszugsweise mitteilt. Die
Abtreibung oder Tötung der Frucht einer Schwangeren ist in den §§ 218—220
Str. G. B. unter schwere Strafe gestellt, die sowohl durch sittlich-religiöse
Erwägungen, als durch die Forderung der Selbsterhaltung des Staates
wohl begründet ist. Im öffentlichen Interesse ist es geboten, nicht allein die
geborenen Kinder, sondern auch die gezeugten menschlichen Früchte tunlichst
zu schützen; deshalb hat der Staat auch das Becht bei dieser Frage, die nicht
bloß die Interessen der Schwangeren betrifft, entscheidend mitzusprechen und
686
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
ihre Beurteilung weder dem Arzte, noch den Beteiligten zu überlassen. Nur
wenn es sich um Beseitigung eines Notstandes, also um Rettung aus einer
f egenwär tigen Gefahr für Leib und Leben handelt, ist nach § 51
es Str.G.B. eine Ausnahme zulässig; in dieser engen Begrenzung steht
demnach auch den Aerzten das Recht zur Unterbrechung der Schwangerschaft
zu. Diese Lebensgefahr muß aber so beschaffen sein, daß sie überhaupt nnr
durch das Mittel der Schwangerschaftsunterbrechung beseitigt werden kann
und alle hier noch in Frage kommenden Behandlungsmethoden bereits erschöpft
sind. Es muß sich auch um eine schon bestehende bezw. unvermeidliche
Lebens- oder Gesundheitsgefahr handeln und nicht um die bloße Möglichkeit
einer solchen. Jede andere Indikation verstößt nicht nur gegen die bisher
geltenden Lehren der Wissenschaft und der Berufsehre, sondern auch gegen
das Gesetz. Soziale und rassenhygienische Indikation zur
Schwangerschaftsunterbrechung kennt weder die geltende Rechtsauffassuog noch
die medizinische Wissenschaft; sie sind auch vom Standpunkt des Volkswohls
aus zu verwerfen. Sie bedeuten als Beweggrund für die Einleitung von Fehl¬
geburten eine der schlimmsten Verirrungen in der Auffassung ärztlicher Rechte
und Pflichten, die geeignet ist, die Kunst und die heiligen Aufgaben des
Aerztestandes zum Handwerk des gewerbsmäßigen Abtreibers herabzuwürdigen.
Die engen Grenzen, die die ärztliche Wissenschaft früher für die Indikation
der Schwangerschaftsunterbrechung gezogen hatte und die leider unter dem
Einfluß mißverstandener, moderner Humanitätsbegriffe bedenklich zu wanken
beginnen, müssen wieder gefestigt werden. Es bedarf der Beobachtung' pein¬
lichster Gewissenhaftigkeit des Arztes auf diesem Gebiete, zu deren Einhaltung
Kr oh ne ebenso wie der erste Berichterstatter ein Konsilium empfiehlt, deren
Ergebnis in einer wenigstens 10 Jahre aufzubewahrenden Niederschrift festzu¬
legen sei. Als zweiter Arzt sollte grundsätzlich ein besonders vertrauens¬
würdiger Arzt (Direktor eines großen Krankenhauses, Universitätsprofessor,
Mitglied der Aerztekammer, beamteter Arzt usw.) zugezogen werden.
Auf Grund der vorstehenden Berichte und der sich anschließenden
Aussprache einigte sich die erweiterte Wissenschaftliche Deputation für
das Medizinal wesen auf nachstehende Leitsätze:
„1. Der Arzt darf nur aus medizinischen Indikationen die Schwanger¬
schaft unterbrechen. Die Indikation darf nur dann als vorliegend erachtet
werden, wenn bei der betreffenden Person infolge einer bereits bestehenden
Erkrankung eine als unvermeidlich erwiesene schwerste Gefahr für Leben und
Gesundheit vorhanden ist, die durch kein anderes Mittel als durch Unter¬
brechung der Schwangerschaft abgewendet werden kann.
2. Der Arzt ist nicht berechtigt, die Unterbrechung aus sozialen oder
rassebygienischen Gründen vorzunehmen. Er würde durch eine solche Hand¬
lung einen Verstoß gegen das Strafgesetzbuch begehen.
3. Es empfiehlt sich, eine Schwangerschaftsunterbrechung nur auf Grund
einer Beratung mehrerer Aerzte vorzunehmen.
4. Für die durch Aerzte vorgenommenc Unterbrechung der Schwanger¬
schaft ist die Anzeigepflicht einzuführen. 11
B. Saohveratändlgentätigkeit in Unfall- und InvalidltAta- and
KrankenvsrsloberungiMohra.
Somatische Behandlung bei Unfallnenrosen. Von Dr. Engelen,
Leiter des psychologischen Laboratoriums am Marienhospital in Düsseldorf.
Aerztliche Sachverständigen-Zeitung; 1916, Nr. 17.
Die somatische Behandlung der UnfallneuroBen hält Engelen für ganz
unbedenklich, ja zur Unterstützung der psychischen Beeinflussung für nützlich.
Immerhin ist nur eine geringe Anzahl der an traumatischen Neurosen Er¬
krankten einer somatischen Behandlung bedürftig.
Ausgeklügelte Diätvorschriften sind entbehrlich. Sehr wertvolle Dienste
leistet die Elektrotherapie. Die Hydrotherapie verdient fast in jedem Fall
Berücksichtigung. Auch Luftbäder sorgen wie letztere für die Abhärtung, die
meist bei Nenrasthenikern notwendig ist. Großer Wert ist auf gymnastische
Uebungen, namentlich Erziehung zu straffer Körperhaltung zu legen. Suggestive
Wirkungen verbinden sich mit allen somatischen Bebandlungsmaßnabmen, oster
denen die arzneiliche Therapie gegenüber physikalischen und diätetisches
Kleiner« Mitteilangen and Referate aas Zeitschriften.
687
erheblich zariicktritt. Alkoholenthaitsamkeit fordert E n g e 1 e n nur * bei
Intoleranz, während er sonst einen mäßigen Genuß leichter alkoholischer
Getränke für zulässig, ja für zweckmäßig hält.
Dr. 8 o 1 b r i g - Königsberg i. Pr.
Psychologische Laboratorien zur Erforschung der Unfallneurosen.
Von Dr. En ge len-Düsseldorf. Aerztliche Sachverständigen-Zeitung; 1916,
Nr. 19.
Am Marienhospital in Düsseldorf wurde ein psychologisches Laboratorium
zu Forschungen über die Kriegsunfallneurosen mit Genehmigung der Militär¬
behörde eingerichtet. Bisher Bind bereits über S00 Fälle zur Untersuchung
gekommen. Unter anderem werden hierbei objektive Merkmale über Atmung,
Puls, Blutdruckveränderungen usw. durch Kurvenzeichnungen festgestellt, der
Ablauf geistiger Vorgänge durch das Assoziationsexperiment, die Prüfang des
Gedächtnisses und die Erprobung der Aufmerksamkeit nach bestimmten
Methoden erforscht.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß solche psychologischen
Laboratorien für die Praxis von größter Bedeutung werden können, während
sie zugleich der wissenschaftlichen Psychologie von Nutzen sind.
Dr. Solbrig -Königsberg i. Pr.
Arteriosklerose und Unfall. Von Oberarzt Dr. P. H o r n - Bonn. Aerzt¬
liche Sachverständigen-Zeitung; 1916, Nr. 18 und 19.
Das für den Gutachter in Unfallsachen außerordentlich wichtige, zugleich
aber komplizierte Thema des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Unfall
und Arteriosklerose wird hier auf Grund einer reichen Literatur der neueren
Zeit (am Schluß angeführt) und eigener Erfahrungen ausführlicher besprochen.
Das Ergebnis wird folgendermaßen zusammengefaßt:
1. Die Arteriosklerose ist die Resultante aus einem Komplex verschieden¬
artiger Bedingungen. Sie stellt eine mit vorschreitendem Alter zunehmende
Abnutzungserscheinung dar, deren Entwicklung begünstigt wird in der
Hauptsache durch trophisch-toxisch-infektiöse, in geringerem Grade auch durch
mechanische Schädlichkeiten. Bei der Unfallbegutachtung sind Schädlichkeiten
direkter und indirekter Natur zu unterscheiden.
2. Unter den direkten Schädlichkeiten sind hervorzuheben: a) mechanische
(z. B. Schädelbasisbrüche mit folgender lokalisierter Gehirnarteriosklerose,
ßrustkorbquetschung mit Aneurysma oder Koronarsklerose, lokale Kontusion
mit umschriebener peripherer Arteriosklerose), b) chemische, speziell toxische
und bakterielle Einwirkungen (Gaseinatmung, schwere Verbrennung, post¬
traumatische Infektionen).
3. Unter den indirekten Schädlichkeiten kommen vor allem in Be¬
tracht: a) Gewalteinwirkungen mit plötzlicher starker Blutdruckerhöhung
(Heben schwerer Lasten, starke Durchnässung oder Ueberhitzung, schroffer
Wechsel der Temperatur und Gaseinatmung), b) psychisch-nervöse Einflüsse
mit dauernder funktioneller Gefäßüberlastung.
4. Die Gewalteinwirkungen mit plötzlicher starker Blutdruckerhöhung
führen meist nur zur Auslösung lokaler Folgeerscheinungen bei schon erkrankten
Gefäßen (z. B. Apoplexie), nicht zu traumatisch bedingter progredienter Ver¬
schlimmerung der Arteriosklerose als solcher — ein unfallrechtlich wichtiger
Unterschied.
5. Indirekt, speziell durch psychisch-nervöse Einflüsse (Unfallneurosen)
bedingte Schlagaderverhärtung kommt ebenso wie Arteriosklerose nach direkten
Schädlichkeiten als entschädigungspflichtige Unfallfolge nur selten in Betracht.
Für einen Unfallzusammenhang sprechen im ersteren Falle jugendliches Alter,
rasche Entwicklung und Nachweis ständiger funktioneller Gefäßüberlastung
bei Ausschluß sonstiger Schädlichkeiten.
6. Zur einmaligen Kapitalabfindung geeignet erscheinen nur
solche Fälle von traumatisch bedingter Arteriosklerose, die keine Tendenz zur
Verschlimmerung zeigen. Bei Fällen mit zweifelhafter Prognose (Gehirn-,
Koronar-, fortschreitender allgemeiner Arteriosklerose) ist stets Renten¬
gewährung am Platze.
7. Eine nicht traumatische Arteriosklerose pflegt auf anderweitige Unfall-
688 Kleinere Mitteilungen und Beferate aus Zeitschriften.
folgen oft heilungshemmend za wirken, vor allem dann, wenn sie selbst mit
schwerwiegenden Erscheinungen (starker Blutdruckerhöhung, Myodegeneratio,
Schrumpfniere) einhergeht; insbesondere hat bei Kopftraumen komplizierende
Arteriosklerose stärkeren Grades vielfach einen schädlichen Einfluß, kann auch
selbst durch das Trauma ausgelöst oder verschlimmert werden.
8. Die Erwerbsbeschränkung bei Arteriosklerose schwankt in weitesten
Grenzen. Berücksichtigung der Arbeitsauskänfte ist zu empfehlen.
Dr. Solbrig-Königsberg i. Pr.
Zur ärztlichen Sachverständigentätigkeit in Krankenkassen-Ange-
legenheiten. Von Geh. Med.-Bat Dr. L. Becker. Aerztliche Sachver-
ständigen-Zeitung; 1916, Nr. 16.
Verfasser macht darauf aufmerksam, daß die Krankenkassengesetzgebung
von dem Sachverständigen die Kenntnis mancher gesetzlicher Bestimmungen
fordere. Das gilt besonders auch von den Bestimmungen, die die Frage
betreffen, ob es sich in einem vorliegenden Krankheitsfall um die Fortsetzung
einer alten Krankheit oder um eine neue Krankheit, einen „neuen Versicherungs¬
fall" handelt. Die hier in Betracht kommenden gesetzlichen Bestimmungen
sind in den §§ 188, 1518, 1519, 1532, 214, 176, 810, 605, 511 der Beichsver-
sicherungsordnung enthalten; sich mit ihnen bekannt zu machen, ist für den
als Sachverständigen zugezogenen Arzt nützlich. Die Schwierigkeiten, die sich
ergeben, erläutert Verfasser und führt einen praktischen Fall an, bei dem die
Wasser mannsche Beaktion den Ausschlag für das versicherungsrechtliche
Verhältnis eines Kranken gab. Dr. Solbrig-Königsberg i. Pr.
Angebliches Verschweigen früherer Erkrankungen bei Abschluß
einer Lebensversicherung. Urteil des Beichsgericts (VII. Z.-S.) vom
6. Oktober 1916.
Der Landwirt K. war bei der Bayerischen Versicherungsbank mit
10000 Mark für den Todesfall versichert Er starb am 10. September 1914
an Darmverengerung. Die Bank erklärte ihren Bücktritt vom Vertrage, da
K bei Ausfüllung des Fragebogens falsche Angaben gemacht und verschwiegen
habe, daß er an Darmerkrankung behandelt worden sei. Die Witwe trat den
Anspruch an einen gewissen J. ab und dieser klagte gegen die Bank auf
Zahlung. Das Landgericht gab der Klage statt, die Berufung des Beklagten
wurde vom Oberlandesgericht Braunschweig aus folgenden Gründen
zurückge wiesen:
Dem Versicherten wird zur Last gelegt, daß er die Frage 7d: „Haben
Sie gelitten oder leiden Sie noch an Krankheiten der Verdauungsorgane, länger
dauernden Darmstörnngen etc P" mit „nein" beantwortet habe. Allein es steht
nicht fest, daß die Beantwortung unrichtig war. Allerdings ist K. im Dezember
1910 von Dr. H. an Darmverschluß behandelt worden; dann hat er nach
Aussage seiner Frau ab und zu, mit längeren Unterbrechungen, über den
Magen geklagt und einen anderen Arzt, Dr. B., zu Bäte gezogen. Dieser
hat ihm gesagt, es handele sich um kein gleichgültiges Leiden, da es klinische
Behandlung erfordere. Am anderen Tage habe K. sich aber wesentlich besser
befunden und es nicht für nötig gehalten, sich in die Klinik aufnehmen zu
lassen. Hiernach sind also die Verdauungsstörungen nur vorübergehender
Natur gewesen; den Beweis des Gegenteils hat die Beklagte nickt erbracht.
Es ist weiter nicht erwiesen, daß dem Versicherten das Vorhandensein der
Darmverengerung bekannt war, wobei von dem Sprachgebrauch des täglichen
Lebens, nicht von dem der medizinischen Wissenschaft bei Beantwortung der
Frage anszugehen ist, ob von dem Versicherten das Vorliegen einer solchen
Krankheit subjektiv angenommen werden mußte. Dr. H. hat dem K. bei der
ersten Behandlung nicht gesagt, daß ein gefährliches Leiden in Frage stehe,
um ihn nicht zu ängstigen. Erst Dr. B. sprach von einer nicht leicht zu
nehmenden Erkrankung. Wenn nun der Versicherte am anderen Tage sich
wesentlich besser fühlte und der Anstaltsbehandlung entraten zu können glaubte,
so ist ihm dies unwiderlegt geblieben, zumal er Bich in seiner Auffassung
noch bestärkt fühlen mußte, da Dr. H., den er einige Wochen später nochmals
konsultierte, sich dahin ausspracb, er leide nur an einer leichten Erkrankung.
K. mag die Beschwerden, wie sie sich bei jedem erwachsenen Menschen einmal
Besprechungen.
689
zeigen, für vorübergehend gehalten haben, ohne an eine schwere Erkrankung,
die zum Tode führen könnte, zu denken. Außerdem hat der Vertrauensarzt
der Bank bezeugt, daß, als K. sich vorstellte, dieser einen kräftigsn, gut
ernährten Körper und gesunde Gesichtsfarbe gehabt, wie überhaupt den.Ein¬
druck eines gesunden Mannes gemacht habe. Demnach durfte K. auch die
Frage 7 d so beantworten, wie er es getan hat. Dem Vertrauensarzt hat er
die Tatsache, daß er wegen Magenbeschwerden ärztlich behandelt worden
war — und dies fällt ins Gewicht —, nicht etwa verschwiegen. Dieser hat
diese Angaben für so unbedeutend gehalten, daß er ihre Erwähnung in der
Deklaration nicht für nötig hielt. Daß muß den Antragsteller entlasten, denn'
er hat sich nur der sachkundigen Belehrung gefügt. War aber die Beantwortung
der Frage 7 d nicht zu beanstanden, dann auch nicht die Beantwortung der
Frage: „Ist Verdauung und Stuhlgang in Ordnung?" mit Ja" und der anderen
Frage: „Sind irgend welche Folgen von einer Gesundheitsstörung zurück¬
geblieben?" mit „nein". Ebenso konnte K. die Frage: „Wie ist ihr gegen¬
wärtiger Gesundheitszustand?' mit „gut“ erledigen. Der Versicherte hat keine
ihm bekannten Umstände verschwiegen, die für die Uebernahme der Gefahr
erheblich waren; auch hat er keine falschen Angaben gemacht Die Beklagte
kann also vom Vertrage nicht zurücktreten. Die von der Beklagten eingelegte
Revision wurde vom Reichsgericht als unbegründet zurückgewiesen.
(Sächsische Korrespondenz; Nachdruck nur mit deren Genehmigung gestattet.)
Besprechungen.
Dr. Karl Walbel: Leitfaden für die Nachprüfungen der Hebammen.
Sechste Auflage. Mit 8 Tafeln. Wiesbuden 1916. Verlag von J. F. Berg¬
mann. Gr. 8°, 116 S. Preis: 2,26 M.
Die sechste Auflage dieses trefflichen Büchleins ist erschienen. Sie zeigt
vielfach Verbesserungen; ein reichhaltiges Register erleichtert das Aufsnchen.
Körperlehre, Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett, Pflege des Kindes sind der
sachliche Inhalt. Wie alle früheren Auflagen ist auch diese katechetisch ge¬
halten; aber nicht in Form des Frage- und Antwortspiels, sondern die Ant¬
wort erhebt sich vielfach zu einer gedrungenen, aber vollinbaltlichen Abhand¬
lung. Die innere Untersuchung ist dem Kapitel über die Geburt eingereiht
worden, wohin sie auch gehört. — Ergänzt sind die Abschnitte der Augen¬
entzündungen Neugeborener und die Verhütung des Wochenbettfiebers. — Das
Waibelsche Buch hält sich streng an die bayerischen Vorschriften; es ist
auch als obligates Wiederholungsbuch in Bayern vorgeschrieben. Form und
Inhalt, sowie ein dem Stande der Hebammen angemessener Preis verdienen aber,
daß das Büchlein auch außerhalb Bayerns starke Verbreitung findet. Dem Ver¬
waltungsarzt gibt es Handhaben kur Abhaltung der Hebammenprüfungen. Acht
schöne Tafeln verdeutlichen die Lehre dor äußeren Untersuchung.
Dr. G r a ß 1- Kempten.
Paul Lohmar, Verwaltungsgerichtsdirektor und Syndikus der Rheinischen Ver¬
einigung berufsgenossenscbaftlicher Verwaltungen in Cöln a. Rh.: „Schatten¬
seiten der Reichs-Unfallversicherung“. Berlin 1916. Carl Heymanns
Verlag. Preis: 1,20 M.
Der in Aerztekreisen wohlbekannte Verfasser hat sich in der vorliegenden
Schrift „rechte Sorgen vom Herzen geschrieben", die ihm die gesundheitlich,
sittlich und volkswirtschaftlich nachteiligen Begleiterscheinungen der R. U. V.
gemacht haben. Alle die Aerzte, die die Einrichtung und Entwicklung unserer
Reichs-Unfallversicherung aufmerksam verfolgt und in langer Mitarbeit genau
kennen gelernt haben, sind wohl auf Grund eigener Erfahrungen und durch
die Ergebnisse der beruflichen Erörterungen über Rentensucht, Aggravation
und Simulation, traumatische Neurose und zunehmende Verweichlichung mehr
und mehr darin einig geworden, daß kritiklose weitere Anwendung des be¬
stehenden Gesetzes und seine einseitig die rein geldlich-wirtschaftlichen
Interessen der Versicherten fördernde Erweiterung die wertvollsten Charakter¬
eigenschaften unserer tüchtigen und im Kriege so unvergleichlich zuverlässig
und leistungsfähig befundenen Arbeiterschaft tiefgehend und dauernd schädigen
muß. Allen diesen begutachtenden „Praktikern der R.U.V.“ hat Lohmar
690
Tagesnachrichten.
gut seinen sachlich überzengenden, ethisch packenden Ansfübrnngen, die immer
den gründlichen Kenner nnd herzenswarmen Volks* nnd Vaterlandsfrennd er¬
kennen lassen, ans der Seele gesprochen. England bereitet den wirtschaft¬
lichen Krieg nach Friedenschluß gegen nns offen vor nnd wird ihn brntal nnd
rücksichtslos, wie immer in seiner Qeschichte führen; diesen Kampf können
wir siegreich nnr bestehen mit einer körperlich nnd geistig tüchtigen, sittlich
freien nnd starken Arbeiterschaft. Videant consnles, daß gerade im Hinblick
auf Erhaltung nnd Festigung des sittlichen Wertes unserer vielen Kriegs¬
beschädigten ans unseren Versichernngesetzen die als sicher gefährlich er¬
kannten Bestimmungen rechtzeitig nnd restlos entfernt werden. Wer den
Aerzten das wohl erworbene Recht, unter den Führern nnd Beratern nnserer
Volkes in den ersten Reihen zu wirken, erhalten will, findet in Lohmars
Schrift wertvolle Waffen für den notwendigen Kampf um das Bessere.
Dr. Qasters-Mülheim (Rohr).
Tagesnacnrichten.
Ans Anlaß des fünfzigjährigen Jubiläums des Vaterländischen Frauen*
Vereins hat Se. Majestät der Kaiser an den Vaterländischen Verein
nnter dem 10. d M. folgendes Handschreiben ans dem Hauptquartier gerichtet:
„Dem Vaterländischen Franenverein zn seinem 50jährigen Bestehen
meinen kaiserlichen Graß nnd meinen wärmsten Glückwunsch zu entbieten, ist
mir ein Herzensbedürfnis. Von Deutschlands erster Kaiserin gegründet, im
Einigungskriege von 1870/71 neu bewährt, hat der Verein unter der unermüd¬
lichen Leitung des Hanptvorstandes and seiner hochverdienten Vorsitzenden
eine reiebgesegnete Friedensarbeit leisten dürfen, deren allmähliches Wachstum
ich durch die fortlaufenden Mitteilnngen seiner erlauchten Protektorin, Ihrer
Majestät der Kaiserin nnd Königin, meiner Gemahlin, zn meiner Freude habe
verfolgen können. Auf Grund persönlicher Eindrücke weiß ich die Verdienste
zn würdigen, die sich der Verein im jetzigen Kriege unter dem erhabenen
Zeichen des Roten Kreuzes nm die Pflege der Kranken nnd Verwundeten and
am die Fürsorge für die Angehörigen and Hinterbliebenen unserer helden¬
mütigen Krieger in aufopfernder und unermüdlicher Arbeit erworben hat Als
Ausdruck meiner dankbaren Anerkennung, die jedem Einzelnen an diesem
vaterländischen Werke Beteiligten gilt, habe ich zu meiner aufrichtigen Freude
auf Vorschlag der hohen Protektorin zahlreiche Auszeichnungen verleihen
können. Zur Förderung der von dem Verein so erfolgreich ausgeübten, mir
auch für die Zukunft besonders am Herzen liegenden Kriegsfürsor^e will ich
zugleich eine Jubelspende von 100000 M. in deutscher Kriegsanleihe
hiermit bewilligen. Sie wird dem Hauptvorstande des Vereins durch die König¬
liche Seehandlung übermittelt werden. Gott der Herr schenke dem Vater¬
ländischen Fraugnverein und allen seinen Mitgliedern Kraft und Segen zu
weiterer treuer Arbeit. Möchte es ihnen gelingen, im Verein mit den ver¬
wandten Organisationen die beklagenswerte Kriegsnot zu lindern, die die Pläne
unserer Feinde über das deutsche Volk und Vaterland gebracht hat.* -
Gleichzeitig hat der Kaiser an Ihre Majestät der Kaiserin und
Königin das nachstehende Telegramm gerichtet:
„Dem Vaterländischen Frauenverein habe ich bereits durch Handschreiben
meinen warmen Dank für sein langjähriges treues Wirken ausgesprochen und
mich des reichen Segens vergegenwärtigt, der in den vergangenen 50 Jahren
von dieser Stiftung meiner lieben in Gott ruhenden Frau Großmutter aus¬
gegangen ist. Eurer Kaiserlichen und Königlichen Majestät als der erlauchten
Schirm he rrin des Vereins muß ich noch ein Wort besonders innigen Dankes
sagen. Ich habe in dieser ganzen Zeit oft daran gedacht, wie reich Gott den
Herr unser Volk gesegnet hat, indem er den Heldenmut unserer treuen Kämpfer
an der Front durch die stille entsagungsvolle, vielfach ebenso heldenmütige
Arbeit unserer Frauen gestählt hat. Anch ihnen gebührt der Dank des
deutschen Kaisers, ob ihre Kraft unseren Kranken und Verwundeten oder aber
in knapper und schwerer Zeit dem stillen Dienst des eigenen Hauses und der
Kinder zugute kommt. Ich weiß, wieviel der unserem Hause so nahe ver¬
bundene Verein unter Schutz und Förderung Eurer Majestät in helfender und
püegender Liebe auf weiteste Kreise vorbildlich wirkend bisher geleistet bat.
Tagesnachrichten.
691
Gott segne ihn und seine Protektorin anch ferner za weiterer segensreicher
Arbeit für Volk and Vaterland.“
Der Kaiserlichen Jabelspende sind von Ihrer Majestät der Kaiserin
20000 M., vom Reichskanzler 60000 M. and vom Preußischen Minister des
Innern 26000 M. hinzagefttgt worden.
Laat Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 2. November 1916 wird
am 1. Dezember d. J. die im vorigen Jahre ausgefallene Volkszählung statt*
finden, am die ortsanwesende Bevölkerung festzustellen. Die Zahlung ist
diesmal vereinfacht und beschränkt sich auf die Ausfüllung von Haus¬
haltungslisten, die außer den üblichen Spalten über Vor- und Familien¬
name, Stellung im Haushalt, Geschlecht, Geburtstag, Familienstand und Staats¬
angehörigkeit nur noch solche über Art der Berufstätigkeit und Stellung im
Beruf vor dem Kriege und zur Zeit der Zählung, das gegenwärtige Militär¬
verhältnis (bei allen vor dem 1. Dezember 1899 geborenen männlichen Personen)
und über etwaigen Bezug von Militärpension oder Militärrente aus Anlaß des
gegenwärtigen Krieges. Kriegsgefangene brauchen nur summarisch nach der
Staatsangehörigkeit aufgeführt zu werden.
Ehrentafel. Es haben weiterhin erhalten:
Das Eiserne Kreuz I. Klasse:
Oberstabsarzt Dr. Arimond -Neiße.
Stabsarzt d. Res. Dr. Bellinger-Darmstadt.
Stabsarzt d. L. Dr. Bräutigam-Zell a H. (Baden).
Stabsarzt d. L. Dr. Bromse-Güstrow (Mecklenburg-Schwerin).
Oberstabsarzt d. L. Dr. Bäntsch-Brebach (bei Saarbrücken).
Oberstabsarzt d. L. Prof. Dr. Ludwig Burkhardt-Nürnberg.
Stabsarzt d. Res. Dr. Dinnendahl-Kalkar (bei Cleve).
Stabsarzt d. Res. und Reg.-Arzt Dr. Ecker t- Klein-Machnow bei Berlin.
Dr. Otto Fried rieh-Breslau.
Oberstabsarzt d. L. Dr. Hermann Hohn-Bad Nauheim.
Oberstabsarzt d. L. Dr. Kay, Gerichtsassistenzarzt in Wolkepstein
(Königreich Sachsen).
Assistenzarzt d. L. und Bataillonsarzt Dr. Keding-Cassel.
Stabsarzt d. Res. Dr. Rud. Kretschner-Burghaun (Reg.-Bez. Cassel).
Stabsarzt Dr. 0. Luerssen-Breslau.
Oberarzt Dr. Meinhof.
Vertrags- und Bataillonsarzt Dr. Mühlstädt-Leipzig.
Stabsarzt d. Res. Dr. Peeck, Kreisarzt in Parchim (Mecklenb.-Schwerin).
Stabsarzt Dr. Rodenwaldt -Berlin.
Oberstabsarzt d. L. Dr. Emil Rosner-Tost (Oberschlesien).
Assistenzarzt d. Res. Dr. Speer-München.
Stabsarzt d. Res I)r. Georg Weichsel-Leipzig.
Stabsarzt d. Res. Dr. Franz Zybell-Frankfurt a. M.
Das Eiserne Krenz II. Klasse am schwarz-weißen Bande:
Med.-Rat Dr. Schwan, Kreisarzt in Dieburg (Großherzogtum Hessen).
Ehren-Ged&ohtnlatafel. Für das Vaterland gefallen oder gestorben
sind ferner:
Feldunterarzt G. Bau mann-Hamburg.
Oberstabsarzt d. Res Dr. Bever (gestorben infolge von Krankheit).
Stabsarzt d. Res. Dr. Börner, Gerichtsassistenzarzt in Schandau a. d. Elbe
(Königr. Sachsen), (gestorben infolge von Krankheit).
Prof. Dr. Bruns- Hannover, beratender Nervenarzt (gestorben infolge
von Krankheit).
Feldunterarzt Burgard-Neheim (Westfalen).
Landsturmpflichtiger Arzt Dr. F. Dürken-Berlin.
Stabsarzt d. Res. Dr. Hans Hoffmann-Dresden.
Hauptinann d. Res. Dr. Franz Kutscher, Arzt am Werk-Armenhaus
in Hamburg.
Assistenzarzt d. Res. Dr. F. Müller-Leipzig.
692
Tagesnachrichten.
Missionsarzt Dr. Rudolf Oehme in Ostafrika.
Assistenzarzt d. Res. Theodor P u r p u s - Neustadt a. D. (Niederbayern).
Assistenzarzt d. Res. Dr. Gerhard Salomon-Berlin-Charlottenburg
(infolge von Krankheit gestorben).
Assistenzarzt Dr. A. Schwarz-Radebeul bei Dresden.
Stabsarzt d. L. Dr. K. Vogel-Thale i. Harz (gestorben infolge von
Krankheit). _
Erkrankungen und Todesfälle an ansteckenden Krankheiten in
Preußen. Nach dem Ministerialblatt fttr Medizinal-Angelegenheiten sind in der
Zeit vom 8. bis 21. Oktober 1916 erkrankt (gestorben) an Pest, Gelb*
lieber, Cholera, Trichinose, Aassatz, Malaria, Fleckfieber,
RQckfallfieber, Paratyphus, Rotz, Tollwut: — (—), — (—);
Bißverletzungen durch tollwatverdächtige Tiere: 8 (—),
14 (—); Milzbrand: — (—), 3 ( —); Pocken: 2 (—), 8 (—); Unter¬
leibstyphus: 300 (80), 376 (28); Ruhr: 353 (45), 465 (31); Diphtherie:
2184 (167), 2139 (152); Scharlach: 1121 (52), 1079 (58); Kindbettfieber:
81 (20), 65 (19); Genickstarre: 6 (4), 4 (8); spinaler Kinder¬
lähmung: 5 (—), 8 (—); Fleisch-, Fisch- und Wurstvergiftung:
9 (—), 19 (—); Körnerkrankheit (erkrankt): 79, 86; Tuberkulose
(gestorben): 599, 639.
An der Unterrichtsanstalt für Staatsarzneikunde der kgl. Universität
zu Berlin, Hannoversche Straße 6 (Direktor: Geheimrat Prof. Dr Straßmann),
ist eine Röntgenabteilung unter Leitung von Dr. G. Bucky eingerichtet
worden, die fttr gerichtlich-medizinische Untersuchungen und Begutachtungen
bestimmt ist. Die Abteilung steht allen als gerichtliche Sachverständige tätigen
Aerzten für die genannten Zwecke zur Verfügung.
Mitteilung fttr die Medizinalbeamten»
Entsprechend zahlreichen Wünschen aus den Kreisen der Medizinalbeamten
haben sich Herausgeber und Verlagsbuchhandlung entschlossen, den Kalender
für Medizinalbeamte wieder erscheinen zu lassen. Der neue
Jahrgang 1917 wird Mitte Dezember d. J. zur Ausgabe gelangen; die
Unterzeichnete Verlagsbuchhandlung nimmt schon jetzt Bestellungen
entgegen. v
Die Verlagsbuchhandlung. Der Herausgeber.
Fischers aed. Buchhandlung B. Kornfeld,
Berlin V. 62, KelthstraBe 5.
Für die Mitglieder des Deutschen Medizinalbeamtenvereins
nnd für die sonstigen Bezieher der Zeitschrift.
Auf Veranlassung eines Rundscüreibens des Postzeitungsamtea werden
die Postbezieher der Zeitschrift erneut gebeten, beim Ausbleiben oder bei
verspäteter Lieferung einer Nummer diese stets zunächst von dem Brief¬
träger oder der zuständigen iiestell-Postanstait einzufordern, und sich erat,
wenn Nachlieferung und Aufklärung nicht in angemessener Frist erfolgen
sollte, unter Angabe der bereits unternommenen Schritte, die Mitglieder des
Deutschen Medizinalbeamtenvereins an die Expedition der
Zeitschrift (Hofbuchdruckerei J. C. 0 Bruns-Minden in Westfalen], die
sonstigen Postbezieher an den Verlag (Fischers medizinische Buch*
handlang, H. Kornfeld, Berlin W. 62, Keithslr.5] wenden.
Verlag nnd Schriftleitung.
Redaktion: Prof. Dr. Rapm und, Geh. Med.-Rat in Minden LW.
J. O. 0. Brun*, Htnofl. flieh*, u. Fftrtti. Soh.-L. Hofbichdruckerol in lflnd—.
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29. Jahrg.
1916.
Zeitschrift
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zenfralblatt
fflr das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie,
des staatlichen und privaten Versicherungswesens, sowie für das
Medizinal- und öffentliche Gesundheitswesen, einschließlich der
Hygiene und Bakteriologie.
fleraosgegebcn
von
Prot Dr. OTTO RAPMÜND,
Geh. Med -Rat In Minden l.W.
Offizielles Organ des Deutschen, Preussischen, Bayerischen, Sächsischen,
WOrttembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen, Thüringischen,
Braunschweigischen und Eisass • Lothringischen Medizinalbeamtenvereins.
Verlag von Fiseher’s med. Bnchhandlg fl. Kornfeld,
HtrsogL Bayer. Hof- tl u. K. Kammer-Bnchhtadlar.
Berlin W. 62, Keithstr. 5.
Amsel fen nehmen 41# TaUfihandloiif sowie alle Anzelfenannahmeetellen de» (i>
ud Analen de« atgerao,
Nr. 23.
Erscheint am 5. und 20. Jeden Monats.
5. Dez.
Temperaturen von Schulzimmern im Winter. 1 )
Von Reg.-Med.-Bat Dr. Schwink - Bayreuth.
Unser Herr Vorsitzender hat mich im April aufgefordert,
hier in Neustadt a. H. einen wissenschaftlichen Vortrag zu halten,
weil er annahm, daß ich als ehemaliger Amtsarzt in Rocken¬
hausen wieder einmal gerne in die schöne Pfalz reisen werde.
Die Voraussetzungen unseres Herrn Vorsitzenden stimmen völlig
überein mit der Wirklichkeit und ich bin der Aufforderung um
so lieber nachgekommen, als die Grundlagen zu meiner Be¬
sprechung vorwiegend in der Pfalz gewonnen wurden.
Trotzdem ich nun schon seit langem mein Versprechen
für den Vortrag gab, muß ich doch um gütige Entschuldigung
wegen dessen Kürze bitten. Ich habe nämlich infolge des
Wechsels meines Domizils und der damit verknüpften größeren
Arbeitsanhäufung nicht die Zeit zu einer vollständigen Verar¬
beitung meines Materials gefunden.
*) Vortrag, gehalten bei der XI. Landesrersammlnng des Bayerischen
Medizinal-Beamtenvereins in Neustadt a. H. am 12. Jali 1914.
694
Dr. Schwink.
Nach der Ministerial-Bekanntmachung vom 15. April 1913
kann die künstliche Erwärmung der Schulzimmer durch Zentral¬
heizung oder durch Oefen erfolgen. Es ist in dem § 8 im allge¬
meinen darauf hingewiesen, welches System im gegebenen Falle
zu wählen ist. Die von mir gemachten Aufschreibungen beziehen
sich insgesamt auf Einzelheizung durch einen oder durch
zwei Oefen.
Angeregt zu diesen Aufschreibungen wurde ich vor etwa
20 Jahren gelegentlich der Bestimmung der Eohlensäuremenge
in der Luft von drei Schulzimmern. Ich habe damals während
eines Schuljahres an allen Schulstunden in den verschiedenen
Monaten Luftproben aus den Schulen geholt. Da man bekanntlich
nach der Pettenkof er’schen Methode auch die Temperatur
in dem zu untersuchenden Raume ablesen muß, fiel es mir auf,
daß manchmal große Verschiedenheit im Temperaturgrad sich
zeigte, je nachdem das Thermometer in vorgeschriebener Höhe
an der einen oder anderen Wand aufgehängt war. Eine weitere
Verfolgung dieser Erscheinung blieb mir vorerst versagt. Sie
wurde mir erst ermöglicht, als mich ein glücklicher Zufall in
die Pfalz führte. In den alten Akten fand ich eine Regierungs-
Entschließung, die zwar nicht mehr strenge gehandhabt wurde,
aber bis dahin auch noch nicht aufgehoben worden war. Nach
dieser Entschließung sind die Bezirksärzte gehalten, alljährlich
mindestens zweimal während des Unterrichts die einzelnen
Schulen ihres Bezirks zu besuchen und nach verschiedener Rich¬
tung zu prüfen. Auf Grund dieser Vorschrift konnte ich die
sämtlichen Schulen des Bezirks regelmäßig besuchen.
War also die Temperatur der Außenluft im Winter genü¬
gend zurückgegangen, dann ist während des Aufenthaltes im
Schulgebäude die Temperatur in den Schulziramern festgestellt
worden. Dies geschah manchmal nur in der Weise, daß die
Temperaturablesung vom Schulthermometer gewissermaßen im
Vorbeigehen erfolgte, in der Regel aber so, daß sowohl die Tem¬
peratur des in der Schule befindlichen Thermometers festgestellt
wurde, als auch die Temperaturangabe von Kontrollthermome-
tern, die in größerer Zahl mitgenommen und an verschiedenen
Stellen des Schulzimmers aufgehängt worden waren. Mitunter
stellten sich der Mitnahme einer größeren Anzahl (bis zu 12)
Thermometern Hindernisse in den Weg, so daß nicht immer
übereinstimmend viele Thermometer in den Schulzimmern verteilt
werden konnten; weiterhin stellte es sich da und dort heraus,
daß das vorgeschriebene Schulthermometer nicht angeschaflt oder
zerbrochen oder anderswo verwendet war.
Um einen durchaus genügenden Ausgleich in den eben
aufgehängten Thermometern zu erzielen, mußte bis zum Ablesen
mindestens */j Stunde gewartet werden.
Die in einem einzigen Bezirksamtssprengel gesammelten
Beobachtungen rufen naturgemäß für diesen Distrikt das nächste
Interesse hervor. Aber auch für diesen Bezirk haben sie nicht
Temperaturen von Schnlzimmern im Winter.
695
au! alle Zeit Geltung; sie wurden sogar während der darauf
verwendeten Zeit teilweise zu einer Nachprüfung untauglich
infolge von baulichen Verschiebungen an den Schulen; derartige
Veränderungen sind aber in der Zwischenzeit gewiß noch zahl¬
reicher eingetreten. Trotzdem behalten die Beobachtungen ein
größeres Interesse für den beobachteten Bezirk; die Ergebnisse
aus den sämtlichen Feststellungen können aber auch wohl ein
allgemeineres Interesse beanspruchen.
Auf den Tafeln (s. S. 696—699) habe ich nicht alle Beobach¬
tungen vermerkt und z. B. die herrschende Außentemperatur, die
Lage des Schulhauses, die Windrichtung hier nicht eingeschrieben.
Ich habe auch auf die Tabellen nicht eingezeichnet, wo das
Thermometer aufgehängt war; es ist einleuchtend, daß die
Temperatur in der Nähe des Ofens eine höhere sein wird, als
an einer entfernteren Wand. Ich habe auch manche Thermo¬
meterablesung überhaupt nicht eingetragen, weil sie identisch
mit einer anderen war und weil ich die Zahlenreihen nicht
unnötigerweise verlängern, sondern auf höchstens 4 Ablesungen
beschränken wollte.
Die Besprechung aller Detailangaben würde ermüden,
langweilen und doch zu keinen allgemeinen Schlüssen führen.
Ich will daher nur eine allgemeine Orientierung versuchen
und bitte hierzu eine der Tabellen zu betrachten. Sie finden
hier mit zwei Buchstaben bezeichnet die besuchte Schule,
z. B. Al. Dann folgen meist 3, bei einigen Schulen auch
4 senkrecht stehende Zahlenreihen. Jede dieser Zahlenreihen
gibt die abgelesenen Temperaturen einer einzigen Beob¬
achtung und sagt zugleich, an wie vielen Stellen des Schul¬
zimmers mindestens Thermometer aufgehängt und abgelesen
wurden. Ohne Rücksicht auf den Ort der Anbringung eines
Thermometers wurden die festgestellten Temperaturen so
untereinander geschrieben, daß die niederste Temperatur am
weitesten nach oben, die höchste abgelesene Temperatur am
weitesten nach abwärts gestellt wurde. So zeigt z. B. die Auf¬
zeichnung der Schule F a, daß an vier verschiedenen Tagen die
Temperaturen abgelesen wurden. Die Zeiten der Ablesungen
habe ich auf den Tabellen nicht angegeben. Ich kann aber
anführen, daß ich die Schule F a am 23. Januar 1906 um 10 Uhr
vormittags, am 20. Dezember 1906 um 9 Uhr vormittags, am
26. Februar 1907 um 9 Uhr vormittags und endlich ein viertes Mal
am 6. Febrnar 1908 aufgesucht habe. Bei dem Besuche am
23. Januar 1906 hatte ich 4 Thermometer an verschiedene
Stellen des Schulzimmers verteilt und die nach etwa einer halben
Stunde erfolgte Ablesung zeigte, daß an der einen Ecke, der
West-Ecke, eine Temperatur von 9°, am Schulthermometer der
Nordwestwand eine Temperatur von 11°, in der Nähe des Ofens,
aber geschützt durch den Ofenschirm, eine Temperatur von 14°
und endlich in der Nähe des Ofens, aber ohne den Schutz eines
Schirmes, eine Temperatur von 17° festzustellen war. Auch bei
dem zweiten Besuch wurden die Temperaturen von 4 Thermo-
696
Dr. Schwink.
Ueberslcht Aber die ln verschiedenen Schulen festgestellten Temperaturen.
Schale
Tag der
Fest-
Festgestellte
Schale
Tag der
Fest-
Festgestellte
stelloog
Temperataren
Stellung
i
Temperaturen
Al
16. XII. 05
23.1.07
23.1.08
15, 18 a. 20°
10, 16, 17 u. 22°
18, 14 a. 17«
Am
10.11. 06
10.1. 07
14.1. 08
13, 15, 20 u. 22°
16, 17, a. 21«
10, 16, 17, 18 •
An
30.1. 06 1
10.1. 07
14 I. 08
14, 20 u. 28*
10, 12 a. 12°
12, 16, 16 u. 17°
Ap
1. II. 06
I 9.1. 07
13.1. 08
13, 15, 17 a. 26°
12, 15, 17 a. 23°
17, 19 u. 19°
Aq
1. II. 06
9.1. 07
1 13.1. 08
16, 17, 19 u. 21®
16, 16, 17 u. 19®
15, 15, 17 u. 18°
Ar
1
1. II. 06
15.1. 07
18.1. 08
14, 17, 20 u. 25®
18, 22 u. 24®
20, 21 a. 21 ®
As
1. II. 06
j 15.1. 07
13.1. 08
15, 17, 18 u. 23 •
19, 20 u. 25®
18, 18 a. 21 ®
At
|
! 1. II. 06
15. 1. 07
13. I. 08
17, 19 u. 25®
18, 22 a. 23®
18, 18 u. 21 ®
Av
1. II. 06
13. I. 08 |
21, 23, 25 a. 27®
19 u. 21®
Aw
1 2i.xn.05 i
7. I. 08 j
8 u. 10«
1,6, 10, u. 19,5®
Az
21. XII. 05 !
11. XII. 06 i
7. I. 08
8, 10, 11 a. 15®
i 10, 11, 13 u. 14®
1 3, 10 a. 13®
B&
9. II. 07 i
9. II. 07
15. I. 08
10, 16 a. 16®
11, 18 u. 22®
18, 18 u. 22®
Be
7. II. 06 ;
18. XII. 06
25. 1. 08
13,614,16u.l6,5®
18, 19, 19 u. 20®
16, 16, 17 a. 18®
Ri
27. I. 06
30. I. 07
16. I. 08
14, 16, 21 u. 22®
16, 18 u. 21 ®
16, 16, 16 u. 17®
Bo ,
25. I. 06
24. I. 07
3. II. 08
12, 12,5 a. 12,5®
11, 18 u. 26®
17, 18 u. 19®
Ba
25. I. 06
24. I. 07
8. II. 08
10, 12,6 u. 13®
2, 2 n. 5®
10, 10 a. 11®
Br
26. I. 06
24. I. 07
11. I. 08
14,5, 15,15 u. 18,5 •
10, 11, 13 u. 17®
7, 10, 10 u. 12®
Ca
17.11.06
4. II. 08
12,5, 16,5 n. 19®
16, 16 n. 16«
Ce
i
7. II. 07
4. II. 08
16, 16 o. 16®
17, 18, 18 u. 21 •
Da
I
7. II. 06
18. XII. 06
6. II. 08
14, 16 u. 19®
11, 11 u. 16®
9, 14, 14 u. 16®
De !
7. II. 06
18. XII. 08
5. II. 08
15,18,6,19 u. 23°
15, 15 a. 17®
14, 18, 18 u. 21®
Dh
20. XU. 05
26. I. 07
10. I. 08
11,5,13,15 a. 17«
10, 13 u. 20®
6, 8 n. 8®
Di
20. XII. 06
26. I. 07
10. I. 08
13, 17 u. 22®
10, 12 n. 17 ®
12, 12 u. 13®
Dl
27. I. 06
26. II. 06
I 26. II. 06
| 19. I. 07
14 a. 14®
9 u. 10®
13, 16, 18 a. 20®
15, 16, 17 a. 20®
Do
| 8. II. 06
| 6. H. 07
12. II. 07
| 11. II. 08
17,5 a. 25®
14 a. 18®
17, 17 u. 23®
1 14, 18 u. 22®
Dr
' 8. II. 06
i 5. II. 07
12. II. 07
11. II. 08
10,11,13,6 u. 21 ®
12®
11, 12 u. 23®
11, 12 a. 13.
Da
8. II. 06
6. II 07
IJ1. U. 08
11, 13 a. 17*
17®
16, 17 a. 17®
Eb
1
_i
21. XII. 05
8. II. 06
18. I. 07
j 7. I. 08
16,6, 16,6 u. 17®
1 12 a. 12®
14, 14, 18 u. 22®
12, 18, 15 u. 19®
En
21. XII. 05
8. II. 06
18. I. 07
7. I. 08
12 a. 16,6®
12, 18 u. 16®
' 12, 16, 15 u. 21 •
10, 11 u. 17®
Fa
23. 1. 06
20. XII. 06
26. II. 07
6. II. 08
9, 11, 14 u. 17®
j 18,6,14,14 0. 24®
! 18, 18 o. 17®
12, 18 n. 15®
Temperaturen von Schulzimmern im Winter.
697
Ueberslcbt Ober die ln verschiedenen Schalen festgestellten Temperaturen.
Schule
Tag der
Fest¬
stellung
Festgestellte
Temperaturen
Schule
Tag der
Fest¬
stellung
Festgestellte
Temperaturen
Fe
6. II. 06
6. II. 07
1 80 XII. 07
12, 14, 15 u. 15°
12, 13, 18 u. 21°
12.5 15,19 u. 21°
Hu
5. II. 06
17. XH. 06
4. I. 08
8, 11,5, 12 u. 24®
7, 7 u. 8®
4, 6, 7 u. 7 ®
Fi
6. II. 06
6. II. 07
30. XII. 07
16, 17, 17 u. 26«
14, 15 u. 17°
19, 19, 20 u. 24°
Hw
5. II. 06
17. XII. 06
4. I. 08
10, 13, 13 u. 21
5, 5 u. 7®
18, 14, 15 u. 18®
Fl
6. II. 06
6. II. 07
30. XII. 07
11, 12, 18 u. 14®
13, 15, 18 u. 23°
12, 14, 15 u. 17®
Ib
23. I. 06
29. XII. 06
22. XI. 07
12,5,13,5 u. 23,5®
9, 12, 16 u. 20®
10, 12 u. 13®
Fo
1 14. II. 06
j 6. I. 07
81. I. 08
16, 23 u. 26®
12, 13, 17 u. 24®
16, 18, 18 u. 21 ®
If
23. I. 06
28. II. 07
22. XI. 07
10,5, 12 u. 18®
12, 15, 24, 26®
13, 15 u. 26®
Ga
8. II 07
13, 14 u. 14®
If?
28. I. 06
9, 9,5 u. 20®
Ge
1 16. XII. 05
! 8. II. 07
17. XII. 07
13,6, 16,5 u. 24®
14, 16 u. 23
14, 15, 18 u. 22®
Im
21. I. 07
21. II. 07
14. I. 08
15, 17 u. 17®
17, 18 u. 18®
11, 12, 13 u. 14
Gi
: 5. II. 06
17. xn.06
18. XII. 07
12,5,13,13 u. 16,6®
14, 15,16 u. 19,5®
10 u. 15®
Ir
5. I. 06
21. I. 07
14. I. 08
13, 15, 16 u. 18
16, 15 u. 18®
10, 11, 16 u. 18
Gl
26. I. 06
8. II. 07
23. I. 08
9,5, 10, 10 u. 17®
11, 11 u. 16®
15, 17, 18 u. 19®
Ka
9. I. 07
17,19,23,6 u. 25®
Ee
11. III. 07
3. I. 08
16, 19 u. 28®
13, 13,5 u. 24®
Gn
21. I. 08
14, 14, 15 u. 15®
Ki
29. I. 06
19. XII. 06
16. I. 08
13,14,5,19 u. 20®
i4, 14, 15 u. 22®
12, 16 u. 17®
Go 1 26. I. 06
23. I. 07
23. I. 08
9, 9, 13,5 u. 17,6®
8, 10, 15 u. 33®
12, 13, 14 u. 16®
Eo
29. I. 06
19. xn.06
15. I. 08
16, 16, 18,5®
16,6, 15,5, 18,25®
17, 17 u. 21«
Gr 26. I. 06
3. I. 07
11,11,5,12,5 u. 15®
7, 7, 10 n. 13®
9, 10 u. 17«
ctb. XL 07
La
19. n. 06
12. I. 07
20, 22 u. 25®
20, 21 u. 24®
Gu
21. I. 07
21. II. 07
18. XII. 07
12, 14, 18 u. 25®
16, 17 u 22.
15, 16, 17 u. 20®
Le
13. II. 08
14, 18 u. 19®
Ha
6. II. 06
31. XII.06
14, 15, 18 u. 39«
12, 12, 13 u. 18®
Li
13. II. 08
18 u. 20®
Lo
9. II. 06
31. I. 07
6. I. 08
13, 15, 16 u. 18®
10, 10, 11 u. 17®
7, 8 u. 10,6®
He
6. II. 06
31. xn. 06
28. XII. 07
13,5,15,17 u. 24®
12, 12, 18 u. 22»
8, 9 u. 12®
Lu
9. II. 06
81. I. 07
6. I. 08
15, 15, 17 u. 18®
13, 14, 14 u. 15®
1, 2 u. 6®
Hi | 22. I. 08
15, 16 u. 17®
Ho
15. I. 06
8. XII. 06
22. I. 08
12,5,16,6,20 u. 22®
12,16,15,5 u. 18®
12, 17 u. 21®
Ma
3. I. 06
8. XII. 06
25. I. 08 1
10 u. 14®
13, 13, 14 u. 14®
13, 13, 13 u. 17®
Hs i
i
i
16. II. 06
28. I. 07
24. I 08
8, 10 u. 11®
9, 10, 10 u. 14®
13, 13, 14 u. 16®
~Me~
i
i
3. I. 06 ! 7, 10, 10 u. 24°
8. XII. 06 7, 7,5, 9 u. 12®
25. I. 08 12. 13, 13 u. 14®
Ht
16. II. 06
28. I. 07
24. I. 08
9, 11 u. 11®
7, 9 u. 9«
11, 12, 12 u. 14®
Mi |
24. II. 06
18. Xn. 06 !
2. XII. 07 |
13, 13, 15 u. 19®
7, 8, 9 u 11®
16, 16 u. 18®
698
Dr. Schwink.
Ueberslcht Ober die ln verschiedenen Schalen festgestellten Temperaturen.
Schule
Tag der
Fest¬
Festges teilte
Schule
Tag der
Fest¬
Festg es teilte
stellung
Temperaturen
stellung
Temperaturen
Ml
26. I. 06
7. I. 07
14. I. 08
9, 10, 10 u. 86®
7, 8, 10 u. 26°
6, 8 u. 9°
Mo
80. I. 06
| 7. I. 07
14. I. 03
11,14,17,6 u. 29°
13, 13 u. 17®
5, 8 u. 9®
Mr
80. I. 06
7. I. 07
14. I. 08
12, 18, 15 u. 16®
10, 11 u. 13®
5, 6 u. 7®'
Ms
16. I. 06
21. XII. 06
3. I. 08
15, 19, 24 u. 25®
13, 14, 18 u. 25®
13, 14 u. 17«
Mu
15. I. 06
21. XII. 06
8. I. 08
12,14,6,16 u. 17®
12, 12, 12 u. 16»
14, 15 u. 18»
Na
22. II. 06
22. XII. 06
9. I. 08
9 u. 11®
5, 6 u. 10®
4, 4 n. 4°
Ne
22. II. 06
22. XII. 06
9. I. 08
11, 11 u. 18®
7, 7 u. 14®
6, 7 u. 7®
Ni
1
13. II. 06
22. I. 07
8. I. 08
17, 17, 21 u. 22°
16, 17 u. 21 ®
8, 10,5, 15 u. 17®
No
1. II. 06
16. I. 07
13. I. 08
12, 12, 15 u. 20®
11, 12, 15 u. 17®
8, 11 u. 17®
i
1. II. 06
7. II. 07
13. I. 08
14, 16, 16 u. 20®
14, 15, 16 u. 27®
8, 9 u. 18°
Ob
21. XII. 06
8. 11. 07
3. I. 08
13, 14, 16 u. 19®
11, 12 u. 13®
7, 10 u. 11 ®
Od
16. III 06
4. I. 07
18. I. 08
12, 18 u. 19®
11, 13, 13 u. 16
7, 7, 8 u. 11®
C
°
16. III. 08
4. I. 07
13. I. 08
13, 14 u. 17®
14 u. 16®
8, 14 u 17®
Of ,
1
16. III. 06
4. I. 07
13. I. 08
12, 19 u. 20®
13, 14 u. 20®
8, 14, 14 u. 16®
Og :
1
1
16. III. 06
4. I. 07
13. I. 08
13, 20 u. 21®
18, 19. 19 u. 19®
10, 11, 15 u. 17®
ok
3. I. 06
8. XII. 06 i
25. I. 08 j
7, 11 u. 15®
10, 11, 13 u. 17®
14, 15, 15 u. 17®
Om
3. I. 06
8. XII. 06
25. I. 08
10,5 u. 22«
10,5,12,13 u 13«
13, 14, 16 u. 160
On
11. XII. 05
6. 11. 07
11. II. 08
15 u. 24,6®
15, 16, 17 u. 28®
14, 16, 18 u. 19®
Or
11. XII 05
6. II. 07
11. II. 08
14,6, 18,5 u. 21®
14, 16, 16 u. 19®
15, 16, 17 u. 17®
08
11. XII. 05
6. II. 07
11. II. 08
16 u. 21«
18, 18 u. 19°
18, 18 u. 2to
ot
11. XII. 05
6. II. 07
11. II. 08
17 u. 24,6«
16, 16 u. 28«
14, 16, 23 u. 24o
Pa
9. II. 06
14. I. 07
4. XII. 07
14, 16 u. 25®
15, 17 u. 26«
6, 10, 13 u. 20®
Po
9. II. 06
14. I. 07
8. I. 08
9, 12 u. 12®
7, 8 u. 9«
— 2, 6 u. 9®
Ra
24. I. 06
8. I. 07
7. XII. 07
14, 16 u. 17®
12,6,17, 24 u. 26o
14, 15, 17 u. 19®
Bc
15. XII. 06
4. 11. 08
16, 17 u. 18®
17, 19 u. 20«
Re
11. XII. 05
15. XU. 06
4. II. 08
13,5, 18,6 u. 180
11, 13 u. 16®
17, 17 u. 21®
Bf
11. XII. 05
15. XU. 06
4. II. 08
18 u. 17«
16, 16,6 u. 190
19 u. 190
Bi
18 XII. 05
I. III. 06
II. I. 07
18. I. 08
9, 12 u. 13,5®
12, 13 u. 18®
13,5,14,15 u. 150
17, 18 u. 190
Bk
19. XII. 05
I. III. 06
II. I. 07
18. I. 03
18, 16, 18 u. 21 o
15, 21 u. 22®
11, 14, 15 u. 20«
16, 18 u. 20®
Be
7. III. 06
11. I. 07
18. I. 08
! 11,14,17 u. 19,50
| 10, 11, 13 u. 180
16, 18 u. 18«
Rn
22. XII. 05
I. III. 06
II. I. 07
18. I. 08
17, 19, 22 u. 24®
14, 15 u. 16®
14, 17, 19 u. 21 o
19, 20 u. 210
Temperaturen von Scbulzimmern im Winter. 699
Deberslcht Ober die ln verschiedenen Schalen festgestellten Temperaturen.
Schule
Tag der
Fest¬
stellung
Festgestellte
Temperaturen
Tag der
Fest¬
stellung
Festgestellte
Temperaturen
Ro
22. XII. 05
I. III. 06
II. I. 07
18. I. 08
13, 13, 15 u. 20«
18,5, 14 u. 16°
16, 15, 16 u. 18»
17, 18 u. 20»
St
25. I. 06
12. XI. 06
3. II. 08
11, 11,12,5 u. 19°
14, 15, 15 u. 22°
14, 15, 16 u. 16°
Te
27. I. 06
19. I. 07
13 u. 17 0
14, 14, 14 u. 19°
Rp
8. I. 06
16. I. 07
8. II. 08
15,6,16,5,17 u.28o
13, 16, 16 u. 25»
14, 15 u. 16»
ün
22. I. 06
4. I. 07
18. I. 08
14, 15, 16 u. 17 0
12, 14, 15 u. 16°
12, 13 u. 15°
Ru
8. I. 06
16. I. 07
3. II. 08
11,6,12,14 u. 20«
11, 14, 16 u. 24«
10, 10 u. 11 o
Wa
14. II. 06
6. I. 07
31. I. 08
10 u. 19 0
13 u. 22°
16, 15 u. 17°
Sa
22. I. 06
2. n. 07
28. XI. 07
10,12,6,18 u. 140
15, 17, 18 u. 23°
16, 17 u. 180
Wd
16. I. 06
14. XII. C6
6. I. 08
13, 13, 14 u. 14°
8,5, 11, 11 u. 20°
8, 8 u. 16°
Sb
12. I. 06
80. I. 07
16. I. 08
12,5, 15 u. 210
11, 17, 17 u. 230
7,6, 10, 11 u. 16«
Sc
15. II. 06
14. II. 07
14. I. 08
14, 16, 27 u. 28«
15, 19 u. 20«
5, 5, 6 u. 6°
We
10. II. 06
31. I. 07
15. II. 07
14. I. 08
13, 15, 21 u. 23°
17, 25 u. 26°
17 u. 22°
13, 15, 15 u. 20°
Sc
29. I. 06
14 II. 07
14. I. 08
5, 8, 13 u. 150
12, 13 u. 23«
10, 13, 15 u. 160
Wg
10. II. 06
31. I. 07
15. II. 07
6. I. 08
13,5,14,17 u. 17 0
12, 12 u. 14°
12, 13, 14 u. 17°
8, 9 u. 12°
Sg
16. I. 06
21. XII. 06
6. I. 08
16,17,5 V 20 u. 21«
11, 12 u. 210
1, 4 u. 11°
Wi
10. II. 06
31. I. 07
15. II. 07
14. I. 08
9, 12, 13 u. 25°
11, 12 u. 18»
12, 13 u. 18°
13, 17, 17 u. 18°
Si
16. 1. 06
10. XII. 06
6. I. 08
13,5,15, 20 u. 21®
6.5, 7 u. 150
1.5, 8 u. lio
Sk
25. I. 06
17. I. 07
11. I. 08
6,5,6,5,12,5 u. 160
13, 13,17,6 u. 21 0
12, 13, 15 u. 18°
Wk
10. II. 06
31. I. 07
15. II. 07
6. I. 08
13, 14, 17 u. 20°
16, 17, 20 u. 24"
13 u. 17»
4, 8 u. 12"
Se
25. I. 06
17. I. 07
11. I. 08
15, 16 u 20,5°
18, 19, 19 u. 21 0
12, 13, 15 u. 19°
Wl
10. II. 06
31. I. 07
15 II. 07
14. I. 08
18, 18, 21 u. 23"
17, 18, 19 u. 25"
15 u. 20"
10, 12, 14 u. 15"
Sm
17. I. 07
11. I. 08
15, 16, 16 u. 19°
13, 14, 17 u. 17°
Sn
i
22. I. 06
2. II. 07
13. II. 07
23. XI. 07
12,12,5,15,5 u.22°
8, 10 u. 13°
10, 10, 11 u. 19°
7 u. 8°
Wn
13. II. 06
23. I. 07
3. I. 08
14, 16 u. 20"
11, 17 u. 25"
6, 11, 13 u. 18"
Wo
19. I. 06
22. I. 07
23. I. 08
13, 14, 15 u. 23"
8, 10 u. 15®
10, 15, 16 u. 20®
So
24. I. 06
18. XI. 06
7. XII. 07
10, 11, 14 u. 20 0
14, 15, 16 u. 20°
14, 17 u. 17"
Sp
26. I. 06
12. XI. 06
3. H. 08
9,5, 10,5 u. 14,50
13,14,6,15 u. 20°
11,12.13 u. 16,5"
Wu
19. I. 06
22. I. 07
23. I. 08
14,14,5,15 u. 20"
11, 14 u. 17®
15, 17 u. 18"
700
Dr. Schwink.
raetern, bei dem dritten und vierten Besuch jedoch nur von 3
Thermometern abgelesen und eingetragen.
Wenngleich jede Schule alljährlich aufgesucht wurde, finden
sich für manche Schulen nur 2, ja manchmal nur 1 Eintrag.
Dies läßt sich dadurch erklären, daß einzelne Schulzimmer aus
schultechnischen Gründen nur selten oder nur zu gewissen Zeiten
benützt wurden. So wurde gerade das Schulzimmer Ga nur
für den Abteilungsunterricht am Nachmittag gebraucht. Da ich
in jene Gegend am Nachmittag nicht leicht gelangen konnte,
mußte es mir genügen, die Temperaturen am Vormittag festzu¬
stellen, als zwar noch kein Unterricht erteilt wurde, das Zimmer
aber bereits für die Nachmittagsschule erwärmt worden war.
Wollen wir nun aus diesem bunten Durcheinander von
verschiedenen Temperaturen, das die 370 Einzelbesuche in den
Schulen ergeben haben, einige zusammenfassende Ergeb¬
nisse herausgreifen, so werden wir uns zweckmäßig an die
Temperaturen erinnern, die nach einer Regierungs-Entschließung
für Schulen maßgebend sind und sich danach zwischen 17 bis
20° bewegen sollen.
Die untere Grenze von 17° ist 110 mal nicht erreicht
worden, also an keinem der abgelesenen Thermometer, selbst
nicht in der Nähe des Ofens. Manchmal blieb die höchste
abgelesene Temperatur sogar sehr bedenklich unter der
Mindestgrenze zurück: 5 Ablesungen zeigten 9°, eine Ab¬
lesung 8°, 4 Ablesungen 7°, 2 Ablesungen 5°, je eine Ablesung
6° und 4° als höchste Temperatur. Trotzdem bereits 4 Stunden
lang geheizt worden war, konnte einmal die Temperatur nicht
über 5 Grad gehoben werden, so daß der betreffende Lehrer,
der den Ofen als unbrauchbar bezeichnete, die Kinder nach
Hause entlassen hatte; die Temperatur der Außenluft betrug
damals — 14°. Auch in weiteren 6 Beobachtungsfällen mußte
die herrschende Winterkälte (zwischen — 10° bis — 14° C) als
Mitursache der niederen Zimmertemperaturen angesehen werden,
während bei den anderen unzureichenden Temperaturen die herr¬
schende Winterkälte nicht allzu streng war.
Die mannigfachen Ursachen der niederen Temperaturen
sollen an dieser Stelle nicht weiter erörtert werden. Es möge
nur noch eine einzige Beobachtung Erwähnung finden, weil trotz
einer abgelesenen Höchsttemperatur von nur + 4 0 C doch Unter¬
richt erteilt wurde. Hier waren die Schüler mit dem Anschüren
des Feuers betraut; die Kinder schürten — in Gegenwart des
Berichterstatters — 10 Minuten vor Beginn des Unterrichts das
Ofenfeuer an und deshalb war die geringe Erwärmung des Schul¬
saales durchaus begreiflich. In wohltuendem Gegensatz zu dieser
Schule mag nochmals auf die bereits erwähnte Schule hingewiesen
werden, in der für den erst am Nachmittag beginnenden Unterricht
bereits am Vormittag um 10 Uhr das Feuer unterhalten w T urde.
Während also in vielen Schulen die höchste abgelesene
Temperatur noch weit absteht von der zu fordernden unteren
Grenze von 17 Grad, beanspruchen die dabei festgestellten
Temperaturen Ton Schulzimmern im Winter.
701
niedrigsten Zahlen gleichfalls einiges Interesse. Sie schwanken
in großen Grenzen und fallen sogar herab unter Null, indem
einmal das Schulthermometer minus 2 0 C. aufwies bei einer
Freilufttemperatur von minus 14 0 C.; da die höchste Temperatur
im- Zimmer nur + 9 Grad betrug, befanden sich die Kinder
nicht in der angenehmsten Lage.
So wie die untere Temperaturgrenze häufig nicht erreicht
wurde, so wurde auch mitunter die festgelegte obere Grenze
von +20° überschritten; solche Ueberschreitungen waren
begreiflicherweise vornehmlich in der Nähe des Ofens zu er¬
warten. Die Temperaturen stiegen in einzelnen Fällen bis zu
-f- 36 0 und 39 0 C.; die glühenden Wangen der in solcher
Hitze weilenden Kinder machten den Lehrer wie den Arzt
darauf aufmerksam, wie sehr die Schüler darunter litten.
Die ungünstigen Wärmeverhältnisse treten umso schärfer
hervor, wenn wir die gleichzeitig beobachteten niedrigsten
Temperaturen mit berücksichtigen; sie stellten sich auf 9 0
gegenüber 36 0 und auf 14 0 gegenüber 39 °.
Temperaturunterschiede sind in jedem Zimmer er¬
klärlich. Es bewirkt bekanntlich die natürliche Ventilation,
die neben einer künstlichen Ventilation nicht ausgeschaltet
werden kann, außer der Lufterneuerung eine Entwärmung der
Schulzimmer. Dabei kommen zu den gegebenen Spalten und
Lücken die freiere Lage des Schulhauses, die Windrichtung,
die Windstärke und andere Dinge in Betracht. Es ist so leicht
ersichtlich, daß es sich nur unter ganz besonders günstigen
Verhältnissen ermöglichen läßt, eine durchaus gleichmäßige
Temperatur in einem Schulsaale zu erhalten. Es lassen sich
selbst bei Zentralheizung in dem modernsten Schulhause an
verschiedenen Stellen der Säle größere und kleinere Unter¬
schiede feststellen; es treten auch hier Unterschiede bis zu 2
und 3 Grad Celsius zutage. Umso erklärlicher ist es dann,
wenn bei Einzelheizung, wie sie durch Ofenheizung gegeben
ist, die Temperaturunterschiede an verschiedenen Stellen des
Schulzimmers noch viel beträchtlicher ausfallen.
Die Temperaturunterschiede, die ich bei den vergleich¬
baren Ergebnissen feststellte, bewegten sich zwischen 0° bis
zu 5 0 in 193 Fällen, zwischen 6 bis 10 0 in 131 Fällen, zwischen
11 bis 14° in 35 Fällen, zwischen 16 bis 18 0 in 6 Fällen und
glücklicherweise zeigten nur ganz vereinzelte Fälle die kaum
glaublichen Unterschiede von 25 und von 27 Grad Celsius.
Ein Temperaturunterschied von 5 Grad muß bei Einzel¬
heizung als durchaus statthaft und zufriedenstellend bezeichnet
werden. Demnach wäre die Zahl von 193 Beobachtungen, bei
denen nur eine Differenz bis zu 5 Grad verzeichnet ist, ganz
erfreulich. Die Freude bedarf jedoch einer gewissen Einschrän¬
kung, weil bei dieser Differenz bis zu 5 Grad nur die abso¬
luten Temperaturangaben in Betracht gezogen wurden. Es ist
nämlich dabei keine Rücksicht genommen darauf, ob das an¬
gängige Mindestmaß von Wärme erreicht worden ist. Welchen
702
Dr. Schwink.
Wert hat z. B. eine Differenz von 3 Grad, wenn die höchste
Temperatur nur 5 Grad, die niedrigste 2 Grad Celsius nach¬
weist?
Wir müssen folgerichtig alle Fälle als ungenügend aus-
scheiden, bei denen das Temperatur-Minimum von 17 Grad
Celsius nicht erreicht ist. Nach dieser Auslese bekommen wir
bei einer Differenz bis zu 5 0 nur 104 Beobachtungen, bei einer
Differenz von 6 bis 10° 111 Beobachtungen. Bei den Diffe¬
renzen von 11 bis 27 Grad haben alle hierher gehörigen Fälle
mit Ausnahme von zweien das Temperatur-Minimum erreicht;
es sind dabei auch alle die unerfreulich hohen Differenzen
vertreten.
Das nach der nötigen Ausscheidung gewonnene Ergebnis,
dass unter den 368 vergleichbaren Beobachtungen 104 mal
nach Erreichung der Mindesttemperatur die Differenz zwischen
0 bis 5 Grad lag, darf nicht als hervorragend günstig bezeichnet
werden, weil nicht einmal ein Drittel der Untersuchungen zu¬
friedenstellende Verhältnisse aufdeckte.
In manchen Schulen werden bei erheblichen Temperatur¬
unterschieden die Kinder versetzt, so dass eine Zeitlang die
Hälfte der Kinder auf der kälteren, eine Zeitlang auf der wär¬
meren Abteilung sitzen. Höhere Temperaturunterschiede sind
jedoch immer beklagenswert, weil dabei mitunter ein fühlbarer
Zug und eine einseitige Abkühlung auftreten.
Das Heizmaterial kommt bei der Beurteilung des
Wertes einer Heizvorrichtung nur nebenbei in Betracht. Meine
Beobachtungen belehrten mich, daß sowohl mit Holz, als mit
Kohlen bei richtiger Konstruktion und Größe der Oefen sowie
bei richtiger Bedienung eine genügend gleichmäßige Wärme
erhalten werden kann. Nach meinen Erfahrungen wird über¬
wiegend ausschließlich mit Kohlen geheizt, in einzelnen Fällen
mit Kohlen und Holz und nur in den Schulen einer einzigen
Ortschaft ausschließlich mit Holz. Wie die beiden Schulen Sm
und S1 beweisen, kann man mit dem prächtigen Buchen-Scheit-
holz trotz uralter Oefen recht gute Erfolge erzielen. Die Luft
in diesen nur mit Holzheizung versehenen Schulen schien regel¬
mäßig besser zu sein als in Schulen mit Kohlenfeuer. Recht
störend für den Unterricht ist allerdings die Bedienung dieser
Oefen; sie beansprucht große Aufmerksamkeit seitens des Lehrers
und bewirkt unnötige Ablenkung seitens der Schüler. Den
gleichen Mißstand des ständig nötigen Nachschürens bedingen
auch jene Kohlenöfen, die nicht als Dauerbrand- oder Regulier¬
öfen eingerichtet sind.
Die Lage desSchulhauses kann für die Wirkung der
Beheizung nicht gleichgiltig sein. Es ist einleuchtend, daß
ein freistehendes Schulgebäude größere Anforderungen an die
Heizung stellt als ein Schulhaus, das durch Nachbargrund¬
stücke eingeengt ist. Für diese erklärliche Tatsache soll nur
darauf hingewiesen werden, daß z. B. die ringsum stark ein¬
gebauten Schulen Hi, Jm und Jn recht behagliche Tempera-
Temperataren von Schnlzimmern im Winter. 703
turen bei durchaus zulässigen Temperaturdifferenzen erzielten.
Im Gegensatz zu diesen finden wir in den Schulen Ha und He,
bei denen das Schulhaus frei auf einer Anhöhe dem Winde preis¬
gegeben ist, starke Differenzen; infolgedessen zeigte sich hier ein
Temperaturunterschied von 25 Grad, obgleich die Außenluft-
teraperatur 0 Grad betrug. Der starke Winddruck prägt sich in
den Zahlen deutlich aus.
Eine gewisse Bedeutung bei der Beheizung von Schulen
kommt der Art des Baues zu. Die alten Schulhäuser mit
den noch keineswegs modernen Schulsälen scheinen sich im
allgemeinen besser zu heizen, als die neuen mit den schönen
luftigen Ausmessungen und den zahlreichen hohen Fenstern.
In einigen neuen, modernen Schulen waren die Zimmertempe¬
raturen besonders bei kalten Wintertagen (— 10 Grad bis
— 14 Grad) recht bedenklich niedrig. Das lag natürlich nicht
an den modernen Schulbauten an sich, sondern ganz ausschlie߬
lich an den für solche Räume ungenügenden Oefen. Als Beweis
hierfür mag auf die Beobachtungen in den Schulen Lo und Lu
hingewiesen werden. Hier war in der großen wie auch in der
kleinen Schule ein Orion IV-Ofen aufgestellt worden. Während
bei einer Außentemperatur von — 14° C. das kleine Schulzimmer
als Höchsttemperatur noch -f- 10° C. auf wies, konnte in dem
darüber befindlichen großen, mehr dem Winde ausgesetzten Schul¬
zimmer die Temperatur nur auf -f- 5° C. gebracht werden. Auf die
Beschwerde des Lehrers hin wurde ein anderer Ofen gesetzt, mit
dem eine tadellose Beheizung erzielt worden sein soll. Aus
diesem Beispiel geht hervor, daß nicht jeder, angeblich für
eine bestimmte Anzahl von Kubikmetern berechnete Ofen auch
für jedes Schulzimmer von dieser Größe sich eignet, sondern
daß auch auf diesem Gebiete Erfahrungen und Beobachtungen
fast für jeden einzelnen Fall gesammelt werden müssen.
Eine gute und besonders eine recht gleichmäßige Durch¬
wärmung kann durch zwei kleinere, gleichzeitig geheizte, aber
an verschiedenen Stellen des Schulzimmers aufgestellte Oefen
erzielt werden, wie die Schulen Be, Rn und Ro zeigen. Größere
Schulsäle lassen sich dadurch recht behaglich heizen, wobei
vor allem wohltuend erscheint, daß durch die kleineren und
nicht übermäßig geheizten Oefen eine Belästigung der dem Ofen
zunächst sitzenden Kinder durch strahlende Wärme hintangehalten
wird, was bei einem einzigen Ofen keineswegs immer möglich
ist. Selbst bei den sonst recht brauchbaren Hennsehen
Mantelöfen strahlt durch die Schüröffnung, die durch den
Mantel nicht abgeblendet werden kann, bei ungünstiger Stel¬
lung des Ofens eine recht erheblich belästigende Wärmemenge
dem in der Nähe sitzenden Kinde entgegen.
Eine zentrale Heizanlage ist auch in Landschulen
bereits öfters eingerichtet worden. Bei größeren Schulhäusern
mit 4 bis 6 Lehrsälen lassen sich durch eine Niederdruck¬
dampfheizung die erwünschten Temperaturgrade erzielen, wäh¬
rend bei kleineren Schulen mit einem bis 3 Schulräumen eine
704
Dr. J. Olbrycht.
Warmwasserheizung manchmal vorteilhafter ist. Die Mehr¬
kosten, die durch den größeren Verbrauch von Kohlen bedingt
sind, werden reichlichst aufgewogen durch den Wegfall des
Staubes des Brennmaterials, durch die gleichmäßigere Tem¬
peratur und durch den völligen Wegfall von strahlender Wärme,
die bei Einzelheizung oft ungemein störend und schädlich ist.
Zum Schlüsse kann ich meine Ergebnisse dahin zusammen¬
fassen, daß die so sehr anregende und befriedigende Tätigkeit
eines Bezirksarztes auch bei der Beobachtung der Tempera¬
turen in Schulen durch Rat und Tat eine segensreiche wird.
Das Recht und die Pflicht zu solchen Beobachtungen ist jetzt
jedem bayerischen Bezirksarzt gegeben im zweiten Absatz des
§ 27 seiner Dienstanweisung vom 23. Januar 1912.
Aus dem gerichtsärztlichen Universitätsinstitut in Krakau
(Direktor: Prof. Dr. Leo Wach holz).
Ein Fall von Selbstvergiftung durch Ammoniak.
Von Dr. J. Olbrycht.
Sehr charakteristisches Bild, sowie der Umstand, daß die
Vergiftungen durch Ammoniak zu seltenen Vorkommnissen
gehören (nach Kobert sind in der Weltliteratur nur 48 Fälle
beschrieben; im hiesigen Institute ist es der zweite Fall — der
erste ist von Prof. Dr. Wachholz in Schmidtmanns Hand¬
buch der gerichtlichen Medizin Bd. I, S. 854 beschrieben) recht-
fertigen die Veröffentlichung des Falles.
Am 11. September 1911 habe ich im hiesigen Institute
die Sektion der Leiche der am vorigen Tage früh am Haupt¬
friedhofe am Grabe ihres Geliebten tot gefundenen, 28 Jahre
alten Frauensperson J. H. ausgeführt. Neben der Leiche wurde
eine 100 g enthaltende Flasche ohne Etiquette und Inhalt
und in der Tasche der Denata einige weißliche Pulver ohne
charakteristischem Geruch gefunden. Die Sektion ergab:
Aeußerlich: Eine wohlgenährte, gnt gebaute, 154 cm lange Weibes¬
leiche. Die Hautdecken und die sichtbaren Schleimhäute blaß. Aul den
abhängigen Teilen des Körpers spärliche, livide Totenflecke; Toten¬
starre überall entwickelt. Hymen semilunaris defloratus mit alter, tiefer,
bis zur Basis gehender Einkerbung; sonst am Körper äußerlich nichts Auf¬
fallendes, insbesondere keine Verletzungsspnren.
Innerlich: Weiche Schädeldecken, Schädeldach und Schädelbasis
unverletzt, blaß. Das Schädeldach ist symmetrisch, seine Dicke beträgt
3,5—6 mm. Die harte Hirnhaut ist nicht mit dem Schädel verwachsen und
ähnlich wie die weichen Hirnhäute zart, nirgends verdickt, glänzend, in hinteren
Partien mit hypostatischer Hyperämie. Das Gehirn windungsreich von der
gewöhnlichen Konsistenz, die Blutpunkte zahlreich, der Flüchtigkeitsgehalt ist
ein mittlerer. Die Seitenkammern sind leer, das Ependym ist zart in sämt¬
lichen Kammern. Durchschnitte durch Hirnrinde, Großhirnganglien, Kleinhirn
und verlängertes Mark ergeben keine makroskopischen Veränderungen und
Verletzungen. Basalgefäße des Gehirns dünn, kollabiert. In den Blutleitern
der Schädelbasis reichliches, dunkles, flüssiges Blut.
Der Kehlkopf und die Luftröhre „in situ“ geöffnet leer; ihre
Schleimhaut hellrot injiziert, geschwollen, mit reichlichem, glasigem Schleim
bedeckt. Thymus teilweise erhalten; lymphatische Halsdrüsen vergrößert,
an der Schnittfläche rötlich, saftig.
Ein Fall von Selbstvergiftung durch Ammoniak.
705
Zwerchfellstand rechts 4. Rippe, links 4. Interkostalraum. Pleura¬
blätter glatt, dünn, spiegelnd, mit spärlichen snbplentalen Ecchymosen, ohne
freie Flüssigkeit. Lungenparenchym überall lufthaltig, an der Schnittfläche
glatt, blutreich, derb; beim Druck quillt reichliche, feinblasige, klare Flüssig¬
keit mit Blut vermischt. Die Schleimhaut der Bronchien injiziert, geschwollen,
hie und da mit Ecchymosen bedeckt, Lungengefäße normal. Die Lymphdrüsen
der Brusthöhle sind mäßig pigmentiert.
Der Herzbeutel ohne Veränderungen. Herz von normaler Größe
und Bau, postmortal kontrahiert, leer. Subepikardiales Fettgewebe gering
entwickelt. Die sämtlichen Herzklappen schlußfähig; das Endokard zart, glatt,
spiegelnd. Foramen ovale geschlossen. Herzmuskel von normaler Dicke, Farbe
und Konsistenz. Aorta und Pulmonalis enthalten sehr spärliche dunkelrote
Blutgerinnsel, ihre Intima glatt, zart. Die Kranzgefäße wegsam, elastisch,
ohne Veränderungen.
In der Bauchhöhle findet sich keine freie Flüssigkeit. Bauchfell
überall glatt, blaß, dünn, glänzend. Netz mäßig fettreich. Die Baucheingeweide
normal gelagert. Milz groß, 19 cm lang, 12 cm breit, 4 cm dick mit ge¬
spannter Kapsel, an der Schnittfläche livid verfärbt, blutreich, aber derb, mit
scharf hervortretenden Trabekeln; Follikeln nicht sichtbar.
Leber von normaler Größe und Konsistenz, an der Schnittfläche
spärliche, meistens an der Oberfläche gelegene gelblich gefärbte Herde, sonst
Leberparenchym rotbraun, blutreich, durchfeuchtet, normal gezeichnet. Die
Gallenblase enthält eine geringe Menge flüssiger Galle; Gallenwege
wegsam. Beide Nieren ziemlich groß, derb, blutreich; ihre Kapseln leicht
abziehbar und dünn, Oberfläche glatt, an der Schnittfläche das Parenchym
normal gezeichnet, ohne Veränderungen. Beide Harnleiter durchgängig; Harn¬
blase kontrahiert, leer, die Schleimhaut ist blaß. Gebärmutter von der
Größe einer großen Pomeranze; sie enthält im Cavum einen ßmonatigen Embryo.
Ostium uteri externum oval, ohne Einkerbungen. Im linken Eierstock corpus
luteum verum, sonst Adnexa ohne Veränderungen.
Die Lippen blaßbläulich; Mundhöhle und Pharynx enthalten etwas
schaumige Flüssigkeit, ihre Schleimhaut gerötet, geschwollen. Beide plicae
ary-epiglotticae und chordae vocales besonders stark geschwollen, injiziert, mit
zahlreichen kleinen Ecchymosen durchsetzt. Speiseröhre länglich stark
gefaltet, sonst normal.
Die Außenfläche des mittelgroßen Magens ist blaß; dem eröffneten
Magen entströmt ein starker Ammoniakgeruch, den auch der Mageninhalt
besitzt. Dieser besteht aus ungefähr 800 g dickflüssiger, von gräulicher
Farbe und stark alkalischer Reaktions-Flüssigkeit. Die Schleimhaut des
Magens ist in zahlreiche Falten gelegt, gelblich-bräunlich verfärbt; außerdem
zeigt sie an der vorderen, sowie an der hinteren Fläche des Magens bei der kleinen
Kurvatur je eine handtellergroße, scharlachrote Verfärbung; sonst überall stark
gelockert, geschwollen, mit reichlichem glasigblutigen Schleim bedeckt, hie und
da mit spärlichen Ecchymosen. Erosionen fehlen. Submucosa des Magens,
sowie die Gefäße des Netzes und des Gekröses führen viel Blut, das
flüssig und dunkelrot ist. Dieselben Veränderungen wie der Magen zeigen
Zwölffingerdarm und Anfangsteil (20 cm) des Leerdarmes. Die
Rötung und Schwellung verringern sich nach unten zu allmählig so. daß der
Rest des Dünndarms, sowie der Dickdarm keine Abweichungen von der Norm
zeigen. Superrenaldrüsen, Bauchspeicheldrüse und Schilddrüse ohne makros¬
kopischen Veränderungen. Knochengerüst unverletzt.
Die chemischeUntersuchung des Mageninhaltes, irn
Laboratorium von Prof. Marchlewski durchgeführt, hat sonst
kein anorganisches Gift, insbesondere Cyankalium nachgewiesen;
die bei Denata gefundenen Pulver erwiesen sich als Reispuder.
Das Gutachten lautete im vorliegenden Falle: J. H.
befand sich im dritten Monate der Schwangerschaft und starb
infolge einer akuten Aramoniakvergiftung; es widerspricht nicht
der Annahme, daß Selbstmord in diesem Falle vorliegt.
706
Dr. Bleich: Ein seltener Leichenbefund.
Ein seltener Leichenbefund.
Mitteilung yon Med.-Rat Dr. Bleich, Kreisarzt in Hoyerswerda.
Ara 1. August d. J. war ich von dem zuständigen Amts¬
gericht im benachbarten Kreise zu einer Leichenöffnung nach
dem Dorfe D. geladen und wurde daselbst in einer Scheune
an einer schrägstehenden Leiter etwa in Manneshöhe die nur
mit blutig durchtränktem Hemd und Unterhosen bekleidete
Leiche eines 168 cm großen Mannes mit gebeugten Knieen
hängend vorgefunden.
Der Kopf der Leiche war stark nach rückwärts gebogen
und um ihren Hals eine starkgliedrige eiserne Kette, wie sie
zum Festhalten von größeren Tieren gebraucht wird, zweimal
fest geschlungen. Nach Abnahme der Kette fanden sich, da,
wo die Kette gelegen hatte, tiefe Eindrücke, die um die hintere
und seitliche Gegend des Halses liefen und den Kehlkopf frei
ließen. Nach Entkleidung der Leiche fand sich weiter, daß die
Geschlechtsteile der Leiche vollständig fehlten und an ihrer
Stelle eine handtellergroße 2 cm tiefe Zusaromenhangstrennung
der Haut und der darunter liegenden Gebilde mit zerfetztem
Grunde und zerfetzten Rändern, die nicht blutig durchtränkt
waren, vorlag.
Zunächst konnte dafür, auf welche Weise die Geschlechts¬
teile entfernt waren, keine Erklärung gefunden werden, und
erst durch die Zeugenaussage eines Mannes, der an dem Tage
frühmorgens in die Scheune gekommen und gesehen hatte, wie
der eigene Hund des Toten an der Leiche heraufgesprungen
— gewiß eine seltene Anhänglichkeit eines Hundes an seinen
Herrn — und mit blutigem Maule davongelaufen war, kam Licht
in die Sache und konnte auch der Annahme, daß die Geschlechts¬
teile an der Leiche durch Hundebisse entfernt waren, zumal
da an den Wundrändern die Zeichen einer intravitalen Ver¬
letzung fehlten, ärztlicher seits nicht widersprochen werden.
Von einer Leichenöffnung wurde Abstand genommen.
Das Gutachten lautete:
1. Der Tod des Mannes ist in Folge Erhängens erfolgt.
2. Spuren sonstiger äußerer Verletzungen oder Eingriffe,
die auf eine andere Todesart hinweisen, konnten nicht fest¬
gestellt werden.
3. Der sich auf Zeugenaussagen stützenden Annahme, daß
die Geschlechtsteile an der Leiche von einem Hunde abge¬
fressen worden sind, widerspricht nicht der Befund.
Aus Versammlungen und Vereinen.
Bericht über die XI. LandesveraaBmlnng des bayerisches
Medizinal beamten verein» am 11. and 12. Juli 1914
ln Neustadt a. H. (Rheinpfalz).
Die Veröffentlichung des Berichts über die kurz vor Kriegsbeginn am
11. und 12. Juli 1914 in Neustadt a. H. abgehaltenen XI. Landes Versammlung
des bayerischen Medizinalbeamten Vereins hat sich infolge der Kriegsereignisse
erst jetzt ermöglichen lassen. In Rücksicht auf die durch die Verhiltoisw
Bericht über die XI. Landesversammlung des bayer. Medizioalbeamtenvereins. 707
gebotene Selbstbeschränkong sehen wir davon ab, wie sonst einen ausführlichen
Versammlungsbericht dem Drnck za übergeben; wir können dies umsomehr,
als die auf der Tagung gehaltenen Vorträge in Nr. 21, 22 und 28 der Zeit¬
schrift für Medizinalbeamte veröffentlicht sind.
Die Versammlung war von über 70 Teilnehmern aus ganz Bayern be¬
sucht. Als Vertreter des Ministeriums wohnten der Tagung die Ministerial¬
räte Prot Dr. Dieudonnö und Dr. Huber bei. Von den Kreisregierungen
waren Oberfranken, Unterfranken und Schwaben durch ihre Medizinalreferenten
vertreten, die pfälzische Kreisregierang hatte Obermedizinalrat Dr. Demuth
und des Landeskommissär für Typhasbekämpfang in der Pfalz, Regierangsrat
Graf von Soden als Vertreter abgeordnet. Weiterhin waren als Vertreter
der örtlichen Behörden Bezirksamtmann Reg.-Rat Junker und Bürgermeister
Wandt, ferner für den deutschen Medizinalbeamtenverein Geh. Ob.-Mcd.-Rat
Dr. Hauser von Darmstadt, für den preußischen Verein Reg.- and Geh. Med.-
Rat Dr. Wodtke-Saarbrücken, Reichskommissar für die Typhusbekämpfang
im Westen, für die pfälzische Aerztekammer Hofrat Dr. N e u m a y e r - Kaisers¬
lautern, für den pfälzischen Aerzteverein Dr. Stritter in Kaiserslautern
sowie für die vier pfälzischen ärztlichen Bezirksvereine deren Vorsitzende
anwesend; die k bakteriologische Untersachungsstation Landau war durch ihren
Vorstand, Stabsarzt Dr. Otto Mayer, vertreten.
Am Sonnabend, den 11. Jali, nachmittags fand eine Sitzung des Vereint-
Vorstandes statt, auf der sämtliche Kreisverbände vertreten waren. Es kamen
auf ihr Standesfragen und innere Vereinsangelegenheiten zar eingehenden Be¬
sprechung.
Zunächst wurde der bisherige Landesvorsitzende, Reg.- und Med.-Rat
Dr. Fr ick hinge r-Würzburg, ersucht, trotz seiner Ernennung zum Medizinal¬
referenten der unterfränkischen Kreisregierang den Vorsitz beizubehalten.
Von dem oberfränkischen Kreisvorsitzenden, Med.-Rat Dr. Heißler,
wurde sodann ein Antrag des Bezirksarztes Dr. Schn eil er-Bamberg vor¬
getragen, wonach das Ministerium ersucht werden soll, an Stelle oder neben
den bisher üblichen allgemeinen Fortbildungskursen für die Medizinal¬
beamten Kurse aus dem Gebiete der sozialen Medizin von etwa 8tägiger Dauer
abzuhalten. Der Antrag fand allgemeine Zustimmung.
Die an demselben Tage abends 9 Uhr im Gasthaus zum Löwen
angesetzte Mitgliederversammlung nahm den Bericht des Vorsitzenden
über die Tätigkeit des Vereins und den Rechenschaftsbericht des
Schrift- und Kassenführers entgegen. Danach hatte der Verein am
1. Juli 1914 383 Mitglieder gegenüber 381 des Vorjahres. Durch den Tod hat
er folgende Vereinsmitglieder verloren:
Med.-Rat Dr. Friedrich Böhm, Bezirksarzt der Stadt Augsburg,
Hofrat Dr. Lacher in Berchtesgaden,
Dr. Wilhelm Mayer, prakt. Arzt in München,
Bezirksarzt Dr. Rittmayer in Mainberg,
Med.-Rat Dr. Schalkhauser, Landgerichtsarzt in Augsburg und
Reg.- u. Med.-Rat Dr. Christian Utz in Augsburg.
Zum ehrenden Andenken der Verstorbenen erhoben sich die Anwesenden
von ihren Sitzen.
Die von dem Schrift- und Kassenführer vorgelegte Rechnung
schloß am 31. Dezember 1913 mit einem Bestand von 147,67 Mark. Auf Antrag der
mit der Rechnungsprüfung betrauten Bezirksärzte Dr. Becker und Dr. Drey-
fuß wurde dem Schrift- und Kassenführer, Polizeiarzt Dr. Schuster, Ent¬
lastung erteilt.
Da die auf der Mitgliederversammlung in Nürnberg am 21. Juni 1913
abgeänderten Satzungen nicht vollkommen den gesetzlichen Vorschriften
zur Anmeldung des Vereins beim Registergericht entsprechen, wurden vom
Vorstand verschiedene Aenderungen vorgeschlagen und von der Versammlung
einstimmig angenommen.
Am Sonntag, den 12. Juli begann — gleichfalls im Gasthaus zum
Löwen — vormittags 9*/* Uhr die Hauptversammlung. Nach einleitenden
Begrüßungsworten des Vorsitzenden, Reg.-u. Med.-Rat Dr. Frickhinger,
übermittelte Ministerialrat Prof. Dr. Dieudonnö den Gruß de? Staats¬
ministers Dr. Freiherrn von Soden-Fraunhofen. Er sprach gleichzeitig den
708
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften
Amtsärzten und den prakt. Aerzten der Pfalz, die in so vorbildlicher und
tatkräftiger Weise sich um die Typhusbekämpfung verdient gemacht haben,
die wohlverdiente Anerkennung aus.
Nach weiteren Begrüßungsansprachen ergriff der langjährige
verdiente Medizinalreferent der pfälzischen Kreisregierung, Ober-Mcd.-Rat
Dr. Demulh das Wort zu seinem angekündigten Vortrag: „Hygienische
Streiflichter aus der Rheinpfalz“, um in lichtvollen Ausführungen die
hygienischen Fürsorgeeinrichtungen der Pfalz zu schildern (s. Nr. 21 dieser
Zeitschrift, S. 625—646).
Zum zweiten Punkt der Tagesordnung erstattete Stabsarzt Dr. Otto
Mayer Bericht über die Bedeutung der bakteriologischen Untersuchungs-
statlon Landau für die Bekämpfung der Infektionskrankheiten Im
Regierungsbezirk der Pfalz, durch dessen Tätigkeit bekanntlich der in der
Pfalz endemische Typhus in zielbewußter Weise bekämpft und zurückgedrängt
ist (8. Nr. 22 dieser Zeitschrift, S. 657—678). Ip der an den Vortrag sich an¬
schließenden Aussprache ergriffen der Reichskommissär für die Typhusbekämpfung
Geh. Med. *Rat Dr. W o d t k e - Saarbrücken und Reg.- und Med.-Rat Dr.
Frickhinger das Wort.
Den dritten Vortrag hielt Reg.- u. Med.-Rat Dr. Schwink aus Bayreuth
über die Temperatur von Schulzimmern im Winter. Er berichtete über eine
Reihe ausführlicher eigener Beobachtungen und wußte durch Darbietung von
Tabellen seinen Vortrag äußerst lehrreich zu gestalten (s. die heutige Nummer
der Zeitschrift, S. 698—704). Nachdem der Vorsitzende unter der lebhaften
Zustimmung der Versammlung den Vortragenden für ihre lehrreichen Aus¬
führungen gedankt hatte, schloß er kurz nach 1 Uhr die Verhandlungen.
Ein gemeinsames Mittagessen vereinigte hierauf die Teilnehmer der
Versammlung.
Der Nachmittag wurde zu einem Ausflug nach Bad Dürkheim
und zur Besichtigung der dortigen Kureinrichtungen benützt. Bad Dürkheim
ist ein idyllisch gelegener aufstrebender Kurort, der durch seine arsenhaltige
Quellen sicher eine Zukunft hat.
An die Besichtigung des Bades schloß sich in echt pfälzischer Weise
eine Weinprobe pfälzischer Edelgewächse an.
Ein Teil der Kollegen machte tags darauf noch einen Ausflug in das
Herz des Pfälzerwaldes, der größere Teil der rechtsrheinischen Kollegen fuhr
über Stuttgart zur Besichtigung der dortigen Hygieneausstellung
zurück — allen aber wird die vom pfälzischen Lokalkomitee trefflich vorbe¬
reitete Tagung in der schönen Pfalz unvergeßlich bleiben.
Dr. Schuster-Augsburg.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
A. SaohveratAndlgent&tlgkeit In Unfall- and Invalidftt&ts- and
Krankenvernloherungsnaohen.
Für die Schätzung der Einbuße an Erwerbsfähigkeit ist der allge¬
meine Arbeitsmarkt, soweit er für den Unfallverletzten ln Betracht kommt,
maßgebend und nicht die etwaige Behinderung auf einem einzelnen Wirt¬
schaftsgebiete. Rekurs-Entscheidung des lteichsversicherungs-
amts vom 6. Mai 1916.
Nach dieser Entscheidung ist die Rente eines Bergarbeiters, dessen
Erwerbsfähigkeit bei bergmännischen und im allgemeinen auch bei anderen
Arbeiten nicht mehr beeinträchtigt war, aufgehoben worden, obwohl die Folgen
der Verletzung ihm bei der von ihm ausgeübten Schustern hinderlich waren.
In Unfallstation angestellte Hellgehilfen unterliegen der Angestellten*
Versicherung. Beschluß des Ober Schiedsgerichts für Ange¬
stelltenversicherung vom 19. Mai 1916.
Mag auch für die spätere Wartung und Pflege des Verletzten in erster
Linie der Arzt verantwortlich sein, so hat doch der auf der Unfallstation des
Hüttenwerkes angestellte staatlich geprüfte Heilgehilfe J. gerade bei der
Kleinere Mitteilungen'und Referate aus Zeitschriften. 709
ersten, besonders wichtigen Behandlung der im Betriebe Verunglückten die
nächsten Maßnahmen zu treffen, die oft für das Leben und die Gesundheit der
in die Unfallstation Eingelieferten von der höchsten Bedeutung sind. Er hat
zunächst allein und unter ausschließlicher Verantwortlichkeit selbständig Not¬
verbände anzulegen und erforderlichenfalls Wiederbelebungsversuche vorzu-
nehmen. Von seiner Geschicklichkeit, Umsicht und Tatkraft wird also nicht
selten das Leben der Verunglückten abhängen. Er bekleidet somit eine Stellung,
die etwa der des Arztes auf einer Unfallstation verwandt ist, und das hohe
Maß von Verantwortung kann und darf ihm auch nur mit Rücksicht auf seine
Vorbildung auf dem Gebiete der Heilkunde zugestanden werden. Er hat sich
nämlich nicht nur in Krankenhäusern praktische Erfahrung in ärztlichen Dingen
erworben, sondern mußte auch seine Befähigung als Heilgehilfe durch eine
staatliche Prüfung erweisen.
Hinzu kommt, daß seine Tätigkeit sich nicht mit der ersten Hilfeleistung
erschöpft. Er bat vielmehr ferner selbständig zu befinden, ob ein Verletzter
nur einem Aerzte oder alsbald einem Krankenhause zu überweisen ist. Endlich
hat er in leichteren Fällen sogar die Weiterbehandlung der Verletzten selbst
zu bewirken. Mag er dabei auch unter der Oberaufsicht des Arztes stehen,
so muß er doch naturgemäß auch bei diesen Verrichtungen ein nicht geringes
Maß von eigener Verantwortlichkeit tragen und nicht unerhebliche fach¬
technische und medizinische Kenntnisse und Erfahrungen besitzen, ohne die
er nicht mit Erfolg sich als ein sachverständiger Gehilfe des Arztes erweisen
könnte. Hiernach bandelt es sich keineswegs, wie das Schiedsgericht meint,
um einen gewöhnlichen, unter fortlaufender ärztlicher Kontrolle stehenden
Heilgehilfen.
(Sächsische Korrespondenz; Nachdruck nur mit deren Genehmigung gestattet.)
Pflegerinnen in Kinderheilstätten unterstehen nicht der Angestellten-
verstcherungspfllcht. Beschluß des Oberschiedsgerichts für
Angestelltenversicherung vom 18.März 1916.
Die Kinderpflegerinnen haben Arbeiten zu verrichten, wie sie auch von
Kindermädchen verlangt und geleistet werden. Um Dienste höherer Art
handelt es sich dabei nicht. Wenn die Verwaltung der Heilstätte mit Vor¬
liebe Mädchen aus besseren Familien verwendet, so erklärt sich dies einmal
daraus, daß sie bei diesen infolge ihres höheren Bildungsgrades ein besonderes
Verständnis für die Pflege erholungsbedürftiger Kinder voraussetzen kann,
nicht zum wenigsten aber daraus, daß diese Mädchen den Aufenthalt an der
See als ein Mittel für ihre eigene Kräftigung betrachten und deshalb nur
geringe Gehaltsansprüche stellen. Wenn daneben von den Kinderpflegerinnen
aus besseren Familien zugleich eine gewisse erziehliche Einwirkung auf die
Kinder erwartet wird, die vielleicht einfache Kindermädchen nicht in diesem
Maße zu üben vermögen, so kann doch dieser Umstand nicht als der Haupt¬
zweck der Tätigkeit der Kinderpflegerinnen werden. Es handelt sich hier
nicht um eine Erziehungsanstalt, sondern um eine Heilstätte, deren vornehmster
Zweck auf die körperliche Kräftigung der ihr überwiesenen Kinder gerichtet
ist. Die Kinderpflegerinnen sind daher nur Gehilfinnen der Anstaltsverwaltung
und fallen mithin nicht unter die Angestellten-, sondern unter die Reichsver¬
sicherung für Arbeiter, Dienstboten etc.
(Sächsische Korrespondenz; Nachdruck nur mit deren Genehmigung gestattet).
Verpflichtung der Krankenkassen znr Gewährung von ärztlicher
Behandlung an Trunksüchtige oder zur Tragung der Kosten in einer
Trinkerhellstätte. Revisions-Entscheidung des Reichs Versiche¬
rungsamts vom 6. Dezember 1 915.
Trunksucht erheblichen Grades (chronischer Alkoholismus) ist eine
Krankheit im Sinne des Krankenversicherungsgesetzes und der Reichsver¬
sicherungsordnung. Sie ist eine pathologische Erscheinung, mit der krankhafte
Veränderung innerer Organe (Herz, Leber, Nieren, Magen) und eine Schwächung
des Nervensystems und des geistigen Zustandes (Willensschwäche) verbunden
ist. Deshalb hat der Schwer-Trunksüchtige Anspruch auf Kassenbehandlnng
und, da diese häufig in Trinkerheilstätten Erfolg verspricht, auch auf Aufnahme
in eine solche; die dadurch entstehenden Anstaltskosten hat die Kasse zu
710 Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften.
ersetzen. Die Voraussetzung der Kassenbehandlung, Erwerbsunfähigkeit, ist
bei derartigen Kranken fast ausnahmslos anzunehmen. Die Arbeitsunfähigkeit
besteht auch während des Aufenthalts in der Trinkerheilstätte fort, da der
Kranke während dieser Zeit seinem Beruf nicht nachgehen kann. Die Trinker-
heilstätte ist einem Krankenhause gleich zu achten, wenn auch die Natur der
Krankheit, wie häufig bei den Insassen einer Lungenheilstätte, es mit sich
bringt, daß keine Bettlägerigkeit eintritt, sondern daß die Kranken innerhalb
der Anstalt Bewegungsfreiheit haben, weil eine geeignete Beschäftigung zum
Heilverfahren gehört.
(Sächsische Korrespondenz; Nachdruck nur mit deren Genehmigung gestattet.)
Falls eine Krankenkasse durch die Satzungen auch bei Zahnkrank*
heiten Behandlung der Kassenmitglieder durch den Kassenarzt bestimmt
hat, ist sie, abgesehen von dringenden Fällen, nicht znr Tragung der
Kosten für die Behandlung durch einen Zahnarzt verpflichtet. Revisions-
Entscheidung des Reichsversicherungsamts vom 81. Jan. 1916.
Die Kasse bat die Wahl, ob sie bei Zahnkrankheiten die ärztliche Be¬
handlung durch approbierte Aerzte oder durch Zahnärzte gewähren will; sie
genügt also ihrer gesetzlichen Verpflichtung, wenn sie die ärztliche Versorgung
ihrer Mitglieder bei Zahnkrankheiten entweder durch approbierte Aerzte oder
durch approbierte Zahnärzte vornehmen läßt.Hieraus folgt, daß, wenn
die Kasse die Behandlung durch approbierte Aerzte gewählt hat, die Kassen¬
mitglieder bei Zahnkrankheiten, von dringenden Fällen abgesehen, zunächst
den Kassenarzt aufsuchen müssen; denn auch für Zahnkrankheiten muß an
dem Grundsatz festgehalten werden, daß die Zuziehung eines anderen Arztes
als des Kassenarztes für Rechnung der Krankenkasse nur dann gerechtfertigt
erscheint, wenn der zunächst in Anspruch genommene Kassenarzt es für not¬
wendig erachtet, oder wenn er die Behandlung nicht übernehmen oder fort¬
setzen will, oder wenn seine Befähigung für die erforderliche ärztliche Behand¬
lung mit Grund angezweifelt wird. Danach kann es keinem Zweifel unterliegen,
daß der Kläger, zumal er das Vorliegen eines dringenden Falles nicht behauptet
hat, sich zunächst an den Kassenarzt zu wenden hatte. Da er dieses nicht
getan bat, so konnte der Vorstand der beklagten Kasse die Erstattung des
beanspruchten Betrags ablehnen.
(Sächsische Korrespondenz; Nachdruck nur mit deren Genehmigung gestattet.)
Satzungsbestimmungen, die allgemein die Gewährung von Zahn¬
plomben von der Zustimmung des Vorstandes abhängig macht, sind
unzulässig. Revisions-Entscheidung des Reichsversicherungs-
amts vom 80. Oktober 1915.
Diese Entscheidung stimmt im wesentlichen mit der in Nr. 7 dieser
Zeitschrift, Jahrg. 1916, S. 206 mitgeteilten Entscheidung überein. Nur der
Schlußsatz hat folgende etwas abgeänderte und erweiterte Fassung: „Unbe¬
denklich würde dagegen eine Satzungsbestimmung sein, die nur die Gewährung
solcher Plomben, die lediglich zur Behebung von Schönheitsfehlern dienen,
von der vorherigen Zustimmung des Vorstandes abhängig macht. Zweifelhaft
kann allerdings sein, ob eine solche Bestimmung allein den praktischen Be¬
dürfnissen der Kasse genügend Rechnung tragen würde, oder ob nicht außerdem
eine Einwirkung auf die mit der Kasse im Vertragsverhältnisse stehendes
Aerzte, auch ihrerseits eine solche Bestimmung zu beachten, erforderlich sein
würde.“
B. Bakteriologin und BekAmpfung dar übertragbaren Krankkeltee
1. Fleckfieber.
Ueber den Flecktyphus als Kriegsseuche. Mit besonderer Berück¬
sichtigung der Prophylaxe. Von Dr. Fr. Wolter in Hamburg. Zusammen¬
stellung von drei Aufsätzen aus der Berliner klinischen Wochenschrift (1916,
Nr. 81, 32, 40). Hamburg 1916, Gebr. Lüdeking.
Wolter verficht bekanntlich mit großer Energie den lokalistischen
Standpunkt v. Pettenkofers, indem er wiederholt beim Vorkommen von
Cholera- und Typbusepidemien den Nachweis zu führen suchte, daß es örtliche
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
711
and zeitliche Bedingungen besonderer Art seien, die za solchen Epidemien
fuhren. In dem vorliegenden Aufsatz beschäftigt er sich mit dem Fleckfieber,
einer aasgesprochenen Kriegsseache, die als „neue Krankheit" im 16. Jahr*
hundert die vorherrschende Seuche, die Pest, abgelöst habe. Aach das Fleck¬
fieber ist nach Wolter, wenn es epidemisch auftritt, an bestimmte Boden¬
bedingungen und klimatische Einflüsse gebunden. Es wird diese seine Ansicht
besonders an der Cottbuser Epidemie im Winter 1914 dargetan. Koch selbst,
der Gegner der Pettenkofersehen Theorie, hat nach der Ansicht des Ver¬
fassers über den Flecktyphus sich in einer Weise geäußert, die mehr für die
Bodentheorie spricht, als die jetzt ziemlich allgemein verbreitete Ansicht von
der Uebertragung der Krankheit durch Läase. Letztere läßt Wolter durch¬
aus nicht gelten, er erblickt vielmehr in der Bodenverbesserung, gute Venti¬
lation, Ortswechsel der Erkrankten die besten prophylaktischen Maßnahmen.
Das letzte Wort scheint noch nicht über das Fleckfieber gesprochen zu
sein: manches ist sicher noch rätselhaft in der Epidemiologie der Seuche; dies
geht wohl auch aus der Epidemie in Cottbus nach der Beschreibung von
Jürgens hervor. Darum soll auch die andere Partei gehört werden, wenn
es sich auch um eine ziemlich vereinzelte Stimme gegenüber der vorherrschen¬
den Meinung handelt. Dr. Solbrig-Königsberg.
Praktische Bemerkungen zur Aetiologie des Fleckflebers. Von
Dr. E. Fuld-Berlin. Berliner klinische Wochenschrift; 1916, Nr. 43.
Verfasser wendet sich gegen die kritischen Bemerkungen Fried¬
bergers, das die ätiologische Einheit beim Fleckfieber nicht anerkennt und
die Protozoennatur des Erregers noch nicht für bewiesen, deshalb auch die
ausschließliche oder hauptsächlichste Uebertragung der Krankheit durch Läuse
nicht für sicher hält. Er steht auf den Standpunkt, den wir Medizinalbeamten
jedenfalls alle für den richtigen halten, daß man praktisch daran festhalten
solle, das Fleckfieber als eine spezifische, hochgradig infektiöse Krankheit auf¬
zufassen und prophylaktisch an den bewährten Vorbeugungsmaßnahmen der
Entlausung und Isolierung nicht zu rütteln.
Dr. Solbrig-Königsberg i. Pr.
Ueber Fleckfieber und Entlausung. Von Stabsarzt Prof. Dr. Arneth-
Münster i. W., zurzeit im Felde. Berliner klin. Wochenschrift; 1916, Nr. 44.
Es ist dem Verfasser nicht zweifelhaft, daß außer durch Läusestiche
auf andere Weise die Seuche übertragen wird. Schon die Erwägung, daß beim
Vorhandensein von großen Mengen von Fleckfiebererregern im Läusekörper
auch bei deren Zugrundegehen große Mengen davon frei werden müssen und
als feinste Partikelchen sich der Außenwelt mitteilen können, deutet darauf
hin, daß andere Uebertragungsmöglichkeiten vorliegen. Es ist lange bekannt
und durchaus einleuchtend, daß durch Gegenstände, Kleider, Decken usw.
der Erkrankungskeim übertragen werden kann, ebenso muß selbst der über¬
zeugte Anhänger der direkten Läuseübertragung auch mit einer Uebertragungs-
möglichkeit durch die Luft rechnen. Ein Teil der Infektionen, an denen
einige unserer besten Forscher zugrunde gingen, kann wohl nur so erklärt
werden. Bei manchen Fleckfiebererkrankungen in unserem Heere ist es ähnlich.
Der Besuch der fleckfieberkranken Bevölkerung in ihren Dörfern und Wohnungen
bedingt nach den gemachten Erfahrungen vor allem eine große Gefahr. Ganz
ungefährdet ist dagegen auch nach den Erfahrungen des Verfassers das Personal
auf den streng geleiteten Fleckfieberstationen. Viel mehr bedroht sind aber
die Aerzte und das Pflegepersonal auf den allgemeinen Stationen bei Ein¬
lieferung noch unerkannter, zumal verlauster Fleckfieberkranken. Der Wert
der Entlausungsmaßnahmen liegt vielleicht weniger in dem Kampf gegen die
Läuse als darin, daß am Körper des Kranken noch haftende Keime sofort
unschädlich gemacht werden.
Nichtsdestoweniger ist die ungemeine Wichtigkeit der Läusebekämpfung
zur Verhütung des Fieckfiebers feststehend. Die Läuse sind und bleiben als
die Zwischenwirte von der allergrößten Bedeutung für die Vermehrung und
Verbreitung der Krankheitserreger. Der Läusestich kann jedoch nicht als der
einzige Uebertragungsmodus angesehen werden.
712
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Die Entlausung bei der Truppe geschieht erfolgreich durch mechanische
Entfernung der Läuse von Körper und Kleidungsstücken. Die vielen empfohlenen
chemischen Mittel sind in ihrer Wirkung ganz unsicher.
Dr. Solb rig - Königsberg i. Pr.
2. Unterleibstyphus.
Die Leistungsfähigkeit der bakteriologischen Typhusdiagnose, ge*
messen an den Untersiiclinngsergebnissen bei der Typbnsepidemie in Jena
1015. Von Privatdozent Dr. K. E. F. Schmitz. (Aus dem hygienischen Io-
stitut der Universität Jena, Direktor: Geh. Obermedizinalrat Prof. Dr. Abe 1.)
Berliner klinische Wochenschrift; 1916, Nr. 43.
Die Untersuchungsergebnisse waren folgende:
1. Die Stuhluntersuchung lieferte sehr wenig befriedigende Ergebnisse;
sie führte nur bei 11,7 Proz der Fälle während der ersten fünf Wochen der
Krankheit zu deren Feststellung. Von den Untersuchungen während dieser
Zeit waren nur 8,68 positiv.
2. Die Untersuchung des Blutes auf Typhusbazillen hatte bessere Er¬
gebnisse; es wurden hier zu 80 Proz. der Erkrankten erkannt.
3. Die Widal-Untersuchung ließ etwa ®/4 der Erkrankten erkennen.
4. Wurden die Verfahren kombiniert angewandt, so war der Erfolg be¬
deutend größer. Es gelang hier bis zu 91 Proz. der Erkrankungen zu erkennen.
Auch der Bazillennachweis gelang bei der Kombination bedeutend häufiger.
Die höchsterreichte Zahl war 40 Proz.
5. Die Ergebnisse der Typhusuntersuchungen, besonders des Bazillen¬
nachweises, lassen immer noch sehr zu wünschen übrig; dies ist wahrscheinlich
darauf zurückzuführen, daß die Kulturbedingungen, die wir heute den Typhus¬
bazillen darbieten können, ihre Uerauazüchtung noch nicht sicher stellen.
6. Durch die Auszählung der Ergebnisse nach Krankheitswochen zeigte
es sich, daß auch die Stuhluntersuchung, je früher siebeiden
Kranken ausgeführt wird, um so bessere Ergebnisse zeitigt.
In der ersten Woche gelang bei 25 Proz. der Kranken der Nachweis der
Bazillen im Stuhl; in den folgenden Wochen fällt der Nachweis um mehr als
die Hälfte, um schließlich verschwindend klein zu werden.
7. Es könnten also die Zahlen der positiven Ergebnisse sehr vermehrt
werden, wenn die Einsendung des verdächtigen Materials möglichst früh er¬
folgte. Weiter könnte die Erkennung verbessert werden, wenn mehr Blut
(mindestens 10 ccm) und dieses detibriniert eingesandt würde. Es wäre so auch
in jedem Falle möglich, die so sehr leistungsfähige Widalprobe vorzunehmen,
was bisher wegen der geringen Menge oft unmöglich ist.
Dr. 8 o 1 b r i g - Königsberg i. Pr.
lieber die Grubcr- Wldalsche Reaktion bet typhusschutxgefmpften
Gesunden und Typhuskranken. Von Stabsarzt Prof. Dr. G. Herxheim er.
Berliner klinische Wochenschrift; 1916, Nr. 86 und 36.
Aus seinen eigenen Untersuchungen an einem größeren Material und den
Beobachtungen anderer Forscher zieht Verfasser folgende Schlußfolgerungen:
Bei Typhusschutzgeimpften treten im Blute Agglutinine gegen Typhus-
bnzillen auf; sie brauchen einige Zeit zur Entwicklung, ja in den ersten Tagen
gehen etwa schon vorhandene Agglutinine unter dem Einfluß der Impfung —
ähnlich heim Typhus selbst — sogar vorübergehend zurück. Besonders schnell
treten die Agglutinine öfters bei Personen mit starken klinischen Beaktions-
erscheinnugen auf. In der Regel haben sich etwa 8 Tage nach den Impfungen
Agglutinine ausgebildet, deren höchste Titerhöhe von beträchtlichen Zahlen
etwa zwischen 14 Tagen und zwei Monaten liegt; sodann wird der Titer weit
geringer, bleibt aber zumeist in mittlerer Höhe bis zu einem Jahr bestehen.
Infolgedessen ist die G ru ber- Wid al sehe Reaktion an sich bei Typbus-
iiimiunisierten diagnostisch kaum verwertbar, auch eine „Schwellenwert**- Be¬
stimmung versagt völlig; ebenso die Nebenagglutination auf Paratyphus - B -
Bazillen. Hiergegen läßt sich eine mehrfach vorgenommene Agglutination mit
ziemlich plötzlichen starken Stichen der Titerhöhe fast stets (außer in den
zwei ersten Monaten nach der Impfung) diagnostisch im Sinne des Typbus ver-
Kleinere Mitteilungen nnd Referate au» Zeitschriften.
713
werten. Zu beachten ist, daß der Eintritt der Agglutination bei Schutz¬
geimpften häufig verzögert ist. Typhusbazillen sind im Blute — außer in den
jetzt seltenen schweren Fällen — bei Immunisierten nur selten zu finden, offen¬
bar weil die Schutzimpfung eine länger anhaltende Bakteriämie zu allermeist
hintanhält. Dr. Solbrig -Königsberg i. Pr.
Hauter8cheinungen nach Typhusschutzimpfungen. Von Dr. J. M a t k o.
Aus dem Garnisonspital Nr. 1 in Wien. IV. Kr.-Abt. Leiter: Professor Dr.
K. R. v. Stejskal). Wiener klinische Wochenschrift; 1916, Nr. 45.
Der Autor sah in 7 Fällen nach der zehnten Typhusschutzimpfnng und
zwar zwischen dem 1. und 6. Tage nach der Impfung roseolaartige Efflores-
zenzen auf der Haut. Typhusbazillen konnten in der Roseola auch mit An¬
wendung des Anreicherungsverfahrens nicht nachgewiesen werden.
Während es sich bei der Typhusroseola um eine Reaktion des
Papillarkörpers und der Epidermisschicht infolge der Ansiedlung von Typhus¬
bazillen und der chronisch langsamen Reizung der Umgebung infolge der Ab¬
scheidung von Toxinen handelt, liegt bei der Typhusschutzimpfung
der Roseola eine kurz dauernde Wirkung von Toxinen zugrunde, die sich
hauptsächlich auf die Gefäße und deren nächste Umgebung beschränken. Der
Prozeß ist den Arzneiexanthemen analog.
Der Autor sah ferner 1 mal ein dem Erythema nodosum ähnliches
Exanthem, außerdem Scharlach- und masernähnliche Exantheme in seltenen
Fällen.
Die häufigste Hauterscheinung, die im Anschluß an die Typhusschutz¬
impfung auftritt, ist die gewöhnliche Reaktionrötung mit Schwellung der Haut
in der Umgebung der Reaktionsstelle. Sie tritt zumeist 1—2 Stunden nach
der Einspritzung auf, nimmt rasch an Größe zu und verschwindet innerhalb
2—3 Tagen.
Häufiger noch treten lokale Reizerscheinungen der Haut nach der
zweiten Injektion auf. Die Haut ist dabei gerötet, mehr oder minder stark
infiltriert, ist ziemlich druck- und schmerzempfindlich und fühlt sich heiß an.
Die Epidermis ist dabei intakt, selten in Bläschen abgehoben.
Bei Personen, mit zarter wenig pigmentierter Haut tritt die lokale
Reaktion besonders hervor, so daß bei diesen die injizierten Lymphbahnen als
gerötete Stränge zu erkennen sind.
Rötung der ganzen Haut, Urtikurin und Vermehrung der Aknepusteln
nach der Typhusschutzimpfung werden in der Literatur erwähnt.
Dr. Mayer- Simmern.
Bemerkungen über den Typhus abdominalis vom epidemiologischen
und klinischen Gesichtspunkte. Mitteilungen aus einem k. und k. mobilen
Reserv**spital. Von Dr. A. Galambos, Regimentsarzt i. d. R., 1. Spital¬
chefarzt. Wiener klinische Wochenschrift; 1916, Nr. 68.
Die Herabsetzung der Typhuserkrankungen an Zahl nnd Intensität ist
nicht bloß der Typhusschutzimpfung zu verdanken. Im österreichi¬
schen Heere ist diese seit dem Winter 1914/15 streng durcbgefiihrt worden; trotz¬
dem kamen im Herbst 1915 sehr schwere Typbuserkrankungen massenhaft zur
Beobachtung. Die Sterblichkeit einiger Krankenschübe betrug bis 5o°/o.
Der Paratyphus B, der 1914 und 1916 kaum einige Prozente der typhus¬
artigen Erkrankungen ausmachte, kam im Herbst mehrere Wochen hindurch
so gehäuft vor, daß er die Zahl des Typhus zwei- bis dreimal überschritt. Mit
einem Schlag hörte diese Epidemie plötzlich auf — eine Schutzimpfung war
aber nicht durchgefübrt worden. Auch die Ruhr, die im Kriegsbeginn sehr
gehäuft und oft in schweren Formen mit großer Sterblichkeit auftrat, nahm
an Zahl und an Schwere der Fälle in demselben Maße ab, wie der Typhus.
Hier war ebenfalls Schutzimpfung nicht angewandt worden. Das gleicbzei'ige
Auftreten von Typhus und Ruhr, das vom Autor im Kriegsbeginn in 100 Fällen
etwa beobachtet wurde, von denen er über die Hälfte verlor, ist heute sozu¬
sagen unbekannt.
Als Ursachen für diese Abnahme kommen außer den spontanen Schwankungen
der Epidemien die Vervollkommnung und das Fortschreiten der kriegs-
sanitärenKenntnisse während der letzten 2 Jahre in Betracht. Ein Teil der
714
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
Soldaten wurde auf natürlichem Wege durch Ueberstehen des Typhus gegen die
Erkrankung immun —, der Soldat erlernte aber auch die wichtigsten Regeln des
Selbstschutzes; der Truppenarzt erkannte die Wichtigkeit and Bedeutung der
Frühdiagnose und der Isolierung der Verdächtigen. Dazu kam die Schaffung
von Latrinen, die Vervollkommnung ihrer Desinfektion, die bakteriologische
Kontrolle des Trinkwassers, das Nachforschen nach Bazillenträgern, die
bakteriologische Durchuntersuchung ganzer Truppenkörper, und die Erfüllung
der Forderung, daß Kranke und Verdächtige erst nach einem dreimaligen
negativen Befunde von Stuhl und Urin aus dem Krankenhause entlassen werden
durften. Immerhin erkennt Verfasser auch die Wirkung der Schutzimpfung
als außer Zweifel stehend an, wünscht aber experimentelle Beweise
durch Vergleich der Typhassterblichkeit großer Truppenkörper, wenn die
Schutzgeimpften mit den nicht Geimpften unter gleichen äußeren Verhältnissen
standen. Dr. Mayer- Simmern.
Beobachtungen über den Verlauf des Unterleibstyphus im Felde
während des Winterhalbjahres 1915—1916. Von Oberstabsarzt Dr. Herz-
bach,4Chefarzt eines Feldlazaretts. Berliner klin. Wochenschrift; 1916, Nr.36.
Das Ergebnis seiner Erfahrungen faßt Verfasser folgendermaßen zusammen:
1. Nach der Schwere und der Eigenart des Verlaufs des Typhus lassen
sich die Fälle in 5 Gruppen einteilen (T. gravissimus, T. gravis, T. levis,
T. levissimus, T. abortivus), die zum Teil dem klassischen Bilde des Typhus
gleichen, zum Teil Abweichungen darbieten.
2. Die Mehrzahl der Fälle ist leichter und leichtester Natur. Die
Sterblichkeit ist gering.
3. Die einzelnen Gruppen zeigen Unterschiede durch Abstufungen
in der Schwere des Verlaufes und in der Art des Beginnes der Erkrankung,
Uebereinstimmung durch die Einheitlichkeit des Krankheitsbildes.
4. Auch bei den leichtesten Fällen sind die diagnostisch wichtigen
Merkmale vorhanden, der milderen Form der Erkrankung entsprechend in ge¬
ringerer Häufigkeit.
5. Die Zahl der bakteriologisch positiven Fälle ist gering. Die An¬
nahme, daß es sich auch in den bakteriologisch negativen Fällen um echten
Typhus handelt, wird weiterhin unterstützt durch:
a) die Feststellung, daß in einzelnen Truppenkörpern mit gehäufteren
Erkrankungen die bakteriologisch positiven Fälle besonders zahlreich
angetroffen werden;
b) den Nachweis einer absoluten und relativen Leukopenie;
c) die Beobachtung, daß der fühlbare Milztumor längere Zeit, bis wochen¬
lang nach der Entfieberung nachzuweisen ist;
d) die Erfahrung, daß sich auch an leichteste Krankheitsformen des Typhus
Rückfälle anschließen können, die teils durch das charakteristische Krank¬
heitsbild, teils durch den Bazillennachweis einen Rückschluß auf die echte
Typhusnatur der ursprünglichen Krankheit gestatten.
6. Während des Feldzuges hat das klinische Bild des Typhus eine
wesentliche Veränderung im günstigen Sinne erfahren, das in der Hauptsache
der Schutzimpfung zuzuschreiben ist. Die Erkennung der Krankheit ist er¬
schwert. Gegenüber der häufiger als früher versagenden bakteriologischen
Methode ist der klinischen Beobachtung eine erhöhte Bedeutung beizumessen.
Dr. Solbrig -Königsberg i. Pr.
Typhus und Pneumonie. Von Dr. A. D ö b 1 i n, zurzeit am Reservelazarett
Saargemünd. Berliner klinische Wochenschrift; 1916, Nr. 43.
Die akuten Erkrankungen der Lungen als Komplikationen von Typhus —
und von anderen Krankheiten — scheinen während der Wintermonate im Felde
besonders häufig vorgekommen zu sein. Verfasser beobachtete bei mehr als
der Hälfte seiner Todesfälle an Typhus im Winter 1914/15 schwere Lungen-
ersebeinungen. Dadurch wird zugleich die Bedeutung der Lungenerkrankaog
für die Prognose des Falles gekennzeichnet. Einige Fälle von Typhus mit
ausgesprochenen pneumonischen Erscheinungen werden mitgeteilt. Es empfiehlt
sich, wie Verfasser hervorhebt, Pneumonien während des Krieges und zu
Epidemiezeiten auf ihren etwaigen Zusammenhang mit Typhus anznsehen.
Dr. S o 1 b r i g - Königsberg i. Pr.
Kleinere Mitteilangen and Referate aas Zeitschriften.
715
Veber Typhös and Ruhrmlschlnfektlon. Von Begts.-Arzt Dr. Ludwig
Fejes, Privatdozent an der Universität in Budapest; Medizinische Klinik
1916, Nr. 37.
Zar Beobachtung gelangten sowohl Fälle, wo sich za einer bestehenden
Rahrerkrankang ein Typhas gesellte als auch amgekehrt, wo sich aaf der
Hohe des Typhas noch eine Rahr entwickelte. Die Rahrinfektionen waren
meist darch den Flexner stamm bedingt. Es fanden sich Fälle, wo die In¬
fektion mit Rohr- and Typhnsbazillen gleichzeitig erfolgt war, bei denen aber
die Rahr infolge ihrer kürzeren Inkubation früher zum Aasbrach kam, dann
auch solche, wo nach dem zeitlichen Auftreten der Symptome die Typhus-
infektion früher stattgefunden haben mußte. Diese Fälle verliefen vielfach
günstig im Gegensatz za denen, wo sich der Typhas- eine Rahrinfektion
nachgesellte, also aaf der Höhe des Typhas die Rahrerkrankang entwickelte.
Klinisch zeigte sich dann das Bild des Kollapses: Das Fieber schwand auf
einmal, die Temperatur wurde sogar plötzlich sabnormal, an Stelle der Brady¬
kardie trat eine Trachykardie, daneben war ein unaufhörlicher Stuhldrang
vorhanden. Diese Erscheinungen waren so deutlich, daß die Diagnose schon
klinisch sichergestellt werden konnte. In allen diesen Fällen ergab die
bakteriologische Diagnose beiderlei Keime. Die Prognose war sehr schlecht.
Es ist anzanehmen, daß die Wirkung des Typhasviras den Organismus für die
sekandäre Rahrinfektion empfänglich macht. Im Blutserum ließen sich sowohl
Typhas-, als aach Rahragglutinine nachweisen. Das Bild entsprach mehr einer
Vergiftung als einer Infektion. Der Schiaß erscheint gerechtfertigt, daß der
im allgemeinen als atoxisch geltende Flexner stamm in einem Typhus-
Organismas aach giftbildende Fähigkeit erlangen kann, wie dies beim Kruse-
bacillas im allgemeinen ausgesprochen der Fall ist.
Dr. L. Qaadflieg -Gelsenkirchen.
3. Paratyphns.
Ueber verschiedene Formen des Paratyphns B. Klinischer Teil von
Reg.-Arzt Dr. Erich Slaka, Feldspitalskommandant. Bakteriologischer Teil
von Stabsarzt Dr. Richard Pollak, Korpshygieniker. Vortrag, gehalten an¬
läßlich einer Versammlung von Militärärzten an der S.-W.-Front. Wiener
klinische Wochenschrift; 1916 Nr. 44.
Unter 105 von den Autoren beobachteten Paratyphnsfällen endeten 5,
denen Dysenterie voraasgegangen war, mit dem Tode. Slaka anterscheidet
eine typhoide, eine ententische, eine rahrartige, eine septische and eine asthe¬
nische Form.
Bei der enteritischen Form des Paratyphns wird oft gewöhnlicher
Magendarmkatarrh angenommen. Erst die allgemeine Abgeschlagenheit des
Mannes, wenn er das Bett verläßt, läßt die Wahrscheinlichkeitsdiagnose Para-
typhus stellen. Blntige Stühle mit fieberhaftem Krankheitsverlaaf, die bei der
rahrartigen Form Vorkommen, sind ebenfalls geeignet, Verdacht aaf Para-
typhus zu begründen.
Die septische Form wird dareh folgende Symptome charakterisiert:
Verlauf eintönig, langwierig. Der Kranke liegt apathisch da; die Entfieberung
nach 4—5 Wochen bleibt aas; es besteht hochgradige Abmagerang.
Bei der asthenischen Form erfahren Kliniker and Bakteriologen die¬
selbe Enttäuschung wie bei der Rahr. Der Kliniker stellt die Diagnose Typhas,
oder Paratyphus. Die Agglutination verläuft aber negativ. Der weitere Krank-
heituverlauf bestätigt den Kliniker in seiner Diagnose, die Agglutination kann
jedoch dauernd negativ bleiben oder erst spät positiv werden.
P o 11 a k erklärt das Fehlen der Reaktion in einer Reihe klinisch sicherer
Fälle dadurch, daß vorausgegangene Kriegsstrapazen, Entbehrungen, unregel¬
mäßige Lebensweise zur Folge haben, daß der kranke Körper nicht die Kraft
aufbringt, die Stoffe zu bilden, die in einem ungeschwächten Körper sonst ent¬
stehen. Wenn dann durch Bettruhe, Ernährung, Pflege im Krankenhaus bessere
Verhältnisse einsetzen, kann es zur Bildung von Agglutininen kommen. Aber
auch die wiederholten Schutzimpfungen sind vielleicht imstande, die die Agglu-
tinine bildenden Symptome zu erschöpfen oder aufzubrauchen, so daß es erst
716 J Kleinere Mitteilangen und Referate aas Zeitschriften.
nach reichlicher Vermehrung der Bakterien im Körper zur Bildung von Anti¬
körpern kommen würde. Zweifellos muß der Kliniker wissen, daß in einer Reihe
von Fällen die Wi dal sehe Reaktion versagt, daß sie, einmal ausgeführt,
öfters wertlos sein kann, daß aber Schwankungen im positiven und auch nega¬
tiven Sinne Bedeutung zukommt. Dr. Mayer-Simmern.
O. Hygiene und' öffentliches Gesundheitswesen.
1. Krüppelfürsorge.
Krüppel. Von Oberstabsarzt a. D. Dr. Jacoby-Charlottenburg, znrzeit
Reservelazarettdirektor in Bayreuth. Halbmonatsschrift für soziale Hygiene
und praktische Medizin; Jahrgang 24, Nr. 22.
Verfasser wünscht das Wort Krüppel abgeschafft, weil alles vermieden
werden soll, was die Stiefkinder der Natur und ebenso die durch den Krieg
Veranstalteten kränken oder verletzen könne. Er schlägt vor, statt des Wortes
Krüppel „Verbildet“ zu sagen, wenn es sich um Personen handelt, die von
Jugend auf ein entsprechendes Gebrechen aufweisen. Hie bei der Friedensarbeit
durch Unfall usw. verunstaltet sind, sollen „Versehrte“, die im Kriege
Verletzten „Kriegsinvalide oder Kriegsbeschädigte“ genannt werden;
die Amputierten usw. könnte man auch Kriegsverstümmelte nennen;
statt Krüppelfürsorge würde man entsprechend „Verbildetenfürsorge, Onfall-
fürsorge“ usw. sagen.
Ein dem Verfasser bekannter Offizier, der den rechten Arm verloren hat,
jetzt aber wieder Garnisondienst tut, ohne Hilfe auf das Pferd steigt, reitet,
absteigt usw., würde sich den Namen Krüppel wohl mit Recht verbitten.
Hr. Hoffmann-Berün.
2. Kriegsbeschädigtenfürsorge.
Kriegsbeschädigte, Unfallverletzte und Arbeit. Von Dr. P. Ewald,
Orthopäden in Hamburg, orthopädischem Beirat des IX. Armeekorps. Aerzt-
liche Sachverständigen-Zeitung; 1916, Nr. 20.
Verfasser entwickelt, wie die Berufsgenossenschaft die Kriegsbeschädigten¬
fürsorge übernehmen kann und welche Vorteile dadurch besonders für die
Kriegsbeschädigten selbst entspringen. Mit den Verwundeten hat man neben
der rein ärztlichen Behandlung zunächst eine Beschäftigung vorgenommen, die
anfänglich den Charakter kindlicher Handarbeiten hatte, allmählich aber zu
einer Arbeitstherapie wurde, indem Werkstuben eingerichtet wurden, in denen
den Kriegsbeschädigten mit der Arbeit auch der Glaube und das Vertrauen zu
sich selbst wieder erwuchs. Es ist aber notwendig, daß mit der Arbeit auch
Werte geschaffen werden, d. h. die Arbeit entlohnt wird. Dazu bedarf es Lehrwerk¬
stätten mit kaufmännischer Einrichtung. Der Zweck solcher Lehrwerkstätten
ist einmal die Leute in ihrem alten Beruf wieder zu ertüchtigen, dann aber
auch Leute zu einem neuen Handberuf umzulchrcn. Eine frühe individuelle
Beurteilung der Kriegsbeschädigten durch verständige Berufsberatung, an der
viele geeignete Persönlichkeiten kollegial mitwirken, ist eine selbstverständliche
Forderung. Am besten ist es, wenn; der Berufsberater auch Arbeitsvermittler
sein kann.
Die IBerufsgenossenschaft ist nun in der Lage, da sie Vertrauensärzte
und Fachärzte besitzt, besser als die Militärbehörde die Heilbehandlung zu über¬
nehmen. Die Arbeitstherapie soll die Heilbehandlung ergänzen und unterstützen.
Es kommt^hierbei sowohl auf Arbeit,'als auch auf medikomechanische Behand¬
lung an;’denn es ist ein großer Fehler, wenn man die Leute nur arbeiten läßt
und das '„stumpfsinnige“ Pendeln unterläßt. Damit die Unfallverletzten die
Rentenangst überwinden und die Arbeit nicht als Zwang empfinden, soll die
Arbeit nach der Erwerbsfähigkeit entlohnt jund die Rente nach der vom Arzt
festgestellten Erwerbsunfähigkeit berechnet werden. Für die Verwundeten
besteht [nach kriegsministerieller Vcrfügungj die Möglichkeit, daß ihnen die
Gewährung einer dauernden Rente schriftlich bescheinigt wird, nämlich dann,
wenn feststebt, daß eine Erwerbsbeschränkung von mindestens 10 Proz. dauernd
bestehen bleibt. Auf solche Weise wird das Vertrauen der Leute gewonnen.
Schließlich ist daran zu erinnern, daß ja nach dem Kriege eine starke
Nachfrage auch nach solchen Leuten vorhanden sein wird, die nur eine halbe
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
717
t>der dreiviertel Kraft sind, and daß es nar darauf ankommt, jede Kraft an
die richtige Stelle zu bringen. Dr. Solbrig-Königsberg i. Pr.
Das Mannheimer Schulsystem der Krlegsbesch&digten. Von Prof.
Dr. Anton Sickinger, Stadtschalrat in Mannheim, zurzeit Hauptmann im
Heere. Halbmonatsschrift f&r soziale Hygiene and praktische Medizin; Jahr¬
gang 24, Nr. 21.
Verfasser will die Kriegsbeschädigten wieder felddienstfähig machen and
behandelt sie in drei Abteilungen: Schonungsabteilung, Vorbereitungsabteilung
and Exerzierabteilang.
In der S c h o n a n g s-Abteilung sind solche, die besonderer Schonung be¬
dürfen and nar leichten Arbeitsdienst verrichten können, and zwar möglichst
solche Arbeiten, die f&r die Rückkehr ins bürgerliche Leben von Vorteil
sein können.
In der Vorbereitangs-Abteilung befinden sich solche Kriegs¬
beschädigten, die mehr oder minder marschfähig sind, während die Exerzier-
Abteilnng sich gliedert in solche, die beschränkt, and solche, die voll garnison¬
verwendungsfähig sind.
In der freien Zeit werden alle Abteilangen darch belehrende Unter-
haltangen, Vorträge nsw. psychisch nea eingestellt and abgelenkt.
Or. Hoff mann-Berlin.
3. Soziale Hygiene.
Ueber die Bedeutung der wirtschaftlichen Verhältnisse ln der Frage
der Stärkung unserer Volkskraft. Von Privatdozent Dr. Nissle. Oeflent-
liche Gesundheitspflege. Erster Jahrgang; 1916, H. 10.
Was Referent seit Jahrzehnten als Anforderung an die staatliche Gesund*
heitspflege aufstellte und weshalb ich als geisteskrank oder als Dummkopf hin*
gestellt wurde, dringt immer mehr in das Bewußtsein auch akademischer Kreise
ein. Dr. Nissle hat in der vorliegenden Abhandlung Anforderungen zusammcn-
gestellt, die sich mit den meinigen vollständig decken. Ich führe lediglich
einzelne Sätze an:
Neben der gewollten Dnterfruchtigkeit gibt es auch eine Abnahme der
natürlichen Zeugungsfähigkeit, die besonders in den gelehrten Kreisen sich
geltend macht. „Das städtische Leben, die Forderungen der höheren Kultur
nehmen die geistige Energie dieser Individuen stärker in Anspruch, als es mit
dem Durchschnitt der Fortpflanzungsfähigkeit des Menschen verträglich er¬
scheint.“ (Lorenz: Lehrbuch der gesamten wissenschaftlichen Generalogie).
Um der „Verpöbelung der Kasse“ vorzubeugen, brauchen wir Führergeschlechter,
also größere Fruchtbarkeit gerade der Kopfarbeiter. Die Vereinigung mit der
landwirtschaftlichen Tätigkeit würde diese Möglichkeit geben. Alles, was als
geburtenfördernde, hygienische Maßregel empfohlen wurde, insbesondere der
Sport und die sportähnlichen Vergnügen usf. hat sich nicht bewährt. Die Sucht
nach raffinierten leiblichen und geistigen Genüssen, die gesellschaftliche Ein¬
schätzung des einzelnen nach der Höhe dieser Genuß-Befriedigung bringt uns
an den Rand des Verderbens. Die v. D. Goltz’sche Anforderug von der Ver¬
armung unseres Volkes zum Zwecke der Neubelebung hat gewisse Berechtigung.
Die Gesundheitstechnik allein wird uns nicht retten.
Dr. G r a ß 1 - Kempten.
Kinderlosensteuer und staatliche Kinderversicherung. Von Dr.
Walter Zahn. Sonderabdruck aus Archiv für Rassen- und Gesellschafts¬
hygiene ; 1914/15, Heft 6.
Da Ehe noch nicht Kinder bedeutet, ist die Junggesellensteuer von
vornherein wirkungslos; die Steuer muß die Kinderlosen erfassen und zur
staatlichen Kinderversicherung ausgebaut werden. Die Kinderlosen mit ihrer
erhöhten Möglichkeit, ihre erhöhten Ansprüche zu erfüllen, würden dadurch
718
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
gezwungen, sich den Gewohnheiten ihrer kinderreichen Standesgenossen anxn-
passen und die bisherige Schraube ohne Ende in dem Begehren immer höherer
Ansprüche würde langsamer arbeiten. Die Steuer müßte nach dem Einkommen
und der Zeit der Ehe abgestuft sein; so z. B. sollte von der Kinderlosenstener
betroffen werden, wer ein Einkommen von 2400 Mark und 2 Jahre nach der
Ehe noch kinderlos ist; wer 3600 Mark Einkommen hat und nach 5 (6) Jahren
nur einen Nachkommen aufweist, wer bei 5000 Mark Einkommen n&ch
8—10 Jahren nur 2 Nachkommen aufweist. Die sinngemäße Ausdehnung auf
die ledigen, geschiedenen und verwitweten ist notwendig. Die so erlangten
Gelder sind zu Versicherungen der Kinder in Abstufungen nach der Geschwister¬
zahl zu verwenden. Als technische Maßregel dieser Vorschläge empfiehlt sich
die Kinderversicherungskarte. Dr. Graßl-Kempten.
Ist ein Zweikindersystem in Frankreich nachweisbar? Von Dr.
Maasche-Regensburg. Conrads Jahrbücher für Nationalökonomie und
■Statistik; 107. Bd., S. 66.
Aus der Zählung vom Jahre 1906 ersieht man, was die Zahl der lebenden
Kinder anlangt, daß in Frankreich die Häufigkeit der Zweikinderehen keines¬
wegs eine besonders große ist, daß vielmehr die Orsache der geringen Kinder¬
zahl der Ehen in erster Linie auf der übergroßen Zahl von gänzlich kinderlosen
und Einehen beruht. Etwa 17°/° aller Familien besaßen bereits um diese Zeit
überhaupt keine lebenden Kinder, etwa 25 "/o nur ein einziges Kind, doch trifft
man anderseits auch wiederum bei 35 1 /t°/o aller Familien mindestens 3 und
bei 20'/* °/o sogar mindestens 4 Kinder pro Familie an. Für die Zweikinderehen
bleibt daher nur ein sehr bescheidener Anteil übrig, 22 , /*“/o. Obwohl der
französische Bauer als der typische Vertreter des sog. Zweikindersystems gilt,
ist doch die Kinderzahl in Wirklichkeit auf dem flachen Lande am höchsten
und sinkt ständig mit der Größe der Orte. Während in den Gemeinden mit
nicht mehr als 2000 Einwohner auf eine Familie im Durchschnitt 2,35 lebende
Kinder entfallen, sind es in Orten mit 2000—50 000 Einwohner nur 2,23, in den
Städten mit 50000—100000 Einwohner nur 1,87, in den Großstädten, ohne
Paris, nur 1,81 und schließlich in Paris sogar nur 1,57. Die geringe Kinderzahl
der Städte beruht darauf, daß hier die Zahl der kinderlosen und Einkind¬
ehen eine außerordentliche Höhe erreicht. In Paris z. B. besitzen nicht
weniger als 56,9 °/* sämtlicher Familien teils überhaupt keine Kinder, teils nur
ein einziges Kind; eine anormale Häufigkeit von Zweikinderehen ist jedoch
wedor hier noch auf dem Lande zu bemerken. Die Statistik vom Jahre 1906
ergibt, daß im Darchschnitt von sämtlichen Familien 21,15 °/o nur eine einzige
Geburt und 21,32 "/o nur 2 Geburten zu verzeichnen hatten; allein es ver¬
bleiben immerhin noch 40°/o von Ehen, in welchen mindestens 3 Kinder und
31,04 # /o, in welchen mindestens 4 Kinder geboren wurden. Die Zahl der
Familien mit 3 oder mehr Kindern ist also in Frankreich keineswegs so gering,
wie man gemeinhin anzunehmen pflegt. Im Darchschnitt findet man 2,93
geborene Kinder pro Familie. Abneigung gegen eine große Kinderzahl ist in
Frankreich derart eingewurzelt, daß man von demjenigen, der mehr wie 2 Kinder
besitzt, mit Geringschätzung oder Bedauern spricht. Die Zahl der Kinder ist
noch am höchsten bei den selbständigen Personen, am geringsten bei der
Gruppe der Angestellten. Besonderes ungünstig ist das Verhältnis bei den
Beamten in Paris, bei denen im Darchschnitt auf eine Familie nur 1*/« Kinder
treffen. Die Abnahme der Kinderzahl und Zunahme der kinderlosen Ehen ist
hierbei sowohl bei den Beamten wie bei der Arbeitergruppe nachgewiesen.
Dr. Han au er-Frankfurt a. M.
Gesetzliche l’nterslützung kinderreicher Familien in Frankreich.
Von Ministeriul-Iiat Prof. Dr. Z a h n - München. Zeitschrift für Bevölkerungs¬
politik und 8äuglingsfiirsorge; 1916, Nr. 2.
Der Verfasser bespricht das französische Gesetz vom 14. Juli 1913, du
regelmäßige monatliche Zulagen für kinderreiche Familien bewilligt, und zwar
augefangen vom 4. Kinde unter 13 Jahren, bei 3 Kinder, wo die Mutter, bei
Tagesnachrichten.
719
2 Kinder, wo der Vater tot oder verschwanden ist. Der Betrag bewegt sich
zwischen 6ü und 90 Fr. pro Jahr and Kind. Dr. Wolf- Hanau.
Tagesnachrichten.
Vereidigung der mit Kriegsstellen beliehenen Aerzte. Nach einem
Erlaß des Kriegsministers vom 22. Oktober d. J. müssen landsturmpflichtige,
mit Kriegsstellen beliehene Aerzte vereidigt werden; sie werden dadurch An¬
gehörige des aktiven Heeres mit allen Hechten und Pflichten, die sich aus
dieser Zugehörigkeit ergeben. Für die im Vertragsverhältnis zur Heeresver¬
waltung stehenden landsturmpflichtigen Aerzte kommt dagegen eine Vereidigung
nicht in Frage.
Dem jetzt wieder einberufenen Reichstag ist ein Gesetzentwurf, betr.
den vaterländischen Hilfsdienst, vorgelegt, der den Zweck hat, die gesamte
nicht zum Heeresdienst herangezogene Bevölkerung zur Kriegsarbeit in der
Heimat heranzuziehen und sie für das große Ziel der Vaterlandsverteidigung
zweckdienlich zu verwerten, damit die Kämpfer an der Front dauernd mit
allem versorgt werden können, um den von unseren Feinden mit vermehrter
Zähigkeit und beispiellosem Kräfteeinsatz weiter geführten Krieg zum sieg¬
reichen Ende zu bringen Der Gesetzentwurf hat durch die längeren Vorbe¬
ratungen in einem besonderen Ausschuß sehr wesentliche Aenderungen und Er
gänzungen erfahren und ist in dieser Fassung von dem Reichstag in seiner
Sitzung am 1. und 2. Dezember d. J. in zweiter und dritter Lesung fast ein¬
stimmig angenommen; nur die Mitglieder der soziald. Arbeits-Gern, stimmten
dagegen. Nach § 1 dieses Gesetzes ist jeder männliche Deutsche vom 17. bis
zum 60. Lebensjahr, so weit er nicht zum Heere einberufen ist, zum vater¬
ländischen Hilfsdienst während des Krieges verpflichtet. — § 2 erklärt die
Tätigkeit bei Behörden, in der Kriegsindustrie, Landwirtschaft, Kranken-
pflege, kriegswirtschaftliche Organisationen, Berufsorganisationen, sowie für
Zwecke der Kriegführung oder der für Versorgung als vaterländischen Hilfs¬
dienst, so weit die Zahl dieser Personen das Bedürfnis nicht übersteigt. —
§ 3 überträgt die Leitung des Hilfsdienstes dem Kriegsamt. — § 4 regelt die
Zuständigkeit der Reichs- oder Landeszentralbehörde und der besonders zu
bildenden Ausschüsse in bezug auf die Frage, ob die Zahl der bei einer Be¬
hörde beschäftigten Person bezw. in einem Betriebe usw. das Bedürfnis über¬
steigt. — § 5 enthält Vorschriften über die zu erlassende Aufforderung zur
freiwilligen Meldung. Wird hier nicht ausreichend entsprochen, so er¬
folgt die Heranziehung durch schriftliche Aufforderung eines Ausschusses im
Ersatzbezirk, bestehend aus einem Offizier, einem hohen Beamten, je einem
Vertreter der Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Nach Erhalt der Aufforderung
ist Arbeit zu suchen; so weit sie binnen zwei Wochen hiernach nicht begonnen
hat, findet Ueberweisung zu einer Beschäftigung durch den Ausschuß
statt. — § 6 schreibt möglichste Rücksichtnahme auf Lebensalter, Familien¬
verhältnisse, Wohnort, Gesundheit und bisherige Tätigkeit vor. — Die §§ 7
bis 16 enthalten Bestimmungen über das Verhalten der Arbeitsstelle, das
Verfahren bei den Arbeitsausschüssen und > über deren Aufgaben und Befug¬
nisse, sowie Strafvorschriften. § 17 überträgt dem Bundesrat die Erlassung
der Ausführungsbestimmungen mit der Bestimmung, daß allgemeine Ver¬
ordnungen der Zustimmung eines lögliedrigen Reichstagsauschusses bedürfen.
§ 18 bestimmt, daß das Gesetz mit dem Tage der Verkündigung in Kraft
tritt und die Außerkraftetzung spätestens einen Monat nach Friedensschluß
zu erfolgen hat. — Damit ist ein Gesetzentwurf von tiefeinschneidender und
außerordentlicher Bedeutung für unser ganzes Volk angenommen worden. Für
die Aerzte wird er allerdings wenig oder gar keine Aenderung bringen,
da ihre Tätigkeit ja als eine im vaterländischen Hilfsdienst anzusehen ist,
ganz abgesehen davon, daß wohl schon jetzt fast alle in der Heimat zurück¬
gebliebenen Aerzte auch militärärztlich tätig sind.
Richtlinien zur Sicherstellung der Ernährungsfrage. Die verstärkte
Haushaltskommission des preußischen Abgeordnetenhauses
hat beschlossen, dem Hause verschiedene Leitsätze vorzuschlagen, die die
720
T&gesnachrichten.
Sicherstellung der Ernährungsfrage regeln. Danach ist n. a. die nächstjährige
Kartoffelversorgung zwar unter Beibehaltung der öffentlichen Bewirt¬
schaftung, aber unter möglichster Zuziehung des Handels und durch Abschluß
von Lieferungsverträgen zu bewirken. Denen, die Kartoffeln, Obst und Gemüse
zum eigenen Gebrauch gebaut haben, soll der Verbrauch an ihrem Wohnsitz
nicht deshalb verwehrt werden dürfen, weil der Erzeugungort und der Wohnort
verschiedenen Kreisverbänden angeboren.
Yur Versorgung der Bevölkerung, namentlich der schwerarbeitenden,
mit Fett, zur Versorgung der Kinder und Kranken mit Milch und als
Fleischreserve für Zeiten dringender Not ist unser Viehbestand zwar im
Einklang mit unseren Futtermitteln, aber mit aller Schonung zu erhalten.
Namentlich Geflügel ist von der Verbrauchsregelung auszunehmen. Es ist eine
ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Fischen und eine angemessene
Herabsetzung der Fischpreise herbeizuführen.
Da infolge des Futtermangels ein wesentliches Herabgehen der
Schweinehaltung jetzt nicht zu vermeiden ist, ist dafür Sorge zu tragen,
daß unter allen Umständen eine hinreichende Zahl Zuchtschweine erhalten
wird. Den Teilhabern von Schweinemastgenossenschaften dürfen, sofern alle
Genossen ihre Hausabfälle zur Schweinemast abführen, dieselben Bevorzugungen
bezüglich der Anrechnung des genossenschaftlich gewonnenen Fleisches auf die
Fleischkarte gewährt werden wie bei Hausschlacbtungen einzelner Selbstversorger.
Die Unterschiede in der Verteilung von Fett und Fleisch an
die versorgungsberechtigte Bevölkerung sind zu beseitigen, unbeschadet einer
besonderen Berücksichtigung der Schwer- und Schwerst-Arbeiter. Unterschiede
zwischen Stadt und Land in der Versorgung mit Nahrungsmitteln sind nur
berechtigt, soweit diese durch besondere Ernährungsverhältnisse und durch
die Rücksicht auf die Produktion geboten sind. Es ist Sorge zu tragen, daß
das wirtschaftliche Leben weniger als bisher durch wechselnde Bestimmungen
beunruhigt wird.
In bezug auf die Volksernährung und Festsetzung von Höchstpreisen
ist in jüngster Zeit der Verkehr mit folgenden Nahrungsmitteln neu geregelt:
Ueberwachung des Verkehrs mit Seemuscheln (Bekanntmachung des Reichs¬
kanzlers vom 2. November d. J.), die Einfuhr von frischen Fischen (Be¬
kanntmachung vom 13. Nov. d. J., sowie die Beaufsichtigung der Fischver¬
sorgung (Bekanntmachung vom 28. Nov. d. J.), Höchstpreise für Hafer¬
nährmittel (Haferflocken, Hafergrütze und Hafermehl — Preis im Kleinhandel:
44 Pfg. für das Pfund, in Packungen 66 Pfg., für Hafermehl: 32 Pfg. in 1 * Pfd.-
Packung (Bekanntmachung vom 2. Nov. d. J.), Höchstpreise für Weizengries:
66 Pfg. für das Kilogr. (Bekanntmachung vom 2. Nov. d. J.), Höchstpreise für
Erzeugnisse der Kartoffeltrocknerei und Kartoffelstärke (Bekannt¬
machung vom 5. Nov. d. J ) und Höchstpreise für Zwiebeln: 14 Pfg. tür das
Pfd., jeden Monat um 1 Pfg. steigend bis 20 Pfg vom 16. April 1917 ab (Be¬
kanntmachung vom 4. Nov. d. J.), Höchstpreise für Kunsthonig: 55—65 Pfg.
für das Pfund, je nach der Verpackung (Bekanntmachung vom 14. Nov. d. J.),
Ausführungsbestimmungen zur Regelung der Wild preise (prenß. Min.-
Erlaß vom 2 Nov. d J.): Rehwild 2,50 M., Dam- und Rotwild 2,10 M., Wild¬
schweine 2—2,'i0 M. für das Pfund Rücken oder Keule; Hasen 6 M., wilde
Kaninchen 1,80 M., Fasanen 4, \ib— 5,25 M. für das Stück. In Gemeinden mit
mehr als 50000 Einwohner erhöhen sich die Preise um 10%.
Geh. Ob.- Med - Rat Prof. Dr. Abel, Direktor des hygienischen Instituts
in Jena, ist ans dem Beirat des Kriegsernährungsamts ausgetreten,
um nicht für Handlungen und Unterlassungen des Kriegsernäbrungsamies auf
dem wichtigen Gebiete der Volkscrnährung verantwortlich gemacht zu werden,
mit denen er nicht einverstanden zu sein vermag. Er lehnt es ans vaterländischen
Bedenken und in Anbetracht der Zensurvorscbriften ab, die Gründe für seinen Aus¬
tritt im einzelnen bekannt zu geben; erklärt jedoch die darüber in einem Berliner
Blatt gebrachte Mitteilung für ganz unvollständig und in wesentlichen Punkten
unrichtig. So habe er z. B. nie die Fleischration von 250 g allgemein als un¬
zureichend erklärt und auch nie die törichte Forderung erhoben, das Kriegs¬
ernährungsamt solle mehr Fleisch verteilen, als ihm zur Verfügung stehe, ln
Tagesnachrichten.
721
ärztlichen Kreisen wird der Aastritt des Geh. Ob.- Med.- Rats Dr. Abel sehr
bedauert werden; denn er war ob seiner reichen Erfahrungen auf diesem Ge¬
biete besonders geeignet für diese Stellung; hoffentlich wird recht bald ein
gleich tüchtiger Ersatz gefunden, der es versteht, die vom ärztlichen Stand¬
punkte aus, insbesondere mit Rücksicht auf die Krankenernährung, zu stellende
Forderungen zur Geltung zu bringen.
Berufung. Dr. Pollitz, bisher Direktor der Königlichen Strafanstalt in
Düsseldorf, ist behufs Reorganisation des türkischen Gefängnis¬
wesens als „Inspecteur G6u£ral des prisons“ in das türkische Ministerium be¬
rufen und hat bereits am 1. November d. J. sein ehrenvolles Amt übernommen.
Vermächtnis. Der auf dem Felde der Ehre gefallene Oberamtsarzt
Dr. Stoll, Privatdozent für gerichtliche Medizin in Tübingen, hat der dortigen
Universität 25000 M. für wissenschaftliche Zwecke vermacht.
Ehrentafel. Es haben weiterhin erhalten:
Das Eiserne Kreuz I. Klasse:
Oberstabsarzt d. L. Med. - Rat Dr. Brumniund, Kreisarzt in Magdeburg
(auch Inhaber des Scbaumburg-Lippische n Kriegsver¬
di enstkzenz es).
Generaloberarzt Dr. Diestel-Ulm.
Stabsarzt d. Res. Dr. Doepner, Kreisarzt in Bitterfeld.
Generalarzt ä 1. S., Geh. Rat und Prof. Dr. Enderlen-Würzburg.
Stabsarzt d. Res. Dr. Grill-Tübingen.
Oberstabsarzt Prof. Dr. Friedrich Kayser-Göln a. Rhein, beratender
Chirurg eines Armeekorps.
Oberstabsarzt d. L. Dr. Georg Kramer-Hof.
Stabsarzt d. L. und Reg.-Arzt Dr. Karl L tt d e r s - Berlin-Steglitz.
Oberstabsarzt d. L. und Reg.-Arzt Dr. M a n n - Stuttgart.
Stabsarzt d. Res. Dr. Fritz Strauß-Tübingen.
Stabsarzt d. L. Dr. Werner, Physikus in Schalkau (Sachsen-Meiningen).
Stabsarzt d. L. und Reg.-Arzt Dr. Ernst Wittern-Eutin.
Das Eiserne Kreuz II. Klasse am schwarz-weißen Bande (meist erst
jetzt zur Kenntnis des Herausgebers gelangt) die Kreisärzte: Med.-Rat
Dr. Aust-Nauen (auch Inhaber des Bayerischen Militär-Verdienstorden
IV. Klasse mit Schwertern), Dr. Besserer, Vorsteher des Medizinalunter¬
suchungsamtes, Münster i. W., Dr. Budd ee-Neutomischel (Posen), Geh. Med.-
Rat Dr. Carp-Wesel, Dr. Clauß-Posen, Dr. David-Husum (Holstein),
Dr. Ekke- Adelnau (Posen), Dr. Ernst-Namslau (Schlesien), Geh. Med.-Rat
Dr. Forstreuter-Königsberg i. Pr., Dr. Fricke-Bublitz (Schlesien), Dr.
Gallien in Rössel (Ostpreußen), Dr. Gu11wein-Schwersenz (Posen), Geh.
Med.-Rat Dr. Hens gen-Siegen, Dr. Herbst-Kempen (Rheinland), Med.-Rat
Dr. Herlitzius-Erkelenz (Rheinland), Prof. Dr. Hilgermann, Vorsteher
des Medizinaluntersuchungsamtes in Koblenz, Dr. Howe- Dramburg (Pommern),
Dr. Hübner-Zabikow bei Posen, Dr. Hülsmeyer-Bütow (Pommern), Dr.
Hu tt-Neurode (Schlesien), Med.-Rat Dr. Janßen-Neuwied, Dr. Jorns-
Nordhausen, Geh. Med.-Rat Dr. Jungmann -Guben, Dr. Käthe, Vorsteher
des Medizinaluntersuchungsamtes in Breslau. Dr.Keintoch -Leobschütz(Schl.),
Dr. K1 e w e - Lissa (Posen), Dr K1 i x - Osterode (Ostpreußen), Dr. K n o 11 - Bern¬
kastel (Rheinland), Med.-Rat Dr. K r a u s e - München-Gladbach, Dr. Kusche 1-
Filehne (Posen), Dr. v. Kypke-Burchardi -Rüdesheim a. Rh. (auch Inhaber
des Hessischen Militärsanitätskreuzes), Dr. Langner-Beuthen
i. Scbles, Dr. Larass-Koschmin (Posen), Dr. Lehmann-Kolmar (Posen),
Dr. L i p p - Schmiegel (Posen), Dr. Mangel sdorf-Czarnikau (Posen), Dr.
M a n g o 1 d - Allenstein (auch Inhaber des Hessischen Militärsanitäts¬
kreuzes), Dr. Menke- Lehe (Hannover), Dr. Meyer, ständiger Hilfsarbeiter
beim Polizeipräsidium in Berlin, Dr. Neu beit- Jarotschin (Posen), Dr. Neu¬
mann - Rosenberg (Oberschlesien), Dr. P e s c h e 1 - Birnbaum (Posen), Dr. Pilf-
Wiesbaden (Stadt) (auch Inhaber des Braunschweigischen Kriegsver-
722
Tagesnachrichten.
dienstkreuzes), Dr. P ran g-Bitburg (Rheinland), Dr. Prigge-Wies-
baden (Land), (auch Inhaber des Hessischen Militärsanitätskreuzes).
Dr. Rehberg - Rathenow a. Havel, Dr. S a g e - Osterburg (Reg.-Bez. Magdeburg),
Med-Rat Dr. Sauberzweig-Görlitz, Dr. Schied at-Pleschen (Posen), Dr.
Schmidt-Wreschen (Posen), Dr Schmidt-Neustadt (Oberschlesien), Dr.
Schroeder - Lublinitz (Oberschlesien), Dr. Sehne h)hardt- Altenkirchen
(Westerwald), Dr. Schulte-Cocbem (Rheinland), Dr. Seiffahrt-Wehlau
(Ostpreußen), Dr. Sieber-Witkowo (Posen), Dr. Stoll-Heydekrug (Ostpr.),
Dr. S t r a u b e - Schwerin (Posen), Geh. Med.-Rat Dr. Struntz-Jüterbogk,
Dr. Sueßmann-Wipperfürth (Rheinl.), Dr. Wackers -Grevenbroich (Rheinl),
Dr. Weßling- Wollstein (Posen), (auch Inhaber des BayerischenMilitär-
sanitätsordens II. Klasse), Geh. Med.-Rat Dr. Ziehe-Homburg v.d. H.,
und Dr. Zimmermann, Vorsteher des Nahrungsmitteluntersuchungsamts
in Hannover.
Ferner Kreisassistenzarzt Dr. Dietrich inCölna.Rh., Reg.-Rat
Dr. med. Spi tta-Berlin, Mitglied des Kaiserl. Gesundheitsamtes und Dr. med.
Wolff-Berlin, wissenschaftlicher Hilfsarbeiter des Kaiserlichen Gesundheits¬
amtes, sowie
die Bezirksärzte Dr. Beltinger-Miltenberg (Unterfranken), (auch
Inhaber des Bayerischen Militärsanitätsordens II. Klasse), Dr.
G e b h a r d - Landshut, Dr. Geiger-Eschenbach (Oberpfalz) (auch Inhaber des
Bayerischen Militärverdienstordens IV. Kl. mit Schwertern),
Dr. Kerschensteiner-Neuburg a. W. (Oberpfalz) (desgl. wie vorher), Dr.
S c h ö n e r - Miltenberg (Unterfranken) (desgl. wie vorher), Dr. Weber-
Schweinfurt (Unterfranken).
Weiterhin: San.-Rat Dr. Carius, Kreisarzt in Detmold, Dr. Claras,
praktischer Arzt in München, z. Z. Kreisarzt in Russisch-Polen, Geh. Med.-Rat
Dr. Hecker, Reg.-Med.-Rat in Straßburg i. Eis., Landgewerbearzt Dr. Ho 1 ta¬
rn a n n - Karlsruhe, Med.-Rat Dr. Riedel, Physikus in Lübeck (auch Inhaber
des Lübecker HanseatenkreuzeB und des Oldenburgischen Fried¬
rich Augustkreuzes II. Klasse am blauroten Bande), Dr.8tein,
Amtsarzt in Strelitz (auch Inhaber des Mecklenburg-Strelitzschen und
Mecklenburg-Schwerinschen Kranzes für Auszeichnung im
Felde).
Das Eiserne Kreuz II. Klasse am weiß-schwarzen Bande:
Kreisassistenzarzt Dr. Brieger-Cosel (Schlesien).
Nervenarzt Dr. Walter Cimbal, Oberarzt der städtischen Heil- und
Pflegeanstalt in Altona.
Med.-Rat Dr. v. Gizycki, Kreisarzt in Brieg.
Geh. Med.-Rat Dr. Langerhans, Kreisarzt in Celle.
Dr. Mohrmann, Kreisarzt und Vorsteher des Nahrungsmittelunter¬
suchungsamtes in Stade.
Verliehen ist ferner: der Bayerische Militärverdienstorden
II. Klasse mit Schwertern: dem Generalarzt z. D. Ministerialrat Prof.
Dr. D ie u d o n n 6-München, derselbe Orden IV. Kl. mit Schwertern:
den Besirksärzten Dr. Ra uh-Erding (Oberbayern) und Dr. Seid er er-Feucht-
wangen (Mittelfrenken): — das Ritterkreuz II. Klasse mit Schwer¬
tern des Badischen Ordens vom Zähringer Löwen: dem Stabs¬
arzt d. Res. Dr. Dennemark, Kreisassistenzarzt in Sigmaringen; — das
Ritterkreuz des Oesterreichischen Franz Josef-Ordens: dem
Kreisarzt Dr. Knospe in Berlin; — das Oesterreichische Ehren¬
zeichens II. Klasse mit Kriegsdekoration: dem Med.-Rat Dr.
v. Gizycki, Kreisarzt in Brieg; — das Hamburger Hanseatenkreuz:
dem Kreisarzt Otto Fridrich in Schubin.
Außerdem haben erhalten: Das EiserneKreuz I. Klasse: Assessor
Dr. E. Kornalewski, Oberleutnant im Stabe einer Feldartilleriebrigade und
Oberleutnant und Reg.-Adjutant Dr. M. Kornaleswki, Söhne des Geh.
Med.-Rats Dr. Kornalewski, Kreisarzt in Delitzsch.
Das Ritterkreuz mit Schwertern des Hohenzollernschen
Hausordens: Major Max Pfeiffer, Chef des Generalstabes des 17. Reserve-
Armeekorps, Sohn des Geb. Med.-Rats Dr. Pfeiffer in Wiesbaden.
Sprechsaal. 723
Bhrra-Qedlohtalatoftl. Für das Vaterland gefallen oder gestorben
sind ferner:
Stabsarzt d. L. Dr. Ludwig Albert*Aachen.
Feldunterarzt Ferdinand Dröge*Norden (Ostfriesland).
Oberstabsarzt d. R. Dr. Rudolf Frotscher, Oberarzt an der Landes¬
irrenanstalt Weilmttnster (Nassau).
Assistenzarzt d. Res. Dr. Erwin Gerullis-Pröckuls (Ostpreußen) (ge¬
storben infolge von Krankheit).
Assistenzarzt Dr. Franz Gingele-München.
Feldunterarzt Albert G-raunung-Soest.
Assistenzarzt d. Res. Dr. Hain- Freiburg i. Breisgau.
Assistenzarzt d. Res. Dr. Erich Hirschfeld-Stettin.
Geb. Med.-Rat Prof. Dr. H. Hochhaus-Cöln a.R., fachärztlicher Beirat
beim VIII. A.-K. (gestorben infolge von Krankheit).
Assistenzarzt d. Res. Dr. Paul Honert-Mttnster i. Westfalen.
Stabsarzt Dr.Tb. Kirchheim in Bagdad (gest. infolge von Krankheit).
Stabsarzt d. Res. Dr. K n i e r i m - Tübingen.
Stabsarzt d. L. Dr. E. Kris teil er-Tilsit.
Oberstabsarzt Dr. R am in -Westerthal, vor dem Kriege in Lübeck (ge¬
storben infolge von Krankheit).
Stabsarzt d. L. Dr. H. Sander -Schweinfurt (gest. infolge von Krankheit).
Stabsarzt d. Res. Dr. Max Trappe-Breslau.
Assistenzarzt d. L. Dr. Rud. Vogel-Offenbach a. M.
Oberstabsarzt Dr. Eduard Wadsack-Bensheim (Hessen) (gestorben
infolge von Krankheit).
Cholera. In Oesterreich-Ungarn ist die Seuche anscheinend
völlig erloschen.
Erkrankungen an Pocken sind im Deutschen Reich in den fünf
Wochen vom 22. Okt. bis 25. Nov. nur noch 5, 3, 2, 1 und 1 vorgekommen.
Die Zahl der Fleckfleber-Erkrankungen betrug im Deutschen
Reich vom 22. Oktober bis 25. November auch nur noch 1, 1, 3, 5 und 5,
sämtlich bei Kriegsgefangenen. In Oesterreich sind vom 9. bis 15. Oktober
1, in Ungarn sind vom 16. Oktober bis 5. November 2, 4 und 2 Fälle vor¬
gekommen, davon 4 in Budapest.
Erkrankungen und Todesfälle an ansteckenden Krankheiten ln
Preußen. Nach dem Ministerialblatt für Medizinal-Angelegenheiten sind in der
Zeit vom 22. Oktober bis 11. November 1916 erkrankt (gestorben) an Pest,
Gelbfieber, Cholera, Trichinose, Aussatz, Malaria, Fleck¬
fieber, Rückfallfieber, Paratyphus, Rotz, Tollwut: — (—),
— (—), — (—); Bißverletzungen durch tollwutverdächtige
Tiere: 3 (—), 3 (—), 21 (—); Milzbrand: — (—), 1 ( —), — (—);
Pocken: 3 (—), 2 (—), 6 (—); Unterleibstyphus: 281 (21), 304 (31),
287 (26); Ruhr: 277 (26), 193 (29), 151 (23); Diphtherie: 2328 (174),
2405 (161), 2580 (165); Scharlach: 1073 (46), 1058 (55), 1139 (36); Kind¬
bettfieber: 59 (20), 61 (18), 72 (19); Genickstarre: 3 (1), — (—),
8(1); spinaler Kinderlähmung: 2 (—), 8 (—), 2(—); Fleisch-,
Fisch- und Wurstvergiftung: 95(1), —(1), 16(1); Körnerkrank¬
heit (erkrankt): 84, 84, 60; Tuberkulose (gestorben): 671, 662, 707.
Spreohsaol.
Anfrage des Kreisassistenzarztes Dr. v. H. ln Cb.: Darf eine Hebamme,
die Witwe eines Arztes ist, der den Doktortitel besaß, auf ihrem Hebammen¬
schild schreiben: „Frau Dr. H., Hebamme“ oder „verw. Frau Dr. H., Hebamme “t
Antwort: Jal Die Witwe eines praktischen Arztes ist zweifellos zur
Weiterführung des durch ihre Verheiratung rechtmäßig erlangten Doktortitels
berechtigt, so lange sie ihn nicht in einer Weise benutzt, daß dadurch der Glaube
erweckt wird, sie selbst sei ein geprüfter Arzt (z. B. durch gleichzeitige Ankündi¬
gung der Behandlung von Krankheiten). Aus dem Zusatz „Hebamme“ ist die Mög¬
lichkeit eines solchen Irrtums ausgeschlossen, so daß ein unzulässiger Gebrauch
eines „arztähnlichen Titels“ nicht vorliegt.
724
Sprechsaal.
Anfrage des Bezirksarztes Dr. B. in Y.: Sind „Kar bol creme“, „Binder¬
markpomade, Jodoformgaze „Warzenstifte“ und „Russischer Knöterichtee“ dem
freien Verkehr überlassen, was die betreffenden Firmen behaupten mit der
Begründung, Karbolcreme werde nur als Desinfektionsmittel, Rindermark¬
pomade und Warzenstifte nur als kosmetische Mittel verkauft; Warzen seien
außerdem keine Krankheit; Verbandstoffe seien allgemein und von dem
Knöterichtee seien nur die beiden Spezialmarken „Homeriana und Weidmanns
russischer Knöterichtee“ dem freien Verkehr entzogen, alle anderen nicht.
Antwort: Karbolcreme und Rindermarkpomade sind nach § 1
Abs. 2 a der Kaiserlichen Verordnung als Desinfektions- bezw. kosmetische
Mittel dem freien Verkehr überlassen; dasselbe gilt nach § 1 Abs. 3 dieser
Verordnung betreffs der Jodoformgaze, da Verbandstoffe auch dann
freigegeben sind, wenn sie mit heilkräftigen Stoffen, deren Verkauf an sich
den Apotheken Vorbehalten ist, imprägniert sind (Urteil des Oberlandesgerichts
in Breslau vom 26. Mai 1908 und in Hamburg vom 15. bezw. 19. Februar 1909).
Enthält das Karbolcreme allerdings mehr als 3°/o Karbolsäure, dann unterliegt
der Verkehr damit den Vorschriften über den Handel mit Giften. Warzen¬
stifte sind ebenfalls freigegeben, da Warzen nicht als Krankheit gelten
(Urteil des preuß. Kammergerichts vom 14. Februar 1910 und des Oberlandes¬
gerichts in München vom 8. Mai 1913). Betreffs des „Knöterichtees“ hat das
preuß. Kammergericht durch Urteil vom 25. April 1914 dahin entschieden, dafi
er nur dann dem freien Verkehr entzogen ist, wenn er als „Homeriana, russischer
oder Weidmanns Knöterichtee“ bezeichnet ist; demnach erscheint der Ein¬
wurf der Geschäftsinhaber begründet, zumal betreffs des Knöterichtees die
Oberlandesgerichte in Celle (Urteil vom 19. Sept. 1904) und München (UrteQ
vom 1. Juni 1907) ebenso entschieden haben.
Mitteilung für die Medizinalbeamten.
Entsprechend zahlreichen Wünschen aus den Kreisen der Medizinalbeamten
haben sich Herausgeber und Verlagsbuchhandlung entschlossen, den Kalender
für Medizlnalbeamte wieder erscheinen zu lassen. Der neue
Jahrgang 1917 wird Mitte Dezember d. J. zur Ausgabe gelangen; die
Unterzeichnete Verlagsbuchhandlung nimmt schon jetzt Bestellungen
entgegen; eine Bestellkarte ist zu diesem Zwecke beigefügt.
Die Verlagsbuchhandlung. Der Herausgeber.
Fischers med. Buchhandluog fl. Kornfeld,
Berlin V. 62, KelthstraBe 5.
Deutscher und PreuBischer Medizinalbeamtenverein.
Die Mitglieder des Deutschen und Preussischen Medizinal¬
beamtenvereins werden gebeten, etwa bevorstehende Wohnung»-»
Änderungen umgehend der Expedition der Zeitschrift — Hof-
buchdruckerei von J. C. C. Bruns, Minden i W. — mitzuteilen,
damit in der Zustellung der Zeitschrift mit Beginn des neuen
Jahres keine Unterbrechung eintritt. Gleichzeitig wird darauf
aufmerksam gemacht, daß die Zeitschrift nicht bei der Post zu be¬
stellen ist, da die Zustellung von seiten des Vereins bewirkt wird.
Druokfehler- Berichtigung, ln dem Artikel „Ein Fall von Selbst¬
vergiftung durch Ammoniak“ in dieser Nummer muß es auf Seite 704, Zeile 10
von unten heißen: „Flüssigkeitsgehalt“ statt Flüchtigkeitsgehalt, auf
Seite 705, Zeile 2 von oben: „subpleuralen“ statt subpleutalen, und Zeile 3
von unten: „nichts“ statt „nicht.
Redaktion: Prof. Dr. Rapmund, Geh. Med.-Rat in Minden LW.
J. 0. C. Brun«, Hersogl. Sieh», n. Fflrtti. Sah.-L. Hofbachdrockerai Ib Mild—
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L’nj«t hlajp:
fVrt«uijm!l*D.
P e r s o n a i i » fK
Deutsches Reich und Königreich Frenseeu.
Aus/virlimmir^H ; V fe hfcft M 1 r < h .•» r 8 fe t •> r ;i 1 $ öelh^i dk* r
t| fe «i. i I n a f r ft t: den Ifegterüflgv Uttd >!*•»];•/j : .i:drMi'* r i I Vr. $i a nj i& m St-m! • ün.i,
Df. Meyen itr Liegijiv? uftd Df 8 e h u u i tJ y r itt .A n»sb*'f g ffo’wrf* 0«i> Kreis-'
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Dr. hß c id in 1: ? •: - -1 i -r. IJ 9 r - ?• n iM» r^> in &w:si . Dr. K l *> 44 io
JiÖitfcr; Vf/.. 11 ^ r r n r i * h s' »i ,1 ulicb, Dr. fl e i in i u ir in A-i& 0 >- d>.tu. Dfeßt-
y :•■■!.l>> s • ■!•<!’ ift und iD : D * d;\? Alrtin-
Vcr iiV1 r i j n Prof.Dr. V r a n k in \Vit ^)>udeü : — de r f ita ru fc te ^
a \> c d i jßi r n i ; den Krt v i^>ir^u-n i.M \V '• I! »< r o* & n n in Lvck, l>r Bundi
in II üle a 8. i>r. 1-n^tvjikü in. Sifirml«, Prof. Pr. h t .e m Göttinnen,
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Offizielles Organ des Deutschen, Preussischen, Bayerischen, Sächsischen,
WQrttembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen, Thüringischen,
Braunsohweigischen und Eisass • Lothringischen Medizinalbeamtenvereins.
Verlag von Fiseher’s med. Bnehhandlg E Kornfeld,
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■ad Aosleadee e&tfifen.
Nr. 24.
Brftchelnt mm
5.
and ÄO.
20. Dez.
Die Verlängerung der Mädchenschulpflicht zur Vorbereitung
für den Mutter- und Haushaltsberuf.
Von Geh. Medizinalrat Dr. Deneke, Regierangs- and Medizinalrat in Magdeburg.
Die Mittel zur Hebung und Mehrung der Volkskraft, zur
Gesundung und Gesunderhaltung des Volkskörpers sind auf
allen Lebensgebieten zu finden. Aus der großen Zahl der bisher
in der Oeffentlichkeit vorgeschlagenen Mitteln möchte ich keines
entbehren oder ablehnen. Ihre Wahl hat auszugehen von der
Vermehrung der Einzelkräfte und der Erziehung zur Verwen¬
dung der Kräfte. Das weist uns auf den Nachwuchs und die
Jugendausbildung hin.
Vom ärztlichen Standpunkte zeigt der Staatskörper ab¬
norme, zum Teil im Gebiet des Krankhaften liegende Erschei¬
nungen, die seine augenblickliche Leistungsfähigkeit beschränken
und lähmen, sowie die Erfüllung seiner Aufgaben für die Zu¬
kunft aus Mangel an Kraftvorrat erschweren. Der Arzt ist
gewöhnt, bei der Prüfung und Bekämpfung von Krankheits¬
erscheinungen von ihren Ursachen auszugehen. Eine derartige
726
Or. Deneke: Die Verlängerung der Mädchenschulpflicht
Behandlung wird sich auch beim Volkskörper bewähren, weil
er die Gesamtsumme der Einzelerscheinungen darbietet.
Nach medizinischen Gesichtspunkten beurteilt, leidet zur¬
zeit der Volkskörper unter der Gefahr der zunehmenden Ab¬
magerung, also dem drohenden, geschichtlich bekannten Volks¬
raarasmus durch den Geburtenrückgang, an Säfteentziehung
durch den Tod so vieler Männer im Felde und an Wunden
und Narben, die die verwundeten und verstümmelten Kriegs¬
teilnehmer darstellen. Er befindet sich gleichsam in einem
Schwächezustande wie nach einer eingreifenden Operation mit
starkem Blutverlust. Daraus ergeben sich auch die Heilanzeigen.
Der Geburtenrückgang ist eine sehr ernste, ja er¬
schreckende Gefahr für den Volksbestand. Nach Krohne ist
die Tendenz zum Rückgang, d. h. die sinkende Kurve seit 1900
bis zum Beginn des Krieges also in 15 Jahren so in die Augen
springend, wie sie in dem Grade und der Schnelligkeit noch in
keinem anderen Kulturstaat beobachtet ist. Frankreich hat zu
diesem Geburtensturz 40 Jahre gebraucht. Er beruht zum wesent¬
lichen Teil — darüber besteht bei Eingeweihten und Sachverstän¬
digen kein Zweifel — auf der gewollten Beschränkung der Kinder¬
zahl. Der Wille zum Kinde hat nachgelassen und die
Empfängnisverhütung und Fruchtabtreibung ist an seine Stelle
getreten. Nach Krohne kann man in Deutschland jährlich
mit 500000 Fruchtabtreibungen rechnen. Es war ein er¬
schreckender Anblick, ein erschütternder Eindruck für mich,
als ich am 28. März d. J. auf der Frauenabteilung des
hiesigen Sudenburger Krankenhauses 19 Betten vor¬
fand, die mit fieberhaft erkrankten Frauen und Mädchen nach
Frühgeburt belegt waren, von denen mindestens 16 den Ver¬
dacht der kriminellen Fruchtabtreibung erregten. Und nichts
war zu ermitteln, was zu einem polizeilichen oder gerichtlichen
Verfahren hätte führen können. So raffiniert geht die Frauen¬
welt schon zu Werke, weil sie auf geschlechtlichem Gebiet
klüger ist als die Männerwelt. Mit diesem verderblichen Zu¬
stande ist die sehr traurige Erfahrungstatsache verbunden, dafi
die Frauen und Mädchen, die der verbrecherische Eingriff nicht
das Leben kostet, in großer Anzahl ein langdauerndes Unter¬
leibssiechtum und häufig bleibende Unmöglichkeit der Empfängnis
zurückbehalten.
Gegenüber dieser die Volkskraft verzehrenden ansteckenden
Seuche kommt den Geschlechtskrankheiten, die zur Un¬
fruchtbarkeit beider Geschlechte führen, und der Heirats¬
unlust der Männer nur eine nebensächliche Rolle zu. Der
Kinderausfall stellt gleichsam einen Teil der Sühne der Nation
dar, die sie dafür entrichtet, daß sie dem weiblichen Geschlecht
allerlei, ja fast alle Berufe öffnet, die für den weiblichen
Körper sich nicht eignen oder ihn dem Mutterberuf entfremden.
Dagegen ist zu bedenken, daß der Hauptkrankheitsherd der
Geschlechtskrankheiten, die soviel Unglück und Schaden in die
Familie tragen können, die geheime Prostitution ist.
zur Vorbereitung für den Mutter* und Haushaltsberuf.
727
Ihre Vertreterinnen: die Verkäuferinnen, Kontoristinnen, Nähe¬
rinnen,. Plätterinnen usw. rekrutieren sich aber vorwiegend und
zwar nicht selten nach einem Zwischenstadium im Dienstboten¬
beruf aus den Schülerinnen der städtischen Volks- und Mittel¬
schulen. Die freiwillige Beschränkung der Kinderzahl, die in
den besser gestellten Kreisen aus wirtschaftlichen, Bequera-
lichkeits- und sonstigen unberechtigten Gründen ihren Anfang
genommen hat, isl aus diesen Kreisen durch den weiblichen,
mit listiger Beobachtungsgabe begabten Dienstboten nach ihrer
späteren Heirat an den eigenen Herd verpflanzt und hat in der
ihnen nahestehenden unbemittelteren Umgebung schnell Pro¬
paganda gemacht. Den gewaltigen Einfluß dieses bösen Bei¬
spiels in der Frauenwelt wieder zu beseitigen, wird eine schwere,
lang dauernde, vielleicht über mehr als eine Generation sich
erstreckende Aufgabe der Erziehung sein.
An der nationalen Gefahr ist die Höhe der Säuglings¬
sterblichkeit mit einem großen Anteil beteiligt. Deutsch¬
land steht mit seiner Zahl unter den Kulturstaaten heute noch
an sechster Stelle. Ist das nicht auffallend bei der Höhe unserer
allgemeinen Gesundheitskultur und besonders bei der Gründ¬
lichkeit und dem Ernst unserer Wohlfahrtsbestrebungen auf
dem Säuglingsgebiet in den letzten 10 Jahren? Nicht nur
das ungenügende Selbststillen im allgemeinen, sondern
auch der mangelnde Wille und das fehlende Verständnis für
die sorgsame Pflege der Erzeugten sind der Beweis für die
Abnahme der Liebe des Weibes zum Kinde. Die
Grundlagen der Ausbildung des Willens und des Gemüts ge¬
hören aber zu den wesentlichen Unterrichtsmitteln der Schule.
Zusaramengenommen mit dem Geburtenrückgang als Ausdruck
der Abnahme des Willens zum Kinde liegt hier ein ernstes
Zeichen der drohenden Entartung des Weibes vor, der
die Perversitäten auf dem Gebiet der Fortpflanzung und der
alltäglichen Lebensäußerungen wie Einschnürung des Leibes,
Zurschaustellen von Hüften, Beinen oder Busen, Zigaretten¬
rauchen usw. folgen müssen. Auch hier kann nur systematisch
erziehlicher Einfluß, in der Schule Aenderung und Besserung
schaffen.
Ich schlage deshalb vor, die Verlängerung der
Schulzeit für Mädchen um ein Jahr im unmittel¬
baren Anschluß an die Entlassung aus der Volks¬
schule zur praktischen Ausbildung im Haushalts¬
und Mutterberuf und zwar in besonderen, auf dem
Lande zu errichtenden einklassigen Staatsschulen.
Vor der analytischen Erörterung des Vorschlags ist die
Bedürfnisfrage kurz zu beleuchten. Die weitverbreitete
Seuche der Fruchtabtreibung und der Empfängnisverhütung ist
der gefährlichste Feind der Volkserhaltung, der leider den
Volkskörper mit sicherem Erfolge angreift. Ihn vorbeugend
und ursächlich zu bekämpfen, gilt in erster Linie mein Vor¬
schlag. Die Erfahrung lehrt, daß die erziehliche Wirkung der
728
Dr. Deneke: Die Verlängerung der Mädchenschalpflicht
§§ 218 — 220 des Strafgesetzbuches nur geringe Erfolge
auf weist und auch nur auf weisen kann, weil die Vorgänge bei
der Abtreibung so verwickelter Art sind, daß positive Ermitte¬
lungen, die zur strafrechtlichen Verfolgung und Sühne hin¬
reichen, selten sind. Bei den 3 Landgerichten des Regierungs¬
bezirks Magdeburg in Magdeburg, Halberstadt und Stendal ist
in den 3 Jahren 1912—1914 gegen 511 Beschuldigte ein Ver¬
fahren wegen Fruchtabtreibung eingeleitet. ' Bestrafung ist er¬
folgt in 120 Fällen, Freisprechung in 11 Fällen; das Verfahren
ist in 344 Fällen eingestellt und in 36 Fällen am Jahresschluß
schwebend geblieben. Also in rund 70 v. H. hat das Verfahren
zu einem non liquet geführt. Das sagt gegenüber von nur
11 Freispruchsfällen sehr viel, nämlich, daß das Risiko, für Ab¬
treibungen bestraft zu werden, gering ist, und daß das einträg¬
liche Geldgeschäft der Abtreiber schwer zu stören ist. Also
nicht mal die Abschreckungstheorie des Gesetzes wirkt hier
in der Praxis. Wenn dies der Fall ist, so ist auch nichts mit
der öffentlichen Aufklärung auf diesem heiklen Gebiet zu er¬
reichen. Da ist Zwangsbelehrung des heranwachsenden
weiblichen Geschlechts im schulraäßigen Unterricht am Platze
und zu einer Zeit, wo nach alter Erfahrung die Schärfung des
Gewissens für Recht und Unrecht am zweckmäßigsten geschieht
und die besten Erziehungserfolge aufzuweisen hat. Ich finde
keinen anderen Weg.
Niemand wird Abderhalden widersprechen, der zu den
Ursachen der heutigen Lockerung der Familienbande die mangel¬
hafte Vorbereitung der Mädchen auf ihren ureigensten Beruf,
den der Mutter und Hausfrau rechnet. Säuglingspflege, Führung
des Haushalts, Koch- und Nähkunst, häusliche Kunst, und ich
füge hinzu Scheuern und Wäschewaschen, das sind Dinge, von
denen leider die wenigsten Mädchen ausreichende Kenntnisse
in die Ehe bringen. Zugleich muß eine Rückkehr zur
Einfachheit und eine durchgreifende Säuberung der herr¬
schenden Geschlechtsmoral stattlinden. Vom rein praktischen
Standpunkt möchte ich hierbei auf eine Erfahrung Pütters
zurückgreifen. Bei der vorbildlichen, großzügigen Organisation
der Bekämpfung der Tuberkulose in Berlin stieß er auf die
wiederkehrende Schwierigkeit, daß die Ehefrauen, namentlich
die aus der Fabrikbeschäftigung hervorgegangenen, höchst un¬
vollkommene Fertigkeit in der Wohnungsreinigung und der
Behandlung unsauberer Wäsche hatten. Er erkannte diesen
Mangel sehr bald als eine der Verbreitungsveranlassungen der
Tuberkulose und richtete Unterweisungskurse für diese häus¬
lichen Aufgaben (Scheuern, Reinmachen, Wäsche waschen) mit
gutem Erfolge ein.
Für die zunehmende Erkenntnis der Notwendigkeit der
schulmäßig geordneten Vorbildung für den Mutter- und Haus¬
haltsberuf zwei Beispiele: Auf dem Städtetage der Provinz
Sachsen und des Herzogtums Anhalt am 5. und 6. Juni 1914
sprach sich der Referent Stadtschulrat Dr. Gutsche-Erfurt
zur Vorbereitung für den Mutter- und Hausbaltsberuf.
729
eingehend über die Frage aus: „Soll die gewerbliche
Pflichtfortbildungsschule für Mädchen auf wissen¬
schaftlicher oder haus wirtschaftlicher Grundlage
errichtet werden?“ Er entschied sich in überzeugenden,
mit allseitigem Beifall aufgenommenen Ausführungen für die
hauswirtschaftliche Grundlage und bezeichnete diese Lösung
als eine der dringlichsten und wichtigsten Aufgaben der Schul¬
verwaltung. In der Aussprache bin ich warm für die Durch¬
führung eingetreten, weil die Erfahrung Pütters gezeigt
hat, wie geringes Verständnis für die häuslichen Pflichten
die in gewerblichen Betrieben beschäftigt gewesenen jungen
Frauen in die Ehe mitzubringen pflegen. Die Auffrischung
des in der vorgeschlagenen Staatsschule Erlernten wird ge¬
rade diesen Mädchen und ihrem späteren Hausstande außer¬
ordentlichen Nutzen bringen. Der Minister der geist¬
lichen und Unterrichts-Angelegenheiten hat durch
Erlaß vom 10. Dezember 1915 die Königlichen Regierungen
(Abteilung für Kirchen- und Schulwesen) auf die Säug¬
lingspflege als Unterrichtsgegenstand in den Mädchen¬
schulen aufmerksam gemacht unter Hinweis auf die vom Ge¬
heimen Medizinalrat Professor Dr. Peiper und Schulrat Gerike
in Greifswald veranstalteten Unterrichtskurse für 12-bis 14jährige
Schulmädchen der Mittel- und Volksschulen. „Alle Dinge, die
Schwangerschaft und Wochenbett betreffen, wie sie vor älteren
Mädchen und Frauen zu besprechen sind, wurden aus dem
Lehrstoff ausgeschaltet.“ Und mit Recht, denn Kinder in
kurzen Kleidern sind für diese Aufklärung noch nicht reif.
Die günstigen Erfahrungen mit diesem Unterricht sprechen da¬
für, daß er als eine zweckmäßige Vorbereitung für die folgende
erweiterte Unterweisung gern willkommen geheißen werden
kann, um so mehr, wenn im letzten Schuljahr mit dem Kon¬
firmationsunterricht besonderer Wert auf die Schärfung des
Gewissens und auf die Belehrung in den Grundlagen der prak¬
tischen Nächstenliebe gelegt wird. Damit komme ich zu meinem
Vorschlag zurück.
Nach den jetzt gütigen Bestimmungen und Höchstgerichts¬
entscheidungen ist das Ende derSchulpflicht an kein be¬
stimmtes Lebensalter gebunden. Die Schulpflicht endigt nicht
ohne weiteres mit der Konfirmation. Der Schulunterricht muß
solange fortgesetzt werden, bis ein Kind nach dem Befunde
der Schulaufsichtsbehörde die einem jeden vernünftigen Men¬
schen seines Standes notwendigen Kenntnisse besitzt. Als ord¬
nungsmäßiger Zeitpunkt für die Schulentlassung ist der Oster¬
termin desjenigen Jahres anzusehen, in dem das Kind bis zum
30. September das 14. Lebensjahr vollendet. Das sind im Auszug
die Grundsätze, nach denen die Verlängerung der Schulpflicht in
meinem Sinne durchaus zulässig ist, wenn man sich auf den be¬
rechtigten Standpunkt stellt, daß ein Mädchen mit 13 1 /* oder
14 Jahren bei den heutigen Schuleinrichtungen und Lehrzielen
der Volksschule nicht die ihm notwendigen Kenntnisse als zu-
730 Dr. Deneke: Die Verlängerung der Madchenschalpflicht
künftige Hausfrau und Mutter besitzt. Unter heutigen sozialen
und Erwerbsverhältnissen muß man von der Schule die
Vollendung der Erziehung zum ureigensten Beruf des heran-
wachsenden Mädchens verlangen. Auf diese Erziehungspflicht
ist man in den letzten Jahrzehnten nur mit tropfenweiser Ein¬
fügung der Unterrichtsgegenstände, z. B. des Handfertigkeits¬
unterrichts, eingegangen. Die Erfahrungen der letztverflossenen
Zeit und der Krieg haben uns die Notwendigkeit der planmäßig
erweiterten Pflichterfüllung aufgedrungen.
Der ordnungsmäßige Zeitpunkt der Entlassung aus
der Volksschule kann beibehalten werden. An diesen schließt
sich unmittelbar der Uebertritt in die Staatsschule an. Bei
den übrigen Schulbetrieben (Mittel- und höheren Mädchen¬
schulen) bleibt derselbe Termin für den Uebertritt, nämlich
zu Ostern des Jahres, in dem das Kind bis 30. September das
14. Lebensjahr vollendet. Im Alter von 13—15 Jahren geht
beim Mädchen die wichtigste Entwicklung vom Kind zur Jung¬
frau vor sich, der vom ärztlichen Standpunkt unbedingt Rech¬
nung getragen werden muß, wenn der Körper den Aufgaben
und Anforderungen der Staatsschule gewachsen und der Geist
befähigt sein soll, ihnen mit dem notwendigen Verständnis zu
begegnen.
Daß dazu ein ganzes Jahr erforderlich ist, wird sich
bei der Besprechung der Unterrichtsgegenstände ergeben. Mit
Recht kann man entgegen halten, daß damit die bisherige
7 bis 8 jährige Schulpflicht auf 8 bis 9 Jahre erhöht und die
Gefahren des Schulbanksitzens usw. für den weiblichen Körper
vergrößert werden. Ich würde gern einverstanden sein,
wenn der Beginn der Schulpflicht bei Mädchen wegen der
Häufigkeit der englischen Krankheit und wegen des Zahn¬
wechsels vom 6. auf das 7. Lebensjahr verlegt würde. Aber
auch wenn das aus schultechnischen Gründen nicht angängig
ist, so ist gerade das hinzugefügte Jahr bestimmt, erworbene
Schädigungen der Körperentwicklung durch die Art des Unter¬
richts auszugleichen.
Was spricht nun für die Einrichtung einer Staats¬
schule, die außerhalb des Rahmens der heutigen Schul¬
einrichtungen fällt und mit dem Grundsätze der Gemeinde¬
schule bricht? Neben dem eigentlichen Nutzen des Unterrichts
für die heran wachsende weibliche Jugend steht der allgemein-
soziale und nationale Gesichtspunkt im Vordergrund. Deshalb
ist es ratsam, diese Schulen dem Streit und Neid der Parteien
in den Gemeindevertretungen zu entziehen. Bei staatlicher
Einrichtung ist am besten die Gleichwertigkeit des Lehrstoffs,
der Lehrmittel, der Lehrziele und der Lehrkräfte gewährleistet.
Das ist erziehlich von großer Bedeutung. Die Mädchen sollen
das Bewußtsein in sich aufnehmen, daß dieser Abschnitt der
Schulerziehung nicht nur ihrer Fortbildung dient, sondern auch
der Staatsgemeinschaft und der Volksgesundheit zugute kommt.
Neben dem für das Weib natürlichen, weil angeborenen Egoismus
zur Vorbereitung für den Mutter- nnd Hansbaltsberuf.
731
sollen sie empfänglich gemacht werden für altruistisches Denken
und Handeln. Und nicht zuletzt ist es auch der finanzielle
Gesichtspunkt, der für die Staatsschule spricht. Ich entnehme
ihn der so lesenswerten Veröffentlichung von Dr. G. W. Schiele
in Naumburg (Saale): „Wenn die Waffen ruhen! Beiträge zur
Bevölkerungspolitik nach dem Kriege.“ Von der Volksschul¬
last von 482 Millionen tragen die Gemeinden 348 und der
Staat 139 Millionen. Eine weitere Belastung der Gemeinden
ist kaum durchführbar.
An sich besteht kein Bedenken, ausnahmsweise
Privatschulen zuzulassen, wenn das Bedürfnis im Einzel¬
lall geprüft, wenn die Einrichtungen den Anforderungen an
Einfachheit und Gesundheitsförderung der Schülerinnen ent¬
sprechen und wenn die staatliche Aufsicht sichergestellt ist,
damit sie nicht dem Unterweisungszweck zuwiderlaufen und
nicht zu abgesonderten Unterkünften lediglich für die*aus den
höheren Töchterschulen hervorgehenden Mädchen werden.
Nach den maßgebenden Ministerialerlassen sollen ein-
klassige Schulen im allgemeinen nicht über 80 Kinder
zählen. Dieser Volksschulgrundsatz ist auf die Staatschule zu
übertragen. Durch die einklassige Einrichtung und die Kopf¬
zahl wird das wichtige Merkmal der Schule gewahrt im Gegen¬
satz zur Pensionats- oder klösterlichen Erziehung. Mit der
großen Zahl verbinden sich wichtige Vorzüge der Gemein¬
schaftserziehung, die die vergrößerte Gelegenheit der
gegenseitigen Abschleifung von Ecken und Unebenheiten,
der Lebensauffassung und des täglichen Verkehrs bietet. Eine
ebenso wichtige Forderung ist die durchdachte Mischung der
Mädchen aus den verschiedenen Volksschichten. Die Mädchen
aus der Stadt müssen Platz an Platz lernen mit den Land-
raädchen und umgekehrt. Ich habe in dieser Richtung
bei den zahlreichen staatlichen Prüfungen von Kranken¬
pflegepersonen außerordentlich günstige Erfahrungen ge¬
sammelt. Neben der Tochter aus hochgestellten Kreisen
wird das frühere Dienstmädchen ausgebildet. Mit Bewunde¬
rung stelle ich immer wieder fest, wie glücklich diese
Misohung auf beiden Seiten nicht nur in der Berufsauffassung
sich geltend macht. Natürlich kann auch die Uebertreibung
dieser Mischung wie alles Gute zum Nachteil ausschlagen; des¬
halb betone ich die „durchdachte“ Mischung der Angehörigen
der Volks-, Mittel- und höheren Schulen. Die zweckmäßige
Verteilung auf die Schulen eines Regierungsbezirks wird Auf¬
gabe der Königlichen Regierungen (Abtl. für Kirchen .und Schul¬
wesen) sein müssen. Zugleich wird auch die Mischung der
Angehörigen der verschiedenen Glaubensbekenntnisse für die
spätere Lebensauffassung der Frau von großem Nutzen sein.
Sie ist auch berechtigt, weil mulier tacet in ecclesia.
Der Ruf nach Erziehung zur Einfachheit der Lebens¬
führung ist nur durch Anlegung der Schulen auf
dem Lande zu verwirklichen. Zur Begründung dieser
732
Dr. Deneke: Die Verlängerung der Mädchenschulpflicbt
Forderung führe ich zunächst die in Bürger- und höheren
Kreisen bekannte, empirisch gewonnene Erfahrung an, die
sich in die Worte kleidet: „Das Kind muß mal aus dem
Hause, muß mal unter fremde Leute.“ Das erziehliche Moment,
das in der Ausführung dieser Erfahrung liegt, brauche ich
nicht weiter zu erörtern, weil jeder den ursächlichen Zusammen¬
hang der mit einem Umgebungswechsel verbundenen Vorzüge
zu beurteilen weiß. Die Einfachheit im innern und
äußern Betriebe muß das Jedermann sichtbare Ge¬
präge der Schule sein. Sie findet ihre Grenze nur
an derzweiten gleich wertigen Forderung: Gesund¬
erhaltung und Kraftentwickelung. Die Einfachheit
hat sich auch zu erstrecken auf die äußere Unterkunft
der Schulen. Keine kostspieligen Neubauten für Schulräume,
Wohnunterkünfte und deren innere Ausrüstung. Wenn ich
diesen Wunsch kurz und kraß ausdrücken darf: Ermietung
eines gut erhaltenen und gepflegten Bauernhofs mit 10 bis 15
Morgen Garten- und Ackerland, auf dem die Scheunen als
Schlaf-, Unterrichts-, Eß- und sonstige Tagesräume und der
Kuhstall als Brausebad eingerichtet werden. Mit jeder Schule
ist das Wohnungsinternat für sämtliche Schülerinnen zu ver¬
binden.
Weit größere Bedeutung als in Bürger- und höheren
Kreisen hat der erziehliche Aufenthalt außerhalt des Eltern¬
hauses bei den Mädchen der breiten Volksschichten,
namentlich den aus den Städten stammenden, für die der Land¬
aufenthalt an sich schon ein hervorragender Gesundungsfaktor
ist. Sie müssen heraus aus den gewohnten Verhältnissen, heraus
aus dem Schlendrian so manchen Elternhauses, gerade in dem
Jahr, wo der weibliche Körper zur bewußten Jungfrau heran¬
reift. Heraus aus dem engen Zusammensein in Arbeiter¬
wohnungen und Mietskasernen, wo so mancher unvermeidbare
Anblick das natürliche Empfindungsvermögen eines weiblichen
Kindes abstumpft, wo dem edelsten angeborenen Gefühl des
Weibes, dem Schamgefühl, in arger Weise Abbruch geschieht.
Hier liegen die Wurzeln der Prostitution. Heraus
aus den Städten mit dem ablenkenden Lärm und Straßenver¬
kehr, mit ihren Varietes, Kinos, Theatern usw. Das wirkt
erziehlich schon viel, ja sehr viel, wenn sich damit die Weckung
der Liebe zum Landaufenthalt und Verständnis für die Ge¬
schenke unserer allgütigen Mutter Natur verbindet.
Für den Unterrichtsplan ist im allgemeinen voraus¬
zuschicken, daß die Ausbildung eine praktische, auf den Haus¬
halts- und Mutterberuf zugeschnittene sein muß. Der Theorie
darf nur insoweit Rechnung getragen werden, wie sie zur Er¬
lernung und zum Verständnis der Fertigkeiten notwendig ist.
Durch den gesamten Unterrichtsplan muß als roter Faden
ziehen die erziehliche Entwicklung des dem Weibe angeborenen
Kerns des Schamgefühls, nicht aber deshalb, um prüde Mucke¬
rinnen ins Leben zu schicken. Anderseits ist in der Mädchen-
zur Vorbereitung für den Mutter- und Hauehaltsberuf.
733
erziehung vor der nicht durchdachten Anwendung des Grund¬
gesetzes: naturalia non sunt turpia, dringend zu warnen. Was
natürlich, was von der allgütigen Mutter Natur vorgesehen und
bestimmt ist, soll auch menschlich bleiben, wenn es mit dem
im menschlichen Verkehr gebotenen Dekorum umgeben wird.
Endlich ist die Schärfung des Gewissens für die von der
Vorsehung dem Weibe auferlegten Pflichten, die Weckung der
Liebe zum Kinde, das Verständnis für die Grundpfeiler der
weiblichen Ethik und die Grundlagen praktischer Nächsten-
und Vaterlandsliebe Aufgabe des Unterrichts.
Als Unterrichtsgegenstände sind folgende Lehr¬
gebiete notwendig:
1. Die Kenntnis des eigenen Körpers, der Zweckbestim¬
mung und Tätigkeit der lebenswichtigen Organe sowie die
Erlernung der Körperpflege zur Gesunderhaltung. Ferner
allgemeine Krankheitsvorbeugung in dem Sinne, daß nicht zur
Krankheitsangst erzogen wird, sondern davon ausgehend, daß
alle Krankheiten durch vernünftige Bedachtsamkeit und Rein¬
lichkeit vermeidbar sind. Aufklärung über die Gefahren der
weiblichen Unterleibs- und der Geschlechtskrankheiten. Prak¬
tischer Erfahrung wird die Hinzunahme anderer ähnlicher Lehr¬
gebiete vorzubehalten sein. Die Kenntnis des eigenen Körpers
setzt eine vorausgehende Untersuchung durch den Schularzt
voraus, dem dieses Unterrichtsgebiet zufällt. Ich erhoffe von
dieser wiederkehrenden gesundheitlichen Musterung unserer
heran wachsenden weiblichen Jugend recht viel für die Vor¬
beugung und Erkennung der häufigen Pubertätsstörungen, die
in diesem Lebensalter einsetzen.
2. Turnen und Marschübungen durch Feld und Wald.
3. Reinhaltung von Wohnung, Küche, Speisekammer,
Keller und von Leib- und Bettwäsche.
4. Garten-, Gemüse-, Obst- und Früchtepflege.
5. Praktische Kochlehre für den Arbeiter- und bürgerlichen
Haushalt — nicht Kochkunst nach Kalorien — mit den wesent¬
lichen Gesichtspunkten des Ernährungseffektes, der erfreuenden
Schmackhaftigkeit und der anregenden Abwechselung der
Speisen.
Die Gebiete zu 4 und 5 ergeben allein die Notwendigkeit
der einjährigen Dauer des Unterrichts, um im Jahresumlauf der
Haushaltsversorgung in den verschiedenen Jahreszeiten Rech¬
nung tragen zu lernen.
6. Die Grundsätze der Säuglings-, Geburts- und Wochen¬
bettpflege.
7. Handfertigkeitsunterricht im Nähen, Stricken, Stopfen
und Flicken.
Die Ausbildung in diesem umfangreichen Gesamtlernstoff
kann selbstverständlich nicht eine vollkommene und abschließende
auf allen Einzelgebieten sein, dazu würde auch ein Jahr nicht
ausreichen. Kunst der Unterweisung wird es sein und bleiben,
vernünftige Grundlagen im Kenntnis- und Fähigkeitsbesitz der
734 Dr. Deneke: Die Verlängerung der Mädchenschulpflicht
Mädchen für die folgende Betätigung und Weiterbildung an
den praktischen Lebensaufgaben zu schaffen.
An Lehr- und Aufsichtskräften sind erforderlich:
1. Eine leitende männliche Persönlichkeit zur Führung
der Verwaltungsgeschäfte;
2. ein Arzt oder eine Aerztin; in diesem Lehrberuf findet
sich vielleicht ein besonders zweckentsprechendes Arbeitsfeld
für die weiblichen Aerzte;
3. Haushaltslehrerin;
4. Kochlehrerin, 5. Handarbeitslehrerin, 6. Turnlehrerin,
7. Gärtnerin und 8. der Ortsgeistliche.
Welche und wie viele Lehrerinnenstellen zur Kosten¬
ersparnis durch eine auf verschiedenen Unterrichtsgebieten
zugleich ausgebildete Lehrerin zu besetzen sind, entzieht sich
meiner Kenntnis und Beurteilung. Aus demselben Grunde ist
auch wohl denkbar, daß die Leitung und Verwaltung vom
Schularzt übernommen wird, da in den letzten Jahrzehnten
sich die Aerzte vielfach auf dem Verwaltungsgebiet mit Eifer
und Erfolg betätigt haben.
Wenn ich bewährten Männern der Schul- und Kommunal¬
verwaltung meinen Vorschlag der Verlängerung der Mädchen¬
schulpflicht hier und dort vortrug, begegnete ich stets vollem
sachlichen Einverständnis: „Alles gut und schön, aber die
Kosten?“ Die Wiederkehr dieser bedenklichen, manchen guten
Gedanken im Keime erstickenden Frage verpflichtet mich, sie
etwas eingehender zu beantworten.
Es handelt sich um eine Staatsschule. Bei der Auf¬
wendung von Kosten aus staatlichen Mitteln kommen im
wesentlichen in Betracht: Kosten a fonds perdu und werbende
Kosten. Bei dem Aufwand von werbenden Kosten ist es die
Kunst der Vorberechnung, daß das aufzuwendende Kapital im
richtigen Verhältnis zu dem zu erwartenden Ertrag oder Gewinn
steht, d. h., daß die Verzinsung des Anlagekapitals nach Mög¬
lichkeit gedeckt wird. Aehnlich liegt die Aufwendungsfrage
bei der Gesundheitsverwaltung. Sie schafft mit dem Aufwand
für die öffentliche Gesundheitspflege zum Teil Idealwerte, zum
anderen Teil wirkliche Werte, die sich in der Ersparung von
Kosten ausdrücken, die bis dahin z. B. für die Bekämpfung
von Krankheiten aufgewendet sind.
Der Idealwert „Gesundheit“ ist unschätzbar, weil er ein
individueller Besitz von verschiedenen WertMür den Einzelnen
ist. Beim Aufwand für Krankheitsbekämpfung ist die Vorfrage
zu stellen: Stehen die Kosten im richtigen Verhältnis zu dem
Schaden, den die Krankheiten verursachen, d. h. finanztechnisch
ausgedrückt, werden die Zinsen des Anlagekapitals gedeckt
werden durch die Ersparnis der Kosten, die bisher wieder¬
kehrend als Krankheitskosten buchmäßig feststehen oder
errechnet w r erden können. Das höchste Ziel ist das Ver¬
schwinden der Krankheiten, die man bekämpfen will. Ist es
zur Vorbereitung für den Mutter- und Haushaltsberuf.
736
erreicht und der Krankheitsentstehung und Verbreitung vor¬
gebeugt, so tritt au! den Kostengebiet dieselbe Sicherheit
der Berechnung ein, wie au! dem Krankheitsbehandlungsgebiet
mit dem Einsatz von ursächlich wirkenden Heilmitteln. Und
gerade hier gilt der Erfahrungssatz: Vorbeugen ist billiger,
leichter und wohltuender als heilen. In' diesem Sinne gibt es
in der GesundheitsVerwaltung einen Werte schallenden Au!wand
von „vorbeugenden“ Kosten. Sie spielen in der öüentlichen
Gesundheitspflege eine gewaltige Rolle, die auüallender Weise
in einzelnen Verwaltungszweigen noch nicht genügend gewürdigt
wird, obwohl z. B. die Kosten !ür die Durchlührung der Reichs¬
versicherungsgesetzgebung, deren Aniänge nunmehr 32 Jahre
zurückliegen, zu 70 v. H. vorbeugende sind und so glänzende
Eriolge auiweisen.
In den einleitenden Ausiührungen habe ich auseinander¬
gesetzt, daß es sich beim Staatskörper um krankhaite Erschei¬
nungen handelt, weil die 500000 Fruchtabtreibungen den
abnehmendenWillen zum Kinde und die hohe Säuglings¬
sterblichkeit die mangelhaiteLiebe zuraKinde anzeigen.
Die erziehliche Entwickelung von Wille und Gemüt als Auigabe
der Schule soll aber Erfolge erzielen, die in unserem Falle in
erster Linie dem Staate zu gute kommen. Also hat auch
der Staat aus berechtigtem Interesse die Ver¬
pflichtung, die Kosten zu tragen. Wenn es nun richtig
ist, wie von allen Einsichtigen angenommen wird, daß die
unzureichende Vorbereitung der heranwachsenden weiblichen
Jugend die Ursache des bereits erwiesenen Schadens und der
drohenden Geiahr der weiteren Herabsetzung der Volkskrait
ist, so handelt es sich um „vorbeugende“ Kosten. Wie hoch
sind diese?
Nach der Auskunit des Preußischen Statistischen
Landesamts waren in Preußen Mädchen im Alter von
14 Jahren vorhanden: 1912: 420608, 1913: 431636, 1914:
420549. Da !ür die rechnerische Grundlage eine geringere Zahl
in Frage kommt, weil ein gewisser Teil der Mädchen iniolge
von körperlichen und geistigen Mängeln !ür den Unterricht
ausfällt und weil — die Geburtsjahre dieser Mädchen liegen in
1897, 1898 und 1899 — der gewaltige Geburtensturz erst mit dem
Jahre 1900 beginnt, so nehme ich an, daß man für die Zukunft
mit rund 400000 Mädchen rechnen kann, die für den Besuch
der Staatsschule jährlich vorhanden sind. Bei Annahme von
80 Schülerinnen für eine Schule würden daher 5000 Schulen
in Preußen zu errichten sein. Nach G. W. Schiele beträgt
der jährliche Aufwand auf dem Kopf eines unterrichteten
Kindes 64 Mark. Daher würde der Unterricht an sich jährlich
25600000 Mark kosten. Dazu kommt die Verpflegung der
400000 Mädchen, die im Durchschnitt auf den Kopf mit
300 Mark anzusetzen ist, also mit 120 Millionen Jahresaufwand.
Endlich sind in Ansatz zu bringen die Kosten für die Ermietung
der Schulgrundstücke und ihre äußere und innere Ausrüstung,
736 Dr. Denoke: Die Verlängerung der MädchenschulptUcht usw.
die ich überschläglich nicht anzugeben vermag. Sie sind im
wesentlichen einmalige und bei der Miete laulende Kosten.
Diesem Kostenaufwand sind natürlich auch Einnahmen
gegenüber zu stellen. Es ist ein billiges Verlangen, daß jedes
Mädchen Kleidung, Leib- und Bettwäsche mitbringt, die sie
als ihr Eigentum nach Jahresschluß mit zurücknimmt. Jedes
Mädchen muß aber einen Beitrag zu den Schul- und Ver¬
pflegungskosten entrichten, dem zweckmäßig die Steuerver¬
anlagung der Eltern zu Grunde gelegt wird. Z. B. ist zu zahlen
für ein Mädchen bis zur Steuerstufe von 900 Mark Einkommen
10 Pfennig für den Tag. Das sind 36 Mark im Jahr, die kann
jeder Arbeiter für sein Kind aufwenden, wenn er die Sicher¬
heit hat, daß es zu einem tüchtigen Mädchen ausgebildet wird.
Wenn es Dienstmädchen wird, ist diese Ausgabe durch erhöhten
Lohn in 1—2 Jahren wieder eingebracht. Die Beiträge steigen
stufenweise bis zu den höheren Steuersätzen, deren Ver¬
treterinnen die Durchschnitts-Schul- und Verpflegungskosten
in ganzer Höhe zu entrichten haben. Diese Einnahmen sind
selbstverständlich weit entfernt, die Gesamtkosten der Schulen
zu decken. Deshalb muß man das Erträgnis dieser Ausbildung
abzuschätzen suchen, um für das Anlagekapital und den erhebe
liehen Rest der laufenden Kosten das Gegengewicht zu Anden.
In den Vereinigten Staaten von Nordamerika haben die
Nationalökonomen errechnet, daß jedes lebende Mitglied der
Staatsgemeinschaft vom Säugling bis zum Greis einen Durch¬
schnitts-Nationalgeldwert von 14000 Mark darstellt. Wenn wir
in Deutschland auch nicht die vielen Milliardäre haben, so ist
doch der Wert jedes lebenden Deutschen deshalb mindestens
ebenso hoch einzuschätzen, weil wir auch in Zukunft von
Feinden umgeben sein werden, die uns nach dem Leben
trachten. Zur Verteidigung ist jeder einzelne von denkbar
höchstem Wert. Wir müssen uns also sagen, daß jeder Säug¬
ling bei uns als lebendes Nationalkapital mit mindestens 14000
Mark zu bewerten ist. Wenn wir daher durch erziehliche Ein¬
wirkung auf das fortpflanzungsfähige weibliche Geschlecht es
erreichen, daß von den 500000 Fruchtabtreibungen auch nur
100000 verhindert werden, daß diese 100000 Früchte und die
rechtzeitig geborenen Kinder dem Leben zugeführt werden und
erhalten bleiben, so haben wir ein Nationalvermögen von
1400 Millionen gewonnen. Nach Kabinettsrat Dr. von Behr-
Pinnow sind in den letzten 40 Jahren „mindestens 8 Millionen
Säuglinge gestorben, die wohl am Leben hätten bleiben und
kräftige Menschen hätten werden können. u Würden wir in
Zukunft durch verbesserte Säuglingspflege der Mütter auch
nur eine Million Kinder retten, so wäre unser Nationalvermögen
damit um 14 Milliarden vermehrt. Das sind gewaltige
Gewinne, aber sie sind zu erstreben und zu er¬
zielen. Bei zweckentsprechender Gestaltung des
Unterrichts können, ja müssen sie das Erträgnis
des Kostenaufwands für die Mädchen-Staatsschu 1 en
Dr. J. Bornfcräger: Zum Kampf gegen die Geschlechtskrankheiten. 737
sein. Mit voller Berechtigung spricht es von Behr-Pinnow
aus: „Wir können zweifellos Millionen und Abermillionen
sparen; deswegen ist es außerordentlich notwendig, daß alle
weiblichen Unterrichtsanstalten sich der Sache annehmen, aus
dem jungen Mädchen auch eine Mutter heranzubilden, ein
weibliches Wesen, das mit den wichtigsten Bedingungen und
Vorbedingungen der Kinderaufzucht Bescheid weiß.“
In diesem Zusammenhang ist nur von der Vorbereitung
zum Mutterberuf die Rede gewesen. Ein ebenso großer Raum
ist in dem Unterrichtsplan für die Ausbildung zum Haushalts¬
beruf vorgesehen. Der große, unschätzbare volkswirtschaftliche
Nutzen, der dadurch entsteht, daß die auf das Halten von
Dienstmädchen angewiesenen Hunderttausende Familien nicht
rohes, unhandliches, sondern erzogenes, auf den Dienst zuge¬
schnittenes Personal bekommen, ist in der Gewinnberechnung
nicht eingeschlossen und auch nicht die Vorteile, die sich mit
einem geordneten Stellennachweis der Schulen verbinden
würden.
Zum Kampf gegen die Geschlechtskrankheiten.
Von Geh. Med.-Rat Dr. J. Bornträger, Regierangs- and Medizinalrat
in Düsseldorf.
Der Kampf gegen die Geschlechtskrankheiten ist, wie
bekannt, aufgenommen. Von seiner Notwendigkeit wird jeder
deutsche Medizinalbeamte ebenso überzeugt sein wie gewillt
zur Mitarbeit. Die Frage, ob er dabei allen jenen Maßnahmen,
die sich zurzeit in den Vordergrund drängen, als Mensch,
Bürger und Arzt zustimmen kann, mag ausscheiden. Als erstes
praktisches Ergebnis des gewollten Kampfes ist die Einrichtung
von Beratungsstellen seitens der Landesversicherungsanstalten
zu verzeichnen, ein Unternehmen, dessen Wirkung abzuwarten
sein wird, das aber jedenfalls einen festen Anfang bedeutet
und unzweifelhaft einen gewissen Nutzen stiften wird; denn
wo immer nur ein wirklicher Willen zur Tat sich geltend
macht, da ist stets ein Erfolg, selbst wenn von vornherein
nicht alles gleich richtig angefaßt sein sollte. Natürlich wäre
es nun aber keineswegs zu billigen, wenn weiter nichts geschehe,
als diese Beratungsstellen auszubauen und ihre Erfolge abzu¬
warten. Tatsächlich sollen diese Stellen ja doch nur das
anzustrebendp Verhalten der geschlechtlich Erkrankten in die
Wege leiten, und es bleibt, abgesehen von verschiedenen
allgemeinen Maßnahmen, noch reichlich Raum für die Durch¬
führung eben dieses Verhaltens selbst.
Da dürfte u. a. ein Vorgehen von größter Bedeutung sein,
das, soweit ich zu sehen vermag, in den bisherigen zahlreichen
öffentlichen Erörterungen auffallend zurückgetreten ist, das ist
die Durchführung einer vollständigen Heilung des
akuten Trippers beim Manne.
Im größeren Publikum, das ja naturgemäß keine medi-
738
Dr. J. Born träger.
zinischen Kenntnisse besitzt, hat sich in Verfolg der öffentlichen
Erörterungen über die Geschlechtskrankheiten in der Neuzeit
bis in die weitesten Kreise die Vorstellung herausgebildet, als
ob jeder, der an einer solchen, welche es auch sei, leidet oder
gelitten hat, ein für allemal in seiner Person wie in seiner
Nachkommenschaft als verdorben und verloren anzusehen sei.
Der Mediziner weiß, daß diese Anschauung nicht richtig ist,
daß erhebliche Unterschiede obwalten, und daß insbesondere
der frische Tripper beim Manne in der überwiegenden Mehrzahl
aller Fälle bei richtiger Behandlung und richtigem Verhalten
des Erkrankten in einer geringen Anzahl von Wochen sicher
und ohne Hinterlassung irgend welcher Folgen völlig geheilt
werden kann, so zwar, daß der Mensch sich gesundheitlich und
in bezug auf seine Fortpflanzungsfähigkeit wie auf die Gesund¬
heit seiner Nachkommenschaft in nichts von seinem Zustande
vor dem Tripper unterscheidet. Wenn diese vollständige und
baldige Ausheilung des frischen Trippers in vielen Fällen nicht
erreicht wird, so liegt das lediglich daran, daß diesem Ge¬
schlechtsleiden nicht von vornherein mit demjenigen Emst
begegnet wird, den die Erkrankung im Interesse des einzelnen
wie der Allgemeinheit erfordert. Wie verläuft gewöhnlich die
Sache? Der an Tripper Erkrankte begibt sich günstigen Falles
in die Behandlung eines Arztes, sehr günstigen Falles in ein
Krankenhaus und sucht zunächst die ihm gegebenen An¬
ordnungen in bezug auf Behandlung und Lebensweise mehr
oder minder genau zu erfüllen. Sowie aber das akute Stadium
der Krankheit nachläßt, die Beschwerden sich mindern, der
Ausfluß geringer wird, lockert sich leicht das Verhalten; man
will auf Betätigung, Arbeitsverdienst und Ungebundenheit des
Lebens wegen dieses anscheinend nur örtlichen, zudem bereits
sich bessernden Leidens nicht länger verzichten, und so wird
die Arbeit, oft schwerere körperliche, wieder aufgenomraen, man
bewegt sich reichlicher, ißt und trinkt Verbotenes versuchs¬
weise, raucht wieder kräftiger, sucht auch das Wirtshaus auf.
Die nun eintretende Verschlimmerung des Leidens zwingt wohl
wieder zu vorsichtigerem Leben; sowie aber die Besserung sich
wieder zeigt, durchbricht man von neuem frühzeitig die Vor¬
schriften usw. und gelangt vom Bacchusdienst schließlich auch
zum Venuskult. Die Folgen sind immer dieselben: Der Tripper
verschlimmert sich wieder, wird allmählich chronisch und
schwer heilbar, andere Organe — Vorsteherdrüse, Blase, Nieren,
Hoden, Gelenke usw. — werden ergriffen, eine oder mehrere
weibliche Personen angesteckt und damit neue Infektionsquellen
geschaffen, Folgen, die umso schwerer wiegen, als die Heilung
des Trippers beim Weibe bekanntlich viel schwieriger und
langwieriger ist als beim Manne, außerdem leicht die berüchtigten,
mit Sterilität einhergehenden Nachkrankheiten bewirkt. So
läuft die Kette der Erkrankungen weiter, und alle diese An¬
steckungen erfolgen schließlich nur deshalb, weil der zuerst
erkrankte Mann nicht die Eoergie aufwandte oder veranlaßt
Zum Kampf gegen die Geschlechtskrankheiten.
739
wurde, für ein paar Wochen sich diejenigen Beschränkungen
aufzuerlegen, die sein Zustand unbedingt forderte, und dadurch
chronisch tripperkrank wurde. Der chronische Tripper
des Mannes ist also der eigentliche Verbreiter dieser Geschlechts¬
krankheit, in dem Sinne, daß die Tripperkrankheit, auch beim
Weibe, allmählich ausgerottet, zum mindesten stark eingedämmt
werden würde, sobald es gelänge, den Uebergang der akuten
Tripper in chronische zu verhüten. Der chronische Tripper¬
kranke spielt hier genau dieselbe Rolle wie der
Bazillenträger nach Typhus oder der frei sich umher¬
bewegende Kranke mit offener Tuberkulose, nur mit
dem Unterschiede, daß der chronische Tripper vielleicht noch
infektiöser und — im Gegensatz zu jenen Erkrankungen — bei
gutem Willen durchaus zu vermeiden wäre.
Die Folgerung aus diesen Darlegungen ergibt sich von
selbst; sie lautet: energischer Kampf gegen den Ueber¬
gang des akuten Trippers beim Manne in den
chronischen Zustand, positiv gesprochen: Durchführung
vollständiger Heilung des frischen Trippers.
Man sollte meinen, diese Forderung sei die natürlichste
von der Welt, geradezu eine Selbstverständlichkeit, und alle
diejenigen, die sich heute der Bekämpfung der Geschlechts¬
krankheiten widmen, würden bereit sein, für ihre Durchführung
einzutreten und zu wirken; auffallenderweise ist dies aber nicht
der Fall. Als ich z. B. vor kurzem in einem kleinen Kreise
bevölkerungspolitisch tätiger, im Kampfe gegen Unsittlichkeit
wie gegen die Geschlechtskrankheiten eifrig beschäftigter Nicht¬
ärzte zum Ausdruck brachte, daß der akute Tripper für
gewöhnlich in wenigen Wochen sicher und folgenlos zu heilen
sei und demgemäß auch geheilt werden müßte, stieß ich auf so
bestimmte Zweifel, als es die Höflichkeit nur zuließ; man habe
doch so vieles über Geschlechtskrankheiten gehört und gelesen,
aber solches sei noch nie gesagt; ein Tripper sei doch sehr
schwer heilbar und schädige erheblich Fruchtbarkeit und
Nachkommenschaft. Als ich dann meine Meinung über die
Notwendigkeit des energischen Heilens des akuten Trippers
bald darauf in einem großen ärztlichen Verein vorbrachte, stieß
ich ebenfalls sofort auf Widerstand: Der Tripper sei eine rein
örtliche Erkrankung, die weder Erwerbsunfähigkeit bedinge
noch von den Erkrankten selbst als schwer aufgefaßt werde;
diese wollten daher auch gar nicht als ernstlich krank ange¬
sehen, wohl gar zur Bettruhe oder Krankenhausbehandlung
verurteilt werden; oft müßte die Behandlung auch heimlich
erfolgen; die Krankenkassen würden geldlich nicht in der Lage
sein, Krankenhausbehandlung und Krankengeld für alle ihre
Tripperkranke zu zahlen, die Beratungsstellen sollten überhaupt
nur für Syphilitische da sein, nicht für Tripper, die Kranken¬
häuser würden nicht ausreichen u. dgl. m.
Man ist also in beteiligten Kreisen noch keineswegs davon
überzeugt, welchen Wert ein energisches Vorgehen zur gründ-
740
Dr. J. Bornträger.
liehen Ausheilung des akuten Trippers für die Bekämpfung der
Geschlechtskrankheiten darstellt<
Daher gilt es m. E. nunmehr planmäßig dafür einzutreten,
daß der frische Tripper des Mannes mit einem seiner
Bedeutung entsprechenden Ernst von vornherein behandelt
und geheilt wird, d. h. der Erkrankte muß, wie es bei den
Soldaten längst der Fall ist, tunlichst sogleich in ein Kranken*
haus gebracht, hier sachgemäß behandelt und vor endgiltiger
Heilung nicht entlassen werden. Nur in besonders günstig
gearteten Fällen, also z. B. dort, wo eine sitzende, die Behand¬
lung nicht störende Berufstätigkeit ausgeübt wird und der
Charakter des Erkrankten eine volle Gewähr bietet, sollte eine
ambulante Behandlung genügen, sofern die fortlaufende ärztliche
Kontrolle einen dauernden guten Fortgang ergibt. Die
Heilung einer übertragbaren Krankheit ist überall auch eine
der vornehmsten Bekämpfungsmittel gegen weitere Aus¬
dehnung; wenn daher immer wieder und wieder behauptet wird,
Deutschland erleide fortlaufend einen Ausfall von 200 000 Ge¬
burten zufolge von Trippersterilität, dann gilt es gewiß
auch, die Folgen zu ziehen und die Urheber dieses völkischen
und familiären Schadens fester anzufassen und ihre Unschäd¬
lichmachung, d. h. rechtzeitige Ausheilung, zu verlangen.
Es erhebt sich die Frage: Was ist zu tun? Wie sind die
Widerstände zu überwinden, die sich zweifellos einer derartigen
ernsteren Anfassung der Tripperkranken in den Weg stellen
werden ?
Die nächstliegende Antwort dürfte sein: „Aufklärung“,
„Belehrung“, „Merkblätter“! Ich würde hierzu nicht allgemein
raten. Es mag einmal von der vielumstrittenen Frage der
Berechtigung der „Aufklärung“ sozusagen des ganzen Volkes
über Geschlechtskrankheiten hier ganz abgesehen werden; sicher
ist aber, daß heutzutage „Aufklärung“, „Belehrung“, „Merk¬
blätter“ über so viele Dinge und in einer solchen Fülle über
unser Volk ausgestreut werden, daß es mir recht zweifelhaft
erscheint, ob es einen wirklich guten Erfolg haben würde,
wenn man hier noch eine Vermehrung eintreten lassen würde.
Schließlich ist ja auch bereits die Bewegung im Gange, einerseits
die an Tripper Erkrankten zum Aufsuchen eines Arztes zu
veranlassen und anderseits die Aerzte in der Behandlung der
Geschlechtskrankheiten gründlicher durchzubilden; es dürfte
also darauf ankommen, auf die Aerzteschaft dahin einzu¬
wirken, daß frische Trippererkrankungen beim Manne tunlichst
einer Krankenhausbehandlung, zum mindestens aber einer streng
durchgeführten und kontrollierten richtigen Behandlung und
Lebensweise bis zur Ausheilung unterworfen werden. Hierfür
müßten die Universitäten, Akademien für praktische Medizin,
Aerzteorganisationen, Krankenkassenärzte, zumal auch die
Spezialärzte für Haut- und Geschlechtskrankheiten und die
Krankenhausärzte gewonnen werden. Daß ein Tripper bis zu
seiner Ausheilung arbeitsunfähig macht (Bedingung für die
Zum Kampf gegen die Geschlechtskrankheiten.
741
Gewährung des Krankengeldes), wird ein Arzt bei voller
Würdigung der Bedeutung des Leidens und der schädlichen
Wirkung schwerer körperlicher Arbeit, lebhafterer Bewegung
und unregelmäßiger Lebensweise allezeit mit vollem Rechte
bescheinigen können.
Weiter sollte man die Vorstände und großen Vereinigungen
der Krankenkassen allerlei Art für die Sache erwärmen
und ihnen das weitere hinsichtlich der Gewinnung ihrer Mit¬
glieder überlassen. Ich könnte mir denken, daß die Bereit¬
stellung der Geldmittel einerseits und die Einwirkung auf die
einzelnen Erkrankten anderseits gute Erfolge zeitigen müßten,
vielleicht bessere als eine allgemeine Erörterung der Ange¬
legenheit. Insbesondere könnte ein verständiges Hand in Hand
Gehen von Arzt und Vorstandsmitglied wirksam sein, z. B.
wenn ein an Tripper Erkrankter sich weigert, ein Kranken¬
haus aufzusuchen, oder ein solches vor völliger Ausheilung
verlassen will. Es dürfte doch wohl mancher folgsam sein,
wenn ihm die Alternative ernst vor Augen geführt wird:
Auf der einen Seite eine kurze, nur einige Wochen dauernde
gewisse Entsagung und Verdiensteinbuße mit der sicheren
Aussicht auf völlige Heilung und auf der anderen Seite
zwar zunächst kein Erwerbsausfall und geringere Entsagung,
dafür aber die ebenso sichere Aussicht auf ein monate-
oder jahrelanges höchst lästiges chronisches Leiden, verbunden
mit erheblicher Ansteckungsfähigkeit, daher mit Heiratsunmög¬
lichkeit, und leicht gefolgt von schweren, oft unheilbaren Nach¬
krankheiten. Ich glaube, daß derartige systematische, von Fall
zu Fall und von Person zu Person erfolgende Einwirkungen,
wie es gerade die Beratungsstellen vorsehen, weit wirksamer
sein werden als die allgemeine Besprechung dieser heiklen
Dinge in breiterer Oeffentlichkeit, vor Versammelten ver¬
schiedenen Alters und verschiedener Stände, wohl gar beider
Geschlechter.
Schließlich wollen wir aber auch nicht ganz vergessen,
daß der Vorstand der Krankenkasse Strafen bis zum dreifachen
Betrage des täglichen Krankengeldes nach § 529 der Reichs¬
versicherungsordnung gegen einen Versicherten für jeden
Uebertretungsiall, sofern dieser die Krankenordnung oder die
Anordnungen des behandelnden Arztes Übertritt, festsetzen
kann; auch von dieser Befugnis könnte gelegentlich wirkungs¬
voller Gebrauch gemacht werden.
Was die Kosten anlangt, so dürfte es zunächst zweifel¬
haft sein, ob die Ausgaben der Krankenkassen bei grundsätzlicher
Krankenhausbehandlung und Erwerbsunfähigkeitserklärung der
akut tripperkranken Männer wirklich erheblich steigen würden;
denn es darf nicht vergessen werden, wie viele Ersparungen
an der Behandlung der chronischen Tripper und seiner
Nachkrankheiten sowie infolge von Verminderung weiblicher
Erkrankter gemacht werden würden. Am letzten Ende aber
dürfte die Geldfrage bei der Durchführung dieser hygienisch
4
742
Kleinere Mitteilungen and Belerate aas Zeitschriften.
und völkisch wichtigen Aufgabe nicht hinderlich sein; sollten
die Mittel der Kassen wirklich nicht genügen, so würden andere
öffentliche Mittel, z. B. der Landesversicherungsanstalt sicher
zu erhalten sein.
Ob es nötig sein wird, die Zahl der Krankenbetten
in öffentlichen Krankenhäusern zu vermehren oder besondere
Abteilungen solcher zu errichten, wird von Pall zu Pall zu
entscheiden sein. Ebenso werden vielleicht noch andere auf¬
tauchende Fragen zu lösen sein.
Zweck dieser Ausführungen sollte es nicht sein, einen
vollständigen Plan zur Ausheilung und Ausrottung des Trippers
zu entwerfen, sondern lediglich auf die Bedeutung der bestimmter
ins Auge zu fassenden Ausheilung des frischen Trippers
hinzuweisen. Sollte dies in einigermaßen erheblichem Umfange
bald gelingen, so würden wir der Niedrighaltung dieser Form
von Geschlechtskrankheiten und damit der Zahl dieser Er¬
krankungen überhaupt ganz erheblich näher kommen und zwar
auf einfachere Weise und voraussichtlich gründlicher,schneller und
unter allgemeinerer Zustimmung, als mancherlei weitgreifende
Vorschläge unserer Tage, deren Berechtigung wie Wirksamkeit
gleich umstritten sind, erwarten lassen. Unlängst las ich in
einer medizinischen Zeitung die Bemerkung eines Arztes, man
solle eine Vereinigung zur Bekämpfung des Trippers gründen.
Soweit möchte ich nicht gehen; aber der Grundgedanke dieses
Vorschlags entspricht durchaus meiner Auffassung; jedenfalls
ist ein vers chärftes Heil Vorgehen gegen den frischen
Tripper des Mannes ein unausweichliches Gebot unserer
bevölkerungspolitischen Bestrebungen.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
A. Oeriohtllehe Medizin.
Plötzlicher Tod durch MagenUberfüllung. Von Dr. W. Kürbitz.
(Aus der Königl. Sachs. Heil* und Pflegeanstalt Sonnenstein.) Aerztliche Sach*
verständigen-Zeitung; 1916, Nr. 21.
Es wird über 2 Fälle berichtet, in denen verblödete ältere Insassen einer
Pflegeanstalt, die gewohnheitsgemäß alle ihnen Vorgesetzten Speisen gierig and
hastig, ohne zu kauen berunterschlangen, plötzlich starben, ohne vorher krank
gewesen zu sein. Die Sektion ergab beide Male übereinstimmend einen
ad maximum aufgetriebenen Magen, der viel unverdaute Speisereste und viel
Luft enthielt, Hochstand des Zwerchfells und Verlagerung des Herzens nach
links und oben. Diese Wahrnehmung wird nicht als eine zufällige zu be¬
zeichnen sein, sondern ist mit dem Tod direkt in ursächlichen Zusammenhang
zu bringen. Die inneren Organe, namentlich Herz und Nieren, waren abgenutzt
und krank. Wenn die Lageveränderung des Herzens nebst starken Magen*
und Darmauftreibnngen keine besonderen Krankheitserscheinungen und Be¬
schwerden hervorgerufen hatten, so hängt das damit zusammen, daß die be¬
treffenden Personen geistesschwach waren und solche im Widerspruch za ihren
körperlichen Leiden oft keine Klagen Vorbringen.
Die veränderten Lage- und Druckverhältnisse im Zusammenhang mit
schweren Herz- und Nierenveränderungen führten zusammen zu dem plötzlichen
Tod. Die jetzigen ungünstigen Ernährungsverhältnisse lassen es möglich er¬
scheinen, daß ähnliche Fälle, die im übrigen in der Literatur nicht beschrieben
sein sollen, sich wiederholen. Dr. Solbrig-Königsberg i. Pr.
Keinere Mitteflangen and Referate ans Zeitschriften.
743
B. Oerlohtllohe Psyohiatrie.
Zar Kenntnis and gerichtsärztlichen Beurteilung psjchopatischer
Zustände. Von Prof. Dr. R a e c k e - Frankfurt a. M., zurzeit im Felde. Aerzt-
liche Sachverständigen-Zeitung; 1916, Nr. 22.
Ein lehrreicher Fall aus der gerichtsärztlichen Praxis gibt dem Verfasser
die Veranlassung, die praktische Bedeutung psychopathischer Zustände hervorzu,
heben und zu beleuchten. Als Psychopathen bezeichnet Ra eck e solche Individuen
die infolge angeborener oder erworbener Schädigung der Qehirnfunktion auf seeli¬
schem Gebiete eine Reihe ungewöhnlicher Erscheinungen zeigen, welche zunächst
noch nicht so stark ausgeprägt sind, daß sie Geistesstörung bedingen, indessen
unter der Einwirkung geeigneter Momente jederzeit und vorübergehend eine
solche Stärke erreichen können. Im einzelnen kommen die mannigfachsten
Schattierungen und Möglichkeiten vor. Die intellektuelle Begabung kann
überraschend gut, aber auch direkt schlecht sein. Das Affekt- und Triebleben
bieten bald abnorme Erregbarkeit, bald zu geringe Ansprecbbarkeit. Die
ethischen Empfindungen sind manchmal verkümmert; mißtrauische Eigen¬
beziehung und wahnhafte Gedankenrichtung sind angedeutet. Im Vordergründe
steht aber stets das Unharmonische and Unausgeglichene in der psychischen
Konstitution mit der Neigung zu großer Unbeständigkeit und eine herabgesetzte
Widerstandsfähigkeit gegen einwirkende Schädlichkeiten.
Der hier genauer beschriebene Fall betrifft einen jungen Mann, der
allerlei abenteuerliche und schwindelhafte Dinge hinter sich hatte, von jeher
eine Neigung zum Erfinden phantastischer Geschichten besaß und das Bild
der „Pseudologia phantastica“ darbot. Im besondern handelte es sich noch
darum festzustellen, ob Anfälle von Bewußtlosigkeit, die verschiedentlich
aufgetreten waren, aber ärztlicherseits nur in Spanien beobachtet worden
waren, als epileptische zu deuten seien. Diese Frage verneint Verfasser; er hält
die Anfälle vielmehr für hysterischer Art, wie sie ganz zu der psychopathischen
Persönlichkeit des Untersuchten passen. Das 8chlußgutachten lautet dahin,
daß Geisteskrankheit im Sinne des § 51 8t. G. B. nicht vorliegt, es sich aber
um ein von Haus aus geistig minderwertiges Individuum (Psychopath mit
hysterischen Zuständen und krankhaft entwickelter Phantasietätigkeit) handelt,
bei dem die Zurechnungsfähigkeit als vermindert anzusehen ist.
Der Fall, der vorher von anderen Aerzten verschiedentlich gedeutet
worden war, lehrt, wie hervorgehoben wird, daß es dem Nichtfachmann schwer
wird, die Persönlichkeit eines Psychopathen in ihrer Gesamtheit richtig zu er¬
fassen, daß aber gerade die Kenntnis derartiger Grenzzustände namentlich mit
Rücksicht auf die jetzt erfolgende militärische Einstellung so mancher bisher
als untauglich angesehenen Psychopathen von großer Bedeutung ist.
Dr. Solbrig-Königsberg i. Pr.
O. Baohveritindigrat&tlgktlt auf milltär&rztllohem Gebiete.
Ein charakteristisches, künstlich erzeugtes Geschwür. Von Regiments¬
arzt Dr. Liebl. Wiener klinische Wochenschrift; 1916, Nr. 41.
Es handelt sich um kreisrunde Substanzverluste, mit glatten scharfen
Rändern. Ein Entzündungshof besteht nicht. Der scharfe Rand stellt einen
dünnen, weißen Saum dar. Der Boden des Geschwürs ist in frischem Zustande
mit einem schmutzigbraunschwarzen fest anhaftenden Belag bedeckt. Zwischen
Saum und Belag ist das Gewebe stark injiziert und hat eine Breite von
2—5 mm.
Der Verfasser gibt interessante Bilder von Verätzungen, deren Diagnose
den Aerzten oft schwierig war. In einem Falle bestand ein Geschwür an der
Urethra, das sich der Träger bei einer Prostituierten geholt -haben wollte.
Die Leibesuntersuchung förderte mehrere krystallinische Stücke in einer
Blechschachtel zutage, deren chemische Untersuchung „Laugenstein“ ergab.
(Es handelt sich anscheinend um Kali causticum fusum, das auch als Aetzstein
bezeichnet wird.) Dr. Mayer-Simmern.
744
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
D. Saohverst&ndlgent&tlgkeit ln Unfall- and Invalidität»- and
Krankenversiohernngaaaohen.
Winkelmaßapparat. Von Dr. von Poschinger, Spezialarzt für
Chirurgie und Orthopädie in München. Aerztliche Sachverständigen-Zeitung:
1916, Nr. 22.
Es wird ein kleines Instrument beschrieben und abgebildet, das in ein¬
facher und handlicher Weise eine genaue Messung der Exkursionsbreite der
Gelenkbeweglichkeit ermöglicht. Der Apparat hat sich nach Angabe seit
Jahresfrist in einer medikomechaniscben Abteilung eines Münchener Reserve-
lazaretts bewährt (zu beziehen von Je11er und Scheerer in Tuttlingen).
Dr. Solbrig -Königsberg i. Pr.
Ueber Arbeitsbehandlung im Heilverfahren für Versicherte, mit
besonderer Berücksichtigung der Heilstätte der Landesversicherungsanstalt
Königreich Sachsen In Gottleuba. Von San.-Rat Dr. Bartels, Chefarzt
der Heilstätte Gottleuba. Aerztliche Sachverständigen-Zeitung; 1916, Nr. 21.
So zweifellos für manche Kranke eine körperliche Arbeit, ein wirksames
Bchandlung8- und Heilmittel sein kann, so sicher ist es auch, daß bestimmte
Voraussetzungen zutreffen müssen, um das zu erreichen, was man will, nämlich
eine Kräftigung des Körpers und einen heilsamen Einfluß auf das Seelenleben.
Die Voraussetzungen dazu sind:
1. Vorhandensein geeigneter Krankheitsfälle, deren Behandlungsdauer keine
beschränkte sein darf und ärztlicherseits zu bestimmen ist;
2. Abschluß der eigentlichen Heilbehandlung im engeren Sinne vor Einsetzen
der Behandlung mit Arbeit;
3. Vorhandensein der verschiedensten Arbeitsarten und Einrichtungen;
4. Vorhandensein eines ausreichenden, geschulten Und vorgebildeten Lehr-
und Aufsichtspersonals (für Männer männliches, für Frauen weibliches
Personal);
5. Vorhandensein eines erfahrenen Arztes, der praktische und technische
Erfahrungen hat,^um die Art der Arbeit beurteilen und diese dosieren zu
können.
Von den Krankheitsformen eignen sich meist nicht: alle Fälle von
körperlicher und nervöser Erschöpfung und Blutarmut, Muskel- und Gelenk¬
erkrankungen, Krankheiten der Atmungs- und Kreislauforgane, des Magendarm¬
krebs und Stoffwechsels, dagegen sind gewisse Fälle von funktionellen Nerven¬
krankheiten für eine Arbeitsbehandlung geeignet.
Es ist falsch, wenn, wie es oft geschieht, den Kranken, ohne daß er
irgendwie mit dem betreffenden Handwerkszeug vertraut ist, ein Spaten oder
eine Hacke in die Hand gedrückt wird, damit er die beliebte Gartenarbeit
verrichte. Eine „Beschäftigung“ ist aber noch keine „Arbeitsbehandlung“.
Man sollte die Arbeitsbehandlung in Heilstätten verrichten, in denen
unter gewissen Bedingungen die Arbeit ein wesentliches Kurmittel ist. Dies
können Lungenheilstätten, Heilanstalten für Nervenkranke, Trinkerheilstätten
sein, jedoch ist die beste Lösung die, in besonderen Arbeitsheilstätten
diese Behandlung durchzuluhren. Die vom Verfasser geleitete Heilstätte gilt
ihm danach nicht für besonders geeignet. Dr. Solbrig-Königsberg i. Pr.
Die durch einen Selbstmordversuch verursachte Invalidität begründet
nur dann Rentenansprnch, wenn der Versuch dem Versicherten nach
seinem geistigen Zustand zuzurechnen ist. Revisions-Entscheidung
des Reichsversicherungsamts vom 11. Dezember 1915.
. . . Der Kläger litt nach dem Gutachten des Sachverständigen an
Nervenschwäche, besonders Herzneurose. Nach einem Berichte der Gefängnis¬
verwaltung vom 10. Mai 1904 ist bei dem Kläger auch im Dienste wiederholt
Aufgeregtheit bemerkt worden. Endlich soll nach diesem Bericht eine Schwester
des Klägers im Irrenhause gestorben sein. Aus den Akten ergibt sich, daß
der Kläger ein jährliches DicnsteiDkommen von 1500 M. gehabt hat und daß
seine Familie aus Frau und fünf Kindern bestand. Er ist häufig wegen dienst¬
licher Verfehlungen bestraft worden und hat, anscheinend infolge leichtfertigen
Lebens, Schulden gehabt.
Kleinere Mitteilungen and Referate aus Zeitschriften. 745
N.
Schon im allgemeinen liegt bei Personen, die in selbstmörderischer Ab¬
sicht Hand an sich legen, die Vermutung nahe, daß sie unter dem Einfluß
geistiger Entartung und Schwäche stehen. Infolgedessen fehlt es ihnen meist
an der Fähigkeit, ihre Lage richtig zu beurteilen und die Wege zu erkennen,
die sie durchs Leben führen. Vielfach wird dazu das geistige und seelische
Leben dieser Personen durch Mangelhaftigkeit ihres Gesundheitszustandes oder
durch die äußeren Umstände, von denen sie dauernd oder augenblicklich be¬
herrscht werden, derart gestört, daß sie als geisteskrank anzusehen sind und
daß ihnen daher ihr Handeln nicht zugerechnet werden kann. Der Kläger
war nach den Akten ein nervenschwacher, reizbarer Mensch von geringer
innerer Festigkeit, er stand unter dem Drucke mißlicher wahrscheinlich durch
seine Haltlosigkeit herbeigeführter wirtschaftlicher Verhältnisse, und es ist
daher keineswegs ausgeschlossen, daß er den Selbstmordversuch in geistiger
Gestörtheit begangen hat. Nach dieser Richtung ist der Sachverhalt nicht
genügend aufgeklärt; deshalb war unter Aufhebung des angefochtenen
Urteils die Sache zur weiteren Erörterung. und neuen Entscheidung an das
Oberversicherungsamt zurückzuverweisen.
Bestimmt eine Kassensatzung, daß versicherungsfreien Ehefrauen
der Mitglieder, abgesehen von einer GeldunterstHtzuug, lediglich die er«
forderliche Geburtshilfe zu gewähren ist, so sind darunter auch Hebammen«
dtenstezu verstehen. Revisions-EntscheidungdesReichversiche-
rungsamts vom 11.März 1916.
Die Entscheidung, ob der Kläger auf Grund der Ziff. a noch weitere
10 M. beanspruchen kann, hängt hiernach, wie auch die Vorinstanzen zutreffend
aunehmen, davon ab, ob unter erforderlicher Geburtshilfe lediglich die
Tätigkeit des Arztes oder auch diejenige der Hebamme zu verstehen ist.
Das Reichsversicherungsamt hat letzteres angenommen. Es ist zunächst nicht
zutreffend, daß nach dem allgemeinen Sprachgebrauche Hebammendienste nicht
der Geburtshilfe zugerechnet werden. Die allgemeine Verfügung des königl.
preußischen Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegen¬
heiten vom 6. August 1883, betr. das Hebammenwesen (Min.-Bl. der inn. Verw.
8. 211), sagt z. B. in § 1, daß die gewerbliche Ausübung der geburtshilflichen
Tätigkeit durch Frauen innerhalb des preußischen Staates nur den Hebammen
zusteht. Diese Auffassung wird durch die Ausdrucksweise der Reichsversiche-
rungsordnung bestätigt. Dort wird in § 198 von Hebammendiensten und ärzt¬
licher Geburtshilfe gesprochen. Hiernach mul) angenommen werden, daß beide
Tätigkeiten unter den gemeinsamen Begriff Geburtshilfe fallen und daß bei
der Geburtshilfe zwischen Ilebammendiensten und ärztlicher Geburtshilfe zu
unterscheiden ist. Auch ist die Annahme des Versicherungsamts willkürlich,
daß die Kosten für die Hebammendienste aus der Unterstützung zu be¬
streiten seien, die nach Ziff. c im Falle der Entbindung der Ehefrau gewährt
wird. Näher liegt es anzunehmen, daß dieser Betrag als Beihilfe zu den
Pflegekosten der Wöchnerin und des Neugeborenen gedacht ist. Hiernach
war die Kasse nicht berechtigt, die vom Kläger erhobene Forderung von 10 M.
zurückzuweisen. Dagegen ist sic zum Ersätze weiterer 80 Pf. für Portokosten
nicht verpflichtet, da Geldleistungen grundsätzlich bei der Krankenkasse ab¬
zuholen und sonstige erstattungspflichtige Kosten nicht nachgewiesen sind.
E. Bakteriologie und Bekämpfung der flbertragb&renjKrankheiten.
1. Ruhr.
Ueber Schwierigkeiten bei der serologischen Diagnose der Shiga«
Kruse-Ruhr und Uber Modifikationen der Technik der Agglutination. Aus
dem Königl. Institut für Infektionskrankheiten „Robert Koch“ ( Abteilungs-
Vorsteher: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Neufeld). Von Dr. 0. Schiemann.
Berliner klinische Wochenschrift; 1916, Nr. 39.
Die neueren Erfahrungen während des Krieges haben gezeigt, daß im
Serum Typhusgeimpfter häutig Mitagglutinine auch für Shiga-Kruse-
Ruhrbazillen auftraten. Der Wert einer positiven Agglutination von Shiga-
K r u s e• Ruhrbazillen mit dem Serum verdächtiger Krankheitsfälle ist dadurch
erheblich herabgesetzt. Bei Prüfung einer größeren Anzahl von Patientensera
746
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
konnte Verfasser feststellen, daß höchstens in einer Verdünnung von 1 :100
eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose anf Shiga-Rnhr za stellen ist. Nan ver¬
dient eine neae Form der Reaktion, nämlich die Beobachtung der grob-
klumpigen Agglutination, großes Interesse. Diese Reaktion ist bei
echten S h i g a - K r u s e - Ruhrinfektionen fast stets zu finden. Auch Schie¬
mann konnte unter 23 mit 3 stark agglutinierenden Patientensera geprüften
Shiga-Kruse-Stämmen bei 21 das Phänomen der grobklumpigen Agglu¬
tination, wenn auch in verschiedenem Qrade, feststellen; in den beiden anderen
Fällen wurde nur eine feinkörnige Agglutination erzielt. Es bedarf für diese
Reaktion der Auswahl besonderer Stämme, mit deren Hilfe es gelingt, sie zu
erzielen; das Optimum lag bei der Verdünnung 1:60. Zur Anstellung der
Probe darf das Reagenzglas nicht geschüttelt, sondern nar leise bewegt werden.
Die Hauptkennzeichen der groben Agglutination sind die außerordentliche
Oröße, die unregelmäßige Form and verschiedenartige Korngröße der agglu¬
tinierenden Partikel. Dr. 8 o 1 b r i g - Königsberg i. Pr.
Zur Bakteriologie and Aetlologle der Rohr. Von Oberstabsarzt Prof.
Dr. Karl Sternberg, Präses einer Salabritätskommission. Wiener klinische
Wochenschrift; 1916, Nr. 40.
Das starke Mißverhältnis zwischen der Zahl der positiven Dysenterie¬
bazillenbefunde und der durchgeführten Untersuchungen findet im Felde seine
Erklärung zunächst in der großen Hinfälligkeit der Rnbrbazillen. Je
früher die Proben nach der Defäkation entnommen and je rascher sie ver¬
arbeitet werden, am so größer ist die Zahl der positiven Befunde. Auch das
Alter der Fälle ist von großer Bedeutung. Im Beginne der Erkrankung werden
mehr Bazillen ausgeschieden, als später; in subakuten und chronischen Fällen
wurden sie nur intermittierend ausgescbieden. Ferner kommt die Methodik
und die Art des Materials in Betracht. Nun werden viele Fälle wegen
Ruhrverdachtes in Isolierstationen abgegeben, die sich später in anderer Weise
aufklären. Unter dem Zwang der Kriegsverhältnisse hat sich im Laufe der
Zeit folgende Methodik ausgebildet: Gehäufte Diarrhoen, namentlich blutig¬
schleimige Abgänge begründen den Verdacht auf Ruhr; jeder Brechdurchfall
wird als Choleraverdacht und jede unklare fieberhafte Erkrankung als Typhus¬
verdacht abgeschoben. Gar mancher Typhnsverdacht erweist sich nachher als
Appendicitis oder als Malaria; die isolierten Fälle von Choleraverdacht klären
sich in der Regel als akute Gastroenteritiden, Paratyphen oder Dysenterien
auf; unter den Fällen von Ruhrverdacht finden sich Paratyphen, meist Para¬
typhus B, vereinzelt auch Paratyphus A. Tatsächlich kann das klinische Bild
der Ruhr, d. h. einer akuten hämorrhagischen Enteritis durch Paratyphus¬
bazillen und durch Streptokokken erzeugt werden. Für das ätiologisch nnd
pathologisch-anatomisch gut charakterisierte Krankheitsbild der Dysenterie
empfiehlt der Autor diesen Namen zu reservieren, während er die übrigen,
klinisch ähnlichen Fälle als symptomatische Rahr zusammenfaßt. Von
den Schädigungen, die hierzu Anlaß geben, hebt er hervor: Starke Strapazen,
Erkältungen, Durchnässungcn, Unregelmäßigkeiten der Nahrungsaufnahme;
Genuß von unreifem Obst, von Schneewasser, das in vielen Stellungen die
einzig erreichbare Wasserspende gebildet hat. Es handelt sich hier meist tun
nicht infektiöse Enteritiden; bei kleinen geschlossenen Abteilungen konnte
man wiederholt die Beobachtung machen, daß nur ein geringer Prozentsatz er¬
krankte. — Kliniker und Bakteriologen müssen weiterhin Zusammenarbeiten,
am die Unterscheidung and Abgrenzung der verschiedenen Formen syptoma-
tischer Ruhr, sowie der echten Dysenterie zu ermöglichen.
Dr. Mayer- Simmern.
Rohr- and Rnhrbehandlung. Von Prof. E. Mayer-Berlin (zarzeit im
Felde). Berliner klinische Wochenschrift; 1916, Nr. 39 und 40.
Es wird über zahlreiche Erkrankungen von Ruhr berichtet, die sich in
zwei verschiedenen Gruppen abspiclten und ein gauz verschiedenes Krankbeits-
bild darboten. Bei der ersten Gruppe handelt es sich um Truppen, die nach
völliger Winterrbhe im Mai 1915 in Ostpreußen erkrankten, bei der zweiten
Gruppe waren die Erkrankten Soldaten, die große Anstrengungen im Herbst
1916 in Rußland hinter sich hatten. Die erste Gruppe betrifft Krankheitsfälle
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
747
mit dem Charakter der gewöhnlichen gastrointestinalen Katarrhe, die Fälle der
zweiten Groppe weisen das geschlossene Bild der typischen Rohr auf. Das
bewiesen die schweren typischen Fälle, die aof spezifisches Serum vortrefflich
reagierten. Wenn auch nach dem Fehlen der Ruhrbazillen bei der Sektion
trotz anatomisch echter Ruhr, wie es manchmal beobachtet wurde, die Ver-
motong nahe liegt, daß zuweilen auch andere Erreger (Paratyphus, Strepto¬
kokken u. a.) ein ähnliches Krankheitsbild hervorrufen können, so lehren die
hier gemachten Erfahrungen doch, daß die ätiologische Rolle spezifischer Ruhr¬
bazillen festzuhalten und die Diagnose in erster Linie auf die klinische Beob¬
achtung za gründen ist. Die spezifische Behandlung der Ruhrinfektion wird
empfohlen. Frühzeitige Anwendung ist Vorbedingung, auch müssen große
Dosen gegeben werden. Der übrige Teil der Behandlung darf aber nicht ver¬
nachlässigt werden. Der Prophylaxe ist durch Isolierung der Bazillenträger
und deren hygienische Regelung, durch geeignete Kost und Unterkunft sowie
durch passive Schutzimpfung, Rechnung zu tragen.
Dr. Solbrig-Königsberg.
2. Geschlechtskrankheiten und Bekämpfung der Prostitution.
Eigentümliche Folgen einer Intramuskulären Salvarsanlnjektlon.
Von Prof. Dr. R. Polland -Graz. Wiener klinische Wochenschrift; 1916, Nr. 42.
Das Salvarsan zeichnet sich, wie die Beobachtung bei allen Salvarsan-
nekrosen lehrt, dadurch aus, daß es die Bildung polynukleärer Leukozyten
vollständig verhindert. Zum Teil ist dies durch die starke bakterizide
Kraft des Salvarsans bedingt, welche die Entwicklung irgendwelcher eiter¬
erregender Mikroorganismen nicht zuläßt. Da wir aber bei vielen Prozessen
eine aseptische demarkierende Eiterung kennen, die manchmal sehr be¬
trächtlich sein kann, so muß bei der Salvarsannekroso doch noch eine be¬
sondere, rein chemische Eigenschaft des Halvarsans im Spiele sein, die auf
die Eiterzellen negativ chemotaktisch wirkt und es bewirkt, daß Ge¬
webszellen, in denen sich ein Salvarsandepot befinden, von Leukozyten geradezu
gemieden werden. Diese Eigenschaft kommt auch anderen Arsenverbindungen
zu und wird in der Technik der Konservierung mit Vorteil ausgenutzt.
Eine Patientin hatte vor 2 Jahren in Berlin eine Salvarsaninjektion in
die Glutaealmuskulatux bekommen. Ein nußgroßer Gewebsnekron hatte sich
in vielen Wochen unter Hinterlassung einer großen trichterförmig eingezogenen
Narbe abgestoßen. Der nekrotische, aseptische Abszeß führte zur Bildung
einer Hautfistel, durch die sich ein Teil des Gewebes abstieß, ferner zur
Bildung eines aseptischen, „kalten“ Senkungsabszesses. Die Sonde
passierte 14 cm tief einen weiten Gang, der sich zu einem flachen Hohlraum
erweiterte.
Heilung unter Pinselung der Fistelöffnung mit Lapislösung. ■
Dr. Mayer- Simmern.
Fürsorge für die aus dem Felde heimkehrenden geschlechtskranken
Eisenbahner. Von Dr. Herrnberg-Berlin. Zeitschrift für Bahnärzte;
1916, Nr. 11.
1. Alle Geschlechtskrankheiten müssen durch die Fürsorge gefaßt
werden.
2. Die Absonderung in Spezialinstituten vor der Entlassung ist nicht
gut durchzuführen. Dr. Wolf-Hanau.
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. Arbeiten der vom ärztlichen
Verein München eingesetzten Kommission zur Beratung von Fragen der Er¬
haltung und Mehrung der Volkskraft. Ref. Prof. Dr. v. Zumbusch und
Geh. Hof rat Dr. Dyrott Münchener Med. Wochenschrift; 1916, S. 1692.
Im wesentlichen werden Meldepflicht und Behandlungszwang vorge¬
schlagen. Die Meldepflicht soll gegebenen Falles auch auf die Kurpfuscher
ausgedehnt werden, wenn das Verbot der Behandlung Geschlechtskranker durch
Kurpfuscher nicht zu erreichen ist.
Nach den Erfahrungen des Ref. bei den bereits meldepflichtigen Krankheiten
ist die Meldepflicht der Kurpfuscher lediglich eine Papiervorschrift. Die amts-
748 Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
ärztliche Erfahrung maß entschieden das Verbot der Behandlung aller
Geschlechtskrankheiten, auch solcher nicht infektiöser Natur durch Kurpfuscher
als allein wirksam verlangen.
Auch eine Zwangsuntersuchung verdächtiger Personen wird von den
Münchener Kollegen verlangt. Die Einweisung in eine Heilanstalt wird ge¬
fordert in Fällen, in denen die Behandlung nicht gesichert ist.
Dr. G r a ß 1 - Kempten.
3. Desinfektion.
Fahrbare Entseuchungsmaschinen. Der prakt. Desinfektor; 1916, H. 11.
Für den Eisenbahnbetrieb wird hier der von der Firma Gebr. Körting
A.-G. gebaute fahrbare Desinfektionsapparat empfohlen, der sich aber auch
für Schlachthäuser, Krankenhäuser, Stallungen usw. eignet, z. B. auch für
alle Betriebe, in denen große Behälter, Fahrzeuge, Bäume, Plätze regel¬
mäßig im größeren (Jmfange zu entseuchen sind.
Dr. Wolf-Hanau.
Das Ausschwefeln von Bäumen. Von Dr. Schmid. Der praktische
Desinfektor; 1916, Nr. 11.
Der Verfasser beschreibt das von Prof. Dr. Graßberger -Wien empfohlene
Verfahren, bet. Ausschwefeln von Ungeziefer mittels Stangenschwefel, Schwefel¬
kohlenstoff, Salforkose und Formakosin. Dr. Wolf-Hanau.
Zur Bekämpfung der Läuseplage. Von Chemiker Dr. L. Kaufmann-
Berlin-Wilmersdorf. Berliner klinische Wochenschrift; 1916, Nr. 42.
Das Sulfoform, ein neues Schwefelpräparat, das in Lösung auf dem
Körper eingerieben wird (20—25 ccm pro Person), hat nach Versuchen im
Felde und im Berliner Asyl für Obdachlose zu einer raschen Körperentlausung
geführt. Oft genügt eine einzige Einreibung. Einer Verwendung im großen
Maßstab steht zurzeit die Knappheit der in Betracht kommenden Materialien
im Wege. _' Dr. S o 1 b r i g - Königsberg.
F. Hygiene und öffentlichen Oeenndheiteweeen.
1. Wohnungshygiene.
Die Wohnungsverhältnisse in Stadt und Land. Dargestellt nach den
Ergebnissen der sächsischen Wohnungsstatistik von Dr. Oskar K ü r ten -Dresden.
Conrads Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik; 107. Bd., S. 347.
Wohnungsaufnahmen größeren Umfangs wurden in Sachsen 1904, 1905
und 1910 vorgenommen. Während in den 4 sächsischen Großstädten (Dresden,
Leipzig, Chemnitz, Plauen) zusammen die Eigentümerwohnungen nur 6,9*/ 0
aller bewohnten Wohnungen ausmachen, beträgt ihre Anzahl in den Mittelstädten
17,1 °/o und in den Kleinstädten 21,6°/ 0 . Hinsichtlich der Wohndichtigkeit
liegen die Verhältnisse in den kleineren Orten nicht günstiger als in den größeren
Städten. Es sind überwiegend industriell durchsetzte Gemeinden, in denen die
Wohndichtigkeit eine verhältnismäßig hohe ist; es läßt sich jedoch hinsicht¬
lich der Wohndichtigkeit und der Größenverhältnisse der Wohnungen eine Ent¬
wicklung zum Besseren nicht verkennen. Seit 1905 hat der Anteil der kleinen
Wohnungen mit 1—2 Räumen und zum Teil auch der Anteil der Wohnungen
mit 3 Bäumen zugunsten der vier- und mehrräumigen Wohnungen abgenommen.
Hinsichtlich der Abortverhältnisse stehen die kleinen ländlichen Orte un¬
günstiger da als die größeren Städte. Aber auch in den Großstädten sind noch
23 — 27% aller bewohnten Wohnungen ohne Abort zur eigenen Benutzung.
Dieser Prozentsatz steigt dann bis zu 46« /« in den Landgemeinden und in den
Industriedörfern auf 53,6 o/o. Besonders nachteilig tritt die Wirkung der In¬
dustrialisierung kleinerer Gemeinden auf die Wohnungsverhiiltnisse hervor.
Der Hinweis auf die gesünderen Lebensbedingungen der Landbevölkerung mag
nach Kürten für die Bewohner der rein ländlichen Gemeinden zutreffen, nicht
aber für die Bewohner der Grolistadtvororts- und Industriegemeinden, die tagsüber
in Fabriken, Werkstätten und Schreibstuben beschäftigt sind. So sehr denn auch
die in solchen Gemeinden häufig vorhandene innerhalb der Großstadt unmög¬
liche Ausstattung der Wohnung mit kleinen Gartenflächen vom sozialcthischen
Kleinere Mitteilungen and Referate aus Zeitschriften.
749
utfii ■ privatwirtschaftlichen Standpunkt zn begrüßen ist, so können dadurch
allein nicht die schädlichen Wirkungen schlechter Wohnungsverhältnisse aus¬
geglichen werden.
Auch in Sachsen ist die Sitte des Aufnehmens familienfremder Per¬
sonen in die Wohnung weit verbreitet. Den größten Umfang nimmt die Unter-
Vermietung naturgemäß in den Großstädten an. In Leipzig beherbergt fast
jede vierte, in Plauen fast jede fünfte Wohnung familienfremde Personen.
Demgegenüber tritt in den Mittel- und Kleinstädten und vollends in den Land¬
gemeinden die Unter Vermietung fast ganz zurück nur in den Industrie¬
dörfern kommt sie wieder eher häufig vor; die Unter Vermietung in diesen kleineren
Gemeinden tritt vorwiegend in ihrer ungünstigeren Form, nämlich in der des
Schlafstellenwesens auf. Unter den Schlafleuten ist das weibliche Ge¬
schlecht stärker vertreten als das männliche. Auch die Erfahrung, daß Familien¬
angehörige mit familienfremden Personen ihre Schlafräume teilen müssen, ist
auf dem Lande keineswegs seltener anzutreffen als in den Städten. Ebenso
findet sich eine Ueberfüllung der Schlafräume auf dem Lande nicht weniger
häufig als in der Stadt.
Schon kann man vielfach beobachten, wie besonders in den großstadt¬
nahen ländlichen Gemeinden der Flachbau dem Etagenhaus weichen muß. Es
steht zu befürchten, daß die Aufwärtsbewegung der Mietpreise nunmehr be¬
ginnt, auf die mittleren und kleineren Orte überzugreifen. Was die hygienisch-
technische Einrichtung der Wohnungen anlangt, so ist in dieser Hin¬
sicht die Stadtbevölkerung der Landbevölkerung in vielen Stücken überlegen. Am
günstigsten sind die Verhältnisse noch da, wo die Bewohner noch überwiegend
der landwirtschaftlichen und verwandten Erwerbsarten nachgehen. Hier wird
durch die gesunde Berufstätigkeit und Lebensführung noch am ersten ein Aus¬
gleich gegen die vorhandenen Mängel der Wohnungshygiene geschaffen. Wo
aber die Bevölkerung mehr oder weniger in der Industrie oder in der Heim¬
arbeit tätig ist, da fehlt ein solch wohltätiger Ausgleich vollkommen. Nur
die aus neuerer Zeit stammenden Wohnungen sind gewöhnlich geräumiger und
gesünder; doch nimmt die Bevölkerung nicht selten ihre alten schlechten Wohn-
sitten in die neuen guten Wohnungen hinein.
Was hier für die sächsischen Zustände ausgeführt ist, das dürfte
auch für andere Gebiete Deutschlands zutreffen. Angesichts dieser Verhältnisse
ist es dringend notwendig, der Wohnungsfrage und der Siedlungspolitik
auf dem platten Lande größere Aufmerksamkeit zuzuwenden, als es bisher
geschehen ist, zumal die Bestrebungen zur Dezentralisierung des Siedlungs¬
wesens eine greifbare Form annchmcn. Dr. Hanauer -Frankfurt a. M.
2. Nahrungsmittelhygiene.
Vergleichende Untersuchungen von Brühe, die aus zerschlagenen
und gemahlenen Knochen hergestellt ist. Von Marine-Oberstabsapotheker
Dr. Otto Gottheil. Münchener med. Wochenschrift; Feldärztliche Beilage,
Nr. 46, S. 1647.
Die vom Verfasser angesteliten Untersuchungen haben zu folgenden
beachtungswerten Ergebnissen geführt:
1. Durch die Mahlung der Knochen wird die Auflösung der für die Er¬
nährung wichtigen Stoffe ganz bedeutend erhöht, nämlich von Fett rund 2—5 mal,
von Stickstoffsubstanz (Leim) 4—6mal. *
2. Die Röhrenknochen geben in zerschlagener Form nur wenig Leim in
kochendes Wasser ab.
3. Der Stickstoffsubstanzgehalt ist in Brühe ausgemahlenen Rippen¬
knochen doppelt so groß, als in der aus Röhrenknochen.
4 Die Beschaffung von Knochenmühlen ist bei der Verwendung großer
Knochenmengen (z. B. in Krankenanstalten usw.) zur Erhöhung des Näbrwerts-
gchaltes der Brühe sehr zu empfehlen. Rpd.
3. Gewerbehygiene.
Genehmigungspflichtige Anlagen. Von Gewerberat Dr. Mansfeld-
Frankfurt a. M. Zentralblatt für Gewerbehygiene; 1916, Nr. 10—11.
Am Schluß seiner Betrachtungen wägt Verfasser nochmals Befugnisse
und Rechte gegeneinander ab, die dem Unternehmer auf der einen Seite und
750
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
dem Anlieger and der Polizei aaf der anderen Seite zukommen; es ergibt sich,
daß dem Unternehmer mit der zwar umständlichen Erlangung der Konzession
tatsächlich diejenigen Befugnisse eingeräumt werden, die ihm nach der Zweck¬
bestimmung der gesetzlichen Vorschriften zugestanden werden sollen and die
sich zas&mmenfassen lassen mit den Worten: Gewährung unanfechtbarer
Rechtsunterlage für die Ausübung des konzessionierten Betriebes nach Ma߬
gabe der dafür erteilten Konzession. Dr. Wolf- Hanaa.
4. Schulhygiene.
Sommerszeit und Schulanfang. Von Dr. Langerhans. Der Schul¬
arzt; 1916, Nr. 10.
Verfasser vertritt die Ansicht, daß die hier und da geäußerten Bedenken
gegen die Beibehaltung der Sommerszeit für später unberechtigt seien. Das
Schulkind habe auch bei der Sommerzeit hinreichend Zeit zum Ausschlafen,
das frühe Aufstehen sei sogar allgemein von Vorteil. Da der Schulanfang
zahlreiche Personen zum Tagesanfang zwinge, werde die Folge sein, daß der
am Abend verlängerten Vergnügungszeit und einer Verspätung des Arbeits¬
anfangs vorgebeugt werde. Zum Wiederaufbau zerstörter Werke sei eine
Ausdehnung der Arbeitszeit mit Verkürzung der Vergnügungszeit auch nach
dem Kriege durchaus geboten. So ergibt sich die Forderung, auch nach
Friedensschluß den Frühbeginn des Schulunterrichts beizubehalten.
Dr. Solbrig -Königsberg i. Pr.
Moderne Sexualpädagogik. Von San.-Bat Dr. Sonnenberger - Worms.
Der Schularzt; 1916, Nr. 9.
Es wird über die neuere Literatur übersichtlich berichtet und die moderne
sexuelle Pädagogik, deren Bestrebungen übrigens schon weit zurückliegen
(Salzmann Ende des 18. Jahrhunderts u. a.), als eine durchaus notwendige
Schuldisziplin hingestellt. Verfasser schließt sich besonders den von dem ver¬
dienstvollen Ton ton aufgestellten Thesen über sexualpädagogische Vorträge
und Fragen, die im Wortlaut wiedergegeben werden, an und erwähnt den
bekannten von Bissing sehen Antrag im Preußischen Herrenhaus auf Ein¬
führung der Geschlechtskunde als pflichtmäßiges Lehrfach an Hochschulen nnd
allen Schulen. Die in engem Zusammenhang mit dieser Frage stehende
alkoholfreie Erziehung unserer Jugend und die nötige Aenderung der Trinker¬
unsitten wird gebührend betont.
An Worten über die Bedeutung dieses Unterrichts von berufenster
Seite fehlt es gewiß nicht. Hoffen wif, daß die Taten bald folgen werden!
Dr. Solbrig- Königsberg i. Pr.
5. Statistik.
Aus der Bevölkerungsstatistik der europäischen Länder vor dem
Weltkriege. Statistische Korrespondenz; 1916.
Das preußische Statistische Landesamt teilt nach „Otto Hübners geogra¬
phisch-statistischen Tabellen aller Länder der Erde für 1914“ die wichtigsten
Ergebnisse in einer vergleichenden Uebersicbt mit, die in Zählungen in fast
sämtlichen Staaten Europas mehr weibliche als männliche Personen
ergeben. Auf lOuO Männer kommen in Portugal 1107 Frauen, in Norwegen
1099, in Großbritannien und Irland 1061, in Dänemark 1058, in Spanien 1049,
in Schweden 1046, in der Schweiz 1031, in Oesterreich 1030, im Deutschen
Reiche 1026, in Rußland (hier und im nachstehenden ohne Finnland) gleich¬
falls 1026, in Frankreich 1022, in Ungarn 1019, in den Niederlanden 1016, in
Finnland 1012, in Italien 1010 und in Belgien 1002. Nur in einigen südöst¬
lichen Ländern sind die Frauen in der Minderheit. So zählt anf 1000 Männer
Bosnien nur 908 Frauen, Griechenland 921, Serbien 936, Rumänien 968. Wieweit
hier Wanderungen mitsprechen, ist nicht festgestellt; in den Vereinigten
Staaten von Amerika, deren Ziffer sich auf 952 berechnet, sind sie jedenfalls
von größtem Einfluß.
Verhältnismäßig die meisten Ehen werden in Serbien geschlossen, jährlich
etwa 102 auf 10000 Köpfe. Dann folgen Bosnien mit 100, die Vereinigten
Staaten von Amerika mit 97, Rußland mit 96, Griechenland mit 88, Ungarn
Kleinere Mitteilungen und Referate aas Zeitschriften.
761
and Rumänien mit je 86, Belgien mit 81, Deutschland und Frankreich mit
je 79, die Niederlande mit 78, Oesterreich und Italien mit je 76, Großbritannien
und Irland mit 75, die Schweiz mit 74, Dänemark mit 73, Spanien und Portugal
mit je 71, Norwegen mit 62, Finnland mit 60 und Schweden mit 59 Ehen.
Anspruchslosigkeit begünstigt die Eheschließung, und Armut ist nur bei hoher
stehenden Völkern, die das volle Verantwortlicbkeitsgefühl besitzen, ein
Hindernis. Es ist also aus den Eheziffern an sich kein Schluß auf die sonstigen
Verhältnisse zu ziehen.
Die Jahresziffer der Lebendgeborenen ist, auf 10000 der Bevölkerung
gerechnet, in Rußland mit 468 am höchsten und in Frankreich mit 190 am
niedrigsten. Dazwischen stehen Rumänien, Bosnien und Portugal mit 484, 414
und 395, Serbien, Ungarn und Italien mit 881, 863 und 824, Oesterreich,
Spanien und Finnland mit 815, 312 und 291, Griechenland, Deutschland
und die Niederlande mit 288, 283 und 280, Dänemark, Norwegen und die
Schweiz mit 267, 254 und 241, Schweden, Großbritannien mit Irland und
Belgien mit 240, 239 und 226. — Bei den Sterbefällen steht Rußland,
seiner hohen Gehurtsziffer entsprechend, mit 298 im Jahre auf 10000 der
Bevölkerung gleichfalls an erster Stelle; dann folgen: Bosnien (274), Ungarn
(238), Spanien (232), Rumänien (229), Portugal (225), Oesterreich (220),
Serbien (211), Frankreich (175), Finnland (165), Schweiz (168), Deutschland
(156), Belgien (148), Großbritannien und Irland, Italien (je 142), Griechenland
(139), Schweden (138), Norwegen (134), Dänemark (130), die Niederlande (120) a
Werden die Länder nach der Höhe des Ueberschusses der Ge-
bürten über die Sterbefälle geordnet, so erhält man folgende Zusammen¬
stellung :
Länder
geborene \ ae>lorbe " e
1
im Jahre auf 10 (XX
Ueberschuß der
Lebendgeborenen
9 Köpfe
Rumänien.
434
| 229
205
Italien.
324
142
182
Rußland.
468
i 298
170
Serbien.
381
! 211
170
Portugal.
895
225
170
Niederlande.
280
120
160
Griechenland.
288
139
149
Bosnien.
414
274
140
Dänemark.
267
130
187
Ungarn .
363
233
130
Deutsches Reich.
283
156
127
Finnland.
291
165
126
Norwegen .
254
134
120
Schweden.
240
138
102
Großbritannien und Irland . .
239
142
97
Oesterreich.
315
220
95
Schweiz.
241
158
83
Spanien.
312
232
80
Belgien.
226
148
78
Frankreich.
190
| 176
16
Hiernach ist die natürliche Zunahme Deutschlands acht- bis neunmal
so groß wie die Frankreichs.
Die wirkliche Volkszunahme wird durch den Geburtenüberschuß
und durch Wanderungen bestimmt. Uebertrifit, wie in den meisten Ländern,
die Auswanderung die Einwanderung, so ist die wirkliche Zunahme kleiner als
der Geburtenüberschuß und umgekehrt. Sind die Unterlagen der benutzten
Quelle, die Zählungen der einzelnen Länder, einwandfrei, so ergeben sich
nachstehende Ziffern für die wirkliche Volkszunahme und den Einfluß der
Wanderungen:
752
Besprechungen.
Länder
Geburten¬
überschuß
Wirkliche
Volks-
Zunahme *)
Volkszunahme
gegen Geburten¬
überschuß
Italien.
Portugal.
Griechenland.
Norwegen .
Rumänien.
Ungarn.
Schweden.
Spanien .
Niederlande.
Bosnien.
Dänemark.
Serbien.
Großbritannien und Irland
Oesterreich.
Frankreich.
Deutsches Reich . . . .
Finnland .
Belgien ..
Rußland.
Schweiz.
im Jahre auf 10000 Köpfe
182
| 63
!
_
119
170
86
—
-
84
149
1 71
—
-
78
120
| 60
-
-
60
205
150
—
-
55
130
i 81
—
-
49
102
72
—
-
30
80
51 ,
—
-
29
160
138 1
-
-
22
140
125
-
-
15
137
126
—
-
11
170
160
-
-
10
97
87
—
-
10
95
88
7
15
18
H
r
3
127
136
H
h
9
126
138
H
r
12
78
103
H
25
170
210
H
-
40
83
124
! H
-
41
Den größten Zuwachs durch Wanderungen haben hiernach die Schweiz
und Rußland, den größten Verlust Italien und Portugal. Beim Deutschen
Reich, das in früheren Jahrzehnten (hauptsächlich vor 30—40 Jahren) durch
Auswanderungen beträchtliche Verluste erlitten hatte, sind jetzt die Ein¬
wanderungen bedeutender als die Auswanderungen.
(Reichs- und Staatsanzeiger.)
Besprechungen.
Dr. W. PrauBsnitz, o. Professor der Hygiene, Vorstand des hygienischen
Instituts der Universität und der staatlichen Untersuchungsanstalt für Lebens¬
mittel in Graz: Grundzüge der Hygiene. Zehnte erweiterte und ver¬
mehrte Auflage. Mit 278 Abbildungen. München 1916. Verlag von J. P.
Lehmann. 8°, 725 S. Preis: geb. 13 M.
Pas in erster Linie für Studierende der Medizin bestimmte und in diesen
Kreisen allgemein beliebte Lehrbuch ermöglicht auch den auf hygienischem
Gebiete tätigen Aerzten, namentlich den ärztlichen Gesundheitsbeamten, sich
leicht und rasch über theoretisch Begründetes und praktisch Erprobtes zu
unterrichten. Insbesondere gilt dies von der vorliegenden Ausgabe, bei der
Verfasser auch die in seiner Stellung als Oberstabsarzt während der Kriegs-
zeit auf dem Gebiete der übertragbaren Krankheiten gemachten reichen Er¬
fahrungen zur Ergänzung und Erweiterung der einschlägigen Abschnitte mit¬
verwertet hat. So ist z. B. die jetzt so wichtige Frage der Uebertragung
derartiger Krankheiten durch Ungeziefer und die Fngeziefervertilgung in einem
besonderen Abschnitt behandelt. Aber auch alle anderen Abschnitte haben unter
Beibehaltung der bisherigen bewährten Bearbeitung des Stoffes eine dem neuesten
Stande der Wissenschaft entsprechende Umarbeitung erfahren. Die Jubiläums¬
auf läge des Werkes — es ist vor 25 Jahren zum ersten Male erschienen —
verdient deshalb in den beiden engverbündeten Beichen Mitteleuropas in noch
höherem Maße eine freundliche Aufnahme und weite Verbreitung, als die vor¬
ausgegangenen gefunden haben. lipd.
*) Unterschied zwischen den Ergebnissen der beiden letzten Zählungen
im Jahresdurchschnitt.
Tagesnachrichten.
753
Professor Dr. I*. Brauer, Aerztlicher Direktor des Eppendorfer Kranken¬
hauses in Hamburg: Deutsche Krankenanstalten für körperlich Kranke.
Zwei Bände. Mit 961 Tafeln, Abbildungen und Plänen. Halle a. d. Saale
1917. Verlagsbuchhandlung von Carl Marhold. Gr. 4°. 453 und 460 S.
Preis: je 18 M. für den Band.
Das Werk bildet die erste Abteilung des in dem rührigen Verlag er¬
schienenen Sammelwerkes: Die Anstaltsfürsorge für körperlich, geistig, sitt¬
lich und wirtschaftlich Schwache im Deutschen Beicbe in Wort und Bild" und
bringt eine reiche Sammlung von Krankenanstalten für körperlich Kranke, die
durch die beigefügten zahlreichen Abbildungen, Grundrisse und Pläne für die
beteiligten Kreise besonders wertvoll ist und namentlich beim Bau von Kranken¬
häusern als geeignete Unterlage benutzt werden kann, zumal vielfach recht
ausführliche Baubeschreibungen beigegeben sind, in denen auch die Kostenfrage
berücksichtigt ist. Rpd.
Tagesnachrichten.
Das vom Reichstage angenommene Gesetz über den vaterländischen
Hilfsdienst (s. Nr. 23 dieser Zeitschrift, S. 719) ist nach erfolgter Zustimmung
des Bandesrats von Sr. Majestät dem Kaiser am 5. M. vollzogen und am
Tage seiner Verkündung im Reichsgesetzblatt am 6. d. M. in Kraft getreten.
Der Wortlaut des Gesetzes ist in der Beilage zur heutigen Nummer der Zeit¬
schrift (s. S. 199) abgedruckt.
Im Anschluß an den Erlaß dieses Gesetzes hat Se. Majestät der
Kaiser und König ein Terdienstkrenz für Kriegshilfe gestiftet, das nach
§ 2 der Stiftungsurkunde vom 5. d. M. ohne Unterschied des Ranges und
Standes an Männer und Frauen verliehen werden soll, die sich im vaterländi¬
schen Hilfsdienst (§ 2 des Reichsgesetzes vom 5. Dezember 1916) besonders
ausgezeichnet haben, jedoch soll es betreffs der Verdienste um die Kranken¬
pflege im Dienste des Roten Kreuzes und der ihm verwandten Aufgaben bei
der Verleihung der dafür bestimmten Auszeichnung der Roten Kreuzmedaille
verbleiben. Das Verdienstkreuz besteht aus einem aus Kriegsmetall herge¬
stellten achtspitzigen Kreuz mit einem Mittelschild, das auf der Vorderseite
die Inschrift „Für Kriegshilfsdienst" und auf der Rückseite den gekrönten
Namenszug des Kaisers trägt. Es wird an einem weißen, sechsmal schwarz
gestreiften Bande mit rotem Vorstoß getragen und verbleibt beim Tode des
Inhabers im Besitze der Angehörigen.
Die Einkleidungsbeihilfe für Unterärzte ist nach dem Erlaß des Preußi¬
schen Kriegsministeriums vom 29. Oktober d. J. bei mobiler Verwendung von
300 auf 225 M., bei immobiler Verwendung von 400 auf 275 M. herabgesetzt. Die
Anordnung ist mit dem Tage desjBekanntwerdens des Erlasses in Kraft getreten.
Das prensslsohe Abgeordnetenhaus hat sich in seinen Sitzungen
am 5. und 6. d. M. mit der Ernährungsfrage sehr eingehend beschäftigt.
Allgemein kam die Ueberzeugung zam Ausdruck, daß wir mit den vorhandenen
Nahrungsmitteln bei richtiger Verteilung und entsprechender Einschränkung
auskommen würden. Gegen den leider noch immer vorhandenen schamlosen
Wucher mit Lebensmitteln müsse mit aller Strenge vorgegangen werden. Die
von dem Haushaltungsausschnß gemachten Vorschläge (s. Nr. 23 dieser Zeit¬
schrift, S. 719) wurden ohne Widerspruch angenommen.
Auch das prensslsohe Herrenhaus hat am 6. d. M. die Ernährungs¬
frage der Besprechung unterzogen und dem Anträge des Ausschusses ent¬
sprechend beschlossen, die Königliche Staatsregierung aufzufordern, im Bundesrat
dahin zu wirken, daß bei allen behördlichen Anordnungen für die Volks-
ernäbrung in Zukunft mehr als bisher die Erzeugung von Lebensmitteln be¬
rücksichtigt werden.
Dem preussisohen Abgeordnetenhause ist der Entwurf eines
Wohnongsgesetzes vorgelegt, der im großen und ganzen demjenigen entspricht,
754
Tagesnachrichten.
der bereits im Jahre 1913 eingebracht war (s. Anlage A des offiziellen Be¬
richts über die XXIX. Hauptversammlung des Preußischen Medizinalbeamten-
vereins vom 25. April 191H); namentlich gilt dies betreffs seiner ersten vier
Artikel über Baugelände, baupolizeiliche Vorschriften, Be¬
nutzung der Gebäude und'Wohnungsaufsicht. Von großer Be¬
deutung ist ferner, abgesehen von manchen Aenderungen und Ergänzungen der
Bestimmungen über Baugelände, die keine gesundheitliche Frage berühren, nur
die Beschränkung der Wohnungsaufsicht insofern, als in dem früheren
durch Anordnung der Aufsichtsbehörde auch für alle Gemeinden unter 100000
Einwohner die Einrichtung eines Wohnungsamtes oder die Anstellung in be¬
sonders geeigneter Weise vorgebildeter beamteter Wohnnngsaufseher vorge¬
schrieben werden konnte, während jetzt nur für Gemeinden von mehr als
50000—100U00 Einwohner die Errichtung eines Wohnungsamts und für solche
von 10000—50000 die Anstellung eines Wohnungsaufsehers verlangt werden
kann. Ganz neu hinzugekommen sind als Artikel 5 gemeinsame Vorschriften
für die Wohnungsordnungen und die Wohnungsauf sicht, die ins¬
besondere Bestimmungen darüber enthalten, welche Wohnungen den Wohnungs-
ordnungen und der Wohnungsaufsicht unterliegen sollen. Danach solle sich
diese erstrecken 1. auf Wohnungen, die einschließlich Küche aus vier oder
weniger zum dauernden Aufenthalt von Menschen bestimmten Bäumen bestehen
(also sogenannte Kleinwohnungen), 2. auf größere Wohnungen, in denen nicht
zur Familie gehörige Personen gegen Entgelt als Zimmermieter, Einlieger oder
8chlafgänger aufgenommen werden, 3. auf Wohn- und Schlafräume für Dienst¬
boten oder Gewerbegehilfen, 4. auf Winterwohnungen im Keller oder in einem
nicht voll ausgebauten Dachgeschosse sowie 5. auf Ledigenheime und Arbeiter¬
logierhäuser. Neu ist endlich auch Artikel 6 über die Bereitstellung staat¬
licher Mittel — zwanzig Millionen Mark — behufs Beteiligung des Staates
mit Stammeinlagen bei gemeinnützigen Bauvereinigungen, sowie endlich die
Schlußbestimmung, daß bei Anwendung der Vorschriften der Wohnungs¬
ordnungen und bei der Ausübung der Wohnungsausschuß das Interesse des
Denkmal- und Heimatschutzes berücksichtigt werden, soweit nicht im Interesse
der Gesundheit oder der Sittlichkeit entgegensteht.
Gleichzeitig ist dem Abgeordnetenhause auch noch der Entwurf eines
Gesetzes wegen staatlicher Verkürzung zweiter Hypotheken (Bürgschafts¬
sicherungsgesetz) vorgelegt, der insofern eine Ergänzung des Wohnungsgesetz¬
entwurfes bildet, als er den Finanzminister ermächtigt, zwecks Förderung
der Herstellung gesunder Kleinwohnungen die Bürgschaft für
zweite Hypotheken des Staates bis 90°/o der Selbstkosten zu Übernehmen,
wenn diese mindestens 10 Jahre unkündbar sind und mit mindestens
getilgt werden. Zu diesen Zwecken sollen zehn Millionen Mark zur Verfügung
gestellt werden.
üeber beide Gesetzentwürfe hat bereits am 9. d. M. die erste Lesung
stattgefunden, in der sich die Bedner sämtlicher Parteien im allgemeinen zu-
stimmend äußerten. Die Entwürfe sind hierauf einem Ausschuß von 21 Mit¬
gliedern überwiesen worden.
Behufs Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten sind jetzt fast sämt¬
liche stellvertretende Generalkommandos einen Schritt weiter gegangen und
haben durch Verordnungen — das Generalkommando in Münsteri. W. z. B.
durch Verordnung vom 2ö. November d. J. — bestimmt, daß Frauenspersonen, die
gewerbsmäßig oder gewohnheitsgemäß den außerehelichen Geschlechtsverkehr
ausüben, obwohl sie wissen oder dem Umstande nach annehmen
müssen, daß sie geschlechtskrank sind, nach § 96 des Gesetzes
über den Belagerungszustand vom 4. Juni 1851 mit Gefängnis bis zu einem
Jahre bestraft werden. Beim Vorliegen mildernder Umstände kann auf Haft
oder Geldstrafe bis zu 1600 Mark erkannt werden. Ist ein Verfahren wegen
Zuwiderhandlung gegen dieses Verbot eingeleitet, so hat sich die Beschuldigte
einer Untersuchung durch einen Polizeiarzt oder einen sonstigen beamteten Arzt
zu unterwerfen; im Weigerungsfälle findet die vorgenannte Strafbestimmung
Anwendung.
Tagesnachrichten.
765
Ehrentafel. Es haben weiterhin erhalten:
Das Eiserne Krens I. Klasse:
Assistenzarzt d. Bes. Dr. Barsieck- Berlin - Weissensee.
Stabsarzt d. Bes. Dr. M. Bieberstein -Breslan.
Oberarzt d. Bes. Dr. Hans Brey mann-Schöppenstedt (Braunschweig).
Stabsarzt und Beg.-Arzt Dr. K. M. Brogsitter, früher in Frau¬
stadt (Posen).
Stabsarzt d. L. and Beg.-Arzt Dr. G. E. Fu hr m ann- Neukölln (Berlin).
Stabsarzt d. B. und Bat.-Arzt Dr. Edgar Hartmann-Berlin-Schöneberg.
Marinestabsarzt d. Bes. Dr. Hegler.
Stabsarzt Dr. Max Hirsch- Berlin.
Stabsarzt d. Bes. und Beg.-Arzt Dr. Isidor Hirschfeld er- Crefeld.
Oberstabsarzt Dr. Hocheisen-Ulm.
Oberstabsarzt d. Bes. und Beg.-Arzt Prof. Dr. Ernst Holzbach-
Heidelberg.
Oberstabsarzt Dr. Kerksiek-Hildburghausen (Thüringen).
Oberstabsarzt Dr. Müller-Detmold.
Stabsarzt Dr. J. Ohlemann -Göttingen.
Stabsarzt d. Bes. Dr. Paul Oloff-Auma (Thüringen).
Oberstabs- und Divisionsarzt Dr. Emst Pfeiffer-Stuttgart.
Stabsarzt d. L. und Beg.-Arzt Dr. Pingel-Dresden.
Oberarzt d. Bes. Dr. K. Sch äff er-München.
Stabsarzt d. L. Dr. Schieffer-Sanatorium Bühlerhöhe (Baden).
Generalober- und Divisionsarzt Dr. Schnon-Ulm.
Stabsarzt d. Bes. Dr. Theben-Münster i. W.
Oberarzt Dr. Ludwig Wiesner -Germersheim (Pfalz).
Stabsarzt d. B. Dr. W. A. Wiesemes -Mühlheim a Mosel (Bgbz. Trier).
Stabsarzt d. Bes. und Bat.-Arzt Dr. Wallstein-Heudeber i. Harz.
Außerdem haben erhalten: den Bayerischen Militärverdienst¬
orden IV. Klasse mit Schwertern: Med.-Bat Dr. Weber, Bezirksar/t
in Kehlheim (Niederbayern) und Med.-Bat Dr. Weiß, Bezirksarzt in Miesbach
(Oberbayern); — das Oesterreicbische Ehrenzeichen II. Klasse
mit Kriegsdekoration: der Oberstabsarzt d. Bes. Dr. G. Bauh-Erding
(Oberbayern). _
Ehren - Gedäohtnistafel. Für das Vaterland gefallen oder gestorben
sind ferner:
Oberstabsarzt Dr. B e n a r i o - Frankfurt a. M. (gest infolge von Krankheit).
Feldunterarzt W. Fricke-München-Gladbach (gestorben infolge von
Krankheit).
Stabsarzt d. L. Dr. Bichard Gaiser-Stuttgart (gestorben infolge vou
Krankheit).
Földnnterarzt C. Lehmann-Guben.
Stabs- und Bataillonsarzt Dr. Linde mann-Gmünd (Württemberg).
Landsturmpflichtiger Arzt Dr. Maxim. Math mann-Thorn.
Assistenzarzt d. Bes. Dr. F. P o s n e r - Breslau.
Stabsarzt d. Bes Dr. Budolf Schömann - Neustettin (Pommern) (gestorben
infolge von Krankheit).
Assistenzarzt d. Bes. Dr. Karl 8 c b 1 o ß - Mühlhausen (Thüringen).
Oberstabsarzt d. Bes. Dr. Max Schnitze (gestorben infolge von
Krankheit).
Assistenzarzt d. Bes. Dr. Heinrich Spaich-Höpfigheim (Württemberg).
Generaloberarzt Dr. Volkmann -Graudenz.
Gefallen ist ferner: Kriegsfreiwilliger Gefreiter Gerh. Schroeder, Sohn
des Geh. Med.-Bats Dr. Schroeder, Kreisarzt in Cbarlottenburg.
Cholera : In der Türkei sind in der Zeit vom 28. August bis 20. Ok¬
tober 660 Erkrankungen an Cholera mit 864 Todesfällen gemeldet, darunter
19 (8) in Konstantinopel.
Pocken: Im Deutschen Beich betrug die Zahl der Pocken-Erkran-
kungen in den Wochen vom 26. November bis 9. Dezember: 8 und 11.
756
Sprechsaal.
Fleckfleber. Im Deatschen Reich ist vom 26. November bis 8. De¬
zember nur 1 Fleckfiebererkrankung bei einem Kriegsgefangenen amtlich
gemeldet; in Ungarn sind vom 6.—12.November 11 Erkrankungen festgestellt.
Erkrankungen und Todesfälle an ansteckenden Krankheiten in
Preußen. Nach dem Ministerialblatt für Medizinal-Angelegenheiten sind in der
Zeit vom 12. bis 25. November 1916 erkrankt (gestorben) an Pest. Gelb¬
fieber, Cholera, Trichinose, Aussatz, Malaria, Fleckfieber:
Rückfallfieber, Paratyphus, Rotz: — (—), — (—); Milzbrand:
— (—), 1 (—); Tollwut: — (1), — (—); Bißverletzungen durch
tollwutverdächtige Tiere: 9 (—), 2 (—); Pocken: 1 (—), 4 (—)-
Unterleibstyphus: 329 (28), 237 (24); Ruhr: 100 (10), 87 (13); Diph;
therie: 2578 (164), 2319 (175); Scharlach: 1036 (42), 1047 (33); Kind¬
bettfieber: 66 (25), 54 (18); übertragbare Genickstarre: 3(2),
3 (3); spinaler Kinderlähmung: 3(—), — (—(; Fleisch-, Fisch-
und Wurstvergiftung: 9(1), — (—); Körnerkrankheit (erkrankt):
90, 55; Tuberkulose (gestorben): 740, 706.
Spreohnanl.
Anfrage des Kreisarztes Dr. M. in M.: Gilt die allgemeine Verfügung
des Staatsministeriums vom 13. Oktober 1911 über die Festsetzung von Pausch-
vergütungen für Dienstreisen nach nahe gelegenen Orten auch für die Medizinal¬
beamten t
Antwort: Ja; vorausgesetzt, daß die Bedingungen der allgemeinen Ver¬
fügung zutreffen. Nach § 6 gilt diese Verfügung aber nicht für Reisen, für
die an Stelle der im Reisekostengesetz vom 24. September 1910 vorgesehenen
Vergütungen gemäß § 17 oder § 8 Abs. 2 oder § 9 des Rcisekostengesetzes
Beträge in anderer als der in dieser Verfügung vorgesehenen Weise fest¬
gesetzt sind oder festgesetzt werden, z. ß, bei Reisen in gerichtlichen
Angelegenheiten, für die die Königl.-Verordnung vom 14.fJuli 1909 ma߬
gebend ist. Für diese Reisen erhalten 'die Medizinalbeamten also keine
PauschVergütung nach der Verfügung vom 13. Oktober 1911, sondern an
Tagegeld 9 M., an Fahrkosten für das Kilometer Eisenbahn I. Kl. 9 Pf.,
II. Kl. 7 Pf. und für jeden Zu- und jeden Abgang am Wohnorte oder am aus¬
wärtigen Uebernachtungsorte 1,50 M.
Kalender für Medizinalbeamte.
Infolge des großen Mangels an Arbeitskräften sowohl in
der Buchdruckerei, als in der Buchbinderei ist es leider nicht
möglich gewesen, den Kalender für Medizinalbeamte rechtzeitig
fertigzustellen. Seine Versendung wird daher erst Ende dieses
Monats erfolgen können.
Die Ver lag sbuchhandlung. Der Herausgeber.
Deutscher und PreuBischer Medizinalbeamtenverein.
Die Mitglieder des Deutschen und Preussischen Medizinal-
beamtenvereins werden gebeten, etwa bevorstehende Wo hn u ng gs-»
Änderungen um gehend der Expedition der Zeitschrift — Hof¬
buchdruckerei von J. 0. C. Bruns, Minden i. W. — mitzuteilen,
damit in der Zustellung der Zeitschrift mit Beginn des neuen
Jahres keine Unterbrechung eintritt. Gleichzeitig wird darauf
aufmerksam gemacht, daß die Zeitschrift nicht bei der Post zu be¬
stellen ist, da die Zustellung von seiten des Vereins bewirkt wird.
Redaktion: Prof. Dr. Rapmund, Geh. Med.-Rat in Minden i. W.
J. 0. 0. Bruna, Hersogl. Sicht, n. Fürstl. Öch.-L. Hofbuohdracker«! 1b Made».